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German Pages XV, 353 [355] Year 2020
Andreas Helzel
Elektrodynamik an Schule und Hochschule Eine Analyse der fachlichen Hintergründe und Wege der Elementarisierung
Elektrodynamik an Schule und Hochschule
Andreas Helzel
Elektrodynamik an Schule und Hochschule Eine Analyse der fachlichen Hintergründe und Wege der Elementarisierung
Andreas Helzel Institut für Physik Didaktik der Physik Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Halle (Saale), Deutschland
ISBN 978-3-662-61841-7 ISBN 978-3-662-61842-4 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Lisa Edelhäuser Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Über das Buch
Sie haben dieses Buch sicherlich schon mit gewissen Vorstellungen darüber in die Hand genommen, was Sie erwartet. Dies ist weder ein traditionelles Lehrbuch der Physik noch der Physikdidaktik. Daher möchte ich in diesen Vorbemerkungen genauer darauf eingehen, welchem Sachverhalt sich dieses Buch widmet und wie er präsentiert wird. Was erwartet Sie in diesem Buch? Wie der Titel schon andeutet, geht es in diesem Buch um die fachphysikalische Erarbeitung einer möglichen Elementarisierung anhand einer Gegenüberstellung von physikalischen Inhalten aus Schule und Hochschule. Im Rahmen des Modells der didaktischen Rekonstruktion, das in die drei Teile didaktische Strukturierung, Perspektiven der Lernenden und fachliche Klärung untergliedert ist, kann dieses Buch in erster Linie als die fachliche Klärung der Inhalte der Elektrodynamik gesehen werden. Diese fachliche Klärung umfasst nicht nur die relevanten Inhalten der Hochschule, also bestimmte Abschnitte eines physikalischen Lehrbuchs, sondern auch die Fragen: Welche Darstellungen aus den verschiedenen Lehrbüchern geben welche Konzepte auf welche Art und Weise wieder? In welchem Verhältnis stehen diese zu den gewünschten Inhalten und Konzepten des Unterrichts? Wie könnten Lernende zu diesen Inhalten und Konzepten stehen und wie könnten sie diese erleben? Es erwartet Sie also in diesem Buch eine sehr tiefgehende und umfassende fachliche Klärung des Themengebietes Elektrodynamik. Für eine fachliche Klärung kann es hilfreich sein, den Kern eines physikalischen Konzeptes nachschlagen zu können, unabhängig verschiedenster Darstellungsweisen in den Lehrbüchern. Dafür wird am Ende der Abschnitte zur hochschulüblichen Darstellung eine Gebrauchsdefinition der neu eingeführten Konzepte gegeben. Diese Gebrauchsdefinitionen beinhalten nicht nur mathematische Darstellungen von physikalischen Konzepten, sondern auch kondensierte sprachliche Repräsentationen der dahinterstehenden abstrakten Konzepte. Welche grundlegenden Begrifflichkeiten werden in diesem Buch verwendet? Die Begriffe schulisch und schulüblich werden in der Gesellschaft häufig verwendet. Die entsprechenden Begriffe für die Hochschule – hochschulisch und hochschulüblich – dagegen nicht. All diese Begriffe werden jedoch in diesem Buch verwendet, um die Welten von Schule und Hochschule gut erkennbar zu trennen. Der Begriff universitär V
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Über das Buch
wurde soweit möglich vermieden. Die Begriffe Schule und Hochschule werden hier aus pragmatischen Gründen sehr lapidar verwendet. Die Schule ist genau genommen eine staatlich und länderspezifisch regulierte Institution. Dagegen steht hinter der Physik an der Hochschule eine kanonisierte Fachsystematik, die von einer Gemeinschaft internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über Jahrzehnte und Jahrhunderte aufgebaut wurde. An verschiedenen Hochschulen finden sich weiterhin unterschiedliche Ausprägungen dieses Fachkanons als Lehrtraditionen. Schule und Hochschule sind somit eigentlich kein dichotomes Wortpaar, auch wenn sie hier so verwendet werden. Die Grundlage der angesprochenen schulischen und hochschulischen Inhalte sind Bücher aus den jeweiligen Bereichen. Um die Bücher der Schule von denen der Hochschule einfach und ohne beschreibendes Adjektiv unterscheiden zu können, wird für erstere der übliche Begriff Schulbuch verwendet, für letztere der Begriff Lehrbuch. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch (überwiegend) das generische Maskulinum verwendet. Dies impliziert immer beide grammatischen Geschlechter und adressiert jegliche realen Geschlechter und Gender. Es werden die Ausdrücke Lernende oder Schüler verwendet. Trotz des Plurals wird auch bei dem Ausdruck Schüler auf den Artikel – also das sogenannte Geschlechtswort – verzichtet. Es wird von „Lernenden“ und „Schülern“ die Rede sein, anstatt von „den Schülern“, wenn geschlechtsneutral Schüler aller Geschlechter und Gender gemeint sind. An wen richtet sich dieses Buch? Wie oben bereits erwähnt, handelt es sich bei diesem Buch um kein physikalisches Lehrbuch und es soll auch keinen Ersatz dafür sein. Dieses Buch soll also kein erster Einblick in die Elektrodynamik für Studierende sein. Die einzelnen Kapitel setzen zumindest eine grundlegende Kenntnis der Inhalte und Themen voraus und haben nur wiederholenden und innerhalb eines Kapitels vertiefenden Charakter. Dagegen eignet sich das Buch als ergänzende Lektüre zu einem Kurs der Elektrodynamik, falls man den neu erlernten Stoff direkt im Zusammenhang mit der Schule und der Unterrichtsplanung sehen möchte. Dies kann ein Kurs der Experimentalphysik oder theoretischen Physik sein. Somit richtet sich das Buch an Studierende des Lehramts der Sekundarstufen. Im Rahmen einer professionalisierten Lehrerausbildung gibt es immer öfter Kurse, die sich mit Themen dieses Buches auseinandersetzen. Das sind beispielsweise Kurse zum Themengebiet „vertiefte Schulphysik“ [1]. Für Studierende und Lehrpersonen solcher Kurse ist dieses Buch sehr gut geeignet und könnte eine Grundlage dafür darstellen. Auch Dozierende lehramtsspezifischer fachwissenschaftlicher Kurse, die ihre Inhalte mehr auf die berufsspezifischen Bedürfnisse ihrer Studierenden ausrichten möchten, können sich viele Anregungen in diesem Buch holen. Viele der hier vorgestellten neuartigen Darstellungsweisen fachphysikalischer Inhalte könnten auch als Anregung für fachdidaktische Forschungen dienen.
Über das Buch
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Welche allgemeinen Formalia werden in dem Buch verwendet? In den Abbildungen des Buches sind Aufbauten von Experimenten mit vielen Netz- und Messgeräten dargestellt. Da es sich nur selten um schematische Abbildungen handelt, ist ein Netzgerät, das einen bestimmten, aber variablen elektrischen Strom vorgibt, nicht leicht von einem Spannungsmessgerät zu unterscheiden. Dies wird über die Beschriftung der abgebildeten Geräte eindeutig geklärt. Ein Gerät, das eine Größe vorgibt, ist mit dem Formelzeichen beschriftet. Bei einem Messgerät wird die Einheit der gemessenen Größe angegeben. Gibt also das Gerät die Stromstärke vor, so ist es mit einem I beschriftet, ein Spannungsmessgerät ist dagegen mit einem V gekennzeichnet.
Inhaltsverzeichnis
1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Schulübliche Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.1.2 Experimente aus Schulbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.1.3 Konzepte und Strukturen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.2 Hochschulübliche Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.2.1 Experimente aus Lehrbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.2.2 Konzeptualisierung von elektrischer Ladung und elektrischem Feld an der Hochschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.2.3 Grundlegende Konzeptvorstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . 17 1.3.1 Vergleich der Sachstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.3.2 Die sogenannten [Error: Undefined command ]Arten“ der Ladung und ihre Quantisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.3.3 Influenz und Ladungen auf elektrischen Leitern. . . . . . . . . . . . . . . 20 1.3.4 Das Konzept der Probeladung und die Definition eines elektrischen Feldes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.3.5 Fernwirkung oder Nahwirkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.3.6 Interpretationen von Feldern und Feldlinien. . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.3.7 Die Elementarisierung des gaußschen Gesetzes in der Schule . . . . 27 1.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2 Der elektrische Strom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.1 Schulübliche Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.1.2 Einführung, Modellierung und experimentelle Darstellung in Schulbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
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2.2 Hochschulübliche Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.2.1 Grundlagen: Kontinuumstheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.2.2 Grundlegende Darstellung des elektrischen Stroms in Lehrbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.2.3 Die Knotenregel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.2.4 Analogien zum elektrischen Strom in Lehrbüchern . . . . . . . . . . . . 43 2.2.5 Zu überdenkende Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2.6 Grundlegende Konzeptvorstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . 47 2.3.1 Vergleich der Sachstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.3.2 Wirkungen des elektrischen Stroms oder des Energietransportes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.3.3 Verallgemeinerung der Knotenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.3.4 Ladungen und Ladungsträger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.3.5 Das Auf- und Abfließen von Ladung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.3.6 Die leidige Stromrichtung und die mikroskopische Stromdeutung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.3.7 Bildliche Darstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3 Elektrisches Potential und Spannung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.1 Schulübliche Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 3.1.2 Experimente aus Schulbüchern der Sekundarstufe I. . . . . . . . . . . . 62 3.1.3 Konzepte und Strukturen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3.1.4 Analogiemodelle für elektrische Stromkreise. . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3.1.5 Elektrische Spannung und Potential in Schulbüchern der Sekundarstufe II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.2 Hochschulübliche Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.2.1 Einführung und Definition des elektrischen Potentials. . . . . . . . . . 76 3.2.2 Die elektrische Spannung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.2.3 Potential und Spannung in Stromkreisen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3.2.4 Die Maschenregel mit Widerständen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3.2.5 Grundlegende Konzeptvorstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . 88 3.3.1 Vergleich der Sachstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.3.2 Bedeutung von Spannung in Schule und Hochschule. . . . . . . . . . . 90 3.3.3 Spannung oder Potential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.3.4 Spannung und Potential in Analogiemodellen. . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.3.5 Mikroskopische Beschreibung des Widerstands. . . . . . . . . . . . . . . 94
Inhaltsverzeichnis
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3.3.6 Stromstärke, Spannung und Leistung in Stromkreisen. . . . . . . . . . 95 3.3.7 Elektrischer Strom in Leitern mit oder ohne Feld. . . . . . . . . . . . . . 97 3.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4 Elektrostatik elektrischer Leiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.1 Potentiale und elektrische Leiter in der Hochschule. . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4.1.1 Lehrbücher der Experimentalphysik und Kompendien. . . . . . . . . . 104 4.1.2 Lehrbücher der Theorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.1.3 Beispiel und Faustregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4.2 Poisson und Laplace in der Schule – Allgemeine Beispiele . . . . . . . . . . . . 109 4.2.1 Elektroskop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.2.2 Kräfte zwischen geladenen Leitern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.2.3 Influenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 4.2.4 Feldbilder um Leiterelektroden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4.2.5 Faradayscher Käfig und der Ort der Ladungen. . . . . . . . . . . . . . . . 116 4.3 Das Elektrophor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4.3.1 Versuchsverlauf und Beobachtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4.3.2 Potentialverläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4.3.3 Diskussion des Elektrophors für den Schulgebrauch. . . . . . . . . . . . 123 4.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 5 Elektrisch und magnetisch polarisierbare Materie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5.1 Dipole im äußeren Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5.1.1 Einführung von Dipolen und polarisierter Materie. . . . . . . . . . . . . 128 5.1.2 Dipole im homogenen Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 5.1.3 Dipole im inhomogenen Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 5.2 Polarisierbare Materie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 5.3 Visualisierung von elektrischen Feldern mit Grießkörnern. . . . . . . . . . . . . 133 5.4 Die Analogie zwischen elektrischer und magnetischer Polarisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5.5 Polarisation in Schule und Didaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 5.6 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 6 Magnetismus und Magnetfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 6.1 Schulübliche Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 6.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 6.1.2 Experimente aus Schulbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 6.1.3 Konzepte und Strukturen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
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6.2 Hochschulübliche Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 6.2.1 Arten magnetischer Materie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 6.2.2 Wechselwirkung zwischen Permanentmagneten und anderer Materie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 6.2.3 Magnetfelder von Permanentmagneten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 6.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . 155 6.3.1 Vergleich der Sachstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 6.3.2 Plausibilisierung des Feldes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 6.3.3 Arten von Magnetismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 6.3.4 Zwei Pole oder viele Pole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 6.3.5 Farbmarkierung von Magneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 6.3.6 Erfahrung mit korrekten Feldern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 6.3.7 Elementarmagnete. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 6.3.8 Wechselwirkung einzelner Pole oder Dipole im Feld anderer Dipole. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 6.3.9 Magnetfeld der Erde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 6.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 7 Magnetfelder konstanter Ströme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 7.1 Schulübliche Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 7.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 7.1.2 Experimente aus Schulbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 7.1.3 Konzepte und Strukturen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 7.2 Hochschulübliche Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 7.2.1 Elektrischer Strom in Lehrbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 7.2.2 Experimente aus Lehrbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 7.2.3 Konzeptualisierung des Magnetfeldes an der Hochschule. . . . . . . . 176 7.2.4 Fachliche Klärung zum Elektromagneten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 7.2.5 Diskussion der Lehrbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 7.2.6 Grundlegende Konzeptvorstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 7.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . 183 7.3.1 Vergleich der Sachstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 7.3.2 Feldverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 7.3.3 Feldgrößen in der Schule. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 7.3.4 Die Linke-Hand-Regel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 7.3.5 Das Elektromotorische Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 7.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Inhaltsverzeichnis
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8 Elektromagnetische Induktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 8.1 Schulübliche Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 8.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 8.1.2 Experimente aus Schulbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 8.1.3 Konzepte und Strukturen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 8.2 Hochschulübliche Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 8.2.1 Fließbach. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 8.2.2 Bergmann/Schaefer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 8.2.3 Griffiths . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 8.2.4 Vergleich der Lehrbücher. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 8.2.5 Grundlegende Konzeptvorstellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 8.2.6 Potential und Spannung an einem Beispiel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 8.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . 213 8.3.1 Vergleich der Sachstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 8.3.2 Spannung und Spannung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 8.3.3 Induktion, Spannung und Didaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 8.3.4 Lenzsche Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 8.3.5 Rehabilitation der magnetischen Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 8.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 9 Anwendungen der Induktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 9.1 Der Transformator. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 9.1.1 Übersicht zum Transformator in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 9.1.2 Differentialgleichungen zum Transformator. . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 9.1.3 Spannungstransformation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 9.1.4 Stromtransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 9.1.5 Energietransport durch den Transformator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 9.1.6 Elementarisierungen des Transformators. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 9.2 Thomsonscher Ringversuch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 9.2.1 Versuchsaufbau und Versuchsablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 9.2.2 Erklärungen in Schulbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 9.2.3 Erklärung mit Hochschulphysik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 9.2.4 Mögliche Elementarisierung des thomsonschen Ringversuchs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 9.3 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 10 Energietransport in elektromagnetischen Systemen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 10.1 Schulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 10.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 10.1.2 Das Energiekonzept in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246
XIV
Inhaltsverzeichnis
10.2 Hochschulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 10.2.1 Die Maxwell-Gleichungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 10.2.2 Das Energiekonzept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 10.2.3 Die Energiestromdichte (Poynting-Vektor). . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 10.2.4 Die joulesche Wärme, die Leistung und die Grenzen des Systems. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 10.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen. . . . . . . 253 10.3.1 Vergleich grundlegender Konzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 10.3.2 Beispiele zum Energietransport in elektromagnetischen Systemen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 10.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 11 Elektromagnetische Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 11.1 Schulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 11.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 11.1.2 Experimente aus Schulbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 11.1.3 Konzepte und Strukturen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 11.2 Hochschulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 11.2.1 Elektrische Schwingkreise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 11.2.2 Elektromagnetische Drahtwellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 11.2.3 Elektromagnetische Wellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 11.2.4 Dipolstrahlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 11.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen. . . . . . . 280 11.3.1 Vergleich der Sachstruktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 11.3.2 Elementarisierung des elektrischen Schwingkreises. . . . . . . . . . . 282 11.3.3 Von Schwingungen zu Wellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 11.3.4 Stille Post in Schulbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 11.3.5 Die Besonderheit elektromagnetischer Wellen. . . . . . . . . . . . . . . 286 11.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 12 Spezielle Relativitätstheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 12.1 Von der Elektrodynamik zur speziellen Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . 292 12.2 Mechanik in der Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 12.2.1 Relativität der Gleichzeitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 12.2.2 Zeitdilatation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 12.2.3 Relativität der Länge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 12.3 Lorentz-Transformation und Minkowski-Vierervektoren. . . . . . . . . . . . . . 298
Inhaltsverzeichnis
XV
12.4 Das Raum-Zeit-Diagramm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 12.4.1 Einführung eines nicht-relativistischen Raum-ZeitDiagramms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 12.4.2 Erstellung eines relativistischen Minkowski-Diagramms. . . . . . . 302 12.4.3 Gleichzeitigkeit, Zeitdilatation und Längenkontraktion im Minkowski-Diagramm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 12.5 Diskussion und Vergleich zur schulüblichen Darstellung. . . . . . . . . . . . . . 309 12.6 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 13 Wellenoptik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 13.1 Schulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 13.2 Hochschulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 13.2.1 Beugung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 13.2.2 Doppelspalt und Einfachspalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 13.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen. . . . . . . 320 13.4 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Anhang A Formeln und Gleichungen zum Nachschlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Anhang B Mikroskopische Erklärungen und das Teilchenmodell. . . . . . . . . . 329 Anhang C Analogiemodelle von Stromkreisen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
1
Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
Inhaltsverzeichnis 1.1
Schulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Experimente aus Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Konzepte und Strukturen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Hochschulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Experimente aus Lehrbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Konzeptualisierung von elektrischer Ladung und elektrischem Feld an der Hochschule. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Grundlegende Konzeptvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Vergleich der Sachstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Die sogenannten „Arten“ der Ladung und ihre Quantisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Influenz und Ladungen auf elektrischen Leitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Das Konzept der Probeladung und die Definition eines elektrischen Feldes . . . . . . 1.3.5 Fernwirkung oder Nahwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.6 Interpretationen von Feldern und Feldlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.7 Die Elementarisierung des gaußschen Gesetzes in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2 2 2 6 9 9 10 15 17 17 19 20 22 24 25 27 28 30
Wie jedes hochschulische Lehrbuch der Elektrodynamik beginnt auch dieses Buch mit der Elektrostatik und dabei mit der Wechselwirkung zwischen geladenen Körpern und den daraus abgeleiteten neuen Konzepten der elektrischen Ladung als grundlegende Größe und dem elektrischen Feld zur Beschreibung der Wechselwirkung. Der Abschnitt über die schulische Darstellung beginnt mit einem stichpunktartigen Überblick der Lehrplaninhalte, gefolgt von den Experimenten und den damit verbundenen Konzepten, wie sie in verschiedenen Schulbüchern zu finden sind. Im Abschnitt zur hochschulüblichen Darstellung werden diese Konzepte weiter vertieft und präzise ausformuliert. In der © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4_1
1
2
1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
abschließenden vergleichenden Diskussion werden einige grundlegende Verständnisschwierigkeiten tiefgehender besprochen. Dies geschieht in einem direkten Bezug zum Unterricht und dem schulischen Verständnis.
1.1
Schulübliche Darstellung
1.1.1
Themenüberblick anhand von Lehrplänen
Im Gegensatz zur Lehre an Hochschulen stehen in den Lehrplänen der Länder elektrostatische Themen häufig nicht am Anfang der Elektrizitätslehre der Sekundarstufe I (beispielsweise [25, 32, 33, 35, 38, 41]) oder werden gar nicht explizit erwähnt [34]. Die ersten Themen des naturwissenschaftlichen Unterrichts und der Physik in der Elektrizitätslehre sind für gewöhnlich elektrische Stromkreise oder Permanentmagnete und das Magnetfeld. Die Konzepte Ladung oder (magnetisches) Feld werden zum Teil schon als bekannt angenommen, wenn sie im Zusammenhang mit der elektrostatischen Wechselwirkung erwähnt werden. Inhaltlich werden für gewöhnlich nur Schlagwörter genannt, wie: • • • • •
Ladungstrennung, elektrostatische Kraftwirkung, das Modell der elektrischen Feldlinien, Eigenschaften der Ladung, Charakterisierung der Ladungsarten anhand ihrer Kraftrichtung.
Dies sind übliche Vorgaben, detaillierter werden die gewünschten Inhalte und Kompetenzen nicht besprochen. Selten sind die Vorgaben sehr offen, wenn etwa „Ladung und ihren Eigenschaften“ [38] nur genannt wird, oder elektrostatische Kräfte gar nicht erwähnt werden [34] und auch von den entsprechenden Schulbüchern nicht umgesetzt [17, 18].
1.1.2
Experimente aus Schulbüchern
Da es eine Vielzahl von Experimenten zur Einführung in die Elektrostatik gibt, bietet dieser Abschnitt lediglich einen Überblick mit kurzen Beschreibungen und ersten Erklärungen zu den Experimenten der Sekundarstufe I. Die einzelnen Absätze widmen sich nicht einem bestimmten Experiment, sondern behandeln Versuche zu bestimmten physikalischen Größen oder einer ihrer Eigenschaften. Mögliche didaktische Funktionen von Experimenten stehen eher im Hintergrund. Eine Übersicht aller erwähnter Versuche finden sich in Tab. 1.1 und eine Zuordnung der damit darstellbaren Konzepte in Tab. 1.2. Weitere Experimente, die so stark
1.1
Schulübliche Darstellung
3
Tab. 1.1 Überblick der vorgestellten Versuche zur Einführung und Beschreibung der Ladung, der Wechselwirkung zwischen Ladungen und des elektrischen Feldes Abkürzung
Kurze Beschreibung
V1
Das Elektroskop in Verbindung mit geladenen Körpern
V2
Wechselwirkung von geladenen Plastik- und Glaskörpern (Reibungselektrizität)
V3
Anziehung und Abstoßung zwischen geladenen Metallkugeln
V4
Anziehung zwischen geladenen und ungeladenen, aber leitenden Körpern
V5
Erzeugung geladener Körper aus vorher ungeladenen in einem äußeren Feld
V6
Stückweises Aufladen und Entladen eines Elektroskops mit einer Hochspannungsquelle
V7
Bewegung leichter geladener Körper in einem Feld
V8
Grießkörnchen auf Öl zwischen geladenen Elektroden
V9
Messung der Influenzladung einer geschlossenen Metallschale um einen geladenen Körper
mit Konzepten und Modellen in Verbindung stehen, dass sie schlecht für sich stehen können, werden in Verbindung mit den entsprechenden Konzepten und Modellen im nachfolgenden Abschnitt besprochen. Elektrische Ladung und ihre grundlegenden Eigenschaften: Die ersten Experimente zu den Eigenschaften elektrischer Ladung befassen sich mit Materialien, die Reibungselektrizität erzeugen, und elektrischen Leitern, die an Hochspannungsquellen aufgeladen werden. Bei der Reibungselektrizität werden verschiedene Materialien aneinander gerieben. Häufig werden Plastik- oder Glasstäbe mit einem Wolltuch gerieben. Um die Eigenschaft „geladen“ zu detektieren, werden entweder die Kräfte zwischen geladenen Körpern oder zwischen geladenen und neutralen Körpern1 beobachtet (Wattestückchen, Plastik, Haare,...) oder Gerätschaften wie Glimmlampen und Elektroskope verwendet. Berührt man beispielsweise mit der Elektrode einer Glimmlampe einen geriebenen Plastikstab, während man die andere Elektrode in der Hand hält, so blitzt sie auf. Nähert und berührt man den Teller auf einem Elektroskop mit einem geriebenen, geladenen Körper, so zeigt es einen Ausschlag. Die Geräte, vor allem das Elektroskop, sind hier zunächst eine Art Black Box, deren Funktionsweise nicht vollständig erklärt werden kann, ohne Inhalte vorwegzunehmen. Die einführenden Experimente lassen sich in zwei Gruppen unterteilen. Das sind Versuche mit Leitern, die durch Hochspannungsquellen aufgeladen werden (in Schulbüchern wie [6, 15, 37]), und Versuche, die Reibungselektrizität von Isolatoren benutzen 1 Polarisation, siehe Kap. 5.
4
1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
Tab. 1.2 Übersicht der vermittelbaren Konzepte der vorgestellten Versuche Gezeigte Eigenschaft
V1
V2
V3
V4
V5
V6
V7
V8 V9
Existenz von Ladung Influenz von Ladungen
( )
Kraftrichtung
( )
Vorzeichen der Wechselwirkung und der Ladung Ladungsneutralität durch Ladungsausgleich Mengenartigkeit der Ladung
( )
Elektrisches Feld und Feldlinien Abstandsabhängigkeit der WW
( )
(in Schulbüchern wie [3, 9, 29]). In beiden Fällen wird mithilfe eines Elektroskops (Tab. 1.1, V1) festgestellt, dass ein Körper geladen ist. Das Vorhandensein von Ladung wird entweder durch das Berühren mit einer Glimmlampe oder durch die wechselseitige Anziehung und Abstoßung der geladenen Körper aufgezeigt. Vorzeichen der elektrischen Ladung und Wechselwirkung zwischen geladenen Körpern Die beiden Vorzeichen elektrischer Ladung2 werden durch die beiden Möglichkeiten der Wechselwirkung nahegelegt – Anziehung und Abstoßung. Eine mögliche Anordnung besteht aus zwei geladenen (metallischen) Kugeln, bei der zumindest eine nicht ortsfest gehalten wird, sondern an einem Faden hängt (siehe beispielhaft Abb. 1.1a). Je nach Vorzeichen der Ladungen auf den beiden Kugeln kann eine anziehende oder abstoßende Kraft beobachtet werden (Tab. 1.1, V3). In einem entsprechenden Versuch mit Reibungselektrizität (Tab. 1.1, V2) kann ein (negativ) geladener Plastikstab drehbar aufgehängt oder gelagert werden und mit einem (positiv) geladenen Glasstab angezogen oder einem anderen geladenen Plastikstab abgestoßen werden. Influenz und mikroskopisches Bild geladener Körper: Die Influenz ist schon in den ersten elektrostatischen Experimenten mit elektrischen Leitern sehr offensichtlich. Nähert man beispielsweise einen geladenen Körper einem Elektroskop um dessen Ladung zu verdeutlichen, so gibt es bereits einen Ausschlag, bevor die Ladung darauf übertragen wird. Ganz allgemein ziehen sich ein geladener und ein ungeladener Leiter in gegenseitiger Nähe an (siehe beispielhaft Abb. 1.1b; Tab. 1.1, V4). Diese Erscheinung wird auf die Ver2 Oft werden die unterschiedlichen Vorzeichen auch unterschiedliche „Arten“ von Ladung genannt.
Mehr dazu in Abschn. 1.3.2.
1.1
Schulübliche Darstellung
5
schiebung von Ladungen verschiedenen Vorzeichens auf dem ungeladenen, leitenden Körper durch den anderen, geladenen Körper zurückgeführt. Anschließend sind sich die ungleichnamigen Ladungen der beiden Körper näher als die gleichnamigen. Dieses Phänomen wird Influenz genannt, und die daraus folgende Ladungsverteilung Influenzladung. Ein weiterer Versuch beschäftigt sich mit der Ladungstrennung durch die Influenz an zusammengesetzten Leitern. Man führt einander berührende Leiter in die Nähe eines geladenen Körpers, um Ladung zu verschieben und verschiedene Vorzeichen von Ladung zu trennen. Werden die beiden Leiter erst voneinander und dann vom geladenen Körper entfernt, sind die ursprünglich neutralen Leiter geladen und haben jeweils den gleichen Betrag der Ladung mit unterschiedlichem Vorzeichen (Tab. 1.1, V5). Im Zusammenhang mit der Influenz wird außerdem besprochen, wie sich die Ladung auf der Oberfläche von leitenden Körpern verteilt. Ein elektrischer Leiter schirmt elektrische Felder ab und ist feldfrei, selbst wenn er geladen ist. Ein Aspekt, der mit der Influenz (und Polarisation) plausibel gemacht wird, ist die Zusammensetzung jedes Körpers aus geladenen „Teilchen“ 3 , die sich insgesamt neutralisieren. Um dies noch weiter zu erklären, wird auf ein vereinfachtes mikroskopisches Bild zurückgegriffen, meistens ein Teilchenmodell von Metallen. Dabei wird angegeben, dass die positiven Atomrümpfe ortsfest sind und sich die negativen Elektronen gleichverteilt dazwischen befinden. Für jegliche Ladungseffekte ist eine Umverteilung, ein Überschuss oder ein Mangel von Elektronen verantwortlich. Dieser Zusammenhang aus Ladung und mikroskopischer Beschreibung wird als so wichtig empfunden, dass entweder im Kapitel zur Elektrostatik ein Einschub zum Aufbau der Materie vorkommt (z. B. [7], [S. 47]), oder das Kapitel zum Aufbau der Materie mit der Elektrostatik eingeleitet wird (z. B. [9], S. 64 ff. oder [1], S. 152 ff.). Herausgestellt wird dabei oft, dass ein Elektron die Elementarladung trägt und dass jede elektrische Ladung eines Körpers ein Vielfaches dieser Elementarladung ist (z. B. [3], S. 297). Die elektrische Ladung als extensive Größe: Die Mengenartigkeit (Extensivität) der elektrischen Ladung wird in erster Linie im Zusammenhang mit dem Teilchenaspekt angesprochen – die elektrische Ladung eines Körpers ist ein Vielfaches der Elementarladung. Experimentell wird die Mengenartigkeit zum Beispiel mit einem Versuch wie in Kuhn Physik ([6], S. 84) gezeigt (siehe beispielhaft Abb. 1.1c), bei dem ein Elektroskop portionsweise aufgeladen wird (Tab. 1.1, V6). Dies geschieht, indem eine leitende Kugel immer wieder an einem Pol einer Hochspannungsquelle aufgeladen und zu einem Elektroskop geführt wird. Genauso portionsweise wird das Elektroskop entladen, wenn man mit dem Leiter immer wieder den anderen Pol berührt. Der Leiter dient dabei als sogenannter „Ladungslöffel“. 3 Das Wort Teilchen wird in diesem Buch, wie in der übrigen Literatur, etwas lapidar verwendet.
Man muss sich jedoch immer darüber im Klaren sein, dass es sich dabei nie um „Punktteilchen“ handelt, sondern vielmehr um kleine (eventuell quantenmechanische) Teilsysteme mit ihren oft nicht bestimmten Eigenschaften.
6
1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
a
b
+
c
+
+
+
d
+ Abb. 1.1 Versuchsskizzen (a) zum Vorzeichen der elektrostatischen Wechselwirkung, (b) zur Influenz, (c) zur Mengenartigkeit der Ladung und (d) zur Veranschaulichung von Feldlinien
1.1.3
Konzepte und Strukturen in Schulbüchern
Das erste neue Konzept bzw. die erste neue Größe ist die elektrische Ladung. Deren Einführung wurde hier bei den Experimenten anhand ihrer Wechselwirkung besprochen. Im Folgenden geht es vor allem um die Konzeptualisierung und Abstraktion der Wechselwirkung durch ein Feld. Konzeptualisierung und Quantifizierung des elektrischen Feldes: Ein üblicher Merksatz zur Einführung des elektrischen Feldes in der Sek. I lautet: „Jeder geladene Gegenstand bewirkt, dass weitere geladene Körper in seiner Umgebung eine elektrische Kraft erfahren. Wir sprechen davon, dass sich in dem Raum um den geladenen Gegenstand herum ein elektrisches Feld befindet.“ ([16], S. 7) Das elektrische Feld wird durch seine Kraftwirkung auf geladene Körper konzeptualisiert und als etwas beschrieben, das sich im Raum um einen geladenen Gegenstand befindet. In manchen Schulbüchern (beispielsweise [29], S. 147) wird ein Feld nicht als etwas „im Raum“, sondern direkt als „der Raum“ um einen geladenen Körper bezeichnet. In der Oberstufe wird dies noch mit der elektrischen Feldstärke und einer dazugehörigen Formel quantifiziert. In Fokus Physik 11 ([12], S. 12) geschieht dies folgendermaßen:
1.1
Schulübliche Darstellung
7
Die Kraft, die an einem bestimmten Ort auf einen kleinen Probekörper ausgeübt wird, hängt von seiner Ladung qPr ab. Die physikalische Größe, die das elektrische Feld unabhängig Es gilt: von der Ladung qPr charakterisiert, ist die elektrische Feldstärke E. = F . E qPr
Es ist dabei von einem kleinen geladenen Probekörper die Rede. In Metzler Physik 11 ([8], S. 8) wird definiert, was eine Probeladung ist:4 Eine Probeladung ist ein elektrisch geladener Körper, dessen elektrisches Feld so schwach ist, dass es nicht in der Lage ist, ein äußeres elektrisches Feld merklich zu verändern.
Der Einfluss der Ladung, an der man die elektrostatische Kraft misst, auf den Verlauf des umliegenden Feldes soll als vernachlässigbar angesehen werden. In Impulse Physik [10] kommt der Begriff Probekörper oder Probeladung dagegen nicht vor. Im Karlsruher Physikkurs Elektrodynamik ([24], S. 19) wird bei der entsprechenden formalen Einführung der Feldstärke noch ergänzt, dass die Ladung des Probekörpers das ursprüngliche Feld zwar stark beeinflussen kann, die Formel durch den Quotienten aus Kraft und Stärke der Probeladung aber immer die Feldstärke ohne den Probekörper liefert. Zusätzlich zu der Konzeptualisierung über ein abstraktes Kraftfeld wird im Karlsruher Physikkurs eine weitere, sehr stoffliche Konzeptualisierung beschrieben: An elektrisch geladenen Gegenständen hängt ein unsichtbares Gebilde. Man nennt es elektrisches Feld. Haben die Ladungen von zwei Gegenständen dasselbe Vorzeichen, so drückt das Feld die Gegenstände voneinander weg, haben sie verschiedene Vorzeichen, so zieht sie das Feld aufeinander zu. ([24], S. 15)
Diese stoffliche Realität des Feldes wird noch hervorgehoben, indem nicht vom Feld der einen Ladung gesprochen wird, die auf die andere Ladung wirkt, sondern vom (gemeinsamen) Feld, das die geladenen Gegenstände verbindet. Hier heißt es am Beispiel des Plattenkondensators ([24], S. 26): Das Feld zwischen zwei entgegengesetzt geladenen Platten • zieht die Platten aufeinander zu; • zieht an jeder der Platten in Längsrichtung.
4 In der Prüfauflage dieses Buches mit derselben, jedoch vorläufigen ISBN Nummer heißt es dagegen:
„Eine Probeladung ist ein elektrisch geladener Körper, dessen elektrisches Feld so schwach ist, dass es nicht in der Lage ist, elektrische Ladungen in der Umgebung der Probeladung zu verschieben.“
8
1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
Dabei kann das elektrische Feld als eigenständiges System gesehen werden, das über die Ladung mit materiellen Körpern in Verbindung steht. Veranschaulichung anhand von Feldlinien: Das elektrische Feld wird nahezu ausnahmslos mit dem Feldlinienmodell visualisiert. Dieses Modell wird durch zwei Versuche nahegelegt. Einmal durch die nicht geradlinige Bewegung von leichten, geladenen Körpern, wie zum Beispiel geladenen Watteflocken in der Nähe stark aufgeladener Metallkörper. Die Bahn der Watteflocken wird dann als eine mögliche Feldlinie hingestellt (Tab. 1.1, V7).5 In einem zweiten Experiment betrachtet man das elektrische Feld zweier Elektroden mit hoher Spannung auf der Oberfläche von Öl. Auf dieser Oberfläche werden Grießkörnchen oder vergleichbare polarisierbare Körnchen gestreut, die zwischen den Elektroden Ketten bilden (Tab. 1.1, V8). Diese Ketten geben die grobe Struktur der gedachten Feldlinien wieder (siehe beispielhaft Abb. 1.1d). Mit diesem Experiment werden Felder verschiedener Leitergeometrien betrachtet. Zusätzlich werden grundlegende Eigenschaften der Feldlinien besprochen. So dürfen sie sich nie kreuzen oder teilen, sie besitzen eine Orientierung, die von positiv geladenen Körpern zu negative geladenen zeigt, und sie stehen senkrecht auf den Oberflächen leitender Körper. Das radialsymmetrische Feld: In vielen Oberstufenbüchern (beispielsweise [8, 10]) findet sich ein Experiment, um speziell das radialsymmetrische Feld eines nahezu punktförmigen, geladenen Körpers plausibel zu machen und zu zeigen, dass alle kugelsymmetrisch geladenen Körper ein elektrisches Feld besitzen, das dem einer Punktladung der gleichen Gesamtladung im Zentrum des Körpers entspricht (Abb. 1.2). Dazu werden zwei leitende (elektrisch neutrale) Halbschalen um eine Kugel mit bekannter Ladung gelegt, ohne dass sie diese berühren, sodass die Kugel (nahezu) vollständig von den Halbschalen umschlossen ist. Die Influenzladung auf den Halbschalen wird bestimmt. Es zeigt sich, dass die Influenzladung auf den Halbschalen genauso groß ist wie die Ladung auf der Kugel im Inneren, unabhängig von deren Durchmesser (Tab. 1.1, V9). Nimmt man eine konstante Flächenladungsdichte auf der Oberfläche an, so kann damit auf den radialen Verlauf der Feldstärke geschlossen werden. Dieser Versuch wird auch im Zusammenhang mit der Einführung und Bestimmung des coulombschen Gesetzes demonstriert [5, 8, 10].
5 Hier sei gleich auf Abschn. 1.3.6 hingewiesen, der die Mängel dieses Versuchs herausstellt.
1.2
Hochschulübliche Darstellung
Abb. 1.2 Das Feld der Ladung Q eines Konduktors influenziert Ladung Q in f l in einer umgebenden, neutralen leitenden Kugelschale. Die Influenzladung wird mit einem Ladungsmessgerät bestimmt. Es kann der Zusammenhang Q in f l = Q gezeigt werden und der betragsmäßige Verlauf des radialsymmetrischen elektrischen Feldes
9
E
C
1.2
Hochschulübliche Darstellung
1.2.1
Experimente aus Lehrbüchern
Grundsätzlich finden sich in Lehrbüchern der Hochschule ähnliche Experimente wie in Schulbüchern. Bei Halliday ([20], S. 651), Tipler ([45], S. 652 f.) und Bergmann/Schaefer ([39], S. 19 ff.) werden als erste Experimente zur Elektrostatik fast ausschließlich Versuche mit triboelektrisch aufgeladenen Isolatoren (Reibungselektrizität) gezeigt (analog Tab. 1.1, V2). Ein Beispiel dafür ist ein an einem Faden hängender, (negativ) aufgeladener Plastikstab, der sich von einem anderen aufgeladenen Plastikstab wegdreht, wenn man ihn nähert. Beim Nähern eines (positiv) aufgeladenen Glasstabes wird dieser dagegen vom anderen angezogen und dreht sich in dessen Richtung. Anhand dieser einfachen grundsätzlichen Experimente werden sehr viele Eigenschaften des Konzepts Ladung und der elektrostatischen Wechselwirkung plausibel gemacht. Im Anschluss an diese allerersten Experimente werden die Stoffe in Leiter und Nichtleiter aufgeteilt. Bei Isolatoren sitzen die Ladungen ortsfest auf deren Oberfläche, bei Leitern verteilen sie sich frei auf der gesamten Oberfläche. Erst nachdem diese beiden Sachverhalte geklärt sind – die Wechselwirkung ortsfester Ladungen und die Unterteilung der Stoffe in Nichtleiter und Leiter – werden Ladungserscheinungen an Leitern genauer betrachtet. Es werden das Elektroskop sowie die Ladungstrennung und die Influenz auf Leitern eingeführt. In Büchern wie Demtröder [11] und Gerthsen [30] werden Experimente und Eigenschaften von Leitern im Feld erst nach der Einführung des elektrischen Potentials vorgestellt. Das
10
1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
hat den Grund, dass man für die Beschreibung und Erklärung der entsprechenden Experimente auf die Konzepte von Spannung und Potential zurückgreift. Diese Konzepte werden in diesem Buch erst in den Kap. 3 und 4 besprochen. Die coulombsche Dreh- oder Torsionswaage (siehe auch Abb. 1.4) ist ein Experiment in Lehrbüchern zur quantitativen Bestimmung des coulombschen Gesetzes (siehe z. B. [11], S. 2). Sie hat vor allem historische Bedeutung, da Coulomb mit einer solchen Anordnung die Kraft zweier punktförmiger Ladungsverteilungen bestimmt hat. Dabei ist eine leitende Kugel an einem Ende einer Drehwaage isoliert vom Rest der Waage montiert. Dieser zuerst elektrisch neutrale Körper wird an eine baugleiche stationäre, aber elektrisch aufgeladene Kugel geführt, wodurch sich die Ladung gleichmäßig auf beide Kugeln verteilt. Die daraus resultierende Kraft kann dann als Auslenkung der Drehwaage in Abhängigkeit vom Abstand der Kugelmittelpunkte gemessen werden. Die weiteren Versuche stellen sich analog wie in der Schule dar, mit einer Ausnahme. In den hier erwähnten Lehrbüchern findet sich kein Experiment wie V7 in Tab. 1.1, in dem die krummlinige Flugbahn leichter Partikel zur Andeutung von Feldlinien verwendet wird.
1.2.2
Konzeptualisierung von elektrischer Ladung und elektrischem Feld an der Hochschule
Dieser Abschnitt fokussiert stark auf eine theoretische Konzeptualisierung wie sie bei Fließbach [14] und Griffiths [19] zu finden ist. Die elektrische Ladung und das coulombsche Gesetz: Die elektrische Ladung definiert sich als physikalische Größe aus ihren Eigenschaften. Das ist in der Elektrostatik die Kraftwirkung zwischen geladenen Körpern, wie sie im coulombschen Gesetz beschrieben wird. Noch vor der Formulierung dieses Gesetzes wird das Konzept der Punktladung eingeführt. Es handelt sich dabei um eine Idealisierung bzw. Näherung. Man betrachtet dabei geladene Körper in Abständen, die viel größer als deren Ausdehnung sind, weshalb man annehmen kann, dass die Gesamtladung des Körpers auf einen einzigen Punkt konzentriert ist.6 Eine Punktladung wird also durch ihre Ladung q und einen Ortsvektor r beschrieben. Die grundlegenden Eigenschaften von Punktladungen, die sich aus den Experimenten verallgemeinern lassen, sind wie folgt: • Elektrische Ladungen q können unterschiedliche Vorzeichen besitzen. • Das coulombsche Gesetz (Coulomb-Kraft) für die Punktladungen der Stärke q1 und q2 an den Orten r1 und r2 lautet (siehe dazu auch Abb. 1.3): 6 Als Analogie kann ein beliebig geformter Asteroid im Sonnensystem verwendet werden, der mit
Teleskopen auf der Erde lediglich als heller Punkt wahrgenommen werden kann und daraus seine Flugbahn bestimmt wird.
1.2
Hochschulübliche Darstellung
11
Abb. 1.3 Deutung der einzelnen Faktoren des coulombschen Gesetzes
FC =
r1 − r2 1 q1 q2 4π ε0 | r1 − r2 |3
(1.1)
• Für Coulomb-Kräfte gilt das Superpositionsprinzip.. • Es gilt dir Erhaltung der elektrischen Ladung. • Die elektrischen Ladung ist quantisiert mit der Elementarladung q = e. Im Rahmen der klassischen Elektrodynamik ist der letzte Punkt nicht entscheidend. Jedes Lehrbuch der (klassischen) Elektrodynamik basiert auf der Theorie von Maxwell, für die eine Quantisierung der Ladung keine Rolle spielt. Wichtig ist die damit einhergehende Extensivität der Ladung. In der obigen Formel des coulombschen Gesetzes (1.1) werden die sogenannten SIEinheiten verwendet. Die Einheit der Ladung wird aus der magnetischen Kraft abgeleitet, die an benachbarten parallelen stromführenden Drähten anliegt, wie in Kap. 7 beschrieben. Damit ist die Einheit der Ladung, das Coulomb C, durch die Definition der Einheit der elektrischen Stromstärke I , das Ampere A, und der Zeit t als [q] = C = As gegeben. Das legt außerdem den Proportionalitätsfaktor zwischen Kraft und Ladungen als 1/(4π ε0 ) mit der elektrischen Feldkonstante ε0 fest. Neben den SI-Einheiten werden in der Elektrodynamik auch andere Einheitensysteme verwendet, was ein gewisses Problem darstellt. Bekannte Beispiele sind dabei das CGS-Einheitensystem, das gaußsche Einheitensystem und das Heaviside-Lorentz-Einheitensystem. Hier in diesem Buch wird durchgehend das SI-Einheitensystem verwendet. Eine Diskussion verschiedener Einheitensysteme kann beispielsweise in Fließbachs Elektrodynamik [14] nachgelesen werden.
Das elektrische Feld: Die klassische Elektrodynamik ist vermutlich das Paradebeispiel einer Feldtheorie in der Physik. Deswegen sind in Theoriebüchern der Elektrodynamik [14, 19, 27] die Abschnitte, in denen es allein um Coulombkräfte und Ladungen geht, sehr knapp und es wird nach der ersten Seite sofort das elektrische Feld eingeführt. Die Felddefinition stellt die Formel für die elektrische Feldstärke dar: F = q E
(1.2)
12
1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
Ausgangspunkt ist dabei eine Konfiguration aus N Punktladungen q1 , ..., q N an den Orten r N , deren Wirkung auf eine zusätzliche Punktladung q, die sogenannte Probeladung, r1 , ... betrachtet wird. Man unterscheidet also zwischen den felderzeugenden Ladungen (engl.: source charges) und der Probeladung (engl.: test charge), an der die resultierende Kraft betrachtet wird. Die Probeladung ist immer diejenige Ladung, deren Feld nicht berücksichtigt wird, sondern auf die eine Kraft im Feld aller anderen Ladungen wirkt (Abb. 1.4b). Eine Einschränkung auf die Stärke der Probeladung bezieht sich lediglich darauf, dass sie keine so großen Kräfte auf die felderzeugenden Ladungen ausüben darf, dass diese verschoben werden. Das könnte zum Beispiel bei einer Ladungskonfiguration auf elektrischen Leitern durch Influenz geschehen. Aus der Felddefinition (1.2), dem coulombschen Gesetz (1.1) und dem Superpositionsprinzip lässt sich eine Formel für die Feldstärke herleiten: r) = E(
N r − ri 1 qi 4π ε0 | r − ri |3
(1.3)
i=1
Als Nächstes muss in der klassischen Elektrodynamik das Konzept von reinen Punktladungen auf kontinuierliche Ladungsverteilungen erweitert werden. Die Ladungsdichte ρ( r) wird als Ladung pro Volumen eingeführt. Eine derartige Ladungsdichte ist so zu verstehen wie eine Massendichte als Materialkonstante von Wasser oder von Gasen. Eine Ladungsverteilung ρ( r ) erzeugt die elektrische Feldstärke: r) = E(
1 4π ε0
ρ(r )
r − r dr | r − r |3
Feldlinien
b
a
Torsionsfeder
Schirm
q1,...,qN Felderzeugende Ladungen
Spiegel +
(1.4)
+
Probeladung q
Lichtbündel
Abb. 1.4 a Skizze zum Versuch der elektrostatischen Kraft wie Coulomb ihn durchführte anhand des nach ihm benannten Torsionspendels. b Visualisierung der Felddefinition. Eine felderzeugende Ladungsverteilung sei aus Punktladungen q1 , ..., q N (hellgrau) aufgebaut. Das Feld (blau) dieser Ladungsverteilung übt eine Kraft auf die Probeladung q (grau) aus
1.2
Hochschulübliche Darstellung
13
Die wichtigste Möglichkeit, Felder zu visualisieren, ist auch in Lehrbüchern das Feldlinienmodell.7 Eine knappe Definition von Feldlinien findet sich beispielsweise in Fließbach: Die Linien, für die die Vektoren E an jedem Punkt die Tangentenrichtung angeben, heißen Feldlinien. ([14], S. 49)
In Griffiths’ Elektrodynamik ([19], S. 66 ff.) wird weiterhin betont, dass die Stärke des Feldes auch tatsächlich korrekt durch die Dichte der Feldlinien wiedergegeben wird, zumindest in drei Dimensionen. In zwei Dimensionen nimmt die Dichte der Feldlinien einer Punktladung nicht mit 1/r 2 ab, sondern mit 1/r . Abschließend sei hier noch erwähnt, dass das elektrische Feld in Lehrbüchern üblicherweise mit dem Vektorfeld der Feldstärke E gleichgesetzt wird – man spricht lapidar vom „EFeld“. Dabei verwendet man genauso eine nicht ausgesprochene Vereinfachung, wie wenn man sagt: „Es hängt eine Masse m an der Feder D.“ Man setzt dabei eine differenzierte Kenntnis des elektrischen Feldes voraus. Das elektrische Feld ist ein physikalisches System, das Energie und Impuls besitzt und überträgt und das man durch verschiedene Größen Dies ist analog zu beschreiben kann, beispielsweise durch die elektrische Feldstärke E. einem materiellen Körper zu verstehen, der Energie und Impuls besitzt und der durch Größen wie Masse m, Volumen V und Form beschrieben werden kann. Eine solche Vereinfachung – E steht nicht nur für die Feldstärke, sondern für das gesamte System Feld – ist sinnvoll, um sich schnell und effizient ausdrücken zu können. Es muss allerdings zum Lernen klargestellt werden, dass es sich um eine Vereinfachung handelt. Mathematische Konzeptualisierung des elektrischen Feldes: Ein Kernstück, nicht nur der Theoretischen Physik, sondern der Physik allgemein, ist die Möglichkeit der Mathematisierung von Sachverhalten. Im Zusammenhang mit einer Feldtheorie wie der Elektrodynamik sind das die Feldgleichungen, hier die sogenannten Maxwell-Gleichungen. Für den Spezialfall der Elektrostatik sind es neben der definierenden Formel für die Kraft F = q E die folgenden zwei Gleichungen in differentieller und integraler Form: ρ r )d A = Q V (1.5a) E( ∇·E= ; ε0 ε0 ∂V r )d r = 0 × E = 0; ∇ E( (1.5b) ∂A
Dabei ist ∂ V der Rand eines Volumens V (also die Oberfläche), die Ladung Q V ist die Ladung innerhalb des Volumens V , und ∂ A ist der Rand einer Fläche A, entlang der die Feldstärke E betrachtet wird. Links sind die sogenannten differentiellen Formen angegeben, rechts die Integralformen. Die Feldgleichungen der Elektrostatik sind äquivalent zu Gl. (1.4). 7 In Fließbachs Elektrodynamik [14] wird dies zusammen mit dem elektrischen Potential besprochen. In diesem Buch wird das Potential erst im Kap. 3 eingeführt.
14
1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
Der Zusammenhang wird bei Fließbach ([14], S. 48) sehr formal im Rahmen der Einführung des elektrischen Potentials gezeigt, in Büchern von Jackson ([27], S. 4 ff.) und Griffiths ([19], S. 68 f.) etwas anschaulicher mit dem elektrischen Fluss8 im Vakuum = ε0 E · d A. (1.6) A
Die differentiellen Formen der Gl. (1.5) müssen für jeden einzelnen Punkt im Raum erfüllt sein. Für die erste Gleichung heißt das: Die Orte, an denen die Ladungsdichte ungleich null ist, sind Quellen oder Senken der elektrischen Feldstärke.
Im Feldlinienbild wird daraus: An Orten, an denen die Ladungsdichte ungleich null ist, beginnen oder enden Feldlinien.
Die dazugehörige Integralform wird oft das gaußsche Gesetz genannt und besagt etwas über den elektrischen Fluss durch eine geschlossene Oberfläche. Im Feldlinienmodel kann das folgendermaßen ausgedrückt werden: Die Gesamtladung Q V in einem Volumen V entscheidet, wie stark dessen Oberfläche ∂ V von Feldlinien in der Summe durchdrungen wird.
Ist Q V = 0, so dringen genauso viele Feldlinien durch die Oberfläche ein wie aus – Ein- und Ausdringen heben sich in der Summe auf. Ist Q V > 0, so dringen mehr Feldlinien aus, bei Q V < 0 dringen mehr ein.9 Das gaußsche Gesetz ist die einfachste Möglichkeit elektrische Felder zu berechnen. Dies gilt aber nur für eine passende Geometrie – etwa bei sphärischer und zylindrischer Symmetrie, Symmetrien durch eine Ebene und Superpositionen daraus. Eine Zusammenstellung von Beispielen solcher Feldberechnungen findet sich nicht nur in jedem Lehrbuch der Theoretischen Elektrodynamik, wie etwa in Griffiths [19], sondern auch in experimentellen Lehrbüchern und Kompendien wie zum Beispiel Tipler [45]. Die Gl. (1.5b) besagt, dass ein elektrostatisches Feld keine Wirbel besitzt. Aus der entsprechenden Integralform leitet man üblicherweise ab, dass es in der Elektrostatik keine
A E · d A eingeführt. Es wird also betrachtet, wie die Feldstärke E und nicht ε0 E eine Fläche durchdringt. In diesem Buch wird der elektrische Fluss dagegen wie in Bergmann/Schaefer ([39], S. 47) definiert. Vorteile dabei sind nicht nur die Vermeidung einer Überbeanspruchung des griechischen Buchstaben in der Elektrodynamik, sondern vor allem die Herstellung einer Konsistenz innerhalb der gesamten Elektrodynamik, also die Betonung der Analogie zwischen elektrischem und magnetischem Fluss. Der Integrand ε0 E ist dabei genauge im Vakuum. Diese Größe wird erst im Kap. 5 eingeführt und nommen die elektrische Flussdichte D kann dann analog zur magnetischen Flussdichte B betrachtet werden. 9 Eine Zusammenfassung aller Maxwell-Gleichungen (integral und differentiell) sowie eine anschaulichen ihrer Bedeutung wird in Abschn. 10.2.1 gegeben. 8 Bei Griffiths wird der elektrische Fluss als =
1.2
Hochschulübliche Darstellung
15
geschlossenen Feldlinien gibt. Besser ist es zu sagen, dass die Feldlinien in der Elektrostatik immer einen Anfang und ein Ende besitzen. Diese Eigenschaft wird jedoch erst für das elektrische Potential und die Energie in elektrischen Feldern in Kap. 3 wichtig.
1.2.3
Grundlegende Konzeptvorstellungen
Bisher wurde in diesem Abschnitt die Darstellung üblicher universitärer Lehrbücher wiedergegeben. In dieser Literatur fehlt oft eine grundlegende lexikalische Definition oder Einführung von Begriffen. Eine lexikalische Definition dient dem Nachschlagen fachlicher Konzepte und Ausdrucksweisen, jedoch nicht einem Lernprozess. Eine solche Definition wird in diesem Buch jeweils am Ende des Abschnitts zur hochschulischen Darstellung gegeben, nachdem schon ein Überblick zur schulischen und hochschulischen Sicht bekannt ist. Es soll sich hierbei nicht um eine rein mathematische Definition handeln, sondern um eine Art kondensierte Gebrauchsdefinition, wie sie oft nur implizit aus den Lehrbüchern zu extrahieren ist. Gleichzeitig soll hier nicht nur eine Definition gegeben werden im Sinne von „Der Begriff X definiert sich durch a, b und c...“, sondern es sollen auch der sprachliche Gebrauch eines Begriffs (in sehr verkürzter Weise) vorgestellt und die damit verbundenen gedanklichen Konzepte geklärt werden. Die Fachsprache wird für die Schule als wichtig erachtet, in hochschulischen Lehrbüchern wird sie allerdings nicht sehr explizit und manchmal auch nicht sehr konsistent besprochen. Gebrauchsdefinition: Elektrische Ladung und elektrisches Feld
Körper können Kräfte untereinander erfahren, ohne dass sie sich berühren, falls sie vorher auf bestimmte Art und Weise behandelt wurden. Beispiele dafür sind das Reiben an Körpern aus anderen Materialien oder das Berühren solcher geriebener Körper. Die Wechselwirkung kann anziehend oder abstoßend sein. Je weiter die Körper voneinander entfernt sind, desto geringer sind die beobachteten Kräfte. Um diese und ähnliche Erscheinungen zu beschreiben und zu erklären, werden neue Begriffe und Konzepte eingeführt. Man sagt, dass diese Körper elektrische Ladung Q besitzen oder sie elektrisch (auf)geladen sind. Die Ladung Q ist eine mengenartige skalare Größe, die positiv oder negativ sein kann. Sie ist eine Eigenschaft eines Körpers. Man stellt sich die Ladung jedoch auch modellhaft als eigenständigen kontinuierlichen Stoff mit der einzigen Eigenschaft „Ladung“ und der dazugehörigen Ladungsdichte ρ vor. Mit diesem Stoff kann ein Körper geladen sein, und der Stoff kann sich von einem Körper auf einen anderen bewegen. Bei manchen Körpern (sogenannten Isolatoren) scheint die Ladung an bestimmten Stellen festzuhängen, bei anderen (sogenannten elektrischen Leitern) scheint sie sich frei bewegen zu können. Wie sich Ladung auf einem Körper verhält, ist eine Materialeigenschaft. Da man Ladung meistens auf der Oberfläche von Körpern findet, sagt man auch, dass die Ladung auf einem Körper sitzt/ist.
16
1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
Elektrisch geladene Körper verändern den Raum in ihrer Umgebung. Man sagt, sie erzeugen ein elektrisches Feld in ihrer Umgebung. Befindet sich ein geladener Körper A in einem elektrischen Feld, das er nicht selbst erzeugt, so üben Feld und Körper Kräfte aufeinander aus – Kraft und Gegenkraft. Wird dieses sogenannte äußere Feld von einem anderen geladenen Körper B erzeugt, so übt das Feld im Kräftegleichgewicht die entsprechende negative Kraft auf B aus. Gleichbedeutend kann die Situation umgekehrt beschrieben werden: Körper A erzeugt ein Feld, das eine Kraft auf Körper B ausübt, und im Kräftegleichgewicht übt das Feld eine gleichgroße Kraft mit umgekehrtem Vorzeichen auf A aus. Das elektrische Feld ist ein eigenständiges physikalisches System, das mit anderen Systemen wechselwirken kann. In der Elektrostatik betrachtet man ausschließlich geladene Körper und es herrscht Kräftegleichgewicht. Die Ausdrucksweise und die damit verbundenen Vorstellungen sind tatsächlich nicht so leicht und kontraintuitiv. Einerseits erzeugen geladene Körper ein elektrisches Feld, andererseits wird das gemeinsame elektrische Feld als ein eigenständiges System angesehen, das die geladenen Körper verbindet, an dem Kräfte wirken und das Energie und Impuls aufnehmen und abgeben kann. Die gebräuchlichste Möglichkeit, das elektrische Feld zu quantifizieren, erfolgt über das Vermögen eines elektrischen Feldes, Kraft auf einen geladenen Körper auszuüben. Hierfür betrachtet man die mögliche Kraft auf einen Körper mit punktförmiger oder zumindest fester kugelsymmetrischer Ladungsverteilung und der Gesamtladung q (Punktladung q) in einem auch ohne diese Ladung vorhandenen elektrischen Feld, beispielsweise im Feld eines anderen geladenen Körpers. Anschließend wird die Kraft, die auf diesen Körper wirkt, an jedem Ort mit dessen Ladung normiert. Man erhält ein Vek die jedem Ort r einen Vektor zuordnet torfeld, die sogenannte elektrische Feldstärke E, gemäß r) r ) = F( . E( q Das coulombsche Gesetz gibt an, welche Kraft das Feld einer Punktladung (Q bei R) auf eine zweite (q bei r) ausübt Fq Q =
1 R − r qQ 3 . 2π ε0 R − r
Mit dem coulombschen Gesetz, dem Superpositionsprinzip für Kräfte und der Infinitesimalrechnung ergeben sich die sogenannte Feldgleichungen · E = ρ/ε0 ; ∇ × E = 0. ∇ Darin ist ε0 die elektrische Feldkonstante.
1.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
1.3
17
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
In diesem Abschnitt werden bestimmte Aspekte der schul- und hochschulüblichen Darstellung miteinander in Beziehung gesetzt. Dabei geht es oft um ein kritisches Beleuchten der Schulphysik aus der Sichtweise der Hochschulphysik. Häufig ist damit eine Diskussion der Darstellungsweisen verbunden sowie die Frage, inwieweit welche Aspekte hochschulischer Physik für eine schülergerechte Elementarisierung wichtig sind.
1.3.1
Vergleich der Sachstruktur
In der themenübergeordneten Struktur zeigt sich bei den Konzepten elektrische Ladung und elektrisches Feld ein grundlegender Unterschied zwischen Schule und Hochschule – an der Schule ist der Themenbereich der elektrischen Kräfte und Felder häufig den Themen Magnete und Stromkreise nachgestellt, wohingegen er in der hochschulischen Fachsystematik den unumstößlichen Grundstein der Elektrodynamik bildet. In Abb. 1.5 sind mögliche Strukturierungen des Themengebietes angegeben. Neben der Fachsystematik sind zwei relativ konträre Möglichkeiten der didaktischen Gliederung ausgeführt, wie man sie so ähnlich in Schulbüchern finden könnte. Im ersten schulischen Beispiel werden elektrostatische Phänomene vor Magneten und Strömen behandelt, dies jedoch nicht für sich alleine, sondern als Teil des Themenkomplexes Aufbau der Materie. Im zweiten Beispiel werden grund-
Fachsystematik: Magnetostatik Grundlagen Elektrostatik Kraft auf FeldBeispiele VektorElektrisches analysis Ladungen und gleichun- gaußsches Potential Felddefinition gen Gesetz
Didaktische Gliederungen: 7/8: Aufbau der Materie (Elektrische Ladung) Ladungen / Weitere EigenElektrische Elektrisches schaften elek- Atomaufbau Feld Kräfte trischer Ladung 7/8: Stromkreise ElektriElektrische Magnete scher Strom Ladungen
9/10: Elektrik Elektrische Felder und Magnete und Feld Kräfte
Abb. 1.5 Vergleich der Sachstruktur zwischen Schule und Hochschule für elektrische Ladungen und das elektrische Feld
18
1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
legende Eigenschaften von elektrischer Ladung nach dem Thema Magnete innerhalb des Themengebiets elektrischer Ströme beschrieben, und erst etwas später werden die Kräfte und Felder an Ladungen dargelegt. Die Schulbücher nennen zwar keine Gründe für diese Strukturierungen, jedoch kann man begründete Vermutungen anstellen. So liegt die erste Gliederungsmöglichkeit bezogen auf die rein elektrodynamischen Themen nahe an der fachsystematischen Reihenfolge. Zudem sieht man für die Schule häufig eine enge Verbindung zwischen der Größe Ladung, ihren Eigenschaften und den mikroskopischen Ladungsträgern. Speziell in dieser Strukturierung wird der Einschub der elektrostatischen Wechselwirkung für eine Begründung des Zusammenhalts von Atomen verwendet. Die zweite Gliederungsmöglichkeit scheint sich dagegen sehr an die vielfach geäußerten Forderung zu halten, mit einer phänomenologischen Beschreibung von alltagsnahen Erscheinungen zu beginnen. Permanentmagnete sind Schülern oft schon bekannt, leicht verfügbar und ihre Auswirkungen sind leicht darzustellen (siehe auch Kap. 6). Aufgrund dieser leichten Zugänglichkeit lässt sich vermuten, dass an Magneten das Konzept eines Feldes, das eine Wechselwirkung vermittelt, einfacher aufzuzeigen ist, als an elektrischer Ladung. Der allgegenwärtige Kontakt mit Elektrizität in jeglichen elektrischen Geräten (Lampen, elektrisches Spielzeug, Rechner, Küchengeräte,...) ist ein offensichtlicher Grund, den elektrischen Strom und die elektrische Stromstärke vor der elektrischen Ladung einzuführen (mehr dazu in Kap. 2). Elektrostatische Phänomene treten dagegen im Alltag weit weniger offensichtlich zu Tage. Die in der Schule verwendeten SI-Einheiten stellen eine weitere mögliche Begründung dar, die Stromstärke vor der Ladung einzuführen. Dieses Einheitensystem zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass es nicht nur auf den drei üblichen Größen10 Länge, Masse und Zeit basiert, sondern zusätzlich die vierte Einheit Ampere vorgibt. Nach den Grundgrößen Stromstärke und Zeit ist die Ladung mit ihrer Einheit Coulomb eine durch den Zusammenhang q = I t abgeleitete Größe.11 Diese Reihenfolge der Definition der Metrologie wird für die Schule übernommen. Die Gliederung innerhalb des Themas ist in der Schule relativ einheitlich – im Zentrum stehen die elektrostatischen Kräfte geladener Körper, woraus die Existenz eines elektrischen Feldes abgeleitet wird. In der konkreten Umsetzung können sich allerdings einige profunde Unterschiede finden. Das Konzept Feld ist sehr abstrakt. Wurde die Idee eines Feldes schon bei Magneten eingeführt, wird die Einführung des elektrischen Feldes extrem schnell und verkürzt gemacht und die Analogie zum Magnetismus ausgenutzt. Nachteile einer derart verkürzten Darstellung werden in Abschn. 1.3.6 diskutiert. 10 Genau genommen ist nur eine einzelne physikalische Größe notwendig, um ein Einheitensystem zu definieren. In der Teilchenphysik werden zum Beispiel gern die sogenannten natürlichen Einheiten verwendet. Darin werden alle Naturkonstanten gleich eins gesetzt. Die einzige Einheit ist dann die einer Energie, das Elektronenvolt eV, die identisch mit der Masse ist. Die Einheiten anderer physikalischer Größen sind Potenzen des eV. 11 Mit den Einheiten für die Stromstärke und die Ladung sind auch die elektrischen und magnetischen Feldkonstanten ε0 und μ0 festgelegt.
1.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
1.3.2
19
Die sogenannten „Arten“ der Ladung und ihre Quantisierung
Die beiden Vorzeichen der physikalischen Größe Ladung werden häufig als zwei Arten der Ladung bezeichnet, vor allem in Schulbüchern. In physikalischen Lehrbüchern wird die Ausdrucksweise nicht ganz einheitlich verwendet. So wird beispielsweise in Halliday ([20], S. 650) eingangs von zwei Ladungsarten gesprochen, nämlich von positiver und negativer Ladung. Im entsprechenden Merksatz zur ersten Eigenschaft der elektrischen Ladung wird dagegen die folgende Formulierung gewählt: Ladungen mit gleichen Vorzeichen stoßen einander ab, Ladungen mit unterschiedlichen Vorzeichen ziehen einander an. (ebd. S. 651)
Ähnliches findet sich in den Theoriebüchern von Griffiths [19], Fließbach [14] und Jackson [27] – es mag an der einen oder anderen Stelle im erklärenden Fließtext angedeutet sein, dass es sich um verschiedene „Arten“ von Ladungen handelt, im Zusammenhang mit konkreten Modellierungen und Merksätzen wird jedoch immer nur von der physikalischen Größe Ladung q gesprochen, die verschiedene Vorzeichen besitzen kann. In Bergmann/Schaefer ([39], S. 22) wird hervorgehoben, dass eine solche Modellierung der Größe Ladung mit positiven und negativen Vorzeichen willkürlich ist. Jedoch ist eine solche Feststellung überflüssig, da jedes Modell willkürlich entwickelt wird. Wichtig ist vielmehr, dass diese Art der Modellierung zweckmäßig ist, um die Erhaltung von Ladung darzustellen. Herrmann ([21], S. 28) führt im Detail aus, dass eine Ladungserhaltung für zwei verschiedene Arten von Ladung, im Sinne von zwei unterschiedlichen physikalischen Größen, nicht gegeben ist. Ladungstrennung und Ladungsausgleich müssten dann als Erzeugung einer Ladungsart und Vernichtung der anderen beschrieben werden. Ein möglicher Grund, weshalb in Schulbüchern von zwei Arten der Ladung gesprochen wird, ist die dortige enge Verbindung zu einem mikroskopischen Bild. Es gibt zwei verschiedene Arten von Teilchen/Ladungsträger, nämlich Elektronen und Protonen, die sich abstoßen und anziehen können und die Ladung eines Körpers zu etwas Quantisiertem machen. Unterschiedliche Ladungszustände von makroskopischen Körpern werden als Überschuss oder Mangel von Elektronen im Verhältnis zu den positiven Atomrümpfen aufgefasst. Diese Beschreibung wird als so wichtig erachtet, dass sie in manchen Lehrplänen sogar explizit eingefordert wird [44]. In diesem Zusammenhang muss man auch auf die verschiedenen Bedeutungen des Wortes Ladung achten. Muckenfuß und Walz ([36], S. 27 ff.) nennen die drei Bedeutungen Elektrizität, Ladung und Ladungsträger. Ersteres ist ein historisch gewachsener Begriff und findet sich heutzutage in manchen Schulbüchern [23, 37] als die extensive Größe, die in Stromkreisen fließt. Er wird dort verwendet, solange das Konzept Ladung als Grundgröße der Elektrostatik noch nicht vollständig zur Verfügung steht. Bei elektrostatischen Phänomenen wird dieser Begriff zu Ladung abgeändert. Die beiden Begriffe Ladung und Ladungsträger werden sowohl in Lehr- als auch Schulbüchern häufig synonym verwendet. Dies stellt gerade im Bezug auf den elektrischen Strom ein Problem dar, da sich die
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1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
Flussrichtungen von Ladung und Ladungsträgern unterscheiden können. Eine Unterscheidung ist für Schule und Hochschule empfehlenswert und gehört zum korrekten Gebrauch von Fachsprache. Das bedeutet also, es gibt unterschiedliche Arten von Ladungsträgern, aber nur eine Größe Ladung. In der klassischen Elektrodynamik, und damit auch in den Lehrbüchern zur Elektrodynamik, ist die Ladung eine kontinuierliche Größe, die zwei Vorzeichen annehmen kann. Diese Modellierung der elektrischen Ladung ist für geladene Körper fast bis in den Mikrometerbereich sinnvoll. Erst in diesen Größenordnungen stellt man fest, dass sich Ladungszustände nur noch quantisiert ändern.12 Hier sind Lehrbücher sehr systematisch und trennen recht deutlich die Elektrodynamik als klassische Theorie von der Quantenmechanik oder der Festkörperphysik ab. Die Schuldarstellung der Ladung als eine Größe, die aus zwei Arten bestünde, und die Betonung der Teilchennatur der Ladung müssen kritisch bewertet werden. Beides taucht in Lehrbüchern für die Hochschule zwar auf, jedoch nur als Randnotiz. Die Ladung in zwei Arten zu unterteilen, ist für die Ladungserhaltung problematisch [21]. Die Betonung der Quantisierung der Ladung und die hervorgehobene mikroskopische Beschreibung der Ladung eines Körpers könnten sich als ungünstig erweisen. Zum einen, weil sie in der Hochschulphysik nicht in dieser Form vorkommen, und vor allem, weil Schüler generelle Probleme mit dem Lernen des Teilchenmodells haben. Letzteres wird beispielsweise bei Mikelskis-Seifert und Fischler [31] dargestellt. Dort wird hervorgehoben, wie wichtig ein sinnvoller Umgang mit Modellen ist. Dass in Lehrbüchern vorwiegend die Größe ρ( r) verwendet wird, deutet an, dass in der klassischen Elektrodynamik ein Kontinuumsmodell sinnvoller ist als ein Teilchenmodell.
1.3.3
Influenz und Ladungen auf elektrischen Leitern
Einige Schulbücher verwenden von Anfang an vornehmlich Spannungsquellen, um leitende Körper für die Experimente zu laden. In den meisten Lehrbüchern werden dagegen zu Beginn Experimente mit aufgeladenen Isolatoren vorgestellt, und es wird sehr schnell das elektrische Potential an elektrischen Leitern eingeführt. Ein möglicher Grund für dieses Vorgehen in den Lehrbüchern ist die leichtere Feldberechnung durch das elektrische Potential, falls Ladungsverteilungen auf elektrischen Leitern vorhanden sind. Das gaußsche Gesetz eignet sich nur dann zur einfachen Feldberechnung, wenn die Ladungsverteilung bekannt ist. Auf Metalloberflächen sind Ladungsverteilungen jedoch im Allgemeinen nicht bekannt, sondern nur ihr Potential. Aufgrund der Influenz von Ladungen zwischen verschiedenen Metalloberflächen ist es schwer, immer eine leichte und korrekte Aussage zu den Ladungsverteilungen zu treffen. Ein einfaches Beispiel: Man habe eine aufgeladene leitende Kugel. Nähert man 12 Das kann man leicht abschätzen, indem man die Kapazität einer Sphäre im Mikrometerbereich bestimmt und berechnet, wie viel Spannung notwendig ist, um eine weitere Elementarladung darauf zu bringen. Für eine Sphäre von 10 μm Durchmesser sind es 0,3 mV pro Elementarladung.
1.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
21
diese Kugel nun einer insgesamt neutralen Metallplatte, so werden Ladungen in der Platte influenziert. Gleichzeitig verschieben die Influenzladungen der Platte auch die Ladungsverteilung in der Kugel. Die Ladungsverteilung bei Metallen ist folglich eine Variable und kein fester, vorgegebener Parameter. Die relativen Potentiale an den Oberflächen der Metalle geben sogenannte Randbedingungen (engl.: boundary conditions) für den Potentialverlauf dazwischen vor. Solche Randwertprobleme bilden eine eigene Klasse von Problemen und sind in Theoriebüchern in eigenen Abschnitten und Kapiteln dargestellt [14, 19, 27]. Diesem Problem widmet sich Kap. 4. Was bedeutet das nun im Vergleich zur Schulbuchdarstellung? Es ist naheliegend, dass ein grundlegendes Verständnis von Ladungsverteilungen auf Leitern durch Influenz und durch angelegte Spannung von Beginn an wichtig erscheint. Durch die Darstellung solcher Experimente zur Einführung könnte allerdings der Eindruck entstehen, die Influenz und der Ort der Ladung auf Metallen seien grundlegende Eigenschaften von Ladung an sich und nicht auf die Materialeigenschaft der (idealen) Leitfähigkeit zurückzuführen. Eine derartige Übergeneralisierung von beweglicher Ladung auf Leitern und Nichtleitern lässt sich in Schülervorstellungen erkennen ([40], S. 192). Die Wahl der einführenden Experimente und der damit verbundenen konzeptuellen Vorstellungen, hier von Ladung und Leitfähigkeit, könnten Einfluss auf Schülervorstellungen haben. Eine weitere Frage ist, wie gut solche Experimente geeignet sind, um die eigentlichen grundlegenden Eigenschaften der Ladung zu verdeutlichen. Dafür wird folgendes Beispiel betrachtet: Eine Metallkugel werde mit einer Hochspannungsquelle (≈ 1 kV) und ein Luftballon durch Reiben an einem Stofftuch beide negativ aufgeladen. Hängt man den Luftballon an einen Faden und nähert man die geladene Kugel, so stellt man zunächst die zu erwartende Abstoßung fest. Was in einem Schulbuch nicht angegeben wird, ist Folgendes: Unterschreitet der Abstand einen bestimmten Wert, so verschieben die ortsfesten Ladungen des Ballons die frei beweglichen Ladungen im Metall so stark, dass es zu einer anziehenden Kraft kommen kann.
Ein ähnliches Experiment findet sich in Universum Physik Bd. 2 ([9], S. 65). Dieses Beispiel wird in Abschn. 4.2.2 anhand Abb. 4.3 noch weiter diskutiert. Dieses Verhalten kann zwar durch die freien Ladungen im Metall auch für Schüler plausibel gemacht werden. Jedoch vermischt man zwei verschiedene Sachverhalte, die Lernende im Nachhinein womöglich nicht trennen können – Coulombkraft zwischen geladenen Körpern einerseits und Influenz in einem Metall andererseits. Falls man diesen Versuch vorführt, um einen Zusammenhang zwischen Reibungsladung und der Ladung von elektrischen Stromkreisen zu demonstrieren, sollte man darauf achten, dass dieser widersprüchliche Effekt nicht zu bemerken ist. Wie in Kap. 4 noch genauer dargestellt, sind ähnliche unerwünschte Effekte durch Influenz manchmal in Schulbuchdarstellungen zu sehen, ohne dass auf die Problematik eingegangen wird. Man muss hier also die Frage aufwerfen, ob es nicht auch in der Schule sinnvoll ist, zunächst die grundlegenden Eigenschaften von Ladungen/Ladungsverteilungen qualitativ
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1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
an ortsfesten Ladungen vorzuführen. In einigen wenigen Schulbüchern (beispielsweise [7], S. 44 ff. oder [29], S. 144 f.) findet sich diese alternative Vorgehen. Demgegenüber stehen Lehrbücher, wie beispielsweise Bergmann/Schaefer, in denen bei den ersten gezeigten Experimenten Influenz und das Verhalten von Ladungen auf Metallen vorgestellt wird. Eine ähnliche phänomenologische Darstellung findet sich auch in Thompsons Elementary Lessons in Electricity & Magnetism aus dem Jahr 1891 [43]. Darin werden vornehmlich Experimente ausführlich beschrieben und eine fachlich theoretische Erklärung mit wenigen modernen Konzepten steht im Hintergrund. Eine Elementarisierung könnte sich an eine solche ausführliche Beschreibung an möglichst vielen Experimenten orientieren, wobei die fachlich anschlussfähigen Konzepte eindeutig herausgearbeitet werden müssen, um mögliche Fehlvorstellungen zu vermeiden.
1.3.4
Das Konzept der Probeladung und die Definition eines elektrischen Feldes
Die Einführung und Definition des elektrischen Feldes erfolgt an der Hochschule über das Konzept der Probeladung, auf die eine Kraft wirkt. In der Schule wird das elektrische Feld in der Sekundarstufe I manchmal gar nicht eingeführt [3, 4, 6, 13, 17, 18]. Falls eine Einführung des elektrischen Feldes erfolgt, wird dabei eine Probeladung oder ein geladener Probekörper nicht immer explizit erwähnt [1, 7, 9, 37] oder genau definiert [29]. Eine mögliche Definition einer Probeladung findet sich beispielsweise in Fokus Physik 9 Bayern: Um ein elektrisches Feld zu untersuchen, bringt man einen zweiten geladenen Körper an verschiedene Punkte des Raums und misst jeweils Richtung und Betrag der elektrischen Kraft auf ihn. Seine Ladung muss so klein sein, dass sie das zu untersuchende Feld nicht stört. ([16], S. 7)
In der Sekundarstufe II findet sich der Begriff Probekörper häufiger [8, 12], allerdings nicht überall [10]. Merksätze aus diesen Büchern zur Probeladung und zur damit erfolgten Definition der Feldstärke sind im Abschn. 1.1.3 angegeben. Dabei wird die Bedingung angegeben, dass die Probeladung das zu messende Feld nicht merklich verändern darf. Eine scheinbar identische Aussage findet sich bei Fließbach: Dabei soll die Ladung q so klein sein, dass sie das durch die anderen Ladungen hervorgerufene und zu messende Kraftfeld nicht wesentlich ändert. ([14], S. 43)
Das könnte man so interpretieren, dass das Feld der felderzeugenden Ladungen plus Probeladung annähernd so aussehen solle wie das Feld der felderzeugenden Ladungen ohne Probeladung. In Theoriebüchern wird die obige Aussage allerdings noch durch solche Zusätze ergänzt wie:
1.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
23
Wir schließen beispielsweise aus, dass durch die Ladung q die anderen Ladungen verschoben werden, oder dass auf eventuell vorhandenen Metallkörpern Influenzladungen erzeugt werden. (ebd.)
Es soll also ausgeschlossen werden, dass das Feld der felderzeugenden Ladungen ohne Probeladung durch die zusätzliche Probeladung verändert wird. Das wäre nur der Fall, wenn die Ladungskonfiguration verändert wird, z. B. durch Influenz. Es handelt sich hier um ein praktisches Problem. Im Prinzip muss die Probeladung nicht infinitesimal klein sein, wie auch F. Herrmann in [22] genau ausführt. Hinzukommt, dass der Probekörper im Idealfall punktförmig sein muss, damit die obige Definition für das Feld gilt. Es genügt jedoch, eine kugelsymmetrische Ladungsverteilung für die Probeladung zu fordern. Ist die Probeladung allerdings ausgedehnt, darf sich auch ihre Ladungsverteilung nicht im äußeren Feld ändern. Mit diesen Einschränkungen kann die Probeladung in ihrer Ausdehnung und vor allem der Ladungsmenge beliebig groß sein. Wichtig ist jedoch die Unterscheidung zwischen der felderzeugenden Ladung und dem Probekörper, an dem man die Kraft aufgrund des Feldes der anderen Ladungen betrachtet. Diese Einteilung kann vollkommen willkürlich getroffen werden. Man kann beispielhaft eine Konfiguration aus N + 1 beliebigen, ortsfesten Punktladungen betrachten. Wenn man an der Kraft auf eine dieser Ladungen interessiert ist, dann definiert man sich diese als Probeladung und die jeweils restlichen Ladungen als die felderzeugenden Ladungen. Zur Veranschaulichung betrachte man zwei beliebige Punktladungen q und Q mit den Verbindungsvektoren r von q auf Q und r von Q auf q. Es ist also r = −r . Vergleicht man die Coulomb-Kräfte Fq und FQ an den beiden Punktladungen und wendet die Formel der Felddefinition an, so ergibt sich: r r 1 1 qQ qQ 3 = 3 4π ε0 4π ε | r | 0 |r |
r 1 Q ⇒ q · E Q (r ) = Q · Eq ( =q· r) 4π ε0 |r |3 E Q (r )
Fq = − FQ ⇒
Vertauscht man Probeladung und felderzeugende Ladung, so wechselt lediglich das Vorzeichen der Kraft durch den veränderten Verbindungsvektor aufgrund des Wechselwirkungsprinzips. Dank des Superpositionsprinzips gilt das unabhängig für alle einzelnen Paare von Punktladungen, in die jede Ladungsverteilung/-konfiguration gedanklich zerlegt werden kann. Zusammenfassend: Das Konzept der Probeladung, die sich von den felderzeugenden Ladungen unterscheidet, muss in Bezug auf eine (quantitative) Felddefinition klar sein. Die Einteilung ist frei und wird immer derart getroffen, dass die Ladung, an der die Kräfte
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1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
bestimmt werden sollen, die Probeladung ist. Die Stärke der Probeladung ist dabei nicht eingeschränkt. Eigenschaften, die zumindest näherungsweise erfüllt sein müssen, sind: • Punktförmige Probeladung oder Probekörper mit fester, kugelsymmetrischer Ladungsverteilung • Ortsfeste felderzeugende Ladungskonfiguration → keine Ortsänderung der Ladungskonfiguration durch die Probeladung • Keine Influenz Sind diese Voraussetzungen erfüllt, gilt immer Fq-Probe = qProbe · Eohne q .
1.3.5
Fernwirkung oder Nahwirkung
Untersuchungen zu Schülervorstellungen zeigen, dass Schüler häufig das Feld vernachlässigen und die direkte Wechselwirkung zwischen geladenen Körpern betrachten ([40], S. 187). Man schließt daraus auf die Komplexität des Feldkonzepts. Das Konzept einer Wechselwirkung über eine Entfernung hinweg wird Fernwirkung genannt, das Konzept einer Wechselwirkung durch ein Feld, wie es in der modernen Physik vertreten wird, dagegen Nahwirkung. Auch historisch war die Entwicklung der Vorstellung einer Nahwirkung durch ein Feld ein komplexer Prozess ([26], Teil II). Wie sieht dies im Unterricht aus? Ziel des Unterrichts ist es, dass Schüler die fachsystematisch üblichen Größen und Konzepte verwenden – in diesem Fall das Konzept des elektrischen Feldes. Gleichzeitig beginnt man das Themengebiet mit einer sprachlichen Darstellungsweise wie „Ladung A wirkt auf Ladung B.“, was das Konzept einer Fernwirkung vermittelt. Je nach konkreter Strukturierung wird das Feldkonzept, also die Nahwirkung, etwas später oder auch erst viel später besprochen. Grund für das Aufschieben sei die Komplexität des Feldkonzepts. Eine Elementarisierung muss so strukturiert sein, dass das erste Erklärglied tatsächlich das Elementare darstellt. Alles weitere darf das Erstgelernte nicht ersetzen, sondern nur erweitern. Im Falle der elektrostatischen Wechselwirkung ergibt sich das Problem, dass eine Beschreibung der einfachsten Versuche leicht eine Vorstellung der Fernwirkung nahelegt, die dann später durch eine Vorstellung der Nahwirkung mit dem Feldkonzept ersetzt werden muss. Auch der erste Erklärschritt einer Elementarisierung zur Elektrostatik muss das Feldkonzept enthalten. Die Frage ist nur, wie dies schülergerecht umgesetzt werden kann. Ein Unterrichtskonzept, das von Anfang an den eigenständigen Charakter des Feldes herausstellt, wurde für die Sekundarstufe II von Aschauer ([2], S. 239 ff.) entwickelt. Das eben beschriebene Problem begründet sich allerdings in der Sekundarstufe I. Bei Aschauer wird das Feldkonzept eingeleitet durch Versuche zur drahtlosen Datenübertragung (Mobilfunk, WLAN, etc.) und zielt auf die Erarbeitung einer sprachlichen/graphischen Version der Maxwell-Gleichungen in der Sekundarstufe II ab. Ob ein ähnliches Vorgehen in der Sekundarstufe I umsetzbar ist, bleibt offen. Allein auf Basis der Kenntnis dieser Problematik in
1.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
25
der Sekundarstufe I können begründete Möglichkeiten betrachtet werden, ihr gerecht zu werden. Man kann empfehlen, von Anfang an bei der Beschreibung der ersten Experimente zur elektrostatischen Wechselwirkung nach den Vorstellungen der Schüler zur Erklärung dieses Effekts zu fragen. Durch einen entsprechenden Sprachgebrauch der Lehrkraft kann etwas, das eine Nahwirkung vermittelt, nahegelegt werden. Schon bei Versuchen mit Reibungselektrizität (Tab. 1.1, V2) aus Kombinationen von Glas- und Plastikstäben können Formulierungen gewählt werden wie „Nähert man den Stab A dem Stab B, so bewegt er sich auf Stab A zu/von Stab A weg. Stab A scheint also seine Umgebung so zu beeinflussen, dass Stab B eine Kraft erfährt.“, anstatt einer Aussage wie „Stab B wird von Stab A angezogen/abgestoßen.“ zu machen. Letzteres würde die unerwünschte Vorstellung einer Fernwirkung ohne Vermittlung durch ein Feld implizieren.
1.3.6
Interpretationen von Feldern und Feldlinien
Bevor sich dieser Abschnitt der allgemeinen Interpretation von Feldern und Feldlinien widmet, wird das Experiment kommentiert, bei dem die Flugbahnen von leichten Körpern (Wattestückchen) die Feldlinien nahelegen sollen (Tab. 1.1, V7). Mit solchen Experimenten verhält man sich inkonsistent. Die Tangente einer Feldlinie gibt die Kraftrichtung an diesem Punkt an. Eine wichtige Erkenntnis, die man aus einem Mechanikunterricht gewinnen soll, Im Zusammenhang ist der Unterschied zwischen Bewegungsrichtung v und Kraftrichtung F. mit Dreh- und Rotationsbewegungen ist das Gleichsetzen dieser beiden unterschiedlichen Konzepte eine bekannte Schülervorstellung ([40], S. 66 ff.). Für das Experiment werden zwar Körper mit sehr geringer Masse verwendet, um den Unterschied zwischen Kraftrichtung und Bewegungsrichtung zu minimieren, man verlangt dabei allerdings, dass Schüler eine kurzfristige Näherung nachvollziehen und nicht in eine Fehlvorstellung (zurück) fallen. Das Risiko einzugehen, erscheint überflüssig, da es eindeutigere Experimente zum Thema Feldlinien gibt. Die in Abschn. 1.3.4 beschriebene Felddefinition mit der Aufteilung in Probeladung und felderzeugende Ladungskonfiguration wird als moderne Sicht/Interpretation des Feldkonzepts angesehen (siehe beispielsweise [39], S. 41 f.). Eine weitere, ältere Sichtweise des elektrischen Feldes ist eine Interpretation, die auf Faraday zurückgeht, und in der Feldlinien eine größere Rolle spielen (ebd. S. 47). Dabei werden die Feldlinien als „Kraftlinien“ beschrieben, längs der Linien wirkt ein Zug und quer zu den Linien ein Druck. Diese Interpretation findet sich beispielsweise im Karlsruher Physikkurs ([24], S. 25 f.) und wird dort ausführlich beschrieben. Ein Vorteil dieser faradayschen Sichtweise ist, dass man das Feld(-linienbild) aller vorhandenen geladenen Körper betrachten und direkt daraus qualitativ die Kräfte auf die verschiedenen Körper bestimmen kann. Auch Kräfte, die in/an einem geladenen Körper wirken, können damit deutlich gemacht werden. So wirken auf einen Plattenkondensator Kräfte, die die gegenüberliegenden Platten zueinander ziehen. In jeder einzelnen Platte wirken Kräfte,
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1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
die die Platten in ihren Ebenen ausdehnen wollen. Man betrachtet dabei also, welche Kräfte das eigene Feld, die eigenen Feldlinien auf den geladenen Körper selbst ausüben. In Bezug auf das Konzept der Punktladung stellt gerade dies ein Problem dar, das man in der modernen Physik vermeiden möchte. Die Kraft zwischen zwei Teilen einer ausgedehnten Ladungsverteilung auf einem Körper skaliert mit 1/r 2 zu ihrem Abstand. Verkleinert man gedanklich diesen Körper, verringert also den Abstand zweier geladener Teile des Körpers, so nehmen die Kräfte stark zu, bis sie den Körper „zerreißen“. In der modernen Sichtweise, in der man für die Kraft auf eine Ladung nur das Feld der anderen Ladungen berücksichtigt, steckt also die Annahme, dass es keine Rückwirkung des Feldes auf seine eigene felderzeugende Ladung gibt. In der klassischen Elektrodynamik ist das kein praktisches Problem, da es nur ausgedehnte Körper gibt. Erst im Bereich der Mikrowelt ergibt sich ein mögliches Problem, da Elektronen in Ortsmessungen wie Punktteilchen erscheinen. Ein Nachteil der modernen Sichtweise des Feldes ist der sehr abstrakte Charakter, den das Feld bekommt. So als wäre es nur ein rein imaginäres, ausgedachtes Konstrukt, um die Kraft auf einen geladenen Körper leichter berechnen zu können. Es wird dabei leicht übersehen, dass ein Feld ein eigenständiges physikalisches System ist. In der faradayschen Sichtweise ist diese Tatsache dagegen sehr offensichtlich – das gemeinsame elektrische Feld ist das, was zwischen den Ladungen wirkt. Wie man sieht, haben beide Sichtweisen unterschiedliche Vor- und Nachteile. Mit der Modelldefinition von Kircher ([28], S. 785 ff.) als Maßstab, dass ein Modell immer nur für eine gewisse Zeit und einen bestimmten Zweck verwendet wird, könnte man Folgendes vorschlagen: Die faradaysche Sichtweise verwendet man in der Sekundarstufe I, solange noch keine quantitative Felddefinition eingeführt wurde und man experimentell mit makroskopischen, ausgedehnten Körpern arbeitet. In der Sekundarstufe II kann man dann ausführlich das Konzept der Probeladung und die damit verbundene Felddefinition besprechen, wobei diese neue Sichtweise die faradaysche Sichtweise in den entsprechenden Fällen nicht ersetzt, sondern erweitert. Bisher wurden zur Darstellung von Feldern nur Feldlinienbilder erwähnt. Es gibt jedoch eine ganze Reihe an verschiedenen Möglichkeiten, ein Vektorfeld zu visualisieren. Suleder [42] beschreibt und diskutiert mehrere Möglichkeiten. Die naheliegendste Alternative zu Feldlinienbildern ist eine Darstellung der elektrischen Feldstärke mithilfe von Vektorpfeilen auf Rasterpunkten. Dabei ergibt sich das Problem, dass sich der Betrag der Feldstärke beispielsweise einer Punktladung in der Nähe und in der Ferne so gravierend unterscheidet, dass beide Pfeile nicht sinnvoll maßstabsgetreu abgebildet werden können. Als zweckmäßige Alternativen werden aufgeführt: • • • •
Pfeile fester Länge Linien fester Länge Äquipotentiallinien Farbkodierter Betrag der Feldstärke
1.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
27
Da alle Darstellungen bestimmte Vor- und Nachteile besitzen, werden Kombinationen aus verschiedenen Darstellungsweisen empfohlen, z. B. Feldlinien und Äquipotentiallinien oder Pfeile fester Länge und farbkodierter Betrag der Feldstärke.
1.3.7
Die Elementarisierung des gaußschen Gesetzes in der Schule
Wie bereits am Anfang dieses Abschnittes erwähnt, unterscheiden sich je nach Lehrbuch, die dargestellten Experimente zwischen einem Schulbuch und einem Lehrbuch nur wenig. Die Unterschiede bestehen in der alltagsnahen Sprache in der Schule und der reduzierten Mathematisierung. Die zugrundeliegenden Modelle werden sprachlich erklärt und wiedergegeben. Zentral in den Lehrbüchern zum Thema Elektrostatik ist neben dem elektrostatischen Potential das gaußsche Gesetz. Wie sich dieses in Schulbüchern mit geringen mathematischen Mitteln wiederfindet, wird im Folgenden gezeigt. Das gaußsche Gesetz in integraler oder differentieller Form findet sich als solches in der Schule nicht. Vergleicht man allerdings die Herleitung des gaußschen Gesetzes aus dem elektrischen Fluss (siehe z. B. Griffiths [19], S. 108 f.) mit der Beschreibung und Erklärung des Versuches zum radialsymmetrischen Feld (Tab. 1.1, V9) in Abschn. 1.1.3, wie beispielsweise auch in Metzler Physik 11 Bayern ([8], S. 19), so erkennt man folgenden Zusammenhang zwischen Schul- und Lehrbüchern. Bei Griffiths wird der elektrische Fluss13 = A ε0 E · d A als Maß für die Anzahl an Feldlinien durch eine Fläche interpretiert. r ) = 1 q2 r und integriert Setzt man das elektrische Feld einer Punktladung ein E( 4πε0 r
r
über eine geschlossene Fläche, so erhält man die Ladung q. Damit ergibt sich das gaußsche Gesetz für eine Punktladung. Aufgrund des Superpositionsprinzips gilt dies für jede Ladungsverteilung, die aus einer Ansammlung von Punktladungen modelliert werden kann. In Metzler Physik 11 Bayern ([8], S. 14) wird anhand eines Kondensators die Flächenladungsdichte σ = Q/A definiert und in Relation zum Feld des Kondensators angegeben σ = ε0 E. Bringt man ein Metallplättchen senkrecht zu den Feldlinien in ein solches, homogenes Feld der Stärke E, so wird darauf die Flächenladungsdichte σ = ε0 E influenziert.14 Verallgemeinert wird gesagt, dass das für kleine Plättchen näherungsweise auch in einem inhomogenen Feld gilt. Vergleicht man dies mit dem elektrischen Fluss (1.6), sieht man, dass die Influenzladung der Flussdichte ε0 E entspricht, also dem Integranden des Flusses.15 Darauf aufbauend wird das Experiment besprochen, bei dem Metallhalbschalen um eine geladene Kugel gesetzt werden und deren Influenzladung gemessen wird. Man stellt fest, dass die Ladung gerade die Gesamtladung Q ist. Durch Gleichsetzen der Flächenla13 Hier erneut die Schreibweise wie in Bergmann/Schaefer, jedoch mit der Argumentation von Griffiths. 14 Die Influenz an den Leitern in diesem Experiment wird in Abschn. 4.2.3 anhand von Abb. 4.4 genauer besprochen. 15 Da dies eine Eigenschaft von Metallen in einem Feld ist, wird diese Tatsache erst in Kap. 3 genau hergeleitet.
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1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
dungsdichte aus der Gesamtladung auf der Metallkugelschalenoberfläche (A = 4πr 2 ) mit Q ihrem Zusammenhang zur Feldstärke σ = 4πr 2 = ε0 E kann so das elektrische Feld einer Punktladung aus einer Elementarisierung des gaußschen Gesetzes bestimmt werden. Mit der Bedingung einer konstanten Flächenladungsdichte σ auf der Kugelschale hat man wie mit dem gaußschen Gesetz gezeigt, dass jede kugelsymmetrische Ladungsverteilung das Feld einer Punktladung besitzt. Formt man um, erkennt man noch besser, dass dabei der gesamte elektrische Fluss durch die Metallkugelschalen betrachtet wird ◦ = ε0 E · 4πr 2 = Q, dessen Ursache die felderzeugende Ladung im Zentrum ist und der zur Influenz der Ladung in den Kugelschalen führt. Man kann sogar noch einen Schritt zurückgehen und sich bewusst machen, wie bei Griffiths ([19], S. 106 f.) das Feldlinienmodell eingeführt wird, um damit den elektrischen Fluss und das gaußsche Gesetz, also eine Feldgleichung, herzuleiten. Es stecken schon alle wichtigen Informationen, die man aus dem gaußschen Gesetz herausziehen kann, in den Feldlinienbildern, wie man sie aus der Sekundarstufe I kennt. Umgekehrt kann man sagen, dass jedes Feldlinienbild und dessen Eigenschaften eine graphische Repräsentation des gaußschen Gesetzes und der Feldgleichungen darstellen. Ist man in der Lage, zu einer vorgegebenen Ladungskonfiguration qualitativ das Feldlinienbild zu skizzieren, so verwendet man indirekt das gaußsche Gesetz. Das gaußsche Gesetz selbst stellt dann lediglich noch eine Möglichkeit dar, ein solches qualitatives Bild eines Feldes formal zu quantifizieren.
1.4
Zusammenfassung
Schule • Grundlegende Experimente zur Elektrostatik in der Schule umfassen Reibungselektrizität, das Elektroskop, Influenz und andere Ladungserscheinungen auf elektrischen Leitern. Diese Experimente dienen der Einführung der Größe elektrische Ladung mit ihren Eigenschaften der Wechselwirkung, des Vorzeichens und ihrer Mengenartigkeit. • Falls das elektrische Feld in der Sekundarstufe I eingeführt wird, erfolgt das meist nur qualitativ und nicht konkret unter Erwähnung einer Probeladung. In der Ober Pr . stufe geschieht dies anhand der Kraft und einer „kleinen“ Probeladung E = F/q Eine Konzeptualisierung des Feldes wie bei Faraday findet sich selten. • Eine Visualisierung des elektrischen Feldes findet sich in der Sekundarstufe I nahezu ausschließlich mit Feldlinien, in der Sekundarstufe II anhand der quantitativen Definition auch mit Vektoren. Die modellhafte Darstellung geschieht in erster Linie durch Grießkörnchen schwimmend auf Öl zwischen geladenen Elektroden.
1.4
Zusammenfassung
• In der Sekundarstufe II erfolgt noch die Einführung des coulombschen Gesetzes und der Abstandsabhängigkeit des elektrischen Feldes. Hochschule • In Lehrbüchern finden sich vergleichbare Experimente wie in Schulbüchern. Experimente mit elektrischen Leitern werden meistens erst später im Zusammenhang mit dem elektrischen Potential im Detail betrachtet. • Die grundlegenden Eigenschaften von punktförmigen elektrischen Ladungen werden aus Experimenten zum Kraftgesetz von Coulomb zusammengefasst F = (1/4π ε0 )q1 q2 r/r 3 . • Das zentrale Konzept in der Elektrostatik ist das elektrische Feld, das zunächst nur durch die elektrische Feldstärke E beschrieben wird. Es wird für eine beliebige Ladungsverteilung ρ in allen Lehrbüchern sofort mit dem Coulombgesetz eingeführt anhand der Kraft auf eine Probeladung q und der Gleichung Fqρ = q Eρ . • Aus diesen Formeln werden die Feldgleichungen der Elektrostatik abgeleitet: · E = ρ/ε0 und ∇ × E = 0. ∇ • Visualisiert werden Felder und Feldgleichungen vornehmlich durch Feldlinienbilder. Vergleich • Es gibt nur eine „Art“ von Ladung, die verschiedene Vorzeichen besitzen kann. Es gibt aber verschiedene Arten von Ladungsträgern. Die Ladung ist eine physikalische Größe, die wichtig in der Elektrostatik und -dynamik ist. Ladungsträger gewinnen im Allgemeinen erst bei einem mikroskopischen Bild der Materie an Bedeutung und sind in der Schule Teil einer Elementarisierung der quantenmechanischen Beschreibung der Materie. Diese beiden Gebiete in der Schule zu trennen, wie es auch in der Hochschule geschieht, erscheint sinnvoll. Auf diese Art und Weise kann zunächst eine schülergerechte phänomenologische Darstellung nahe an Experimenten vorgenommen werden und erst später ein Modell des Mikrokosmos gegeben werden, nachdem die makroskopischen Phänomene bekannt sind. • Die Darstellung von Influenz und anderen Phänomenen zu Ladungen auf elektrischen Leitern schon zu Beginn der Elektrizitätslehre in der Schule zu behandeln, erscheint naheliegend. Lehrbücher der Hochschule zeigen jedoch, dass diese Phänomene erst mit dem elektrischen Potential gut beschrieben werden können. Für eine fachgerechte Elementarisierung erscheint es daher ratsam, auch in der Schule deutlich zu machen, was Eigenschaften der Größe Ladung an sich sind (mit Reibungselektrizität an Isolatoren), und erst danach die Eigenschaften von elektrischen Leitern und Ladungen auf den Leitern zu behandeln.
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• Das Konzept einer Probeladung ist zentral für eine moderne Definition der elektrischen Feldstärke. Schulbücher können hier im Detail Inkonsistenzen aufweisen. Wichtig ist: Es muss zwischen felderzeugenden Ladungen und Probeladung unterschieden werden. Die Kraft auf eine Probeladung sagt etwas über die elektrische Feldstärke der felderzeugenden Ladungen ohne die Probeladung aus. Die Probeladung darf beliebig groß sein, solange die felderzeugenden Ladungen dabei nicht verschoben werden. Die Probeladung ist im Idealfall punktförmig. • Die phänomenologische Darstellung der elektrostatischen Wechselwirkung ohne das elektrische Feld impliziert eine Fernwirkung. Ein späteres Erlernen der Vorstellung einer Nahwirkung durch das Konzept des elektrischen Feldes muss die Vorstellung der Fernwirkung ersetzen, was nur mit Mühe möglich ist. Für einen anschlussfähigen Unterricht muss von Anfang an in der Sekundarstufe I die Idee einer Nahwirkung vermittelt werden. • Das Nahelegen von Feldlinien durch die Flugbahn leichter geladener Objekte könnte irreführend sein und Fehlvorstellungen zu Kräften und Bewegungsrichtungen fördern. Die derzeitige Interpretation eines elektrischen Feldes und deren Definition als Kraft auf eine Probeladung ist sinnvoll. Das elektrische Feld erscheint dabei jedoch leicht als nicht eigenständiges physikalisches System, sondern als bloße Rechenhilfe, eine übliche Schülervorstellung. Faradays modellhafte Vorstellung einer Kraftübertragung durch die Feldlinien ist intuitiv, besagt qualitativ nichts Falsches und gibt dem elektrischen Feld eine konkrete Realität. Gleichzeitig ist die moderne Interpretation daran anschlussfähig, sobald der formale Hintergrund verfügbar ist. • Das gaußsche Gesetz wirkt sehr abstrakt, jedoch ist eine Beschreibung des elektrischen Feldes mit Feldlinien und deren Dichte, genauso wie eine Messung der Feldstärke mit der Flächenladungsdichte σ = ε0 E, eine Elementarisierung davon. Ein Experiment, in dem ein geladener Körper von einer Metallhülle umgeben wird ohne die Ladung zu berühren und dessen Influenzladung gemessen wird, entspricht einem experimentellen Nachspielen des gaußschen Gesetzes.
Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6.
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29. 30. 31.
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31
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32
1 Die elektrische Ladung und das elektrische Feld
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2
Der elektrische Strom
Inhaltsverzeichnis 2.1
Schulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Einführung, Modellierung und experimentelle Darstellung in Schulbüchern . . . . . . 2.2 Hochschulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Grundlagen: Kontinuumstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Grundlegende Darstellung des elektrischen Stroms in Lehrbüchern . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Die Knotenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Analogien zum elektrischen Strom in Lehrbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.5 Zu überdenkende Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.6 Grundlegende Konzeptvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Vergleich der Sachstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Wirkungen des elektrischen Stroms oder des Energietransportes. . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Verallgemeinerung der Knotenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Ladungen und Ladungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.5 Das Auf- und Abfließen von Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6 Die leidige Stromrichtung und die mikroskopische Stromdeutung . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.7 Bildliche Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34 34 34 39 39 41 42 43 44 45 47 47 48 49 50 51 53 54 56 58
Der elektrische Strom wird in diesem Buch direkt nach der Einführung der elektrischen Ladung und vor magnetischen Phänomenen besprochen. Dies weicht von der üblichen Fachsystematik zugunsten einer häufig zu findenden Gliederung in Lehrplänen und Schulbüchern ab. Das bedeutet, dass nur gewisse Aspekte des elektrischen Stroms behandelt werden können. Wie der elektrische Strom mit dem Magnetfeld zusammenhängt, wird dabei außen vor gelassen. Das ist eine sehr starke Einschränkung, wie unten noch erläutert wird.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4_2
33
34
2 Der elektrische Strom
2.1
Schulübliche Darstellung
2.1.1
Themenüberblick anhand von Lehrplänen
Eine qualitative Darstellung von elektrischen Stromkreisen ist in vielen Lehrplänen der Einstieg in die Elektrizitätslehre, noch vor elektrostatischen und magnetischen Phänomenen (siehe beispielsweise [17, 21, 22, 30]). Dabei soll im Unterricht der elektrische Strom nicht anhand der physikalischen Größe Stromstärke I = Q/t eingeführt werden, sondern zunächst nur ein qualitatives Verständnis von elektrischem Strom und Stromkreisen gebildet werden (wie z. B. in [21]). Zu diesem Zweck werden häufig die sogenannten Wirkungen des Stroms erwähnt. Eine quantitative Einführung erfolgt in einer späteren Stufe. In allen betrachteten Lehrplänen wird die Vermittlung einer Modellvorstellung des Stromflusses verlangt. Oft ist nicht weiter geklärt, ob damit ein Analogiemodell wie ein Wasserkreislauf gemeint ist (wie in Bremen ausgeführt [33]) oder ein mikroskopisches Modell (wie im Saarland [21]). In einigen Lehrplänen soll im Unterricht der elektrische Strom als gerichtete Bewegung von Elektronen/Ladungsträgern im Metall definiert werden und nicht als bewegte Ladung [15, 22, 31]. Zwischen den Größen „Ladung“ und „Ladungsträger“ (Teilchen) soll nicht fachlich korrekt differenziert werden. In manchen Lehrplänen wird gefordert, dass Schüler zwischen der sogenannten „technischen“ Stromrichtung und der Richtung der Elektronen unterscheiden sollen [21, 22]. Nur die Hälfte der betrachteten Lehrpläne verlangt, dass der Strom als bewegte Ladung eingeführt wird, dagegen praktisch alle, dass er als Bewegung mikroskopischer Ladungsträger oder Elektronen betrachtet wird. Im saarländischen Lehrplan findet sich zu diesem Thema beispielsweise folgende Aussage: Das Umschalten zwischen der makroskopischen Ebene der Phänomene [...] und der atomistischen Deutung stellt hohe Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler, ist aber eine der unverzichtbaren Methoden der Erkenntnisgewinnung. ([21], Klassenstufe 9, S. 8)
Dieses Vorgehen und solche Aussagen werden im dritten Abschnitt dieses Kapitels im Detail diskutiert. Der Strom und die Stromstärke werden in den Lehrplänen der Sekundarstufen II der meisten Bundesländer nicht mehr explizit genannt, ausgenommen Thüringen und Sachen-Anhalt [21, 34]. Ströme werden nur noch in Bezug auf die Kräfte, die auf einen stromdurchflossenen Leiter in einem Magnetfeld wirken, erwähnt (beispielsweise [20]).
2.1.2
Einführung, Modellierung und experimentelle Darstellung in Schulbüchern
Die Wirkungen des elektrischen Stroms Analog zu allen anderen Größen der Elektrizitätslehre kann man auch den elektrischen Strom nicht direkt wahrnehmen, sondern nur seine Wirkungen. Diese Tatsache wird in den
2.1
Schulübliche Darstellung
35
Schulbüchern für den elektrischen Strom besonders hervorgehoben und ihm werden die folgenden Wirkungen zugeschrieben: • Wärmewirkung: Körper können sich erwärmen, wenn Elektrizität in ihnen fließt. Genutzt wird diese Eigenschaft beispielsweise bei elektrischen Herdplatten oder Haartrocknern. • Lichtwirkung: Ein elektrischer Strom führt in Glühlampen durch seine Wärmewirkung zum Glühen der Wendel und erzeugt damit Licht. Die Lichtwirkung in dieser Form ist stark an die Wärmewirkung gekoppelt. Darüber hinaus gibt es Lichtwirkung in Leuchtstoffröhren und LEDs durch andere Mechanismen. • Magnetische Wirkung: Einen stromführenden Leiter umgibt ein magnetisches Feld, was in Elektromagneten und Elektromotoren ausgenutzt wird. Diese Wirkung wird in diesem Kapitel nicht weiter behandelt, sondern erst im Kap. 7 über das Magnetfeld durch elektrische Ströme. • Chemische Wirkung: Setzt man metallische Elektroden in ein Salzbad, so wird eine Elektrode zersetzt, an der anderen setzen sich die Metallionen aus dem Salz als Metall an. Man spricht dabei von Galvanisieren. Ursprünglich wurde mit Hilfe dieser Wirkung das Ampere A und das Coulomb C definiert. Solche Beschreibungen über die Wirkungen des elektrischen Stroms finden sich in allen Schulbüchern. Sie dienen dabei oft als Ausgangspunkt für eine Messmethode, um den elektrischen Strom experimentell zu quantifizieren. Einführung und Definition der Stromstärke Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Einführungen und Definitionen der Stromstärke, die nur auf den ersten Blick das Gleiche aussagen. Eine Unterscheidung wird hier anhand der von Muckenfuß und Walz ([23], S. 27 ff.) besprochenen Bedeutungen der Ladung als Elektrizität, Ladung und Ladungsträger gefällt. Bezogen auf die Stromstärke werden hier die Begriffe Ladung und Elektrizität als gleichbedeutend angesehen, nur mit unterschiedlichem Elementarisierungsgrad. Es folgt zunächst lediglich eine Übersicht, eine fachliche Diskussion findet sich im letzten Abschnitt dieses Kapitels. Falls eine formale Definition gegeben wird, erfolgt dies mit der Formel: I =
Q t
(2.1)
Auch dabei ergibt sich jeweils erst aus dem Text, welche der genannten Bedeutungen mit Q gemeint ist.
36
2 Der elektrische Strom
Somit findet sich Strom(stärke) in der Bedeutung als... • ... bewegte Elektronen, ohne dabei auf andere Ladungsträger einzugehen [11, 12]. • ... Mischung aus bewegten Ladungsträgern und bewegten Ladungen. In solchen Fällen ist manchmal nicht ganz klar, ob mit dem Begriff Ladungen nicht eher die Ladungsträger gemeint sind anstatt die Ladung [1, 3–5, 9]. Im Einzelfall findet sich eine Vermischung der Größen Ladung und Ladungsträger in einer Formel als I = Q/t = N e/t ([10], S. 102). • ... bewegte Ladung/Elektrizität [2, 7, 18, 24]. Experimente zu elektrischem Strom und Stromkreisen Für die Experimente wurden vor allem die Schulbücher herangezogen, die sich auf eine phänomenologische Darstellung konzentrieren und nicht auf eine mikroskopische [2, 7, 18]. Dabei werden für gewöhnlich Stromkreise ganz allgemein präsentiert. Das schließt neben der Stromstärke auch zu einem gewissen Grad die elektrische Spannung und den elektrischen Widerstand mit ein. Diese letzteren beiden Größen werden in diesem Buch erst im nächsten Kapitel genauer besprochen. Einfacher Stromkreis: Anhand eines einfachen Stromkreises aus einer Batterie oder allgemein einer Elektrizitätsquelle1 und einer Lampe wird gezeigt, dass die Lampe nur leuchtet, wenn beide Kontakte der Lampe mit beiden Kontakten der Elektrizitätsquelle verbunden sind. Es wird die Bauweise solcher Geräte besprochen (immer zwei Kontakte) und dass man einen Stromkreis benötigt. Dazu werden die entsprechenden Schaltzeichen eingeführt, um sich im Folgenden in Form von Schaltskizzen ausdrücken zu können anstatt mit realitätsnahen Abbildungen der Schaltungen. Damit werden Reihen- und Parallelschaltungen besprochen. Sicherheitshinweise zum Umgang mit Elektrizität werden lehrplangemäß ausführlich besprochen. Elektrischer Strom als Bewegung einer mengenartigen Größe: Der Versuchsaufbau (siehe Abb. 2.1) besteht aus einer Hochspannungsquelle (die man möglicherweise schon für die Einführung der elektrischen Ladung verwendet hat), an deren beiden Kontakten Kabel und Glimmlampen angeschlossen sind. Zwischen den beiden Glimmlampen ist der Stromkreis unterbrochen. Wird eine leitende Kugel an eine der Glimmlampen geführt, so kann man einen Lichtblitz an einem Kontakt der Lampe erkennen. Führt man daraufhin die Kugel zur anderen Glimmlampe, sieht man auch dort ein Aufblitzen eines Kontakts. Blitzt bei der einen Glimmlampe beispielsweise der kugelabgewandte Kontakt auf, so blitzt bei der anderen der kugelzugewandte Kontakt. Das kann als ein Auf-/Abfließen oder als eine gerichtete Bewegung interpretiert werden. Welche Stromrichtung vorliegt, kann nicht ohne weiteres 1 Oft wird als Kenngröße einer Elektrizitätsquelle schon die Spannung genannt, aber noch nicht im
Detail erläutert. Man beschränkt sich auf die notwendige Aussage, dass die Voltzahlen von Elektrizitätsquelle und angeschlossenem elektrischen Gerät möglichst übereinstimmen sollen.
2.1
Schulübliche Darstellung
37
+
Abb. 2.1 Versuchsskizze zur Darstellung der Mengenartigkeit der fließenden Elektrizität. Glimmlämpchen sind an die beiden Anschlüsse einer Hochspannungsquelle angeschlossen. Führt man einen leitenden Körper zwischen den freien Anschlüssen der Glimmlämpchen hin und her, leuchten diese immer wieder auf – man scheint portionsweise Elektrizität zu übertragen. Eine definierte Stromrichtung wird dadurch angedeutet, welche Elektroden aufleuchten
erschlossen werden. Dabei wird sehr deutlich gezeigt, dass Elektrizität portionsweise, also mengenartig, mit der leitenden Kugel transportiert wird. Elektrische Leiter: Im Anschluss können die Materialeigenschaften leitet gut und leitet nicht/schlecht untersucht und besprochen werden sowie die schon erwähnten Wirkungen des Stroms. Hierfür wird ein einfacher Stromkreis mit Lampe unterbrochen und mit verschiedenen Materialien überbrückt. Auf die Leitfähigkeit der Materialien wird aus dem Leuchten der Lampe geschlossen. Analogiemodelle: Es finden sich in den Schulbüchern auch viele Experimente mit Analogiemodellen zum Stromkreis. Dabei werden andere Ströme als Analogie verwendet, um eine Vorstellung des elektrischen Stroms zu geben. Es werden beliebige gegenständliche (mengenartige) Dinge verwendet, die sich bewegen: Autos auf einer Straße, Menschenströme, Wasserströme in den unterschiedlichsten Formen. Ein Überblick zu verschiedenen Analogiemodellen wird in Abschn. 3.1.4 gegeben. Eine ausführliche Darstellung und Diskussion von Analogiemodellen zu ganzen Stromkreisen, die auch zur Verdeutlichung der elektrischen Spannung und des elektrischen Widerstands verwendet werden, findet sich in Anhang C. Komplexere Stromkreise: Im Verlauf der Kapitel zu Strom und Stromkreisen werden immer komplexere Stromkreise besprochen, wie Reihen- und Parallelschaltung von Lampen und Batterien. Dabei wird versucht aktiv den bekannten Schülervorstellungen (lokales Denken, sequentielle Argumentation,etc.) entgegenzuwirken, wie sie zuerst bei Rhöneck [28] besprochen wurden. Die Besprechung dieser Schaltungen macht häufig den Hauptteil der Kapitel zum elektrischen Strom aus. Konzeptionell sind diese allerdings von geringer Bedeutung, weshalb sie hier in den Hintergrund treten.
38
2 Der elektrische Strom
Abb. 2.2 Typische Skizze einer mechanistischen mikroskopischen Vorstellung der Elektronenbewegung in einem stromführenden Metalldraht. Elektronen werden dabei als Punktteilchen dargestellt, die durch den Leiter fliegen
Mikroskopische Beschreibung des elektrischen Stroms Der Tatsache, dass man den elektrischen Strom nicht direkt als strömend wahrnehmen kann, wird in den meisten Schulbüchern mit einer mikroskopischen Darstellung des elektrischen Stroms begegnet. Es wird davon gesprochen, dass der elektrische Strom mit dem Teilchenmodell erklärt werde.2 Wie oben schon erwähnt, wird in einigen Schulbüchern der elektrische Strom direkt über die Bewegung von (mikroskopischen) Ladungsträgern oder Elektronen eingeführt und definiert. Dabei ergibt sich beispielsweise der folgende Merksatz ([4], S. 85): Die Elektronen fließen im geschlossenen äußeren Stromkreis vom Minuspol zum Pluspol. Die Richtung dieses Elektronenstroms bezeichnet man als Stromrichtung.
In vielen Schulbüchern finden sich zusätzlich Darstellung wie in Abb. 2.2. Nicht immer wird dabei erwähnt, dass es sich hierbei lediglich um ein (mikroskopisches) Modell für die elektrische Leitung in Metallen handelt. In anderen Schulbuchreihen wird das mikroskopische Bild der elektrischen Leitung getrennt von der Einführung des Stroms behandelt [6, 8]. Dabei werden detailliert verschiedene Ladungsträger und deren Zusammenhang zum elektrischen Strom besprochen, ähnlich wie in Abb. 2.3. Dabei wird die Richtung des elektrischen Stroms entgegen der Elektronenbewegung in Metallen angegeben. Die Stromrichtung wird in den folgenden Abschnitten noch genauer diskutiert werden.
2 Auch wenn in einem der Schulbücher lediglich der Ausdruck Ladungsträger erwähnt wird und
nicht explizit das Teilchenmodell, wird dies hier als mikroskopisches Modell oder Teilchenmodell bezeichnet. In Anhang B wird ein fachlicher Überblick zu mikroskopischen Beschreibungen von elektrischen Strömen in Festkörpern gegeben.
2.2
Hochschulübliche Darstellung
a
39
b
Abb. 2.3 Elektrische Leitfähigkeit in einem Metall (a) und einer Salzlösung (b). Dabei werden zusätzlich die mikroskopischen Ladungsträger und ihre Bewegung mechanistisch dargestellt und jeweils die verschiedenen Ladungsträgerströme dem elektrischen Strom gegenübergestellt
2.2
Hochschulübliche Darstellung
2.2.1
Grundlagen: Kontinuumstheorie
Was im Rahmen des elektrischen Stroms wichtig erscheint, ist ein allgemeines Verständnis zu Strömungen anhand der Kontinuumslehre, um die Darstellungen in Lehrbüchern gut einordnen zu können. In der Schule kann die Beschreibung des elektrischen Stromkreises mithilfe eines geschlossenen Wasserkreislaufs problematisch sein, da Schüler wenig/keine Erfahrung mit Wasserkreisläufen haben [32]. Genauso können sich fachliche Fehlvorstellungen in der Elektrodynamik an der Hochschule bei fehlenden Grundlagen in der Kontinuumstheorie halten. Dieser Abschnitt beschreibt kurz und bündig die zentralen Formeln für Bilanzen mengenartiger Größen in der Kontinuumslehre. Ausführlicher nachzulesen ist dies im Buch Streifzüge durch die Kontinuumtheorie von Wolfgang Müller [25]. Ausgangspunkt ist eine kontinuierliche Größe mit den räumlichen Koordinaten x und der Zeit t. Dies kann beispielsweise die Energie E sein, der Impuls p, oder die Ladung Q. Diese Größe wird in einem Volumen V mit der Oberfläche ∂ V betrachtet. Zu der Größe soll es eine Volumendichte ψV geben, eine Flussdichte φ und eine Produktionsdichte p. Die Größe φ ist dabei nicht die Bewegung der mengenartigen Größe durch die Oberfläche des betrachteten Volumens, sondern ein Mechanismus, der auf anderem Wege die Größe direkt im Volumen verändert. Im Falle des Impulses p sind das beispielsweise Kräfte oder Kraftfelder, jedoch kein Impulsstrom in Form materieller Konvektion. Für die Ladung Q existiert ein solche Flussdichte φ nicht.
40
2 Der elektrische Strom
Von Interesse ist die Bilanz, also die zeitliche Änderung der Größe im Volumen V . Sie wird bedingt durch den Fluss F durch die Oberfläche und die Produktion P innerhalb des Volumens: d = F + P. (2.2) dt Diese Gleichung ist aussagekräftiger, wenn man sie mit den Dichten der entsprechenden Größen darstellt: d φ · ndA + ψV dV = − pdV . (2.3) dt ∂V
V
V
Die Vorzeichen der Terme auf der rechten Seite sind reine Konvention. Sie wird getroffen, damit mit der Zeit zunimmt, wenn φ in das Volumen hinein zeigt. Da der Flächennormalenvektor n einer geschlossenen Fläche nach außen zeigt, ist das negative Vorzeichen in der Gleichung notwendig. Um eine Gleichung ohne Integrale zu erhalten, muss zunächst die Zeitableitung auf der linken Seite der Gleichung in das Integral gezogen werden. Das kann im Allgemeinen nicht einfach so geschehen, da nicht nur von der Zeit abhängen kann, sondern auch die Integrationsgrenzen, also das Volumen und dessen Oberfläche. Mithilfe des gaußschen Satzes erhält man für die linke Seite: ∂ψ d V ψV dV = ψV v · ndA (2.4) dV + dt ∂t V V ∂V ∂ψ V = (2.5) + ∇ · (ψV v) dV , ∂t V
wobei v die lokale Geschwindigkeit von ψV relativ zur Oberfläche ∂ V ist. Das Produkt aus Volumendichte ψV und lokaler Geschwindigkeit v wird in vielen Fällen als Stromdichte j = ψV v bezeichnet, und zwar im Gegensatz zur Flussdichte. Man spricht von wenn sich die Größe durch Wechselwirkung mit einem anderen SysFlussdichte φ, tem ändert, wie einem Kraftfeld beim Impuls, und von Stromdichte, wenn sich ψV konvektiv bewegt, wie die Ladung in der elektrischen Stromdichte. Nun können alle Terme der Gl. (2.3) in ein Volumenintegral geschrieben werden: ∂ψ V (2.6) + ∇ · ψV v + φ − p dV = 0. ∂t V
Der Integrand ist die gesuchte Bilanzgleichung: ∂ψV + ∇ · ψV v + φ = p ∂t
(2.7)
2.2
Hochschulübliche Darstellung
41
Eine solche Bilanzgleichung wird auch Kontinuitätsgleichung genannt, falls die Produktionsdichte p = 0 ist. Eine Größe heißt Erhaltungsgröße, falls in einem geschlossenen System p = 0 ist. Es muss betont werden, dass ψV die Dichte einer beliebigen mengenartigen kontinuierlichen Größe ist. Alle Gleichungen sind unabhängig davon, ob es sich dabei beispielsweise um ein Vektorfeld wie das elektrische Feld oder eine skalare materielle Größe wie die Massendichte handelt.
2.2.2
Grundlegende Darstellung des elektrischen Stroms in Lehrbüchern
Anders als im vorherigen Kapitel können für den elektrischen Strom keine zentralen Versuche zu dessen Einführung in Bezug auf die Hochschule vorgestellt werden. In vielen Lehrbüchern wird der elektrische Strom im Zusammenhang mit der Erzeugung statischer Magnetfelder eingeführt. In diesem Buch wurde der elektrische Strom vorgezogen, wie es in vielen Schulbüchern der Fall ist. Es werden in diesem ersten Abschnitt nur diejenigen Grundlagen des elektrischen Stroms aus Lehrbüchern wiedergegeben, die sich auf der Basis der bisher vorgestellten Größen und Konzepte vermitteln lassen. In den weiteren Abschnitten werden gewisse Themen fachlich aufbereitet und diskutiert, die für den späteren Vergleich mit den Schulbüchern relevant sind. Die grundlegenden Größen des ersten Kapitels waren die elektrische Ladung Q und die dazugehörige elektrische Ladungsdichte ρ. Elektrischer Strom ist bewegte elektrische Ladung(sdichte). Innerhalb der Kontinuumstheorie ist die Ladung die mengenartige Größe = Q und die Ladungsdichte ist die Volumendichte dieser Größe ψV = ρ. Eine Produktionsrate P und einen Fluss3 φ gibt es in diesem Zusammenhang nicht, wohl aber einen Strom mit der Stromdichte j = ρ v. Die Kontinuitätsgleichung der elektrischen Ladung lautet: ∂ρ · j = 0 +∇ ∂t
(2.8)
Sie besagt, dass sich die Ladungsdichte ρ an einem Ort nur durch die eigene Bewegung ρ v verändern kann. Oder anders ausgedrückt, dass die Quellen der elektrischen Stromdichte · j an einem Ort die zeitliche Änderung der Ladungsdichte ρ˙ an diesem Ort sind. Die ∇ elektrische Ladung ist eine Erhaltungsgröße. Betrachtet man eine bestimmte Fläche A, so ist die elektrische Stromstärke durch diese Fläche gegeben als 3 Hier ist ein Fluss gemeint, wie er oben in den Grundlagen der Kontinuumstheorie angesprochen wird. Dieser Fluss hat hier nichts mit dem elektrischen oder magnetischen Fluss in der Elektrodynamik zu tun.
42
2 Der elektrische Strom
j · d a.
IA =
(2.9)
A
Integriert man die Kontinuitätsgleichung über ein Volumen V mit der Oberfläche ∂ V und wendet den gaußschen Satz auf den Term der Stromdichte an, so wird daraus die Integralversion der Kontinuitätsgleichung: ∂ρ +∇ · j = 0 (2.10) V ∂t (2.11) ⇒ I∂ V = − Q˙ V Eine Nettostromstärke durch eine geschlossene Oberfläche ergibt sich nur, wenn sich die Ladung im Volumen ändert. Wie schon im Kasten zur Kontinuumslehre erwähnt, sind die Vorzeichen dabei so festgelegt, dass die Stromstärke positiv gewertet wird, also aus dem Volumen hinausführt, wenn die Ladung abnimmt, und umgekehrt. Für eine beliebige Fläche A lässt sich die Stromstärke schreiben als: dQ IA = (2.12) dt A Diese Formel betont stark die Tatsache, dass eine Stromstärke immer auf eine bestimmte Fläche A bezogen ist. Darauf wird im Allgemeinen verzichtet. Das liegt vermutlich daran, dass man an einer elektrischen Stromstärke in einem Draht interessiert ist, also einem Leiterstück infinitesimaler Querschnittsfläche d a . Dabei spielt die Fläche kaum mehr eine Rolle und man hat scheinbar eine Stromstärke I = Ida an einem Punkt des Drahtes. In den meisten Lehrbüchern liest man lediglich I = dQ/dt. Diese Gleichung wird in manchen Lehrbüchern als die grundlegende Definition der elektrischen Stromstärke angegeben. Ein Hervorheben der betrachteten Fläche A wäre zumindest für die fachliche Definition angemessener. Im Folgenden wird unterschieden zwischen dem elektrischen Strom als „irgendwie bewegter Ladung“ und der elektrischen Stromstärke als eine physikalische Größe, mit der man den elektrischen Strom quantifizieren kann. Das ist analog zu der Unterscheidung zwischen dem elektrischen Feld als physikalisches System und der elektrischen Feldstärke als Größe, mit der das elektrische Feld quantifiziert werden kann.
2.2.3
Die Knotenregel
Die Knotenregel besagt, dass in einem beliebigen Punkt eines Stromkreises mit Drähten vernachlässigbarer Querschnittsfläche bei konstanten Stromstärken sich die Stromstärken durch diesen Punkt wegheben: Ik = 0 (2.13) k
2.2
Hochschulübliche Darstellung
43
Es handelt sich dabei um die 1. kirchhoffsche Regel. Sie hat in erster Linie an Verzweigungspunkten eine große Bedeutung. In vielen Lehrbüchern wird diese Regel nicht formal hergeleitet, sondern nur dadurch begründet, dass sich im stationären Fall an keinem Punkt Ladungen anhäufen dürfen. Um sowohl die Zusammenhänge zwischen der Stromstärke und der Stromdichte als auch zwischen der Integralform und der differentiellen Form der Kontinuitätsgleichung genauer auszuführen, wird im Folgenden die Knotenregel hergeleitet. Der stationäre Fall ist definiert durch ρ˙ = 0 und j = const. Die Kontinuitätsgleichung j = 0 für jeden Punkt im Draht. Der Betrag eines Drahtquerschnitts sei vereinfacht sich zu ∇· a und infinitesimal klein a ≈ |d a |. Die k-te Zuleitung einer Stelle des Stromkreises habe ak | = a), die Stromdichte jk = jk ak /a den Querschnittsflächenvektor ak (mit | ak = jk a. Die allgemeine Stromdichte j( r ) lässt sich und die Stromstärke Ik = jk r ) = δ( rk − in Abhängigkeit der einzelnen Werte an den Zuleitungen jk schreiben als j( ak /a. Das Volumenintegral über die Kontinuitätsgleichung um den betrachteten r) jk Punkt mit einem beliebig kleinen Volumen V ergibt: ak j · d · jdV Gauß ∇ = δ( rk − r) jk a= · d a (2.14) a V ∂V ∂V jk a = Ik = I∂ V = 0. (2.15) = k
k
Die Herleitung der Knotenregel ist etwas komplexer als die recht banale Aussage, dass in einen Knoten so viel hinaus fließt wie hinein. Dies liegt an der Tatsache, dass eine Stromstärke eigentlich nicht auf einen Punkt zu beziehen ist, sondern nur auf eine Fläche. Eine Stromstärke durch einen Punkt/Knoten ist nur die Betrachtung der Stromdichte in einem beliebig kleinen Volumen. Die Regel gilt jedoch für jedes beliebige Volumen. Man kann genauso gut betrachten, wie stark Ladung durch die Oberfläche eines Volumens um eine Lampe oder eine Batterie fließt. Diese Tatsache wird in Lehrbüchern im Zusammenhang mit der Knotenregel nicht genau ausgeführt. In Abschn. 2.3.3 wird genauer darauf eingegangen.
2.2.4
Analogien zum elektrischen Strom in Lehrbüchern
Analogiemodelle zum elektrischen Strom werden in Lehrbüchern der Physik nur selten ausführlich besprochen. In Bergmann/Schaefer findet sich ein sogenannter „Hydrodynamischer Analogieversuch“, bei dem die Masse von Wasser der Ladung entspricht mit der zugehörigen Massenstromstärke ([27], S. 107). Bekannte schulische Analogiemodelle werden in Anhang C auch fachlich diskutiert. Der Kasten zur Kontinuumslehre liefert weitere Möglichkeiten zur Analogiebildung: Jede mengenartige Größe ist geeignet.
44
2.2.5
2 Der elektrische Strom
Zu überdenkende Darstellungen
Bevor im folgenden Abschnitt die Darstellungen der Schulbücher mit denen der Lehrbücher verglichen werden können, müssen einige Darstellungsweisen der Lehrbücher untereinander verglichen und kritisch diskutiert werden. Es geht dabei speziell um die Veranschaulichung des elektrischen Stroms anhand eines mikroskopischen Bildes und um die Stromrichtung. Bisher wurden beide Themen in diesem Abschnitt noch nicht angesprochen. Eigentlich gibt es dabei kein Problem. Die klassische, makroskopische Elektrodynamik ist eine Kontinuumstheorie. Die physikalischen Größen sind also entweder mengenartige kontinuierliche Größen – mit Dichten ψ – oder Der Übergang von dazugehörige Stromdichten j = ψ · v und eventuell Flussdichten φ. punktförmigen Körpern zu kontinuierlichen ist eher formaler Natur und entspricht keiner mikroskopischen Beschreibung, wie es beispielsweise in der Festkörperphysik der Fall ist. So wird in Lehrbüchern der Theoretischen Physik nicht tiefgehend besprochen, welche Ladung die beweglichen Ladungsträger besitzen. Griffiths sagt explizit, dass es egal ist, ob sich positive Ladungen nach rechts bewegen oder negative nach links. Der daraus resultierende elektrische Strom, also seine Stromstärke und Stromdichte, ist jeweils identisch ([13], S. 216). Als sehr vorteilhaft kann etwa die Darstellungsweise in Gerthsen Physik beurteilt werden. Dort werden die markoskopischen Größen für den elektrischen Strom in engem Zusammenhang mit dem Verhalten in Stromkreisen und den kirchhoffschen Regeln besprochen. Mögliche mikroskopische Leitungsvorgänge werden getrennt davon in einem speziellen Abschnitt behandelt. Dort werden sie neutral aufgelistet und beschrieben. In anderen Lehrbüchern der Experimentalphysik wird dagegen oft hervorgehoben, dass man sich bei der Stromrichtung auf die Bewegung positiver Ladungsträger beziehe und dies eine Konvention aus der Technik sei. Und das, obwohl die freien Ladungsträger in Metallen „eigentlich“ die Elektronen seien, was man früher nur nicht gewusst hätte. Sowohl in der Theoretischen Elektrodynamik als auch in der Kontinuumslehre wird die Stromrichtung nicht in dieser Art thematisiert. Sie ist keine willkürliche Konvention, vor allem keine Konvention, die aus Unwissenheit getroffen wurde. Hat man eine mengenartige Größe Ladung Q definiert, und lediglich darin steckt ein gewisses Maß an Konvention, dann ergibt sich die elektrische Stromdichte und deren Richtung vollkommen natürlich aus der Multiplikation von Ladungsdichte ρ und lokaler Geschwindigkeit v. Welche Ladung die Ladungsträger besitzen, ist unerheblich. Die Annahme, dass die Bewegung der Ladungsträger der „eigentliche“ Strom sei und der elektrische Strom nur eine fehlgeleitete Konvention, deutet auf ein fehlendes Verständnis der Zusammenhänge hin. Die elektrische Ladung Q ist eine physikalische Größe, deren Festlegung im vorherigen Kapitel beschrieben wurde. Körper können die Eigenschaft Ladung besitzen. Damit ist die sogenannte „Nettoladung“ gemeint, denn wie Polarisation und Influenz zeigen, sind in neutralen Körpern die gleiche Menge Ladung mit positivem und negativem Vorzeichen vorhanden. In einer mikroskopischen Betrachtungsweise kann
2.2
Hochschulübliche Darstellung
45
man annehmen, dass ein Körper aus einzelnen Ladungsträgern besteht. Ladungsträger sind keine Ladungen. Ladungsträger sind mikroskopische Körper, sogenannte Teilchen, die die Eigenschaft eines festen Ladungswertes qT besitzen. Diese Ladungsträger besitzen als Teilchen allerdings noch andere Eigenschaften, wie Masse und Spin. Die mengenartige Größe, die man den Teilchen an sich unabhängig von anderen Eigenschaften zuordnen kann, ist die Teilchenzahl N mit der zugehörigen Teilchendichte n. Diese Größe wird makroskopisch auch mit der Kontinuumslehre betrachtet, und es gibt eine zugehörige Teilchenstromdichte jT = n v. Zwischen der Teilchenzahl und der Ladung eines Körpers aus diesen Teilchen gibt es einen einfachen Zusammenhang: Q = N · qT
(2.16a)
ρ = n · qT
(2.16b)
j = jT · qT = qT · n · v = ρ v
(2.16c)
Bei der elektrischen Stromdichte und der Teilchen-/Ladungsträger-Stromdichte handelt es sich um verschiedene physikalische Größen, die je nach Situation für eine konsistente Beschreibung mehr oder weniger sinnvoll sind. Das Gleichsetzen der Größen Ladung und Ladungsträger (und ihrer Stromdichten) ist innerhalb einer Fachsystematik nicht sinnvoll, auch wenn ihr Zusammenhang für die Festkörperphysik und Thermodynamik sehr bedeutend sein kann (Peltier-Effekt, thermoelektrische Kraft). Ein möglicher Grund für diese Verwirrung könnten die Eigenschaften der Ladung sein, die sie abstrakt wirken lassen. Die Größe Ladung besitzt beide Vorzeichen, weswegen der Fall eintreten kann, dass sich Ladungsträger in eine bestimmte Richtung bewegen, die sich daraus ergebende elektrische Stromdichte aber in die entgegengesetzte Richtung zeigt. Diese Eigenschaft ist jedoch zentral für die Ladung, wie schon im Bezug auf die Wechselwirkung zwischen Ladungen erwähnt wurde. Darüber hinaus ist ein Ladungsstrom kein materieller Strom, ein Ladungsträgerstrom dagegen (vermeintlich) schon. Daher könnte man glauben, der materielle Strom sei der eigentliche Strom und der nicht-materielle Strom, als rein fiktives Konzept, dem materiellen untergeordnet. Allerdings ist natürlich jede definierte physikalische Größe ausgedacht und Teil eines Modells. Und gerade mikroskopische (Quanten-)Teilchen sind nicht direkt erfahrbar, und unsere Auffassung von ihnen ist ein reines Modellkonstrukt.
2.2.6
Grundlegende Konzeptvorstellungen
Gebrauchsdefinition: Ladungserhaltung/-bilanz und elektrischer Strom
Im vorherigen Abschnitt wurde die Ladung Q (zugehörige Dichte ρ) eingeführt. Für diese Größe gilt ein sogenannter Erhaltungssatz. Man sagt oft vereinfacht, dass Ladung nicht erzeugt oder vernichtet werden kann. Diese Aussage erscheint bei einer Größe wie Ladung mit zweierlei Vorzeichen widersprüchlich, da es Situationen gibt, in denen
46
2 Der elektrische Strom
einmal Q ges = 0 und etwas später Q ges = −q( r1 )+q( r2 ) gilt. Wichtiger ist es zu sagen: Die Ladungsmenge bleibt erhalten und ist bilanzierbar. Man betrachtet ein bestimmtes Volumen V , in dem eine Ladungsmenge Q vorhanden ist. Die Ladungsmenge in diesem Volumen V kann sich nur ändern, wenn sich Ladung beliebigen Vorzeichens über die Grenzen des Volumens bewegt. Konstant bleibt die Ladungsmenge Q im Volumen V , wenn sich keine Ladung über die Grenzen des Volumens bewegt. Sie bleibt auch dann konstant, wenn sich Ladung gleichen Vorzeichens genauso stark ins Volumen hinein wie aus ihm heraus bewegt, das Volumen also durchströmt, oder sich Ladung unterschiedlichen Vorzeichens gleichermaßen hinein oder hinaus bewegt. Die Bewegung von Ladung wird mit dem Konzept des elektrischen Stroms beschrieben. Man sagt Ladung/Elektrizität fließt oder elektrischer Strom ist vorhanden. Der elektrische Strom kann durch zwei Größen sehr gut beschrieben werden – die elektrische Stromdichte j und die elektrische Stromstärke I . Die elektrische Stromdichte j ist eine lokale Größe. An einem Ort r herrscht die Stromdichte j( r ) = ρ( r ) v ( r ), wenn sich die dortige Ladungsdichte ρ( r ) mit der Geschwindigkeit v( r ) bewegt. Für die elektrische Stromdichte gilt das Superpositionsprinzip, die Stromdichten verschiedener bewegter Ladungsverteilungen können sich wegheben. Die zweite Größe des elektrischen Stroms, die Stromstärke I , bezieht sich auf die Bewegung von Ladung durch eine Man sagt, durch die Fläche A = | A| fließt die Ladung mit der ganz bestimmte Fläche A. Stärke I A = Q/t| A , falls während der Zeitspanne t die effektive Gesamtladung Q fließt. Mit der effektiven Gesamtladung Q ist hier gemeint, dass Ladungen, die die Fläche A in unterschiedlichen Richtungen durchdringen, bezogen auf die Orientierung mit unterschiedlichem Vorzeichen gewertet werden: Q = Q − Q . der Fläche A, +A −A Die Stromstärke I A zu einem Zeitpunkt ist I A (t) = dQ(t)/dt| A . Der Zusammenhang zwischen der Stromdichte und der Stromstärke ist I A = A j · d a . Ist die Stromdichte konstant, homogen und senkrecht zur Fläche, vereinfacht sich das zu I A = j A. Mit diesen beiden neuen Größen lässt sich die Erhaltung bzw. Bilanzierbarkeit der Ladung mathematisch auf die folgenden zwei Arten schreiben: · j + dρ = 0 ∇ dt dQ V =0 I∂ V + dt Die erste Gleichung gilt dabei an jedem Punkt im Raum und die zweite für ein beliebiges Volumen V mit der Oberfläche ∂ V . Solche Gleichungen nennt man Bilanzgleichungen. Für Erhaltungsgrößen wie die Ladung werden sie Kontinuitätsgleichungen genannt. Wird aus elektrischen Bauteilen (Energiequelle, leitende Drähte, Lämpchen/LED, Elektromotor,...) ein elektrischer Stromkreis aufgebaut, so kann es darin einen konstanten elektrischen Strom geben, also Ladung kontinuierlich im Kreis fließen. Dies funktioniert allerdings nur, falls der Stromkreis geschlossen ist und ein Bauteil einen Antrieb für diesen Strom liefert. Jeder elektrische Strom erzeugt ein Magnetfeld.
2.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
47
Wirkungen eines geschlossenen Stromkreises, der Energie überträgt, sind beispielsweise Licht und Wärme in Lämpchen und LEDs, die Bewegung eines Elektromotors oder die chemische Veränderung einer Salzlösung oder Batterie. Ein elektrischer Strom ist nur eine von zwei Bedingungen, die in einem Stromkreis bzw. Teilen davon vorhanden sein müssen, damit er tatsächlich diese Wirkungen zeigt. Die zweite Bedingung wird im folgenden Kapitel besprochen.
2.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
2.3.1
Vergleich der Sachstruktur
Wie sich das Thema elektrischer Strom in die Elektrizitätslehre/Elektrodynamik eingliedert und welche Strukturierung sich daraufhin innerhalb des Themas ergibt, ist sehr unterschiedlich in der schulischen und der hochschulischen Literatur. Abgesehen von physikalischen Kompendien [14, 19, 35] wird der elektrische Strom in den Lehrbüchern im Zusammenhang mit Magnetfeldern eingeführt, da der elektrische Strom erst zur Quantifizierung von Magnetfeldern in der Elektrodynamik wichtig ist (siehe Kap. 7). Und selbst in den physikalischen Kompendien wird der elektrische Strom nach dem elektrischen Potential eingeführt. In Schulbüchern wird die elektrische Spannung immer im Anschluss an die Stromstärke eingeführt. Diese abweichende Gliederung aufgrund der didaktischen Rekonstruktion in den Schulbüchern verlangt einen anderen Umgang mit dem elektrischen Strom und Stromkreisen als in den meisten Lehrbüchern, was bei der Unterrichtsplanung berücksichtigt werden muss. Der Zusammenhang mit dem Magnetfeld wird zwar in den Wirkungen des Stroms erwähnt, jedoch nicht immer im Detail dargelegt, weswegen die Inhalte der Lehrbücher hier kaum eine Orientierung sein können. Weiterhin können formal nur sehr schlecht Aspekte angesprochen werden, die eine Verbindung zum Potential haben, also Widerstände und übertragene Energie. Nur die grundlegendsten Eigenschaften von elektrischem Strom als fließende Ladung können in der Schule besprochen werden. Trotzdem wird das Phänomen der Energieübertragung in einem Stromkreis oft direkt bei der Einführung des Stroms erwähnt. Ein Überblick für eine mögliche Strukturierung in der Hochschule und zwei Strukturierungsvorschläge für die Schule sind in Abb. 2.4 dargestellt. Als kleine Anmerkung zu den Abbildungen möglicher Strukturierungen, die in den meisten Kapiteln vorhanden sind, sei erwähnt, dass sie jeweils gewisse Extrema möglicher Strukturierung für das jeweilige Thema darstellen. Man findet jedoch immer eine größere Vielfalt von Strukturierungen in den verschiedenen Schulbüchern als die hier jeweils angegebenen zwei Beispiele. Das bedeutet, dass sich die einzelnen Strukturierungsbeispiele der verschiedenen Kapitel nicht notwendigerweise ergänzen, sollte man sie aneinanderreihen.
48
2 Der elektrische Strom
Fachsystematik: Elektrostatik Magnetostatik StromKontiMagnet. (StromPotentiale dichte & nuitätskreise mit KraftStromstärke gleichung Spannung) gesetz
Elektrodynamik
Didaktische Gliederungen: Elektrizitätslehre Elektrische Elektrischer Strom und Elektrische Leiter und EnergieWirkungen Stromkreise Nichtleiter wandler 7/8: Stromkreise Elektrischer Elektrische Leiter und Magnete Strom und Ladungen Nichtleiter Wirkungen
Elektrische Spannung
Elektrische Elektrische Stromkreise Spannung
Abb. 2.4 Vergleich der Sachstruktur zwischen Schule und Hochschule für den elektrischen Strom
2.3.2
Wirkungen des elektrischen Stroms oder des Energietransportes
Die meisten Wirkungen des elektrischen Stroms, die bei der Einführung in der Schule erwähnt werden, finden sich in den Lehrbüchern der Hochschule nicht. Die magnetische Wirkung (das amperesche Gesetz) ist Teil der Elektrodynamik, und die Elektrolyse wird häufig aus historischen Gründen erwähnt. Licht- und Wärmewirkung findet man dagegen nicht als solches. In Halliday Physik wird dagegen von Arten der Energieumwandlung im Stromkreis gesprochen ([14], S. 807 f.), die mit den in der Schule eingeführten Wirkungen des Stroms übereinstimmen. Dies deutet auf etwas Wichtiges hin – die sogenannten Wirkungen des Stroms hängen von mehr als dem elektrischen Strom ab. Sie zeigen vielmehr den Energietransport in und aus einem elektrischen Stromkreis und visualisieren die Formel P = U I . Bezeichnet man diese Phänomene als Wirkungen des elektrischen Stroms, so setzt man den elektrischen Strom mit dem Energiestrom gleich. Dabei handelt es sich um eine übliche Schülervorstellung, die schon von Rhöneck 1986 beschrieben wurde [28]. Bei einem ersten Erklärungsglied einer Elementarisierung steht zwar nicht nur die fachliche Richtigkeit im Vordergrund, sondern auch das Anknüpfen an die Vorstellungen von Schülern und die ihnen bekannten Phänomene. Geschieht dies jedoch nicht äußerst vorsichtig und differenziert, könnten dabei die schon bekannten Fehlvorstellungen und Lernschwierigkeiten gefördert oder gar erzeugt werden. Diese Wirkungen, die in der Schule dem elektrischen Strom zugesprochen werden, sind dagegen vielmehr augenscheinliche Phänomene in geschlossenen Stromkreisen. Es ist wichtig, sie im Unterricht zu thematisieren. Sie dürfen nicht direkt dem elektrischen Strom zugeordnet werden, sondern (funktionierenden) Stromkreisen. Die Bedingung dafür ist ein Kreis,
2.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
49
in dem etwas kontinuierlich fließen kann (elektrische Ladung oder Elektrizität), solange ein Antrieb (Elektrizitäts-/Spannungsquelle) vorhanden ist. Dabei ist der Aspekt Antrieb sehr wichtig, da in ihm eine erste Vorstellung von Spannung vermittelt werden kann und nur dann die Wirkungen des Stroms eben nicht nur dem Strom selbst zugeordnet werden müssen. Ist das Konzept Energie schon bekannt, kann auch explizit der Unterschied zwischen der Alltagsvorstellung über den Strom (= Energiestrom) und der fachlichen Vorstellung (elektrischer Strom) adressiert werden. Auf diese Art und Weise kann weiterhin mit diesen Wirkungen gearbeitet werden. In Impulse Physik 2 NRW [9] werden zum Beispiel Stromkreise durch die Möglichkeit der Energieübertragung eingeführt. Dementsprechend könnte man hier sehr leicht die Wirkungen dem Energietransport zuschreiben und nur indirekt dem elektrischen Strom. Ein üblicher Merksatz wie „Ein stromführender Leiter wirkt auf seine Umgebung wie ein Magnet.“ ([9], S. 69) könnte ergänzt werden durch „Ein Stromkreis kann Energie mit seiner Umgebung austauschen, falls ein Antrieb vorhanden ist und Elektrizität fließen kann. Die Wirkungen der Energieübertragung sind Lichtwirkung, magnetische Wirkung, Wärmewirkung und chemische Wirkung. Falls in einem Stromkreis Energie übertragen wird, so führt er immer auch elektrischen Strom.“
2.3.3
Verallgemeinerung der Knotenregel
Wie in Abschn. 2.2.3 gezeigt wurde, kann aus der zeitunabhängigen Kontinuitätsgleichung für ein kleines Volumen um einen Knotenpunkt einer Schaltung die Knotenregel für den Strom abgeleitet werden. Dabei wird das betrachtete Volumen V auf einen Knoten/Punkt reduziert. Die Gleichung gilt jedoch für beliebige Volumina. Es kann ein beliebiges Volumen betrachtet werden, dessen Oberfläche ∂ V gleichstark vom Strom einwärts wie auswärts durchdrungen wird. In Schulbüchern ist das Einführungsbeispiel für die Knotenregel oft ein Knoten einer Parallelschaltung. Da die sogenannte lokale Argumentation4 ein Problem darstellt, erscheint es nicht zweckmäßig, sich bei der schulischen Beschreibung von Stromkreisen absichtlich auf Knoten zu konzentrieren. Die Gefahr einer Unterstützung dieser Schülervorstellung liegt nahe. Eine Darstellung der globalen Knotenregel könnte diese Gefahr mindern. Dafür kann wie in Abb. 2.5 ein Volumen um bestimmte Bauteile der Schaltung gelegt werden, auf dessen Oberfläche so viel Strom nach innen zeigt wie nach außen und damit kein Strom verbraucht wird.
4 Lokale Argumentation: Schüler betrachten nur lokal eine Verzweigung und teilen den Strom gleich-
mäßig auf die ausgehenden Pfade auf, anstatt den restlichen Stromkreis und die Widerstände darin zu berücksichtigen.
50
2 Der elektrische Strom
IG
I1
I2 ∂V
IG Abb. 2.5 Stromkreis mit Parallelschaltung und Reihenschaltung. Es wird der Strom (rot) I d a durch die geschlossene Oberfläche (grau) ∂ V betrachtet. Dabei muss für jede Oberfläche gelten I∂ V = 0. Bei dieser Betrachtung handelt es sich um eine Verallgemeinerung der Knotenregel
2.3.4
Ladungen und Ladungsträger
Die Begriffe Ladung und Ladungsträger wurden schon in Abschn. 1.3.2 des vorherigen Kapitels und hier in Abschn. 2.2.5 diskutiert. In diesem Abschnitt werden noch einige für den elektrischen Strom spezifische Aspekte ergänzt. Wie an den eben genannten Stellen erläutert, handelt es sich bei Ladungen und Ladungsträgern um unterschiedliche Konzepte. Im einfachsten Fall kann man die formale Unterscheidung Q für Ladung und N für Ladungsträger/Teilchen treffen. Eine Vermischung dieser beiden Größen ist an der Schule genauso kritisch einzuschätzen wie an der Hochschule. Es ist nicht offensichtlich, weshalb in der Schule eine mikroskopische Vorstellung so stark bevorzugt wird. Wie M. Pohlig sehr treffend anmerkt: „Die Tatsache, dass Maxwell eine geschlossene Theorie der Elektrodynamik schaffen konnte, ohne Elektronen und andere Ladungsträger zu kennen, sollte uns zu denken geben, vor allem, wenn wir heute so tun, als könne man die elektrische Stromstärke nur dann verstehen, wenn man in ihr die Ströme von Elektronen sieht“ ([26], S. 8). Wie in Abschn. 2.1.1 beschrieben, verlangen wirklich nahezu alle derzeitigen Lehrpläne, dass Schüler den elektrischen Strom anhand eines mikroskopischen Modells erlernen, und zwar als Ladungsträgerstrom. In Lehrplänen wird dies damit begründet, dass das Umschalten zwischen makroskopischer und mikroskopischer Ebene eine unverzichtbare Methode der Erkenntnisgewinnung sei. Die Darstellungsweise in den Schulbüchern scheint jedoch die mikroskopische zu bevorzugen und stellt sie damit nahezu als Tatsache und gesicherte Erkenntnisse dar, was sich auch in den Vorstellungen von Schülern widerspiegelt ([29], S. 153). In den Kursen der Hochschule sind diese beiden Ebenen zunächst getrennt. Geht es um Elektrodynamik, so gibt es nur das Konzept der (fließenden) Ladung. Erst wenn dieses (abstrakte) Konzept verinnerlicht ist, wird beispielsweise in der Festkörperphysik eine mögliche mikroskopische Beschreibung angegeben. Diese Reihenfolge stellt jedoch keine Hierarchie dar, wie es in Schulbüchern und Lehrplänen leicht erscheint. Die Betrachtung des Ladungsträgertransports in Metallen und Halbleitern löst die
2.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
51
Beschreibung des ampereschen Gesetzes mit einem Ladungsstrom nicht ab. Im besten Falle erweitert sie diese, aber auch nur dann, falls es zweckmäßig ist.5 Kritisch muss man Lehrpläne beurteilen, in denen der elektrische Strom ausschließlich durch bewegte Elektronen/Ladungsträger konzeptualisiert wird. Damit wird nur ein Teilchenstrom beschrieben, aber kein Ladungsstrom/elektrischer Strom. Man könnte anmerken, dass eine (abstrakte) physikalische Größe wie Ladung nicht fließen kann, sondern nur ein Körper (also Teilchen). Dazu merkt F. Herrmann an, dass mit fließender Ladung ein Stoffmodell impliziert wird ([16], S. 5). Dieser Modellstoff ist ein kontinuierliches Fluidum mit der Eigenschaft Ladung(sdichte). Dieser Modellstoff steht gedanklich hinter der Kontinuumstheorie des elektrischen Stroms. Eine angemessene Beschreibung eines Ladungsträgertransports müsste dagegen quantenmechanisch durchgeführt werden, oder dazu anschlussfähig sein, und nicht über ein klassisches Teilchenmodell erfolgen. Jedoch auch eine entsprechende Beschreibung für Metalle wäre ein sehr abstraktes Modell, das trotzdem nicht erlaubt, jeglichen Ladungstransport verschiedener Ionen auf die gleiche Art darzustellen. Es handelt sich folglich bei einer mikroskopischen Beschreibung nicht um eine allgemeine Lösung. Zusammenfassend ist zu sagen, dass im Bezug auf Ladung und Ladungsträger vor allem die konsequente Trennung dieser beiden Konzepte wichtig ist und erst an zweiter Stelle ihr Zusammenhang diskutiert werden sollte. Dann können Probleme in den beiden Gebieten Elektrodynamik und Festkörperphysik6 einfach und sinnvoll dargelegt und erörtert werden. Das gilt für die Schule genauso wie für die Hochschule.
2.3.5
Das Auf- und Abfließen von Ladung
Als abstraktes Konzept birgt die elektrische Ladung und ihre Bewegung als Strom eine Kuriosität. Dieser Abschnitt soll lediglich einer Reflexion dieser Kuriosität dienen und soll zum Nachdenken anregen. Ausgangspunkt ist die Modellierung des elektrischen Stroms in Form eines Stoffmodells, eines Fluidums, wie beispielsweise bei Herrmann beschrieben [16]. Man kann sich dazu die Frage stellen, welche konkreten Modelleigenschaften und -vorstellungen dieses Fluidum besitzen soll und wie intuitiv es vorzustellen ist. Denkt man an eine Flüssigkeit, an ein Gas oder sogar an so etwas Abstraktes wie Energie, dann kann man sich vorstellen und manchmal sogar wahrnehmen, dass es einen Strom der entsprechenden Körper oder Größen gibt. Beispielsweise von einem Behälter bewegt es sich in einen anderen Behälter. Es handelt sich jeweils um Stoffe (oder Modelle von Stoffen), die entweder vorhanden oder nicht vorhanden sind oder in verschiedenen Konzentrationen vorliegen. 5 Genauso wenig löst das Standardmodell der Elementarteilchenphysik die Beschreibung eines senkrechten Wurfs mit newtonscher Mechanik ab. 6 In manchen Schulbüchern gibt es die Unterteilung in Elektrizitätslehre und Aufbau der Materie.
52
2 Der elektrische Strom
Die Größe Ladung kann nicht nur vorhanden und nicht vorhanden sein, sondern kann auch negativ vorhanden sein. Historisch wurde dieser Sachverhalt auch mit einem Modell zweier Fluida beschrieben. Beide sind in Körpern gleichermaßen vorhanden. Verschiebt sich ihr Gleichgewicht, ist der Körper entweder positiv oder negativ geladen. Die zwei verschiedenen Fluida könnte man als zwei Arten von Ladung interpretieren. Der Nachteil der Beschreibung durch zwei Arten von Ladung ist, wie oben schon erwähnt, dass die Größe Ladung nicht mehr leicht zu bilanzieren ist und es keine Kontinuitätsgleichung mehr gibt. Alternativ wurde die Ladung als ein einziges Fluidum konzeptualisiert, in Anlehnung an die Geldwirtschaft mit Guthaben und Schulden. Was dabei fließt, ist (positives) Geld, und entweder man hat einen Überschuss an Geld oder einen Mangel. Formal überträgt man nun diese Denkweise auf elektrische Ladung. Positive Ladung ist ein Überschuss an Ladung, negative ein Mangel. Was ist dabei die bildliche Vorstellung? • Möglichkeit 1: In jedem Körper ist eine Art Fluidum enthalten, und befindet sich dieses auf einem Normallevel, ist der Körper ungeladen, also neutral. Enthält ein Körper „mehr als normal“ ist er positiv geladen und bei „weniger als normal“ negativ. Bei dieser Vorstellung ergeben sich folgende Probleme: Ist das Fluidum selbst die Ladung oder ist Ladung nur die Differenz zum Normalwert des Fluidums? Könnte die schon vorhandene Menge an Fluidum ganz aus einem Körper gedrückt werden? Was ist der „Normaldruck“ von außen? • Möglichkeit 2: In jedem Körper sind zwei Fluida vorhanden mit den entsprechenden Dichten ρ+ und ρ− . In einem neutralen Leiter ist dann ρges = ρ+ + ρ− = 0, und eine elektrische Stromdichte wäre j = ρ+ v+ − ρ− v− . Abgesehen vom Ladungstransport in einem neutralen Leiter gibt es weitere Situationen, die sich anhand von einer Größe mit zwei Vorzeichen wie Ladung nur schwer vorstellen lassen. Betrachtet man zwei gleichartige leitende Kugeln wie in Abb. 2.6a, von denen eine elektrisch
a
c
b
d
e
Abb. 2.6 Zwei getrennte, identische Leiterkugeln, wovon eine die Ladung Q 1 = −2 C trägt und die andere Q 2 = 0 (a), werden aneinander geführt (b), so dass ein elektrischer Strom j zu einem Ladungsausgleich führt (c) und beide Kugeln die Ladung Q 1 = Q 2 = 1 C tragen. Ob sich dabei positive Ladungen ρ+ von der neutralen Kugel auf die negativ geladene bewegen (d), oder negative Ladungen ρ− auf die neutrale Kugel bewegen (e), kann nicht gesagt werden und spielt innerhalb der Elektrodynamik keine Rolle
2.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
53
neutral und die andere negativ geladen ist, so sind die Kugeln nach dem Berühren beide gleich negativ geladen. Dieser Anfangs- und Endzustand ist im Allgemeinen für die physikalische Beschreibung ausreichend. Für den Sprachgebrauch einer erklärenden Beschreibung des Vorgangs stellt sich allerdings eine Frage: Von welcher Kugel fließt Ladung ab und auf welche fließt Ladung drauf? Wie die Bilderreihe in Abb. 2.6a–e andeutet, gibt es für die Frage keine eindeutige Antwort: Fließt positive Ladung von der neutralen Kugel auf die negative oder negative Ladung von der negativen auf die neutrale? Die Bewegung der abstrakten Größe Ladung in Worte zu fassen, ist sehr schwierig. Eine einfache Möglichkeit der Beschreibung durch unsere Sprache gibt es nicht. Eine Änderung der Ladung an einem Ort geht zwar nur durch einen elektrischen Strom, und formal gilt j = ρ v und I = dQ/dt, trotzdem kann das verbal nicht durch eine Bewegung einer Ladung einfach beschrieben werden, ohne Einschränkungen zu machen. Dieses Dilemmas muss man sich bewusst sein, wenn man Ladung und Strom im Unterricht einführt. Begegnen kann man diesem Problem beispielsweise, indem man es offen im Unterricht anspricht und anschließend entweder einen lapidaren Sprachgebrauch zulässt oder eine Festlegung durch die Beträge oder die Stromrichtung einführt. Gerade in diesem Zusammenhang wirkt eine mikroskopische Beschreibung mit Elektronen verführerisch. Dies birgt allerdings nicht nur die im vorherigen Abschnitt beschriebenen Probleme, sondern umgeht auch die eigentliche Aufgabe des Unterrichts, eine funktionierende Vorstellung von Ladung als eine Größe mit verschiedenen Vorzeichen und einem damit verbundenen Strom zu vermitteln.
2.3.6
Die leidige Stromrichtung und die mikroskopische Stromdeutung
Stromrichtung und mikroskopischen Deutung wurden in Abschn. 2.2.5 fachlich diskutiert. In diesem Abschnitt werden die Inhalte der Schulbücher in diese Diskussion mit aufgenommen. Zusammengefasst kann man sagen, dass durch die Definition der Ladung Q als mengenartige Größe mit dazugehöriger Ladungsdichte ρ, Stromdichte j = ρ v und Strom a innerhalb einer Kontinuumstheorie alles geklärt ist. Die stärke I = dQ/dt = A j · d Stromrichtung ist die Richtung des Vektors j. Ein Ladungsträgerstrom ist dagegen ein Teilchenstrom, kein Ladungsstrom, und der Zusammenhang zwischen diesen beiden Größen ist in den Gl. (2.16) dargestellt. Die sogenannte technische Stromrichtung ist die elektrische Stromrichtung, wie man sie aus der Theoretischen Physik kennt. Die tatsächliche, physikalische oder Elektronenstromrichtung ist eine Teilchenstromrichtung und nicht die elektrische Stromrichtung. Der vorherige Abschnitt deutet mögliche Gründe für Schwierigkeiten mit der elektrischen Stromrichtung an – Ladung kann verschiedene Vorzeichen besitzen. Das bedeutet auch, dass ein elektrischer Strom zwar die Bewegung von Ladung ist, wie man in fast jedem Lehr- und
54
2 Der elektrische Strom
Schulbuch liest, die Stromrichtung entspricht jedoch nicht zwangsläufig der Richtung der bewegten Ladung. Bei Pohlig ([26], S. 8)7 findet sich das folgende Argument. Wenn an einer · j > 0. Diese Ungleichung Stelle die Ladungsdichte abnimmt ∂ρ/∂t < 0, so gilt dort ∇ wird in Worten als Abfließen der Ladung wiedergegeben, und man schlussfolgert, dass sich die Bewegungsrichtung elektrischer Ladung aus der Theorie erschließt und sie keiner Konvention unterliegt. Im Kern ist diese Aussage korrekt, im Detail muss sie jedoch differenzierter betrachtet werden. Nur falls eine positive Ladung angenommen wird, zeigt der entsprechende Geschwindigkeitsvektor v = j/ρ von der betrachteten Stelle weg, sodass man von „ab“fließen sprechen kann. Der Wert der Ladung an einer Stelle kann jedoch auch abnehmen, indem sich negative Ladung dorthin bewegt. Die Bewegungsrichtung einer Ladung muss nicht identisch mit der elektrischen Stromrichtung sein. Die Eindeutigkeit der Stromrichtung geht nicht mit der Eindeutigkeit der Bewegungsrichtung der Ladung einher. Das hat eine weitere Folge: Kennt man die Ladungsverteilung ρ und ihre Geschwindigkeit v, so kann daraus die elektrische Stromdichte j durch den Zusammenhang j = ρ v abgeleitet werden. Dagegen kann aus einem bekannten Strom und der Stromdichte j nicht auf die Ladungsverteilung und ihre Geschwindigkeit, also auf ihre Bewegung, geschlossen werden. Das spielt jedoch physikalisch keine Rolle. Genau das ist auch die Erkenntnis, die man in der Schule durch die Betrachtung des Stromflusses in verschiedenen Medien (siehe z. B. Abb. 2.3), beispielsweise in Salzlösungen oder Metallen, gewinnen soll: Der elektrische Strom und seine Richtung ist durch den Antrieb in einem Stromkreis fest vorgegeben – von Plus nach Minus – die einzelnen Ladungen bzw. Ladungsträger fließen darin gemäß des Vorzeichens ihrer jeweiligen Ladung. Man kann abschließend sagen, dass sich in der Elektrodynamik die Frage nicht stellt, welche Ladung sich wie bewegt. Das Ergebnis, der elektrische Strom und seine Richtung, ist über den Antrieb durch die Elektrizitätsquelle immer eindeutig vorgegeben.
2.3.7
Bildliche Darstellungen
In den vorherigen Abschnitten wurden die Schwierigkeiten diskutiert, den elektrischen Strom in einem Stoffmodell wiederzugeben oder mit bestimmten Ladungsträgerbewegungen gleichzusetzen. Es stellt sich damit auch die Frage nach einer sinnvollen bildlichen Darstellung. Bücher der Theoretischen Physik und die meisten experimentellen Lehr- und Schulbücher verzichten bei der Einführung des elektrischen Stroms auf Abbildungen mit Ladungsträgern. Dennoch gibt es Schulbücher [5, 9, 10], die der Abstraktheit und Unanschaulichkeit des
7 Dieser Artikel eignet sich sehr gut zur weiterführenden Auseinandersetzung mit der Problematik der Stromrichtung im Bezug auf die Kontinuumstheorie.
2.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
55
elektrischem Stroms mit plakativen Bildern von bewegten Ladungsträgern und vor allem Elektronen begegnen, um zu veranschaulichen, was beim elektrischen Strom fließe.8 In der restlichen Literatur werden Pfeile für den elektrischen Strom bzw. dessen Richtung an sehr dünnen Drähten gezeichnet (Abb. 2.7a). Erweitert wird die Darstellung beispielsweise dadurch, dass der Breite eines Strompfeils die Bedeutung der Stromstärke zukommt (Abb. 2.7b). Erst nach der Einführung des elektrischen Stroms und der Stromstärke, und zwar getrennt davon, wird in diesen Schulbüchern eine Darstellung mit Ladungsträgern als ein mikroskopisches Modell von Transportvorgängen angegeben. Man geht dabei von einer phänomenologischen, messbaren Größe (elektrischer Strom) zu einer abstrakten Modellvorstellung (mikroskopischer Transport) über. Soll zur Einführung der elektrische Ladungsstrom in einem ausgedehnten Leiter betrachtet werden, so bietet sich aus fachlicher Sicht eine Veranschaulichung der elektrischen Stromdichte durch „Stromlinien“, also Feldlinien der Stromdichte, wie bei Pohlig [26] an (ähnlich Abb. 2.8). Solche Abbildungen – sogenannte Feld-/Stromliniendarstellungen – werden ohnehin im Zusammenhang mit elektrischen und magnetischen Feldern besprochen. In Bergmann/Schaefer ([27], S. 42 f.) werden eingefärbte Stromlinien strömender Flüssigkeiten genutzt, um Feldlinien zu veranschaulichen. Es handelt sich dabei also um eine Visualisierung, die man mit Strömungen in Verbindung bringt. Genau wie die Dichte der Feldlinien proportional zur Stärke des Feldes ist, gibt die Dichte der Stromlinien die Stärke des Stroms an. Die Anzahl der Stromlinien in einer Querschnittsfläche ist proportional zur Stromstärke, was formal der Integration der Stromdichte über diese Fläche entspricht.
b
a
IG
IG I1
I2
I1
I2
Abb. 2.7 Darstellungsvarianten des elektrischen Stroms in Stromkreisen mit Pfeilen. Häufig werden in den Schulbüchern kurze Pfeile neben die Leitungen gezeichnet, die nur die Richtung anzeigen (a), oder dicke Pfeile über den gesamten Stromkreis, deren Dicke die Stromstärke repräsentiert (b) 8 Zur Erinnerung: Bewegte Ladungsträger reduzieren nicht die Abstraktheit des elektrischen Stroms. Ladungsträger sind nicht identisch mit der Größe Ladung. Auch mikroskopische Ladungsträger sind erst dann anschaulich, wenn man sie kaum mehr fachgerecht oder anschlussfähig als Punkte vereinfacht.
56
2 Der elektrische Strom
Abb. 2.8 Leiterstück (grau) mit der elektrischen Stromdichte j, veranschaulicht durch (rote) „Stromlinien“. Durch die vier Querschnittsflächen (blaue Linien) A, B, C und D werden die Stromstärken (rote Linien) betrachtet I A = I B = IC + I D
IA
IB=IA
j
C
IC+ID=IA A
B D
Diese Darstellung hängt also eng mit den Darstellungen sowohl von Feldern als auch von Flüssigkeitsströmungen zusammen. Es handelt sich hierbei um Analogien und Querverbindungen zu anderen Gebieten, die zumindest für die hochschulische Lehre sinnvoll und förderlich erscheinen. Es ist naheliegend, das auch für den schulischen Unterricht zu vermuten.
2.4
Zusammenfassung
Schule • Der elektrische Strom wird zuerst im Bereich elektrischer Stromkreise eingeführt. • Eingeführt wird der elektrische Strom in der Schule anhand der sogenannten Wirkungen des elektrischen Stroms – Lichtwirkung, Wärmewirkung, magnetische Wirkung und chemische Wirkung. • Experimente sollen den mengenartigen Charakter der fließenden Ladung verdeutlichen sowie die grundlegende Funktionsweise eines Stromkreises. Dazu werden auch Analogiemodelle herangezogen. • Häufig wird mit mikroskopischen Modellen für den Strom gearbeitet. Hochschule • Der elektrische Strom ist die Bewegung von Ladung. Quantitativ beschrieben wird er durch die lokale Stromdichte j( r ) und die Stromstärke durch eine Fläche I A . • Der Zusammenhang der Stromdichte mit der Ladungsdichte ist durch die Kontinuitätsgleichung gegeben: ∂ρ ∂t + ∇ · j = 0
2.4
Zusammenfassung
57
• Die elektrische Stromstärke ist die Menge an elektrischem Strom durch eine Fläche A. Man berechnet sie gemäß der Gleichung a. I A = dQ dt = A j · d A
• Die integrale Version der Kontinuitätsgleichung für ein Volumen V und seine Oberfläche ∂ V lautet I∂ V = − Q˙ V . • Mit den obigen Formeln kann die elektrische Stromdichte als j = ρ v geschrieben und somit der elektrische Strom als Bewegung von Ladung interpretiert werden. • Aus der zeitunabhängigen Kontinuitätsgleichung des elektrischen Stroms ( Q˙ V = 0) mit der Einschränkung V → 0 folgt die Knotenregel
k Ik = 0.
Vergleich • Die Größen elektrische Ladung und elektrischer Strom sind abstrakte physikalische Größen. Ein stoffliches Modell zu diesen Größen ist sinnvoll, jedoch kann dies kein alltäglicher Stoff sein, da Ladung verschiedene Vorzeichen besitzen kann. Der elektrische Antrieb einer Elektrizitätsquelle gibt in einem Leiter den elektrischen Strom eindeutig vor. Welches Vorzeichen die möglichen beweglichen Ladungsverteilungen im Leiter haben und welche Bewegungsrichtung sich daraus ergibt, ist unbekannt und spielt innerhalb der Elektrodynamik keine Rolle. • Eine mikroskopische Beschreibung des elektrischen Stroms anhand verschiedener Ladungsträger gehört nicht in die Elektrodynamik, sondern in das Gebiet des Aufbaus der Materie. Verwendet man eine mikroskopische Beschreibung, muss man bedenken, dass Ladungsträgerströme keine elektrischen Ströme sind, sondern Teilchenströme. Teilchenströme hängen mit Ladungsströmen über die unterschiedlichen Teilchendichten, Teilchenladungen und Teilchengeschwindigkeiten zusammen. In einem Stromkreis mit verschiedenen Materialen können die verschiedenen Teilchenströme sehr unübersichtlich und inkonsistent wirken (siehe Abb. 2.3). Die Stromrichtung ist nicht immer identisch mit der Bewegungsrichtung der Ladung oder der Ladungsträger, aber durchgehend im gesamten Stromkreis.
58
2 Der elektrische Strom
• Die zeitunabhängige Kontinuitätsgleichung für beliebiges Volumen V kann als Hilfestellung dienen, um gegen die Vorstellung des Verbrauchs des elektrischen Stroms zu arbeiten und sich einen Überblick über den Stromfluss in einem komplexeren Stromkreis zu verschaffen ohne in eine lokale Argumentation zu fallen. • Die sogenannten Wirkungen des elektrischen Stroms kennzeichnen weniger die elektrische Stromstärke/die Bewegung der elektrischen Ladung, sondern vielmehr den Energiefluss durch einen elektrischen Stromkreis. Die Vermischung dieser beiden Konzepte – elektrischer Strom und Energiestrom – provoziert gerade die Schülervorstellungen, denen man in diesem Moment eigentlich zuvorkommen möchte. • Darstellungen von Modellvorstellungen zum mikroskopischen Stromfluss könnten Fehlvorstellungen fördern. Schematische Darstellungen mit Pfeilen und sogar Stromlinien in Leitern erscheinen fachgerechter und anschlussfähiger.
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3
Elektrisches Potential und Spannung
Inhaltsverzeichnis 3.1
Schulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Experimente aus Schulbüchern der Sekundarstufe I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Konzepte und Strukturen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Analogiemodelle für elektrische Stromkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Elektrische Spannung und Potential in Schulbüchern der Sekundarstufe II . . . . . . . 3.2 Hochschulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Einführung und Definition des elektrischen Potentials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Die elektrische Spannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Potential und Spannung in Stromkreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Die Maschenregel mit Widerständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Grundlegende Konzeptvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Vergleich der Sachstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Bedeutung von Spannung in Schule und Hochschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Spannung oder Potential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Spannung und Potential in Analogiemodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Mikroskopische Beschreibung des Widerstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.6 Stromstärke, Spannung und Leistung in Stromkreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.7 Elektrischer Strom in Leitern mit oder ohne Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62 62 62 66 70 72 75 76 79 82 83 85 88 88 90 92 93 94 95 97 98 99
In diesem Kapitel wird die Einführung des elektrischen Potentials und damit eine erste Bedeutung der elektrischen Spannung besprochen. Dieses Kapitel ist aufgrund des Themas selbst und der Verschiedenartigkeit seiner Darstellung in der Sekundarstufe I, II und der Hochschule sehr umfangreich. In der Sekundarstufe I wird überwiegend die Spannung verwendet, das elektrische Potential wird oft erst in der Sekundarstufe II eingeführt und steht dann im Vordergrund. In der hochschulischen Fachsystematik wird vornehmlich das © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4_3
61
62
3 Elektrisches Potential und Spannung
Potential behandelt. Jedoch müssen auch in der hochschulischen Physik die Begriffe Spannung und Potential differenziert betrachtet und voneinander abgegrenzt werden. Im Zusammenhang mit der Darstellung der Spannung in der Sekundarstufe I werden in diesem Kapitel alle weiteren Aspekte zu Stromkreisen angesprochen, die elektrische Leistung, der elektrische Widerstand und ein Überblick der Analogiemodelle zu Stromkreisen.
3.1
Schulübliche Darstellung
3.1.1
Themenüberblick anhand von Lehrplänen
In den Lehrplänen der Länder wird eine Einführung der elektrischen Spannung in der Sek. I im Zusammenhang mit Stromkreisen vorgegeben. Der Zeitpunkt der Einführung variiert jedoch zwischen der 7. und 9. Jahrgangsstufe, obwohl Stromkreise fast immer am Anfang der Sek. I das erste Mal besprochen werden. Lediglich erwähnt wird die Spannung als Kennzahl einer Elektrizitätsquelle dagegen oft direkt mit den Stromkreisen, und zwar noch vor dem siebten Schuljahr. Es werden nur selten Vorgaben dazu gemacht, wie die elektrische Spannung eingeführt werden soll. In einfachen Stromkreisen soll die elektrische Spannung als Antrieb (Ursache) [23, 27, 29, 30, 38] für den elektrischen Strom dargestellt werden, dem der elektrische Widerstand entgegenwirkt. Sehr selten wird eine quantitativere Einführung der elektrischen Spannung in Verbindung mit der Arbeit/Energie gefordert. Die elektrische Spannung wird dabei entweder in Verbindung mit der Formel E = U I t [34] als übertragene Energie pro Elektron gesehen, oder mit der Formel U = Wel /Q [28] als Arbeit (mechanische Änderung der Energie), die notwendig ist, um eine gewisse Menge Ladung zu trennen. Wie bei den Stromkreisen generell werden auch zur Beschreibung der Spannung von den Kultusministerien Analogiemodelle gewünscht [28, 29, 38, 39]. Besondere Erwähnung finden dabei Wasserkreismodelle und die gewünschte Verwendung der Analogie zwischen der elektrischen Spannung und dem Druckunterschied im Wasser. Nur in sehr wenigen Fällen findet sich der Wunsch, die elektrische Spannung schon in der Sek. I in Verbindung mit dem elektrischen Potential einzuführen [29, 30]. Das kehrt sich in der Sek. II um, wo es nur selten vorkommt, dass das elektrische Potential nicht in der Elektrostatik besprochen werden soll [23, 26, 41].
3.1.2
Experimente aus Schulbüchern der Sekundarstufe I
In diesem Abschnitt wird eine Zusammenstellung von Experimenten aus Schulbüchern gegeben, die zur Veranschaulichung der Spannung und des Potentials dienen. Tab. 3.1 liefert zusätzlich eine Übersicht zu den Experimenten und dem Zusammenhang, in dem die Spannung/das Potential präsentiert wird.
3.1
Schulübliche Darstellung
63
Tab. 3.1 Übersicht über Experimente zur elektrischen Spannung und konzeptueller Zusammenhang, in dem die Spannung darin dargestellt wird Experiment
Zusammenhang
(a)
Experiment mit zwei verschiedenen (Widerständen) Tauchsiedern: Gleiche Stromstärke bei unterschiedlichen Spannungen führt zu unterschiedlich schnellem Aufheizen.
Energie/Leistung
(b)
Plattenkondensator laden, Arbeit an Ladungen Plattenabstand variieren und Einfluss auf Spannung messen
(c)
Stromstärke und Spannung in Stromkreisen
(d)
Bauen von Spannungsquellen aus Apfel, Phänomenologisches Gurkenwasser, Zitrone, Kartoffel und Verständnis/Erzeugung verschiedenen Metallen
(e)
Langer Draht (mit großem Widerstand), Potentialdifferenz bei dem zwischen verschiedenen Stellen die Potentialdifferenz gemessen wird
(f)
Experimente mit Handgenerator: Untersuchen von Kraft und Geschwindigkeit an unterschiedlichen Schaltungen
Phänomenologisches Verständnis
Energie/Leistung
(a) Man heizt mit zwei Tauchsiedern unterschiedlichen Widerstands zwei Wassermengen der gleichen Masse und Anfangstemperatur bei gleicher Stromstärke auf. Man beobachtet, dass das Aufheizen um so schneller geschieht, je höher die angelegte Spannung ist (siehe Abb. 3.1a). Dabei wird die elektrische Spannung im Zusammenhang mit der übertragenen Energie beziehungsweise mit der umgesetzten Leistung dargestellt. Ergänzt man dieses Experiment durch den analogen Versuch mit gleichen Spannungen und unterschiedlichen Stromstärken, kann der vollständige Zusammenhang mit der elektrischen Leistung nahegelegt werden. Etwas einfacher, aber weniger quantitativ, kann der Versuch mit Lampen anstelle von Tauchsiedern durchgeführt werden. Verglichen wird dabei die Helligkeit der Lampen. (b) Man lädt einen Plattenkondensator mit einem kleinen Plattenabstand, trennt die Platten von der Elektrizitätsquelle und entlädt sie über ein Glimmlämpchen oder eine LED. Man beobachtet ein schwaches Aufleuchten. Nach erneutem Aufladen und Trennen der Elektrizitätsquelle vergrößert man den Plattenabstand, bevor man ihn erneut durch ein Lämpchen entlädt. Man beobachtet ein stärkeres Aufblitzen (siehe Abb. 3.1b). In einer Variation des Experiments wird der Plattenkondensator aufgeladen und mit einem Spannungsmessgerät mit sehr hohem Innenwiderstand (bspw. Elektroskop) ver-
64
a
3 Elektrisches Potential und Spannung
T T1
U1 A
U2
T2 t
b
A
V T1
T2
Abb. 3.1 Experimente zur Spannung in Schulbüchern. (a) Unterschiedliche Spannung bei gleicher Stromstärke führt zu unterschiedlicher Energieübertragung. (b) Wird der Plattenabstand eines geladenen Plattenkondensators vergrößert, so vergrößert sich die Spannung zwischen den Platten. Auszeichnung entsprechend Tab. 3.1
bunden. Ändert man den Plattenabstand, so ändert sich die Spannung am Messgerät. Bei diesem Versuch soll die Spannung im Zusammenhang mit der verrichteten Arbeit (Änderung der potentiellen Energie) an Ladungen verdeutlicht werden. Es muss dabei plausibel sein, dass zwischen den Ladungen Kräfte wirken und man beim Trennen der Ladungen, also beim auseinander ziehen der Platten, Arbeit aufwendet. (c) An (einfachen) Schaltungen werden Spannung und Stromstärke gemessen, um diese Größen sehr direkt und realistisch darzustellen. In solchen Experimenten können verschiedene Eigenschaften und Inhalte vermittelt werden (siehe Abb. 3.2c).
U
c
e
A U
V
V
d
Cu
Fe
Abb. 3.2 Experimente zur Spannung in Schulbüchern. (c) Spannungsmessung in einfachem Stromkreis. (d) Spannungserzeugung mit einer selbstgebauten Zitronenbatterie. (e) Variabler Spannungsabgriff an einem stromführenden Konstantandraht. Auszeichnung entsprechend Tab. 3.1
3.1
Schulübliche Darstellung
65
Die Spannung (der Elektrizitätsquelle) als Antrieb für den elektrischen Strom kann bei festem Widerstand der Schaltung plausibel gemacht werden, indem die Abhängigkeit der Stromstärke von der angelegten Spannung untersucht wird. In weiteren Experimenten an Schaltungen mit mehreren Lämpchen/Widerständen wird geübt, wie man Spannungen zwischen verschiedenen Stellen in der Schaltung misst, und zwar im Gegensatz zur Messung der Stromstärke an bestimmten, einzelnen Stellen. In diesen Experimenten geht es vor allem um ein phänomenologisches Verständnis der Spannung in Stromkreisen und das Einüben des sinnvollen Umgangs mit Messgeräten. Diese Art von Experimenten ist oft der einzige Hinweis in den Schulbüchern darauf, dass die Spannung nicht nur durch die Spannungsquelle vorgegeben, sondern zwischen beliebigen Punkten einer Schaltung vorhanden ist. (d) Eigene Spannungsquellen können selbst gebaut werden. Dabei werden jeweils verschiedene Metalle in ionenhaltige, wässrige Körper gebracht. Das sind üblicherweise Äpfel, Gurkenwasser, Zitronen und Kartoffeln (siehe Abb. 3.2d). Abhängig von der Stellung der beiden Metalle in der elektrochemischen Spannungsreihe herrscht eine Spannung in der Größenordnung von einem Volt zwischen den Elektroden. Dieser Versuch dient nur in geringem Maße dem Verständnis der elektrischen Spannung. Neben möglichen Einflüssen auf das Interesse und die Motivation von Schülern wird damit vor allem der technische Aufbau von Batterien und Akkumulatoren veranschaulicht. (e) Man legt eine bestimmte Spannung an einen langen, nicht isolierten Draht mit endlichem Widerstand so an, dass die Stromstärke nicht zu groß wird. Mit einem Spannungsmessgerät wird zwischen zwei beliebigen Punkten des Drahtes die Spannung gemessen (siehe Abb. 3.2e). Die gemessene Spannung variiert abhängig von der Länge des dazwischen liegenden Drahtes. Dieses Experiment findet sich im Zusammenhang mit der Darstellung des Potentials, das einen bestimmten Verlauf besitzen kann. Der Potentialunterschied zwischen zwei beliebigen Punkten ist die gemessene Spannung. (f) Experimente mit Handgeneratoren zur Spannungserzeugung finden sich nicht nur in Schulbüchern, sondern werden beispielsweise auch von Muckenfuß und Walz ([31], S. 33 f., 113, 122) vorgeschlagen. Schüler sollen bei einem solchen Versuch Lampen in verschiedenen Schaltungen gleich hell leuchten lassen. Es handelt sich dabei für gewöhnlich um drei Schaltungen – einfacher Stromkreis mit Lampe, Reihenschaltung mit zwei Lampen und Parallelschaltung mit zwei Lampen (Abb. 3.3). Anschließend vergleicht man die aufzuwendende Kraft und die Geschwindigkeit am Generator zwischen den verschiedenen Schaltungen. Um die gleiche Leuchtkraft zu erreichen, benötigt man bei der Reihenschaltung die gleiche mechanische Kraft aber eine größerer Geschwindigkeit als bei einer Lampe, bei der Parallelschaltung mehr Kraft aber die gleiche Geschwindigkeit.
66
3 Elektrisches Potential und Spannung
f
F
I U
v
F
v
I 2xU
F
v
2xI U
Abb. 3.3 Experimente zur Spannung in Schulbüchern. (f) Ein Stromkreis mit Lämpchen wird mit einem Handgenerator betrieben. Um die doppelte Spannung zu erreichen, muss bei gleicher Kraft doppelt so schnell gekurbelt werden. Um die doppelte Stromstärke zu erreichen, muss mit doppelter Kraft gekurbelt werden. Auszeichnung entsprechend Tab. 3.1
In diesem Versuch geht es nicht nur um die Spannung alleine, sondern um das Zusammenspiel aus Stromstärke und Spannung zur Energieübertragung. Es wird dabei der Zusammenhang P = U I phänomenologisch und haptisch verdeutlicht, um eine daraus abgeleitete Vorstellung für die Spannung zu entwickeln. Für Muckenfuß und Walz steht bei Experimenten im Vordergrund, dass abstrakte elektrische Größen wie Stromstärke, Spannung und übertragene Energie erfahr- und erlebbar gemacht werden.
3.1.3
Konzepte und Strukturen in Schulbüchern
Das Konzept der elektrischen Spannung in Schulbüchern Von den beiden Größen, dem elektrischen Potential ϕ und der elektrischen Spannung U , ist das Potential in der Elektrostatik der Hochschule die wichtigere Größe. An der Schule wie im Alltag, im Elektrohandwerk und in der Elektrotechnik steht dagegen für gewöhnlich die Spannung im Vordergrund. Nur in großen Ausnahmen findet sich auch in Schulbüchern der Sek. I ein Einstieg zusammen mit dem elektrischen Potential, was in einem folgenden Abschnitt genauer betrachtet wird. Die Spannung gilt als ein sehr schwieriges Konzept, mit dem Schüler große Lernschwierigkeiten haben ([37], S. 118 ff.). In den meisten Schulbüchern/Schulbuchreihen wird deshalb das Konzept Stück für Stück aufgebaut. Man spricht auch von einem „spiralförmigen Aufbau“ des Curriculums über die Jahrgangsstufen hinweg. Es wird oft schon in der Grundschule erwähnt, dass die Spannung als Voltzahl eine Elektrizitätsquelle wie eine Batterie charakterisiert. Die erste erklärende Definition erfolgt in der Sekundarstufe I. In den meisten Schulbüchern wird die elektrische Spannung U als Stärke des Antriebs des elektrischen Stroms im Stromkreis durch die Elektrizitätsquelle [1, 5, 7, 12, 15, 24, 32] eingeführt. Es handelt sich also um eine bloße Eigenschaft der Elektrizitätsquelle.
3.1
Schulübliche Darstellung
67
Die Spannung wird dabei häufig in Zusammenhang mit der verfügbaren/potentiellen Energie oder der elektrischen Leistung gebracht [1, 3–5, 12, 14]. Grundlage dafür sind die Formeln E ( pot) P E U= und U = = . (3.1) q I t I In manchen Büchern wird ein solcher Zusammenhang explizit angegeben und stellt die erste mathematische Einführung dar. Leider wird dabei häufig nicht erwähnt, dass es sich um die Änderung, ein Delta einer Größe handelt. Mögliche textliche Formulierungen finden sich vor allem für die Formel mit der elektrischen Stromstärke. Die Spannung einer Energiequelle gibt an, wie viel Energie die Quelle pro Sekunde bei einer bestimmten Stromstärke abgeben kann. Die Spannung U ist definiert als der Quotient aus Energiestromstärke (Leistung) P und der elektrischen Stromstärke I . ([3], S. 10)
In den folgenden Unterrichtseinheiten oder den folgenden Jahrgangsstufen wird der Begriff der Spannung verallgemeinert als eine Größe, die zwischen zwei beliebigen Punkten eines Stromkreises auftritt. In wenigen Schulbüchern wird die Spannung nicht erst als Kenngröße der Elektrizitätsquelle, sondern direkt für einen Stromkreis verallgemeinert eingeführt [1, 32]. In vielen anderen Büchern findet diese Verallgemeinerung der Spannung nur sehr implizit in vorgeführten Experimenten statt oder bei der Besprechung der Maschenregel [2, 4, 5, 7, 12, 15, 24]. In der Sekundarstufe II wird der Begriff Spannung in Verbindung mit dem elektrischen Potential weiter verallgemeinert. Der Begriff der Spannung zwischen zwei Punkten in einem Stromkreis wird erweitert durch das ortsabhängige Potential in einem beliebigen elektrostatischen Feld, wobei die Spannung die Potentialdifferenz ist. In Abschn. 3.1.5 wird das genauer ausgeführt. Ein Überblick über diese stetige Erweiterung des Spannungsbegriffs über die verschiedenen Jahrgangsstufen hinweg ist in Abb. 3.4 dargestellt. Das elektrische Potential in Schulbüchern der Sekundarstufe I Die Einführung des elektrischen Potentials in der Sekundarstufe I in Stromkreisen vor oder mit der Spannung ist zwar eine Ausnahme in den Schulbüchern, jedoch interessant für die Diskussion der Frage, welches Konzept sinnvoller in der Schule ist: Spannung oder Potential. Nur in wenigen Schulbüchern [1, 7, 32] wird mit dem elektrischen Potential in der Sekundarstufe I gearbeitet. Eine Einführung erfolgt in den Schulbüchern ausschließlich über Analogien zu entsprechenden Größen anderer mechanischer Systeme. Ohne den kommenden Abschnitt zu Analogiemodellen vorwegzunehmen, sind die dabei verwendeten analogen Größen zum elektrischen Potential und Potentialunterschied beispielsweise die Höhe und der Höhenunterschied (potentielle/Gravitations-/Lageenergie) oder Druck und Druckunterschied (potentielle Energie durch Kompression).
68
3 Elektrisches Potential und Spannung
Entwicklung des Begriffs der elektrischen Spannung Primarstufe
Kennwert auf Elektrizitätsquellen
Eigenschaft einer Elektrizitätsquelle (zwischen deren Anschlüssen) Sekundarstufe I Eigenschaft zwischen zwei beliebigen Punkten in einem Stromkreis
Sekundarstufe II
Eigenschaft zwischen zwei beliebigen Punkten in einem elektrischen Feld
Abb. 3.4 Ein Spiralcurriculum am Beispiel der schrittweisen Einführung und Erweiterung des Spannungsbegriffs über die Jahrgangsstufen hinweg
Jedem Punkt im Stromkreis wird gemäß der verwendeten Analogie ein Potentialwert ϕ zugeordnet. Eine Potentialdifferenz ϕ wird Spannung genannt und stellt den Antrieb des elektrischen Stroms dar. Einzelne, absolute Potentialwerte sind nicht von Bedeutung, sondern nur Potentialunterschiede. Der frei wählbare Potentialnullpunkt wird entweder im Zusammenhang mit dem gewählten Analogiemodell besprochen oder als schlichte Tatsache eingeführt. Das Potential in einem Stromkreis wird nicht nur als Höhenprofil dargestellt. In Universum Physik 1 ([7], S. 268 ff.) wird beispielsweise eine Farbkodierung für Potentialwerte dargestellt. Diese wird im Allgemeinen passend zu den Farben an Spannungsquellen und -messgeräten gewählt; blau für Kabel auf niedrigem (Null-)Potential und rot für Kabel auf hohem Potential. Für dazwischen liegende Potentialwerte werden andere Farben wie grün gewählt. Ist ein Potentialverlauf bekannt, wird sehr leicht deutlich, dass eine Potentialdifferenz, also die Spannung, nicht nur einer Spannungsquelle, sondern zwei beliebigen Punkten in einem Stromkreis zugeordnet werden kann. Der elektrische Widerstand und die Leistung Der elektrische Widerstand wird hier nur als Unterabschnitt innerhalb des Kapitels zur elektrischen Spannung präsentiert. Der inhaltliche Umfang ist relativ gering, sodass ein
3.1
Schulübliche Darstellung
69
eigenes Kapitel sehr kurz wäre. Die Besprechung des elektrischen Widerstands ist in den Schulbüchern eng mit der Einführung der Spannung verknüpft und erfolgt nahezu als eine Einheit. Die Stromstärke wird zuerst eingeführt und in dem Moment, in dem die Spannung eingeführt wird, kann auch der elektrische Widerstand konkret besprochen werden. So bildet er den Abschluss und eine Verbindung der grundlegenden Größen von Stromkreisen. Analog gliedert sich der elektrische Widerstand in dieses Kapitel ein. Hinführend zum elektrischen Widerstand sind häufig Kennlinien aus Strom und Spannung. Es werden Kennlinien verschiedener leitender Stoffe betrachtet. Anhand der Kennlinien wird der elektrische Widerstand als die Größe eingeführt, die beschreibt, wie stark der Strom in den Leitungen und Bauteilen behindert wird. Eine formale Definition des Widerstands bei einer bestimmten Spannung U ist dann R=
U . I
(3.2)
Erst nachdem der spannungsabhängige Widerstand von verschiedenen Stoffen und Bauteilen besprochen ist, folgt das ohmsche Gesetz für eine ganz bestimmte Art von Kennlinien. Aus Duden Physik 7/8 ([15], S. 139): Für alle metallischen Leiter gilt unter der Bedingung, dass die Temperatur konstant ist: I ∼ U
Für eine Erklärung des Widerstands an sich und sein Temperaturverhalten wird bis auf wenige Ausnahmen [15] das Teilchenmodell herangezogen. Die Atomrümpfe werden dabei als große Kugeln in einem Gitter dargestellt und die Elektronen als kleine Kugeln, die sich dazwischen bewegen. Beim Anlegen einer Spannung bewegen sich die Elektronen im Mittel gerichtet, stoßen allerdings immer wieder mit den Atomrümpfen zusammen und werden von ihnen behindert. Stoßen Elektronen an Atomrümpfe, so übertragen sie Energie, die Atomrümpfe schwingen stärker um ihre Ruhelage und die Temperatur des Stoffes steigt. Besitzt ein Körper eine höhere Temperatur und bewegen sich die Atomrümpfe stärker, so stoßen Elektronen häufiger mit ihnen zusammen und der Körper hat einen größeren Widerstand. Dies ist ein übliches Erklärungsmuster zur Beschreibung der Kennlinie eines elektrischen Leiters, der nicht auf konstanter Temperatur gehalten wird. Ein Bauteil in einem Stromkreis kann nicht nur über seinen elektrischen Widerstand charakterisiert werden. In vielen Fällen ist es eine Leistungsangabe. Aus den oben beschriebenen Experimenten kann leicht der Zusammenhang zwischen den Größen in einem Stromkreis und der dabei umgesetzten Leistung plausibel gemacht oder direkt quantitativ bestimmt werden: P =U·I (3.3) Wie oben schon angesprochen wird dieser Zusammenhang von Leistung und Spannung in manchen Schulbüchern als Spannungsdefinition verwendet. Falls nicht, wird er spätestens im Zusammenhang mit dem elektrischen Widerstand angegeben.
70
3 Elektrisches Potential und Spannung
Eine Leistungsangabe auf einem Bauteil gibt also wie der elektrische Widerstand des Bauteils an, welche elektrische Stromstärke sich beim Anlegen einer bestimmten Spannung einstellt. Dies gilt allerdings im Allgemeinen nur bei der angegebenen Spannung. Widerstand und Leistung eines Bauteils können also ineinander umgerechnet werden und stehen in engem Zusammenhang.1 Damit sind alle wichtigen Größen für elektrische Stromkreise und Schaltungen eingeführt: • • • •
Die elektrische Stromstärke I Die elektrische Spannung U Die Leistung in elektrischen Stromkreisen P = U I Der elektrische Widerstand R = U /I
3.1.4
Analogiemodelle für elektrische Stromkreise
Analogiemodelle zu Stromkreisen werden schon zu Beginn des Themas Stromkreise in der Schule besprochen. Im Folgenden wird zunächst ein Überblick über verschiedene Modelle gegeben. In Anhang C werden die Analogiemodelle noch genauer beschrieben und diskutiert sowie die Analogien zu einzelnen Größen in elektrischen Stromkreisen dargestellt. (a) Geschlossener Wasserkreislauf (Abb. 3.5a): In einem geschlossenen Wasserkreislauf wird ein Wasserstrom durch eine Pumpe angetrieben. Ein Wasserrad stellt einen Widerstand dar und zeigt das Vorhandensein der Strömung. Der Wasserstrom repräsentiert den elektrischen Strom, der Druckunterschied, den die Pumpe erzeugt, ist die elektrische Spannung. Mit diesem Modell können auch Reihen- und Parallelschaltung wiedergegeben werden. (b) Offener Wasserkreislauf/Höhenmodell (Abb. 3.5b): Der offene Wasserkreislauf ist dem geschlossenen in vielen Dingen ähnlich. Jedoch ist der Antrieb des Kreislaufs, also die Analogie zur elektrischen Spannung, nicht direkt die Pumpe selbst, sondern der Höhenunterschied zweier Wasserreservoire. Die Pumpe sorgt dafür, dass die Reservoire ihren Füllstand halten. Reihen- und Parallelschaltung nachzubilden ist nur schwer möglich und ist stark vom konkreten Aufbau abhängig. (c) Fahrradkette/Keilriemen (Abb. 3.6c): Bei der Fahrradkette mit zwei Zahnrädern repräsentiert das angetriebene Zahnrad die Elektrizitätsquelle und die sich deswegen bewegende Kette, zusammen mit den Kettengliedern, den elektrischen Strom. Die Energie wird dadurch zum zweiten Zahnrad transportiert, das als mechanischer Widerstand bzw. als das Bauteil fungiert, das die Energie wieder umsetzt. Der Unterschied in der mechanischen Spannung zwischen hinlaufender und rücklaufender Kette entspricht der 1 In Kap. 10 wird auf die genauen physikalischen Hintergründe für diesen Zusammenhang eingegan-
gen.
3.1
a
Schulübliche Darstellung
71
b
Abb. 3.5 Analogiemodelle zum einfachen elektrischen Stromkreis. Geschlossener Wasserkreislauf (a) und offener Wasserkreislauf/Höhenmodell (b)
elektrischen Spannung im Stromkreis. Die Reihenschaltung kann nur bedingt wiedergegeben werden, eine Parallelschaltung nicht. (d) Stäbchenmodell (Abb. 3.6d): Das Stäbchenmodell baut nur eine Analogie zur elektrischen Spannung und dem Potential auf, jedoch keine zur elektrischen Stromstärke. Es besteht aus Holzplatten, die jeweils einem Bauteil eines Stromkreises entsprechen. An den beiden Enden der Holzplatten befindet sich jeweils ein circa 30 cm langer Stab, an dem ein höhenverstellbarer Zylinder sitzt, an den man ein Kabel stecken kann. Die folgenden Stichpunkte geben die Funktionsweise des Modells wieder: – Am Pluspol einer Batterie ist der Potentialwert größer als am Minuspol. – Das Potential spiegelt sich in der Höhe der Anschlussstelle wider. – Sind zwei Stellen durch eine Leitung miteinander verbunden, so hat das Potential an beiden Stellen denselben Wert.
c
d
Abb. 3.6 Analogiemodelle zum einfachen elektrischen Stromkreis. Fahrradkette/Keilriemen als Modell (c), Stäbchenmodell (d)
72
3 Elektrisches Potential und Spannung
– Die Potentialdifferenz an einem Gerät ist proportional zu einem Strom (Näherung von ohmschen Verhalten). – Keine Ladungen gehen verloren oder kommen hinzu. Bezogen auf die Spannung und das Potential können alle möglichen Schaltungen nachgebaut werden. (e) Rutschanlagenmodell (Abb. 3.7e): Es handelt sich dabei um eine kleine Rutschenanlage oder einen künstlichen Bachlauf, der einen kleinen Hang hinab führt, in dem einige Felsen sitzen. Häufig werden Kinder abgebildet, die auf großen Schwimmreifen darauf hinunter rutschen können. Anfang und Ende der Rutschenanlage sind durch ein Förderband miteinander verbunden, das die Kinder wieder nach oben bringt. Die Kinder entsprechen dabei der Ladung bzw. den Ladungsträgern, das Förderband der Batterie und die Felsen dem Widerstand in beispielsweise einer Lampe. Die potentielle Energie durch den Höhenunterschied (potentielle Energie durch elektrische Spannung) der Kinder wird beim Hinabrutschen in kinetische umgewandelt, die sie wiederum durch Stöße an die Felsen abgeben (Energieabgabe in elektrischen Bauteilen). Andere Schaltungen werden damit im Allgemeinen nicht dargestellt. Dieses Modell findet sich vor allem bei den frühen Beschreibungen des Stromkreises. In Abb. 3.7e ist dies mit Gummienten anstatt mit Kindern dargestellt. (f) Energiehütchenmodell (Abb. 3.7f):2 Hierbei laufen Männchen/Kinder als Analogie zu Ladungsträgern einen vorgegebenen Weg im Kreis. Auf einer Seite dieses „Kreislaufs“ steht ein „Gebäude“ als Batterieanalogie, in dem sie ein sogenanntes Energiehütchen, die potentielle Energie pro Ladung durch die elektrische Spannung, aufgesetzt bekommen. Auf der anderen Seite steht das elektrische Gerät, an dem sie die Hütchen wieder abgeben müssen. Es gibt ähnliche Modelle zum Beispiel mit Bienen und Honig. In Abb. 3.7f ist das Modell erneut mit Enten dargestellt. Auch hier sind unterschiedliche Schaltungen nicht umsetzbar. In den Schulbüchern findet sich vor allem der (geschlossene) Wasserkreislauf als Analogie für den elektrischen Stromkreis, seltener ein offener Wasserkreislauf und noch seltener eine Fahrradkette.
3.1.5
Elektrische Spannung und Potential in Schulbüchern der Sekundarstufe II
In der Sekundarstufe II wird die elektrische Spannung und das elektrische Potential in ähnlicher Weise behandelt wie an der Hochschule. In Abschn. 3.1.1 wurde schon angesprochen, 2 Auch wenn die Modelle erst im letzten Teil des Kapitels diskutiert werden, muss hier gleich erwähnt werden, dass das Energiehütchenmodell nicht als ein sinnvolles Modell für den Stromkreis angesehen werden kann.
3.1
Schulübliche Darstellung
73
e
f
Abb. 3.7 Analogiemodelle zum einfachen elektrischen Stromkreis. Rutschenanlagenmodell (e) und Energiehütchenmodell (f)
dass für die Oberstufe in vielen Lehrplänen vorgegeben ist, das Potential einzuführen. Wie das geschehen kann, wird auf der Basis dreier Schulbücher aus Bayern [6, 8, 19] dargestellt. Eine grundlegende Gemeinsamkeit bei der Einführung des elektrischen Potentials ist die Herangehensweise über die Arbeit (die mechanische Energieänderung) in einem elektri die an einem punktförmigen Körper der Ladung q verrichtet wird und die schen Feld E, potentielle Energie des Systems damit verändert. In Impulse Physik [8] werden im Vorfeld schon Kräfte und Felder verschiedener Ladungsgeometrien, in erster Linie radiales und homogenes Feld, besprochen. Die Einführung des elektrischen Potentials wird mit der bekannten potentiellen Energie im Gravitationsfeld eingeleitet. Es wird zunächst die Energiedifferenz und ihre Wegunabhängigkeit zwischen zwei Punkten im homogenen Feld behandelt. Für das radial-symmetrische Feld wird die Energiedifferenz als Fläche unter der Kurve für die Kraft F(r ) identifiziert und angegeben. Eine solche Energiedifferenz E AB zwischen zwei Punkten A und B wird als potentielle Energie E pot verallgemeinert, falls einer der Punkte als der Nullpunkt der potentiellen Energie definiert wird. Das elektrische Potential eines Feldes wird als Quotient aus der potentiellen Energie E pot eines Probekörpers im Feld und der Ladung q des Probekörpers definiert. ϕel =
E pot q
(3.4)
Die elektrische Spannung definiert sich wie das Potential, jedoch mit einer beliebigen Energiedifferenz E AB , und damit als Potentialdifferenz, als U = ϕel = E AB /q. Die Spannung an einem Plattenkondensator mit dem Plattenabstand d und der Feldstärke E ist damit U = E · d. Duden Physik und Metzler Physik führen die potentielle Energie, das Potential und die Spannung im homogenen Feld ein, noch bevor inhomogene Felder bekannt sind. Erst danach werden das coulombsche Gesetz und das radial-symmetrische Feld besprochen sowie am
74
3 Elektrisches Potential und Spannung
Ende das zugehörige Potential. Die Analogie zur potentiellen Energie im Gravitationsfeld dient der zusätzliche Veranschaulichung und Vernetzung. In Metzler Physik wird direkt nach der Einführung im homogenen Feld ganz konkret auf den Potentialverlauf ϕ(x) hingewiesen und darauf, dass die elektrische Feldstärke sich aus der Ortsableitung des Potentials berechnen lässt: ϕ(x) = E (d − x) d ϕ = E (d − x) = −E dx
(3.5)
Für das radial-symmetrische Feld wird die Arbeit W (r ) als Fläche unter der Kurve der Kraft F(r ) als Produkt aus dem geometrischen Mittel der Kraft und r berechnet. Daraus wird gemäß der Definition Gl. (3.4) der Potentialverlauf bestimmt und erneut auf den Zusammenhang zwischen Potential und Feldstärke über die negative Ableitung hingewiesen. Wie für die Feldstärke wird auch für das Potential das Superpositionsprinzip angegeben, also die Möglichkeit, das Gesamtpotential als Summe der Potentiale einzelner Teilkörper zu betrachten: ϕ = ϕ1 + . . . + ϕn . In Duden Physik wird die Gleichung für das Potential im radial-symmetrischen Feld ohne Herleitung angegeben und der Zusammenhang zwischen Feldstärke und Potential wird nicht angesprochen. In der Sekundarstufe I wird im Zusammenhang mit der Spannung oft der elektrische Widerstand R eingeführt. In der Sekundarstufe II ist es die Kapazität C (eines Plattenkondensators mit dem Plattenabstand d): A Q = ε0 (3.6) C= U d Für einen solchen Plattenkondensator kann aus einem Aufladevorgang die in ihm gespeicherte Feldenergie E el in Abhängigkeit vom Volumen V und dem Betrag der Feldstärke = E berechnet werden: | E| 1 (3.7) E el = ε0 E 2 V 2 Für das elektrische Potential eines statischen elektrischen Feldes werden vorwiegend Abbildungen, Graphen und Simulationen von Verläufen gezeigt. Experimente dazu sind schwer möglich, da man Potentialdifferenzen nur zwischen leitenden Körpern wie schon in der Sekundarstufe I messen kann. Jedoch gibt es ein einfaches Experiment, bei dem der Verlauf von Äquipotentiallinien (als eindimensionales Pendant zu den Äquipotentialflächen) sichtbar gemacht werden kann. In Abb. 3.8 ist der Versuch skizziert. Es wird dafür ein Löschpapier oder ein dünner Karton mit (leicht salzigem) Wasser gleichmäßig befeuchtet. Daran werden zwei Elektroden angebracht, zwischen denen eine Spannung von 10 bis 20 V angelegt wird. Schließt man an eine Elektrode ein Spannungsmessgerät an und setzt die zweite Elektrode des Spannungsmessgeräts auf das Papier irgendwo zwischen die Elektroden des Netzgeräts,
3.2
Hochschulübliche Darstellung
75 7V
10V
5V
9V
U
3V 1V
V
Abb. 3.8 Experiment zur Bestimmung des Potential und von Äquipotentiallinien in der Sekundarstufe II. Mithilfe von zwei Elektroden wird an den Enden eines feuchten, salzigen Papiers Spannung angelegt. Mit einer weiteren, spitzen Elektrode wird das Potential relativ zu einem Spannungsanschluss auf dem Papier bestimmt
so wird eine Spannung (relativ zur anderen Elektrode) gemessen. Sucht man nach Punkten gleicher Spannung und markiert diese mit einem Stift, so erhält man eine Äquipotentiallinie. Die Funktionsweise ist wie folgt: Zwischen den Elektroden baut sich entsprechend des Potentialunterschied und der Elektrodengeometrie ein elektrische Feld auf. Das Papier/der Karton wird durch das leicht salzige Wasser sehr schwach leitend und kann als ein sehr großer Widerstand mit (nahezu) homogenem Flächenwiderstand angesehen werden. Es bildet sich deshalb nur ein sehr schwacher Strom zwischen den Elektroden entlang der Feldlinien durch das Papier aus. Entlang eines solchen Strompfades fällt zwischen zwei Punkten über dem dabei vorhandenen Widerstand eine messbare Spannung ab. Erheblich aufwändiger kann im Raum mithilfe einer sogenannten Flammsonde das Potential in einem elektrischen Feld geladener Leiter unter Hochspannung gemessen werden. Dabei wird ausgenutzt, dass die Luft durch die Flamme lokal ionisiert wird und im Feld ein kleiner Strom fließt, der die Elektrode lädt.
3.2
Hochschulübliche Darstellung
Die Darstellung des elektrischen Potentials und vor allem der elektrischen Spannung gestaltet sich in den physikalischen Lehrbüchern [11, 13, 16, 17, 21, 25, 35, 42] sehr vielfältig und hat viel Klärungs- und Diskussionsbedarf. Die Darstellungsweisen unterscheiden sich ganz natürlich aus der jeweiligen Philosophie heraus zwischen Theoretischer Physik und Experimentalphysik. Unabhängig von solchen systematischen Unterschieden gibt es weitere Unterschiede, die auf die Herkunft des Autors zurückzuführen sind. Experimente stehen bei der hochschulischen Darstellung vollkommen im Hintergrund und werden deshalb hier nicht angesprochen.
76
3.2.1
3 Elektrisches Potential und Spannung
Einführung und Definition des elektrischen Potentials
Für Berechnungen des elektrostatischen Feldes wird in den Lehrbüchern anfangs nur die erste · E = ρ/ε0 (Gl. (1.5) aus Abschn. 1.2.2) verwendet. Die Feldgleichung der Elektrostatik ∇ Einführung des elektrischen Potentials wird mit der zweiten Feldgleichung der Elektrostatik in Verbindung gebracht, sowohl in differentieller als auch integraler Form: ∇×E =0 r) = 0 E( ∂A
In den Büchern von Jackson [21] und Fließbach [13] wird gezeigt, dass die Einführung des elektrischen Potentials mit dem Herleiten der Feldgleichung selbst einhergeht. Durch Umformen von Gl. (1.4) erhält man r − r r) = 1 ρ( r ) d r E( 4π ε0 | r − r |3 ρ( r ) 1 . (3.8) = . . . = −∇ d r 4π ε0 | r − r | Die elektrische Feldstärke E kann also als Gradient einer skalaren Funktion, des Ausdrucks in Klammern, geschrieben werden. Eingesetzt in die zweite Feldgleichung bedeutet das, dass die Rotation eines Gradienten einer skalaren Funktion gebildet wird. Eine solche Operation ergibt immer null, unabhängig von der konkreten skalaren Funktion. Diese Feldgleichung ist damit immer erfüllt, wenn die Feldstärke als Gradient einer solchen skalaren Funktion geschrieben werden kann. Im Falle der Elektrostatik nennt man diese skalare Funktion das elektrische Potential ϕ und sie lautet für einen Punkt r aufgrund einer Ladungsverteilung ρ( r) ρ( r ) 1 (3.9) ϕ( r) = d r . 4π ε0 | r − r | Das elektrische Potential ist bis auf einen konstanten Wert, die Integrationskonstante, genau bestimmt. Aus den Feldgleichungen wird dann ρ( r) 2 ϕ( r) = − ∇ ε0 E( r ) = −∇ϕ( r ).
(3.10a) (3.10b)
Die erste Gleichung, die sogenannte Poisson-Gleichung, gibt den lokalen Zusammenhang zwischen dem Potential ϕ und der Ladungsdichte ρ an. Diese Gleichung gilt in der gesamten Elektrodynamik und besagt in dieser Allgemeinheit, dass der Gradientenfeldanteil der elektrischen Feldstärke E G , und damit das skalare Potential ϕ, nur durch die Ladungsverteilung bestimmt ist. In Abwesenheit einer Ladungsdichte wird von der Laplace-Gleichung
3.2
Hochschulübliche Darstellung
77
2 ϕ = 0 gesprochen. Diese Gleichungen sind in den Lehrbüchern die Grundlage für kon∇ krete Feldberechnungen am Beispiel verschiedener Geometrien. Die zweite Gl. (3.10b) gibt an, wie man die elektrische Feldstärke E aus dem Potential ϕ berechnet. In der angegebenen Form gilt sie nur in der Elektrostatik, wenn das elektrische Feld ein reines Gradientenfeld ist: E = E G . Jedes Vektorfeld kann als Summe aus einem Gradientenfeld und einem Wirbelfeld geschrieben werden: E = E G + E W . Bezogen auf die gesamte Elektrodynamik beschreibt das skalare Potential ϕ den Gradientenanteil des r ). elektrischen Feldes E G = −∇ϕ( Es wirken vermutlich die Feldgleichungen ohne das elektrische Potential schon recht abstrakt und nicht leicht verständlich. Mit dem elektrischen Potential wirken sie sehr leicht noch abstrakter. Wofür ist das elektrische Potential also gut? Berechnet man die elektrische Feldstärke mit dem gaußschen Gesetz wie in Kap. 1, so müssen drei Differentialgleichungen Mit dem Potential reduziert sich das auf gelöst werden, eine für jede Komponente von E. das Lösen einer einzigen Differentialgleichung und das anschließende dreimalige Bilden der Ableitung für die drei Komponenten der Feldstärke. Die zweite Feldgleichung, die ein Potential ermöglicht, ist also keineswegs banal, sondern koppelt die drei Komponenten von E auf ganz bestimmte und einfache Weise, was dazu führt, dass man die drei Differentialgleichungen auf eine reduzieren kann. Das elektrische Potential ist dabei zunächst wirklich nur eine „Rechenhilfe“ ohne physikalische Bedeutung.3 Eine physikalische Interpretation des Potentials wird in den Lehrbüchern erst nach der rein formalen Besprechung angegeben. Diese Interpretation bezieht sich auf die Arbeit W beziehungsweise die mechanische Energieänderung E des Systems. Üblicherweise wird das Feld E einer beliebigen Ladungskonfiguration ρ betrachtet, in dem ein Probekörper der Ladung q vom Punkt r1 zum Punkt r2 bewegt wird. Aufgrund der Coulomb-Kraft q E entlang eines Weges zwischen diesen Punkten wird die Feldenergie E el zwischen dem geladenen Probekörper und den felderzeugenden Ladungen geändert. Man sagt auch, das Feld verrichtet die Arbeit W = E el an der Punktladung: r2 r2 r2 · dl = q W12 = −q ∇ϕ dϕ E · dl = q r1 r1 r1 = q ϕ( r2 ) − ϕ( r1 ) = qϕ12
(3.11)
Es muss darauf geachtet werden, dass ϕ( r ) das Potential aller Ladungen außer der Probeladung q ist, ähnlich wie bei der Definition der elektrischen Feldstärke anhand einer Probeladung. Es wird häufig davon gesprochen, dass sich bei einem solchen Vorgang die potentielle Energie der Ladung q ändert. Eigentlich wird durch die Arbeit die potentielle Energie des 3 Man spricht einer Größe „physikalische Bedeutung“ zu, wenn man sie ganz direkt messen kann und man eine ganz konkrete bildliche Vorstellung dazu hat. Es gibt jedoch immer wieder in der Physik Größen, zu denen es keine offensichtliche „alltägliche“ Vorstellung gibt. Bekanntestes Beispiel ist vermutlich die Energie. Theoretische Physiker schreiben einer Rechenhilfe bestimmt trotzdem große „physikalische“ Bedeutung zu.
78
3 Elektrisches Potential und Spannung
Systems aus ρ und q um E pot = W geändert.4 Und diese potentielle Energie ist bis auf die Addition einer Konstante C die Energie, die im Feld der Ladungskonfiguration steckt: E pot = E el + C. Von der potentiellen Energie in einem elektrischen System zu sprechen, in Anlehnung an die potentielle Energie eines gravitativen Systems, ist außerdem lediglich in der Elektrostatik sinnvoll. Es wird deswegen hier versucht, den allgemeineren Begriff Feldenergie E el zu verwenden. Zusätzlich die potentielle Energie allein auf die Ladung q zu beziehen, ist nur dann näherungsweise sinnvoll, wenn die felderzeugende Ladungsverteilung ρ sehr groß im Verhältnis zu q ist. Ist allerdings die Gesamtladung von ρ in der Größenordnung von q und wird ρ durch q verändert, so ist eine genaue Ausdrucksweise sinnvoller. In Gl. (3.11) zeigt sich, dass die Energieänderung aufgrund der Bewegung im elektrostatischen Feld einer Ladung q unabhängig vom Weg ist. Diese Eigenschaft tritt in dieser Gleichung formal über die Verwendung des Potentials auf. In Kompendien wie beispielsweise Tipler ([42], S. 726) wird manchmal anders argumentiert und die Integralform der Feldgleichung (1.5b) wird bei der Berechnung der Änderung der potentiellen Energie verwendet, um damit schließlich das Potential einzuführen. Es wird also die Unabhängigkeit (des Verlaufs) des Integrationswegs bei der Berechnung der Änderung der Energie in einem konservativen Feld ausgenutzt, um ein Potential ϕ einzuführen. Es sind nur die Potentialwerte am Anfangs- und Endpunkt entscheidend. Die Richtung des Weges ist allerdings wichtig für das Vorzeichen der Energieänderung. Es muss klar sein, ob man von A nach B geht oder von B nach A. Es werden dafür hier Indizes bei der potentiellen Energie und bei der Potentialdifferenz verwendet. Die Potentialdifferenz von A nach5 B sei damit definiert als rB E el,AB ϕ AB = ϕ( r B ) − ϕ( r A) = − E · dl = . (3.12) q rA Das Potential ist nur bis auf eine Konstante festgelegt, deshalb können nur Potentialdifferenzen bestimmt werden. Mithilfe von Gl. (3.12) kann eine einfachere Formel als (3.9) für das elektrische Potential angegeben werden, und es zeigt sich, wie man die frei wählbare Konstante interpretieren kann: ϕ( r) = −
r
O
E · dl
(3.13)
Das Potential ϕ( r ) an einem Ort r kann als Potentialdifferenz von einem Referenzpunkt6 O nach r betrachtet werden, wobei ϕO ≡ 0 gilt. Es hat sich als sinnvoll herausgestellt, diesen Potentialnullpunkt meistens „ins Unendliche“ zu legen, beziehungsweise auf das Potential 4 In Lehrbüchern der Theoretischen Physik ist es üblich, die Arbeit und die potentielle Energie mit dem
Hier gleichen Symbol W zu bezeichnen. Das dient der leichteren Abgrenzung von der Feldstärke E. soll soweit wie möglich und sinnvoll darauf verzichtet werden, um im gesamten Buch konsequent die Energie zu berücksichtigen. 5 Die übliche Präposition „zwischen“ genügt nicht, wenn man auch auf das Vorzeichen achten möchte. 6 Die Freiheit, diesen Potentialnullpunkt zu wählen, wird Eichfreiheit genannt.
3.2
Hochschulübliche Darstellung
79
der Erde. Im Experiment mit relativ kleinen geladenen Körpern ist beides gleichbedeutend. Für Berechnungen wird die Erde als neutrales Ladungsreservoir betrachtet. Sie trägt also keine Überschussladung und kann beliebig viel Ladung aufnehmen/abgeben. Auf der Basis der Energie einer einzelnen Punktladung in einem äußeren Potential kann die Energie des gesamten elektrostatischen Systems berechnet werden. Als Nullpunkt der potentiellen Energie wird der gleiche wie für das Potential verwendet. Die potentielle Energie einer Punktladung q in einem (festen) Feld mit dem Potential ϕ( r ) ist: r ) = qϕ( r ) = E el,q ( r ). E pot (
(3.14)
Setzt man auf diese Art eine Ladungsverteilung ρ( r ) aus infinitesimalen Ladungsstücken dq im Feld ϕ( r ) der bisherigen Ladungsverteilung zusammen, berechnet bei jedem Schritt den Energiezuwachs und integriert, erhält man die Energie E el , die in dieser Ladungsverteilung steckt: 1 ε0 2 3 r ) d r . (3.15) ρ( r )ϕ( r )d3r = E el = E( 2 2 Das Ergebnis wird hier einmal mit der Ladungsverteilung und dem Potential angegeben und einmal in einer Form, in der nur die elektrische Feldstärke auftaucht. Man kann sich hier fragen, wo nun die Energie steckt, in der Ladungsanordnung oder dem Feld. Dies geht tatsächlich nicht eindeutig aus den Formeln hervor. Im Hinblick auf die Interpretation von Feldern als eigenständige physikalische Systeme hat sich die Konvention als sinnvoll herausgestellt, die Energie den Feldern zuzuordnen. Dies wurde in Kap. 1 schon getan. Die Energiedichte wel des elektrischen Feldes ist dann: wel =
ε0 2
2 r ) . E(
(3.16)
Konkrete Beispiele, wie man aus der Poisson- und der Laplace-Gleichung mit entsprechenden Randbedingungen Feldberechnungen durchführt, finden sich in den Lehrbüchern. Die Betrachtung einer Situation mit Potentialen anstatt mit Ladungen ist vor allem in Anwesenheit elektrischer Leiter von Vorteil, was im folgenden Kap. 4 genauer betrachtet wird.
3.2.2
Die elektrische Spannung
Die elektrische Spannung gilt gemeinhin als der einfachere Begriff im Vergleich zum elektrischen Potential. Bei der Betrachtung von (verschiedenen) Lehrbüchern zeigt sich jedoch, dass die systematische Beschreibung der elektrischen Spannung schwierig ist. Die elektrische Spannung vom Punkt r1 zum Punkt r2 mit einer (gedachten) punktförmigen Ladung q sei hier zunächst angegeben als U12
E el,12 = q
E−Statik
=
ϕ12 = ϕ( r2 ) − ϕ( r1 ) = −
r2
r1
E G · dl.
(3.17)
80
3 Elektrisches Potential und Spannung
In der Elektrostatik gibt es keinen Unterschied zwischen elektrischer Spannung und Potentialdifferenz. In einem vollständig elektromagnetischen System steckt die Energie in den Feldern. Es gibt dabei zunächst keine kinetische Energie, sie ergibt sich erst, wenn man die träge Masse von geladenen Körpern mit einbezieht, was jedoch in den meisten Fällen nicht notwendig oder sinnvoll ist.7 Eine vergleichbare Definition der Spannung findet sich in Bergmann/Schaefer und Gerthsen. Im Gegensatz dazu findet sich in den Lehrbüchern von Demtröder und Fließbach eine 2 Definition, die sich um ein Vorzeichen von Gl. (3.17) unterscheidet, also U = 1 E · d r= ϕ 1 − ϕ2 . Wenn man diese unterschiedlichen Definitionen ohne weitere Hinweise und Anmerkungen liest, dann verwirren sie. Betrachtet man dazu den einfachen Fall eines idealen Plattenkondensators mit dem Plattenabstand d, und verallgemeinert die Definition der elektrischen Spannung von Gl. (3.17) wie bei Strunk ([40], S. 25 f.) zu U (Q) =
∂ E el (Q) . ∂Q
(3.18)
Hier steht E el (Q) für die Energie, die im Feld des Kondensators gespeichert ist, wenn er die Ladung Q trägt. Um die Spannung zu bestimmen, wird die Energie des Plattenkondensators mit der Plattenfläche A und der homogenen Feldstärke E = Q/ε0 A berechnet: ε0 E ges (Q) = 2
2 ε0 d 2 3 Q2 E d r = E(Q) V = 2 2ε0 A
(3.19)
Damit ist die Spannung an einem Kondensator mit der Ladung Q und dem Plattenabstand d ∂ E el (Q) Qd U (Q) = = = E d. (3.20) ∂Q ε0 A Die Formel für die Potentialdifferenz (3.17) liefert ϕ12 = −
r2
r1
E · dl = − E · ( r2 − r1 ) = − E · d,
(3.21)
wobei hier zwischen den Punkten r1 = (0, 0, 0) und r2 = (d, 0, 0) auf einer Achse senkrecht Die Formeln (3.20) und (3.21) scheinen zu den Plattenebenen integriert wird, mit r2 − r1 = d. sich gerade um das Vorzeichen zu unterscheiden. Jedoch wurde dabei das Skalarprodukt in der letzten Formel nicht ausgewertet. Das Koordinatensystem wurde so gewählt, dass E und d auf einer Achse liegen. Dabei ist aber noch nicht festgelegt, ob sie parallel oder antiparallel sind. Die Konvention dabei ist, dass die Energieänderung positiv sein muss, also E el,12 = 7 Ein Beispiel dafür sind Elektronen, die zwischen Elektroden mit der Spannung U beschleunigt
werden: Dabei kann das Feld der Elektroden und deren Verschaltung als ein elektromagnetisches System angesehen werden. Die Elektronen sind an dieses System durch ihre Ladung gekoppelt, nehmen die Energie eU auf und speichern sie in der Bewegung ihrer trägen Masse 21 mv 2 .
3.2
Hochschulübliche Darstellung
81
qϕ12 (Q) > 0, wenn Körper positiver Ladung Q > 0 und q > 0 angenähert werden. Dementsprechend muss man die Punkte r1 und r2 wählen. Diese Bedingung ist erfüllt, r1 ). Im Beispiel wenn man „gegen den Gradienten“ des Feldes integriert, also ϕ( r2 ) > ϕ( mit dem Kondensator gilt das genau dann, wenn die Feldstärke E und die Integrationsstrecke d antiparallel sind: (3.22) ϕ12 = − E · d = E d = U (Q). Die Spannungsdefinition (3.18) gibt also das passende Vorzeichen vor. Die Spannung mit einem anderen Vorzeichen zu definieren, hat in der Elektrotechnik oft praktische Gründe [10]. In Stromkreisen möchte man gern die Spannung durch eine Integration des E-Feldes in Stromrichtung berechnen und dafür einen positiven Wert erhalten. In einem Widerstand zeigt E in die gleiche Richtung wie j. Für diese Orientierung und die Definition der Spannung sind U und I beide positiv, und auch der Wert des Widerstands R = U /I ist positiv. Mit der Definition (3.17) ist die Spannung durch einen Widerstand negativ, was genaugenommen einen negativen Wert für den Widerstand zur Folge hätte. In diesem Fall wird auch die Leistung P = U I negativ, was dazu passt, dass in einem solchen Bauteil Energie das System „Stromkreis“ verlässt. Ein Vergleich verschiedener Lehrbücher zeigt eine Auffälligkeit im Umgang mit der elektrischen Spannung. In manchen Lehrbüchern gibt es den Begriff „Spannung“ nicht. Es stellt sich heraus, dass es sich dabei um Lehrbücher englischsprachiger Autoren handelt. Bei Halliday, Jackson, Griffiths und weitgehend auch bei Tipler wird im Rahmen der Elektrostatik nur von der Potentialdifferenz gesprochen. In den Originalwerken findet sich auch der Ausdruck „voltage“, der mit „Spannung“ übersetzt werden kann. Einen sehr guten Vergleich bietet Tipler im Original und in der deutschen Übersetzung. So heißt es im Original bei der Potentialdifferenz „is sometimes called voltage“ (Edition 5, p. 719) und bezieht sich ausschließlich auf elektrostatische Potentialdifferenzen. Im Zusammenhang mit der Induktion findet sich in allen englischsprachigen Büchern der Begriff „electromotive force“ E , also elektromotorische Kraft. Dieser Begriff wird in Deutschland nicht mehr verwendet. Bei Halliday und Griffiths wird dieser Begriff trotzdem ins Deutsche übernommen, bei Tipler wird er mit „Induktionsspannung“ übersetzt. Die elektromotorische Kraft ist allerdings mehr als nur eine Induktionsspannung, und sie ist keine Potentialdifferenz. Eine Potentialdifferenz ist einem elektrischen System wie einem Stromkreis inhärent. Sie ist eine Spannung, die sich aus der Ladungsverteilung des Systems bildet. Die elektromotorische Kraft E ist dagegen eine Spannung, die von außen auf ein elektrisches System wirkt und eine Ladungsverteilung hervorruft, die eine Potentialdifferenz zur Folge hat. Auf Basis dieser Beschreibung wird im Folgenden eine elektromotorische Kraft als externe Spannung Uext bezeichnet. Ein Netzgerät stellt somit eine externe Spannung zur Verfügung, aufgrund der an den Anschlüssen des Geräts eine Potentialdifferenz ϕ entsteht, für die gilt Uext = −ϕ. Externe Spannung und Potentialdifferenz beschreiben eine Wechselwirkung zweier physikalischer Systeme, wie Kraft und Gegenkraft in der Mechanik. Im Analogiemodell des geschlossenen Wasserkreislaufs kann dies folgendermaßen ausgedrückt werden: Eine Wasserpumpe übt eine Kraft (pro Fläche) auf das Wasser zwischen den Zuleitungen aus, was eine Analogie für eine
82
3 Elektrisches Potential und Spannung
externe Spannung ist. Im Wasser entsteht dadurch ein Druckunterschied, was dem Potentialunterschied entspricht. Diese Konzeptualisierung und Differenzierung zwischen einem Antrieb eines anderen Systems, also der elektromotorischen Kraft oder externen Spannung, und der entsprechenden Gegenspannung des elektrischen Systems, also die Potentialdifferenz an den Anschlüssen im Stromkreis, findet sich nur in der englischsprachigen Literatur. Diese Differenzierung ist sehr sinnvoll, vor allem zur Betrachtung des Energietransportes zwischen einem Stromkreis und seiner Umgebung in Form von Batterien und Lampen. Jedoch ist der Begriff der elektromotorischen Kraft fragwürdig. Weiterhin zeigt sich durch den Vergleich mit der angelsächsischen Beschreibung, dass der Begriff Spannung, wie es ihn im Deutschen gibt, zur Beschreibung von einfachen Stromkreisen nicht notwendig ist, wenn man auf den Begriff des Potentials zurückgreift.
3.2.3
Potential und Spannung in Stromkreisen
Einfache Stromkreise, und damit das elektrische Potential und die Spannung in Stromkreisen, werden in den Büchern der Theoretischen Physik nicht behandelt. In den übrigen Lehrbüchern erkennt man erneut einen Unterschied aufgrund der Herkunft der Autoren. Bei Halliday und Tipler gilt die elektrische Potentialdifferenz ϕ oder die elektromotorische Kraft E als der Antrieb des elektrischen Stroms. Das wird bei deutschen Autoren nicht explizit erwähnt, sondern steckt nur implizit in der Definition des elektrischen Widerstands.8 Die Maschenregel wird in den Lehrbüchern im Allgemeinen lediglich angegeben, nur bei Gerthsen wird sie mit dem Hinweis versehen, dass sie mit der Wegunabhängigkeit der Potentialdifferenz zwischen zwei Punkten zusammenhängt. Im folgenden Abschnitt wird das noch etwas genauer dargestellt. Zusammen mit dem elektrischen Potential werden in den Lehrbüchern auch oft der Kondensator und die Kapazität eingeführt. In den jeweiligen Abschnitten zu Stromkreisen findet sich schließlich auch die Definition des elektrischen Widerstands. Um den Unterschied zwischen der Widerstandsdefinition und dem ohmschen Gesetz, also dem linearen Zusammenhang von Strom und Spannung an einem Bauteil, zu betonen, geht Bergmann/Schaefer auf das ursprünglich Besondere der Arbeit von Ohm ein. Historisch war das Herausragende an Ohms Arbeiten nämlich nicht die Entdeckung eines linearen Zusammenhangs zwischen Stromstärke und Spannung für bestimmte Materialien bei ganz bestimmten Bedingungen, sondern vielmehr die Tatsache, dass es überhaupt einen Zusammenhang zwischen Stromstärke und Spannung gibt und man diesen Zusammenhang mit einer Größe, und zwar dem elektrischen Widerstand, quantifizieren kann. Es muss also betont werden, dass die Formel R = U /I den elektrischen Widerstand als Größe festlegt. Eine Aussage über sein Verhalten in Abhängigkeit von U und I kann 8 Legt man eine Spannung U an einen Widerstand R, so fließt ein Strom der Stärke I hindurch gemäß
U = R I . Die Spannung U ist der Antrieb von I .
3.2
Hochschulübliche Darstellung
83
daraus aber nicht gezogen werden. Nur für viele Metalle bei konstanter Temperatur ist der Zusammenhang zwischen Stromstärke und elektrischer Spannung linear.
3.2.4
Die Maschenregel mit Widerständen
Die Maschenregel ist einerseits sehr offensichtlich, weswegen sie in Lehrbüchern nicht weiter hergeleitet wird, andererseits verbindet sie sehr abstrakte theoretische Grundlagen der Elektrostatik mit ganz alltagsnahen Stromkreisen. Es wird dafür eine Masche betrachtet. Das ist ein Teil einer Schaltung aus Bauteilen (Drähte, Netzgeräte, Lampen etc.), die zusammen einen geschlossenen Weg ergeben. Ob und wie viele Kreuzungspunkte/Abzweigungen dabei überschritten werden, ist nicht entscheidend (siehe Abb. 3.9). Betrachtet man eine solche Masche und summiert die Potentialdifferenzen/Spannungen ϕn = Un der N Bauteile auf, so heben diese sich gerade alle weg: N
Un = 0
(3.23)
n=1
Dies ist die 2. kirchhoffsche Regel, auch Maschenregel genannt. Zur Herleitung betrachtet man zwei beliebige Punkte A und B in einer Masche auf den Potentialen ϕ A und ϕ B . Die B Durch die Masche gibt Spannung zwischen diesen Punkten ist U AB = ϕ AB = − A E ·dl. es zwei Wege, um von A nach B zu gelangen, das seien die Wege α und β. Die Spannungen
Abb. 3.9 Stromkreis mit beliebigen Bauteilen. Gekennzeichnet sind drei mögliche Maschen in Rot, Blau und Grün. Auf der roten Masche liegen die Punkte A und B mit den Wegen α und β. An einem Bauteil n auf dem Weg α fällt die Spannung Unα ab
84
3 Elektrisches Potential und Spannung
entlang eines Weges9 Unα (und Unβ ) addieren sich jeweils auf:
Unα Uα = − E · dl = α
(3.24)
nα
Subtrahiert man die Wegintegrale der beiden Wege (also integriert man Weg α von A nach B und Weg β von B nach A), erhält man das geschlossene Wegintegral
Unα − Unβ . (3.25) E · dl = − E · dl− − E · dl = Uα − Uβ = Masche
α
β
nα
nβ
× E = 0 und E · dl = 0, Das kann mit der zweiten Maxwellgleichung der Elektrostatik, ∇ in Verbindung gebracht werden, gemäß der ein Wegintegral über die Feldstärke entlang eines geschlossenen Weges identisch Null ist:
Unα − Unβ = 0 (3.26) E · dl = 0= Masche
nα
nβ
Man könnte hier überraschend finden, dass diese Formel nicht exakt die Maschenregel ergibt, sondern die Spannungen auf dem Weg β mit einem Minus gewichtet werden. Dies B A liegt jedoch an der Laufrichtung des Integrals. Es gilt β E · dl = A E · dl = − B E · dl und Unβ = −U−nβ . Einerseits ist damit die Maschenregel hergeleitet, andererseits erkennt man erneut, welchen Einfluss die frei wählbare Integrationsrichtung eines Wegintegrals hat. Mit der Maschenregel für die Spannungen und die Knotenregel für die Stromstärken können nun die Widerstände von Reihen- und Parallelschaltungen berechnet werden. Hat man eine Reihenschaltung aus den Widerständen R1 , ..., R N und einer Elektrizitätsquelle mit einer elektrischen Spannung U0 , so ist die Stromstärke konstant I0 . Für die Summe der Spannungen an den Widerständen gilt gemäß der Maschenregel U0 = (−) i Ui , und
für den Gesamtwiderstand ergibt sich RG = U0 /I0 = i Ui /I0 = i Ui /I0 = i Ri . Somit ergibt sich der Gesamtwiderstand einer Reihenschaltung aus der Summe der einzelnen Widerstände. Bei einer Parallelschaltung aus den Widerständen R1 , ..., R N ist die Spannung an den Enden, und damit an jedem einzelnen Widerstand, konstant U0 . Die gesamte Stromstärke in den beiden Zuführungen ist I0 . An den Knoten, und damit für die Stromstärken in den einzelnen Zweigen, gilt nach der Knotenregel I0 = (−) k Ik . Der Gesamtwiderstand ist
ausgewertet dann RG = U0 /I0 = U0 / k Ik . Im Nenner kann die Summe nicht weiter
werden, also betrachtet man den Kehrwert des Gesamtwiderstands 1/RG = k Ik /U0 = k (Ik /U0 ) = k (1/Rk ). Somit ist der Kehrwert des Gesamtwiderstands die Summe der Kehrwerte der einzelnen Widerstände der Parallelschaltung.
9 Die Spannungen U an Bauteilen, die auf Weg α liegen, bekommen den zusätzlichen Index α, analog n auf Weg β.
3.2
Hochschulübliche Darstellung
3.2.5
85
Grundlegende Konzeptvorstellungen
Gebrauchsdefinition: Elektrisches (Skalar-)Potential
· E = Die Feldgleichungen der elektrischen Feldstärke E einer Ladungsverteilung ρ, ∇ ρ/ε0 und ∇ × E = 0, entsprechen mehreren gekoppelten Differentialgleichungen für die einzelnen Komponenten der Feldstärke. Jede einzelne Differentialgleichung muss gelöst werden. Aufgrund der zweiten Gleichung sind die Differentialgleichungen der Komponenten der Feldstärke jedoch auf ganz spezielle Weise miteinander gekoppelt. Ist die Rotation eines Vektorfeldes null, so spricht man von einem Gradientenfeld. Jedes elektrische Feld einer Ladungsverteilung, die sich zeitlich nicht zu schnell ändert, ist ein Gradientenfeld E G . Zu jedem Gradientenfeld gibt es ein skalares Feld, das alle Informationen des Gradientenfeldes enthält. Im Falle der Elektrodynamik nennt man es elektrisches Skalarpotential und es wird wie folgt durch das Gradientenfeld einer Ladungsverteilung definiert: E G = −∇ϕ Oft spricht man auch nur vom Potential oder dem elektrischen Potential. Das Vorzeichen ist hier reine Konvention und erfüllt keinen mathematischen, sondern einen physikalischen Zweck. Die Kraft auf einen punktförmigen Körper der Ladung q im Feld der = −∇(qϕ). Lässt sich eine Kraft Stärke E ist gegeben durch Fq = q E G = −q ∇ϕ auf diese Weise schreiben, spricht man von einer konservativen Kraft, und der Ausdruck in Klammern ist die (potentielle) Energie E pot,q = qϕ, die in dem Zusammenhang zwischen dem Feld E G und der Ladung q steckt. Diese Verbindung von elektrischem Potential und (potentieller) Energie ist der Hintergrund für die Vorzeichenkonvention und gleichzeitig verleiht sie dem Potential ϕ eine physikalische Bedeutung. Die formale Definition des elektrischen Potentials ist keine Formel, die man direkt nach dem Potential auflösen könnte, um es zu berechnen. Das liegt an der sogenannten Eichfreiheit des Potentials. Aufgrund der Definition über die Ableitung ist der Absolutwert des Potentials nicht eindeutig festgelegt. Es können nur Potentialunterschiede zwischen verschiedenen Punkten berechnet werden. Aus der Definition folgt für einen Potentialunterschied zwischen den Punkten r1 und r2 ϕ2 − ϕ1 = −
r2
r1
E G · dl = −
r2
r1
Fq · dl. q
Es kann eine Funktion ϕ( r ) angegeben werden, wenn eine Eichung vorgenommen wird, also eine Festlegung eines Referenzpunktes O erfolgt, dessen Potentialwert gleich null gesetzt wird, ϕ(O) ≡ 0: ϕ( r) = −
r
O
E G · dl = −
Fq · dl O q r
86
3 Elektrisches Potential und Spannung
Man sagt beispielsweise: Das Potential steigt von Punkt 1 nach Punkt 2 an, oder fällt ab. Das elektrische Potential ϕ ist eine rein abstrakte Größe, die sehr zweckmäßig ist, um Felder auf einfache Art zu berechnen. Eine direkte phänomenologische Bedeutung hat es nicht. Es steht zwei anderen physikalischen Größen sehr nahe und teilt einige der Aspekte von ihren Bedeutungen. Aus dem Potential lässt sich sehr leicht die Änderung der konservativen potentiellen Energie einer Punktladung und des betrachteten Gradientenfeldes bestimmen, und zwar gemäß E pot = qϕ. Somit ergibt sich die Analogie mit einem Höhenprofil der Gravitation. Außerdem ist der mathematische Hintergrund des Potentials die einfache Berechnung der elektrischen Feldstärke. Und die Feldstärke ist eine Kraft auf eine Probeladung normiert auf diese Probeladung im Feld, Fq /q. In der Mechanik sind Kräfte für die Wechselwirkung zwischen verschiedenen Systemen verantwortlich. Diesen Wechselwirkungscharakter besitzt auch das elektrische Potential, falls es sich um Systeme aus Ladungskonfigurationen handelt, die sich zeitlich nicht zu schnell ändern. Für einen Stromkreis lassen sich die Bedeutungen sehr phänomenologisch formulieren: Fließt eine Ladung q in einem elektrischen Bauteil, an dessen Enden der Potentialunterr1 ) herrscht, so erfährt diese Ladung eine Kraft in Richtung kleinerer schied ϕ( r2 ) − ϕ( r1 ), qϕ. Durchläuft die Ladung q im Bauteil den gesamten Potentialunterschied ϕ( r2 )−ϕ( sodass der zugehörige elektrische Strom in Richtung des fallenden Potentialgradienten r1 )] aus dem elektrischen Feld in ein zeigt, so wurde die Energie E = q[ϕ( r2 ) − ϕ( anderes System übertragen. Die Feldgleichungen lassen sich auch mit dem Potential schreiben anstatt mit der Feldstärke: 2 ϕ = −ρ/ε0 ∇ E G = −∇ϕ Solange man elektromagnetische Abstrahlung und die endliche Geschwindigkeit der Ausbreitung von Feldern vernachlässigen kann, gelten diese Feldgleichungen in der gesamten Elektrodynamik. Anhand der Feldgleichungen lässt sich eine weitere Bedeutung des Potentials erschließen. Und zwar sagt die Krümmung des Potentialverlaufs, und damit auch die Potentialdifferenz, etwas über die Ladungskonfiguration aus. Gebrauchsdefinition: Elektrische Spannung
Die elektrische Spannung beschreibt die Stärke der Wechselwirkung zwischen elektromagnetischen Systemen oder anderen Systemen: U12 =
∂ E 12 ∂Q
Ändert sich die Energie des Systems um ∂ E 12 , wenn sich die Ladung ∂ Q von 1 nach 2 bewegt, so liegt zwischen den Punkten 1 und 2 die Spannung U12 an. Man sagt, eine
3.2
Hochschulübliche Darstellung
87
Spannung herrscht zwischen den Punkten 1 und 2 entlang eines Weges γ oder eine Spannung liegt an den Enden eines Weges γ von 1 nach 2 an. Der Verlauf des Weges kann den Betrag der elektrischen Spannung beeinflussen, die Richtung des Weges bestimmt das Vorzeichen der Spannung. Betrachtet man nur eine Ladungskonfiguration ρ mit einem Gradientenfeld E G , so hanρ delt es sich bei der Spannung um die Potentialdifferenz U12 = ϕ(2) − ϕ(1). Dabei ist der genaue Weg nicht von Bedeutung. Die Richtung gibt das Vorzeichen der Spannung an. Die elektrische Spannung beispielsweise einer Batterie gibt die Stärke der Wechselwirkung zwischen dem chemischen Teilsystem der Batterie und dem elektrischen Teilsystem an. Herrscht an den Enden 1 und 2 der Batterie die Differenz des chemischen Potentials chem = [μ(2) − μ(1)]/q μ(2) − μ(1), wobei μ = ∂ E 12 /∂ N , so wirkt die Spannung U12 auf das elektrische System, falls die Teilchen des chemischen Systems die Teilchenladung q besitzen. Nach dem Wechselwirkungsprinzip stellt sich im elektrischen System eine el = ϕ(2)−ϕ(1) = −U chem . Die Spangleichstarke Gegenreaktion ein, die Spannung U12 12 nung des chemischen Systems kann in Bezug auf das elektrische System, an dem man interessiert ist, als externe Spannung bezeichnet werden, weil sie einen externen Antrieb für einen Ladungsstrom und eine Quelle der Energie innerhalb des Stromkreises darstellt. Eine analoge Situation gibt es in einem Lämpchen, während konstant Ladung fließt: Die el zwischen Punkt 1 und Punkt 2 wirkt auf das lichterzeugende elektrische Spannung U12 el = −U L . In System, das mit einer gleichgroßen Gegenspannung entgegenwirkt, U12 12 el diesem Fall wird pro Zeit die Energie P = U12 · I vom elektrischen System an das lichterzeugende übergeben. Alle Spannungen wie U chem und U L , die auf ein elektrisches System von einem externen System wirken, wurden früher unter dem Begriff elektromotorische Kraft E zusammengefasst. Im englischsprachigen Raum spricht man auch heute noch von electromotive force. In diesem Buch wird im weiteren Verlauf der Begriff externe Spannung Uext verwendet. Eine weitere Definition der elektrischen Spannung lehnt sich an die einer Potentialdifferenz an: 2 U12 = − fq · dl 1
Der Integrand ist ein beliebiges Kraftfeld fq = Fq /q, das eine Kraft auf einen Probekörper der Ladung q ausüben kann. Im Falle der Elektrostatik ist dieses Kraftfeld ein elektrisches Gradientenfeld fq = E G und die zugehörige Spannung eine elektrische Potentialdifferenz. Im chemischen System der Batterie liegt kein solches konkretes Kraftfeld vor. Es ist kein Vektorfeld wie die elektrische Feldstärke und es wechselwirkt nicht mit der Eigenschaft Ladung, sondern mit den Körpern/Teilchen, die eine Ladung tragen. Auch wenn das Kraftfeld in solchen Fällen nicht eindeutig definiert und bekannt chem = [μ(2) − μ(1)]/q, deren Wirkung ist, so ist das Resultat eine Spannung wie U12 Q chem in einem elektrischen System anhand der elektrischen Gegenspannung U12 = −U12 mit einem Spannungsmessgerät bestimmt werden kann. Dies ist ein zentraler Vorteil der
88
3 Elektrisches Potential und Spannung
Beschreibung physikalischer Systeme durch Spannungen und allgemeine Potentiale – viele Details eines Systems sind unbekannt, sehr schwer zu bestimmen und spielen keine Rolle für die eigentlich interessante Wechselwirkung mit anderen Systemen. Gebrauchsdefinition: Energie in einem elektrischen System
Die Energie E ist eine mengenartige Größe, die einem (Teil-)System beziehungsweise einem (Energie-)Träger zugeordnet wird. In Formeln und Gleichungen kann die Energie in diesem Buch von der Feldstärke E unterschieden werden, da die Energie keine vektorielle Größe ist und sie mit einem Index versehen wird, beispielsweise E el oder selten E pot . Ein elektrisches System kann mit anderen Systemen Energie an solchen Stellen austauschen, an denen ein Potentialgradient herrscht, also zwischen Punkten, an denen eine Spannung U anliegt und gleichzeitig ein elektrischer Strom der Stärke I vorhanden ist. Der Energietransport zwischen den Systemen kann mit der Energiestromstärke P = U · I beschrieben werden. Die Energiestromstärke wird meistens Leistung genannt und ist wie jede Stromstärke durch den Durchsatz der entsprechenden mengenartigen Größe (hier E) pro Zeit durch eine Fläche definiert. In diesem Buch wird die Art der Energieänderung E nicht mit einer eigenen Bezeichnung versehen, wie Arbeit W für die Energieänderung auf mechanischem Weg oder Wärme Q für die Energieänderung auf thermischem Weg, abgesehen von Beschreibungen zu Lehr- und Schulbüchern.10 Ein elektrisches Feld der Stärke E enthält also Energie. Die Menge der gespeicherten Energie kann in der Elektrostatik durch den Aufbau der Ladungsverteilung berechnet werden, also durch den Weg jedes infinitesimalen Ladungsstücks im Feld der übrigen Ladung. In der gesamten Elektrodynamik ist die Energiedichte an einem Ort im Feld wel =
ε0 2 E . 2
(3.27)
3.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
3.3.1
Vergleich der Sachstruktur
Das elektrische Potential und noch mehr die elektrische Spannung sind sehr abstrakte, wenig konkrete Konstrukte, und gleichzeitig sind sie in der Elektrik und im Alltag allgegenwärtig. Sie stehen mit verschiedenen anderen Ideen und Größen in Verbindung, mit denen man teilweise etwas Konkreteres, Anschaulicheres verbindet. Dies sind die Kraft und ihr Wechselwirkungscharakter, die Energie in einem System und ihre Änderung durch Ladungs10 Näheres zur Wahl der Bezeichnung und zum Energiekonzept allgemein in Abschn. 10.2.2.
3.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
89
transport, die Ladungskonfiguration auf elektrischen Leitern (siehe hierzu Kap. 4) oder der Antrieb eines Flusses. Genau diese Vielschichtigkeit macht das Potential und die Spannung zu Paradebeispielen vielfältiger Möglichkeiten der Elementarisierung und didaktischen Strukturierung, wie auch Kircher feststellt ([22], S. 111). Deshalb wird in diesem Abschnitt zum Vergleich der Sachstrukturen zu Potential und Spannung exemplarisch etwas genauer auf das Elementarisieren eingegangen. Der Beginn einer Elementarisierung, das erste Erklärglied, soll das Elementare enthalten. Was dieses Elementare ist, steht jedoch nicht im luftleeren Raum. Beispielsweise bestimmen die Vorkenntnisse von Schülern, was das darstellbare Elementare ist und vor allem wie es dargestellt wird. Weiterhin ist es eine bewusste Entscheidung, was das Elementare eines physikalischen Konzepts oder Phänomens ist, das man als Erstes darstellen möchte: Eine enge Verbindung zu Ladungskonfigurationen in elektrischen Leitern wie in der Elektrostatik der Hochschule; die Wechselwirkung und der Energieaustausch zwischen Stromkreisen und anderen Systemen – all das entscheidet darüber, womit man beginnt und welche Punkte sich anschließen, um am Ende ein möglichst umfassendes Bild der elektrischen Spannung und des Potentials zu geben. An der Hochschule, vor allem im Bereich der Theoretischen Physik, steht der Aspekt der einfachen Berechnung von Ladungskonfigurationen und Feldern durch das elektrische Potential in der Elektrostatik im Vordergrund. Dies ist auch in der Übersicht der Strukturierungen in Abb. 3.10 so dargestellt. In Lehrbüchern der Experimentalphysik und physikalischen Kompendien sind die Spannung und der Potentialverlauf auch in Stromkreisen wichtig, zum Teil in energetischen Betrachtungen, vor allem zur formalen Berechnung komplexer Schaltungen. In der Schule findet sich vornehmlich eine Einführung des Konzepts Spannung als Antrieb im Rahmen von elektrischen Stromkreisen, nachdem der elektrische Strom und die Stromstärke besprochen wurden. Erst Stück für Stück werden die Bedeutungen eines allgemeinen elektrischen Unterschieds zwischen beliebigen Punkten in einem Stromkreis aufgebaut und in der Sekundarstufe II schließlich zusammen mit dem Potentialverlauf als Unterschied in einem elektrischen Feld verallgemeinert (siehe Spiralcurriculum in Abb. 3.4). Im Vergleich zu Lehrbüchern der Theoretischen Physik wird die Strukturierung vollkommen umgedreht. Es treten damit ganz unterschiedliche Bedeutungsaspekte zu Tage – zum einen das Potential der Elektrostatik, zum anderen die Spannung in Stromkreisen. Diese beiden Aspekte werden in so unterschiedlichen Situationen präsentiert, dass auf den ersten Blick kaum noch ein Zusammenhang zwischen dem Potential der Elektrostatik und der Spannung in Stromkreisen wahrgenommen werden kann. In Abb. 3.10 ist als zweites schulisches Beispiel einer Strukturierung ein unübliches Vorgehen dargestellt, wie es sich ähnlich in Spektrum Physik [1] findet. Nach einer sehr allgemeinen Einführung in Stromkreise und den Energietransport durch Stromkreise wird als erste physikalische Größe die elektrische Spannung anhand eines Potentialverlaufs besprochen. Hierbei wird sehr stark mit Analogien und Bildern gearbeitet, die einem Höhenprofil entsprechen. Die übliche Strukturierung, in der zuerst die Strom-
90
3 Elektrisches Potential und Spannung
Fachsystematik: Grundlagen
Elektrostatik Elektrost. ElekElektro- Beispiele RandwertVektorKraft und trisches statische Feldbeprobleme analysis Feldtärke Potential Energie rechnungen
Didaktische Gliederungen: Elektrizitätslehre Elektrischer Elektrische Widerstand MagnetSpannung in Strom und Spannung und Energie- felder und Stromkreisen Induktion Stromkreise als Antrieb transport Stromkreise Spannung Stromkreise Potential- Spannung als elektr. Induk- Stromund Energie- verlauf & Unterschied stärke Widertion transport Analogien im Potential stand Abb.3.10 Vergleich der Sachstruktur zwischen Schule und Hochschule für die elektrische Spannung und das elektrische Potential
stärke besprochen wird, wird hier durchbrochen. Außerdem wird durch die Einführung des Potentials und entsprechende Analogien zum Potential in Stromkreisen ein Bild nahegelegt, das zum Potential in der Elektrostatik passt. Es ergeben sich damit Grundlagen, auf die man gut in der Sekundarstufe II in der Elektrostatik anknüpfen kann.
3.3.2
Bedeutung von Spannung in Schule und Hochschule
Im Allgemeinen wird eine elektrische Spannung gleichgesetzt mit einer elektrischen Potentialdifferenz [33]. Dies erfolgt scheinbar ungeachtet der Möglichkeit einer Induktionsspannung. Beispielsweise diskutieren Muckenfuß und Walz ([31], S. 52 f.) im Detail den Unterschied zwischen einer elektrischen Spannung als Potentialdifferenz und einer elektromotorischen Kraft, wie sie beispielsweise auch eine Induktionsspannung ist. Die Darlegungen, wann man von elektromotorischer Kraft spricht, im Gegensatz zur Spannung bezogen auf die Stromrichtung und die tatsächliche Kraftrichtung innerhalb bzw. außerhalb der Spannungsquelle, erscheinen sehr unübersichtlich. Deshalb verwenden Muckenfuß und Walz im Rest ihres Buches nur den Begriff Spannung sowohl für eine Potentialdifferenz als auch für eine elektromotorische Kraft. Begründet wird dies jedoch nur mit einer Vereinfachung für den Unterricht. Auch dieses Buch folgt dieser Vorgehensweise. Hier geschieht das allerdings nicht um zu vereinfachen, sondern um sich fachlich konsistent und sinnvoll auszudrücken. Im Folgenden soll anhand des Analogiemodells der Fahrradkette dargelegt werden, inwieweit die
3.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
91
Begriffe elektromotorische Kraft und Potentialdifferenz das gleiche physikalische Konzept beschreiben oder nicht. Im Modell Fahrradkette betrachtet man Zahnräder und Kette eines Fahrrads. Die Kette selbst sei die Analogie zum Stromkreis und ein eigenes System. Die Zahnräder und die Körper an ihren Achsen entsprechen der Elektrizitätsquelle und einem Widerstand oder Lämpchen und stellen die Verbindung des Stromkreises zu anderen tr et ist dann das Analogon Systemen dar. Das Drehmoment beim Treten in die Pedale M zur elektromotorischen Kraft E einer Elektrizitätsquelle. Das diesem entgegen gerichtete Drehmoment aufgrund des Unterschieds in mechanischer Spannung zwischen oberem und span entspricht der Potentialdifferenz. Die beiden Drehmomente unterem Kettenabschnitt M span1 , es handelt tr et = −M sind gleichgroß und besitzen entgegengesetzte Vorzeichen M sich um eine Wechselwirkung verschiedener Systeme. Am zweiten Zahnrad erzeugt der Unterschied der mechanischen Spannung erneut ein Drehmoment mit gleichem Betrag und span1 , analog zu den Potentialdifferenzen an span2 = −M entgegengesetztem Vorzeichen M einer Elektrizitätsquelle und an einem Bauteil wie einer Lampe. Hierbei handelt es sich nicht um eine Wechselwirkung, sondern um ein Gleichgewicht innerhalb eines Systems. Entgegen dem Drehmoment durch die Kette wirkt im zweiten Zahnrad das Drehmoment aufgrund der span2 . br ems = −M bremsenden Wirkung des Rades im Kontakt mit dem Untergrund: M Dies ist erneut eine Analogie zu einer elektromotorischen Kraft, diesmal die aufgrund des elektrischen Widerstands in der Lampe. Es handelt sich erneut um eine Wechselwirkung zwischen verschiedenen Systemen. Die physikalische Größe in diesem Analogiemodell war jeweils das Drehmoment. Im Stromkreis hätte man dagegen zwischen elektromotorischer Kraft und Potentialdifferenz unterschieden, je nach betrachtetem System. Ein ähnliches Beispiel ist direkt mit Wechselwirkungskräften und Kräftegleichgewichten in der Mechanik möglich. Liegt ein Gegenstand auf einem Tisch, so spricht man zwar von der Gewichtskraft des Gegenstands, die auf den Tisch wirkt, und von der Normalkraft, die der Tisch auf den Körper ausübt – es werden unterschiedliche Wörter verwendet – es handelt sich physikalisch jedoch immer um Kräfte. Es ist sinnvoll, zwischen Kraft und Gegenkraft verschiedener Systeme zu unterscheiden; es ist nicht sinnvoll oder konsistent, solchen Wechselwirkungsgrößen scheinbar unterschiedliche physikalische Größen zuzuordnen, wie elektromotorische Kraft und elektrische Potentialdifferenz. Anhand des Verlaufs des elektrischen Potentials kann eine elektrische Spannung berechnet werden, die das elektrische System auf ein anderes System ausübt.11 Jede Potentialdifferenz ist eine Spannung – nicht jede Spannung ist eine Potentialdifferenz. In diesem Buch wurde die Bezeichnung externe Spannung gewählt, wenn eine elektromotorische Kraft gemeint ist. Dieser Begriff wirkt sinnvoll, da man in der Elektrizitätslehre immer den Stromkreis als zentrales System betrachtet und deshalb andere Systeme extern sind. Weiterhin kann damit sehr leicht ein analoger Sprachgebrauch wie in der Mechanik verwendet werden – externe Spannung einer Batterie und sich deshalb einstellende Spannung in einem Stromkreis sind Spannung und 11 Hier wurde bewusst das Verb „ausüben“ gewählt in Analogie zum Ausüben von Kraft. Das Verb „übertragen“ wurde vermieden, da es die Assoziation des übertragens einer mengenartigen Größe fördern könnte.
92
3 Elektrisches Potential und Spannung
Gegenspannung. In Kap. 8 wird noch weiter darauf eingegangen. Außerdem wird gezeigt, dass auch bei der Induktion das elektrische Potential ϕ in realen Situationen in Stromkreisen eine sinnvolle Größe ist. In diesem Zusammenhang stehen alle weiteren Bedeutungen, die man mit der elektrischen Spannung und dem elektrischen Potential verbindet: der Antriebscharakter, die übertragene Energie, die Änderung einer Ladungskonfiguration, die Kraft auf einen geladenen Körper usw.
3.3.3
Spannung oder Potential
An den Lehrplänen und Schulbüchern erkennt man, dass die elektrische Spannung gegenüber dem elektrischen Potential in der Sekundarstufe I bevorzugt wird. Es wird scheinbar vermutet, dass die elektrische Spannung leichter verständlich und anschaulicher ist. Ein möglicher Grund dafür ist, dass man eine Spannung zwischen zwei Punkten direkt messen kann, im Gegensatz zu dem Potential an einem Punkt. Andererseits wird in der Didaktik auch für das Potential plädiert [9, 33], da man dafür einen Wert für jeden Punkt (im Leiter oder sogar im Raum) und damit auch einen Verlauf betrachten kann. Man kann einen einzelnen Potentialwert zwar nicht absolut messen, genauso wenig wie eine Höhe, jedoch erscheint ein Potentialverlauf in Analogie zu einem Höhenprofil sehr anschaulich. Bei Müller [33] und Burde [9] finden sich neben Veranschaulichungen des Potentials mit Höhenprofilen auch Veranschaulichungen mit Farben. In anderen Ländern stellt sich die Frage gar nicht erst, ob man mit der Spannung oder dem Potential den Unterricht beginnt. Wie zuvor für die englischsprachigen Lehrbüchern gezeigt wurde, gibt es dort keinen allgemeingültigen Spannungsbegriff wie man ihn im deutschsprachigen Raum kennt. Dies zeigt sich auch in internationalen Schulbüchern, wie beispielsweise in Conceptual Physics von P. G. Hewitt [20]. Dort existiert im Rahmen der Elektrostatik und in einfachen Stromkreisen nur das Potential und der Potentialunterschied (der auch voltage genannt wird). Im Bereich der elektromagnetischen Induktion kommt die neue Größe der elektromotorischen Kraft hinzu. Im vorherigen Abschnitt wurde schon darauf hingewiesen, dass ein gemeinsamer Begriff für die beiden Konzepte elektromotorische Kraft und Potential sinnvoll ist. Man kann aus dem Fehlen eines solchen allgemeingültigen Begriffs wie Spannung im englischsprachigen Raum jedoch auch schließen, dass es kein grundsätzliches Problem gibt, zwei Größen einzuführen – im deutschsprachigen Raum wären das Potential und Spannung. Es gibt somit scheinbar auch keinen Grund, eine der beide Größen, beispielsweise die Spannung, per se zu bevorzugen.
3.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
3.3.4
93
Spannung und Potential in Analogiemodellen
In Abschn. 3.1.4 wurde ein Überblick wichtiger Analogiemodelle zu Stromkreisen gegeben. Diese Modelle werden in Anhang C im Detail fachlich diskutiert. Im folgenden Abschnitt wird ein genauerer Blick auf die Spannung und das Potential in den Analogiemodellen geworfen. Die üblichste Analogie für das elektrische Potential ϕ ist die Höhe h, wie man in Tabelle 3.2 sehen kann. Dies ist am offensichtlichsten im Höhenmodell und dem Rutschenmodell der Fall. Eine Höhendifferenz h entspricht somit der elektrischen Spannung. Im Stäbchenmodell entspricht zwar auch die Höhe dem Potential, jedoch hat innerhalb des Modells die Höhe keine physikalische Funktion wie im Höhen- und Rutschenmodell, sondern ist eine reines Sinnbild. Im geschlossenen Wasserkreislauf werden häufig kleine Röhrchen an den Leitungen verwendet, um durch die Höhe der Wassersäulen den lokalen Druck anzuzeigen. Die eigentliche Analogiegrößen zu Potential und Spannung sind darin allerdings der Druck p und der Druckunterschied p. Es müsste darauf geachtet werden, dass Schüler die dargestellte Wasserhöhe nicht direkt als Analogie zum Potential und zum Potentialunterschied ansehen. Solche Feinheiten mit Schülern zu besprechen, erscheint nicht besonders sinnvoll, auch bezogen auf den Zeitaufwand. Es deutet allerdings an, dass darauf geachtet werden sollte, manche Modelle nicht parallel zu verwenden. Es könnte beispielsweise sein, dass die Konzepte Potential und Spannung etwas verwässert werden, wenn sowohl offene als auch geschlossene Wasserkreisläufe verwendet würden. Dagegen sollte die Verwendung des Stäbchenmodells mit einem der beiden Wasserkreisläufe unproblematisch sein, da die Höhe im Stäbchenmodell rein sinnbildlich ist. Eine interessante Ausnahme von der Höhenanalogie bildet, neben dem Druck im geschlossenen Wasserkreislauf, das Modell der Fahrradkette bzw. des Keilriemens. Dabei ist fachlich die Analogiegröße zum Potential die Zugspannung in der Kette σ = Kraft/Kettenquerschnitt = F/A. Im Umgang mit Schülern erscheint es allerdings nicht Tab. 3.2 Analogiegrößen zu Potential und Spannung in den Analogiemodellen zum elektrischen Stromkreis Experiment
Analogiegröße zum Potential Analogiegröße zur Spannung
Geschlossener Wasserkreislauf Druck p
Druckunterschied p
Offener Wasserkreislauf/Höhenmodell
Wasserhöhe h
Höhenunterschied h
Fahrradkette
Zugspannung in der Kette σ = Unterschied der Zugspannung Kraft/Fl¨ache = F/A σ = F/A
Stäbchenmodell
Höhe des Anschlusses h
Höhenunterschied h
Rutschenmodell
Höhe/Höhenprofil
Höhenunterschied
Hütchenmodell
keine
Energiehütchen pro Ente
94
3 Elektrisches Potential und Spannung
sinnvoll, diese fachlichen Größen anzusprechen, vor allem, wenn das Potential im Stromkreis verwendet wird, da die Analogiegröße zum elektrischen Potential eine mechanische Spannung ist. Da es sich um ein mechanisches Modell handelt, könnte hierbei als Analogiegröße gegenüber Schülern die Kraft genannt werden, die in der Kette wirkt. Die Kraft an den Enden von Seilen ist Schülern aus dem Unterricht zur Mechanik bekannt. Es besteht also die Möglichkeit, daran anzuknüpfen und die Kenntnisse zur Energieübertragung anhand von Kräften mit der Energieübertragung anhand von Potentialen zu vernetzen. Das Energiehütchenmodell zeigt einige Probleme in seiner Elementarisierung der Spannung. Die Spannung als transportierte Energie pro Ladung U = E/Q wird dabei sehr sprichwörtlich genommen und als Energiehut pro Männchen/Ente dargestellt. Im Bild des Modells wird effektiv die Spannung einer Energie(-Portion) gleichgesetzt, die Spannung ist dann nicht die Ursache des Ladungstransports. In Anhang C werden weitere Probleme angesprochen. Von diesem Modell muss also abgeraten werden. Vom Hütchenmodell abgesehen, ist kein Modell per se besser oder schlechter. Je nach dem, wie man ein Modell im Unterricht verwenden möchte, ist das eine oder andere Modell sinnvoller.
3.3.5
Mikroskopische Beschreibung des Widerstands
Eine mikroskopische Beschreibung und Erklärung des Widerstands wird im Rahmen der Elektrodynamik nicht gegeben. In Büchern der Elektrodynamik wird allerdings häufig kurz das Drude-Modell (siehe Anhang B) besprochen. Im Gegensatz dazu beschreibt das Gesetz von Hagen-Poiseuille einen Widerstand für Fluide in einer Rohrleitung. Durch die naheliegende Annahme irgendeines Reibungskoeffizienten gelangt man auch in der Kontinuumstheorie zu dem Zusammenhang I ∝ U . Für einen ohmschen Zusammenhang ist eine mikroskopische Erklärung nicht notwendig. In Schulbüchern wird die Erhöhung des Widerstands mit der Temperatur anhand eines klassischen Teilchenmodells durch das stärkere Schwingen der Atomrümpfe erklärt, die die fließenden Elektronen damit stärker behindern. Der vermutliche fachliche Hintergrund eines schulischen Teilchenmodells ist das Drude-Modell. Im Drude-Modell geht dagegen die Temperatur nur in die mittlere Stoßzeit τ ein, da die√ mittlere Geschwindigkeit der Elektronen von ihrer Temperatur abhängt gemäß ρ ∝ 1/τ ∝ T . Somit ist die Erklärung im Teilchenmodell in der Schule (das Schwingen der Atomrümpfe) keine Elementarisierung der Erklärung eines klassischen Teilchemodells wie dem Drude-Modell (die mittlere Geschwindigkeit der Elektronen)12 . Quantenmechanisch hängt der elektrische Widerstand im Bereich der Raumtemperatur vornehmlich von Stößen mit Phononen ab, also von der Stärke der Schwingungen der Gitterpunkte. Diese quantenmechanische Erklärung ist in einem Bild mit klassischen Teilchen jedoch falsch. Die Anschaulichkeit, dass die Atomrümpfe mehr behindern, wenn 12 Die Abhängigkeit des elektrischen Widerstands von der Wurzel der Temperatur im Drude-Modell
beschreibt nicht die gemessene Abhängigkeit und stimmt qualitativ kaum.
3.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
95
sie stärker schwingen, ist eine Täuschung von Abbildungen, da „bewegte“ Atomrümpfe in Skizzen durch die Andeutung der Bewegung größer wirken. Eine Elementarisierung muss zwar nicht immer fachlich korrekt sein, wenn es vertretbar ist. Da man hier allerdings eine täuschende Anschaulichkeit für eine Elementarisierung verwendet, ist die Vertretbarkeit anzuzweifeln. Weitere Probleme eines Teilchenmodells werden in Anhang B erörtert. Hier sind als Probleme vor allem die Fehlvorstellungen zum Teilchenmodell zu nennen und das Fehlen einer fachlichen Grundlage für ein Teilchenmodell. Eine mikroskopische Beschreibung des elektrischen Widerstands mit Elektronen als klassische Teilchen erscheint überflüssig und ist mit vielen Fehlern und Fehlvorstellungen verbunden. Die Vorstellung des elektrischen Stroms als fließendes Fluidum, das einen nicht weiter spezifizierten Widerstand in den Leitungen erfährt, wirkt zweckmäßiger.
3.3.6
Stromstärke, Spannung und Leistung in Stromkreisen
Ein Verständnis aufzubauen der drei Größen Stromstärke I , Spannung U und Leistung P (oder Energie E) in einem Stromkreis und ihres Zusammenhangs und ihrer Unterschiede bereitet Lernenden wie Lehrenden große Schwierigkeiten. Es ist sehr häufig der Fall, dass Lernende zwischen diesen Begriffen nicht differenzieren und sie die Begriffe unter einer vagen Energievorstellung zusammenfassen [36]. Die Gründe hierfür sind schnell zu finden. Die Größen sind eng miteinander verknüpft, P = U · I , und keine für sich selbst direkt wahrnehmbar. Bei Experimenten zu Stromstärke und Spannung sind die Beobachtungen auch oft mit dem Umsatz von Energie verbunden, wie bei den Wirkungen des Stroms (eine Ausnahme ist die magnetische Wirkung). Die Spannung (das Potential) wird direkt als „Energieänderung pro Ladung“, U = E/Q, eingeführt oder als Leistung pro Stromstärke, U = P/I . Die Versprachlichung der Formeln in dieser Form entspricht der konzeptuellen Gleichsetzung von Energie/Leistung und Spannung. Dies entspricht einem Stückpreis, Geld pro Stück, der konzeptuell einem Geldbetrag gleichkommt und keiner neuen Größe. Unterschiede zwischen den drei Begriffen erscheinen weniger deutlich. Die Größe elektrische Ladung ist nicht wahrnehmbar, was damit genauso für die Stromstärke als ein Maß ihrer Bewegung gilt. Der Antriebscharakter der elektrischen Spannung geht leicht verloren, genauso wie die Tatsache, dass die Spannung mehr mit der (möglichen) Änderung der Energie und dem elektrischen Feld zusammenhängt. Hier sollen Analogiemodelle mit anschaulichen Größen als Analogiegrößen zur Spannung und Stromstärke helfen. In Wagenscheins Experiment mit Handgeneratoren (siehe Abb. 3.3) soll eine spürbare Analogie zur mechanischen Leistung als Produkt aus Geschwindigkeit und Kraft gegeben werden P = Fv(= Mω) = U I . Das Experiment beinhaltet jeweils alle drei Größen und nutzt die Kontrastierung, um die Unterschiede der drei Größen deutlich und wahrnehmbar
96
3 Elektrisches Potential und Spannung
zu machen. Die Kraft als Impulsstromstärke ist eine Analogiegröße zur elektrischen Stromstärke und die Geschwindigkeit als „kinetische Spannung“ zur elektrischen Spannung13 v = ∂ E/∂ p = p/m. Auch dieses Größenpaar wird gern mit der Energie gleichgesetzt. Wurde allerdings dafür schon im Bereich der Mechanik ein tiefergehendes Verständnis aufgebaut, so kann dies auf die Größen elektrische Stromstärke und Spannung übertragen werden. Unintuitiv ist dabei, dass die Geschwindigkeit, also eine Größe, die die Bewegung eines Körpers beschreibt, nicht die Analogiegröße zur Stromstärke ist, die die Bewegung der Ladung beschreibt. Da es bei diesem Versuch allerdings nicht um ein differenziertes Verständnis der einzelnen Analogiegrößen geht, sondern um ein phänomenologisches Verständnis auf der Basis einer haptischen Erfahrung, erscheint dieser Nachteil geringfügig. Weitere Unterschiede, die in der Form auch durch Analogiemodelle deutlich werden: • An den Enden eines elektrischen Bauteils (oder an jedem Abschnitt mit einem endlichen Widerstand) liegt Spannung an. Dagegen ist die Stromstärke an den Enden gleich. • Es gibt Situationen, in denen nur Spannung oder nur Stromstärke (Supraleitung) vorhanden ist, ein Umsatz von Energie findet allerdings nur dort statt, wo beide Größen gleichzeitig vorhanden sind. Dann gilt P = U I . • In einer Reihenschaltung wird die Verteilung des Energieaustauschs in den Bauteilen über die Spannung geregelt, in einer Parallelschaltung über die Stromstärke. Die Leistung P ist die Energiestromstärke. Trotzdem kann mit der Formel P = U I wenig über den Energietransport in elektrischen Systemen gesagt werden. Die Formel beschreibt nicht den Transport innerhalb des elektrischen Systems, sondern lediglich den Energieaustausch mit anderen Systemen (Batterien, Lämpchen etc.). Der Verlauf des Energietransports im elektrischen System wird mit den Feldern beschrieben, die mit U und I verbunden sind, also der elektrischen und magnetischen Feldstärke. Das wird in Kap. 8 genauer besprochen. Von Rhöneck konstatiert weiterhin eine Übermächtigkeit des Strombegriffes. Das erscheint mit Blick auf die Analogiemodelle nachvollziehbar. In der Elektrodynamik sind alle Begriffe unanschaulich. In den Analogiemodellen wird in erster Linie die Bewegung der mengenartigen Größe sichtbar gemacht. Die analogen Größen für die Spannung und die Energie bleiben weiterhin sehr abstrakte, unanschauliche Begriffe. An dieses Problem setzt vor allem das Münchner Stäbchenmodell an, indem es lediglich eine zur Spannung analoge Größe anbietet. Die fachliche Auseinandersetzung mit Stromkreisen hilft Schülervorstellungen nachzuvollziehen und die fachliche Darstellung und die entsprechende Elementarisierung anzupassen.
13 Der Einfachheit halber wurde vernachlässigt, dass es sich bei der Kraft und der Geschwindigkeit um vektorielle Größen handelt.
3.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
3.3.7
97
Elektrischer Strom in Leitern mit oder ohne Feld
Man bemüht sich in vielen Arbeiten, den Ausdruck j = σ E, also das lokale ohmsche Gesetz, für den gesamten Stromkreis zu begründen und zu rechtfertigen. Die Aussage ist dabei: Dort, wo ein elektrisches Feld herrscht, existiert eine dazu proportionale Stromdichte. Dabei schwingt jedoch auch immer mit, dass überall im Stromkreis ein elektrisches Feld herrschen muss, damit ein elektrischer Strom vorhanden ist. Man unterrichtet, vor allem mit dem Drude-Modell, dass im Leiter ein elektrisches Feld herrscht, das den Strom antreibt. In neueren Veröffentlichungen versucht man, dieses schwer verständliche elektrische Feld mit den Oberflächenladungen anschaulich plausibel zu machen [18]. Diese Darstellungen mit Oberflächenladungen und dem elektrischen Feld um einen Leiter wirken sehr komplex und überladen. Man muss sich die Frage stellen, ob dies für Lehrenden und Lernenden wirklich zweckmäßig ist. Das elektrische Feld in einem Leiter und die damit verbundenen Oberflächenladungen sind für ein grundlegendes Verständnis von Stromkreisen nicht notwendig. Die Faustregel aus der Elektrostatik, dass in einem elektrischen Leiter kein elektrische Feld existiert und der Leiter durch ein konstantes Potential bestimmt ist, reicht vollkommen aus. Ein elektrischer Strom kann auch in Leitern existieren, in denen nicht an jedem Ort ein elektrisches Feld in seine Richtung zeigt. Das verdeutlicht ein Supraleiter eindrucksvoll. Anschaulich zeigt sich das in der Analogie mit Wasser. Wasser fließt über eine waagrechte Oberfläche/Rinne, falls auf der einen Seite das Wasser etwas höher steht und es auf der anderen Seite in eine Vertiefung, zum Beispiel ein Loch, abfließen kann.14 Natürlich kann man leicht zeigen, dass jedes Stück Metall auch einen kleinen elektrischen Widerstand besitzt und dass dieser bei z. B. Überlandleitungen nicht zu vernachlässigen ist. Dafür muss man aber die Oberflächenladungen, das elektrische Feld in Leitern oder ihre Zusammenhänge nicht genau verstehen. Ein differenziertes Wissen zu diesem Thema erscheint erst in der Sekundarstufe II oder der Hochschule sinnvoll. Erst wenn es darum geht, hochfrequente Signale zu übertragen, werden Eigenschaften wie Widerstand, Kapazität und Induktivität von Leitungen wirklich entscheidend. Bis dahin genügt die Faustregel, dass elektrische Felder nur in der Elektrizitätsquelle und einem Widerstand existieren.
14 Dabei bleibt selbstverständlich immer etwas Wasser übrig, wenn der Antrieb weg ist. In dieser
Analogie benötigte man eine vergleichbare Faustregel wie für den idealen Leiter. Das wäre eine perfekte Oberfläche durch beispielsweise den Lotus-Effekt.
98
3 Elektrisches Potential und Spannung
3.4
Zusammenfassung
Schule: • Experimente, die beim Verständnis des Konzepts Spannung/Potential helfen sollen, zeigen vornehmlich eine Verbindung zu den Konzepten Arbeit, Energie und Leistung. • Wird die Spannung mathematisch eingeführt, dann geschieht dies durch die zur Verfügung gestellte oder umgesetzte Energie pro Ladungsportion U = E/q oder durch den Quotienten aus Leistung und Stromstärke U = P/I . • Wird das elektrische Potential eingeführt, dann geschieht dies in Bezug zur potentiellen Energie in elektrischen Systemen als Analogie zu einem Höhenprofil in Bezug auf die Lageenergie. In der Sek. II findet man die mathematische Definition als Quotient aus potentieller Energie und dabei bewegter Ladung ϕ = E pot /q. • Die elektrische Stromstärke ändert sich mit der angelegten Spannung I = I (U ). Für verschiedene Materialien/Bauteile ist die sogenannte Kennlinie unterschiedlich. Der elektrische Widerstand eines Bauteils ist definiert als Quotient aus angelegter Spannung und dabei hervorgerufener Stromstärke R = U /I . Er kann mit der Spannung und dem Strom variieren. Falls U ∝ I gilt, spricht man von einem ohmschen Widerstand. • Mit unterschiedlichen Analogiemodellen können unterschiedliche Aspekte und Größen von elektrischen Stromkreisen besprochen und verdeutlicht werden. Hochschule: • Das elektrische Potential ϕ( r ) beschreibt ein elektrisches Gradientenfeld E G , also r ). r ) = −∇ϕ( das Feld einer Ladungsverteilung E G ( • In der Elektrostatik kann die potentielle Energie einer Anordnung aus einer Punktladung q und einem beliebigen Feld mit dem Potential ϕ durch E pot = qϕ ausgedrückt werden. • Die elektrische Spannung kann allgemein definiert werden als U = E ges /q = ∂ E ges /∂q. In der Elektrostatik ergibt sich zwischen den Orten r1 und r2 die Span r nung U12 = − r12 E · dl.
Vergleich: • Jede Potentialdifferenz ist eine Spannung, nicht jede Spannung ist eine Potentialdifferenz. Wird die Spannung in Analogie zur Kraft gesehen, so ist eine Potentialdifferenz analog zu einer speziellen Kraft, wie beispielsweise der Gewichtskraft.
Literatur
99
• In der Sekundarstufe I wird die Spannung dem Potential vorgezogen. Es gibt jedoch keine Hinweise auf Vorteile des ausschließlichen Unterrichtens der Spannung in der Sekundarstufe I. • Die elektrische Spannung ist allgemeingültiger (elektrostatische und -dynamische Phänomene), das elektrische Potential liefert anschaulichere Analogien und Darstellungsweisen (farbliche Kennzeichnung von Stromkreisen, Höhenprofil). • Um Analogiemodelle sinnvoll einsetzen zu können, benötigt man fachliche Kenntnisse zu den analogen Größen, auch wenn man diese im Unterricht nicht mit den Schülern bespricht. • Eine mikroskopische Beschreibung des Widerstands (mithilfe eines Teilchenmodells) erscheint nicht zweckmäßig innerhalb der Elektrizitätslehre und der Elektrodynamik. Ein phänomenologisches Verständnis für die Größe elektrische Ladung und damit für die Größen elektrischer Strom und Widerstand ist sinnvoll. Ein übervereinfachtes mikroskopisches Bild könnte mehr Nachteile als Verständnishilfen bringen. • Die Größen Stromstärke, Spannung und Energie/Leistung sind eng miteinander verknüpft (P = U I ) und werden von Schülern vermischt. Die sprachliche Nähe von Spannung und Energie – Spannung ist Energie (pro Ladung) oder Spannung ist Leistung (pro Stromstärke) – fördert vermutlich ein Vermischen von Spannung und Energie/Leistung.
Literatur 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
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100
3 Elektrisches Potential und Spannung
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Literatur
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4
Elektrostatik elektrischer Leiter
Inhaltsverzeichnis 4.1
4.2
4.3
4.4
Potentiale und elektrische Leiter in der Hochschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Lehrbücher der Experimentalphysik und Kompendien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Lehrbücher der Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Beispiel und Faustregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Poisson und Laplace in der Schule – Allgemeine Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Elektroskop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Kräfte zwischen geladenen Leitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Influenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Feldbilder um Leiterelektroden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Faradayscher Käfig und der Ort der Ladungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Elektrophor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Versuchsverlauf und Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Potentialverläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Diskussion des Elektrophors für den Schulgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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In diesem Kapitel wird gezeigt, wie versteckt und doch sehr umfassend die Laplace- und die Poisson-Gleichung in der Schule behandelt werden, sogar in der Sekundarstufe I. Die übliche Kapitelstruktur wird hier durchbrochen, da es sich nicht um ein spezifisches Thema handelt, das sich als solches in Schulbüchern findet, sondern nur indirekt an unterschiedlichen Stellen auftaucht. Daher wird zuerst die Beschreibung in der Hochschule besprochen. Danach wird der Blick auf die Schule gerichtet und dort nach dem versteckten Auftreten der fachlichen Aspekte gesucht. Die Elektrostatik elektrischer Leiter kann als sehr eindrückliches Beispiel gesehen werden, wie tiefgehendes fachliches und theoretisches Wissen in der Sekundarstufe I hilfreich und zum Teil notwendig ist, um schüler- und fachgerechten Unterricht zu gestalten.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4_4
103
104
4 Elektrostatik elektrischer Leiter
4.1
Potentiale und elektrische Leiter in der Hochschule
4.1.1
Lehrbücher der Experimentalphysik und Kompendien
Die Beschreibung von Leitern erfolgt in Büchern der Experimentalphysik [3, 9] oft zunächst phänomenologisch und es werden Beobachtungen der Feldstärke und Ladungen auf den Leitern erklärt. Dies wird beispielsweise unter dem Thema „Influenzerscheinungen“ zusammengefasst. Diese Beschreibung ist unabhängig davon, ob das elektrische Potential danach eingeführt wird oder schon zuvor eingeführt wurde. Zum Teil werden in den Formulierungen verschiedene Konzepte vermischt und vorweggenommen. So heißt es bei Demtröder, dass sich ein Leiter mit einem Becher an einer Elektrizitätsquelle „im Prinzip auf eine beliebig hohe Spannung aufladen“ ([3], S. 19) lässt. Hier wird impliziert, dass die eigentlich wichtige Größe für einen Leiter die Spannung bzw. das Potential ist, noch bevor dies konkret erklärt wird. Die Feldfreiheit im Inneren und in Hohlräumen von Leitern wird im Rahmen der Feldstärkeargumentation oft mit dem gaußschen Satz dargelegt. Das Potential im Zusammenhang mit elektrischen Leitern wird spätestens mit der Kapazität genauer besprochen. Die Kapazität wird am Beispiel des Plattenkondensators eingeführt und vornehmlich daran besprochen. In den Kompendien [6, 7, 11] wird dagegen sofort das Potential im Zusammenhang mit elektrischen Leitern eingeführt und ihre Eigenschaften werden damit beschrieben. Zentral ist dabei oft der Spitzeneffekt, der mit dem Potential sehr leicht erklärt werden kann. Bei all diesen Büchern müssen allerdings die Abbildungen kritisch betrachtet werden, da manche Details stark (über)vereinfacht werden. Werden beispielsweise auf einer leitenden Kugel in einem inhomogenen Feld Ladungen influenziert, so wird das oft so dargestellt, als sei genau eine Kugelhälfte homogen positiv geladen und die andere Hälfte homogen negativ geladen. In Wirklichkeit ist die Ladung jedoch sehr asymmetrisch auf der leitenden Kugel verteilt. Die Eigenschaften von Leitern, egal ob in geladenem oder neutralem Zustand, in Verbindung mit elektrischen Feldern lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: • Innerhalb eines Leiters und in Hohlräumen ist die elektrische Feldstärke gleich null, E M = 0. • Die Ladung sitzt nur an der Oberfläche von elektrischen Leitern. • Die elektrischen Feldlinien, falls vorhanden, stehen senkrecht auf den Leiteroberflächen. Das lässt sich genauso mithilfe des elektrischen Potentials anstatt der Feldstärke ausdrücken: • Innerhalb eines Leiters und in Hohlräumen ist das elektrische Potential konstant, ϕ M = const. • Die Oberfläche eines elektrischen Leiters ist eine Äquipotentialfläche.
4.1
Potentiale und elektrische Leiter in der Hochschule
105
Für eine Anordnung aus zwei Leitern (einer davon kann auch im Unendlichen liegen) kann eine Kapazität angegeben werden. Sie ist definiert als die zusätzliche Ladungsmenge Q > 0, die sich auf den Leitern einstellt (auf einem Leiter +Q, auf dem anderen −Q), wenn zwischen ihnen die Spannung U = ϕ2 − ϕ1 angelegt wird, C = Q/U . Da U ∝ Q gilt, ist die Kapazität auch die Proportionalitätskonstante zwischen der Ladung einer Leiteranordnung und der angelegten Spannung, Q = CU . Für komplexere Leiteranordnungen und Schaltungen gibt es die Gesetze der Reihen- und Parallelschaltung einzelner Kapazitäten zu einer Gesamtkapazität.
4.1.2
Lehrbücher der Theorie
Im Anschluss an die formale Einführung des elektrischen Potentials ϕ werden in den Büchern der Theoretischen Physik Berechnungen zu Feldern an Leitern unter dem Begriff „Randwertprobleme“ besprochen. Die grundlegende Bedingung innerhalb elektrischer Leiter ist E = 0 und damit ϕ( r ) = const., wie oben schon erwähnt. Mithilfe des stokesschen Satzes und des gaußschen Gesetzes an der Oberfläche eines Leiters (siehe hier beispielsweise [4], Kap. 7) werden die Bedingungen für die elektrische Feldstärke an der Leiteroberfläche R hergeleitet: r ) = 0 (4.1a) t · E( R r) r ) = σ ( (4.1b) n · E( R ε0 Hierbei sind t und n Tangenten- und Normalenvektor an die Oberfläche R, und σ ist die Flächenladungsdichte. Für ein Volumen V zwischen den Leitern, dessen Rand R der Rand der Leiteroberflächen ist, ergeben sich für das elektrische Potential die sogenannten DirichletRandbedingungen [4]: ρ( r) 2 ϕ( r) = − in V , ∇ ε0 ϕ( r )|R = ϕ0 ( r ) auf R
(4.2) (4.3)
Gegeben sind ϕ0 ( r ) und ρ( r ) und gesucht ist ϕ( r ). Dabei ist ρ( r ) eine gegebene Ladungsverteilung innerhalb des Volumens V und nicht die unbekannte Oberflächenladungsdichte σ ( r ). Ist ρ = 0, so nennt man die Gleichung auch Poisson-Gleichung, und für ρ = 0 spricht man von der Laplace-Gleichung. Die Oberflächenladung kann aus dem Zusammenhang
106
4 Elektrostatik elektrischer Leiter
Abb.4.1 Flächenladungsdichte (rot) in einer geerdeten Metallplatte mit benachbarter Punktladung q (oben) und Skizze der Anordnung mit Feldlinien (unten)
σ ( r) ∂ϕ = , ∂n R ε0
(4.4)
einer Abwandlung der Gl. (4.1b), bestimmt werden. Die bekanntesten ersten Beispiele sind der Faraday-Käfig für die Laplacegleichung und die Bildladung für die Poissongleichung. In Abb. 4.1 ist eine Punktladung der Größe q skizziert (unten), und darüber befindet sich eine geerdete Metallplatte mit der influenzierten Flächenladungsdichte σ (oben). Die Lösung für den Potential- und Feldverlauf erfolgt mit einer Bildladung. Entscheidend für dieses Kapitel ist allerdings die Tatsache, dass in jedem leitenden Körper (auf einem bestimmten Potential, hier ϕ = 0) durch andere Ladungen und Felder in seiner Umgebung Ladung influenziert wird. Für eine Anordnung von N Leitern mit den elektrischen Potentialen ϕi (i = 1, . . . , N ) kann für die Ladung Q i auf einem der Leiter die Beziehung Qi =
N
Ci j ϕ j
(4.5)
j=1
angegeben werden. Bei zwei Leitern wird von einem Kondensator gesprochen. Bei Fließbach wird in diesem Fall die Potentialdifferenz als Spannung bezeichnet,1 um die Kapazität des Kondensators als C = Q/U einführen zu können.2 Dabei wird erneut deutlich, dass auch einem einzelnen Leiter eine Spannung im Verhältnis zum Nullpotential zugeordnet wird. Das bedeutet in der Elektrostatik effektiv ϕ( r ) = U ( r ).
1 Dabei wird in [4] die Spannung zuerst anhand von Formel (6.23) als negatives Integral über die
Feldstärke, in Formel (8.20) dann mit umgekehrtem Vorzeichen eingeführt. Ersteres geschieht, um einen Bezug zur Energie herstellen, Letzteres um sicherzustellen, dass das Vorzeichen der Kapazität positiv ist. 2 In der englischsprachigen Literatur wird in diesem Zusammenhang von der Potentialdifferenz V = ϕ gesprochen.
4.1
Potentiale und elektrische Leiter in der Hochschule
4.1.3
107
Beispiel und Faustregeln
Die wichtigsten Erkenntnisse, die man sich merken sollte, lauten: • Elektrische Leiter sind (in der Elektrostatik) über ein konstantes Potential ϕi = const. bestimmt. • Es gilt: ∂ϕ q|R ∝ σ ∝ E ∝ R ∂n R In Worten: Die Steigung des Potentials (an der Oberfläche) hängt von der Ladung an der Oberfläche ab. Dasselbe gilt für den Betrag der Feldstärke an der Oberfläche, also die Dichte der Feldlinien. • Da innerhalb eines Leiters ϕ = const. gilt, weist das Potential einen Knick an 2 ϕ ∝ q. Also: Wo sich die Steigung Oberflächen mit Ladung auf. Dies entspricht ∇ des Potentials nicht aufgrund der Geometrie der Anordnung ändert, dort ist Ladung. • Ist die Ladung vorgegeben, so kennt man die Steigung des Potentials an dieser Stelle. Daraus kann die Höhe des Potentials (und sein Verlauf) erschlossen werden. • Ist die Höhe des Potentials (an verschiedenen Leitern) bekannt, kann daraus der Verlauf und die Steigung abgeschätzt werden. Die konkrete Berechnung von Potentialen und Feldern aus einer gegebenen Verteilung von Leitern mit Potentialwerten ist in den meisten Fällen analytisch nicht möglich. In vielen Lehrbüchern werden zu diesem Thema numerische Verfahren besprochen (beispielsweise [4], S. 63 ff.). Eine bildliche Möglichkeit, sich einen zweidimensionalen Potentialverlauf vorzustellen oder ihn vielleicht sogar nachzubilden, ist ein ideal elastischer Stoff, eingespannt zwischen Objekten vorgegebener Höhen. Der Verlauf dieses elastischen Stoffes bildet qualitativ den Verlauf des Potentials zwischen Objekten der gleichen Gestalt und den entsprechenden Potentialunterschied ab. Die Faustregeln aus dem Kasten werden nun am Beispiel eines Plattenkondensators betrachtet. Dieser Plattenkondensator bestehe aus zwei großen quadratischen √ Platten der Fläche A mit den Potentialen ϕ1 < ϕ2 mit ϕ2 − ϕ1 = U im Abstand d A. Dabei stellt sich zunächst ein Potentialverlauf ein wie in Abb. 4.2 in grün. Es ergeben sich im Detail folgende formale Zusammenhänge: ϕ(x) ∝ x (Zwischen den Platten) dϕ ϕ2 − ϕ 1 U → Feldst¨arke: E0 = − = const. = = dx d d dϕ = 0, d) = ε0 E = ε0 = const. → Ladungsdichte: σ0 = ε0 E(x dx Q A σ = = ε0 E 0 → Q = ε0 AE 0 = ε0 U = CU A d
108
4 Elektrostatik elektrischer Leiter
a
b
Abb. 4.2 Potentialverlauf in einem Plattenkondensator mit zusätzlicher, neutraler Metallplatte: In der Mitte (a) und außerhalb der Mitte (b) des Plattenkondensators. An jedem „Knick“ des Potentials (ϕ = 0) befindet sich eine Ladungsverteilung σ
Das einfache an Potentialen an/zwischen ausgedehnten Metallplatten ist, dass sie linear sind. Somit sind die Steigung des Potentials und die elektrische Feldstärke konstant und homogen und damit nicht nur an der Leiteroberfläche proportional zur Ladungsdichte der Metalloberflächen, sondern im ganzen Zwischenraum. Als Erweiterung wird eine elektrisch neutrale, isolierte Metallplatte der Dicke b < d ohne definiertes Potential ϕ M zwischen die Platten gesetzt. Innerhalb der zusätzlichen Platte ist das Potential zwar räumlich konstant (die Feldstärke ist null), aber im Verhältnis zu den beiden anderen Platten nicht festgelegt. Deshalb ist auch das geänderte Feld außerhalb der Platte unbekannt. Durch die einfache, eindimensionale Geometrie der Anordnung und die Ladungsneutralität der hinzugefügten Platte können der Potentialverlauf und das Feld erschlossen werden. Durch die Influenz im ursprünglichen Feld und die Geometrie befinden sich die Influenzladungen auf der rechten und auf der linken Seite der Platte. Die Ladungsdichte ist auf beiden Seiten betragsmäßig gleich, damit auch die Steigung des Potentials. An den Kondensatorplatten wird das ursprüngliche Potential und damit der Potentialunterschied U = ϕ2 − ϕ1 konstant gehalten. Die Steigung des Potentials und der Betrag der Feldstärke ist gegeben durch den Quotienten der Potentialdifferenz und den effektiven Plattenabstand dϕ d − b, E = dx = U /(d − b). In Abb. 4.2 ist das resultierende Potential ϕ(x) für zwei Positionen der Metallplatte in rot dargestellt. Durch den effektiv kleineren Plattenabstand d − b vergrößern sich Feldstärke und Steigung des Potentials und damit auch die Ladung (und die Ladungsdichte) auf den Kondensatorplatten. Die zusätzliche Platte hat einen analogen Effekt wie ein Dielektrikum3 , mit dem Unterschied, dass die Steigung des Potentials im Dielektrikum nur geringer wird, in der Leiterplatte ist sie gleich null.
3 Siehe Abschn. 5.2 zu dem Begriff Dielektrikum.
4.2
Poisson und Laplace in der Schule – Allgemeine Beispiele
109
Dieses Beispiel ist bewusst sehr einfach gewählt. Eine Lösung des Problems bedarf genaugenommen keiner genauen Kenntnisse der Eigenschaften von Potentialen und Metalloberflächen, da sich das Problem auf eine Reihenschaltung zweier Kondensatoren reduzieren lässt. Jedoch kann dieses Beispiel prototypisch für Leiter ohne definiertes Potential in Feldern anderer Leiter auf verschiedenen Potentialen gesehen werden. Die beiden Potentialverläufe in Abb. 4.2 veranschaulichen dabei auch, wie sich das Potential eines solchen Leiters durch Variation der Position verschieben kann. Das bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass dabei die potentielle Energie des Systems geändert wird und Arbeit aufgewandt werden muss. Beim Verschieben vergrößert man hier den Potentialunterschied zwischen der eingeführten Platte und einer der Kondensatorplatten genauso, wie man ihn im Verhältnis zur anderen Platte verkleinert. Die Änderung der Gesamtenergie ist null.
4.2
Poisson und Laplace in der Schule – Allgemeine Beispiele
Die Poisson- und Laplace-Gleichungen tauchen immer dann implizit in der Schule auf, wenn elektrische Leiter verwendet werden. Dies ist relativ häufig der Fall, teilweise auch in einführenden Experimenten zur Elektrostatik. In diesem Abschnitt werden zentrale Experimente dazu hinsichtlich der Theorie und Faustregeln des vorherigen Abschnitts besprochen.
4.2.1
Elektroskop
Das Elektroskop (siehe Abb. 4.3a) wurde im ersten Kapitel als Gerät zur Anzeige von elektrischer Ladung vorgestellt. Es zeigt einen Ausschlag, wenn Ladung auf das Elektroskop gegeben wird (Aufladen des Leiters des Elektroskops) und wenn Ladung in die Nähe des Elektroskops gebracht wird (Influenz des Leiters des Elektroskops). Die Stärke des Ausschlags zeigt die Menge an Ladung an. Diese Beschreibung der Funktionsweise eines Elektroskops ist eine didaktische Reduktion. Als ein elektrischer Leiter wird ein Elektroskop besser durch sein elektrostatisches Potential im Verhältnis zu seiner Umgebung und nicht durch seinen Ladungszustand beschrieben. Elektrische Ladungen sind auf einem komplex gestalteten Leiter wie dem Elektroskop nicht sehr einfach verteilt und die Ladungsverteilung wird sich während der Zeigerbewegung ändern. Und selbst wenn das Elektroskop (scheinbar) geladen ist, muss es keinen Ausschlag zeigen. Das kann man leicht testen, indem man den Elektroskopzeiger und das Gehäuse gemeinsam auf ein von null verschiedenes Potential legt. Je nach Bauart und Größe des Gehäuses wird das Elektroskop keinen oder kaum einen Ausschlag zeigen. Erst ein definierter Potentialunterschied zwischen Gehäuse und Zeiger führt zu einem aussagekräftigen Ausschlag. Auch dann misst ein Elektroskop allerdings nicht direkt die Ladung, die auf ihm ist. Ein Elektroskop besteht nie aus dem Zeiger alleine, sondern immer auch aus einem weiteren
110
4 Elektrostatik elektrischer Leiter
Abb. 4.3 Elektroskop als Spannungsmessgerät (a). Anziehung zwischen einer negativ geladenen Metallkugel und einem negativ geladenen Luftballon. Durch einen Farbverlauf (rot nach grün) ist die Ladungsverteilung auf der Metallkugel skizziert (b). Anziehung zwischen einer positiv geladenen Metallkugel und einer neutralen Metallkugel mit skizzierter Ladungsverteilung als Farbverlauf von rot nach grün (c)
elektrischen Leiter – einem leitenden Teller, Becher oder einer leitenden Kugel, die auf die Zeigerapparatur aufgesteckt werden. Diese gesamte Anordnung hat eine gewisse Kapazität C. Durch einen Kontakt mit einem anderen (geladenen) Körper stellt sich ein Potential in der Anordnung ein, das nach dem Entfernen des geladenen Körpers zur Gesamtladung der Anordnung Q = CU führt, wobei die Spannung U = ϕ − ϕ0 = ϕ die Potentialdifferenz im Verhältnis zum Potential ϕ0 des geerdeten Gehäuses und der Umgebung ist. Aus der Spannung U und der Kenntnis der genauen Leiteranordnung der Zeigerapparatur könnte die Ladungsverteilung und damit die Kraft bestimmt werden. Je nach Bauweise erhält man einen Zeigerausschlag s, der ungefähr proportional zur Spannung s ∝ U ist. In Abb. 4.3 ist durch das Voltzeichen angedeutet, dass es sich beim Elektroskop um ein Spannugnsmessgerät handelt. Erst aus U ∝ Q ergibt sich ein Zusammenhang zwischen dem Zeigerausschlag s und Ladung der Q der gesamten Anordnung: s ∝ Q. Der Ausschlag sagt also etwas über die Ladungsmenge auf dem Elektroskop aus, ohne dass eine Eichung auf einen Coulombwert vorgenommen werden kann, da der obere Teil des Elektroskops ausgetauscht werden kann und sich dadurch die Kapazität der Anordnung ändert. Elektroskope werden nur qualitativ verwendet, viele besitzen keine Skala. Die genaue Funktionsweise eines Elektroskops und die dort vorhandene Ladungsverteilung ist sehr komplex, sodass die Ladungsverteilung nur numerisch berechnet werden könnte. Die Beschreibung des Elektroskops als Messgerät der Ladungsmenge ist eine einfache didaktische Reduktion innerhalb einer Elementarisierung, die aber nicht nur für Schüler, sondern allgemein in den meisten Situationen ausreichend und fachlich angemessen ist. Eine geringere didaktische Reduktion ist das Wissen, dass der Absolutwert der Ladung abhängig ist von der Kapazität der gesamten Anordnung und dem Potential des Elektroskops im Verhältnis zur Umgebung.
4.2
Poisson und Laplace in der Schule – Allgemeine Beispiele
4.2.2
111
Kräfte zwischen geladenen Leitern
Die Kräfte zwischen geladenen Körpern sind die Grundlage der Elektrostatik. Als geladene Körper können dabei entweder Isolatoren verwendet werden, die durch Reibungselektrizität aufgeladen sind, oder elektrisch geladene Leiter. In beiden Fällen sollen die Kräfte abhängig von der Gesamtladung Q der Körper betrachtet werden. Die Ladung auf einem leitenden Körper lässt sich jedoch im Gegensatz zur Spannung gegenüber Erde nicht sehr leicht festlegen. Sie ist bestimmt durch die angelegte Spannung und die Kapazität des Leiters. In der Schule werden häufig Spannungsquellen zum Laden elektrischer Leiter zu einem Zeitpunkt verwendet, zu dem Schülern die Konzepte Spannung und Kapazität noch unbekannt sind. Das dabei verwendete Hochspannungsnetzteil ist für sie eine Black Box, die elektrische Leiter auf irgendeine Weise auflädt. Es ist unklar, welche Vorstellungen ein vorwegnehmen des Begriffs Spannung erzeugt, ohne das Konzept Kapazität zu kennen, wenn es eigentlich um die Einführung der Größe Ladung geht. In der Sekundarstufe II, wenn die Größe Kapazität bekannt ist, könnte das Phänomen des Aufladens eines Leiters sehr wohl mithilfe einer Spannung beschrieben werden. Ein subtileres Problem bei der Verwendung geladener Leiter zur Demonstration elektrostatischer Kräfte ist die nicht vollkommen korrekte Darstellung des coulombsches Geset Unter gewissen Umständen, die unten näher zes, bzw. allgemein der Beziehung F = q E. beschrieben werden, kann der Fehler sogar qualitativ offensichtlich werden. Selbst Coulomb musste erst eine Anordnung zur Messung kleiner Kräfte schaffen, in der der Abstand zwischen den geladenen Leitern erheblich größer ist als ihre Ausdehnung (also sehr kleine Leiterkugeln mit kleiner Kapazität, auf denen auch bei hoher Spannung nur wenig Ladung sitzt), um die Abhängigkeit der elektrostatischen Kraft zwischen Punktladungen zeigen zu können (siehe beispielsweise [9], S. 36 f.). Die Ursache dieser Schwierigkeiten ist die freie Beweglichkeit der Ladung auf Leitern. Ein anderes elektrisches Feld, wie das eines anderen geladenen Leiters, beeinflusst die Ladungsverteilung zu einem gewissen Grade. Betrachtet man beispielsweise eine geladene Kugel an einem Faden, die im (ursprünglich) homogenen Feld eines Plattenkondensators ausgelenkt wird, so sind zwei Details anders als man sie in diesem Zusammenhang gerne hätte. Zum einen ist die Ladungsverteilung auf der Kugel nicht (mehr) kugelsymmetrisch, zum anderen werden durch das Feld der geladenen Kugel zusätzliche Ladungen auf den Kondensatorplatten influenziert. Dies verändert auch die erwartete Kraft auf die geladene Kugel, vor allem je näher sie einer Platte kommt. Diese Fehlerquelle sollte bekannt sein, vor allem wenn in der Oberstufe das coulombsche Gesetz im Unterricht quantitativ mit einer solchen Anordnung gemessen werden soll. Erstaunlicher ist allerdings noch, wenn die Ergebnisse auch qualitativ nicht mehr korrekt sind. So wird in Universum Physik ([2], S. 65) ein Experiment gezeigt, bei dem es um die Kraft zwischen einem geladenen Ballon und einem geladenen Leiter geht, wie in Abb. 4.3b dargestellt. Die Ladung auf dem Ballon ist nahezu ortsfest, die Ladung auf der Leiterkugel
112
4 Elektrostatik elektrischer Leiter
frei beweglich. Tragen beide Körper Ladung gleichen Vorzeichens, so erwartet man eine Abstoßung, die man für große Abstände auch beobachtet. Je nach Spannung und Ladung auf den Körpern kann es bei kleineren Abständen allerdings dazu kommen, dass die Ladungen auf dem Leiter durch das Feld des Ballons stark verschoben werden. Die Anziehung durch die Influenzladung kann ab einem gewissen Abstand größer werden als die Abstoßung durch die Gesamtladung im Leiter. Da die Kräfte zwischen geladenen Leitern sich nicht unbedingt so verhalten und sogar ein anderes Vorzeichen zeigen können, als man im ersten Moment erwarten würde, müssen solche Experimente gut überlegt und getestet sein, bevor man sie im Unterricht vorführt.
4.2.3
Influenz
Die Influenz ist eine sehr grundlegende phänomenologische Beschreibung der Ergebnisse der Poisson-Gleichung. Dabei ist die Influenz, anders als in den vorherigen Abschnitten, kein unerwünschter oder unbeabsichtigter Effekt, sondern Kern der entsprechenden Betrachtung. Die Influenz beschreibt einen elektrischen Leiter, der für gewöhnlich zunächst ungeladen ist, unter dem Einfluss eines Feldes eines anderen geladenen Körpers. Da die Ladung im elektrischen Leiter frei beweglich ist, führt das elektrische Feld zu einer Kraft auf die Ladung und somit zu einer Ladungsverschiebung, bis innerhalb des Leiters kein Nettofeld mehr vorhanden ist. Eine Nettoladung befindet sich nur noch an der Leiteroberfläche und die Kraft darauf ist senkrecht zur Oberfläche nach außen gerichtet, sodass sich die Ladung nicht weiter bewegen kann. Das hat zur Folge, dass Feldlinien auf elektrischen Leiteroberflächen senkrecht stehen und innerhalb elektrischer Leiter kein elektrisches Feld herrscht. In der Schule wird damit die Anziehung zwischen ungeladenen und geladenen Leitern erklärt. Das wird in der Theoretischen Physik an dieser Stelle außen vor gelassen. Ein influenzierter Leiter ist ein Dipol, und ob eine Nettokraft auf einen Dipol wirkt, wird in der Theorie an anderer Stelle besprochen und ist auch entscheidend vom Verlauf des elektrischen Feldes abhängig. So erfährt beispielsweise eine insgesamt neutrale Kugel aufgrund ihrer Influenzladung keine Kraft in einem zuvor homogenen Feld. Vorausgesetzt die felderzeugenden Ladungen werden dabei nicht verschoben. Abbildungen zur Influenz sind häufig sehr stark vereinfacht, wenn sie die Verteilung der Influenzladung sehr symmetrisch gleichmäßig skizzieren. In einem inhomogenen Feld, wie dem eines kleinen kugelförmigen geladenen Körpers, ist auch die Influenzladung entsprechend inhomogen verteilt (siehe Abb. 4.3c). Ausschließlich in einem inhomogenen Feld erfährt eine insgesamt neutrale Leiterkugel auch eine Nettokraft. Die Inhomogenität des Feldes entspricht der Abstandsabhängigkeit der Coulomkraft und ist sowohl wichtig für die Nettokraft als auch für die Verteilung der Influenzladung. Für eine schnelle Tafelskizze mag die erste Näherung eines symmetrischen Dipols genügen. Spätestens in der Sekundarstufe
4.2
a
Poisson und Laplace in der Schule – Allgemeine Beispiele
E
b
E
113
c
Q~E
Abb. 4.4 Feldstärkemessung durch Influenz. Zwei kleine Metallplatten werden zusammen senkrecht in ein elektrisches Feld gebracht (a) und dort getrennt (b). Die influenzierte Ladung bleibt erhalten, wenn man die Plättchen aus dem Feld führt, und ist proportional zur Feldstärke
II ist dies aber für eine Schulbuchabbildung oder ein entsprechendes Arbeitsblatt nicht mehr der Fall. Es gibt einige Programme, mit denen sehr einfach die Ladungsverteilung und der Feldverlauf dargestellt werden können und die man auch im Unterricht verwenden kann.4 Sehr direkt werden die Erkenntnisse der Poissongleichung in Form der Influenz in der Oberstufe verwendet, um eine Feldstärke zu messen. Die Gl. (4.1) geben einen Zusammenhang zwischen der elektrischen Feldstärke an der Oberfläche eines Leiters und der Flächenladungsdichte an diesem Ort der Oberfläche an. Handelt es sich um ein homogenes Feld und dazu senkrechte Metallplatten, so gilt das nicht nur direkt an der Oberfläche, sondern näherungsweise überall. In der Oberstufe wird das genutzt, um die Feldstärke zu messen. Es werden zwei aneinandergelegte Metallplättchen in das Feld eines ausgedehnten Plattenkondensators gebracht, senkrecht zum Feld ausgerichtet, dort getrennt und aus dem Feld genommen (siehe Abb. 4.4a–c). Im Feld gelten für die Oberflächenladungen der Metallplättchen die Gesetzmäßigkeiten von Gl. (4.1). Trennt man die Plättchen im Feld, so besitzen wobei A die Fläche der Plättchen ist. Diese Ladung kann beide die Ladung Q = ε0 | E|/A, berechnet werden. In einem inhomogenen gemessen werden und daraus die Feldstärke | E| Feld (mit bekannter Orientierung, um die Plättchen korrekt ausrichten zu können) kann mit diesem Experiment die über die Fläche der Plättchen gemittelte Feldstärke bestimmt werden. Im Unterricht wird gesagt, dass das Feld um genügend kleine Plättchen als homogen angenommen werden kann. Man muss erneut darauf hinweisen, dass es sich hierbei nicht um eine Eigenschaft der Ladungen oder des Feld, sondern um eine Materialeigenschaft elektrischer Leiter handelt. In den Schulbüchern wird das manchmal nicht eindeutig dargestellt.
4 Beispielsweise sei das Programm „Laplace“ des virtuellen Physiklabors der Uni Kassel empfohlen:
https://www.uni-kassel.de/fb10/institute/physik/forschungsgruppen/oberflaechenphysik/virtuellesphysiklabor/elektrostatik-und-elektrodynamik/elektrisches-potential.html.
114
4.2.4
4 Elektrostatik elektrischer Leiter
Feldbilder um Leiterelektroden
Experimente mit beispielsweise auf Öl schwimmenden Grießkörnchen, die sich in einem elektrischen Feld zu Ketten aneinanderreihen, werden häufig verwendet, um das elektrische Feld bestimmter Ladungsanordnungen und speziell die Visualisierung des elektrischen Feldes in Form von Feldlinien zu plausibilisieren (siehe Abb. 4.5). Üblicherweise werden das radialsymmetrisches Feld, das homogenes Feld, das Dipolfeld und der Spitzeneffekt dargestellt.5 Zur Erzeugung der Felder in den speziellen Geometrien werden metallische Elektroden verwendet, an die eine Hochspannungsquelle6 angeschlossen wird. Die entsprechenden Felder sind somit durch die Poisson- und die Laplace-Gleichung bestimmt. In einer ersten didaktischen Reduktion wird in den Schulbüchern angegeben, die Ladungsverteilung habe auf den Elektroden die Geometrie der Elektroden. Eine kreisförmige Elektrode habe also immer eine radialsymmetrische Ladungsverteilung. Dies gilt jedoch nur, wenn die gesamte Elektrodenanordnung radialsymmetrisch ist, so wie in Abb. 4.5a gezeigt.7 Um ein Dipolfeld zweier punktförmiger Ladungen zu visualisieren, werden zwei ausgedehnte kreisförmige Elektroden verwendet. Hier geht man zunächst davon aus, dass jede Elektrode ein radialsymmetrisches Feld wie in Abb. 4.5a hat, sich die beiden Felder überlagern und ein Feld bilden wie zwei punktförmige Ladungen. Diese Annahme ist dann am passendsten, wenn die Durchmesser der Elektroden sehr klein sind im Verhältnis zu ihrem Abstand. Ist der Durchmesser der Elektroden in der Größenordnung des Abstand, wird die Annahme weniger passend. Dies ist in Abb. 4.5c überspitzt dargestellt. Die Lösung der Laplace-Gleichung für einen ähnlichen Fall (siehe Abb. 4.6) zeigt eine große Steigung des Potentials an den zugewandten Seiten und eine kleinere an den abgewandten Seiten. Die Steigung des Potentials ist nicht nur proportional zur Feldstärke, sondern auch zur Flächenladungsdichte an den Leiteroberflächen. An den einander zugewandten Seiten akkumuliert sich die Ladungsverteilung. Elementarisiert auf ein Ladungsbild kann man sagen, dass sich die Ladungsverteilung auf dem einen Leiter aufgrund des elektrischen Feldes des anderen verschiebt und umgekehrt. Je nach Wahl der Elektrodengröße und Güte der Abbildung fällt das in entsprechenden Abbildungen in Schulbüchern auf. Es könnte also auch sein, dass Schüler hierzu Fragen stellen. Dabei handelt es sich nicht nur um Spitzfindigkeiten, sondern um experimentelle Probleme. Coulomb führte Messungen der Kraft zwischen geladenen leitenden Kugeln durch. Dabei ergab sich die nach ihm benannte Gesetzmäßigkeit nur für sehr kleine Kügelchen in großem Abstand.
5 Es sei an dieser Stelle nur darauf hingewiesen, dass der Spitzeneffekt ein Paradebeispiel der Poisson-
Gleichung ist, hier aber nicht weiter ausgeführt wird. Die Erklärung findet sich in den meisten Lehrbüchern. 6 Beispielsweise eine Influenzmaschine. 7 Weshalb man bei der Darstellung eines radialsymmetrischen Feldes nicht nur eine runde Elektrode in der Mitte verwendet, sondern eine weitere ringförmige Elektrode am äußeren Rand, kann auch mit Poisson erklärt werden.
4.2
Poisson und Laplace in der Schule – Allgemeine Beispiele
a
b
c
d
115
Abb. 4.5 Visualisierung des elektrischen Feldes um Elektroden mit Grießkörnchen in Öl. Radialsymmetrisches Feld (a), homogenes Feld (b), Dipolfeld (c) und Spitzeneffekt (d).
Abb. 4.6 Potentialverlauf einer zweidimensionalen Anordnung aus zwei kreisförmigen Elektroden mit einem Potentialunterschied. Die Ausdehnung der Elektroden ist in der gleichen Größenordnung wie ihr Abstand. Der Verlauf wurde mit dem Programm Laplace2009 des virtuellen Physiklabors der Uni Kassel erstellt
116
4 Elektrostatik elektrischer Leiter
In der Mittelstufe werden die Feldgeometrien nur qualitativ besprochen und die Abweichungen können als vertretbar eingestuft werden, wenn man Abbildungen wählt, die die Abweichungen nicht offensichtlich machen. In der Oberstufe werden die Feldgeometrien jedoch genauer betrachtet, und es wird das coulombsches Gesetz auch quantitativ gemessen. Falls man dieses sehr schwer durchführbare Experiment vorführen möchte, sollten der Lehrkraft die systematischen Abweichungen von den vereinfachten Ladungsverteilungen auf Basis der Betrachtung mit dem Potential bekannt sein. Generell ist es in der Oberstufe auch mit Schülern sinnvoll, das Potential mehr in Beschreibungen und Erklärungen zu verwenden. Der Feldverlauf zwischen Elektroden wird bestimmt durch die Laplace-Gleichung. Visualisiert werden elektrische Felder vornehmlich durch Feldlinienbilder. In der Oberstufe werden die Regeln für Feldlinien besprochen. Dabei gibt es auch die Regel, dass Feldlinien auf Leiteroberflächen immer senkrecht stehen. Begründet wird das zunächst mit der Kraft auf die Ladungsverteilung an der Oberfläche. Das elektrische Potential wird erst danach eingeführt und damit auch die Äquipotentialflächen. Diese sind dadurch charakterisiert, dass das Feld senkrecht auf ihnen steht. Dabei wird nicht explizit angegeben, dass ein Leiter durch ein Potential festgelegt ist und dass das Potential auf einem Leiter konstant sein muss, seine Oberfläche also eine Äquipotentialfläche ist. Auch deshalb stehen die Feldlinien senkrecht darauf. Obwohl die Begriffe „elektrisches Potential“ und „Kapazität“ bekannt sind, wird weiterhin mit der Ladung als fest vorgegebene Größe auf einem Leiter argumentiert. In der Oberstufe wird das elektrostatische Potential schon so gut eingeführt, dass man es auch zur Beschreibung von elektrischen Leitern verwenden kann. Mehr noch ist das elektrische Potential in erster Linie zur Beschreibung von elektrischen Leitern sinnvoll. Ohne diese Verbindung wird die Einführung des Potentials fast nutzlos.
4.2.5
Faradayscher Käfig und der Ort der Ladungen
Der Faraday-Effekt und seine genaue Erklärung mit elektromagnetischen Potentialen soll hier nicht weiter beschrieben werden. In Schulbüchern wird dieser Effekt oft mit dem Ort von Ladungen in Verbindung gebracht, genauer gesagt mit dem Ort von Ladungen auf elektrischen Leitern. Dieses Thema wird in den Schulbüchern von Kuhn [1] und Dorn/Bader [8] beispielsweise mit einem Experiment beschrieben, wie es in Abb. 4.7 dargestellt ist. Man verwendet dabei eine leitende Kugel (Konduktor), ein Elektroskop mit einem Metallbecher und ein Elektroskop mit einem kleinen Teller. Mit einem solchen Experiment soll der Ort der Ladung plausibel gemacht werden und damit der Faraday-Effekt erklärt werden. Dieser Versuch kann auf zwei Arten durchgeführt werden. Bei der ersten Möglichkeit wird die leitende Kugel geladen und in den ungeladenen Metallbecher geführt und an seiner Innenseite berührt. Dabei wird der Becher aufgeladen, was durch das Elektroskop (links in Abb. 4.7) angezeigt wird. Wird anschließend die ursprünglich geladene Kugel zu einem weiteren Elektroskop geführt (rechts in Abb. 4.7), so wird kein Ausschlag festgestellt – die Kugel wurde also vollständig im Becher entladen.
4.2
Poisson und Laplace in der Schule – Allgemeine Beispiele
117
Kein Ausschlag a
Ausschlag
b
Abb. 4.7 Experiment zum Faraday-Effekt und dem Ort der Ladungen auf Leitern (a): Wird die Außenseite des geladenen Bechers berührt und der Konduktor zum ungeladenen Elektroskop geführt, zeigt dieses einen Ausschlag. Wird die Innenseite des Bechers berührt, ergibt sich kein Ausschlag. Zu beachten ist: Berührt man die Innenseite des geladenen Bechers zu weit oben, nimmt der Konduktor trotzdem Ladung auf (b)
Wird dagegen die Außenseite des Bechers berührt, so wird dieser zwar auch aufgeladen, wie das linke Elektroskop zeigt, jedoch wird die leitende Kugel nicht vollständig entladen – es gibt einen Ausschlag, wenn man die Kugel anschließend zum rechten Elektroskop führt. Dies soll plausibel machen, dass elektrische Ladung immer an der äußeren Oberfläche einer Anordnung sitzt. Berührt man also den Becher innen mit der Kugel, so ist die Außenseite nur der Becher und die Ladung fließt vollständig von der Kugel auf die Außenseite des Bechers. Wird dagegen der Becher außen berührt, ist die Kugel ein Teil der Außenseite der Anordnung, auf der sich die Ladung verteilt. Die Kugel bleibt also zum Teil geladen. Bei der zweiten Möglichkeit ist der Metallbecher bereits geladen. Berührt man mit einer neutralen leitenden Kugel zuerst die Innenseite des geladenen Bechers und führt die Kugel anschließend zum rechten Elektroskop, so sieht man keinen Ausschlag – die Kugel wurde beim Becher nicht aufgeladen. Berührt man dagegen die Außenseite des Bechers mit der neutralen Kugel, so gibt es daraufhin einen Ausschlag des rechten Elektroskops, was eine Aufladung der Kugel zeigt. Auch daraus wird geschlossen, dass die Ladung an der äußeren Oberfläche sitzt. Die Beschreibungen in den Schulbüchern zu den Versuchen sind noch prägnanter und kürzer als hier dargestellt. Wie zweckmäßig diese beiden Versuche sind, zeigt sich erst, wenn man die Versuche Schritt für Schritt erklären möchte. Bei der ersten Möglichkeit des Versuchs wird zu jedem Zeitpunkt deutlich, dass die Ladung immer auf die äußere Oberfläche der gesamten Anordnung – Becher und Kugel – fließt. Bei der Berührung der Becherinnenseite befindet sich die Kugel innen und ist nicht Teil der äußeren Oberfläche
118
4 Elektrostatik elektrischer Leiter
der gesamten Anordnung. Anders verhält es sich beim Berühren der Becheraußenseite. Dies stimmt auch mit der universitären Beschreibung der Situation mit Potentialen überein: Wie verteilt sich Ladung auf einem zusammenhängenden Leiter? Bei der zweiten Möglichkeit wird dagegen der Eindruck erweckt, dass man mit der neutralen Kugel genau dann Ladung aufnimmt, wenn sich am Berührungspunkt Ladung befindet. Man könnte daraus fehlerhaft schließen: „Berührt man innen, so wird die Kugel nicht geladen, weil dort keine Ladung sitzt, berührt man den Becher außen, so wird die Kugel geladen, weil dort Ladung sitzt.“ Der Berührungspunkt ist jedoch nicht das Entscheidende, sondern die gesamte äußere Oberfläche des zusammengesetzten Leiters. Diese Tatsache ist auch wichtig, um den Versuch korrekt durchzuführen. Dies wird in Abb. 4.7b angedeutet. Ein isolierender Griff besitzt meistens ein leitendes Ende, an das man die leitende Kugel steckt. Berührt man mit der Kugel die Innenseite des Bechers, während ein Stück des leitenden Griffendes aus dem Becher ragt, so verteilt sich auch darauf eine messbare Ladung. Das zerstört den Effekt, der gezeigt werden soll. Wie unanschaulich das Thema der Influenz und des Ortes von Ladung auch für Fachleute ist, zeigt sich in dem Artikel von Furió und Guisasola „Difficulties in learning the concept of electric field“ [5]. Darin werden Schülervorstellungen zu Feldern untersucht. In einer der Fragen geht es um die Kraft auf eine positiv geladene Kugel an einem Faden innerhalb eines negativ geladenen Metallbechers, wenn sich die Kugel in geringem Abstand zur Becherwand befindet. Die als korrekt eingestufte Antwort besagt, dass keine Kraft auf die geladene Kugel wirkt, da innerhalb des Metallbechers kein elektrisches Feld – durch die Ladungen auf dem Becher – vorhanden ist. Es ist tatsächlich der Fall, dass die Ladungen auf der Außenseite des Bechers kein Feld innerhalb des Bechers verursachen. Jedoch existiert das elektrische Feld der geladenen Kugel innerhalb des Bechers, die folglich auch Influenzladungen an der Innenseite des Bechers erzeugt. In Abb. 4.8 ist zweidimensional der Verlauf der Feldlinien und der Oberflächenladung skizziert. Hier ist der Metallbecher effektiv neutral – oder die Metallkugel, wie in Tipler ([11], S. 714) – was jedoch für die Ladungen und das Feld innerhalb des Bechers keine Rolle spielt. An dieser Skizze wird deutlich, dass die Dichte der Influenzladungen an der Innenseite des Bechers in der Nähe der geladenen Kugel am größten ist, was auch auf das elektrische Feld zutrifft. Aufgrund der Influenzladung wirkt
Abb. 4.8 Elektrische Feldlinien innerhalb und außerhalb einer insgesamt neutralen hohlen Leiterkugel, in der sich in der Nähe des Randes ein geladener Körper befindet
4.3
Das Elektrophor
119
auf die geladene Kugel eindeutig eine Kraft, die bei einem entsprechenden Realexperiment auch deutlich erkennbar ist. Wie schwierig dieses Thema ist, zeigt sich vor allem daran, dass dieses Experiment und die inkorrekte Lösung aus diesem Artikel auch in neuerer Literatur zitiert und wiedergegeben wird ([10], S. 188). Die Felder und Ladungsverteilungen an elektrischen Leitern können extrem kontraintuitiv sein, man übersieht und vergisst sehr leicht etwas. Um entsprechende Experimente im Unterricht zu verwenden oder Aufgaben dazu zu gestalten, muss man ein profundes, zumindest qualitatives Verständnis der Poisson- und der Laplace-Gleichung besitzen und entsprechende experimentelle Situationen gründlich testen.
4.3
Das Elektrophor
Mit einem Elektrophor können mithilfe weniger einfacher Materialien sehr leicht sehr hohe Spannungen erzeugt werden. Überschläge von geringem Strom können eine Distanz von einem Zentimeter überwinden und Glimmlämpchen leuchten kräftig auf. Darüber hinaus wirkt der Versuch überraschend, da das Lämpchen immer wieder zum Leuchten gebracht werden kann, ohne die Materialien neu aufzuladen. Dieses Experiment scheint also ein eindrucksvoller Versuch zur Einleitung zum Thema der Spannung zu sein. Seine Erklärung ist allerdings nicht sofort offensichtlich. Um den Versuch zielführend einsetzen zu können und eine angemessen elementarisierte Erklärung geben zu können, ist der Versuch hier im Detail mit zweckmäßigen Idealisierungen beschrieben.
4.3.1
Versuchsverlauf und Beobachtungen
Ein Elektrophor besteht aus einer geerdeten Grundplatte, auf der ein Isolator (Plastikplatte) liegt, den man Kuchen nennt, und einer elektrisch leitenden Platte mit isolierendem Griff, genannt Teller (Bestandteile in Abb. 4.9a). Durch Reiben mit beispielsweise einem Wolltuch wird die Oberfläche des Kuchens aufgeladen (Plastik lädt sich negativ auf). Zum Anfang wird der Teller auf den geladenen Kuchen gelegt (Abb. 4.9b) und mit einer Glimmlampe an einer beliebigen Stelle berührt (Abb. 4.9c). Man selbst fungiert dabei als Masseverbindung, und die Glimmlampe leuchtet schwach auf.8 Nun wird der Teller auf etwa 5 bis 20 cm angehoben (Abb. 4.9d) und erneut mit der Glimmlampe berührt (Abb. 4.9e), die diesmal stark aufleuchtet. Oft ist dies durch einen Funkenüberschlag zwischen Glimmlampe und Teller begleitet. Als Nächstes wird der Teller wieder auf den Kuchen gelegt und von Neuem 8 Um genau zu zeigen, bei welchem Vorgang welche der Elektroden blitzt, kann eine Schaltung mit dem Glimmlämpchen aufgebaut und mit einer Dokumentenkamera vergrößert dargestellt werden. Eine Seite des Lämpchens ist geerdet, die andere mit einem Kabel verbunden, mit dessen Ende der Teller berührt werden kann.
120
4 Elektrostatik elektrischer Leiter
x
a
b
c
Teller Kuchen (aufgeladener Isolator) geerdete Grundplatte d
e
Abb. 4.9 Spannungserzeugung mit dem Elektrophor. (a) Elektrophor, bestehend aus geerdeter Grundplatte, Isolator (Kuchen) und Metallteller. Der Teller wird auf den Kuchen gelegt (b), dort über eine Glimmlampe geerdet (c). Daraufhin wird der Teller angehoben (d) und erneut mit einer Glimmlampe geerdet (e)
begonnen. Dieser Kreislauf funktioniert praktisch beliebig lange ohne weiteres Aufladen des Kuchens.
4.3.2
Potentialverläufe
Im Folgenden werden für die in Abb. 4.9 dargestellten Situationen die entsprechenden Potentialverläufe in Abb. 4.10 betrachtet, unter der vereinfachenden Annahme eines idealen Plattenkondensators. In Situation a ist nach dem Reiben mit einem Wolltuch die Ladungen Q auf der Oberfläche des Kuchens. Der Einfachheit halber kann angenommen werden, dass die Ladung homogen auf der Oberfläche verteilt ist. Sie ist in Abb. 4.10 als ein blaues Minus an der Oberfläche des Kuchens (helles Blau) eingezeichnet. Diese Ladungen sind in der Lage, eine bestimmte Feldstärke zu erzeugen, also eine bestimmte Steigung des Potentials. Diese Steigung ist in der Abbildung durch den Winkel α gekennzeichnet. Für sich alleine wären die Ladungen auf keinem definiertem Potential. Jedoch befindet sich unter dem Kuchen die geerdete Grundplatte. Das Potential der Platte ist definiert, die Ladung an der Oberfläche und damit die Potentialsteigung an ihrer Oberfläche nicht. Allein anhand der Potentialsteigung durch die Ladung und des Absolutwerts des Potentials in der Grundplatte kann auf den Potentialverlauf geschlossen werden, wie er in Abb. 4.10a dargestellt ist. In die Grundplatte
4.3
Das Elektrophor
a
121
b
d
c
e
Abb. 4.10 Potentialverlauf bei den Situationen (a)–(e) aus Abb. 4.9
fließen somit aus „der Erde“ die entsprechenden Gegen- oder Spiegelladungen zu denen des Kuchens. Grundplatte und Kuchenoberfläche bilden einen Plattenkondensator. Die Steigung des linearen Potentialverlaufs wird von den festen Ladungen des Kuchens vorgegeben und der Absolutwert durch das feste Potential der Grundplatte. Der Teller ist zunächst so weit entfernt, dass er keinen Einfluss hat. Trotzdem wird zwischen Kuchen und Teller zumindest eine minimale Steigung in der Abbildung dargestellt. Für einen idealen Plattenkondensator aus Kuchen und Grundplatte wäre das Potential außerhalb konstant. Andererseits sollte das Potential für sehr große Abstände gegen null gehen, was damit angedeutet werden soll. Wurde der Teller auf den Kuchen gelegt, wie in Situation b, so verschiebt sich zwar das Potential des leitenden Tellers auf das der Kuchenladungen, jedoch werden keine Ladungen influenziert, da sich der Teller in (nahezu) keinem Feld befindet. Das liegt an der Annahme des idealen Plattenkondensators. Selbst ohne diese Idealisierung führt die geerdete Grundplatte dazu, dass der Großteil des elektrischen Feldes zwischen Kuchenladungen und Grundplatte existiert und nur wenige Ladungen im Teller influenziert werden. Durch das Auflegen des Tellers wurde unter dieser idealisierten Annahme auch die Energie des Systems nicht geändert. Der Potentialverlauf von b ist daher nahezu identisch mit dem in a, nur dass der Teller am Kuchen ist und den Potentialunterschied U1 zum Nullpotential besitzt. In Situation c wird der Teller über das Glimmlämpchen geerdet und damit auf das Nullpotential gezogen. Dies ist eine zusätzliche Randbedingung, die nun den Potentialverlauf anders festlegt. Die einzige Möglichkeit, das Potential ϕ = 0 auf der Grundplatte und dem Teller zu haben, ist der Ladungstransport von Q von der Grundplatte zur Erde und von der Erde auf den Teller. Teller und Kuchen bilden nun einen Plattenkondensator mit dem
122
4 Elektrostatik elektrischer Leiter
Plattenabstand null und der gesamte Potentialverlauf ist identisch null.9 Die Begründung für den Strom zwischen Teller und Erde wirkt dabei etwas ungewöhnlich. Der Strom war die Antwort auf die Frage, wie man die neuen Bedingungen für das Potential erreichen kann. Dies ist eine sehr konzeptuelle theoretische Begründung. Gleichbedeutend, und sinnvoller in Verbindung mit dem Konzept der Spannung als Antrieb eines Stroms, kann die Spannung U1 zwischen Teller und Erde als Ursache für einen Strom angegeben werden. Beides ist gleichwertig. Häufig besteht in diesem Teil des Versuchs die Frage, woher die Energie für den Ladungsfluss durch das Glimmlämpchen aufgrund der Spannung U1 kommt, wenn man doch beim Aufsetzen des Tellers keine Energie ins System brachte. Diese Energie wurde am Anfang beim Herstellen der Ausgangssituation aufgebracht, also nach dem Aufbringen der Ladung durch das Reiben durch das Entfernen des geladenen Wolltuchs vom geladenen Kuchen.10 Der Teller wurde nur kurz mit der Erde verbunden und danach ist sein Potential erneut ausschließlich durch die geometrische Verteilung der Ladung in seiner Umgebung festgelegt. Verändert man nun die Situation, so ist sein Potential nicht festgelegt, sondern nur der Betrag seiner Ladung. Hebt man den Teller also an, ergibt sich ein Potentialverlauf wie in Situation d dargestellt. Der Betrag der Ladungen auf dem Kuchen und dem Teller ist gleich groß und fest. An beiden und zwischen ihnen muss also die gleiche Potentialsteigung vorhanden sein. Es fließen keine Ladungen auf die Grundplatte, und der Potentialverlauf zwischen Grundplatte und Kuchenladungen bleibt konstant null. Das Potential des Kuchens ist damit auf das Nullpotential fixiert und das Potential des Tellers steigt mit der Entfernung an. Für einen idealen Plattenkondensator ist das Tellerpotential proportional zum Abstand. Dabei muss die Platte entgegen der elektrischen Anziehung bewegt werden, und es wird Energie in das Feld zwischen Teller und Kuchen gesteckt. Der Teller besitzt schließlich den sehr hohen Potentialunterschied U2 U1 im Verhältnis zur Erde. Wird nun der Teller über die Glimmlampe geerdet, leuchtet sie stark auf. Oft gibt es schon beim Annähern des Kontakts einen Funkenüberschlag. Ladungen fließen dabei vom Teller auf die Erde ab. Damit wären rein theoretisch nur noch die Ladungen auf dem Kuchen vorhanden, die zu einer gewissen Potentialsteigung führen müssen. Analog zur Situation nach dem Reiben müssen dabei Ladungen von der Erde auf die Grundplatte fließen und es stellt sich die Ausgangssituation a ein. Es kann von Neuem begonnen werden.
9 Ist dieser Plattenabstand nicht genau null, bleibt sehr wenig Ladung auf der Grundplatte übrig,
die Kuchenladungen haben ein leicht von null verschiedenes Potential und es existiert ein flacher Potentialverlauf zur geerdeten Grundplatte und eine Steigung ≤ α zum geerdeten Teller. 10 Dies ist tatsächlich ein wichtiger Aspekt, den man sehr leicht vergisst. Bei der Reibungselektrizität werden beide Objekte, Plastik und Wolltuch, entgegengesetzt aufgeladen, und man steckt sehr viel Energie in das elektrische System durch das voneinander Entfernen.
4.3
Das Elektrophor
4.3.3
123
Diskussion des Elektrophors für den Schulgebrauch
Die oben gegebene qualitative Erklärung des Versuchs anhand der Potentiale auf hochschulischem Niveau kann kaum in der Schule verwendet werden. Sie dient vor allem einer Lehrkraft als Hintergrundwissen, um eine passende, fachgerechte schulische Erklärung zu finden. So wird sehr leicht vorschnell die Erklärung gegeben, dass der Teller beim Aufsetzen (b) influenziert wird und auf ihm Ladungen sitzen – positive auf der Kuchenseite und negative auf der anderen. Und nun müsse man den Teller dort berühren, wo die angeblichen Ladungen sitzen, die man ableiten wolle (c). Eine Aussage zur Influenz des Tellers beim Aufsetzen auf den Kuchen könnte vielleicht als eine Elementarisierung betrachtet werden, deren Fachgerechtheit man allerdings in Frage stellen kann. Die zweite Aussage, dass man die Oberseite des Tellers zum Erden berühren muss, wenn er auf dem Kuchen liegt, da dort die influenzierten Gegenladungen sitzen, ist falsch. Dies ist gerade die Fehlvorstellung zum Ort der Ladungen und das fehlende Verständnis elektrostatischer Potentiale auf Leitern. Wichtig um eine schülergerechte Elementarisierung zu finden, die auch fachlich anschlussfähig ist, ist das Fokussieren auf den elementaren Aspekt, der in diesem Experiment dargestellt werden soll, und das ganz gezielte Ausblenden der Aspekte, die schwer zu erklären und gleichzeitig nicht notwendig sind. Das Elementare des Experiments ist der Aufbau elektrischer Spannung durch das Trennen entgegengesetzt geladener Körper und die damit verbundene Energiezufuhr. Es muss also deutlich werden, dass zwei Körper geladen sind und nach ihrer Trennung eine hohe Spannung anliegt. Zu ihrem Nachweis verwendet man das zweite Berühren mit der Glimmlampe, bei dem sie sehr stark aufleuchtet.11 Es muss überlegt werden, welche Rolle das erste Erden spielt, wenn der Teller auf dem Kuchen liegt. Einerseits ist das der Zeitpunkt, zu dem der Teller tatsächlich geladen wird, andererseits möchte man Vorstellungen zum Abführen der Influenzladung vermeiden. Außerdem ist es zu diesem Moment schwierig, auf die Spannung einzugehen, die man mit dem Aufleuchtenlassen der Glimmlampe zeigt. Mögliche Lösungen könnten sein, ohne Glimmlampe zu erden, um hier das Thema Spannung nicht diskutieren zu müssen. Umschreiben könnte man den Grund des Erdens damit, dass zunächst die Ladung des Kuchens zwar auf den Teller wirkt, jedoch die Gegenladung erst auf den Teller fließen kann, wenn er leitend mit einem Ladungsreservoir, der Erde, verbunden wird. Dadurch könnte man den Blick auf das Resultat richten – der Teller ist geladen – anstatt auf den Prozess des Transports möglicherweise influenzierter Ladung durch eine nicht genau erklärbare Spannung. Bei der bisherigen Diskussion wurde die Sekundarstufe I fokussiert. Führt man dieses Experiment dagegen in der Sekundarstufe II durch, könnte eine detailliertere Erklärung mit allen Elementen des Versuchs gegeben werden. Mit der Kenntnis des Potentials zwischen den Platten eines Plattenkondensators könnte sogar die gesamte obige Erklärung besprochen werden. Dies könnte allerdings sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Eine andere Möglichkeit wäre, die Situation durch die Reihenschaltung zweier Plattenkondensatoren zu beschreiben. 11 Man könnte hier auch den Teller mit einem (weit entfernten) Elektroskop als Spannungsmessgerät
verbinden. Dann ist direkt die mit der Höhe des Tellers korrelierte Spannung messbar.
124
4 Elektrostatik elektrischer Leiter
Der eine Plattenkondensator besteht aus der Grundplatte und der Kuchenoberfläche, der andere besteht aus der Kuchenoberfläche und dem Teller. Jeweils gilt die Gleichung für einen Kondensator Q = CU . Die Ladung ist durch die Kuchenoberfläche vorgegeben, die Kapazität zwischen der Grundplatte und der Kuchenoberfläche C1 ist konstant. Die Kapazität C2 (x) zwischen der Kuchenoberfläche und dem Teller ist einmal sehr viel größer als C1 , wenn er auf dem Kuchen liegt C2 (0) C1 . Das führt dazu, dass alle Ladungen beim Erden des Tellers auf ihn fließen. Gleichzeitig ist die Spannung dieses Kondensators sehr klein und praktisch nicht vorhanden, da der Plattenabstand fast null ist. Nach dem Erden können die Ladungen nicht mehr vom Teller abfließen, und beim Anheben wird die Kapazität sehr klein C2 (x) C1 und dadurch die Spannung bei konstanter Ladung sehr groß. Durch das Erden des angehobenen Tellers zeigt sich nicht nur die große Spannung, man gibt auch den Ladungen die Möglichkeit, von dem Kondensator C2 geringer Kapazität abzufließen und auf den Kondensator C1 mit größerer Kapazität zu fließen. Damit ist die Ausgangssituation wieder hergestellt.
4.4
Zusammenfassung
• Verwendet man in der Elektrizitätslehre elektrische Leiter, so wird das System durch die Gestalt und die Anordnung der Leiter und ihre Potentiale in Relation zueinander bestimmt. Die Ladungsverteilung und ein möglicher Ladungstransport sind lediglich Folgen der Vorgaben durch die Potentiale und Randbedingungen. • Elektrische Felder zwischen den Leitern und Ladungsverteilungen auf ihnen werden durch Poisson-Gleichung beziehungsweise Laplace-Gleichung bestimmt. Mit Faustregeln (siehe Abschn. 6.1.3) zu diesen Gleichungen kann die elektrische Situation qualitativ erschlossen werden. • Erste Experimente zur Elektrostatik beziehen sich auf die elektrische Ladung, das Potential ist noch vollkommen unbekannt. Verwendet man für diese Experimente elektrische Leiter, muss dies sehr sorgsam geplant sein, um keine Fehlvorstellungen für das eigentlich situationsentscheidende Potential zu fördern. • Archetypisch zu diesem Thema kann das Elektrophor genannt werden. Es ist ein Experiment, das in der Schule vorgeführt wird. Vollständig zu verstehen ist es ausschließlich durch ein (qualitatives) Verständnis der Poisson-Gleichung. Erläuterungen, die sich nur auf die Ladungen beziehen, führen sehr leicht zu falschen Aussagen.
Literatur
125
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Elektrisch und magnetisch polarisierbare Materie
Inhaltsverzeichnis 5.1
Dipole im äußeren Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Einführung von Dipolen und polarisierter Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Dipole im homogenen Feld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Dipole im inhomogenen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Polarisierbare Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Visualisierung von elektrischen Feldern mit Grießkörnern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Die Analogie zwischen elektrischer und magnetischer Polarisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Polarisation in Schule und Didaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
128 128 130 130 131 133 136 137 138 139
Elektrische und magnetische Polarisation werden in Schulbüchern nicht ausgiebig diskutiert, obwohl die damit verbundenen Phänomene sowohl im Alltag als auch in den Schulbüchern allgegenwärtig sind. Gerade in den einleitenden Experimenten und Beispielen der Elektrostatik spielt die Polarisation eine große Rolle. Ein solches Randthema wird in Schulbüchern dann sehr leicht so stark didaktisch reduziert, dass Fachgerechtheit und Anschlussfähigkeit nicht erfüllt sind. Es handelt sich hierbei also um ein sehr vernachlässigtes Thema, das sich zur Unterrichtsplanung im Detail anzusehen lohnt. Dieses Kapitel bildet erneut eine Ausnahme gegenüber der üblichen Kapitelstruktur. Ein Abschnitt zu Schulbüchern und Lehrplänen entfällt. Der Hauptteil besteht aus einer Wiederholung der wesentlichen fachlichen Aspekte in Form einer ersten didaktischen Reduktion der Inhalte auf einem einführenden hochschulischen Niveau mit vertieftem Schulwissen zur Unterrichtsplanung als Vermittlungsziel. Einen Abschnitt zu grundlegenden Konzeptvorstellungen gibt es nicht, da der ganze erste Abschnitt diese Funktion übernimmt. Eine kleine Begriffsklärung vorne weg: Bei dem Begriff der Polarisation könnte man auch an elektromagnetische Wellen denken, genauer an die Ausrichtung des elektrischen Feldes in der Welle. In diesem Kapitel ist aber die Polarisation von Materie gemeint. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4_5
127
5
128
5 Elektrisch und magnetisch polarisierbare Materie
Materie kann nicht nur elektrisch polarisiert sein, sondern auch magnetisch. Trotz der bekannten Unterschiede und der Asymmetrie der Maxwellgleichungen bezüglich elektrischer und magnetischer Phänomene ist die Polarisation darin symmetrisch. Weiterhin geht es hier um eine angemessene Darstellung der Polarisation innerhalb der Elektrodynamik. Mikroskopische Ursachen und Mechanismen und diesbezügliche Unterschiede für elektrische und magnetische Polarisation spielen dabei keine Rolle. Auf eine mikroskopische Beschreibung wird deshalb verzichtet. Der konzeptuelle Hintergrund wird zwar anhand von elektrischen Dipolen und elektrischer Polarisation angegeben. Alle neu eingeführten Größen und Eigenschaften existieren jedoch auch analog für magnetische Dipole und magnetische Polarisation.
5.1
Dipole im äußeren Feld
5.1.1
Einführung von Dipolen und polarisierter Materie
Ein Dipol ist ein Körper mit zwei Polen. Das bedeutet, der Körper besitzt einen Bereich, der eine Quelle eines Vektorfeldes ist, und einen Bereich, der eine Senke ist. Die Quellen des Vektorfeldes müssen dabei genauso stark sein wie die Senken.1 Bisher wurden Quellen und Senken immer als Ladung bezeichnet und das soll nun beibehalten werden, unabhängig davon, ob elektrische oder magnetische Phänomene betrachtet werden. Trotzdem bedarf es an diesem Punkt einer Begriffserklärung bzw. -erweiterung. In dem hier betrachteten Zusammenhang ist der Begriff Pol praktisch bedeutungsgleich mit Ladung. Im Alltag denkt man bei Polen an gegenüberliegende und ausgezeichnete Punkte, beispielsweise die beiden durch die Drehachse definierten Punkte eines Globus. Dies war sicherlich auch hier der historische Hintergrund der Begriffsbildung. Bei elektrischen und magnetischen Polen handelt es sich vielmehr um die Orte der Oberflächenladung auf einem Körper mit entgegengesetzem Vorzeichen. Im allgemeinsten Fall geht es also schlichtweg um die Verteilung der (nicht frei beweglichen) Oberflächenladung auf einem Körper. Das einfachste Beispiel eines (elektrischen) Dipols ist ein Körper, der aus zwei Punktladungen der Größe +q und −q, q > 0 in einem Abstand | a | besteht. Per Konvention ist die Richtung des Abstandsvektors a von der negativen Ladung zur positiven. Die Größen q und a definieren den Dipol anhand des sogenannten Dipolmoments p = q · a .
(5.1)
In Analogie zum Konzept der Punktladung gibt es den Punktdipol. Er ist über den sogenannten „Dipollimes“ definiert: Der Abstand der Pole wird so verkleinert und der Betrag der Ladung der Pole vergrößert, dass ihr Produkt konstant bleibt bzw. gegen einen konstanten 1 Hier ist zunächst wirklich von idealen Dipolen die Rede. Körper mit einer komplexeren Ladungsoder Polverteilung werden außen vor gelassen.
5.1
Dipole im äußeren Feld
129
a
b
E
E
p P Abb. 5.1 Feld eines (a) Punktdipols mit dem Dipolmoment p und eines (b) ausgedehnten, homogen polarisierten Körpers der Polarisation P
Wert konvergiert: | a | → 0 und q → ∞, sodass p = q · a = const. Der Feldstärkeverlauf eines Punktdipols ist r − r 2 p p r ) = 3( p · r) E( ∝ 3, 5 r 4π ε0 r
(5.2)
ist also richtungsabhängig und fällt mit dem Abstand schneller ab als der Feldstärkeverlauf einer einfachen Ladung (siehe Abb. 5.1a). Ein ausgedehnter Körper mit einer gewissen Dipolverteilung2 kann als Summe solcher Punktdipole pi betrachtet werden, N i , analog zu einer Ladungsverteilung, die man als Summe einzelner pK¨orper = i=1 p Punktladungen auffassen kann. Im einfachsten Fall ist die Dipolverteilung homogen im Volumen V des Körpers. Wie eine Ladungsdichte ρ kann auch eine Dipoldichte definiert werden, die Polarisation pK¨orper . (5.3) P = V r) = Für einen Körper mit inhomogener Dipolverteilung ist die Polarisation ortsabhängig P( d p( r) dV .
In Abb. 5.1b ist das Feld eines ausgedehnten Körpers homogener Polarisation dargestellt. Die Ladungen eines Dipols in Materie sind aneinander und damit auch an die Materie gebunden. An der Oberfläche von polarisierter Materie sitzt die sogenannte Polarisationsladung, was sie von der frei beweglichen influenzierten Ladung unterscheidet, die an der Oberfläche elektrischer Leiter sitzt. 2 Dabei ist eine Verteilung infinitesimaler Punktdipole im Volumen des Körpers gemeint und nicht die Verteilung der Pole/Ladungen an dessen Oberfläche.
130
5 Elektrisch und magnetisch polarisierbare Materie
Abb. 5.2 In einem homogenen Feld können die Kräfte auf die Ladungen eines ausgedehnten Dipols zu einem Drehmoment führen (a), in einem inhomogenen Feld zusätzlich zu einer Nettokraft (b)
b
a
a
F+
F_
F_ E
E
a F+
Wie die elektrische Feldstärke E wird die Polarisation P makroskopisch3 als ein Vektorfeld betrachtet, jedoch mit der speziellen Eigenschaft, dass sie nur innerhalb von Materie auftritt. Man kann die Polarisation auch mit Feldlinien darstellen wie in Abb. 5.1b. Mithilfe des Feldlinienmodells kann ein einfacher Zusammenhang zwischen den Polarisationsladungen an der Oberfläche und der Polarisation im Körper angegeben werden: Am Anfang von Polarisationslinien sitzen negative Ladungen, an deren Ende positive.4 Positive (Polarisations-)Ladungen sind Senken der Polarisation und Quellen für die elektrische Feldstärke E und umgekehrt.
5.1.2
Dipole im homogenen Feld
Zur Plausibilisierung des Verhaltens von Dipolen in Feldern betrachten wir ausgedehnte Dipole aus Punktladungen. Die Kraft auf den Dipol kann dann leicht aus der Summe der Kräfte auf die beiden Punktladungen abgeleitet werden. Die allgemeinen Formeln nach der Bildung des Dipollimes werden nur noch angegeben, aber nicht berechnet. In einem homogenen Feld sind die Kräfte auf die beiden Ladungen betragsmäßig gleich haben allerdings entgegengesetzte Richtungen (Abb. 5.2a). Die Nettokraft groß F± = ±q E, auf einen Dipol istalso null. Ist jedoch p ∦ E, so wirkt ein Drehmoment auf den Dipol = 0,5 · sin α. M a × q E + 0,5[− a ] × [−q] E = p × E = | p| · | E| Ohne Reibung führt ein solches winkelabhängiges Drehmoment zu einer Schwingung; mit Reibung wird die Energie der Schwingung umgewandelt und der Dipol richtet sich im Feld aus bis p|| E.
5.1.3
Dipole im inhomogenen Feld
Wie im homogenen Feld kann es auch in einem inhomogenen Feld zu einem Drehmoment auf = p × E den Dipol kommen. Für einen Punktdipol ist dies die oben angegebene Formel M Um diesen Effekt vernachlässigen zu können und speziell den mit der lokalen Feldstärke E. 3 also unabhängig von den einzeln gedachten infinitesimalen Punktdipolen 4 Die Richtung von Minus nach Plus basiert auf der Konvention für den Abstandsvektor a .
5.2
Polarisierbare Materie
131
Effekt des inhomogenen Feldes zu betrachten, wird ein Dipol in paralleler Ausrichtung zum r ) (siehe Abb. 5.2b). Feld betrachtet p ↑↑ E( Die Kräfte an den Ladungen des Dipols sind parallel, entgegengesetzt und besitzen unter r+ ) = F− ( r− ). Deren Summe ergibt eine Nettokraft auf den schiedliche Beträge F+ ( Dipol F+ ( r+ ) + F− ( r− ) = q E+ + E− = 0. Für einen beliebigen Dipol in einem belie p · E . bigen Feld ist die Nettokraft F = ∇ Eine Faustregel für die Kraftrichtung ist die Aussage: Die Kraft zeigt in Richtung des Feldgradienten.
5.2
Polarisierbare Materie
Bisher wurde nur von (ausgedehnten oder punktförmigen) Dipolen gesprochen. Eine Polarisation, und damit ein Dipolmoment eines ausgedehnten Körpers, kann auch als Folge eines äußeren Feldes entstehen. Der geometrisch einfachste Fall ist polarisierbare Materie zwischen den Platten eines idealen Plattenkondensators. Damit die elektrische Feldstärke von außen vorgegeben ist, wird ein Kondensator mit konstanter Ladung betrachtet, die Spannung ist dabei nicht fest (siehe Abb. 5.3a). Bringt man unpolarisierte, polarisierbare Materie (im elektrischen Fall ein sogenanntes Dielektrikum) in das homogene Feld eines Plattenkondensators (Abb. 5.3b), so wird sie homogen polarisiert. Wie oben erwähnt, sind die Polarisationsladungen Quellen und Senken der Polarisation und der elektrischen Feldstärke. Die elektrische Feldstärke E außerhalb des Dielektrikums bleibt konstant aufgrund der konstanten Ladungen auf den Platten. Innerhalb des Dielektrikums existiert eine Polarisation P und die elektrische Feldstärke ist aufgrund der Polarisationsladungen reduziert. Im Feldlinienmodell kann man sich vereinfacht
a
E
D
b
E
P
D
Abb. 5.3 Plattenkondensator mit Q = const. und idealisiertem homogenem Feld, einmal ohne (a) und einmal mit (b) polarisierbarer Materie zwischen den Platten. Innerhalb des Dielektrikums ist die elektrische Feldstärke E geschwächt, da auch Polarisationsladungen ihre Quellen und Senken sind.
132
5 Elektrisch und magnetisch polarisierbare Materie
vorstellen, dass einige E-Feldlinien durch das Dielektrikum hindurchgehen und manche an den Polarisationsladungen enden und dort Polarisationslinien beginnen. An der anderen Seite des Dielektrikums dreht sich dies um. Zur Beschreibung solcher Probleme ist es sinnvoll, ein Feld einzuführen, dessen Quellen und Senken nur die sogenannten freien Ladungen sind, die man im Experiment durch Anlegen von Spannung an einen Leiter beeinflussen kann. Das eben besprochene Beispiel legt nahe, dass eine solche Größe durch die Addition von Feldstärke und Polarisation gebildet werden kann. Diese Größe nennt man elektrische Flussdichte D: = P + ε0 E (5.4) D Bei solchen Additionen von Feldern muss man in Feldlinienbildern etwas aufpassen. Es handelt sich hier um Vektoradditionen, die an jedem Punkt des Feldes ausgeführt werden müssen. Feldlinien kann man nicht so leicht addieren, was gerne zu kleinen Fehlern und Fehlvorstellungen führen kann. Im Plattenkondensator mit homogenen Feldern und dazu senkrechten Oberflächen fällt dies nicht so sehr auf. Erst bei krummlinigen Feldlinien inhomogener Felder können Schwierigkeiten auftreten, wie der folgende Abschnitt zeigen wird. Im Plattenkondensator mit konstanten (freien) Ladungen ρ f r ei ist die elektrische Fluss konstant und homogen zwischen den Platten, egal ob ein Dielektrikum vorhanden dichte D ist oder nicht (Abb. 5.3). Die Feldstärke E ist dagegen im Dielektrikum kleiner als außerhalb, da auch Polarisationsladungen Quellen und Senken darstellen. Mit der elektrischen kann die erste Maxwell-Gleichung umgeschrieben werden: ∇ = ρ f r ei ·D Flussdichte D 5 Für nicht zu große Feldstärken gilt näherungsweise ein linearer Zusammenhang zwischen der elektrischen Feldstärke innerhalb eines Materials und der Polarisation: P = ε0 χel E
(5.5)
Die materialabhängige Proportionalitätskonstante χel wird elektrische Suszeptibilität genannt. Mit ihr lässt sich (5.4) umschreiben: = ε0 (1 + χel ) E = ε0 εr E D
(5.6)
Dabei ist εr = 1 + χel die elektrische relative Permittivität und die Proportionalitätskonstante zwischen Flussdichte und Feldstärke innerhalb von Materie. Oft ist man allerdings nicht an der Relation zwischen Flussdichte und Feldstärke interessiert, sondern an der Relation zwischen der Feldstärke mit und ohne Materie. Im Detail kann diese für viele Situationen nicht so leicht bestimmt werden. Für homogene Felder und einer Geometrie wie im idealen Plattenkondensator (siehe Abb. 5.3) gilt: r O M ) = ε0 E( r O M ). • An einem (beliebigen) Ort ohne Materie gilt: D( M M = P + ε0 E M M = ε0 εr E M M . • An einem Ort mit Materie gilt: D
5 Was hier zu große Feldstärken sind, ist materialabhängig.
5.3 Visualisierung von elektrischen Feldern mit Grießkörnern
133
rM M ) = • Ein Vergleich zwischen den Feldern an Orten mit und ohne Materie liefert: D( r O M ); E O M = εr E M M . D(
5.3
Visualisierung von elektrischen Feldern mit Grießkörnern
Der Versuch, elektrische Felder durch auf Öl schwimmenden Grießkörner zu visualisieren, wie er in Abschn. 1.1.3 beschrieben ist, wird in der Schule zum Einstieg in die Elektrostatik gezeigt, um damit das Feldlinienmodell nahezulegen. Die Schwierigkeiten, die es mit den dafür verwendeten Metallelektroden gibt, die keine Ladungsverteilung repräsentieren, sondern Potentiale, wurden schon in Abschn. 4.2.4 angesprochen. In diesem Abschnitt wird dagegen der Hintergrund der Anordnung der Grießkörnchen erklärt. Ein solcher Versuchsaufbau besteht immer aus mindestens zwei Elektroden, da man nur Potentialdifferenzen vorgeben kann und keine einzelnen Potentiale. Diese Elektroden befinden sich an der Öloberfläche. Auf die Oberfläche werden Grießkörner gestreut. Die Körner ordnen sich bei genügend großer Spannung und nach kurzer Zeit langsam zu Ketten zwischen den Elektroden an. Aus solchen Ketten wurde historisch von Faraday die Vorstellung von Feldlinien zwischen den Elektroden/Ladungen abgeleitet. Eine übliche Schulbucherklärung könnte lauten: „Wegen der Polarisation der Körner ordnen sie sich in Ketten entlang von Feldlinien an.“ Oft wird auch weniger von der Anordnung von Ketten gesprochen, sondern vielmehr vom Ausrichten der oval gezeichneten Grießkörner. Im Folgenden wird eine fachgerechte Erklärung auf hochschulischem Niveau gegeben. I. Der Einfluss des Feldes auf ein Grießkorn: Die Grießkörner sind zwar irregulär geformt, jedoch im Mittel nicht oval, sondern eher kugelförmig. In einem vorgegebenen Feld der Stärke E0 werden sie polarisiert, sie richten sich nicht weiter aus (siehe Abb. 5.4a). Näherungsweise kann man von einer homogenen Polarisation P ausgehen. Die Feldstärke
b
a
FDipol
pGrieß
E0
P FDipol
E0
b Grießkorn im inhomogenen Abb. 5.4 a Grießkorn im äußeren Feld E0 mit der Polarisation P. Feld E0 in der Nähe einer Metallspitze mit dem Dipolmoment pGries und der Nettokraft auf den Dipol FDi pol ⊥ E0
134
5 Elektrisch und magnetisch polarisierbare Materie
Einnen im inneren des Korns ist schwächer als das Feld E0 an der Stelle des Korns eigentlich wäre. Die formalen Zusammenhänge sind: P = ε0 χel Einnen ; E0 ≈ εr Einnen . Im Grießkorn entsteht ein Dipolmoment pGries = P · VGries . Ist das Feld nicht vollkommen homogen, so wird das Grießkorn wegen des Dipolmoments in die Richtung des Feldgradienten gezogen, also dorthin, wo der Betrag der Feld pGries · E0 . stärke immer stärker wird. Die Nettokraft auf das Grießkorn ist FDi pol = ∇ Die Körner werden also vor allem zu Ecken, Kanten und Spitzen von Elektroden gezogen (Spitzeneffekt). In Abb. 5.4b ist dies in unmittelbarer Nähe einer Metalloberfläche bei einer Spitze dargestellt. In dieser Abbildung soll auch verdeutlicht werden, dass zwar Feld und Polarisation die gleiche Richtung haben, die Kraft (also der Feldgradient) aber in eine andere Richtung zeigen kann. Dies ist ein entscheidender Unterschied zwischen Kräften auf Ladungen und auf Dipole. II. Einfluss der Polarisation auf das umliegende Feld: Die Polarisation der Körnchen erzeugt für sich ein elektrisches Feld, das dem umliegenden Feld überlagert ist. Diese gegenseitige Beeinflussung kann im Detail etwas unintuitiv sein. Da ein Grießkorn verhältnismäßig klein und auch der Effekt der Polarisation relativ klein ist, werden die folgenden Vereinfachungen gemacht. Das Feld des Körnchens beeinflusse nicht die felderzeugenden Ladungen ρ0 , das umliegende Feld E0 sei in der Nähe des Körnchens homogen und alle Felder inner Gries seien homogen (siehe Abb. 5.5). Das homogene halb der Körnchens E Gries , P und D Wie schon erwähnt, sitzen an den Feld E 0 führt also zu einer homogenen Polarisation P. Enden der Polarisationslinien positive Ladungen, am Anfang negative. Das Feld um ein Grießkorn ist die Überlagerung aus dem homogenen äußeren Feld E0 und dem Feld aufgrund der Polarisation des Grießkorns E Gries . Dies ist in Abb. 5.5 dargestellt, einmal mit den Feldstärken und der Polarisation (Abb. 5.5a) und einmal mit der Flussdichte (Abb. 5.5b). Die Summe aus dem äußeren Feld und dem Feld des Grießkorns ergibt das Gesamtfeld mit den einzelnen Feldgrößen: E gesamt = E0 + E Gries 0 +D Gries gesamt = D D =ε0 E0
innen = P + ε0 E0 + E Gries,innen = P + ε0 Einnen = εr ε0 Einnen D 0 = ε0 E0 >D
(5.7)
Außerhalb des Körnchens sind elektrische Flussdichte und Feldstärke gleich, bis auf den Faktor ε0 . Innerhalb gibt es einen entscheidenden Unterschied. Zunächst gibt es einen Sprung der Feldstärke in Betrag und Richtung zwischen innen und außen aufgrund der Polarisationsladungen. Innerhalb des Körnchens ist die Feldstärke schwächer als das ursprüngliche Feld E 0 + E Gries,innen < E 0 . Der Verlauf der elektrischen Flussdichte gibt die Möglichkeit, den Begriff der elektrischen Flussdichte noch etwas auszuschärfen. Die Quellen
5.3 Visualisierung von elektrischen Feldern mit Grießkörnern
a
135
EGries Egesamt E0 P
b
DGries Dgesamt D0
0 und Feldern der Polarisation des Grießkorns P und Abb. 5.5 Summe aus äußerem Feld E0 bzw. D Gries ergeben das resultierende Gesamtfeld E gesamt bzw. D gesamt . Dies ist einmal E Gries bzw. D für die Feldstärke und Polarisation (a) und einmal für die Flussdichte (b) skizziert
und Senken der Flussdichte sind nur durch die freien Ladungen festgelegt, weshalb man die zugehörigen Feldlinien auch über die Polarisationsladungen hinweg als durchgezogenen Linien zeichnen kann. Aber das bedeutet nicht, dass der Verlauf der Flussdichte nicht durch die Polarisation(-sladungen) beeinflusst wird. Die Flussdichte wird in dielektrische, hineingezogen und ist dadurch innen stärker als das umliegende Feld Materie polarisierte Bei der Feldstärke ist das gerade anders herum. . Dinnen > D 0 Eine wichtige Folge des Einflusses der Polarisation auf das umliegende Feld sind die Feldgradienten, also ein stärkeres Feld an den Polarisationsenden der Körnchen, an denen die Polarisationsladungen sitzen. Das hat zur Folge, dass auch in einem sonst homogenen äußeren elektrischen Feld E0 Feldgradienten an den Grießkörnchen entstehen. Deshalb ziehen sich Grießkörnchen aufgrund ihres Dipolmoments gegenseitig zu ihren Feldgradienten. Dies hat die Bildung der Ketten von Grießkörnchen zur Folge. Die Tangente einer solchen Kette ist damit parallel zur Polarisation P des Grießkörnchens an dieser Stelle. Die Polarisation entsteht gemäß dem umliegenden Feld P ∝ E0 , weshalb die Ketten einer Feldlinie im Feldlinienmodell folgen. Eine kleine Anmerkung gibt es noch zu machen. Die Grießkörnerketten dienen dazu, um Feldlinienbilder nahezulegen. Man muss dabei kurz auf Unterschiede zwischen den Grießkörnchenbildern und dem Feldlinienmodell eingehen. So kann es vorkommen, dass sich Ketten von Körnern aufspalten oder verbinden. Gründe dafür sind beispielsweise, dass Ecken und Spitzen an den Körnchen zusätzliche Feldgradienten erzeugen und mehrere Körnchen an einen Pol eines anderen Körnchens gezogen werden.
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5.4
5 Elektrisch und magnetisch polarisierbare Materie
Die Analogie zwischen elektrischer und magnetischer Polarisation
Die magnetische Polarisation von Materie lässt sich makroskopisch genauso wie elektrische Polarisation beschreiben, abgesehen von den unterschiedlichen mikroskopischen Ursachen. Man geht dabei von der Existenz magnetischer (Punkt-)Dipole aus und ordnet diesen ein magnetisches Dipolmoment m zu, analog zum . Es folgt die elektrischen Dipolmoment p m K¨orper i im magnetische Polarisation J = V = V . Diese Größe ist historisch bedingt nicht = J/μ0 , die prosehr bekannt. Traditionell gebräuchlicher ist die Magnetisierung M portional zur Polarisation ist. In den meisten Lehrbüchern wird die Magnetisierung durch μ i = m i /μ0 . Damit wird M = Vi i definiert, mit einem anderen magnetischen Moment μ analog zur elektrischen Polarisation P dargestellt, anstelle der magnedie Magnetisierung M tischen Polarisation J. Alle weiteren Größen der magnetischen Polarisation sind analog zur elektrischen Pola die magnetische risation wie in Tab. 5.1 dargestellt. Es gibt die magnetische Flussdichte B, Suszeptibilität χm und die magnetische relative Permittivität μr zur magnetischen Feldkonstante μ0 . Lehrbücher heben stets die Unterschiede zwischen elektrischen und magnetischen Phänomenen hervor. Analogien werden eher skeptisch betrachtet und manchmal sogar unsinnigerweise als falsch hingestellt. Es wird beispielsweise sehr betont, dass es keine freien magnetischen Ladungen gibt, die sogenannten Monopole. Das macht jedoch eine Betrachtung der magnetischen Ladung, die immer eine Polarisationsladung ist, nicht falsch. Problematisch ist dabei, wenn wie bei Griffiths ([1], S. 306) nicht zwischen freien und Polarisationsladungen unterschieden wird, sondern magnetische Monopole pauschal mit magnetischer Ladung gleichgesetzt werden.
Tab. 5.1 Äquivalenz zwischen der elektrischen und der magnetischen Polarisation. In der oberen Hälfte der Tabelle sind die physikalischen Größen zur Polarisation in ihren definierenden Gleichungen einmal für die Elektrostatik und einmal für die Magnetostatik angegeben. Sollte die entsprechende Größe nicht vor dem Gleichheitszeichen stehen, wurde sie innerhalb der Formel unterstrichen Name
Elektrostatik
Magnetostatik
Dipolmoment Polarisation
p = q a p P = i i
Feldflussdichte
= ε0 E + P D
m m J = Vi i = μ0 M B = μ0 H + J = μ0 H + M
Suszeptibilität
P = ε0 χel E = ε0 (1 + χel ) E = εr ε0 E D
= χm H J = μ0 χm H ; M B = μ0 (1 + χm ) H = μr μ0 H
=ρ div D M = p × E p · E FDi pol = ∇
div B = 0 =m M × H m · H FDi pol = ∇
Relative Permittivität
Maxwellgleichung Drehmoment Nettokräfte
V
5.5
Polarisation in Schule und Didaktik
137
Ein weiterer Unterschied zwischen magnetischen und elektrischen Feldern ist die messbare Größe. In der Elektrostatik steht die elektrische Feldstärke im Mittelpunkt, da diese gemessen werden kann, im Gegensatz zur elektrischen Flussdichte. Die Flussdichte erlaubt „nur“ eine bessere Beschreibung, da sie ausschließlich durch die freien Ladungen bestimmt wird. In der Magnetostatik ist die magnetische Flussdichte B die zentrale Messgröße und die magnetische Feldstärke H wird als sogenannte „Hilfsgröße“ wie die elektrische Flussdichte eingeführt.6 Es werden also Analogien zwischen der elektrischen Feldstärke E und der magnetischen Flussdichte B angedeutet, nur weil es sich in beiden Fällen um eine Messgröße handelt, obwohl es keine formalen Analogien gemäß der Maxwell-Theorie gibt. So wird bei Bergmann/Schäfer erwähnt, dass ein Hohlraum in einem Ferromagneten ähnlich gut von einem magnetischen Feld abgeschirmt wird wie ein Hohlraum in einem elektrischen Leiter von einem elektrischen Feld. Es kommt zu einer Abschirmung, da die magnetische Flussdichte (bei Bergmann/Schäfer als magnetische Feldstärke bezeichnet) in den Ferromagneten hineingezogen wird, beziehungsweise die elektrische Feldstärke nicht in den elektrischen Leiter eindringt.7 „Trotz der genannten Unterschiede ist die Ähnlichkeit der Phänomene bestechend.“ ([2], S. 161) Der hier erwähnte Unterschied liegt lediglich darin, dass im elektrischen Fall eine Feldstärke zur Argumentation verwendet wird und im analogen magnetischen Fall eine Flussdichte. Betrachtet man die tatsächliche magnetische Feldstärke H , so sind die beiden Fälle qualitativ identisch. Die beiden Fälle unterscheiden sich lediglich quantitativ, da ein weicher Ferromagnet mit sehr großer magnetischer Suszeptibilität nur näherungsweise ein magnetischer Leiter ist, ein Metall aber ein echter elektrischer Leiter. Die magnetische Feldstärke dringt also ein klein wenig in den Ferromagneten und damit auch in den Hohlraum ein, die elektrische Feldstärke wird dagegen perfekt abgeschirmt (siehe hierzu im Detail die Faustregeln in Abschn. 6.2.3). Die Formeln, Gleichungen und Abbildungen in den Lehrbüchern sind natürlich korrekt, jedoch sind die allgemeine sprachliche Darstellungsweise und der Gebrauch unangemessener Analogien nicht geeignet, um ein einfaches Verständnis magnetischer Materie und ihrer Feldern zu erhalten.
5.5
Polarisation in Schule und Didaktik
In den Schulbüchern und der Literatur der Didaktik geht die Behandlung der elektrischen und magnetischen Polarisation fast immer mit einer Erklärung/Beschreibung in einem Teilchenmodell einher. Es wird gesagt, dass sich in Atomen und Molekülen die Elektronen in der Hülle gegen den Kern etwas verschieben und deshalb ein mikroskopisches Dipolmoment vorhanden ist. Die Summe dieser Teilchendipole ergibt dann den polarisierten Körper. Ähnlich wird im magnetischen Fall die Existenz von Elementarmagneten angegeben, die addiert den magnetisierten Körper ergeben. Wie schon in Abschn. 1.3.2 erwähnt, ergeben 6 Im Detail dazu mehr im Kap. 7. 7 Das wird im folgenden Kap. 6 näher erläutert.
138
5 Elektrisch und magnetisch polarisierbare Materie
sich bei Schülern immer viele Fehlvorstellungen bei Erklärungen mit dem Teilchenmodell. Davon abgesehen erklärt man in der Fachwissenschaft mikroskopisch die Polarisation im Bändermodell, d. h. mit elektronischen Zuständen, die über den Festkörper ausgedehnt sind. Es gibt dabei also keine elementaren Dipole von Teilchen. Auch im magnetischen Fall wird mit den Elementarmagneten eine Dipol-Dipol-Wechselwirkung für den Magnetismus impliziert, die nicht gegeben ist. In der Elementarisierung der Polarisation mit Teilchenmodellen gibt es also einige fachliche Schwierigkeiten. Eine makroskopische (phänomenologische) Darstellung wie in der Elektrodynamik an Hochschulen, und wie in diesem Kapitel beschrieben, gibt es nur im Karlsruher Physikkurs für die Schule. Dabei werden elektrische und magnetische Polarisation als (Vektor-)Felder in Materie eingeführt und ausführlich deren Eigenschaften beschrieben. Ein magnetisierter Körper besitzt dann eine magnetische Ladungsverteilung (Polstärke) analog zu der Ladungsverteilung eines elektrisch polarisierten oder influenzierten Körpers. Im folgenden Kapitel wird konkret auf die magnetische Polarisation eingegangen und wie man elementarisiert aus einer vorgegebenen Magnetisierung ein Feldbild skizziert.
5.6
Zusammenfassung
• Elektrische und magnetische Dipole werden durch das Dipolmoment beschrieben, p und m. Ein elektrisches Dipolmoment wird durch Punktladungen gleichen Betrags q und entgegengesetzten Vorzeichens im Abstand | a | definiert, p = q a . • Ausgedehnte Körper mit dem Volumen V haben das Dipolmoment pK¨orper = V P die man elektrische Polarisation nennt. Die magnetische mit der Dipoldichte P, Polarisation wird mit J bezeichnet. • Wechselwirkungen eines polarisierten Körpers mit einem umgebenden Feld führen = p × E und Fnet = ∇ p · E . zu einem Drehmoment und einer Nettokraft, M Analoges gilt für die magnetischen Größen. • Feldstärke und Polarisation können zur Flussdichte zusammengefasst werden. Die die magnetische Flussdichte B ist analog. = P +ε0 E, elektrische Flussdichte ist D • Die Polarisation ist im Allgemeinen abhängig von einer äußeren Feldstärke. Ändert so nennt man sich die Polarisation linear mit der Feldstärke, also P = ε0 χel E, die Proportionalitätskonstante (elektrische) Suszeptibilität χel . In diesem Fall ist = ε0 εr E, mit der relativen die Flussdichte proportional zur Feldstärke, also D Permittivität, εr = (1 + χel ) als Proportionalitätskonstante. Analoges gilt für die magnetischen Größen.
Literatur
139
• Grießkörner in einem elektrischen Feld ordnen sich zu Ketten entlang der Feldrichtung an. Sie werden im Feld polarisiert und erfahren eine Kraft in Richtung steigender Beträge der Feldstärke. Aufgrund der Überlagerung des äußeren Feldes und des Dipolfeldes der Grießkörner bilden sich lokale Betragsmaxima der Feldstärke entlang der Polarisations-/Feldrichtung vor und nach den Körnern. Benachbarte Körner ziehen sich auf diese Weise an und bilden Ketten in Richtung des äußeren Feldes. • Die schulische Beschreibung der Polarisation von Materie mit elementaren Dipolen in einem Teilchenmodell könnte die mit dem Teilchenmodell verbundenen Fehlvorstellungen bei Schülern verstärken. Eine schulische Beschreibung kann auch phänomenologisch in Anlehnung an die oben angegebene Beschreibung durchgeführt werden.
Literatur 1. Griffiths, David. J. 2013. Introduction to Electrodynamics. Boston: Pearson. 2. Raith, Wilhelm. 2006. Bergmann/Schaefer – Lehrbuch der Experimentalphysik – Band 2 Elektromagnetismus. Berlin: de Gruyter.
6
Magnetismus und Magnetfeld
Inhaltsverzeichnis 6.1
Schulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Experimente aus Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Konzepte und Strukturen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Hochschulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Arten magnetischer Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Wechselwirkung zwischen Permanentmagneten und anderer Materie . . . . . . . . . . . 6.2.3 Magnetfelder von Permanentmagneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Vergleich der Sachstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Plausibilisierung des Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Arten von Magnetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Zwei Pole oder viele Pole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.5 Farbmarkierung von Magneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.6 Erfahrung mit korrekten Feldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.7 Elementarmagnete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.8 Wechselwirkung einzelner Pole oder Dipole im Feld anderer Dipole . . . . . . . . . . . . 6.3.9 Magnetfeld der Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
142 142 142 145 146 146 149 152 155 155 157 157 158 158 160 160 161 162 163 164
Im vorherigen Kapitel wurde die Polarisation von Materie anhand der elektrischen Polarisation eingeführt. Die magnetische Polarisation wurde nur anhand der analogen Größen vorgestellt. Im folgenden Kapitel geht es nun ausschließlich um die magnetische Polarisation. Ein zentraler Aspekt dabei sind die Materialeigenschaften von harten und weichen Ferromagneten und wie sie zu bestimmten Feldgeometrien führen. Den Magnetismus an dieser Stelle zu besprechen, stellt den Versuch einer Synthese zwischen schulischem und hochschulischem Vorgehen dar. Finden sich Magnete und ihre Eigenschaften oft schon im Unterricht von Grundschulen und bevor andere Dinge aus dem © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4_6
141
142
6 Magnetismus und Magnetfeld
Themengebiet der Elektrodynamik angesprochen werden, werden in einem Hochschulkurs magnetische Materialien erst sehr spät erwähnt, frühestens nachdem Magnetfelder mit elektrischen Strömen definiert werden. Durch diese Synthese soll hervorgehoben werden, wie man die bestehenden Analogien zwischen elektrischen und magnetischen Phänomenen und Konzepten nutzen kann, um Schwierigkeiten zu umgehen, die man mit dem Magnetismus verbindet.
6.1
Schulübliche Darstellung
6.1.1
Themenüberblick anhand von Lehrplänen
Magnete und magnetische Materie werden in den Lehrplänen häufig nur am Rande erwähnt, beziehungsweise in sehr frühen Jahrgangsstufen, und haben damit oft einführenden Charakter. Es muss an dieser Stelle klar gestellt werden, dass im Allgemeinen Lehrpläne und Schulbücher unter magnetischer Materie ausschließlich ferromagnetische Materialien verstehen und der Para- und Diamagnetismus vernachlässigt werden. Im Lehrplan von beispielsweise Nordrhein-Westfalen wird lediglich das Wort „Dauermagnet“ in der Jahrgangsstufe 6 erwähnt [23]. Häufiger findet sich die Erwähnung von Dauer-/Permanentmagneten im Zusammenhang mit einer Beschreibung der magnetischen Pole [11, 15, 16, 20], in Verbindung mit dem Modell der Elementarmagnete [11, 14, 16, 20, 23] und im Zusammenhang mit dem Ferromagnetismus [18, 25]. Das Feldkonzept wird in Verbindung mit Magneten in den meisten Lehrplänen explizit erwähnt [11, 14–17, 19, 24, 25]. In allen Lehrplänen werden Magnete genutzt, um das Konzept eines Feldes einzuführen oder zu erweitern und Feldlinienbilder zu besprechen. Magnetische Eigenschaften von Materie finden sich in allen Lehrplänen sehr indirekt. Trotzdem werden Themen angesprochen, die ohne ein fundiertes Verständnis von Ferromagnetismus nur schwer zu beschreiben sind. Diese Themen sind beispielsweise magnetische Feldlinienbilder (von Dauermagneten und ferromagnetischen Materialien), Elektromagnete, Elektromotoren, Generatoren und Transformatoren.
6.1.2
Experimente aus Schulbüchern
Erste grundlegende Experimente zeigen, was passiert, wenn man Magnete in die Nähe anderer Magnete oder ferromagnetischer Materialien bringt, wie in Abb. 6.1 zu sehen ist. Die Beobachtungen daraus werden im Allgemeinen wie folgt zusammengefasst: • Magnetische Stoffe wie Eisen (Ferromagnete) werden von Magneten angezogen. • Die anziehende Kraft ist am stärksten an den sogenannten Polen des Magneten. • Es gibt zwei Pole, Nord- und Südpol. Gleichnamige stoßen sich ab, ungleichnamige ziehen sich an.
6.1
a
Schulübliche Darstellung
143
c
b
d
Abb. 6.1 Beispiele typischer Abbildungen in Schulbüchern zu grundlegenden magnetischen Wechselwirkungen zwischen Magneten und Ferromagneten (a und b) und zwischen Magneten selbst (c und d)
Neben solchen einführenden Experimenten gibt es Experimente, die speziell das Konzept des magnetischen Feldes veranschaulichen und nahelegen sollen. Ein Versuch, den man in wenigen Schulbüchern findet [5, 8, 12], ist ähnlich dem Versuch in der Elektrostatik, bei dem geladene Wattefetzen in gebogenen Linien von einer Elektrode zur anderen fliegen. Da es keinen „magnetisch einfach geladenen“ Körper gibt, muss er näherungsweise konstruiert werden. Das wird über eine sehr lange Magnetnadel realisiert, bei der die Pole so weit voneinander getrennt sind, dass näherungsweise nur ein Pol auf einer Seite betrachtet werden kann. Diese Magnetnadel wird senkrecht in einen Korken wie in Abb. 6.2 gesteckt und in ein Wasserbecken gegeben, sodass ein Pol nur etwas über die Wasseroberfläche zeigt, der andere weit unterhalb ist. Hält man einen Stabmagneten an den Rand des Beckens, so bewegt sich der Korken in einer krummlinigen Bahn weg vom gleichnamigen Pol hin zum ungleichnamigen. Man möchte dabei die verhältnismäßig große Reibung ausnutzen, damit die Bewegungsrichtung gleich der Kraftrichtung ist.1 In jedem Schulbuch findet sich ein Versuch mit Eisenfeilspänen (Abb. 6.3) zur Plausibilisierung der räumlichen Verteilung des Magnetfeldes und seiner Darstellung in Form von Feldlinien. Dieser Versuch ist analog zur Visualisierung des elektrischen Feldes mit Grieskörnchen, allerdings funktioniert er erheblich besser, da die magnetische Suszeptibilität von 1 Hier sei gleich auf die Kritik in Abschn. 1.3.6 und 6.3.2 verwiesen.
144
6 Magnetismus und Magnetfeld
vermeintliche Bewegungsrichtung entlang einer Feldlinie
Stabmagnet
N Korken Magnetnadel S
Wasser Abb. 6.2 Experiment, bei der die Kraft auf einen Pol einer schwimmenden Magnetnadel im Feld eines Stabmagneten zu einer Bewegung entlang einer Feldlinie führen solle. Tatsächlich ist dies jedoch nicht der Fall, da die Kraftrichtung bei nicht-geradlinigen Bewegungen nicht die Bewegungsrichtung ist
Abb. 6.3 Das Feld eines Stabmagneten unter einem Blatt Papier wird durch Eisenfeilspäne visualisiert.
Eisen um viele Größenordnungen stärker ist als jegliche elektrische Suszeptibilität. Man benötigt dabei kein Öl und keine Konstruktion mit Elektroden. Man platziert lediglich auf einem Magneten ein Blatt Papier, einen dünnen Karton oder eine dünne Glasplatte und streut darauf die Eisenfeilspäne. Die Muster, die sich dabei ergeben, sind immer sehr eindrücklich und bieten bei Unklarheit zu einem beliebigen Magnetfeld eindeutige Klärung. Vergleichbar häufig finden sich Versuche mir Magnetnadelplatten. Die Magnetnadeln geben sehr deutlich die lokale Richtung des Magnetfeldes an. Der Betrag des Feldes lässt
6.1
Schulübliche Darstellung
145
sich nur durch die Stärke der Reaktion der einzelnen Magnetnadeln erahnen. In einem nahezu identischen Versuch wird eine einzelne, beweglich aufgehängte Magnetnadel in der Nähe eines Magneten bewegt und man betrachtet die Änderung der Richtung der Nadel.
6.1.3
Konzepte und Strukturen in Schulbüchern
In Schulbüchern werden Magnete, und vor allem magnetische Materie, nicht sehr ausführlich besprochen, wie man schon aufgrund der Lehrpläne vermuten kann. Auch in den Schulbüchern handelt es sich bei Magneten und magnetischen Materialien ausschließlich um harte und weiche Ferromagneten. Para- und Diamagnetismus werden nicht erwähnt. Manchmal erfolgt keine konkrete Einführung der Eigenschaften von Magneten. Ein grundlegendes Wissen darüber wird vermutlich aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht der Primarstufe erwartet, um damit später auch im Bereich der Induktion umgehen zu können [4, 7]. Manchmal werden Magnete und magnetische Materialien vor ihrer eigentlichen Einführung erwähnt. Beispielsweise wird kurz ein allgemeines Feldkonzept vorgestellt, wobei als Beispiel auch Magnete genannt werden [1], oder bei der Einführung der magnetischen Wirkung von Strömen werden nebenbei, ohne Erklärung, Eisenkerne für Elektromagnete erwähnt [2]. Die Einführung, die sich in den meisten Schulbüchern findet, ist recht einheitlich und wird im Folgenden dargestellt. Die Beschreibung, was den Magnetismus in Materie ausmacht, fällt in Schulbüchern sehr knapp aus. Es deutet sich in den Beschreibungen eine Unterscheidung zwischen Magneten (Dauer-/Permanentmagnete) und „magnetischen Materialien“ wie Eisen, Nickel und Cobalt an. Letztere werden in einigen Schulbüchern unter dem Begriff „Ferromagnete“ zusammengefasst. Eine Unterscheidung zwischen harten Ferromagneten (in Schulbüchern nur „Dauermagnete“ genannt) und weichen Ferromagneten (nur „Ferromagnete“ genannt) wird nicht durchgeführt. Die Erklärung der beobachteten Eigenschaften von magnetischen Materialien wird mit wenigen Ausnahmen [1] in den Schulbüchern mit dem Modell der Elementarmagnete geführt. Das wird beispielsweise mit dem Merksatz aus Physik Plus 8/9 ([12], S. 184) zusammengefasst: Körper aus Eisen und anderen ferromagnetischen Stoffen enthalten Elementarmagnete. Diese sind in verschiedenen Richtungen angeordnet. Beim Magnetisieren richten sich die Elementarmagnete aus.
Bei den Themen, für die ein Eisenkern in Spulen wichtig ist (Elektromagnete, Elektromotoren, Generator, Transformator), werden einleitend diese Beschreibungen wiederholt, jedoch nicht weiter vertieft. Es wird erwähnt, dass die magnetischen Effekte durch einen Eisenkern verstärkt werden, bzw. der Eisenkern zu einem Magnet werde, ohne ausführlicher auf die Funktionsweise einzugehen.
146
6 Magnetismus und Magnetfeld
Das Modell der Elementarmagnete dient auch der Erklärung, dass jeder Magnet immer zwei Pole hat und auch beim Teilen eines Magneten die Pole nicht einzeln vorhanden sind. Eine Einführung des Konzepts des magnetischen Feldes in der Sekundarstufe I findet sich selten im Zusammenhang mit dem elektrischen Strom, wie im folgenden Kapitel besprochen [4, 6], sondern meistens im Zusammenhang mit den vor dem elektrischen Strom besprochenen Magneten. Die Grundlage für die Einführung des magnetischen Feldes ist, ähnlich wie im Falle des elektrischen Feldes, die Kraftwirkung zwischen magnetischen Körpern. Dabei wird wie in der Elektrostatik auch von einem Probekörper gesprochen. Ähnlich wie beim elektrischen Feld wird auch abhängig vom Schulbuch das magnetische Feld einmal als der Raum um einen Magneten bezeichnet, in dem eine solche Wirkung beobachtet werden kann, oder als etwas im Raum, das diese Wirkung verursacht und überträgt. Eine Erweiterung des Feldbegriffs erfolgt bei der ausführlichen Besprechung der Erzeugung eines magnetischen Feldes mit elektrischem Strom, eine Quantifizierung durch die magnetische Flussdichte B findet man in der Oberstufe.
6.2
Hochschulübliche Darstellung
Wie im vorherigen Kapitel in Abschn. 5.4 erwähnt, sind einige Lehrbuchdarstellungen zum Magnetismus nicht optimal, wie die mangelhafte Darstellung der Analogie zwischen magnetischen und elektrischen Größen. Formal geben alle Lehrbücher die für sie wichtigen Eigenschaften des Magnetismus wieder, auch wenn vereinzelt in älteren Ausgaben noch ein falsches Feldbild eines Stabmagneten zu finden ist ([26], S. 817). In diesem Abschnitt wird kein Überblick über die Darstellungsweisen der Lehrbücher gegeben, sondern eine Darstellungsweise des Magnetismus vorgestellt, die sich lose am Karlsruher Physikkurs anlehnt. Mit ihr können alle wichtigen Eigenschaften einfach und qualitativ erklärt und vor allem anschlussfähig für die Schule aufbereitet werden. Aus diesem Grund gibt es in diesem Kapitel erneut keine separaten Gebrauchsdefinitionen, vielmehr stellt der ganze Abschnitt eine ausführliche Gebrauchsdefinition und Einführung dar. Des Weiteren wird sich auf die Betrachtung von Dipolen beschränkt, auch wenn es im Magnetismus beliebige Multipole geben kann. Das ist sinnvoll, da es sich tatsächlich meistens um Dipole handelt. Felder von Multipolen und ihre Wechselwirkung mit Dipolen lassen sich sehr leicht aus den Darstellungen ableiten.
6.2.1
Arten magnetischer Materie
Im elektrostatischen Fall ist es nicht notwendig, auf Materialien mit verschiedenen Eigenschaften hinsichtlich der Polarisation einzugehen, da lediglich dielektrische Stoffe erwähnenswert sind. Nur extrem wenige Stoffe zeigen para- oder ferroelektrische Eigenschaften.
6.2
Hochschulübliche Darstellung
147
Für magnetisierbare Materie ist dies anders. Die drei Arten magnetischer Stoffeigenschaften werden im Folgenden in einem kurzen Überblick phänomenologischen vorgestellt. Ferromagnetismus Ferromagneten zeichnen sich durch eine sehr große, positive magnetische Suszeptibilität und magneχm 0 aus. Der Bereich, in dem der Zusammenhang von Magnetisierung M tischer Feldstärke H linear ist und eine Proportionalitätskonstante χm sinnvoll ist, ist sehr begrenzt. Die Suszeptibilität liegt in diesem linearen Bereich materialabhängig zwischen χm = 100 und 500000. Eisen hat, je nach Verunreinigung und Beimischung, mindestens χm ≥ 1000. Ferromagneten können sich bei der Magnetisierung unterschiedlich verhalten. Hier sollen nur zwei Extreme betrachtet werden. Die sogenannten weichen Ferromagnete besitzen einen großen linearen Bereich um null, also M ∝ H , bis die Magnetisierung für höhere Magnetfelder sättigt (siehe Abb. 6.4a, blaue Kurve). Aus solchem Material werden die Kerne von Spulen, Transformatoren, Generatoren und Elektromotoren gefertigt. Diese Materialien weisen also eine so starke und reversible Magnetisierbarkeit/Polarisierbarkeit auf, dass sie vergleichbar ist mit der Influenz freier Ladungen in elektrischen Leitern der Elektrostatik. Daraus kann eine Faustregel abgeleitet werden, die später noch sehr wichtig wird: Weiche Ferromagneten verdrängen die magnetische Feldstärke H (nahezu) vollständig aus ihrem Inneren. Das bedeutet auch, dass in solchen Ferromagneten die Polarisationsladungen fast wie freie Ladungen auf elektrischen Leitern betrachtet werden können, mit der Einschränkung, dass deren Summe immer null ergeben muss.
Eine andere Art von Ferromagneten sind harte Ferromagnete. Ihre Magnetisierung weist eine starke Hysterese in Abhängigkeit der äußeren Feldstärke auf (siehe Abb. 6.4a, rot Kurve). Legt man ein starkes Magnetfeld in eine Richtung an, sodass der Körper in diese Richtung
b
a M harter Ferromagnet mit Remanenz
H weicher Ferromagnet ohne Remanenz
M
ferromagnetisch χm>>1
paramagnetisch χm>1
H diamagnetisch χm 0, die in der Größenordnung von χm ≈ 10−5 − 10−4 liegt. Paramagnetismus verhält sich analog der Dielektrizität in der Elektrostatik. Alkalimetalle und die meisten Erdalkalimetalle sind Beispiele für Paramagnete. Der im Alltag gebräuchlichste paramagnetische Material ist sicherlich Aluminium. Diamagnetismus Diamagnete zeigen etwas Besonderes, sie haben eine schwache, negative Suszeptibilität χm < 0 in der Größenordnung χm ≈ −10−5 . Dieser Effekt ist also ähnlich groß oder etwas schwächer als der positive Paramagnetismus. Eine negative Suszeptibilität bedeutet, dass sich in einem diamagnetischen Körper eine Magnetisierung ausbildet, die dem äußeren Feld entgegensteht. Und so wie Dielektrika und Paramagneten die elektrische/magnetische Flussdichte in sich ein klein wenig bündeln, verdrängt ein Diamagnet die Flussdichte aus seinem Inneren. Diamagnetische Stoffe sind beispielsweise Metalle wie Gold, Silber und Kupfer, weiterhin Kohlenstoff als Diamant oder Graphit und Wasser. Die entscheidende Eigenschaft, an der man den Unterschied des Verhaltens zwischen den drei Arten von magnetisierbarer Materie ausmachen kann, ist die Suszeptibilität: Sehr große positive, schwache positive, sehr schwache negative Suszeptibilität. Dies ist für die Magnetisierung bei kleinen Feldstärken in Abb. 6.4b zusammengefasst. Die Materie lässt sich bezüglich ihrer magnetischen Eigenschaften einfach folgendermaßen kategorisieren: • Alle Stoffe sind diamagnetisch. • Manche Stoffe sind paramagnetisch. • Manche paramagnetische Stoffe sind unterhalb einer kritischen Temperatur Tc (Tc = 766 ◦ C bei Eisen) ferromagnetisch.
6.2
Hochschulübliche Darstellung
6.2.2
149
Wechselwirkung zwischen Permanentmagneten und anderer Materie
Permanentmagnet und magnetisches Feld Im vorherigen Kapitel wurden die wichtigen physikalischen Größen des Magnetismus schon durch die Analogie zur elektrischen Polarisation eingeführt. Daran anschließend wurden im obigen Abschnitt die Arten magnetischer Materie vorgestellt. Im Folgenden werden die magnetischen Größen anhand beobachtbarer Erscheinungen besprochen. Beobachtungen zu grundlegenden Experimenten mit Magneten wie in Abb. 6.1c und d lassen darauf schließen, dass es sich bei Permanentmagneten um Dipole (oder Quadrupole, Oktopole usw.) handelt,2 die allerdings keine elektrische Ladung tragen, sondern eine andere Art Ladung, man nennt sie magnetisch. Ein magnetischer Dipol impliziert die Existenz einer magnetischen Ladung3 Q m , die unterschiedliche Vorzeichen annehmen kann und sich gegenseitig aufheben kann, wie es bei der elektrischen Ladung der Fall ist. Im Magnetismus werden Ladungen mit entgegengesetztem Vorzeichen als Nord- beziehungsweise Südpol bezeichnet. Erstere sind positive magnetische Ladungen, letztere negative magneti sche Ladungen. Die Summe aller magnetischen Ladungen auf einem Körper i Q mi = 0 muss immer verschwinden, da es sich um Polarisationsladungen handelt. Ein magnetischer i. Dipol hat jedoch ein endliches Dipolmoment m = V J = i m Wie elektrisch geladene Körper ein elektrisches Feld in ihrer Umgebung erzeugen, erzeugen magnetisch geladene Körper ein magnetisches Feld. Die Parametrisierung des magnetischen Feldes erfolgt durch die magnetische Feldstärke H und die magnetische Flussdichte Alle Formeln mit diesen Feldern in diesem Kapitel dienen zunächst einer qualitativen B. Beschreibung. Die Quantifizierung dieser Vektorfelder mit einem Kraftgesetz wird im folgenden Kapitel vorgestellt. Auch das Magnetfeld kann durch Feldlinienbilder dargestellt werden. Wie das elektrische Feld ist auch das magnetische Feld ein eigenständiges physikalisches System. Magnete erzeugen durch ihre Polarisation ein Magnetfeld. Nordpole sind Quellen der magnetischen Feldstärke H , Feldlinien beginnen dort. Südpole sind Senken der Feldstärke H , Feldlinien enden dort. Magnetfelder können Energie und Impuls aufnehmen und abgeben. Auf der Basis des vorherigen Kapitels können Aussagen zur Wechselwirkung zwischen einem Körper mit einem magnetischen Dipolmoment m (ein Magnet) und einem Feld (beispielsweise eines anderen magnetischen Körpers) der Feldstärke H gemacht werden: = m × H . Das Magnetfeld • Ein Magnet erfährt im Magnetfeld ein Drehmoment M erfährt dabei das gegenläufige Drehmoment und vermittelt es dem magnetfelderzeugenden Körper. Ist Reibung vorhanden, richtet sich ein Magnet im Magnetfeld aus, sodass gilt m ↑↑ H ( r ). 2 Im Folgenden werden o.B.d.A. nur noch Dipole behandelt. 3 Wie zu Beginn des letzten Kapitels angegeben, sind Pole Oberflächenladungen.
150
6 Magnetismus und Magnetfeld
m • Ein Magnetfeld übt auf einen Magneten die Nettokraft F = ∇ · H aus. Ist das H . Ein magnetische Dipolmoment des Magneten unveränderlich, so gilt F = m ·∇ Magnet wird in die Richtung des Gradienten des Feldes gezogen. Umgekehrt übt der Magnet die Gegenkraft auf das Magnetfeld aus und im Kräftegleichgewicht übt das Magnetfeld diese Kraft auf den felderzeugenden Körper aus. • Das Magnetfeld des Magneten zeigt einen Verlauf wie in Abb. 6.5a. Man spricht oft einfach von einem Dipolfeld. Die Beobachtungen zur Wechselwirkung von Magneten können nun wie folgt beschrieben und erklärt werden: • Ein Magnet mit festem Dipolmoment richtet sich im Feld eines anderen Magneten aus (und umgekehrt), beispielsweise eine Magnetnadel im Feld eines (größeren) Magneten (siehe Abb. 6.5a). • Sind die Orientierung des Dipolmoments eines Magneten M1 und die Richtung des Feldes eines anderen Magneten M2 entgegengesetzt, so wirkt auf M1 eine Kraft vom Gradienten des Feldes weg. Bei gleicher Orientierung von Dipolmoment und Feld wirkt die Kraft in Richtung des Gradienten (Abb. 6.5b). Man könnte vermuten, dass diese Beschreibungen mit einzelnen Polen leichter zu führen sei, anstatt mit den Dipolmomenten. Dann müssten jedoch jeweils beide Pole des Magneten in
a
b
Abb. 6.5 In a: Ortsabhängige Richtung der magnetischen Feldstärke H eines ausgedehnten magnetischen Dipols. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei einem realen dünnen Stabmagneten, der auf einer Magnetnadelplatte liegt. Im Hintergrund ist das Kraftfeld aus b schattiert angedeutet. In b: Ortsabhängige Kraftrichtung auf einen kleinen ausgerichteten magnetischen Dipol im Feld des ausgedehnten magnetischen Dipols von a (schattiert dargestellt).
6.2
Hochschulübliche Darstellung
151
den Feldern beider Pole des anderen Magneten betrachtet werden und die Ortsabhängigkeit des Feldes müssten noch mehr im Detail berücksichtigt werden. Im elektrischen Feld definiert man die Feldlinien einerseits als senkrecht zu den Äquipotentialflächen oder anhand der Kraftrichtung auf einen geladenen Probekörper (Abschn. 1.2.2). Da es keine einfach magnetisch geladenen Körper gibt (magnetische Monopole), können die Feldlinien des Magnetfeldes nicht direkt auf diese Art festgelegt werden. Sinnvoller ist die Betrachtung der Ausrichtung eines kleinen Probedipols, also einer kleinen Magnetnadel.4 Permanentmagnet und unmagnetisierte Materie Mit unmagnetisierter Materie ist hier Materie gemeint, die ohne äußeres Feld nicht magnetisiert ist. Das ist alle Materie, ausgenommen harte Ferromagnete mit Remanenzfeld, also Permanentmagnete. Das Verhalten unmagnetisierter Materie in Magnetfeldern, beispielsweise von Permanentmagneten, ist analog wie das Verhalten von Dielektrika in elektrischen Feldern. Die Materie wird im äußeren Feld polarisiert/magnetisiert, erhält also ein Dipolmoment, das mit dem äußeren Feld wechselwirkt und dieses auch in seiner Umgebung verzerrt. Dieser Effekt wurde in Abschn. 5.3 genau beschrieben. Ein Unterschied zu elektrisch polarisierbarer Materie ist die Tatsache, dass es im Magnetismus die oben beschriebenen drei Arten magnetischer Materie gibt. Ferro- und Paramagnete werden in Richtung des äußeren Feldes magnetisiert und die Richtung der Nettokraftrichtung im Feld ist wie bei einem ausgerichteten Magneten im Feld. Mit einer sehr kleinen Suszeptibilität wirken auf Paramagnete nur kleine Kräfte, auf Ferromagnete mit extrem großer Suszeptibilität wirken dagegen sehr starke Kräfte. Damit lässt sich die Effektivität von Eisenfeilspänen zur Visualisierung von Magnetfeldern erklären. Diamagneten haben dagegen eine negative Suszeptibilität und die Magnetisierung erfolgt entgegengesetzt zur Richtung des äußeren Feldes. Damit ist die Kraftrichtung der von Para- und Ferromagneten an gleicher Stelle entgegengesetzt und zeigt entgegen des jeweiligen Feldgradienten. Wahrnehmbar werden diese Eigenschaften, wenn man ein Polarisationsende eines Permanentmagneten einem unmagnetisierten Material nähert. Ein weicher Ferromagnet magnetisiert sich dabei praktisch vollständig in Richtung des Feldes des Permanentmagneten und erfährt eine starke Anziehungskraft in Richtung des Feldgradienten. Der Effekt ist bei Paramagneten sehr gering, jedoch gut erkennbar bei einem starken Permanentmagneten aus Neodym, der an den Polen ein stark inhomogenes Feld besitzt, und einem Paramagneten, der sehr leicht beweglich ist. Auch hier beobachtet man eine gegenseitige Anziehung zu den Feldgradienten. Zwischen einem Permanentmagneten und einem Diamagneten ist der
4 Das Adjektiv „klein“ bezieht sich hier nicht auf die Stärke des produzierten Dipolfeldes, sondern
auf seine räumliche Ausdehnung. Eine Magnetnadel richtet sich nach dem über seine Ausdehnung gemittelten Feld aus. Um tatsächlich die lokale Ausrichtung des Feldes zu erfahren, ist es also wichtig, dass die Ausdehnung des Probedipols möglichst klein ist.
152
6 Magnetismus und Magnetfeld
Effekt vergleichbar stark wie beim Paramagneten, jedoch ergeben sich abstoßende Kräfte zwischen dem umgekehrt polarisierten Diamagneten und dem Feldgradienten des Permanentmagneten.
6.2.3
Magnetfelder von Permanentmagneten
Faustregeln Um Aussagen zu Magnetfeldern und Magnetisierungen von (Permanent-)Magneten zu machen, helfen einige Faustregeln, die sich aus den Eigenschaften von Ferromagneten und den allgemeinen Eigenschaften der Polarisation von Körpern ableiten lassen. Diese Faustregeln gelten oft nur näherungsweise (im Folgenden durch einen Stern∗ gekennzeichnet), sie sind jedoch sinnvolle Annahmen. • Die permanente Magnetisierung von (Teil-)Körpern wird als homogen angenommen.∗ Damit sind die Magnetisierungslinien (die Feldlinien der Magnetisierung) im Körper festgelegt. • Der Sitz der magnetischen Oberflächenladungen (Pole) ergibt sich aus diesen Magnetisierungslinien, da sie von magnetisch negativen Oberflächenladungen (Südpolen) zu magnetisch positiven Oberflächenladungen (Nordpolen) verlaufen. • Die magnetische Feldstärke H entsteht aus den magnetischen Ladungen. Das ist vollkommen analog zur Elektrostatik, bei der die elektrische Feldstärke aus den elektrischen Ladungen entsteht. • Für nicht permanent magnetisierte Ferromagnete (Weicheisen) gilt, dass aus ihrem Inneren die magnetische Feldstärke H vollständig verdrängt wird∗ , genau wie die elektrische Feldstärke aus elektrischen Leitern verdrängt wird. • Sind Weicheisen mit Permanentmagneten verbunden, so bildet sich an der Verbindungsfläche des Weicheisens eine magnetische Spiegelladung. Die entsprechende Gegenladung im Weicheisen verteilt sich auf der restlichen Oberfläche, sodass die obige Bedingung (Verdrängung der Feldstärke aus dem Inneren) erfüllt ist∗ , so als bringe man elektrische Ladung auf einen elektrischen Leiter. Die Basis dieser Faustregeln sind die Gleichungen · B = 0, ∇
. B = μ0 H + M
(6.1) (6.2)
Setzt man sie ineinander ein, = μ0 ∇ =0 · B = ∇ · μ0 H + M · H + ∇ ·M ∇ ∝ Qm , · H = −∇ ·M ⇒∇
(6.3)
6.2
Hochschulübliche Darstellung
153
zeigt sich, dass das Gradientenfeld der magnetischen Feldstärke durch die Quellen und Senken der Magnetisierung bestimmt wird. Die Magnetisierung ist im Permanentmagneten vorgegeben und kann in einem Weicheisen qualitativ erschlossen werden. Die somit angegebenen Quellen und Senken der Magnetisierung sind dann die Senken und Quellen der magnetischen Feldstärke. Diese Quellen und Senken sind gerade die magnetischen Polarisationsladungen Q m . Stabmagnet Die obigen Faustregeln werden jetzt auf das Beispiel eines homogen magnetisierten Stabmagneten wie in Abb. 6.6 angewandt. Hierzu wird ein schrittweises Vorgehen vorgeschlagen: • Homogene Magnetisierung → Magnetisch negative Ladungen (Südpol) befinden sich dort, wo die Magnetisierungslinien beginnen, magnetisch positive Ladungen (Nordpol) befinden sich am Ende der Linien. • Aus der homogenen Magnetisierung folgt eine homogene magnetische Flächenladungsdichte an den Stirnflächen des Stabes. • Es ergibt sich ein Magnetfeld H analog einem elektrischen Feld E bei gleicher elektrischer Ladungsverteilung. Die Ladungsverteilung ist analog einem Kondensator mit kleinen, weit voneinander entfernten Platten.
a b
c
S
N
Abb. 6.6 Qualitative Zeichnungen zum Magnetfeld eines Stabmagneten. a Stabmagnet mit idealer, (grün). b Die daraus folgenden magnetischen Ladungen (braun), die homogener Magnetisierung M magnetische Feldstärke H (blau) und die Flussdichte B (rot) in b. In der Vergrößerung (c) ist der seitliche Übergang zum Materialinneren dargestellt. Das H -Feld ist stetig, die Magnetisierung zeigt einen Sprung, was damit auch für die Flussdichte als Summe der beiden Felder B = μ0 H + M gilt.
154
6 Magnetismus und Magnetfeld
• Außerhalb des Magneten ist die Flussdichte proportional zur Feldstärke B = μ0 H . da | M| > | H |. An der Innen ist B leicht gekrümmt, verläuft aber im Groben wie M, Grenzfläche kann B einen Knick haben. Dazu kann exemplarisch eine Stelle direkt an der Grenzfläche im Körper betrachtet werden (siehe Abb. 6.6c). Zusätzlich zum qualitativen und H abgeschätzt und vektoriell zu B Feldlinienverlauf können dort die Beträge von M addiert werden. Damit kann die leichte Krümmung von B abgeschätzt werden und der Knick an der Grenzfläche. Die Feldlinien in Abb. 6.6 sind nicht berechnet, sondern zeigen nur einen Verlauf basierend auf dem genannten Vorgehen und Symmetrieüberlegungen. Das Ergebnis gleicht qualitativ dem tatsächlichen Verlauf der Feldlinien, wie ein Vergleich mit den berechneten Feldlinien der Abbildungen Abb. 3.40 in [21] und einer Abbildung auf S. 51 in [10] zeigt.
Rechteckiger Hufeisenmagnet Der rechteckige Hufeisenmagnet ist ein typisches Beispiel eines Magneten, von dem wenige wissen, dass er ein Verbund aus verschiedenen Ferromagneten ist. Er besteht aus einem kurzen Stabmagneten mit homogener Magnetisierung und zwei damit verbundenen Weicheisenstäben die die Arme des Hufeisenmagneten bilden (siehe Abb. 6.7). Dieser innere Aufbau erfüllt einen ganz bestimmten Zweck, wie der qualitative Feldverlauf schnell zeigt. Zur Bestimmung des Feldverlaufs kann nach obigen Faustregeln vorgegangen werden. In Abb. 6.7b ist das zusammengefasst dargestellt.
a
b
Magnetisiert
S Weicheisen
Weicheisen N
Abb. 6.7 Ein rechteckiger Hufeisenmagnet (a) ist aufgebaut aus einem kurzen Stabmagneten mit zwei angeschweißten Eisenstangen (b). Die Magnetisierung (hellgrün) im Magneten führt zu einer entsprechenden magnetischen Ladungs-/Polverteilung (rot und dunkelgrün) in den Eisenteilen und zur dargestellten magnetischen Feldstärke H (blau).
6.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
155
• Die homogene Magnetisierung führt zu magnetischen Ladungen an den Enden des magnetisierten Bereichs. • In den Oberflächen der angeschweißten Weicheisen entstehen Spiegelladungen gleicher Stärke. • Die Gegenladungen verteilen sich auf den Oberflächen der angeschweißten Weicheisenstücke nahezu gleichmäßig (abgesehen von Spitzeneffekten). • Zwischen den Weicheisenarmen mit der gleichmäßigen Verteilung der magnetischen Ladung entsteht eine nahezu homogene magnetische Feldstärke, analog der homogenen elektrischen Feldstärke in einem Plattenkondensator. Das Feld um den Magneten herum ist dabei geformt wie das Streufeld eines Plattenkondensators. Diese Konstruktion des Magneten wurde gewählt, um ein homogenes Feld zwischen den Weicheisenarmen zu erzeugen. Im elektrischen Fall würde man eine Spannung an leitenden Platten anlegen, die die Ladungen darauf vorgeben, und das „Streufeld“ gegebenenfalls vernachlässigen. Im magnetischen Fall verwendet man Weicheisen anstelle der leitenden Platten, und die Ladungen darauf gibt man mit den magnetischen Polarisationsladungen eines Permanentmagneten vor.
6.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
6.3.1
Vergleich der Sachstruktur
In diesem Kapitel wurde auf die übliche Lehrbuch-Darstellung für die Hochschule zugunsten eines fachlichen Hintergrunds verzichtet, der zweckmäßiger für eine Elementarisierung ist. In diesem Abschnitt zur Sachstruktur geht es jedoch eher um strukturelle Eigenschaften als um inhaltliche, weshalb sich der Fokus hier wieder auf die Lehrbücher richtet. In Abb. 6.8 ist sehr knapp eine übliche fachsystematische Struktur dargestellt. Die qualitative und quantitative Konzeptionierung des magnetischen Feldes erfolgt im Zusammenhang mit stromführenden Leitern. Hier wird als zentrale Größe die magnetische Flussdichte B eingeführt. Erst nach der ausführlichen Behandlung magnetischer Phänomene im Zusammenhang mit dem elektrischen Strom wird magnetische Materie behandelt. Manchmal wird sie erst nach den restlichen grundlegenden elektrodynamischen Themen, wie Induktion und elektromagnetische Wellen, besprochen. Die magnetische Feldstärke H wird nicht in allen Lehrbüchern eingeführt. In Tipler ([27], S. 896) wird eine äußere Flussdichte Baus verwendet, der die gleiche Funktion zuzukommen scheint wie der Feldstärke. Ähnlich heterogen ist die Einführung von magnetischer Polarisation und Magnetisierung zwischen verschiedenen Lehrbüchern. Viele Lehrbücher unterscheiden nicht zwischen magnetischer Polarisation J In Gerthsen [13] wird beispielsweise die Magnetisierung als magneund Magnetisierung M. tische Polarisation J bezeichnet. Häufig wird dafür das magnetische Dipolmoment anders
156
6 Magnetismus und Magnetfeld
= definiert μ = m/μ 0 , damit gilt M i /V . Die einzelnen Begriffe sind also nicht iμ einheitlich festgelegt und müssen jeweils im Kontext der verschiedenen Bücher erschlossen werden. Es ergeben sich damit in den verschiedenen Lehrbüchern leider scheinbar widersprüchliche Aussagen und Formeln. Erklärungen für ferro-, para- und diamagnetisches Verhalten von Materie werden zum Teil phänomenologisch und halbklassisch gegeben. Die halbklassischen Bilder sind nicht vollständig anschlussfähig an eine quantenmechanischen Beschreibung in der Festkörperphysik. Der entscheidende Unterschied zu Schulbüchern besteht in der Strukturierung und der inhaltlichen Tiefe. Es ist vermutlich ihrer Zugänglichkeit und eindrücklichen Wirkung zuzuschreiben, dass Magnete meistens am Anfang der Elektrizitätslehre stehen und das grundlegende Konzept eines (magnetischen) Feldes an ihnen eingeführt wird. Meistens wird das Verhalten von weichen Ferromagneten mit dem Modell der Elementarmagnete erklärt, das man als didaktische Reduktion der halbklassischen Beschreibung aus den Lehrbüchern sehen kann. In Abb. 6.8 wird zusätzlich eine sehr extreme schulische Strukturierung dargestellt, wie man sie beispielsweise in Spektrum Physik [1] oder vergleichbar in Kuhn Physik [4] findet. Permanentmagnete und Magnetfelder werden hier nur als Einstieg zur Induktion behandelt, Ferromagnete und Elementarmagnetmodell werden dagegen nicht erwähnt. Trotzdem finden sich im Zusammenhang mit der Induktion Eisenkerne in Spulen, Transformatoren und Generatoren. In diesen Büchern wird scheinbar darauf gebaut, dass diese Themen in der Primarstufe schon ausreichend behandelt wurden.
Fachsystematik: Elektrostatik Magnetostatik Kraft auf Strom und Felddefinition
Elektrodynamik Vorläufige Feldgrößen magnetischer mikroskop. Induktion Erklärung Materie
Didaktische Gliederungen: 7/8 9/10: Induktion Magnetfeld Magnet. Strom- von Magneten Induktion I Kraft auf kreise und Strom Strom
Induktion II
7/8 9/10: Magnetische Felder Magnete Ferromagnete Magnet- MagnetStrom- und und Elementar- Feld Feld und kreise Wirkung magnete Strom
Induktion
Abb.6.8 Vergleich der Sachstruktur zwischen Schule und Hochschule für Magnetismus und Magnetfeld
6.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
6.3.2
157
Plausibilisierung des Feldes
Schon in Abschn. 1.3 wurden Möglichkeiten zur Plausibilisierung des Feldkonzepts, speziell des elektrischen Feldes, diskutiert. Hervorgehoben wurden dabei die Mängel und unterstützten Fehlvorstellungen durch die Darstellung elektrischer Felder bzw. Feldlinien durch geladene Wattefetzen, die sich in einem Feld bewegen (siehe Abschn. 1.3.6). Die gleiche Kritik gilt im Falle des Magnetismus bei Versuchen, in denen die Bewegung langer Magnetnadeln, bei denen nur auf einen Pol das äußere Feld wirke, die Feldlinien nahebringen sollen (siehe Abb. 6.2). Nicht nur werden Fehlvorstellungen aus der Mechanik bedient – Kraftrichtung ist gleich Bewegungsrichtung – es werden auch Pole als einzelne Entitäten betrachtet, deren Gegenpol keine Bedeutung hätte. Die beiden Schwächen sind nicht nur konzeptuell, sondern führen auch dazu, dass der Versuch kaum angemessen funktioniert und die Bewegung nicht entlang einer möglichen Feldlinie verläuft. Noch ausführlicher wird dieser Versuch in [28], S. 109 diskutiert. Da man diesen Versuch auch in Lehrbüchern wie Bergmann/Schaefer ([21], S. 154) findet, ist dies ein gutes Beispiel um hervorzuheben, dass Lehrkräfte bei der fachlichen Klärung die Inhalte von Lehrbüchern der Hochschule in Bezug auf Schülervorstellungen und der Vermittlungsabsicht hinterfragen müssen. Inhalte von Lehrbüchern sind nicht automatisch eine sinnvolle fachliche Basis für eine gute Elementarisierung. Deswegen bedeutet „fachliche Klärung“ innerhalb des Modells der didaktischen Rekonstruktion keineswegs das unreflektierte Nachlesen eines fachlichen Hintergrunds. Im Rahmen der Elektrostatik besteht das Problem, dass andere, sinnvollere Versuche zur Plausibilisierung des Feldes, wie das Experiment mit den Grießkörnchen, verhältnismäßig aufwändig sind und nicht ohne Erfahrung mit den Versuchen gute Ergebnisse liefern. Man könnte versucht sein, deshalb das Experiment mit den Wattefetzchen durchzuführen, auch wenn das hier keineswegs angeraten werden soll. Das Gegenteil ist der Fall im Magnetismus. Felder können einfach, detailliert und eindrucksvoll durch Magnetnadelplatten und Eisenfeilspäne nahegelegt werden. Es gibt folglich keinen Grund, ein solches fragwürdiges Experiment überhaupt in Betracht zu ziehen.
6.3.3
Arten von Magnetismus
In den Schulbüchern werden nur ferromagnetische Stoffe als magnetisch bezeichnet und besprochen. Man kann vermuten, dass dies an dem schwachen magnetischen Effekt liegt, den die anderen Arten zeigen. Andererseits gibt es viele Experimente im Physikunterricht, bei denen sehr kleine Effekt verdeutlicht werden. Darüber hinaus bieten heutzutage sehr starke Neodymmagnete die Möglichkeit, sehr leicht auch Dia- und Paramagnetismus sichtbar zu machen. Ein mögliches Experiment sieht folgendermaßen aus. Im Wasser einer flachen Wanne lässt man ein Stück Styropor schwimmen, das als Schiffchen für Materialien dient. Platziert man darauf beispielsweise eine Weintraube oder ein anderes wasserhalti-
158
6 Magnetismus und Magnetfeld
ges Objekt und hält den Pol eines starken Magneten einige Millimeter davon entfernt, so wird das Schiffchen aufgrund des starken Diamagnetismus des Wassers davon abgestoßen. Das Schiffchen mit der Weintraube kann gut erkennbar regelrecht herumgeschoben werden, ohne das Schiffchen zu berühren. Analog kann auch der Paramagnetismus von Stoffen gezeigt werden. Dabei ergibt sich allerdings ein Problem. Beispiele für paramagnetische Stoffe sind Alkali- und Erdalkalimetalle, die nur schwer in Reinform erhältlich und verwendbar sind. Ein alltäglicher, stark paramagnetisch Stoff ist Aluminium. Hier zeigt sich eine weitere Schwierigkeit, die auftritt, wenn man für diesen Versuch ein Metall verwendet. Durch Nähern eines starken Magneten können Induktionsströme erzeugt werden, die ihrerseits zu einer Kraft gegenüber dem Magneten führen können (siehe Abb. 8.2b). Verwendet man allerdings Aluminium in einer Geometrie, in der die Wirbelströme nur sehr klein sind, kann dieser Effekt minimiert und praktisch vernachlässigt werden. Außerdem kann während des Experiments der Magnet bewegungslos gehalten werden. Auf diese Weise können beide Effekte getrennt werden. Tatsächlich eindrucksvoller ist dieser Versuch jedoch mit diamagnetischen Stoffen. Alle Arten des Magnetismus können also mit den Möglichkeiten, die jede Physiksammlung liefert, sehr gut dargestellt werden und Teil des Unterrichts sein.
6.3.4
Zwei Pole oder viele Pole
In Schulbüchern wird bei der Einführung oft betont, dass ein Magnet zwei Pole hat. Das kann etwas irreführend sein, da in Schulbüchern auch die Magnete von Fahrraddynamos betrachtet werden, die oft Oktopole sind, also acht Pole besitzen. Entscheidend ist, dass es zwei „Arten“ von Polen gibt, Nord und Süd – positive und negative magnetische Ladung. Davon können an einem Körper beliebig viele sein, solange der Körper insgesamt magnetisch neutral ist. In diesem Satz zeigt sich zusätzlich ein Dilemma im Magnetismus, dessen Analogie für die Elektrostatik im ersten Kapitel besprochen wurde. Von magnetisch neutral zu sprechen ist sinnvoller, wenn es keine verschiedenen Arten von Polen gibt, sondern nur eine Größe magnetische Ladung, die verschiedene Vorzeichen haben kann, wie es im Karlsruher Physikkurs [10] umgesetzt wird.
6.3.5
Farbmarkierung von Magneten
Zur Kennzeichnung von Magneten wird die eine Hälfte grün und die andere Hälfte rot eingefärbt. Dies solle die Pole kennzeichnen.5 Das ist jedoch nicht der Fall. Bei einem homogen magnetisierten Stabmagneten sind nur die kleinen Flächen an den Enden die Pole (siehe Abb. 6.6). Bei einem rechteckigen Hufeisenmagneten sind die gesamten Anker die 5 Nord = Rot; Süd = Grün.
6.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
159
jeweiligen Pole, ausgenommen jedoch der Dauermagnet, der die beiden Anker verbindet (siehe Abb. 6.7). Man könnte annehmen, dass die Farbmarkierung die Orte kennzeichnen, an denen Feldlinien ein- und austreten. Auch das ist nicht der Fall, wie sich mit einem runden Hufeisenmagneten zeigen lässt. In Abb. 6.9 ist das Feld eines solchen Magneten mithilfe einer Magnetnadelplatte visualisiert. Man erkennt deutlich, dass bei beiden Farben das Feld sowohl ein- wie austritt. Des Weiteren fällt auf, dass der runde Hufeisenmagnet in Abb. 6.9 eine grundlegend andere Feldgeometrie besitzt als der rechteckige Hufeisenmagnet in Abb. 6.7, obwohl beide vergleichbar farblich gekennzeichnet sind. Hintergrund ist eine unterschiedliche Zusammenstellung aus Permanentmagneten und weichen Ferromagneten. Es zeigt sich damit, dass die farbliche Kennzeichnung weder die Polverteilung wiedergibt, noch eine sonstige Hilfe zur Erschließung des Feldes ist. Eine andere Möglichkeit der Markierung wäre die Kennzeichnung der Magnetisierung, also welche Teile eines Magneten fest magnetisiert sind und in welche Richtung. Daraus kann eindeutig die Polverteilung abgeleitet und der Verlauf des Magnetfeldes erschlossen werden.
Abb. 6.9 Visualisierung des Feld eines runden Hufeisenmagneten mithilfe einer Magnetnadelplatte: Die Farbmarkierung zeigt keinen direkten Zusammenhang zum Magnetfeld des Magneten.
160
6.3.6
6 Magnetismus und Magnetfeld
Erfahrung mit korrekten Feldern
Für eine qualitative Abschätzung der Felder ist Erfahrung sehr wichtig und hilfreich. Zusätzlich kann dabei das in Abschn. 6.2.3 beschriebene Vorgehen helfen. Für elektrische Felder kennt man viele Beispiele und kann sie sich aus den gegebenen Ladungsverteilungen relativ gut ableiten. Diese Erfahrung kann auch für Magnetfelder bei bekannter Verteilung der magnetischen Ladung eingesetzt werden. Darüber hinaus ist ein Fundus an Beispielen korrekter Abbildungen von magnetischen Feldern wichtig. Oft finden sich in Schulbüchern und selbst in älteren Lehrbüchern nicht vollständig korrekte Abbildungen. Ohne genügend Erfahrung ist es schwer zu sagen, welche Felddarstellungen qualitativ korrekt sind und welche nicht. Gute Abbildungen zu Feldern von Magneten finden sich z. B. im Karlsruher Physikkurs ([10], S. 46) oder in Bergmann/Schäfer ([21], S. 156). Im Magnetismus muss man sich nicht alleine auf Abbildungen aus Büchern verlassen. Das Feld eines Magneten kann sehr leicht mithilfe einer Magnetnadelplatte oder mithilfe von Eisenfeilspänen abgebildet werden. So kann man sehr leicht fehlerhafte Abbildungen in Büchern identifizieren.
6.3.7
Elementarmagnete
Das Modell der Elementarmagnete dient einer möglichen Elementarisierung, um (ferro-)magnetische Eigenschaften von Materie beschreiben und erklären zu können. Fachlicher Hintergrund dieses Modells sind die magnetischen Momente der Atome der Materie. Aufgrund der bekannten Schwierigkeiten, die man von Teilchenmodellen kennt, scheint es auch hier sinnvoll zu sein, kritisch mit diesem Model umzugehen. Das Modell bietet einerseits die Möglichkeit, Erscheinungen wie die Magnetisierung und Sättigung von Ferromagneten zu beschreiben oder zu erklären, weshalb Magnete auch nach einer Teilung weiterhin zwei Pole besitzen. Andererseits hat dieses Modell auch offensichtliche Grenzen. Es kann beispielsweise nicht erklären, weshalb die Elementarmagnete in Ferromagneten alle parallel ausgerichtet sind und nicht antiparallel, wie die Dipol-Dipol-Wechselwirkung andeuten würde, oder weshalb sie in einem Material fest in einer Richtung bleiben, in anderen Materialien aber nicht. Neben dem Aufzeigen der Grenzen eines Modells kann man sich auch überlegen, ob es andere Möglichkeiten der Darstellung gibt. Ein Beispiel dafür findet sich im Karlsruher Physikkurs, in dem die Magnetisierung eine Materialeigenschaft ist, die durch sogenannte Magnetisierungslinien beschrieben wird, ähnlich wie in Abb. 6.6 in Abschn. 6.2.3. Die entsprechenden Faustregeln können als Grundlage eines Unterrichtskonzepts dienen. Ein Vorteil dieser Darstellung ist beispielsweise, dass Probleme mit Teilchenmodellen umgangen werden. Magnetische Mulipole, wie sie in Fahrraddynamos verwendet werden, können damit sehr leicht beschrieben werden. Anhand der Magnetisierung und der damit einhergehenden Kenntnis der Polverteilung können die Feldgeometrie und allgemein die Magnet-
6.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
161
felder leichter erschlossen werden. Offensichtliche Nachteile gibt es dabei nicht, außer dass dieses Vorgehen unüblich wirkt und es wenig Material dazu gibt. Gleichzeitig schließen sich die Elementarmagente und eine Darstellung der Magnetisierung gegenseitig nicht per se aus. Ein abstraktes Teilchenmodell kann durch eine qualitative, handhabbare Darstellung ergänzt werden.
6.3.8
Wechselwirkung einzelner Pole oder Dipole im Feld anderer Dipole
Eine übliche erste Sprechweise in Schul- und Lehrbüchern, um eine Aussage zur Wechselwirkung von Magneten zu machen, ist „Gleichnamige Pole stoßen sich ab und ungleichnamige ziehen sich an.“ An diesem Ausdruck möchte ich die Frage aufwerfen, ob und wie man in einer ersten Herangehensweise von der Wechselwirkung einzelner Pole sprechen möchte. Jeder Magnet hat zumindest einen weiteren Pol, sodass er als Körper magnetisch neutral ist. Sehr naiv kann man in einer Situation, in der zwei Stabmagnete in unmittelbarer Nähe sind, fragen, welche beiden Pole gemäß der eben genannten Faustregel für die Wechselwirkung zwischen den Magneten verantwortlich sind. Ohne es ausdrücklich zu erwähnen, soll aus dem Merksatz erschlossen werden, dass man nur die Pole berücksichtigt, die sich besonders nahe sind. Man müsste den Merksatz zumindest noch ergänzen um „Je weiter Pole voneinander entfernt sind, desto geringer ist ihr gegenseitiger Einfluss.“ Um die Wechselwirkung zwischen zwei Magneten zu erhalten, müssen die Wechselwirkungen zwischen allen Polen berücksichtigt und miteinander verrechnet werden. Dies kann sehr umständlich sein. Ein weiterer Nachteil dieser Ausdrucksweise kann darin gesehen werden, dass das Feld der Magnete außer Acht gelassen und so getan wird, als wirkten die Pole direkt aus der Ferne aufeinander, was einer übliche Schülervorstellung entspricht ([22], S. 187), die schon für die elektrostatische Wechselwirkung angesprochen wurde. Eine weitere Möglichkeit, die Wechselwirkung zwischen Magneten zu beschreiben, beruht auf ihren Feldern und der Ausrichtung bezüglich ihrer Magnetisierung, wie es im Abschn. 6.2.2 fachlich eingeführt wurde. Ein (bipolarer) Magnet wird durch eine Richtung – einen Pfeil – zwischen seinen Polen charakterisiert und er erzeugt ein entsprechendes Magnetfeld. Zwei (bipolare) Magnete richten sich jeweils im Feld des anderen aus und ziehen einander an. Werden Magnete entgegen dieser Ausrichtung gehalten, stoßen sie sich ab.
Diese einfache fachliche Darstellung beschreibt übliche Beobachtungen mit typischen Stabmagneten sehr gut. Legt man zwei Stabmagnete beliebig nebeneinander, so stellt man immer eine Anziehung fest, nachdem sich die Magnete zueinander gedreht und ausgerichtet haben. Eine Abstoßung wird nur beobachtet, wenn man Magnete in einer Orientierung hält, aus der sie sich herausdrehen wollen. In diesem Sprachgebrauch wird automatisch das Feld der Magnete verwendet und die Magnete werden als ein Ganzes, also als Dipole, betrachtet
162
6 Magnetismus und Magnetfeld
und nicht ihre einzelnen Pole getrennt voneinander. Die Vereinfachung dieser Darstellung besteht im Zusammenfassen von Drehmoment und Reibung im Ausdruck des Ausrichtens.
6.3.9
Magnetfeld der Erde
Zu Beginn des Themas Magnete und Magnetfeld wird häufig der Erdmagnetismus genannt, um das Verhalten eines Kompasses zu erklären. Die Abbildungen dazu sind jedoch oft nicht sehr glücklich umgesetzt. Ein Aspekt des Erdmagnetfeldes ist, dass es nicht horizontal verläuft, wie es Kompassnadeln andeuten könnten. Es existiert eine Inklination, die Feldlinien verlaufen hier in Deutschland unter einem Winkel von ca. 60◦ in den Boden hinein. Es gibt jedoch eine horizontale Komponente, nach der sich ein Kompass ausrichtet (siehe Abb. 6.10a). In einigen Schulbüchern (beispielsweise [3, 5, 9]) finden sich Abbildungen des Erdmagnetfeldes, in denen die Feldlinien überall nahezu senkrecht zur Erdoberfläche stehen (siehe Abb. 6.10b). In den Schulbüchern werden dabei Kompassnadeln weit oberhalb des Erdbodens so dargestellt, dass die Orientierung mit den Erfahrungen am Erdboden übereinstimmt. Man kann sich fragen, ob diese Darstellungsweise eine bestimmte Funktion hat. Zum Erdmagnetfeld gibt es sicherlich zwei Vermittlungsabsichten. Einmal ist das die Tatsache, dass das Erdmagnetfeld nicht nur horizontal verläuft, wie es Kompasse andeuten, sondern dreidimensional ist und in den Erdboden hinein oder heraus zeigt. Zum Anderen soll das Verhalten eines Kompasses erklärt werden, also seine Ausrichtung in horizontaler Orien-
a
b
Abb. 6.10 Qualitativ korrektes Erdmagnetfeld – Inklination kleiner als 90◦ (a). Qualitativ nicht korrektes Erdmagnetfeld – Inklination gleich 90◦ (b).
6.4
Zusammenfassung
163
tierung. Diese Vermittlungsabsichten sind jedoch nicht konträr und es gibt keinen Grund, zugunsten der dreidimensionalen Gestalt des Feldes die Linien so übertrieben senkrecht zur Erdoberfläche stehen zu lassen, dass man die Nord-Süd-Ausrichtung von Kompassen nicht mehr fachgerecht erklären kann.
6.4
Zusammenfassung
Schule: • Magnete können der Einstieg in die Elektrizitätslehre sein und stellen meistens die Einführung in das Konzept des Feldes dar. • Die Materie wird eingeteilt in Magnete, Ferromagnete und nicht-magnetische Materie. • Magnetische Materie wird mit dem Modell der Elementarmagnete beschrieben. • Es gibt zwei Pole, Nord- und Südpol. Gleichnamige Pole stoßen sich ab, ungleichnamige ziehen sich an. • Der Vermittler der magnetischen Kraft zwischen den Polen ist das magnetische Feld im Raum um die Magnete. Visualisiert wird es durch Eisenfeilspäne oder Magnetnadelplatten. Hochschule: • Die magnetische Materie wird eingeteilt in Ferromagnete (χm 0), Paramagnete (χm ≈ 10−5 − 10−4 ) und Diamagnete (χm ≈ −10−5 ). Bei Ferromagneten unterscheidet man harte Ferromagnete mit Remanenzfeld (Permanentmagnete) und weiche Ferromagnete (wie Eisenkerne in Spulen). • Das Magnetfeld eines Magneten kann qualitativ abgeschätzt werden. Durch die Kenntnis der magnetisierten harten ferromagnetischen Teile eines Magneten und der weichmagnetischen Teile kann die Polverteilung an der Oberfläche erschlossen werden. Wie aus jeder Verteilung von Polarisationsladungen kann das resultierende Feld abgeschätzt werden. Vergleich: • Der Magnetismus dient in der Schule der Einführung des Magnetfeldes oder sogar des Feldkonzepts generell. Dagegen ist der Magnetismus in der Hochschule nur ein Teil der Elektrodynamik in Materie und wird beispielsweise am Ende eines Abschnitts zur Magnetostatik behandelt.
164
6 Magnetismus und Magnetfeld
• Bezüglich des Feldkonzepts ergeben sich ähnliche Schwierigkeiten zwischen Schule und Hochschule wie in der Elektrostatik. • Auch in der Schule können Para- und Diamagnetismus besprochen werden. • Ein magnetisierter Körper kann viele Pole haben (Multipol), jedoch nur zwei verschiedene „Arten“, bzw. eine magnetische (Polarisations-)Ladungsverteilung, die sich in der Summe weghebt. • Der Farbmarkierung auf einem Magneten kann man keine Polverteilung und kein magnetisches Feld des Magneten zuordnen, sie stellt keine konkrete physikalische Eigenschaft oder Größe dar. Man muss kritisch mit der Farbgebung von Magneten umgehen. • Im Rahmen der Elektrostatik wird auch in der Schule verschiedenen Ladungsverteilungen jeweils die entsprechende Feldgeometrie zugeordnet. Analoges könnte im Magnetismus helfen, verschieden magnetisierten Magneten ein bestimmtes, qualitativ korrektes Feld zuzuordnen. • Das Modell der Elementarmagnete bringt die gleichen Probleme mit sich wie alle Teilchenmodelle. Es bietet nur eine geringe funktionale Analogie zur Beschreibung von Magnetismus an Hochschulen und ist nur in geringem Maße anschlussfähig. Als das einzige zur Verfügung stehende Modell kann kein angemessener Umgang mit physikalischen Modellen erworben werden. • Um die Wichtigkeit des Feldes hervorzuheben und Magnete, im einfachsten Fall, als Dipole zu verstehen, ist es in der Schule sinnvoll, die Wechselwirkung zwischen Magneten nicht anhand einzelner Pole, sondern anhand von Dipolen im Feld eines anderen Dipol zu beschreiben. • Die Feldlinien in den Abbildungen des Erdmagnetfeldes sollten eine horizontale Komponente an der Erdoberfläche besitzen.
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Literatur
165
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7
Magnetfelder konstanter Ströme
Inhaltsverzeichnis 7.1
Schulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Experimente aus Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Konzepte und Strukturen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Hochschulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Elektrischer Strom in Lehrbüchern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Experimente aus Lehrbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Konzeptualisierung des Magnetfeldes an der Hochschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Fachliche Klärung zum Elektromagneten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5 Diskussion der Lehrbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.6 Grundlegende Konzeptvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Vergleich der Sachstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Feldverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Feldgrößen in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.4 Die Linke-Hand-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.5 Das Elektromotorische Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
168 168 168 173 175 175 176 176 179 181 182 183 183 185 186 187 188 188 189
In den üblichen Lehrbüchern wird das Magnetfeld durch seinen Zusammenhang mit elektrischen Strömen definiert und eingeführt. In diesem Buch wurden die Größen für magnetische Felder anhand der magnetischen Polarisation in Abschn. 5.4 eingeführt und in Kap. 6 anhand von Dauermagneten und anderen ferromagnetischen Körpern weiter vertieft. Für eine erste qualitative Beschreibung magnetischer Größen und Eigenschaften eignet sich die magnetische Polarisation in Analogie zur elektrischen Polarisation sehr gut. Ein quantitatives Kraftgesetz für Magnetfelder, in dem alle Größen genau vorgegeben und bestimmt werden können, kann dagegen erst mithilfe elektrischer Ströme angegeben werden. Auch elektrische Ströme selbst werden erst durch ihre magnetische Wirkung definiert. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4_7
167
168
7 Magnetfelder konstanter Ströme
7.1
Schulübliche Darstellung
7.1.1
Themenüberblick anhand von Lehrplänen
Gemäß allen hier betrachteten Lehrplänen sollen Schüler den Zusammenhang zwischen Magnetfeld und elektrischem Strom als die magnetische Wirkung des elektrischen Stroms beschreiben können. Hierbei werden die Versuche von Ørsted in den Lehrplänen nur selten erwähnt. Damit sollen im Anschluss üblicherweise die technischen Anwendungen im Elektromagneten und im Elektromotor besprochen werden. In manchen Lehrplänen wird nicht mehr verlangt als diese vage Kenntnis der magnetischen Wirkung [12, 15, 17, 21, 22, 24]. Laut anderen Lehrplänen soll auch ein Bezug zur Gestalt des Magnetfeldes eines geraden Leiters und einer Spule hergestellt werden, beispielsweise durch Feldlinienbilder und den Vergleich mit Feldern von Dauermagneten. In diesen Lehrplänen wird weiterhin verlangt, dass die Kraftwirkung eines magnetischen Feldes auf einen geraden Leiter erläutert werden kann [16–20, 25–27]. Meistens wird diesbezüglich die UVW-Regel, Ursache-VermittlerWirkung, erwähnt. Vereinzelt findet sich dazu auch die sogenannte „Rechte-Hand-Regel“ oder die „Linke-Hand-Regel“ oder das Schlagwort „elektromotorisches Prinzip“. In keinem der Lehrpläne wird eine konkrete Feldgröße wie die magnetische Flussdichte B oder die magnetische Feldstärke H erwähnt, es wird lediglich vom magnetischen Feld gesprochen. Es wird jedoch von einem Verständnis des Feldkonzepts gesprochen, das Schüler erhalten sollen. Dies wird im Bayerischen Lehrplan [16] konkretisiert für elektromagnetische Felder im Allgemeinen, die fachlich durch die Wechselwirkung zwischen felderzeugenden Körpern (hier Magnete oder stromführende Leiter) und Probekörpern (hier ein Stück gerader, stromführender Leiter) konzeptualisiert werden. In der Sekundarstufe II soll das qualitative Verständnis der Sekundarstufe I durch die formale Beschreibung der Kraft auf einen stromführenden Leiter quantifiziert werden. Das Ergebnis daraus soll ein Feldkonzept und die Feldgröße B sein. Diese Größe wird in manchen Lehrplänen als magnetische Feldstärke und in anderen als magnetische Flussdichte bezeichnet. Auch in der Fülle der Details der Vorgaben unterscheiden sich die Lehrpläne. Meistens werden nur die UVW-Regel und die Lorentzkraft erwähnt, selten finden sich kon oder wie die Lorentzkraft oder das krete formale Vorgaben zur Definition der Feldgröße B, Feld einer Spule besprochen werden sollen [16, 18–20].
7.1.2
Experimente aus Schulbüchern
Dieser Abschnitt enthält eine Sammlung von üblichen Experimenten, die sich in den Schulbüchern finden. Auch wenn sich nicht alle Versuche in allen Schulbüchern finden, stellt die hier vorgestellte Reihenfolge der Experimente eine schrittweise fachliche Vertiefung des mit den Experimenten verbundenen Sachinhalts dar.
7.1
Schulübliche Darstellung
169
• Versuch nach Ørsted: Eine Kompassnadel wird aufgestellt, und darüber ein Leiter parallel zur Ausrichtung der Nadel platziert. Der Leiter wird mit einem Netzteil (und wahlweise einem Schalter) zu einem Stromkreis ergänzt und die Spannung am Netzteil so eingestellt, dass ein Gleichstrom in der Größenordnung eines Amperes fließt (Abb. 7.1a). Wird der Stromkreis geschlossen, führt dies zu einer Auslenkung der Magnetnadel aus ihrer bisherigen Ruhelage. Im Extremfall stellt sich die Kompassnadel senkrecht zum Leiterstück ein, solange der Stromkreis geschlossen ist. Ändert man die Stromrichtung, so wird auch die Kompassnadel in die entgegengesetzte Richtung ausgelenkt. Dieser Versuch soll einen ersten Zusammenhang zwischen elektrischem Strom und Magnetismus nahelegen. Eine Funktion des Experiments kann das Vorführen des Phänomens an sich sein. Wird es als hypothesengenerierendes Experiment verwendet, kann sich beispielsweise Folgendes hinzugedacht werden und als Hypothese formuliert werden: Wenn ein Leiter elektrischen Strom führt, dann entsteht ein Magnetfeld, in dem sich die Kompassnadel ausrichtet. Diese Hypothese kann in weiterführenden Experimenten untersucht und geprüft werden. • Visualisierungen von Feldern: Die beiden Feldgeometrien, auf die im Unterricht genauer eingegangen wird, sind das Feld des geraden, langen Leiters und das der Spule, selten das einer einzelnen Leiterschleife. Hersteller von Lehrmitteln bieten dazu vorgefertigte Aufbauten an, bei denen an entsprechender Stelle eine Plexiglasebene vorhanden ist, um das Feld dort zu verdeutlichen (siehe beispielhaft Abb. 7.1b). Auf diese Plexiglasebene werden Magnetnadeln wie von einer Magnetnadelplatte gelegt oder Eisenfeilspäne gestreut. Ein möglicher Einsatz solcher Versuche, wie es auch die Reihenfolge in Schulbüchern nahelegt, wäre der Test einer Hypothese, wie man sie aus dem Versuch von Ørsted erlangen könnte: Wenn durch den Leiter Ladung fließt, dann ordnen sich Eisenfeilspäne zu
a
b
Abb. 7.1 Schaltplan zu einem Versuch nach Ørsted: Magnetnadel richtet sich senkrecht zu stromführendem Leiter aus (a). Visualisierung des Magnetfeldes einer Kupferspule mit N = 9 Windungen, die kurzzeitig eine Stromstärke von I = 40 A führt, mithilfe von Eisenfeilspänen (b).
170
7 Magnetfelder konstanter Ströme
Linien an oder es richten sich Magnetnadeln aus und veranschaulichen den Verlauf des Magnetfeldes. • Elektromagnet: Es gibt zahlreiche Versuche zu Elektromagneten. Es finden sich beispielsweise in Schulbüchern oft Vorschläge für Schülerversuche, in denen eigenständig aus einem Draht, einem Eisennagel und einer Batterie ein Elektromagnet hergestellt wird. In Abb. 7.2 ist ein möglicher Demonstrationsversuch dargestellt. Man beobachtet dabei Magnetnadeln neben einer stromführenden Spule und vergleicht das Verhalten mit und ohne Eisenkern. Bei passend gewählter Stromstärke ergibt sich dann in dem zunächst schwachen Feld außerhalb der Spule eine feststellbare Auslenkung gegenüber der NordSüd-Ausrichtung, allerdings noch keine vollständige Ausrichtung am Spulenfeld. Fügt man einen Eisenkern in die Spule ein, so ist das Feld des Elektromagneten am Ort der Magnetnadeln erheblich stärker als das Magnetfeld der Erde und man erkennt eine vollständige Ausrichtung. Versuche zum und mit Elektromagneten haben verschiedene denkbare Funktionen: Die Erkundung eines Phänomens, das Erlebnis eines Phänomens als Teil einer größeren Erklärung oder die Herstellung eines Anwendungsbezugs. Wurden Dauermagnete und weiche Ferromagnete besprochen, wie in Kap. 6 vorgeschlagen, dann können Schüler sinnvoll Vermutungen zum Ausgang des Experiments äußern. • Elektromotor: Zum Elektromotor gibt es zahlreiche verschiedene konkrete Ausführungen – fertige Aufbauten, selbst hergestellte oder mit den Schülern gebastelte. Hier wird nur ein möglicher grundlegender Aufbau vorgestellt. Ein Elektromotor besteht aus zwei grundsätzlichen Teilen, dem beweglichen Teil (Rotor) und dem nicht beweglichen (Stator). Im Beispiel aus Abb. 7.3a ist der Stator eine Anordnung fester Magnetisierung und der Rotor ein Elektromagnet. Der Rotor ist über einen sogenannten Kommutator an der Drehachse mit der elektrischen Energiequelle verbunden. Führt der Rotor Strom, so ist er ein Elektromagnet und erfährt im Magnetfeld des Stators ein Drehmoment. Der Kommutator ist so konstruiert, dass in der Stellung, in
a
b
c
Abb. 7.2 Der Effekt eines Eisenkerns in einer Spule (Elektromagnet). Spule ohne Eisenkern und ohne Strom; Magnetnadeln sind nach Norden ausgerichtet (a). Spule ohne Eisenkern und I = 0,6 A; Magnetnadeln werden leicht ausgelenkt (b). Spule mit Eisenkern und I = 0,6 A; Magnetnadeln richten sich zum Elektromagnet; Erdmagnetfeld vernachlässigbar (c)
7.1
Schulübliche Darstellung
a
171
b
Abb. 7.3 Einfacher Elektromotor mit Hufeisenmagnet als Stator und Spule mit Kommutator als Rotor (a). Fließt Elektrizität durch eine Leiterschaukel in einem Magnetfeld, so bewegt sie sich aus der Ruhelage des Schwerefeldes (b)
der das Drehmoment auf den Rotor verschwindet, der elektrische Kontakt unterbrochen wird. Dreht sich der Rotor weiter, so wird der Strom und damit die magnetische Polung umgekehrt und es wirkt weiterhin ein Drehmoment in der ursprünglichen Richtung auf ihn. Funktionen und Möglichkeiten der Ausführung sind ähnlich vielfältig wie bei Versuchen zu Elektromagneten, jedoch haben diese Experimente einen sehr starken Technik- und Anwendungsbezug. • Leiterschaukel: Eine Leiterschaukel (siehe Abb. 7.3b) besteht aus einem stabförmigen Leiter1 , der an zwei leitenden Bändern (Metallgewebe) im homogenen Magnetfeld eines rechteckigen Hufeisenmagneten (siehe Abb. 6.7) hängt. Führt der Leiterstab elektrischen Strom, so erfährt er eine konstante Kraft in eine Richtung, abhängig von der Richtung des Magnetfelds und des Stroms. Es stellt sich eine neue Gleichgewichtsposition ein. Dieser Versuch soll ein erstes qualitatives Erlebnis der Kraft auf einen stromführenden Leiter in einem Magnetfeld sein. Da bei diesem Experiment nur die Stromstärke variiert werden kann, könnte quantitativ lediglich der Zusammenhang zwischen Stromstärke und Kraft betrachtet werden. Die Größe und Richtung der Flussdichte sind durch die Anordnung fest vorgegeben. Obwohl dieses Experiment die Einführung der Betrachtung der Kraft auf einen stromführenden Leiter im Magnetfeld ist, hat es nur einen geringen explorativen Charakter. Im Wesentlichen stellt die Lehrkraft die Behauptung der Existenz dieser Kraft und in welchem Verhältnis sie zum Magnetfeld und zum elektrischen Strom steht einfach auf. Das Experiment taucht in Schulbüchern recht unvermittelt auf, so als wäre es ganz natürlich, dass in Magnetfeldern Kräfte auf stromführende Leiter wirken. Man führt mit diesem Experiment hauptsächlich etwas vor. Neben der Kraft an sich kann damit die sogenannte UVW-Regel2 der rechten Hand nahegelegt werden, mit der in all1 Es wird für gewöhnlich ein Röhrchen aus Aluminium verwendet. Aluminium ist nicht ferromagne-
tisch und sehr leicht und erfährt in einem Magnetfeld keine Kraft ohne elektrischen Strom und kann sehr leicht ausgelenkt werden. 2 Ursache (elektrischer Strom), Vermittler (magnetisches Feld), Wirkung (Kraft).
172
7 Magnetfelder konstanter Ströme
gemeinen Situationen die Richtung der magnetischen Kraft bestimmt werden kann. In manchen Schulbüchern wird bei der magnetischen Kraft auf einen stromführenden Leiter auch vom „elektromotorischen Prinzip“ gesprochen. • Ablenkung eines Elektronenstrahls: In einer Elektronenstrahlröhre kann man die Bahn eines Elektronenstrahls als Leuchtspur beobachten. Wie bei der Leiterschaukel kann eine Ablenkung der geladenen Elektronen beobachtet werden, falls ein Magnetfeld vorhanden ist, dessen Orientierung nicht genau in Richtung des elektrischen Stroms verläuft (siehe Abb. 7.4a). Am stärksten ist der Effekt, wenn das Magnetfeld senkrecht zur Stromrichtung ausgerichtet ist. Die resultierende Bahnkurve ist kreisförmig. Durch dieses Experiment werden die Ergebnisse des Versuchs mit der Leiterschaukel weiter konkretisiert und differenziert. Es soll damit gezeigt werden, dass der Ursprung der Kraft auf einen stromführenden Leiter die Kraft auf die einzelnen fließenden geladenen Teilchen im Leiter ist. Die Kraft auf bewegte geladene Teilchen im Magnetfeld wird in Schulbüchern Lorentzkraft genannt. Auch hier gilt die UVW-Regel. Sollen vor der Versuchsdurchführung Schüler nach ihren Vermutungen befragt werden, ist Vorwissen durch ein Experiment wie die Leiterschaukel wichtig. • Kraftwirkung auf stromführende Drähte: Zwei parallel angeordnete Leiterdrähte ziehen sich entweder an oder stoßen sich ab, abhängig von der Orientierung des Stroms in den beiden Drähten. Man beobachtet eine Anziehung bei paralleler Stromrichtung und eine Abstoßung bei antiparalleler Stromrichtung (siehe Abb. 7.4b). Ein solcher Versuch findet sich vornehmlich in der Sekundarstufe II als ein einleitender Versuch. Manchmal wird er am Rande erwähnt, wenn es um die Definition des Amperes und die damit verbundene Festlegung der magnetischen Feldkonstante μ0 geht. • Stromwaage: Unter dem Begriff Stromwaage werden hier eine Reihe zueinander analoger Experimente zusammengefasst. In Abb. 7.4c ist eine Möglichkeit dargestellt, bei
a
b
c
Abb. 7.4 Skizze zur Ablenkung eines Elektronenstrahls (grün) im Magnetfeld (blau) auf eine Kreisbahn (a). Schaltplan eines Versuchs zur Kraftwirkung zweier paralleler Drähte mit entgegengesetzter Stromrichtung (b). Magnetwaage aus rechteckigem Hufeisenmagnet, Leiterbügel mit Leiterstück definierter Länge im Magnetfeld, Netzgerät zur Vorgabe einer definierten Stromstärke und Kraftmesser am Leiterbügel (c)
7.1
Schulübliche Darstellung
173
der eine starre, rechteckige Leiterschleife an einem Kraftmesser befestigt ist. Eine gerade Seite der Leiterschleife befindet sich im homogenen Teil eines rechteckigen Hufeisenmagneten, die anderen Seiten befinden sich in Bereichen, in denen auf sie keine magnetische Kraft wirkt. Gemessen wird dabei die Kraft in Abhängigkeit von der Stromstärke und von der Länge des geraden Leiterstückes im Feld (und von der festen Flussdichte des Magneten). Es finden sich Variationen, bei denen die Leiterschleife fest montiert ist und der Hufeisenmagnet auf einer Waage steht, und auch solche, bei denen der Hufeisenmagnet durch einen Elektromagneten gleicher Eisenkerngeometrie ersetzt wird. In letzterem Fall kann auch die Flussdichte variiert werden. Dieser Versuch findet sich in der Oberstufe zur Vertiefung und weiteren Quantifizierung der Kraft auf einen stromführenden Leiter im Magnetfeld. Er steht im Zusammenhang mit der Definition der magnetischen Flussdichte als physikalische Größe und kann in der letztgenannten Variation auch direkt dazu verwendet werden. Das Experiment dient vor allem der Behandlung einer wissenschaftlichen, empirischen Arbeitsweise, also dem Erstellen von Messreihen und der darauffolgenden Auswertung, egal ob als Demonstrations- oder Schülerversuch. Zur Auswertung gehört im weiteren Sinne die willkürliche aber sinnvolle Definition einer neuen Größe, der Flussdichte, aus dem Zusammenhang der Messgrößen. Dieses vereinfachte Nachspielen fachwissenschaftlicher Arbeitsweisen kann unter anderem die Funktion haben, die Natur der Naturwissenschaften zu vermitteln.
7.1.3
Konzepte und Strukturen in Schulbüchern
Sehr pauschal lassen sich die Vorgehensweisen der Schulbücher in drei Gruppen von Strukturierungen einteilen. Dabei sind die ersten beiden Gruppen Schulbücher für die Sekundarstufe I, die sich darin unterscheiden, ob explizit die Kraft auf einen stromführenden Leiter erwähnt wird, und zwar kombiniert mit einem Experiment wie der Leiterschaukel. In den Schulbüchern Prisma Physik [3, 4] wird lediglich behandelt, dass um stromführende Leiter ein magnetisches Feld entsteht, es Elektromagnete aus Spulen gibt und diese Elektromagnete Kräfte wie Stabmagnete erfahren. Die magnetische Kraft auf einen stromführenden Leiter wird nicht besprochen. Darauf aufbauend werden Elektromotoren und schließlich die elektromagnetische Induktion beschrieben. Da hier die Induktion nicht aus der Umkehrung der magnetischen Kraft auf einen Leiter erklärt wird, sondern nur über die Änderung des Magnetfeldes durch eine Fläche (einer Spule), erscheint diese didaktische Reduktion, nämlich das Vernachlässigen der Kraft auf einen Leiter, angemessen. In anderen Schulbuchreihen, wie beispielsweise Duden Physik [10], wird dagegen hinführend auf das Thema der Induktion das Thema der Wechselwirkung zwischen elektrischem Strom und Magnetfeld vertieft. Die Kraft auf einen geraden, stromführenden Leiter wird genauer besprochen und aus ihrer Umkehrung später die Induktion eingeführt. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich abhängig von der jeweiligen Vermittlungsabsicht unterschiedliche Elementarisierungen
174
7 Magnetfelder konstanter Ströme
anbieten. Die Art und Weise, wie die magnetische Induktion elementarisiert wird, bestimmt, wie das Thema Magnetfelder konstater Ströme und welche Teile davon besprochen werden. In beiden Gruppen von Strukturierungen werden keine neuen Konzepte/physikalischen Größen eingeführt. Magnetfeld und elektrischer Strom sind bereits bekannt, lediglich ihr Zusammenhang wird beschrieben. Bei der dritten Gruppe handelt es sich um Schulbücher der Sekundarstufe II. Hier ist die Vermittlungsabsicht weniger auf eine phänomenologische Beschreibung der Lebenswelt ausgerichtet, sondern vielmehr propädeutisch. Deshalb finden sich hier nicht nur Experimente mit der Leiterschaukel, um die bloße Existenz einer Kraft auf einen stromführenden Leiter im Magnetfeld (und ihre Richtung) zu zeigen, sondern auch Experimente mit einfachen Stromwaagen, um den Zusammenhang zwischen der magnetischen Flussdichte B und der Stromstärke I genauer zu quantifizieren. Für die Wissenschaft und Metrologie sind diesbezüglich auch die Festlegung der Konstante μ0 und damit verbunden die Definition des Amperes für die elektrische Stromstärke und die daraus abgeleitete Größe Tesla der magnetischen Flussdichte entscheidend. Dies stellt auch einen der letzten Schritte der Elementarisierung des Magnetfeldes dar – die quantitative Beschreibung durch eine Feldgröße, die magnetische Flussdichte, die analog zur Definition der elektrischen Feldstärke über ein Kraftgesetz festgelegt wird. Hierzu dienen Versuche mit Stromwaagen (Abb. 7.4c). Aus solchen Versuchen erhält man die Proportionalitäten F ∝ I und F ∝ l, und falls anstatt eines Dauermagneten ein Elektromagnet verwendet wird auch F ∝ Imagnet . In Analogie zur Definition der elektrischen Feldstärke, F ∝ q → E = F/q, wird die Definition der magnetischen Flussdichte plausibilisiert als B=
F . Il
(7.1)
Auch der vektorielle Zusammenhang wird aus Experimenten mit der Stromwaage bestimmt und in Form des Kraftgesetzes angegeben als F = I l × B
mit dem Betrag
F = I l B sin α.
(7.2)
Die Richtung des Vektors list die Messrichtung der Stromstärke und sein Betrag ist die Länge des Leiterstücks. Im Anschluss daran wird in Experimenten der quantitative Feldverlauf für einen langen Draht und das Innere einer langen Spule bestimmt. Für ein stromführenden Draht ergibt sich I μ0 I B∝ →B= (7.3) l 2π r mit der magnetischen Feldkonstante μ0 = 4π · 10−7 B = μ0 I
n l
Vs Am
und für die Spule ergibt sich (7.4)
7.2
Hochschulübliche Darstellung
175
mit der Windungszahl n und der Spulenlänge l. Im Zuge dessen wird bei einigen Schulbüchern, beispielsweise Metzler ([5], S. 33), der Zusammenhang der magnetischen Feldkonstante μ0 mit der Festlegung des Amperes erwähnt.
7.2
Hochschulübliche Darstellung
In der Fachsystematik der Elektrodynamik werden elektrischer Strom und Magnetfeld gemeinsam zu Beginn der Magnetostatik eingeführt. Gemeint sind in erster Linie die Grö Dagegen ßen elektrische Stromstärke I (und Stromdichte j) und magnetische Flussdichte B. wurden diese beiden Größen hier in vorherigen Kapiteln schon angesprochen. In dem folgenden Abschnitt werden diese beiden Vorgehensweisen einander angeglichen und zusammengeführt.
7.2.1
Elektrischer Strom in Lehrbüchern
In der Elektrostatik wird die elektrische Ladung allein durch ihre Wechselwirkung untereinander mithilfe des elektrischen Feldes eingeführt. Der elektrische Strom wird in den Lehrbüchern in Worten zunächst als bewegte Ladung eingeführt, wie in Kap. 2 beschrieben. Dies geschieht oft als Einleitung zur Magnetostatik [8, 11, 23]. Ladung, genauso wie ihre Bewegung, kann nicht direkt „gesehen“ oder gemessen werden.3 Die meisten sogenannten Wirkungen des elektrischen Stroms geben nur sehr indirekt Auskunft über die elektrische Stromstärke4 und haben auch einen engen Zusammenhang zur vorhandenen Spannung und zur übertragenen Energie, siehe hierzu im Detail Abschn. 2.3.2. Metrologisch wird die Größe Stromstärke I durch ihre magnetische Wechselwirkung festgelegt. 1 Ampere = 1 A ist die Stärke eines zeitlich konstanten elektrischen Stromes, der durch zwei im Vakuum parallel im Abstand von 1 m voneinander angeordnete unendlich lange, dünne Leiter fließt und zwischen diesen Leitern eine Kraft von 2 × 107 N je m Leiterlänge bewirkt. ([6], S. 43)
In diesem Abschnitt soll nicht Kap. 2 wiederholt werden. Vielmehr geht es darum, auf die zentrale Bedeutung der Definition des elektrischen Stroms in der Magnetostatik hinzuweisen. Mit dieser Definition wird nicht nur die elektrische Stromstärke, sondern auch die magnetische Feldkonstante μ0 festgelegt, was damit durch die willkürlich festgelegte Licht√ geschwindigkeit c = 1/ ε0 μ0 auch für die elektrische Feldkonstante ε0 und die Einheit Coulomb gilt. 3 Hier soll nicht weiter diskutiert werden, inwieweit sogenannte single-electron counting statistics
genau das tun. 4 Das Ampere und das Coulomb wurden beispielsweise ursprünglich über die Masse von elektrolytisch
abgeschiedenem Silber definiert.
176
7.2.2
7 Magnetfelder konstanter Ströme
Experimente aus Lehrbüchern
In den Lehrbüchern finden sich die gleichen Experimente wie in den Schulbüchern, wobei es gelegentlich Unterschiede im Aufwand der Durchführung der Versuche und eine andere Gewichtung gibt. Für die Fachsystematik sind Experimente zu Kraftwirkungen auf stromführende Drähte von großer Bedeutung. Ein solches Experiment stellt für gewöhnlich den Kern aller weiteren Konzeptualisierungen dar. Um den magnetischen Ursprung der Wechselwirkung zwischen stromführenden Leitern zu erklären und zu beschreiben, werden Experimente mit Kompassnadeln, wie bei Ørsted, oder mit Eisenfeilspänen erwähnt oder gezeigt. Dabei wird auch die Gestalt des Magnetfeldes verdeutlicht. Bei Bergmann/Schaefer ([23], S. 125) findet sich ein aufwändigerer Versuchsaufbau einer Stromwaage, mit der die oben genannte Definition des Amperes und die Einführung der magnetischen Flussdichte exakter durchgeführt werden können. Bei der vorgestellten Anordnung wird kein Dauermagnet verwendet, sondern alle Magnetfelder werden durch stromführende Leiter erzeugt. Somit kann sehr differenziert die magnetische Kraft zwischen den stromführenden Leiteranordnungen untersucht werden, ohne auf unbekannte und nicht kontrollierbare Magnetfelder von Dauermagneten zurückgreifen zu müssen.
7.2.3
Konzeptualisierung des Magnetfeldes an der Hochschule
In den Lehrbüchern stellt die Konzeptualisierung den weitaus wichtigeren Teil dar. Hier ergeben sich von Anfang an gewisse Unterschiede zur Elektrostatik. In der Elektrostatik war das zentrale Kraftgesetz das Coulombgesetz, Fq Q ∝ q Q/r 2 , das die elektrische Kraft zwischen punktförmig geladenen Körpern beschreibt. Daraus wurde die elektrische Feldstärke definiert: E Q = Fq Q /q. Ein solches einfaches, realistisch prüfbares Kraftgesetz zwischen stromführenden Leitern kommt im Allgemeinen in den Lehrbüchern nicht vor.5 Bei Fließbach ([8], S. 120) gilt als das grundlegende Kraftgesetz der Magnetostatik die Definition der Flussdichte B r ) = I dl × B( r ). d F( (7.5) Die Größe I dl ist dabei ein infinitesimales Stromelement in einem Draht vernachlässigbaren Querschnitts (einem Probekörper), der an der Stelle r in Richtung dl zeigt und eine infinitesimale Kraft d F erfährt. Konzeptuell entspricht diese Definition der elektrischen Feldstärke, jedoch mit differentiellen Größen, die real nicht existieren. Die Flussdichte B ist die Größe des Feldes, die durch die Kraft auf einen stromführenden Probekörper gemessen werden könnte. Dabei gilt Analoges wie für die Messung der elektrischen Feldstärke mit einer 5 Das entsprechende Kraftgesetz zwischen einem unendlich langen stromführenden Draht und einem
stromführenden Draht der Länge l im Abstand d findet sich bei Bergmann/Schaefer: F/l = (μ0 /2π )(I1 I2 /d). Dies ist insofern unrealistisch, als man unendlich lange Drähte benötigt.
7.2
Hochschulübliche Darstellung
177
Probeladung. Das Feld des Probekörpers darf die felderzeugenden Körper nicht beeinflussen.6 Bei diesem Kraftgesetz geht es also nicht um eine Kraft zwischen stromführenden Körpern, sondern um die Kraft auf einen „Probestrom“ I Pr obe dlPr obe in einer beliebigen magnetischen Flussdichte B eines nicht weiter bestimmten „felderzeugenden Stroms“ I Feld . In diesem idealisierten Erkenntnisprozess kann erst im Anschluss an die Definition des Kraftgesetzes mit dem Kreuzprodukt die Gestalt des Magnetfeldes, eigentlich der magnetischen Flussdichte, eines bekannten stromführenden Körpers untersucht werden. Im Falle des elektrischen Feldes konnte dagegen aus der Kraft direkt auf die Gestalt des Feldes geschlossen werden. Die Erkenntnisse aus entsprechenden Messungen sind in der differentiellen Form des Biot-Savart-Gesetzes zusammengefasst r) = d B(
r − r μ0 , I Feld dl × 4π | r − r |3
(7.6)
wobei I Feld dl das infinitesimale Stromelement des felderzeugenden Körpers ist. Bekannter ist dieses Gesetz in der Integralversion und mit der Stromdichte: r ) = μ0 B( 4π
V
j(r ) × r d3r |r |3
(7.7)
Der magnetische Fluss berechnet sich als
B · d a.
=
(7.8)
A
Bei Fließbach und Griffiths wird die Magnetostatik konstanter Ströme ausschließlich mit der magnetischen Flussdichte B dargestellt. Bergmann/Schaefer führen auch die magnetische Feldstärke H ein, und zwar unter der Bezeichnung magnetische Erregung. Dabei wird eine anschauliche Beschreibung gegeben, wann welches Feld zweckmäßig ist. Das Feld H ist die sinnvollere Größe, falls der elektrische Strom bekannt ist und man das dadurch verursachte Magnetfeld erfahren möchte. Ein Feld B beschreibt dagegen die (messbare) Kraft auf einen stromführenden Leiter oder die Kraft auf sich bewegende Ladung innerhalb von Leitern. Nach dieser Einteilung ist es naheliegend, Gl. (7.7) mithilfe der magnetische Feldstärke zu schreiben: r 1 jfrei ( r ) × 3 d3 r (7.9) H ( r) = 4π V | r| Die Stromdichte jfrei bezieht sich dabei auf sogenannte „freie Ströme“. Analog zu den freien Ladungen ρ f r ei sind dies Ströme, die experimentell frei vorgegeben werden können. Die magnetische Feldstärke ist also diejenige Größe, die bei gegebener Leiteranordnung und Stromstärke leichter und konsequenter berechnet werden kann, da ihre Ursache nur die bewusst betriebenen Ströme sind. Die magnetische Flussdichte B wird dagegen zusätzlich 6 Es ist denkbar, dass die entsprechende Gegenkraft die Strompfade des felderzeugenden Körpers
verändert.
178
7 Magnetfelder konstanter Ströme
durch die magnetische Polarisation bestimmt, und die allgemeine Stromdichte j in Gl. (7.7) beinhaltet effektive Polarisationsströme j pol . Im Folgenden werden die freien Ströme nur noch mit j f r ei = j bezeichnet, da Polarisationsströme nicht mehr erwähnt werden, im Physikalltag keine Rolle spielen und es somit nicht zu Missverständnissen kommen kann. Selbst auf mikroskopischer Ebene sind die effektiven Polarisationsströme nur eine unnötige klassische Darstellung von quantenmechanischen Effekten, die selten einen praktischen Nutzen haben. Mit der Definition für die magnetische Flussdichte kann die Kraft auf einen punktförmigen Körper der Ladung q, der sich mit der Geschwindigkeit v bewegt, angegeben werden als F = q v × B. (7.10) Die allgemeine Kraft auf einen solchen Körper FL = q E + v × B
(7.11)
nennt man Lorentzkraft.7 Aus dem Biot-Savart-Gesetz können die Feldgleichungen für die magnetischen Felder abgeleitet werden: · B = 0 ∇
(7.12)
× H = j ∇
(7.13)
Die erste Gleichung gibt an, dass es keine freien, ungebundenen magnetischen Ladungen, sogenannte Monopole, gibt. Diese Gleichung besagt in ihrer Integralform, dass der magnetische Fluss durch eine geschlossene Fläche immer verschwindet, also = B · d a = 0. (7.14) ∂V
Die zweite Feldgleichung ist die differentielle Form des sogenannten ampereschen Gesetzes. Die Integralform erhält man mit dem stokeschen Satz (7.15) H · dl = I A . ∂A
Sie gibt einen Zusammenhang zwischen dem Wegintegral der Feldstärke entlang des geschlossenen Pfades um eine Fläche A und der Stromstärke I A in dieser Fläche an. definiert Eine in der Theoretischen Physik sehr wichtige Größe ist das Vektorpotential A, durch B = ∇ × A. Diese Größe gilt als sehr abstrakt und der Umgang mit ihr erfordert viel Übung. Wie in einigen Lehrbüchern [11, 28] soll diese Größe auch hier nicht weiter 7 Die Bezeichnung der magnetischen Kraft alleine als Lorentzkraft kann als veraltet bezeichnet werden.
7.2
Hochschulübliche Darstellung
179
behandelt werden. Es ist dennoch empfehlenswert, sich anhand eines Buches der Theoretischen Physik mit dieser Größe vertraut zu machen. Sie ist für ein erweitertes Verständnis der Elektrodynamik, insbesondere der Induktion, sehr hilfreich. In den Lehrbüchern bilden die oben genannten Formeln die Grundlage zur Berechnung der Magnetfelder von vorgegebenen stromführenden Anordnungen, beispielsweise von einem langen geraden Leiter, einer Spule oder einem Koaxialkabel.
7.2.4
Fachliche Klärung zum Elektromagneten
Die üblichen Rechenbeispiele aus Lehrbüchern – wie man aus der Maxwellgleichung und dem stokeschem Satz das Magnetfeld von beispielsweise einem langen stromführenden Draht oder einer langen Spule berechnet – sollen hier nicht besprochen werden. Elektromagnete werden dagegen in Lehrbüchern der Theoretischen Physik oft nicht erwähnt [8, 23] und in Experimentalphysikbüchern kommen sie nur für sehr spezielle Geometrien sogenannter magnetischer Kreise vor ([11], S. 164 f). Eine Anordnung, wie man sie im Alltag oder aus der Schule als Elektromagnet kennt, also eine Spule mit Eisenkern, wird dagegen nicht behandelt. Da ein solcher Elektromagnet für sich alleine oder als Bauteil eines Elektromotors in der Schule eine gewisse Wichtigkeit besitzt und beschrieben und erklärt werden muss, wird seine Wirkungsweise hier fachlich näher beleuchtet. Gleichzeitig dient der Elektromagnet als ein Beispiel für den qualitativen Umgang mit dem ampereschen Gesetz und das Einüben der Faustregeln für ferromagnetische Materie (siehe Abschn. 6.2.3). Dieser Abschnitt folgt dabei der Argumentation von Friedrich Herrmann ([13], Nr. 36). Gegeben sei eine gerade Spule der Länge L mit N Windungen, die eine Stromstärke I führt, wie in Abb. 7.5a dargestellt. Man betrachtet einen beliebigen geschlossenen Pfad γ , der durch das Innere der Spule führt und alle Windungen der Spule einmal umschließt. Für das Wegintegral über die magnetische Feldstärke entlang dieses Pfades gilt
a
b
Abb. 7.5 Querschnitt einer stromführenden Spule ohne Eisenkern mit Feldstärkeverlauf H (blau) und möglichem Integrationsweg γ (a). Gleiche stromführende Spule mit Eisenkern und gleichem (grün) und verdrängt die Feldstärke Integrationsweg γ (b). Der Eisenkern zeigt die Magnetisierung M H aus dem Inneren. Die „Menge“ des Feldes entlang des Integrationsweges bleibt gleich.
180
7 Magnetfelder konstanter Ströme
γ
H ( r ) · dl = N I .
(7.16)
Die magnetische Feldstärke ist außerhalb der Spule nahezu null und kann innerhalb als konstant angenommen werden, gemäß der üblichen Formel H = I N /L. Gl. (7.16) ist invariant unter Hinzufügung eines beliebigen magnetischen Materials. Bringt man einen Weicheisenkern in die Spule, so bleibt diese Gleichung gültig. Gleichzeitig gilt die im letzten Kapitel angesprochene Faustregel, dass ein weicher Ferromagnet so magnetisiert, ≈ 0. dass in seinem Inneren die magnetische Feldstärke H verschwindet, H = B − μ0 M Daraus ergibt sich einerseits, dass die integrierte „Menge“ der Feldstärke entlang des Weges γ mit und ohne Eisenkern identisch sein muss, und andererseits die magnetische Feldstärke im Inneren der Spule mit Eisenkern null ist. Zusammen bedeutet das, dass die Feldstärke H aus dem Inneren der Spule verdrängt wird. Aus Symmetriegründen, und da H ( r ) → 0 für | r | → ∞, muss sich nun der größte Betrag der Feldstärke an den Enden der Spule und des Eisenkerns befinden, wie in Abb. 7.5b dargestellt. Als Faustregel kann man sich merken: Der Strom bestimmt die „Menge“ an Magnetfeldstärke (amperesches Gesetz), das Weicheisen verschiebt/verändert die Lage der Magnetfeldstärke. Die Aussage, dass durch den Eisenkern das Magnetfeld verstärkt werde, muss mit Vorsicht betrachtet werden. Für die Feldstärke H gilt dies nicht pauschal. Durch die Polarisation hinzu und die magnetische Flussdichte B des Eisenkerns kommt eine Magnetisierung M nimmt in der Summe, bzw. integriert über einen geschlossenen Weg, zu. Die genaue Magnetisierung ist allerdings nicht leicht zu bestimmen, weshalb nicht sehr leicht geklärt werden kann, wie genau die Flussdichte B zunimmt. Eine einfachere qualitative Aussage lässt sich zur Feldstärke H treffen, siehe obige Faustregel, weswegen es sinnvoller ist, sich in diesem Fall darauf zu konzentrieren. Im Gegensatz zur pauschalen Aussage der Verstärkung des Magnetfeldes erscheint es passender von einer Zunahme der Wirkung des Magnetfeldes zu sprechen. Dies hat zwei Ursachen – sowohl die lokale Feldstärke außerhalb der Spule als auch der Feldstärkegradient in diesem Bereich werden größer. Beides bestimmt die Kraftwirkung auf andere magnetische Körper. Das amperesche Gesetz mit der magnetischen Flussdichte B mit ferromagnetischer Materie (7.17) B · dl = μr μ0 I γ f err o
gilt ausschließlich auf einem Weg γ f err o , der vollständig in ferromagnetischer Materie verläuft.8 Pauschal in verschiedenen Situationen zu sagen, dass das Magnetfeld um μr stärker wird, ist nicht korrekt. Auch da hier die Frage offen bleibt, auf welchen Ort man sich eigentlich bezieht.
8 Genau genommen muss es sich nicht um ferromagnetische Materie handeln, es könnte auch diaoder paramagnetische Materie mit einer bestimmten magnetischen Permeabilität μr sein.
7.2
Hochschulübliche Darstellung
181
Jemand, der mit der Flussdichte argumentieren möchte, könnte folgendermaßen vorgehen: „Die Flussdichte innerhalb einer Spule mit Eisenkern ist aufgrund der Magnetisierung des Eisens größer als ohne Eisenkern, bei gleichem Strom I . Deshalb muss die magnetische Flussdichte auch an den Enden der Spule mit Eisenkern größer sein.“ Dabei handelt es sich jedoch weniger um eine theoriebasierte Erklärung, sondern vielmehr um eine Folgerung aus den empirischen Ergebnissen. Die magnetische Feldstärke eignet sich also besser, um das Phänomen des Elektromagneten zu erklären.
7.2.5
Diskussion der Lehrbücher
Die Lehrbücher von Griffith, Bergmann/Schaefer und Fließbach [8, 11, 23] machen sehr deutlich, dass die magnetische Flussdichte B als die wichtigere Größe des Magnetfeldes empfunden wird. Der Grund für dieses Empfinden ist ihre Festlegung durch eine Kraft auf eine bewegte Ladung, die gemessen werden kann. Das geht so weit, dass die Flussdichte B als Feldstärke des Magnetfeldes bezeichnet [23] oder zumindest behauptet wird, dass es sinnvoll wäre, sie als Feldstärke zu bezeichnen [8], und die Bezeichnung als Flussdichte lediglich historisch bedingt sei. Das Feld H sei nur ein Hilfsfeld, mit dem man in bestimmten Fällen besser rechnen kann. Solche Aussagen müssen sehr kritisch betrachtet werden, wie es beispielsweise bei Herrmann gemacht wird ([13], Nr. 36). Jede physikalische Größe ist nur für einen bestimmten Zweck ausgedacht, um in bestimmten Situationen etwas besser oder überhaupt etwas berechnen zu können. Hier im Speziellen ist es auch nicht die magnetische Flussdichte die gemessen werden kann, sondern eine Kraft. Jedoch gibt es einen einfacheren forB, malen Zusammenhang zwischen der gemessenen Kraft auf einen stromführenden Körper, bzw. einen bewegten geladenen Körper, und der magnetischen Flussdichte B im Gegensatz zur magnetischen Feldstärke H . Hat man dagegen die sogenannten freien elektrischen Ströme vorgegeben, so liefert die magnetische Feldstärke H die einfachere Möglichkeit, das Magnetfeld zu berechnen. Abhängig von Situation und Intention ist mal die eine und mal die andere physikalische Größe sinnvoller und im jeweiligen Problemzusammenhang wichtiger. Des Weiteren ist es von der subjektiv empfundenen Wichtigkeit unabhängig, welche Bezeichnung für eine Größe sinnvoll ist. Die Systematik der zugrundeliegenden Theorie entscheidet darüber. Und in der gängigen, auf Maxwell basierenden Theorie zur Elektrodynamik sind die analogen Größen zwischen Elektrostatik und Magnetostatik nicht E und sondern E und H . Die Felder D und B sind Flussdichten mit den zugehörigen Flüssen B, · d a und = A B · d a . Wenn man B nicht mehr magnetische Flussdichte = AD nennen möchte, dann müsste man auch einen neuen Namen für den magnetischen Fluss finden. Die maxwellsche Theorie der Elektrodynamik gilt als eine der vollständigsten und kohärentesten Theorien in der Physik. Diese innere Kohärenz und Stimmigkeit ginge verloren, würde man die Größen darin umbenennen.
182
7 Magnetfelder konstanter Ströme
Erkenntnistheoretisch müssen die Aussagen zu den magnetischen Vektorfeldern in den physikalischen Lehrbüchern also kritisch gesehen werden. Darin bezieht man sich zu starr und unreflektiert auf eine Empirie – B kann gemessen werden, und zwar mit einer Kraft, also muss es die „reale“ Feldstärke sein – und macht dabei die oben beschriebenen konzeptuellen Fehler.
7.2.6
Grundlegende Konzeptvorstellungen
Das Magnetfeld als Konzept mit den Feldgrößen magnetische Feldstärke H und magnetische Flussdichte B wurde in den vorherigen Kapiteln eingeführt. In diesem Abschnitt erfolgt eine Quantifizierung anhand eines Kraftgesetzes. Gebrauchsdefinition: Quantifizierung des Magnetfeldes
Elektrisch neutrale, stromführende Leiter erfahren Kräfte in ihrer gegenseitigen Anwesenheit. In Abwesenheit anderer (ferromagnetischer) Materialien ist dieser Effekt allein von der Stärke und der Richtung des elektrischen Stroms in den Leitungen abhängig. Diese sogenannte magnetische Wirkung des elektrischen Stroms ist die einzige Wirkung, die allein vom elektrischen Strom und der Geometrie seines Verlaufs abhängt, und sie eignet sich damit für eine Quantifizierung der elektrischen Stromstärke. Erfährt ein gerader, unendlich langer stromführender Leiter vernachlässigbarer Dicke die Kraft F = 2 · 10−7 N in Anwesenheit eines zweiten geraden, unendlich langen stromführenden Leiters vernachlässigbarer Dicke, der parallel zum ersten ist und einen identischen Antrieb der Ladung hat, so herrscht in beiden Drähten die Stromstärke ein Ampere 1 A. Es wurde noch keine Aussage darüber getroffen, wie es zu dieser Kraftwirkung kommt. Stromführende Leiter, und allgemein bewegte Ladung – also elektrischer Strom – verändern den Raum in ihrer Umgebung. Sie erzeugen dort ein magnetisches Feld. Es ist das gleiche Feld, das auch magnetische Materie erzeugt. Befindet sich ein stromführender Leiter A in einem magnetischen Feld, das er nicht selbst erzeugt, so üben Feld und Leiter Kräfte aufeinander aus – Kraft und Gegenkraft. Wird dieses äußere Feld von einem stromführenden Leiter B erzeugt, so übt das Feld im Kräftegleichgewicht die entsprechende umgekehrte Kraft auf B aus. Die umgekehrte Aussage – A erzeugt ein Feld, das eine Kraft auf B ausübt – beschreibt denselben Sachverhalt. Wie im vorherigen Kapitel beschrieben, ist das magnetische Feld ein eigenständiges physikalisches System. In Bezug auf elektrischen Strom ist die konzeptuelle Feldvorstellung identisch mit der des elektrischen Feldes in Bezug auf elektrische (ruhende) Ladungen. Durch die Wechselwirkung zwischen der magnetischen Materie und dem Magnetfeld kann das Feld nicht quantifiziert werden. Es gibt auch keine freien magnetischen Ladungen9 , und es kann nicht analog zur Elektrostatik eine magnetische Feldstärke definiert 9 magnetische Monopole
7.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
183
werden. Mit der Kraft auf eine sogenannte (elektrische) Punktladung q am Ort r, die sich mit der Geschwindigkeit v in einem Magnetfeld bewegt, kann die magnetische Flussdichte des Magnetfeldes definiert werden: r ) = q v × B( r) F( in einem ferromagnetischen Hierzu ist anzumerken, dass auch die Magnetisierung M Material eine Kraft auf Körper ausübt, beispielsweise Elektronen, die darin zu einem elektrischen Strom j beitragen. Das Biot-Savart-Gesetz beschreibt, wie elektrische Ströme die magnetische Feldstärke H vorgeben: r 1 j( H ( r) = r ) × 3 d3 r 4π V | r| Daraus können die Feldgleichungen der Magnetostatik abgeleitet werden: · B = 0; ∇
× H = j ∇
7.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
7.3.1
Vergleich der Sachstruktur
Der Vergleich der Sachstruktur zwischen Schule und Hochschule ist aufgrund der engen Verbindung von Magnetismus und Magnetostatik eine Fortführung aus dem vorherigen Kapitel. In der Schule beginnt man mit einer sehr alltagsnahen phänomenologischen Beschreibung magnetischer Erscheinungen mit Magneten in der Primarstufe und der Sekundarstufe I, wie im vorherigen Kapitel beschrieben. Nur Stück für Stück wird immer detaillierter der Zusammenhang zwischen elektrischem Strom und Magnetfeld behandelt. In der fachlichen Systematik der Hochschule ist dagegen die Kraft auf einen stromführenden Leiter in einem Magnetfeld die initiale Definition des Feldes und speziell der Feldgröße der magnetischen Flussdichte B. Hierbei zeigt sich eindrucksvoll der Unterschied zwischen einer didaktischen Gliederung einer Elementarisierung und der physikalischen Fachsystematik mit ihren jeweiligen Intentionen und Schwerpunkten. Und diese Umstrukturierung der Fachsystematik erscheint auch zweckmäßig, um einen Bezug zu einfachen, interessanten Phänomenen des Alltags aufzubauen. Gleichzeitig gibt es dabei einige kleine Punkte, bei denen man die Fachsystematik nicht außer Acht lassen darf. Wie schon im Abschnitt zu den Schulexperimenten angedeutet, stellt die Behandlung der Kraft auf einen stromführenden Leiter im Magnetfeld einen kleinen Bruch in manchen Schulbüchern dar. Für gewöhnlich beginnt ein neues
184
7 Magnetfelder konstanter Ströme
Thema mit einem neuen, unbekannten Phänomen. Der Rest dieses Themas ist dann eine naheliegende, in sich stimmige Schrittfolge, aufbauend auf diesem neuen Phänomen. In der hochschulischen Fachsystematik von Elektro- und Magnetostatik ist dies jeweils eine Kraft zwischen Körpern, die darauf aufbauend anhand einer bestimmten Feldgröße quantifiziert wird. Analog ist es in der Elektrostatik in der Schule. Im Magnetismus der Schule trifft dies, abhängig von der konkreten Strukturierung, nicht vollständig zu. Es können zwar Kräfte zwischen magnetisierten Körpern – Dauermagneten und weichen Ferromagneten – beobachtet werden und qualitativ durch ein Feld beschrieben werden, sie können aber nicht weiter quantifiziert werden. Zur eigentlichen Quantifizierung des Magnetfeldes, oder falls später die Einführung der Induktion darauf aufbauen soll, muss die Kraft auf einen stromführenden Leiter in einem Magnetfeld während des Magnetismus besprochen werden. In den Schulbüchern, in denen diese Strukturierung gewählt wird, erscheint dies oft genauso unvermittelt, als handelte es sich um den Anfang eines Themengebiets. Es fehlt eine Überleitung von Magnetfeldern durch Ströme hin zu Kräften auf Ströme durch Magnetfelder, die in der hochschulischen Fachsystematik nicht notwendig ist. Für diesen Übergang bieten sich beispielsweise die Analogie zwischen dem Feld einer Spule und dem eines Stabmagneten an und die damit einhergehenden Kräfte in einem äußeren Magnetfeld. Ein reflektiertes Wissen der Fachsystematik kann hier helfen, an die Überleitung zu denken. Bisher wurde in diesem Abschnitt eine sehr ausführliche Darstellung des Magnetismus in der Strukturierung der Schule betrachtet. Es gibt jedoch auch Schulbücher, in denen Magnetfelder von Magneten und stromführenden Leitern lediglich als sehr knappe Einführung der Induktion auftauchen. Es findet sich beispielsweise in Spektrum Physik SI ([1], S. 218 ff) eine Gliederung, in der zunächst nur sehr kurz das Magnetfeld von Magneten und stromführenden Leitern besprochen wird, daran angeknüpft eine ausführliche Einführung der Induktion. Erst nachdem grundlegende Phänomene zur Induktion besprochen sind, wird die magnetische Kraft auf einen stromführenden Leiter angesprochen und als nachträgliche Erklärung für die Induktion verwendet. Der Fokus bei dieser Strukturierung liegt ganz klar auf der Spannung und der Induktion im Zusammenhang mit der Energieübertragung mit Stromkreisen. Hier zeigt sich die Freiheit, die man bei einer didaktischen Strukturierung im Rahmen einer Elementarisierung hat, und wie sehr man die fachsystematische Gliederung verkürzen und verändern kann, bezogen auf eine ganz konkrete Vermittlungsabsicht. Hier sei auf das kommende Kapitel zur elektromagnetischen Induktion verwiesen, in dem das Für und Wider einer engen Verknüpfung zur magnetischen Kraft diskutiert wird. In Abb. 7.6 sind die Fachsystematik und zwei mögliche didaktische Gliederungen, wie man sie in Schulbüchern finden könnte, gegenübergestellt.
7.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
185
Fachsystematik: Elektrostatik Magnetostatik Kraft auf Magnet- FeldStrom und feld von gleichunFelddefinition Strom gen
Elektrodynamik Magnetische Induktion Materie
Didaktische Gliederungen: 7/8 9/10: Induktion Magnetfeld Magnet. Strom- von Magneten Induktion I Kraft auf kreise und Strom Strom Einführung Erklärung 7/8 9/10: Magnetische Felder Feld von Strom- Magnete Strom u. Magnet. Kraft kreise und Feld E-Magnet auf Strom
Induktion II
Induktion
Abb. 7.6 Vergleich der Sachstruktur zwischen Schule und Hochschule für Magnetfelder konstanter Ströme
7.3.2
Feldverständnis
In den Lehrplänen wird oft ein modernes Feldkonzept beim Themengebiet Magnetfeld erwähnt. Dieses ist, analog zum elektrischen Feld im ersten Kapitel, durch die Kraft auf einen Probekörper bestimmt, ohne dass man das Feld des Probekörpers berücksichtigt. In Abschn. 1.3.6 wurde dieses Feldverständnis im Verhältnis zu dem von Faraday diskutiert. Hierbei wird das Feld aller Körper berücksichtigt und die Feldlinien symbolisieren nicht nur den Feldverlauf, sondern auch Druck- und Zugkräfte im Feld. In der Magnetostatik gilt das Gleiche wie in der Elektrostatik – die faradaysche Sichtweise hebt das Feld als eigenständiges physikalisches System hervor und könnte hilfreich sein, das Konzept Feld besser zu verstehen. Diese beiden Sichtweisen schließen sich jedoch nicht gegenseitig aus. Der Karlsruher Physikkurs ([14], Kap. 1) zeigt, dass die faradaysche Sichtweise sehr wohl mit einer modernen Felddefinition verbunden und parallel präsentiert werden kann. Wie in den Abschnitten 1.3.6 und 1.3.5 beschrieben, könnte die ausschließliche Darstellung des modernen Feldkonzepts zur Schülervorstellung beitragen, dass ein Feld etwas sehr Abstraktes ist, das man nicht berücksichtigen muss, und Schüler könnten in eine Vorstellung der Fernwirkung verfallen. Es scheint vor allem das moderne Feldkonzept sehr abstrakt und komplex zu sein – nicht nur für Schüler. So findet man beispielsweise sogar im bayerischen Lehrplan [16] die Aussage zum Probekörper „[...] dessen felderzeugende Wirkung das bereits vorhandene Feld nicht spürbar verändert, also Feldlinien keineswegs verbiegt.“ Wie schon in Kap. 1 erwähnt, kann ein Probekörper die Feldlinien des bestehenden Feldes beliebig verbiegen. Nur die felderzeugenden Quellen dürfen dabei nicht verändert werden. In der
186
7 Magnetfelder konstanter Ströme
Elektrostatik ist damit die felderzeugende Ladungsverteilung gemeint, in der Magnetostatik ist es die felderzeugende Stromdichte j.
7.3.3
Feldgrößen in der Schule
In einigen Lehrbüchern wird nahezu ausschließlich mit der magnetischen Flussdichte B gearbeitet, ohne die Feldstärke H zu erwähnen. Über die Nachteile und theoretischen Inkonsistenzen wurde oben schon geschrieben. In der Schule wird in der Sekundarstufe I nur vom Magnetfeld ohne konkrete Feldgröße gesprochen, oder es wird die Flussdichte B in Duden Physik ([10], S. 17) „Stärke des Magnetfeldes“ genannt. Nur im Karlsruher Physikkurs wird mit mehreren Feldgrößen gearbeitet. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Reduktion auf nur eine Feldgröße oder nur auf das System Feld eine fachgerechte anschlussfähige Elementarisierung darstellt. Ohne quantitative Betrachtungen und Formeln erscheint es sinnvoll, detaillierte Feldgrößen wegzulassen und stattdessen nur von „dem Feld“ zu sprechen. Für die Lehrkraft muss dann allerdings aus dem Schulbuch hervorgehen, welche Feldgröße sie indirekt vermitteln soll. In den meisten Schulbüchern scheint mit dem Magnetfeld und den dazugehörigen Feldlinienbildern das B-Feld gemeint zu sein. Im Karlsruher Physikkurs [14] ist mit dem Magnetfeld das Vektorfeld H gemeint und es wird das Magnetfeld von der „Magnetisierung“ als Materialeigenschaft unterschieden. Diese Elementarisierung und Strukturierung ermöglicht eine einfache Behandlung von Ferromagneten, wie Kap. 6 zeigt. Die Kraftwirkung auf stromführende Leiter, die eigentlich über die magnetische Flussdichte definiert ist, wird nur am Rande genannt. In den meisten Fällen, beispielsweise beim Elektromotor, wird mit den magnetischen Polen der Eisenkerne der Spulen argumentiert. Durch die Beschränkung auf die Feldstärke H wird letztlich nur der seltene Fall vernachlässigt, dass eine Kraft auf sich bewegende Ladungsträger innerhalb eines magnetisierten Körpers wirkt. Ohne die magnetische Flussdichte gestaltet sich lediglich die Beschreibung der später ausgeführten Induktion anders.10 In den anderen Schulbüchern der Sekundarstufe I sind die Felder und Eigenschaften von Ferromagneten nicht ganz so leicht und konsistent zu beschreiben, mit dem kleinen Vorteil, dass bei der Induktion nur von der Änderung des Feldes gesprochen werden kann. Die Frage, welche Feldgröße besser in der Schule besprochen werden sollte und als Elementarisierung mit „dem Feld“ gleichgesetzt werden kann, ist nicht per se zu beantworten. Die Darstellung der Magnetostatik in Analogie zur Elektrostatik erscheint sehr viel konsistenter, wenn man die magnetische Feldstärke und die Magnetisierung verwendet, anstatt 10 Die Tatsache, dass bei der Induktion eigentlich die Flussdichte B die entscheidende Größe ist, die
im Karlsruher Physikkurs fehlt, wird dort in der Sekundarstufe I dadurch berücksichtigt, dass für die Spannungsinduktion nicht nur eine Änderung des Magnetfeldes H˙ , sondern auch der Magnetisierung ˙ als Ursache genannt wird. In der Sekundarstufe II werden dagegen zusätzlich die magnetische M Flussdichte B und der magnetische Fluss eingeführt.
7.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
187
alleine die Flussdichte. Die Nachteile im Themenbereich Induktion sind dagegen nicht sehr groß. Andererseits ist es Teil einer Elementarisierung (didaktisch) zu reduzieren. Erachtet man eine Beschreibung der Induktion mit nur einem Feld als wesentlich und möchte man keine anderen Feldgrößen einführen, so erscheint die gedankliche Verwendung der magnetischen Flussdichte als Feld naheliegend. Beide Vorgehensweisen wirken anschlussfähig und können im weiteren Unterricht ausdifferenziert werden. Es stellt sich weiterhin die Frage, ob für viele Lehrkräfte eine Wahl zwischen diesen Vorgehensweisen existiert. In den Lehrbüchern, und damit auch in den Veranstaltungen an den Hochschulen, wird die magnetische Feldstärke nahezu außen vor gelassen, wie oben erwähnt. Somit gibt es vermutlich viele Lehrkräfte und Personen in der Physikdidaktik und der Physik allgemein, denen die magnetische Feldstärke H fremd ist. In diesen Fällen besteht gar keine Möglichkeit, eine Elementarisierung auszuwählen oder seine eigene anzupassen. Das kann tatsächlich als Mangel des fachwissenschaftlichen Studiums von Physiklehrkräften gesehen werden. Es sollten Hochschulkurse und Lehrbücher im Studium angeboten werden, um einen sinnvollen Umgang mit allen magnetischen Feldgrößen einzuüben. Erst dann kann sich die Lehrkraft überhaupt die Frage stellen, welche Elementarisierung im Augenblick sinnvoller ist.
7.3.4
Die Linke-Hand-Regel
In gut der Hälfte der hier betrachteten Schulbücher (beispielsweise [2, 7, 9]) wird die Kraft auf einen stromführenden Leiter im Magnetfeld mit einer Linke-Hand-Regel und die Magnetfeldrichtung um einen geraden Leiter mit einer Linke-Faust-Regel angegeben. Dabei ist jeweils der Daumen nicht die Richtung des elektrischen Stroms, sondern die einer angenommenen Elektronenbewegung. Wie schon im Kap. 2 besprochen, sind Teilchenströme etwas anderes als Ladungsströme. Es handelt sich bei den genannten Merkregeln nicht um fachgerechte Elementarisierungen. Eine Einschränkung der Fachgerechtheit ist nur sinnvoll, wenn sie große Vorteile für die Schülervorstellungen mit sich bringen. Ein solcher Vorteil ist jedoch nicht aus der Sache an sich zu erschließen und nach Wissen des Autors nicht dokumentiert. Genauso ist die Verwendung der Elektronenbewegungsrichtung nicht anschlussfähig zur Hochschulphysik oder Elektrotechnik. Regeln mit der linken Hand/Faust sind somit weder fachgerecht, noch schülergerecht oder anschlussfähig. Weiterhin implizieren solche Linke-Hand-Regeln, die als alleinige Ursache die Elektronenbewegung nennen, dass elektrische Ströme, die durch andere Teilchenbewegungen als Elektronen entstehen, kein Magnetfeld erzeugen und keine Kraft in einem Magnetfeld erfahren. Es können somit sogar Fehlvorstellungen erzeugt werden. Ausschließlich wenn die allgemeingültige Rechte-Hand-Regel mit der elektrischen Stromrichtung schon bekannt ist, ergibt eine zusätzliche Regel mit der linken Hand für den Spezialfall eines Elektronenstrahls in Elektronenstrahlröhren Sinn.
188
7.3.5
7 Magnetfelder konstanter Ströme
Das Elektromotorische Prinzip
Für die Kraft auf einen stromführenden Leiter in einem Magnetfeld wird im Lehrplan von Mecklenburg-Vorpommern die Bezeichnung elektromotorisches Prinzip gefordert, und sie findet sich auch nur in dem dazugehörigen Schulbuch Duden Physik 2 [10].11 Diese Bezeichnung wirkt sehr veraltet und ist nicht mehr gebräuchlich. Der Ausdruck existiert auch in der Regel nicht in Lehrbüchern. Selbst in englischsprachigen Lehrbüchern wird er nicht verwendet, obwohl dort die Bezeichnung elektromotorische Kraft („electromotive force“) für die Induktionspannung üblich ist. Die Bezeichnung „elektromotorisches Prinzip“ ist ein Fachwort, das nicht mehr verwendet wird, es gibt also auch keinen Grund für Schüler, dieses Fremdwort zu lernen.
7.4
Zusammenfassung
Schule: • In der Schule wird das Magnetfeld nur qualitativ mit Feldlinien beschrieben, eine quantitative Beschreibung mit der magnetischen Flussdichte B findet sich in der Sek. II. • Die Versuche konzentrieren sich auf Feld und Kraft von geraden stromführenden Leitern und Spulen. • Die Konzeptualisierung des Magnetfeldes erfolgt qualitativ mit Faustregeln für die Richtung der Kraft für einen stromführenden Leiter im Magnetfeld beziehungsweise die Gestalt des Feldes bei gegebener stromführender Leitergeometrie. Hochschule: • Mit der Definition der elektrischen Stromstärke werden auch magnetische und elektrische Feldkonstanten festgelegt. • Das einzig entscheidende Experiment ist das zum Kraftgesetz für einen stromführenden Probekörper in einem äußeren Magnetfeld. Anhand dessen wird die magnetische Flussdichte definiert. • Für das Kraftgesetz zwischen dem magnetischen Feld und dem elektrischen Strom ist die magnetische Flussdichte B entscheidend, für die Bestimmung des Feldes aus dem vorhandenen elektrischen Strom ist es die Feldstärke H .
11 Der Ausdruck „elektromotorisches Prinzip“ wird auch im Lehrplan für Rheinland-Pfalz im Zusammenhang mit der Induktion verwendet, jedoch nicht im zugehörigen Schulbuch Spektrum Physik [1].
Literatur
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• In Anwesenheit eines (weichen) Ferromagneten wird die magnetische Feldstärke verschoben und kann lokal zunehmen, global bleibt sie gleich. Auf diese Weise kann fachlich die Wirkungsweise des Elektromagneten beschrieben werden. • Die Exklusivität der Flussdichte B und die Bezeichnung der Flussdichte als Feldstärke passen nicht in die theoretische Konzeptualisierung der Elektrodynamik. Vergleich: • Wie für das elektrische Feld ist auch für das magnetische Feld die faradaysche Sichtweise eine geeignete Elementarisierung. • Ist in der Schule von „dem Magnetfeld“ die Rede, muss zumindest dem Unterrichtenden bewusst sein, ob sich dabei auf das System „Feld“, die magnetische Flussdichte B oder die magnetische Feldstärke H bezogen wird. • Vorteile der ausschließlichen Verwendung der Flussdichte B für das Magnetfeld ergeben sich teilweise beim Kraftgesetz und vor allem bei der Induktion. Nachteile finden sich bei der Bestimmung des Feldes aus vorgegebenen Strömen und Magnetisierungen. • Der Vorteil der ausschließlichen Verwendung der Feldstärke ist die bessere Verbindung zwischen Strom und Feld und die bessere Bestimmung des Feldes von Dauermagneten. Nachteile zeigen sich zum Teil beim Kraftgesetz und vor allem bei der Induktion. • Auch in der Schule muss man sich nicht auf eine einzige Feldgröße beschränken. Es gibt Unterrichtskonzepte, bei denen die Feldstärke H und die Flussdichte B angesprochen werden. • Faustregeln für das Magnetfeld mit der linken Hand oder Faust unter Verwendung der vermeintlichen Bewegungsrichtung der Elektronen erscheinen nicht fachgerecht oder anschlussfähig.
Literatur 1. Appel, Thomas, et al. 2016. Spektrum Physik S1 Rheinland-Pfalz. Braunschweig: Schroedel. 2. Bang, Gunter et al. 2012. Kuhn Physik SI Niedersachsen. Hrsg. Wilfried Kuhn und Rainer Müller. Braunschweig: Westermann. 3. Barmeier, Marion, und Hell, Klaus. 2013. Prisma Physik 9/10 Thüringen. Stuttgart: Klett. 4. Barmeier, Marion, und Hell, Klaus. 2011. Prisma Physik 7/8 Thüringen. Stuttgart: Klett. 5. Becker, Sylvia et al. 2009. Metzler Physik (Bayern). Hrsg. Joachim Grehn und Joachim Krause. Braunschweig: Westermann Schroedel. 6. Demtröder, Wolfgang. 2006. Experimentalphysik 2 – Elektrizität und Optik. Springer. 7. Feldmann, Christian et al. 2014. Impulse Physik 2 – Nordrhein-Westfalen. Stuttgart: Klett. 8. Fließbach, Torsten. 2012. Elektrodynamik – Lehrbuch zur Theoretischen Physik II. Springer Spektrum.
190
7 Magnetfelder konstanter Ströme
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191
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8
Elektromagnetische Induktion
Inhaltsverzeichnis 8.1
Schulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Experimente aus Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3 Konzepte und Strukturen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Hochschulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Fließbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Bergmann/Schaefer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Griffiths . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Vergleich der Lehrbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.5 Grundlegende Konzeptvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.6 Potential und Spannung an einem Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Vergleich der Sachstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Spannung und Spannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Induktion, Spannung und Didaktik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Lenzsche Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.5 Rehabilitation der magnetischen Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
194 194 195 198 200 200 201 203 205 206 210 213 213 215 216 218 220 222 223
Die Elektromagnetische Induktion stellt sowohl in der Schule als auch in der Hochschule den Wechsel von zeitunabhängigen Phänomenen zu dynamischen dar. Es handelt sich dabei geradezu um den Anfang und den Kern der eigentlichen Elektrodynamik. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den Grundlagen und dem Konzept der elektromagnetischen Induktion. Folgende Kapitel erweitern das Thema um konkrete Anwendungen und um den Energietransports in elektromagnetischen Systemen. Die elektromagnetische Induktion ist einer der komplexesten Themenbereiche in diesem Buch. Obgleich die Vorgaben der Lehrpläne und die Darstellung in den Schulbüchern sehr stringent und vergleichbar wirken, unterscheiden sich die Darstellungen in den Lehrbüchern © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4_8
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8 Elektromagnetische Induktion
grundlegend. Diese Unterschiede müssen nachvollzogen werden, um eine fachgerechte Elementarisierung begründet entwickeln zu können. Notwendig wird dabei ein Überdenken des Verständnisses der elektrischen Spannung.
8.1
Schulübliche Darstellung
8.1.1
Themenüberblick anhand von Lehrplänen
Die Vorgaben zur elektromagnetischen Induktion in den Lehrplänen der Sekundarstufe I unterscheiden sich in ihrer Ausführlichkeit zwischen den Bundesländern sehr stark. In Baden-Württemberg wird beispielsweise die Induktion für die Sekundarstufe I nicht explizit erwähnt. Es kann vermutet werden, dass sie Teil des übergeordneten Inhalts zu elektrischen und magnetischen Feldern sein soll. In anderen Bundesländern [19, 23, 25] soll sie ein Erklärschritt im Themenbereich Energieversorgung im Zusammenhang mit Generatoren und Transformatoren sein. In den meisten Bundesländern stellt Induktion ein eigenes Thema dar, jedoch mit einem starken Bezug zu technischen Anwendungen in der Energieversorgung. Das Induktionsgesetz soll sprachlich-qualitativ formuliert werden, beispielsweise in einer Je-Desto-Aussage. Dabei wird in der Sekundarstufe I nicht vom magnetischen Fluss , sondern nur sehr allgemein vom Magnetfeld in einer Leiterschleife gesprochen. In manchen Lehrplänen [19, 22, 26] wird eine halbquantitative Darstellung verlangt. So sollen zumindest sprachlich die entscheidenden Parameter sehr spezifisch angegeben werden können – ändert sich das Magnetfeld doppelt so schnell, so ist die Induktionsspannung doppelt so groß. Dazu werden zum Teil sehr detaillierte fachliche und didaktische Vorgaben gemacht [26]. So solle das Induktionsgesetz nach einführenden Versuchen als Axiom vorgegeben werden, um die Experimente zu erklären und zu beschreiben. Von einer Deduktion aus der Lorentzkraft wird abgeraten.1 Ohne die Einführung des magnetischen Flusses solle die Änderung der magnetischen Feldlinien durch eine entsprechende Fläche betrachtet werden. Die lenzsche Regel solle in erster Linie anhand der Experimente besprochen werden, bei denen entweder eine Metallplatte in einem Magnetfeld oder ein kleiner Magnet in einer Metallröhre beim Fallen abgebremst werden. Der Transformator solle nur im unbelasteten Fall besprochen und die Idealisierung dabei deutlich gemacht werden. Formeln seien nicht so wichtig.2 In allen betrachteten Lehrplänen soll in der Oberstufe das Induktionsgesetz quantitativ durch die Änderungen der Größen Querschnittfläche A und Flussdichte B beschrieben werden, in differentieller Form auch mit dem Magnetischen Fluss . Zusätzlich kommt die Induktivität von Spulen und die Wechselspannung hinzu. Ein weiteres neues Thema in der Sekundarstufe II ist die Behandlung der Bewegung von Ladungsträgern in statischen 1 Solche Vorschläge finden sich auch in der Didaktik [9]. 2 Andererseits verlangen die in [22] vorgeschlagenen Arbeits- und Aufgabenblätter auch die Anwendung von Formeln für den belasteten Fall.
8.1
Schulübliche Darstellung
195
elektrischen und magnetischen Feldern. In diesem Zusammenhang sollen der Halleffekt und Teilchenbeschleuniger besprochen werden. Auf dieses Themengebiet wird in diesem Buch nicht eingegangen, da es wenig mit Elektrodynamik zu tun hat und sich damit keine Entsprechung in den Lehrbüchern findet. Das Themengebiet lässt sich auf eine Dynamik von Körpern reduzieren, auf die elektromagnetische Kräfte einwirken, sodass es nichts konzeptuell Neues beinhaltet. Im bayerischen Lehrplan ist dieses Themengebiet verbunden mit der speziellen Relativitätstheorie. Diesem Teilgebiet widmet sich dieses Buch im Anschluss an das Kapitel zu elektromagnetischen Wellen. In vielen verschiedenen Lehrplänen finden sich Stichwörter wie Generatorprinzip, Transformatorprinzip oder selten elektromotorisches Prinzip.
8.1.2
Experimente aus Schulbüchern
In allen betrachteten Schulbüchern finden sich gleichartige Experimente, die jeweils dieselben Phänomene veranschaulichen sollen und sich lediglich in Details der Ausführung unterscheiden. Im Folgenden werden mögliche Veranschaulichungen dieser Phänomene dargestellt. Die dabei gewählte Reihenfolge der Experimente stellt eine übliche Schrittfolge der Schulbücher dar. • Leiterschaukel: Die Leiterschaukel wird hier ähnlich verwendet wie im Bereich der Magnetostatik konstanter Ströme. Man lässt keine Ladung durch die Leiterschaukel fließen, sondern misst Spannung, wenn die Leiterschaukel im Magnetfeld bewegt wird (Abb. 8.1a). Dieses Experiment wird einführend und Hypothesen generierend verwendet, um aus der Lorentzkraft im bewegten Leiter das Induktionsgesetz qualitativ abzuleiten. Theoriegeleitet ist das Experiment in soweit, dass es mit der offenen Fragestellung motiviert wird: „Ein Leiter bewegt sich in einem Magnetfeld, wenn Strom darin angeworfen wird. Was geschieht, wenn man einen Leiter in einem Magnetfeld bewegt?“ • Leiterschleife und Dauermagnete: Eine ähnliche Funktion wie die Leiterschaukel besitzen einführende Experimente, in denen Leiterschleifen3 relativ zu Permanentmagneten bewegt werden und die Spannung gemessen wird (Abb. 8.1b). Die Leiterschleifen/Magnete werden dabei auf verschiedene Weisen bewegt (Translation und Rotation) und gehalten. Solche Experimente beginnen oft recht anwendungsbezogen. Der Elektromotor ist schon bekannt – elektrischer Strom durch eine Leiterschleife führt zu einer relativen Bewegung in Bezug auf einen Magneten. Erneut kann die Umkehrung dieser Experimente – die Bewegung einer Leiterschleife relativ zu einem Magneten hat einen Effekt auf die Ladung im Leiter – zur Generierung konkreter Hypothesen verwendet werden. Solche Experimente fokussieren nicht auf eine Erklärung mit der lokalen Lorentzkraft wie die Leiterschaukel, sondern auf die Änderung des magnetischen Flusses bzw. der 3 Damit sind auch Leiterschleifen mit mehreren Windungen gemeint, also Spulen.
196
8 Elektromagnetische Induktion
b
a
V
V
Abb.8.1 Eine Leiterschaukel wird im Magnetfeld bewegt und Spannung an den Kontakten gemessen (a). Leiterschleife und Dauermagnet werden relativ zueinander bewegt und die Spannung wird an der Leiterschleife gemessen (b)
Änderung der Stärke des Magnetfeldes oder der Anzahl der Feldlinien durch die Bewegung zur Erzeugung einer Spannung. Die Experimente werden häufig unter dem Stichwort Generatorprinzip genannt. • Leiterschleife und Elektromagnete: Die Hypothese – die induzierte Spannung hängt von der Änderung des Magnetfeldes in der Leiterschleife ab – kann mit einem Experiment getestet werden, bei dem die Dauermagnete des vorherigen Experiments durch Elektromagnete ersetzt werden (Abb. 8.2a). Die Änderung des Magnetfeldes in der Leiterschleife kann sowohl durch eine relative Bewegung bei konstantem Strom im Elektromagneten als auch ohne Bewegung durch die Variation der elektrischen Stromstärke herbeigeführt werden. In beiden Fällen tritt eine Spannung an der Leiterschleife auf, und die getestete Hypothese wurde nicht widerlegt. Dieses Experiment wird häufig in Bezug zu den historischen Experimenten von Faraday dargestellt, und ähnliche Versuche werden unter dem Schlagwort Transformatorprinzip zusammengefasst. Die Experimente wurden hier als ein gespielter Erkenntnisprozess dargestellt – man geht von etwas Bekanntem aus, generiert daran neue Hypothesen, variiert das Experiment, um schließlich den endgültigen Erkenntnisgewinn zu erhalten, das Induktionsgesetz. Diese innere Logik findet sich in einigen Schulbüchern. Auch ohne diese Erklärstruktur finden sich die gleichen Versuche in den Schulbüchern. In den oben genannten Experimenten wird die Spannung in Abhängigkeit von anderen Größen beobachtet und gemessen. Ein elektrischer Strom, der aus dieser Spannung resultiert, wird getrennt davon im Zusammenhang mit der lenzschen Regel besprochen. Dies geschieht in qualitativen Experimenten:
8.1
Schulübliche Darstellung
197
b
a
I
V
Abb. 8.2 Eine Leiterschleife und ein Elektromagnet werden bei konstanter Stromstärke I relativ zueinander bewegt, und die Spannung an der Leiterschleife wird gemessen. In Ruhe wird die Stromstärke durch den Elektromagneten variiert und die Spannung an der Leiterschleife gemessen (a). Ein starker Dauermagnet wird bewegt, sodass sich der magnetische Fluss in einem Aluminiumring ändert, der sich daraufhin bewegt (b)
• Bewegter Ring: Ein nicht ferromagnetischer Metallring, beispielsweise aus Aluminium oder Kupfer, wird leicht beweglich aufgehängt. Bewegt man einen Magneten zum Ring und in ihn hinein, so bewegt sich der Ring vom Magneten weg. Befindet sich der Magnet schon in der Nähe oder im Ring und zieht man ihn weg, so folgt der Ring dem Magneten (Abb. 8.2b). Anhand dessen wird die Richtung des induzierten elektrischen Stroms im Metallring diskutiert. Man kann diesen Versuch durch eine identische Versuchsanordnung mit einem nicht geschlossenen Metallring kontrastieren, um zu verdeutlichen, dass der Effekt durch den induzierten Strom hervorgerufen wird, der nur in einem geschlossenen Kreis vorhanden sein kann.4 • Wirbelstrombremse: Durch den Spalt eines magnetischen Kreises (ringförmiger Eisenkern mit Spulen) lässt man ein nicht ferromagnetisches Metallblech (Kupfer, Aluminium oder Stahl) fallen. Man sieht deutlich, wie der Fall des Materials gebremst wird. Analog dazu kann man einen kleinen Magneten durch eine Kupferröhre fallen lassen, was nur sehr langsam geschieht. In diesen Experimenten lässt sich schlecht die konkrete Stromrichtung besprechen. Das Verhalten solcher Objekte, in denen elektrische Ströme induziert werden, wird phänomenologisch mit der lenzschen Regel beschrieben.
4 Auch in einem nicht geschlossenen Metallring können durch Induktion Wirbelströme entstehen, die trotzdem zu einer kleinen Bewegung des Rings führen können. Dieser Effekt ist jedoch sehr gering und umso geringer, je dünner der Ring ist. Möchte man den Effekt der Wirbelströme nicht ansprechen, kann also ein Magnet gewählt werden, der gerade stark genug ist, um den geschlossenen Ring in Bewegung zu versetzen, den offenen jedoch gerade nicht.
198
8 Elektromagnetische Induktion
Diese Experimente aus der Sekundarstufe I werden in der Oberstufe im Wesentlichen nur insoweit verändert, dass sie quantitativ durchgeführt werden können. Dies gilt speziell für zwei Versuche. Bei Leiterschleife und Elektromagnet wird der zeitliche Verlauf der Stromstärke des Elektromagneten mit dem der induzierten Spannung verglichen. Auf der Basis der Leiterschaukel und der Umkehrung der Magnetwaage (Abb. 7.4c) wird ein Experiment entworfen, bei dem ein Leiterstück einer Leiterschleife mit definierter Geschwindigkeit in einem Magnetfeld bewegt wird und der zeitliche Verlauf der induzierten Spannung untersucht.
8.1.3
Konzepte und Strukturen in Schulbüchern
Die generelle Struktur im Bereich der elektromagnetischen Induktion unterscheidet sich zwischen den Schulbüchern nicht grundlegend. Wie im vorherigen Kapitel angesprochen, unterscheiden sich die Schulbücher darin, ob die Kraft auf einen stromführenden Leiter im Magnetfeld vor dem Themengebiet der Induktion behandelt wird oder Teil dieses Gebietes ist. Dies erfolgt sehr modular und hat nur geringen Einfluss auf die Strukturierung innerhalb der Teile zur Induktion. Dies ist auch unabhängig davon, ob die Induktion Teil eines Themengebietes zur Energieversorgung ist. Es findet sich immer eine allgemeine Einführung der elektromagnetischen Induktion mit einem anschließenden Bezug zu den technischen Anwendungen in der elektrischen Energieversorgung. Manchmal findet sich ein erstes Resümee und eine Benennung des Phänomens nach einführenden Versuchen, wie in Physik Plus 9/10: Bewegt man einen Magneten in eine Spule hinein oder aus ihr heraus, so tritt an ihren Enden eine Spannung auf. Diesen Vorgang nennt man elektromagnetische Induktion. ([7], S. 43)
Für das allgemeine Induktionsgesetz finden sich unterschiedliche Versionen. In Physik Plus 9/10 [7] wird beispielsweise davon gesprochen, dass die Änderung des von einer Spule umfassten Magnetfeldes eine Spannung induziert. Andere Schulbücher, wie Impulse Physik 2 ([10], S. 229), zählen eine Reihe von Größen auf, bei deren Änderung eine Spannung an den Enden einer Spule induziert wird – Stärke des Magnetfeldes, durchsetzte Querschnittsfläche, Winkel zwischen Spulenachse und Feldrichtung. In Spektrum Physik findet sich das Induktionsgesetz in folgender Ausführung: Induktion tritt auf, wenn sich die Anzahl der magnetischen Feldlinien ändert, die von der Querschnittsfläche der Spule umfasst werden. ([2], S. 221)
Hierbei geht es um die sogenannte Induktionsspannung, die auch als neues Wort eingeführt wird. Eine tiefer gehende Diskussion zu einer erweiterten Bedeutung des Konzepts Spannung wird auch in Schulbüchern wie Spektrum Physik [2], in denen die Spannung zuvor als Potentialdifferenz eingeführt wurde, nicht geführt.
8.1
Schulübliche Darstellung
199
Ein weiterer neuer Begriff ist der Induktionsstrom, der sich einstellt, wenn der Stromkreis, in dem Induktion stattfindet, geschlossen ist. Er wird häufig anhand von Experimenten wie in Abb. 8.2b besprochen. Dieser Ausdruck hat Bedeutung für die lenzsche Regel, auch lenzsches Gesetz genannt. Diese Regel lautet beispielsweise in Duden Physik 9/10: Ein Induktionsstrom ist stets so gerichtet, dass er der Ursache seiner Entstehung entgegenwirkt. ([12], S. 31)
Selten findet sich eine explizite Erklärung der lenzschen Regel durch die Energieerhaltung [4, 10]. In sehr wenigen Schulbüchern wird die lenzsche Regel nicht explizit angesprochen. Dafür findet sich stattdessen in Universum Physik 2 [6] eine Aussage zum Vorzeichen der induzierten Spannung, ohne dass der Induktionsstrom als solcher thematisiert wird. Im bayerischen Lehrplan wird empfohlen, das Induktionsgesetz nicht deduktiv aus der magnetischen Kraft bewegter Ladungsträger im Magnetfeld abzuleiten und zu erklären. In vielen Schulbüchern wird zwar einleitend die Leiterschaukel besprochen, es wird allerdings im Allgemeinen auf eine spezifische Erklärung über die magnetische Kraft verzichtet und schnell durch das Induktionsgesetz verallgemeinert. In manchen Schulbüchern [2, 7, 10] wird die magnetische Kraft zwar nicht zur Deduktion der Induktion verwendet, aber als allgemeine Ursache und Erklärung der Induktion angegeben. In der Oberstufe werden aus den oben angesprochenen Versuchen quantitative Abhängigkeiten der induzierten Spannung Ui zu anderen Größen plausibel gemacht. Dies sind B Ui = −N B A t und Ui = −N A t . Sie dienen als Grundlage, um die neue Größe magnetischer Fluss = B A cos α einer Leiteranordnung als entscheidenden Parameter der Induktion einzuführen. Mit den aus der Mathematik bekannten Grundlagen der Differentialrechnung kann das sogenannte Induktionsgesetz formal angegeben werden: Ui = −N
˙ → −N t
(8.1)
Als Ursachen für die Induktionsspannung werden beispielsweise in Metzler Physik [5] situationsbedingt die magnetische Kraft bei bewegten Leitern in inhomogenen Magnetfeldern und die induzierte elektrische Feldstärke eines sich zeitlich ändernden Magnetfeldes diskutiert. Die Tatsache, dass die elektromagnetische Induktion zwei scheinbar vollkommen voneinander unabhängige Ursachen hat, wird durch den Ausblick aufgelöst, dass die spezielle Relativitätstheorie diese beiden Ursachen später zusammen mit dem elektrischen und dem magnetischen Feld vereint. Im Weiteren werden die Selbstinduktion von Spulen quantitativ betrachtet, Ein- und Ausschaltvorgänge bei Spulen und die Energie, die im Magnetfeld einer Spule gespeichert ist.
200
8 Elektromagnetische Induktion
In Schulbüchern der Oberstufe wird die Spannung U zuvor als eine wegunabhängige Größe zwischen zwei Punkten eingeführt, die gleichgesetzt ist mit einer Potentialdifferenz und einen engen Zusammenhang zu potentieller Energie und Arbeit besitzt. Der Bruch dieser Vorstellung – Spannung als Potentialdifferenz in Verbindung mit einem konservativen Feld – bei der Induktion und eine mögliche erweiterte differenzierte Vorstellung von Spannung werden nicht diskutiert. Begriffe wie Generatorprinzip, Transformatorprinzip und Elektromotorprinzip werden in manchen Schulbüchern sowohl der Oberstufe als auch der Sekundarstufe I erwähnt. Dabei meint das Generatorprinzip den Teil der Induktion, bei dem die Bewegung einer Spule oder eines Magneten zu Spannung führt. Das Transformatorprinzip steht für eine induzierte Spannung aufgrund eines sich ändernden Magnetfeldes. Und das Elektromotorprinzip ist die Umkehrung des Generatorprinzips, dass mit einem elektrischen Strom im Magnetfeld eine Bewegung bzw. eine mechanische Kraft erzeugt wird.
8.2
Hochschulübliche Darstellung
Für diesen Abschnitt werden lediglich die Lehrbücher von Fließbach [11], Griffiths [15] und Bergmann/Schaefer [24] betrachtet. Diese unterscheiden sich so sehr, dass eine Gliederung dieses Abschnitts in bestimmte Themen wenig sinnvoll erscheint. Es werden nun die drei Vorgehensweisen der Lehrbücher wiedergegeben und abschließend verglichen und diskutiert.
8.2.1
Fließbach
In Fließbachs „Elektrodynamik“ wird zur Induktion nur ein einführendes Experiment angedeutet. Dabei wird ein (Dauer-)Magnet bei einer Leiterschleife bewegt und erwähnt, dass an den Kontakten der Leiterschleife eine Spannung messbar ist (wie Abb. 8.1b). Die Maxwellgleichung × E = − ∂ B ∇ (8.2) ∂t und die Lorentzkraft 7.11 werden vorgegeben, und daraus wird deduktiv das Induktionsgesetz abgeleitet. Dafür wird zunächst die Spannung U= E · d r (8.3) C
8.2
Hochschulübliche Darstellung
201
entlang der geschlossenen Kontur C einer Fläche definiert. In Verbindung mit der (relativistischen) Herleitung durch die Lorentzkraft wird ein scheinbar allgemeiner Ausdruck5 für die Induktionsspannung angegeben: U= d r · E + v × B (8.4) C(t)
Als Resultat ergibt sich das Induktionsgesetz: d r , t) = − d d a · B( U =− dt a(t) dt
(8.5)
Dieses Vorgehen erscheint sehr einfach und geradlinig. In weiteren Abschnitten, Kapiteln und Aufgaben werden spezielle Fälle erörtert. Dies geschieht jedoch nicht anhand einer Betrachtung der Spannung, mit Ausnahme des Schwingkreises, sondern mit den elektroma Die Bedeutung der Spannung allgemein und das Verhältnis gnetischen Potentialen ϕ und A. der Induktionsspannung zur Spannung, die in der Elektrostatik als Potentialdifferenz eingeführt wurde, wird nicht diskutiert.
8.2.2
Bergmann/Schaefer
Das Induktionsgesetz wird als empirischer Befund eines einzelnen Experiments abgeleitet. Dabei handelt es sich um einen magnetischen Kreis wie in Abb. 8.3. Die eine Seite eines ringförmigen Eisenkerns wird von einer Spule umschlossen, deren elektrischer Strom variiert wird. Die andere Seite wird von einer Leiterschleife umschlossen, das an ein Spannungsmessgerät angeschlossen ist. Ändert sich der elektrische Strom in der Spule, so misst man eine dazu proportionale Spannung an der Leiterschleife. Allein daraus, ohne die Bewegung der Leiterschleife in einem Magnetfeld zu betrachten, wird eine Proportionalität zwischen der gemessenen Spannung und der zeitlichen Änderung des magnetischen Flusses abgelei˙ erst lange Zeit nach Faraday tet.6 Es wird sehr betont, dass die Gesetzmäßigkeit Uind = − mit genaueren Messungen bestimmt werden konnte. Diese induzierte Spannung und das damit verbundene induzierte elektrische Feld werden weiter diskutiert. Eine induzierte Spannung lässt sich nicht wie die Spannung in der Elektrostatik mit einer Potentialdifferenz ausdrücken, und die induzierte Feldstärke ist nicht 5 Es ist hier von „scheinbar allgemein“ die Rede, da es einerseits eine Induktionsspannung geben
kann, wenn man kein geschlossenes Wegintegral betrachtet, was allerdings nicht explizit erwähnt wird. Andererseits gibt es keine (kohärente) Begründung, weshalb die Basis der Spannung die Lorentzkraft sein soll und weshalb die Basis der Spannung überhaupt eine Kraft sein sollte, da die Spannung bei Fließbach als Potentialdifferenz eingeführt wurde. Die Spannung hätte damit keine direkte Verbindung zu einer kraftbezogenen, verrichteten Arbeit, wie beispielsweise die elektromotorische Kraft. 6 Die Induktion mit bewegtem Leiter wird am Ende des Kapitels nachträglich besprochen.
202
8 Elektromagnetische Induktion
I
V
Abb. 8.3 Magnetischer Kreis (ringförmiger Eisenkern) mit Spule auf der einen Seite und Leiterschleife auf der anderen. Wird die Stromstärke in der Spule mit der Zeit geändert, so misst man eine Spannung an der Leiterschleife
der negative Gradient einer skalaren Potentialfunktion. Die Spannung hängt nun nicht nur von den Endpunkten des Weges ab, sondern auch im Detail vom betrachteten Weg. Das geschlossene Wegintegral Uind = E · d r ergibt sich dabei eher zufällig, wenn man eine Messschleife betrachtet. Hier wird nicht weiter erwähnt, dass die Induktionsspannung, im Gegensatz zur Spannung in der Elektrostatik, ohne das negative Vorzeichen vor dem Integral definiert ist. Die lenzsche Regel zu den durch Induktion erzeugten elektrischen Strömen wird durch ˙ erzeugte Ströme I so, das Minus im Induktionsgesetz begründet. Demnach fließen durch dass sie der Ursache entgegenwirken. Zugehörige Experimente sind das Eingangsexperiment aus Abb. 8.3, jedoch nun mit kurzgeschlossener Leiterschleife, und ein beweglicher Aluring, zu dem ein starker Magnet bewegt wird. Zu der nachträglichen Besprechung bewegter Leiterschleifen und Magneten wird in diesem Lehrbuch eine sogenannte didaktische Variante vorgestellt. Dabei wird vorgeschlagen, die Induktion deduktiv aus der Lorentzkraft abzuleiten und die Kraft pro Ladungsträger als die induzierte Feldstärke Eind = v × B umzuschreiben. Um auf dieser Basis die Induktion in einem ruhenden Leiter und einem bewegten Magnetfeld zu zeigen, brauche man die spezielle Relativitätstheorie. Das sei für die Schule zu abstrakt. «Als Notbehelf wurde in der Schulphysik die Vorstellung vom „Schneiden der Feldlinien durch die Messschleife“ eingeführt, die den Feldlinien mehr Realität zubilligt als ihnen gebührt.» ([24], S. 194f) Auf welche Quelle aus der Schulphysik sich diese Aussage bezieht, wird dabei nicht angegeben und auch nicht erklärt, was konkret mit „Schneiden der Feldlinien durch die Messschleife“ gemeint ist. In den hier betrachteten Schulbüchern wurde nichts gefunden, was damit gemeint sein könnte. Es ist auch unklar, weshalb die Vorstellung eines Modells – hier des Feldlinienmodells – dem Modellobjekt mehr Realität zubilligen sollte als ihm gebührt. Der ganze Gedankengang wirkt inkonsistent. Die Formel für die induzierte Feldstärke in einem bewegten Leiter Eind = v × B ist die Lorentztransformation (für v c) vom Ruhesystem des Magneten in das des Leiters und wird auch nur einfach vorgegeben. Im Anschluss zu sagen, dass die Feldtransformation der Relativitätstheorie nicht verwendet werden kann, weil sie
8.2
Hochschulübliche Darstellung
203
zu abstrakt sei, führt das zuvor begonnene Vorgehen ad absurdum. Eine solche Darstellungsweise, eingeleitet mit „Didaktische Variante“, kann für eine fachliche Klärung für eine Elementarisierung verwirrend und womöglich irreführend sein.
8.2.3
Griffiths
Das Kapitel zur Induktion wird bei Griffiths durch die Einführung eines neuen Konzepts eingeleitet - der elektromotorischen Kraft (electromotive force, emf ). Die elektromotorische Kraft E ist definiert als das geschlossene Linienintegral über eine Kraft pro Ladung f = F/q. In Stromkreisen gibt es immer zwei solche Kräfte pro Ladung, die der Quelle (source) fs = Fs /q und das elektrostatische Feld7 im Stromkreis E: f = fs + E, E= f · dl = E · dl = 0 fs · dl mit
(8.6) (8.7)
In idealen Quellen gilt E = − fs . Damit ergibt sich eine Potentialdifferenz (bei Griffiths ist ϕ = V ) an den Anschlüssen a und b: V (= ϕ) = − a
b
E · dl =
b
fs · dl =
fs · dl = E (= −Uext )
(8.8)
a
Wie schon im Kap. 3 erwähnt, entspricht diese elektromotorische Kraft der Spannung einer Spannungsquelle, also einer externen Spannung, die auf das System wirkt. Dort wurde sie allerdings mit einem anderen Vorzeichen definiert. Der Ursprung dieser Spannung kann beispielsweise die Differenz des chemischen Potentials in einer Batterie oder einem Akku sein. Nach dieser allgemeinen Einführung der elektromotorischen Kraft wird die sogenannte dynamische elektromotorische Kraft besprochen. Dazu wird eine rechteckige Leiterschleife betrachtet, deren eine Seite (der Länge h) sich in einem (homogenen, räumlich begrenzten) Magnetfeld der Flussdichte B befindet, wie in Abb. 8.4a dargestellt. In die Leiterschleife ist ein Widerstand der Größe R eingebaut. Wenn sich die Leiterschleife mit der Geschwindigkeit v bewegt, ergibt sich die elektromotorische Kraft
E = v Bh.
(8.9)
Daraus wird die Flussregel der dynamischen elektromotorischen Kraft
E =−
d dt
7 Ein elektrostatisches Feld ist immer ein Gradientenfeld E G .
(8.10)
204
a
8 Elektromagnetische Induktion
B
I
b
v
v
B
I
c
B(t)
I
Abb. 8.4 Räumlich begrenztes Magnetfeld (blau) und Leiterschleife mit Widerstand. Leiterschleife wird bewegt (a). Magnetfeld wird bewegt (b). Magnetische Flussdichte ist zeitabhängig (rot) (c)
abgeleitet, die zunächst nur für einen bewegten Leiter in einem Magnetfeld gilt, also ausschließlich, wenn eine Lorentzkraft vorhanden ist. Erst im Anschluss daran wird die eigentlich neue elektromagnetische Induktion besprochen, ausgehend von einer einfach strukturierten Wiedergabe der Experimente Faradays (Abb. 8.4): Das ist zum einen die Bewegung einer Leiterschleife relativ zu einem ruhenden Magnetfeld wie bei der dynamischen elektromotorischen Kraft (Abb. 8.4a), außerdem die Bewegung eines Magnetfeldes relativ zu einer ruhenden Leiterschleife (Abb. 8.4b) und schließlich eine ruhende Leiterschleife in einem ruhenden Magnetfeld, dessen Flussdichte sich mit der Zeit ändert (Abb. 8.4c). Ein (historischer) kognitiver Konflikt wird beim Übergang vom ersten Experiment zum zweiten besprochen. Einerseits scheint uns naheliegend, dass es nur auf die Relativbewegung ankommt, andererseits ist das in seiner Absolutheit ein Resultat der Relativitätstheorie. Und in diesem Beispiel gibt es keine offensichtliche (bekannte) Ursache für eine Kraft auf die im Leiter ruhenden Ladungen. Es wird die Hypothese von Faraday vorgestellt. Ein veränderliches Magnetfeld induziert ein elektrisches Feld. ([14], S. 391)
Formal wird nun in der Flussregel für die elektromotorische Kraft eine (induzierte) elektrische Feldstärke als fs eingesetzt, und man gelangt zum faradayschen Gesetz × E = − ∂ B . ∇ ∂t Das dritte Experiment dient dafür als eine Art Hypothesentest, woraufhin die allgemeine Flussregel (das Induktionsgesetz) aufgestellt wird. Immer wenn (aus welchem Grund auch immer) sich der magnetische Fluss durch eine Schleife verändert, tritt in der Schleife eine elektromotorische Kraft auf: E =−
d . ( [14], S. 392) dt
8.2
Hochschulübliche Darstellung
205
Die lenzsche Regel wird lediglich als anschauliche Hilfe zur Bestimmung der Stromrichtung vorgestellt: „Die Natur vermeidet Flussänderungen.“ ([14], S. 394) Anhand dieser Faustregel wird besprochen, dass man die Induktion als eine Art „Trägheitserscheinung“ ansehen kann. Eine wichtige Ergänzung wird bezüglich der Erzeugung und Berechnung zeitabhängiger Magnetfelder mit elektrischen Strömen gemacht. Das amperesche Gesetz gilt zunächst nur in der Magnetostatik. Vollzieht sich jedoch die zeitliche Änderung der Flussdichte (und der erzeugenden Ströme) nicht zu schnell, was im Alltag fast immer zutrifft, so ist die Verwendung des ampereschen Gesetzes eine angemessene Näherung. Man sollte sich allerdings bewusst sein, dass man dann eine quasistatische Näherung verwendet.
8.2.4
Vergleich der Lehrbücher
Der zentrale Unterschied in den Darstellungsweisen der Lehrbücher ist die Bedeutung der induzierten Spannung. Bei Fließbach wird kaum explizit von einer induzierten Spannung gesprochen, sondern meist lapidar von einer Spannung. Es ist unklar, in welchem Verhältnis die Spannung als Potentialdifferenz, so wie sie in der Elektrostatik dargestellt wurde, zur Induktionsspannung steht, die als geschlossenes Wegintegral über eine Feldstärke definiert ist. Man gewinnt fast den Eindruck, als wäre die Spannung in der Form U = E + v × B · d r die allgemeingültige Form/Definition der Spannung. Der Unterschied zwischen einer induzierten Spannung als (geschlossenes) Wegintegral über eine induzierte elektrische Feldstärke und der Lorentzkraft pro Ladung wird bei Bergmann/Schaefer zumindest erwähnt. Nur bei Griffiths wird der Unterschied ausführlich diskutiert, vornehmlich, da in der englischsprachigen Literatur im Zusammenhang mit der Induktion nicht von einer Spannung gesprochen wird, sondern nur von der elektromotorischen Kraft. Es muss also zunächst ein neuer Begriff im Unterschied zur Potentialdifferenz eingeführt und erklärt werden. Im deutschen Sprachraum wird der Begriff elektromotorische Kraft nicht (mehr) verwendet, weshalb er vielen unbekannt ist. Im Folgenden wird dazu eine kurze Erläuterung gegeben. Die Unterscheidung zwischen einer elektromotorischen Kraft und einer Potentialdifferenz (in einem Stromkreis) ist analog zu der Unterscheidung zwischen der Kraft pro Fläche, die eine Pumpe in einem Wasserkreislauf auf das Wasser ausübt, und dem Druckunterschied, der infolge dessen im Wasser entsteht. Eine Analogie zu anderen physikalischen Konzepten ist zum Beispiel die Unterscheidung zwischen einer Kraft und einer Gegenkraft im Wechselwirkungsprinzip. Durch diese Analogien soll plausibel gemacht werden, dass es sich bei der elektromotorischen Kraft, der Induktionsspannung, der elektrischen Potentialdifferenz und sogar der chemischen Potentialdifferenz pro Elementarladung um die gleiche physikalische Größe handelt – die Spannung. Wie bei den oben beschriebenen analogen Größen Kraft und Druck ist der Unterschied nicht die physikalische Größe, sondern welches System diese Größe auf
206
8 Elektromagnetische Induktion
welches andere System ausübt. So beschreibt die elektromotorische Kraft einer Batterie die Möglichkeit des chemischen Systems, Energie an das System des Stromkreises abzugeben. Die daraus folgende elektrische Potentialdifferenz zwischen den Kontakten einer Batterie, die der elektromotorischen Kraft entgegensteht, beschreibt die Möglichkeit des elektrischen Systems des Stromkreises, diese Energie aufzunehmen. Der Begriff elektromotorische Kraft wird nicht mehr verwendet, da es sich hierbei nicht um eine Kraft handelt, sondern lediglich um eine Größe, die man zu einer Kraft in Analogie setzen kann. Da eine elektromotorische Kraft für ein elektrisches System, im Allgemeinen einen Stromkreis, eine Spannung von einem externen System darstellt, wird in diesem Buch der Ausdruck externe Spannung verwendet. Abschließend muss man sagen, dass man die Lehrbücher ambivalent betrachten kann. In einem Buch der Theoretischen Physik wie von Fließbach spielt der Begriff Spannung keine große Rolle und wird nicht tiefgehend diskutiert. Dies ist nachvollziehbar, jedoch keine Hilfe, wenn man speziell an dem Begriff Induktionsspannung interessiert ist, wie etwa bei der Vorbereitung einer Unterrichtseinheit zu diesem Thema.
8.2.5
Grundlegende Konzeptvorstellungen
Gebrauchsdefinition: Magnetischer Fluss und Induktion
Man stellt fest, dass es in Verbindung mit einem Magnetfeld mehrere Möglichkeiten gibt, in einer Leiterschleife einen elektrischen Strom zu erzeugen. (I) Man bewegt die Leiterschleife in einem Magnetfeld inhomogener Flussdichte, sodass zumindest einige Leiterabschnitte senkrecht zur Richtung der Flussdichte bewegt werden und diese Abschnitte unterschiedliche Flussdichten erfahren. (II) Man bewegt das inhomogene Magnetfeld bei unbewegter Leiterschleife unter sonst gleichen Bedingungen. Der Effekt ist jeweils umso stärker, je größer die Geschwindigkeit der Bewegung und je inhomogener die Flussdichte über den Verlauf der Leiterschleife ist. (III) Man variiert die Komponente der magnetischen Flussdichte,8 die diejenige Fläche durchdringt, die von der Leiterschleife aufgespannt wird. Der Effekt ist umso stärker, je schneller die Flussdichte geändert wird. Verallgemeinern und verbinden lassen sich diese drei Fälle durch die folgende Regel: Ändert sich der magnetische Fluss = A B · d a durch eine Fläche, deren Rand ∂ A die Leiterschleife ist, so wird darin ein elektrischer Strom induziert. Man spricht von Induktion.
Die neue Größe magnetischer Fluss besagt, wie stark die betrachtete Fläche A von einer magnetischen Flussdichte B durchdrungen wird. Sie ist eine mengenartige Größe. In den Fachbegriffen findet sich die Analogie der Beschreibung von elektromagneti8 Man kann also sowohl die Feldstärke H in der leeren Leiterschleife als auch die Magnetisierung M in einem Eisenkern in der Leiterschleife ändern.
8.2
Hochschulübliche Darstellung
207
schen Feldern und materiellen Flüssen anhand von Vektorfeldern, ähnlich wie bei den Begriffen Stromdichte und Stromstärke. Es gibt auch einen elektrischen Fluss zur der jedoch nur von geringer Bedeutung ist. Ein Fluss verhält elektrischen Flussdichte D, sich zu einer Flussdichte wie eine Stromstärke zu einer Stromdichte. Mathematisch gibt es keinen Unterschied. Physikalisch muss zwischen einem elektrischen/magnetischen Fluss und einer Stromstärke unterschieden werden. Bei einem elektrischen/magnetischen Fluss fließt nichts, wohingegen beim elektrischen Strom die elektrische Ladung fließt bzw. strömt. Im Feldlinienmodell, in dem die Flussdichte (und Feldstärke) durch die lokale Dichte der Feldlinien repräsentiert ist, ist die Anzahl der Feldlinien durch die betrachtete Fläche ein Maß für den Fluss. Die obige Regel für die Induktion von elektrischem Strom hat sich in allen getesteten Situationen als zuverlässig herausgestellt. Weiterhin ist die Ursache eines elektrischen Stroms in einem Stromkreis eine externe Spannung, die auf den Stromkreis wirkt. Es lässt sich das sogenannte Induktionsgesetz ableiten: Ändert sich, egal wie, der magnetische Fluss = A B · d a durch eine Fläche A, deren Rand ∂ A eine Leiterschleife ist, so wird entlang der Leiterschleife eine externe elektrische Spannung Uext induziert, die auf die Ladung in der Leiterschleife wirkt: ˙ Uext =
Für das Induktionsgesetz9 wird im Allgemeinen eine (nahezu) geschlossene Leiterschleife betrachtet, da in üblichen Situationen jede Messanordnung für eine Spannung eine solche Leiterschleife darstellt. Der Effekt der Induktion ist jedoch nicht auf geschlossene Leiterschleifen beschränkt. Erst die Hintergründe der induzierten Spannung beschreiben die Induktion wirklich allgemein. Gebrauchsdefinition: Induzierte Spannung
Das Induktionsgesetz fasst mehrere Ursachen für eine Spannung zusammen. In einer Situation wie in Fall (I) wirkt in einem Leiterabschnitt die Kraft pro Ladung v × B, die integriert entlang eines Weges zu einer induzierten Spannung Ui an den Enden des Weges führt. Die Ursache für die Fälle (II)10 und (III) ist zunächst neu. Man fand heraus, dass in diesen Fällen ein elektrisches Feld induziert wird. Es kann eine weitere MaxwellGleichung daraus abgeleitet werden: × E = − ∂ B ∇ ∂t 9 Hier ist das Induktionsgesetz mit einer der externen Spannung angegeben, die konsistent wie jede
Spannung als negatives Wegintegral über eine Kraft pro Ladung definiert ist. Dadurch fällt das übliche negative Vorzeichen im Induktionsgesetz weg. 10 Fall (II) ist zwar lediglich ein Bezugssystemwechsel von Fall (I), dies stellt jedoch keine erklärende Ursache dar.
208
8 Elektromagnetische Induktion
In Worten: Die einzige Ursache für ein elektrisches Wirbelfeld ist eine zeitliche Änderung der Flussdichte. Ändert sich zeitlich die magnetische Flussdichte B (an einem Ort in einem beliebigen Inertialsystem), so entsteht ein elektrisches Wirbelfeld der Feldstärke11 E W um die sich ändernde Flussdichte. Dieses induzierte elektrische Feld ist also kein Gradientenfeld, d. h. kein konservatives Feld. Dies widerspricht jedoch nicht der Energieerhaltung, auch wenn durch den Namen „konservatives“ Feld angedeutet wird, dass ausschließlich für ein Gradientenfeld die Energie erhalten wäre. Der Hintergrund ist folgender: Ein elektrisches Gradientenfeld hat Energie gespeichert und kann diese direkt an Körper mit der Eigenschaft Ladung abgeben oder von ihnen aufnehmen.12 Ein induziertes elektrisches (Wirbel-)Feld vermittelt dagegen lediglich die Energie, die in einem magnetischen Feld gespeichert ist, an Körper mit der Eigenschaft Ladung, oder umgekehrt. Verläuft ein Leiterabschnitt entlang einer solchen induzierten elektrischen Feldstärke, so ist diese die Kraft pro Ladung, die eine Spannung an den Enden des Leiterabschnitts induziert. Die induzierte externe Spannung an den Enden eines beliebigen Leiterstücks auf dem Weg γ lässt sich auch durch ihre einzelnen Ursachen schreiben als: E W + v × B · d r Uext = − γ
Eine induzierte Spannung ist also eine externe Spannung (elektromotorische Kraft), die in einem Leiterstück/Stromkreis zu einer Ladungsverteilung mit einem umgebenden Potentialverlauf ϕ( r ) und einer Potentialdifferenz ϕ führen kann, ähnlich dem chemischen Potential μ einer Batterie oder eines Akkumulators. Ein Potentialverlauf und eine Potentialdifferenz, die man Spannung nennt, haben ihre Ursache in einer Ladungsverteilung und können weitere Ladungen verschieben. Eine induzierte externe Spannung hat keine Ladungsverteilung als Ursache, führt jedoch zu einer Verschiebung von vorhandener Ladung.
11 Der Index W soll anzeigen, dass es sich bei dieser Feldstärke um ein Wirbelfeld handelt. In der automatisch Maxwellgleichung muss dies nicht extra gekennzeichnet werden, da die Rotation ∇× nur den Wirbelanteil der Feldstärke berücksichtigt. 12 Beispiel: Zwei Körper mit Ladungen unterschiedlichen Vorzeichens in einem bestimmten Abstand zueinander sind umgeben von einem elektrischen Feld, in dem Energie gespeichert ist. Sind diese Körper frei beweglich, so fließt Energie aus dem Feld in die Bewegung der Körper, wodurch sich das elektrische Feld verringert.
8.2
Hochschulübliche Darstellung
209
Gebrauchsdefinition: Induktivität
Wird ein elektrischer Strom induziert, tritt ein weiterer Effekt auf, der bisher nicht angesprochen wurde. Gemäß dem ampereschen Gesetz (7.15) erzeugt jeder elektrische Strom ein magnetisches Feld, das zur Stromstärke proportional ist. Da bei einem Induktionsvorgang die induzierte Stromstärke im Allgemeinen zeitabhängig ist, gilt das auch für das durch den Strom erzeugte Magnetfeld. Dieses sich ändernde, stromabhängige Magnetfeld induziert seinerseits ein zusätzliches elektrisches Feld, das heißt eine zusätzliche induzierte Spannung, die auf die fließende Ladung wirkt und den bestehenden elektrischen Strom beeinflusst. Man nennt diesen Vorgang Selbstinduktion.13 Dieser Effekt hängt ab von der Anordnung und Geometrie des betrachteten Leiters sowie von dem damit verbundenen magnetischen Fluss, der dabei bei einer bestimmten Stromstärke erzeugt werden kann. Ähnlich wie die Kapazität C = Q/U = Q/ϕ etwas über die Spannung in einer Leiteranordnung bei einem gewissen Ladungszustand aussagt, kann hier ein Parameter definiert werden, der besagt, wie viel magnetischer Fluss bei einer bestimmten Stromstärke vorhanden ist. Diesen Parameter nennt man Induktivität L=
. I
Dieser Parameter besagt nicht nur, wie viel magnetischer Fluss pro Stromstärke in der Anordnung ist, sondern auch, wie stark sich dieser Fluss bei sich ändernder Stromstärke ändert. Die durch Selbstinduktion in einer Anordnung induzierte Spannung ist Uext = L I˙. Gebrauchsdefinition: Energie in einem magnetischen System
Wie ein elektrisches Feld enthält auch ein magnetisches Feld Energie. Aufnehmen und Abgeben kann das magnetische Feld diese Energie nicht nur durch eine Änderung der Verteilung magnetischer Polarisationsladung, sondern auch durch Induktion und den damit verbundenen elektrischen Strom. Beim Aufbau eines Stroms in einer Leiteranordnung entsteht eine induzierte Spannung im Verhältnis zur steigenden Stromstärke. Diesen Vorgang nennt man Selbstinduktion. Die dabei notwendige Energie wird in das entstehende Magnetfeld gesteckt. Die Energiedichte eines Magnetfeldes der Stärke H ist
13 Beispiel: Ändert sich die Stromstärke in einer Spule, so ändert sich die magnetische Flussdichte in
der Spule. Diese Änderung der Flussdichte induziert ein elektrisches Feld auch in den Drähten der Spule und beeinflusst den elektrischen Strom darin.
210
8 Elektromagnetische Induktion
wm =
μ0 2 H . 2
(8.11)
8.2.6
Potential und Spannung an einem Beispiel
Für elektrische Stromkreise gibt es die beiden kirchhoffschen Regeln, die Knotenregel für die Stromstärke und die Maschenregel für die Spannungen. Bezüglich der Maschenregel (3.23) gibt es die Kritik, dass sie nur dann gilt, wenn keine Induktion stattfindet (siehe beispielsweise [18], Abschn. 3.11). Bei Bergmann/Schaefer wird beispielsweise die Maschenregel damit eingeleitet, dass hier mit Spannungen explizit Potentialdifferenzen gemeint sind ([24], S. 113). Dies geschieht vermutlich, um mögliche Induktionsspannungen auszuschließen. Interessant ist hier erneut der Vergleich der englischen Originalausgabe des Lehrbuchs Tipler [30] und der entsprechenden deutschen Übersetzung [29]. Im Original wird die Maschenregel mit Potentialdifferenzen dargestellt ([30], S. 803), in der Übersetzung mit Spannungen ([29], S. 820). In beiden Versionen wird eine Verbindung zwischen der Maschenregel und einem konservativen elektrischen Feld hergestellt, begleitet mit einer Anmerkung, dass es auch nicht-konservative elektrische Felder gibt. In der deutschen Ausgabe wird diese Anmerkung ergänzt durch den Satz: „Die Kirchhoff’sche Maschenregel gilt nur für den konservativen Anteil.“ ([29], S. 821) Es deutet sich hier ein Bedeutungsunterschied zwischen Spannung und Potentialunterschied im Bereich der Induktion an, der jedoch nicht weiter diskutiert wird. Was hat es nun damit auf sich? Um das Verständnis einer induzierten externen Spannung Uext und des skalaren Potentials ϕ zu erweitern, wird hier ein vereinfachter Fall einer Leiterschleife mit Unterbrechung als Stromkreis in einem (homogenen) Magnetfeld mit zeitlich variierender Flussdichte B(t) ˙ detailliert besprochen, wie in Abb. 8.5b skizziert. Es zeigen B und B in z-Richtung. Für das sehr allgemeine Induktionsgesetz mit Spannung und Flussänderung ist die konkrete Geometrie des Magnetfeldes nicht von Bedeutung. Für den konkreten Verlauf der induzierten
b
a B EG EW x
y
z x
c y
ϕ x
B E G
y
1
EW
2
Abb. 8.5 Unterbrochene Leiterschleife in der x − y-Ebene in einem sich ändernden Magnetfeld B in z-Richtung (a). Die elektrischen Felder E G und E W sind nur innerhalb des Leiters skizziert. Dreidimensionale Sicht der Leiterschleife mit Feldern (b). Verlauf des skalaren Potentials innerhalb der Leiterschleife in der x − y-Ebene (c)
8.2
Hochschulübliche Darstellung
211
E W = −∂ B/∂t, Feldstärke E W , ∇ ist sie es dagegen schon. Dies ist analog dazu, wie der konkrete Verlauf und die Verteilung der elektrischen Stromdichte j im ampereschen Gesetz H = j. Der Einfachheit halber wird für dieses die magnetische Feldstärke bestimmt, ∇ Beispiel die Symmetrieachse des Magnetfeldes direkt durch die Mitte der Leiterschleife in z-Richtung gelegt. Es ergibt sich ein induziertes elektrisches Feld, dessen Feldlinien konzentrische Kreise um diese Symmetrieachse bilden. Dies gilt für den gesamten betrachteten Bereich, solange kein elektrischer Leiter vorhanden ist. Das elektrische Feld ist ein ideales Wirbelfeld. Aus einem Blickwinkel entlang der Symmetrieachse gesehen, ist die Leiterschleife ein perfekter Kreis, der an einer Stelle unterbrochen ist (Abb. 8.5b). Die Leiterschleife ist wie eine Spulenwindung gebogen, sodass sich ein endlicher Abstand zwischen den Kontakten ergibt, der nicht durch die Induktion beeinflusst wird und in dem sich ein bestimmter Widerstand befinden könnte. Die Leiterschleife selbst habe keinen nennenswerten Widerstand. Die induzierte Feldstärke E W führt zu einer Verschiebung der Ladungsverteilung im Leiter. Es entsteht eine Ladungsverteilung am Rand des Leiters, die zu einem elektrischen Gradientenfeld E G führt, sodass das resultierende elektrische Feld innerhalb des Leiters verschwindet, E = E W + E G = 0. Auch außerhalb des Leiters ist das resultierende elektrische Feld kein ideales Wirbelfeld mehr, sondern eine Summe aus Gradientenund Wirbelfeld E = E W + E G = 0, die jedoch hier nicht mehr verschwinden muss.14 ˙ Das Gradienten × E W = − B. Die Ursache für das Wirbelfeld ist allein die Induktion ∇ [vgl. Gl. (3.10b)], feld kann durch ein skalares Potential ausgedrückt werden, E G = −∇ϕ 2 ϕ = ρ/ε0 und ist allein durch die Ladungsverteilung im Leiter bestimmt, ∇ · E G = −∇ [Gl. (3.10a) und Maxwellgl. (1.5)]. Innerhalb des elektrischen Leiters kann die Gestalt der elektrischen Felder sehr leicht angegeben werden. Das ursprüngliche Wirbelfeld sind konzentrische Kreise, die aufgrund der bewusst gewählten Geometrie entlang des Leiters laufen. Wie oben erwähnt, muss die Feldstärke E innerhalb des Leiter null sein, und es gilt für das Gradientenfeld E G = − E W innerhalb des Leiters. Die Feldlinien des Gradientenfeldes sind innerhalb des Leiters fast konzentrische Kreise, deren Umlaufsinn dem des Wirbelfeldes entgegengesetzt ist. Das „fast“ drückt aus, dass die Leiterschleife an einer Stelle unterbrochen ist. Betrachtet man das Wegintegral über die elektrische Feldstärke E entlang eines Weges einmal durch die Leiterschleife in Richtung des möglichen Stroms und auch über deren Bruch hinweg, so muss weiterhin gelten: ˙ − E · dl = (8.12) Die Feldstärke innerhalb des Leiters ist als Summe aus Wirbel- und Gradientenfeld null. Zwischen den Kontakten ist das Wirbelfeld irrelevant, da es näherungsweise senkrecht zum
14 In Abb. 8.5 bleibt das gesamte Feld außerhalb des Leiters unberücksichtigt, das kleine Stück zwi-
schen den Enden der Leiterschleife ausgenommen. Einerseits liegt das daran, dass sich seine Gestalt nicht so einfach darstellen lässt, andererseits daran, dass es für das betrachtete Problem keine Bedeutung hat.
212
8 Elektromagnetische Induktion
Integrationsweg verläuft, E W · dl ≈ 0. Dort wird das Wegintegral allein durch das Gradientenfeld beschrieben: 2 2 − E · dl = − (8.13) E · dl = − E G · dl 1
1
Dieser Abschnitt der elektrischen Feldstärke, der entscheidend ist für einen möglichen elektrischen Strom zwischen den Kontakten, kann also auch durch ein skalares Potential und 2 einen Potentialunterschied − 1 E G · dl = ϕ12 beschrieben werden. Ein Vergleich der ˙ gilt. Gleichungen (8.12) und (8.13) zeigt, dass für diesen Potentialunterschied ϕ12 = Es mag pedantisch wirken, aber es handelt sich bei dieser Formel nicht direkt um das Induktionsgesetz. Die Formel besagt vielmehr, dass die Induktionsspannung, die ihren Ursprung ˙ hat, in einem Leiter eine Potentialdifferenz ϕ erzeugen kann. Die in der Flussänderung offenen Kontakte der Leiterschleife befinden sich auf den Potentialen ϕ1 und ϕ2 . Entlang des besprochenen Integrationsweges ändert sich das Potential (zumindest näherungsweise) linear, egal ob man den Abschnitt durch den Leiter oder durch das offene Stück zwischen den Enden betrachtet (Abb. 8.5c). Die Ursache für die induzierte externe Spannung in diesem Beispiel ist das Wirbelfeld E W : −
1
E W · dl = −
˙ E W · dl = Uext =
(8.14)
2
Im Leiter gilt E W = − E G und damit Uext = −ϕ21 , genau wie zwischen den Kontakten innerhalb einer Batterie Uext = −ϕ gilt. In diesem speziellen Fall kann relativ einfach gezeigt werden, dass auch das elektrische Potential sinnvoll für einen elektrodynamischen Prozess verwendet werden kann. Reale elektrische Schaltungen können in nahezu allen Fällen, zumindest näherungsweise, genauso betrachtet werden. Die Leiterschleife kann durch eine Spule mit Eisenkern ersetzt werden, in der ein entsprechendes zeitabhängiges Magnetfeld herrscht. Die Drähte von den offenen Kontakten der Spule führen üblicherweise weit genug von der Spule weg in einen Bereich, in dem induktive Effekte kaum mehr auftreten und das elektrostatische Potential ϕ weiterhin die einzige sinnvolle Größe ist. Betrachtet man den Stromkreis wie beschrieben anhand seines Potentials, legt man dadurch die Systemgrenzen auf bestimmte Art und Weise fest: Das von außen angelegte zeitabhängiges Magnetfeld bildet zusammen mit dem Wirbelfeld E W ein externes System, und der Stromkreis mit seinen Ladungen und dem Gradientenfeld E G ist das betrachtete System. Im System der Leiterschleife gilt weiterhin die Maschenregel und die Induktionsspannung durch das Wirbelfeld E W hat die Bedeutung einer externen Spannung, was dem Unterschied im chemische Potential einer Batterie entspricht. Angelehnt an die Darstellungsweise von Griffiths kann man sagen, dass die externe Spannung Uext in diesem Fall die Induktionsspannung ist, und die Kraft pro Ladung fs ist die Stärke des Wirbelfelds E W . Diese ist für ein geschlossenes Wegintegral nicht null, wie für eine externe Spannung üblich. Aufgrund der externen Spannung entsteht im Leiter eine Ladungsverschiebung und deshalb ein Gradientenfeld und ein elektrisches Potential,
8.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
213
das die Kraft auf die Ladung in der Quelle ausgleicht und die Ladung an eine andere Stelle transportiert. Es gilt wie in der Elektrostatik für die (systeminterne) Spannung U12 = ϕ und im gesamten Kreis die Maschenregel. Eine solche Betrachtung der Spannung löst nicht nur die eingangs angesprochenen Unklarheiten zwischen Spannung und Potential in Elektrostatik und Elektrodynamik auf, sondern bietet eine Verständnisalternative der Spannung, die häufig in den Hintergrund geschoben wird. Die Spannung wird vor allem mit der übertragenen Energie bzw. einer Arbeit in Verbindung gebracht, U = E/Q. Die Spannung hat jedoch auch die Funktion eines Wechselwirkungsparameters wie die Kraft in der Mechanik. Erst als zweites kommt in dieser Sicht die Bedeutung, dass dieser Parameter auch den Energietransport zwischen verschiedenen Systemen beeinflusst. Die Lehrmeinung „Eine Spannung ist keine Kraft, deshalb ist die Bezeichnung «elektromotorische Kraft» nicht sinnvoll.“ trifft zwar durchaus zu. Es hat jedoch auch Vorteile, die Analogie zwischen Spannung und Kraft in ihrer Bedeutung als Parameter einer Wechselwirkung zu nutzen, um ein vertieftes Verständnis einer Situation wie in obigem Beispiel zu erlangen. Im angelsächsischen Sprachraum wird diese Analogie weiterhin verwendet, wie die Abschnitte zur elektromotorischen Kraft in Tipler und Griffiths zeigen. Dabei wird unterschieden zwischen Potentialunterschieden, die innerhalb eines Stromkreises vorhanden sind, und elektromotorischen Kräften, die von außen wirken. Das hat den angesprochenen Vorteil, dass man systematisch trennt – was wirkt von außen und was wirkt von innen. Der Nachteil ist, dass man für die gleiche physikalische Größe unterschiedliche Bezeichnungen und Formelzeichen ϕ und E für unterschiedliche Systeme verwendet. In diesem Buch hat man sich deshalb dafür entschieden, den Begriff Spannung durch ein beschreibendes Adjektiv zu ergänzen. Das ist analog zu der Vorgehensweise bei Kräften, die aus den Gebrauchsdefinitionen von Potential und Spannung bereits bekannt ist. Die Problematik wurde also schon angesprochen, jedoch erst in der Induktion zeigt sich im Zusammenhang mit der Induktionsspannung, wie wichtig es ist, differenziert mit den Begriffen Spannung und Potentialdifferenz umzugehen. Erstaunlich ist, dass durch die Aufteilung in Spannung des Systems und externe Spannung sowie die konsequente Verwendung der Definition der Spannung (3.17) das negative Vorzeichen des Induktionsgesetzes verschwindet. Dies liegt daran, dass die Lehrbücher, wie beispielsweise Bergmann/Schaefer [24], die Spannung im Rahmen der Elektrostatik als U = − E · dl und bei der Induktion als Ui = + E · dl festlegen, also das Vorzeichen ändern.
8.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
8.3.1
Vergleich der Sachstruktur
Die Sachstrukturen in Schulbüchern und Lehrbüchern der Hochschule unterscheiden sich in ihrer groben Gliederung sehr stark. Wie im vorherigen Kapitel schon angedeutet, wird
214
8 Elektromagnetische Induktion
die Induktion in Schulbüchern sehr eng mit Magnetfeldern elektrischer Ströme und Kräften zwischen Magnetfeldern und stromführenden Leitern verknüpft und manchmal sogar mit diesen Themen verwoben. Dagegen stellt in den Lehrbüchern die Induktion den ersten Abschnitt zeitabhängiger Phänomene der Elektrodynamik dar, der nach Kapiteln zur Elektround Magnetostatik folgt. In den Abschnitten zur Induktion können in den Lehrbüchern untereinander große Unterschiede auftreten, wie im vorherigen Abschnitt dargestellt. In Abb. 8.6 wird ein Überblick zu möglichen und typischen fachlichen Gliederungen in Lehrund Schulbüchern der Sekundarstufe I gegeben. In allen Schulbüchern wird der fachliche Kern der Induktion sehr ähnlich und in engem Bezug zu den oben dargestellten Experimenten wiedergegeben, unabhängig von Unterschieden im didaktischen Vorgehen und in Vorgaben der Lehrpläne. Ähnlich wie Erfmann [9] und der bayerische Lehrplan [22] vorschlagen, vermeiden die meisten hier betrachteten Bücher ein deduktives Herangehen an die Induktion über die Lorentzkraft. Der magnetische Fluss wird durch die Anzahl der Flussdichtelinien, meist „magnetische Feldlinien“ genannt, didak˙ tisch reduziert, und damit wird eine qualitative Version des Induktionsgesetzes Ui = − für die Sekundarstufe I gegeben. Die Induktion ist in den Schulbüchern der Sekundarstufe I sehr auf Anwendungen im elektrischen Energienetz bezogen, beispielsweise Generatoren und Transformatoren. Oft wird nicht eindeutig klar, welche Beziehung die Induktion und die zugehörigen Anwendungen zueinander haben – ist das allgemeine Thema die Induktion und ist die Energieversorgung mit Generatoren und Transformatoren ein Anwendungsbeispiel dazu oder ist das allgemeine Thema die Energieversorgung mit Generatoren und
Fachsystematik: Magnetostatik Elektrodynamik I Induktion Ableitung Anwendungsals Phäder Feld- beispiele und nomen gleichung Induktivität
Elektrodynamik II
Didaktische Gliederungen: Neues Thema 7/8 9/10: Induktion AnwendunInduktion AnwendunStrom- Magnet- als Phä- gen und Magnet- gen und kreise feld I Beispiele II Beispiele I feld II nomen Einführung Erklärung El. Energie Energieversorgung durch Induktion Abgeleitetes Anwendungen Induktion Magnet. an zahlreichen Induktions- Beispiele zur Felder Experimenten gesetz Induktion
Neues Thema
Abb. 8.6 Vergleich der Sachstruktur zwischen Schule und Hochschule für die elektromagnetische Induktion
8.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
215
Transformatoren und ist darin die Induktion nur ein Schritt, diese zu erklären? Somit erscheint das Ziel der Strukturierung nicht eindeutig. In der Sekundarstufe II kommen weitere Elemente hinzu: Der Begriff magnetischer Fluss , die quantitative Formel des Induktionsgesetzes, der man auch die verschiedenen Möglichkeiten der Flussänderung ansieht, und die explizite Erwähnung einer induzierten elektrischen Feldstärke. Letztere ist ein wichtiger Schritt, um später die Erzeugung elektromagnetischer Wellen zu erklären. Interessant bei der Elementarisierung in den Schulbüchern ist die Frage ihres fachlichen Hintergrunds. Die Darstellungen der Induktion in den oben genauer betrachteten Lehrbücher [11, 15, 24] unterscheiden sich stark voneinander und von der Darstellung in den Schulbüchern. Erst Physik-Kompendien wie Gerthsen [20], Halliday [17] und Tipler [29] zeigen größere Ähnlichkeit mit Schulbüchern hinsichtlich Aufarbeitung und Umfang der Experimente.
8.3.2
Spannung und Spannung
Es wurde schon bei den (deutschen) Lehrbüchern die fehlende Diskussion verschiedener Aspekte der Spannung – z. B. des Wechselwirkungscharakters – kritisiert, und diese Aspekte wurden anhand eines Beispiel in Abschn. 8.2.6 ausgeführt. Genauso fehlt diese Diskussion und Beschreibung in den Schulbüchern. Im Gegensatz zur Elektrizitätslehre gibt man sich in der Mechanik Mühe, dass Schüler den Unterschied zwischen Wechselwirkungskräften und Kräftegleichgewichten nachvollziehen und verstehen, was es bedeutet, wenn in/an einem Körper verschiedene Kräfte wirken oder ein Körper auf einen anderen eine Kraft ausübt. Solche Differenzierungen sind von großer Bedeutung, möchte man die Basiskonzepte „Materie“, „Wechselwirkung“, „System“ und „Energie“ als grundlegend erkennen. Die analoge Größe zur Kraft ist in der Elektrizitätslehre die Spannung. Die chemische Spannung einer Batterie und die elektrische Potentialdifferenz an den elektrischen Kontakten der Batterie entsprechen einer Wechselwirkung zwischen dem „chemischen System“ in der Batterie und dem „elektr(ostat)ischen System“ des Leiters/Stromkreises, wie schon in der Gebrauchsdefinition zur elektrischen Spannung dargelegt. Mithilfe der Spannung und der Stromstärke kann man eine Aussage darüber treffen, wie viel Energie das eine System abgibt und das andere aufnimmt. Im Gegensatz dazu entsprechen die verschiedenen elektri schen Potentialdifferenzen innerhalb eines Stromkreises, mit der Bedingung n ϕn = 0, einem Kräftegleichgewicht eines Körpers, der sich in Ruhe befindet oder sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt. Die Induktionsspannung ist am besten als externe Spannung mit dem zugehörigen System Magnetfeld konzeptualisiert, das durch diese Weise Energie mit dem Stromkreis austauscht. Üblicherweise arbeitet man in der Elektrodynamik zwar darauf hin, magnetische und elektrische Phänomene zu vereinen – historisch galten diese beiden Eigenschaften als getrennt und die Maxwell-Theorie15 hat sie wunderbar vereint. 15 Und alles, was dazu geführt hat.
216
8 Elektromagnetische Induktion
Die Folge scheint jedoch zu sein, dass Objekte nicht in elektromagnetische Teilsysteme aufgeteilt werden, obwohl dies sinnvoll sein kann. Dies folgt einer ähnlichen Philosophie, wie wenn man das System eines Fadenpendels von dem der Erde trennt, es über die Gravitation wechselwirken lässt und beides durch die newtonschen Gesetze beschreibt.
8.3.3
Induktion, Spannung und Didaktik
Dieser Abschnitt widmet sich in erster Linie einer Diskussion einiger Lernschwierigkeiten und Fehlvorstellungen zur Induktion und verwandten Themen, wie sie in der Didaktik thematisiert werden und man sie sehr schön zusammengefasst in der Dissertation von Corinna Erfmann [8] findet. Defizite im konzeptionellen Verständnis und in der Fähigkeit qualitativ zu argumentieren werden von Bagno und Eylon im gesamten Bereich der Elektrodynamik [3] und von Albe et al. speziell bezüglich dem magnetischen Fluss [1] festgestellt. Gleichzeitig finden neben Albe et al. [1] auch Guisasola et al. [16] eine materielle Vorstellung von Feldern und Feldlinien, die sich auch in der Argumentation von Induktionsvorgängen findet. In Tab. 8.1 werden einige Fehlvorstellungen und Lernschwierigkeiten aufgelistet. Einige weitere Lernschwierigkeiten obiger Literatur werden im Folgenden etwas genauer fachlich beleuchtet. Defizite beim qualitativen Verständnis werden von Bagno und Eylon [3] und Albe et al. [1] beschrieben. Nach Albe et al. fehlt Studierenden eine bildliche Definition16 des magnetischen Flusses. Aus dem Artikel wird nicht ersichtlich, was eine angemessene bildliche Definition für den magnetischen Fluss ist. Bei Erfmann wird als einziges Beispiel die Anzahl möglicher Feldlinien durch die betrachtete Fläche als Möglichkeit genannt, und die «Menge an B durch die Fläche» scheint kritisch gesehen zu werden bzw. als nicht ausreichend bildlich. Letzteres kann jedoch fachlich als angemessene Sichtweise zum magnetischen Fluss gesehen werden. Generell kann der Artikel von Albe et al. sehr kritisch gesehen werden. Es wird beispielsweise nicht angegeben, was die bevorzugte Antwort auf die Frage nach einer möglichen Definition des magnetischen Flusses ist. Aus dem Textzusammenhang kann vermutet werden, dass es „The magnetic flux across a surface area is linked to the number of field lines that cross it.“ [ebd.] ist. Dies ist jedoch keine Definition, sondern lediglich eine sehr vage Analogie. Es wird beispielsweise nicht gesagt, in welcher Weise der Fluss mit der Anzahl der Flusslinien verbunden (linked) ist – dies könnte theoretisch neben linear auch quadra tisch oder reziprok sein. Weiterhin wird mehrmals im Text die Formel = B nds zur Berechnung des magnetischen Flusses angegeben. Der Kreis im Integrationszeichen besagt, dass über eine geschlossene Fläche integriert werden solle. Die Integration der Flussdichte · B = 0. Viele über eine geschlossene Fläche ergibt jedoch immer das Ergebnis null, da ∇ 16 Im Originaltext heißt es „physical definition“, was bei Erfmann mit „qualitative Definition“ über-
setzt wurde. Der übliche Gebrauch in der englischen Fachliteratur von Begriffen wie „physical definition“ und „physical image“ legt eher nahe, dass es um eine „bildliche“ Bedeutung geht und keine qualitative.
8.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
217
Tab. 8.1 Einige Schülervorstellungen und Lernschwierigkeiten zur Induktion Schülervorstellungen und Lernschwierigkeiten Es genügt, wenn die Fläche von einem Magnetfeld durchsetzt wird für Induktion (ohne Flussänderung). [8, 16] Jede Bewegung verursacht einen Induktionsstrom. [8] Es wird nur dann Strom induziert, wenn der Fluss direkten Kontakt mit den Spulenwindungen besitzt. [8, 28] Die Induktion ist stärker, wenn das Magnetfeld stärker ist oder der Fluss größer ist. [8, 27] Nur eine Änderung des Magnetfeldes induziert einen Strom (und nicht allgemein eine Flussänderung). [8] Die induzierte Stromstärke ist proportional zur Stärke des Stroms, der das Magnetfeld erzeugt. [28] Schwierigkeiten einer Erklärung der Induktion aufgrund der unsichtbaren Wechselwirkung über eine Entfernung hinweg. [13]
Multiple-Choice-Aufgaben enthalten entsprechende Mehrdeutigkeiten in den Antwortmöglichkeiten, was die Ergebnisse des Artikels entsprechend uneindeutig macht. Der Artikel erklärt das Fehlen einer bildlichen Definition zugunsten einer formalen mit der Vermutung, dass meistens nur eine mathematische Definition gelehrt würde. Dies lässt sich leicht, zumindest stichprobenartig, überprüfen – in den Lehrbüchern von Fließbach, Bergmann/Schaefer, Gerthsen und Jackson wird nur eine formale Definition gegeben, bei Griffiths, Demtröder, Tipler und Halliday wird außerdem eine Beschreibung mit der Anzahl der Feldlinien gegeben. Zusätzlich findet sich zumindest bei Bergmann/Schaefer und Halliday die Analogie eines physischen Flusses zur Unterstützung des Konzepts magnetischer Fluss. Es wird dabei nicht von etwas Materiellem gesprochen, das pro Zeit durch die Fläche fließt, es werden lediglich Analogien zwischen einem Strömungsfeld der Fluiddynamik und elektromagnetischen Vektorfeldern ausgenutzt. Ob eine Erwähnung dieser Analogien zu Fehlvorstellungen führt, wie sie bei Albe et al. festgestellt werden, ist dabei noch offen. Zumindest historisch scheinen diese Analogien grundlegend für die Beschreibung der Elektrodynamik mit Vektorfeldern zu sein, denkt man an die Terminologie wie Fluss und Flussdichte. Die Kenntnis dieser Analogien ist hilfreich für ein tieferes Verständnis der maxwellschen Theorie, jedoch nur dann, wenn man den modellhaften Charakter dieser Analogien nachvollzieht. Das Denken in Modellen ist ein zentrales Problem für Lernende [21], somit muss auch bei diesen Analogien darauf geachtet werden, dass sich keine Fehlvorstellungen ergeben. Thong und Gunstone [28] betrachten das Gleichsetzen von elektromotorischer Kraft17 und elektrostatischem Potential als Fehlvorstellung. Dies wirkt etwas pauschalisierend, da sich die elektromotorische Kraft zu einem Potentialunterschied so verhält wie die Kraft zu einer Gegenkraft in der Mechanik (für mehr Details siehe Abschnitte 3.2.5 und 8.2.6). Es 17 im Original Text sowohl „emf“ also auch „voltage drop“
218
8 Elektromagnetische Induktion
handelt sich dabei tatsächlich um die gleiche physikalische Größe in unterschiedlichen Systemen, wie bei Kraft und Gegenkraft. Die im Artikel von Thong und Gunstone angegebene fachliche Begründung dafür, weshalb es sich um eine Fehlvorstellung handele, bezieht sich lediglich auf eine Ausnahme, in der es kein elektrostatisches Potential gibt. Und zwar wird das Beispiel der Induktion in einer geschlossenen Leiterschleife mit konstantem Widerstand betrachtet. Dabei werden die beiden Integrale E ·dl = 0, gültig für ein Gradientenfeld, und E · dl = −d/dt, das Induktionsgesetz, sehr vereinfacht vermischt. Wie im Beispiel in Abschn. 8.2.6 dargestellt, widerspricht die Situation einer Induktion nicht einer Betrachtung mit einem Potential. Lediglich in diesem einen Fall – einer geschlossenen Leiterschleife mit homogenem (vernachlässigbarem) Widerstand – entsteht bei der Induktion in der Schleife keine Ladungsverteilung und damit kein Potentialfeld. Das elektrische Wirbelfeld der Induktion treibt einen Strom an, und der direkte Antagonist dieses Wirbelfeldes ist der Widerstand. In üblichen realen Situationen sind elektrische Geräte, in denen Induktion stattfindet (Spulen, Transformatoren, Generatoren,...) räumlich ausreichend von anderen Geräten getrennt, sodass sie sich zumindest näherungsweise wechselseitige nicht beeinflussen. Die einzige mögliche Ursache für elektrische Ströme durch diese Geräte ohne Induktion ist eine Potentialdifferenz zwischen den Zuleitungen.18 In dem Beispiel in Abschn. 8.2.6 könnte man die Enden der offenen Leiterschleife Zuleitungen hängen, die in einen Bereich ohne induziertes Feld führen, und sie mit einem Gerät verbinden. Man erkennt an der Literatur der Physik Didaktik/Science Education welche Schwierigkeiten das konzeptionelle Verständnis der Induktion macht. Der Grund hierfür könnte die oben diskutierte und kritisierte Darstellung in der fachlichen Literatur sein. „Die Vermittlung der Thematik Induktion ist aufgrund der fachspezifischen Charakteristika besonders schwierig.“, heißt es bei Erfmann [8]. Die Probleme könnten genauso gut in der fachspezifischen Darstellungsweise liegen und nicht in den fachspezifischen Charakteristika.
8.3.4
Lenzsche Regel
In den meisten Schulbüchern wird die lenzsche Regel besprochen. Selten findet man eine Begründung der lenzschen Regel durch die Energieerhaltung.19 Im Buch Impulse Physik heißt es beispielsweise vor der eigentlichen lenzschen Regel:
18 Erneut der Hinweis, dass es sich um eine Näherung mit niedrigen Frequenzen handelt, wie in einem elektrischen Energienetz üblich. In einem Netzwerk mit hochfrequenter Signalübertragung hat man ein weitaus komplexeres Zusammenspiel aus induzierten Feldern und elektrostatischen Potentialen. Dabei handelt es sich allerdings um Frequenzen im Kilo- und Megahertz-Bereich bei hochfrequenter Datenübertragung. 19 Unter den hier betrachteten Schul- und Lehrbüchern ist das nur in Kuhns Physik [4] und Impules Physik [10] der Fall.
8.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
219
Fließt in der Leiterschleife durch die induzierte Spannung ein Strom, so erzeugt dieser wiederum ein magnetisches Feld. Aufgrund der Energieerhaltung muss dieses so gerichtet sein, dass es seiner Entstehung entgegenwirkt. Der bewegte Leiter würde sonst ohne Energieaufwand immer schneller in das magnetische Feld gezogen werden. ([10], S. 229)
Bei Herrmann [18] wird beispielsweise sehr ausführlich, aber auch kritisch, die lenzsche Regel diskutiert. Die Notwendigkeit der Verwendung der lenzschen Regel an sich wird dabei in Frage gestellt, da sie historisch entwickelt wurde, als es das formale Induktionsgesetz noch nicht gab. Innerhalb des formalen Induktionsgesetzes repräsentiert die lenzsche Regel nicht mehr als das Minuszeichen, das nur ein Artefakt der Definition der Spannung ist. Weiterhin wird die Begründung dieses Minuszeichens mit dem Konzept der Energieerhaltung kritisiert, denn theoretisch ließen sich durch die Energieerhaltung die Vorzeichen in allen Gleichungen der Physik erklären. Die bloße und pauschale Erwähnung der Energieerhaltung kann in der Physik keine Begründung sein. In den Schulbüchern der Sekundarstufe I wird das Induktionsgesetz lediglich qualitativ und nicht formal besprochen, weshalb das Minuszeichen nicht genannt werden kann. Bezüglich der Spannung ist im Allgemeinen lediglich der Betrag von Bedeutung. Wichtig wird das Vorzeichen erst dann, wenn es um den als Folge der induzierten Spannung entstehenden Strom geht. Beim elektrischen Strom ist die Richtung durch seine magnetische Wirkung offensichtlich und essentiell. Die lenzsche Regel wird folglich als eine Elementarisierung dieses Teils des Induktionsgesetzes verwendet und erfüllt damit einen ähnlichen Zweck wie ursprünglich, als das Induktionsgesetz und die zugrundeliegende Maxwelltheorie noch nicht vollständig entwickelt waren. Das Vorgehen, um mit der lenzschen Regel den induzierten elektrischen Strom zu bestimmen, beinhaltet im Allgemeinen eine Näherung. Man nimmt manchmal ohne explizite Erwähnung an, dass die Induktivität der betrachteten Anordnung vernachlässigt werden kann L ≈ 0. Die elektrische Stromstärke wird nach der Formel Ui = R · I bestimmt und die magnetische Wirkung dieses Stroms ist der Flussänderung entgegen gerichtet. Andere Male, wenn es beispielsweise um die verzögernde Wirkung einer Spule geht, verwendet man nur die Eigeninduktivität der Spule und vernachlässigt ihren Widerstand. Beides erscheint plausibel, da jedes mal, sehr pauschal ausgedrückt, der Ursache entgegengewirkt wird. Wenn es aber um Themen geht, bei denen beide Fälle vorkommen können, wie bei Wechselstromkreisen oder dem thomsonschen Ringversuch, wird eine Klärung notwendig, und ein lapidares Beziehen auf die lenzsche Regel ist nicht mehr eindeutig. Dies wird im folgenden Kap. 9 noch genauer erörtert. Letztendlich kann man sagen, dass die lenzsche Regel eine Faustregel ist und als solche in der Schule sinnvoll, solange das formale Induktionsgesetz noch nicht bekannt ist oder es zu umständlich wäre, es zu verwenden. Es handelt sich bei der lenzschen Regel in der Schule lediglich um eine didaktische Reduktion für die Bestimmung der Richtung des induzierten Stroms. Eine Bezeichnung als Gesetz oder grundlegendes Prinzip wirkt übertrieben.
220
8 Elektromagnetische Induktion
Der Zusammenhang zwischen der lenzschen Regel und der Energieerhaltung hebt ihren Charakter als bloße Faustregel noch hervor. Wie bei Herrmann [18] diskutiert, kann die Energieerhaltung schlecht als Begründung für die lenzsche Regel herausgestellt werden, wenn man darunter nur das Minuszeichen im Induktionsgesetz versteht. Phänomenologisch kann die lenzsche Regel dagegen als eine Repräsentation der Energieerhaltung gesehen werden, und sie erfüllt hier den gleichen Zweck wie die Energieerhaltung in anderen Bereichen der Physik. Sind beispielsweise die detaillierten Vorgänge innerhalb eines Prozesses sehr kompliziert zu berechnen und von geringer Bedeutung, bietet das Konzept der Energieerhaltung eine einfache Möglichkeit, den Endzustand zu bestimmen. Man denke hier beispielsweise an Bewegungsabläufe in der Mechanik, die einfacher mit der Energieerhaltung zu berechnen sind als mit den Bewegungsgleichungen.
8.3.5
Rehabilitation der magnetischen Kraft
In Lehrplänen [26] und didaktischen Arbeiten [9] zeigt sich die Forderung, auf ein deduktives Herleiten des Induktionsgesetzes durch die magnetischen Kraft20 FM = q v × B auf Ladungsträger eines Leiters, der in einem Magnetfeld bewegt wird, zu verzichten. Die Gefahr sei, dass Schüler die Induktion dann in jeder Situation mit der Lorentzkraft erklären wollen und keinen Wechsel zu einem Verständnis der Induktionsspannung als beliebige Änderung der Flussdichte/Anzahl der Magnetfeldlinien vollziehen. Diese Auffassung und die didaktische Reduktion des Flusses als Anzahl magnetischer Feldlinien sollen hier keineswegs per se in Frage gestellt werden. Bedenkt man die mangelnde Kohärenz bei dem Thema Induktion in den physikalischen Lehrbüchern und einigen didaktischen Texten, besteht allerdings die Möglichkeit, dass es nicht die bloße Erwähnung der magnetischen Kraft ist, die Lernschwierigkeiten unterstützt, sondern die Art und Weise ihrer Darstellung. Aufbauend auf dem Vorgehen bei Griffiths zur Induktion wird hier ein möglicher Unterrichtsgang vorgeschlagen, der die magnetische Kraft an den Anfang stellt, diese jedoch nicht zur Deduktion der Induktion verwendet. Der Grundgedanke ist dabei, einen wissenschaftlichen Erkenntnisprozess ganz bewusst zu inszenieren und überstilisiert vorzuspielen. Das erste Experiment auf diesem Erkenntnisweg ist die Betrachtung einer Leiterschleife, die in einem ruhenden Magnetfeld bewegt wird, wie in Abb. 8.4a. Diesen Zweck könnte theoretisch der übliche Versuch mit der Leiterschaukel wie in Abb. 8.1a erfüllen, jedoch ist in dieser Versuchsgeometrie nur schwer die Änderung des Flusses zu erkennen. Die Erklärung der gemessenen Spannung durch die magnetische Kraft entlang des Leiterabschnitts greift nur auf bekannte physikalische Inhalte zurück und bietet die Möglichkeit, die externe Spannung im Gegensatz zur Spannung als Potentialdifferenz zu wiederholen. Die magnetische Kraft kann wie eine Batterie als Antrieb für den Strom dargestellt werden. Mit 20 Wie in Kap. 9 eingeführt, wird in diesem Buch der Begriff Lorentzkraft nur für die Summe aller
verwendet und nicht für dessen magnetischen elektromagnetischen Kräfte FL = q( E + v × B) Anteil.
8.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
221
der schon bekannten magnetischen Kraft kann also eine Spannung erzeugt werden.21 Um zu verhindern, dass Schüler im Weiteren die magnetische Kraft per se mit der Induktion gleichsetzen, sollten hier nicht die Begriffe Induktion oder Induktionsspannung verwendet werden, sondern ausschließlich der Begriff externe Spannung. In einem nächsten Schritt kann die Frage behandelt werden, was wäre, wenn man das Magnetfeld, also den Magneten, bewegt und die Leiterschleife und die Ladungen darin in Ruhe bleiben. Das entsprechende Experiment zeigt schließlich, dass genauso eine Spannung messbar ist. Es ist wichtig hier zu betonen, dass in dieser Situation keine magnetische Kraft wirken dürfte. Dass es sich lediglich um einen Bezugssystemwechsel handelt, kann diskutiert werden. Dieser löst jedoch den Widerspruch nicht auf, sondern hebt ihn womöglich noch hervor. Um eine mögliche Erklärung zu finden, kann entweder zusammen mit Schülern oder einfach als vorgegebene Vermutung angegeben werden, dass sich in beiden Fällen die Menge des Magnetfeldes – die Anzahl der Magnetfeldlinien – durch die Leiterschleife ändert. Zusammen mit weiteren Experimenten, in denen man die Leiterschleife oder den Magneten rotiert, kann die Vermutung bestärkt werden. Die ersten Experimente können als Hypothesen generierende Experimente besprochen und daran explizit das Aufstellen von überprüfbaren Hypothesen vorgeführt werden. Ein hypothesentestendes Experiment könnte dann einen Elektromagneten und eine Leiterschleife enthalten, die sich beide in Ruhe befinden. Je nach Anordnung scheint beim Ändern des Betrags des Magnetfeldes durch ein Ändern der Stromstärke eine Spannung an den Enden der Leiterschleife zu entstehen, bei bestimmten Anordnungen jedoch nicht. Das scheint davon abzuhängen, wie die Leiterschleife und das Magnetfeld zueinander orientiert sind. Das Experiment verläuft zwar erwartungskonform, jedoch fehlt noch eine erklärende Theorie. Eine Erklärung über eine Relativbewegung entfällt. Erst jetzt, wenn man alle Aspekte des Phänomens betrachtet hat und eine Beschreibung dazu hat, wird diese Beschreibung und Erklärung als Induktion und die Spannung als induzierte Spannung benannt. Die Aussage „Je schneller sich die Anzahl der Feldlinien durch die Querschnittsfläche einer Leiterschleife ändert, desto größer ist die Induktionsspannung.“ wird zum (qualitativen/bildlichen) Induktionsgesetz. Die Beschreibung der Induktion durch das Induktionsgesetz ist allerdings noch keine Erklärung, sondern es fasst die Beobachtungen nur zusammen. Mit Hinblick auf die Erkenntnisse von Girwidz und Storck [13], dass Schüler sehr leicht Fehlvorstellungen entwickeln, 21 Hierbei muss man darauf achten, sich nicht in Unstimmigkeiten zu verstricken. Oft wird bei der
Einführung der magnetischen Kraft erwähnt, dass mit ihr keine Arbeit verrichtet werden könne. In diesem Experiment und in jedem Generator wird jedoch mit der magnetischen Kraft Energie umgesetzt. Der Ausdruck, dass eine Kraft Arbeit verrichten kann, ist etwas heikel. Eine Kraft ist oft nur ein „Kanal“, um Energie von einem System in ein anderes zu bringen. So wird durch die Coulombkraft Energie vom elektrischen Feld in die Bewegung eines geladenen Körper transportiert, oder umgekehrt. Die magnetische Kraft beschreibt den Energietransport des mechanischen Systems der Leiterschleife, also seiner Bewegung, in das elektrische System, und umgekehrt. Das Magnetfeld hat dabei, vereinfacht ausgedrückt, die Funktion eines Vermittlers, und die Energie stammt nicht aus dem Magnetfeld.
222
8 Elektromagnetische Induktion
wenn die Induktion als Fernwirkung ohne Erklärung bleibt, scheint es sinnvoll, wie bei Erfmann [8], die induzierte Feldstärke mit einzuführen, was bisher kaum in Schulbüchern geschieht. Die induzierte Feldstärke müsste dann jedoch unterschieden werden von einer elektrischen Feldstärke einer möglichen Ladungsverteilung in der Leiterschleife. Das induzierte elektrische Feld führt zu einer externen Spannung und beschreibt, wie das Magnetfeld Energie an die Leiterschleife transportiert. Eine weitere Diskussion des induzierten Feldes innerhalb der Leiterschleife und seines Zusammenhangs mit einem elektrostatischen Potential ist zu erwägen, ist aber eventuell erst in der Sekundarstufe II sinnvoll. Dieses Vorgehen ist lediglich ein Vorschlag für einen Unterricht, der etwas anders auf bekannte Lernschwierigkeiten eingeht, eine Diskussion der Bedeutung des Konzepts Spannung erlaubt und im Rahmen eines Unterrichts zu nature of science durchgeführt werden könnte, falls den Experimenten eine ganz bestimmte didaktische Funktion zugewiesen wird.
8.4
Zusammenfassung
Schule • Didaktische und fachliche Vorgaben der Lehrpläne sind sehr unterschiedlich, die Ausführungen in den Schulbüchern sind dagegen sehr ähnlich. • Mit Experimenten werden die drei Möglichkeiten gezeigt eine Induktionsspannung zu erzeugen – Bewegung/Drehen eines Magneten relativ zu einer Leiterschleife, Bewegung/Drehen der Leiterschleife relativ zu einem Magneten und zeitliche Änderung des Magnetfeldes mit einem Elektromagneten bei ruhenden Körpern. • Der magnetische Fluss wird durch die Anzahl der Feldlinien durch eine Leiterschleife konzeptualisiert, dementsprechend die Flussänderung, die zu einer Induktionsspannung in der Leiterschleife führt, als Änderung der Anzahl an Feldlinien. • Das Verhalten eines induzierten elektrischen Stroms, vor allem seine Richtung, wird durch die lenzsche Regel angegeben. Gezeigt wird dies an Experimenten mit sogenannten Wirbelströmen. Hochschule: • Das Vorgehen in Lehrbüchern kann sich stark voneinander unterscheiden. • Experimente werden teilweise sehr reduziert und nicht mit allen Phänomenen der Induktion dargestellt. • Es fehlt häufig eine saubere Abgrenzung der Induktionsspannung von der Spannung als Potentialdifferenz oder sie fehlt vollständig. Im englischsprachigen Raum, in
Literatur
223
dem die Induktionsspannung direkt als elektromotorische Kraft bezeichnet wird, findet eine deutliche Abgrenzung statt. • Eine elektromotorische Kraft ist eine Spannung, die von einem anderen System auf das System Stromkreis wirkt. Eine Potentialdifferenz kann eine Gegenreaktion davon sein. Im Falle der Induktion in einem Stromkreis ist das zusätzliche System das sich ändernde Magnetfeld oder das mechanische System aus Stromkreis und Magnet. Vergleich: • Die Induktion in der Sekundarstufe I ist sehr stark in das Thema zum Energietransport in elektrischen Systemen eingebettet, weshalb sich die Strukturierung meist auffallend von der in Lehrbüchern unterscheidet. Die Wiedergabe in der Sekundarstufe II orientiert sich sehr an Experimentalphysikbüchern und Kompendien. • Für das Thema Induktion ist ein profundes konzeptionelles Verständnis der Begriffe Spannung, Potentialdifferenz und elektromotorische Kraft/externe Spannung sinnvoll und wichtig. So wie eine mechanische Wechselwirkung zweier Systeme durch Kraft und Gegenkraft beschrieben wird, kann in der Elektrodynamik von Spannung und Gegenspannung – externe Spannung und Potentialdifferenz – gesprochen werden. • Die lenzsche Regel hat in der Physik allgemein nur eine geringe Bedeutung, da sie lediglich das Vorzeichen in der Formel des Induktionsgesetzes regelt. Nur solange diese Formel nicht verwendet wird, wie in der Sekundarstufe I, erfüllt sie ihren ursprünglichen Zweck. • Das Anliegen der Didaktik, eine Deduktion der Induktion aus der magnetischen Kraft zu vermeiden, ist nachvollziehbar und scheint von den Schulbüchern umgesetzt zu werden. Es gibt jedoch Möglichkeiten, das Thema Induktion mit der magnetischen Kraft zu beginnen, wenn man ihr eine andere Funktion als die Deduktion zuweist. Beispielsweise könnte der Vergleich von Situationen mit magnetischer Kraft und solchen ohne einen kognitiven Konflikt auslösen.
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224
8 Elektromagnetische Induktion
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Literatur
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9
Anwendungen der Induktion
Inhaltsverzeichnis 9.1
Der Transformator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Übersicht zum Transformator in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Differentialgleichungen zum Transformator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.3 Spannungstransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.4 Stromtransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.5 Energietransport durch den Transformator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.6 Elementarisierungen des Transformators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Thomsonscher Ringversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Versuchsaufbau und Versuchsablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Erklärungen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Erklärung mit Hochschulphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.4 Mögliche Elementarisierung des thomsonschen Ringversuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Es gibt sehr viele Beispiele in der Technik und dem Alltag, in denen die Induktion eine zentrale Rolle spielt. Diese finden sich auch in den meisten Schulbüchern wieder. • • • •
Generator Selbstinduktion und Induktivität von Spulen Wechselspannung/-strom Transformator
In diesem Kapitel werden nicht alle diese Anwendungen besprochen, es werden lediglich der Transformator und der damit eng verbundene thomsonsche Ringversuch ausführlich fachlich beschrieben und diskutiert. Besondere Wichtigkeit hat der Ursprung der Formeln zu Stromstärke und Spannung für den Transformator aus Schulbüchern und welche Näherungen dabei gemacht werden. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4_9
227
228
9 Anwendungen der Induktion
9.1
Der Transformator
9.1.1
Übersicht zum Transformator in der Schule
In den meisten Lehrplänen [13, 15, 16, 18–20, 22–24] wird der Transformator erwähnt und in noch mehr Schulbüchern besprochen. Folgende Übersicht gibt am Beispiel des Schulbuches Fokus Physik 9 ([10], S. 43 ff) wieder, was zum Transformator besprochen wird: • • • •
U1 N1 = N (textuell) Unbelastet: U 2 2 Belastet: N1 I1 = N2 I2 (textuell) Ideal: U1 I1 = P1 = P2 = U2 I2 Verluste: – Wirbelströme im Eisenkern – Ummagnetisierung im Eisen – Aufheizen der Spulendrähte – Magnetische Streufelder
9.1.2
Differentialgleichungen zum Transformator
Die fachphysikalische Grundlage der Berechnung des zeitlichen Verlaufs von Stromstärke und Spannung in Primär- und Sekundarkreis sind Bilanzgleichungen der Spannungen in den beiden Kreisen. Abb. 9.1 zeigt dazu eine Schaltskizze zu einem Transformator mit Primär- und Sekundärkreis und allen wichtigen Größen. Zu Beachten: U1 (t) = U0 sin(ωt) ist die durch eine Spannungsquelle vorgegebene Spannung und zeitabhängig U1 (t). Die Spannung U2 ist auch zeitabhängig, also U2 (t), und ist die Spannung, die am Widerstand R2 im Sekundärkreis abfällt. Die hier vorgestellten Herleitungen sind angelehnt an die Gleichungen aus Gerthsen ([17], S. 433).
R1
N1
N2 R2
U1 I1
L1 L12 L2
U2
I2
Abb.9.1 Schaltbild eines Transformators mit Primär- und Sekundärseite und allen wichtigen Größen in den Kreisen
9.1
Der Transformator
229
In Abb. 9.1 sieht man, dass es neben den bekannten Größen in den einzelnen Stromkreisen – Spannung U , Widerstand R, Stromstärke I , Eigeninduktivität L und Windungszahl N – auch eine neue Größe gibt, die Gegeninduktivität1 L 12 . Sie gibt an, wie viel magnetischer Fluss in der einen Spule durch den Strom der anderen erzeugt wird, N2 2 = L 12 · I1 . Es soll im Folgenden gelten, dass sich die Spulen gleich stark beeinflussen, also L 12 = L 21 . Unabhängig von den Spulengeometrien gilt L ∝ N 2 und L 12 ∝ N1 · N2 . Die gekoppelten Differentialgleichungen eines Transformators2 sind dann die Bilanzen der Spannungen in Primär- und Sekundarkreis: ˙ gegen
˙ eigen
UR U1 (t) − L 12 I˙2 = I1 R1 + L 1 I˙1 −L 12 I˙1 = I2 R2 + L 2 I˙2
(9.1a) (9.1b)
Die erste Differentialgleichung ist die Spannungsbilanz für den Primärkreis, die zweite ist diejenige für den Sekundarkreis. Auf der linken Seite stehen Spannungen mit externen Ursachen, wie die angelegte Wechselspannung oder die Flussänderung durch den jeweils ˙ gegen . Auf der rechten Seite stehen die Spannungen mit ihren internen anderen Stromkreis Ursachen – dem ohmschen Widerstand und der Selbstinduktion der Spulen. Im Falle eines Transformators sind die Eigen- und Gegeninduktivitäten eng verknüpft, sodass (je nach Spulengeometrie und zumindest näherungsweise) gilt L 12 /L 1 = N2 /N1 . Da der ohmsche Widerstand R1 im Primärkreis im Allgemeinen sehr klein im Verhältnis zum Wechselstromwiderstand der Spule R1 ωL 1 ist, wird der Term I1 R1 im Folgenden grundsätzlich vernachlässigt.
9.1.3
Spannungstransformation
Der erste Extremfall lässt eine Aussage zur Transformation der Spannung zu, falls ein sehr großer Widerstand im Sekundärkreis oder offene Kontakte an der Spule3 , R2 ωL 2 , einen elektrischen Strom verhindern. Bei der gesuchten (endlichen) Spannung U2 = I2 R2 ist R2 beliebig groß und damit I2 beliebig klein, somit fallen alle Terme mit L 2 I˙2 ∝ ωL 2 aus den Gleichungen: U1 (t) = L 1 I˙1 −L 12 I˙1 = I2 R2 = U2 (t)
(9.2) (9.3)
1 Als Formelzeichen für die Gegeninduktivität wird auch häufig M verwendet. 2 Sie werden im Folgenden Transformatorgleichungen genannt. 3 Traditionell spricht man hier von „belastet“ und „unbelastet“. Diese Bezeichnungen sind etwas
irreführend, da man diese Ausdrücke mit der möglichen Übertragung von Energie in Verbindung bringt, jedoch in beiden Fällen im Mittel keine Energie übertragen wird.
230
9 Anwendungen der Induktion
Der Primärkreis ist dann identisch mit einem Stromkreis aus einer Spule mit Eisenkern. In Abb. 9.2 sind die zugehörigen zeitlichen Verläufe für die Spannung U1 (t) = U0 sin(ωt) und den Strom I1 (t) = I0 sin(ωt + π/2) = I0 cos(ωt) skizziert, die um 90◦ zueinander phasenverschobenen sind. Löst man die beiden Gleichungen auf I˙1 auf und setzt sie gleich, erhält man den bekannten Ausdruck (−)
U2 U1 L1 N1 U1 = → (−) = = . L1 L 12 U2 L 12 N2
(9.4)
Dabei wurde das Minuszeichen aus der zweiten Differentialgleichung in Klammern gesetzt, da es nur eine Verschiebung von U1 zu U2 um 180◦ bewirkt und man hier lediglich an den Amplituden interessiert ist. Für eine zu den Transformatorgleichungen alternative Lösung kann man davon ausgehen, dass der Primärkreis wie eine einfache Spule mit Spannungsversorgung zu behandeln ist, ˙ 1 (t). und nutzt die zum Induktionsgesetz naheliegendere Formel U1 (t) = L 1 I˙1 = N1 Nimmt man an, dass die Flussänderung vollständig auf die zweite Spule übertragen wird ˙ 2 = , ˙ gilt U1 = ˙ = U2 , und durch Umformen ergibt sich der gewünschte ˙1 = N1 N2 Zusammenhang. Die Annahme eines stromlosen Sekundärkreises erscheint bei offenen Kontakten kaum wie eine Näherung – der Stromkreis ist nicht geschlossen. Man übersieht dabei leicht die speziellen Eigenschaften von Wechselstrom. Für Wechselstrom stellt auch ein Kondensator eine Verbindung dar, deren Güte von der Frequenz des Wechselstroms und der Kapazität des Kondensators abhängt. Und genau darin liegt die Näherung – die offenen Kontakte stellen einen Kondensator mit sehr geringer Kapazität dar, der erst bei sehr hohen Frequenzen einem Kurzschluss gleichkäme. Die Annahme – es fließt kein Wechselstrom im Sekundärkreis – ist also tatsächlich auch bei offenen Kontakten nur eine (sinnvolle) Näherung.
U 1 I1
t
Abb. 9.2 Der Spannungs- und Stromverlauf in der Primärseite des Transformators mit sehr großem Widerstand in der Sekundärseite entspricht dem einer Spule mit Eisenkern – Stromstärke und Spannung sind um 90◦ phasenverschoben
9.1
Der Transformator
9.1.4
231
Stromtransformation
Im zweiten Extremfall macht man Aussagen zur Transformation der Stromstärken, falls der Sekundarkreis einen vernachlässigbar kleinen ohmschen Widerstand besitzt, R2 ωL 2 , man spricht dabei von einem Kurzschluss. Ohne Widerstand gibt es nichts, an dem eine Spannung in der Sekundärseite abfallen könnte, und es kann nur die Stromstärke betrachtet werden. Mit R2 ωL 2 kann in den Transformatorgleichungen I2 R2 ≈ 0 gesetzt werden: U1 (t) − L 12 I˙2 = L 1 I˙1 −L 12 I˙1 = L 2 I˙2
(9.5a) (9.5b)
Die zweite Gleichung genügt, um eine Aussage zum Verhältnis der Stromstärken zu treffen. Der Lösungsansatz für eine Wechselstromstärke ist eine Sinus- oder Kosinus-Funktion, I0 sin ωt, und aus ihrer Ableitung ergibt sich lediglich der Vorfaktor ω sowohl auf der Primärseite als auch auf der Sekundarseite:4 (−)L 12 I˙1 = L 2 I˙2 → (−)ωL 12 I1 = ωL 2 I2 L2 N2 (−)L 12 I1 = L 2 I2 → (−)I1 = I2 = I2 L 12 N1 (−)N1 I1 = N2 I2
(9.6)
Wie oben kann auch hier das Minuszeichen vernachlässigt werden, wenn man nur an den Amplituden (oder Effektivwerten) interessiert ist, und man erhält die Formel für die Stromtransformation. Die alternative Berechnung dieser Gleichung ist ein „Trick“ ganz ohne Differentialgleichungen oder Induktion. Da hier die Stromstärken von Interesse sind und die Frequenzen bei einem üblichen Transformator nicht besonders hoch sind, kann das amperesche Gesetz verwendet werden. Dafür betrachtet man eine Fläche A im Transformator, dessen Rand ∂ A vollkommen im Eisenkern verläuft, durch die jeweils einmal der gesamte Strom beider Spulen fließt (siehe Abb. 9.3). Das amperesche Gesetz lautet dabei jd A. H d r= (9.7) ∂A
A
Die linke Seite davon ist null, da H ≈ 0 innerhalb des Eisenkerns ist (siehe Faustregeln in Abschn. 6.2.3). Die rechte Seite ist der Nettostrom durch die Fläche A, also Igesamt = N1 |I1 | − N2 |I2 |. Das Gleichsetzen der beiden Seiten ergibt N1 |I1 | − N2 |I2 | = 0 → N1 |I1 | = N2 |I2 |.
(9.8)
4 Der allgemeine Lösungsansatz wäre eine komplexwertige e-Funktion, I eiωt , mit dem Vorfaktor 0 iω in den Ableitungen.
232
9 Anwendungen der Induktion
Abb. 9.3 Schaltskizze eines Transformators ohne Widerstände. Integrationsweg ∂ A und -fläche A zur Berechnung der Stromverhältnisse N1 I1 = N2 I2 sind markiert
Auch wenn die Primär- und die Sekundärseite natürlich durch die Induktion gekoppelt sind, ist die Berechnung der Ströme einfacher mit dem ampereschen Gesetz. Es handelt sich also lediglich um eine Rechenhilfe, nicht unbedingt um eine physikalische Ursache.
9.1.5
Energietransport durch den Transformator
Zum Energietransport in einem Transformator muss zunächst etwas betont werden, was häufig übersehen wird: In beiden oben beschriebenen Extremfällen wird keine Energie von der Primärseite auf die Sekundärseite übertragen. Bei der Spannungstransformation ist der Sekundärkreis näherungsweise nicht geschlossen, die Stromstärke I2 ist null, und der Sekundärkreis nimmt deshalb generell keine Energie auf. Bei der Stromtransformation existiert zwar ein Strom im Sekundärkreis und das Magnetfeld der sekundären Spule nimmt Energie kurzzeitig auf, da jedoch kein ohmscher Widerstand und auch kein anderes Bauteil vorhanden ist, das Energie abnehmen würde, wird alle Energie wieder an den Primärkreis zurückgegeben, und die mittlere Energieübertragung ist null. Herleitungen, bei denen aus der Formel der Spannungstransformation durch die Erhaltung der übertragenen Energie die Formel für die Stromtransformation bestimmt werden, sind nicht nur näherungsweise, sondern konzeptionell falsch. Die hier angegebenen Spannungen U1 , U2 und Stromstärken I1 , I2 sind durchweg Funktionen der Zeit. Die berechneten Formeln gelten zu jedem Zeitpunkt und nicht nur für die Effektivwerte, da in den Spezialfällen die Phasenverschiebung zwischen Primär- und Sekundärkreis genau 180◦ beträgt. Bei endlichen Widerständen R2 stellt sich eine andere Phasenverschiebung ein, die solche Formeln nicht mehr möglich macht.5 Neben dem Phasenunterschied zwischen den gleichen Größen in den beiden Kreisen, gibt es auch einen Phasenunterschied zwischen Spannung und Stromstärke in den einzelnen Kreisen. Das muss beispielsweise bei der Energieaufnahme und -abgabe in der Formel für die Wirkleistung P = Ue f f Ie f f cos ϕ berücksichtigt werden. In den oben besprochenen 5 Ist die Phasenverschiebung nicht 0 oder 180◦ , so fallen auch die Nullstellen des zeitlichen
Spannungs- und Stromstärkeverlaufs der beiden Stromkreise nicht mehr zusammen, sodass offensichtlich wird, weshalb die genäherten Formeln nicht mehr gelten können.
9.1
Der Transformator
233
Extremfällen ist der Phasenunterschied gerade ±90◦ und auch wenn keine der beiden Größen Stromstärke und Spannung verschwinden würde, würde die mittlere übertragene Energie verschwinden (siehe beispielsweise Abb. 9.2). Ist man an der Energieübertragung eines Transformators interessiert, so bietet sich ein dritter Spezialfall zur Betrachtung an. Am eigentlichen Arbeitspunkt eines üblichen Transformators, also bei einem bestimmten endlichen ohmschen Widerstand R2 , ist der Phasenunterschied zwischen Strom und Spannung in den einzelnen Kreisen sehr gering. Es kann zumindest als Näherung die für die Schule übliche Formel P = Ue f f Ie f f verwendet werden. In diesem Fall sind jedoch die Näherungen aus den anderen beiden Spezialfällen gleich schlecht. Die Formeln der Strom- und Spannungstransformation trotzdem im Zusammenhang mit der Wirkleistung P = Ue f f Ie f f zu verwenden, kann nur unter sehr pragmatischen Gründen gerechtfertigt werden, beispielsweise da eine exakte Lösung der Transformatorgleichungen sehr schwierig zu bestimmen wäre. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass man dann nicht nur Näherungen verwendet, sondern diese Näherungen eigentlich auch nicht zu dem Anwendungsfall passen. Diese scheinbaren Zusammenhänge innerhalb einer Herleitung zu verwenden, ist falsch.
9.1.6
Elementarisierungen des Transformators
Bevor einige Überlegungen zu einer möglichen Elementarisierung diskutiert werden, soll ein kurzer Blick auf die bisher in diesem Kapitel nicht beachteten Lehrpläne und Schulbücher geworfen werden. Die Variation in den Lehrplänen ist sehr groß. So wird manchmal nur verlangt, Motor, Generator und Transformator jeweils als Black Box anhand des Energietransportes zu besprechen [21]. Oder es wird Wert darauf gelegt, dass zumindest der sogenannte „unbelastete“ Transformator,6 also die Spannungstransformation, zusammen mit den Idealisierungen besprochen wird [13]. Vereinzelt soll am idealen Transformator die Transformation der Spannung und der Stromstärke abhängig vom Verhältnis der Windungszahlen besprochen und damit die übertragene Leistung berechnet werden [20]. Wie oben schon erwähnt, kann dies nur unter sehr pragmatischen Gesichtspunkten erfolgen. Die Tatsache, dass es sich dabei nicht um eine angemessene sondern nur um eine pragmatische Näherung handelt, muss deutlich werden. Weit gefächert ist die Darstellung von Transformatoren auch in den Schulbüchern. In Impulse Physik NRW [9] findet sich beispielsweise lediglich eine qualitative Beschreibung der Spannungstransformation, und der Fokus liegt auf dem Energietransport eines Transformators. Bei Physik Plus 9/10 [7] werden die Gleichungen aus Messungen abgeleitet und die unterschiedlichen Fälle, in denen die jeweiligen Formeln gelten, kurz beschrieben. In einigen Schulbüchern (beispielsweise [2–4]) wird jedoch die Formel für die Stromtransfor6 Wie oben schon erwähnt, ist der Ausdruck „unbelastet“ hier etwas irreführend, da auch der „belas-
tete“ Transformator im Mittel keine Energie überträgt.
234
9 Anwendungen der Induktion
mation aus der empirisch bestimmten Formel für die Spannungstransformation mithilfe des Prinzips der Energieerhaltung „hergeleitet“. Die einzige Näherung, auf die dabei explizit aufmerksam gemacht wird, ist die Annahme einer idealen Energieübertragung im Transformator. Im Hinblick auf die besprochenen fachlichen Schwierigkeiten zum Transformator und dem, was für die Schule in Lehrplänen und Schulbüchern als wichtig erachtet wird, ist Folgendes eine mögliche Elementarisierung. Eine erste allgemeine, rein phänomenologische Beschreibung des Transformators ist eine Art Black Box, die Energie durch Induktion überträgt und dabei Stromstärke und Spannung ändert. Ein naheliegender erster Schritt zur Ausdifferenzierung der Funktionsweise eines Transformators ist die Beschreibung der Spannungstransformation – des offenen Sekundärkreises. Diese Beschreibung kann in der Sekundarstufe I, wie in den Schulbüchern vorgeschlagen, empirisch durch Versuche erfolgen, in der Sekundarstufe II auch durch eine Herleitung. Neben der Formel kann zusätzlich konzeptuell erklärt werden, wie der Wechselstrom des Primärkreises ein wechselndes Magnetfeld im Eisenkern und der Spule des Sekundärkreises erzeugt, was zur Induktion einer Spannung führt. Gleichzeitig muss keine komplexe Rückwirkung des Sekundärkreises auf den Primärkreis betrachtet werden, da im Sekundärkreis keine Stromstärke vorhanden ist. Die Spannung an den offenen Enden des Sekundärkreises ist eine externe Spannung und kann damit in Analogie zu der Spannung einer Batterie gesetzt werden, mit dem Unterschied von Gleichstrom gegenüber Wechselstrom. Näherungen: kein Wechselstrom im Sekundärkreis und damit keine Energieübertragung P = U I = 0. Der nächste Elementarisierungsschritt sei die Beschreibung der Stromtransformation. Der formale Zusammenhang kann weder in Sekundarstufe I noch in Sekundarstufe II hergeleitet werden, sondern nur über Versuche gezeigt werden. Neben der bloßen Formel der Transformation von elektrischem Strom kann hier das wechselwirkende Verhältnis von Primär- und Sekundärkreis an einem möglichst einfachen Fall behandelt werden. Im Sekundärkreis existiert ein Wechselstrom, der in der Spule zu einem wechselnden Magnetfeld führen muss und damit zu einem sich ändernden magnetischen Fluss in der Spule des Primärkreises. In der Sekundarstufe II könnte hier die Phasenverschiebung von Stromstärke und Spannung angesprochen werden. Näherungen: kein ohmscher Widerstand, an dem Spannung vorhanden sein könnte, und damit auch keine Energieübertragung P = U I = 0. Diese Näherung ist im Experiment nicht perfekt umzusetzen, da bei den oft sehr großen Stromstärken der Widerstand der Leitungen im Sekundärkreis nur schlecht vernachlässigbar ist. Damit lässt sich die Fehlbezeichnung „belasteter“ Fall erklären, die auf Energieübertragung hindeutet. In einem letzten Schritt kann erneut die Energieübertragung im Transformator quantitativer betrachtet werden. Ist im Sekundärkreis ein ohmscher Widerstand vorhanden, bzw. ein beliebiges Bauteil, das Energie abführen kann, so führt die Induktion zu einer Spannung an diesem Bauteil. Es handelt sich dabei um das gleiche Prinzip wie bei der Spannungstransformation, auch wenn die Formel nicht mehr genau stimmt. Eine Analogie zu dieser Abweichung ist der Innenwiderstand einer Batterie. Die Spannung an dem Widerstand führt
9.2 Thomsonscher Ringversuch
235
zu einem Strom. Dieser hat den gleichen prinzipiellen Effekt auf den Primärkreis wie bei der Stromtransformation beschrieben, auch wenn die Formel nicht mehr genau stimmt. Es wird Energie übertragen, näherungsweise P ≈ U I , mit Spannung und Stromstärke bestimmt aus Spannungs- und Stromtransformation. Der Grund, weshalb diese Formel nicht genau stimmt, ist dabei zunächst nicht eine mangelnde Energieübertragung. Die Einschränkungen ergeben sich daraus, dass in diesem Fall weder die Vorgaben für Spannungs- oder Stromtransformation erfüllt sind, noch Stromstärke und Spannung genau in Phase sind. Die Phasenverschiebung kann bestenfalls in der Sekundarstufe II behandelt werden. Die Tatsache, dass die Gleichungen für Spannungs- und Stromtransformation nicht genau gelten, und dies nicht an nicht-idealer Energieübertragung liegt, muss auch schon in der Sekundarstufe I behandelt werden, vorausgesetzt man möchte die Energieübertragung quantitativ anbringen und dabei auf die Formeln der Transformation zurückgreifen. Diese Elementarisierung zum Transformator ist lediglich ein Vorschlag, dem die folgenden Überlegungen zugrunde liegen. Der Vorschlag stellt ein Ideal dar, wie ausführlich und tiefgehend man den Transformator in der Schule behandeln könnte, wenn man zeitlich die Gelegenheit dazu hat. Die Gliederung der Elementarisierung wurde so gewählt, dass am Anfang eine phänomenologische Funktionsbeschreibung ohne jegliche Formeln steht. Jeder weitere Schritt ist eine Ergänzung, zuvor Gelerntes muss nicht verworfen werden. Das Ende stellt nicht nur eine quantitative Beschreibung dar, sondern vielmehr die Behandlung der sehr komplexen Hintergründe der Näherungen und Einschränkungen, die zu dieser quantitativen Beschreibung führen. Die Formeln sollen erst erwähnt werden, wenn man auch ihre Vorläufigkeit und das Faustregelhafte nachvollziehen kann.
9.2
Thomsonscher Ringversuch
9.2.1
Versuchsaufbau und Versuchsablauf
Es gibt zwei Versionen des thomsonschen Ringversuchs. In Schul- und Lehrbüchern wird jeweils eine der beiden Versionen als der thomsonsche Ringversuch vorgestellt, ohne auf die verschiedenen Versionen einzugehen. Die beiden Versionen unterscheiden sich in ihren Effekten und der Komplexität einer möglichen Erklärung. In einer Version des Versuchs wird Gleichstrom an- und ausgeschaltet, hier Gleichstromfall genannt, in der anderen wird Wechselstrom verwendet, hier der Wechselstromfall. Beiden Versionen ist eine Spule gemeinsam, deren Eisenkern auf einer Seite um ein bis zwei Spulenlängen herausragt. Auf dem verlängerten Stück des Eisenkerns steckt ein leitender Metallring, dessen Material nicht ferromagnetisch ist (meistens Aluminium oder Kupfer). In Abb. 9.4 ist dies in einer vertikalen Anordnung dargestellt. Backhaus und Berger setzen sich in [25], S. 116 mit dem thomsonschen Ringversuch auseinander und diskutieren die fachliche Angemessenheit einer bestimmten Elementarisierung. Die folgenden Abschnitte bieten einen etwas anderen, gleichwertigen Zugang zu diesem Thema, ohne dem Artikel von Backhaus und Berger zu widersprechen.
236 Abb. 9.4 Skizze des thomsonschen Ringversuchs. Magnetfeldlinien (blau) sind nur für den relevanten Raumbereich skizziert. Rote und Grüne Linien an den Rändern des Eisenkerns (hellgrau) repräsentieren die magnetische Polverteilung. Der Aluminiumring ist dunkelgrau dargestellt
9 Anwendungen der Induktion
I
Gleichstromfall Im Gleichstromfall wird die Anordnung in Abb. 9.4 horizontal ausgerichtet, der Metallring ist frei und leicht beweglich aufgehängt. Häufig wird der Gleichstromfall an einer Spule mit kurzem Eisenkern vorgeführt, wobei der Metallring ein kleines Stück vom Ende des Eisenkerns entfernt ist. An die Spule sind ein Netzgerät mit konstanter Spannung und ein Schalter angeschlossen, sodass ein möglichst starker Strom durch die Spule geführt werden kann. Schließt man den Stromkreis, so erfährt der Metallring einen Kraftstoß von der Spule weg, er wird ausgelenkt und bewegt sich scheinbar etwas träge wieder in seine Ausgangslage zurück. Wird der Strom ausgeschaltet, so wird der Ring in die andere Richtung, also zur Spule hin, gezogen und bewegt sich erneut etwas träge in seine Ausgangslage zurück. Die Stromrichtung in der Spule ist nicht von Bedeutung. Die Kraftstöße sind vergleichsweise schwach.
Wechselstromfall Im Wechselstromfall ist die Anordnung vertikal, wie in Abb. 9.4 dargestellt, und an die Spule ist eine Netzgerät für Wechselstrom angeschlossen, für gewöhnlich 50 Hz 230 V Netzspannung. Dies geschieht durch einen Trenntransformator, der entweder einfach an- und ausgeschaltet werden kann oder auch über eine Regelung der Spannungsamplitude verfügt. In der Ausgangssituation liegt der Metallring auf der Spule auf. Wird der Stromkreis bei maximaler Spannungsamplitude geschlossen, so wird der Metallring kräftig nach oben beschleunigt und kann je nach Widerstand und Masse des Metallrings eine Höhe von ein bis zwei Metern erreichen. Wird die Spannungsamplitude dagegen langsam hochgefahren, kann man den Metallring auf einer bestimmten Höhe auf dem Eisenkern schweben lassen. Dieser Versuch wird beispielsweise als Show-Versuch beim Einstieg in das Themengebiet der Induktion verwendet und darin auch erklärt.
9.2 Thomsonscher Ringversuch
9.2.2
237
Erklärungen in Schulbüchern
Häufige wird das Verhalten im Gleichstromfall über die lenzsche Regel bzw. den Strom durch die Induktionsspannung im Metallring und seinen ohmschen Widerstand erklärt. Beim Einschalten des Spulenstroms werde ein Strom durch Induktion im Ring erzeugt, der so gerichtet ist, dass das entstehende Magnetfeld des Rings dem der Spule entgegengerichtet ist. Eisenkern der Spule und Ring hätten somit zugewandte gleichnamige Pole, die sich abstoßen. Beim Ausschalten geschieht gerade das Gegenteil [10]. Dies scheint plausibel, jedoch ist die Erklärung anhand der Pole schwieriger nachzuvollziehen, wenn sich der Ring nicht vor, sondern auf dem Eisenkern befindet.7 Der thomsonsche Ringversuch wird nur in sehr wenigen der hier betrachteten Schulbücher angesprochen und erklärt [4–6, 8, 10]. Dabei handelt es sich in erster Linie um den Gleichstromfall mit zugehöriger Erklärung. Der Wechselstromfall wird in zwei Schulbüchern nur in Aufgaben erwähnt [4, 10] und soll dabei von Schülern beschrieben und erklärt werden. Es wird keine Erklärung im Schulbuch gegeben. Eine schulnahe Erklärung findet sich in der vorgeschlagenen Lösung zu einer Prüfungsaufgabe zur Erlangung der mittleren Reife in Bayern ([1] B2), die den thomsonschen Ring im Wechselstromfall behandelt. Die Lösung enthält eine Erklärung, die identisch zur Erklärung des Gleichstromfalls ist.
9.2.3
Erklärung mit Hochschulphysik
Gleichstromfall Die fachlichen Erklärungen für den Gleichstromfall kann man entsprechend der jeweiligen Versuchsgeometrie aufteilen. Man hat einmal die Geometrie eines Elektromagneten ohne weit überstehenden Eisenkern und der Aluminiumring befindet sich vor dem Ende des Eisenkerns. Hier kann man der schulischen Erklärung nur wenig hinzufügen. Beim Einschalten des Elektromagneten baut sich vor allem an dessen Enden ein Magnetfeld auf, das auch den Aluminiumring durchdringt, wodurch der magnetische Fluss durch den Ring stark ˙ s /R im Ring induziert. geändert wird. Es wird ein elektrischer Strom Ir = Ui /R = − Die Indizes bezeichnen Größen im Ring (r ) und in der Spule (s). Die Richtung des Stroms und die Orientierung des damit verbundenen Magnetfeldes lassen sich leicht anhand der Faustregel nach Lenz ableiten. In der schulischen Erklärung wird mit den fiktiven Polen des Feldes des Rings argumentiert, weshalb es zu einer Abstoßung kommt. Fachlich würde man weniger von Polen des Rings sprechen, sondern von dem Dipolfeld des Eisenrings im Feld des Elektromagneten. Das Dipolmoment m ring steht dem Magnetfeld des Elektromagneten m ring · Hem ) entgegen des FeldgraHem entgegen, und der Ring erfährt eine Kraft F = −∇( 7 Ganz allgemein kann es kritisch gesehen werden, dass man einer Spule oder Leiterschleife ohne magnetisiertes Material Pole zuordnet. Pole sind magnetische Polarisationsladungen. Ohne magnetisierbare Materie kann es keine Pole geben. Dass diese Beschreibung nur eine Faustregel/Lernhilfe darstellt, sollte Schülern verdeutlicht werden.
238
9 Anwendungen der Induktion
dienten des Elektromagneten, also von ihm weg. Beim Ausschalten des Elektromagneten bleibt die Orientierung des Feldes des Elektromagneten gleich. Die Änderung des Feldes, und damit die Effekte der Induktion – der induzierte Strom und das Dipolmoment des Rings – kehren sich um, und die Kraft zeigt in Richtung des Feldgradienten zum Elektromagneten hin. Ein weiteres Argumentationsschema nutzt die magnetische Kraft, um die Bewegung des Rings zu erklären. Dieses Schema passt besser zur Versuchsgeometrie mit langem Eisenkern, auf dem der Ring steckt (siehe Abb. 9.4). Die unterschiedlichen Versuchsgeometrien haben unterschiedliche Verlaufsformen des Magnetfeldes des Elektromagneten zur Folge. Ein Elektromagnet mit kaum überstehendem Eisenkern hat Pole direkt an seinen Enden wie ein Stabmagnet, inklusive eines entsprechenden Feldes. Steht der Eisenkern dagegen weit aus der Spule hervor, so wird die gesamte überstehende Oberfläche des Eisenkerns zum magnetischen Pol. Mit der Faustregel zu magnetisiertem Weicheisen aus Kap. 6 kann man ableiten, dass die magnetischen Ladungen näherungsweise gleichmäßig auf der Oberfläche verteilt sind und die Feldlinien darauf ungefähr senkrecht stehen wie in Abb. 9.4. Die Hauptursache der Flussänderung durch den Ring ist die Änderung der Magnetisierung innerhalb des Eisenkerns, die einen induzierten Strom im Ring zur Folge hat, der genauso orientiert ist wie das induzierte elektrische Felde. Die Kraft auf den Ring entspricht der magnetischen Kraft und kann nun über die üblichen Regeln der rechten Hand F = I l × B angegeben werden. Dass sich der Ring nur langsam in seine Ausgangslage zurückbewegt, während das Magnetfeld zeitlich konstant ist, kann analog zu einer Wirbelstrombremse erklärt werden. Die Rückwärtsbewegung verursacht eine Flussänderung im Ring aufgrund der Inhomogenität des Magnetfeldes, und der dadurch induzierte Strom erfährt eine Kraft in diesem Magnetfeld und wird gebremst.
Wechselstromfall Der Wechselstromfall hat die Versuchsgeometrie aus Abb. 9.4, und beim Einschalten der Wechselspannung wird der Ring nach oben geschleudert. Versucht man die Erklärung des Gleichstromfalls direkt auf den Wechselstromfall zu übertragen, so könnte man etwas anderes erwarten. Die Stromstärke in der Spule oszilliert, und somit auch ihr Magnetfeld.8 Die steigende Flanke des Stroms entspricht dem Einschalten und die sinkende Flanke dem Ausschalten im Gleichstromfall. Dementsprechend erwartet man wie beim Ein- und Ausschalten im Gleichstromfall eine wechselnde Kraftrichtung. Die unidirektionale Beschleunigung lässt sich damit nicht erklären. Die bisherige Betrachtung der Strominduktion im Metallring stellt eine Näherung dar. Bei ˙ s /R handelt es sich um die zweite Transformatorder verwendeten Formel Ir = Ui /R = − gleichung, bei der die Induktivität L 2 = L r der Sekundärseite – des Rings – vernachlässigt 8 Die Beträge der Flussdichte und der Feldstärke oszillieren, die Struktur des Feldes bleibt gleich und
ist durch die Kombination aus Spule und Eisenkern vorgegeben.
9.2 Thomsonscher Ringversuch
239
Abb. 9.5 Zeitlicher Verlauf der Kraft F auf den Metallring in z-Richtung für den Fall ωL r = Rr
wird, da ω = 0. Für den Wechselstromfall müssen die Differentialgleichungen, speziell die zweite, erneut betrachtet werden, um eine für diesen Fall geeignete Näherung zu finden. Um die Formeln etwas intuitiver zu gestalten, werden im Folgenden die Indizes der Differentialgleichung geändert zu 1 = s (Spule) und 2 = r (Ring). Mit dem Lösungsansatz I0 sin(ωt) ergibt sich − L sr I˙s = Rr Ir + L r I˙r → −ωL sr Is0 cos(ωt) = Ir 0 (Rr sin(ωt) + ωL r cos(ωt))
(9.9)
Im Gleichstromfall verschwindet der Term mit L r wegen ω = 0, und die Änderung des Spulenstroms ist ein einfacher Puls, was damit auch für den Strom im Ring gilt. Dieser Puls hat beim Einschalten und Ausschalten entgegengesetzte Vorzeichen, und mit der magnetischen Kraft F ∝ Ir B und der Feldgeometrie in Abb. 9.4 kann auch auf diese Weise das beobachtete Verhalten erklärt werden. Für kleine Frequenzen9 ωL r Rr gilt diese Näherung weiterhin, der Strom im Ring stimmt mit der Ableitung des Stroms in der Spule überein und der Ring erfährt eine um null oszillierende Kraft F ∝ Ir B ∝ Ir Is ∝ sin(ωt) cos(ωt) = sin(ωt/2). Für Frequenzen ωL r ≈ Rr muss der zugehörige Term berücksichtigt werden.10 Ohne Gleichung (9.9) tatsächlich zu berechnen, hilft für ein qualitatives Verständnis die Betrachtung der Phasenbeziehungen der Terme. Die beiden Terme auf der rechten Seite sind zueinander um 90◦ phasenverschoben und im Verhältnis zum Term auf der linken Seite um 180◦ bzw. 90◦ . Man erhält eine magnetische Kraft auf den Ring, die zwar oszilliert, jedoch um eine positive Konstante (siehe Abb. 9.5). Die Kraft ist eine Überlagerung einer oszillierenden und einer unidirektionalen Komponente. Für hohe Frequenzen Rr ωL r kann der Term mit Rr vernachlässigt werden und die Ströme in Spule und Ring sind um 180◦ gegeneinander verschoben. Die Kraft auf den Ring ist nun F ∝ Ir B ∝ Ir Is ∝ cos2 (ωt) und wechselt nicht das Vorzeichen, sondern oszilliert nur noch zwischen null und einem bestimmten Wert. Die entsprechenden Frequenzen sind 9 Typischerweise handelt es sich um ω ≈ 2π · 1 Hz. 10 Dies sind Frequenzen um die ω ≈ 2π · 10 Hz.
240
9 Anwendungen der Induktion
für einen Beobachter nicht mehr wahrnehmbar und man erhält das Erlebnis einer starken unidirektionalen Beschleunigung. Die formale Fallunterscheidung besteht damit streng genommen nicht in Gleichstrom gegenüber Wechselstrom, sondern vielmehr ωL r Rr gegenüber Rr ωL r . Der Übergang von einem Extremfall zum anderen kann sehr gut an einer Versuchsanordnung mit einem Funktionsgenerator als Netzgerät mit ausreichender Ausgangsleistung beobachtet werden. Der Einfachheit halber werden die beiden Fälle weiterhin als Gleichstrom- und Wechselstromfall bezeichnet.
9.2.4
Mögliche Elementarisierung des thomsonschen Ringversuchs
An der oben erwähnten, üblichen Erklärung in der Schule gibt es einige Dinge, die man kritisch sehen kann, bzw. die man sich genauer ansehen muss. Im Gleichstromfall kann die Zuordnung von magnetischen Polen zu einem stromführenden Ring (oder Leiterschleife) fachlich in sofern in Frage gestellt werden, als Pole magnetische Polarisationsladungen sind, die beim Ring nicht vorhanden sind. Andererseits spricht man auch fachlich von einem Dipolfeld eines stromführenden Rings. Falls in der Schule eine Erklärung analog zur fachlichen Beschreibung durch eine Kraft auf einen Dipol im äußeren Feld geführt werden soll, ist eine didaktische Reduktion auf Pole kaum anders möglich. Gerade diese Argumentation ist ein weiterer Punkt, der genauer betrachtet werden muss. Die Erklärung funktioniert ausschließlich, falls eine Versuchsgeometrie betrachtet wird, bei der sich der Ring vor dem Elektromagneten befindet und nicht auf dem Eisenkern steckt. Falls ausschließlich diese eine Geometrie als Versuch behandelt wird, ergibt sich dabei kein Nachteil. Jedoch findet sich in den Schulbüchern und auch in vielen Physiksammlungen der Schulen als Schulexperiment eine Versuchsanordnung wie in Abb. 9.4. Für diese Anordnung, und speziell im Wechselstromfall, muss eine andere Elementarisierung gefunden werden. Eine Erklärung mit der Lorentzkraft ist fachlich immer korrekt. Um diese Argumentation in der Schule für den Gleichstromfall zu verwenden, benötigt man als ein notwendiges Erklärglied der Elementarisierung das Wissen, wie das Magnetfeld um einen teilweise magnetisierten weichen Ferromagneten verläuft, wie es beispielsweise im Karlsruher Physikkurs [14] angegeben ist. Die Vernachlässigung der Selbstinduktion L für die Induktion des Stroms und die alleinige Bestimmung der Stromstärke durch das ohmsche Gesetz sind hier und in vielen anderen Fällen sinnvoll. Solange die Selbstinduktion noch nicht besprochen wurde, ist es fachlich angemessen, nicht explizit zu erwähnen, dass eine Näherung gemacht wird. Ist jedoch die Selbstinduktion bekannt, sollte dies deutlich gemacht werden, manchmal schon Ende der Sekundarstufe I, spätestens in der Sekundarstufe II und an der Hochschule. Für den Wechselstromfall ist die Selbstinduktion ein mögliches weiteres Erklärglied der Elementarisierung. In der Oberstufe taucht der thomsonsche Ringversuch nur selten auf,
9.3
Zusammenfassung
241
hier wird jedoch die Induktivität von Spulen und Leiterschleifen besprochen. Eine Erklärung inklusive der Selbstinduktion und der Phasenverschiebung des Stroms anhand von Graphen könnte erfolgen wie die Erklärung der Energieübertragung im Transformator in Metzler Physik NRW in der Oberstufe [12]. In der Sekundarstufe I steht dagegen die Selbstinduktion als mögliches Erklärglied kaum zur Verfügung – selbst eine qualitative Beschreibung findet sich nur in zwei Büchern [7, 11]. Das Experiment vorzuführen und Schülern ohne Kenntnis der Selbstinduktion zur Diskussion zu stellen, wie beispielsweise in Fokus Physik 9 [10], lässt vermuten, dass man von ihnen eine falsche, übervereinfachte Antwort erwartet – wegen der lenzschen Regel. Auf der Basis, dass der Wechselstromfall des thomsonschen Ringversuchs ein Transformator ist, bei dem die Energie in der Sekundärseite direkt in die Bewegung des Rings gesteckt wird, könnte eine Analogie zwischen Transformator und Ringversuch für eine phänomenologische Beschreibung anhand der übertragenen Energie genutzt werden. Tauchen dagegen beide Versionen des Versuchs im Schulbuch auf, Gleichstrom- und Wechselstromfall, erhält man Inkonsistenzen, die schwer mit den zur Verfügung stehenden Mitteln aufgelöst werden können. Man kann schlecht beide Phänomene mit der lenzschen Regel erklären. Man muss sich hier spezifisch entscheiden, was man mit dem Versuch machen möchte. Geht es der Lehrkraft um die lenzsche Regel, so kann der Gleichstromfall genutzt werden und der Wechselstromfall darf nicht erwähnt und vorgeführt werden. Geht es um ein weiteres Beispiel der Energieübertragung wie im Transformator, kann der Wechselstromfall sehr phänomenologisch betrachtet werden, der Gleichstromfall darf dann allerdings nicht zur Sprache kommen.
9.3
Zusammenfassung
Transformator • Darstellungen in der Schule reichen von einer Black Box, die Energie elektrisch überträgt und dabei irgendwie Spannung und Stromstärke ändert, bis zu einer mathematischen Besprechung der Spannungs- und Stromtransformation. • An der Hochschule betrachtet man die Spannungsgleichgewichte in Primär- und Sekundärkreis – zwei gekoppelte Differentialgleichungen, die Transformatorgleichungen. Eine allgemeine Lösung ist mathematisch anspruchsvoll. • Die Transformatorgleichungen können für Spezialfälle mit entsprechenden Näherungen sehr leicht gelöst werden. • Von Spannungstransformation – das Verhältnis der Spannungen verhält sich wie das Verhältnis der Windungszahlen – spricht man, wenn der Widerstand im Sekundärkreis so groß ist, dass nur eine vernachlässigbar kleine Stromstärke vorliegt.
242
9 Anwendungen der Induktion
• Von Stromtranformation – das Verhältnis der Stromstärken verhält sich wie das reziproke Verhältnis der Windungszahlen – spricht man, wenn der Widerstand im Sekundärkreis so gering ist, dass nur eine vernachlässigbar kleine Spannung an ihm abfällt. • Es gibt einen Energietransport zwischen Primär- und Sekundarkreis, falls weder Strom noch Spannung vernachlässigbar sind. Für eine möglichst effiziente Energieübertragung müssen Spannungsverlauf und Stromstärkeverlauf möglichst in Phase sein, und die Amplitude dürfen nicht verschwinden. • Eine angemessene Elementarisierung muss die Grenzen der Näherungen erwähnen und dass die gleichzeitige Anwendung von Stromtransformation und Spannungstransformation lediglich ein grobes und inkorrektes Ergebnis liefert. Eine Berechnung der Stromtransformation aus der Spannungstransformation mithilfe der Energieerhaltung im Energietransport ist falsch. Thomsonscher Ringversuch: • Beim thomsonschen Ringversuch muss zwischen dem Gleichstromfall – Ein- und Ausschalten von Gleichstrom – und dem Wechselstromfall unterschieden werden. • Gleichstromfall: Kraftwirkung in eine Richtung beim Einschalten und Kraftwirkung in die Gegenrichtung beim Ausschalten. • Wechselstromfall: Starke Beschleunigung in eine Richtung. • Die Erklärung des Gleichstromfalls erfolgt in der Schule mithilfe der lenzschen Regel: Die Magnetfeldänderung induziert Strom im Ring; der Strom im Ring wirkt der Ursache entgegen; es wirkt eine Kraft auf den Ring, die der Magnetfeldänderung im Ring entgegenwirkt. Die Erklärung für den Wechselstromfall folgt dem gleichen Schema. • Die Erklärung des Gleichstromfalls in der Hochschule folgt einem analogen Schema wie in der Schule. Die Änderung des magnetischen Flusses führt zu einem Strom im Ring gemäß dem Induktionsgesetz. Auf den stromführenden Ring wirkt eine magnetische Kraft im äußeren Feld. • Für die Erklärung des Wechselstromfalls in der Hochschule wird der thomsonsche Ringversuch wie ein Transformator gesehen. Die Eigeninduktion der Sekundärseite (Ring) ist nicht mehr vernachlässigbar und führt zu einer Phasenverschiebung zwischen Stromstärke im Ring und der in der Spule, sodass auf den Ring eine Nettokraft wirkt. • Elementarisierungen: Der Gleichstromfall kann ohne Kenntnis der Selbstinduktion sehr leicht im Zusammenhang mit der lenzschen Regel besprochen werden. Für eine genaue Besprechung des Wechselstromfalls muss die Selbstinduktion bekannt
Literatur
243
sein. Dies ist erst in der Sekundarstufe II der Fall. Eine Beschreibung des Wechselstromfalls als Black Box, die durch Induktion Energie überträgt, wie es auch beim Transformator gemacht wird, kann auch in der Sekundarstufe I durchgeführt werden.
Literatur 1. Abschlussprüfung 2010 an Realschulen in Bayern. 2019. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung. https://www.isb.bayern.de/download/5618/ht.pdf. 2. Appel, Thomas, et al. 2016. Spektrum Physik S1 Rheinland-Pfalz. Braunschweig: Schroedel. 3. Backhaus, Udo, et al. 2011. Fokus Physik Gymnasium Band 1 Hessen. Berlin: Cornelsen. 4. Bang, Gunter, et al. 2012. Kuhn Physik SI Niedersachsen. Hrsg. von Wilfried Kuhn und Rainer Müller. Braunschweig: Westermann 5. Becker, Sylvia, et al. 2009. Metzler Physik (Bayern). Hrsg. Joachim Grehn und Joachim Krause. Braunschweig: Westermann Schroedel. 6. Bredthauer, Wilhelm, et al. 2009. Impulse Physik Bayern 11. Stuttgart, Leipzig: Klett. 7. Breuer, Elmar, et al. 2016. Physik Plus Gym Sachsen-Anhalt 9/10. Hrsg. H. F. Mikelskis und H.-J. Wilke. Berlin: Cornelse. 8. Diehl, Bardo, et al. 2009. Fokus Physik Gymnasium Bayern 11. Berlin: Cornelsen. 9. Feldmann, Christian. 2014. Impulse Physik 2 – Nordrhein-Westfalen. Stuttgart: Klett. 10. Fösel, Angela, et al. 2008. Fokus Physik 9 (Bayern). Berlin: Cornelsen. 11. Gau, Barbara, und Lothar Meyer. 2015. Physik Gymnasium Mecklenburg-Vorpommern 9./10. Schuljahr. Berlin: Cornelsen. 12. Grehn, Joachim. et al. 2015. Metzler Physik – Qualifikationsphase Grundkurs NordrheinWestfalen. Hrsg. Joachim Grehn und Joachim Krause. Braunschweig: Westermann Schroedel. 13. Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Schule und Berufsbildung. 2011. Bildungsplan Gymnasium Sekundarstufe I Physik 2011. http://www.hamburg.de/contentblob/2373266/ f190388289579ec2aa1e7071b38aeb10/data/physik-gym-seki.pdf. Zugegriffen: 05. Dez. 2016. 14. Herrmann, Friedrich, und Holger Hauptmann. 2010. Karlsruher Physikkurs für die Sekundarstufe II – Elektrodynamik. Hrsg. Friedrich Herrmann. Köln: AULIS Verlag Deubner. 15. Hessisches Kultusministerium. Lehrplan Physik – Gymnasialer Bildungsgang. 2010. http:// www.kultusministerium.hessen.de/irj/servlet/prt/portal/prtroot/slimp.CMReader/HKM15/ HKMInternet/med/4a1/4a1704b5-267f-121a-eb6d-f191921321b2,22222222-2222-22222222-222222222222,true. Zugegriffen: 05. Dez. 2016. 16. Sächsisches Staatsministerium für Kultus und Sport. Lehrplan Gymnasium – Physik. 2003. http://www.schule.sachsen.de/lpdb/web/downloads/lp_gy_physik_2011.pdf?v2. Zugegriffen: 05. Dez. 2016. 17. Meschede, Dieter (Hrsg.). 2010. Gerthsen Physik. Berlin: Springer. 18. Jugend, und Sport des Landes Brandenburg Ministerium für Bildung. Vorläufiger Rahmenlehrplan für den Unterricht in der gymnasialen Oberstufe im Land Brandenburg. 2011. http:// bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/unterricht/rahmenlehrplaene/gymnasiale_ oberstufe/curricula/2011/Physik-VRLP_GOST_2011_Brandenburg.pdf. Zugegriffen: 05. Dez. 2016.
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9 Anwendungen der Induktion
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Energietransport in elektromagnetischen Systemen
10
Inhaltsverzeichnis 10.1 Schulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Das Energiekonzept in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Hochschulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Die Maxwell-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Das Energiekonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.3 Die Energiestromdichte (Poynting-Vektor) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.4 Die joulesche Wärme, die Leistung und die Grenzen des Systems . . . . . . . . . . . . 10.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.1 Vergleich grundlegender Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.2 Beispiele zum Energietransport in elektromagnetischen Systemen . . . . . . . . . . . . 10.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
246 246 246 247 248 250 251 252 253 254 255 261 262
Bisher wurden die Energie und ihr Transport in diesem Buch nur am Rande erwähnt. Eine ausführliche Betrachtung der Energiedichte in den einzelnen Feldern wie in Lehrbüchern wurde nicht durchgeführt, da sie für die Sekundarstufe I geringe Relevanz hat und den Umfang der Kapitel unverhältnismäßig vergrößert hätte. Damit erscheint ein vergleichender Überblick in einem speziellen Kapitel sinnvoller. Der Energietransport durch elektromagnetische Felder wird in Lehrbüchern der (Theoretischen) Elektrodynamik vornehmlich in Bezug auf elektromagnetische Wellen betrachtet, wie er auch in der Sekundarstufe II bei diesem Thema angesprochen wird. Sehr viel wichtiger, da implizit allgegenwärtiger in der Schule, ist er im Zusammenhang mit Stromkreisen, wie es auch schon im Kap. 3 mit der Formel P = U I angedeutet wurde.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4_10
245
246
10 Energietransport in elektromagnetischen Systemen
Der in den Schulbüchern dargestellte Energiebegriff und -transport wird in dem folgenden Kapitel hinsichtlich der fachlichen Hintergründe detailliert ausdifferenziert. Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Sekundarstufe I. Es werden dabei nicht nur die Energie und ihr Transport in elektrodynamischen Systemen betrachtet, sondern auch der allgemeine Energiebegriff in den jeweiligen Quellen.
10.1
Schulübliche Darstellung
10.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen Der Energiebegriff in den Lehrplänen ist oft nicht sehr explizit, wird jedoch in traditionelle Zusammenhänge gebracht. Das sind die verschiedenen Energieformen, die ineinander umgewandelt werden können, verschiedene Energieträger und das Konzept der Energieerhaltung. Dies soll in Energieflussdiagrammen dargestellt werden.1 Im Bereich der Elektrizitätslehre wird von elektrischer Energie gesprochen, selten wird für Stromkreise die Kenntnis der Formeln P = U I und W = U I t verlangt. Die Speicherung von Energie in elektrodynamischen Feldern kommt in der Sekundarstufe I nicht zur Sprache. Nur wenige Lehrpläne [11, 12] weichen von diesen Vorgaben ab und geben eine Definition des Energiekonzepts an. Darin wird angedeutet, dass es sich bei den verschiedenen Erscheinungsformen der Energie lediglich um eine bestimmte Betrachtungsweise handelt, und es wird darauf hingewiesen, dass die Verwendung der Begriffe Arbeit und Wärme im Unterricht zu Lernschwierigkeiten führen kann. Stattdessen werden die Begriffe Energie und Energieübertragung bevorzugt, anstelle tradierter Begriffe wie Arbeit, Wärme und Energieformen. In der Sekundarstufe I wird in den Lehrplänen noch nicht verlangt, dass das elektromagnetische Feld als Energieträger dargestellt wird. Erst in der Oberstufe soll der Energieinhalt/die Energiedichte von elektrischen und magnetischen Feldern angesprochen werden.
10.1.2 Das Energiekonzept in Schulbüchern Die im vorherigen Abschnitt angesprochenen Vorgaben der Lehrpläne werden in den meisten Schulbüchern sehr direkt umgesetzt. Es wird einerseits das Konzept der Energieformen in bestimmten Energieträgern eingeführt und anhand von Beispielen besprochen – ein fahrendes Auto mit Bewegungsenergie, kochendes Wasser mit thermischer Energie und Benzin und Batterien mit chemischer Energie. Diese Energieformen können sich ineinander umwandeln – elektrische Energie kann verschwinden und in Bewegungsenergie umgewandelt werden. Eine solche Umwandlung wird mit einem sogenannten Energiewandler in Verbindung gebracht, wie z. B. einem elektrischen Motor. Solche Energieumwandlungen und 1 Die späteren Abb. 10.5 und 10.6 sind Beispiele für Energieflussdiagramme.
10.2
Hochschulübliche Darstellung
247
der Transport zwischen verschiedenen Trägern werden anhand von Energieflussdiagrammen dargestellt. Gleichrangig zu den Energieformen wird das Konzept der Energieerhaltung dargestellt. Entsprechend dieser Beschreibung des Energiekonzepts wird die Energie auch in elektrischen Systemen besprochen: Innerhalb eines Stromkreises werde zwischen elektrischen Geräten elektrische Energie transportiert, und in diesen Geräten, sogenannten Energiewandlern, wie Generatoren, Batterien, Motoren oder Lampen werde die elektrische Energie in eine andere Form umgewandelt. Gegen Ende der Sekundarstufe I finden sich in den Schulbüchern dann die konkreten Formeln P = U I und E = U I t in verschiedenen Umformungen. In Kap. 3 wird beschrieben, dass die Formel U = P/I auch zur formalen Definition der Spannung verwendet wird. Eine auffallende Ausnahme stellt hier das Buch Spektrum Physik [1] dar. Darin wird von der Energie gesprochen, die an bestimmte Träger gekoppelt ist, und Geräten, die Energie zwischen verschiedenen Trägern umladen können. Die Wege der Energieträger und der Energie können sich unterscheiden. Dabei werden Energieflussdiagramme verwendet, analog wie im Zusammenhang mit den Energieformen in anderen Schulbüchern. Der Begriff der Erscheinungsform wird diskutiert, und die Tatsache, dass sich dadurch nicht eine Energieform von einer anderen unterscheidet, sondern lediglich die Träger gekennzeichnet werden, es sich aber immer um ein und dieselbe Energie handelt. In der Sekundarstufe II werden die elektromagnetischen Felder stärker als eigenständige Systeme dargestellt, in denen Energie gespeichert ist. Im Schulbuch Impulse 11 [6] wird der Energieinhalt des elektrischen Feldes formal anhand der Energie in einem Kondensator besprochen, E el = (1/2)CU 2 , und daraus wird die allgemeine Energiedichte abgeleitet, E el /V = (1/2)ε0 εr E 2 . Für das magnetische Feld wird die Energie lediglich für eine Spule im Rahmen der Induktion über die Selbstinduktion hergeleitet, E mag = (1/2)L I 2 . Die Verallgemeinerung zur Energiedichte wird nicht mehr durchgeführt. Die Energieinhalte der Felder von Kondensator und Spule werden später für den elektrischen Schwingkreis und die daraus ableitbare Erzeugung elektromagnetischer Strahlung benötigt. In Metzler Physik [4] wird darüber hinaus die Energiedichte des Magnetfeldes hergeleitet, E el /V = 2μ1 0 B 2 . Bei der Erzeugung elektromagnetischer Wellen mit einem hertzschen Dipol wird zwar die hantelförmige Abstrahlcharakteristik graphisch dargestellt, dies jedoch nur als Intensität der Strahlung, nicht als abgestrahlte Energie (Näheres dazu in Kap. 11).
10.2
Hochschulübliche Darstellung
In den Lehrbüchern der Theoretischen Physik wird häufig kurz vor der Besprechung des Energietransportes in elektromagnetischen Systemen ein Überblick über die MaxwellGleichungen gegeben und dabei ihre vollständige und zeitabhängige Form eingeführt. Diese Vorgehensweise soll hier übernommen und genutzt werden, um die konzeptuelle Bedeutung der Maxwell-Gleichungen sprachlich präzise wiederzugeben.
248
10 Energietransport in elektromagnetischen Systemen
10.2.1 Die Maxwell-Gleichungen Tab. 10.1 gibt einen Überblick zu den Maxwell-Gleichungen. Die Struktur dieser Darstellung folgt einer gewissen Systematik. Wie in Kap. 8 schon angesprochen, kann jedes Vektorfeld als Summe eines Gradientenfeldes und eines Wirbelfeldes dargestellt werden, wobei beide Felder unabhängige Ursachen/Quellen besitzen. Die zweite Zeile der Tabelle sagt etwas zu den freien Quellen der Gradientenfelder (den Monopolen) aus, also den Divergenzen, Die Divergenz eines reinen Wirbelfeldes ist null. Die dritte Zeile behanmathematisch ∇·. Die Rotation eines delt die Quellen der Wirbelfelder, ausgedrückt durch die Rotation, ∇×. reinen Gradientenfeldes ist null. In der linken Spalte wird das elektrische Feld betrachtet, in der rechten Spalte das magnetische Feld. Bei diesen Formeln handelt es sich um die sogenannten „makroskopischen“ Maxwell-Gleichungen, da sie eine Beschreibung von Materie inklusive der makroskopischen Polarisationen wiedergeben, jedoch keine Betrachtung möglicher mikroskopischen Ursachen erlauben. Die zweite Zeile in Tab. 10.1 behandelt nicht nur allgemein die Quellen der Felder, son und B der Felder. Die Flussdichten sind in diesem dern die Quellen der Flussdichten D Zusammenhang wichtig, da ihre Gradientenfelder allein durch die freien Ladungen, auch Monopole genannt, vorgegeben sind. In der dritten Zeile der Tabelle werden die Wirbelfeldanteile in den Feldstärken E und H betrachtet. Sie hängen allein von den Strömen freier Ladungen sowie der zeitlichen Änderung der jeweils anderen Flussdichte ab. G der Im Detail bedeutet das für Maxwell-Gleichung I, dass der Quellenfeldanteil D elektrischen Flussdichte D = DG + DW allein durch die elektrische Ladungsdichte ρ bestimmt ist. Das heißt, dass jede (freie) elektrische Ladungsverteilung ein Gradientenfeld G ⇔ ϕ. erzeugt, das durch ein (skalares) Potential ϕ beschrieben werden kann, ρ ⇔ D Das wird häufig reduziert auf die Aussage, dass die D-Feldlinien an elektrischen Ladungen beginnen und enden (dargestellt in Abb. 10.1a). Für ein anschauliches Feldverständnis hilft G jedoch zusätzlich die sich damit ergebende Möglichkeit, sich den Gradientenfeldanteil D genauso vorstellen zu können wie man es vom Gravitationfeld gewohnt ist, auch wenn W vorhanden ist. zusätzlich ein Wirbelfeldanteil D Die Maxwell-Gleichung II besagt, dass die magnetische Flussdichte B = BG + BW keinen Gradientenfeldanteil besitzt, BG = 0. Das hat zur Folge, dass der Gradientenfeldanteil der magnetischen Feldstärke HG nur durch die Quellen und Senken der Magnetisierung Das ist die Grundlage · M. · H = ∇ · HG = −∇ (Polarisationsladungen) festgelegt ist, ∇
Tab. 10.1 Maxwellgleichungen mit Materie Gradientenfelder Wirbelfelder
Elektrische Feldgrößen =ρ ·D I: ∇ × E = − ∂ B III: ∇ ∂t
Magnetische Feldgrößen · B = 0 II: ∇ × H = j + ∂ D IV: ∇ ∂t
10.2
Hochschulübliche Darstellung
249
b
a
Abb. 10.1 Maxwell-Gleichung I: Eine Ladungsdichteverteilung ρ ist Quelle/Senke der elektrischen (a). Maxwell-Gleichung II: Die magnetische Flussdichte B hat keine Quellen/Senken. Flussdichte D und Deshalb sind die Senken der magnetischen Feldstärke H die Quellen der Magnetisierung M, umgekehrt (b)
der Bestimmung des magnetischen Feldverlaufs von Permanentmagneten, wie in Abb. 10.1b dargestellt und in Kap. 6 besprochen. ˙ Die Maxwell-Gleichung III ist die differentielle Form des Induktionsgesetzes Uext = bei konstanter Fläche. Sie besagt, dass die zeitliche Änderung der magnetischen Flussdichte ∂ B ∂t die alleinige Ursache des Wirbelanteils E W der elektrischen Feldstärke E ist, ∇ × × E W . Visualisiert wird das in Abb. 10.2a, ähnlich wie in [9], S. 71 durch einen E = ∇ Weicheisenring, der auf einer Seite von einer Spule umgeben ist. Auf der anderen Seite hat der Ring einen kleinen Spalt. Existiert ein elektrischer Strom in der Spule, dann ist auch ein Magnetfeld vorhanden. Der „dichteste“ Verlauf der magnetischen Flussdichte B geht durch und im Spalt als Magnetfeldstärke H . Ändert sich der den Eisenring als Magnetisierung M im Eisen und H im Spalt, Spulenstrom I (t) mit der Zeit, so ändert sich das B-Feld, also M und es entsteht entlang des Eisenrings und des Spalts ein elektrisches Wirbelfeld E W .
a
b III E B B>0
IV H D j
Abb. 10.2 Maxwell-Gleichung III: Eine zeitliche Änderung der magnetischen Flussdichte ∂ B/∂t führt zu einem Wirbelfeld der elektrischen Feldstärke E (a). Maxwell-Gleichung IV: Ein elektrischer ˙ führen zu einem Wirbelfeld Strom j und/oder eine zeitliche Änderung der elektrischen Flussdichte D der magnetischen Feldstärke H (b)
250
10 Energietransport in elektromagnetischen Systemen
Die Maxwell-Gleichung IV wurde in diesem Buch noch nicht vollständig besprochen. Zum einen ist es die differentielle Form des ampereschen Gesetzes, das beschreibt, wie eine elektrische Stromdichte j ein Wirbelfeld HW der magnetischen Feldstärke H bestimmt. Der zweite Term der rechten Seite ist die sogenannte maxwellsche Erweiterung. Sie besagt, dass neben der Stromstärke auch eine zeitliche Änderung der elektrischen Flussdichte ∂∂tD zu einem Wirbelfeldanteil HW der magnetischen Feldstärke führt. Dieser Term wurde von Maxwell „erraten“ oder besser gesagt „erschlossen“ aus der Kontinuitätsgleichung der elektrischen Ladung.2 Das so erzeugte Magnetfeld ist sehr schwach, beziehungsweise oft nur ein sehr kurzer Puls, und wurde zunächst nicht wahrgenommen. Erst nachdem Maxwell seine Vermutung aufgestellt hatte, wurde der Effekt auch experimentell nachgewiesen. Visualisiert wird das durch den Aufladevorgang eines Plattenkondensators in Abb. 10.2b, erneut in Anlehnung an [9], S. 71. Die stromführenden Drähte erzeugen ein Magnetfeld gemäß dem ampereschen Gesetz. Ebenso entsteht ein Magnetfeld am Zwischenraum des Plattenkondensators, in dem kein elektrischer Strom vorhanden ist, sondern sich die elektrische Flussdichte ändert.3 Die Entstehung eines magnetischen Feldes aufgrund der zeitlichen Änderung eines elektrischen Feldes wird in Schulbüchern selten ausführlicher (wie in [9]) oder nur am Rande [6] angesprochen. Im folgenden Kapitel wird gezeigt, dass dieser Effekt für die Existenz elektromagnetischer Wellen so grundlegend wie Maxwell-Gleichung III ist.
10.2.2 Das Energiekonzept Die Auffassung des Energiekonzeptes in diesem Buch wurde in Grundzügen zwar schon jedes Mal kurz dargestellt, wenn die Energie und der Energietransport zur Sprache kamen. Im Folgenden wird zu diesem Thema nun ein detaillierter Überblick gegeben. Die Energie ist eine mengenartige (extensive) Größe, die man einem bestimmten Träger zuordnet. Die Energie kann innerhalb eines Trägers transportiert oder von einem Träger auf einen anderen übergeben werden. Ein System kann aus einem oder mehreren Trägern bestehen. Die Art der Berechnung der Energiemenge ist durch den Träger bestimmt. Beispielsweise berechnet sich die Energie, die in der Bewegung eines Körpers der Masse m mit der Geschwindigkeit v steckt, zu E = 21 mv 2 . Energie kann nicht erzeugt oder vernichtet werden. In diesem Buch werden solche Begriffe wie Energieformen oder Arbeit und Wärme nicht verwendet, wenn es um eine fachgerechte Darstellung geht. Sie tauchen nur auf, wenn beschrieben wird, wie diese Begriffe in Lehr- und Schulbüchern verwendet werden. Verschiedene Formen von Energie implizieren, dass es nicht eine Energie gibt, die erhalten bleibt. Was traditionell als Energieformen bezeichnet wird, lässt sich konzeptuell sinnvoller 2 Wie genau, kann in einem der theoretischen Lehrbücher wie Griffiths oder Fließbach nachgelesen werden. 3 Da sich in einem Kondensator für gewöhnlich ein Dielektrikum befindet, das durch das Feld polarisiert wird, nennt man die Änderung der elektrischen Flussdichte auch oft Verschiebungsstrom.
10.2
Hochschulübliche Darstellung
251
als Energieträger oder System bezeichnen. Die konzeptuellen Schwierigkeiten von Arbeit und Wärme liegen in ihrer Definition als transportierte Energie E. Dies fällt vor allem bei der Wärme auf. Es wird beispielsweise von Wärmetransport gesprochen,4 was den gleichen logischen Fehler in sich trägt wie das Wort Stromfluss. Wärme ist thermisch transportierte, fließende, strömende, geleitete Energie. Der Begriff Wärmetransport impliziert also eigentlich, dass sich der thermische Transport der Energie ändert. Er bedeutet jedoch nicht, dass Energie thermisch transportiert wird, denn diese Bedeutung hat schon der Begriff Wärme alleine. Für den Begriff Wärme ist es praktisch unmöglich ein sinnvolles Funktionsverbgefüge zu finden. Für den Begriff Arbeit besteht dieses Problem nicht in der gleichen Form – es wirkt nicht missverständlich von verrichteter Arbeit zu sprechen. Da es sich dabei jedoch genauso um transportierte Energie handelt, in diesem Falle auf mechanische Weise, erscheint der Begriff Arbeit redundant. Generell erscheint es merkwürdig, einer Größe innerhalb eines Transports und abhängig vom Ziel, einen anderen Begriff zuzuordnen. Man stelle sich eine Tasse vor, die man nur Tasse nennt, wenn sie steht. Transportiert man die Tasse in die Spüle, dann nennt man sie Tase, und nimmt man sie ins Wohnzimmer, dann ist es eine Taße. Im Gegensatz zu Energie, Arbeit und Wärme besitzen die Begriffe in diesem konstruierten Beispiel noch eine linguistische Ähnlichkeit, zeigen jedoch trotzdem, wie abstrus die Verwendung unterschiedlicher Begriffe in diesem Zusammenhang ist.
10.2.3 Die Energiestromdichte (Poynting-Vektor) Die (lokale, differentielle) Energiebilanz in elektrodynamischen Systemen wird durch das Poynting-Theorem beschrieben. Ausgangspunkt ist die Leistungsdichte, hier vereinfacht Drückt man die elektrische Stromdichte j P/V = (U I )/V = (U /d)(I /A) = j · E. durch die Maxwell-Gleichungen mit Feldern aus und vereinfacht weiter5 , gelangt man zu der folgenden Gleichung, die als Bilanzgleichung der Energie in elektromagnetischen Systemen identifiziert werden kann: ⎞ ⎛ ⎛ ⎞ ⎟ ∂ ⎜ ⎜ 1 2 1 ⎟ 2⎟ ·⎜ ∇ ⎝E × H⎠ + ∂t ⎝ 2 ε0 E + 2 μ0 H ⎠ = − j · E j Energie
wel
(10.1)
wm
Diese Gleichung ist das Analogon zur Kontinuitätsgleichung (2.8) für die Ladung. Die Terme in der Zeitableitung sind die Energiedichten der Felder wel = 21 ε0 E 2 und wm = 21 μ0 H 2 . Diese beiden Terme werden für gewöhnlich im Rahmen der Kapitel zu den einzelnen Feldern hergeleitet. Der Term in der Divergenz ergibt sich dagegen erst aus dieser Gleichung. Es ist die Energiestromdichte S := j Energie = E × H . Den Vektor S nennt man Poynting-Vektor. 4 Inbegriffen sind jegliche bedeutungsgleiche Variationen – Wärmestrom, Wärme fließt, Wärmeleit-
fähigkeit, und so weiter. 5 Erneut möchte ich hier lediglich auf eines der Lehrbücher der Theoretischen Physik verweisen.
252
10 Energietransport in elektromagnetischen Systemen
Für eine Erhaltungsgröße wie die Energie würde man vermuten, dass auf der rechten Seite eigentlich eine Null steht. Elektromagnetische Felder sind allerdings keine abgeschlossenen die joulsche Wärme, beschreibt den Energieaustausch mit andeSysteme. Der Term − j · E, ren Systemen. Dabei kann es sich um ein anderes elektromagnetisches System handeln – ein sich änderndes Magnetfeld gibt durch Induktion in einer Spule Energie an einen elektrischen Stromkreis ab – ein mechanisches System – Motor, Generator – oder ein thermisches System – Widerstand, Glühlampe. Die thermische Abgabe von Energie führte zu dem Namen joulesche Wärme für den Term − j · E. Insgesamt
besagt die Gl. (10.1), dass die Quellen und Senken der Energiestromdichte, · E × H , nicht nur die zeitlichen Änderungen der in den Feldern gespeicherten Energie ∇
sind, ∂t∂ 21 ε0 E 2 + 21 μ0 H 2 , sondern auch der Energieaustausch mit anderen Systemen, j · E. Hauptaugenmerk in diesem Kapitel liegt auf dem Poynting-Vektor S = E × H . Er besagt, dass es immer dort einen lokalen Energiestrom gibt, wo ein elektrisches und ein magnetisches Feld vorhanden sind, die nicht parallel sind. Genaugenommen ist die Energiestromdichte S nicht eindeutig festgelegt, da sie sich lediglich über eine Differentialgleichung definiert. Man kann verschiedenste Eichungen vornehmen, die zu unterschiedlichen lokalen Energieströmen und Orten für die Energie führen. Zwei alternative Eichungen sind bei Backhaus [2] ausführlich beschrieben.6 Im Folgenden wird weiter nur die Energiestromdichte nach Poynting S = E × H betrachtet, da sie den elektromagnetischen Feldern einen größeren Stellenwert zukommen lässt als eigenständige Systeme, die Energie beinhalten und transportieren können.
10.2.4 Die joulesche Wärme, die Leistung und die Grenzen des Systems Die joulesche Wärme − j · E beschreibt und lokalisiert den Austausch von Energie des betrachteten elektromagnetischen (Teil-)Systems mit Systemen seiner Umgebung. In einem geschlossenen Stromkreis beispielsweise zeigt in der Batterie die Kraft pro Ladung fBatt der externen Spannung U Batt = Uext in Stromrichtung j. Im Gleichgewicht mit dem Rest des Stromkreises, den elektrischen Leitern, stellt sich ein gleich großer negativer elektrischer Potentialunterschied ϕ = −U Batt an den Enden der Batterie ein, wobei die elektrische Feldstärke E = − fBatt innerhalb der Batterie entgegen der Stromrichtung orientiert ist. ist dort positiv, die Energie im elektrischen System Die joulesche Wärme − j · E = | j| · | E| nimmt dadurch zu. In einem Bauteil oder Gerät mit einem ohmschen Widerstand R oder einem anderen energieabnehmendem Gerät (z. B. ein Elektromotor) haben die Stromdichte und die elektrische Feldstärke des Stromkreises (zumindest zeitweise bei Wechselspannung) ist negativ, die Energie die gleiche Richtung, und die joulesche Wärme − j · E = −| j| · | E| im elektrischen System nimmt dadurch ab. Dagegen wird das Vorzeichen der jouleschen 6 Möchte man sich noch grundlegendere Gedanken zum Energiekonzept machen, ist dieser Text ein
idealer Ausgangspunkt.
10.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
253
Wärme für die Energiestromstärke P = U I im Allgemeinen nicht beachtet, im Gegensatz zum Vorzeichen der elektrischen Stromstärke. Das Vorzeichen der Energiestromstärke wird im Folgenden genauer betrachtet. In den meisten Fällen hängt das Vorzeichen einer Stromstärke von der willkürlichen Festlegung der Orientierung der betrachteten Fläche ab, jedoch ist die Orientierung einer Oberfläche eines Volumens allgemein definiert. Das war beispielsweise bei der elektrischen Stromstärke für die Kontinuitätsgleichung und die Knotenregel wichtig (siehe hierzu Kap. 2). Analog ist das bei der Energiebilanz. Dabei wird ein definiertes System betrachtet und das Vorzeichen der Energiestromstärke bezogen auf dieses System ist festgelegt. Damit die Energie im System nicht immer weiter zu- oder abnimmt, muss die Energiestromstärke positiv an der Batterie/dem Generator sein und negativ an einem Bauteil, das Energie an ein anderes System abgibt. Verwendet man eine naheliegende Definition der Vorzeichen für Stromstärke und Spannung auf Basis der elektrischen Stromrichtung7 von j, so ist die Stromstärke immer positiv und die elektrische Spannung im Stromkreis (also ohne externe Spannung) ist in einer Energiequelle positiv und negativ in einem Bauteil, das Energie abgibt. Mit dieser Festlegung ist P = U I also die Energiestromstärke in einem Bauteil des elektrischen Systems, das Energie mit einem anderen Träger oder System austauscht. Das Vorzeichen sagt dann aus, ob Energie abgegeben oder aufgenommen wird. Es sei kurz Folgendes angemerkt: Die eben genannten Spannungen sind Spannungen innerhalb des betrachteten elektrischen Systems, zu dem auch der elektrische Strom gehört. In Abschn. 8.2.5 wurde die Induktionsspannung anders als üblich als externe Spannung definiert, bezogen auf einen Stromkreis, auf den sie wirkt. Dies führte einerseits zu dem Verlust des negativen Vorzeichens im Induktionsgesetz, machte jedoch auch den Energietransport zwischen verschiedenen Teilsystemen konsistenter.
10.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
Aufgrund maßgeblicher Unterschiede zwischen der Beschreibung des Energietransportes an Schulen und Hochschulen in der Elektrodynamik gibt es in diesem Kapitel keinen Abschnitt Vergleich der Sachstrukturen. Zunächst wird dagegen die Darstellung der grundlegenden Konzepte in Schule und Hochschule verglichen und im Anschluss eine hochschulübliche Beschreibung von schulüblichen Themen durchgeführt, um die Wichtigkeit der hochschulüblichen Darstellung als Hintergrund für den Unterricht zu verdeutlichen.
7 Definition: Die elektrische Stromstärke I wird in elektrischer Stromrichtung positiv gewertet und
die elektrische Spannung U ist das Integral über die elektrische Feldstärke entlang eines Pfades in elektrischer Stromrichtung.
254
10 Energietransport in elektromagnetischen Systemen
10.3.1 Vergleich grundlegender Konzepte Die konkrete Beschreibung des Energietransports mit gelegentlichen allgemeinen Energieflussdiagrammen in der Schule hat wenig mit der Beschreibung der Energiestromdichte im Poynting-Theorem an der Hochschule gemeinsam. Das zugrundeliegende Energiekonzept wird in Schul- und Lehrbüchern allerdings ähnlich dargestellt. Dabei handelt es sich neben dem Konzept der Energieerhaltung um eine Mischung aus den Konzepten des Energieträgers und Energieformen/-umwandlung und einer ungenauen Definition hinsichtlich der jeweils betrachteten Systeme. Ein wichtiger Unterschied zwischen Schule und Hochschule ist die saubere Trennung der Begriffe Energie(-Transport), Spannung und Stromstärke. Schon im Kap. 2 zum elektrischen Strom und im Kap. 3 zum elektrischen Potential wurden mögliche Gründe in der fachlichen Darstellung an der Schule diskutiert, weswegen Schüler Schwierigkeiten haben, diese Begriffe zu trennen. Bei der Einführung der elektrischen Stromkreise und des elektrischen Stroms werden im Allgemeinen in den Schulbüchern Effekte der Energieübertragung in einem laufenden Stromkreis als Wirkungen des elektrischen Stroms bezeichnet – Lichtwirkung, Wärmewirkung, chemische Wirkung. Man setzt in diesen Fällen den elektrischen Strom mit Energie(-Transport) gleich. In Lehrbüchern der Hochschule wird nur die sogenannte magnetische Wirkung dem elektrischen Strom zugesprochen anhand des eindeutigen Zusammenhangs der Größen H und I im ampereschen Gesetz. Auch in der Schule sollten Phänomene der Energieübertragung nicht direkt dem elektrischen Strom zugeordnet werden, damit diese beiden Größen für Schüler trennbar erscheinen und fachgerecht dargestellt sind. Die elektrische Spannung wird in Schulbüchern meistens durch die Energie pro Ladung oder pro Elektron U = E/Q oder als Leistung pro Stromstärke U = P/I formal eingeführt. Das Gleichsetzen von Energie(-Transport) und Spannung ist damit naheliegend, da im Alltag das Konzept „... pro Etwas“ etwas anderes als eine Formel mit Bruchstrich ist. Spricht man von „1 e pro Apfel“ dann geht es um Geld. Genauso scheint es um Energie zu gehen, wenn man sagt „Energie pro Ladung ist Spannung“. In Lehrbüchern der Hochschule ist der Zusammenhang zwischen der Spannung U bzw. der Potentialdifferenz ϕ zur Energie zweitrangig und lediglich eine zusätzliche Interpretation und nicht definierend. Definiert wird eine Spannung oder eine Potentialdifferenz dagegen durch ein Integral über ein Kraftfeld bzw. allgemein ein Integral über eine Kraft pro Ladung. Möchte man die Spannung in der Schule von der Energie abgrenzen, bieten sich konzeptuell Analogien zu Druckoder Höhenunterschieden an. Oder man verwendet den allgemeinen Ausdruck elektrischer Unterschied, wie er im Stäbchenmodell zutage tritt. Auch eine Analogie zur mechanischen Kraft könnte sinnvoll sein, und zwar als möglicher Antrieb, der zu einem Energietransport führen kann, um Spannung und Energie(-Transport) präzise zu trennen. Die Bezeichnung des elektrischen Stroms als Energieträger könnte weiter zu einer mangelnden Differenzierung der Begriffe beitragen. Die Frage nach der Fachgerechtheit ist hier schwierig zu beantworten. Nach der Eichung der Energiestromdichte nach Poynting, so wie
10.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
255
oben beschrieben, bei der die Energie über die Felder transportiert wird, wäre der elektrische Strom als Energieträger nicht angemessen und auch nicht direkt an einen Energietransport durch die Felder anschlussfähig. Andererseits gibt es Eichungen, bei denen die Energie über eine der beiden Leitungen von der Elektrizitätsquelle zum Gerät fließt und der Energieträger Strom gerechtfertigt erscheint. Allerdings verringert eine solche Sichtweise die Bedeutung und Eigenständigkeit der elektromagnetischen Felder. Man kann diese Frage vermeiden, indem man nicht von Strom als Energieträger spricht, sondern von dem System Stromkreis, in dem Energie von einem Ort an einen anderen transportiert wird, ohne im Detail zu nennen, auf welchem Weg dies geschieht.
10.3.2 Beispiele zum Energietransport in elektromagnetischen Systemen Einfacher Stromkreis Der genaue Verlauf des Energiestroms, der mit dem Poynting-Vektor beschrieben wird, soll nun an einem einfachen Stromkreis aus Batterie und Lampe besprochen werden, ähnlich wie bei Schmälzle [13]. Damit die Berechnungen der Felder sehr einfach sind, gestaltet man die Leitungen zwischen Batterie und Lampe etwas ungewöhnlich. Wie in Abb. 10.3 skizziert, sind die Leitungen zwei sehr ausgedehnte Platten der Länge und Breite l im Abstand d < l. Legt man eine externe Spannung U = Uext mit der Batterie an die plattenförmigen Leitungen, ergibt sich die Potentialdifferenz ϕ = U an der Lampe und somit zwischen den Platten. Wie bei einem Plattenkondensator ergibt sich dazwischen ein entsprechendes homogenes elektrisches Feld E und einer Energiedichte wel : U E = d 1 2 wel = ε0 E 2 Abb. 10.3 Stromkreis mit Spannungsquelle, Lampe und plattenförmigen Leitungen. Zusätzlich aufgetragen sind der elektrische Strom j (orange), die elektrische Feldstärke E (rot), die magnetische Feldstärke H (blau) und der Poynting-Vektor S (grün)
(10.2)
j U
E
d
H S l
256
10 Energietransport in elektromagnetischen Systemen
Der Einfachheit halber wird angenommen, dass die elektrische Stromdichte8 j = I /l homogen in den Platten verteilt ist. Ausgehend von dem Feld einer stromführenden Ebene (siehe beispielsweise Gerthsen [10] S. 376/377), können zwei entsprechende Ebenen zusammengefügt werden und man erhält für diese Geometrie das folgende homogene Magnetfeld der Stärke H und der Energiedichte wm : I j = l 1 wm = μ0 H 2 2
H =
(10.3)
Die elektrischen und magnetischen Felder sind nicht nur homogen, sondern sollen auch zeitlich konstant sein, also auch die jeweiligen Energiedichten. In der Bilanzgleichung (10.1) fallen deren zeitliche Ableitung heraus. Der Poynting-Vektor S = E × H ist wie die Felder nur zwischen den Platten vorhanden und dort homogen und zeitlich konstant. Da elektrische und magnetische Feldstärke senkrecht aufeinander stehen, lässt sich der Betrag des Poynting-Vektors direkt aus den Beträgen der Felder berechnen: (10.4) S = E · H Der Poynting-Vektor S beschreibt den Energietransport innerhalb des Stromkreises durch die Felder. Setzt man für die Feldstärken ihre formalen Ursachen aus den Gl. (10.2) und (10.3) ein, U I I Energie = j Energie = , (10.5) S = d l Quer schnitt so erkennt man, dass genauso viel Energie im System transportiert wird wie ein- und ausgeführt: (10.6) S · Quehr schnitt = I Energie = U · I = P Für diesen Spezialfall eines Stromkreises können leicht Betrag und Richtung des PoyntingVektors aus dem elektrischen und magnetischen Feld bestimmt werden. Die Leistung P, also die Energie, die pro Zeit in den Stromkreis eindringt oder aus ihm austritt I Energie , besitzt den gleichen Betrag wie die Energiestromstärke durch die Felder des Stromkreises. Gl. (10.6) muss etwas mit Vorsicht betrachtet werden. Formal kann darin zwar der Poynting-Vektor S direkt mit Spannung und Stromstärke und mit der pro Zeit ein- und austretenden Energie P in Verbindung gebracht werden – die Energie, die eindringt, fließt auch durch den Stromkreis und wieder heraus. Man darf jedoch nicht vergessen, dass man dabei den Energietransport an verschiedenen Stellen betrachtet – der Poynting-Vektor in
8 Die Stromdichte ist für gewöhnlich die Stromstärke pro Querschnittsfläche. Da man hier beliebig dünne Platten betrachtet, bezieht man die Stromdichte auf die „Querschnittslinie“ der Länge l.
10.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
257
den Feldern im System und die Leistung P in den Bauteilen in das System hinein oder aus ihm heraus. Für einen realen, einfachen Stromkreis aus Batterie und Lampe können die genauen Felder und der Poynting-Vektor zwar nicht besonders leicht berechnet werden, jedoch kann der qualitative Verlauf der Felder und damit der Fluss der Energie bestimmt werden, wie in Abb. 10.4a dargestellt. Transformator In dieser Betrachtung zum Energietransport im Transformator werden auch die in der Schule erwähnten Energieverluste aus Abschn. 9.1.1 etwas genauer untersucht. In Schulbüchern (beispielsweise [3, 5, 7]) finden sich die Verluste, die hier zunächst fachlich wiedergegeben sind: • Ummagnetisierung des Eisenkerns: Die Magnetisierungskurven auch von weichen Ferromagneten zeigen Hysterese. Die Fläche zwischen den Kurven ist die zum Ummagnetisieren benötigte Energie. • Spulenwiderstand: Durch den endlichen Widerstand Ri der Spulendrähte wird darin Energie der Stärke Pi = Ri I 2 durch thermische Prozesse abgeführt. • Gegeninduktivität: Nicht der gesamte Fluss der Primärspule 1 = L 1 I1 gelangt in die Sekundärspule, sondern nur der durch die Gegeninduktivität L 12 < L 1 bestimmte Teil 2 = L 12 I1 = L 12 /L 1 1 . Vernachlässigt werden dabei Wirbelströme im Eisenkern, da der Effekt (bei einem Eisenkern aus isolierten Lamellen) sehr gering ist im Vergleich zu den anderen.
a
b
E H S Abb. 10.4 Skizzierter Energietransport in einem einfachen Stromkreis (a) und einem Transformator (b) anhand des Poynting-Vektors (grün). Zusätzlich sind elektrische (rot) und magnetische (blau) Feldstärken dargestellt
258
10 Energietransport in elektromagnetischen Systemen
Der Energietransport durch den Transformator wird hier wie bei Herrmann [8] beschrieben und ist am deutlichsten vorstellbar an einem Transformator mit einem rechteckigen Ring als Eisenkern und den Spulen rechts und links (siehe Abb. 10.4b). Am einfachsten betrachtet man genau einen Zeitpunkt, zu dem die Stromstärke des Primärkreises gerade steigt und positiv ist, also auch einen gewissen Umlaufsinn um den Eisenkern besitzt. Die Ströme in den Spulen sind so gerichtet, dass beispielsweise der obere Arm9 des ringförmigen Eisenkerns einen Südpol darstellt und der untere einen Nordpol. In einem solchen Moment verlaufen Feldlinien der magnetischen Feldstärke zwischen den Armen von unten nach oben, analog der elektrischen Feldstärke bei einem elektrischen Stromkreis in Abb. 10.4a. Um den ˙ Eisenkern herum verläuft ein elektrisches Wirbelfeld E W , das durch die Flussänderung im Eisenkern induziert wird. Dieses elektrische Wirbelfeld ist analog dem magnetischen Wirbelfeld, das um eine stromführenden Leitung eines elektrischen Stromkreises verläuft. Anhand des Verlaufs der Feldstärken kann der Verlauf der Energiestromdichte S bestimmt werden. Er führt von der Primärspule zur Sekundärspule.10 Ausgehend von diesem qualitativen Verständnis des Energietransports im Transformator können nun mehrere weiterführende Aspekte betrachtet werden. Der dritte Punkt der Verluste eines Transformators wurde oben als Gegeninduktivität bezeichnet. In Schul- und Lehrbüchern wird vom sogenannten Streufluss gesprochen. Damit ist das Magnetfeld gemeint, das zwar von der Primärspule erzeugt wird, jedoch nicht die Sekundärspule durchdringt. Der Streufluss wird oft sehr pauschal Streufeld genannt. Wie beim Ein- und Ausschaltvorgang jeder Spule ist die Energie in diesem Feld beim unbelasteten Transformator nicht verloren, sondern fließt für gewöhnlich im Verlauf eines Zyklus wieder in die erzeugende Spule zurück. Das Streufeld führt also trotz der allgemeinen negativen Konnotation nicht per se zu einem Energieverlust. Ist an die Sekundärseite ein Bauteil angeschlossen, das Energie abnimmt, hat das Streufeld eine weitere Aufgabe. Wie in Abb. 10.4b zu sehen, fließt über dieses Feld die Energie. Das Streufeld ist hier notwendig zur Energieübertragung, ohne dabei Energie auf anderem Wege abzugeben. Ein realer Effekt von Streufeldern ist eine Reduktion der maximalen Spannung und der Stromstärke, die in der Sekundärseite erreicht werden können. Bei gleichen Spulen und unterschiedlichen Bauformen des Eisenkerns mit unterschiedlich viel Streufeld erzielt die Bauform mit dem geringeren Streufeld die höhere Spannung/Stromstärke. Dabei geht allerdings keine Energie verloren, sie wird lediglich nicht übertragen. Genau dieser Effekt wird beim „Streufeldtransformator“ ausgenutzt, beispielsweise zur Sicherung empfindlicher Bauteile. Es gibt allerdings eine Möglichkeit, dass Streufelder zu Energieverlusten führen. Da das Streufeld beim Transformator ein Wechsel9 Welcher Arm es genau ist, der bei positivem Strom ein entsprechender magnetischer Pol wird, hängt von der Wicklung der Spulen ab. Das Vorzeichen der Polung ist allerdings nicht von Bedeutung. 10 Der Betrag und sogar die Richtung des Energiestroms durch den Transformator können sich mit der Zeit ändern, mit der Einschränkung, dass im zeitlichen Mittel die übertragene Energie P ≥ 0 ist. Möchte man den Energietransport durch einen Transformator erschöpfend erklären, muss man auch diesen Aspekt berücksichtigen. Hier beschränke ich mich auf einen Zeitpunkt, um die Felder betrachten zu können.
10.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
259
feld ist, kommt es tatsächlich in einem gewissen Maße zu Abstrahlung, wie im folgenden Kap. 11 zu elektromagnetischen Wellen besprochen wird. Und es gilt auch die qualitative Regel, je mehr Streufeld, desto mehr Abstrahlung. Die Menge der abgestrahlten Energie ist jedoch stark frequenzabhängig [∝ ω4 , siehe Gleichung (11.18)]. Beim Streufeld einer beliebigen Stromleitung mit 50 Hz ist sie genauso groß wie beim Streufeld eines Transformator mit 50 Hz und damit vernachlässigbar. Darauf basiert unsere elektrische Energieübertragung. Außerdem ist fraglich, wie schülergerecht der Energieverlust durch Abstrahlung vermittelt werden kann. All das mögen die Gründe sein, weshalb in Kuhn Physik S. 1 [3] und Universum Physik 2 [5] die Verluste durch den Streufluss nicht erwähnt werden. Der Energietransport und die Energieverluste im Transformator lassen sich auch in der Schule mit einem Energieflussdiagramm wie in Abb. 10.5 mit den dort angegebenen Verlusten allgemein darstellen.
Joulesche Wärme an Leiterschleife mit Induktion Um noch mehr Einblick in den Energietransport anhand der jouleschen Wärme und zu möglichen Systemgrenzen zu erhalten, werden diese Aspekte am Beispiel der Leiterschleife aus Abschn. 8.2.6 betrachtet. Dabei handelt es sich um eine einfache Leiterschleife mit variierendem magnetischen Fluss, die an einer Stelle unterbrochen ist. Für die energetischen Betrachtungen kann angenommen werden, dass ein Widerstand die unterbrochene Stelle überbrückt. Zur Bestimmung der konkreten Stromstärke und Spannung müsste nun noch die Eigeninduktion berücksichtigt werden, für allgemeine Betrachtungen zur Energieübertragung ist dies jedoch nicht weiter von Bedeutung. Man ist bei einem solchen Stromkreis versucht, alles Elektromagnetische als ein einziges System zusammenzufassen, also den Stromkreis und das vom Experimentator angelegte zeitlich sich ändernde Magnetfeld. In diesem Fall kommt die Energie, die im Bauteil abgegeben wird, aus dem Magnetfeld. Die Übertragung erfolgt durch die Induktion, und in diesem Fall gilt die Maschenregel n Un = 0 nicht mehr, da es nur eine Spannung am Bauteil gibt,
P = + U1I1
Felder des Primärkreis
POhm
P _ = + U 1I 1
Felder des Eisenkerns
PUmmag
P _ = + U2I2
Felder des Sekundärkreis
P _ = U2I2
POhm
Abb. 10.5 Energieflussdiagramm für den Transformator. Die transportierte Energie P kann immer beim Übergang von einem System in ein anderes angegeben werden. Grün dargestellt ist die gewünschte Energieübertragung, wobei das Vorzeichen davon abhängt, aus welchem System die Energie austritt und in welches sie eintritt. Die Verluste an die Umgebung sind rot eingezeichnet
260
10 Energietransport in elektromagnetischen Systemen
Abb. 10.6 Energieflussdiagramm für eine Leiterschleife inklusive Bauteil mit Widerstand R, in der eine Spannung induziert wird wie in Beispiel 8.2.6. Das außen angelegte, sich zeitlich ändernde Magnetfeld ist dabei ein System, das durch die Induktion und die Induktionsspannung Energie auf die Leiterschleife überträgt. Wichtige Eigenschaften und Größen des Problems sind auf die beiden Systeme aufgeteilt
und diese Spannung entspricht der Induktionsspannung. Das alles ist sehr kontraintuitiv und wird sehr schnell unübersichtlich und komplex. Man müsste beispielsweise auch betrachten, wie das Magnetfeld geändert wird, woher die Energie dafür kommt, und so weiter. In den meisten Fällen ist man allerdings wirklich nur am Stromkreis interessiert. Deshalb kann es sinnvoll sein, nur den Stromkreis als das System zu definieren. Die von außen angelegte Flussdichte B(t) und das dazugehörige induzierte Wirbelfeld der elektrischen Feldstärke × E = ∇ × E W = −∂ B/∂t ∇ gehören zu einem anderen System, das auf den Stromkreis wirkt, und müssen dann auch nicht mehr im Detail betrachtet werden. Die Induktionsspannung im entsprechenden Leiterstück ist dann für den Stromkreis eine externe Spannung Uext von einem externen System, wie von einer Batterie. Die elektrische Feldstärke des Stromkreises ist, wie im Fall mit einer Batterie, ein Gradientenfeld11 E G und kann, wie im Beispiel besprochen, durch ein Potential ϕ beschrieben werden. Das Wirbelfeld E W im Leiterstück zeigt in Richtung des Stroms, das Gradientenfeld gerade in die andere Richtung, wie in einer Batterie. Darin sind die Stromdichte j und die Feldstärke des Stromkreises E G antiparallel, ihr negatives Skalarprodukt − j · E G > 0 ist größer null und der Stromkreis nimmt hier Energie auf. Es ist nun alles analog zu einem Stromkreis mit Batterie. Auch die Maschenregel kann mit den Spannungen des Stromkreises Un verwendet werden, wenn sie durch die nega tiven Potentialdifferenzen definiert sind Un = −ϕn . Somit gilt n ϕn = n Un = 0. Allgemein kann man sagen, dass die Maschenregel immer anwendbar auf einen Stromkreis ist, falls man Quellspannungen ausschließt, bzw. sich auf Potentialdifferenzen beschränkt. Auch in einem Stromkreis mit Batterie würde die Maschenregel nicht gelten, würde man die Quellspannung der Batterie mit einschließen. Ein mögliches Energieflussdiagramm mit den hier definierten Systemen ist in Abb. 10.6 dargestellt.
11 Die gesamte vorhandene Feldstärke E von Induktion und induzierten Ladungen wird nicht als ein
System betrachtet, sondern ist die Summe des Wirbelfeldes der Induktion und des im Stromkreis entstehenden Gradientenfeldes, E = E W + E G .
10.4
10.4
Zusammenfassung
261
Zusammenfassung
Schule • Ausführlichkeit der Besprechung der Energie als Konzept und Transportgröße unterscheidet sich je nach Lehrplan und Schulbuch. • Die vornehmliche Beschreibung erfolgt mit den Begriffen Energieformen und Energiewandler, selten mit Energieträgern, zwischen denen erhaltene Energie umgeladen wird. Hochschule: • Maxwell-Gleichungen: =ρ ·D I :∇ × E = − ∂ B III :∇ ∂t
· B = 0 II :∇ × H = j + IV :∇
∂D ∂t
• Die Energie ist eine extensive Erhaltungsgröße und kann innerhalb und zwischen Systemen transportiert werden. • Bilanzgleichung der Energie: ∂ |P| ∇·S+ wel + wmag = − j · E = − ∂t V Energiestromdichte: S = E × H Energiedichten: wel , wmag Joulesche Wärme: − j · E • Die joulesche Wärme beschreibt den Energieaustausch des betrachteten elektromagnetischen Systems mit anderen (Teil-)Systemen. Definiert man die Vorzeichen der elektrischen Stromstärke I und der Spannung U wie in der Elektrotechnik üblich und möchte, dass das Vorzeichen der Energiestromstärke bzw. der Leistung P die Energieauf- und abgabe beschreibt, so ist P = −U I . Oft ist man lediglich am Betrag der Leistung interessiert. • Im Gleichgewicht ist die in den Feldern transportierte Energie (beschrieben durch den Poynting-Vektor) identisch mit der aufgenommenen und abgegebenen Energie (beschrieben durch die joulesche Wärme), wie am einfachen Stromkreis gezeigt. Vergleich: • Die Versprachlichung des Energiekonzepts und seine Darstellung in der Elektrizitätslehre weist Ambiguitäten auf, die mit Lernproblemen und Schülervorstellungen in Verbindung stehen könnten. Verschiedene Energieformen widersprechen konzeptuell einer Energieerhaltung; Ausdrücke wie „Spannung ist Arbeit pro Ladung“
262
10 Energietransport in elektromagnetischen Systemen
könnten ein Gleichsetzen der Konzepte Spannung und Energie fördern; von Wirkungen des elektrischen Stroms zu sprechen, wenn die Wirkungen Zeichen der Energieübertragung sind, könnten das Gleichsetzen der Konzepte Stromstärke und Energie fördern. • Der Energietransport in einem magnetischen Kreis, wie dem des Transformator, verläuft analog zum Energietransport in einem elektrischen Kreis. • Durch entsprechende Einteilung der Systeme kann in Stromkreisen weiterhin mit einem skalaren Potential ϕ und der Maschenregel gearbeitet werden. Induktionsspannungen entsprechen dann Spannungen die auf den Stromkreis als System einwirken.
Literatur 1. Appel, Thomas, et al. 2016. Spektrum Physik S1 Rheinland-Pfalz. Braunschweig: Schroedel. 2. Backhaus, Udo 1987. Der Energietransport durch elektrische Ströme und elektromagnetische Felder. In: Praxis der Naturwissenschaften/Physik 36 (3): 30. 3. Bang, Gunter, et al. 2012. Kuhn Physik SI Niedersachsen. Hrsg. Wilfried Kuhn und Rainer Müller. Braunschweig: Westermann. 4. Becker, Sylvia, et al. 2009. Metzler Physik (Bayern). Hrsg. Joachim Grehn und Joachim Krause. Braunschweig: Westermann Schroedel. 5. Bogenberger, Benedict et al. 2015. Universum Physik Band 2 Baden-Württemberg. Hrsg. von Carl-Julian Kienle Reine, und Pardall. Berlin: Cornelsen 6. Bredthauer, Wilhelm et al. 2009. Impulse Physik Bayern 11. Stuttgart: Klett. 7. Feldmann, Christian, et al. 2014. Impulse Physik 2 – Nordrhein-Westfalen. Stuttgart: Klett. 8. Herrmann, Fridrich, und Gary Bruno Schmid. 1986. The Poynting vector field and the energy flow within a transformer. American Journal of Physics 54(6):528-531. 9. Herrmann, Friedrich, und Holger Hauptmann. 2010. Karlsruher Physikkurs für die Sekundarstufe II – Elektrodynamik. Hrsg. Friedrich Herrmann. Köln: AULIS Verlag Deubner. 10. Meschede, Dieter (Hrsg.). 2010. Gerthsen Physik. Berlin: Springer. 11. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur. 2014. Lehrpläne für die Naturwissenschaftlichen Fächer für die weiterführenden Schulen in Rheinland-Pfalz. http:// lehrplaene.bildung-rp.de/gehezu/startseite.html. Zugegriffen: 05. Dez. 2016. 12. Niedersächsisches Kultusministerium. Kerncurriculum Naturwissenschaften Gymnasium-Sek.I. 2015. https://cuvo.nibis.de/cuvo.php?p=download&upload=18. Zugegriffen: 29. Juni 2020. 13. Schmälzle, Peter. 2012. Energieströme im elektromagnetischen Feld. In Praxis der Naturwissenschaften – Physik in der Schule 61:30-32.
Elektromagnetische Wellen
11
Inhaltsverzeichnis 11.1 Schulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Experimente aus Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3 Konzepte und Strukturen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Hochschulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Elektrische Schwingkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Elektromagnetische Drahtwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Elektromagnetische Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.4 Dipolstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1 Vergleich der Sachstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2 Elementarisierung des elektrischen Schwingkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.3 Von Schwingungen zu Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.4 Stille Post in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.5 Die Besonderheit elektromagnetischer Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
264 264 264 267 271 272 275 276 278 280 280 282 283 284 286 286 288
In den bisherigen Kapiteln lag der Schwerpunkt auf der Betrachtung der Sekundarstufe I mit Ergänzungen für die Sekundarstufe II. Dieses Kapitel und die folgenden umfassen Themen, die in der Sekundarstufe I für gewöhnlich nur angedeutet oder erwähnt, aber nicht ausführlich besprochen werden. Es wird sich somit nur noch auf die Sekundarstufe II konzentriert. In diesem Kapitel zu elektromagnetischen Wellen geht es nicht nur um ihre bloße Existenz, wie man sie rein deduktiv aus den Maxwellgleichungen ableiten kann – eine der zentralen Leistungen J. C. Maxwells. Für den schulischen Unterricht wird auch die Erzeugung elektromagnetischer Wellen auf der Basis elektrischer Schwingkreise nach Hertz für wichtig empfunden, obwohl dieser Teil erheblich komplexer ist. Alle dafür wichtigen Aspekte
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4_11
263
264
11 Elektromagnetische Wellen
fachlich zu klären und für die Schule zu diskutieren, würde bei weitem den Rahmen sprengen. Es werden von den drei Bereichen – elektrische Schwingkreise, hertzscher Dipol und Existenz/Eigenschaften von elektromagnetischen Wellen – jeweils wenige wichtige Aspekte herausgegriffen.
11.1
Schulübliche Darstellung
11.1.1 Themenüberblick anhand von Lehrplänen In den Lehrplänen ist die Spannbreite sehr groß, wie und in welcher Ausführlichkeit elektrische Schwingungen und Wellen dargestellt werden sollen. In einigen Lehrplänen [12, 15, 16] wird es nur als ein Unterpunkt im allgemeinen Bereich der Wellen gesehen. In vielen Lehrplänen [11, 13, 14, 18, 19] gibt es die Vorgabe, dass die elektromagnetischen Wellen auf der Basis elektromagnetischer Schwingungen behandelt werden, also LC-Schwingkreisen, und wie die Wellen am (hertzschen) Dipol entstehen.
11.1.2 Experimente aus Schulbüchern In den betrachteten Schulbüchern [2–5] finden sich vergleichbare Experimente – nahezu alle sind aus Bayern. In diesem Abschnitt werden die meisten dieser Experimente in der auftretenden Reihenfolge beschrieben, und es wird nur sehr reduziert auf ihre Funktionen im Unterricht eingegangen. Langsamer Schwingkreis Zur Demonstration gut wahrnehmbarer elektrischer Schwingungen wird ein relativ einfacher Aufbau verwendet mit großen Zeigermessgeräten und Spule und Kondensator mit großer Energiespeicherfähigkeit, die zu langsamen Schwingungen führen. Ein möglicher Aufbau ist in Abb. 11.1 zu sehen. Spule und Kondensator haben möglichst große Induktivität (≈ 500 H) bzw. Kapazität (≈ 100 μF).1 Lädt man den Kondensator mit einer hohen Spannung auf (≈ 100 V) und verbindet ihn mit der Spule, so oszillieren die Spannung am Kondensator und die Stromstärke durch den Kreis mit einer Periode von T ≈ 7 s und um eine Viertelschwingung versetzt. Mit dem Widerstand der Leitungen und der Messgeräte klingen diese Schwingungen langsam ab.
1 Diese Werte für Induktivität und Kapazität entstammen Zeiten, als es noch kaum Elektrolyt- oder
Superkondensatoren für hohe Spannungen gab. Heutzutage kann auch ein Kondensator mit 10 bis 1000-facher Kapazität und eine Spule mit dementsprechend geringerer Induktivität bei gleicher Schwingungsdauer verwendet werden.
11.1
Schulübliche Darstellung
265
Abb. 11.1 Versuchsaufbau zur Demonstration langsamer elektrischer Schwingungen in einem LCKreis. Die Verbindungen des Schwingkreises sind dicker als die Linien zur Spannungsversorung und zum Spannungsmessgerät. Mit dem Schalter kann in einer Stellung die Spannungsversorgung mit dem Kondensator verbunden werden, in der anderen die Schwingung erlaubt werden
Gedämpfter Schwingkreis Zur Darstellung elektrischer Schwingungen mit üblichen Kondensatoren und Spulen (C ≈ 100 nF, L ≈ 30 mH, f ≈ 3 kHz) wird ein anderer Aufbau benötigt. Eine sehr einfache Möglichkeit ist in Abb. 11.2 dargestellt. Der Schwingkreis besteht aus dem Kondensator, der Spule und dem Funktionsgenerator. Die Spannung über der Spule wird mit einem Oszilloskop oder einem digitalen Messdatenerfassungsgerät aufgenommen. Der Funktionsgenerator hat in diesem Aufbau zwei Funktionen. Zum einen ist sein Innenwiderstand Teil des R LC-Schwingkreises. Zum anderen wird eine Rechteckspannung von einigen Volt und ungefähr 100 Hz vorgegeben. Der Signaltrigger des elektronischen Messgeräts an der Spule wird auf diese periodische Anregung eingestellt. Man beobachtet eine stillstehende Anzeige,
Abb. 11.2 Gedämpfte elektrische Schwingungen in einem R LC-Kreis mit periodischer Anregung. In dieser Schaltung dient der Innenwiderstand Rin der Spannungsversorgung als Dämpfung. Die Spannungsversorgung ist ein Funktionsgenerator, womit der Schwingkreis wiederholt angeregt werden kann. Die Spannungsmessung erfolgt mit einem Oszilloskop, das mit dem Funktionsgenerator synchronisiert ist
266
11 Elektromagnetische Wellen
in der beim Spannungswechsel des Funktionsgenerators eine Schwingung angeregt wird, die während konstanter Spannung frei und gedämpft stattfindet (siehe Inset in Abb. 11.2). Bei Variation von Kapazität und Induktivität √ wird eine solche Schaltung im Zusammenhang mit der Thomson-Gleichung T = 2π LC im Unterricht eingesetzt. Zur Behandlung verschiedener Dämpfungen und der Resonanz muss die Schaltung um einen variablen Widerstand und eine Strommessung ergänzt werden.
Strom und Potential am hertzschen Dipol Bei einem hertzschen Dipol werden hochfrequente Schwingungen in einem geraden Leiter angeregt. Die Schwingungen der Stromstärke und des lokalen Potentials in einem solchen Dipol lassen sich nicht direkt wahrnehmen und nur schwer durch Messgeräte im Detail darstellen. Es gibt Möglichkeiten der qualitativen Demonstration. Zur Darstellung der Stromcharakteristik kann beispielsweise ein Leiter mit mehreren Lämpchen wie in Abb. 11.3a zu hochfrequenten Schwingungen angeregt werden. Besitzen alle Lämpchen den gleichen Widerstand, so ist deren Helligkeit ein Indikator der Stromstärke. In der Mitte des Leiters, wo sich der Bauch der Schwingung der Stromstärke befindet, leuchten die Lämpchen sehr hell, und an den Enden, dort wo sich die an den Schwingungsknoten befinden, sind sie dunkel. Mit einem weiteren solchen hertzschen Dipol mit einem Lämpchen, das in einiger Entfernung vom Sender leuchtet, wird der Empfang der ausgesendeten elektromagnetischen Welle verdeutlicht. Hält man ein (Glimm-)Lämpchen an einen hertzschen Dipol (Abb. 11.3b), so erkennt man ein kontinuierliches Leuchten an den Bäuchen des Potentialverlaufs an den Enden, das nachlässt, je näher man dem Knoten in der Mitte kommt. Wichtig ist hier, dass man mit einem Kontakt des Lämpchens den Leiter berührt, während man selbst die Erdverbindung mit dem anderen Kontakt ist. Das im Verhältnis zum Erdpotential oszillierende Potential des Leiters führt dann zu einem Wechselstrom. An einem Knoten ist das Potential konstant
x
x b
a I
ϕ
Abb. 11.3 a Der Stromverlauf (rechts) eines Hochfrequenzsenders kann durch niederohmige Lämpchen in der Antenne (links) gezeigt werden. b Der Potentialverlauf (rechts) kann durch das Berühren der Antenne mit Glimmlämpchen dargestellt werden (links)
11.1
Schulübliche Darstellung
267
und, spätestens wenn man den Leiter dort berührt, auf Erdpotential – das Lämpchen leuchtet nicht. Lecher-Leiter Eine Erweiterung des Experiments zur Darstellung der Strom- und Potentialschwingungen am hertzschen Dipol ist ein analoges Experiment an einem sogenannten Lecher-Leiter. Hier können mehrere Knoten und Bäuche einer stehenden elektrischen Schwingung dargestellt werden. In Abb. 11.4 wird dies anhand der zugehörigen Felder veranschaulicht – elektrische Feldstärke für das Potential und magnetische Feldstärke für den Strom. Abb. 11.4a und b haben einen Zeitunterschied von T /4 – eine Viertelschwingung nachdem das elektrische Feld maximal ist und das magnetische Feld verschwindet, ist das magnetische Feld maximal und das elektrische verschwindet.
Experimente mit Mikrowellen In diesem Punkt wird kein konkretes Experiment besprochen, sondern vielmehr eine Klasse von Experimenten. Nachdem elektromagnetische (Mikro-)Wellen als Konzept verdeutlicht wurden, werden zahlreiche wellentypische Experimente mit Mikrowellensendern und – empfängern vorgestellt: Reflexion, stehende Wellen, Polarisation, Brechung, Beugung und Interferenz. Lediglich beispielhaft ist in Abb. 11.5a die Reflexion und in Abb. 11.5b die Interferenz am Doppelspalt dargestellt.
11.1.3 Konzepte und Strukturen in Schulbüchern Ein zentrales Vorgehen in den hier betrachteten Schulbüchern ist die Einbettung elektromagnetischer Schwingungen und Wellen in die allgemeine Konzeption physikalischer Schwingungen und Wellen. Allgemeine Eigenschaften von Schwingungen und Wellen werden an
a
E b
H
Abb. 11.4 Ist die elektrische Feldstärke E in einem Lecherleiter maximal, exisitiert keine magnetische Feldstärke H (a). Eine Viertelschwingungsperiode später ist das H -Feld maximal und kein E-Feld vorhanden (b)
268
11 Elektromagnetische Wellen
a
b
Abb. 11.5 Typische Experimente mit Mikrowellen – Reflexion (a) und Beugung und Interferenz am Doppelspalt (b)
Beispielen der Mechanik wiederholt und verallgemeinert auf elektrische Schwingungen und Wellen angewendet. Schwingkreise: Der Demonstrationsversuch zum langsamen Schwingkreis (Abb. 11.1) wird begleitet von einer Beschreibung und einer Erklärung einer analogen mechanischen Schwingung, um Vertrauen in die Erklärung mit den unsichtbaren elektromagnetischen Feldern zu schaffen. Dabei wird für gewöhnlich ein Körper einer bestimmten Masse m an einer Spiralfeder der Federhärte D betrachtet. Die Energie in der gespannten Feder wird dann mit der Energie im elektrischen Feld und die Energie in der Bewegung des Körpers mit der Energie des√ magnetischen Feldes in Analogie gesetzt. Deduktiv wird die ThomsonGleichung T = 2π LC für den Schwingkreis hergeleitet, und daran werden die Größen der mechanischen Schwingung, m und 1/D, mit den entsprechenden Größen der elektrischen Schwingung, L und C, verglichen. Einfache Schwingkreise, wie beim Experiment zum gedämpften Schwingkreis (Abb. 11.2) werden einerseits genutzt, um das Vertrauen in die zugrundeliegende Theorie zu stärken, und andererseits zur phänomenologischen Beschreibung von Dämpfung und Resonanz in getriebenen Schwingkreisen. Sehr großes Gewicht wird in den Schulbüchern auf die elektrotechnische Erzeugung ungedämpfter Schwingungen durch Rückkopplung gelegt. Einerseits hat die Hochfrequenztechnik einige Bedeutung für drahtlose Kommunikation in unserem derzeitigen Alltag, andererseits soll damit zur Erzeugung elektromagnetischer Wellen mit einem hertzschen Dipol hingeführt werden.
Wellenerzeugung: Durch die anschließenden Experimente zum Strom- und Potentialverlauf im hertzschen Dipol wird abgeleitet, dass es sich auch hierbei um elektrische Schwingungen handelt. Ergänzt wird dies konzeptuell anhand eines Gedankenexperiments. Ausgehend von einem gewöhnlichen Schwingkreis verringert man L und C durch Reduktion der Spulenwindungen und Vergrößerung des Plattenabstands, bis man nur noch einen
11.1
Schulübliche Darstellung
269
Leiterkreis/-bogen hat, den man schließlich ganz aufbiegt zu einem geraden Stück Leiter – dem hertzschen Dipol. Mit einem sogenannten Empfängerdipol, der aufgebaut ist wie der Dipol in Abb. 11.3a mit nur einem Lämpchen in der Mitte, wird die Abkopplung und das Aussenden der elektromagnetischen Felder durch das Leuchten des Lämpchens in einigem Abstand zum Sender nahegelegt. Um zu zeigen, dass es sich hier tatsächlich um eine wellenartige Ausbreitung handelt, werden experimentell stehende gebundene Wellen an Lecher-Leitern oder freie stehende Wellen durch Reflexion an Metallplatten betrachtet. Zwei Aspekte sind hier wichtig. Stehende Wellen zeigen charakteristische Abfolgen von Knoten und Bäuchen. Das impliziert, dass es nicht nur das zeitabhängige Feld des Senders ist, das der Empfänger aufnimmt, sondern sich tatsächlich Wellen vom Sender ablösen. Der zweite Aspekt ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen. Man nimmt hierzu an, dass es sich tatsächlich um stehende Wellen handelt und verwendet die Kenntnis der Frequenz des Senders und der halben Wellenlänge, also des Abstand zweier Knoten, um mit der Formel λ f = c die Ausbreitungsgeschwindigkeit zu bestimmen. Simulationen: Die elektromagnetischen Felder können bei der Entstehung von Wellen nicht zeitaufgelöst und in ihrer räumlichen Struktur gemessen werden. Hierfür werden verschiedene Grafiken verwendet, die Nahfeld, Fernfeld und stehende Wellen visualisieren sollen. Anstelle solcher Grafiken können auch Simulationsprogramme als virtuelle Experimente verwendet werden. In Abb. 11.6 ist eine Aufnahme aus dem Simulationsprogramm des virtuellen Physiklabors der Uni Kassel zur Abstrahlung an einem Dipol dargestellt.
Abb. 11.6 Abstrahlung an einem Dipol im Schnitt durch die Achse des Dipols, dargestellt mit einem Simulationsprogramm des virtuellen Physiklabors der Universität Kassel. Der Betrag des H -Feldes ist gelb dargestellt, der des E-Feldes blau. Sind die beiden Felder überlagert, ergibt sich weiß. Weiße Linien sind E-Feldlinien
270
11 Elektromagnetische Wellen
Blaue Farbe zeigt einen hohen Betrag elektrischer Feldstärke und gelbe Farbe eine große magnetische Feldstärke an, weiße Farbe wird an Orten angezeigt, an denen das elektrische Feld und das magnetische Feld gleichstark sind. Zusammen mit der Möglichkeit der Variation von Frequenz und Ausdehnung des Dipols kann damit sehr gut das Nah- und Fernfeld untersucht werden. In Abb. 11.6 erkennt man das Nahfeld an der Unterscheidbarkeit der Farben Blau und Gelb – elektrische und magnetische Feldstärke sind phasenverschoben – und das Fernfeld an der weißen Farbe der Wellen – die Felder sind phasengleich. Eigenschaften von Wellen: Grundlegende Eigenschaften elektromagnetischer Wellen sind weiterhin die Transversalität, der Zusammenhang der Ausbreitungsgeschwindigkeit mit den √ elektromagnetischen Konstanten c0 = 1/ ε0 μ0 und der Zusammenhang zwischen den Beträgen der Felder E = cB. Um das Vertrauen in den Wellencharakter dieser elektromagnetischen Strahlung zu stärken und gleichzeitig die Einführung von Licht als elektromagnetische Welle vorzubereiten, werden die Experimente mit Mikrowellen vorgeführt (siehe beispielsweise Abb. 11.5 zu Reflexion, Brechung, Beugung, Interferenz und Polarisation). Unterstrichen wird dies durch die Erklärung von Reflexion und Brechung durch das huygenssche Prinzip bzw. das Prinzip der Elementarwelle. Maxwell-Theorie: Gegen Ende des Abschnitts findet sich in einigen Schulbüchern ein Bezug zur maxwellschen Theorie. Es findet sich ein Argumentationsschema wie in Fokus Physik 11 ([5], S. 81): • Jedes zeitlich veränderliche elektrische Feld ist von einem magnetischen Wirbelfeld umgeben. • Jedes zeitlich veränderliche Magnetfeld ist von einem elektrischen Wirbelfeld umgeben. Dieses erzeugt ein weiteres magnetisches Feld[...]. • Die Wirbelfelder breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit als elektromagnetische Welle im Raum aus[...].
Der erste Teil ist etwas Neues, und zwar die maxwellsche Erweiterung der vierten Maxwellgleichung aus Tab. 10.1, der zweite Teil ist das Induktionsgesetz. Diese Argumentation ist von einer Grafik wie in Abb. 11.7 begleitet. Aus Symmetriegründen wurde dabei, wie
x y Abb. 11.7 Überdenkenswerte Visualisierung der Existenz elektromagnetischer Wellen nach einer Argumentation mit der Maxwell-Theorie in einigen Schulbüchern. Ringe einer Farbe sind B-Feld, die der anderen Farbe E-Feld
11.2
Hochschulübliche Darstellung
271
auch beispielsweise in Impulse Physik 11 ([4], S. 102), auf eine Unterscheidung zwischen elektrischem und magnetischem Feld verzichtet. Am Ende dieser Zusammenfassung über die schulischübliche Darstellung von elektromagnetischen Schwingungen und Wellen soll ein weiteres Mal betont werden, dass es sich hier nur um die Darstellungsweisen von Schulbüchern zu einem einzigen Lehrplan, und zwar dem bayerischen, handelt. Der Abschnitt zu den Lehrplänen in verschiedenen Bundesländern soll verdeutlichen, dass die inhaltliche Gliederung in Schulbüchern anderer Bundesländer grundlegend anders sein kann. Die Beschränkung auf einen Lehrplan soll auch nicht andeuten, dass dieser Lehrplan und die zugehörigen Schulbücher besser als andere sind. Jedoch verlangt dieser Lehrplan eine sehr ausführliche Darstellung elektromagnetischer Schwingungen und Wellen, somit wird dadurch inhaltlich das Wichtige auch für andere Lehrpläne behandelt.
11.2
Hochschulübliche Darstellung
In physikalischen Lehrbüchern findet sich selten eine Strukturierung wie in den Lehrplänen und Schulbüchern, die vom Schwingkreis ausgeht und über den hertzschen Dipol zu den elektromagnetischen Wellen führt. In Kompendien wie Tipler [20] und Gerthsen [10] gibt es vor den Kapiteln zu elektromagnetischen Wellen Kapitel zu Wechselstromkreisen, in denen auch Schwingkreise behandelt werden. Die Behandlung der Schwingkreise ist allerdings unabhängig von der der elektromagnetischen Wellen. Bei Griffiths [7] gibt es keinen Abschnitt zu Schwingkreisen, und bei Fließbach [6] werden Schwingkreise nach den elektromagnetischen Wellen und auch nach dem hertzschen Dipol in einem abgetrennten Kapitel besprochen. Nur in Bergmann-Schaefer [17] gibt es ein gemeinsames Kapitel „Elektromagnetische Schwingungen und Wellen“ mit einer Systematik ähnlich den Schulbüchern. Der hochschulische Hintergrund des schulischen Themengebiets elektrischer Wellen ist sehr vielschichtig und befasst sich mit den elektromagnetischen Schwingungen, ihrer Erzeugung, der Existenz elektromagnetischer Wellen und ihrer technischen Erzeugung. Je nach hochschulischer Darstellung in den Lehrbüchern könnte praktisch jeder dieser vier Punkte ein eigenes Kapitel einnehmen. Im Folgenden sollen nur sehr verkürzt die wichtigsten Punkte zu elektrischen Schwingungen genannt werden, ohne im Detail auf ihre technische Erzeugung einzugehen. Etwas mehr Gewicht wird auf elektromagnetische Wellen und ihre Erzeugung gelegt. Reale Experimente werden für die hochschulische Darstellung nicht weiter ausgeführt, da die grundlegenden Experimente analog zu denen in der Schule und die weiterführenden Experimente zu technisch sind und zu sehr ins Detail führen. Die theoretischen Konzepte sind dagegen wichtig für einen fachlichen Blick auf die schulische Seite.
272
11 Elektromagnetische Wellen
a
b
C L
L
UG
C
R Abb. 11.8 (a) Idealer LC-Kreis: Parallelschaltung aus Kondensator C und Spule L. (b) Der R LCKreis: Reihenschaltung aus Kondensator C, Spule L und Widerstand R, getrieben durch eine Wechselspannung UG
11.2.1 Elektrische Schwingkreise Der einfache Schwingkreis Der Fokus dieses Abschnitts liegt auf den Näherungen, die bei einem Schwingkreis gemacht werden,2 und schließt mit der Zusammenfassung des Verhaltens des elektrischen Stroms und der Spannung.3 Man betrachtet eine Parallelschaltung aus einem Kondensator der Kapazität C und einer Spule der Induktivität L wie in Abb. 11.8a. Aus der Elektro- und Magnetostatik kennt man die charakterisierenden Gleichungen dieser Bauteile als: Qc C II : N L = L I L I : Uc =
(11.1)
Für Gleichung I gilt dabei ∂ B/∂t = 0, es gibt also keine Induktion im Kondensator, und für Gleichung II gilt ∂ E/∂t = 0, es gibt also keinen maxwellschen Verschiebungsstrom in der Spule. Oszilliert eine Ladungsverteilung zwischen den Kondensatorelektroden durch die Spule, ist das nur näherungsweise gegeben. Verwendet man für den Schwingkreis die obigen Gleichungen für die jeweiligen Bauteile und lässt die Größen Spannung U (t), Ladung Q(t), Fluss (t) und Stromstärke I (t) von der Zeit abhängen, so spricht man von der ˙ an der Spule ist gleich quasistatischen Näherung. Die Induktionsspannung Uind = −N (t) der Spannung am Kondensator und verbindet die Gleichungen I und II: Uind = Uc = U (t) ; →
1 ˙ 1 Q = I = −L I¨ C C
2 Siehe hierzu auch Fließbach ([6] Kap. 26). 3 Siehe hierzu auch Tipler ([20] Kap. 26).
Q(t) ˙ = −N (t) = −L I˙(t) C (11.2)
11.2
Hochschulübliche Darstellung
273
Man erhält eine Differentialgleichung 2. Ordnung4 mit der Lösung: 1 , I (t) = I0 sin(ω0 t), ω0 = √ LC L ˙ U (t) = −L I = − I0 cos(ω0 t), C
(11.3)
U0
wobei ω0 die Eigenfrequenz des Schwingkreises ist. Die quasistatische Näherung soll nun noch genauer formuliert werden. Im Kondensator muss gelten und in der Spule muss |∂ E/∂t| gelten. Verwendet × E| × B| |∂ B/∂t| |∇ |∇ 5 man l als charakteristische Ausmaße von Spule und Kondensator, so ergibt sich für die Näherung als gemeinsame Bedingung ωl 1. c
(11.4)
Die Geschwindigkeit v = ωl ist dabei die Geschwindigkeit der Ladungsträger im Schwingkreis, und die Bedingung v/c 1 setzt eine Obergrenze dieser Geschwindigkeit, damit die quasistatische Näherung verwendet werden kann. Die Driftgeschwindigkeit der Ladungsträger muss also sehr viel kleiner sein als die Lichtgeschwindigkeit. Dies ist immer gegeben. Gleichzeitig kann man daraus ablesen, dass die durchgeführten Näherungen eine nichtrelativistische Näherung darstellen. Eine weitere Folge dieser Näherung ist die Vernachlässigung der Abstrahlung elektromagnetischer Wellen. So bedeutet die fehlende Induktion im Kondensator, dass zwar das zeitlich variierende elektrische Feld ein Magnetfeld erzeugen kann, dieses jedoch kein weiteres elektrisches Feld hervorruft und es zu keiner Ausbreitung elektromagnetischer Wellen kommen kann. Analoges gilt in der Spule. Der getriebene Schwingkreis mit Dämpfung Nach dem einleitenden Abschnitt zum einfachen, ungedämpften Schwingkreis wird nun ein sehr allgemeiner Fall des getriebenen und gedämpften Schwingkreises betrachtet. Es werden einige sinnvolle Vereinfachungen gemacht. Die antreibende Spannung sei eine ideale Spannungsquelle, die einen Sinus ausgibt. Die Dämpfung wird nur für einen ohmschen Widerstand betrachtet. In der heutigen Technik, die auf Halbleiterkomponenten basiert, gibt es Widerstände, die nicht ohmsch sind, also keine lineare Strom-Spannungs-Charakteristik aufweisen. Auch weitere wichtige Kanäle einer Dämpfung sind nicht ohmsch, beispielsweise eine elektromagnetische Abstrahlung oder die Energie, die in die Ummagnetisierung 4 Man könnte auch die Stromstärke aus der Gleichung eliminieren und erhielte dann die gleiche
Differentialgleichung mit der Spannung anstelle der Stromstärke. 5 Das wären Länge und Durchmesser der Spule und Abstand und Durchmesser der Kondensatorplatten.
274
11 Elektromagnetische Wellen
und die Erwärmung durch Wirbelströme in den Eisenkern der Spule fließt. Der Kern des Abschnitts ist eine kurze Wiederholung der komplexwertigen Darstellungsweise zeitabhängiger elektrischer Größen.6 Zunächst muss kurz etwas zur Nomenklatur erwähnt werden. In beispielsweise BergmannSchaefer [17] oder auch in Schulbüchern wie Metzler [3] werden, wie in der Elektrotechnik üblich, für die zeitabhängige Stromstärke und die zeitabhängige Spannung Kleinbuchstaben verwendet (I (t) = i). Das ist das einzige mir bekannte Beispiel, in dem man einer zeitabhängigen Größe einen anderen Buchstaben zuordnet als der zeitunabhängigen. Dieses Vorgehen entspricht nicht der inneren Logik der Physik. Besonders irritierend ist dies im Zusammenhang mit der Tatsache, dass die zeitabhängige Stromstärke i mit komplexen Zahlen und der komplexen Einheit i beschrieben wird. In der Elektrotechnik wird das Problem dadurch umgangen, dass die komplexe Einheit mit j bezeichnet wird. Da in der Physik j das Symbol der Stromdichte ist, scheint dies keine sinnvolle Möglichkeit in der Physik zu sein, weshalb dies beispielsweise in Bergmann-Schaefer nicht gemacht wird. In diesem Buch wird für alle zeitabhängigen Größen der gleiche Buchstabe wie für die zeitunabhängigen Größen verwendet. Dagegen werden die komplexwertigen Versionen der entsprechenden Größen mit einem anderen Buchstaben gekennzeichnet. Dies begründet sich darin, dass eine komplexe Zahl nicht messbar und nur ein mathematisches Hilfsmittel ist: U (t) = Re U ,
I (t) = Re I
(11.5)
Für den komplexwertigen Widerstand7 Z könnte man auch den Realteil betrachten und man käme auf den ohmschen Widerstand Z R = R. Dies könnte jedoch in so weit missverständlich sein, dass man dabei vergessen könnte, dass die reellen Werte und Verläufe von U und I durch die rein imaginären Widerstände Z C und Z L beeinflusst werden. Diese Einleitung zur Nomenklatur mag etwas übertrieben für den kurzen folgenden Abschnitt wirken. Ein Kurs auf Basis dieser Nomenklatur ist in sich allerdings sehr stimmig und kohärent, wie beispielsweise im Scriptum von Prof. Uwe Krey [9] zu sehen. In Abb. 11.8b ist der Schaltplan eines getriebenen Schwingkreises dargestellt. Die angelegte Gesamtspannung sei UG (t) = Re(UG eiωt ) und die Stromstärke I (t) = Re(I eiωt ) mit UG ≡ UG (0) und I ≡ (I (0)e−iα ). Der komplexe Wechselstromwiderstand Z kann wie der Gleichstromwiderstand festgelegt werden U = Z I . Für eine Reihenschaltung ist Z = Z R + Z C + Z L mit dem allgemeinen Betrag |Z | = (ReZ )2 + (Im Z )2 . Der ohmsche Widerstände ist immer reell Z R = R. Der Wechselstromwiderstand eines Kondensators 1 1 , und der einer Spule Z L = iωL. Die komplexwertige Schreib= −i ωC ist Z C = iωC weise von Stromstärke, Spannung und Widerständen berücksichtigt damit die Tatsache, dass
6 Ausführlicher in Bergmann-Schaefer([17] Kap. 5). 7 Das konsistente Formelzeichen für den komplexwertigen Widerstand wäre R anstatt Z in dieser
Nomenklatur. Abgesehen von der Konsistenz gibt es jedoch keinen weiteren Grund von der Schreibweise anderer Lehrbücher abzuweichen.
11.2
Hochschulübliche Darstellung
275
Kondensator und Spule je nach augenblicklicher Situation die Phase zwischen Strom und Spannung verändern können. Es folgt für einen R LC-Kreis, der mit der Spannung UG (t) = Re U0 eiωt = U0 sin(ωt) getrieben wird, ein Strom von I (t) = Re I eiωt = I0 sin(ωt −α). Der Quotient der Ampli tuden ist der Betrag des komplexen Widerstands UI00 = |Z | = R 2 + (ωL − 1/ωC)2 . Der Betrag des Widerstands ist damit immer |Z | ≥ R und hat sein Minimum bei der Resonanzfrequenz des ungetriebenen LC-Kreises ω0 = √ 1 . Mit ihm lässt sich der maximale Strom LC I0 bei gegebener Spannung U0 in Abhängigkeit der Frequenz betrachten. Für die Extremwerte ω → 0 und ω → ∞ geht der Wert dieses Quotienten gegen unendlich, also |Z | → ∞, und zwar aufgrund des Kondensators bei niedrigen Frequenzen und der Spule bei hohen. . Die Phase α der Stromstärke gegenüber der angelegten Spannung ist tan α = ωL−1/ωC R Die Phasenbeziehungen der Spannungen an den einzelnen Bauteilen werden hier nicht weiter behandelt, da sie wenig instruktiv sind für ein physikalisches Verständnis, eher für die Elektrotechnik wichtig wären und sehr umständlich nachzuvollziehen sind. Man kann sie aber aus der obigen Stromstärke und den einzelnen komplexwertigen Widerständen bestimmen. Lehrbücher wie Halliday oder Tipler, in denen nicht mit komplexwertigen Größen gerechnet wird, verwenden das sogenannte Zeigerdiagramm. Dabei handelt es sich lediglich um die zweidimensionale vektorielle Darstellung der komplexen Zahlenebene.
11.2.2 Elektromagnetische Drahtwellen Dieser Abschnitt behandelt die kabelgebundene Signalübertragung bzw. die kabelgebundene Ausbreitung elektrischer Schwingungen. Ein sehr einfaches Beispiel ist der Lecher-Leiter, ein technisch relevantes Beispiel ist das Koaxialkabel. Die hier dargestellte Konzeptualisierung passt zu allen Doppelleitern. Eingespeist wird eine Spannung U0 (t) = U0 eiωt , und es wird der stationäre Fall betrachtet. Der Doppelleiter der Länge l wird in infinitesimale Stücke der Länge dz unterteilt. Die längenspezifische Induktivität sei dabei die Gesamtinduktivität geteilt durch die Länge, L ∗ = L/l, und die längenspezifische Kapazität sei analog definiert, C ∗ = C/l. Ein infinitesimales Stück des Doppelleiters hat dann die Induktivität L ∗ dz und die Kapazität C ∗ dz. Alle reellwertigen Widerstände entlang der Leiter oder dazwischen werden vernachlässigt. Abb. 11.9 zeigt das Ersatzschaltbild für einen solchen Leiterabschnitt. Die Spannung dU an der „Spule“, also die Spannungsänderung durch den Leiterabschnitt, lässt sich aus der geführten Stromstärke I und dem komplexen Widerstand der Spule Z L bestimmen: dU = I Z L = I (iωL ∗ dz) dU → = I iωL ∗ dz
(11.6) (11.7)
Am Kondensator gilt U − dU = dI Z C , und für die Änderung der Stromstärke ergibt sich:
276
11 Elektromagnetische Wellen
Abb. 11.9 Ersatzschaltbild eines Leiterabschnitts eines Doppelleiters als infinitesimaler Schwingkreis mit der Induktivität L ∗ dz und der Kapazität C ∗ dz, die in ihrer Summe eine Welle führen können
dI =
dz 2 ≈0 U − dU = U − I iωL ∗ dz iωC ∗ dz ≈ U ωC ∗ dz ZC dI → = U iωC ∗ dz
(11.8) (11.9)
Diese beiden gekoppelten Differentialgleichungen lassen sich zu einer Differentialgleichung 2. Ordnung, einer Wellengleichung, verbinden. Auf diese Differentialgleichung wird hier nicht weiter eingegangen, die Lösungen für Spannung und Stromstärke können leicht erraten/erschlossen werden:
U (t, z) = U0 ei(ωt−kz) , I (t, z) = I0 ei(ωt−kz+α)
(11.10)
R→0
Dabei ist der Phasenfaktor α = 90◦ , da tan α −→ 0. Das Ergebnis der √ Wellenzahl k = √ ∗ ∗ 2π/λ = ω/v = ω L C mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit v = 1/ L ∗ C ∗ erhält man, in dem man die Lösungen für U und I in die Differentialgleichungen einsetzt und vergleicht. Die Konzeptualisierung als Kette von Schwingkreisen mit dem Ergebnis, dass der Wellenvektor k, und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeit v, von den kabelspezifischen Größen L ∗ und C ∗ abhängen, lässt Schlüsse auf ein Verständnis dieser Drahtwellen zu. Es handelt sich hierbei um Schwingungen in Spannung und Stromstärke im Verlauf des Doppelleiters. Die elektromagnetischen Felder, die diese Spannung und Stromstärke begleiten, sind an diese gebunden und führen keine unabhängigen Schwingungen in Form von elektromagnetischen Wellen aus.
11.2.3 Elektromagnetische Wellen Ausgangspunkt der Lehrbücher ist die Besprechung der reinen Existenz von elektromagnetischen Wellen anhand der sogenannten freien Maxwellgleichungen, also die Maxwellgleichungen ohne freie Ströme oder Ladungen: · E = 0 ∇ × E = −μ0 ∂ H ∇ ∂t
· H = 0 ∇ × H = ε0 ∂ E ∇ ∂t
(11.11)
11.2
Hochschulübliche Darstellung
277
Die freien Maxwellgleichungen sind, bis auf ein Vorzeichen, vollkommen symmetrisch für 2 angewandt auf die elektrische die beiden Feldstärken. Die zweite räumliche Ableitung ∇ Feldstärke lässt sich damit schreiben als:
∂ H 2 × −μ0 E = −∇ ×∇ × E + ∇ ∇ · E = ∇ ∇ ∂t =0
× H ) ∂(∇ ∂(ε0 ∂ E/∂t) ∂ 2 E 1 ∂ 2 E = −μ0 = −μ0 = −μ0 ε0 =− 2 ∂t ∂t ∂t c ∂t
(11.12)
Das Produkt der Feldkonstanten wurde ersetzt durch die Konstante ε0 μ0 = 1/c2 . Eine vollkommen analoge Rechnung kann für die magnetische Feldstärke durchgeführt werden. Man erhält Wellengleichungen für die Felder: 2 r , t) = 0 2 − 1 ∂ ∇ E( c2 ∂t 2
1 ∂2 2 ∇ − 2 2 H ( r , t) = 0 (11.13) c ∂t Nach den Wellengleichungen ist die Konstante c zunächst lediglich die Phasengeschwin√ digkeit einer elektromagnetischen Welle. Erst der Vergleich von 1/ ε0 μ0 mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Licht legt eine Identifikation von Licht als elektromagnetische Welle nahe. Einfache Lösungen dieser homogenen Wellengleichungen sind ebene Wellen r , t) ∝ Re ex p(i kx − iωt) , E( (11.14) die Welwobei k der in Ausbreitungsrichtung zeigende Wellenvektor ist und ω = |k|c lenfrequenz. Das elektrische und magnetische Feld sind dabei in Phase (solange keine = |μ0 H |, Randbedingungen durch elektrische Leiter vorhanden sind), und es gilt |ε0 E| = c| B|. Vor allem gilt damit 1 ε0 E 2 = 1 μ0 H 2 , was bedeutet, dass im elektrischen bzw. | E| 2
2
Teil der Welle genauso viel Energie gespeichert ist wie im magnetischen. Die Herleitung der Wellengleichungen wird folgendermaßen in Worte gefasst: Ein sich änderndes Magnetfeld führt zu einem elektrischen Feld (Induktion). Je nachdem, wie sich das Magnetfeld ändert, kann auch das induzierte elektrisches Feld zeitabhängig sein. Der maxwellsche Verschiebungsstrom besagt, dass ein sich änderndes elektrisches Feld ein Magnetfeld hervorruft. Wählt man eine bestimmte Änderung, z. B. eines Magnetfeldes, so folgt daraus ein sich änderndes elektrisches Feld, das ein Magnetfeld erzeugen kann, und so weiter. Hierbei hat man konzeptuell nur die prinzipielle mögliche Selbsterhaltung von Feldern betrachtet. Die Erklärung der konkreten Ausbreitung, vor allem mit der Eigenschaft der Phasengleichheit von magnetischem und elektrischem Feld, geht an die Grenzen der sprachlichen Ausdruckskraft und der menschlichen Vorstellungskraft. Man müsste dafür berücksichtigen, dass jeder Punkt im Raum, an dem sich ein magnetisches Feld ändert, die Quelle für einen Wirbel eines sich ändernden elektrischen Feldes ist. All diese elektrischen
278
11 Elektromagnetische Wellen
Felder müsste man addieren und jeder Punkt, an dem sich die elektrische Feldstärke ändert ist wiederum Wirbelquelle eine magnetischen Feldes, und so weiter. Nachdem in den Lehrbüchern die Existenz elektromagnetischer Wellen anhand der Maxwellgleichungen besprochen wurde, werden die Wellengleichungen für gewöhnlich für bestimmte leitende Hohlkörper oder Wellenleiter gelöst, wird die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen in Materialien betrachtet, darunter auch Reflexion und Transmission an Grenzflächen und Absorption und Dispersion der Wellen. Bei Bergmann-Schaefer wird zunächst die Strahlung am hertzschen Dipol betrachtet.
11.2.4 Dipolstrahlung Die vorherigen Abschnitte behandelten einmal elektrische Schwingungen und Wellen, die an elektrische Leiter und die darin vorhandenen Ströme und Ladungen gebunden sind, und freie Wellen elektromagnetischer Felder. In dem folgenden Abschnitt wird der Übergang von gebundenen Schwingungen und Wellen zu freien Wellen behandelt, also ihre Entstehung. Ausgangspunkt von Dipolstrahlung ist eine oszillierende Ladungsverteilung und damit sowohl ein ρ( r , t) als auch ein j( r , t). Hierbei handelt es sich eigentlich um eine bewegte Ladung in einer Antenne einer bestimmten Ausdehnung a. Im Folgenden wird diese Antenne als Punktdipol genähert, man betrachtet also Orte, für die gilt | r | > a. Weiter unten werde ich kurz auf die damit verbundenen Einschränkungen eingehen. Der zeitabhängige Dipol wird beschrieben durch p(t) = pe−iωt mit der Stromstärke I (t) = | p˙(t)|. Damit können mathematisch verhältnismäßig einfach zwei Extremfälle berechnet werden, die sich über den betrachteten Bereich im Verhältnis zur Wellenlänge λ = 2πω c definieren. Für das sogenannte Nahfeld sei r λ und für das Fernfeld r λ. Nahfeldnäherung Im Nahfeld ergeben sich die folgenden zeitabhängigen Feldstärken: 3( p(t) · r) r − r 2 p(t) r , t) ∼ ∝ r −3 E( = 4π ε0 r 5 1 ˙ p(t) × r ∝ r −2 H ( r , t) ∼ = 4πr 3
(11.15)
Die beiden Felder sind um λ/4 gegeneinander verschoben, wie bei einem Lecher-Leiter, und entsprechen damit dem stationären, gebundenen Feld, das sich zeitlich mit dem Dipol ändert. Aufgrund der Phasenverschiebung um „(als Formen:) lambda/4“ schwankt der PoyntingVektor derart, dass im Mittel nur ein vergleichsweise kleiner Betrag des Vektors vom Dipol weg zeigt. Außerdem unterscheidet sich der Verlauf der Beträge der Feldstärken, weshalb also beide Felder nicht durchweg die gleiche Energie enthalten. Beides bedeutet, dass ein Großteil der Energie, die vom Dipol in die Felder fließt, innerhalb einer Beriode wieder in den Dipol zurück fließt.
11.2
Hochschulübliche Darstellung
279
Fernfeldnäherung: Für das Fernfeld ergibt sich ein anderer Verlauf der Feldstärken: ω2 rˆ × (ˆr × p) ei(kr −ωt) ∝ 1/r 2 4π ε0 c r 2 ∼ ω rˆ × p ei(kr −ωt) ∝ 1/r H ( r , t) = 4π cr r , t) ∼ E( =
(11.16)
Die Gleichungen (11.16) beschreiben Kugelwellen. Das magnetische Feld und das elektrische Feld befinden sich in Phase und stehen senkrecht aufeinander, so wie es bei den ebenen Wellen im vorherigen Abschnitt auch der Fall war. Für die Beträge der Felder gilt auch hier = | E|
ω2 | p| ω2 | p| 1 = μ0 = cμ0 | H | = c| B|, 4πr ε0 c2 4πr
(11.17)
= μ0 | H |. oder symmetrisch geschrieben ε0 | E| Die mittlere Energiestromdichte (zeitlich gemittelter Poynting-Vektor) ist ω4 1 ω4 p2 sin2 θ 1 t∼ | S| r ˆ ∝ . = 2 16π 2 ε0 c3 r 2 r2
(11.18)
Die Ausbreitungsrichtung ist also radial, verschwindet jedoch in der Richtung der Dipolachse vollkommen. Die gesamte abgestrahlte Energie ist unabhängig vom Abstand und 4 steigt mit der Frequenz drastisch an, P = ◦ S · d a ∝ ωr 2 4πr 2 ∝ ω4 , bei gleicher Amplitude der Schwingung des Senders. Die Winkelabhängigkeit der abgestrahlten Energie sieht im Querschnitt wie eine Hantel aus (Abb. 11.10) und dreidimensional wie ein Torus mit einem Knoten am Ort des Senders. Im Folgenden wird die Näherung als Punktdipol im Verhältnis zu den Näherungen zu Nah- und Fernfeld betrachtet. Ohne die Näherung als Punktdipol definiert man drei Bereiche: • Das Nahfeld mit a ≈ r < λ • Das Mittelfeld mit a < r ≈ λ • Und das Fernfeld mit a < λ r
z x Abb. 11.10 Die sogenannte „Abstrahlhantel“ gibt den Betrag des zeitlich gemittelten Poyntingvek t in der entsprechenden Abstrahlrichtung kˆ wieder. Die z-Achse ist die Symmetrierichtung tors | S| des Dipols
280
11 Elektromagnetische Wellen
Nahfeld und Mittelfeld werden nach dieser Einteilung beide nicht genau dem Verlauf des oben angegebenen Nahfeldes entsprechen. Davon abgesehen bleiben die Eigenschaften allerdings erhalten – man erhält quasistatische Felder, die zum größten Teil an den Dipol gebunden sind. Durch die Näherung als Punktdipol ergeben sich in der oben angegebenen Formel tatsächlich die gewohnten statischen Dipolfelder, und es fällt leichter, die angesprochenen Eigenschaften herauszulesen. Jegliche Herleitungen wurden hier gänzlich außen vor gelassen, da sie abstrakte Kon die der Intention zepte enthalten, wie retardierte Potentiale sowie das Vektorpotential A, des Buches nicht helfen. Stellvertretend für alle Kapitel und Abschnitte, in denen dieser theoretische Formalismus mit den Potentialen nicht ergründet wurde, da er nicht notwendig erschien, soll hier trotzdem jedem Leser empfohlen werden, sich dies in einem einführenden Theoriebuch wie etwa bei Griffiths [7] anzusehen. Dieses Thema ist im Allgemeinen gar nicht so schwierig, wie man zuerst denkt. Vielmehr führt die Auseinandersetzung mit dem Formalismus der Potentiale zu einem tieferen Verständnis.
11.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
11.3.1 Vergleich der Sachstruktur Die Strukturierung der Inhalte unterscheidet sich zwischen verschiedenen Lehrbüchern stark, wohingegen sie in den Schulbüchern sehr ähnlich ist. Es wurden allerdings nur Schulbücher eines einzigen Bundeslandes betrachtet und Schulbücher verschiedener Bundesländer könnten sich stark unterscheiden. Die Lehrpläne zeigen Unterschiede, in wie weit elektrische Schwingungen und Wellen unterrichtet werden sollen. Große Unterschiede ergeben sich an der Hochschule zwischen Lehrbüchern der Experimentalphysik und der Theoretischen Physik. In Abb. 11.11 wird als Fachsystematik die Strukturierung nach Bergmann-Schaefer [17] angegeben. Der auffälligste Unterschied in schulischer und hochschulischer Strukturierung ist die Stellung der maxwellschen Theorie zur Erklärung, Beschreibung und der historischen Vorhersage elektromagnetischer Wellen, zumindest innerhalb des Themenbereichs zu elektromagnetischen Wellen. Wie schon eingangs erwähnt, existieren die meisten Ähnlichkeiten zwischen der schulischen Darstellung des bayerischen Lehrplans und der Strukturierung bei Bergmann-Schaefer [17]. Die dortige enge Verbindung zwischen elektrischen Schwingungen und elektromagnetischen Wellen, wie sie auch in der Schule behandelt wird, kommt in den meisten anderen Lehrbüchern der Hochschule nicht vor. Die Lehrpläne und Schulbücher möchten eine enge Verbindung elektromagnetischer Schwingungen und Wellen zu ihren mechanischen Analoga herstellen. Es muss dabei jedoch die Frage gestellt werden, welche fachlichen Einschränkungen es bei dieser Analogiebildung gibt. In der klassischen Mechanik kann eine Welle entstehen, falls schwingungsfähige Teilsysteme miteinander gekoppelt sind. Deshalb ist es sinnvoll, sich zunächst mit der
11.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
281
Fachsystematik: Elektrodynamik I Elektrodynamik II Elektr. Elektroma- Elektroma- ExperimenLicht/ Induktion Schwing- gnetische gnetische tieren mit kreise Drahtwellen Raumwellen Mikrowellen Optik
Didaktische Gliederung: Sek. II Elektromagnetische Schwingungen und Wellen Elektromagetische Wellen El.mag. Licht als Induktion Schwing- Vorführen Entstehung Experimente Maxwell em Welle kreise der Existenz am Dipol Mikrowellen Theorie Abb. 11.11 Vergleich der Sachstruktur zwischen Schule und Hochschule für elektromagnetische Schwingungen und Wellen
Schwingung eines Teilsystems und im Anschluss mit ihrer Kopplung und der Entstehung von Wellen auseinanderzusetzen. In der Elektrodynamik ist ein Schwingkreis eine Schaltung, in der Ladung und Strom oszillieren. Die mit diesen Ladungen und Strömen verbundenen Felder oszillieren ebenfalls und repräsentieren in der Poynting-Eichung die Energiespeicher. Ist beispielsweise ein Körper einer bestimmten Masse zwischen zwei Spiralfedern eingespannt, so ist das Analogon zum oszillierenden Körper die elektrische Ladung im Schwingkreis. Die mechanische Spannung in den Spiralfedern ist das elektrische Feld im Kondensator und die Trägheit der Bewegung des Körpers ist das Magnetfeld der Spule. Eine mechanische Welle entsteht, wenn mehrere solcher schwingungsfähigen Körper gekoppelt werden. Eine elektromagnetische Welle besteht dagegen nicht aus einer Verbindung solcher schwingungsfähiger elektrischer Systeme, also den oszillierenden Ladungen, sondern nur noch aus den Feldern, die nun direkt und nicht mehr durch die bewegten Ladungen gekoppelt sind. Das, was bei einer elektromagnetischen Welle schwingt, ist damit nicht mehr direkt das, was bei einem elektrischen Schwingkreis schwingt. Die Analogie zwischen elektrischen und mechanischen Schwingungen ist eine etwas andere als die Analogie zwischen elektromagnetischen und mechanischen Wellen. Der Bruch in den Analogien zeigte sich historisch in der Suche nach einem sehr mechanistischen, schwingungsfähigen Äther, den es in der Form nicht gibt. Es zeigen sich in diesem Beispiel entgegengesetzte didaktische Forderungen. Zum einen soll der Unterricht sehr vernetzt sein und auf grundlegende Konzepte zurückgreifen, die immer wieder verwendet werden, hier Schwingungen und Wellen, andererseits sollen Analogien in sich konsistent, stimmig und fachgerecht sein. Eine Ideallösung für dieses Problem kann hier nicht gegeben und erarbeitet werden. Möchte man allerdings die bisherige Strukturierung beibehalten (Schwingungen und Wellen allgemein; elektrische Schwingungen; Entstehung von Wellen an Schwingkreisen; elektromagnetische Schwingungen; theoretische Hintergründe) so sollte auf den Bruch in den Analogien hingewiesen werden, denn er
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11 Elektromagnetische Wellen
repräsentiert den physikalischen Unterschied zwischen mechanischen und elektromagnetischen Wellen. Darüber hinaus muss auch diskutiert werden, ob die im Unterricht zu findende Analogie zwischen elektrischen und mechanischen Schwingungen, wie sie oben beschrieben ist, tatsächlich eindeutig ist. Bei dieser Analogie wird die potentielle Energie eines mechanischen Systems mit der Energie im elektrischen Feld eines Kondensators verglichen, die kinetische Energie wird mit der Energie im magnetischen Feld verglichen. Thomas Wilhelm ([21], S. 122) diskutiert ausführlich, in wie weit diese Zuordnung der analogen Elemente auch anders gemacht werden kann. Man kann also genauso die Energie des Kondensators mit der kinetischen Energie in einem schwingenden mechanischen System analog gesetzt werden. Ein Bereich, der im Abschnitt zur hochschulischen Darstellung nicht weiter ausgeführt wurde, beschäftigt sich mit dem Verhalten elektromagnetischer Wellen und den zugehörigen Experimenten. Damit sind Reflexion, Brechung und Beugung von Mikrowellen gemeint. Für diesen Bereich ist die Übereinstimmung zwischen schulischer und hochschulischer Darstellung so groß, dass er oben nur für die Schule beschrieben wurde.
11.3.2 Elementarisierung des elektrischen Schwingkreises Die Darstellung elektrischer Schwingkreise in den Schulbüchern ist sehr nahe an der in Lehrbüchern. Die quasistatische Näherung in den Schulbüchern ist insofern keine Elementarisierung, als sie auch in den Lehrbüchern gemacht wird. Jedoch wird in den Schulbüchern nicht erwähnt, dass es sich dabei um eine Näherung handelt. Für die später behandelten hertzschen Dipole sowie jegliche Anordnungen, die auffallend abstrahlen, gilt diese Näherung gerade nicht. Da der Schwingkreis erst in der Sekundarstufe II und in Verbindung mit der Erzeugung elektromagnetischer Wellen unterrichtet wird, wäre es möglich und sinnvoll, die Näherung zu erwähnen. Ein wichtiger Aspekt der Beschreibung von elektromagnetischen Wellen, die an elektrisch schwingenden Systemen entstehen, ist die Abkehr von dieser Näherung. Die alleinige Verringerung der Kapazität und der Induktivität ist hier kein plausibler Grund. Jedoch werden durch die Umformung des Schwingkreises in eine Antenne nicht nur diese Größen geändert, sondern auch die Bedingungen, sodass die quasistatische Näherung nicht mehr gilt. Für sich alleine ist die Elementarisierung des Schwingkreises in den Schulbüchern ohne explizite Erwähnung der quasistatischen Näherung durchaus fachgerecht. Der Übergang von elektrischen Schwingungen zur Erzeugung elektromagnetischer Wellen kann jedoch nicht mehr fachgerecht durchgeführt werden. Die Behandlung weiterer Themen und Schaltungen, wie die Phasenbeziehungen an einem Schwingkreis und Rückkopplungen wie bei Metzler, sind fachgerecht, jedoch nicht mehr leicht in kurzer Zeit nachzuvollziehen und fallen eher in den Bereich der Elektrotechnik. Man muss sich hier fragen, ob die Nähe zur realen Erzeugung und Anwendung eine Überforderung darstellt und dadurch die wichtigen grundlegenden Prinzipien womöglich verschleiert.
11.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
283
11.3.3 Von Schwingungen zu Wellen Der argumentative Übergang von elektrischen Schwingungen zu elektromagnetischen Wellen ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden, wie schon zum Teil angesprochen. Es gibt nicht den gleichen logischen Zusammenhang zwischen elektrischen Schwingungen und elektromagnetischen Wellen wie zwischen mechanischen Schwingungen und Wellen, wie oben schon beschrieben. Eine passendere Analogie zu mechanischen Schwingungen und Wellen wären elektrische Schwingungen in Schwingkreisen und elektrische Wellen wie in Doppelleitern (Lecher-Leiter). Doppelleiter werden als gekoppelte Schwingkreise modelliert und die Felder sind daran gebunden. Dies ist der Grund, weshalb in Lehrbüchern elektrische Schwingkreise relativ getrennt von elektromagnetischen Wellen besprochen werden oder bei Bergmann-Schaefer deutlich zwischen Drahtwellen und freien elektromagnetischen Wellen unterschieden wird. Es wird in den Schulbüchern angedeutet, dass die Felder in einem Lecher-Leiter um 90◦ phasenverschoben sind, da es sich um (freie) stehende elektromagnetische Wellen handele. Jedoch ist auch ein sehr langes Koaxialkabel ein Doppelleiter und während der Datenübertragung exisiteren keine stehenden Wellen. Es besteht also ein grundlegender Unterschied zwischen freien elektromagnetischen Wellen und der wellenartigen Ausbreitung von Spannungs- und Stromstärkeschwankungen in einem Doppelleiters. Ein weiterer Punkt sind die Näherungen, die beim Schwingkreis und bei abstrahlenden Dipolen gemacht werden. In den betrachteten Schulbüchern wird die thomsonsche Gleichung für Schwingkreise sehr detailliert hergeleitet, die eine Abstrahlung unmöglich macht. Der hertzsche Dipol wird eingeführt als gewöhnlicher Schwingkreis, der aufgrund seiner Bauform eine sehr hohe Eigenfrequenz besitzt. Es wird keine Ursache genannt, weshalb ein Schwingkreis hoher Frequenz mit einer bestimmten Bauform abstrahlt und einer mit einer anderen Bauform oder Frequenz nicht. Es wird eine rein phänomenologische Beschreibung gegeben, dass es zu einer sogenannten „Abschnürung“ der Felder kommt und einem Loslösen vom Sender mit dem logischen Bruch, dass es einmal zu einer Abstrahlung kommt und einmal nicht. Auch dies wurde bereits im vorherigen Abschnitt im Zusammenhang mit der quasistatischen Näherung angesprochen. Eine weitere Möglichkeit, diesen logischen Bruch aufzuheben, ist die frühzeitige Erwähnung und Beschreibung der maxwellschen Theorie, die in den Schulbüchern erst gegen Ende erwähnt wird. Die Induktion ist an diesem Punkt des Unterrichts schon ausführlich behandelt worden, es müssen lediglich der maxwellsche Verschiebungsstrom und sein Magnetfeld angesprochen werden. Dabei handelt es sich nur um die Induktion mit vertauschten Feldern. Mit diesem Wissen lassen sich die Näherungen zu Schwingkreisen sehr leicht ansprechen, und in Verbindung damit kann man eine einfache Erklärung geben, weshalb ein Dipol als Schwingkreis Wellen abstrahlt. Dies lässt sich auch sehr schön anhand des Nahfeldes und des Fernfeldes besprechen.
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11 Elektromagnetische Wellen
Das Nahfeld entsteht aus der Ladungsverteilung und dem Strom im Dipol. Ein großer Teil des Nahfeldes wird von den Ladungen und Strömen im Verlauf einer Schwingung wieder aufgenommen. Ein Teil der Energie im Nahfeld wird durch seine zeitliche Änderung in ein weiteres Feld gesteckt. Je nach Feldart handelt es sich dabei um die Induktion oder den maxwellschen Verschiebungsstrom. Dieses weitere Feld mit dem Teil der Energie des Nahfeldes wird zum Fernfeld. Das Fernfeld entsteht nur aus der zeitlichen Änderung von Feldern und ist damit vom Nahfeld und vom Dipol abgelöst.
Die Darstellungsweise in den betrachteten Schulbüchern ist im Gegensatz dazu also nur begrenzt kohärent und fachgerecht, da die oben genannten Verbindungen durch die maxwellsche Theorie und die Besprechung der quasistatischen Näherung fehlen. Darauf wird scheinbar zugunsten der sehr technisch-anwendungsorientierten Darstellung in den Schulbüchern verzichtet.
11.3.4 Stille Post in Schulbüchern In den hier betrachteten Schulbüchern gibt es eine Kuriosität. In Dorn-Bader Sek II ([2], S. 338) findet sich eine Skizze (B1, ebd.) zur Entstehung der Felder direkt am Dipol zu verschiedenen Zeitpunkten nach Beginn der Schwingung, zusammen mit einer detaillierten Beschreibung. Nachempfunden ist diese Darstellung in Abb. 11.12. Es sind Feldlinien des elektrischen und des magnetischen Feldes für je eine Ebene dargestellt. Die Feldlinien deuten an, dass das elektrische und das magnetische Feld in Phase sind. Bei der Beschreibugn des letzten Teilbildes, in dem die Felder vollständig vom Dipol losgelöst sind, wird erwähnt, dass dies die Felder in großem Abstand vom Dipol sind. Eine vergleichbare Abbildung findet sich bei Metzler [3], S. 105. Auch hier sind das elektrische und das magnetische Feld
a
b
c
d
Abb. 11.12 Qualitative Darstellung der Abbildung B1 aus Dorn-Bader Sek II ([2], S. 338) zur Entstehung elektromagnetischer Wellen an einer Antenne. Die Skizzen (a – d) stellen grobe Feldverläufe zu vier verschiedenen Zeitpunkten dar. Das magnetische (rot) und das elektrische Feld (blau) sind dabei in Phase dargestellt, auch direkt an der Antenne, was im Widerspruch zur eigentlichen Phasenverschiebung im Nahfeld steht
11.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
285
in Phase. Ob es sich um das Fernfeld oder das Nahfeld handelt, wird nicht erwähnt, jedoch scheinen die Felder direkt bei ihrer Erzeugung an der Dipolantenne in Phase zu sein. Bei Fokus 11 ([5], S. 76) und Impulse 11 ([4], S. 101) ist diese Art Abbildung leicht abgewandelt zu finden. Das elektrische Feld und das magnetische Feld befinden sich in unterschiedlichen Teilabbildungen und sind nicht überlagert dargestellt. Der Vergleich deutet allerdings an, dass das magnetische und das elektrische Feld bei der Entstehung am Dipol nicht in Phase sind, wie es dem Nahfeld entspricht. Zusätzlich wird jeweils eine dreidimensionale Skizze der Feldlinien nach mehreren Schwingungen gegeben ([5], S. 77 Abb. 77.1 und [4], S. 101 Abbildung B2). Hier sind das elektrische und das magnetische Feld in Phase, wie in den Abbildungen von Dorn-Bader und Metzler. Die Bildunterschrift spricht jedoch explizit vom Nahfeld eines Dipols. Bei Impulse 11 findet sich eine Abbildung direkt daneben (B3), die zwei um 90◦ verkippte Sinusfunktionen für das elektrische und das magnetische Feld zeigt, die auch in Phase sind und als Fernfeld eines Dipols bezeichnet werden. Der Hinweis auf diese Ungereimtheiten in den verschiedenen Schulbüchern soll vor allen Dingen dazu aufrufen, Abbildungen zu hinterfragen. Es erweckt den Anschein, als habe man bei den Abbildungen einen zufälligen Fehler einer anderen Quelle übernommen, es ohne Verbesserung leicht abgewandelt und neu verwendet, sodass sich der Fehler fortpflanzt, ähnlich wie beim Spiel Stille Post. Speziell in diesem Fall kann auch hinterfragt werden, weshalb Abbildungen zu einem so komplexen Inhalt überhaupt angeboten werden. Vergleichbare Abbildungen finden sich nur selten in Lehrbüchern der Hochschule – beispielsweise in Bergmann-Schaefer [17], S. 328f., Abb. 5.31 und 5.32, jedoch nicht in Griffiths [7], Fließbach [6] oder Tipler [20]. Es gibt somit kaum die Möglichkeit, die Abbildungen in den Schulbüchern mit Abbildungen aus Lehrbüchern abzugleichen. Auch dies könnte ein Grund für die so zahlreiche Inkonsistenzen in den schulischen Abbildungen zu diesem Thema sein. Man darf nicht vergessen, dass Abbildungen durch ihre Suggestivität besonders leicht Fehlvorstellungen fördern können. Gleichzeitig sind in der Schule solche Abbildungen wichtig, da die Felder nicht durch mathematische Formeln angegeben werden können. Hilfreich können Simulationsprogramme wie das des oben erwähnten virtuellen Physiklabors der Universität Kassel sein. Handelt es sich um echte Simulationen, also numerische Berechnungen der Maxwell-Gleichungen, so kann ihnen vertraut werden. Ähnliche Hintergründe gibt es zu solchen Darstellungen in Schulbüchern wie in Abb. 11.7. Solche Abbildungen kommen nicht in Lehrbüchern vor. Sie übervereinfachen die Erklärung, wie es von den Grundlagen der maxwellschen Theorie – Induktion und Verschiebungsstrom – zu sich ausbreitenden Wellen kommt, in einer Art und Weise, dass es fachlich widersprüchlich wird. Betrachtet man einen Wirbel eines Feldes, so heben sich die Felder der jeweils anderen Art durch diesen Wirbel gerade immer auf, und es dürfte nichts passieren. Vergleicht man diese Abbildung mit freien, ebenen Wellen oder den Wellen eines Dipols, so passt dies offensichtlich nicht zusammen. Andererseits kann man an der ebenen Welle und an der Dipolstrahlung sehr wohl die grundlegende maxwellsche Theorie herauslesen, was Abbildungen wie Abb. 11.7 obsolet macht.
286
11 Elektromagnetische Wellen
11.3.5 Die Besonderheit elektromagnetischer Wellen In Folgendem wird der Frage nachgegangen, was die inhaltliche Funktion der oben besprochenen Schulbuchkapitel zu elektromagnetischen Wellen ist. In den Lehrbüchern, vor allem denen der Theorie, soll in den entsprechenden Kapiteln die Maxwelltheorie zu einem Abschluss gebracht und ihre endgültige Besonderheit dargestellt werden – die Eigenständigkeit der elektromagnetischen Felder, ihr Vermögen, sich unabhängig von Ladungs- oder Stromverteilungen zu bewegen und Energie zu transportieren. Weiterhin werden grundsätzliche Eigenschaften dieser Wellen besprochen (Transversalität, Ausbreitung in Vakuum und Materie, Reflexion, Brechung, Beugung, Absorption), was sowohl der Etablierung von Licht als elektromagnetische Welle als auch der theoretischen Unterfütterung der sehr bekannten Eigenschaften von Licht dient. Ein Bereich mit der zweiten Funktion findet sich nahezu deckungsgleich auch in Schulbüchern, und man kann ihm vergleichbare Funktionen zusprechen – Einführung der Eigenschaften elektromagnetischer Wellen und Hinführung zur Betrachtung von Licht als elektromagnetische Welle. Die Darstellung erscheint sehr fachgerecht. In den Schulbüchern existiert zwar ein Abschnitt für den ersten Bereich, jedoch fehlt darin ein zentraler Aspekt, der für die Funktion in den Lehrbüchern der Hochschule bedeutsam ist – eine angemessene, fachgerechte Elementarisierung der entscheidenden Teile der maxwellschen Theorie. In den Schulbüchern beschränkt man sich auf eine aufwändige technische und phänomenologische Beschreibung, die ohne die maxwellsche Theorie den fundamentalen Gedanken der Existenz elektromagnetischer Wellen verliert. Wie oben beschrieben, sind die Darstellungsweisen teilweise sogar inkonsistent und besitzen logische Brüche. Detaillierte Abbildungen der Feldlinien bei der Abstrahlung sind nicht sinnvoll, wenn sie nicht korrekt sind und nur zusammen mit der nicht (oder erst später) dargestellten maxwellschen Theorie beschreibbar sind. Eine Möglichkeit, grundlegende Konzepte elektromagnetischer Felder und die maxwellsche Theorie fachgerecht und mit den elektromagnetischen Wellen als Ausgangspunkt darzustellen, zeigt der von Aschauer in seiner Dissertation [1] entwickelte Unterrichtsgang. Speziell zu elektromagnetischen Wellen wird im Karlsruher Physikkurs ([8], S. 85ff) zu Anfang eine Elementarisierung der maxwellschen Theorie zur Existenz der Wellen gegeben, ohne auf technische Details der Erzeugung einzugehen.
11.4
Zusammenfassung
Schule • Die Vorgaben der Lehrpläne unterscheiden sich stark hinsichtlich der Tiefe des Stoffes. Bei ausführlicheren, spezifischen Vorgaben wird der Zusammenhang zu elektrischen Schwingkreisen und zur technischen Erzeugung elektromagnetischer Wellen hergestellt.
11.4
Zusammenfassung
287
• In Schulbüchern wird eine Strukturierung umgesetzt, die man als Analogie zum Vorgehen in der Mechanik ansehen kann, wo man von Schwingungen einzelner Oszillatoren ausgehend durch ihre Kopplung auf Wellen hinleitet. In der Elektrodynamik wären dies elektrische Schwingungen in Schwingkreisen, die dann zu hertzschen Dipolen verändert werden, die zu einer Abstrahlung elektromagnetischer Wellen führen. • Es wird die Schwingung von LC-Kreisen und R LC-Kreisen betrachtet und √ die Eigenfrequenz mithilfe der thomsonschen Gleichung angegeben, T = 2π LC. Als Analogie zur wechselnden Speicherung der Energie im elektrischen und magnetischen Feld wird der Wechsel von potentieller und kinetischer Energie für ein mechanisches Pendel verwendet. Schwingkreise werden in anwendungsbezogenen Schaltungen betrachtet, die teilweise technisch sehr komplex sind. • Auch hertzsche Dipole, die nur aus einer Antenne bestehen, sind Schwingkreise. An ihnen kann eine wellenartige Abstrahlung beobachtet werden (Empfang der Felder in großer Entfernung und Knoten bei Reflexion). Das elektrische und das magnetische Feld sind bei stehenden Wellen an Lecher-Leitern um λ/4 gegeneinander phasenverschoben. In einer gewissen Entfernung vom Sender sind sie dagegen phasengleich. Die räumliche Abstrahlcharakteristik von hertzschen Dipolen wird besprochen und die Beziehung E = cB angegeben. Eine Erklärung freier elektromagnetischer Wellen im Zusammenhang mit der maxwellschen Theorie wird nur am Rande gegeben. Hochschule • Nicht in allen Lehrbüchern werden Schwingkreise direkt zusammen mit elektromagnetischen Wellen besprochen, wenn überhaupt. Falls Schwingkreise besprochen werden, dann in der quasistatischen Näherung, und diese Näherung wird erklärt, was auch auf die thomsonsche Gleichung führt. Die quasistatische Näherung gilt, wenn für die schwingende Ladung keine relativistischen Effekte berücksichtigt werden müssen und der Schwingkreis nicht abstrahlt. In manchen experimentellen Lehrbüchern werden auch komplexere Schaltungen mit Schwingkreisen und Hochfrequenztechnik angesprochen. • Elektromagnetische Wellen werden in Lehrbüchern strikt von elektrischen Schwingkreisen und schwingende Ladungsverteilung in Leitern (beispielsweise dem Lecher-Leiter) getrennt. Basis sind die homogenen Maxwell-Gleichungen, die die Existenz freier elektromagnetischer Wellen erklären und ihre Eigenschaften beschreiben. Erst danach wird die technische Erzeugung durch die Abstrahlung an Dipolen besprochen. Der Unterschied zwischen freien elektromagnetischen Wellen und Drahtwellen, also der Unterschied zwischen Nahfeld und Fernfeld eines hertzschen Dipols, kann damit betrachtet werden.
288
11 Elektromagnetische Wellen
Vergleich: • Die Elementarisierung von elektrischen Schwingkreisen in Schulbüchern ist fachgerecht und angemessen. Einige anwendungsbezogene Beispiele entfernen sich stark von den grundlegenden physikalischen Effekten und sind eher Teil einer komplexeren elektrotechnischen Betrachtung. • Die übergeordnete Struktur der Schulbücher in Form eines Weges von Schwingungen zu Wellen, wie in der Mechanik, findet sich in den Lehrbüchern nicht, da diese Analogie nicht zur Elektrodynamik ohne schwingendes Medium passt. Die schulische Strukturierung erscheint zwar naheliegend, müsste aber die konzeptuellen Unterschiede zwischen mechanischen Wellen/Schwingungen und elektrodynamischen Wellen/Schwingungen deutlich herausarbeiten, um angemessen fachgerecht zu sein. • Die Maxwell-Theorie, die beschreibt, wie es zu elektromagnetischen Wellen kommt, hat in Lehrbüchern eine zentrale Bedeutung. Die Kohärenz und Fachgerechtheit der schulischen Darstellung leidet darunter, dass die Maxwell-Theorie zu elektromagnetischen Wellen nicht zentral und nicht schon anfangs besprochen wird.
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Spezielle Relativitätstheorie
12
Inhaltsverzeichnis 12.1 Von der Elektrodynamik zur speziellen Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Mechanik in der Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.1 Relativität der Gleichzeitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.2 Zeitdilatation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.3 Relativität der Länge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Lorentz-Transformation und Minkowski-Vierervektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Das Raum-Zeit-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.1 Einführung eines nicht-relativistischen Raum-Zeit-Diagramms . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.2 Erstellung eines relativistischen Minkowski-Diagramms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.3 Gleichzeitigkeit, Zeitdilatation und Längenkontraktion im MinkowskiDiagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Diskussion und Vergleich zur schulüblichen Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
292 293 293 295 297 298 300 300 302 306 309 311 312
Die Besprechung der speziellen Relativitätstheorie hat in diesem Buch vor allem den Zweck einer Einführung und Wiederholung des Stoffes. Dieses Kapitel weicht also erneut von der üblichen Kapitelstrukturierung ab. Das bietet sich zum einen an, da sich die in den Lehrbüchern und Schulbüchern besprochenen Gedankenexperimente nicht wesentlich unterscheiden. Außerdem wird nicht in den Lehrplänen aller Bundesländern vorgegeben, die spezielle Relativitätstheorie zu besprechen. In Bayern [11] und Schleswig-Holstein [8] soll sie beispielsweise besprochen werden, in Niedersachsen [9] taucht sie nicht im Kerncurriculum auf, sondern wird nur als Möglichkeit angegeben, falls Zeit zur Verfügung steht. Nach einer kurzen Hinführung zum Thema und den einsteinschen Postulaten (Abschn. 12.1) gliedert sich das Kapitel grob in drei Bereiche. Im ersten Bereich (Abschn. 12.2) werden übliche Gedankenexperimente besprochen, ähnlich wie in Griffiths Elektrodynamik [7]. Der zweite Bereich (Abschnitte 12.3 und 12.4) widmet sich den Minkowski-Diagrammen in Anlehnung an Resnicks „Einführung in die spezielle Relativitätstheorie“ [10]. Im letzten © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4_12
291
292
12 Spezielle Relativitätstheorie
Abschnitt (Abschn. 12.5) werden Darstellungen in den Schulbüchern untereinander und mit denen in Lehrbüchern verglichen und diskutiert. Um diese Aspekte ausführlich besprechen zu können, wird sowohl auf die relativistische Massenzunahme als auch auf die Energie-Impulsbeziehung verzichtet, obwohl beide in den Schulbüchern auftauchen.
12.1
Von der Elektrodynamik zur speziellen Relativitätstheorie
Im Themenbereich der Induktion wurde die Relativitätstheorie im Rahmen der Lehrbücher schon erwähnt. Historisch war die Induktion ein Grund, weshalb man davon ausging, dass das Relativitätsprinzip, das Galilei schon formuliert hat, in der Elektrodynamik nicht gilt. Dieses Prinzip besagt, dass alle physikalischen Gesetze (der Mechanik) in allen Inertialsystemen gleichermaßen gelten müssen. In der Elektrodynamik hängen dagegen die Felder und Ladungs- und Stromverteilungen vom betrachteten Inertialsystem ab. Dies zeigt sich schon bei der nicht-relativistische Transformation zwischen zwei Inertialsystemen mit der Relativgeschwindigkeit v c für die zentralen elektrodynamischen Größen: E = E + v × B B = B − μ0 ε0 v × E j = j − vρ
(12.2)
ρ = ρ − μ0 ε0 v j
(12.4)
(12.1) (12.3)
Die Tatsache, dass die Induktionsspannung nur von der Änderung des Flusses abhängt und nicht davon, ob sie durch ein induziertes elektrisches Feld oder eine magnetische Kraft auf bewegte Ladungen entsteht, galt vor Einstein als reiner Zufall. Man nahm stattdessen an, dass es ein absolutes Inertialsystem gibt, das einem elektromagnetischen Medium zugeschrieben wurde, dessen Deformationen die Felder und dessen Wellen die elektromagnetischen Wellen sind. Dieses hypothetische Medium ist der sogenannte Äther. Schon von Maxwell wurde ein Experiment mit einem Interferometer vorgeschlagen, bei dem die Lichtgeschwindigkeit in verschiedenen Richtungen gemessen wird, um eine Relativbewegung innerhalb des Äthers zu untersuchen. Auch nachdem die Realisierung des Experiments von Michelson und Morley keine solche Relativbewegung zeigen konnte – die Lichtgeschwindigkeit also in allen Richtungen gleich erschien – wurden zunächst ad hoc Erklärungen innerhalb der Äthertheorie erarbeitet. Erst einige Jahre später schlug Albert Einstein das vor, was uns heute offensichtlich erscheint, die Äthertheorie zu verwerfen und stattdessen eine Theorie zu erarbeiten, die den Bezugssystemwechsel in der Elektrodynamik passend beschreibt. Daraus entstanden die folgenden beiden Postulate, auch einsteinsche Postulate genannt, auf denen die spezielle Relativitätstheorie basiert:
12.2
Mechanik in der Relativitätstheorie
293
I. Das Relativitätspostulat: Die Gesetze der Physik gelten für Beobachter in allen Inertialsystemen (I) gleichermaßen. Kein Bezugssystem ist gegenüber den anderen bevorzugt.
Das heißt hier im Speziellen die Gesetze der Elektrodynamik und der Optik. Für die Mechanik galt dies schon vor der speziellen Relativitätstheorie. II. Das Postulat der Lichtgeschwindigkeit: Im Vakuum breitet sich Licht in allen Richtungen und in allen inertialen Bezugssystemen mit derselben Geschwindigkeit c aus.
Dieses Postulat legt weniger die Geschwindigkeit von Licht fest, sondern definiert vielmehr eine maximale Geschwindigkeit, mit der sich irgendetwas ausbreiten kann. Licht ist lediglich die bekannteste Erscheinung, die sich tatsächlich mit dieser Geschwindigkeit ausbreitet. Massebehaftete Teilchen können diese Geschwindigkeit nicht einmal erreichen. Die Konstante c ist also eher eine Naturkonstante, die etwas über Raum und Zeit aussagt, als speziell über das Licht. Es wurde in diesem Kapitel der Begriff Inertialsystem neben Bezugssystem neu genannt, letzterer kam auch schon früher in diesem Buch vor. Diese beiden Begriffe sind synonym und stehen für ein System, das sich in Ruhe befindet oder sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt. Das ist ein System, auf das keine Kraft wirkt, das nicht beschleunigt ist, in dem also das erste newtonsche Axiom gilt. Die Postulate der Relativitätstheorie besagen letztlich, dass es nicht das Ruhesystem geben kann, bzw. es nicht erfahrbar ist, welches dies sein könnte. Das sogenannte Ruhesystem ist somit lediglich eine relative oder subjektive Feststellung – das System, das relativ zu etwas oder einem selbst in Ruhe ist.
12.2
Mechanik in der Relativitätstheorie
Der folgende Abschnitt beschreibt an Beispielen, wie sich die Auswirkungen der speziellen Relativitätstheorie in der Mechanik mit hohen Relativgeschwindigkeiten zeigen.
12.2.1 Relativität der Gleichzeitigkeit Gegeben sei ein Raumschiff, das im Wesentlichen aus einer langen, leeren Röhre besteht, in deren Mitte eine Lichtquelle sitze. Außerhalb der Rakete befinde sich ein Beobachter, der alles innerhalb der Rakete durch ein langes Fenster betrachten kann (siehe Abb. 12.1). Die Relativgeschwindigkeit der beiden Systeme sei v ≈ 0,5c. Das Raumschiff sei das Inertialsystem I und der Beobachter sei I . Das Experiment beginnt mit dem Aussenden
294
a
12 Spezielle Relativitätstheorie
b
Abb. 12.1 Relative Gleichzeitigkeit: (a) Im Inertialsystem I , in dem die Rakete ruht, trifft der Lichtpuls gleichzeitig auf Front und Heck des Raumschiffs. (b) In I, in dem sich die Rakete mit v = 0,5c bewegt, trifft der Lichtpuls zuerst auf das Heck und danach auf die Front des Raumschiffs. Die beiden Ereignisse geschehen nicht gleichzeitig
eines Lichtpulses von der Lichtquelle. Im System I des Raumschiffs erreicht der Lichtpuls jeweils nach der Zeit1 t Heck und Spitze des Raumschiffs gleichzeitig, nachdem jeweils die halbe Länge des Raumschiffs durchquert ist (siehe Abb. 12.1a). Die Ereignisse „Lichtpuls trifft Heck“ und „Lichtpuls trifft Spitze“ sind also in I gleichzeitig. Für den Beobachter in I stellt sich das anders dar. Auch in seinem Bezugssystem breitet sich der Lichtpuls der Lichtquelle im Raumschiff in alle Richtungen mit c aus. Das Raumschiff bewegt sich dabei weiter. Für den Beobachter trifft der Lichtpuls zuerst nach der Zeit t1 < t das Heck und danach zur Zeit t2 > t auf die Spitze. Die Ereignisse „Lichtpuls trifft Heck“ und „Lichtpuls trifft Spitze“ sind damit in I nicht gleichzeitig.2 Eine Folge dieser relativen Gleichzeitigkeit ist, dass an verschiedenen Orten befindliche, in einem Inertialsystem synchronisierte Uhren (beispielsweise über einen elektromagnetischen Puls wie hier dem Lichtpuls) in einem anderen Inertialsystem nicht mehr synchron laufen. Man kann hier nicht sagen, dass sie nur nicht synchron „erscheinen“ würden und „in
1 Zeiten und Orte des gestrichenen Inertialsystems I werden auch mit einem Strich versehen. 2 Hier und im Weiteren lassen wir jeweils offen, wie genau solche Ereignisse, bei denen ein Lichtpuls
irgendwo auftrifft, gemessen/beobachtet werden. Sie sind für die Gedankenexperimente nicht von Bedeutung und nicht die Ursache der zeitversetzten Erscheinungen. In der Regel würde ein Beobachter die weiteren Reflexionen der Lichtpulse wahrnehmen und dann entsprechend zurückrechnen.
12.2
Mechanik in der Relativitätstheorie
295
Wahrheit“ synchron wären. Die Uhren sind in einem Bezugssystem synchron und in einem anderen sind sie es nicht. Die relative Gleichzeitigkeit ist etwas unheimlich Kontraintuitives. Sie kann an einem solchen Beispiel nachgespielt werden, aber einen „Sinn“ hat man für sie nicht. Später werden noch grafisch-geometrische Darstellungen vorgestellt, durch die man zumindest ein abstraktes Verständnis entwickeln kann.
12.2.2 Zeitdilatation Die Zeitdilatation beschreibt eine Verzerrung, genauer die Stauchung, von Zeitspannen zwischen verschiedenen Inertialsystemen. Als Beispiel wird betrachtet, wie lange das Licht in einem Raumschiff wie in Abb. 12.2 von einer Seite auf die andere benötigt, und zwar bei Ausbreitung senkrecht zur Relativgeschwindigkeit. Die Breite des Raumschiffs sei h. Im Inertialsystem des Raumschiffs I dauert es t = h/c.
(12.5)
Aus Sicht eines Beobachters in I muss das Licht aufgrund der Bewegung des Raumschiffs eine längere Strecke zurücklegen (siehe Abb. 12.2b). Mit dem Satz von Pythagoras kann die Strecke ermittelt werden, h 2 + (vt)2 , für die das Licht die Zeit h 2 + (vt)2 t = (12.6) c h 1 → t = (12.7) c 1 − v 2 /c2
a
b
Abb. 12.2 Zeitdilatation: (a) Im Ruhesystem des Raumschiffs I benötigt das Licht die Zeit t von der Lampe zum Spiegel. (b) Betrachtet aus einem Inertialsystem I mit der Relativgeschwindigkeit v ist der Lichtweg länger und das Licht benötigt mehr Zeit t > t
296
12 Spezielle Relativitätstheorie
benötigt. Die Zeitspanne zwischen dem Aussenden des Lichts auf der einen Seite des Raumschiffs und dem Ankommen auf der anderen ist für die beiden Inertialsysteme unterschiedlich lang. Die sogenannte Eigenzeit des Raumschiffs in I ist für den Beobachter in I t = 1 − v 2 /c2 t (12.8) und vergeht damit um den Faktor 1 γ ≡ 1 − v 2 /c2
(12.9)
langsamer als die des Beobachters I . Andersherum würde ein anderer Beobachter im Raumschiff nicht sehen, dass die Zeit für den ersten Beobachter schneller verläuft. Jeder Beobachter, egal in welchem Inertialsystem er sich befindet, beobachtet eine Zeitdilatation im System, das sich ihm gegenüber bewegt. Das oben beschriebene Gedankenexperiment ist dafür ausgelegt, die Eigenzeit des Raumschiffs für den Beobachter außerhalb des Raumschiffs zu bestimmen. Im Raumschiff wird die Zeit an einem Ort (bezogen auf die Bewegungsrichtung) gemessen. Ein Beobachter außerhalb des Raumschiffs benötigt zwei synchronisierte Uhren, und zwar an den Orten des Lichtaussendens und des Lichtankommens (siehe Abb. 12.3a). Wollte ein Beobachter im Raumschiff die Eigenzeit außerhalb bestimmen wollen, würde er im Raumschiff zwei synchronisierte Uhren verwenden gegenüber einer Uhr außerhalb (siehe Abb. 12.3b). Der scheinbare Widerspruch, dass jeder Beobachter im jeweils anderen, bewegten System eine Zeitstauchung misst, liegt an der Relativität der Synchronizität zwischen den beiden Inertialsystemen. Im Zusammenhang mit der Zeitdilatation kann dann die scheinbare längere Lebensdauer von Myonen oder anderen instabilen Teilchen der kosmischen Strahlung berechnet oder das Zwillingsparadoxon diskutiert werden.
a
b
Abb. 12.3 Messung der Eigenzeit: a Messaufbau zur Bestimmung der Eigenzeit des Raumschiffs aus Sicht von I analog wie Abb. 12.2. b Der Messaufbau muss umgekehrt werden, möchte man die Eigenzeit von I, gesehen aus I , bestimmen
12.2
Mechanik in der Relativitätstheorie
297
12.2.3 Relativität der Länge Um die Relativität der Länge anhand eines Beispiels zu bestimmen, setzt man eine Lichtquelle ans hintere Ende des Raumschiffs und einen Spiegel ans vordere, wie in Abb. 12.4 dargestellt. Wird Licht ausgesandt, wird es am Spiegel reflektiert und gelangt wieder zurück zur Lichtquelle am hinteren Ende des Raumschiffs. Die Dauer für diesen Vorgang soll nun für die beiden Inertialsysteme I und I bestimmt werden und daraus die Länge des Raumschiffs.3 Im Inertialsystem I des Raumschiffs dauert der Vorgang t = 2
x , c
(12.10)
wobei x die sogenannte Eigenlänge des Raumschiffs ist. Für den Beobachter außerhalb der Rakete in I berechnet man die beiden Zeiten zum Spiegel und zurück getrennt, x + vt1 x − vt2 , t2 = c c x x → t1 = , t2 = , c−v c+v
t1 =
(12.11)
und man erhält als gesamte Zeit t = t1 + t2 = 2
x 1 . c 1 − v 2 /c2
(12.12)
Mit der Eigenzeit t = 1 − v 2 /c2 t können die Zeitspannen aus den beiden Gleichungen eliminiert und die Längen miteinander verglichen werden: 2
x = c
1 − v 2 /c2 · 2
x 1 c 1 − v 2 /c2
(12.13)
Daraus ergibt sich die Eigenlänge 1 x, x = 1 − v 2 /c2
(12.14)
die etwas länger ist als die Länge, die vom Beobachter in I für das Raumschiff gemessen wird. 3 Man kann sich hier fragen, weshalb man nicht einfach misst, wie lange das Licht braucht, um einmal
den Weg von einem Ende zum anderen zurückzulegen. Dieser Vorgang hat jedoch den Nachteil, dass dann in beiden Inertialsystemen zwei synchronisierte Uhren an jeweils unterschiedlichen Orten notwendig sind. Unterschiedliche Zeitspannen resultieren dann nicht nur von unterschiedlichen Längen des Raumschiffs, sondern auch von Unterschieden der Synchronizität in den beiden Systemen. Lässt man das Licht reflektieren und zurückkehren, kann mit einer Uhr im Raumschiff gemessen werden, wie im vorherigen Gedankenexperiment beschrieben.
298
a
12 Spezielle Relativitätstheorie
b
Abb. 12.4 Längenkontraktion: a Die Länge x zwischen Lampe und Spiegel aus der Sicht von I wird durch die Dauer der Lichtausbreitung bestimmt. b Betrachtet man den Lichtweg aus der Sicht von I, so wird dessen Dauer durch die Relativbewegung verzerrt, und es ergibt sich ein kürzerer Weg x < x
Ausdehnungen von Objekten, die sich relativ zum jeweiligen Ruhesystem bewegen, sind in Bewegungsrichtung kürzer als im Ruhesystem des Objekts. Ausdehnungen senkrecht zur Bewegungsrichtung bleiben gleich, was oben schon im Gedankenexperiment zur Zeitdilatation ausgenutzt wurde. Gerade bei diesem letzten Gedankenexperiment wird deutlich, wie stark sich die Relativitäten von Gleichzeitigkeit, Zeitspannen und Ausdehnungen gegenseitig bedingen und nicht trennbar sind. Das letzte Gedankenexperiment ist gerade so konstruiert, dass man wenig Probleme durch fehlende Synchronizität von Uhren zwischen verschiedenen Inertialsystemen bekommt, und letztendlich hat man die Zeitdilatation verwendet, um die Längenkontraktion zu bestimmen. In den nächsten Abschnitten wird noch deutlicher werden, wie Ausdehnungen und Zeitspannen in der speziellen Relativitätstheorie verschränkt sind, was damit auch für Raum und Zeit allgemein gilt. Man darf hier nicht vergessen, dass schon allein die Aufteilung in Zeitdilatation und Längenkontraktion nicht-relativistisch ist und damit relativistische Phänomene zugunsten unserer nicht-relativistischen Erfahrungswelt verzerrt werden.
12.3
Lorentz-Transformation und Minkowski-Vierervektoren
Hendrik Antoon Lorentz entwickelte von 1892 bis 1904 die Lorentz-Transformation im Rahmen seiner Äthertheorie, und sie galt ursprünglich nur als mathematische Kuriosität, unter
12.3
Lorentz-Transformation und Minkowski-Vierervektoren
299
der die Maxwellgleichungen invariant waren. Mit kleinen Änderungen übernahm Einstein 1905 die wesentlichen Grundlagen daraus für seine spezielle Relativitätstheorie.4 Diese Transformationsregeln beschreiben allgemeiner und formal die Veränderungen von Raum und Zeit beim Wechsel von einem Inertialsystem I in ein anderes Inertialsystem I , im Vergleich zu der Beschreibung der oben besprochenen Gedankenexperimente. Der Einfachheit halber wird von einem kartesischen Koordinatensystem ausgegangen und die Richtung der Relativgeschwindigkeit v auf die x-Richtung festgelegt ct + vc x x + v ct x = c ; y = y ; z = z ; ct = 2 2 1 − vc2 1 − vc2
(12.15)
Die vierte Koordinate ist hier nicht direkt die Zeit t, sondern die Länge ct, und die Relativgeschwindigkeit ist nicht v, sondern das Verhältnis v/c. Diese Festlegung findet sich in vielen Lehrbüchern, um die Transformation symmetrisch in Ort und Zeit zu gestalten. Die Raumkoordinaten und die Zeitkoordinate bilden dadurch offensichtlicher eine vierdimensionale Raum-Zeit mit vier (nahezu) gleichwertigen Koordinaten. Um die vierdimensionale Raum-Zeit beschreiben zu können, führte Hermann Minkowski sogenannte Vierervektoren ein, die Räume aufspannen, die invariant sind unter Lorentztransformation. Ein solcher Raum wird nach ihm Minkowski-Raum genannt. Man kann solche Vierervektoren aus drei reellen und einer imaginären Komponente zusammensetzen.5 Als Vierervektor, gekennzeichnet durch eine Tilde, ist die Raumzeitkoordinate eines Ereignisses x˜ := (x, y, z, ict). In Bezug auf die oben behandelten Gedankenexperimente wäre ein solches Ereignis beispielsweise „Licht wird ausgesandt“ oder „Licht trifft auf“. Das Betragsquadrat eines solchen Vektors ist x˜ 2 = r2 + (ict)2 = r2 − c2 t 2 = x˜ 2 und ist in allen Inertialsystemen gleich groß.6 Diese Vierervektoren, und vor allem ihre Beträge, sind für den folgenden Abschnitt zur geometrischen Beschreibung der speziellen Relativitätstheorie wichtig. Für ein solches einführendes Kapitel der speziellen Relativitätstheorie sind Orts-ZeitVierervektoren wichtig. In der Relativitätstheorie gibt es allerdings viele Größen, die als Vierervektoren geschrieben werden. Als ein kurzer Ausblick, wie eine relativistische Elektrodynamik aussieht, wird hier ein kurzer Überblick zu Vierervektroren mit eigenem Minkowski-Raum gegeben, die für die Elektrodynamik wichtig sind: 4 Das ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass mathematische Formeln in der Physik nicht direkt an
gedankliche Konzepte geknüpft sind. Lorentz stellte sich einen Äther vor, als er die Formeln entwickelte, und Einstein benutzt sie für seine Konzeption ohne Äther. 5 Es gibt auch die sogenannte ko-/kontravariante Schreibweise für Vektoren in Minkowski-Räumen. Sie wird z. B. in Fließbachs Elektrodynamik [5] eingeführt und verwendet. Dafür benötigt man allerdings eine Reihe von Konventionen. Die hier verwendete Schreibweise mit einer imaginären Komponente ist innerhalb der Theoretischen Physik langfristig nicht so zweckmäßig. Da allerdings keine weiteren Konventionen eingeübt werden müssen, ist sie für eine kurzfristige Verwendung, wie für dieses Kapitel, sinnvoller. 6 In der klassischen Mechanik bleiben die Beträge von reinen Raumvektoren | r | in allen Inertialsystemen gleich, was unabhängig davon auch für die Zeitunterschiede t gilt.
300
12 Spezielle Relativitätstheorie
∂ ∂ • Ableitung: ∇˜ := ( ∂∂x , ∂∂y , ∂z , ∂ict ) ˜ • Relativistische Stromdichte: j := ( jx , j y , jz , icρ) · j + ∂ρ/∂t = 0 → ∇˜ · j˜ = 0 ⇒ Kontinuit¨atsgleichung: ∇ i ) • Relativistisches Vektorpotenzial:7 A˜ = ( A, c
Die Transformation der sechs Feldkomponenten wird durch einen antisymmetrischen Tensor zweiter Stufe beschrieben. Der sogenannte Feldtensor lautet ⎫ 0 E x /c E y /c E z /c⎪ ⎪ ⎬ Bz −B y −E x /c 0 . Fˆ = ⎪ −E y /c −Bz 0 Bx ⎪ ⎪ ⎪ ⎭ ⎩ −E z /c B y −Bx 0 ⎧ ⎪ ⎪ ⎨
(12.16)
Es gibt eine zweite Methode, einen solchen antisymmetrischen Tensor mit den Feldern zu schreiben, und zwar mithilfe des dualen Tensors ⎫ ⎧ 0 Bx By Bz ⎪ ⎪ ⎪ ⎪ ⎬ ⎨ −Bx 0 −E z /c −E y /c ˆ . (12.17) G= ⎪ 0 −E x /c⎪ −B y E z /c ⎪ ⎪ ⎭ ⎩ 0 −Bz −E y /c E x /c Mit diesen Tensoren werden die Maxwell-Gleichungen zu ˜ ∇˜ Fˆ = μ0 j, ∇˜ Gˆ = 0.
(12.18) (12.19)
Es zeigt sich, wie stark sich die Maxwell-Gleichungen in einer relativistischen Schreibweise reduzieren lassen. Für die folgenden Abschnitte sind jedoch nur die Lorentztransformationen und die Vierervektoren von Raum und Zeit wichtig und ihre Lorentz-Invarianz.
12.4
Das Raum-Zeit-Diagramm
12.4.1 Einführung eines nicht-relativistischen Raum-Zeit-Diagramms Um den Umgang mit Vierervektoren, den dazugehörigen Vektorraum und die Transformation zwischen zwei Inertialsystemen etwas zu erleichtern, erarbeitete Hermann Minkowski eine graphische Herangehensweise. Zur Veranschaulichung verwendete er sogenannte 7 Hier taucht das Vektorpotenzial A auf, das zur Beschreibung und besseren Berechnung von Magnet-
feldern benutzt wird. Da seine Einführung etwas aufwändig und für schulrelevante Themen nicht notwendig ist, wurde es in diesem Buch nicht eingeführt. Der Vollständigkeit halber wird es hier erwähnt.
12.4
Das Raum-Zeit-Diagramm
301
Raum-Zeit-Diagramme, die nach ihm auch Minkowski-Diagramme genannt werden. Zur Einführung wird zunächst die nicht-relativistische Transformation zwischen Inertialsystemen betrachtet. Ein Minkowski-Diagramm ähnelt einem s-t-Diagramm der klassischen Mechanik mit vertauschten Achsen – es wird die Raumdimension der Richtung der Relativbewegung als x-Achse verwendet und die Zeit, hier ct, als y-Achse. Aus Gründen der Einfachheit wird hier die Zeitachse reell dargestellt, also ct und nicht ict. Bei der Berechnung von Beträgen von Vierervektoren sollte man allerdings daran denken, dass die Zeitachse imaginär ist. Eine Kurve in einem Minkowski-Diagramm, die sogenannte Weltlinie,8 beschreibt die Bahn eines Körper bzw. eines Punktes auf einem Körper (Abb. 12.5a). Wie in einem s-t-Diagramm sagt auch im Minkowski-Diagramm die Steigung der Kurve etwas über die Geschwindigkeit des zugehörigen Punktes aus. Mit den vertauschten Achsen wird in einem MinkowskiDiagramm nicht der Winkel der Kurve im Verhältnis zur x-Achse betrachtet, sondern zur ybzw. ct-Achse, wie in Abb. 12.5a dargestellt. Dieser Winkel θ lässt sich damit mathematisch so schreiben wie in einem s-t-Diagramm: tan θ =
v dx = dct c
(12.20)
In Abb. 12.5b sind zwei Inertialsysteme I und I in einem nicht-relativistischen Fall dargestellt, die sich mit einer Relativgeschwindigkeit v c gegeneinander bewegen. Das Inertialsystem I bewege sich dabei in positiver x-Richtung von I . Man zeichnet x und ct von I , wie man es kennt, als rechtwinkliges Koordinatensystem. Parallelen zur x-Achse kennzeichnen Ereignisse, die gleichzeitig geschehen, das aber an verschiedenen Orten. Parallelen zur ct-Achse sind Ereignisse, die an demselben Ort zu verschiedenen Zeiten passieren. In das Koordinatensystem von I können die nicht rechtwinkligen Achsen von I eingetragen werden. Dafür betrachtet man zunächst den Punkt x = 0. Er bewegt sich aus der Sicht von I mit konstanter Geschwindigkeit v in Richtung positiver x. Seine Weltlinie ist eine Gerade im Raum-Zeit-Diagramm mit der Steigung c/v. Diese Linie ist per Definition die ct -Achse und Parallelen dazu geben an, was in I an denselben Orten zu verschiedenen Zeiten geschieht. Die Zeit verstreicht nicht-relativistisch in allen Bezugssystemen gleichermaßen, also sind gleichzeitige Ereignisse in allen Bezugssystemen gleichzeitig. Gleichzeitig sind Ereignisse auf Parallelen der x-Achse, somit ist die x -Achse auch parallel (oder sogar identisch) mit der x-Achse. Das gestrichene Koordinatensystem ist damit nicht rechtwinklig innerhalb des rechtwinkligen nicht-gestrichenen Koordinatensystems. Das mag ungewohnt erscheinen, ergibt sich jedoch aus einer klassischen Koordinatentransformation zweier Inertialsysteme. Die Längen x in I sind die gleichen Längen x = x. All das wird durch die Galilei-Transformation beschrieben: ct = ct → ct = ct v x = x + ct → x = x c 8 Ursprünglich nannte Minkowski die Ebene des Diagramms „Welt“.
(12.21)
302
12 Spezielle Relativitätstheorie
a
b
Abb. 12.5 a Raum-Zeit-Diagramm mit Weltlinie. Die reziproke Steigung an einem Punkt gibt die Geschwindigkeit des Körpers an. b Nicht-relativistisches Raum-Zeit-Diagramm zweier Inertialsysteme, die sich mit v zueinander bewegen. Die ct -Achse ist zwar schiefwinklig, jedoch sind alle Zeitdauern und Längen in den Inertialsystemen gleich
Die Darstellung in solchen Raum-Zeit-Diagrammen macht eine anschauliche Situation zunächst nur abstrakter. Deshalb werden sie in nicht-relativistischen Fällen auch nicht verwendet.
12.4.2 Erstellung eines relativistischen Minkowski-Diagramms Ist die Relativgeschwindigkeit v nicht mehr sehr viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit, so ist eine relativistische Betrachtung notwendig. Die Abweichung zwischen nicht-relativistischer und relativistischer Beschreibung verändert sich graduell. Es stellt sich für jedes Problem neu die Frage, welche Abweichung noch vernachlässigt werden kann.9 Die Grundlage eines (relativistischen) Minkowski-Diagramms sind die LorentzTransformationen, wobei die Koordinatenursprünge beider Intertialsysteme auf einen Punkt gelegt werden:
v x = γ x − ct ; (12.22a) c
v ct = γ ct − x ; (12.22b) c x(ct = 0) = x (ct = 0) = 0
9 Trotz geringer Geschwindigkeiten müssen zum Uhrenabgleich von Satelliten für GPS Effekte der
speziellen und sogar der allgemeinen Relativitätstheorie berücksichtigt werden, um eine möglichst große Ortsauflösung zu gewährleisten.
12.4
Das Raum-Zeit-Diagramm
303
Für das Inertialsystem I wird mit einem rechtwinkligen Koordinatensystem wie im nichtrelativistischen Fall begonnen. Dann werden die Koordinatenachsen des Inertialsystems I ähnlich wie oben, jedoch gemäß der Lorentz-Transformation, hinzugefügt. 1. Die ct -Achse Wie im nicht-relativistischen Fall repräsentiert die Bahn des Punktes x = 0 in I die ct Achse. Dies ist zwar analog zum nicht-relativistischen Fall, formal verwendet man jedoch Gl. (12.22a):
v x = 0 = γ x − ct c v c ⇒ x = ct → ct = x (12.23) c v dx v ⇒ tan θ = = dct c Wie zu erwartet, ergibt sich das analoge Ergebnis zum nicht-relativistischen Fall, und es kann die ct -Achse in das Koordinatensystem von I eingetragen werden (Abb. 12.6a). Es handelt sich dabei um eine Gerade, die einen Winkel θ mit der ct-Achse einschließt. 2. Die Weltlinie von Licht Für Licht, das vom Ursprung ausgeht, gilt v = c ⇒ x Licht (t) = ct. Es handelt sich hierbei also um die Winkelhalbierende des (x, ct)-Diagramms. Im 2. Postulat wurde die herausragende Rolle von Licht festgelegt, bzw. vielmehr der Konstante c in der Relativitätstheorie. Sie ist für alle Inertialsysteme gleich, also gilt nicht nur x Licht (t) = ct, sondern auch (t ) = ct (gelb in Abb. 12.6a). Sie muss also auch die Winkelhalbierende in I sein. x Licht Weiterhin kann nichts schneller als Licht sein, das bedeutet, für die reziproke Steigung einer Weltlinie jedes massebehafteten Teilchens gilt θ < 45◦ . 3. Die x -Achse Aus der Kenntnis der ct -Achse und der Tatsache, dass die Winkelhalbierende im gestrichenen und nicht-gestrichenen System identisch ist, kann geometrisch die Lage der x -Achse abgeleitet werden. Formal geht man einen ähnlichen Weg wie für die ct -Achse. Man kann aus Gl. (12.22b) folgern, welche Ereignisse gleichzeitig geschehen:
v ct = 0 = γ ct − x c (12.24) v ⇒ ct = x c Punkte auf dieser Geraden repräsentieren Ereignisse an verschiedenen Orten x zur Zeit ct = 0. Es handelt sich um die x -Achse (Abb. 12.6a).
304
a
12 Spezielle Relativitätstheorie
b
Abb. 12.6 a Konstruktion eines relativistischen Raum-Zeit-Diagramms zweier Inertialsysteme I (schwarze Achsen) und I (blaue Achsen), die sich mit v/c zueinander bewegen. b Grafische Bestimmung der x -Achse anhand der Situation des Gedankenexperiments zur relativen Gleichzeitigkeit
Mit Überlegungen zur Gleichzeitigkeit kann die x -Achse nicht nur berechnet, sondern auch im Minkowski-Diagramm konstruiert werden. Dafür macht man sich das Problem der relativen Gleichzeitigkeit aus Abschn. 12.2.1, wie es in Abb. 12.1 dargestellt ist, in einem Minkowski-Diagramm bewusst (Abb. 12.6b). Die Weltlinien von Heck und Spitze des Raumschiffs in I (grün) sind Parallelen zur schon bekannten ct -Achse und schneiden die Weltlinien der Lichtpulse (gelb) zu verschiedenen Zeiten ct1 und ct2 von I . In I geschehen diese Ereignisse allerdings gleichzeitig. Folglich muss eine Gerade durch diese beiden Punkte eine Parallele zur x -Achse sein. Die x -Achse verläuft durch den gemeinsamen Punkt (0, 0). Damit wurden aus den Lorentz-Transformationen und der Betrachtung der Gleichzeitigkeit die besagten schiefwinkligen Achsen in I für x und ct bestimmt. 4. Die Eichung der Achsen Beim nicht-relativistischen Raum-Zeit-Diagramm war eine spezielle Eichung der Achsen nicht notwendig, da die räumlichen Längen und die verstrichene Zeit in allen Inertialsystemen gleich sind. In einem relativistischen Minkowski-Diagramm ist das schon im rechtwinkligen Ruhesystem I anders, ohne dass es auf den ersten Blick auffällt. Dafür wird im Folgenden der Punkt ct = 0 und x = 1 betrachtet.10 Der Vierervektor zu diesen Koordinaten hat den Betrag 1. Beträge von Vierervektoren sind invariant unter Lorentz-Transformationen, also hat dieser Vektor in allen Inertialsystemen den selben Betrag |x| ˜ = |x˜ |. Das gilt für alle Punkte mit 4er-Abstand 1 zum Koordinatenursprung (in allen Inertialsystemen). In einem nicht-relativistisch Raum denkt man sich einen Kreis (eine Kugel) bei verschiedenen Punkten mit demselben Abstand. In der relativistischen Raum-Zeit wird jedoch der Betrag und damit der Abstand zwischen Ereignissen anders berechnet. Die entsprechenden Punkte werden durch die Kurve |x| ˜ 2 = x 2 + (ict)2 = x 2 − (ct)2 = 1 beschrieben. Es handelt sich 10 Hier wird ausnahmsweise auf Einheiten verzichtet, da in den Koordinaten (x, ct) Zeit und Ort die
gleichen Einheiten besitzen.
12.4
Das Raum-Zeit-Diagramm
305
Abb. 12.7 Invariante Längen von Vierer-Vektoren sind Hyperbeläste in einem Raum-Zeit-Diagramm. Damit können die Achsen des bewegten Systems geeicht werden
ct
ct' P2 1
x'
1 1 1
P1 x
dabei um zwei Hyperbeläste, wie in Abb. 12.7 dargestellt. Die gleiche Betrachtung stellt man für den Punkt (x = 0, ct = 1) an. Dieser Vierervektor hat das Betragsquadrat −1. Das negative Vorzeichen kommt vom Betragsquadrat der imaginären Einheit i. Die Punkte mit |x| ˜ 2 = x 2 + (ict)2 = x 2 − (ct)2 = −1 sind Hyperbeläste, die die ct-Achse bei ±1 schneiden. Man erhält mit diesen Hyperbelästen Schnittpunkte P1 und P2 mit x - und ct Achse (beliebiger anderer Inertialsysteme). Da alle Punkte auf diesen Kurven den Abstand 1, bzw. −1, zum Ursprung haben müssen, definieren die Schnittpunkte mit den Achsen die Länge 1 auf den jeweiligen Achsen. Damit sind die Achsen von I , ausgehend von I , geeicht. Die Koordinaten der Schnittpunkte in I lassen sich berechnen zu: v P1 : ct = γ ; x = γ c v P2 : ct = γ ; x = γ c
(12.25)
Im Bezugssystem I haben die Punkte P1 und P2 einfach die Koordinaten (1, 0) und (0, 1). Damit ist ein Minkowski-Diagramm festgelegt mit dem Ruhesystem I und einem Bezugssystem I , wobei sich die beiden Systeme mit der Relativgeschwindigkeit v zueinander bewegen. Wie man sieht, ist die Lorentz-Transformation eine Transformation von einem orthogonalen System in ein nicht-orthogonales System.
306
12 Spezielle Relativitätstheorie
12.4.3 Gleichzeitigkeit, Zeitdilatation und Längenkontraktion im Minkowski-Diagramm Ein Minkowski-Diagramm bietet eine weitere, formal geometrische Möglichkeit, die Probleme aus Abschn. 12.2 zu betrachten. Zur Konstruktion der x -Achse wurde die relative Gleichzeitigkeit verwendet, darüber hinaus kann man sie sich anhand dessen etwas weiter veranschaulichen. Beispielsweise können in eine Abbildung wie Abb. 12.6b auch die Weltlinien von Spitze und Heck eines in I ruhenden Raumschiffs ergänzt werden, also gerade die Situation umgedreht werden. In I bewegt sich dieses Raumschiff nach links, und die Ereignisse „Lichtpuls trifft Spitze“ und „Lichtpuls trifft Heck“ sind nicht mehr gleichzeitig. Tatsächlich kann hier nur empfohlen werden, sich selbst ein Stück Papier und Stift zu nehmen und sich die Situation in einem Graphen zu skizzieren. Für die Zeitdilatation wurden in Abschn. 12.2.2 zwei Ereignisse betrachtet, die im gestrichenen System bei derselben x-Koordinate zu unterschiedlichen Zeiten stattfinden. Diese Ereignisse waren das Aussenden und das Empfangen eines Lichtpulses senkrecht zur Bewegungsrichtung im Raumschiff. Diese Situation ist in Abb. 12.8a in grün in ein Raum-ZeitDiagramm eingezeichnet. Um den Effekt der Zeitdilatation in einem Raum-Zeit-Diagramm zu erkennen, ist es notwendig, die Eichung der Achsen zu beachten. Betrachtet man die Achsenabschnitte dieser beiden Ereignisse an den beiden Zeitachsen, so erscheint der an der ct -Achse länger. In der Skizze ist v ≈ 0,55 c, und mit einer groben Eichung der Achsen ergibt sich, dass der Achsenabschnitt dieser beiden Ereignisse in ct 1,2 mal so lang ist wie in ct , also gerade anders, als es sich graphisch darstellt. Die Zeit im bewegten Inertialsystem vergeht also schneller. Es wäre nun falsch zu denken, vom gestrichenen System aus betrachtet würde die Zeit im ihm gegenüber bewegten nicht-gestrichenen System langsamer verlaufen. Man muss die Perspektive umkehren. Betrachtet man zwei Ereignisse, die im
a
b
Abb. 12.8 a Zeitdilatation zwischen den Inertialsystemen, dargetellt in einem MinkowskiDiagramm. b Minkowsi-Diagramm zum Gedankenexperiment der Längenkontraktion
12.4
Das Raum-Zeit-Diagramm
307
nicht-gestrichenen System zu unterschiedlichen Zeiten an denselben Koordinaten stattfinden, so ergibt sich die gleiche Situation, nur dass die Rollen der beiden Koordinatensysteme vertauscht sind (braun in Abb. 12.8a). Bei der Berechnung der Zeitdilatation, wie sie in Abschn. 12.2.2 dargestellt wurde, ergibt sich oft das Problem, dass man nicht sicher ist, ob man die bekannte Zeitspanne mit γ oder mit 1/γ multiplizieren muss. Dies liegt vor allem daran, dass in der Formel der sogenannten Eigenzeit die Zeit des Ruhesystems durch γ geteilt wird und für die Eigenlänge bei der Längenkontraktion die Länge des Ruhesystems mit γ multipliziert wird. Entscheidend für den Multiplikator ist, welche der beiden angesprochenen Situationen man betrachtet. Folgender Merksatz zu einer Zeitverzerrung nutzt eine eindeutige Formulierung anhand von Raum-Zeit-Diagrammen, um die Situation festzulegen, und besagt, welche Umrechnung sich daraus ergibt. Sie entspricht nicht zwangsläufig einer Zeitdilatation. Zeitverzerrung: Finden zwei Ereignisse an denselben Ortskoordinaten bezüglich der relativen Bewegungsrichtung, jedoch mit einem Zeitunterschied t in einem Koordinatensystem I statt, so erscheint die Zeitspanne zwischen diesen Ereignissen in einem dazu bewegten System I länger zu sein: t = γ t. Außerdem finden diese Ereignisse in I nicht an denselben Koordinaten statt.
Die hier angegebene Formel entspricht nicht der Formel der Eigenzeit Gl. (12.8). Bei der Eigenzeit werden zwei Ereignisse betrachtet, die in I an den gleichen Ortskoordinaten stattfinden. Die analogen Überlegungen für die Längenkontraktion gestalten sich tatsächlich vollkommen analog, es müssen in Abb. 12.8a lediglich die Orts- und die Zeitachse miteinander vertauscht werden. Es werden dabei also zwei Ereignisse betrachtet, die in einem Bezugssystem zu derselben Zeit, jedoch an unterschiedlichen Koordinaten stattfinden. Eine solche Situation findet sich in dem Gedankenexperiment zur relativen Gleichzeitigkeit. Sie ist in Abb. 12.6 in einem Raum-Zeit-Diagramm dargestellt. Für die Längenbestimmung ist diese Situation allerdings wenig intuitiv. Deshalb wird ein Gedankenexperiment wie in Abschn. 12.2.3 konstruiert, das plausibler wirkt. Es handelt sich um die Messung der Zeitspanne zwischen dem Aussenden des Lichts an einem Ende des Raumschiffs, der Reflexion am anderen Ende und der Ankunft am Heck, also ct. Als Minkowski-Diagramm ist dieses Gedankenexperiment in Abb. 12.8b dargestellt. Aus diesem Diagramm ist graphisch nicht ohne Weiteres ersichtlich, wie man von der Zeitdifferenz ct auf die Länge x kommt. Zum anderen erscheint der Vergleich der beiden Längen x und x einfacher, wenn man ihn auf dieselbe Weise macht wie den Zeitvergleich in Abb. 12.8a. Der folgende Merksatz zur Längenverzerrung gibt nicht die Längenkontraktion wieder. Bei der Längenkontraktion werden nicht die Ortsabstände zwischen zwei Ereignissen in der Raum-Zeit betrachtet, sondern die Längen von Ereignissen, die in beiden Systemen gleichzeitig stattfinden, verdeutlicht durch die drei roten Punkte in Abb. 12.8b. Der folgende Merksatz ist allgemeiner.
308
12 Spezielle Relativitätstheorie
Längenverzerrung: Finden zwei Ereignisse zu derselben Zeit an unterschiedlichen Koordinaten, x, bezüglich der relativen Bewegungsrichtung in einem Koordinatensystem I statt, so erscheint der Ortsabstand zwischen diesen Ereignissen in einem dazu bewegten System I größer zu sein: x = γ x. Außerdem finden diese Ereignisse in I nicht zu derselben Zeit statt.
Im Allgemeinen ist es notwendig, sich die gegebene Situation einer Problemstellung in einem Minkowski-Diagramm zu veranschaulichen, um den korrekten Umrechnungsfaktor für die Längenverzerrung oder die Zeitdilatation zu verwenden. Eine gute Übung ist es, sich nicht nur die hier beschriebenen Situationen in den abgebildeten Minkowski-Diagrammen anzusehen, sondern sich selbst Stift und kariertes Papier zu nehmen und sie nach zu skizzieren. Dabei genügt vollkommen eine Skalierung der Achsen mit einer per Hand gezeichneten Hyperbel, um die relativistischen Effekte qualitativ nachzubilden. Zeitliche Reihenfolge Die relative Gleichzeitigkeit deutet schon an, dass es keine für alle Bezugssysteme identische zeitliche Reihenfolge gibt. Man kann Fälle konstruieren, in denen in einem Bezugssystem das Ereignis A auf Ereignis B folgt und in einem anderen B auf A. Die strikte zeitliche Reihenfolge, die man aus dem Alltag gewohnt ist, gibt es in der Relativitätstheorie nicht mehr. Anhand von Abb. 12.9 wird gezeigt, welche grobe Einteilung sich trotzdem vornehmen lässt: • Bereich 1: Absolute Zukunft. Für jeden Punkt P in diesem Bereich gibt es ein Bezugssystem I , für das gilt P = (0, ct > 0). • Bereich 2: Absolute Vergangenheit. Für jeden Punkt P in diesem Bereich gibt es ein Bezugssystem I , für das gilt P = (0, ct < 0). • Bereich 3: Absolute Gegenwart. Für jeden Punkt Q in diesem Bereich gibt es ein Bezugssystem I , für das gilt Q = (x , 0).
Abb. 12.9 Die relativistische zeitliche Reihenfolge: Bereich 1 beschreibt die absolute Zukunft, Bereich 2 die absolute Vergangenheit, und die Bereiche 3 beschreiben die absolute Gegenwart
ct'
ct 1
P
x' Q
3 3 2
x
12.5
Diskussion und Vergleich zur schulüblichen Darstellung
309
˜ vom Ursprung zu Punkten in den Bereichen 1 und 2 gilt |0P| < 0, und man Für Vektoren 0P nennt sie zeitartig. In einfachen Worten, hier können die Zeitachsen anderer Bezugssysteme liegen. Für Vektoren zu Punkten Q in den Bereichen 3 ist |0Q| > 0, und sie werden raumartig genannt – hier liegen die Ortsachsen der Bezugssysteme.
12.5
Diskussion und Vergleich zur schulüblichen Darstellung
Einführung ins Thema In Lehrbüchern erfolgt der Einstieg in die spezielle Relativitätstheorie in einem historischen Kontext, der fachsystematisch naheliegend ist. Es werden Fragen zu induzierten elektrischen Feldern aufgeworfen, die in einem Bezugssystem vorhanden sind und in einem anderen nicht, und zur Ausbreitungsgeschwindigkeit elektromagnetischer Wellen unabhängig von einem Medium. In den (bayerischen) Schulbüchern variiert der Einstieg in die Relativitätstheorie stärker als in den Lehrbüchern. Im Lehrplan Bayerns ist die spezielle Relativitätstheorie Teil des Abschnitts zur Bewegung geladener Teilchen in Feldern und wird vor zeitabhängigen Phänomenen behandelt. Dies nimmt beispielsweise Metzler [2] zum Anlass, mit der Messung einzuleiten, in der eine geschwindigkeitsabhängige Trägheit von Elektronen beobachtet wurde. Dagegen leitet Impulse Physik [3] das Thema mit der Betrachtung des MichelsonMorley-Experiments ein, wie man sie auch in einem Lehrbuch finden könnte. Fokus Physik [4] erwähnt dieses Experiment nur in einem sehr kurzen einleitenden Absatz, verzichtet allerdings auf eine ausführliche Einleitung und beginnt schnell mit den einsteinschen Postulaten. Dafür nimmt sich dieses Buch im weiteren Verlauf mehr Zeit für eine ausführliche Behandlung der Inhalte. Für die verschiedenen Ansätze in den Schulbüchern gibt es keine pauschalen Gründe, die dafür oder dagegen sprechen. In Bezug auf die Lehrplangliederung fügt sich die Einleitung von Metzler über die relativistische Massenzunahme leichter ein. In Bezug auf das allgemeine Thema, die Elektrodynamik, ist dagegen das Vorgehen der Lehrbücher naheliegender, wie es in Impulse Physik umgesetzt wird. Umsetzung des Stoffes Die Darstellung und Gliederung in den Schulbüchern ist ähnlich strukturiert, wie es oben von Seiten der Lehrbücher dargestellt wurde – es werden Gedankenexperimente angestellt, anhand derer die Erscheinungen der relativen Gleichzeitigkeit, der Zeitdilatation und der Längenkontraktion besprochen werden und es werden Minkowski-Diagramme vorgestellt. Letzteres ist überraschend, da Minkowski-Diagramme laut Lehrplan nicht zwingend vorgesehen sind. Im Detail zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Schulbüchern. In Impulse Physik [3] sind die Minkowski-Diagramme ein zentraler Bestandteil der Elementarisierung. Die oben beschriebenen Gedankenexperimente werden direkt anhand von Minkowski-Diagrammen besprochen. Für die Längenkontraktion wird schließlich kein
310
12 Spezielle Relativitätstheorie
konkretes Gedankenexperiment mehr gegeben, sondern lediglich die Länge eines Stabes in einem Minkowski-Diagramm behandelt. Es muss noch angemerkt werden, dass hier die Achsen der Minkowski-Diagramme vertauscht wurden, sodass ihre Darstellung analog denen eines s-t-Diagramms ist. Die Eichung der Achsen wird dabei zwar am Rande im Zusammenhang mit der Zeitdilatation angesprochen und auf die Längenkontraktion übertragen, letzteres geschieht allerdings durch einen Kreis um den Nullpunkt. Wie oben besprochen, hat die Eichung etwas mit der Länge eines Vektors zu tun, den man in der Geometrie mit reellen Zahlen als Radius um einen Punkt eintragen könnte. Durch die Definition der Beträge von Vierervektoren in der Relativitätstheorie wird in einem Minkowski-Diagramm dergleiche Abstand zu einem Punkt nicht durch einen Kreis um diesen Punkt beschrieben, sondern durch Hyperbeln. Eine genaue formale Besprechung mit den Hyperbeln würde in der Schule zu weit führen, allerdings sollte man vermeiden, plakative Erklärungen zu geben, die nicht fachgerecht sind. In Metzler Physik (Bayern) [2] liegt der Schwerpunkt eher, wie im Lehrplan vorgeschlagen, auf der halbqualitativen Darstellung von Gleichzeitigkeit, Zeitdilatation und Längenkontraktion anhand von Gedankenexperimenten. Minkowski-Diagramme werden im Anschluss daran eingeführt, und es wird versucht, die Invarianz der Länge eines RaumZeit-Vektors damit darzustellen. Das Problem dabei ist, dass die Eichung der Achsen des bewegten Systems nicht angesprochen wird. Die dazu angegebenen Formeln sind zwar korrekt mit dem Faktor γ , jedoch zeigt Abb. 12.8 deutlich, dass geometrische Längenverhältnisse von Achsenabschnitten in einem Minkowski-Diagramm nicht den geeichten Längenverhältnissen entsprechen müssen. Auch die Abstände zwischen den Einheitsgrößen der Zeit in der klassischen Darstellung eines Raum-Zeit-Diagramms verändern sich für das bewegte System. Da die Besprechung der Eichung in der Schule viel Zeit in Anspruch nehmen würde, sieht der Lehrplan das Minkowski-Diagramm vermutlich nicht vor. Ohne Eichung der Achsen ist eine Besprechung von Minkowski-Diagrammen kaum fachgerecht. Größtenteils sind die Darstellungen und Beschreibungen zur Relativitätstheorie in Metzler Physik (Bayern) mit denen in Metzler Physik (NRW) [6] identisch. Ein bezeichnender Unterschied ist allerdings, dass der Abschnitt zu Minkowski-Diagrammen in NRW fehlt. Des Weiteren steht der Abschnitt zur Relativitätstheorie in NRW nicht im Zusammenhang zur Elektrodynamik, sondern steht für sich alleine. Ähnlich ist dies bei Dorn-Bader [1] – Minkowski-Diagramme werden nicht behandelt. Außerdem ist der Abschnitt zur Relativitätstheorie nur ein Teil der „Physik des 20. Jahrhunderts“. Das Schulbuch Fokus Physik [4] stellt sowohl die Gedankenexperimente als auch die geometrische Betrachten durch Minkowski-Diagrammen qualitativ sehr ausführlich dar. Es findet sich inhaltlich das Gleiche wie in den Lehrbüchern, lediglich mit einem reduzierten mathematischen Aufwand, ohne dabei fachlich relevante Eigenschaften zu entfernen. Die Achsen im Minkowski-Diagramm werden nicht durch Hyperbeln, sondern über die passende Multiplikation mit γ geeicht, wie schon bei der Längenkontraktion und der Zeitdilatation besprochen. Es werden also ähnliche Beispiele besprochen wie bei Griffiths und Resnick.
12.6
Zusammenfassung
311
Der Vergleich zwischen Lehrbüchern und Schulbüchern zeigt hier implizit, wie komplex die spezielle Relativitätstheorie ist. Die schulische Darstellung unterscheidet sich bei den anfänglichen Gedankenexperimenten vergleichsweise wenig von der universitären Darstellung. Man geht also scheinbar davon aus, dass man von Studierenden kaum mehr verlangen kann als von Schülern oder sogar Lehrenden. Ohne ein vertieftes Fachwissen, wie es in anderen Themengebieten verlangt werden kann, erscheint es bei der speziellen Relativitätstheorie kaum mehr möglich, angemessen auf spontane Fragen von Lernenden einzugehen, die von den wenigen bekannten Beispielen zu sehr abweichen. Ein sehr grundlegender Einblick in eine derart berühmte Theorie wie die spezielle Relativitätstheorie ist jedoch auch in der Schule bedeutsam. Deshalb erscheint es angeraten, sich nur auf einige wenige Situationen zu beschränken und diese Situationen für Aufgaben und Tests nur oberflächlich zu variieren.
12.6
Zusammenfassung
• Die Postulate egalisieren alle nicht-beschleunigten Bezugssysteme (Inertialsysteme) und legen eine maximale Geschwindigkeit (Lichtgeschwindigkeit) als Naturkonstante fest. • Zwei Ereignisse, die in einem Inertialsystem gleichzeitig stattfinden, machen dies in einem anderen Inertialsystem nicht zwangsläufig. Der zeitliche Verlauf von Ereignissen ist abhängig vom Inertialsystem. • Zeitverzerrung: Der Zeitunterschied zwischen zwei ortsgleichen (bezüglich der Relativbewegung) Ereignissen in einem Inertialsystem erscheint kürzer als von einem Inertialsystem betrachtet, an dem diese Ereignisse nicht ortsgleich sind. t = γ t . • Längenverzerrung: Die Länge eines Körpers, gemessen durch die Zeit, in der Licht die Länge zurücklegt, ist aus Sicht eines dazu bewegten Inertialsystems kürzer als im Ruhesystem. x = γ x. • In der Relativitätstheorie lässt sich die Zeitkoordinate nicht von den Raumkoordinaten trennen. Ein Ereignis (Ort und Zeit) wird durch einen Vierervektor x˜ := (x, y, z, ict) in einem Minkowski-Raum beschrieben. Die Umrechnung der Koordinaten eines Vierervektors von einem Inertialsystem in ein anderes erfolgt durch die Lorentztransformation. • Eine Möglichkeit einer graphischen Lösung und Veranschaulichung ist ein Minkowski-Diagramm. Dabei bilden eine Ortsachse und die Zeitachse eines (ruhenden) Systems ein rechtwinkliges Koordinatensystem, und das dazu bewegte Inertialsystem mit der Ortskoordinate der gleichen Richtung (die Bewegungsrichtung) ein schiefwinkliges Koordinatensystem. Die Symmetrieachse ist in beiden
312
12 Spezielle Relativitätstheorie
Systemen die Lichtlinie. Die Achsen werden skaliert durch den invarianten Betrag von Vierervektoren |x| ˜ 2 = x 2 + (ict)2 . • Der größte strukturelle Unterschied zwischen Lehrbüchern und verschiedenen Schulbüchern ist die Einleitung. Möglichkeiten des Einstiegs ergeben sich durch die Relativität in der Elektrodynamik, wie man sie beispielsweise bei der Induktion erkennt; durch die Massenzunahme schneller Elektronen und die relativistische Energie-Impuls-Beziehung; durch die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen und das Michelson-Morley-Experiment. • Die drei Themen – relative Gleichzeitigkeit, Zeitdilatation und Längenkontraktion – werden sowohl in Lehr- als auch Schulbüchern ähnlich besprochen. Minkowski-Diagramme werden in Schulbüchern unterschiedlich umgesetzt. Manchmal geschieht das übervereinfacht und nicht fachgerecht ohne oder mit fehlerhafter Eichung der Achsen.
Literatur 1. Bader, Franz, et al. 2002. Dorn/Bader Physik Sek II. Hrsg. von Franz Bader. Braunschweig: Schroedel. 2. Becker, Sylvia et al. 2009. Metzler Physik (Bayern). Hrsg. von Joachim Grehn und Joachim Krause. Braunschweig: Westermann Schroedel. 3. Bredthauer, Wilhelm, et al. 2009. Impulse Physik Bayern 11. Stuttgart, Leipzig: Klett. 4. Diehl, Bardo, et al. 2009. Fokus Physik Gymnasium Bayern 11. Berlin: Cornelsen. 5. Fließbach, Torsten. 2012. Elektrodynamik – Lehrbuch zur Theoretischen Physik II. Berlin: Springer Spektrum. 6. Grehn, Joachim, et al. 2015. Metzler Physik – Qualifikationsphase Grundkurs NordrheinWestfalen. Hrsg. von Joachim Grehn und Joachim Krause. Braunschweig: Westermann Schroedel. 7. Griffiths, David. J. 2013. Introduction to Electrodynamics. Boston: Pearson. 8. Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur Schleswig-Holstein. 2005. Lehrplan für die Sek. I der weiterführenden allgemeinbildenden Schulen. http://lehrplan.lernnetz.de/ intranet1/index.php?wahl=143. Zugegriffen: 29. Juni 2020. 9. Niedersächsisches Kultusministerium. 2015. Kerncurriculum Naturwissenschaften GymnasiumSek. I. https://cuvo.nibis.de/cuvo.php?p=download&upload=18. Zugegriffen: 29. Juni 2020. 10. Resnick, Robert. 1996. Einführung in die spezielle Relativitätstheorie. Stuttgart: Klett-Cotta. 11. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung. Lehrplan Physik Gymnasium Bayern. https://www.isb.bayern.de/gymnasium/faecher/naturwissenschaften/physik/lehrplan/. Zugegriffen: 5. Dez. 2016.
Wellenoptik
13
Inhaltsverzeichnis 13.1 Schulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Hochschulübliche Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Beugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Doppelspalt und Einfachspalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
313 315 315 318 320 322 323
Im Zusammenhang mit der Elektrodynamik findet sich sowohl an der Schule als auch an der Hochschule häufig ein Abschnitt zur Wellenoptik. Dieser Themenbereich ist sehr weit gefächert und enthält einerseits Themen wie Brechung und Reflexion, die die Wellenoptik mit der Strahlenoptik verknüpfen, und Themen wie Beugung und Interferenz. Aus eher pragmatischen Gründen konzentriert sich dieses Kapitel auf Beugung und Interferenz, um sich diesem Themenbereich, der am Rande der Elektrodynamik steht, nicht über die Maßen zu widmen. In der Schule gibt es zur Wellenoptik einige grundsätzliche Voraussetzungen und Näherungen, wie zum Beispiel die Annahme eines parallelen Lichteinfalls auf die optischen Bauelemente oder die Annahme, dass sich die beleuchtete Struktur in einem großen Abstand zum Schirm befindet. Um die Hintergründe solcher Näherungen zu verstehen, werden in diesem Kapitel die Grundlagen der theoretischen Herleitung von Themen wie Beugung und Interferenz betrachtet.
13.1
Schulübliche Darstellung
Dieses Kapitel beschränkt sich erneut auf die Sekundarstufe II, wofür in erster Linie bayerische Schulbücher betrachtet werden und mit dem entsprechenden Lehrplan verglichen © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4_13
313
314
13 Wellenoptik
werden können. Die sonst übliche Einteilung dieses Abschnitts zu Lehrplänen, Experimenten und Konzepten wird nicht gesondert gekennzeichnet. Exemplarisch im bayerischen Lehrplan [12] ist die Wellenoptik Teil des Abschnitts „Elektromagnetische Schwingungen und Wellen“, in Nordrhein-Westfalen [11] wird sie für die Sekundarstufe II nicht explizit erwähnt. Die grundlegenden Welleneigenschaften wie Reflexion, Brechung, Beugung, Interferenz und Polarisation finden sich dabei im allgemeinen Teil über elektromagnetische Wellen. Im Zusammenhang mit Licht als elektromagnetische Welle werden lediglich das Beugungsgitter und die Wellenlängenbestimmung von Licht erwähnt. In den Schulbüchern beider Bundesländer [2–4, 7] finden sich dagegen jeweils ausführliche Abschnitte bzw. Kapitel zu Licht als Welle und den Welleneigenschaften von Licht. In Metzler Physik NRW [7] ist dies Teil eines einleitenden Kapitels zu Wellen im Allgemeinen. Dabei wird immer auf dieselben Themen eingegangen, wenn auch in wechselnder Reihenfolge. Neben den in Kap. 11 erwähnten grundlegenden Welleneigenschaften sind dies im Speziellen die Beugung und die Interferenz an Spalt, Doppelspalt und Gitter, der Zusammenhang zwischen Farbe und Wellenlänge sowie die Lichtgeschwindigkeit. Da die Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit rein technischer/experimenteller Natur ist und die Brechung und Reflexion eher im Bereich der Strahlenoptik besprochen werden, konzentrieren sich dieser und die folgenden Abschnitte auf die Beugung und Interferenz, wie eingangs erwähnt. Die Beugung wird mit dem Elementarwellenprinzip von Huygens erklärt und beschrieben – jeder Punkt in der Öffnung einer Blende ist Ausgangspunkt einer elementaren Kugelwelle, die sich mit den anderen Kugelwellen überlagert. Im Vordergrund stehen allerdings in den Schulbüchern die Beobachtungen hinter den Blenden und ihre geometrische Auswertung. Lediglich in Nebensätzen wird angesprochen, dass die Welle direkt vor der Blende in Phase sein solle. Am Doppelspalt wird die Fähigkeit einer Welle zu interferieren thematisiert und die Formeln für Minima und Maxima werden hergeleitet. Anschließend wird der Doppelspalt zum Gitter erweitert. Der Einfachspalt dient zur vertieften Besprechung der Beugung und der damit verbundenen Interferenz. In Tab. 13.1 sind die Formeln für Interferenzmaxima und -minima dieser drei Blenden aufgeführt. Neben der Interferenz an Blenden werden in allen Schulbüchern auch die Interferenz an dünnen Schichten und die sogenannten newtonschen Ringe besprochen. Die Überlagerung von Wellen und ihre Auslöschung und Verstärkung wird meist durch den sinusförmigen Verlauf der Welle und den Gangunterschied konzeptualisiert. In Impulse Physik [3] werden zusätzlich Zeigerdiagramme für verschiedene Fälle angegeben, und es findet sich ein Abschnitt zu Interferometern. Bei Zeigerdiagrammen werden Phasenwinkel ϕ und Phasenunterschiede ϕ durch die Winkel von Zeigern/Vektoren dargestellt. Durch Vektoraddition von Zeigern verschiedener Elementarwellen können Amplituden an verschiedenen Stellen (am Schirm) erschlossen werden.
13.2
Hochschulübliche Darstellung
315
Tab. 13.1 Interferenzbedingungen für Maxima und Minima am Doppelspalt (Spaltabstand d), Gitter (Gitterkonstante g) und Einfachspalt (Spaltbreite b) Blende
Maximum
Doppelspalt
sin αn = n · dλ
Minimum sin αn = n − 21 · dλ
sin αn = n · λg sin αn = n + 21 · λb
sin αn = n · λb
Gitter Einfachspalt
13.2
Hochschulübliche Darstellung
Zwischen den Lehrbüchern der Hochschule zeigen sich einige strukturelle Unterschiede. Bei Griffiths [8] gibt es keinen Abschnitt zur Wellenoptik. Sie ist dort scheinbar für einen gesonderten Kurs zur Optik vorgesehen. Vergleichbares findet sich in Kompendien wie Tipler [13], in denen die Wellenoptik nicht Teil der Elektrodynamik ist, sondern im Abschnitt der Optik besprochen wird. Bei Jackson [9] finden sich Abschnitte zur Ausbreitung ebener Wellen in Isolatoren und Leitern, Themen wie Beugung oder Interferenz werden dagegen nicht behandelt. Nur in Lehrbüchern wie Bergmann/Schaefer [10] und Fließbach [5] finden sich Abschnitte zur Wellenoptik im Zusammenhang mit elektromagnetischen Wellen. In Bezug auf die unterschiedlichen Fachbereiche der Bücher – Theoretische Physik und Experimentalphysik – finden sich jedoch auffallende Unterschiede hinsichtlich der Inhalte und ihrer Gewichtung. In Bergmann/Schaefer wird sehr stark auf technische Details und Experimente fokussiert, es findet sich sogar ein Abschnitt zum Schleifen optischer Linsen, und es werden sehr viele Inhalte aus der geometrischen Optik (Strahlenoptik) behandelt. Bei Fließbach beschränkt man sich auf einige wenige theoretische Aspekte. Das huygenssche Prinzip wird theoretisch im Strahlungsfeld fundiert, und auf dieser theoretischen Basis werden Interferenz, Beugung, Reflexion und Brechung behandelt. Im Folgenden werden einige grundlegende Aspekte von Beugung und Interferenz, wie man sie bei Fließbach ausführlicher finden kann, kurz und prägnant wiedergegeben. Das konzeptuelle Vorgehen bietet eine gute Basis für einen späteren Vergleich mit der schulischen Darstellung.
13.2.1 Beugung Basis der Wellenoptik sind die Wellengleichungen (11.13), die aus den MaxwellGleichungen (11.11) (ohne Quellen wie Ladungs- oder Stromdichten) folgen, wie sie allgemein für elektromagnetische Wellen gelten:
2 2 − 1 ∂ ∇ c2 ∂t 2
r , t) E( r , t) = 0 B(
316
13 Wellenoptik
Eine beliebige Welle kann als Überlagerung monochromatischer Wellen dargestellt werden. Für eine monochromatische Welle lässt sich die Zeitabhängigkeit abseparieren (mit dem Lösungsansatz exp(−iωt)). Jede einzelne Komponente des elektromagnetischen Feldes muss dann die folgende Gleichung erfüllen: =0 2 + k 2 )ψ(k) (∇
(13.1)
Darin ist k der Wellenvektor mit dem Betrag k = ω/c = 2π/λ. Lösungen für Wellengleichungen sind trigonometrische Funktionen, die allerdings sehr umständlich zu notieren sind. Um die Berechnung von Lösungen zu vereinfachen, schreibt man jede Feldkomponente als ein komplexwertiges Skalarfeld ψ. Lösungen sind somit nur Exponentialfunktionen der Form exp(ikx). Um die physikalischen Felder zu erhalten, wird am Ende einer Rechnung der Realteil gebildet. Im Folgenden wird das Strahlungsfeld einer Punktquelle um eine beliebig gestaltete, nicht-reflektierende Blende betrachtet (siehe Abb. 13.1). Auf der Seite der Strahlungsquelle ist das Feld nur durch die Punktquelle bestimmt. Das Strahlungsfeld einer Punktquelle ist in der angesprochenen komplexwertigen Schreibweise: ψ(r ) = C
exp(ik|r − r|) |r − r|
(13.2)
Unbekannt ist das Strahlungsfeld an einem Punkt P auf der anderen Seite der Blende. Die Punktquelle Q befinde sich bezüglich eines beliebigen Ursprungs am Ort r , der Punkt P bei r . Die Vektoren rQ = r| B − r zeigen von Q zu einem Punkt r| B in der Blende, und die Vektoren rP = r − r| B zeigen von einem Punkt in der Blende zu P. Für diese Vektoren soll gelten r Q , r P λ. Das Strahlungsfeld auf der rechten Seite der Blende an einem beliebigen Punkt P berechnet sich zu
Abb. 13.1 Eine Blende mit beliebiger Öffnung teilt den Raum (schwarz). Links sei eine Punktquelle, die monochromatische Wellen aussendet. Es soll bestimmt werden, welches Feld an einem Punkt P rechts der Blende zu erwarten ist
Punktquelle Q
r'
r" r
P
rQ rP Feld einer Kugelwelle
unbekanntes Wellenfeld
13.2
Hochschulübliche Darstellung
ψ(r ) ≈
−ikC 2π
317
dF Blende
exp(ikr Q ) exp(ikr P ) . rQ rP
(13.3)
eingehende Welle Kugelwellen ausgehend ¨ von der Offnung Das Integral geht über die Punkte der Blendenöffnung (im Folgenden nur noch B), also über die Endpunkte von r Q bzw. die Anfangspunkte von r P . Der erste Faktor des Integranden beschreibt die auf die Öffnung einfallende Kugelwelle der Punktquelle Q. Er definiert die Amplitude und Phase der Welle an verschiedenen Punkten der Öffnung. Der zweite Faktor beschreibt die Kugelwellen, die von jedem Punkt der Öffnung ausgehen und am Punkt P enden. Er beschreibt, was in der Schule oft das huygenssche Prinzip genannt wird. Gl. (13.3) ist Ausgangspunkt für die Berechnung jeglicher Beugungs- und Interferenzphänomene. Und obwohl sie in ihren Elementen sehr gut zu deuten ist, ist es nicht immer leicht, die entsprechende Integration auszuführen. Um Berechnungen in üblichen Situationen zu vereinfachen, werden eine Reihe von zusätzlichen Vereinfachungen und sinnvollen Näherungen durchgeführt: • Punktquelle weit entfernt von der Blendenöffnung, r Q a: Damit wird der erste Faktor exp(ikr Q ) = const., und er kann aus dem Integral gezogen des Integranden konstant, rQ werden. Dies entspricht dem Fall, dass ebene Wellen senkrecht auf die Blendenöffnung einfallen (Abb. 13.2a). Das vereinfacht Gl. (13.3) zu exp(ik rP) . (13.4) ψ(r ) = C d F rP B • Frauenhofer Beugung: Hierbei wählt man den Punkt P, also den Schirm, in einer großen 2 Entfernung zur Blendenöffnung. Die Näherung im Detail ist r P πaλ . Zur weiteren Berechnung wird ein neues Koordinatensystem für die Punkte der Blendenöffnung eingeführt, dessen Nullpunkt in der Mitte der Öffnung liegt. Die Vektoren
b
a a
x
0
r0P
P
rP
Abb. 13.2 Eine weit entfernte Punktquelle liefert ebene Wellen an einer Blendenöffnung mit dem Durchmesser a (a). Ein beliebiger Vektor rP lässt sich als Summe aus einem Grundvektor r0P und einem Laufvektor x darstellen (b)
318 Abb. 13.3 Skizze eines Doppelspalts mit den Verbindungsvektoren r1 und r2 zum Schirm
13 Wellenoptik
y
r1 r2
θ D
x ≡ r| B liegen in der Ebene der Öffnung, wie in Abb. 13.2b dargestellt. Die Vektoren rP werden dann zerlegt in r0P = x + rP . Eine Reihenentwicklung nach x mit der Frauenhofernäherung für kleine | x | liefert exp(ikr0P ) ψ(r ) = C d 2 x exp(−i k0P · x). (13.5) r0P B Dann ist nur noch die Integration über eine Exponentialfunktion auf den Punkten der Blendenöffnung nötig. • Bisher wurde die Blende lediglich als ein einfaches Loch modelliert. Der entscheidende Bereich der Blende könnte das Licht an verschiedenen Stellen allerdings auf verschiedenste Arten und Weisen beeinflussen – Phase oder Amplitude. Bei der Blende könnte es sich nicht nur um ein Loch, sondern im einfachsten Fall auch um eine Anordnung von Löchern oder Spalten handeln. Dies wird durch eine Funktion B( x ) beschrieben und in Gl. (13.5) eingesetzt: exp(ikr0P ) d 2 x B( x ) exp(−i k0P · x) (13.6) ψ(r ) = C r0P B Diese Gleichung hat eine spezielle Gestalt. Ein Integral über eine Funktion multipliziert mit einer komplexwertigen Exponentialfunktion in dieser Form entspricht einer Fouriertransformation. Das Beugungsbild entspricht also der Fouriertransformierten des bestrahlten Objekts B( x ). In diesem Abschnitt wurden die Näherungen der Beugung an Objekten besprochen, auf die formalen Herleitungen wurde verzichtet. In Abschn. 13.3 werden diese mit der Darstellung in Schulbüchern verglichen.
13.2.2 Doppelspalt und Einfachspalt Im Folgenden werden die Ergebnisse von Gl. (13.6) für einen Doppelspalt und einen Einfachspalt ohne Herleitung angegeben und beschrieben. Für den Doppelspalt kann zunächst vereinfachend angenommen werden, dass lediglich eine Elementarwelle pro Spalt ausgeht. Dabei wird eine Ebene senkrecht zur Ausrichtung der Spalte betrachtet. Mathematisch bedeutet das innerhalb von Gl. (13.6), dass die Spaltbreite
13.2
Hochschulübliche Darstellung
319
so klein ist, dass für alle x gilt exp(−i k0P · x) ≈ 1. In Gl. (13.6) wird das Integral zu einer einfachen Summe von Kugelwellen, und für die Intensität folgt 1 1 2 + 2+ cos(k[r1 − r2 ]) . (13.7) I = |ψ|2 = |C|2 r1 r2 r12 r2 Dabei sind r1 und r2 die Beträge der Verbindungslinien der einzelnen Spalten mit einem Punkt am Schirm, wie in Abb. 13.3 skizziert. In der Skizze ist D der Abstand zwischen Blende und Schirm, und y die Koordinate am Schirm mit dem Nullpunkt in der Mitte. Verwendet man die Kleinwinkelnäherung zur Berechnung von r = r1 − r2 und nähert r12 ≈ r22 ≈ r 2 = y 2 + D 2 , erhält man für die Intensität des idealen Doppelspalts I (y) =
d 2|C|2 1 + cos k y . y2 + D2 D
(13.8)
In Abb. 13.4 ist das Interferenzmuster der Intensität in einem kleinen Bereich des Schirms (a) und die Einhüllende des Interferenzmusters (b) jeweils in grau dargestellt. Die (grauen) Oszillationen in Abb. 13.4a besitzen nahezu konstante Höhe, wie man sie für einen Doppelspalt kennt. Weniger bekannt ist, dass auch für einen Doppelspalt die Maxima höherer Ordnung an Höhe verlieren. Dies fällt am Schirm jedoch erst im Abstand von ungefähr einem Meter vom Mittelpunkt auf, wie Abb. 13.4b bei einem Abstand von D = 1 m zwischen Blende und Schirm zeigt. Der Effekt fällt erst bei sehr großen Winkeln auf, die man für gewöhnlich nicht mehr betrachtet, und spielt deshalb zurecht keine große Rolle. Betrachtet man dagegen einen einzelnen Spalt endlicher Breite a, so gehen von ihm eine Vielzahl von Elementarwellen aus, und das Integral in Gl. (13.6) muss ausgeführt werden.
a
Interferenzmuster I
b
ideal a = 0,5 µm a = 5 µm 10 cm
Einhüllende I
ideal a = 0,5 µm 0
10 cm
x
1m
0
1m
x
Abb. 13.4 Interferenz an einem Doppelspalt mit dem Spaltabstand d = 50 μm und dem Abstand zum Schirm D = 1 m. Der Intensitätsverlauf für das Interferenzmuster (a) ist für einen idealen Doppelspalt (grau), die Spaltbreiten a = 0,5 μm (rot) und a = 5 μm (schwarz) in einem kleinen Bereich um die Mitte des Schirms aufgetragen. Die Einhüllende des Interferenzmusters (b) ist für den idealen Doppelspalt (grau) und die Spaltbreite a = 0,5 μm (rot) dargestellt. Die beiden dunkelgrauen senkrechten Linien in b zeigen den Bereich, der in a dargestellt ist
320
13 Wellenoptik
Es ergibt sich das Intensitätsmuster des Einfachspalts sin2 ka sin2 (kaθ ) Dy I (y) = I (0) , I (θ ) ≈ I (0) . 2 ka (kaθ )2 y D
(13.9)
Im Vergleich zu den Verhältnissen am Doppelspalt hängt die Höhe der Maxima beim Einfachspalt viel stärker von y ab – proportional zu ∝ y −2 im Gegensatz zu ∝ (y 2 + D 2 )−1 beim Doppelspalt. Die Abnahme der Höhe der Maxima durch die Breite der einzelnen Spalte ist auch beim Doppelspalt sichtbar und bestimmend für die Einhüllende der Maxima. Abb. 13.4a zeigt die Doppelspaltinterferenz für ideal schmale Spalte (grau) und zwei endliche Spaltbreiten (rot und schwarz) bei jeweils gleichem Spaltabstand d und Schirmabstand D. Man erkennt, dass für genügend schmale Spalte die Einfachspaltinterferenz kaum auffällt, aber einen sehr viel stärkeren Effekt hat als die Abnahme durch den Doppelspalt selbst (siehe die Einhüllenden in Abb. 13.4b). Die Positionen von Maxima und Minima können entweder aus den Gl. (13.8) und (13.9) abgeleitet werden, oder analog wie in der Schule aus der Betrachtung des geometrischen Gangunterschieds an verschiedenen Stellen des Schirms bzw. für verschiedene Winkel. Auf eine konkrete Herleitung wird hier verzichtet.
13.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
Wie die vorherigen Abschnitte in diesem Kapitel wird auch dieser etwas verkürzt, und zwar aufgrund der eher geringen Bedeutung für die Elektrodynamik des Themas Wellenoptik an Schule und Hochschule. Es werden lediglich einige Näherungen besprochen, die in der Schule gemacht werden, und der generelle Umgang mit diesen Näherungen wird diskutiert. Zunächst folgt ein stichpunktartiger Überblick über die Näherungen. 1. Die Geometrie der optischen Elemente sei einfach. Es gibt also eine definierte optische Achse, an der die Elemente aufgereiht werden. Blenden und Objekte sind immer flach und stehen senkrecht im Strahlengang. 2. Man betrachte ebene Wellen, die genau senkrecht auf die Blendenebene treffen (r Q a). Die Lichtquelle ist also unendlich weit von der Blende entfernt, realisiert durch eine Sammellinse. 3. Frauenhofer Näherung: Der Abstand zwischen Blende und Schirm sei groß, r P , D a. Das Erstaunlichste bei dieser Näherung ist vermutlich, dass durch die Taylorentwicklung aus der Integration der ausgehenden Kugelwellen eine Fouriertransformation wird.1 Wichtig ist allerdings auch, dass die Winkelabhängigkeit erheblich einfacher wird und
1 [exp(ik[r − r ]) → exp(i[k − k ]r )]
13.3
Diskussion der Darstellungsweisen und der Elementarisierungen
321
die austretenden Strahlen parallel sind. Der große Abstand zwischen Blende und Schirm wird auch oft genutzt, um eine Kleinwinkelnäherung durchzuführen. 4. In der Schule gibt es zwar Abbildungen von Intensitätsverläufen I (y), sie werden jedoch nicht quantitativ betrachtet. Man beschränkt sich auf die Berechnung prägnanter Punkte wie Maxima und Minima. 5. Doppelspalt und Gitter werden ohne den Einfluss des Einzelspalts besprochen. Die angesprochenen Näherungen und Vereinfachungen sind sehr naheliegend und geben das Elementare wieder, das Interferenz ausmacht. Man kann sich allerdings überlegen, ob es sinnvoll sein könnte, gewisse Näherungen explizit anzusprechen, zumindest im Unterricht, auch wenn es nicht im Schulbuch auftaucht. Wichtig können diese Näherungen werden, wenn man im Unterricht die Experimente genauer bespricht und/oder mit Schülern entdeckend experimentiert. Hier wird es nicht genügen, nur zu erwähnen, dass man einen Kondensor vorm Doppelspalt benötigt, um ihn mit parallelem Licht zu beleuchten (Näherung 1). Es muss besprochen werden, was eigentlich „paralleles Licht“ ist und weshalb man nur damit die Blende beleuchten möchte. Gründe hierfür sind vordergründig die phasengleiche Ausleuchtung der Spalte und bei Weißlicht vor allem die geringe Kohärenzlänge. Eine nicht phasengleiche Ausleuchtung würde lediglich zu einer kleinen Verschiebung des Interferenzmusters auf dem Schirm führen, polychromatisches, weißes Licht würde zu fast phasen-unabhängigen Teilwellen der Spalte führen, verbunden mit einem Verlust der Interferenz. In den hier betrachteten Schulbüchern2 wird der Effekt der Einzelspalte auf das Interferenzbild von Doppelspalt und Gitter nicht angesprochen. Bezogen auf die Betrachtung der Interferenz und die Herleitung der Interferenzmaxima/-minima allein des Doppelspalts erscheint das sinnvoll. Beim Doppelspalt werden zwei ideale Elementarwellen betrachtet, die von den Spalten ausgehen und interferieren, was sehr einfach ist. Erweitert wird dieses Konzept der Interferenz am Gitter, indem es sehr viele Elementarwellen sind, die jedoch von sehr definierten Orten ausgehen. Sehr komplex wird die Situation an der scheinbar einfachsten Blende, dem Einfachspalt, bei dem Elementarwellen von beliebigen Orten der Blendenöffnung betrachtet werden müssen. Auch nachdem der Einfachspalt besprochen wurde, nehmen die Schulbücher keinen Bezug mehr zu den Interferenzbildern von Doppelspalt und Gitter. Die Entscheidung für diese Reduktion und ihre Umsetzung ist diskussionswürdig. In den Schulbüchern Impulse Physik 11 (BY) [3] und Fokus Physik 11 (BY) [4] werden beim Doppelspalt und Gitter ausschließlich Interferenzbilder gezeigt, die das Hauptmaximum der Einzelspalte darstellen. Es ist dabei die Abschwächung der Maxima höherer Ordnung gut erkennbar, deren Hauptgrund die Interferenz am Einfachspalt ist. Jedoch ist kein Verschwinden und wieder Auftauchen der Maxima erkennbar, was auf die eigentliche Interferenz der Einzelspalte hindeuten würde (schwarze Kurve in Abb. 13.4a). Es wurde also passend für die entsprechende Situation das Unwichtige bewusst ausgeblendet. In den Schulbüchern Metzler Physik 11 (BY) [2] und Metzler Physik QP (NRW) [7] werden sehr deutlich 2 Eine Ausnahme bildet Dorn-Bader Physik Sek II[1].
322
13 Wellenoptik
Interferenzbilder von Doppelspalten mit Einzelspaltinterferenz höherer Ordnung dargestellt (siehe Abb. 114.2 in [2] und 12.2 in [7]). Diese Abbildungen müssen bei Schülern Fragen aufwerfen und machen das Vorgehen inkohärent. Bei Metzler Physik QP (NRW) [7] in 12.2 wird sogar das Beugungsbild gezeigt, wenn einer der Spalte abgedeckt wird. Die Maxima höherer Ordnung am Einfachspalt, die man in der entsprechenden Doppelspaltinterferenz deutlich sieht, sind nicht sichtbar und müssen nachträglich entfernt worden sein. Hierbei handelt es sich um ein prägnantes Beispiel eines sehr ungünstigen Vorgehens. Anders als in den länderspezifischen Ausgaben wird dies in der Gesamtausgabe von Metzler Physik Sek II [6] ähnlich ausführlich diskutiert wie in Dorn-Bader Physik Sek II [1], wo auf die Einhüllende des Doppelspalts eingegangen wird. Hier zeigen sich die Nachteile des Versuchs, Schulbücher für bestimmte Lehrpläne modular anzupassen. Wie im ersten Abschnitt beschrieben, verwenden einige Schulbücher Zeigerdiagramme, um die Interferenz zu besprechen. Zeigerdiagramme stellen eine fachgerechte Wiedergabe der Phase dar, sie sind jedoch auch ein weiterer, vorher unbekannter Abstraktionsschritt. Es könnten damit also einige Lernschwierigkeiten verbunden sein. Gleichzeitig findet sich diese Art der Abstraktion von Phasenbeziehungen von Wellen nahezu ausschließlich in der Beschreibung der Interferenz von Licht. Man kann somit die Frage stellen, wie sinnvoll es ist, Zeit für das Lernen komplexer Zeigerdiagrammen aufzuwenden, wenn sie nur einmalig und kurz verwendet werden.
13.4
Zusammenfassung
Schule: • Grundlegende Welleneigenschaften werden mit dem Elementarwellenprinzip nach Huygens beschrieben. • Neben Brechung und Reflexion sind Beugung und Interferenz zentrale Aspekte des Themas Wellenoptik. Zur Interferenz werden die Bedingungen für Maxima und Minima an Doppelspalt, Gitter und Einfachspalt besprochen. Hochschule: • Es werden Kugelwellen exp(ikr )/r betrachtet, deren Verlauf aufgrund des Durchgangs durch eine Blende verändert wird. • In der Näherung nach Frauenhofer ist die Intensitätsverteilung an einem Schirm die Fouriertransformierte der Blende. • Es kann die genaue Intensitätsverteilung am Schirm bei Interferenz an Doppel- und Einfachspalt berechnet werden.
Literatur
323
Vergleich: • In der Schule werden Beugung und Interferenz an ganz bestimmten, vereinfachten optischen Aufbauten besprochen, inklusive der Näherung nach Frauenhofer, um das Elementare darzustellen. • Die Näherungen und Vereinfachungen und deren Hintergründe werden nicht explizit angesprochen, weshalb explizit erwähnte Aufbauten (z. B. Kondensor) unklar und verwirrend sein könnten. • Es gibt Inkonsistenzen zwischen Gezeigtem und Besprochenem. So werden Interferenzbilder von Doppelspalten gezeigt, in denen sehr deutlich die Interferenz am Einfachspalt auffällt, ohne dass dieser Sachverhalt angesprochen wird.
Literatur 1. Bader, Franz, et al. 2002. Dorn/Bader Physik Sek II, Hrsg. Franz Bader. Braunschweig: Schroedel. 2. Becker, Sylvia, et al. Metzler Physik (Bayern), Hrsg. Joachim Grehn und Joachim Krause. Braunschweig: Westermann Schroedel. 3. Bredthauer, Wilhelm, et al. 2009. Impulse Physik Bayern 11. Stuttgart, Leipzig: Klett. 4. Diehl, Bardo, et al. 2009. Fokus Physik Gymnasium Bayern 11. Berlin: Cornelsen. 5. Fließbach, Torsten. 2012. Elektrodynamik – Lehrbuch zur Theoretischen Physik II. Berlin: Springer Spektrum. 6. Grehn, Joachim, und Joachim Krause. Hrsg. 2019. Metzler Physik SII, 5. Aufl. Braunschweig: Westermann Schroedel. 7. Grehn, Joachim, et al. 2015. Metzler Physik – Qualifikationsphase Grundkurs NordrheinWestfalen, Hrsg. Joachim Grehn und Joachim Krause. Braunschweig: Westermann Schroedel. 8. Griffiths, David J. 2013. Introduction to electrodynamics. Boston: Pearson. 9. Jackson, John David. 1962. Classical electrodynamics. New York: Wiley. 10. Raith, Wilhelm. 2006. Bergmann/Schaefer – Lehrbuch der Experimentalphysik – Band 2 Elektromagnetismus. Berlin: De Gruyter. 11. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen. Hrsg. 2008. Kernlehrplan für das Gymnasium – Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen – Physik. Ritterbach. ISBN 978-3-89314-962-9. 12. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung. Lehrplan Physik Gymnasium Bayern. https://www.isb.bayern.de/gymnasium/faecher/naturwissenschaften/physik/lehrplan/. Zugegriffen: 5. Dez. 2016. 13. Tipler, P.A., und Gene Mosca. 2015. Physik für Wissenschaftler und Ingenieure, Hrsg. Jenny Wagner. Berlin: Springer Spektrum.
A
Formeln und Gleichungen zum Nachschlagen
A.1
Mathematischer Formalismus
Dieses Buch konzentriert sich nicht auf konkrete Berechnungen und mathematische Herleitungen. Trotzdem sind einige grundlegende mathematische Definitionen und Sätze wichtig, die in diesem Abschnitt sehr kurz zusammengefasst sind. Seien E ein beliebiges Vektorfeld und ein Skalarfeld. Die Differentialoperatoren sind dann gegeben durch: ∂ ∂ ∂ , , Gradient: ∇ = ∂x ∂y ∂z ∂ ∂ ∂ · E = Ex + Ey + Ez Divergenz: ∇ ∂x ∂y ∂z × E = ∂ E z − ∂ E y , ∂ E x − ∂ E z , ∂ E y − ∂ E x Rotation: ∇ ∂y ∂z ∂z ∂x ∂x ∂y 2 2 2 ∂ ∂ ∂ ∇ 2 = ∇ = 2+ 2+ 2 Laplace-Operator: ∇ ∂x ∂y ∂z Wichtige Integralsätze für die Elektrodynamik sind der Integralsatz von Gauß und der von Stokes. Der Satz von Gauß besagt, dass das Volumenintegral über die Quellen/Senken eines · E über das Volumen V gleich dem (geschlossenen) Oberflächenintegral Vektorfeldes ∇ der über das Vektorfeld E über den Rand (orientiert durch den Normalenvektor n ∝ d A, immer „nach außen“ zeigt) des Volumens ∂ V ist: V = A · Ed ∇ E·d V
∂V
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4
325
326
A
Formeln und Gleichungen zum Nachschlagen
Durch das Skalarprodukt im Integral der rechten Seite wird also nur die Komponente des Feldes gewertet, die senkrecht die Oberfläche ∂ V durchdringt. Der Satz von Stokes besagt, dass das Flächenintegral über die Wirbel eines Vektorfeldes ∇ × E über eine Fläche F gleich dem geschlossenen Wegintegral entlang des Randes der Fläche ∂ F über das Feld E ist: r × E d A = ∇ E·d ∂F
F
Im Satz von Stokes führt das Skalarprodukt in der rechten Seite dazu, dass nur Komponenten des Feldes tangential zum Wegelement d r beitragen.
A.2
Wichtige Gleichungen in der Elektrodynamik
Elektromagnetische Felder: lin. = εr ε0 E ε0 E + P −→ D lin. −→ B = μr μ0 H B = μ0 H + M
= D
Die Maxwell-Gleichungen: = ρfrei I I : ∇ B = 0 D I : ∇ E = − ∂ B I V : ∇ H = jfrei + ∂ D III : ∇ ∂t ∂t FL = q E + v × B
Die Lorentz-Kraft: Kräfte auf Dipole:
H = p × H E = p × E; M Drehmoment: M p · E ; FH = ∇ p · H Nettokraft: FE = ∇ Feldkonstanten: 1=c·
√
ε0 μ0
Potential und Spannung: ϕ( r) = − Potential: Egrad = −∇ϕ; Spannung:
fq = Fq /q; U12 = −
r
O
1
2
E G · dl fq · dl
A.2 Wichtige Gleichungen in der Elektrodynamik
Elektrischer Strom:
327
· j + ∂ρ = 0 ∇ ∂t
Energie: wE =
1 1 ε0 εr E 2 ; w H = μ0 μr H 2 ; jEnergie = E × H 2 2 · jEnergie + ∂ (w E + w H ) = − j E ∇ ∂t
Mikroskopische Erklärungen und das Teilchenmodell
In der (klassischen) Elektrodynamik gibt es und braucht es auch keine mikroskopischen Erklärungen. An der Hochschule wird in der Physik konsequent zwischen der Elektrodynamik und der festkörperphysikalischen Beschreibung von Elektronen in Körpern getrennt. In der Schule sind diese beiden Gebiete dagegen sehr stark vermischt. In einigen Lehrplänen wird sogar verlangt, dass Lernende für bestimmte elektrodynamische Phänomene eine mikroskopische Beschreibung geben können. In diesem Kapitel werden die fachlichen Grundlagen mikroskopischer Erklärungen der Elektrizitätslehre der Schule diskutiert. Dabei handelt es sich um Modelle von Elektronen in Festkörpern. Dies ist nicht Teil der hochschulischen Elektrodynamik.
B.1
Grundlegendes zum Teilchenmodell
Im Gegensatz zum Modell der kinetischen Gastheorie gibt es keine allgemeine Definition des Teilchenmodells und seiner Näherungen und Modellannahmen. Auch in vielen Arbeiten der Didaktik, in denen Teilchen und das Teilchenmodell erwähnt und diskutiert werden, geht eine Definition nicht über die reine Feststellung hinaus, dass es Teilchen gibt (beispielsweise [11], S. 139 ff.). Etwas konkretere Vorstellungen werden im Folgenden angegeben und diskutiert. Duit [1] versteht beispielsweise unter dem Teilchenmodell das klassische Modell der statistischen Mechanik, das vor allem für die Thermodynamik wichtig ist. Dazu merkt Gibbs im Vorwort seines grundlegenden Werkes „Elementary Principles in Statistical Mechanics“ an, dass man sich nichts Mechanistisches darunter vorstellen kann ([2], S. 9).1 Formal geht es dabei um eine große Anzahl (N ∼ 1020 ) von Systemen, die mehr oder weniger gekoppelt sind und für deren Beschreibung der klassische Hamilton-Formalismus verwendet wird. 1 Im Original: „To this must be added that the rational foundation of thermodynamics lay in a branch
of mechanics of which the fundamental notions and principles, and the characteristic operations, were alike unfamiliar to students of mechanics.“ © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 329 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4
B
330
B Mikroskopische Erklärungen und das Teilchenmodell
Diese (Teil-)Systeme werden meistens Teilchen genannt. Hier muss erneut betont werden, dass damit allerdings kein punktförmiger oder runder kleiner Körper gemeint ist, der sich bewegt. In Lehrbüchern ist in diesem Zusammenhang auch nie von einem Teilchenmodell die Rede. Vielmehr werden die Größen eines makroskopischen Systems, wie beispielsweise Teilchendichten n = N /V , im Rahmen der Kontinuumstheorie angegeben. Ganz allgemein könnte es problematisch sein, die statistische Mechanik, also ein ganzes Gebiet der Physik, auf ein einziges Modell, das Teilchenmodell, didaktisch zu reduzieren. Eine weitere Ausdifferenzierung könnte sich als sinnvoll erweisen, beispielsweise für die Aggregatszustände. Was aus der statistischen Physik herausgehoben werden soll, ist die Tatsache, dass man es vermeidet sich etwas Konkretes im Mikrokosmos vorzustellen. Der Grund dafür ist nicht (nur), dass die betrachteten Teilsysteme nicht klassisch sein könnten, sondern dass es so „unvorstellbar“ viele Teilsysteme sind. Selbst das Drei-Körper-Problem in der klassischen Mechanik führt zu grundsätzlichen formalen und anschaulichen Schwierigkeiten. Ein System aus N = 1021 Teilsystemen führt zu entsprechend größeren Schwierigkeiten. Für Mikelskis-Seifert und Fischler [9] ist dagegen eine zentrale Aufgabe eines Teilchenmodells, Schülern einen Einblick in Aufbau und Struktur mikroskopischer Vorgänge zu geben. Dies deutet an, dass das Teilchenmodell nicht als didaktische Reduktion der statistischen Mechanik, sondern der Festkörper- und Atomphysik verstanden wird. Zwischen statistischer Mechanik und Festkörper-/Atomphysik gibt es zwar einen nicht geringen Überlapp, es gibt allerdings auch grundlegende Unterschiede. Aber genauso wie bei der statistischen Mechanik, müssen zu bildlich und suggestive Veranschaulichungen kritisch gesehen werden, wie auch Mikelskis-Seifert und Fischler hervorheben. Man befindet sich also bei der Vermittlung in der Schule in einem ähnlichen Spannungsfeld, wie in der historischen Entwicklung, dass nämlich die Modellierung der Materie als eine Vielzahl von Teilsystemen zwar entscheidend für das Verständnis der Thermodynamik und des Mikrokosmos ist, eine zu realistisch mechanistische Vorstellung dieser Teilchen dieses Verständnis aber gerade behindern kann und es auch behindert hat.2 Die Ambivalenz und Mehrdeutigkeit des Begriffs „Teilchen“ wird bei Mikelskis-Seifert ([8], S. 45ff) angesprochen und diskutiert. Jedoch auch dann, wenn man ein differenziertes und reflektiertes Verständnis des Konzepts „Teilchen“ hat, ist dies nicht identisch mit den Vorstellungen und dem Verständnis eines Modells mit dem Namen „Teilchenmodell“. Es wäre auch wünschenswert, wenn solche Diskussionen noch mehr im Vordergrund stehen, wenn vom Teilchenmodell die Rede ist. So findet sich im Buch Physikdidaktik [7] keine Diskussion zum Verständnis und zur Bedeutung der Begriffe Teilchen und Teilchenmodell, obwohl Teilchenmodell, Teilchenkonzepte und Teilchenvorstellungen innerhalb der Didaktik besprochen werden. Zusammenfassend: Was in der Didaktik und der Schule unter dem Teilchenmodell verstanden wird, ist kein (einzelnes) Modell, sondern eine Mischung klassischer und semiklassischer, moderner Teilchenvorstellungen, wie man sie beispielsweise in der statistischen 2 Siehe zu diesem Visualisierungsdilemma auch [8], S. 67 f.
B.2 Elektrische Leitung in der Festkörperphysik
331
Physik oder der Festkörperphysik findet. Mit dem Unterschied, dass die Teilchenvorstellungen in der Schule/Didaktik sehr anschaulich und real dargestellt werden, wohingegen die statistische Physik manchmal sogar den Begriff „Teilchen“ und vor allem jegliche realistische und mechanistische Vorstellung davon vermeidet. Alle verschiedenen Modelle mit den unterschiedlichen Modellannahmen der statistischen Physik werden in der Didaktik unter dem einzelnen Begriff Teilchenmodell zusammengefasst. Es handelt sich also beim Teilchenmodell um ein Konglomerat aus verschiedenen Modellen mit unterschiedlichen Gültigkeitsbereichen. Man erzeugt damit das Bild, als könne man mit dem Teilchenmodell alles erklären. Es geht sogar so weit, als gelte etwas erst als erklärt, wenn man dafür das Teilchenmodell verwendet [3]. Das könnte so aufgefasst werden, dass dieses Modell wahr wäre und der Realität entspräche. Die bloße Verwendung des Teilchenmodells könnte somit schon ein inadäquates Verständnis von Modellen und damit Fehlvorstellungen zum Mikrokosmos fördern.
B.2
Elektrische Leitung in der Festkörperphysik
Eine Grundlage einer Elementarisierung muss eine fachliche Klärung sein. Möchte man in der Schule eine mikroskopische Vorstellung von Ladung und elektrischem Strom vermitteln, muss man sich fachlich mit der quantenmechanischen Beschreibung von Elektronen im Festkörper auseinandersetzen. In der modernen Festkörperphysik werden die Elektronen in einem Festkörper durch eine Mehrteilchen-Wellenfunktion ( r1 , ..., rN ) beschrieben. Diese vereinfacht man als Produkt r ) · ... · ψ N ( r ). von Einteilchen-Wellenfunktionen ( r1 , ..., rN ) = ψ1 ( Der genaue Verlauf der Zustandsfunktionen ist im Allgemeinen nicht wichtig. Für die physikalischen Eigenschaften des elektronischen Systems im Festkörper ist vor allem die Dispersionsrelation dieser Zustände wichtig, also ihre Energie-Impuls-Beziehung, da die Impulse/Wellenvektoren den Quantenzahlen entsprechen. Die beiden einfachsten Modelle zur Näherung der Dispersionsrelation, die die Bandstruktur wiedergeben, werden im Folgenden skizziert. Grundlegend für die Beschreibung in einem Festkörper ist das reziproke Gitter, dabei besonders die 1. Brillouin-Zone. Diese Beschreibung wird im Folgenden als bekannt angenommen, und das Problem wird auf eine Dimension beschränkt, da daran alles Wichtige besprochen werden kann. Zum Nachlesen sei hier lediglich exemplarisch auf Hunklingers „Festkörperphysik“ [6] verwiesen.
332
B Mikroskopische Erklärungen und das Teilchenmodell
Abb. B.1 Dispersionsrelationen in der 1. Brillouin-Zone für ein freies (blau) und ein quasifreies Elektronengas (rot). Die rot schattierten Balken sind die Energiebänder des Festkörpers, die sich für das quasifreie Elektronengas ergeben
B.2.1
Quasifreies Elektronengas
Ausgangspunkt des quasifreien Elektronengases ist das freie Elektronengas. Dabei wird angenommen, dass in einem (eindimensionalen)3 Festkörper der Länge L kein Potentialgradient vorhanden ist. Ausgenommen davon sind die Grenzen des Festkörpers, die als harte Potentialwände unendlicher Höhe modelliertwerden. Die Zustandsfunktion eines (freien) √ Elektrons ist dabei eine ebene Welle ψk (r ) = 1/ L exp ikr . Die Dispersionsrelation solcher freier massebehafteter Quanten ist analog zur klassischen Energie-Impuls-Beziehung E = (k)2 /2m. Im reziproken Gitter ergibt das eine Parabel im Zentrum jedes reziproken Gitterpunktes und in der ersten Brillouin-Zone eine Dispersionsrelation, wie in Abb. B.1 blau eingezeichnet. Hervorzuheben ist dabei, dass die Zustandsfunktion jedes Elektrons theoretisch über den gesamten Festkörper ausgedehnt ist. Auch unter realen Bedingungen erstrecken sie sich über eine sehr große Zahl an Atomabständen a. Die Energie ist damit kontinuierlich, und man könnte von einem einzigen Band ohne Lücke sprechen. Für das Modell der quasifreien Elektronen wird zusätzlich ein schwaches Hintergrundpotential V pot des Kristallgitters angenommen (grüne Linie in Abb. B.2). Die dabei entstehenden neuen Zustandsfunktionen werden als Produkte aus einer ebenen Welle r) = und einem gitterperiodischen Teil u k konzeptualisiert und heißen Blochwellen ψk ( 3 Jede Kristallrichtung kann unabhängig voneinander wie ein eindimensionaler Festkörper betrachtet
werden. Eine beliebige Orientierung im Kristall ergibt sich als Superposition der entsprechenden Kristallrichtungen.
B.2 Elektrische Leitung in der Festkörperphysik
333
Abb. B.2 Hintergrundpotential V pot (grün) im eindimensionalen Gitter mit der Gitterkonstante a. 2 und ψ 2 der Teilchendichte dargestellt. Der einIn blau und rot sind die beiden Summanden ψcos sin gezeichnete Kosinus cos kr (grau gestrichelt) dient lediglich zur Veranschaulichung der Wellenlänge λ = 2a
√ r . Die Quantenzahlen verschiedener Blochwellen sind dabei die Ein1/ V u k ( r ) exp ik träge des Wellenvektors k. Die Dispersionsrelation dieser Bloch-Zustände ist eine leichte Änderung der Dispersionsrelation der freien Elektronenzustände. Am Rand der ersten Brillouin-Zone ist der Wellenvektor |k| = π/a und damit die Wellenlänge λ = 2a. Das Betragsquadrat der (komplexen) Zustandsfunktion entspricht der Elektronendichte und wird r = cos k r + i sin k r , zu einer Summe eines aufgrund des Faktors der ebenen Welle, exp ik Kosinusquadrat und eines Sinusquadrat. In Abb. B.2 sind diese beiden Summanden zusammen mit dem Hintergrundpotential V pot dargestellt. Der Kosinusteil hat seine Maxima gerade bei den Potentialmulden und besitzt dadurch eine niedrigere Energie. Der Sinusteil ist immer außerhalb der Potentialmulden und spürt dabei ein Potential, das etwas höher als das mittlere Potential ist. Die Entartung der Energie des freien Elektronengases (blaue Linie in Abb. B.1) an den Rändern der 1. Brillouin-Zone wird dadurch aufgehoben. Diese beiden Terme der Zustandsfunktion besitzen somit unterschiedliche Energien, was zu einer Energielücke an den Rändern der Brillouin-Zone führt (rote Linie in Abb. B.1). Mithilfe dieses Modells kann das Auftreten von erlaubten kontinuierlichen und verbotenen Bereichen in der Bandstruktur beschrieben und sehr einfach eine Dispersionsrelation angegeben werden.
B.2.2
Das Tight-Binding Modell
Im Tight-Bindung Modell geht man gedanklich von einer Anzahl N einzelner, getrennter Atome aus, deren (Valenz-)Elektronen stark gebunden sind. Man hat (in einer Dimension) zunächst eine Reihe unabhängiger, nebeneinander stehender Atome, wie in Abb. B.3a
334
B Mikroskopische Erklärungen und das Teilchenmodell
dargestellt. Die diskreten Energieniveaus und die entsprechenden Zustände der N Atome sind identisch (angedeutet durch die grauen Linien zwischen den roten Energieniveaus). In blau sind mögliche einfache Zustandsfunktionen der Valenzelektronen skizziert. Nähert man die Atome einander an, so überlappen/beeinflussen sich zunächst die am weitesten ausgedehnten Zustandsfunktionen der energiereichsten Elektronen. Als Folge entstehen aus den N identischen, lokalisierten Zuständen genauso viele Zustände, die über den gesamten Festkörper ausgedehnt sind, sich in Gestalt und Energie jedoch aufgrund des Pauli-Prinzips infinitesimal unterscheiden müssen (Abb. B.3b). Ein Energieband ist damit ein endlicher Bereich, in dem so viele Energieniveaus dicht beieinander liegen, dass er näherungsweise als kontinuierlich betrachtet werden kann. Besteht der Festkörper aus N Atomen, treffen also N gleiche Zustände aufeinander, so besteht jedes Band aus genauso vielen Zuständen. Führt man numerische Rechnungen zum Modell des quasifreien Elektronengases und zum Tight-Binding Modell durch, so gelangt man für bestimmte Stoffe in beiden Fällen zu qualitativ ähnlichen Dispersionsrelationen. Je nach Stoff ergibt das eine oder das andere Modell eine bessere Übereinstimmung mit Messungen. Die prinzipielle Existenz von Energiebändern in Festkörpern kann mit beiden Modellen erklärt werden. Die hier dargestellten Grundkonzepte konzentrieren sich auf die rein qualitativen Stärken und Schwächen der Modelle. Mithilfe des Modells quasifreier Elektronen kann man sehr leicht in einer Dimension eine Dispersionsrelation inklusive Bandlücken angeben. Das Tight-Binding Modell kann dagegen gut darstellen, dass jedes Band aus N Zuständen aufgebaut ist und damit von 2N Elektronen (der Faktor zwei ergibt sich aufgrund des Spins) besetzt werden kann. Abhängig von dem jeweiligen Problem oder Sachverhalt kann man dasjenige Modell verwenden, mit dem man leichter argumentieren kann.
ψ1
a
ψ2
ψ3 Energieniveaus
ψgesamt
b
E
Coulomb-Potential Energieband
x Abb. B.3 a Reihe einzelner Atome mit diskreten Energieniveaus (rot), die alle die gleiche Energie besitzen (grau) und einzelne Wellenfunktionen (blau). b In einem Verbund von Atomen ergibt sich ein Energieband, das aus infinitesimal unterschiedlichen Energieniveaus besteht, zu denen es jeweils eine Gesamtwellenfunktion ψgesamt gibt
B.2 Elektrische Leitung in der Festkörperphysik
335
Abb. B.4 Dispersionsrelation eines quasifreien Elektronengases in der 1. Brillouin-Zone in einer Dimension. Zur schematischen Darstellung des Fermi-Sees wurden die unphysikalischen Bedingungen gewählt von L = 10a und Nel = 32. Schwarze Punkte repräsentieren besetzte Energiezustände
B.2.3
Der Fermi-See
In den beiden angegebenen Modellen wird zunächst nur beschrieben, welche Zustände im Festkörper vorhanden sind. Erst in einem nächsten Schritt überlegt man sich, wie man die vorhandenen Elektronen auf diese Zustände, also auf die Bänder, verteilt. Hierzu betrachtet man beispielsweise eine Dispersionsrelation eines quasifreien Elektronengases in einem eindimensionalen Festkörper der Länge L und mit der Gitterkonstanten a. Da der Festkörper die endlichen Maße L besitzt, müssen sich die k-Werte benachbarter Zustände in der ersten Brillouin-Zone um 2π/L unterscheiden4 (Abb. B.4). Jeder k-Zustand kann gemäß dem Pauli-Prinzip von zwei Elektronen mit jeweils entgegengesetztem Spin besetzt werden. Stellen also die Atome die unbestimmte, aber große Anzahl N von Elektronen zur Verfügung, müssen diese auf die Zustände verteilt werden. Das Vorgehen ist analog zum Befüllen der diskreten Zustände eines Atoms mit mehreren Elektronen – man füllt die energetisch niedrigsten verfügbaren Zustände auf. Ist ein Band voll, fährt man beim Minimum des nächsten Bandes fort. Sind alle Elektronen verteilt, so bezeichnet man die Energie der energetisch höchsten Zustände als Fermi-Energie E F . Dies ist der elektronische Grundzustand eines Festkörpers, der sich nur theoretisch bei T = 0 einstellt. Man bezeichnet derart gefüllte Zustande auch als Fermi-See. Da die Abstände zu nächsthöheren leeren Zuständen innerhalb eines Bandes beliebig klein sind, genügen auch entsprechend kleine Energien, z. B. durch eine endliche Temperatur, um die Elektronen in den obersten besetzten Zuständen anzuregen. Darauf beruht die Analogie zu einem See, bei der man die Fermi-Energie als Oberfläche des Sees betrachtet: Nur die obersten besetzten Zustände können angeregt werden. Teilchen können nur dann Energie aufnehmen, wenn der dadurch erreichbare Endzustand frei ist. Nur für Elektronen in Zuständen in der Nähe der FermiEnergie sind freie Zustände erreichbar. Genauso sind Wellen auf einem See Phänomene, die sich ausschließlich an der Oberfläche abspielen. 4 Die Erklärung dafür erfolgt mit den Zustandsfunktionen in Analogie zu den diskreten Wellenlängen einer stehenden Welle auf einer Länge L.
336
B Mikroskopische Erklärungen und das Teilchenmodell
Hier noch eine Anmerkung: Man spricht zwar von Elektronen, die die Zustände des Festkörpers besetzen, es handelt sich bei dieser Wortwahl allerdings um eine Vereinfachung. Wie oben beschrieben, sind diese Zustände Teil der Wellenfunktion aller Elektronen zusammen im Festkörper. Somit repräsentiert ein Zustand und sein Besetztsein nicht mehr ein einzelnes Elektron, sondern einen Teil der Gesamtheit aller Elektronen und des Potentials des Festkörpers. Man spricht hier auch von „Quasiteilchen“. Dieser Begriff ist noch weniger klar definiert als der Begriff Teilchen. Für gewöhnlich verstehen Physiker darunter ein Teilchen zusammen mit einem Teil seiner Umgebung (Gitterpotential oder Potential anderer Teilchen). Quasiteilchen im Festkörper mit der Ladung eines Elektrons q = −e können beispielsweise eine ganz andere Masse als Elektronen besitzen, die sogenannte effektive Masse m ∗ < m e . Im Allgemeinen sind diese Quasiteilchen gemeint, wenn man von Elektronen im Festkörper spricht. Der Nutzen eines solchen Modells zu Elektronen im Festkörper, vor allem mit einfachen Zahlenwerten wie in Abb. B.4, zeigt sich bei der Beschreibung elektronischer Eigenschaften wie der elektrischen Leitfähigkeit. Ein, auch nur kurz angelegtes, elektrisches Feld führt zu einer Beschleunigung der Elektronen. Das bedeutet in diesem Fall, der Impuls aller Elektronen p = k ändert sich. Exemplarisch kann man sich vorstellen, dass in Abb. B.4 die Elektronen jeweils um einen k-Zustand nach rechts verschoben werden. Aufgrund der Periodizität des reziproken Gitters rutschen dabei Elektronen am rechten Rand der BrillouinZone hinaus, und am linken Rand hinein. Im unteren vollständig gefüllten Band führt das effektiv zu keiner Änderung, es sind weiterhin genauso viele Elektronen mit Impulsen in die eine wie in die andere Richtung vorhanden, und es ergibt sich in diesem Band kein Nettostrom.5 Im darüber liegenden, nur teilweise gefüllten Band ergibt sich durch die Verschiebung ein Ungleichgewicht für die verschiedenen Richtungen der Impulse direkt an der Kante der Fermi-Energie. In Abb. B.4 ist dann in der linken Hälfte ein Zustand mehr besetzt, auf der rechten ein Zustand weniger. Es ergibt sich ein Nettostrom in eine Richtung.6 Man erkennt daran, dass nur Elektronen direkt an der Fermi-Energie an den Transportprozessen teilnehmen können, und das auch nur dann, wenn direkt darüber liegende Zustände frei sind, also in einem teilweise gefüllten Band.7 Ein teilweise besetztes Band nennt man deshalb Leitungsband und das vollständig besetzte Band darunter Valenzband. Es muss hervorgehoben werden, dass alle Elektronen von ausgedehnten und von freien Zuständen gleichermaßen beschrieben werden. Gleichzeitig tragen ausschließlich die Elektronen an der Fermi-Kante, also an der Fermi-Energie, zu einem Teilchenstrom bei. Dies scheint zunächst unintuitiv zu sein, kann jedoch erneut analog zu Atomen mit mehreren 5 Dies ist tatsächlich unintuitiv. Obwohl sich die Impulse aller Elektronen im unteren Band in dieselbe Richtung ändern, ergibt sich aufgrund des abstrakten reziproken Gitters kein Nettostrom! 6 Betrachtet man Abb. B.4, so könnte man meinen, der Elektronenstrom geht in die falsche Richtung in Bezug auf das elektrische Feld, das man sich vorstellt. Die „eigentliche“, also makroskopisch wahrnehmbare, Bewegungsrichtung wird durch die Gruppengeschwindigkeit der Zustandsfunktion vgr = dE/dk bestimmt. 7 Das gilt nicht nur für die elektrische Leitfähigkeit, sondern auch für die Wärmekapazität und die Wärmeleitfähigkeit der Elektronen im Festkörper.
B.2 Elektrische Leitung in der Festkörperphysik
337
Elektronen in der Hülle gesehen werden: Bei der Anregung der Atome durch Wechselwirkungen (Stöße, Absorption von Phononen, usw.) werden im Allgemeinen nur die Elektronen in der äußersten Schale, also in den Orbitalen mit der höchsten Energie, angeregt.
B.2.4
Das Drude-Modell – ein klassisches Teilchenmodell für Elektronen
Das Drude-Modell ist ein klassisches Teilchenmodell für Elektronen im Festkörper. Das Bild, das dabei verwendet wird, erinnert an das Bild, das sich in Schulbüchern findet. Die Modellannahmen sind: • Atomrümpfe sind ausgedehnte harte Kugeln mit einem Druchmesser d und einem Abstand a zwischen den Kernen benachbarter Atomrümpfe mit a > d. • Elektronen sind punktförmige Teilchen mit der Masse m e und der Ladung −e, die sich zwischen den Atomrümpfen frei bewegen können. Sie werden dabei wie Teilchen in der kinetischen Gastheorie betrachtet, besitzen also eine Temperatur aufgrund ihrer mittleren kinetischen Energie. Die Bewegungsrichtungen der Elektronen sind statistisch verteilt. • Elektronen führen (inelastische) Stöße mit den Atomrümpfen aus. Im thermischen Gleichgewicht nehmen sie dabei so viel Energie auf wie ab. • Legt man eine elektrische Spannung U an die Enden des Leiters an, so entsteht ein elektrisches Feld im Leiter. • Die Elektronen erfahren eine konstante Beschleunigung in diesem Feld und werden durch Stöße mit den Atomrümpfen immer wieder abgebremst. Mit diesen Annahmen kann die Driftgeschwindigkeit der Elektronen in Abhängigkeit vom elektrischen Feld berechnet werden: vD = −
eτ E me
(.1)
Dabei ist τ die mittlere Stoßzeit, womit sich aus der Elektronengeschwindigkeit v eine v | der Elektronen bestimmen lässt. Dieses Ergebnis kann man mittlere Weglänge L m = τ/| in die allgemeine Formel für die Stromdichte j = qn vD einsetzen und erhält: 2 j = −en vD = e τ n E = σ E me
(.2)
Dabei ist σ = 1/ρ als Proportionalitätskonstante zwischen Stromdichte und Feldstärke die elektrische Leitfähigkeit und somit der Kehrwert des spezifischen Widerstands, wie man es für ohmsches Verhalten erwartet.
338
B Mikroskopische Erklärungen und das Teilchenmodell
Grenzen des Drude-Modells: Der Erfolg des Drude-Modells ist der funktionale Zusammenhang in Gl. (.2), also das ohmsche Verhalten vieler leitender Stoffe. Davon abgesehen gibt es einige Schwächen des Modells: • Die gemessenen mittleren freien Weglängen sind größer, als mit dem mittleren Atomabstand zu erwarten wäre (L m > 1 nm). In reinen Halbleitern sind sie besonders groß (L m > 10 nm). Im Drude-Modell hängt die mittlere freie Weglänge nur von der Gitterkonstante ab, real ändert sie sich aber mit der Reinheit des Materials und der Temperatur. Grund: Elektronen stoßen nicht mit Atomrümpfen, sondern Gitterdefekten und Phononen. • Die absolute Elektronendichte ist größer als die Zahl der Elektronen, die am Strom teilnehmen. Grund: Es tragen nicht alle (freien) Elektronen bei, sondern nur die in der näher der Fermi-Energie. • Die Masse der Ladungsträger ist nicht (immer) die Elektronenmasse. Grund: Die effektive Masse von Ladungsträgern kann kleiner sein als die einzelne Teilchenmasse. • Aufgrund der falschen Werte für die mittlere freie Weglänge, die Ladungsträgerdichte und ihre Geschwindigkeitsverteilung, sind die im Drude-Modell berechneten Absolutwerte für die thermische und die elektrische Leitfähigkeit nicht korrekt. Der einzige offensichtliche Vorteil des Drude-Modells ist der lineare Zusammenhang zwischen der Stromdichte und dem elektrischen Feld (Strom und Spannung). Ein scheinbarer Vorteil ist die Anschaulichkeit, da es sich um ein klassisch mechanistisches Modell handelt. Letzterer Vorteil kann allerdings auch als Nachteil angesehen werden. Solche klassischen, anschaulichen Modelle prägen sich oft so stark ins Gedächtnis ein, dass ein späterer Konzeptwechsel auf ein anderes Modell schwer möglich ist. Dies wurde beispielsweise mit Vorstellungen von Schülern und Studierenden zum bohrschen Atommodell gezeigt [10].
B.3
Möglicher Umgang mit mikroskopischen Erklärungen in der Schule
Exemplarisch werden im Folgenden zwei Möglichkeiten zum Umgang mit mikroskopischen Erklärungen besprochen. Ein Problem von Teilchenmodellen ist, dass sie als ein einziges, alles erklärendes Modell vorgestellt werden. Dies könnte ein Grund sein, weshalb Schüler den Modellcharakter nicht wahrnehmen und verstehen können und die Modellbeschreibungen als „wahr“ empfinden. Um die Vorläufigkeit und Zweckgebundenheit von Modellen zu vermitteln, müssten verschiedene Modelle in der Schule besprochen werden, die in unterschiedlichen Situationen verwendet werden. So könnte man im Bereich der Elektrizitätslehre die Ladungsträger als ein fließendes Kontinuum darstellen, also ein Kontinuumsmodell verwenden. Ähnlich wie man es auch in der universitären Elektrodynamik macht. Davon getrennt, könnte man mikroskopi-
B.3 Möglicher Umgang mit mikroskopischen Erklärungen in der Schule
339
sche Bilder anhand eines oder mehrerer Modelle besprechen, die mit Teilchenvorstellungen arbeiten. Immer wenn nur ein Modell angegeben wird, um etwas zu beschreiben oder zu erklären, kann es natürlich langfristig als das einzige und somit richtige erinnert werden, selbst wenn auch gewisse Grenzen des Modells angesprochen werden. Es existieren kaum Alternativen zum Teilchenmodell an der Schule. Eine andere Möglichkeit ist das Elektronium-Modell in Festkörpern aus dem Karlsruher Physikkurs [4, 5]. Friedrich Herrmann hat dabei eine didaktische Rekonstruktion der Beschreibung von Elektronen in der Atom- und Festkörperphysik entwickelt, die fachlich korrekt und anschlussfähig ist. Auf eine genaue Ausführung des Elektronium-Modells sei hier verzichtet und nur auf die Quellen verwiesen, die auch online einzusehen sind.8 Diese beiden Möglichkeiten sind exemplarisch und geben nicht alle denkbaren Möglichkeiten wieder. Wichtig ist aber, die Probleme, die mit mikroskopischen Erklärungen anhand von Teilchenmodellen verbundenen sind, zu erkennen und entsprechend damit umzugehen. Aufgrund von scheinbar fehlender Alternativen einfach so weiterzumachen wie bisher, ist keine akzeptable Möglichkeit.
8 http://www.physikdidaktik.uni-karlsruhe.de/kpk_material.html
C
Analogiemodelle von Stromkreisen
Die Analogiemodelle zu elektrischen Stromkreisen wurden schon in Kap. 3 angesprochen. Es wurde ein Überblick der wichtigsten Modelle gegeben und speziell die Analogien zur Spannung wurden besprochen. In diesem Anhang werden die Analogiemodelle fachwissenschaftlich etwas genauer betrachtet und die Analogien zu allen Größen aufgezeigt. Abb. C.1 gibt eine Übersicht der Abbildungen zu den Modellen. Wasserkreislauf (geschlossen) Der (geschlossene) Wasserkreislauf wird genauso von der Kontinuumstheorie beschrieben wie der elektrische Strom, daher ist die Übereinstimmung sehr groß. Es gibt zu allen wichtigen Größen im elektrischen Stromkreis analoge Größen im Wasserkreislauf, mit analogen Zusammenhängen (siehe Tab. C.1). Mit Wasserkreisläufen können auch verzweigte Stromkreise modellhaft dargestellt werden. Ein geringfügiger Unterschied ist die Tatsache, dass es im Wasserkreislauf kein Feld gibt wie das elektrische Feld. Etwas Analoges sind mechanische Spannungen in den Wasserleitungen. Der gravierendste Unterschied zum elektrischen Stromkreis ist die mengenartige Größe. Während die Menge an Wasser nur positive Werte annehmen kann, kann die Menge an elektrischer Ladung zwei Vorzeichen haben. Dieser Unterschied trifft auf alle Analogiemodelle zu und ist ein zentraler Punkt, der die Elektrizitätslehre oft etwas unanschaulich und manchmal einfach kontraintuitiv macht. Nachteile eines solchen Modells sind, dass Schüler oft auch kein intuitives Verständnis von den Vorgängen in einem Wasserkreislauf besitzen [15]. Außerdem liefert eine Wasserpumpe eher einen konstanten Wasserstrom als einen konstanten Druckunterschied, wohingegen eine Elektrizitätsquelle eine konstante Spannung vorgibt.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4
341
342
C Analogiemodelle von Stromkreisen
Abb. C.1 Übericht zu den Analogiemodellen von Stromkreisen
Tab. C.1 Die physikalischen Größen im (geschlossenen) Wasserkreislauf und ihre Analogien im elektrischen Stromkreis (a) Wasserkreislauf (geschlossen) Größen im Stromkreis
Analoge Größen im Modell
Elektrische Stromstärke I = Q
t
W Volumenstromstärke des Wassers I W = V
t
Elektrisches Potential ϕ
Mechanischer Druck p
Elektrische Spannung U = ϕ
Druckunterschied p
Elektrischer Widerstand R = U /I
Widerstand durch Wasserrad RW = p/I W
Elektrische Leistung P = U I
Mechanische Leistung P = p · I W
Wasserkreislauf/Höhenmodell Der (offene) Wasserkreislauf, auch Höhenmodell genannt, unterscheidet sich nur in einem scheinbaren Detail vom geschlossenen Wasserkreislauf. Im geschlossenen Kreislauf erzeugt direkt die Pumpe eine Druckdifferenz, die zu einem Volumenstrom führt. Beim offenen Kreislauf gibt der Unterschied der Wasserstände zweier Wasserbehälter den Druck im Kreislauf vor (siehe Tab. C.2). Die Pumpe hat in diesem Modell lediglich die Funktion, diesen Wasserhöhenunterschied aufrechtzuerhalten. Das gleicht den Nachteil aus, dass eine Pumpe keinen konstanten Druck bei unterschiedlicher Last vorgibt. Den analogen Effekt kennt man zwar auch von Spannungsquellen, vor allem Batterien, jedoch nicht in dem Maße wie bei Wasserpumpen. Selbst wenn der Innenwiderstand einer Spannungsquelle auch in der Schule angesprochen wird, möchte man zunächst auf die Schülervorstellung der Konstant-Stromquelle eingehen und sie umwandeln in die passendere Konstant-Spannungsquelle.
C Analogiemodelle von Stromkreisen
343
Tab. C.2 Die physikalischen Größen im Wasserkreislauf/Höhenmodell und ihre Analogien im elektrischen Stromkreis (b) Wasserkreislauf/Höhenmodell Größen im Stromkreis
Analoge Größen im Modell
Elektrische Stromstärke I = Q
t
W Volumenstromstärke des Wassers I W = V
t
Elektrisches Potential ϕ
Höhe der Wassersäule h ∝ p
Elektrische Spannung U = ϕ
Höhenunterschied h ∝ p
Elektrischer Widerstand R = U /I
Widerstand durch Wasserrad RW ∝ h/I W
Elektrische Leistung P = U I
Mechanische Leistung P ∝ h · I W
Fahrradkette/Keilriemen Ein Fahrradkettenkreislauf (oder Keilriemen) stellt eine sehr alltägliche mechanische Analogie zum elektrischen Stromkreis dar. Tab. C.3 zeigt, dass es zu allen Größen entsprechende analoge Größen gibt. Mit solchen mechanischen Systemen stellt man oft eine Analogie zwischen dem elektrischen Widerstand und der geschwindigkeitsabhängigen Reibungskraft her. Die sinnvollere analoge Größe ist die Dämpfungskonstante (siehe Tab. C.3). Ein Nachteil der Fahrradkette ist, dass nur gezogen werden kann und nicht gedrückt. Die Kraft, und damit die Energie, scheint nur über die Kettenhälfte übertragen zu werden, in der die Zugspannung wirkt. In der anderen Kettenhälfte, die locker hängt, wirkt keine/kaum Zugspannung. Selbst wenn in beiden Kettenhälften eine Zugspannung wirkt,
Tab. C.3 Die physikalischen Größen im Modell der Fahrradkette und ihre Analogien im elektrischen Stromkreis (c) Fahrradkette Größen im Stromkreis
Analoge Größen im Modell
Elektrische Stromstärke I = Q
t
K ette Kettenglieder pro Zeit I K ette = N t
Elektrisches Potential ϕ
Zugspannung σ = F/A
Elektrische Spannung U = ϕ
Unterschied der Zugspannung σ = F/A
Elektrischer Widerstand R = U /I
Dämpfungskonstante = M/ω ∝ σ/I K ette
Elektrische Leistung P = U I
Mechanische Leistung P = Mω ∝ σ I K ette
344
C Analogiemodelle von Stromkreisen
scheint die eigentliche Kraftwirkung und die Energieübertragung über die Kettenhälfte mit der größeren Zugspannung zu erfolgen. Dieser Nachteil ist vergleichbar mit der generellen Unmöglichkeit, durch ein anschauliches Modell eine mengenartige Größe, die verschiedene Vorzeichen besitzt, darzustellen. Es erscheint also im Rahmen eines Modells vertretbar. Ein großer Vorteil ist die Bekanntheit dieses Systems. Es können darüber allerdings keine Analogien zu verzweigten Stromkreisen hergestellt werden. Münchener Stäbchenmodell Das Münchener Stäbchenmodell dient nur als Analogiemodell für die elektrische Spannung und das Potential, wie in Tab. C.4 deutlich wird. Die Größen Stromstärke und elektrischer Widerstand werden nur theoretisch angenommen. Der Zweck ist, dass sich Schüler, zusammen mit den (Spiel-)Regeln des Modells, sehr leicht selbst die Potential- und Spannungsverhältnisse in verschiedenen Schaltungen bewusst machen können. Rutschenmodell Das Rutschenmodell ist vornehmlich für den Einstieg in das Thema in der Sekundarstufe I, oder sogar noch früher, gedacht. Auf Formeln für die Analogiegrößen wurde deshalb in Tab. C.5 verzichtet. Zunächst ist dieses Modell sehr ähnlich einem Wasserkreislauf, nur werden Enten (oder Kinder auf Schwimmreifen) auf dem Wasser betrachtet. Es lassen sich vergleichbare Analogien zum elektrischen Stromkreis herstellen wie direkt vom Wasserkreislauf. Der Grund, weshalb man auf dem Wasser treibende Objekte betrachtet, liegt in dem Versuch, den elektrischen Widerstand durch Felsen zu analogisieren, die den Objekten im Weg stehen. Die Objekte stoßen an die Felsen, werden dadurch gebremst, aber von der vorhandenen Wasserströmung immer wieder mitgerissen. Mit diesem Modell soll das klassische Drude-Modell für den ohmschen Widerstand veranschaulicht werden. Es
Tab. C.4 Die physikalischen Größen im Münchener Stäbchenmodell und ihre Analogien im elektrischen Stromkreis (d) Münchener Stäbchenmodell Größen im Stromkreis
Analoge Größen im Modell
Elektrische Stromstärke I = Q
t
Keine
Elektrisches Potential ϕ
Höhe der Anschlussstelle h
Elektrische Spannung U = ϕ
Höhenunterschied h
Elektrischer Widerstand R = U /I
Keine
Elektrische Leistung P = U I
Keine
C Analogiemodelle von Stromkreisen
345
Tab. C.5 Die physikalischen Größen im Rutschenmodell und ihre Analogien im elektrischen Stromkreis (e) Rutschenmodell Größen im Stromkreis
Analoge Größen im Modell
Elektrische Stromstärke I = Q
t
Entenstrom
Elektrisches Potential ϕ
Höhenprofil
Elektrische Spannung U = ϕ
Höhenunterschied
Elektrischer Widerstand R = U /I
Bremsende Felsen
Elektrische Leistung P = U I
Keine
besteht also noch eine grobe Analogie zwischen der Kraft, die die Wasserströmung auf die Objekte ausübt und sie immer wieder mitreißt, und dem elektrischen Feld im Leiter, das auf die Ladungsträger eine Kraft in eine Richtung ausübt. Das Modell genügt den Kriterien einer Elementarisierung des Drude-Modells und ist zielgruppengerecht und fachlich vertretbar. Allerdings stellt sich die Frage, ob man ein klassisches, mechanistisches Modell mikroskopischer Vorgänge, zu denen es immer viele hartnäckige Fehlvorstellungen gibt, in der Schule vorführen möchte. Energiehütchenmodell Das Hütchen wird als ein typisches Beispiel eines Fehlmodells bezeichnet [13]. Es wird deshalb kaum mehr verwendet. In diesem Modell wird versucht, die Spannungsdefinition U = E/Q sehr direkt und sprichwörtlich darzustellen. Die Formel wird dabei so interpretiert, als übertrage jede Ladungsportion (hier Ladungsträger/Elektronen) eine Energieportion. Bei dieser Darstellung werden folgende Fehler/Fehlvorstellungen vermittelt: • Die Bewegung der Ladungsportionen (der Strom) entsteht unabhängig von der Spannung und käme von den Ladungsportionen selbst. • Die Energie wird nur über eine Verbindung übertragen, nicht über beide oder generell unabhängig von der Verbindung. • Bei einer Reihenschaltung müssten die Ladungsportionen beim ersten Bauteil wissen, wie die darauffolgenden beschaffen sind, um zu wissen, wie viel Energie sie abgeben müssen. • Es werden übliche Fehlvorstellungen wie sequenzielle Argumentation dabei gefördert. Dieses Analogiemodell weist also sowohl physikalische als auch didaktische Mängel auf (Tab. C.6).
346
C Analogiemodelle von Stromkreisen
Tab. C.6 Die physikalischen Größen im Hütchenmodell und ihre Analogien im elektrischen Stromkreis (f) Hütchenmodell Größen im Stromkreis
Analoge Größen im Modell
Elektrische Stromstärke I = Q
t
Entenstrom
Elektrisches Potential ϕ
Keine
Elektrische Spannung U = ϕ
Energiehütchen pro Ente
Elektrischer Widerstand R = U /I
Keine
Elektrische Leistung P = U I
Energiehütchen mal Zeit
Das Für-und-Wider von Modellen Alle Modelle haben ihre Vor- und Nachteile, und abgesehen vom Energiehütchenmodell kann nicht per se das eine oder andere bevorzugt werden. Modelle mit Wasser liegen sehr nahe und werden von Schülern bestimmt erwartet, wenn es um etwas „Strömendes“ geht. Andererseits kann eine alltägliche Anschauungshilfe wie die Fahrradkette sehr hilfreich sein, wenn es um die Klärung einiger grundlegender Eigenschaften und Beziehungen geht, wie den Energietransport durch ein System und die Funktion einer Spannung darin. Das Stäbchenmodell ist dagegen kein Analogiemodell zu allen Größen in einem Stromkreis. Es setzt nur Potential/Spannung mit Höhe/Höhenunterschied in Analogie, fördert damit die Sicht auf die Spannung als elektrischen Unterschied und dient speziell dazu, den schwer verständlichen Spannungsbegriff als Teil verzweigter Stromkreise einzuüben. Das Rutschenmodell hat dafür eher jüngere Schüler zur Zielgruppe. Es gibt folglich nicht das eine „richtige“ Analogiemodell, das man verwenden kann. Kein Modell stimmt in allen Aspekten mit dem Original überein, gerade das macht ein Modell aus (siehe beispielsweise [14], S. 785 ff.). Ein angemessener Umgang mit Modellen bedeutet immer, für jeden Aspekt eines Phänomens das passende Modell zu verwenden. Wird im Unterricht oder der Lehre für ein Phänomen nur ein einziges Modell vorgestellt, so erscheint es sehr naheliegend, dass Lernende dieses Modell als die einzige, also „wahre“ Beschreibung des Phänomens auffassen. Der eigentliche Modellcharakter wird vermutlich nicht wahrgenommen, dass ein Modell lediglich einem bestimmten Zweck für eine bestimmte Zeit dient. Eine weiterführende didaktische Diskussion von Analogien und Modellen für Stromkreise findet bei Burde ([12], S. 55 ff.).
Literatur
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347
Stichwortverzeichnis
A Amperesches Gesetz, 178, 250 Arbeit Hochschule, 250 Schule, 246 Äther, 292 B Bezugssystem, 293 Bilanzgleichung der Energie, 251 Biot-Savart-Gesetz, 177, 183 C Coulomb-Kraft, 10 Coulombsches Gesetz, 10, 16 D Diamagnetismus, 148 Dielektrikum, 131 Dipol, 128 elektrischer, 128 magnetischer, 149 Dipollimes, 128 Dipolmoment elektrisches, 128 magnetisches, 149 Drahtwellen, 275 E Eisenfeilspan, 169
Electromotive force, 203 Elektrizität (Ladung), 19, 35, 46 Elektrizitätsquelle, 36, 49, 66 Elektromagnet, 170, 179–181 Elektromotor, 170 Elektronenstrahlröhre, 172 Elektrophor, 119 Elementarwellenprinzip Hochschule, 317 Schule, 314 Energie, 88, 247 Energiedichte von Feldern, 251 Energieerhaltung, 247 Energieform Hochschule, 250 Schule, 246 Energiekonzept Hochschule, 250 Schule, 246 Energiestromdichte, 251 Energieträger, 246
F Feld einer Ladung in einem Leiterhohlraum, 118 eines Dipols, 129 elektrisches, 1–30 in einem Plattenkondensator, 131 magnetisches, 141–164 167–189 üblicher Leiteranordnungen, 115 Feldgleichung, 248
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 A. Helzel, Elektrodynamik an Schule und Hochschule, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61842-4
349
350 Elektrostatik, 13, 16, 76, 86 Induktion, 200, 204 Magnetostatik, 178, 183 Feldkonstante, 277 elektrische, 11, 17, 175 magnetische, 136, 172, 174, 175 Feldlinie elektrische, 8, 13, 25 magnetische, 143, 151 Feldstärke elektrische, 7, 11, 16 magnetische, 177, 186 Feldverständnis Faraday, 25, 185 modernes, 22, 25, 185 Ferromagnetismus, 147 Fluss elektrischer, 14, 27 magnetischer, 177, 206 Flussdichte elektrische, 14, 132 magnetische, 183, 186 Frauenhofer Beugung, 317
Stichwortverzeichnis Inertialsystem, 293 Interferenz, 318 J Joulesche Wärme, 252, 259 K Kirchhoffsche Regel Erste, 42 Zweite, 83 Knotenregel, 42 Kontinuitätsgleichung, 41, 46 Kraft, elektromotorische, 203, 206 Kraft, magnetische, 220 auf eine bewegte Ladung, 178, 183 differentielle, 176 Hochschule, 176 Schule, 174
H Hertzscher Dipol Hochschule, 278 Schule, 266, 268 Huygenssches Prinzip Hochschule, 317 Schule, 314
L Längenkontraktion, 297 Ladung, 46 elektrische, 1–30, 46 magnetische, 149, 182 Ladungserhaltung, 45 Längenkontraktion Minkowski-Diagramm, 307 Laplace-Gleichung, 76, 105, 109 Lecher-Leiter, 267, 275, 283 Leistung, 247 Leistungsdichte, 251 Leiter, elektrische, 103 Leiterschaukel, 171, 195 Lenzsche Regel, 196, 199, 218 Linke-Hand-Regel, 187 Lorentz-Transformation, 298 Lorentzkraft, 178
I Induktion, 193–223 Induktionsgesetz, 207, 249 Schule, 199 Induktionsspannung Schule, 198 Induktionsstrom, 199 Induktivität, 209
M Magnet, 141–164 Magnetfeld der Erde, 162 einer Spule, 169 eines Elektromagneten, 179 eines rechteckigen Hufeisenmagneten, 154 eines runden Hufeisenmagneten, 159
G Generatorprinzip, 196 Gleichzeitigkeit, relative, 293 Minkowski-Diagramm, 306 Grieß, 8, 114, 133
Stichwortverzeichnis eines Stabmagneten, 144, 150, 153 Magnetismus, 141–164 Maschenregel, 83, 259 Maxwell-Gleichung, 248 Elektrostatik, 13, 16, 76, 86 freie, 276 Induktion, 200, 204, 207 Magnetostatik, 178, 183 relativistische, 300 Schule, 270 Maxwellsche Erweiterung, 250 Mikrowelle, 267 Minkowski-Diagramm, 300 Konstruktion, 302 Längenkontraktion, 307 Relative Gleichzeitigkeit, 306 Zeitdilatation, 306 Minkowski-Raum, 298
P Paramagnetismus, 148 Permittivität, relative elektrische, 132 magnetische, 136 Poisson-Gleichung, 76, 105, 109 Polarisation, 127–139 elektrische, 127–139 magnetische, 136–139, 141–164 Postulat der Lichtgeschwindigkeit, 293 Potential, 61–99, 103–124, 215 elektrisches, 61–99, 103–124 Poynting-Theorem, 251 Poynting-Vektor, 251 Prinzip, elektromotorisches, 188 Probeladung Hochschule, 12 konzeptuelles Verständnis, 22 Schule, 7 Punktladung, 10
R Raum-Zeiz-Diagramm, 300 Rechte-Hand-Regel, 171 Reibungselektrizität, 3 Relativitätspostulat, 293 Relativitätstheorie, 291–312
351 Postulate, 292
S Schwingkreis einfacher, 272 getriebener, gedämpfter, 273 Hochschule, 271 Schule, 264, 268 Selbstinduktion, 209 Spannung, 61–99, 215 elektrische, 61–99 externe, 206, 207 Spule, 169 Strom, 33–58, 175, 182 elektrischer, 33–58, 175, 182 Stromdichte, 40, 41, 45, 46, 53, 177 Stromrichtung, 38, 44, 53 Stromstärke, 34, 35, 41, 42, 46, 175, 182 Stromwaage, 172, 176 Suszeptibilität elektrische, 132 magnetische, 136
T Thomsonscher Ringversuch, 235 Transformator, 228, 257 Transformatorprinzip, 196
V Vierervektor, 298
W Wechselstrom, komplexwertige Darstellung, 274 Wellen, elektromagnetische, 263–288 Wellenerzeugung, Schule, 268 Wellengleichung, 277, 315 Wellenoptik, 313 Wellenvektor, 316 Wirkung des Stroms, 48, 254
Z Zeitdilatation, 295 Minkowski-Diagramm, 306