Einheit und Mannigfaltigkeit: Eine Strukturanalyse des "und". Systematische Untersuchungen zum Einheits- und Mannigfaltigkeitsbegriff bei Platon, Fichte, Hegel sowie in der Moderne 9783110844399, 9783110084184


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German Pages 350 [352] Year 1981

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Vorwort
Einleitung: Die Auslegungsweisen des „und“
1. Zur Problemlage
2. Zielsetzung der Untersuchung
3. Logisches und anschauliches Kategoriensystem
I. Teil: Platons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung
1. Zur Interpretationslage
2. Die Einheitskonzepte der ersten und zweiten Position
3. Die Konzepte des Anderen als das Eine der siebenten und achten Position
4. Der Vermittlungsbegriff
II. Teil: Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfasung
1. Abschnitt: Die Antinomien der Einheit
1. Kapitel: Einheit mit Ausschluß der Mannigfaltigkeit (Absolutheit), demonstriert an Fichtes Einheitsbegriff
1. Das Programm
2. Der Aufstieg als absolute Abstraktion
3. Das Problem der absoluten Abstraktion: der Selbstwiderspruch
4. Der Abstieg als Erscheinung der absoluten Einheit
5. Das Problem der absoluten Erscheinung: der Dualismus
2. Kapitel: Einheit mit Einschluß der Mannigfaltigkeit (Totalität), demonstriert an Hegels Einheitsbegriff
1. Die Grundkonzeption
2. Die dialektische Methode als Form
3. Das Entgleiten der formalen Methode in die inhaltliche
4. Beispiele inhaltsbedingter dialektischer Methode
5. Das Entgleiten der inhaltlich bestimmten Methode in den formalen Progreß bzw. Regreß
2. Abschnitt: Die Antinomien der Extension
1. Kapitel: Extension mit Ausschluß der Begrenzung (Kontinuum)
1. Das Problem
2. Das mathematisch-rationale Kontinuum
3. Das operativistische Kontinuum
4. Das phänomenale Kontinuum
5. Die Selbstwidersprüchlichkeit der phänomenalen Kontinuumsauffassung
2. Kapitel: Extension mit Einschluß der Begrenzung (Gestalt)
1. Das Problem der Gestaltauffassung
2. Die konzeptualistische Auffassung der Gestalt
3. Eine Übergangsposition
4. Die phänomenale Auffassung der Gestalt
5. Die progressive bzw. regressive Struktur des Gestaltphänomens oder seine Relativität
III. Teil: Bewegung als aporielose „zweigliedrige Einheit“
1. Systematisierender Rückblick
2. Anforderungen an das Vermittlungsprinzip
3. Bewegung und ihre Modi
4. Ortsbewegung als quantitative Erscheinungsweise des Vermittlungsprinzips
5. Veränderung als qualitative Erscheinungsweise des Vermittlungsprinzips
6. Werden als relationale Erscheinungsweise des Vermittlungsprinzips
7. Bewußtsein als epistemische Form des Vermittlungsprinzips
Literaturverzeichnis
Personenregister
Sachregister
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Einheit und Mannigfaltigkeit: Eine Strukturanalyse des "und". Systematische Untersuchungen zum Einheits- und Mannigfaltigkeitsbegriff bei Platon, Fichte, Hegel sowie in der Moderne
 9783110844399, 9783110084184

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Κ. Gloy · Einheit und Mannigfaltigkeit

Karen Gloy

Einheit und Mannigfaltigkeit Eine Strukturanalyse des „und" Systematische Untersuchungen zum Einheits- und Mannigfaltigkeitsbegriff bei Piaton, Fichte, Hegel sowie in der Moderne

w G DE

1981

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Gedruckt mit Unterstützung

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der Deutschen

Forschungsgemeinschaft

Bibliothek

Gloy, Karen: Einheit und Mannigfaltigkeit : e. Strukturanalyse d. „und" ; systemat. Unters, zum Enheits- u. Mannigfaltigkeitsbegriff bei Piaton, Fichte, Hegel sowie in d. Moderne / Karen Gloy. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1981. ISBN 3-11-008418-X

© 1981 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung · J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl J. Trübner · Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Str. 13 Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Buchbindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin

Ist es ein lebendig Wesen, Daß sich in sich selbst getrennt? Sind es zwei, die sich erlesen, Daß man sie als eines kennt? Goethe, Gingo Biloba

Vorwort Das vorliegende Buch enthält meine Habilitationsschrift, wie sie im Frühjahr 1979 der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Heidelberg eingereicht wurde. Sie ist unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Dieter Henrich und Herrn Prof. Dr. Michael Theunissen entstanden. Wenngleich sich mein Weg, was die Infragestellung jeder monistischen Konzeption und die Suche nach einer Lösung der Einheits-Mannigfaltigkeitsproblematik im Paradox betrifft, zunehmend von dem ihren entfernte, so verdanke ich doch beiden Forschern Anregung, Rat und Kritik sowie die ständige Förderung meiner wissenschaftlichen Intentionen, wofür ich ihnen an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank aussprechen möchte. Dank verpflichtet mich außerdem Herrn Prof. Dr. Reiner Wiehl für manchen Ratschlag. Den Gutachtern der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Heinrich-Heine-Stiftung, die mir durch großzügige Habilitationsstipendien die Anfertigung der Arbeit und durch einen Druckkostenzuschuß deren Publikation ermöglichten, sei an dieser Stelle ebenso gedankt wie meinen Angehörigen, die meine wissenschaftliche Laufbahn aktiv unterstützten. Heidelberg, im Frühjahr 1981

Karen Gloy

Inhaltsverzeichnis Vorwort Einleitung: 1. 2. 3.

VII Die Auslegungsweisen des „ u n d " Zur Problemlage Zielsetzung der Untersuchung Logisches und anschauliches Kategoriensystem

1 1 6 13

I. Teil: Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung . . . 1. Zur Interpretationslage 2. Die Einheitskonzepte der ersten und zweiten Position 3. Die Konzepte des Anderen als das Eine der siebenten und achten Position 4. Der Vermittlungsbegriff

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II. Teil: Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfasung 1. Abschnitt: Die Antinomien der Einheit 1. Kapitel: Einheit mit Ausschluß der Mannigfaltigkeit (Absolutheit), demonstriert an Fichtes Einheitsbegriff 1. Das Programm 2. Der Aufstieg als absolute Abstraktion 3. Das Problem der absoluten Abstraktion: der Selbstwiderspruch 4. Der Abstieg als Erscheinung der absoluten Einheit . . . 5. Das Problem der absoluten Erscheinung: der Dualismus 2. Kapitel: Einheit mit Einschluß der Mannigfaltigkeit (Totalität), demonstriert an Hegels Einheitsbegriff 1. Die Grundkonzeption 2. Die dialektische Methode als Form 3. Das Entgleiten der formalen Methode in die inhaltliche 4. Beispiele inhaltsbedingter dialektischer Methode 5. Das Entgleiten der inhaltlich bestimmten Methode in den formalen Progreß bzw. Regreß

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Inhaltsverzeichnis

2. Abschnitt: Die Antinomien der Extension 1. Kapitel: Extension mit Ausschluß der Begrenzung (Kontinuum) 1. Das Problem 2. Das mathematisch-rationale Kontinuum 3. Das operativistische Kontinuum 4. Das phänomenale Kontinuum 5. Die Selbstwidersprüchlichkeit der phänomenalen Kontinuumsauffassung 2. Kapitel: Extension mit Einschluß der Begrenzung (Gestalt) 1. Das Problem der Gestaltauffassung 2. Die konzeptualistische Auffassung der Gestalt 3. Eine Ubergangsposition 4. Die phänomenale Auffassung der Gestalt 5. Die progressive bzw. regressive Struktur des Gestaltphänomens oder seine Relativität

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III. Teil: Bewegung als aporielose „zweigliedrige Einheit" 1. Systematisierender Rückblick 2. Anforderungen an das Vermittlungsprinzip 3. Bewegung und ihre Modi 4. Ortsbewegung als quantitative Erscheinungsweise des Vermittlungsprinzips 5. Veränderung als qualitative Erscheinungsweise des Vermittlungsprinzips 6. Werden als relationale Erscheinungsweise des Vermittlungsprinzips 7. Bewußtsein als epistemische Form des Vermittlungsprinzips

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Literaturverzeichnis

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Personenregister

334

Sachregister

337

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Einleitung Die Auslegungsweisen des „und" 1. Zur Problemlage Das Problem von Einheit und Mannigfaltigkeit sieht auf eine Tradition zurück, die so alt ist wie die Geschichte der Philosophie selbst. Diese enge Verknüpfung deutet darauf, daß es sich hier um ein Fundamentalproblem der Philosophie, wenn nicht gar um das Hauptanliegen derselben handelt. Denn Philosophie versteht sich nicht wie etwa die Geschichtsschreibung als bloße Rezeption und Konstatierung des Faktischen; auch geht sie in ihrem Anspruch weiter als die exakten Wissenschaften, die das Gegebene einer bestimmten Sphäre sammeln, sichten und ordnen, es unter eine begrenzte, überschaubare Anzahl von Axiomen oder Verfahrenstypen zum Zwecke der Theoriebildung bringen. Sie will das G a n z e des Seienden begreifen, im wörtlichen Sinne in den Griff bekommen, was nur möglich ist, zumindest der Idee nach, durch eine schrittweise Reduktion der zunächst chaotisch erscheinenden Fülle des Vorliegenden auf immer weniger, immer allgemeiner und umfassender werdende Prinzipien, schließlich auf ein einziges, allumfassendes, das zugleich die Funktion einer ratio essendi und ratio cognoscendi, eines Seins- und Erklärungsgrundes, hat. Denn nur die Einordnung jedes einzelnen in einen Gesamtbegründungszusammenhang, der sich als ein Stufensystem aus Gründen und Folgen darstellt, innerhalb dessen die Folgen auf Gründe, diese wiederum auf höhere Gründe verweisen und so fort, bis ein Grund erreicht wird, der Bedingung von allem, selbst aber nicht mehr durch anderes bedingt ist, bietet die Gewähr einer umfassenden Erkenntnis: Jede Teileinsicht vollendet sich erst als systematische. „Wer von irgendeinem philosophischen Problem, welches er genügend erklären wollte, ausginge, müßte von diesem auf ein anderes, in seiner Erklärung vorausgesetztes kommen und von diesem wieder auf ein anderes, bis er das Ganze aller philosophischen Probleme dargelegt hätte: und wäre er umgekehrt von dem letzten auf jenem Wege erreichten Problem ausgegangen; so würde er auch jenen ganzen Weg in umgekehrter Richtung zurückgelegt haben und zuletzt bei jenem vorhin als erstes Ziel

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Einleitung: Die Auslegungsweisen des „ u n d "

angenommenen Problem angelangt sein. Daher, wer irgendein philosophisches Problem erklären soll, ohne ein System der gesamten Philosophie aufzustellen, notwendig nur ein Fragment gibt, indem er abbrechen muß, lange ehe er den größten Teil dessen, was zur Aufhellung desselben beitragen würde, hat sagen können" 1 . Philosophie ist folglich wesenhaft systematisch und damit, auf das Programm festgelegt, das Viele und Verschiedenartige unter einen einheitlichen Aspekt zu subsumieren, in dem es seiner Natur nach übereinstimmt, bzw., bei umgekehrter Perspektive, diesen einheitlichen Aspekt in seine Vervielfältigungen und Differenzierungen zu verfolgen. Eine Philosophie, die sich dem Gedanken systematischer Begründung u n d begründeter Systematik verpflichtet weiß, muß ihre letzte, ja einzige Aufgabe in der Darstellung der Einheit des Mannigfaltigen durch Rückführung dieses auf jene und seiner Herleitung aus ihr sehen. Nicht zufällig sind Wesen und Aufgabe der Philosophie immer wieder als Einheitsstiftung bestimmt worden. So heißt es bei Fichte in der Wissenschaftslehre von 1804: „Das [die Reduktion des Mannigfaltigen auf Einheit bzw. dessen Deduktion aus ihr] haben alle dunkel oder deutlich gewollt; und könnte man historisch nachweisen, daß es eine nicht gewollt hätte, so läßt sich dieser der philosophische Beweis entgegenstellen, daß sie es habe wollen müssen, so gewiß sie hat e x i s t i e r e n wollen: denn das bloße Auffassen des Mannigfaltigen als solchen, in seinem Faktischen ist Historie" 2 . Ebenso sagt Schelling: „Die Lehre . . . von der Einheit, die ungeteilt allem gegenwärtig und die Substanz aller Dinge ist, werdet ihr von Spinoza und Parmenides zurückgehend, soweit die Geschichte der Philosophie und der menschlichen Erkenntnis reicht, sicher antreffen" 3 . Und Hegel hat in der ganzen Philosophie „nichts anderes als das Studium der Bestimmungen der Einheit" sehen wollen 4 . Der Einwand liegt auf der Hand, daß es sich bei dieser Auffassung in specie um das idealistische Verständnis handle — nicht zufällig stammen die Zitate von Idealisten — oder in genere um das monistischer Konzepte, keineswegs aber um eines, das Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben könne. Gerade uns Heutigen muß angesichts der Vielzahl divergierender Ansätze, Denkhaltungen und Stile die Identifizierung der Philosophie schlechthin mit der Theorie der Einheit unangemessen erscheinen. In einer 1

2 3 4

A. Schopenhauer's handschriftlicher Nachlaß, hrsg. v. E. Grisebach, Bd. 4: Neue Paralipomena, Leipzig 1893, S. 50, § 3 8 . X , 93. Fernere Darstellungen aus dem System der Philosophie, Ergänz. Bd. I, 453 (IV, 401). Vorlesungen über die Philosophie der Religion, X V I , 100.

Z u r Problemlage

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Situation, wie sie nach dem sog. Zusammenbruch des deutschen Idealismus, der bis jetzt letzten Epoche, die sich bewußt der Hen-Kai-PanThematik verschrieb, entstanden und durch das mächtige Emporkommen der empirischen Forschung mit ihrer zuvor nicht gekannten Fülle von Daten bestimmt ist, kann die Forderung nach Einheitsstiftung alles Vorfindlichen nur noch als hybrid empfunden werden und, falls dennoch an ihr festgehalten werden sollte, durchführbar nur erscheinen unter Ignorierung der Einzelfakten in ihrer Eigenvalenz, mithin in Gestalt einer unstatthaften idealisierenden und theoretisierenden Überformung, deren Disproportion zum empirischen Material umso mehr in die Augen springt, je größer die Menge des Gegebenen ist. Trotz veränderter Intentionen, Themen und Methoden und häufiger Polemik gegen jede Art von Monismus ist auch den nachidealistischen, heute dominierenden Richtungen wie der Phänomenologie, dem Existentialismus, der Wissenschaftstheorie, der analytischen Philosophie die T e n d e n z auf Einheit immanent. Indem die Phänomenologie die Objektkonstitution auf Bewußtseinsleistungen reduziert, die Existenzphilosophie die Fundamentalstrukturen des Daseins erkundet, die sprachanalytische Philosophie die allgemeinen Regeln eines Sprachsystems angibt, die Wissenschaftstheorie ihr Ziel darin sieht, das erfahrungsmäßige Wissen zu einem System zusammenzufassen, bewegt sich jede von ihnen bereits im Spannungsfeld zwischen gegebenem Mannigfaltigen und aufgegebenem einheitlichen Erklärungsgrund und hat die Angabe des letzteren stillschweigend als Aufgabe akzeptiert. Die Bezugnahme auf dieses Programm ist selbst dort noch spürbar, wo sich dasselbe in sein Gegenteil verkehrt hat und das Ursprungsdenken schlechthin negiert wird wie bei den AntiGrund-Denkern Adorno und Bloch. So darf die Frage nach Einheit, selbst wenn sie nicht mehr gestellt oder verstellt wird, zu Recht als Grundfrage der Philosophie gelten. Dieses Problem ist der abendländischen Philosophie mit den Griechen gestellt worden 5 . Denn das Thema der frühgriechischen Philosophie, wie es aus mythischen Traditionen, insbesondere kosmogonischer und theogonischer Art, hervorgegangen und diesen trotz revolutionärer Änderung der Denkart in Gehalt und Richtung verhaftet geblieben ist, war die Erforschung der άρχή — άρχή verstanden in dem Doppelsinn eines Anfangs (Ursprungs) und eines Prinzips (Herrschaft) alles Seienden. Es war die Suche nach dem, woraus alles entstanden ist, wohinein alles vergehen wird 5

E s ist aber auch für andere, vor allem östliche Philosophien s y m p t o m a t i s c h , ζ. B . f ü r die indische Advaitamata. Advaita bedeutet: ohne ein Zweites, Nicht-Vieles, Eines.

4

Einleitung: D i e Auslegungsweisen des „ u n d "

und worin alles besteht oder, um Piatons triadische Formel aus dem Phaidon 6 zu gebrauchen: δια τί (wodurch) γίγνεται έκαστον και δια τί άπόλλυται και δια τί εστι. Mit dieser Aufgabenstellung ist die nachfolgende Philosophie in ihre Bahn eingewiesen worden, die sie seitdem nicht mehr verlassen hat. In ihr bewegt sich nicht nur die ionische Naturphilosophie, sondern auch die Ontologie des Parmenides wie der Atomismus Leukipps und Demokrits; ihr hatte sich gleicherweise die Platonische Eidos- wie die Aristotelische Ousia-Lehre verschrieben, die zur Grundlage einer zweitausendjährigen Rezeptionsgeschichte geworden sind. Die Vermittlung zwischen Antike und Mittelalter, zwischen Logos-Theorie einerseits und Theologie und Mystik andererseits, leistete der Neuplatonismus, der sich wie kaum ein anderes Denken als Henologie verstand, indem er Ausgangspunkt der drei großen das Mittelalter durchziehenden Strömungen wurde: der M y s t i k , die auf irrationale Weise das Eine zu erfassen suchte und in Meister Eckhart, Tauler, Seuse und später in Jacob Böhme ihre hervorragendsten Vertreter fand, der n e g a t i v e n T h e o l o g i e , die das Scheitern rationaler Bewältigung des Problems eingestand und sich mit der Hindeutung via negationis begnügte, sowie der s c h o l a s t i s c h e n S c h u l m e t a p h y s i k , die sich der klassischen logischen Mittel zur Erfassung und Fassung des Einen bediente. Die zentrale Bedeutung der unum- et- omniaSpekulation für das Mittelalter war bereits durch die theoretische Begründungsabsicht der monistisch ausgerichteten christlichen Theologie garantiert. Nicht weniger bedeutsam jedoch ist die Thematik für die großen Systemkonzeptionen der Neuzeit: Giordano Brunos, Spinozas, der Leibniz-Wölfischen Schule und schließlich der Idealisten gewesen, die eine Erneuerung des Einheitsdenkens in methodischer und metaphysischer Absicht anstrebten. Was sich im Laufe der Geschichte gewandelt hat, ist nicht die Einheitsthematik als solche, sondern die Bestimmung des Einheitsprinzips. Von einer materialistischen Auffassung, wie sie in den sinnlich wahrnehmbaren Prinzipien von Wasser, Luft und Feuer der Ionier begegnet, sublimierte sie sich mehr und mehr zu einer rein immateriell-geistigen Auffassung, wobei sie ihren Weg nahm über die ausschließlich dem Denken faßbaren ontischen Prinzipien von der Art des parmenideischen öv oder der platonischen είδη bis hin zum sich selber denkenden Denken, wie es für Descartes' res cogitans, Leibniz' Monade oder das Selbstbewußtsein Kants und der Idealisten konstitutiv ist. Wenn sich die neuzeitliche Philosophie als ganze von 6

9 6 a , vgl. 9 7 b , 9 7 c .

Zur Problemlage

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der antiken dadurch unterscheidet, daß sie nicht mehr wie diese von einem objektiven Prinzip, sondern von einem subjektiven, einem Erkenntnisprinzip, ausgeht, so unterscheidet sich innerhalb der letzteren die moderne von der jetzt schon klassisch zu nennenden dadurch, daß sie bezüglich des Erkenntnisvermögens nicht mehr auf die rationale, sondern auf die anschauliche Komponente abhebt. An die Stelle des Denkens ist die Intuition, die Existenz, das Dasein getreten, so bei Bergson, Heidegger, Sartre, um nur einige zu nennen. Nicht das Einheitsprinzip ist aus der Philosophie geschwunden, nur seine Gestalt hat sich geändert. Auf diesen Sachverhalt hat schon Bergson in seinen Oxforder Vorträgen von 1911 7 hingewiesen. Während die herkömmliche Philosophie versuchte, mit dem Problem der Unzulänglichkeit, Lückenhaftigkeit und mangelnden Ordnung der Wahrnehmungen dadurch fertig zu werden, daß sie auf Begriffe, Urteile und Schlüsse rekurrierte, um mittels der formalen Allgemeingültigkeit derselben den Zusammenhang der ersteren herzustellen und selbst nicht gegebene oder gebbare Wahrnehmungen stellenmäßig einzuordnen, schlägt die neuere Philosophie den entgegengesetzten Weg ein, indem sie die Wahrnehmungen zu erweitern, zu vertiefen und zu präzisieren trachtet. „Durch die Ausdehnung und die Wiederbelebung unserer Wahrnehmungsfähigkeit, vielleicht auch . . . durch eine Vertiefung unserer Intuition" würden wir „die Kontinuität im Ganzen unserer Erkenntnis wiederherstellen, eine Kontinuität, die dann nicht mehr hypothetisch und konstruiert wäre, sondern erfahren und erlebt" 8 . Nicht logische Verallgemeinerung und Abstraktion, sondern umgekehrt anschauliche Differenzierung und Konkretisation dient hier zum Mittel, den einheitlichen kontinuierlichen Zusammenhang zu schaffen. Angesichts der Vielzahl von Prinzipien, die historisch ausgebildet worden sind und Anspruch auf den Status des einen Einheitsprinzips machen, muß sich die Frage aufdrängen, welches von ihnen das wahre sei. Findet es sich möglicherweise noch gar nicht unter ihnen, ist seine Auffindung erst einer künftigen Philosophie vorbehalten? Muß sich aber nicht gegen jedes neu aufzustellende Prinzip derselbe Einwand erheben wie gegen alle früheren, eben doch nur eines unter anderen zu sein und zu einer beliebig erweiterbaren Reihe zu gehören? Welches sind die Kriterien, die über die Legitimität oder Illegitimität eines Prinzips entscheiden? Woher stammen sie? Sind sie dem System selbst entnommen, was notwendig ist, 7

8

H . Bergson: Die Wahrnehmung der Veränderung in Denken und schöpferisches Werden, Meisenheim 1948, S. 1 4 9 - 1 7 9 . A . a . O . , S. 162.

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Einleitung: Die Auslegungsweisen des „ u n d "

um die innere Konsistenz desselben zu wahren, so ergibt sich die Schwierigkeit, daß Beurteiltes und Beurteilendes zusammenfallen, die Beurteilung zirkulär wird. Liegen sie außerhalb desselben, so entziehen sie sich der Erkenntnis, die mit zum System gehört, ganz zu schweigen davon, daß das System, welches universal sein soll, unvollendet bleibt. Da auf diese Weise keine Fortschritte zu erzielen sind, ist die Blickrichtung zu ändern, von der Horizontale — um ein Bild zu gebrauchen —, in der die Prinzipien gleichberechtigt nebeneinander stehen, in die Vertikale. Gefragt werden muß nach dem Gemeinsamen aller Prinzipien, nach dem, wovon dieselben insgesamt nur Fälle und Modifikationen sind. Das heißt, daß nach der Struktur der Einheit, nicht nach ihrem Inhalt gefragt werden muß. Denn jene allein kehrt als dieselbe in allen Formationen und Dimensionen wieder, mag die Einheit der realen, der logischen oder der anschaulichen Ebene angehören, mag es sich bei ihr um das platonische ontologische Eidos oder um das neuzeitliche Bewußtsein oder um die Intuition handeln. Und sie muß auch durchgängig wiederkehren, weil sonst die Möglichkeit des Vergleichs der Prinzipien untereinander entfiele ebenso wie die ihrer Subsumption unter einen gemeinsamen Titel. 2. Zielsetzung der Untersuchung Die vorliegende Arbeit macht sich zur Aufgabe, die Struktur der Einheit zu untersuchen und, da von Einheit sinnvoll nur in bezug auf Mannigfaltigkeit gesprochen werden kann, auch die der Mannigfaltigkeit sowie die des Verhältnisses beider zueinander. Ihre Intention geht demnach auf eine reine Strukturanalyse im Rahmen einer prinzipientheoretischen Diskussion. So willkommen ihr für eine mögliche Gliederung der Thematik Bedeutungsdifferenzen des Einheits- und Mannigfaltigkeitsbegriffs sein müssen, so dürfen diese doch nicht in Distinktionen nach Ebenen, etwa in einen logischen, anschaulichen, realen, existentiellen, metaphysisch-spekulativen Begriff usw., bestehen 9 ; denn hiergegen wäre das Argument geltend zu machen, daß die Struktur als dieselbe durch alle Ebenen hindurchgeht. Aus diesem Grunde scheidet auch das Aristotelische πολλαχώς λέγεται aus, das eine Einteilung des εν in ein συνεχές, δλον, καθ' έκαστον und καθόλου vorsieht 10 , handelt es sich doch auch bei dieser um eine Unter-

9

10

So ζ. B. bei E . Metzke: Handlexikon der Philosophie, Heidelberg 1948 unter der Rubrik Einheit. Aristoteles Metaphysik, 10. Buch, 1052 a 3 4 - 3 6 .

Zielsetzung der Untersuchung

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Scheidung nach ontischer und logischer Sphäre 1 1 . Wir sind gehalten, ausschließlich auf formale Unterschiede zurückzugreifen. Da Einheit und Mannigfaltigkeit Korrelativbegriffe sind und stets in Wechselbeziehung auftreten, dürfte eine Analyse dieser Beziehung oder, was auf dasselbe hinausläuft, eine Analyse des „und" in der Formel „Einheit u n d Mannigfaltigkeit" am ehesten weiterführen. Das Wörtchen „und" hat Fichte 1 2 das dunkelste und unverständlichste unserer ganzen Sprache genannt, das aufzuklären noch keiner Philosophie gelungen sei. An einer solchen Aufklärung muß uns aber gerade gelegen sein. Der Grammatik nach zählt „und" zu den Konjunktionen, deren Funktion, wie schon der Name „coniungere" = „Zusammenjochen", „zusammenbinden" besagt, in der Verknüpfung von Sätzen und Satzteilen, kurz von Elementen, besteht. Verknüpft werden kann nur, was ursprünglich getrennt ist und diesen Status, zumindest als gedanklich Trennbares, auch noch in und trotz der Verknüpfung behält. Synthesis s e t z t daher nicht allein Analysis v o r a u s , sondern ist auch eine solche, wie umgekehrt Analysis nicht nur Synthesis v o r a u s s e t z t , weil getrennt werden nur kann, was verbunden ist, sondern selbst auch eine solche i s t , da Getrennthalten nur stattfindet bei gleichzeitigem gedanklichen Zusammenhalten. Das Getrennte ließe sich überhaupt nicht als Getrenntes ansprechen, wenn nicht seine Zusammengehörigkeit stets mitgedacht wurde. Insofern Verbindung und Trennung sich wechselseitig fordern, drücken Konjunktionen generell ein Synthesis-Analysis-Verhältnis aus. Sieht man von den diversen Arten von Konjunktionen, die die Grammatik nach den inhaltlichen Beziehungen zwischen Sätzen und Wörtern in disjunktive, adversative, kausale, konditionale, instrumentale usw. einzuteilen pflegt, ab und blickt nur auf das formal Übereinstimmende und Unterscheidende, so treten zwei Klassen hervor, die gewöhnlich als koordinierend und subordinierend bezeichnet werden. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß diese beiden nichts anderes zum Ausdruck bringen als die beiden herausgestellten Aspekte von Konjunktion: Koordination ist eine Form der Zusammenfügung, bei der die Elemente ihren trennenden Charakter bewahren, Subordination eine, bei vder sie ihren trennenden Charakter zugunsten eines gemeinsamen Zwecks oder auch um einander willen aufgeben. Zwischen diesen Extremen hält die Konjunktion „und" die Waage, indem sie zugleich ex11

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Aristoteles selbst sagt in Metaphysik 1052 a 3 6 - b 2 : „Dies alles heißt Eins, weil unteilbar bei den einen [συνεχές und δλον] die Bewegung ist, bei den anderen [καθ' εκαστον und καθόλου] die Auffassung im Denken und der Begriff." Wissenschaftslehre von 1804, X , 144.

δ

Einleitung: Die Auslegungsweisen des „ u n d "

klusiven, d. h. trennenden, wie inklusiven, d. h. vereinigenden Charakter aufweist und damit, obwohl sie eine spezifische Konjunktion ist, repräsentativ für die Gattung steht. Diese Doppelnatur des „ u n d " läßt sich am einfachsten am Summenbeispiel 1 + 1 = 2 demonstrieren, das bereits äußerlich durch die Äquivalenz der Glieder das Zugleich von Trennung — im Glied der linken Seite: 1 + 1 — und Vereinigung — im Glied der rechten, der Zahl 2 — wiedergibt. Ganz allgemein gilt, daß, wo immer zwei Gegenstände zusammen auftreten, dieser Tatbestand einer zweifachen Deutung fähig ist: Zum einen kann eine bloße Ansammlung unabhängiger, isolierter Gegenstände gemeint sein, zum anderen eine Zusammenfassung derselben unter einem einheitlichen Gesichtspunkt wie der Anzahl, im Hinblick auf die dann die Gegenstände zwei Exemplare einer Gattung vorstellen. Diese Doppelnatur des „und" gilt es auch bezüglich der beiden Instanzen Einheit und Mannigfaltigkeit in Ansatz zu bringen, dadurch daß sowohl auf ihre Unabhängigkeit und Getrenntheit wie auf ihre Zusammengehörigkeit und Einheit abgehoben wird. N u r kompliziert sich die Situation hier dadurch, daß Einheit und Mannigfaltigkeit Grundformen bilden, über die hinaus keine grundsätzlicheren denkbar sind: keine noch einfachere Einheit, keine noch mannigfaltigere Mannigfaltigkeit, und daß folglich in ihrer Trennung und Verbindung bereits eine Selbstapplikation vorliegt: Die Sonderung von Einheit und Mannigfaltigkeit ist selbst ein Fall von Mannigfaltigkeit, die Verbindung von Einheit und Mannigfaltigkeit selbst ein Fall von Einheit. Da beide Instanzen gleichursprüngliche Momente eines Beziehungsgefüges bilden, läßt sich die Schwierigkeit nur dadurch beheben, daß Trennung und Verbindung von beiden aus in Angriff genommen werden. Auf diese Weise ergeben sich die folgenden Alternativen: im Ausgang von der Einheit 1. Einheit mit Ausschluß und Abstraktion der Mannigfaltigkeit, 2. Einheit mit Einschluß und Integration der Mannigfaltigkeit, im Ausgang von der Mannigfaltigkeit 3. Mannigfaltigkeit mit Ausschluß und Abtrennung der Einheit, 4. Mannigfaltigkeit mit Einschluß und Absorbierung der Einheit. Diese vier Positionen spiegeln die gesamten möglichen Beziehungen zwischen Einheit und Mannigfaltigkeit wider. Daß mit ihrer Aufstellung ein Vollständigkeits- und Ausschließlichkeitsanspruch verbunden ist, stützt sich auf die Überlegung, daß zu dem Strukturgefüge aus Einheit und Mannigfaltigkeit nur ein alternativer Zugang besteht, entweder von seiten

Zielsetzung der U n t e r s u c h u n g

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der Einheit oder von selten der Mannigfaltigkeit, und in beiden Fällen die durch „ u n d " indizierte Alternative von Trennung und Verbindung berücksichtigt werden muß. Aus diesem Grunde ist auch der naheliegende Einwand, daß die zweite und vierte Position nicht mit hinreichender Sicherheit voneinander zu unterscheiden seien, da beide in einer Verbindung aus Einheit und Mannigfaltigkeit bestehen, zurückzuweisen; denn ihr Ansatz ist ein verschiedener, und dies nicht kontingenter-, sondern notwendigerweise, bedingt durch den Umstand, daß sich das Strukturganze niemals direkt, sondern immer nur indirekt im Ausgang von dem einen oder anderen Glied und im Ubergang zu seinem Pendant in den Griff bringen läßt. Die Notwendigkeit einer Unterscheidung leuchtete noch mehr ein, wenn man aus Gründen, die erst später einsichtig gemacht werden können, den „objektiven Strukturen" Einheit und Mannigfaltigkeit die entsprechenden „subjektiven Erkenntnisvermögen" Verstand und Anschauung zuordnete. Unter dieser Voraussetzung würde ohne weiteres zugestanden werden, daß es einen Unterschied macht, ob die eine identische Verbindung von Einheit und Mannigfaltigkeit r a t i o n a l oder p h ä n o m e n a l behandelt, mittels einer exakten Begrifflichkeit oder einer der Natur der Sache nach inexakten Anschauung erfaßt wird. Trotz der notwendig einseitigen Ansätze hat man sich die Möglichkeit eines strukturellen Z u g l e i c h von Einheit und Mannigfaltigkeit prinzipiell offenzuhalten. Dieses Zugleich dürfte dann aber nicht mehr „Einheit" genannt werden ebensowenig wie „Mannigfaltigkeit" 1 3 . Ihm hätte eine Totalerfahrung oder eine Art intellektueller Anschauung als Verbindung von Verstand und Anschauung zu korrespondieren. Diese Möglichkeit stellt eine fünfte Interpretation des Strukturgefüges dar und bildet, da sie ganzheitlich ist, den Ausgang und das Ziel der oben nach den verschiedenen Ansatzpunkten differenzierten Alternativen. Die voranstehenden Auslegungsweisen geben die Einteilung und Gliederung der Arbeit vor. Die zentralen Teile derselben beschäftigen sich mit den möglichen Einheits- und Mannigfaltigkeitsbegriffen: mit der „abstrakten", von jeglicher Mannigfaltigkeit abgetrennten Einheit, die auch das „Absolute" heißt, da mit diesem seinem Wortsinne nach das von allem Losgelöste gemeint ist, mit der „gefüllten", Mannigfaltigkeit involvierenden Einheit, auch „Totalität" oder „ G a n z h e i t " genannt, mit der Einheit ausschließenden Mannigfaltigkeit, die, wie sich später zeigen wird, dem „ K o n t i n u u m " entspricht, und mit der Einheit einschließenden Mannig13

V o n „ K o i n z i d e n z " zu sprechen, verbietet sich, da nicht nur Z u s a m m e n f a l l , s o n d e r n ebens o w o h l Auseinandersein von Einheit u n d Mannigfaltigkeit gemeint ist.

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Einleitung: D i e Auslegungsweisen des „ u n d "

faltigkeit, die mit „ G e s t a l t " gleichbedeutend ist, und sie zeigen die Antinomien auf, in die jede dieser Positionen gerät, sobald sie für sich Anspruch auf adäquate theoretische Bewältigung des Beziehungsganzen macht. Denn angesichts einer Pluralität gleichberechtigter Interpretationen müssen bei Verabsolutierung einer jeden Schwierigkeiten unvermeidbar sein. Jeder Teilaspekt bleibt in dem Maße hinter dem Ganzen zurück, wie er nicht dasselbe verkörpert. Daher verspricht allein die Einsicht in die Vollständigkeit der Disjunktionen sowie in die Unvermeidbarkeit der aus ihrer einseitigen Behandlung resultierenden Aporien einen Ausweg. Einen solchen erkundet der letzte Teil, indem er die Möglichkeit einer ganzheitlichen, wenngleich in sich paradoxen Interpretation des Beziehungsgefüges vermittels des Bewegungsvollzugs erörtert. Er untersucht, ob jene nichteinige Einheit und nicht-vielfältige Vielheit oder, positiv formuliert, jene zweigliedrige Einheit sich angemessen durch Bewegung, den Ubergang von einem Moment zum anderen, wiedergeben lasse. Für diesen Fall hätte Bewegung als paradoxieloses Interpretament deswegen zu gelten, weil sie selbst das Paradoxon ausmachte. Diesen Untersuchungen geht als Vorspann ein Teil voraus, der mit Hilfe einer schematischen Interpretation von Piatons Dialog Parmenides einen Uberblick über die Gesamtheit möglicher Einheits- und Mannigfaltigkeitskonzepte sowie über die wichtigsten Strategien ihrer Widerlegung und nicht zuletzt über mögliche Auswege zu gewinnen sucht. Nach Ansicht der Verfasserin bietet dieser Dialog das erste und einzige Mal in der Geschichte eine systematische Zusammenstellung der Konzepte, die daher hier zu Wort kommen soll. Mit diesem Teil ist eine Orientierungshilfe für die komplexen Untersuchungen des Hauptteils beabsichtigt. Er soll mit Grundfiguren der Einheits-Mannigfaltigkeits-Beziehung und mit Argumentationstypen zu ihrer Rechtfertigung und Kritik bekanntmachen, die auf allen Reflexionsstufen und in allen Ausgestaltungen wiederkehren. Ihrer methodischen Absicht nach will die Untersuchung eine systematische, keine historische sein, folglich auch den Kriterien der ersteren unterstellt sein. Zwar ist die scharfe Abgrenzung von Systematischem und Historischem nirgends mißlicher als in der Philosophie, enthält doch jedes „ S y s t e m " bereits ein gut Teil „Geschichte", sei es aufgrund seiner Begrifflichkeit, die eine geschichtlich gewordene ist, sei es aufgrund seines Ansatzes, der geschichtlich bedingt oder zumindest mitbestimmt ist. Insofern steht auch die vorliegende Arbeit immer schon auf dem Boden der Tradition, den sie nicht leugnet, sondern anerkennt, sogar ausdrücklich mit einbezieht, dadurch daß sie die exponierten systematischen Positionen

Zielsetzung der Untersuchung

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anhand historischer Beispiele erläutert. Dennoch besteht ein Unterschied zwischen historisch-doxographischer Absicht, der es um die Nachzeichnung geschichtlicher Systeme, ihrer Herkunft, Entwicklung und Nachwirkung um ihrer selbst willen geht, und systematischer Absicht, der es auch in den historischen Ausgestaltungen allein auf die möglichen Ansatzformen ankommt. Der letzteren Absicht und nur dieser ordnet sich die vorliegende Arbeit unter 14 . Wenn zur paradigmatischen Exemplifikation der beiden Einheitsbegriffe auf die geschichtlichen Systemkonstruktionen von Fichte (Wissenschaftslehre von 1804) und Hegel (Wissenschaft der Logik) zurückgegriffen wird, so hat dies seinen Grund nicht allein darin, daß hier voll durchdachte Konzepte vorliegen, anhand deren sich die sonst allzu abstrakt und nichtssagend bleibenden Gedankengänge in concreto demonstrieren lassen, sondern auch darin, daß es sich bei beiden um signifikante Theorien handelt, die einer Epoche angehören, welche sich mit Nachdruck der Einheitsthematik widmete, die also schon von dorther zeitlich und sachlich zusammengehören und zudem irreversiblen Einfluß auf den Gang der intellektuellen Geschichte genommen haben. Darüber hinaus ist es von besonderem Reiz, durch die Parallelbetrachtung moderner reflexionslogischer Theorien und antiker ontologischer (Piaton) den Beweis anzutreten, daß dieselben Strukturen und Schwierigkeiten, die für die letzteren symptomatisch sind, sich auf reflexionslogischem Niveau wiederholen. Zur Demonstration der Mannigfaltigkeitsbegriffe kann nicht ebenso auf große historische Beispiele verwiesen werden, was daraus zu erklären ist, daß das auf Einheitsstiftung gerichtete philosophische Grundanliegen, bei dem Mannigfaltigkeit lediglich zum Ausgang dient, eigene Systembildungen verhindert hat, so daß die Probleme der letzteren stets im „Schlepptau" der Einheitsbegriffe auftreten. Sie müssen folglich dort auf14

Eine geschichtliche Darstellung des Einheits- und Mannigfaltigkeitsproblems, die u m fassend und gründlich zugleich wäre, gibt es nicht - offensichtlich wegen der Uberfülle historischen Materials. Eine zusammenfassende Uberschau speziell über die Einheitsthematik bietet der entsprechende Artikel in Ritters Historischem W ö r t e r b u c h der Philosophie (Bd. 2, S. 361—384), der vor allem in seinen beiden ersten Teilen instruktiv ist. Ansonsten existieren nur auf bestimmte Zeitabschnitte oder bestimmte Philosophien beschränkte Darstellungen, von denen die Arbeiten von W . Theiler: Einheit und unbegrenzte Zweiheit von Piaton bis Plotin in Isonomia, Studien zur Gleichheitsvorstellung im griechischen D e n k e n , hrsg. v. J. Mau und E. G. Schmidt, Berlin 1964, S. 8 9 - 1 0 9 , L. OeingH a n h o f f : Ens et u n u m convertuntur. Stellung und Gehalt des Grundsatzes in der Philosophie des hl. T h o m a s von Aquin in Beiträge zur Geschichte der Philosophie und T h e o logie des Mittelalters, Bd. 37/3, 1953 und H . T i m m : G o t t und die Freiheit. Studien zur Religonsphilosophie der Goethezeit, Bd. 1: Die Spinozarenaissance, Frankf. a. M . 1974 herausgehoben seien.

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Einleitung: D i e Auslegungsweisen des „ u n d "

gegriffen werden, wo sie eigens thematisch sind und ihren heute höchsten Stand gedanklicher Durchdringung erreicht haben: Das ist für die Kontinuumsproblematik in der Grundlagendiskussion der Mathematik und Naturwissenschaft, für die Gestaltproblematik in der der Psychologie der Fall. Die Tatsache, daß sich damit die Untersuchung auf anscheinend weit auseinanderliegende Forschungsfelder erstreckt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich in beiden Bereichen um Fundamentalprobleme handelt, die eo ipso philosophischer Natur sind. Zudem lehrt ein Blick auf die Geschichte der Philosophie, daß das Kontinuumsproblem bis in die Neuzeit hinein in philosophischem Kontext erörtert wurde, und für den Gestaltbegriff steht fest, daß er ein Grundbegriff der Platonischen Philosophie ist und unter dem Namen μορφή, σχήμα auch in der nachplatonischen antiken Philosophie eine bedeutende Rolle spielte 1 5 . Die heutige Behandlung dieser Probleme in Einzelwissenschaften hat ihren' Grund einzig und allein in der geschichtlich bedingten Abspaltung dieser Disziplinen von der Philosophie, der sie ursprünglich integriert waren. Angesichts der Fülle theoretischer Erörterungen der Einheits-Mannigfaltigkeits-Problematik scheint eine Arbeit wie die vorliegende eigens der Rechtfertigung zu bedürfen. So erstaunlich es klingen mag, so entspricht es doch dem Tatbestand, daß eine umfassende Strukturanalyse bisher nirgends vorliegt, allenfalls ansatzweise existiert. Die Anregung zu dieser Art von Betrachtung verdankt die Arbeit einer Abhandlung über „Einheit" von M. Zahn 1 6 , die Studien zur Strukturanalyse des Einheitsbegriffs enthält, sowie einer noch unveröffentlichten Vorlesung von D . Henrich aus dem Jahre 1972/73 über den deutschen Idealismus und seine Wurzeln mit dem Titel „Von Kant bis Hegel", in der speziell der Henosis- und Synthesisbegriff formalontologisch behandelt wurde 1 7 . Die vorliegende Arbeit versteht sich somit als Versuch, in ein neu erschlossenes Gebiet weiter vorzudringen und es systematisch auszuloten. 15

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D e r Z u s a m m e n h a n g von p s y c h o l o g i s c h e m und philosophischem Gestaltbegriff ist nie verkannt w o r d e n , vgl. C . Schneider: Z u m Gestaltbegriff der griechischen Spätantike in Zeitschrift f ü r experimentelle und angewandte P s y c h o l o g i e , B d . 6, 1959, S. 3 3 5 - 3 4 2 , J . D e r bolav: A n a m n e s i s und Aktualgenese in Zeitschrift für experimentelle und angewandte P s y c h o l o g i e , B d . 6, 1959, S. 5 3 4 - 5 4 7 , vgl. auch schon C h r . v. E h r e n f e l s : U b e r „ G e s t a l t q u a l i t ä t e n " in Vierteljahrsschrift f ü r wissenschaftliche Philosophie, B d . 14, 1890, S. 249— 292, bes. S. 273 f f , 281 f. In H a n d b u c h philosophischer G r u n d b e g r i f f e , hrsg. v. H . Krings, Η . M . Baumgartner und C h r . Wild, M ü n c h e n 1973, B d . 1, S. 3 2 0 - 3 3 7 . G e d a n k e n g ä n g e und Argumentationen hieraus finden sich aber auch in veröffentlichten Schriften über den Idealismus, ζ. B . in dem S a m m e l b a n d : Hegel im K o n t e x t , Frankf. a. M . 1971 s o w i e in d e m A u f s a t z : U b e r die Einheit der Subjektivität in Philosophische R u n d -

Logisches und anschauliches K a t e g o r i e n s y s t e m

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Aus dieser Situation erklären sich zwei Mängel der Durchführung, die unvermeidbar sind: Zum einen muß sich die Arbeit in allen die EinheitsMannigfaltigkeits-Thematik betreffenden Problemen auf eine Erörterung der Grundlagen beschränken und von einer weitergehenden Verfolgung in deren konkretere Formen Abstand nehmen, würde doch eine solche den Stoff ins Unermeßliche anschwellen lassen. Insbesondere kann zur Lösung des Einheits-Mannigfaltigkeits-Problems nur das Gerüst einer Deutung erstellt werden, das weiterer Ausarbeitung bedarf. Zum anderen muß dort, wo historische Philosopheme und Philosophien zur Exemplifizierung dienen, auf eine erschöpfende Textexegese und Stellungnahme zur Sekundärliteratur verzichtet werden; denn eine solche würde angesichts der gerade in bezug auf Piaton, Fichte und Hegel unermeßlichen Fülle von Interpretationen nur allzu leicht die Oberhand gewinnen und das eigentliche Anliegen einer Strukturanalyse verdrängen. Detaillierte Analysen können nur insofern und insoweit durchgeführt werden, wie sie der Erhellung der jeweils anstehenden Struktur dienen. 3. Logisches und anschauliches Kategoriensystem Wenn im Vorangehenden die anstehende Problematik der Kürze halber auf die Formel „Einheit und Mannigfaltigkeit" gebracht wurde, so soll damit nicht allein ein Titel für einen Komplex von Einheits- und Mannigfaltigkeitstypen angegeben sein, sondern zugleich auf eine Vielfalt von Betrachtungsweisen dieses Komplexes hingewiesen werden. Die formelhafte Wendung soll gleichzeitig als Indikator für ein System von Aspekten fungieren, unter denen das strukturelle Gefüge von Einheit und Mannigfaltigkeit betrachtet werden kann, und zwar zum einen für einen quantitativen, bei dem es um die rein mathematischen Eigenschaften der Zählbarkeit und Meßbarkeit, also der Arithmetisierbarkeit, geht, zum anderen für einen qualitativen, bei dem die qualitative Beschaffenheit, das Wie des In-Erscheinung-Tretens, zur Diskussion steht, zum weiteren für einen relationalen, bei dem die internen Beziehungen interessieren, und zum letzten für einen epistemischen, bei dem die externe Beziehung zum Erkenntnisvermögen erforscht, also keine weitere inhaltliche Bestimmung hinzugefügt, sondern die Gesamtheit derselben in ihrer Relation zum Erschau 1955, S. 2 8 - 6 9 , in dem das P r o b l e m von seiten der Erkenntnisvermögen

An-

schauung und Verstand angepackt wird. In Vorbereitung befindet sich der A u f s a t z : D a s A n d e r e seiner selbst. D i e L o g i k der E n t w i c k l u n g H e g e l s von Schellings Identitätssystem zur Theorie des absoluten Geistes (Jena 1801 — 1804).

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Einleitung: Die Auslegungsweisen des „ u n d "

kennen thematisiert wird. Zufolge dieser unterschiedlichen Aspekte erscheint das Strukturgefüge als ein je und je anderes. So treten Einheit und Mannigfaltigkeit unter quantitativem Aspekt als n u m e r i s c h e E i n h e i t und V i e l h e i t auf; denn in quantitativer Hinsicht ist das Eine Maß und Prinzip der Zahl und das Mannigfaltige dessen Vervielfältigung, während unter qualitativem Aspekt dieselben als I d e n t i t ä t und D i f f e r e n z begegnen, was sich daraus erklärt, daß das Eine stets ein sich selber Gleiches, mit sich Ubereinstimmendes, Selbstidentisches ist — schon die Redewendung „eines und dasselbe" weist darauf — und das Mannigfaltige stets ein Verschiedenes, zum wenigsten seiner temporalen und lokalen Stelle nach 1 8 . Unter relationalem Aspekt dagegen sind Einheit und Mannigfaltigkeit als G r u n d und F o l g e , U r s a c h e und W i r k u n g , S u b s t a n z und A k z i d e n s oder als ähnliche Dependenzbestimmungen gegeben; denn das Eine ist etwas, das zu seinem Dasein keines Anderen bedarf, das mithin selbständig ist, wohingegen das Mannigfaltige nur unter der Voraussetzung eines Anderen, eben des Einen, verständlich ist, und genau dies drücken die Bestimmungen aus: Substanz und Akzidens insbesondere das Für-sich-undnicht-für-sich-existieren-Können (Selbständigkeit und Unselbständigkeit), Grund und Folge insbesondere Unbedingtheit und Bedingtheit. Unter epistemischem Aspekt schließlich ist der Einheit und Mannigfaltigkeit das Erkenntnisvermögen des V e r s t a n d e s zugeordnet; denn die Begrifflichkeit bildet das Mittel, einerseits das Eine durch Spezifikation in seine Vervielfältigungen und Differenzierungen zu verfolgen, andererseits das Viele und Verschiedene durch Generalisation zur Einheit zusammenzufassen. Es versteht sich, daß entsprechend den unterschiedlichen Blickrichtungen nicht allein die Relata des Beziehungsgefüges, sondern auch die zwischen ihnen möglichen Relationen, die im Ein- und Ausschließen bestehen, mehrdeutig sind. Einer korrekten Begrifflichkeit muß daran gelegen sein, 18

Die eindeutig umkehrbare Zuordnung von Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit hat in jüngster Zeit H. Schmitz in seiner Mannigfaltigkeitslehre (System der Philosophie, Bd. 1, Bonn 1 9 6 4 , bes. S. 2 6 4 f f ) bestritten mit dem A r g u m e n t , daß die p h ä n o m e n o l o g i s c h e A n a l y s e nicht nur auf verschiedenartige Mannigfaltigkeit, sondern auch auf identische, ζ. B. im Selbstbewußtsein, sowie auf chaotische in den Zwitterphänomenen ambivalenter W a h r n e h m u n g und in den Kontinua führe. V o m Standpunkt der hier inaugurierten S t r u k t u r a l a n a l y s e ergibt sich gegen diese Deutung der E i n w a n d , daß auch das sog. identische Mannigfaltige des Selbstbewußtseins — Wissendes und G e w u ß t e s — als „interne" Zweiheit einer einzigen, identischen Einheit unterscheidbar ist; und das chaotische Mannigfaltige, mit welchem das noch nicht individuierte und wohlunterschiedene Mannigfaltige gemeint ist, sollte besser wie herkömmlich, um terminologische V e r w i r r u n g zu vermeiden, als indifferenter anschaulicher Ermöglichungsgrund einer logisch differenzierten Mannigfaltigkeit bezeichnet w e r d e n , wie ja auch Schmitz seine Beispiele dem Anschauungsbereich entnimmt (vgl. S. 3 1 3 f f , bes. 3 3 9 f f ) .

Logisches und anschauliches Kategoriensystem

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jeweils den der Sache angemessensten Term zu finden. So werden die Ausdrücke „ein- und ausschließen" sowie die ihnen synonymen „enthalten" und „ausklammern", „in sich vereinen (zusammenfassen)" und „aus sich tilgen" am ehesten in numerischen Zusammenhängen ihre Berechtigung haben 1 9 , während in qualitativen Ausdrücke wie „bestimmen", „charakterisieren", „determinieren" bzw. deren Negationen wie auch speziell „identifizieren" und „differenzieren" zu bevorzugen sind. Demzufolge wird die absolut einfache Einheit, die jedwede differente Mannigfaltigkeit ausschließt, jeden Gegensatz übersteigt, als eine „unbestimmte", durch „keinerlei Merkmale charakterisierte" zu bezeichnen sein: als „die fade Leere dessen, was, in sich beziehungslos, anhaltend auf einem Einerlei beharrt" 2 0 , hingegen die, welche die differente Mannigfaltigkeit einschließt, als eine „bestimmte", „gekennzeichnet" durch die Totalität der Prädikate. Der relationalen Auslegung, der die Einheit als Grund, die Mannigfaltigkeit als Folge gilt, dürften Ausdrücke aus dem genetischen Bereich wie „ E i n und Auswicklung", „Involvierung" und „Entfaltung" sowie entsprechende aus dem logischen Bereich wie „Implikation" und „Explikation" am angemessensten sein. Es ist gewiß kein Zufall, daß in Weltentstehungslehren, in denen das Eine als Ursprungs- und Kausalprinzip fungiert, der Begründungsprozeß als Schöpfung wie in der christlichen Theologie oder als Uberströmen, Sich-Entfalten, Wirken wie in der neuplatonischen Emanationslehre beschrieben wird 2 1 . Auf diese sprachlichen Differenzierungen soll hier nur hingewiesen werden. Der Einfachheit und Übersichtlichkeit halber werden wir im folgenden, sofern uns nicht die Umstände zu größerer Subtilität nötigen, die Begriffe „ein- und ausschließen" als Generalterme beibehalten 2 2 . Mit der Aufstellung eines Systems von Aspekten oder, wie man zu sagen pflegt, von Kategorien, ist beabsichtigt, auf die Bedeutungsfülle der Begriffe Einheit und Mannigfaltigkeit hinzuweisen. Die Palette ihrer Bedeutungen ist so groß, daß man das Einheits-Mannigfaltigkeits-Problem auch nicht annähernd bewältigte, wenn man dieselbe überginge. Jede einseitige Festlegung, ζ. B . der Einheit auf den enumerativen Sinn oder die Ursprungs- und Kausalitätsfunktion, käme einer unstatthaften Reduktion gleich. Nichtsdestoweniger muß die Vielfalt systematisch in den Griff ge19

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Hegel spricht von (positiver) und negativer Beziehung, um auszudrücken, daß die Einheit entweder Vieles umfaßt oder Vielem gegenübersteht, eine unter anderen ist. Heidegger: Identität und Differenz, Pfullingen 1957, 4. Aufl. S. 11. Plotin: Enneaden V, 1, 2. Den Hinweis auf diese Reflexion verdanke ich M . Theunissen und R . Wiehl.

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Einleitung: D i e Auslegungsweisen des „ u n d "

bracht werden. Was das System selbst betrifft, so stellen sich bezüglich seiner eine Reihe von Fragen. Woher stammt es, woher nimmt es seine Legitimation? Handelt es sich um ein offenes oder um ein geschlossenes System, eines, das in einer willkürlichen Zusammenstellung von Bestimmungen besteht, oder eines, das definitiv ist, weder einer Vermehrung noch einer Verminderung noch einer Umdisposition fähig? Welches ist im letzteren Fall das Einteilungs- und Ordnungsprinzip? Warum führt es gerade zu dieser Anzahl von Grundmomenten, nicht zu mehr oder weniger, warum gerade zu diesen Momenten, nicht zu anderen? Solche und ähnliche Fragen richten sich nicht nur an das obige System, sondern an jedes seiner Art. Durchforscht man die Geschichte kategorialer Systeme von ihrem ersten Auftreten bei Pythagoreern und Eleaten bis in die Moderne auf die Legitimationsfrage, so wird man eine zufriedenstellende Antwort nirgends finden. Zwar erhebt jeder Philosoph gegenüber seinem Vorgänger den Anspruch, im Besitze eines oder, besser, des Ableitungsprinzips zu sein. So rechnet sich Hegel gegenüber Kant die Einführung des Gedankens einer immanenten Kategorienableitung aus dem sich selber denkenden Denken als Verdienst an. Indem das reine Denken sich entwickelt, erzeugt es nach ihm ebenso reine Begriffe, die, da sie Produkte des sich selber wissenden Wissens sind, nicht nur ihren genau bestimmten Ort innerhalb der Sequenz haben, sondern bei denen auch die Notwendigkeit ihrer Position einsichtig ist. Demgegenüber bleibt Kants Deduktion des Kategoriensystems aus der Urteilstafel und dieser aus dem Selbstbewußtsein äußerlich und unbegründet. In der Tat hat Kant nirgends, weder in seinen veröffentlichten noch unveröffentlichten Schriften, eine explizite Herleitung vorgenommen, dieselbe vielmehr seinen Interpreten und Kommentatoren überlassen, ohne daß es jedoch bei diesen zu einem Konsens gekommen wäre 2 3 . Hegel muß sich allerdings bei dem gemachten Anspruch die polemische Frage gefallen lassen, warum er die Logik zweimal geschrieben und den Wunsch geäußert habe, sie siebenundsiebzigmal zu schreiben, oder warum sich in seinem Werk so gravierende Umstellungen von Kategorien finden, wenn doch der endliche Geist dem absoluten in seiner immanenten Gedankenentwicklung zusehen könne. Wie Hegel gegenüber Kant, so hat dieser gegenüber Aristoteles geltend gemacht, ein methodisches Deduktionsprinzip aufgefunden zu haben — in der Verfassung des Selbstbewußtseins —, in dessen Ermangelung 23

Vgl. die K o n t r o v e r s e zwischen K . Reich: D i e Vollständigkeit der kantischen Urteilstafel, Berlin 1932, 2. A u f l . 1948 und L . K r ü g e r : Wollte K a n t die Vollständigkeit seiner Urteilstafel beweisen? in Kant-Studien B d . 59, 1968.

Logisches und anschauliches K a t e g o r i e n s y s t e m

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die Aristotelische Zusammenstellung rhapsodisch bleiben mußte, eine Aufraffung von Begriffen, wie sie gerade aufstießen 24 . So trifft Aristoteles derselbe Vorwurf, den sich Kant von Hegel zuzog. Wenn philosophische Fragen wie die nach der Rechtfertigung eines bestimmten Kategoriensystems permanent zu Schwierigkeiten führen, dann erscheint es wenig ratsam, den bisherigen Systemen ein neues hinzuzufügen, unterläge dies doch wahrscheinlich denselben Schwierigkeiten. Gebotener erscheint es, den Gründen nachzuforschen, die für das Scheitern verantwortlich zu machen sind. Kategoriale Systeme erheben ihrer Natur nach Anspruch auf Allgemeingültigkeit und Apodiktizität, d. h. auf uneingeschränkte Geltung innerhalb der von ihnen bezeichneten Sphäre. Sie wollen nicht x-beliebige Zusammenstellungen x-beliebiger Merkmale sein, deren Beschränktheit und Kontingenz evident ist, sondern verbindliche Zusammenstellungen durchgängig sich wiederholender Bestimmungen. Ein solcher Allgemeinheits- und N o t wendigkeitsanspruch läßt sich empirisch nicht ausweisen, weil hierzu die Totalität möglicher Fälle gegeben und auf das Vorhandensein der betreffenden Strukturen überprüft sein müßte. Bekanntlich ist uns die Totalität der Erfahrung niemals gegeben, sondern immer nur aufgegeben. Jede kategoriale Aufstellung hat daher notwendig apriorischen Charakter, sei es, daß sie eine vorgängige Annahme darstellt, die der empirischen Forschung zugrunde gelegt wird und sich in und mit dieser zu bewähren oder zu falsifizieren hat, sei es, daß sie ein System von Ermöglichungsbedingungen der Erfahrung darstellt, kraft dessen Erfahrung überhaupt erst zustande kommt, das aber nichtsdestoweniger eine metaphysische Hypothese bleibt, die sich in der Erfahrung ständig neu zu bewahrheiten hat. Angesichts der Offenheit der Zukunft bleibt jedes System vorläufig. Im Wissen um diesen Sachverhalt bescheidet sich die obige Aufstellung. Sie will nicht mehr als ein offenes System sein, das einer Erweiterung, gegebenenfalls einer Reduktion der Kategorien prinzipiell fähig ist. Warum wurde aus der Vielzahl möglicher Systeme gerade das vorliegende ausgewählt? Die Wahl ist nicht zufällig. Wie unschwer zu erkennen, lehnt sich die Einteilung nach Quantität, Qualität, Relation und Bewußtseinsbezug an das Kantische Kategoriensystem an. Das Motiv für diese Anlehnung ist darin zu sehen, daß die Kantische Philosophie und mit ihr ihre Systematik zu den paradigmenbildenden zählt und aufgrund ihrer geschichtlichen 24

Vgl. Kritik der reinen Vernunft A 81 Β 107 (IV, 6 6 f ) , P r o l e g o m e n a § 39 (IV, 3 2 3 f ) .

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Einleitung: Die Auslegungsweisen des „ u n d "

Wirkungsmächtigkeit das europäische Denken maßgeblich beeinflußt hat. O h n e diese Systematik wäre weder Fichte zu verstehen, der sie in seinen Wissenschaftslehren benutzt, in der von 1794 sogar in stringenterer Weise als Kant herzuleiten versucht in einer Deduktion, die metaphysisch und transzendental zugleich sein will, noch auch Hegel, der, obzwar er in der Wissenschaft der Logik die „gewöhnliche" — sprich kantische — Einteilung verbal zurückweist, faktisch von ihr Gebrauch macht, wenngleich in modifizierter und erweiterter Form, indem er in der Seinslogik die Titel der Qualität, Quantität und, neu hinzukommend, des Maßes als Verbindung beider behandelt, in der Wesenslogik als der Sphäre der Beziehung und Vermittlung zwischen Seins- und Begriffslogik Relationalität behandelt und in der Begriffslogik den Bewußtseinsbezug thematisiert, insofern es hier auf dem Boden des Selbstbewußtseins um die Relation zwischen gewußtem Sein und Wissendem geht. Die Systematik schlägt selbst dort noch durch, wo sie kritisiert und durch andere Formen ersetzt wird 2 5 . Wie aber steht es mit der Zeit vor Kant? Es ist zuhöchst erstaunlich, daß sich die fragliche Aufteilung bereits am Anfang der Geschichte der Philosophie bei einem ihrer ersten herausragenden Vertreter, Piaton nämlich, findet, ohne daß der Schluß berechtigt wäre, Kant habe bei seiner Gliederung direkt auf diesen zurückgegriffen. Im zweiten Teil des Parmenides-Dialogs benutzt Piaton bei der detaillierten D u r c h f ü h r u n g der dort aufgestellten Hypothesen eine Art Kategoriensystem, vergleichbar der Zusammenstellung der μέγιστα γένη des Sophistes, das stereotyp wiederkehrt und lediglich im zweiten Argumentationsgang geringfügig erweitert wird 2 6 . Daß das System als ein konstantes zu betrachten ist, zeigt die Tatsache, daß Piaton es in den letzten Gängen nur noch andeutet und seine ausführliche Anwendung dem Leser oder H ö r e r überläßt mit dem Hinweis auf die Gleichförmigkeit der Durchführung 2 7 . Schon der Neukantianer und ausgezeichnete Platon-Kenner N a t o r p 2 8 hat auf die Analogie zwischen Platonischem und Kantischem System aufmerksam gemacht, zumindest was deren Grundeinteilung betrifft. So ist eine der bei Piaton vorkommenden G r u p p e n antithetischer Bestimmungen unzweifelhaft quantitativer N a t u r , und zwar die von Ganzem (όλον) und Teil (μέρος, μόριον), äußerem und innerem Teil (Anfang, Ende 25

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Wie ζ. B. im kritischen Realismus Herbarts: Psychologie als Wissenschaft. N e u gegründet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik. Zweiter analytischer Teil (1825), § 124 (VI, 129 ff). U m die Bestimmungen: Berührung und N i c h t b e r ü h r u n g . Vgl. z . B . 159a, 165d. P. N a t o r p : Piatos Ideenlehre, Darmstadt 3. Aufl. 1961, S. 249.

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und Mitte: αρχή, τελευτή — μέσον), Begrenztheit (πέρας) und Unbegrenztheit (άπειρον, άπειρία), Gestalt (σχήμα) und Gestaltlosigkeit (άνευ σχήματος). Auch die Ortsangaben des In-sich-Seins (εν έαυτω) und Inanderem-Seins (εν άλλω), der Ruhe (στάσις) und Bewegung (κίνησις) lassen sich hier einordnen, da sie auf Quantität (Einheit und Vielheit) reduzierbar sind: Das In-sich-Sein meint das In-Einem-Sein und das Inanderem-Sein das In-Mehrerem-Sein, Ruhe ist Beharrung in Einem und Bewegung, Ortsbewegung (φορά) sowohl wie Veränderung (άλλοίωσις), der Ubergang von Einem zu einem Anderen, Zweiten. Eine zweite Gruppe von Bestimmungen, zu denen Identität (ταύτόν) und Differenz (ετερον) gehören, des weiteren Ähnlichkeit (δμοιον) und Unähnlichkeit (άνόμοιον), die Identität und Differenz nicht in jeder, nur in gewisser Hinsicht bezeichnen, ferner Gleichheit (ϊσον) und Ungleichheit (άνισον), die Identität und Differenz der Zahl und dem Maße nach bedeuten, kann unter dem Titel der Qualität zusammengefaßt werden. Schließlich läßt sich eine dritte Gruppe, bestehend aus Sein und Erkenntnis, in specie den Erkenntnisakten: Benennung (όνομα), Definition (λόγος), Erkenntnis (επιστήμη bzw. γνώσις), Wahrnehmung (α'ίσθησις), Meinung (δόξα), als epistemisch klassifizieren, da es in ihr um das Verhältnis zwischen Gegenstand und Erkenntnisvermögen geht. Schwieriger dagegen gestaltet sich die Zuordnung einer Gruppe von Bestimmungen temporaler Art wie: älter (πρεσβύτερον) und jünger (νεώτερον) und gleichalt mit älter und jünger (την αυτήν ήλικίαν έχειν) zu den Kantischen Relationsbegriffen. Natorp hat dieselbe mit dem Argument zu rechtfertigen versucht, daß auch bei den Kantischen Relationsbegriffen die Zeit eine eminente Rolle spiele, insofern dieselben die Zeitordnung der Erscheinungen bestimmten. Gegen dieses Argument ist jedoch einzuwenden, daß die Zeit nicht allein für die Relationsbegriffe, sondern für alle Kategorien, sofern sie schematisiert sind, gleichermaßen basal ist und daher nicht die einen auszeichnet. Richtiger wäre es, die Analogie darin zu sehen, daß es sich bei den Platonischen Bestimmungen um Verhältnisbestimmungen in zeitlichem Gewand handelt, und zwar um die von Grund und Folge, Substanz und Akzidens; denn wegen der Eindimensionalität der Zeit muß das, was älter ist als das Jüngere, Grund von diesem und dieses seine Folge sein, und das, was gleichalt ist mit dem Älteren und Jüngeren, Substanz sowie die letzteren deren sukzessive Akzidenzien sein. Ohne die Ubereinstimmung von Platonischem und Kantischem System übertreiben zu wollen und auch ohne die Berechtigung anderer Systeme in Abrede stellen zu wollen, dürfte das Auftreten gleichartiger Einteilungen

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in Altertum und Neuzeit Indiz für die Fundamentalität gewisser Bestimmungen und für die Kontinuität des abendländischen Denkens sein 2 9 . Aus diesem Grunde schließt sich die von uns vorgenommene Hauptgliederung jener an. Was ihre Untereinteilung betrifft, so erfolgt sie im Hinblick auf die antithetische Gegenüberstellung von Einheit und Mannigfaltigkeit unter jedem Titel antithetisch. Sie fällt daher im Anschluß an Piaton dichotomisch, nicht wie bei Kant trichotomisch aus. So wie das oben explizierte System dasteht, ist es ein begriffliches. Einheit und Mannigfaltigkeit sowie deren Modifikationen stellen begrifflich faßbare Strukturen dar. Das Begreifen ist jedoch nicht die einzige Erkenntnisart, eine andere, gleich fundamentale ist das Anschauen. Es versteht sich, daß das System vom anschaulichen Standpunkt aus anders ausfallen muß als vom begrifflichen. Beider Verhältnis zueinander läßt sich dahingehend bestimmen, daß das begriffliche die logisch exakte, präzise Interpretation des anschaulichen ist, welches seiner Natur nach vage und verschwommen ausfällt 3 0 , und umgekehrt das anschauliche die Grundlage für das begriffliche bildet. Der Ubergang vom einen zum anderen System bedingt einen Wechsel im Ausgang der systematischen Kategorienexplikation. Wenn im logischen System bei der Einheit angesetzt und in Beziehung auf sie die Mannigfaltigkeit bestimmt wurde, weil das begreifbar Mannigfaltige, ob als diskrete Pluralität oder Diversität genommen, nur als Derivat, als Poten29

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Piatons System selbst hat Vorläufer in pythagoreischen und eleatischen B e g r i f f s z u s a m m e n stellungen, vor allem in Zenons Antithesen, zu denen nach den Ermittlungen von F . M . C o r n f o r d : Plato and Parmenides, L o n d o n 1939, 3. A u f l . 1951, S. 58 folgende gehören: Einheit und Vielheit Teilbarkeit und Unteilbarkeit Endlichkeit und Unendlichkeit der Zahl nach R u h e und B e w e g u n g In-sich und In-anderem Identität und D i f f e r e n z Ähnlichkeit und Unähnlichkeit B e r ü h r u n g und N i c h t b e r ü h r u n g G r ö ß e und Kleinheit Gleichheit und Ungleichheit D i e in dieser Arbeit gebrauchten Begriffe des Vagen, V e r s c h w o m m e n e n , U n b e s t i m m t e n u s w . f ü r das Anschauliche sind nicht bedeutungsidentisch mit Ungenauigkeit, sondern lediglich mit N i c h t b e s t i m m b a r k e i t : was nicht bestimmbar ist, ist d a r u m noch nicht ungenau. Letzteres setzte die G e l t u n g des logischen G e s e t z e s v o m ausgeschlossenen Dritten, d e m z u f o l g e es nur eindeutig mit sich Identisches und Widersprüchliches gibt, auch für die A n s c h a u u n g voraus. Ersteres bedeutet lediglich die U n m ö g l i c h k e i t scharfer begrifflicher B e s t i m m u n g bei N e g a t i o n des Satzes v o m ausgeschlossenen Dritten. D i e A n s c h a u u n g als im buchstäblichen Sinne prälogischer Bereich entzieht sich den Gesetzen der L o g i k .

Logisches und anschauliches Kategoriensystem

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zierung oder Differenzierung, des Einen verständlich ist, so muß im anschaulichen System umgekehrt von der Mannigfaltigkeit — es versteht sich, von der anschaulichen — ausgegangen und in Beziehung auf sie die ebenfalls anschauliche Einheit bestimmt werden. Der Grund dafür ist der, daß die Anschauung in ihrer Gesamtheit (d. h. die anschauliche Mannigfaltigkeit) die Funktion eines Ermöglichungsgrundes der begrifflichen Einheit mitsamt ihren unendlichen Vervielfältigungen und Spezifikationen hat. Die Anschauung ist principium individuationis, Medium, das Vereinzelung und Besonderung auf unendlichfache Weise zuläßt. Erfüllen kann sie diese Funktion nur, wenn sie die Form unendlicher Extension hat. Sie muß unbegrenzte Ausdehnung sein. Deren Korrelat und Gegensatz: Begrenzung, welche als Ermöglichungsgrund der begrifflichen Einheit zu gelten hat, ist aber nur im Ausgang von der unendlichen Extension verstehbar, und zwar als deren Einschränkung. Wie der begriffliche Gegensatz von Einheit und Mannigfaltigkeit auf eine Vielzahl von Auslegungsweisen deutete, so tut es auch der anschauliche von Ausdehnung und Begrenzung. So erscheint unter quantitativem Aspekt Extensionalität als U n e n d l i c h k e i t , als Erstreckung ohne Anfang und Ende, Erstes und Letztes, ohne jegliche externe Begrenzung. Da in ihrem Wesen nichts liegt, was sie limitieren und zu einer finiten Struktur machen könnte, ist Schrankenlosigkeit konstitutiv für sie. Deshalb ist auch der Versuch, sich Extension als eine äußerlich begrenzte vorzustellen, zum Scheitern verurteilt, würde er doch ihrem Wesen widerstreiten. Wenn nichtsdestoweniger der Gegensatz der unendlichen Extension unter quantitativem Aspekt als e n d l i c h e A u s d e h n u n g vorgestellt wird, so ist dies nicht anders als durch interne Begrenzung .zu erreichen, nämlich dadurch, daß ein Stück ausgegrenzt wird, das von beliebiger Größe sein kann und einer Ausweitung oder Einschränkung jederzeit fähig ist. Unter qualitativem Aspekt begegnet Extensionalität als durchgängige H o m o g e n i t ä t , als Gleichartigkeit nach allen Richtungen. Es ist die eine und selbe Struktur der Extension, die sich überall als gleichartig zeigt. Denn da Gleichartigkeit in der Einheit und Selbigkeit der Form fundiert ist, gibt es, solange diese zugrunde liegt, kein Abweichen. Einschränkung ist nur möglich als H e t e r o g e n i t ä t . Wenn Homogenität auf einer und derselben Struktur basiert, dann muß Heterogenität auf vielen und verschiedenen beruhen, deren jede für sich zwar das Kriterium der Homogenität besitzt, die zusammen aber einen ungleichartigen Komplex bilden. Eine inhomogene Anschauung ist nicht anders plausibel zu machen als

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Einleitung: D i e Auslegungsweisen des „ u n d "

durch Extensionsausschnitte, die nach außen gegen andere Extensionsausschnitte ungleichartig, nach innen jedoch gleichartig sind, die also bei Binnenhomogenität Außen-Inhomogenität aufweisen. Relational betrachtet präsentiert sich Extensionalität als K o n t i n u i t ä t , als ununterbrochener Zusammenhang. Schon dem Wortsinn nach erstellt Kontinuum, das vom lat. Verb „continere" mit der Bedeutung „zusammenhängen", „zusammenhalten" abstammt, einen Relationsbegriff, der eine Beziehung zwischen mindestens Zweien ausdrückt, allerdings eine spezielle. Sie unterscheidet sich von anderen Relationsarten, etwa der Kontiguität, dadurch, daß sie nicht eine bloße Angrenzung zweier Teile meint, die gesondert und unterschieden neben- oder nacheinander weiterexistieren, sondern eine Einswerdung derselben, eine Aufhebung alles Scheidenden und Unterscheidenden. Kontinuum steht für einen einzigen lückenlosen Zusammenhang. Begrenzung hingegen tritt unter relationalem Aspekt als D i s k r e t u m auf. Soll dies nicht zu einem internen Widerspruch führen, sondern noch einen Sinn abgeben, so kann damit nichts anderes gemeint sein als ein bestimmter endlicher Ausschnitt aus dem unendlichen Kontinuum, ein Intervall, das wegen seiner Abgrenzung gegen andere Intervalle äußerlich diskontinuierlich ist, wenngleich es innerlich einen kontinuierlichen Zusammenhang bildet. Was den epistemischen Aspekt betrifft, so ist klar, daß eine unendliche, homogene, kontinuierliche Extension nur einer entsprechend strukturierten Erkenntnisart, der A n s c h a u u n g nämlich, zugänglich ist. Ebenso muß der endlichen und in der beschriebenen Weise inhomogenen, diskontinuierlichen Ausdehnungsgröße eine spezifische Art von Anschauung zugeordnet werden, die wir als G e s t a l t w a h r n e h m u n g zu bezeichnen pflegen. Die Unterscheidung zwischen begrifflicher und anschaulicher Auffassung des strukturellen Zusammenhangs von Einheit und Mannigfaltigkeit wird für unsere Arbeit insofern von Relevanz sein, als der erste der beiden Abschnitte des aporetischen Teils die beiden möglichen Einheitsbegriffe: Einheit mit Aus- und mit Einschluß der Mannigfaltigkeit entsprechend ihrer natürlichen Zuordnung zum Verstandesvermögen und der ihm eigenen Begrifflichkeit auf logischer Ebene erörtert, also in sensu stricto als begriffliche Konzepte, während der zweite die beiden Formen von Mannigfaltigkeit: Mannigfaltigkeit mit Aus- und mit Einschluß der Einheit entsprechend deren natürlicher Zuordnung zum Anschauungsvermögen auf eben dieser Ebene diskutiert und damit im eigentlichen Sinne nicht als

L o g i s c h e s und anschauliches K a t e g o r i e n s y s t e m

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Mannigfaltigkeits b e g r i f f e , sondern als E x t e n s i o n s p h ä n o m e n e , genau zu reden, als Extension mit Aus- und mit Einschluß von Begrenzung. Auch im letzten Teil beim Versuch einer Vermittlung beider Strukturelemente im Sinne einer Gleichursprünglichkeit werden notwendig beide Aspekte in ihren Verzahnungen eine Rolle spielen. Darüber hinaus wird die Arbeit versuchen, die herausgestellten Kategoriensysteme, soweit es möglich und sinnvoll ist, in der Durchführung zu berücksichtigen, um der Komplexität der Problematik gerecht zu werden.

I. Teil Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung 1. Zur Interpretationslage Piatons Parmenides, der zum Leitfaden unserer Untersuchung dienen soll, ist trotz einer zweitausendjährigen Rezeptionsgeschichte eines der änigmatischsten Werke der philosophischen Literatur geblieben. Die Skala seiner Bewertungen reicht von der Ansicht, daß es sich bei ihm um einen bloßen Witz oder Scherz 1 , insbesondere um eine „Persiflage der EleatischMegarischen Dialektik" 2 , handle, bis hin zur Auffassung, daß hier nicht nur ein ernst zu nehmendes, sondern eines der tiefsinnigsten Werke der Philosophiegeschichte vorliege 3 . Da jede dieser Positionen ein fundamentum in re hat und sich auf interne wie externe Belege stützen kann, da zudem jede für sich in Anspruch nimmt, in unvoreingenommener Weise an den Text zu gehen und eine in sich konsistente und in das übrige Platonische corpus sich einfügende Interpretation zu erstellen, dürfte die Hoffnung auf objektive Kriterien endgültig aufzugeben sein. Dieser Umstand scheint der denkbar ungünstigste zu sein, das Werk als Folie einer an sich schon komplizierten Untersuchung zu benutzen, hat doch jeder Interpretationsversuch sich dem Vorwurf auszusetzen, nur das herauszuholen, was er selbst hineinlegt. Dennoch ist ein Werk, das dem Nachdenken über zwei Jahrtausende wichtige Impulse gegeben hat, Grund genug zur Wiederaufnahme. Da verbindliche objektive Maßstäbe fehlen, ist die beste subjektive Interpretationsmaxime noch immer die einer denkenden Auseinander1

2

3

Vgl. Frye: Plato, Nebraska 1938, S. 28: „one of the funniest things in philosophy"; A. E. Taylor: Plato. The Man and his W o r k , London 1926, 7. A u f l . 1966, S. 3 5 1 : „an elaborate j e u d ' e s p r i t " . Platons Dialog Parmenides, neu übersetzt und erläutert v. Ο. Apelt, Leipzig, 2. A u f l . 1922, S. 27. Vgl. Hegel, X I X , 79, Β. Liebrucks: Zur Dialektik des Einen und Seienden in Platons „Parmenides" in Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 2, 1947, S. 249. Eine Sammlung von Zitaten der Bewertung bei H. G. Zekl: Der Parmenides, Marburg 1971 (im folgenden zit. als 1), S. 184f und: Piaton. Parmenides, übers, und hrsg. v. H. G. Zekl, Hamburg 1972 (im folgenden zit. als 2), S. XI, X X V .

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

setzung, zumal das Werk selber dieser Maxime folgt, — auch auf die Gefahr hin, daß das Weiter- und Zuendedenken der Ansätze und Implikationen zu produktiven Mißverständnissen führt, wie man dies — ob zu Recht oder Unrecht — Hegels Parmenides-Interpretation vorgeworfen hat 4 . Freilich bedeutet eine denkende Aneignung nicht ein Hinwegsetzen über die textliche Basis und das in historisch-kritischer und philologischer Forschung Gesicherte, vielmehr nimmt sie dies zum Ausgang, um durch das explizit Gesagte hindurch zum ungesagten Eigentlichen vorzudringen, von dem her sich erst das umfassende Verständnis des Gesagten erschließt. Daher hat auch die Auseinandersetzung zwischen Denkenden vorab Stellung zu nehmen zu einem Katalog von Fragen, über die sich noch am ehesten Einstimmigkeit erzielen oder eine Abgrenzung der Gegenpositionen vornehmen läßt. Indem sich die vorliegende Untersuchung dieser Aufgabe unterzieht, wird sie zugleich ihren Einstiegspunkt und die Richtung ihrer Interpretation fixieren. Die Echtheitsfrage, die vorwiegend die historisch-kritische Forschung des 19. Jahrhunderts beschäftigte und aufgrund des Votums von Socher 5 zu zahlreichen Athetierungsversuchen führte 6 , ist heute keine ernsthaft diskutierte Frage mehr. Anlaß zur Athetierung gab die Tatsache, daß Aristoteles, der sonst alle bedeutenden Schriften Piatons namentlich erwähnt oder zitiert, den Parmenides übergeht 7 und insbesondere das an zwei Stellen (Parm. 132 a f und 1 3 2 d f f ) vorkommende Tritos-AnthroposArgument benutzt, ohne dessen Übernahme von Piaton zu markieren. Der Parmenides ist jedoch aufgrund seiner Thematik, seiner stilistischen Mittel und literarischen Anspielungen so eng mit den übrigen Werken Piatons verknüpft, daß Zweifel an seiner Echtheit unberechtigt sind: So weisen, um nur einige Beispiele zu nennen, Glaukon und Adeimantos auf die Politeia zurück, Pythodor auf den Alkibiades I (119a); die im 2. Teil des Parmenides gewählte direkte Rede ist das Stilmittel der Spätdialoge; eine literarische Anspielung auf die Politeia liegt vor bei dem in Reparatur ge4 5 6

7

H. G. Zekl (1), S. 191 und (2), S. X X V I . J. Socher: Über Piatons Schriften, München 1820, S. 2 5 8 f f . Überblick bei E. Zeller: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Bd. 2, 1, Leipzig 4. A u f l . 1889, S. 4 7 5 f , Anm. 3. Allerdings wäre Aristoteles' Abhandlung über das Eine im 10. Buch der Metaphysik nicht ohne den Hintergrund des Parmenides verständlich. Insbesondere die in ihr vorgenommene Einteilung des Einen in das κ α θ ό λ ο υ , κ α θ ' ε κ α σ τ ο ν , σ υ ν ε χ έ ς und δ λ ο ν hat ihre Wurzel in der Platonischen Einteilung, wie sie aus den ersten und letzten beiden Positionen des Parmenides hervorgeht, deren erste das abstrakte Eine, deren zweite das als Individuum auftretende Eine-Ganze, deren letzte das Kontinuum und deren vorletzte das begrenzte Kontinuum thematisiert.

Zur Interpretationslage

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gebenen Zaumzeug (Parm. 127a), das im 10. Buch der Politeia (601c) das Paradigma für Ideen bildet: wenn es jetzt zur Ausbesserung gegeben wird, so deutet sich hierin die Notwendigkeit einer Kritik an der klassischen Ideenlehre an. Auch die scheinbar unanfechtbaren Fakten wie der Tritos Anthropos gestatten eine Interpretation in einem günstigeren Licht: Jenes von Piaton wie Aristoteles gebrauchte Argument geht nach Auskunft von Alexander von Aphrodisias 8 auf eine gemeinsame Quelle zurück, den Sophisten Polyxenos, und scheint ein in damaliger Zeit geläufiges Argument gewesen zu sein. Schwerer dagegen fällt die chronologische Einordnung des Dialogs. Besteht auch Konsens darüber, daß der Parmenides aufgrund seiner im ersten Teil vorgenommenen Ideenkritik n a c h den klassischen Ideendialogen Phaidon, Symposion, Politeia, Phaidros anzusetzen ist, so bleibt doch strittig, ob er den durch Ort, Zeit, Personal und Thematik eng verbundenen Dialogen Theaitet und Sophistes sowie Sophistes und Politikos vorausgeht oder folgt 9 . Da alle Versuche, Textbelege aus dem Theaitet und Sophistes beizubringen, die auf einen bereits geschriebenen Dialog deuten, gescheitert sind — die zumeist angeführte Sophistes-Stelle 217c (vgl. auch Theaitet 183e), in der ein Gespräch des jungen Sokrates mit dem alten Parmenides erwähnt wird, kann sich auch auf eine geistige Auseinandersetzung des für Piaton stellvertretend stehenden Sokrates mit dem Eleaten beziehen; die gelegentlich genannte Sophistes-Stelle 259cd, nach der die Verwicklung in Widersprüche durch Nichtbeachtung der Hinsichten als etwas Kindisches und Philosophen Unwürdiges gilt, kann den Parmenides nicht meinen, da dieser sowohl in seinem Programmentwurf (136a und b f) wie in dessen Durchführung im zweiten Teil streng zwischen den differenten Hinsichten, dem προς αυτό und dem προς αλλο (τά άλλα), unterscheidet, seine Widersprüche also nicht durch einen Mangel an Beobachtung hervorbringt; und die ebenfalls angeführte Sophistes-Stelle 241 d, nach der es der Sophistes, nicht der Parmenides sein soll, der die im

8

9

Alexandri Aphrodisiensis in Aristotelis metaphysica commentaria, ed. M. Hayduck, Berlin 1891, p. 84, 16ff. Vor den Theaitet - Sophistes piaziert ihn ζ. Β. H . G. Zekl (1), S. 21, 196f, (2), S. XV, nach diesen B. Liebrucks, a . a . O . , S. 248f, auch: Piatons Entwicklung zur Dialektik, Frankf. a. M. 1949, s. Dialogfolge und S. 172. Eine dritte Möglichkeit, nämlich den Theaitet vor dem Parmenides - Sophistes zu lozieren, vertreten P. Natorp, a . a . O . , s. Dialogfolge und P. Friedländer: Piaton, Bd. 3, Berlin 2. Aufl. 1960, s. Dialogfolge. Aufstellung bei C.Ritter: Piaton, Sein Leben, seine Schriften, seine Lehre, 2 Bde., München 1910 und 1923, Bd. 1, S. 230f, D. Ross: Plato's Theory of Ideas, Oxford 1951, S. 2.

Piatons Parmenides als Leitfaden der U n t e r s u c h u n g

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Theaitet 1 0 angekündigte, dann aber verschobene Eleaten-Kritik leistet und ζ. B. Zekl 1 1 zum Beweis dient, im Parmenides nur eine Art eleatisches Vorspiel zu sehen, überzeugt wenig angesichts des massiven Aufgebots von Eleaten, ihres Hauptvertreters Parmenides und seines Schülers Zenon, der Behandlung der Parmenideischen These vom Einen, ganz zu schweigen vom Titel des Werks —, bleiben nur sachliche und stilistische Kriterien zur Entscheidung der Frage, die sowohl im Sinne eines pro wie contra gewertet werden können 1 2 . Plausibel ist sowohl das Argument, daß der Parmenides aufgrund der in seinem ersten Teil aufgezeigten Schwierigkeiten des Verhältnisses zwischen Ideen und Sinnendingen den U b e r g a n g von den Ideendialogen der mittleren Phase zu den Spätdialogen bildet und aufgrund der in seinem zweiten Teil aufgezeigten Schwierigkeiten des Verhältnisses der Ideen untereinander, die — wie die folgende Untersuchung zeigen wird — von derselben Art sind wie die ersten, jene im Sophistes gegebene Lösung einer absteigenden, aber ausschließlich im ideellen Bereich verbleibenden Methexis v o r b e r e i t e t , wie auch das gegenteilige Argument, daß der Parmenides die im Sophistes programmatisch entworfene Wissenschaft einer Verbindung und Trennung der Ideen und, was die generelle Verbindbarkeit der obersten Genera betrifft, erst ansatzweise gezeigte Verknüpfung, a u f g r e i f t und anhand eines Exempels in c o n c r e t o v o r f ü h r t . Da die chronologische Einordnung eines Werks auf die ihm zugeschriebefte Intention zurückwirkt und umgekehrt, wird aus diesem Zirkel schwerlich herauszukommen sein. Was die uns vorzüglich interessierende Frage nach der inhaltlichen Ausdeutung des Dialogs anlangt, so ist die Grundkontroverse zwischen ernst oder nicht ernst zu nehmendem Stück noch relativ leicht zu entscheiden. Läge nur eine Parodie, sei es der Kritiker der Ideenlehre, sei es anderer zeitgenössischer Philosophenschulen, etwa der eleatischen, vor, so handelte es sich um einen recht langweiligen Witz, bei dem sich der Autor in der

10

Theaitet 1 8 0 e - 1 8 1 b ,

11

H . G . Zekl (1), S. 3, (2) S. X V I I .

12

183c-184b.

Die stilistische B e o b a c h t u n g , daß der Theaitet gleich zu Beginn ( 1 4 3 bc) der direkten Wechselrede v o r der indirekten mit ihren störenden: „ich s a g t e " , „ e r sagte" den V o r z u g gibt,

während

der Parmenides sie erst im zweiten Teil

benützt,

weil er sich,

wie

H . G . Zekl (1), S. 197 meint, zu dieser F o r m erst aus der vielfach verschachtelten R a h m e n erzählung des ersten Teils durchringen müsse, braucht kein schlagender Beweis für die zeitliche Vorgängigkeit des Parmenides z u sein. D a die vielfache Schachtelung ein von Piaton bewußt gewähltes künstlerisches Mittel z u r Distanzierung von dem von hochverehrten Parmenides (Theait.

ihm

183 e) ist, könnte gerade sie ein Indiz für die im

Theaitet angekündigte Fundamentalauseinandersetzung mit den Eleaten sein.

Zur Interpretationslage

29

Wahl der Mittel vergriffen hätte 13 . Zudem werden die Vertreter des Eleatismus, allen voran Parmenides, als seriös geschildert, nicht nur von angenehmem Äußeren, sondern auch von geistiger Überlegenheit. Von einer ironischen Grundstimmung wie im Euthydem oder Protagoras ist nichts zu spüren. Die eigentliche Schwierigkeit beginnt erst mit der Frage, ob der Parmenides, insonderheit sein zweiter Teil, lediglich ein formales Übungsstück darstelle, dem eine tiefere Bedeutung abgehe, also eine rein intellektuelle Gymnastik 14 , oder eine Übung, der ein hintergründiger Sinn nicht mangele. Die Kontroverse durchzieht die Parmenides-Deutung seit ihren Anfängen. Schon Proklos weist in seinem Kommentar 630, 38f auf diejenigen hin, für die der Dialog nichts als eine λογική γυμνασία ist 15 , während er selbst und die neuplatonische Tradition, in der er steht, ihn geradezu mystizifieren. In der Neuzeit wiederholt sich die Kontroverse in der hohen Einschätzung des Dialogs sowohl durch Hegel, der in ihm nicht allein ein „Meisterstück der Platonischen Dialektik" 16 , sondern auch einen Vorläufer seiner eigenen sieht, wie durch den Neukantianismus, der in ihm eine Antizipation der Kantischen Erkenntnistheorie erblickt, und der kritischen Bewertung durch Apelt, Calogero, Taylor, Robinson, Ross u. a., die ihm philosophische Relevanz bestreiten. Zur letzteren Position zählt auch die jüngste bedeutende ParmenidesInterpretation von Zekl, die im zweiten Teil nichts als ein antilogisches Geflecht von Sophismen, Petitionen, Zirkeln und Verschiebungen konstatiert und ihm keinen anderen Sinn abzugewinnen vermag als den einer Kritik der Kritik, einer Decouvrierung der fehlerhaften Prämissen der im ersten Teil kritisierten falsch oder unzureichend verstandenen Ideenlehre durch deren radikale Entfaltung in absurde Konsequenzen 1 7 . Allenfalls kommt nach Zekl dem Parmenides aufgrund seines Ausschreitens von Extrempositionen, der totalen Verbindung und der totalen Nichtverbindung von Ideen, eine propädeutische Funktion für die in den Spätdialogen gegebene Lösung einer partiellen Verbindung und NichtVerbindung zu. So verschiedenartig die formalistischen Interpretationen sein mögen, überein stimmen sie in der Berufung auf die beiden Parmenides-Stellen 13 14

15 16 17

Vgl. H . G. Zekl (2), S. X X V f . U . v. Wilamowitz-Moellendorff: Piaton, Bd. 2, Berlin 1919, S. 222f, 227; vgl. C. Ritter, a . a . O . , Bd. 2, S. 85 ff., R.Robinson: Plato's Earlier Dialectic, Oxford 2. Aufl. 1953, S. 264 ff. οί τον τού διαλόγου τοϋδεσκοπον εις λογικήν ανέπεμψαν γυμνασίαν. Hegel, XIX, 79. Η . G. Zekl (1), S. 184ff, (2) S. X X V , X X I X f f .

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

1 3 5 c f und 137b, in deren erster die im zweiten Teil demonstrierte, von der gemeinen Menge als unnützes Geschwätz verschriene Dialektik als „ Ü b u n g " (γυμνασία) deklariert wird, welche für die Wahrheitsfindung Voraussetzung sei, und in deren zweiter dieselbe ein „mühevolles Spiel" genannt wird. Nicht nur nach dem common sense, auch nach Piatons Verständnis weist die Philosophie wegen ihrer Abstraktheit, ihrer Distanzierung von den konkreten, alltäglichen Bedürfnissen und dem Lebensnotwendigen spielerischen Charakter auf. Im 6. Brief (323 d) bezeichnet Piaton den „wissenschaftlichen Eifer" als die „Schwester des Spiels" 1 8 . Philosophie ist wesenhaft Synthesis aus Ernst und Spiel. Dies ist jedoch kein Grund, ihr einen tieferen Sinn zu bestreiten. So bleibt nur die Frage, ob die dialektische Übung ausschließlich den Status einer Propädeutik zur Wahrheitsfindung habe, mithin ihrem Ergebnis nach negativ bleibe, oder bereits die Wahrheitserfassung selber sei auf die der endlichen Subjektivität einzig mögliche diskursive, dianoetische Weise und damit ein positives Resultat involviere. Immerhin haben Neuplatonismus-Neukantianismus und Hegelianismus zwei, wenngleich divergierende Interpretationsmodelle zur positiven Auflösung der Frage bereitgestellt. Aus neuplatonischer Sicht 1 9 bilden die Deduktionen des zweiten Teils eine Stufenfolge von insgesamt neun Hypothesen, geordnet nach dem Schema 1 + 4 + 4, die den Prozeß zunehmender Seinsentfaltung, den sog. Emanationsprozeß, spiegeln. Die erste Hypothese nimmt eine Sonderstellung insofern ein, als sie das über alles Sein erhabene, unvordenkliche Eine, das Ureine — theologisch Gott —, repräsentiert, während die folgenden vier Hypothesen das seiende Eine und die letzten das nichtseiende Eine zur Darstellung bringen. Indem im Ausgang vom Einen oberhalb des Seins alle Bereiche eidetisch wie sinnlich strukturierter Realität bis hinab zu Schein und Nichts, welches unterhalb des Seins liegen, in Form eines Abstiegs durchschritten werden, konstituiert sich im zweiten Teil ein universales Weltsystem. Nach Wyller 2 0 hat der Dialog eine Antwort zu geben auf „ d i e F r a g e n a c h d e m U r g r u n d (dem Ein-Einen) der Grundprinzipien (des Einen und des Anderen oder des Seins) der ganzen Welt (des SeinsEinen), die aus dem All der Ideen (der seienden Einheiten) und der sinnlichen Phänomene (der einheitlichen Seienden) besteht". 18 19

20

Diesen Hinweis verdanke ich M. Theunissen. Zum Neuplatonismus zählen hier nicht nur die historischen Vertreter, sondern auch die modernen wie Wahl, Friedländer, Wundt, Speiser, Huber, Wyller, Lynch. Ε. A. Wyller: Piatons Parmenides in seinem Zusammenhang mit Symposion und Politeia, Oslo 1959, S. 181.

Z u r Interpretationslage

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Der neuplatonische Stufen- und Systemgedanke liegt in modifizierter Form auch der neukantianischen Parmenides-Interpretation zugrunde 21 . Nur tritt hier entsprechend dem Grundanliegen des Neukantianismus, die Bedingungen möglicher Erfahrung zu eruieren, die Stufung zwischen Ideen- und Sinnenwelt als eine zwischen logisch-kategorialen Bedingungen und Erscheinungen, welche unter diesen Denkbestimmungen stehen, auf. Der Vorteil der neuplatonisch-neukantianischen Stufentheorie besteht darin, auf eine der Hauptschwierigkeiten jeder Parmenides-Interpretation, nämlich die Bestimmung des Verhältnisses der beiden äußerlich wie innerlich auseinanderklaffenden Teile des Dialogs 2 2 , eine probable Lösung anzubieten, dadurch daß sie die Teile im Sinne von Problemstellung und Problemlösung deutet. Der Stufungsgedanke erlaubt ihr, die im ersten Teil aufgeworfene Frage nach der Teilhabe der Sinnendinge an den Ideen im zweiten Teil durch einen Prozeß zunehmender Integration der Ideen in die Sinnenwelt zu beantworten 23 . Hingegen stellt sich bei der konkreten Durchführung eine Reihe von Schwierigkeiten ein. Nicht nur bleibt fraglich, ob von neun verschiedenen Hypothesen 2 4 statt einer einzigen — der Parmenideischen (137b) — in ihrer positiven und negativen Fassung mit je zweimal zwei antinomischen Konsequenzen auszugehen sei, strittig ist 21

22

23

24

Vgl. P . N a t o r p , a . a . O . , S. 2 2 1 - 2 7 8 ; P. Friedländer, a . a . O . , Bd. 3, S. 1 7 3 - 2 0 0 ; W . Bröcker: Piatos Gespräche, Frankf. a . M . 1964, 2. Aufl. 1967, S. 3 8 8 - 4 4 0 . Die beiden Teile differieren 1. hinsichtlich ihrer Thematik: während der erste Teil die μέθεξις-Problematik, d. h. das Problem des Verhältnisses zwischen Ideen und Sinnendingen, behandelt, behandelt der zweite die der κοι,νονία τ ω ν ειδών, des Verhältnisses zwischen den Ideen untereinander, 2. hinsichtlich der Personen: im ersten Teil treten außer den Rahmenpersonen Parmenides, Zenon und Sokrates auf, im zweiten Teil ausschließlich Parmenides und Aristoteles, und 3. hinsichtlich des Stils: der erste Teil ist Berichterstattung, indirekte Wiedergabe, der zweite direkte dramatische Rede. Wyller, a. a. O . , S. 60ff meint eine Dreiteilung zu erkennen in eine Anabasis (Einleitung), eine Lichtwanderung (1.—3. Hypothese) und eine Katabasis ( 4 . - 9 . ) , wobei ihm das Höhlengleichnis des 7. Buches des Staates zum Modell dient. Nahegelegt wird die A n n a h m e verschiedener H y p o t h e s e n durch den Wechsel der Formulierung zwischen der ersten und zweiten Position: ει εν εστίν 137c 4 und εν εί έστιν 142b 3; c 8, ebenso zwischen der sechsten und siebenten nach neuplatonischer Zählung (160b 7, d 3; 163c 1). Proklos: C o m m e n t a r i u s in Piatonis Parmenidem, ed. V. Cousin, Paris 1864 (Nachdruck Hildesheim 1961), 1040, I f f , Ε. Α. Wyller, a . a . O . , S. 84, 105, G. H u b e r : Piatons dialektische Ideenlehre nach dem zweiten Teil des Parmenides, Diss. Basel 1950 (Wien 1951), S. 27, 30, A. Speiser: Ein Parmenideskommentar, Leipzig 1937, S. 23, 30 haben dieser Veränderung des Wortlauts den Wink auf verschiedene Ansätze entnommen. Das Wiederaufgreifen der ersten Formulierung innerhalb der zweiten Position (142c 3, c 7, 151 e 7) zeigt jedoch, daß stets dieselbe H y p o t h e s e gemeint ist.

32

Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

auch, ob das Eine der ersten Position das E i n h e i t s p r i n z i p verkörpert, das den Ideen transzendent ist (so Plotin, Proklos, Speiser, Wyller), oder die Idee der Einheit, die eine unter anderen, eine neben anderen gleichwertigen ist (so Natorp, Friedländer). Weiter fragt sich, ob die Relativität und Bedeutungsfülle der zweiten Position die des ideellen (Natorp, Bröcker) oder die des sinnlichen Bereichs oder beider zugleich (Friedländer) sei, ob es sich bei der dritten Position um eine selbständige Position oder um einen Appendix zur zweiten handle, ganz abgesehen davon, ob die in ihr enthaltene Synthesis eine zwischen dem Ureinen und dem Ideellen oder zwischen dem Ideellen und dem Sinnlichen ausmache (Friedländer), und weiter, ob das Andere der folgenden Positionen tatsächlich das den Ideen gegenüber schlechthin Andere, also das Erscheinungshafte, bedeute (Bröcker), nicht vielmehr die anderen Ideen im Unterschied zur Idee der Einheit, ob das Nichtsein der letzten Positionen Verschiedenheit im Sinne des Sophistes oder Nichtexistenz oder Schein als Sein des Nichtseins meine (Speiser). Selbst wenn diese Schwierigkeiten zur Widerlegung des neuplatonischneukantianischen Stufensystems nicht ausreichten, bleibt ein schlagender Beweis gegen sie die in 129d ff und 135c ausdrücklich erhobene Forderung, im anschließenden Ubungsteil die Trennung und Verbindung der Ideen untereinander, inklusive der kontradiktorischen, zu demonstrieren. Die Untersuchung soll sich ausschließlich im Ideenbereich bewegen. Nicht mehr soll wie in Zenons Schrift das empirische Subjekt, der Erfahrungsgegenstand, Substrat gegensätzlicher Prädikationen sein, sondern das eidetische, die Idee selbst 25 . So bleibt als positive Interpretation nur die dialektische Auslegung übrig, welche hier verfolgt wird. Vorab ist der genaue Sinn der hier gemeinten Dialektik zu klären. Von den drei Bedeutungen, die sich in Piatons Werk finden: 1. der sokratischen Dialektik, die die Kunst der Dialogführung, der Behandlung e i n e s u n d d e s s e l b e n Themas von u n t e r s c h i e d l i c h e n , ja k o n t r ä r e n Standpunkten aus, bezeichnet, 2. der Dialektik der Dihairesis und Synthesis 2 6 , die die 25

26

War die Ideenlehre im Parmenides eingeführt worden zur Auflösung des Zenonischen Paradoxes im sinnlichen Bereich, dadurch daß eine Teilhabe des einen Gegenstands an verschiedenen Ideen behauptet wurde, so soll jetzt gezeigt werden, daß sich dieselben Schwierigkeiten im ideellen Bereich bei der Teilhabe der einen Idee an den anderen wiederholen. Erstmals in Angriff genommen wurde diese im Phaidon 101 de in Form eines Aufstiegs von niederen zu immer höheren, umfassenderen Voraussetzungen bis hin zur zureichenden, dem sog. ί κ α ν ό ν , weiter ausgebaut im Dialektikprogramm der Politeia als A u f - und Abstieg innerhalb der Begriffspyramide und exemplifiziert im Sophistes.

33

Zur Interpretationslage

Einteilung der Ideen bzw. der Begriffe in Ober- und Unterbegriffe bedeutet, also die Disjunktion e i n e r u n d d e r s e l b e n Gattung in z w e i u n d n u r z w e i Arten, Α und non A, sowie deren Zusammenfassung, und 3. der Dialektik des Widerspruchs, die die Einteilung der höchsten, allumfassenden Gattungsbegriffe meint und aufgrund von deren Wechsel- und Selbsteinschluß als S e l b s t e n t z w e i u n g und - d i f f e r e n z i e r u n g und damit als Selbstwiderspruch auftritt, ist im Parmenides zweifellos auf die letzte abgehoben 27 . An zwei Stellen des Dialogs hat sich Piaton ausführlicher über die διαλεκτική τέχνη geäußert: In 136bc gibt er eine allgemeine Charakteristik dieser Methode, in 136 a erläutert er sie am Zenonischen Beispiel des Vielen (πολλά). Es heißt an der ersteren Stelle: „Was auch immer du zugrunde legst, es als seiend und nichtseiend betrachtend oder welche andere Bestimmung es sonst annehmen mag, davon gilt es die Folgen zu prüfen, die sich ergeben für das Gesetzte im Verhältnis zu sich selbst wie im Verhältnis zu einem jeden der Anderen, was du auch herausnehmen willst, und zwar sowohl im Verhältnis zu mehreren wie zu allen insgesamt. Ebenso auch, was sich ergibt für das Andere sowohl im Verhältnis zu sich selbst wie im Verhältnis zu einem anderen, was immer du herausheben willst, magst du nun das, was du gesetzt hast, als seiend voraussetzen oder nichtseiend, wenn du, vollkommen geübt, dem Wahren auf den Grund kommen willst", und in 136a: „Wenn du ζ. B. gemäß der Hypothese des Zenon vorausgesetzt hast, daß Vieles ist — was muß dann folgen für das Viele selbst sowohl in Beziehung auf sich selbst wie auch in Beziehung auf das Eine und für das Eine in Beziehung auf sich selbst wie in Beziehung auf das Viele? Und wiederum, wenn das Viele nicht ist, so ist erneut zu betrachten, was dann folgt sowohl für das Eine wie für das Viele, jeweils in Beziehung auf sich selbst wie in Beziehung aufeinander." Da dieses Beispiel das Paradigma liefert für die Gliederung des zweiten Teils, der die Untersuchung am Exempel des Einen (εν) durchführt, ergibt sich für ihn folgendes Schema: Wenn Eines ist, was folgt für das Eine

in in was folgt für das Andere in in 27

bezug bezug bezug bezug

auf auf auf auf

sich das das sich

selbst? (Nichts) Andere? (Alles) Eine? (Alles) selbst? (Nichts)

Die beiden letzteren Arten lassen sich zur Begriffsdialektik zusammenfassen, wie sie im Sophistes beschrieben wird. Diese ist die Wissenschaft von der generellen wie partiellen Verbindung und Trennung der Begriffe.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

Wenn Eines nicht ist, was folgt für das Eine was folgt für das Andere

in in in in

bezug bezug bezug bezug

auf auf auf auf

das sich das sich

Andere? (Alles) selbst? (Nichts) Eine? (Alles) selbst? (Nichts) 2 8 .

In der faktischen Durchführung dieses Programms folgt auf die erste und zweite Position, die im Verhältnis von Thesis und Antithesis stehen, eine Position, die die Funktion einer Synthesis hat. D a sie aus dem Rahmen der üblichen Einteilungen herausfällt, dürfte ihr auch herausragende Bedeutung z u k o m m e n 2 9 . 28

B. Liebrucks, a . a . O . , S. 184 hat nachweisen können, daß aus der Gliederung des Vielen in umgekehrter Richtung die Gliederung des Einen direkt folgt mit der einzigen Ausnahme einer Umstellung von erster und zweiter Position des εν. Diese Ableitung ist jedoch nur möglich unter der Voraussetzung der Identifizierung des Nichtseins des Vielen mit dem Sein des Einen und des Seins des Vielen mit dem Nichtsein des Einen. Eine solche ist jedoch keineswegs selbstverständlich, sondern beruht auf der Annahme einer vollständigen Disjunktion des Ganzen in die Teile Α und non A = B, bei der die Negation des einen Teils die Position des anderen impliziert, also die Negation des Vielen die Setzung des Einen und vice versa. In der Tat ist dies Piatons Voraussetzung, die es ihm erlaubt, von jeder der Antipoden auszugehen. Andererseits weiß Piaton sehr wohl um die Differenz zwischen Kontrarietät, Setzung des bestimmten Gegensatzes, und Kontradiktion, Setzung des unbestimmten, der restlichen, außer der negierten Bestimmung verbleibenden Sphäre, der bloßen Verschiedenheit, wie innerhalb der Deduktionen des Einen im zweiten Teil dessen Negat τά άλλα zeigt, das zunächst nur das Andere des Einen, das vom Einen Verschiedene, meint, das hinsichtlich seiner sonstigen Kennzeichen unbestimmt ist und noch keineswegs mit dem Vielen (πολλά) zusammenfällt. Die Identifikation mit dem Vielen wird erst dann zwingend, wenn mit ihm bei der Deduktion begonnen wird, da dann der Bezugsbegriff — das Eine —, der für den Sinn des „ A n d e r e n " konstitutiv ist, verlorengeht.

29

Unterstützt wird dieses Herausragen durch die Symmetrie der Ergebnisse der Positionen 1/2 und 3/4, die sich, wenn man sie mit entsprechenden positiven und negativen Vorzeichen versieht, als —l·- und Η— um die Synthesis gruppieren (vgl. P. Friedländer, a . a . O . , Bd. 3, S. 184, 193). Alle Versuche, die herausfallende Position als Korollar und bloßen Nachtrag zur zweiten zu interpretieren (F. M. Cornford: Plato and Parmenides, London 1939, 3. Aufl. 1951, S. 194ff, H . G . Zekl (1), S. 116ff), sind schwerwiegenden Bedenken ausgesetzt. Denn zum einen wird die Position 155e ausdrücklich mit τό τρίτον = „das Dritte (wollen wir durchnehmen)" eingeleitet. Und selbst wenn dieser Ausdruck angesichts des Fehlens einer Numerierung der übrigen Positionen — die Zählung ist eine Zutat der Interpreten; die Widergänge werden jeweils nur durch ein πάλι,ν gekennzeichnet — im Sinne von: „ z u m Dritten (wollen wir sagen)" übersetzt werden sollte, bleibt, daß die Position mit ihrem: μήτε — μήτε und τε — και auf die Resultate der ersten und zweiten, das Weder-Noch der ersten und das Sowohl-Als-auch der zweiten, Bezug nimmt und diese zu vermitteln sucht. Zum anderen ist die oft behauptete thematische Verflechtung mit der zweiten Position, insbesondere was die Zeit betrifft (H. G . Zekl (2), S. 162), nur äußerlich, da die Zeit hier lediglich als Beispiel eines Vermittlungsprinzips fungiert, während das eigentlich Vermittelnde nicht der zeitliche Gegenwartsaugenblick, sondern das zeitlose εξαίφνης ist, das selbst die Vermittlung der Zeitmodi noch leistet.

Zur Interpretationslage

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Wie aus dem Programmentwurf der Dialektik und den Exempeln hervorgeht, ist das dialektische Verfahren nicht auf eine bestimmte Gattungsidee oder ein bestimmtes antithetisches Ideenpaar beschränkt. Neben dem Gegensatz Einheit-Vielheit nennt Piaton in 136ab gleichberechtigt den von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, Ruhe und Bewegung, Entstehen und Vergehen, Sein und Nichtsein, womit offensichtlich ein System höchster Ideen oder γένη, wie es im Sophistes 254b heißt, angedeutet wird, zumal dieselbe Zusammenstellung auch bei Referierung der Zenonischen Schrift in 129 de begegnet und in der Deduktion des zweiten Teils, wenngleich erweitert, wiederkehrt. O b hier ein geschlossenes oder offenes System vorliegt, hat Piaton nicht ausdrücklich thematisiert. Es gibt jedoch indirekte Hinweise, die diese Frage zu entscheiden erlauben. Zählt man die acht Betrachtungsweisen des Paradigmas Vielheit mit den entsprechenden seines Oppositums Einheit zusammen sowie mit denen der übrigen Gegensätze, so resultieren bereits 80 Deduktionen. D a laut Programm (136bc) nicht nur vom Sein und Nichtsein der jeweils zugrunde gelegten Idee auszugehen ist, sondern gleicherweise von ihrer Beziehung zu allen anderen πάθη, also nicht allein von der Hypothese: „wenn Eines ist" oder „wenn Eines nicht ist", sondern auch von der: „wenn Eines identisch, verschieden, ruhend, bewegt, erkennbar, nennbar usw. ist", erweitern sich die Möglichkeiten ins Unabsehbare 3 0 . Zudem läßt die Systematik Modifikationen erkennen: Beispielsweise fügt die zweite Deduktionsreihe als neue Bestimmung Berührung-Nichtberührung hinzu 3 1 , oder es wechselt die Angabe der Gattungsideen zwischen den einzelnen Dialogen, so zwischen dem Parmenides und dem Sophistes. Ferner gilt zu beachten, daß Piaton in der einschlägigen Beschreibung der dialektischen Methode 136bc nicht sagt, man müsse a l l e generischen Ideen einer dialektischen Behandlung unterwerfen, um zur Wahrheit zu gelangen, sondern, man müsse bei einer j e d e n (εν εκαστον), die man zugrunde legt, in der beschriebenen Weise verfahren; dann werde sich die Wahrheit einstellen. Die Meinung ist offensichtlich die, daß nicht bestimmte Ideen oder Ideenpaare oder eine bestimmte Sequenz der Ideen den dialektischen Gang und die an ihn geknüpfte Wahrheit bedingen, sondern daß am Beispiel einer jeden die Wahrheit einleuchtet 32 . Mag auch die vollständige Explikation 30

31 32

M a n versteht, daß Parmenides angesichts dieses R i e s e n p r o g r a m m s vor seiner D u r c h f ü h r u n g zurückschreckt. Ebenfalls erwähnt in den beiden letzten Reihen. D a s gilt auch, wie H . G . G a d a m e r : Hegel und die antike Dialektik in Hegels D i a l e k t i k , T ü b i n g e n 1971, S. 12 gezeigt hat, für die d e m Anschein nach von der Platonischen D i a -

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Piatons Parmenides als Leitfaden der U n t e r s u c h u n g

der Wahrheit erst im Durchlauf durch alle generischen Ideen zu erreichen sein, so ist doch bereits jede einzelne ein Fall und Repräsentant derselben. Dies erklärt auch, wieso die im ausgeführten Programm auf die erste Antithese folgende Synthese paradigmatische Bedeutung für die Vermittlungen aller anderen Antithesen besitzen kann und nicht in jedem Einzelfall wiederholt zu werden braucht. Das System erweist sich damit als ein offenes und geschlossenes zugleich, offen insofern, als Zahl und Art der Ideen variieren, geschlossen insofern, als jede Bestimmung das Ganze repräsentiert. Wie die nähere Ausarbeitung des dialektischen Programms im zweiten Teil des Parmenides zeigt, verwickelt sich jede Hypothese in antinomische Konsequenzen, im Fall des demonstrierten Specimen in die des Alles und Nichts (vgl. 166c). Diese Antinomien, die sowohl aus dem positiven wie negativen Ansatz resultieren, haben ihren Grund in einem Wechsel der Perspektive. Dieser Umstand überrascht nicht wenig, da echter Widerspruch sonst nur vorliegt, wenn einem und demselben Subjekt in derselben Hinsicht kontradiktorische Prädikate in formal widerstreitenden Sätzen zugesprochen werden. Zustande kommt Widerspruch gewöhnlich durch Nichtbeachtung gewisser Bedingungen. Solche Fehlerquellen liegen entweder, bezüglich der Prämisse, in Äquivokationen und Bedeutungsnuancen, in Unfestigkeit und Schwanken des begrifflichen Sinns, der von Sprachgemeinschaft zu Sprachgemeinschaft, von Individuum zu Individuum wechselt, oder, bezüglich der Schlußweise, in der Ignoranz zeitlicher Verhältnisse oder differenter Aspekte 3 3 . Der Komplex von Bedingungen, der nach Piaton zur Vermeidung von Widerspruch einzuhalten ist, läßt sich den zahlreichen Formulierungen des Satzes vom auszuschließenden Wider-

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lektik s o verschiedene Hegeische, die in Wahrheit s o verschieden nicht ist. Zwar nimmt Hegels Dialektik ihren A u s g a n g von einer bestimmten Kategorie, dem Sein, nicht von irgendeiner, zwar beansprucht sie, eine notwendige, immanente G e d a n k e n e n t w i c k l u n g v o r z u f ü h r e n , nicht einen willkürlichen G a n g , andererseits jedoch scheut sich Hegel nicht, U m d i s p o n i e r u n g e n in der B e s t i m m u n g s a b f o l g e v o r z u n e h m e n , verschiedene dialektische Entfaltungen nebeneinanderzustellen, um der wahren Gliederung n ä h e r z u k o m m e n . U n d in dem einleitenden Abschnitt der L o g i k „ W o m i t muß der A n f a n g der Wissenschaft gemacht w e r d e n ? " betont er ausdrücklich, daß das Entscheidende nicht sei, womit der A n f a n g gemacht werde, sondern, daß das E r s t e zugleich das Letzte und umgekehrt sei und so das G a n z e präsentiert werde. N i c h t die Begriffsrelationen als solche sind das Wesentliche, sondern, daß man in einer jeden das Selbst des Selbstbewußtseins denkt, welches doch erst am E n d e in der absoluten Idee zur vollständigen logischen Darstellung gelangt. U m das v o n Piaton im Phaidon (102 b ff) gebrauchte Beispiel a n z u f ü h r e n , so ist Simmias zugleich größer und kleiner, aber nicht in derselben Hinsicht, sondern in verschiedenen, nämlich größer als Sokrates und kleiner als Phaidon.

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spruch innerhalb seines Werks entnehmen, die ihn zum Entdecker dieses logischen Grundsatzes haben werden lassen. Eine der ausführlichsten Angaben enthält eine Stelle aus der Politeia (436 b): Δηλον ότι ταύτόν χάναντία ποιεΐν ή πάσχειν κατά ταύτόν γε και προς ταύτόν ούκ έθελήσει άμα, ώστε άν που εύρίσκωμεν εν αύτοΐς ταύτα γιγνόμενα, είσόμεθα οτι ού ταύτόν ήν αλλά πλείω. Danach sind insgesamt fünf Bedingungen zu beachten: 1. die Selbigkeit des Subjekts (ταύτόν), 2. die Selbigkeit der Beziehung des Subjekts auf sich (προς ταύτόν), 3. die Selbigkeit des Prädikats (hier negativ ausgedrückt durch τάναντία), 4. die Selbigkeit der Hinsicht (κατά ταύτόν) und 5. die Selbigkeit der Zeit (άμα) 34 . „Vom Selben aber ganz unbestimmt behaupten, es sei verschieden, und vom Verschiedenen, es sei dasselbe, und vom Großen, es sei klein, und vom Ähnlichen, es sei unähnlich, und sich freuen, in den Reden immer Widersprechendes vorzubringen, das ist keine wahre Untersuchung, sondern offenkundig eine ganz unreife von einem, der das Seiende eben erst berührt hat", heißt es im Sophistes 259d. Das Festhalten nicht nur an der Identität des Subjekts und des Prädikats, sondern auch an der Identität der Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat stellt eine unerläßliche Voraussetzung zur Vermeidung von Widerspruch dar; und nur deren Ignorierung kann zu solchem führen. Angesichts dieses Sachverhalts bleibt zur Erklärung der Widersprüche im Parmenides, die sich trotz oder gerade wegen des Auseinanderhaltens von Perspektiven ergeben, nur die Alternative, daß es sich entweder um keine echten Widersprüche handelt oder um solche anderer Art, die mit der Distinktion von Hinsichten (Insofern) kompatibel sind. Eine genaue Analyse der zugrunde gelegten Hypothese εί εν εστίν vermag hier weiterzuhelfen. Die zu thematisierende und in ihre Konsequenzen zu verfolgende Idee ist nicht, wie es scheinen könnte, das E i n e , sondern das E i n e , welches i s t , das s e i e n d e E i n e . Da Sein hier pars pro toto steht, an seine Stelle gemäß dem Dialektikprogramm von 136bc also beliebige andere Genera wie Identität, Verschiedenheit, Ruhe und Bewegung, Erkennbarkeit usw. treten können, da das seiende Eine immer auch ein identisches, verschiedenes, ruhendes, erkennbares Eines usw. ist, bezeichnet der Ausdruck „seiendes Eines" einen Kosmos allgemeinster, umfassendster, wechselseitig sich implizierender Ideen, den Piaton gewöhnlich κοινονία των ειδών oder συμπλοκή oder μείξις nennt. Fungiert auch jeweils eine bestimmte Idee, wie hier das Eine, als Leitidee und Namens34

Diese Definition liegt auch der Aristotelischen Formulierung des Satzes vom auszuschließenden Widerspruch zugrunde, vgl. Metaphysik 1005 b 19 ff.

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Platons Parmenides als Leitfaden der U n t e r s u c h u n g

träger, so ist doch stets die Gesamtheit der übrigen mitgemeint. Mit diesem Ideengeflecht hat es nun die Besonderheit, daß es nach außen, in seinen Relationen zu subordinierten Ideen wie auch zu sinnlichen Entitäten, kraft der Wechselimplikation aller seiner Momente als ein sich selber gleichbleibendes, unveränderliches Ganzes auftritt, während es gleichzeitig nach innen Vielheit, Variabilität und Relationalität aufweist, welche den Grund für die Entfaltung differenter, sogar konträrer Konsequenzen entsprechend dem jeweils gewählten Aspekt abgeben. Obwohl die Widersprüche aus spezifischen Betrachtungsweisen des Ganzen resultieren, treffen sie das Gefüge in toto und konstituieren damit echte Widersprüche. Hier ist der signifikante Fall gegeben, daß die Beachtung von Hinsichten nicht nur kompatibel, sondern notwendig ist zur Explikation interner Widersprüche eines extern sich Gleichbleibenden. Die Zuspitzung zu Widersprüchen sowie deren Aufhebung im EinenGanzen — die Konstruktion einer Zweiheit in der Einheit — zeigt, daß die Dialektik des Widerspruchs nicht in Selbstaufhebung endet, sondern ein positives Resultat hat. Aus diesem Grunde ist der Selbstzerfall des Ideenkosmos, der bedingt ist durch die Bestimmtheit und Beschränktheit der Ideen und sich damit als Seins-, nicht als Geistesdialektik ausweist, nicht nur Propädeutik zur Wahrheitsfindung, nicht nur Mittel zum Zweck, sondern selbst der Zweck. Sowenig der erste Teil des Parmenides trotz der Aporien der Methexis in reiner Negativität endet — ausdrücklich heißt es 135bf: „Wenn jemand . . . nicht zugeben will, daß es Ideen von den Dingen gibt, weil er auf alle jetzt vorgebrachten Einwände und andere dieser Art hinsieht . . ., so wird er nicht haben, wohin er den Verstand wende . . ., und so wird er das Vermögen der philosophischen Unterredung gänzlich zerstören" —, sowenig endet der zweite trotz der Aporien der Koinonia in einer solchen: „ N u r im Durchgang durch alles . . . wirst du, die Wahrheit treffend, Einsicht erlangen", sagt Zenon 136e. Und dieser Durchgang, der einer durch Selbstwidersprüche ist, ist zugleich, da die Widersprüche in die Einheit eingebunden bleiben, ein Durchgang zur Positivität. Auch auf die Frage nach dem Verhältnis der beiden Dialogteile vermag die dialektische Interpretation eine Antwort zu geben. Der Dialog erscheint ihr als ein durchgängig aporetischer, in dessen erstem Teil die Aporien der Methexis und in dessen zweitem die Aporien der Koinonia behandelt werden, wobei sich zeigt, daß dieselbe Ausweglosigkeit, die für das Verhältnis der Ideen zu den Sinnendingen konstitutiv ist, im Verhältnis der Ideen untereinander wiederkehrt: So begegnet die Chorismos-Problema-

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tik 3 5 , die sich aus der Abtrennung der Ideen von den Sinnendingen ergibt und deren Selbstaufhebung nach sich zieht, in den unbezüglichen Positionen und deren Selbstwidersprüchen wieder, während die Teilhabe-Problematik 3 6 , die die Schwierigkeit der Selbstentzweiung und -differenzierung der Idee bei ihrem Eingehen in die Vielheit und Verschiedenheit der Sinnendinge (130eff) bzw. die Schwierigkeit der unendlichen Selbstpotenzierung der Idee bei Bewahrung ihrer Einheit (132af) erörtert, in den bezüglichen Thesen und deren widersprüchlichen Ergebnissen oder, genauer, deren ständig sich regenerierenden Widersprüchen wiederkehrt. Nachdem die Entscheidung zugunsten der dialektischen Interpretation gefallen ist, kann eine weitere Einschränkung vorgenommen werden. Geleitet primär nicht von einem textexegetischen, sondern sachlichen Interesse, dem es um die Erforschung möglicher Einheits- und Mannigfaltigkeitskonzepte geht, darf sich die vorliegende Untersuchung auf diejenigen Positionen beschränken, in denen solche thematisiert werden. Das ist der Fall in den ersten und letzten beiden Positionen, wobei die erste unter der Voraussetzung, d a ß E i n e s i s t , das Eine in seiner totalen Beziehungslosigkeit und Isolation von allem, in seinem reinen Fürsichsein, also mit Ausschluß des Mannigfaltigen, betrachtet, die zweite unter derselben Prämisse das Eine in seiner allseitigen Bezogenheit und Verbundenheit, also mit Einschluß des Mannigfaltigen, während die letzte Position unter der Voraussetzung, d a ß E i n e s n i c h t ist — was identisch ist mit der Voraussetzung, daß das Andere als das Eine ist —, dieses Andere in seiner Unbezüglichkeit, also mit Ausschluß seines Korrelats, und die vorletzte in seiner Bezüglichkeit, mit Einschluß desselben, diskutiert. Da die gesonderte Behandlung der genannten Positionen mit ihrer Isolation aus dem dialektischen Gesamtgefüge verbunden ist, bedarf das Vorgehen einer Legitimation. Insbesondere muß geklärt sein, ob sich die Herausnahme ohne Schaden der Positionen vornehmen läßt. Die Beantwortung der Frage wird wesentlich davon abhängen, ob das Dialektikprogramm nach Ansatz und Durchführung gesetzlos oder gesetzlich geregelt ist. Sieht es auf den ersten Blick so aus, als erfolge die Durchführung willkürlich, als sei der Ausgang von affirmativer oder negativer Hypothese, der Perspektivenwechsel von Selbstbeziehung zu Beziehung auf anderes beliebig und unbegründet und nichts weiter als das, was Hegel ein „subjektives Schaukelsystem von hin- und herübergehendem Räsonnement" 35

36

Vgl. 1 3 3 a - 1 3 5 a . In dem Abschnitt 1 2 9 d - 1 3 0 c taucht der Terminus χωρίς fünfmal kurz nacheinander auf und wird damit als Thema kenntlich gemacht. Von 130e—133a.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

(Enzykl. § 81, V I I I , 172) genannt hat, so schränkt sich bei genauerem Zusehen die Willkür ein. Deutlich wird dies insbesondere anhand einer Abhebung der Platonischen Dialektik von der Zenonischen, die Piaton selbst zu Beginn des Dialogs vornimmt. Wenn Zenons Dialektik ihrem U r sprung und ihrer Intention nach vor allem polemischer Natur ist, unternommen in der Absicht, die These der Gegner der Parmenideischen Lehre vom Einen, die Annahme vom Vielen, durch Verwicklung in Widersprüche ad absurdum zu führen, so ist Piatons Verfahren durch die Zusammennähme von Thesis und Antithesis, also durch die Komplettierung der Gegenthese durch die ursprüngliche Bezugsthese, charakterisiert. Was Piaton historisch auf Parmenides und Zenon verteilt fand, die Unterstellung des Seins des Einen und des Seins des Vielen (d. h. des Nichtseins des Einen), diese dialektische Selbstdiremption einer und derselben Behauptung wird von ihm in einem einzigen dialektischen Verfahren vermittelt. Hinzu kommt, daß die von Zenon eingeführte hypothetische Betrachtungsweise 3 7 von Piaton generalisiert wird. Nicht nur werden These und Antithese gleich behandelt, wodurch die Polemik entfällt, auch der Geltungsbereich der dialektischen Methode wird erweitert, von der Sinnlichkeit, auf die er bei Zenon restringiert war, auf das Ideelle ausgedehnt und damit die Methode zu einer von spezifischen Gegenständen und Themen unabhängigen Universalmethode erhoben. Da zur vollständigen Dialektik das Zusammen von Thesis und Antithesis gehört, spiegelt sich diese antithetische Struktur sowohl im Ganzen wie in den Teilen des Programms wider. Sie begegnet nicht nur in der Gegenüberstellung von Position und Negation der Hypothese: „wenn Eines ist" — „wenn Eines nicht ist", sondern auch innerhalb dieser in der Gegenüberstellung der Betrachtung des Angenommenen selbst wie seines Negats, des jeweils Anderen, wie auch innerhalb dieser in der Opposition von Selbstbeziehung und Beziehung auf das Andere, wobei jedesmal die Negation als Beziehung auf das Andere die Position als reine Selbstbeziehung voraussetzt 3 8 . Aufgrund dieser anti-

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Parmenides selbst hatte nur kategorisch behauptet. Die antithetischen Verhältnisse treten gestuft auf. Dabei läßt sich die interessante Beobachtung machen, daß die aus der ersten Antithese — der Beziehung auf sich (1. Position) und der Beziehung auf das Andere (2. Position) — gebildete Synthesis, die aus dem Schema des Ganzen herausfällt, sich in den nächsten beiden Positionen zerlegt in die Beziehung des Anderen auf das ihm Andere (das Eine) und die Selbstbeziehung und damit genau das verkörpert, was Hegel „Reflexion in sich" genannt hat. Denn auch deren synthetisches Resultat, das im Ausgang von einer Selbstbeziehung und im Ubergang zu einer Beziehung auf Anderes und einer Rückkehr über diese zur ersteren gewonnen wird, ist in sich ambivalent und zerfällt in die Bezüglichkeit des Ganzen (des Anderen auf das

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thetischen Struktur und nicht etwa aufgrund der antinomischen Resultate, die nur deren Folge sind, gehören jeweils zwei Deduktionsreihen in Gestalt von Thesis und Antithesis zusammen, und zwar die Reihen 1 und 2, 3 und 4, 5 und 6, 7 und 8. Hierdurch ist sichergestellt, daß in den zusammengehörigen Reihen — so auch in den von uns herausgegriffenen — gegensätzliche Konzepte von Einheit und Mannigfaltigkeit ( = das Andere als das Eine) begegnen. Zu klären bleibt nur noch, warum sich unsere Darlegung der Einheitsbegriffe gerade am ersten Positonspaar und nicht etwa am dritten orientiert, obwohl auch dieses das (negierte) Eine in seinem Selbstbezug und Bezug auf das Übrige thematisiert, desgleichen, warum die Darlegung der Mannigfaltigkeitsbegriffe dem letzten Paar und nicht dem zweiten folgt, obwohl in diesem ebenfalls das Andere in seiner Beziehung auf sich und auf das Eine thematisch ist. Es versteht sich, daß die Explikation von Einheitsbegriffen, ob mit oder ohne Mannigfaltigkeit, nur möglich ist unter der Voraussetzung der Existenz der Einheit, wie sie die Hypothese εί εν εστίν formuliert, nicht unter deren Negation εί εν μή εστίν. Daher kommt nur das erste Paar zur Exposition der Einheitsbegriffe in Betracht. Ebenso klar ist, daß die Konzepte des Anderen als das Eine, ob mit Aus- oder Einschluß des Korrelats, in ihrer Reinheit und Eigenart nur entwickelt werden können, wenn sie nicht unter dem Diktat der Einheit stehen. Dies ist ausschließlich bei der Hypothese εί εν μή εστίν der Fall. Denn sind die Konzepte des Anderen wie in der dritten und vierten Position formal wie material durch die Annahme der Einheit bestimmt, so bedeuten sie diskrete Pluralität, Vervielfältigung der Einheit. Sie bezeichnen dann das zum Einen Konträre, das von ihm abhängig ist, nicht das vom Einen totaliter Verschiedene, das allein durch Kontradiktion zu gewinnen ist. Nur Konzepte, die zwar nicht formal, wohl aber material independent sind vom Einen wie die siebente und achte Position, drücken gänzliche Verschiedenheit vom Einen aus. Obwohl die Reihen 3/4 und 7/8 nach Aufbau und Ergebnis einander parallel laufen, indizieren sie verschiedene (ideelle) Andere) und die Selbstbeziehung, die Ausgang einer neuen antithetischen Setzung ist. Offensichtlich hat Hegel hier eine bei Piaton angelegte, aber unausdrückliche Struktur aufgegriffen und zur ausdrücklichen Methode erhoben. Dagegen vermag er dem Verhältnis der Position der Hypothese zu ihrer Negation (Sein und Nichtsein) keine andere Bedeutung abzugewinnen als die der äußeren Reflexion (vgl. Wissenschaft der Logik V, 105f, Anm. 3), die den Ubergang von einem zum anderen nur aufgrund eines äußeren Vergleichs der Verschiedenheit (Nichtidentität) der Glieder der Hypothese zustande bringt. Dieser Lösung versucht er in seiner Logik mit dem Übergang von Sein zu Nichts eine andere, interne Lösung entgegenzustellen.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

Bereiche: die ersten einen durch Einheit bestimmten und die letzten einen von ihr unabhängigen. Entsprechendes gilt für die Reihen 1/2 und 5/6. Während nur die ersten beiden Einheit rein präsentieren gemäß der Annahme, daß Eines ist, weisen die beiden anderen abgeleitete Einheitsformen auf, d. h. solche, die unter dem Primat des Anderen stehen entsprechend der Annahme, daß Eines nicht und also das Andere ist. 2. Die Einheitskonzepte der ersten und zweiten Position Entsprechend dem in 136bc entworfenen und in 136a erläuterten Dialektikprogramm thematisiert der erste der ausgeführten Gänge am Specimen des Einen (137c—142a) dieses Eine προς αυτό, nicht προς άλλο bzw. τάλλα, d. h. in seiner Bezogenheit auf sich oder, wie ergänzend hinzuzufügen ist, n u r auf sich, nicht in seiner Bezogenheit auf anderes, sei es ein anderes, einiges oder alles andere. Seit Natorp 3 9 pflegt man das Thema der ersten Position als das unbezügliche Eine anzugeben. Richtig ist diese Festsetzung insoweit, als mit ihr die Unbezüglichkeit zum Anderen, zu den übrigen Genera, gemeint ist, also das Eine in seiner völligen Abstraktion und Isolation von diesen, in seinem reinen Fürsichsein. Dennoch wird dieses Fürsichsein im Text „Beziehung auf sich" genannt und damit angedeutet, daß es, wie auch immer, von der Beziehung her zu fassen ist. Beziehung, für die der griechische Ausdruck πρός steht, aber meint dem Wesen nach eine zwei- oder mehrstellige Relation, also ein Verhältnis zwischen voneinander zu unterscheidenden Relata. Selbst die moderne, von Russell und Whitehead in den Principia Mathematica entworfene Konzeption einer einstelligen Relation, die lediglich einen Gegenstand mit einem Prädikat bzw. ein Argument mit einer Funktion kennt, lebt noch von der Unterscheidung des sich Beziehenden. Da jedoch die reine Selbstbeziehung weder eine Zweiheit und Unterschiedenheit der Relata noch sonst eine Differenz erkennen läßt, scheiden zwei- und mehrstellige Relation ebenso wie einstellige als mögliche Interpretamente derselben aus. Auch die Deutung einer Beziehung auf sich auf der Basis einer Beziehung auf anderes kann nicht in Anspruch genommen werden, da die reine Selbstbezüglichkeit am Anfang des dialektischen Gefüges steht, die Beziehung auf anderes erst auf sie folgt und ihr ausdrücklich opponiert wird. Mit ihr entfällt die Möglichkeit einer internen Relation, die am Modell der Fremdbeziehung orientiert ist bzw. diese zur Grundlage hat. So kann der Terminus προς

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A . a . Ο . , S. 246, 248ff; vgl. Β. Liebrucks, a . a . O . , S. 188ff; W . Bröcker, a . a . O . , S. 4 1 0 f .

Die Einheitskonzepte der ersten und zweiten Position

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αυτό vom Standpunkt rationaler Erklärung nur via negationis gedeutet werden als Ausschluß aller üblichen Arten von Beziehung, als Zusammenfall von Beziehung und Beziehungsgliedern, als reines Beisichbleiben. Eine solche Konzeption scheint gerade der Begriff des Einen, des U n geteilten und Undifferenzierten, zu ermöglichen. Es kann nicht übersehen werden, daß die erste Position für diese Auffassung des Einen ihre Erstlingsstellung im dialektischen Gefüge ausnutzt. Während die folgenden Positionen aufgrund des Scheiterns der vorangehenden genötigt sind, genauer auf den Inhalt der Hypothese εί έν εστίν zu reflektieren, vermag die erste in naiver Unreflektiertheit von der Vermeinung auszugehen, als lasse sich das Eine rein für sich fassen, als etwas, das alle Mannigfaltigkeit in und außer sich eliminiert. Daß dies faktisch nur möglich ist aufgrund eines Vergessens der übrigen in der Hypothese enthaltenen Momente, bringt erst die zweite Position an den Tag, die die Bezüglichkeit des Einen zum Anderen zum Thema hat und dieses aus seiner Vergessenheit hervorholt. Denn die Hypothese ει εν εστίν enthält nicht nur das explizit gesetzte Eine, sondern auch das implizit mitgesetzte Sein sowie die übrigen Genera, für die das Sein stellvertretend steht, und nicht zuletzt den Setzungsakt selbst. Vor dem Hintergrund der zweiten Position erweist sich daher die erste als einseitige Verabsolutierung, die aus dem Gesamtideengeflecht, das durch das seiende Eine der Hypothese repräsentiert und zugleich in spezifischer Weise ausgelegt wird, die namen- und bedeutungsgebende Idee heraushebt unter Ignoranz der übrigen. Das in ihr erwogene Eine wird genommen als Absolutum, im wörtlichen Sinne: als von allem Losgelöstes und solcherart Hypostasiertes und darf damit, was seine Struktur betrifft, bezeichnet werden als das Eine mit Ausschluß u n d Aufhebung des Mannigfaltigen. Die Konsequenzen, die sich aus einer derart radikalen Fassung des Einen ergeben, liegen auf der Hand. Wenn Eines und nur Eines sein soll und nichts weiter außer oder in ihm, so ist damit jegliche Zweiheit sowie alles, was diese zur Grundlage hat, ausgeschlossen. Damit ist auch Prädikation ausgeschlossen, die als ein Zusprechen von etwas zu etwas zumindest zwei Instanzen erfordert. Mit der Prädikation im allgemeinen entfällt im besonderen das Prädikat des Seins. Mit seinem Ausschluß beginnt sich die Auslegung der Hypothese gegen sich selbst zu wenden, da die Existenzbehauptung in der Hypothese impliziert ist. Wird das Sein, das die Hypothese dem Einen stillschweigend zuspricht, bei Explikation der Konsequenzen demselben abgesprochen, so etabliert sich ein Widerspruch, indem zugleich behauptet wird, daß das Eine sei und nicht sei.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

Wenn hierdurch auch das Sein des Einen aufgehoben wird, so scheint doch das Einssein immerhin noch möglich zu sein und vom Widerspruch untangiert zu bleiben. Denn die begriffliche Identität des Einen, sein spezifischer Charakter, der es von anderen Ideen unterscheidet, läßt sich vom Sein aus nicht angreifen. Eines und Sein sind inhaltlich differente Bestimmungen, die miteinander kommunizieren können, deren Nichtkommunizierung aber nicht notwendig zu einer Aufhebung führt. So scheint die Annahme möglich zu sein, daß das Eine zwar immer E i n e s ist, aber nicht immer i s t . Das tiefere Eindringen in das Wesen der Idee lehrt jedoch, daß das abgesprochene Sein aufgrund seines spezifischen, von anderen Ideen wohlunterschiedenen Gehalts ein Bestimmtes, ein Etwas ist und damit notwendig auch Eines. Besteht die Leistung der Idee in der Bestimmung, im abgrenzenden Ausgrenzen, so verbindet sich mit ihr zugleich Zahlgebung. Ohne diesen Zusammenhang hätte Piaton nicht ohne weiteres im Sophistes 2 4 4 b f das Etwas (τι) — gleich, ob es sich um ein sinnliches, unter der Idee stehendes oder um ein ideelles, die Idee selbst, handelt — ein εν nennen können 4 0 . Auch im Parmenides (141 e) bildet dieser Gedankengang den Hintergrund und macht das Ansprechen der Idee des Seins als e i n e verständlich. Wenn daher das Sein negiert wird, so wird mit negiert das Einssein. Mit der Aufhebung nicht allein des Daseins (Seins), sondern auch des Soseins (Eins) entzieht sich die vorgenommene Deutung der Hypothese selbst den Boden. Indem der Widerspruch nicht länger nur das unausdrücklich gesetzte Sein, sondern ebenso das ausdrücklich gesetzte Eine betrifft (141 e), wird er total. Formal wie inhaltlich erweist sich das EinsSeiende auch als das nicht Eins-Seiende ( = das seiende Eine auch als das nicht seiende Eine). Bei vollständiger Explikation endet die Auslegung in einem totalen Zusammenbruch. Damit ist die Konsequenz der ersten Position in ihrem Grundriß aufgezeigt. Wenn Piaton eine detaillierte Ausarbeitung anschließt, so verfolgt er damit die Absicht, die Selbstwidersprüchlichkeit und Selbstaufhebung systematisch durch alle Bestimmungen des Kategoriensystems hindurch zu explizieren. Da prinzipiell Neues nicht zu erwarten steht, kann auf eine eingehende Nachkonstruktion verzichtet werden; die Argumentationsreihe soll nur soweit exponiert werden, wie nötig ist, ihren inneren Aufbau sichtbar zu machen. 40

Bemerkenswerterweise wird dort das öv ein τι und über dieses ein εν genannt.

Die Einheitskonzepte der ersten und zweiten Position

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Wenn das Eine, um der thematische Gegenstand der einseitig verabsolutierenden Auslegung sein zu können, sein Oppositum Vielheit ausschließen muß, dann legt es sich nahe zu zeigen, daß damit auch sämtliche andere Bestimmungen entfallen, die direkt von Vielheit dependieren. So sind zunächst unter q u a n t i t a t i v e m Aspekt die Folgerungen aus der generellen Abweisung von Vielheit zu ziehen. Abgesprochen werden dem Einen in einem ersten Schritt die Bestimmungen: Teil und Ganzes, welche beide ohne Pluralität nicht denkbar sind, das Ganze insofern nicht, als es stets ein Ganzes einer Vielheit von Teilen ist, der Teil insofern nicht, als er Teil neben anderen Teilen ist, die zusammen ein Ganzes konstituieren. Mit diesen Bestimmungen entfallen auch die mit ihnen unmittelbar zusammenhängenden der äußeren und inneren Teile (Anfang / Ende und Mitte) sowie die mit Anfang und Ende gegebene Bestimmung der Begrenzung, desgleichen die in Begrenzung gelegene Bestimmung: Gestalt. Negiert werden in einem weiteren Schritt die Ortsbestimmungen des In-sich-selber- und In-anderem-Seins sowie die in ihnen fundierten Zustandsbestimmungen der Ruhe und Bewegung, können doch auch diese ohne eine Mehrzahl von Instanzen nicht vorgestellt werden: In-sich-Sein und In-anderem-Sein, die ihrer Struktur nach Sein-von-etwas-in-etwas sind, setzen Zweiheit voraus, und Ruhe und Bewegung — sowohl Ortsbewegung wie Zustandsveränderung — gehen über die vermittelnde Vorstellung des In-sich-selber-Seins und -Beharrens sowie des ständigen Inanderem-Seins nicht minder auf Vielheit zurück. Daß die Negation der Vielheit und der übrigen quantitativen Bestimmungen in eklatanter Weise der Hypothese widerspricht, die neben dem expliziten Moment des Einen als zweites das implizite des Seins sowie als weitere die übrigen mitgesetzten Genera enthält und damit numerische Vielheit, Teile, deren Gesamt- und Ganzheit usw. aufweist, versteht sich. Unter q u a l i t a t i v e m Aspekt werden vom Einen ausgeschlossen die Bestimmungen der Identität und Differenz mit bzw. von sich sowie mit bzw. von anderem 41 , desgleichen die von ihnen dependierenden Bestimmungen der Ähnlichkeit und Unähnlichkeit sowie der quantitativen Gleichheit und Ungleichheit. Da sämtliche dieser Bestimmungen auf numerische Vielheit reduzierbar sind, ist in deren Wegfall auch der ihre begründet. Identität und Differenz — Entsprechendes gilt für ihre Derivate — stellen die klassischen Vergleichsprädikate dar, die mindestens zwei Vergleichs41

Das Andere wird unter qualitativem Aspekt speziell ε τ ε ρ ο ν = Verschiedenes genannt (139b) gegenüber dem nicht spezifizierten ά λ λ ο (vgl. 138a, b, 139a).

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

partner voraussetzen. So meint Identität Ubereinstimmung von etwas mit etwas, sei es mit sich oder anderem, und Differenz Verschiedenheit von etwas, sei es von sich oder anderem, wobei diese Beziehungen auch Identität und Differenz selbst betreffen können. Ubertragen auf den vorliegenden Fall, meint Identität die Ubereinstimmung des Einen mit sich und mit den anderen Genera und Verschiedenheit die Differenz des Einen von sich und von den anderen Genera. Selbstidentität und Differenz von anderem nur aufgrund des Selbstseins einer Sache werden nicht zugelassen, da die Koinzidenz von Sosein und Selbstheit zu der absurden Konsequenz führen würde, daß im Falle der Identifizierung einer Sache mit einer anderen — beispielsweise der Einheit mit der Vielheit — nicht nur Identität mit dieser (also Vielheit) einträte, sondern zugleich das spezifische Sosein der Sache (Einheit) gewahrt bliebe 42 . Sind Spezifikum und Identität verschieden, so läßt sich Identität nur erklären als Zurückkommen über anderes auf sich selbst und Verschiedenheit nur als innere Selbstentzweiung. Die Negation dieser Bestimmungen begibt sich in einen offenkundigen Widerspruch zu deren impliziter Affirmation in der Hypothese. Denn mit dem Sein des Einen ist mitgesetzt das Identisch- und Verschiedensein in sämtlichen Beziehungsarten, dies insofern, als die beiden Momente Eines und Sein sowohl identisch miteinander wie verschieden von sich selber sind aufgrund ihrer Vereinigung und Einheit, wie auch, unter der Voraussetzung dieses Struktur ganzen, jedes identisch mit sich und verschieden vom anderen. Mit den Prädikaten der Identität und Differenz in sämtlichen möglichen Relationen entfallen sinngemäß auch die Relationsbestimmungen qua tales, die als thematische Fixierungen der bisher nur benutzten Verhältnisse zwischen zwei oder mehreren Gliedern zu gelten haben. So werden unter r e l a t i o n a l e m Aspekt dem Einen abgesprochen in specie die Zeitbestimmungen: älter als . . ., jünger als . . . und gleichalt mit . . ., die gleichbedeutend sind mit: früher als, später als, gleichzeitig mit bzw. vorgängig, nachfolgend, beharrlich und deren Temporalität nur ein spezieller Ausdruck der generellen Verhältnisse von Grund, Folge und Substantialität ist 43 . 42

43

Vgl. 139d: „. . . wenn das Eine und das Einerlei gar nicht voneinander verschieden wären, dann müßte, wenn etwas einerlei geworden ist, es auch immer Eines geworden sein, und wenn Eines einerlei", - was offensichtlich nicht der Fall ist. S. Einleitung, S. 19. Zekl (1), S. 38f legt in Anlehnung an Piatons Wortgebrauch 140e die Zeitverhältnisse als Spezialfall von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, Gleichheit und Ungleichheit aus, wobei die Zeit keine andere Rolle spielt als die, den besonderen Anwendungsbereich zu benennen. Damit wird zwar die Verbundenheit der relationalen Bestimmungen mit den qualitativen betont — wie alle späteren Bestimmungen setzen sie sämt-

Die Einheitskonzepte der ersten und zweiten Position

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Wie in den vorangehenden Fällen steht auch das Absprechen der relationalen Bestimmungen in Widerspruch zu der in der Hypothese in Ansatz gebrachten Relationalität: In der Annahme des Einen, das, auf welche Art auch immer, ist, liegt die Beziehung zwischen dem Einen und dem Sein, welche als wechselseitiges Grund-Folge-Verhältnis und wegen der Wechselseitigkeit als Substantialitätsverhältnis interpretiert werden kann. Nachdem mit den quantitativen, qualitativen und relationalen Prädikaten die Gesamtheit der objektiven Bestimmungen aufgehoben ist, werden in einem letzten Schritt die auf der S u b j e k t - O b j e k t - R e l a t i o n basierenden Bestimmungen abgewiesen, zum einen das Sein (ουσία) in allen seinen Modifikationen, dem Vergangen-, Gegenwärtig- und Zukünftigsein (War, Ist, Wirdsein), zum anderen die ihm korrelierten gnoseologischen Akte: όνομα (Name), λόγος (Definition), επιστήμη (Wissen, Erkenntnis), αισθησις (Wahrnehmung), δόξα (Meinung) 44 . Der Schritt ergibt sich folgerichtig aus dem Vorhergehenden. Da das Sein, verstanden als temporales, die Gesamtheit der Zeitverhältnisse umspannt und damit auch deren Grundstruktur Relationalität mitsamt deren Implikationen, der Identität und Verschiedenheit, der Vielheit der Glieder usw., und die auf das Sein bezogenen Erkenntnisakte aufgrund ihrer Intentionalitätsstruktur ebenfalls eine Form von Relationalität bilden, müssen mit der Relation überhaupt auch Sein und Erkenntnis entfallen. Mit der Aufhebung der letzteren bricht die Hypothese in sich zusammen, ist sie doch ihrem Inhalt nach nichts anderes als ein in spezifischer Weise gewußtes Seiendes und ihrer Form nach ein spezifischer Wissensakt. In ihr wird eine gedankliche und sprachlich artikulierte Annahme von einem Seienden gemacht, die bei Negation des Gedachten und Denkens, des Gesagten und Sagens am Selbstwiderspruch kollabiert. Die Quintessenz der Leugnung nicht nur des Setzungsobjekts, sondern auch der Setzung führt dazu, daß man nicht nur über nichts spricht, sondern überhaupt nicht spricht. Mit der Negation der letzten Momente schließt sich der Kreis; denn da das Sein ( = Dasein) kraft dessen, daß es immer auch ein Sosein, ein Bestimmtes, ist 45 , als Eines auftritt und in dieser Verbindung Zweiheit verkörpert, könnte von vorn beim quantitativen Aspekt begonnen werden. liehe vorangehenden voraus —, doch bleibt das Spezifische dieser Prädikatengruppe ungedeutet. 44 Vgl. die ähnlich lautende Liste der Erkenntnisformen im 7. Brief: όνομα, λόγος, ειδωλον = Abbild, Wahrnehmung, welches der αίσθησης entspricht, und επιστήμη. Es fehlt die δόξα. 45 Dasein ist ohne Wassein (quidditas) nicht möglich.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

Die Durchführung hat damit die durchgängige Widersprüchlichkeit zwischen der thematischen Auslegung der Hypothese und ihrem faktischen Bestand sichtbar gemacht. Faßt man das in der Hypothese gesetzte Eine in verabsolutierender Abstraktion als Eines mit Ausschluß alles anderen auf, so gerät man in die Aporie, daß dieses Eine, welches f a k t i s c h p e r h y p o t h e s i n gesetzt (gedacht, erkannt, benannt usw.) ist und als solches auch ist und als Seiendes früher, später und gleichzeitig, also begründend, folgend und substantiell, und weiter identisch und verschieden in allen Variationen wie auch eines und vieles ist, gleichwohl nach den K o n s e q u e n z e n seiner spezifischen Auslegung weder eines noch vieles, weder identisch noch verschieden, weder früher noch später noch gleichzeitig bzw. begründend, folgend und substantiell ist, noch überhaupt ist, noch erkannt, benannt, erklärt, vorgestellt oder sonst auf irgendeine Weise bewußt werden kann. Die Verabsolutierung des Einen zum einfachen Einen führt sich selber ad absurdum. Versucht man, dieser Konzeption einen Sinn abzugewinnen, so kann es sich nur um einen negativ-kritischen handeln. Das Gedankenexperiment 4 6 , Eines und nur Eines anzunehmen und nichts weiter in oder außer ihm zu tolerieren, ist zum Scheitern verurteilt, da schon der G e d a n k e aufgrund der Beziehung zwischen Gedachtem und Denkakt mehr als Eines, nämlich Dualität, Diversität, Relationalität der Relata usw., enthält. Die Annahme dementiert sich selbst durch internen Widerspruch und wird dadurch zu einer nichtigen; denn das durch Widerspruch Bestimmte ist nichtig. Das Ergebnis der ersten Position ist somit die Selbstdestruktion des Gedankens einer absoluten, von allem abgelösten und als Singulum gesetzten Einheit, die nicht kontingenter-, sondern notwendigerweise erfolgt aufgrund der Nichtwegdenkbarkeit der anderen generellen, wechselseitig sich implizierenden Momente. Die Herausnahme eines Moments aus dem Gesamtzusammenhang und dessen Verabsolutierung zieht unumgänglich den Widerspruch der übrigen nach sich. Im Kontext des Dialogs wiederholt diese Position auf ideeller Ebene zwischen den Gattungsideen die aus der Einleitung bekannte Chorismos-Problematik, die dort zwischen Ideen- und Sinnenwelt auftrat. Wie dort die Abtrennung und totale Isolation der Ideen von seiten des empirischen Subjekts zur Unerkennbarkeit, von Seiten der Ideen zur Nichtbeherrschung der empirischen Welt führte, so führt auch hier die Herausnahme einer Idee, der Einheit, aus dem Kontext mit den anderen nicht allein zu deren Unerkennbarkeit, sondern auch zu deren 46

Vgl. W . Bröcker, a . a . O . , S. 412.

Die Einheitskonzepte der ersten und zweiten Position

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Nichtherrschaft über die anderen Ideen im Sinne ihrer Nichtbestimmung. In dieser Schwierigkeit wird ein generelles Strukturproblem sichtbar, das sich immer dann einstellt, wenn ein Bestimmtes, Beschränktes, Endliches aus einem Ganzen isoliert und selbst zum Ganzen hypostasiert wird. Ein Widerspruch ist dann unvermeidlich. Einhergehend mit dieser Sachproblematik hat man in der ersten Position eine Traditionskritik, insonderheit der Einheitslehre des historischen Parmenides gesehen 4 7 , so daß sich in dieser Position historisch-kritische Stellungnahme mit Sachanalyse mischte. Anlaß zu dieser Interpretation gibt der Vorschlag des Dialog-Parmenides, mit seiner eigenen Hypothese zu beginnen (137b). Der Durchführung derselben im ersten Argumentationsgang kommt aus dieser Perspektive die Aufgabe zu, auf zwei Unzulänglichkeiten der historischen Lehre hinzuweisen, zum einen auf die Inkonsequenz des Parmenideischen Gedankens vom Einen, die sich darin dokumentiert, daß dem Einen nicht nur negative, sondern auch positive Prädikate (ούλον frag. 8, 4, ταύτον τ'έν ταύτώι τε μένον frag. 8, 29, πείρας frag. 8, 31) zugesprochen werden, während bei strikter Verfolgung des Gedankens nicht einzusehen ist, weshalb dem Einen einige positive Prädikate belassen werden sollten 4 8 , zum anderen auf die Diskrepanz zwischen Intention und Ausführung des Gedankens, die sich darin manifestiert, daß zwar abgehoben wird auf ein abstraktes Eines und folglich absolut Bestimmungsloses, faktisch jedoch dasselbe den Status des Ganzen, der Totalität der Bestimmungen, hat, wie seine Kennzeichnung als πάν zeigt 4 9 . Eine Auflösung dieser Inkompatibilität von abstraktem Einen und Einem-Ganzen, von Bestimmungslosigkeit und Bestimmung, die das Parmenideische Hen zu einem Schein-Hen macht, ist nur möglich in Richtung der von der ersten und zweiten Position angezeigten Alternative, nämlich entweder in die totale Bestimmungslosigkeit und deren Selbstaufhebung oder in die totale Bestimmtheit, das konkrete Ganze. Dieser Interpretationsvorschlag bedarf jedoch einer Uberprüfung und Präzisierung. Denn streng genommen bezieht sich die Aussage des Parmenides, mit seiner eigenen Hypothese zu beginnen, nicht auf die erste Position allein, sondern auf alle insgesamt, d. h. auf das im zweiten Dialog47

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P. Friedländer, a . a . O . , Bd. 3, S. 186, Jackson, Journal of Philosophy, Bd. 11, S. 310, F. M. Cornford, a . a . O . , S. 109ff, 134. Dieser Gedanke wurde besonders von P. Friedländer, a . a . O . , Bd. 3, S. 186 herausgearbeitet. Auf diesen Aspekt hat M. Theunissen in seinem Parmenides-Seminar im WS 1976/77 aufmerksam gemacht. Jetzt zugänglich in Hegel: Sein und Schein, Frankf. a . M . 1978, S. 262f.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

teil gewählte Demonstrationsbeispiel, mit dem die Darstellung des dialektischen Gesamtgefüges begonnen wird. Die folgenden Positionen legen keine andere Hypothese zugrunde als eben die Parmenideische in positiver und negativer Setzung. Geht man von dem Faktum der durchgängigen Identität der Hypothese aus und verbindet mit ihm den Gedanken einer historischen Kritik, dann bestünde eine sinnvolle Aufgabe der diversen Positionen darin, jeweils einen anderen Aspekt der gemeinsamen Grundlage aufzuzeigen und in seine Konsequenz zu verfolgen. Genau dies ist auch der Fall. Schon im Parmenideischen Lehrgedicht frag. 8, 1—4 wird das Prinzip des Seienden oder Einen 50 durch drei Komplexe von Merkmalen charakterisiert: 1. durch άγένητον και άνώλεθρον (ungeworden und unvergänglich), 2. durch ούλον μουνογενές (ganz und einartig 51 ), 3. durch άτρεμές ούδ' άχέλεστον (unerschütterlich und nicht ohne Ziel), welche das Thema der folgenden Deduktionen benennen und dort wörtlich oder in Synonymen wiederkehren, der erste Komplex in 8, 5—21, der zweite, an dessen Stelle in 8, 5 - 6 die Trias πάν, έν, συνεχές bzw. für das letzte Merkmal in 8, 22 das Prädikat όμοΐον tritt, in 8, 22—25 und der dritte in 8, 26—33. Es schließt sich als vierter Komplex in 8, 42—49 eine Zusammenschau an, die sich des Bildes von einer begrenzten, wohlgerundeten Kugel bedient, die von der Mitte aus nach allen Seiten gleichmäßig (όμως 8, 49) ist. Von den positiven, im eigentlichen Sinne bestimmenden Merkmalen greift nun die erste Position von Piatons Parmenides das εν, die zweite das π ά ν 5 2 heraus, während

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Von der spezifischen Problematik der Identifizierung des Parmenideischen Seienden (έόν) mit dem εν durch Piaton im Parmenides und Sophistes 244bf soll hier abgesehen werden. Nahegelegt wird sie dadurch, daß in frag. 2 die die frühgriechischen Denker bewegende Frage nach einer άρχή, welche dort das unausgesprochene Subjekt des Nebensatzes δπως . . . bildet und stets als Eines zu betrachten ist, von Parmenides beantwortet wird mit dem εστίν: ή μεν [όδος] όπως εστίν τε καΐ ώς ούκ εστι μη είναι, so daß das Eine (εν) das Seiende (έόν) und das Seiende das Eine ist. Die Platonische Auslegung wäre zugleich eine indirekte Bestätigung für die Notwendigkeit, das unbestimmt gebliebene Subjekt des Satzes als εν zu bestimmen. Vgl. zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten die zusammenfassende Darstellung bei E. Tugendhat: „Das Sein und das Nichts" in Durchblicke, Festschrift für M. Heidegger, Frankf. a.M. 1970, bes. S. 134ff.

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Bei Plut., Procl. ούλομελές = „ganz in seinem Bau" (W. Kranz: Vorsokratische Denker, 3. Aufl. Berlin 1959, S. 97). Im Text selbst spielt allerdings nicht der Begriff des πάν, sondern der des δλον eine Rolle. Eine Begründung hierfür, die zugleich eine implizite Kritik am Begriffsgebrauch des historischen Parmenides einschließt, findet sich in 157de. π α ν bzw. πάντα bezeichnet das Insgesamt ohne Einheit, während das zur Einheit zusammengefaßte Insgesamt, also das All unter dem Gesichtspunkt der Einheit, wie er durch die Hypothese ει εν εστίν vorgegeben ist und auch die Voraussetzung des historischen Parmenides bildet, όλον genannt wird, όλον steht für das Ganze aus Teilen. Vgl. hierzu auch Theaitet 204aff.

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Die Einheitskonzepte der ersten und zweiten Position

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die letzte das συνεχές bzw. όμοϊον 5 3 aufnimmt und die vorletzte das begrenzte συνεχές oder όμοϊον, das den Inhalt der sinnlichen Vorstellung von der wohlgerundeten Kugel bildet 54 . Die Verteilung der Merkmale gerade auf die ersten und letzten beiden Positionen hängt mit dem oben erwähnten Umstand zusammen, daß nur sie die möglichen Einheits- und Mannigfaltigkeitskonzepte rein realisieren. Piatons Intention kann demnach so beschrieben werden, daß er sich in den einzelnen Positionen über eine kritische Auseinandersetzung mit der Parmenideischen Lehre in ein Verhältnis zu den ihr involvierten generellen Strukturmöglichkeiten des Einen, des Ganzen, des Kontinuums und des begrenzten Kontinuums 5 5 zu bringen und diese einer prinzipiellen Klärung entgegenzuführen sucht. Außer der negativ-kritischen Interpretation der ersten Position ist eine positive Sinngebung versucht worden. Im Zuge der ontotheologischen Ausdeutung des Parmenides durch den Neupiatonismus wurde das in sich widersprüchliche, nichtige Eine der ersten Position für das Höchste überhaupt gehalten, für das Ureine oder Gott, das die oberste Stufe der Hypostasen einnimmt. Das Nichtsein des Einen wurde verstanden nicht als μηδαμώς öv im Sinne des Sophistes 237b, als Nichtsein „unterhalb des Seins", sondern als έπέκεινα της ουσίας, als eines „oberhalb". Nahegelegt wird diese Deutung durch die in der Politeia gegebene Beschreibung des Einheitsprinzips, der ιδέα τοϋ άγαθοϋ, von der es 509b heißt, daß sie έπέκεινα της ουσίας πρεσβείςι καΐ δυνάμει υπερέχοντος sei. Wird das in der ersten Position des Parmenides thematisierte G e n u s des Einen mit dem systembegründenden E i n h e i t s p r i n z i p identifiziert, das wie jenes nicht nur nichtseiend, sondern auch unerkennbar ist, so legt es sich nahe, Piaton für den Begründer der negativen Theologie zu halten. In ihm haben alle bedeutenden Vertreter dieser Richtung ihr Vorbild gesehen 56 . 53 54

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56

Vgl. hierzu die späteren Ausführungen S. 63 ff. Der Bezug der siebenten Position auf frag. 8, 42—49 wird dadurch bestätigt, daß der in ihr tragende Begriff des ογκος direkt von dort (8, 43) übernommen ist. Parmenides spricht von der Masse einer wohlgerundeten Kugel. Diese Einteilung wirkt selbst noch in der Aristotelischen Einteilung im 10. Buch der Metaphysik nach, allerdings unter anderen Termen. So Plotin (Enneaden V, 1, 8), nach dem die erste Position das έν, ό κυριώτερον εν behandelt, so Proclos, der mit seinem Parmenides-Kommentar, soweit überliefert, auf die erste Position rekurriert, vgl. auch Plat. Theol. II, 4, 11, 12, ebenso Iamblichos bei Damascios Dub. et Sol., § 50, I, 101, 1 4 - 2 1 , § 5 1 , 103, 7, § 52 bis 104, 15; de princ. 43 Damascios, a. a. O . , § 44, I 87, § 53, I, 108, 8. Und wenn es in der dem Dionysius Areopagita zugeschriebenen Schrift De mystica theologia, Kap. 5 heißt: Α ύ θ ι ς δε άνιόντες λέγομεν, ώς οΰτε ψυχή έστιν, οΰτε νοϋς· ούτε φαντασίαν, ή δ ό ξ α ν, ή λόγον, ή νόησιν εχει· ούδέ λόγος εστίν, οΰτε νόησις· ουδέ λέγεται οΰτε νοείται - οΰτε άριθμός έστιν, οΰτε τάξις, οΰτε μέγεθος, οΰτε σμικρότης, οΰτε ίσότης, οΰτε άνισότης, οΰτε όμοιότης

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

Daß eine Transzendenz wie die ιδέα τοΰ άγαθοϋ weder seiend noch erkennbar noch durch ein sonstiges endliches Prädikat bestimmbar, sondern nur ex negativo durch Absprechen aller Attribute indizierbar ist, versteht sich. Denn unmöglich kann das, was Grund und Bedingung von allem ist, durch das aus ihm selber Begründete und Bedingte hinreichend erfaßt werden. Was jenseits aller endlichen Gegensätze einschließlich desjenigen von Einheit und Mannigfaltigkeit liegt, läßt sich durch keines der beiden Disjunkta, noch auch durch beide zusammen einholen, es würde sonst in die Sphäre der Endlichkeit hinabgezogen. In sensu stricto ist es daher weder seiend noch auch nichtseiend, weder eines noch auch vieles, weder identisch noch auch verschieden usw. zu nennen, von ihm gibt es nichts zu prädizieren, nicht einmal Bestimmungslosigkeit, weil auch diese eine Bestimmung ist. Da sich alles Ansprechen in Begriffen und Urteilen vollzieht, die logische Struktur der Aussage mit ihrer Subjekt-PrädikatRelation aber an ihm versagt, wird es zum ineffabile, zum schlechthin Unnennbaren und Unsagbaren. Wenn diese Negativität als Positivität und absolute Fülle gedeutet wird, als das, was man unter Gott versteht, so gibt es hierfür keinen anderen Plausibilitätsgrund als den einer religiösen oder mystischen, jedenfalls irrationalen Erfahrung. Nicht zufällig beschreibt Piaton am Ende des 6. Buches des Staates die ιδέα τού άγαθοΰ im Gleichnis — welches Ausdruck des Nichtrationalen ist —, indem er sie mit der Sonne vergleicht und beider Verhältnis zueinander als Verwandtschaftsbeziehung deutet: jene als Vater (πατήρ), diese als dessen Abkömmling (έγγονος). Der Mythos tritt genau an der Stelle auf, an der der Logos wegen seiner Diskursivität seine Grenze beweist und sich nur noch in Widersprüchen zu äußern vermag. Da den dianoetisch-dialektischen Untersuchungen des Parmenides jeder Glaubens-

ή άνομοιότης' οΰτε εστηκεν, οΰτε κινείται, οΰτε ήσυχίαν άγει, οΰτε έχει δΰναμιν, ούτε δΰναμίς έστιν, οΰτε φώσ· οΰτε ζη, οΰτε ζωή έστιν ούδέ ουσία έστίν, οΰτε άιών, οΰτε χρόνοσ· οΰδέ έπαφή έστιν αύτής νοητή· οΰτε έπιστήμη, οΰτε άλήθειά έστιν ούδέ βασιλεία, οΰτε σοφία· ούδέ εν, ούδε ένότης, οΰδέ θεότης, ή άγαθότης, ούδέ πνεϋμά έστιν ώς ήμάς είδέναι· οΰτε υίότης, οΰτε πατρότης, ούδέ άλλο τι των ήμίν ή άλλφ τινί των δντων συνεγνωσμένων ούδέ τι των ούκ δντων, ούδέ τι των δντων έστιν, ούδέ τά όντα αύτήν γινώσκει fj αύτη έστιν ούδέ αύτη γινώσκει τά όντα ή δντα έστίν ούδέ λόγος αύτής έστιν, οΰτε όνομα, οΰτε γνώσις· ούδέ σκότος έστίν, ούδέ φώσ· οΰτε πλάνη, οΰτε άλήθεια' ούδέ έστιν αύτής καθόλου θέσις, οΰτε άφαίρεσις· άλλά των μετ' αύτήν τάς θέσεις καί άφαιρέσεις ποιοϋντεσ αύτήν, οΰτε τίθεμεν, οΰτε άφαιροϋκεν έπεί καί ύπέρ πάσαν θέσιν έστιν ή παντελής καί ένιαία των πάντων αιτία, καί ύπέρ πάσαν άφαίρεσιν ή υπεροχή τοΰ πάντων άπλώς άπολελυμένου καί έπέκεινα των δλων, so ist bis in den Wortgebrauch hinein (s. das ούδέ, οΰτε — οΰτε und die negierten Prädikate) das Vorbild der ersten Position spürbar.

Die Einheitskonzepte der ersten und zweiten Position

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horizont und mystische Untergrund fehlt, bleibt sein Ergebnis in der ersten Position rein negativ. Nachdem die Auslegung der Hypothese im Sinne einer reinen Selbstbeziehung des Einen gescheitert ist, legt es sich nahe, die gegenteilige Möglichkeit zu erwägen, die Beziehung des Einen auf das Andere. Dies ist auch der nach dem allgemeinen Dialektikentwurf von 136a und bc vorgesehene nächste Schritt (142b—155e). Mit der Beziehung zwischen verschiedenen Relata ist hier nicht ein nachträgliches In-Beziehung-Setzen für sich existenzfähiger Instanzen gemeint, da sich deren reines Fürsichsein selbst widerlegt hat. Insofern steht die Herstellung der Beziehung nicht im Belieben des Subjekts, so daß sie erfolgen, aber auch unterbleiben kann. Nicht um eine bloße Addition, eine willkürliche Kombination von Momenten handelt es sich, sondern um ein ursprüngliches Angelegtsein derselben aufeinander, das zu ihrem Wesen gehört und ohne das sie nicht sie selbst wären. Die Beziehung ist keine äußerliche, sondern innerliche. Diesem Umstand verdankt sich, daß die hier intendierte Relation als ursprünglich vermittelndes, einheitsstiftendes Band zweier notwendig zusammengehöriger Relata, als Verbindung zweier von Natur aus einander zugewandter Glieder oder, noch anders, als Einheit einer internen Zweiheit beschrieben werden kann. Hatte sich die Deutung des Einen als einfaches Eines selber ad absurdum geführt, so ist es nurmehr konsequent, das Eine jetzt als synthetische Einheit zu bestimmen. Wenn die erste Position das Eine mit Ausschluß des Anderen, der übrigen Genera, thematisierte, so hat die zweite das Eine mit Einschluß desselben zum Thema. Sie ist ein Paradigma für einen Begriff von Einheit, der Mannigfaltigkeit in sich schließt. Da dieser Einheitsbegriff prinzipiell anders strukturiert ist als der der ersten Position 57 , drängt sich die Frage auf, ob hier eine Bedeutungsverschiebung vorliege, möglicherweise sogar eine Hypothesenverschiebung, zumal im zweiten Deduktionsgang die Hypothese nicht mehr die Form εί εν εστίν, sondern die εν εί έστιν hat (ζ. Β. 142b). Da jedoch innerhalb dieses Gangs an den Stellen 142c 3, c 7, 151 e 7 die alte Formulierung wiederkehrt, dürfte ein Hypothesenwechsel mit Sicherheit auszuschließen sein und die Formulierung lediglich den Sinn haben, das von der ersten Position zwar benutzte, aber nicht reflektierte Moment des εστίν durch Akzentuierung ins Bewußtsein zu heben. Obwohl beide Positionen dieselbe Basis haben, zeichnet sich die zweite vor der ersten durch Reflexion auf den 57

Auch F. M. Cornford, a . a . O . , S. 109 spricht von „ t w o different senses", ebenso unterscheidet W. F. Lynch: An Approach to the Metaphysics of Plato through the Parmenides, Georgetown 1959, S. 100 „different features of unity".

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

Inhalt derselben aus. Doch auch jetzt bleibt noch die Frage, ob die Bewußtmachung einer Bedeutungsverschiebung gleichkomme oder nicht. Die Frage muß bejaht werden; denn da der Betrachtung stets dieselbe συμπλοκή τών γενών zugrunde liegt, die ihre wechselnden Namen und Bedeutungen von dem jeweils thematischen Aspekt erhält, unter dem sie betrachtet wird, muß auch der Perspektivenwechsel innerhalb eines bestimmten Genus von dessen Fürsichsein zu dessen Bezüglichkeit zu den anderen Genera als Bedeutungswandel aufgefaßt werden. Die Konsequenzen dieser Konzeption sind unschwer abzusehen. Stellt das Eine ein relationales Gefüge von der Art eines Ganzen aus Teilen dar, so gilt dies per definitionem auch für die Relata. Sind sie Bezogene einer Beziehung, ohne jemals aus dieser in ein reines Fürsichsein heraustreten zu können, so müssen sie selbst eine Beziehung aus Bezogenen sein und für ihre Bezogenen muß dasselbe gelten und so in infinitum 5 8 . Diese in Form eines unendlichen Regresses sich vollziehende Selbsteinschachtelung des Relationsgefüges hat ein Pendant in der unendlichen Selbstausschachtelung. Bei Verfolgung des Vorgangs in umgekehrter Richtung ist nämlich das Eine, von dem ausgegangen wird und das ein relationales Gefüge darstellt, als Relatum aufzufassen, zu dem ein zweites gehört, mit dem zusammen es in einem neuen, höherstufigen relationalen Gefüge vereint ist, für das dasselbe gilt, nämlich Relatum einer Relation zu sein und so beliebig fort. Das relationale Ganze als Vermittlung einer Zweiheit läßt sich nach beiden Seiten immer weiter hinausschieben, indem es „abwärts" Endpunkt einer Vermittlung zweier Instanzen und „aufwärts" 5 9 Ausgangspunkt einer neuen ist. Die Schwierigkeit ist hier nicht wie in der ersten Position eine Selbstwidersprüchlichkeit und -aufhebung der These, sondern ein infiniter Regreß bzw. Progreß. Widerspruch kommt nur insofern und insoweit vor, als er bewußt und ausdrücklich in den Ansatz des Einen als Vereinigung zweier sich ausschließender Instanzen, Α und non A (des Einen und des Anderen), eingebracht ist. In ihm ist er, um einen Ausdruck Hegels 6 0 zu gebrauchen, „aufgehoben" in dem Doppelsinn von 58

Richtig gesehen wird dieser Sachverhalt von B. Liebrucks, a . a . O . , S. 195f, gänzlich unverstanden bleibt er bei H . G. Zekl (1), bes. S. 50£, wenn er in dem Ausdruck des seienden Einen der Hypothese (εν öv) einen Komplex aus zwei Bestandteilen: dem Einen und Sein erblickt, der, in seine Teile zerlegt, nicht mehr εν öv bzw. öv £v, sondern nur £v und öv ergibt, folglich auch nicht beliebig viele Teilungsoperationen zuläßt, sondern nur eine einzige.

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Abwärts und aufwärts, Regreß und Progreß, Selbsteinschachtelung und Selbstausschachtelung sind insgesamt nur Metaphern für die zwei Seiten desselben Vorgangs. V, 114.

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„bewahrt" wie „überwunden". In demselben Maße, in dem das Widersprüchliche sich aufhebt, regeneriert es sich und konstituiert in diesem permanenten Wechsel einen unendlichen Prozeß. Widerspruch existiert hier nur in Form ständiger Neugeneration oder, wie Piaton 6 1 die Schwierigkeit ausgedrückt hat, in Form des niemals Eins-Seins, sondern immer ZweiWerdens. Einen konkreten Anhalt findet diese Interpretation darin, daß das Ergebnis der zweiten Position nicht das Nichts (ουδέν), die Nichtigkeit der Selbstaufhebung des sich Widersprechenden, ist wie in der ersten Position, sondern das Alles (πάντα) 6 2 . Der Begriff „Alles" bezeichnet nicht das kontradiktorische Gegenteil des Einen im Sinne von dessen Ausschluß, sondern den konträren Gegensatz, der das Eine einschließt, dadurch daß er dessen unendlichfache Vervielfältigung ausmacht. Das Resultat der zweiten Positon läßt sich demnach auf die Formel bringen, daß das Eins-Sein Alles-Sein ist (das seiende Eine — das seiende Alles). Insofern das Alles-Sein im Eins-Sein enthalten ist, expliziert die Konsequenz nur das in der Hypothese Angelegte, indem sie die Bezogenheit des Einen nicht nur auf das Sein, sondern auf alle Genera überhaupt, für die dieses stellvertretend steht, ausdrücklich macht. Denn ist im Einen Vielheit impliziert, so ist mit impliziert Prädikation und damit nicht allein die Prädikation des Seins, sondern auch die der übrigen Bestimmungen. In der zweiten Position kehrt die Schwierigkeit der Teilhabebeziehung wieder, die aus dem ersten Teil des Parmenides bekannt ist, nur daß sie dort im Verhältnis zwischen Ideen und Sinnendingen auftrat, während sie hier im Verhältnis der Ideen untereinander inklusive der höchsten begegnet. Nicht zufällig ersetzt Piaton gleich zu Beginn der Reihe in 142 b die Existenzaussage (εν εί εστίν) durch die prädikative der Teilhabe (ουσίας μετέχειν) und benennt damit das Thema dieses Deduktionsgangs. Teilhabe, gleichgültig, ob von seiten des Einen oder der übrigen Genera betrachtet, ob als Eingehen des Einen in die anderen und Bestimmen derselben oder als Teilnehmen der anderen am Einen und Bestimmtwerden durch es, führt in jedem Fall zur Selbstentzweiung und -differenzierung des Einen, wie dies bereits in 131 äff gezeigt worden ist, wo Piaton das Problem der Selbstzerspaltung und -Unterscheidung im Verhältnis der jeweils e i n e n Idee zu den vielen, verschiedenartigen Sinnendingen explizierte. Wird dagegen in den Teilhabebeziehungen zwischen dem Einen und den anderen Genera am Begriff des Einen als dem einheitsstiftenden Moment festgehalten, so stellt sich, da das Eine in jedem von ihm Bestimm61 62

143a. Vgl. 160b.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

ten g a n z ist und ein Ende im Bestimmen nicht abzusehen ist, unweigerlich der Regreß bzw. Progreß ein, eben jene Schwierigkeit des Tritos Anthropos, die Piaton in 132af und de im Verhältnis zwischen Idee und Sinnending abgehandelt hat. Die Schwierigkeiten betreffen ein prinzipielles Strukturproblem, das mit der Relation überhaupt gegeben ist. Was bisher rein abstrakt aus einer Analyse des Einheitsbegriffs der zweiten Position gewonnen wurde, soll im folgenden in concreto an einigen Argumenten der zweiten Reihe belegt werden. Da die Argumente von unterschiedlicher Valenz sind, die einen die Regreß- bzw. Progreßstruktur mehr, die anderen weniger verdeutlichen, seien die markantesten Fälle herausgegriffen. Einer der schlagendsten Beweise findet sich gleich zu Beginn der Reihe in der Erörterung des Teil-Ganzen-Begriffs (142cff), dies nicht zufällig, da die Beziehung zwischen Ganzem und Teil diejenige war, die schon in der bisherigen Analyse des Einheitsbegriffs die Grundstruktur bildete. Sie liefert ganz allgemein das Modell für die Einheitskonzeption dieser Position. Folglich ist in dem von der Hypothese genannten seienden Einen ein Ganzes aus Teilen, aus εν und ουσία, zu erblicken. Der in 142 d substituierte substantivische Ausdruck εν öv macht dies noch deutlicher. Da jeder dieser Teile selbst wieder ein Ganzes aus Teilen darstellt, sofern jeder einer und seiend ist, das Eine ein Seiendes und das Seiende Eines, und jeder dieser Teile wiederum ein Ganzes aus Teilen, iteriert sich das Argument ins Unendliche. Auf jeder Stufe wiederholt sich dieselbe Struktur. Einheit, verstanden als Ganzes aus Teilen, enthält daher nicht nur Z w e i h e i t , sondern u n b e g r e n z t e Zweiheit, Vielheit oder, wie Piaton in einer Steigerung sagt, unendliche Menge (άπειρον τό πλήθος 143 a), wobei Unendlichkeit hier wegen der Unterscheidbarkeit der Teile im Sinne von abzählbarer Unendlichkeit zu verstehen ist. Allerdings macht diese Selbsteinteilung nur die eine Seite des Vorgangs aus, dessen andere in 143 äff in Form eines Aufbaus der natürlichen Zahlenreihe ergänzt wird. Es handelt sich bei diesem nicht, wie oft angenommen wird, um ein bloßes Duplikat der ersten Argumentation 6 3 oder um einen zweiten selbständigen Beweis 6 4 , der sich durch seinen Ausgang vom abstrakten, nicht vom seienden Einen unterscheidet; denn eine solche Behandlung paßt schlicht nicht in den Rahmen der zweiten Position; vielmehr handelt es sich um die komplettierende, in genau entgegengesetzter

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Vgl. H . G . Zekl (1), S. 51 f. Vgl. P. Natorp, a . a . O . , S. 252.

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Richtung verfahrende Beweishälfte. Das wird daraus deutlich, daß dieser Argumentationsgang nicht wie der erste vom Zusammen der Teile, ihrer Ganzheit, ausgeht und diese in den isolierten Teilen wiederentdeckt, sondern umgekehrt von der Isolation der Teile und gleichwohl deren Zusammengehörigkeit und Ganzheitsstruktur nachweist. Bei gleichem Ergebnis ist die Verfahrensweise eine inverse. Während sich der Ausgangspunkt der ersten Beweishälfte, das seiende Eine oder das Eins-Seiende (εν öv), schon äußerlich als Ganzes von Teilen zu erkennen gibt, geht die zweite Hälfte von scheinbar atomaren Teilen aus, die die διάνοια aus ihrem Verband herausgelöst hat und nun in ihrem reinen Selbstsein und in ihrer inhaltlichen Integrität auffaßt: von dem vom Sein abstrahierten Einen wie von dem vom Einen abstrahierten Sein. Die genauere Analyse lehrt jedoch, daß die Abtrennung und Unterscheidung die Idee der Verschiedenheit voraussetzt. Denn nicht schon aufgrund des Selbstseins ist das Eine vom Sein und das Sein vom Einen verschieden, sondern erst aufgrund der Idee der Verschiedenheit, so daß sich scheinbar reines Selbstsein entpuppt als Zusammen von Selbstsein und Verschiedensein. Das reine Eine — Entsprechendes gilt für das reine Sein — stellt ein άμφω (άμφοτέρω) 6 5 , ein „Beides", dar, und zwar aus Einheit und Verschiedenheit, das, vom Inhalt abstrahiert, „Zwei" bedeutet und sich zerlegen läßt in die beiden εκαστον (έκάτερον) 6 6 Einheit und Verschiedenheit, die, wiederum formalisiert, je „Eins" ausmachen. Da es außer dem άμφω aus Einheit und Verschiedenheit (bzw. Sein und Verschiedenheit) beliebige andere Bestimmungen gibt, die zu einem άμφω zusammentreten können, muß es möglich sein, dieselben mit jenem zu kombinieren. Wird zu einem spezifischen άμφω eine neue spezifische Idee, die formaliter eine Einheit ist, hinzugefügt, so resultiert etwas Neues, der Form nach die Zahl „Drei". Strukturell ist sie eine Verbindung (συντεθέντος 143d) aus dem ersten άμφω und der hinzugefügten neuen Idee. Entsprechend der Ambivalenz des Verbindungsbegriffs, welcher ein Ausdruck für z w e i Instanzen, also eine Einheit einer Zweiheit, ist, tritt jede Verbindung nach außen als Ganzes, Einheitliches und Einheitsstiftendes und nach innen als aus Teilen bestehend auf. Da sich der Additionsvorgang auf die beschriebene Weise durch Hinzufügung jeweils einer neuen, Einheit repräsentierenden Idee beliebig fortsetzen läßt, weist jedes Glied resp. jede Zahl der unendlichen Reihe trotz ihres spezifischen Inhalts und ihrer spezifischen Ordnungs-

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Vgl. 143 c, d. Vgl. 143 c, d.

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nummer dieselbe Form auf: Abwärts ist sie ein Zusammen aus Gliedern und aufwärts Ausgangspunkt eines neuen Zusammen. D a diese Struktur auch vor dem abstrakten Einen nicht haltmacht, denn auch dies zeigte sich als ein άμφω, ist hiermit die Relativität aller Zahlen erwiesen. Jede kann zugleich als Ausgangs- wie Endpunkt der Zählung genommen werden, als Eines u n d Vieles bzw. unendliche Menge. Die übrigen von Piaton angeführten Konstruktionsverfahren zur Erzeugung der Zahlen, etwa die Multiplikationsarten, können übergangen werden, da sie auf das Additionsverfahren reduzierbar sind. Hält man beide Aspekte des Prozesses, den progressiven und regressiven, zusammen, so läßt sich die Reihe der Zahlen nach beiden Seiten ins Unendliche erweitern, indem sowohl der Teil (das Eine) wie das Ganze (das seiende Eine) das Gegenteil an sich hat. Es versteht sich, daß sämtliche Bestimmungen, die in dem Verhältnis von Ganzem und Teil gründen, das sich als die generelle Struktur der Zahlen herausgestellt hat, denselben Schwierigkeiten unterliegen. Dies gilt beispielsweise für die Bestimmungen der Begrenztheit und Unbegrenztheit. Denn da das Ganze ein einheitsstiftendes Prinzip ist und als solches ein Umfassendes, Umschließendes, das Begrenzung mit sich bringt, und die in ihm gelegenen Teile Prinzipien der unbegrenzten Zweiheit oder Vervielfältigung sind, insofern jeder Teil wieder in Teile zerfällt, iterieren sich mit jedem neuen Ganzen und seinen Teilen, d. h. mit jeder neuen Zahl, auch die Momente der Begrenztheit und Unbegrenztheit, und dies ins Unendliche. Nicht weniger gelten Regreß- und Progreßstruktur für die Bestimmungen des In-sich- und In-anderem-Seins sowie der Ruhe und Bewegung, da auch sie im Verhältnis von Ganzem und Teil fundiert sind. „ I n sich" kann das seiende Eine der zweiten Position, das sich sowohl als Ganzes wie als Gesamtheit der Teile erwiesen hat, insofern genannt werden, als es mit der Gesamtheit seiner Teile im Ganzen ist, und „in anderem" insofern, als es in der Funktion des Ganzen nicht in den Teilen, weder in einem noch einigen noch allen, enthalten ist, folglich in einem Anderen enthalten sein muß. Denn was als umfassendes Ganzes von Teilen in Erscheinung tritt, kann nicht Bestandteil seiner eigenen, in ihm verbundenen Teile sein, sondern nur Bestandteil eines anderen, umfassenderen Ganzen. Für dieses Andere aber besteht die Argumentation fort, nämlich daß es a) ein Ganzes und b) die Gesamtheit der Teile ist und daher sowohl in sich wie in anderem ist und so fort. Die Bedeutungsdifferenz, von der Piaton hier Gebrauch macht, läßt sich explizieren an dem Unterschied von Summe als Additionsvorgang

D i e Einheitskonzepte der ersten und zweiten Position

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und Summe als Additionsergebnis. Zwar ist das Addieren Voraussetzung und somit analytisches Implikat des Resultats, nicht aber umgekehrt das Resultat Voraussetzung und analytisches Implikat des Zusammennehmens 6 7 . Nichtsdestoweniger kann das Resultat den Ausgang einer neuen Addition mit einem neuen Resultat bilden und so fort. Was Ruhe und Bewegung anlangt, so sind sie über das In-sich- und In-anderem-Sein mit der Struktur von Teil und Ganzem vermittelt und teilen folglich deren Schwierigkeit. Das seiende Eine ruht, sofern es immer in sich ist, und bewegt sich, sofern es immer in anderem ist. Gemeint ist, daß es, was die Beziehung seiner Teile zum Ganzen betrifft, ein definitiv Fixiertes, mithin Ruhendes ist, und was seine Beziehung als Ganzes zu anderem betrifft, ein in Abhebung von diesem Begriffenes und so über sich Hinausweisendes. D a die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit von Fixierung und Transzendierung bei dem Anderen fortbesteht und so bei jedem Anderen ins Unendliche, rechtfertigt sich hierdurch die Verwendung des αεί in der Definition von Ruhe und Bewegung als Immer-in-sich- und Immer-in-anderem-Sein. Denn nicht schon durch das bloße In-sich- und In-anderem-Sein wird das „ i m m e r " legitimiert, sondern erst dadurch, daß der Sachverhalt für jedwedes Ganze mit Teilen gilt. Das Immer-in-anderemSein oder die Bewegung ist damit Ausdruck des Progresses bzw. Regresses selbst 6 8 . Wenn auf die q u a n t i t a t i v e Behandlung des seienden Einen die q u a l i t a t i v e mit ihren Bestimmungen der Identität und Differenz, Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, Gleichheit und Ungleichheit, jeweils in Beziehung auf sich und auf anderes, folgt, ist wegen des Fundierungsverhältnisses ebenfalls Prozeßstruktur zu erwarten. Betrachtet man die Argumentationen der einzelnen Thesen im Blick auf diese Basis, insbesondere auf das In-sich- und In-anderem-Sein und über diese auf das Verhältnis von Ganzem und Teil, so erscheint das, was der bisherigen Forschung ein

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Kant hat den hier intendierten Sachverhalt in der K d r V Β 15 f (III, 37) und in den Prol. § 2 (IV, 268 f) a m Summenbeispiel 7 + 5 = 12 erläutert. Wohl enthält der Begriff der S u m m e 12 den Begriff der Vereinigung aus 7 + 5, nicht aber umgekehrt der Begriff der Vereinigung aus 5 + 7 den Begriff der S u m m e 12. D i e Frage des synthetischen oder analytischen Charakters dieses Satzes bildet allerdings ein Streitobjekt zwischen K o n s t r u k t i v i s m u s und Axiomatismus. D i e bisherige F o r s c h u n g (P. N a t o r p , a . a . O . , S. 253, A . Speiser, a . a . O . , S. 32, F . M . C o r n f o r d , a . a . O . , S. 1 5 0 f f , Zekl (1), S. 6 5 f , (2), S. 151) hat in d e m Schluß von I m m e r in-anderem-Sein auf B e w e g u n g nichts als eine Subreption zu sehen vermocht, die auf einer Bedeutungsverschiebung von Immer-in-anderem-Sein zu In-immer-anderem-Sein beruht.

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undurchdringliches Rätsel geblieben ist, in einem evidenten Begründungszusammenhang. Dies sei an einem Beispiel demonstriert. Sofern das seiende Eine mit der Gesamtheit seiner Teile im Ganzen ist, ist es in sich und mit sich identisch, und sofern es als Ganzes nicht in der Gesamtheit seiner Teile sein kann, sondern in einem Anderen sein muß, ist es von sich verschieden. Allerdings erfolgt im Text selbst die Begründung der ersten These nicht positiv, sondern negativ durch Ausschluß von Selbstverschiedenheit, welche Selbstteilung zur Basis hat: Für das Eine qua Eines kann letztere nicht zutreffen, da es zu sich weder im Verhältnis des Teils zum Ganzen noch des Ganzen zum Teil steht. — Sofern das seiende Eine als Eines und Ganzes dem Anderen, Nicht-Einen, gegenübersteht und sich von ihm abhebt, ist es von ihm verschieden, und sofern es mit der Gesamtheit seiner Teile in ihm ist, ist es auch wieder mit ihm identisch. Wiederum wird im Text selbst, diesmal die letzte These, nicht positiv erwiesen, sondern via negationis erschlossen durch Zurückweisung der Verschiedenheit von Einem und Nicht-Einern (Anderem). Denn weder können Eines und Nicht-Eines durch sich selbst verschieden sein, da Verschiedenheit eines Etwas von einem anderen Etwas die Idee der Verschiedenheit voraussetzt, noch durch eben diese Idee, da Eines und Nicht-Eines rein für sich ohne Teile und Bestimmungen und folglich ohne die Idee der Verschiedenheit sind, noch können sie im Verhältnis von Ganzem und Teil stehen, da dem Nicht-Einen Zahlcharakter mangelt, der die Bestimmung von Ganzem und Teil allererst ermöglicht. Dadurch daß die Selbstidentität des seienden Einen aus der Negation der Selbstdifferenz gewonnen wird und die Selbstdifferenz aus der Negation der Selbstidentität und ebenso die Differenz des Einen und Anderen, Nicht-Einen, aus der Negation ihrer Identität und ihre Identität aus der Negation der Differenz, vollzieht sich ein ständiger Ubergang innerhalb eines identischen Ganzen differenter Teile, der über die Differenzierung des Ganzen in die Teile des Einen und Anderen und deren Identifizierung zugleich eine Rückkehr zu sich ist, die sich beliebig wiederholen läßt, ohne daß Piaton diesen Fort- bzw. Rückschritt eigens expliziert hätte — wegen der Selbstverständlichkeit auch nicht zu explizieren brauchte. Das für die ganze Reihe konstitutive Verhältnis von Ganzem und Teil mitsamt seiner Anlage zu Regreß und Progreß ist auch in den r e l a t i v e n Bestimmungen des Älter- und Jünger- und Nicht-Älter- und -Jünger-Seins und -Werdens des seienden Einen als es selbst und als das Andere erkennbar. Gibt man den umständlichen und skurrilen Formulierungen eine moderne, auf das Wesentliche abzielende Fassung, indem man „älter" und

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„jünger" durch „früher" und „ s p ä t e r " oder, ohne Zeitkomponente, durch „ G r u n d " und „ F o l g e " übersetzt und die Negation „weder älter noch jünger" durch „gleichzeitig" bzw. „gleichursprünglich" („Substanz"), so lautet die These, daß das Eine sowohl Grund wie Folge des Anderen und wegen dieser Wechselimplikation auch gleichursprünglich mit ihm, also Substanz, ist wie auch, in Anbetracht dieser Verhältnisse, Grund und Folge seiner selbst und mit sich selbst gleichursprünglich, und dies alles nicht allein i s t , sondern auch w i r d . Damit sind alle überhaupt erdenkbaren Relationen des seienden Einen als Ganzes von Teilen formuliert. Indem das Eine im Modus des Teils sowohl Grund des ebenfalls im Modus des Teils gedachten Anderen (hier repräsentiert durch das Sein) wie auch dessen Folge ist und aufgrund der Wechselimplikation mit ihm gleichursprünglich und daher in Einheit mit ihm die Funktion einer Substanz ausübt, welcher Eines und Sein als Attribute inhärieren, rechtfertigt sich auch die Rede, daß das seiende Eine sich selber Grund und Folge ist und demnach mit sich selber gleichursprünglich, also sich selber Substrat ist. Da der Ubergang des seienden Einen in seine Teile aufgrund der Dependenz- und Interdependenzverhältnisse eine Rückkehr zu sich bedeutet, mit anderen Worten, da das seiende Eine sich in jedem der Teile als Ganzes mit der Gesamtheit seiner Verhältnisse wiederfindet und diesem Vorgang keine Grenzen gesetzt sind, ist je nach Perspektive der Regreß oder Progreß unausweichlich. Die Richtigkeit dieser Interpretation findet ihre Bestätigung im Text. Wenn es in 153 ab heißt, daß das Eine älter sei als das Andere bzw. die Anderen, so deutet Piaton dies selbst dahingehend, daß das Eine bei der Zählung dem Vielen voraufgeht, mithin dessen G r u n d l a g e bildet; wenn es weiter heißt (153 b—d), daß es auch jünger sei als das Andere bzw. die Anderen, so erklärt er dies daraus, daß es als Ganzes Teile hat, die Anderen nämlich, und erst im Durchgang durch sie zustande kommt als F o l g e ihrer Zusammenzählung; und wenn es in 153d— 154a heißt, daß das Eine weder älter noch jünger, sondern gleichalt mit dem Anderen bzw. den Anderen sei, so weist er darauf, daß j e d e r Teil des Ganzen ein Teil ist, das Eine also mit den Teilen (den Anderen) gleichläuft und in dieser Funktion des Zählens die Aufgabe eines durch alles hindurchgehenden und verbindenden S u b s t r a t s wahrnimmt. Wird in 152b—e gesagt, daß das seiende Eine sowohl älter wie jünger als es selbst wie auch gleichalt mit sich selbst sei, so liegt darin der Hinweis auf die Immanenz aller Verhältnisse. Und wenn es schließlich in 151 e—152b, 152e und 154aff heißt, daß es älter und jünger und auch nicht älter und jünger als die Anderen und es selbst w e r d e , so

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findet dies seine Erklärung in der Relativität der Zahlen, ihrer Verschiebbarkeit nach beiden Richtungen: Was beim Zählen das Jüngste, das Letzte, ist, wird beim Weiterzählen zum Älteren, Anfänglicheren, Ersten, und was das Älteste, Ursprünglichste, Erste ist, wird beim Rückwärtszählen, d. h. beim Zählen unter negativem Vorzeichen, zum Jüngeren, Nachfolgenden, Letzten. Älter und jünger, Grund und Folge, Erstes und Letztes sind ins Unendliche austauschbar, — hierin bekundet sich die Gleichförmigkeit aller Zahlen, die Wiederkehr derselben Struktur in einer jeden. Da sich das seiende Eine als Relatives, in specie Temporales erwiesen hat, als Früheres, Späteres und Gleichzeitiges, kann ihm schließlich unter g n o s e o l o g i s c h e m Aspekt das Prädikat des Seins in sämtlichen Modifikationen, des War, Ist, Wirdsein, sowie die darauf bezüglichen Erkenntnisarten zugesprochen werden. Damit schließt sich der Kreis; denn ausgegangen war von einem mittels eines spezifischen Erkenntnisakts, der hypothetischen Annahme, erfaßten seienden Einen. Wenn nun das seiende Eine der Hypothese in seinen Prädikationen, dem Sein und Gedachtsein durch einen Denkakt, bestätigt wird, so liegt auch hierin ein Zirkel und der Anfang eines Prozesses, ohne daß Piaton diesen freilich kenntlich gemacht hätte. Denn das im Denken Gedachte, das in dieser Bewußtseinsbeziehung anfangs ein undifferenziertes Ganzes war und sich nun in seine Teile, das gedachte Sein und das Denken, auseinandergelegt hat, ist als solches selbst wieder ein im Denken Gedachtes, das sich zerlegen läßt und so fort. Fassen wir das Ergebnis des zweiten Durchgangs zusammen, so präsentiert sich das seiende Eine als Vielfaches und Vielgestaltiges: Es ist sowohl eines wie vieles, sowohl identisch wie verschieden in allen möglichen Variationen, sowohl vorgängig wie nachfolgend wie zugleich oder, was dasselbe ist, begründend, folgend wie substantiell, sowohl seiend wie erkennbar in allen Modifikationen, und dies sowohl im Ganzen wie in seinen Teilen. In ihm ist mitgesetzt die Gesamtheit der Prädikate in der Doppelmöglichkeit ihres Bezugs auf sich und auf anderes. Fallen das seiende Eine als Subjekt und die Totalität der Prädikate dergestalt zusammen, so ist der Bezug des seienden Einen (Subjekt) auf sich nur möglich über den Bezug auf anderes (die Prädikate) und der Bezug auf anderes nur im Horizonte des Selbstbezugs. Dadurch entsteht unvermeidbar ein Prozeß, der sich nach den beiden, vom jeweiligen Ausgang her bestimmten Richtungen entwickelt und in dem jedes Moment des Strukturgefüges εν öv wechselweise als Subjekt und Prädikat fungiert. Wegen der durchgängigen Geltung dieser Verhältnisse, worin sich Bewahrung in allem Wechsel dokumentiert, kann in diesem Argumentationsgang der Versuch gesehen werden zu zei-

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gen, daß das Selbstsein (Sosein) der generischen Ideen nicht in einem relationslosen Fürsichsein, sondern in einem Fürsichsein in und trotz aller Relation besteht. Piatons Intention in dieser Deduktion ist es demnach zu demonstrieren, daß ein nicht mehr reines, sondern auf Mannigfaltigkeit in und außer ihm bezogenes Eines, eine sog. Einheit oder Verbindung aus Bestandteilen, aufgrund der dialektischen Konzeption ein niemals EinsSeiendes, sondern immer Zwei-Werdendes ist und gleichwohl sich als Eines' in allem Werden bewahrt. Methodisch wiederholt sich ins Unendliche die Struktur, daß von einer Sache zu zweien übergegangen und dann zu ihr zurückgekehrt wird. 3. Die Konzepte des Anderen als das Eine der siebenten und achten Position Bilden in den ersten beiden Positionen die möglichen Auffassungen von Einheit: Einheit in ihrer negativen wie positiven Beziehung zum Anderen den Untersuchungsgegenstand, so stehen in den letzten beiden die möglichen Konzepte des Anderen in ihrem exklusiven wie inklusiven Verhältnis zur Einheit zur Diskussion. Generelles Thema dieser Positionen ist das Andere (άλλο 138a) bzw. die Anderen (τάλλα 146b 6 9 ), so daß sich vorab die Frage stellt, was mit diesem gemeint sei. Daß mit ihm im allgemeinsten Sinne ein Kontrastbegriff zum Einen bezeichnet ist, steht außer Zweifel, umstritten hingegen ist seine genaue Fixierung. Denn nicht nur, daß das „Andere als das E i n e " infolge seines Ansatzes als Relationsbegriff zum Einen, aufgrund dessen ihm Sinn und Bedeutung allein in Beziehung auf das Eine zukommt, sich mit dessen Bedeutungswandel ständig modifiziert, ungeklärt ist vor allem seine grundsätzliche Einstufung. Was diese betrifft, so besteht die Alternative, in ihm entweder das gegenüber den Ideen, die als Einheitsfunktionen aufgefaßt werden können, schlechthin Andere, das Nicht-Ideelle, also die Sinnen- und Erscheinungswelt, den unbestimmten Gegenstand der Erfahrung, zu erblicken 7 0 oder die übrigen generischen Ideen außer dem Genus Einheit 7 1 . Als dritte Möglichkeit bietet sich das

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Von dort an durchgehend im Plural gebraucht. So E. Zeller: Uber die Composition des Parmenides und seine Stellung in der Reihe der Platonischen Dialogen in Platonische Studien, Tübingen 1839, S. 157—196, S. 166, W . Bröcker, a . a . O . , S. 425ff. Für P. Natorp, a . a . O . , S. 244 ist das Nicht-Eine zwar „nicht sogleich zu verstehen als der Erfahrungsgegenstand, das zu Bestimmende = x. Es wird sich allerdings im schließlichen Ergebnis so herausstellen". Vgl. Piaton. Oeuvres completes, Bd. 8, 1: Parmenide, texte etabli et traduit par A . Dies,

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Nichtfixiertsein der Bedeutung und das Schwanken zwischen beiden an 7 2 . Die Entscheidung für die eine oder andere Alternative hängt vom Gesamtverständnis des Dialogs, vorzüglich des zweiten Teils, ab, nämlich davon, ob in diesem eine Stufenfolge in absteigender Richtung oder ein auf einer und derselben Ebene sich abspielender dialektischer Prozeß gesehen wird. Neuplatonische und neukantianische Interpretation haben die Tendenz, das Andere zumindest der letzten, nicht mehr unter dem Diktat der Einheit stehenden Positionen als Nicht-Eidetisches auszulegen, während die dialektische Interpretation, wie sie hier vertreten wird, unter Berufung auf das in 129 de aufgestellte Postulat, im zweiten Teil die Verbindung und Trennung der generischen Ideen untereinander zu zeigen und damit innerhalb des Ideenbereichs zu verbleiben, das Andere als ideelles Korrelat zur Idee Einheit betrachtet. Als klassischer Textbeleg dient der ersten Version die Stelle 158 c, in der das Andere als την έτέραν φύσιν τοϋ είδους deklariert wird. Grammatikalisch jedoch erweist sich der Beleg als keineswegs so sicher, wie er prima vista erscheint. Denn offen bleibt, ob der Genitiv είδους von έτέραν oder von φύσιν abhängt, d. h. ob er im Sinne eines genitivus possessivus als die andere Natur der bzw. zur Idee, als das gegenüber der Idee Andere 7 3 , oder im Sinne eines genitivus appositivus als die andere Natur (Art) „ I d e e " 7 4 zu verstehen ist. Im letzten Fall bezeichnet das Andere eine zweite Art Eidos neben der Art Einheit. Das Andere ist dann selbst Eidetisches, nur von anderer Struktur als das Eidos Einheit. Hinzuweisen wäre noch darauf, daß sich der Genitiv είδους im Kontext auf das vorangehende έν bezieht, an dem das Andere nicht teilhaben soll. Hieraus ließe sich der Vorschlag ableiten, die Stelle mit Cornford im Sinne eines genitivus partitivus zu übersetzen als: '"the other element in the thing (or entity, είδος)', i.e. the element other then its unity" 7 5 . Auch so bezeichnet das Andere den Korrelat- und Gegenbereich zur Einheit innerhalb der eidetischen Sphäre. Da die Hauptstütze der neuplatonisch-neukantianischen Interpretation keineswegs g e g e n einen eidetischen Charak-

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Paris 1923, S. 35: „ L e s Autres sont . . . les F o r m e s autres q u e celle de l ' U n " ; G . H u b e r , a . a . O . , S. 48 spricht von .eidetischen Bedeutungseinheiten'. Vgl. P. N a t o r p , a . a . O . , S . 2 4 4 f f , 2 6 3 f f , 2 7 2 f , F . M . C o r n f o r d , a. a. O . , S. 112f, 1 5 5 , 2 0 5 . Vgl. P. Friedländer, a . a . O . , B d . 3, S. 193: „ d a s von d e m E i d o s verschiedene W e s e n " ; A . Speiser, a . a . O . , S. 50: „ d i e s e v o n der F o r m verschiedene W e s e n h e i t " , die er auch „ f o r m l o s e M a t e r i e " nennt; E . Wyller, a . a . O . , S. 156: ,die v o n der F o r m prinzipiell abweichende N a t u r . . ., also die Materie'; vgl. P. N a t o r p , a . a . O . , S. 2 4 5 f . Vgl. H . G . Zekl (1), S. 2 7 3 f A n m . 45. F . M . C o r n f o r d , a . a . O . , S. 210 A n m . 4.

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ter des Anderen spricht, die genannte Stelle aus der Einleitung aber d a f ü r , dürfte mit dem Anderen die durch die Idee der Einheit nicht bestimmte Ideenmaterie gemeint sein, also das, was Piaton später im Timaios Raum (χώρα 52a) genannt hat 76 , und nicht die form- und gestaltlose s i n n l i c h e Materie. Ein Versuch, die Eigennatur des Anderen näher zu bestimmen, findet sich in der dritten Position, in der das Andere erstmals rein für sich thematisiert wird, allerdings noch im Ausgang und in Absetzung von einem unter dem Aspekt der Einheit interpretierten Begriff des Anderen. Aus der Konfrontation des Anderen als eines am Einen Teilhabenden (μετέχοντα) mit dem Anderen als einem am Einen Teilnehmenden, aber noch nicht in dessen Besitze Befindlichen (μεταλαμβάνοντα) wird das Wesen des letzteren zu entwickeln versucht. In diesem Zusammenhang stellt Piaton das Andere unter den Begriff der Menge (πλήθος), wobei Menge hier nicht Anzahl, diskrete Pluralität, bedeutet, deren Grundlage Einheit ist und deren Aufbau in der Vervielfältigung von Einheit besteht, sondern das schwer beschreibbare Mehr als Eines, das selbst nicht Eines ist, als Grundlage einer Bestimmung durch dasselbe aber auch nicht Nichts sein kann. Der spezifische Mengencharakter zeigt sich darin, daß jede in Gedanken herausgegriffene Menge, selbst die geringste, sich einer Fixierung durch Einheit entzieht, indem sie per definitionem immer schon mehr als Eines ist. Mag die Zerlegung noch so weit getrieben werden, niemals stößt sie auf ein Letztes, Unteilbares, Diskretes, absolut Einfaches. Dieser Charakter, der die Menge als das ausweist, was wir „Kontinuum" nennen, bestimmt sie im Blick auf eine erste Einheit als unfixierbar. Da Einheit immer auch Begrenzung (πέρας) mit sich bringt und daher als Prinzip der Sonderung und Numerierung, mithin der Zählung, fungiert, folgt aus der Einheitslosigkeit der Menge ihre Grenzenlosigkeit (άπειρον) und Unabzählbarkeit. Die Menge ist ein durch keine äußere oder innere Begrenzung eingeschränktes Feld. Ihr Wesen ist Unendlichkeit, nicht abzählbare, auf Begrenzung basierende, sondern die Grundlage einer solchen, das, was unendlichfache Grenzsetzung erst ermöglicht. Außer durch Kontinuität und Unendlichkeit ist das Andere noch durch ein drittes spezifisches Merkmal gekennzeichnet, durch Homogenität (ομοιον). Bringt man die auf 76

U n d besonders in 4 8 e - 5 2 d mit einer Reihe metaphorischer Begriffe umschrieben hat als das, was alles Werden a u f n i m m t wie eine A m m e (49a), als Mutter und A u f n e h m e r i n (51 a), als Sitz (εδρα) alles Werdens (52 b), als selbst unsichtbares, gestaltloses, allempfängliches Wesen, das auf eine höchst unzugängliche Weise am Denkbaren teilnimmt u n d äußerst schwierig zu erfassen ist (51 ab, vgl. 52 b) usw.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

Teilhabe an Einheit und Begrenzung beruhende, sozusagen formalisierte Gleichartigkeit in Abzug, so bleibt als genuine Bestimmung des Anderen die mit ihrer Unbegrenztheit einhergehende Gleichartigkeit. Das Andere ist als grenzenloses Auseinander (Menge) durchgehend gleichförmig, wiewohl einer Begrenzung und Bestimmung und damit einer Differenzierung fähig. Mit dieser Charakteristik des Anderen hat Piaton nicht nur in historischer Hinsicht die wesentlichen Merkmale der Parmenideischen Henologie neben dem εν und πάν: das συνεχές und όμοΐον wiederaufgegriffen, so daß, nachdem die ersten beiden bereits in den ersten Positionen zur Diskussion standen, nun eine kritische Auseinandersetzung auch mit den letzten zu erwarten steht, sondern er hat zugleich in sachlicher Hinsicht dem Anderen Eigenschaften zugeschrieben, die bisher der Sinnenwelt vorbehalten waren. Das Andere, verstanden als die übrigen generischen Ideen außer der Idee des Einen, wird durch dieselben Eigenschaften der kontinuierlichen Menge, der Unbegrenztheit und Homogenität charakterisiert wie die form- und gestaltlose, indifferente, unbegrenzte sinnlich wahrnehmbare Materie 7 7 . Hat Piaton damit den Unterschied zwischen Ideenund Sinnenwelt nivelliert? Das bisher Ausgeführte läßt keine andere Antwort zu als die, daß sich angebbare Differenzkriterien nicht mehr finden. Das hyletische Substrat begegnet in den Ideen selbst, es gehört zu deren Natur. Damit werden auch Cornfords 7 8 Argumente hinfällig, die die Absurdität der Identifizierung des Anderen mit dem ideellen Anderen dadurch zu erweisen suchen, daß in diesem Fall die Ideen Gestalt hätten, im Raum situiert, der Berührung und Bewegung fähig seien usw. In der Tat gelten sämtliche räumlich-zeitlichen Bestimmungen für den Ideenbereich. Ist damit auch die Frage der Lokalisierung des Anderen entschieden, so ist die Schwierigkeit seiner inhaltlichen Fixierung noch keineswegs behoben. Denn auch als eidetisches Korrelat steht das Andere in Beziehung zum Einen und ist eine Funktion von dessen Bedeutungswandel, wie umgekehrt das Eine eine Funktion der Bedeutungsauffassung jenes ist. Das Andere erweist sich als ein genauso schillernder Begriff wie das Eine. 77

78

V o n hier ist es auch zu erklären, wie die neuplatonisch-neukantianische ParmenidesInterpretation zur Verwechslung der ideellen mit der sinnlichen Materie, der Anderen als Ideen mit ihnen als Sinneridingen, kommen konnte. U n d ebenso wird verständlich, daß sich die Probleme der Beziehung zwischen Sinnen- und Ideenwelt innerhalb des Ideenbereichs zwischen dem Anderen und dem Einen wiederholen. A . a . O . , S. 193f.

Die Konzepte des Anderen der siebenten und achten Position

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Wird das Andere wie in den ersten vier Positionen des dialektischen Teils des Parmenides — ob unthematisch (wie in der ersten und zweiten Position) oder thematisch (wie in der dritten und vierten) — unter den Begriff des Einen gestellt, so tritt es formal wie material als Derivat des Einen auf. Je nach Auffassung des Einen als unbezügliches oder bezügliches nimmt es die Bedeutung eines kontradiktorischen Gegenteils oder eines Konträren an, wird verstanden als das, was selbst nicht das Eine, sondern das vom Einen totaliter Verschiedene ist (vgl. 146d), oder als das, was, wiewohl selbst nicht das Eine seiend, Einheit an sich hat und damit aus dem prinzipiellen Unterschied zu jenem in einen nurmehr graduellen heraustritt, in diskrete Vielheit, deren Grundlage Einheit bildet. Soll das Andere als selbständiger Bedeutungsträger ins Auge gefaßt werden, in welcher Gestalt es zwar formal, nicht jedoch material vom Einen dependiert, so muß es in jenen Positionen aufgesucht werden, die nicht mehr unter dem Leitfaden des Einen, sondern seines Negats stehen wie die letzten vier Positionen der Hypothese εί εν μή έστιν 79 . In diesen und nur diesen kann es, ob unthematisch wie in der fünften und sechsten Position oder thematisch wie in der siebenten und achten, als eigenständiges eidetisches Korrelat zum Einen, als durch keine Einheit filtriert, zur Geltung kommen. Zunächst freilich scheint sich ein Widerspruch aufzutun; denn wie soll das Andere noch vorhanden sein ohne das negierte Eine, dessen Relat es doch ist und dessen Existenz es die seine verdankt. Die Leugnung eines Vorhandenseins des Einen zieht die des Vorhandenseins des Anderen nach sich 80 . Das Nichtsein des Einen läßt jedoch, wie die fünfte und sechste Position in ihrer Auslegung der Hypothese zeigen, diverse Deutungen zu, sowohl im relativen wie absoluten Sinne: als Nicht-Eines-Sein, wobei zwar der Inhalt des Einen aufgehoben wird, das Sein aber erhalten bleibt, wie als N i c h t s e i n des Einen, wobei mit dem Sein auch der Inhalt des Einen entfällt. Daß diese Auslegungen sich auf das Verständnis des Anderen auswirken müssen, versteht sich. Das Andere in seiner reinen Selbstbezüglichkeit bildet das Thema der letzten Position (165e— 166 c). Die Anlegung dieses Argumentationsgangs wie auch die Auffassung des Anderen in ihm entsprechen dem allgemeinen Kanon von 136a und bc. Da die Beziehung allein auf sich verbunden ist mit einer Negativbeziehung zum Übrigen, in diesem Falle zum Einen, kann das Thema dieser Position auch formuliert werden als das Andere mit 79 80

Ζ. B. 160b, sonst εν ει μή εστίν 163c, 164b, 165e. Vgl. H. G. Zekl (1), 168ff, 179ff.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

Ausschluß und Negation des Einen. In abstrakter Selbstheit hat das Andere hier die Stellung des Ganzen inne. Während das Pendant zu dieser Position, die erste, für ihre Konzeption eines von allem abstrahierten, verabsolutierten und in die Funktion des Ganzen gebrachten Einen ihre Erstlingsstellung im dialektischen Gefüge auszunutzen vermochte, indem sie am Anfang noch in naiver Unreflektiertheit das in der hypothetischen Annahme des Einen mit implizierte Faktum der Relationalität übersehen konnte in der Vermeinung, das Eine könne für sich allein gegeben werden, ist die Situation am Ende des Systems nach Durchgang durch die diversen Aspekte eine prinzipiell andere: nicht mehr die der Unreflektiertheit, sondern die der totalen Reflexion und Bewußtheit. Die Konzeption eines abstrakten, hypostasierten Selbstseins des Anderen ist hier nur noch als formale Möglichkeit zu rechtfertigen, nach der Erörterung der übrigen Fälle vollständigkeitshalber auch noch diesen Fall durchzudiskutieren. Die reine Selbstbezüglichkeit des Anderen, die identisch ist mit seiner Unbezüglichkeit zum Einen und den Ausschluß u n d die Tilgung des letzteren bedeutet, findet ihre Entsprechung in der Auslegung der Hypothese εί εν μή εστίν als totales Nichtsein des Einen. Da mit dieser Position die Chorismos-Problematik wiederauflebt, drängt sich die Frage auf, ob bei der radikalen Abtrennung und Verselbstung des Anderen die Annahme eines Seins oder Nichtseins des Einen nicht belanglos werde 81 . Wenn jegliche Teilhabe des Anderen am Einen entfällt, muß es dann nicht gleichgültig sein, ob das Eine existiert oder nicht. Dennoch macht es einen Unterschied, ob die Untersuchung wie in der vierten Position generell unter dem Leitfaden des Einen steht oder wie in der jetzigen dies nicht tut. Der Unterschied manifestiert sich darin, daß nur die letzte Untersuchung das spezifische Wesen des Anderen, den Erscheinungs- und Scheincharakter desselben, welcher bisher nur der undeterminierten Sinnenwelt zukam, jedoch aufgrund der UnUnterscheidbarkeit der Merkmale auch den durch Einheit nicht bestimmten Ideen zugesprochen werden muß, rein zu erfassen vermag. So ist es für die letzte Position symptomatisch, daß sie das Andere nicht nur unter der Modalität des Seins, sondern auch unter der des Scheins erörtert. Welches sind die Konsequenzen dieser Konzeption? Wenn nur das Andere ist und das Eine nicht, so folgt, daß das Andere, abgesehen davon, daß es selbst nicht das Eine ist, auch nicht eines sein, d. h. am Einen teil81

Vgl. H . G . Zekl (1), S. 168.

Die Konzepte des Anderen der siebenten und achten Position

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haben kann. Mit dem Einen entfällt zugleich diskrete Vielheit. Damit wird expressis verbis jenes Merkmal negiert, das der grammatische Plural des Anderen (τάλλα) nahezulegen scheint. Mit dem Wegfall der Einheit als Prinzip der Sonderung wird nicht nur Quantifizierung unmöglich, sondern Prädikation überhaupt, insofern diese auf Ausgrenzung basiert. Die Reihe der kategorialen Prädikate einzeln durchzugehen, erübrigt sich, da dies im Prinzip nichts Neues bringt. Aus diesem Grunde begnügt sich Piaton mit der summarischen Feststellung, daß im Falle des reinen Selbstseins des Anderen und des Nichtseins des Einen jenes weder eines noch vieles, weder identisch noch verschieden, weder gleichartig noch ungleichartig, weder berührend noch abgetrennt usw. ist. Und nicht nur ist es dies alles nicht, sondern es s c h e i n t es auch nicht. Mit dem Modus des Scheins tritt eine neue Kategorie hervor, die sich vom Sein als der Wahrheit in zweierlei Sinne unterscheidet, obwohl Piaton diese Differenz an dieser Stelle nicht eigens thematisiert: 1. im Sinne des Widerscheins der Wahrheit und 2. im Sinne des bloßen Scheins, der Täuschung. Wie man von einem beleuchteten Projektionsschirm sagt, daß er das Licht reflektiere, d. h. dessen Widerschein zurückwerfe, desgleichen, daß er die Lichtquelle zu sein scheine, ohne sie in Wahrheit zu sein, so gilt Entsprechendes auch für den Schein. Der Schein, ausgedrückt durch die Termini φαίνεσθαι, φάντασμα 8 2 sowie durch die ihm entsprechende Erkenntnisart, die Meinung (δόξα, δοξάζειν) 8 3 , ist nicht mehr nur wie bisher auf die Sinnenwelt restringiert, sondern gilt im Prinzip auch für den Ideenbereich. Von dem r e i n für sich genommenen Anderen ist er jedoch auszuschließen deshalb, weil der S c h e i n der Bestimmungen, ob metaphorisch als Abbildsein oder formal als Sein des Nichtseins 84 verstanden, ebenso wie das Sein der Bestimmungen auf Teilhabebeziehung und damit auf Zweiheit basiert, welche jedoch negiert ist. Wenn demnach sämtliche Prädikate nicht nur im Modus des Seins, sondern auch in dem des Scheins entfallen, das Andere also bar jeder Bestimmung ist, so scheint nur seine absolute Unbestimmtheit und Unfixiertheit übrigzubleiben 85 . Tatsächlich jedoch bleibt nach Piaton nicht diese, sondern gar nichts (ουδέν 166c) übrig. Ergebnis ist die Nichtigkeit des Selbstwiderspruchs des in Rede stehenden Ansatzes des Anderen. Ihre Legitimation findet diese Behauptung in folgender Überlegung: Als Gegen82 83 84 85

166ab. 1 66 ab. Im Sinne des Sophistes. H . G. Zekl (1), S. 179ff.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

satz und Korrelatbegriff zum Einen ist das Andere zwar seinem Inhalt nach Nicht-Eines, seiner Form nach jedoch Eines. So sehr es auch inhaltlich das Eine leugnet, als bestimmte begriffliche Identität ist es Eines: Seine Setzung als „das Andere" unter einem zusammenfassenden einheitlichen Gesichtspunkt macht es zu dem Einen Anderen. Wird nun nicht nur die Gesamtheit der übrigen Bestimmungen außer dem Einen, „das Andere", sondern auch die Fundamentalbestimmung „das E i n e " negiert, so hebt sich das EineAndere durch Selbstwiderspruch auf, indem es auch nicht das Eine-Andere ist 8 6 . Das ausdrückliche Absprechen der Einheit und der auf ihr basierenden Bestimmungen macht den paradoxalen Charakter des Anderen sichtbar. Was will, was soll dieses Argument besagen? Bedenkt man, daß das Andere (τάλλα) trotz seiner grammatikalischen Pluralität sich seiner Eigennatur nach als ein äußerlich wie innerlich Grenzenloses, Homogenes, Kontinuierliches herausgestellt hat, als jenes Prinzip, das Piaton in seinen Spätdialogen, besonders dem Philebos, das άπειρον nennt, so dürfte mit dieser Position die Absicht verfolgt worden sein, die Paradoxie eines reinen, abstrakten Ansatzes des Unbegrenzten aufzuweisen. Denn auch als das ganz Andere als das Eine-Begrenzte bleibt das Unbegrenzte auf dieses bezogen: Bei aller Unbegrenztheit ist es in Abgrenzung von ihm ein Begrenztes, bei aller Homogenität in Unterscheidung von ihm ein Andersartiges, bei aller Kontinuität in Relation zu ihm ein Diskretes. Uber das Eine Nicht-Eine, das fixierte Unfixierbare, läßt sich nur in Widersprüchen sprechen. Dabei sind der Ausgang vom Einen und die Absetzung von ihm nicht zufällig. Denn da Einheit und, mit ihr verbunden, Begrenzung die Grundlage jedes exakten, rationalen Verständnisses, jedes Denkens und Sprechens bilden, selbst desjenigen über den Gegensatz der Einheit, bleibt dessen Erkenntnis an die Bedingungen derselben gebunden. Die ausschließliche Insistenz auf dem Inhalt des Anderen führt zwangsläufig mit der Aufhebung der begrifflichen Determination auch zur Aufhebung der Begreifbarkeit. Beschäftigte sich die letzte Position mit einem Extrem, dessen Ansatz wegen seines evidenten inhaltlichen Widerspruchs nur noch formal zu rechtfertigen war, so statuiert die vorletzte ein Prinzip, das jenem gegenüber fundierter erscheint. Laut Programm von 136a, bc und Bestätigung durch eine Textanalyse von 164b—165e bildet das Thema der siebenten Position das Andere in seiner Bezogenheit auf das Eine. Daß mit Bezogenheit hier kein nachträgliches und äußerlich bleibendes In-Beziehung-Setzen 86

Auch formulierbar als: Eines-Sein φ Eines-Sein.

D i e K o n z e p t e des Anderen der siebenten und achten Position

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an sich unabhängiger Instanzen gemeint ist, sondern eine ursprüngliche Angewiesenheit unselbständiger, erhellt schon aus dem Umstand, daß das Andere als Korrelatbegriff zum Einen nicht nur seinen Namen, sondern auch seinen Sinn, nämlich „anders zu sein", dieser Relation verdankt. Trotz und gerade wegen des Andersseins sind Eines und Anderes nicht unabhängig voneinander denkbar: das Eine sowenig ohne das Andere wie dieses ohne jenes. Mit dieser wesensimmanenten Relationalität tritt die Teilhabebeziehung wieder in den Mittelpunkt der Betrachtung, nur daß sie diesmal nicht von seiten des Einen, sondern von seiten seines Korrelats beleuchtet wird: Untersuchungsgegenstand ist das Andere, so wie es das Eine in sich aufgenommen, sich mit ihm durchsetzt hat, wie das Eine in es eingegangen und in ihm ist. Von der gleichartigen Thematik in der dritten Position 8 7 unterscheidet sich die jetzige dadurch, daß sie unter einer prinzipiell anderen Prämisse, der negativen εί εν μή εστίν, steht. Damit taucht zugleich die Frage auf, wie die Behauptung einer Beziehung des Anderen auf das Eine, die das S e i n des Einen in irgendeiner Weise voraussetzt, mit der Behauptung von dessen N i c h t s e i n kompatibel sei. Soll sich hier kein Widerspruch ergeben, so kann mit der Negativität der Prämisse nur ein relatives Nichtsein gemeint sein, dem ein relatives Sein entspricht, und die negative Formulierung nur die Absicht verfolgen, klarzustellen, daß die Untersuchung des das Eine absorbierenden Anderen nicht unter der Bedingung und dem Leitfaden des Einen geschieht. Jenes Andere ist für sich zu nehmen und nicht, wie in der dritten Position, durch das Eine h i n d u r c h zu begreifen 8 8 . Nicht zufällig taucht in der siebenten Position der aus der dritten bekannte Begriff der Menge (πλήθος) wieder auf, jedoch mit dem Unterschied, daß er nicht mehr im Ausgang und in Absetzung vom Einen gewonnen wird, sondern für sich steht. Genau besehen freilich ist nicht der generelle Begriff πλήθος, sondern der speziellere όγκος thematisch. Im alltäglichen, unwissenschaftlichen Sprachgebrauch bedeutet όγκος Masse, Gewicht, Last, im wissenschaftlichphysikalischen Ausdehnungsgröße 8 9 . Wenn όγκος hier von πλήθος abgehoben wird, mit der letzteren aber das äußerlich wie innerlich unbe87 ββ

89

D a s A n d e r e in B e z i e h u n g auf das Eine. H i e r m i t hängt auch z u s a m m e n , daß das A n d e r e hier ein A n d e r e s nicht in b e z u g auf ein ihm äußerlich zu denkendes Eines, sondern in bezug auf sich selbst, sofern es das Eine a u f g e n o m m e n hat, ist. Seine Verschiedenheit ist nicht die von etwas neben und außer ihm, sondern eine Verschiedenheit in sich. D i e Beziehung des A n d e r e n auf das E i n e bleibt ganz in der I m m a n e n z des Anderen. So besonders bei Aristoteles, s. H . B o n i t z : Index Aristotelicus, Berlin 1870, S. 495.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

grenzte, homogene Kontinuum gemeint ist, so soll mit dem ersteren speziell auf den begrenzten Kontinuumsausschnitt, die bestimmte endliche Ausdehnungsgröße, hingewiesen werden, welche gleichwohl den Gedanken der Stetigkeit, Homogenität und Ausdehnung impliziert. Für die Etablierung dieses Begriffs als tragenden dieser Position lassen sich historische wie sachliche Gründe anführen. Es wurde schon angemerkt, daß die Vorbildstelle für diesen Begriff das Parmenideische Lehrgedicht, frag. 8, 43 ist, in dem von einer wohlgerundeten, begrenzten, nach allen Seiten homogenen Kugel die Rede ist. Susemihl und Natorp 9 0 haben darüber hinaus auf den Zusammenhang mit den Atomen Demokrits hingewiesen, die als unteilbare, aber räumlich ausgedehnte Entitäten Analoga zum Parmenideischen Hen bilden. Wenn Piaton einen derart durch die parmenideisch-demokritische Tradition geprägten Begriff aufgreift und zur Diskussion stellt, so kann die kritische Intention nicht übersehen werden. O b direkt oder indirekt, abgehoben ist zumindest auch auf eine Kritik am atomistischen Strukturprinzip. Abgesehen davon besteht eine sachliche Notwendigkeit zur Aufnahme dieses Begriffs. Da die Bestandteile des Anderen, die die Rede von gegeneinander Anderen erlauben, nicht in sensu stricto als Teile, desgleichen ihr Zusammenhang nicht in sensu stricto als Ganzes aufzufassen ist, weil jeder Teil einer wäre und das Ganze Einheitsfunktion hätte, Einheit aber per hypothesin entfällt, muß, um dennoch an dem Stückecharakter festhalten zu können, ein eigener Begriff eingeführt werden. Zu diesem qualifiziert sich die sinnlich-anschauliche Vorstellung einer endlichen Ausdehnungsgröße als Korrelat der begrifflich exakten quantitativen Vorstellung von Teil und Ganzen am besten. Denn όγκος bedeutet niemals selbst die präzis angebbare Zahl, sondern wird zusammen mit dieser und korrelativ zu ihr gebraucht, etwa in der Verbindung: μήτε ογκω μήτε άριθμφ (Theaitet 155a). Daß der Ansatz einer begrenzten Ausdehnung angesichts der contradictio in adiecto nicht zur Selbstaufhebung führt, hängt damit zusammen, daß der Widerspruch von Unbegrenztheit und Begrenztheit, Kontinuität und Diskontinuität, Homogenität und Inhomogenität hier zum Wesen des Prinzips erhoben ist. In demselben Maße, in dem er dieses aufhebt, konstituiert er es auch. Das zeigt sich in concreto daran, daß jedes beliebig herausgegriffene Quantum, das zunächst als eines und klein erscheint, beim Vergleich mit den Quanten, in die es zerfällt, den Eindruck eines Vielfachen und Großen erweckt, jene hingegen den eines Einfachen und 90

P. Natorp, a . a . O . , S. 277.

Die Konzepte des Anderen der siebenten und achten Position

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Kleinen, während sie selbst im Vergleich zu den eigenen Quanten als Vielfaches und Großes erscheinen und so beliebig fort. Ebenso erscheint umgekehrt das anfänglich Mehrfache und Große jenem Quantum gegenüber, in das es integrierbar ist, als einfach und klein, jenes als mehrfach und groß usw. Im Prinzip wiederholt diese Position den regressus und progressus ad infinitum, der bereits den relativen Einheitsbegriff in seinem Internverhältnis von Ganzem und Teil charakterisierte. Nichtsdestoweniger unterscheiden sich beider Schwierigkeiten spezifisch voneinander. Piaton hat diesen Unterschied an zwei relevanten Begriffen expliziert, dem der Relativität und dem des Scheins. Mit der Relativität ist die prinzipielle Unfixierbarkeit und Undeterminierbarkeit gemeint. Sie bekundet sich darin, daß jede Begrenzung und Bestimmung überschritten werden kann und überschritten wird in neuen und immer neuen Fixierungen. Keine Determination ist definitiv, jede nur vorläufig kraft der in der Natur der Sache selbst liegenden Vagheit und Verschwommenheit, die den kontinuierlichen Charakter des Anderen ausmacht. Besonders deutlich wird dies in der Erörterung des mit Begrenzung verbundenen Anfangs, Endes und Mittels. Vor jedem Anfang zeigt sich ein neuer, noch früherer Anfang, nach jedem Ende ein weiteres, entfernteres, innerhalb jeder Mitte eine noch genauere Mitte. Jede herausgegriffene Begrenzung erweist sich als grob und unscharf und unendlicher Verfeinerung fähig, so daß die Grenzen ständig fließen. Während der entsprechende relative Einheitsbegriff trotz Nichtendgültigkeit seiner Fixierung, die sich in seiner regressiven und progressiven Struktur äußerte, immerhin auf Exaktheit und Präzision pochen konnte, ist dies bei seinem Korrelat nicht der Fall. So erweist sich das Andere aufgrund seines fließenden, kontinuierlichen Charakters als der eigentliche Ermöglichungsgrund des Regresses und Progresses der Einheitsform, als das, was deren unendlich fortschreitende, nie zum Abschluß kommende Entfaltung bedingt. Diese Vagheit und Verschwommenheit des Anderen ist die Ursache einer Scheinhaftigkeit aller Bestimmungen desselben. Den Massen kommen sämtliche Prädikate nur in der Modalität des Scheins zu, d. h. gemäß der aufgezeigten Ambivalenz dieses Terminus im Sinne eines Widerscheins der Wahrheit wie einer Vortäuschung der Wahrheit, ohne deren Sein. Da wahrhaftes Sein stets gebunden ist an eindeutige, scharfe Feststellungen, muß wegen des Fehlens solcher den Massen auch jenes Sein abgesprochen werden. In einer Reihe von Wendungen hat Piaton den Unterschied von Sein und Schein zum Ausdruck gebracht. So sagt er in 164d von den Massen, daß jede zwar eine zu sein scheine, es aber nicht sei (έκαστος

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

φαινόμενος, ών δέ οΰ), daß es eine Zahl von ihnen zu geben scheine und folglich einige Stücke unter ihnen gerade, andere ungerade schienen, es jedoch nicht in Wahrheit seien (164 e ούκ άληθώς φαίνεται), oder er nennt die Massen solche ohne Einheit (165b ογκος άνευ ένός, vgl. 158c). Die systematische Durchführung der Kategorien durch die Modalität des Scheins hat sich Piaton mit Ausnahme der quantitativen Bestimmungen (Einheit und Vielheit, Begrenzung und Unbegrenztheit, Anfang, Mitte und Ende, Größe, Kleinheit und Gleichheit), der qualitativen (Identität und Differenz, Ähnlichkeit und Unähnlichkeit) und einer summarischen Andeutung weiterer erspart mit dem Hinweis, daß dieselbe nach den bisherigen ausführlichen Erörterungen dem Leser oder Hörer ein Leichtes sein müsse. Was die qualitativen Bestimmungen betrifft, so bestätigen sie aus ihrer Perspektive noch einmal das Dargelegte. Wenn Piaton in diesem Kontext das illustrative Beispiel anführt, daß ein Gemälde oder eine Zeichnung, aus der Ferne und mit stumpfen Blick betrachtet, als eines und einerlei erscheint, aus der Nähe hingegen und scharf betrachtet, als vieles und verschiedenartig, so geht es hier nicht um die Bestimmung des Verlaufs der Grenze zwischen Schärfe und Unschärfe, Ubereinstimmung und Verschiedenheit 91 , sondern um den Hinweis auf das bekannte Faktum, daß mit zunehmender Entfernung des Betrachters die Linien und Farben ineinander übergehen und verschwimmen, dagegen mit zunehmender Annäherung auseinandertreten und sich differenzieren. Der Ubergang ist fließend, insofern jeder Unterschied sich verähnlicht und jedes Einerlei sich spezifiziert. Gerade darin bekundet sich die prozessuale Natur. Es muß als Piatons eigenste und großartige Leistung angesehen werden, mit den beiden letzten Positionen des Parmenides und den in ihnen thematischen Begriffen des Anderen, des unbezüglichen und des bezüglichen, die möglichen Kontinuumsformen, das äußerlich wie innerlich unbegrenzte und das begrenzte Kontinuum, als eigene begriffliche Instanzen neben den Einheitsformen etabliert und zugleich die spezifischen Schwierigkeiten dieser Konzepte aufgezeigt zu haben.

4. Der Vermittlungsbegriff Nicht nur hat Piaton im Parmenides die Schwierigkeiten der verschiedenen Einheits- und Mannigfaltigkeitsentwürfe expliziert, sondern auch 91

So H . G. Zekl (2), S. 171 Anra. 270.

Der Vermittlungsbegriff

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eine Lösung angeboten, und zwar in dem auf die beiden ersten Positionen folgenden, aus dem üblichen Einteilungsschema mit seinen Antinomien herausragenden und daher auch herausragende Bedeutung habenden Abschnitt (155e—157b). Allerdings ist die eminente Rolle dieser Partie immer wieder verkannt und ihre Vermittlungsfunktion sowohl für den ersten und zweiten Untersuchungsgang wie für das restliche Antinomiengefüge in Abrede gestellt worden 9 2 . Das hängt zum einen damit zusammen, daß sich dieser Abschnitt vordergründig als eine Synthesis der thetischen ersten Reihe und der antithetischen zweiten darstellt und daher nur durch eine Generalisation auf die übrigen Antithesen übertragbar ist, zum anderen damit, daß selbst die Vermittlung der beiden ersten Gänge an inadäquaten Beispielen demonstriert wird und nur durch eine Strukturanalyse und Besinnung auf den Wesensgehalt der Beispiele einsichtig gemacht werden kann. Denn die für die erste Position symptomatische Nichtteilhabe an der Zeit und die für die zweite Position symptomatische Teilhabe an derselben sind keineswegs identisch mit dem Nichtsein und Sein in der Zeit des Demonstrationsbeispiels. Es ist im übrigen dieser Zeithorizont, der dem Passus das Ansehen eingetragen hat, nur ein zur zweiten Reihe, insbesondere deren Zeitargumentation, gehöriges, gesondert expliziertes Argument zu sein. Daß dieser Abschnitt dennoch die Vermittlung zwischen erster und zweiter Position intendiert, geht eindeutig daraus hervor, daß er gleich zu Beginn in 155e auf deren Resultate rekurriert und damit das eigentliche Thema der Untersuchung anschlägt. Hatte der erste Argumentationsgang aufgrund einer Verabsolutierung des für sich genommenen Einen zu dem Ergebnis geführt, daß das Eine unter dieser Voraussetzung weder eines noch vieles, weder identisch noch verschieden, weder früher noch später noch gleichzeitig, weder seiend noch erkennbar ist, so hatte der zweite aufgrund einer Verabsolutierung des relativen, auf das Sein bezogenen Einen das gegenteilige Ergebnis gezeitigt, nämlich daß in diesem Fall das Eine sowohl eines wie vieles, sowohl identisch wie verschieden, sowohl früher wie später wie gleichzeitig, sowohl seiend wie erkennbar ist. Beide Resultate stehen sich schroff gegenüber, indem das eine bestreitet, was das 92

So u. a. von F. M. Cornford, a . a . O . , S. 194ff und H . G. Zekl (1), S. 116ff, (2), S. 161 f Anm. 206, die in dieser Position nichts weiter als einen Appendix zur zweiten Position zu sehen vermögen, der inhaltlich zu deren Zeitargumentation gehört. Richtig als Synthesis hingegen begreifen diesen Abschnitt u. a. G. Grote: Plato and the other Companions of Socrates, 3 Bde., London 1865, Bd. 2, S. 308-12, P. Natorp, a . a . O . , S. 260ff, P. Friedländer, a . a . O . , Bd. 3, S. 188ff, W. Bröcker, a . a . O . , S. 420ff.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

andere behauptet. Wegen der Selbigkeit des Untersuchungsobjekts, des als Einheit interpretierten Ideengeflechts, bilden sie wechselseitig sich aufhebende Gegensätze. Auf dieses Weder-Eines-noch-Vieles der ersten Position (μήτε — μήτε) und Sowohl-Eines-als-auch-Vieles (τε καί) der zweiten greift der Abschnitt zurück in der offenkundigen Absicht einer Vermittlung. Wie ist eine Vermittlung zwischen Kontradiktorischem zu denken, was ist die Bedingung ihres Ausgleichs? Das empirische Vorstellen kennt die Vermittlung in der Zeit. Die Zeit fungiert als Medium, Bestimmungen, die einander logisch widersprechen, durch ein Nacheinander, ein Früher und Später, auseinanderzuhalten und so miteinander in bezug auf einen und denselben Gegenstand kompatibel zu machen. Denn in der Zeit ist es sehr wohl möglich, daß demselben Subjekt im Zeitpunkt tj ein bestimmtes Prädikat und im Zeitpunkt t2 das entgegengesetzte zukommt, beispielsweise daß ein Körper zunächst klein, später groß ist. Daher legt sich der Rückgriff auf die Zeit zur Auflösung des Widerspruchs zwischen erster und zweiter Position nahe. Da jedoch die Teilhabe an der Zeit, d. h. das zeitliche Sein, ausschließlich ein Resultat des zweiten Untersuchungsgangs war, während der erste jegliche Teilhabe an ihr, d. h. jegliches zeitliche Sein und Nichtsein, bestritt, kann die Zeit in der Vermittlerrolle zwischen erster und zweiter Position entweder nur vorläufig gemeint sein oder metaphorisch 93 , keinesfalls aber die endgültige Lösung bedeuten. Sieht man genauer zu, was in oder an der Zeit die Vermittlung leistet, so stößt man auf Bewegungsphänomene. Beispielsweise wird die Verbindung zwischen dem Zustand des Nichtseins und dem des Seins hergestellt durch das Werden (γίγνεσθαι) resp. umgekehrt durch das Vergehen (άπόλλυσθαι), die zwischen dem Zustand der Kleinheit und dem der Größe durch das Wachsen bzw. Abnehmen (αύξάνεσθαι, φθίνει/ν), die zwischen dem der Ähnlichkeit und dem der Unähnlichkeit durch das Verunähnlichen bzw. Angleichen (άνομοιούσθαι, όμοιούσθαι). In allen Fällen hat der Ubergang zwei Erscheinungsformen, die sich nach Ausgang und Resultat bestimmen. Uberein kommen sie darin, daß sie Spezies des übergeordneten Begriffs „Bewegung" sind. Da die zu vermittelnden Zustände zwar differieren, jedoch nur in quantitativer oder gradueller Hinsicht, folglich die Extrem-

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In symbolischem Sinne versteht P . N a t o r p , a . a . O . , S. 261 sie. Für ihn ist sie nichts anderes als ein Auseinanderhalten im D e n k e n , eine Setzung in verschiedene Denkstadien. „ D e r Begriff der Zeit w ü r d e . . . also nur die l o g i s c h e S o n d e r u n g dieser verschiedenen Stadien oder M o m e n t e des Denkens vertreten."

D e r Vermittlungsbegriff

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Positionen eines gleichförmigen Prozesses ausmachen 9 4 , ist der Übergang zwischen ihnen als kontinuierliche Bewegung aufzufassen. So ist es letztlich die Kontinuität der Bewegung, die innerhalb der Zeitdimension zwischen den diskreten Endzuständen vermittelt. Die diskreten Zustände, von denen die kontinuierliche Bewegung ausgeht und in denen sie endet, sind nun freilich nicht die einzigen Bestimmungen in der Zeit, die Bewegung selbst ist eine solche, und so taucht die Frage nach dem Vermittlungsprinzip dieser und der Zustände auf. Es versteht sich, daß der Übergang von einer kontinuierlichen, dynamischen zu einer diskreten, statischen Bestimmung, also einer nicht mehr quantitativ oder graduell, sondern qualitativ verschiedenen, nicht mehr in Form einer kontinuierlichen Bewegung geschehen kann, sondern nur noch in der eines sprunghaften, qualitativen Umschlags, einer sog. μεταβολή. Denn an der Grenze der Bewegung zu Stillstand, an der das Werden in Sein übergeht und die Aussage „ x w i r d " die Gestalt ,,x ist" annimmt, zerbricht die Kontinuität und wird zum Sprung 9 5 . Den Ort dieses Umschlags nennt Piaton έξαίφνης, das Plötzlich oder N u , das Auf-Einmal. Trotz vordergründiger Ähnlichkeit ist das έξαίφνης nicht identisch mit dem νΰν von 152bc; denn bezeichnet jenes ein ausgedehntes Jetzt, eine zwischen Vergangenheit und Zukunft sich erstreckende Gegenwart, so dieses einen atomisierten, infinitesimierten Augenblick. Mit ersterem ist ein zeitliches Jetzt gemeint, mit letzterem eine abstrakte Stelle außerhalb der Zeit. Entsprechend wird das έξαίφνης als άτοπον (156d 9 6 ) charakterisiert, worin die ursprüngliche Bedeutung des Ort- und Stellenlosen, des in die Zeit nicht Einzuordnenden noch nachklingt. Das έξαίφνης ist in der Zeit nicht lokalisierbar, es liegt außerhalb derselben 9 7 . Begründet wird sein Herausfallen mit seiner absoluten Qualitätslosigkeit. Denn soll der Umschlag seine Aufgabe als Vermittlungsprinzip unterschiedlicher Qualitäten er-

94 95

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Aristoteles w ü r d e diesen U b e r g a n g eine quantitative B e w e g u n g nennen, vgl. P h y s i k 225 b. D a B e w e g u n g „ W e r d e n " und Z u s t a n d „ S e i n " genannt werden kann, ist hier die F r a g e nach der Vermittlung v o n Werden u n d Sein, von parmenideischem und herakliteischem Prinzip, a u f g e w o r f e n . ά τ ο π ο ν hat ursprünglich die B e d e u t u n g v o n : nicht an seiner Stelle, ortlos, im übertragenen Sinne v o n : in die gewöhnliche O r d n u n g hineinbrechend oder aus ihr herausfallend und d a m i t : ungewöhnlich, seltsam, unbegreiflich, unvernünftig. A u f die Wirkungsgeschichte des έ ξ α ί φ ν η ς und sein Verhältnis zur Zeit in Aristoteles' Zeittheorie, Physik IV, 10 — 14, D i o n y s i u s A r e o p a g i t a s Christologie und K i e r k e g a a r d s Platon-Interpretation (Der Begriff A n g s t , 2. A n m . z u m 3. K a p . (IV, 3 5 1 - 3 5 4 ) ) oder die vielfältigen B e z ü g e in der D i c h t u n g kann hier nicht näher eingegangen werden.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der U n t e r s u c h u n g

füllen, so darf er selbst durch keine derselben bestimmt sein, da er andernfalls in die Ebene zurückfiele, die zu vermitteln ihm obliegt. Da nun alle Qualitäten in der Zeit sind und es zwischen der Dauer der einen und der der anderen keine Zwischenzeit gibt, in der ein Ubergangszustand in Form eines Zugleich beider herrschte, weil jede nur ganz in der Zeit ist oder überhaupt nicht, muß das Vermittelnde aus der Zeit herausfallen. U m beim Beispiel der Bewegung und Ruhe zu bleiben: Solange sich etwas bewegt, findet kein Ubergang zu Ruhe statt, und solange etwas ruht, keiner zu Bewegung. „Denn aus der Ruhe geht nichts noch während des Ruhens über, noch aus der Bewegung während des Bewegtseins" (156d). Folglich muß das Ubergehen als solches, das keines von beiden ist, außerhalb der Zeit stattfinden. Da Bewegung in jedem beliebigen Augenblick in Stillstand übergehen kann und auch umgekehrt und damit ihre Kontinuität in Diskretheit, ist die Grenze zwischen Bewegung und Stillstand, die den instantanen Umschlag fordert, nicht nur am Anfangs- und Endpunkt anzutreffen, sondern in jedem Punkt des Bewegungsprozesses. Durchziehen Kontinuität und Diskretion die g e s a m t e Bewegung — gleichsam als die beiden Aspekte derselben — und vermittels dieser die Zeit, so fungiert das εξαίφνης als Vermittlungsprinzip aller Kontinuitäts- und Diskretionsphänomene; es ist Ermöglichungsgrund des Bewegungs- und Zeitzusammenhangs schlechthin. Versucht man, das Generelle dieses speziellen Falls temporaler Verknüpfung herauszukristallisieren, so stößt man auf zwei Momente, zum einen auf das Zu-Verknüpfende, zum anderen auf das Verknüpfende. Ersteres trat bisher in Form des quantitativ oder qualitativ Differenten in der Zeit auf. Ad genus erweitert, fällt jede Art von Gegensatz, ob temporaler oder atemporaler oder der von Temporalität und Atemporalität, darunter. Dies rechtfertigt auch die Anwendung auf die erste und zweite Position, von denen die erste aufgrund ihres Weder-Noch jegliche Teilhabe an der Zeit negiert, die zweite aufgrund ihres Sowohl-Als-auch affirmiert. In diesen beiden Untersuchungsgängen stehen sich nicht mehr einzelne Bestimmungen gegenüber, sondern die Gesamtheit derselben in ihrer Position und Negation. Was das Verknüpfende betrifft, so zeigt es sich in zweierlei Gestalt: als zeitimmanentes Prinzip der Bewegung und als zeittranszendentes des εξαίφνης. Da das eine die Vermittlung durch Zusammenhalten der Bestimmungen, das andere durch totale Unbestimmtheit leistet, treten beide, obwohl in der Vermittlungsfunktion einig, in ein dialektisches Verhältnis, das näherer Ausdeutung bedarf.

Der Vermittlungsbegriff

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Ihrer Struktur nach ist Bewegung, die von einer Bestimmung zur anderen durch Festhalten an beiden übergeht 98 , ein Konvergenz- und Divergenzprinzip, dies insofern, als die zu verknüpfenden Seiten gleicherweise in ihr konvergieren wie aus ihr entspringen. Durch keine der zu vermittelnden Bestimmungen ausschließlich bestimmt, sondern durch beide gemeinsam, ist sie ein Schweben zwischen beiden. Es wäre falsch, dies als Einheit einer Zweiheit, also als Vereinigung zweier Instanzen nach dem Modell des Einheits- und Ganzheitsbegriffs der zweiten Reihe, zu deuten. Denn die Fixierung des Schwebens als Einheit führte sogleich zur Konfrontation mit der zu vermittelnden Zweiheit und machte eine neue Vermittlung, also eine neue Bewegung, erforderlich, welche für den Fall, daß sie selbst wieder als Einheit gefaßt würde, eine erneute Gegenüberstellung nach sich zöge und so den Prozeß in infinitum iterierte, wie dies die zweite Reihe anhand des Progresses und Regresses vorgeführt hat. Bewegung selbst ist nun aber nichts anderes als ein solcher Progreß und Regreß; nicht u n t e r l i e g t sie daher als Prinzip denselben, sondern v e r k ö r p e r t dieselben aufgrund des Zugleich der Bestimmungen, das sie ihrem Wesen nach ist, wenngleich sie dasselbe nur im Nacheinander zu explizieren vermag. Demgegenüber stellt das εξαίφνης ein schlechthin Bestimmungsloses und infolgedessen Unfixierbares und Unerkennbares, aus der gewöhnlichen Ordnung Herausfallendes dar. Ihre Plausibilität erhielt diese metatheoretische Kennzeichnung dadurch, daß das Vermittelnde selbst nicht der Sphäre des Vermittelten angehören kann, ohne sich einer petitio principii schuldig zu machen, vielmehr ihr transzendent sein muß. Frei von allen Bestimmungen, obwohl Macht über sie besitzend, ist es auf dem Sprunge zu ihnen. Genau genommen erfolgt daher der Ubergang von einer Bestimmung zur anderen nicht direkt, sondern zunächst in das Bestimmungslose hinein und dann aus ihm heraus (vgl. 156de). Zeitlose und zeitliche Vermittlung verhalten sich zueinander wie Grund und Folge. Selbst weder Teil der Zeit noch Bestimmung in der Zeit, stiftet die zeitlose Vermittlung den zeitlichen Zusammenhang. Gleichwohl handelt es sich um ein ganz besonderes Verhältnis, bei dem das transzendente Prinzip seine Bestimmung als Konstituens nicht erst aus der Entgegensetzung zu der von ihm konstituierten Zeit empfängt, würde es doch so seines Fundierungscharakters verlustig gehen. Es kann seine Ermög98

Die Bestimmungen treten daher in diskreter Unterschiedenheit n u r in den E x t r e m p u n k t e n auseinander.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

lichungsrolle nur wahrnehmen, wenn die Bestimmungen und Verhältnisse, die es ermöglicht, nicht auf es selbst anwendbar sind. Würde es selbst als Eines installiert und dem Ermöglichten als einem Zweiten konfrontiert, so resultierten alle jene Schwierigkeiten wieder, die die diversen Auslegungen des Verhältnisses zwischen dem Einem und dem Anderem mit sich bringen und die im Vorherigen eingehend erörtert wurden. So fungiert das εξαίφνης nur noch als Titel für das an sich unerkennbare „von woher" des zeitlichen Zusammenhangs, als Indikator jener Ursprungsdimension. Während die Bewegung in der Zeit eine konstatierbare Erfahrungstatsache ist, stellt das εξαίφνης eine nur zu erschließende Denknotwendigkeit dar. Da hier der Fall gegeben ist, wo sich innerhalb eines dialektischen Verhältnisses zwischen Immanenz und Transzendenz die Applikation der dialektischen Gesetze der Immanenz auf die Ursprungsdimension verbietet, kann von einem Zugleich von positiver und negativer Dialektik gesprochen werden. Diese Vermittlungsstruktur gilt nun nicht allein für die zeitlichen Bestimmungen, sondern für schlechthin alle, gleichgültig, welcher Art. Daher findet sie Anwendung auch auf das Verhältnis von erster und zweiter Position mit ihrer Zeitlichkeit und Nichtzeitlichkeit wie darüber hinaus auf das der übrigen Antithesen des dialektischen Gefüges des zweiten Teils des Parmenides. In dem Ubergang von einer Position zur anderen dokumentiert sich die Bewegung und in dem, was hinter allem als das unausgesprochene und unaussprechliche zusammenhangsstiftende Prinzip steht, das εξαίφνης. Keinen Einwand gegen die Ausweitung stellt der Hinweis dar, daß die erste Position wie die ihr analogen aufgrund absoluter U n determiniertheit und Unerkennbarkeit gleichen Status mit dem undeterminierten und unerkennbaren εξαίφνης habe; denn im Unterschied zum εξαίφνης gewinnt die Negativität und Unerkennbarkeit der ersten Position in ihrer Entgegensetzung zur Positivität und Erkennbarkeit der zweiten eine Bestimmtheit, die es macht, daß sie als das eine Bestimmte ein mit jenem anderen Bestimmten zu Vermittelndes bildet. Dies verdeutlicht noch einmal aus anderer Sicht, daß der l e t z t e Vermittlungsgrund, obwohl dem Vermittelten opponiert, seine Bestimmtheit gerade nicht aus einer Opposition gewinnen darf. Damit hat die Analyse des Platonischen Parmenides die in diesem Dialog vorgeführten Strategien zur Beherrschung des Verhältnisses von Einheit und Mannigfaltigkeit in toto aufgedeckt. Da es sich nicht um zufällig aufgegriffene Strategien, sondern, wie einleitend gezeigt wurde, um die einzig möglichen und denkbaren handelt, haben sie nicht von ungefähr den nachhaltigsten Einfluß auf die Geistesgeschichte ausgeübt, sei es, daß

D e r Vermittlungsbegriff

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sie in positiver Weise philosophische Strömungen initiierten, wie der Einheitsbegriff der, ersten Position die theologia negativa, die über den Neuplatonismus, die christliche Theologie und Mystik des Mittelalters, besonders östlicher Prägung (Dionysius), aber auch westlicher (Augustin, Cusanus), bis hin zum späten Fichte fortgewirkt hat, oder wie der Einheitsbegriff der zweiten Position, der das Grundkonzept für jede Art von Pantheismus und Panmonismus bis zu Schelling und Hegel erstellt, sei es, daß sie in negativer Weise Gegenstand der Kritik wurden und als Gegenreaktion Theorien veranlaßten, welche die mit ihnen verbundenen Schwierigkeiten durch Ausweichen auf andere Ebenen zu umgehen suchten. So kann der neuzeitliche subjektivitätstheoretische Ansatz, wie Henrich in historischsystematischen Untersuchungen zum deutschen Idealismus und dessen Ursprüngen gezeigt h a t " , als Versuch gewertet werden, den Aporien des Eleatismus-Platonismus durch Verlagerung der Probleme ins Bewußtsein zu entkommen. Diese Theorien wären dann als Reflexionsstufen zweiter Ordnung zu interpretieren. Diesem Umstand ist es zu verdanken, daß die Konzepte nicht allein in der für die Antike charakteristischen O n t o l o g i e auftreten, die ihren Ausgang prinzipiell, selbst in ihren Repräsentanten einer Logos-Nous-Metaphysik, vom Sein nimmt und von diesem zum Bewußtsein fortschreitet, aber immer so, daß das Bewußtsein höchste Stufe des Seins und Selbstoffenbarung desselben und folglich Moment an ihm bleibt, sondern auch in den B e w u ß t s e i n s t h e o r i e n der Neuzeit, die den umgekehrten Weg einschlagen, indem sie beim Bewußtsein ansetzen und aus ihm das Sein als Ingredienz entwickeln 100 . Es ist die These dieser Arbeit, die sich im folgenden zu erweisen haben wird, daß trotz inverser Ansätze in Altertum und Neuzeit, trotz divergierender Interpretationsmittel und Terminologie Grundzüge und -Schwierigkeiten der Platonischen Konzepte dieselben geblieben sind. Die Wiederholung der ontologischen Strukturen und ihrer Komplikationen im Bewußtsein kann nicht überraschen, da die Zusammennähme des Was des Denkens mit dem Wie in einem sich selber denkenden Denken, dem Selbstbewußtsein der Neuzeit, Ausdruck einer Einheit in der Zweiheit, einer Identität in der Differenz, einer Relation von Relata usw. ist und damit notwendig alle Probleme der Beziehung zwischen Einheit und Mannigfaltigkeit in sich birgt. Dies soll im folgenden bezüglich der Einheitsbegriffe exempla99 100

Vgl. S. 12f A n m . 17 dieser Arbeit. Zur historischen W i r k u n g von Piatons Parmenides auf die Tradition vgl. den Artikel über das Eine, Einheit im Historischen Wörterbuch der Philosophie von J . R i t t e r , a . a . O . , Bd. 2, S. 361 ff.

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Piatons Parmenides als Leitfaden der Untersuchung

risch an zwei klassischen Theorien des Idealismus demonstriert werden. Der Nachweis, daß sich die idealistischen Konzepte in dieselben Schwierigkeiten hineinmanövrieren wie die Platonischen, kann selbstverständlich nicht durch eine gleichsam von außen erfolgende Interpretation der idealistischen Konzepte sub specie Piatonis erbracht werden — dies verbietet sich schon aus historischen Gründen, aber auch deshalb, weil die Idealisten in ihrem Selbstverständnis bei aller positiven Einstellung zu Piaton kritisch auf ihn bezogen bleiben 1 0 1 —, vielmehr ist der Nachweis ausschließlich von innen heraus durch eine werkimmanente Interpretation und Textexegese zu führen.

101

So begleitet Hegel seine Untersuchungen im ersten Teil der Wissenschaft der Logik mit einer ständigen Auseinandersetzung mit Piatons Parmenides, und daß auch Fichte platonischen Argumenten einen anderen Stellenwert gibt, zeigt ζ. B. der Gebrauch der Lichtmetapher, des aus dem Staat bekannten Vereinigungsprinzips von Erkenntnis und Erkanntem, im Zusammenhang der Beschreibung des Selbstbewußtseins. Zu Fichtes Bezug zu Piaton vgl. Marheineckes Äußerung gegenüber Schleiermacher über eine Fichte-Vorlesung über die Wissenschaftslehre aus dem Jahre 1805: „Der Piaton tritt in jeder Stunde unverkennbar bei ihm hervor" (zit. bei M . Wundt, Fichte-Forschungen, Stuttgart 1929, S. 205).

II. Teil Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung 1. Abschnitt Die Antinomien der Einheit Für keinen Abschnitt der neueren Philosophie ist die Hen-Kai-PanSpekulation so charakteristisch wie für den deutschen Idealismus. Es ist diese Thematik, die der Epoche als ganzer ihren Stempel aufgedrückt und derselben ihr unverkennbares Gepräge verliehen hat. So groß aber auch der generelle Konsens respektive der Behauptung, daß Eines Alles und Alles Eines sei, ist, so tief sind die Meinungsdifferenzen respektive der Erklärung, wie Eines zu Allem und umgekehrt Alles zu Einem werden könne 1 . Da letzteres gerade für die entscheidende Frage erkannt wird, bildet sie den permanenten Streitpunkt in den vielfältigen Auseinandersetzungen dieser Zeit, so in Hegels Kritik am frühen Fichte und Schelling in der Differenzschrift von 1801, die zur Ausbildung seines eigenen Systems führte, so in dem Briefwechsel zwischen Fichte und Schelling, der 1802 mit dem Bruch beider endete und Schelling in seiner Schrift „Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der verbesserten Fichteschen L e h r e " (1806) zur Distanzierung von Fichte veranlaßte wie Fichte seinerseits in dem „Bericht über den Begriff der Wissenschaftslehre und die bisherigen Schicksale derselben" (1806) zur Absetzung von Schelling und zur Ausarbeitung seiner Spätphilosophie (faßbar seit etwa 1800). Innerhalb des Theoriezusammenhangs, der als absoluter Idealismus vom subjektiven abgegrenzt zu werden pflegt und ohne Zweifel die ausgereiftesten Systemkonzeptionen hervorgebracht hat, lassen sich zwei prinzipiell divergierende Richtungen unterscheiden. Der einen zufolge bleiben Eines und All letztlich verschieden und geschieden. Beide fallen nicht zusammen, sondern verharren einander gegen1

Vgl. Fichtes Brief an Schelling vom 15. 1. 1802 in J . G . Fichte. Briefwechsel, hrsg. v. H . Schulz, Leipzig 1925, II, 351 f; vgl. auch seinen Brief an Appia vom 23. 6. 1804, a . a . O . , II, 389.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

über in Äußerlichkeit und Fremdheit. Das Mannigfaltige ist der Einheit nicht immanent, sondern emanent; und das Eine seinerseits behält gegenüber der Welt und ihrer systematischen Verfassung Transzendenzcharakter. Da gleichwohl dem Einen Absolutheitsstatus konzediert wird, kraft dessen es die Funktion eines ausschließlichen Ganzen hat, eröffnet sich ein Widerspruch zwischen dem Postulat eines monolithischen Ganzen und dem faktischen Ansatz eines Einen gegenüber dem Übrigen. In Termini von Fichtes Wissenschaftslehre von 1812 stellt sich der Sachverhalt folgendermaßen dar: „Für sie [Wissenschaftslehre] stehen darum für's Erste unveränderlich fest die Sätze: Eins i s t , und außer diesem Einen ist schlechthin Nichts" (X, 331). „Kein Sein außer dem Einen absoluten, spricht der Begriff: dennoch ist ein faktisches Sein behauptet, jenem widersprechend das faktische Bewußtsein" (X, 329), und zwei Seiten zuvor: „Wir kommen in einen offenbaren Widerspruch. — A u ß e r ihm ist seinem Begriffe nach kein Sein: aber der Begriff ist, und ist außer ihm. Protestatio facto contraria! Indem g e s a g t wird, es sei Nichts außer ihm, ist Etwas, eben dieses Sagen, außer ihm." Für die zweite Richtung fallen Eines und All zusammen; das Eine gilt als das Universum selbst. Nicht mehr wird das Mannigfaltige dem Einen extern, sondern intern gedacht, so daß sich letzteres als ursprüngliche Einheit alles Vielen und Gegensätzlichen erweist. Zu realisieren vermag sich das so verstandene Eine allerdings nur, indem es sich dialektisch in sich spaltet, zur Zweiheit dirimiert und über den Nachweis, daß jedes der Momente die Einheit seiner selbst und seines Gegenteils ist, sich wieder mit sich zusammenschließt. „Den Gegensatz ewig zu produzieren und ewig zu versöhnen" 2 , macht das Wesen dieses Einen aus. Der Prozeß der Selbstentfaltung, durch den und in dem allein es erfaßbar ist, stellt sich nicht nur als ein Heraustreten der „unentzweitesten Identität" in den Reichtum ihrer Bestimmungen dar, nicht nur als ein Weg weg von sich zu anderem hin, sondern zugleich als eine Rückkehr zum eigenen Anfang, so daß Expansion und Kontraktion eins sind. In diesen beiden Richtungen wird man unschwer das Grundschema der Einheitskonstrukte von Fichte und Hegel erkennen. In der ersten spiegelt sich Fichtes Theorie vom Absoluten wider, wie sie erstmals in der Wissenschaftslehre von 18043 ihre Ausgestaltung erfahren hat, nachdem der 2 3

Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, XX, 460. Fichte hat die Wissenschaftslehre während des Jahres 1804 dreimal mündlich in Zyklusform vorgetragen: etwa vom 17. 1 .—29. 3., vom 16. 4. —8. 6. und vom 5. 11,— Dez. (zur Datierung vgl. J. Widmann: Analyse der formalen Strukturen des transzendentalen

Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

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Durchbruch zu ihr bereits 1801 erfolgt war, und wie sie seitdem nicht mehr wesentlich modifiziert worden ist, in der zweiten Hegels Lehre vom absoluten Geist, wie sie ihre verbindliche Darstellung in der Wissenschaft der Logik gefunden hat. Beide Systemkonzeptionen stellen autochthone Leistungen dar, die als gleichberechtigte Höhepunkte des absoluten Idealismus anzuerkennen sind 4 . Sachlich stehen sie miteinander in Konkurrenz, wenngleich historisch kaum Beziehungen nachweisbar sein dürften. Denn daß Hegel die von Fichte 1804 im Rahmen einer Privatvorlesung vorgetragene Wissenschaftslehre, die der philosophischen Öffentlichkeit erst aus dem Nachlaß 1834/35 zugänglich wurde, gekannt haben sollte, ist unwahrscheinlich, wie es auch fraglich ist, ob Fichte von Hegels Kritik an seiner „Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre" von 1794 in dessen Differenzschrift Notiz genommen hat 5 . Nichtsdestoweniger sind die Argumente, die Fichte zur Revision seiner Frühposition, zur Abkehr von der Absolutsetzung des Selbstbewußtseins und zur Anerkennung einer Differenz zwischen absolutem Selbst und Absolutem, bewogen 6 , denen Hegels Wissens in J o h . Gottl. Fichtes 2 . Darstellung der „Wissenschaftslehre" aus dem Jahre 1804, München 1961, S. 2 5 4 f ; J . G . Fichte, Wissenschaftslehre 1804. Wahrheits- und Vernunftlehre, I . - X V . Vortrag, hrsg. v. W . Janke, F r a n k f . a . M . 1966, S. 23; Johann Gottlieb Fichte. Erste Wissenschaftslehre von 1804, aus dem Nachlaß hrsg. v. H . Gliwitzky mit einem Strukturvergleich zwischen der W . L. 1804 1 und der W . L. 1804 2 von J . Widmann, Stuttgart 1969, S. X I I I ff; Johann Gottlieb Fichte: Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag im Jahre 1804 vom 16. April bis 8. J u n i . Gereinigte Fassung hrsg. v. R . Lauth und J . Widmann, Hamburg 1975, S. X V I I ff. Von diesen Vortragsreihen ist jedoch nur die zweite von Fichtes Sohn Immanuel Hermann Fichte aus dem Nachlaß ediert worden und daher als d i e Wissenschaftslehre von 1804 bekannt geworden. (Eine Veröffentlichung der ersten Fassung neuerdings von H . Gliwitzky, a . a . O . ) . 4

In der neueren Forschung ( M . Zahn: Die Bedeutung neuer Fichte-Funde für die Philosophie des „Deutschen Idealismus" und die heutige Philosophie in Zeitschrift für phil. Forschung, Bd. 13, 1959, S. 114, H . Radermacher: Fichtes Begriff des Absoluten, Frankf. a. M . 1970, S. 6 7 f f , L . Siep: Hegels Fichtekritik und die Wissenschaftslehre von 1804, Freiburg 1970, S. 11 ff) setzt sich immer mehr die Ansicht durch, daß der absolute Idealismus entgegen Hegels Selbstauslegung, derzufolge sein System den Abschluß und die Vollendung einer über Fichte und Schelling sich erstreckenden Entwicklung bildet, zwei gleichberechtigte, autonome Höhepunkte aufweise, neben der Philosophie Hegels die des späten Fichte.

5

Namentlich erwähnt Fichte Hegel nur einmal in einem Brief an Schelling vom 1 5 . 1 . 1802, nachdem dieser ihn auf die Differenzschrift hingewiesen hatte. D a Fichte nach Auskunft von L. Siep, a . a . O . , S. 12 A n m . 2 Hegel für einen orthodoxen Schüler Schellings hielt, beschränkt sich seine Auseinandersetzung auf diesen.

6

Zwar hat Fichte selbst wiederholt und nachdrücklich die Einheit und Bruchlosigkeit seines Systems betont — so versichert er aus der Sicht der Wissenschaftslehre von 1804 ( X , 194), daß bereits in der ersten Konzeption die Theorie von der Deriviertheit des Selbstbewußtseins aus dem Absoluten den Hintergrund bilde, indem „die W = L stets bezeugt [habe], daß nur als e r z e u g t sie das Ich für rein anerkenne, und es an die Spitze

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

konform 7 . Allerdings berechtigt dies noch nicht zu dem Schluß, daß der Weg, den Fichte zur Lösung seiner Probleme einschlug, derselbe gewesen sein müsse wie der Hegels, so daß sein System lediglich eine Vorstufe des Hegeischen bilde. Im folgenden sollen beide Konzepte zur Darstellung gebracht werden, der generellen Maxime unserer Arbeit gemäß jedoch so, daß dabei vor allem auf ihren Modellcharakter abgehoben und dessen Konsistenz bzw. Inkonsistenz beleuchtet wird. Das bedeutet eine Absage an eine bloße Paraphrasierung des Textes; denn angesichts der Ambiguitäten der Konzepte würde eine solche nur dazu führen, dieselben durch ständigen Verweis auf neue Textstellen zu überspielen. Da sowohl Fichte wie Hegel ihre Theorien argumentativ eingeführt und dieses Verfahren ausdrücklich legitimiert haben, muß es auch erlaubt sein, dieselben argumentativ zu überprüfen.

1. Einheit mit Ausschluß demonstriert

Kapitel

der Mannigfaltigkeit (Absolutheit), an Fichtes Einheitshegriff

1. Das Programm Fichte eröffnet die Wissenschaftslehre von 1804 (2. Fassung) mit der Aufgabenstellung. Absicht der Untersuchung sei es, „alles M a n n i g f a l t i g e . . . z u r ü c k z u f ü h r e n auf a b s o l u t e E i n h e i t " (X, 93) bzw. „ a b z u l e i t e n aus der Einheit" (X, 131), um auf diese Weise „das Mannigfaltige durch das Eine, und das Eine durch das Mannigfaltige wechselseitig" zu begreifen, „die Einheit = Α als Prinzip . . . solcher Mannigfaltigen; und umgekehrt . . . die Mannigfaltigen ihrem Seinsgrunde nach . . . als Prinzipiate von A " zu verstehen (X, 93). In den Erläuterungen hierzu findet die Zielsetzung eine Präzisierung. Gefordert ist die Reduktion „ a l l e M a n n i g f a l t i g e n , — was nur zu unterscheiden ist, seinen Gegensatz, und Pendant hat, schlechthin o h n e A u s n a h m e . Wo noch irgend die Möglichkeit einer Unterscheidung deutlich, oder stillschweigend, eintritt, ist die Aufgabe nicht gelöst. Wer in oder an

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ihrer Deduktion, nicht etwa ihrer selbst, als Wissenschaft, stelle, indem ja doch da die Erzeugung h ö h e r liegen wird, als das Erzeugte" —, der faktische Textbestand jedoch vermag dieses Selbsturteil nicht zu rechtfertigen. Dies ist die von L . Siep in seiner Dissertation, a . a . O . , vertretene These.

Das Programm

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dem, was ein philosophisches System als sein Höchstes setzt, irgend eine Distinktion als möglich nachweisen kann, der hat dieses System widerlegt" (X, 93). Das bedeutet streng genommen, daß nicht allein die aus dem Einen als höchstem Prinzip resultierenden mannigfachen Unterschiede und Gegensätze auf dasselbe zu reduzieren sind, sondern selbst noch der Unterschied und Gegensatz dieses Einen qua Ableitungsgrund zu den Unterschieden und Gegensätzen qua Ableitungsfolge. Denn auch das Fundierungsverhältnis zwischen dem Einen und den Disjunktionen ist eine Relation mit differenten Instanzen, die es zu überwinden gilt, wenn dem Postulat entsprochen und das Eine als Absolutum interpretiert werden soll. Systematisch expliziert läuft die Forderung auf eine Einheit hinaus, in der nicht nur alle numerische Vielheit eliminiert ist, sondern auch ihr eigenes numerisches Verhältnis zu anderem, nicht nur alle qualitative Differenz, sondern auch ihre eigene Differenz gegenüber anderem, nicht nur alle Relationalität, sondern auch ihre eigene Relation 2u jener, kurzum, in der alle Verstandesbestimmungen getilgt sind und die daher auch nicht mehr das einseitig verabsolutierte Glied eines Verstandesgegensatzes ausmacht. Als über alle Verstandesgegensätze, -relationen und -pluralität erhaben, als schlechthin Unterschieds-, relations- und vielheitslos, entzieht sie sich jeglicher Fixierung und Determination durch den Verstand. Sie ist die schlechthinnige Negation aller rationalen Bestimmungen. Gleichwohl wird das Intendierte mit dem Titel „Einheit" belegt, der das Glied eines Verstandesgegensatzes bezeichnet. Offensichtlich läßt sich, wie die weiteren Ausführungen dies bestätigen, die Beschreibung und Charakteristik des absoluten Einen überhaupt nur mit Verstandesmitteln und das heißt aus der Opposition zur Mannigfaltigkeit heraus vornehmen. Für das Begreifen stellt sich daher das Eine dem numerisch Vielen gegenüber als einfaches, ungeteiltes Eines dar, den Unterschieden, Gegensätzen und dem an sie gebundenen Wandel gegenüber als Unterschieds- und gegensatzlose, stets sich gleichbleibende Identität und Unwandelbarkeit, dem Mannigfaltigen als Prinzipiat gegenüber als Prinzip und der kontingenten Reflexion gegenüber als notwendiges Sein. Wiewohl eine Kategoriendeduktion in der Wissenschaftslehre von 1804 im Unterschied zur „Grundlage" nicht in Fichtes Absicht liegt, finden sich alle kategorialen Aspekte in der Beschreibung des absoluten Einen wieder, was nicht überrascht, da das Denken und Sprechen an sie gebunden bleibt. So ist das absolute Eine in quantitativer Hinsicht als Eines neben Vielem, in qualitativer als Identisches gegenüber Differentem, in relationaler als Grund von Folgen, in gnoseologischer als Sein für das Bewußtsein zu bestimmen.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Durch scharfe Interpretation wird bereits in den Einleitungssätzen das Dilemma der Wissenschaftslehre sichtbar: Auf der einen Seite ist eine Einheit angestrebt, die jenseits aller Verstandesgegensätze einschließlich desjenigen ihrer selbst zu den Verstandesprodukten und zum Verstand selbst liegt und damit den Status eines Singulums, eines Einzigen und Einzigartigen, hat, auf der anderen Seite läßt sich diese Einheit nur mit Verstandesmitteln als Eine neben anderem (Mannigfaltigem) fassen. Die Wissenschaftslehre ist im vollen Bewußtsein dieses Dilemmas angetreten mit dem Ziel, es zu überwinden 8 . Hieraus ergibt sich die Anlage des Werks. Insgesamt aus 28 Vorträgen bestehend, zerfällt die Wissenschaftslehre in zwei Teile, von denen der erste (1. —15. Vortrag) den Titel „Wahrheits- und Vernunftlehre" trägt und die Aufgabe einer vollständigen Reduktion des Mannigfaltigen auf Einheit hat. Sein Anliegen ist die Gewinnung einer allem voraus und zugrunde liegenden Einheit im Aufstieg von der Mannigfaltigkeit. Dem zweiten Teil (16.—28. Vortrag), der unter dem Titel „Erscheinungs- und Scheinlehre" steht, obliegt die Aufgabe der Deduktion des Mannigfaltigen aus der absoluten Einheit bzw. der Abstieg 9 . Ihm geht es darum, das Mannigfaltige, zu dem letztlich auch der Gegensatz von Einheit und Mannigfaltigkeit zählt, mit dem absoluten Einen in Einklang zu bringen. Fichte hat dem Problem der Aufstellung des Prinzips in der Wissenschaftslehre von 1804 entscheidende Bedeutung beigemessen. Während er in der „Grundlage" von 1794 „wie aus der Pistole" geschossen 10 mit ihm beginnt, gelangt er 1804 erst über einen Aufstieg durch die Mannigfaltigkeit zu ihm, der die ganze erste Hälfte der Vortragsreihe einnimmt. Die Gründe für diesen methodischen Wandel sind historischer wie sachlicher Art. Ausschlaggebend war die Kontroverse mit Schelling über den Zugang zum Absoluten, wie sie in dem biographisch wie systemgeschichtlich bedeutsamen Briefwechsel der Jahre 1801/02 zutage tritt. Während Schelling die Meinung hegt, daß das Absolute direkt, „mit Einemmal und auf absolute A r t " 1 1 , unter Hinwegsetzung über die endliche Mannigfaltigkeit erfaßbar sei und folglich auch methodisch zum Ausgangspunkt der Deduktion 8 9

10 11

Vgl. auch die Wissenschaftslehre von 1812, X , 329. Die These L. Sieps, a . a . O . , S. 49, 82, wonach auch der zweite Teil einen Aufstieg, zwar nicht zum Grundsatz der Wahrheits-, wohl aber zu dem der Erscheinungslehre enthalte, läßt sich textlich nicht bestätigen. Wohl ist in beiden Teilen die Methode der Genetisierung, d. h. der Rückführung einer faktisch vorfindlichen Zweiheit auf ihre ursprüngliche genetische Einheit, dieselbe, jedoch ist die Blickrichtung im zweiten Teil abwärts gewandt. Hegel: Phänomenologie, III, 31, vgl. Wissenschaft der Logik, V, 65. Br. II, 335, Schelling an Fichte 3. 10. 1801.

Das Programm

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dienen könne, vertritt Fichte die Ansicht, daß es sich nur mittelbar, von unten, durch stufenweisen Aufstieg über das Mannigfaltige als dessen letzte, unumgängliche Voraussetzung erreichen lasse. Sachlich kommt in dieser Kontroverse eine unterschiedliche Bewertung des menschlichen Erkenntnisvermögens zum Tragen. Dadurch daß Fichte auf der Endlichkeit und Beschränktheit der menschlichen Erkenntnis bei der Erfassung des Absoluten insistiert, verbleibt er prinzipiell auf dem Standpunkt des kantischen Kritizismus. Seine Philosophie reklamiert nicht, Absolutheits-, sondern Endlichkeitsphilosophie zu sein, wohingegen Schellings Anspruch auf Absolutheits^ihilosophie zielt. Die Differenz zwischen beiden manifestiert sich darin, daß für Fichte ein Bruch zwischen Absolutem und endlicher, kontingenter Faktizität besteht, der einen Transzensus von der letzteren zum Absoluten und einen Deszensus zurück zu ihr unmöglich macht, während für Schelling hier eine Kontinuität herrscht, die die sukzessive Ableitung der weltlichen Mannigfaltigkeit aus dem Absoluten gestattet. Letzteres setzt allerdings einen Absolutheitsbegriff voraus, der anders als der Fichtesche die Kriterien des Endlichen impliziert oder, wie es in einem Brief Schellings an Fichte heißt, nur „unter der Form der quantitativen Differenz" 1 2 denkbar ist, — was Schelling von Fichte den Vorwurf eingetragen hat, nurmehr das Endliche verabsolutiert zu haben. „Sie . . . übersahen [diesen Punkt]", schreibt er an Schelling, „weil Sie an das Absolute unmittelbar mit Ihrem Denken gingen, ohne sich auf Ihr Denken, und daß es wohl nur dieses sein möchte, was durch seine eignen immanenten Gesetze Ihnen unter der Hand das Absolute f o r m i e r t e , zu erinnern" 1 3 . Die Konfrontation der Konzepte macht deutlich, daß ein Absolutheitsentwurf wie der Fichtes des Aufstiegs als einer Propädeutik, d. h. einer Hinführung zum Absoluten, notwendig bedarf, da sich das Absolute überhaupt nur im Ausgang und Durchgang durch das Mannigfaltige erfassen läßt als das, was an dessen Grenze sichtbar wird, nicht als Inbegriff der Welt, sondern als deren Negation 14 . 12 13 14

Br. II, 334, 3. 10. 1801. Br. II, 342, 15. 10. 1801. Von hier aus läßt sich Stellung nehmen zu dem in der Literatur geführten Streit, ob der Titel „Wahrheits- und Vernunftlehre" für den gesamten ersten Teil berechtigt sei oder nicht. J. Widmann, a. a. O . , S. 41, 183 ff will ihn streng auf den einzig möglichen Satz über das Absolute zu Beginn des 16.Vortrags beschränkt wissen. Demgegenüber weist W.Janke: Fichte, Berlin 1970, S. 400 Anm. 66 (vgl. H . Radermacher, a . a . O . , S. 79) darauf hin, und dies zu Recht, daß der Aufstieg zum absoluten Einen notwendig mit zur Wahrheits- und Vernunftlehre gehöre, insofern innerhalb desselben nicht das Mannigfaltige als solches, sondern das Eine thematisch sei. Thematisch ist jenes nur als zu Überwindendes.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Der Aufstieg hat die methodische Funktion der Abstraktion. Fichte erörtert ihn in der Wissenschaftslehre von 1804 speziell unter dem Terminus der Genesis oder Genetisierung. Gemeint ist damit ein Verfahren, das zu den faktisch vorfindlichen Disjunktionen die synthetische Einheit sucht, die dieselben zu erklären vermag. Ziel des Vorgehens ist es, durch Angabe immer höherer, allgemeinerer, umfassenderer synthetischer Einheiten schließlich jene zu finden, aus der alle Disjunktionen verständlich werden, selbst noch die Grunddisjunktion zwischen ihr und den übrigen. Das Verfahren setzt sich ausdrücklich gegen eine bloße Synthesis post factum ab, die vorhandene Disjunktionsglieder nachträglich vereint, ohne das Resultieren ihrer Zweiheit und Differenz einleuchtend machen zu können. Synthesis post factum heißt für Fichte: „wenn man zwei Glieder einer Disjunktion . . . vorfindet, und nun durch die Vernunft gedrungen, einsieht, sie müssen an sich doch Eins sein, ungeachtet man gar nicht angeben kann, wie sie bei dieser Einheit zugleich zu Zweien werden" (X, 111). Im Gegensatz dazu hebt das intendierte Verfahren auf eine Synthesis a priori ab, die in eins Synthesis und Analysis ist und daher Einheit wie Differenz der Glieder zu erklären vermag. Möglich wird ein solches Vorgehen nach Fichte durch Reflexion auf die Bedingungen unserer Einsicht in die faktische Synthesis gemäß der Maxime: „Wie haben wir es denn gemacht, daß uns diese Einsicht entstanden?" (X, 129) oder: Wie hat sich diese Einsicht in uns erzeugt? Auf diese Weise wird das in der faktischen Synthesis mechanisch oder ,bewußtlos tätige' (X, 110) Prinzip ins Bewußtsein gehoben und sein Produktivitätscharakter evident. „Auf diese Weise nun werden wir von faktischen Gliedern aufsteigen zu genetischen; welches Genetische denn doch wieder in einer a n d e r n Ansicht faktisch sein kann, wo wir daher gedrungen sein werden, wieder zu dem, in Beziehung auf d i e s e Faktizität, Genetischen aufzusteigen, so lange bis wir zur a b s o l u t e n Genesis . . . hinaufkommen" (X, 128). Sinn und Zweck dieses schrittweisen Aufstiegs ist die Überwindung alles Mannigfaltigen als eines nur Derivativen und Dependenten, das zur Repräsentation der absoluten Einheit untauglich ist. Uberwindung bedeutet hier nicht Aufhebung und Vernichtung, sondern lediglich Zurückweisung des ungerechtfertigten Anspruchs des Mannigfaltigen, sich zum absoluten Prinzip zu qualifizieren. Aufstieg oder Genesis enthüllt sich somit als Abstraktion von allem Mannigfaltigen als inadäquatem Kandidaten zur Bestimmung des absoluten Einen. Wenn der erste Teil der Wissenschaftslehre das Einheitsprinzip, die Möglichkeit, Art und Weise seiner Erfassung thematisiert, so steht im

Das Programm

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Mittelpunkt des zweiten das Mannigfaltige, genauer gesagt, nicht die unendliche, unüberschaubare Fülle des Gegebenen, sondern deren Prinzip — im letzten Vortrag zudem dessen Hauptmomente — sowie das Verhältnis desselben zum Prinzip der absoluten Einheit. Das Problem, das dieser Teil zu lösen hat, ist mit der Statuierung der absoluten Einheit im ersten Teil entstanden; denn da die Einheit aufgrund der Auslöschung aller Vielheit, Verschiedenheit und Relationalität in ihr Singularität beansprucht, nichtsdestoweniger die Mannigfaltigkeit faktische Realität bleibt, entsteht die Aufgabe, beide so zu vermitteln, daß die Gefahr eines Prinzipiendualismus abgewendet wird. Vor welcher Schwierigkeit dieser Teil steht, wird deutlich, wenn man sich die verschiedenen Modelle der Beziehung zwischen Einheit und Mannigfaltigkeit vergegenwärtigt, wie Fichte sie selbst, allerdings im ersten Teil und anhand der Begriffe des Ansich und Nichtansich, entwickelt hat. Letztere können aber ohne weiteres als Beispiele für Mannigfaltiges genommen werden. Die Schwierigkeit umreißt er dort so: „Wie aus der Einheit, als bloßer reinen Einheit, ein Ansich und Nichtansich folge, läßt sich nicht erklären; freilich, wenn sie schon vorausgesetzt wird, als Einheit des Ansich und Nichtansich; dann aber ist die Unbegreiflichkeit, und Unerklärlichkeit in dieser B e s t i m m t h e i t der Einheit, und sie selber wäre nur das proiectum per hiatum irrationalem" (X, 203). Im ersten Modell resultiert die Schwierigkeit aus der Opposition von Einheit und Mannigfaltigkeit. Die Einheit wird als selbständige, von den Relata unabhängige, ihnen sogar gegenüberstehende und insofern leere angenommen. Wie aus einer solchen einfachen Einheit überhaupt Relata hervorgehen können, wieso gerade zwei und nicht mehr oder weniger, wieso gerade diese und nicht andere, muß völlig unverständlich bleiben. Entgeht das zweite Modell dieser Schwierigkeit dadurch, daß es die Relata in der Einheit enthalten denkt, die Einheit zwar nicht als abhängig von denselben auffaßt, vielmehr als selbständig, aber jene implizierend, so bringt doch auch dieses Modell keine Lösung, sondern nur eine Verschiebung der Problematik, insofern sich nun innerhalb der Einheit das Problem der Ableitung gerade zweier und gerade dieser Glieder stellt. Die Unerklärlichkeit des hiatus irrationalis liegt hier im Ansatz. Zwischen dieser Skylla und Charybdis ist hindurchzuschiffen. Zum einen soll die Konzeption, was die Einheit betrifft, den inkriminierten Mängeln sowohl der Leerheit wie des Hiats entgehen — dies geschieht, wie der erste Teil zeigt, durch den Koinzidenzgedanken, die Annahme eines wechselseitigen Sich-Durchdringens und ununterscheidbaren Ineinander-Aufgehens der Relata, ihres „impliziten" Enthaltenseins

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in der Einheit —, zum anderen soll die Konzeption, was die Mannigfaltigkeit betrifft, der Gefahr des Dualismus entgehen. Dies löst Fichte im zweiten Teil dadurch, daß er die Mannigfaltigkeit als Explikat der Einheit, als Erscheinung derselben, interpretiert — Erscheinung in dem Doppelsinn verstanden, demzufolge sie a) Selbstoffenbarung der Einheit und b) bloße Erscheinungsweise und nicht das Sein selbst ist. O b dieser Lösungsvorschlag de facto den Schwierigkeiten entkommt oder erneut in die Probleme des ersten Modells mit seiner Gegenüberstellung von abstrakter Einheit und Mannigfaltigkeit führt, insofern die Erscheinung ein unableitbares, unerklärliches Faktum und damit ein zweites autonomes Prinzip ist und die Koinzidenz, als von ihrer Erscheinungsweise unterschieden und in Relation zu dieser stehend, wiederum der Einseitigkeit verfällt, als Eine ihrer Erscheinung als einem Zweiten gegenübertritt, bleibt zu sehen. Da die beiden mit dem Begriff der absoluten Einheit unvermeidbar aufgeworfenen Probleme: 1. das der Möglichkeit ihrer Erfassung durch totale Abstraktion und 2. das ihrer möglichen Beziehung zum Faktum Mannigfaltigkeit, im wesentlichen auf die beiden Teile der Wissenschaftslehre verteilt sind, kann dem Gang derselben gefolgt werden 15 . Zuvor aber ist noch ein Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Theorien von Fichte und Piaton zu werfen, drängt sich doch ein Vergleich nach der bisher entwickelten Programmatik geradezu auf. Daß Fichtes Idee der absoluten Einheit strukturell mit Piatons Einheitsbegriff aus der ersten Position des Parmenides übereinstimmt, bedarf keiner weiteren Erklärung. Denn so wie es dort um ein εν ging, das nicht nur eines unter anderen, nicht nur ein Eines, sondern, indem es alles andere ausschloß und negierte, das Eine schlechthin sein sollte, so geht es auch hier um eine Einheit, von der gelten soll: „Das absolute s e l b s t . . . ist kein Sein, noch ist es ein Wissen, noch ist es Identität, oder Indifferenz beider:

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Während der erste Teil durch die ausgezeichnete Nachkonstruktion von W . Janke, a. a. O . , S. 301 ff in seiner Struktur durchsichtig geworden ist (aüf die Differenzen unserer Auslegung zu jener wird noch einzugehen sein), ist dies f ü r den zweiten Teil noch nicht befriedigend geschehen, so daß hier jede Interpretation die sie gerade interessierenden Partien herausgreift. Die Strukturanalysen von M . Gueroult: L'evolution et la structure de la doctrine de la science chez Fichte, 2 Bde., Paris 1930, Bd. 2, S. 1 0 8 - 1 4 3 u n d J. W i d m a n n , a . a . O . , die ein von Fichte wiederholt genanntes Schema, das der Fünffachheit, anwenden und entsprechend zu fünf Reflexionsstandpunkten mit je fünf M o m e n t e n gelangen (Widmann unterscheidet außerdem noch die Aspekte der Einheit und Vielheit, Affirmation und Negation, G r u n d und Folge), verfährt zu sehr nach mathematischer Kombinatorik, als daß sie den Text abdeckte.

Das Programm

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sondern es ist eben — das absolute — und jedes zweite Wort ist vom Obel" 1 6 . Wenn Piaton die Problematik des Ansatzes eines solchen εν in der Frage zusammenfaßte, welche Konsequenzen sich aus ihm für das so verstandene εν ergeben und dies im systematischen Durchgang durch das Kategoriensystem durch sukzessive Abstraktion von allen Bestimmungen zu beantworten suchte, so wiederholt sich dieses Verfahren bei Fichte im Aufstieg, der als Prozeß systematischer und totaler Abstraktion konzipiert ist. Ein Unterschied besteht nur darin, daß das Kategoriensystem bei Piaton ontologischen Status hat, bei Fichte hingegen gemäß der neuzeitlichen Grundprämisse bewußtseinstheoretischen, so daß die Abstraktion hier als eine von den Wissensmomenten, deren Vielheit, Differenzen und Beziehungen, auftritt. Aufgrund der Strukturanalogie beider Konzepte muß das von Piaton gefundene Resultat, wonach die vollkommene Abstraktion nicht zu dem intendierten Einen, sondern zu dessen Selbstaufhebung führt, Entsprechendes auch für Fichte erwarten lassen und von vornherein Skepsis erzeugen gegenüber seinem Versuch, die totale Abstraktivität und Negativität als positive Fülle zu interpretieren. Historisch gesehen hatte Piaton mit dem Aufweis der fatalen Konsequenzen der ersten Position eine Kritik an der Parmenideischen έν-Κοηzeption verbunden, die für das Eine den Status des Ganzen beanspruchte und das faktische Mannigfaltige nicht anders zu erklären vermochte denn als δόξα βροτών (vgl. frag. 1, 30, 8, 51), als Erscheinung und Schein für die Sterblichen, — δόξα in dem sowohl positiven Sinne von In-ErscheinungTreten und Sich-Darstellen der Wahrheit wie negativen von bloßer Erscheinung, d . h . von Schein ohne wahres Sein, genommen. Die Inkonsistenz dieser Theorie hatte Piaton dadurch decouvriert, daß er das Mannigfaltige als autonomes Prinzip nachwies, ohne welches selbst der Ansatz des Einen in der Funktion des Ganzen nicht möglich ist, insofern das Eine stets ein Gedachtes, Bestimmtes, und zwar als seiend, identisch usw. Bestimmtes, bleibt. Wenn Fichte die Mannigfaltigkeit, welche bei ihm als Wissensmannigfaltigkeit oder kurz als Wissen mit seinen Implikaten auftritt, als Erscheinung der absoluten Einheit interpretiert, um mit Hilfe von deren Unselbständigkeit einerseits zu vermeiden, daß sie der absoluten Einheit als das schlechthin Andere gegenübertritt, andererseits, daß sie mit ihr absolut zusammenfällt, so steht er in guter parmenideischer Tradition. Unter diesen 16

Br. II, 352, Fichte an Schelling 15. 1. 1802.

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Umständen ist zu erwarten, daß dieselben Einwände, die Piaton gegen Parmenides vortrug, auch ihn treffen werden. Denn außer der Möglichkeit, das absolute Eine ernst zu nehmen, seine totale Bestimmungslosigkeit und damit Nichtigkeit anzuerkennen oder eine Differenz zwischen ihm und seiner Erscheinung zu statuieren und als deren Folge eine Prinzipiendualität hinzunehmen, läßt sich keine weitere denken.

2. Der Aufstieg als absolute Abstraktion Der Aufstieg nimmt seinen Ausgang vom reinen Wissen bzw. Wissen an sich. Bei der kritischen Durchmusterung der traditionell im Ansehen adäquater Repräsentanten der absoluten Einheit stehenden Prinzipien offenbart sich ausnahmslos deren Relativität: Sie bilden nur die eine Hälfte einer Relation, die der Ergänzung durch eine zweite bedarf. Dies gilt nicht allein für das realistische Prinzip des Seins, das in den verschiedensten Formen die gesamte Philosophie bis auf Kant durchzieht und das zumindest dann, wenn es für uns relevant, also Gegenstand des menschlichen Erkennens sein soll, notwendig die Beziehung auf ein vorstellendes Bewußtsein verlangt. Das gilt ebenso für das idealistische Prinzip des Bewußtseins, das aufgrund seiner Intentionalitätsstruktur stets Bewußtsein von etwas ist und damit die Beziehung auf ein Sein involviert. Beide, Sein wie Bewußtsein, erweisen sich als korrelative Glieder einer Relation, und man hat allen Grund zu vermuten, daß sich diese Wechselbeziehung, die in eins Verbindung und Sonderung der Glieder ist, weit eher zur Darstellung der höchsten Einheit qualifiziert als die bezogenen Glieder. Das vermittelnde Band zwischen Sein und Bewußtsein nennt Fichte, beide Relata kontaminierend, „Wissen an sich" ( X , 96 1 7 ). Mit ihm ist weder ein Wissen von etwas im Sinne des objektivierenden Bewußtseins noch ein Wissen von nichts, sondern ein Wissen von sich, also Selbstbewußtsein, gemeint. Fichte

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Mit diesem Ausdruck will Fichte die Privilegierung einer der beiden Seiten der Relation von Denken und Sein, Geist und Natur, Subjekt und Objekt vermeiden und zugleich dem Vorwurf Hegels gegen seine Frühposition (1794), dort ein „subjektives SubjektObjekt" (Differenzschrift, II, 72) entworfen zu haben, entgehen. O b dies gelingt oder ob nicht doch das allzu fraglose Festhalten an dem der subjektiven Sphäre zugeordneten Terminus „Wissen" zu einer Vereinseitigung führt, sei dahingestellt. Auf weitere Fragwürdigkeiten vor allem hinsichtlich des Problems, ob die Negation von Subjekt und Objekt noch Wissen genannt werden könne, hat H. Radermacher, a . a . O . , S. 79f hingewiesen.

Der A u f s t i e g als absolute A b s t r a k t i o n

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und mit ihm der ganze Idealismus hat dieses Selbstbewußtsein erstmals in der Kantischen transzendentalen Apperzeption realisiert gesehen, deren Darstellung sich in der Transzendentalen Deduktion der Kritik der reinen Vernunft findet. Zugleich jedoch weist Fichte auf Inkonsequenzen in der systematischen Explikation hin, durch deren Beseitigung er seinen Transzendentalismus von dem Kants abgrenzt. Nach Fichtes scharfsinniger Analyse entgleitet in den drei Kritiken der Absolutheitscharakter des reinen Wissens in einen bloß akzidentellen, insofern das Wissen in der Kritik der reinen Vernunft zu einem Wissen von der empirischen oder sinnlichen Welt (x), in der Kritik der praktischen Vernunft zu einem Wissen von der moralischen oder übersinnlichen Welt (y) und in der Kritik der Urteilskraft zu einem Wissen von der Einheit beider (z) wird. Demgegenüber ist mit Nachdruck an der Substantialität, dem Für-sich-Bestehen des reinen Wissens, festzuhalten, das jederzeit durch aktuellen Vollzug des Selbstbewußtseins nachgewiesen werden kann. Die Spaltungen in Denken und Sein wie Sinnliches und Ubersinnliches und deren Einheit sind demnach nur als interne Disjunktionen zu verstehen. Seiner präzisen Beschreibung und Charakteristik nach ist das reine Wissen eine synthetische Einheit zweier Grundmomente, des in allem Wandel der Bewußtseinszustände und ihrer Objekte durchgehend sich erhaltenden einen, identischen Wissens und des Wandels, der Quelle aller Differenz, die selbst wieder aufgefaßt werden kann als synthetische Einheit zweier Divisionsfundamente, desjenigen von Denken und Sein und desjenigen von Sinnlichem, Ubersinnlichem und deren Einheit. Auf die Frage nach dem Standpunkt der Wissenschaftslehre antwortet Fichte im 4. Vortrag (X, 114): „Bei Gelegenheit des Schema:

A

x, y, z.

S-D

sagte ich, die W. = L. stehe im P u n k t e . Ich bin gefragt worden, ob sie nicht vielmehr in Α stehe. Die bestimmteste Antwort ist, daß sie eigentlich und der Strenge nach in keinem von beiden, weder in der Einheit, noch in der Mannigfaltigkeit, sondern im Vereinigungspunkte beider steht." Α bedeutet die Einförmigkeit ohne den Wandel und die Differenzen, die abstrakte Einheit, Identität und Unwandelbarkeit des Wissens, Ρ den Son-

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derungspunkt, den reinen Wandel, die reine Differenzierung ohne Einheit und Identität. Die Wissenschaftslehre steht „zwischen den zwei Prinzipien der Sonderung und der Einheit" ( X , 116). U m die Frage entscheiden zu können, ob das dergestalt sich präsentierende reine Wissen (Selbstbewußtsein) zur Verkörperung der absoluten Einheit tauge oder nicht, ist auf seine Struktur genauer einzugehen. Formal gesehen handelt es sich um eine organische Einheit, die in sich noch zwei weitere organische Einheiten erkennen läßt (Denken und Sein wie x, y, z). Der Terminus „organische Einheit" fällt mehrmals bei Fichte, so X , 115, 116. „Organisch" pflegt eine Einheit aus Momenten genannt zu werden, ein Ganzes aus Teilen, und zwar ein solches, bei dem im Unterschied zu einer bloßen Aggregation die Teile nach einem vorgängigen Zweckprinzip, d. h. nach einem Plan von ihrem Umfang, ihrer Stellung und ihrem Verhältnis zueinander, geordnet sind. Die Teile sind so arrangiert, daß jeder um des anderen und um des Ganzen willen existiert, alle wechselseitig füreinander Mittel wie Zweck bilden, so daß bei der Setzung des einen Teils auch die übrigen gesetzt und bei der Aufhebung desselben der Gesamtverband aufgelöst wird. Trotz dieser wechselseitigen Bedingung und Durchdringung bleibt die organische Einheit eine „Relationseinheit" ( X , 212), basierend auf einem Relationsgefüge aus mehreren, diversen, wechselbezogenen Relata. Als solche kann sie unmöglich selbst schon die gesuchte relations-, differenz-, mehrheitslose Einheit sein, sondern allenfalls deren Nachkonstruktion und Abbild 1 8 . Aus dieser Konstellation ergibt sich die Aufgabe, im Ausgang von der organischen Einheit von allem der Relationalität noch Verhafteten zu abstrahieren, um die absolute Einheit zu gewinnen. Dies geschieht in drei Schritten. Im ersten (4. Vortrag, besonders X , 114 — 119, 106) wird von einer spezifischen Relationsart, der sukzessiven, abstrahiert, die im temporalen Nacheinander der Glieder besteht und das Wesen des diskursiven, analytisch-synthetischen Verstandes ausmacht; denn das Begreifen vermag die ursprüngliche Einheit nur mittelbar im schrittweisen Durchgang zu erfassen. Das Resultat dieses Abstraktionsakts ist eine zwar dem Begriff

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Die Frage, ob die organische Einheit bereits die absolute verkörpere oder nicht, läßt sich auch in eine historische Perspektive rücken, nämlich in die der Kontroverse zwischen Hegel und Fichte. Während für Hegel die organische Einheit des Selbstbewußtseins mit dem Absoluten zusammenfällt, unterscheidet der späte Fichte zwischen der organischen Einheit des Selbstbewußtseins und ihrem unvordenklichen Grund. Deshalb können wir W. Janke: J . G . F i c h t e . Wissenschaftslehre 1804, hrsg. v. W. Janke, a . a . O . , S. 125, 137f nicht zustimmen, der die absolute Einheit Fichtes noch als organisch charakterisiert.

D e r Aufstieg als absolute A b s t r a k t i o n

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unbegreifliche, wohl aber der Intuition zugängliche Einheit, metaphorisch „ L i c h t " genannt. Allerdings erweist sich diese bei genauerer Analyse (besonders X , 119—122, 130—31, 6 . - 8 . Vortrag) als eine nur scheinbar absolute, insofern sie selbst wieder in die Dualität von „innerer" und „äußerer Existentialf o r m " , unmittelbarer, jeglicher Einsicht verschlossener Seinsweise und vermittelter, objektiver für das Wissen, zerfällt. Die Unterscheidung läuft im wesentlichen auf die Herausstellung eines materialen und formalen Elements (Urrealität und Urbegriff genannt) hinaus, die zusammen eine untrennbare Einheit bilden: Während die äußere Existenzweise, die als Bild-Wissen, als eine höhere Reflexionsform, nämlich als das Selbstbewußtsein im Modus intellektueller Anschauung, interpretiert wird, die F o r m der Vermittlung zwischen Bild und abgebildetem Absoluten, das sog. „ D u r c h " (eines durch das andere), darstellt, macht die innere Existenzweise ihren R e a l g r u n d , das „Leben des D u r c h " , aus. Insofern aber beide die Relata einer Relation, und zwar die Grundrelata der Wissensrelation, verkörpern, sind beide zu abstrahieren. Und dies geschieht dadurch, daß jedes von ihnen wieder als Relation ausgewiesen wird. Für den Urbegriff ist das aufgrund seiner Vermittlungsstruktur, des Beziehens von Relata, prima vista klar. Als inadäquat zur Bestimmung der absoluten, relationslosen Einheit kann er ohne weiteres abstrahiert werden (10. Vortrag). Für die Urrealität erfolgt der Nachweis in einem dritten und letzten Schritt (11. —15. Vortrag). Derselbe decouvriert sie sowohl aus idealistischer wie realistischer Sicht der Struktur des Selbstbewußtseins verhaftet, mithin als Relatum einer Relation, deren anderes R e k t u m das Bewußtsein ist. Im Aufstieg zur höchsten Einheit aber ist alle Subjekt-Objekt-Relation und mit ihr alle Dualität und Differenz zu eliminieren 1 9 . 1. Wissen, sofern darunter Begreifen verstanden wird, hat einen analytisch-synthetischen Charakter. Dieser offenbart sich zum einen in der 19

In a) der A b h e b u n g auf den Relationsaspekt, b) der A u s d e u t u n g von Urrealität und U r begriff als materialem und f o r m a l e m Relatum und c) d e m N a c h w e i s der Urrealität als relational strukturierter s o w o h l aus idealistischer wie realistischer Sicht bestehen

die

Hauptunterschiede unserer Interpretation z u den bisher vorgelegten. Die größte Differenz dürfte in der Auslegung des dritten Schritts liegen. L . Siep, a . a . O . , S. 5 2 f wie auch v o r ihm W . J a n k e , a . a . O . , S. 125 ff und Fichte, a. a. O . , S. 3 5 9 ff haben diesen als A b w e h r einseitiger Interpretationen der absoluten Einheit durch Idealismus und Realismus gedeutet. Μ . E . schließen sie sich damit zu fraglos an Fichtes T h e s e an, daß nach Abstraktion aller Einseitigkeiten und Relationalität noch e t w a s ,

die absolute Einheit, übrigbleibe.

Im

Gegensatz hierzu will die vorliegende Interpretation nachweisen, daß auch der E x i s t e n z grund des Urbegriffs relational und folglich zu abstrahieren ist. O b dann überhaupt n o c h etwas bleibt, wird sich zeigen müssen.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Zerlegung von Begriffen in subordinierte, zum anderen in der Zusammenfassung nebengeordneter zu höheren, wobei das allgemeine Definitionsschema von genus proximum per differentiam specificam, d. h. die Angabe eines Allgemeinen, den Begriff mit anderen Begriffen Verbindenden, und eines Spezifikums, ihn von anderen Trennenden, leitend ist. Innerhalb dieses wohlartikulierten Systems hat jeder Begriff sowohl Moment- wie synthetischen Einheitscharakter, ersteres, insofern er Begriff neben anderen, gleichgeordneten ist, letzteres, insofern er eine Vielzahl von Teilbegriffen in sich zusammenschließt. Dieser trennend-verbindenden Grundstruktur ist es zuzuschreiben, daß Begreifen nur in Diskursform, also im abhebenden Durchgang durch anderes, stattfindet. Während die Anschauung einen Sachverhalt immediat und instantan auf ganzheitliche Weise zu erfassen vermag, kann das Begreifen nur mediat und sukzessiv durch vorherige Zerlegung des Ganzen in seine Teile und anschließende Zusammensetzung der Teile zum Ganzen zu ihm gelangen. Das Begreifen ist durch Mittelbarkeit geprägt, die stets eines nach dem anderen, eines durch das andere, eines mittels des anderen setzt. Da dieses Verfahren auch das Wesen der mathematischen Konstruktion ausmacht, kann das Begreifen geradezu ein Konstruieren genannt werden (vgl. X , 115). Dem Begriff folgt das Urteil, indem es das Begriffene in Satzform ausspricht. Deren einfachste Struktur ist die Verbindung von Subjekt- und Prädikatbegriff: S ist P. Auch das Urteil zeigt eine analytisch-synthetische Beschaffenheit, zum einen darin, daß das Zusprechen eines bestimmten Prädikats zugleich das Absprechen aller anderen bedeutet: S ist Ρ und nicht non P, zum anderen darin, daß sich ein Prädikatbegriff auf eine Mehrzahl von Subjektbegriffen applizieren läßt. Da Begriff und Urteil die Explikationsmittel des Denkens und Sprechens sind, vollzieht sich alle Artikulation in ihnen. Die Anwendung dieser abstrakten Analyse des Begreifens auf den konkreten Fall des Begreifens der absoluten Einheit, wie er in der organischen Einheit des Wissensgefüges vorliegt, macht das Scheitern des Begriffs bei der Erfassung der Einheit als solcher deutlich. Denn der Begriff vermag das Zugleich der Teile, den, wie Fichte sagt, „Einen Schlag" (X, 134, vgl. 115 f) ihrer Verbindung und Trennung, in welchem sich ihr absolutes Einssein äußert, nur im Nacheinander zu erfassen, indem er ζ. B. bei der abstrakten Einheit anfängt und von dort zu den disiuncta membra übergeht oder vice versa oder bei Denken und Sein beginnt und von dort zu x, y, ζ fortschreitet oder umgekehrt. Die Unmittelbarkeit selbst kann „nicht ausgesprochen oder nachkonstruiert werden; denn alles Aussprechen oder

Der Aufstieg als absolute Abstraktion

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Nachkonstruieren = Begreifen, ist in sich mittelbar" (X, 114f 2 0 ). Die Endlichkeit und Beschränktheit des Begriffs bekundet sich im Verfehlen der Einheit, genauer, in deren Verendlichung durch Nachkonstruktion. Das absolute Eine bleibt für den Begriff das schlechthin Unbegreifliche und Unaussprechliche, das ineffabile. „Ich konstruiere daher ein durchaus nicht zu Konstruierendes, mit dem guten Bewußtsein, daß es nicht zu konstruieren ist" (X, 106). Dieser Inadäquatheit des Begriffs zur Erfassung und Bestimmung der absoluten Einheit hat Fichte im „Grundgesetz alles Wissens" (X, 119) Ausdruck verliehen. Es besagt, daß der Begriff zu setzen und zu vernichten sei, damit die absolute Einheit, das sog. Licht, einleuchten könne 2 1 . Vernichtung bedeutet hier nicht totale, definitive Auslöschung des Begriffs und Aufgehen in mystischer Sprachlosigkeit; denn alle Erkenntnis, sofern sie rational ist, beginnt mit Begriffen und vollzieht sich in solchen. Folglich muß die ganze Sphäre rationalen Verstehens ausgemessen werden, damit an ihrer Grenze im Versagen des Begriffs das Unsagbare einleuchten kann. Vernichtung bedeutet vielmehr, daß der Begriff und mit ihm das Konstruktionsverfahren des Nacheinander zur Bestimmung des absoluten Einen ausscheidet. Daß die Negation der begrifflichen Erkenntnis in diesem ersten Abstraktionsschritt nicht zur Aufhebung der Erkenntnis überhaupt führt, versteht sich daraus, daß das Erkennen im Modus des Begreifens nicht das ganze Erkenntnisvermögen darstellt; eine andere und zur Erfassung der absoluten Einheit qualifiziertere Art ist die Intuition, die unvermittelt in ihrem Gegenstand aufgeht. 2. Die Besinnung auf das Einleuchten der absoluten Einheit bzw. des Lichts bringt allerdings statt der einen Daseinsweise zwei an den Tag, 20 i ^ e g e n der Gefangenheit des Begriffs in seiner Mittelbarkeit spricht Fichte auch von der „Befangenheit" der Rede (X, 106). 21

Fichte hat dieses Einleuchten auch Evidenz oder Selbstkonstruktion des Lichts genannt, um kenntlich zu machen, daß es ein Wissen von der Einheit unabhängig von ihrem Begreifen und folglich auch nach dessen Vernichtung gibt. Die Metapher „Licht" zur Bezeichnung der absoluten Einheit erscheint in diesem Kontext wohl gewählt, da sie zum einen — wie das lat. lumen zeigt — Helle, Klarheit, Durchsichtigkeit, also den ErmögIichungsgrund des Sehens, Unterscheidens und Bestimmens von Objekten, meint, zum anderen - wie das lat. lux lehrt — den Funken, den aufspringenden, von sich aus aufleuchtenden Strahl bezeichnet. (Zur detaillierten Analyse vgl. W . Janke, a . a . O . , S. 3 2 2 f und J. G. Fichte. Wissenschaftslehre 1804, hrsg. v. W . Janke, a . a . O . , S. 108). Beide Bedeutungen sind hier relevant, die erstere insofern, als die absolute Einheit als Ermöglichungsgrund des Begriffs, seiner Unterscheidungen und Verbindungen fungiert, die letztere insofern, als die Einheit von sich aus ohne Zutun des Begriffs und auch noch nach dessen Abstraktion evident ist.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen V e r f a s s u n g

eine innere und eine äußere (vgl. X , 149, 162, 163, 165), die auf unterschiedlichen Maximen der Betrachtung basieren, zum einen auf dem immediaten, distanzlosen Aufgehen der Einsicht in der absoluten Einheit (Licht), zum anderen auf der objektivierenden, distanzierenden Reflexion; denn schließlich wurde die Einsicht nicht nur sprachlos vollzogen, sondern auch thematisiert und diskutiert. Daß die innere Existenzform der Einheit (des Lichts), die alle Objektivation durch ein Bewußtsein abweist, vom Standpunkt endlicher menschlicher Erkenntnis, welche an solche Objektivation gebunden bleibt, nur via negationis beschrieben werden kann als eine, bei der die Spaltung in Sein und Bewußtsein oder, allgemeiner, in Objektivität und Subjektivität noch nicht explizit, sondern nur implizit ist, also noch nicht in die ausdrückliche Zweiheit, Differenz und Relation der Glieder auseinandergetreten ist, versteht sich. Sie bezeichnet ein ununterscheidbares Sich-Durchdringen und In-einander-Auf gehen. Da mit Subjektivität und Objektivität die ganze Sphäre des Realen ausgemessen ist, wird dieses Einssein auch omnitudo realitatis oder Urrealität genannt. Demgegenüber wird in der äußeren Existenzform die Spaltung manifest, indem die absolute Einheit (Licht) hier zum Objekt für das Bewußtsein wird. Als Objekt ist sie — worauf schon die Herkunft des Worts von lat. obicere = entgegenwerfen, entgegenstellen, sich gegenüber hin- und aufstellen deutet — ein Äußeres, Fremdes für das Bewußtsein. Allerdings handelt es sich nicht mehr um die einfache Relation zwischen Denken und Sein, die überwunden ist, sondern um eine höhere Form von Reflexion, für die das gesamte Beziehungsgefüge aus Denken und Sein einschließlich des Vereinigungs- und Sonderungsgrundes, der absoluten Einheit (Licht), Objekt ist. Könnte man die erstere Bewußtsein von etwas anderem nennen, so die letztere Bewußtsein von sich selbst. Fichte prägt für sie den Terminus „Urbegriff", um damit ihren höheren Status anzuzeigen und gleichzeitig deutlich zu machen, daß sie den einfachen Begriff ebenso wie die Intuition als Momente in sich enthält, jenen als Akt des Beziehens, diese als ganzheitliche Erfassungsweise. Näher besehen enthüllt sich diese intellektuelle Anschauung als Bild-Wissen; denn die intuierte absolute Einheit (Licht) tritt in ihr als Abgebildetes (repraesentatum) für ein vorstellendes Bewußtsein (repraesentatio) auf. Bild und Abgebildetes konstituieren eine organische Einheit, in der eines nicht ohne das andere sein kann: das Bild nicht ohne das Abgebildete und das Abgebildete nicht ohne das Bild (vgl. X , 141, 154f). Diese wechselseitige Verweisung, auf die Fichte durch die ungewöhnliche Substantivierung der Präposition „ D u r c h "

Der Aufstieg als absolute Abstraktion

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aufmerksam macht (z.B. X, 168ff), definiert das Wesen von Reflexion schlechthin 22 . Damit haben sich scheinbar zwei gleichberechtigte Absoluta ergeben, Urrealität und Urbegriff, die als die höchsten und umfassendsten Formen von Realität und Wissen absolutes Sein und absolutes Bewußtsein verkörpern. Angesichts dieser Dualität muß die weitere Aufgabe des Aufstiegs zur wahren absoluten Einheit darin bestehen, beide als Relata einer einzigen sowohl vermittelnden wie sondernden Relation zu erweisen, und zwar als deren materiales und formales Glied. Dies kann im Horizont endlicher menschlicher Erkenntnis nur so geschehen, daß beide wechselseitig als Prinzipiate voneinander — freilich damit auch als relative Prinzipien — aufgezeigt werden, um mittels ihres derivativen, unselbständigen Charakters ihr Fundiertsein in einer höheren, d e r absoluten Einheit zu begründen und damit zugleich ihre Untauglichkeit zur Bestimmung derselben darzutun. Der erst? Schritt auf diesem Weg zielt darauf, den Urbegriff als Derivat der Urrealität zu erweisen. Hierzu liegen zwei Versuche vor, einer, der im direkten Ausgang von der Urrealität diese als Bedingung und Grund des Urbegriffs nachzuweisen versucht, und einer, der indirekt und der endlichen menschlichen Erkenntnis angemessener im Ausgang vom Urbegriff dessen Gegründetsein in der Urrealität zeigt. Den ersteren hat Fichte in der Formel zusammengefaßt: L vernichtet zu ^ (X, 166). Sie besagt, daß die absolute Einheit — symbolisiert durch das Licht L — sich in sich selbst spaltet in eine innere und äußere Existentialform. Zugleich mit der Abspaltung und Erzeugung der äußeren — ausgedrückt durch B, den Urbegriff — entzieht sich die innere (Urrealität) und wird für die Einsicht nichtig ( = O). Die Einsicht vermag die Urrealität und das in ihr gelegene Gesetz ihrer eigenen Genesis aus dieser, das sie zu deren äußerer Existentialform oder Erscheinung qualifiziert, nicht zu erfassen. „Der Begriff rückt höher, das wahre Licht zieht sich zurück" (X, 163). Betrachtet man diese Argumentation kritisch, so muß bezweifelt werden, daß sie ihr Ziel, den Nachweis einer Derivation des Bild-Wissens aus der Urrealität, erreicht. Zwar ist zuzugeben, daß das seiner selbst bewußte Wissen weiß, daß es ist, nicht aber, daß es weiß, daß es eine Erscheinung der Urrealität ist. Denn da es nicht zu begreifen vermag, w i e es aus derselben hervorgeht, vermag es auch nicht zu begreifen, d a ß es überhaupt eine Äußerung derselben ist. Bleibt die Genesis der Selbsteinsicht verschlossen, 22

Zu Fichtes Lehre vom Bild vgl. die gleichnamige Arbeit von J. Drechsler, Stuttgart 1955.

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dann kann das Wissen auch nicht einsehen, daß es Resultat dieser Genesis ist. Der Einwand läßt sich auch nicht durch den Hinweis auf den Bild- und Erscheinungscharakter des Wissens entkräften. Man mag zwar zugeben, daß zum Begriff des Bildes oder der Erscheinung der Transzensus gehört, der Verweis auf ein Ursprüngliches, insofern Bild stets Bild von etwas und Erscheinung stets Erscheinung von etwas ist. U m aber festzustellen, ob das Wissen überhaupt Bild und Erscheinung ist, bedarf es eines transzendenten, Ursprung und endliches menschliches Wissen umfassenden Wissens. Für den Fall, daß solches nicht existiert, vielmehr alles Wissen immanent bleibt, ist die Möglichkeit einer Selbsterzeugung des Selbstbewußtseins nicht auszuschließen. Es drängt sich hier die alte Frage Fichtes auf, ob nicht doch das Selbstbewußtsein, das als Vorstellung seiner selbst das Vorstellen ständig transzendiert und mit dem Vorgestellten identifiziert, das Absolute selber und nicht nur dessen Produkt sei 2 3 . Die Unmöglichkeit, den Urbegriff auf verständliche Weise aus der Urrealität zu deduzieren, zwingt, den umgekehrten Weg einzuschlagen, im Ausgang vom Urbegriff durch Analyse desselben seine Unselbständigkeit und Bedingtheit darzutun. Die Analyse führt auf zwei Momente. Das Wesen des Urbegriffs besteht in der Form des Beziehens und Zuordnens von Gliedern, für das das Interdependenzverhältnis von Bild und Abgebildetem nur ein Exempel ist. Allerdings erschöpft sich hierin der Urbegriff nicht; denn da die bloße Form des Relierens — das reine „ D u r c h " — „ t o t " ist, bedarf sie zur Aktualisierung eines selbst unabhängigen, für sich existenzfähigen Seins, der Urrealität, die die Form des Beziehens anzunehmen und sich als „lebendiges D u r c h " zu offenbaren vermag. „Soll es wirklich zu einem Durch kommen, so wird ein inneres, an sich vom Durch unabhängiges, auf sich selber ruhendes Leben, als Bedingung der Möglichkeit vorausgesetzt" (X, 179, vgl. 170f). Die Urrealität erweist sich somit als Existenz des Urbegriffs und dieser als die von jener abhängige, in ihr fundierte Erscheinung. Es kann nicht übersehen werden, daß das Resultat dieser Überlegung auf bestimmten begriffstheoretischen Prämissen basiert, die keineswegs selbstverständlich sind. Mit der Unterscheidung von Form und Vollzug setzt Fichte eine Tradition fort, die schon in der scholastischen Distinktion von Essenz und Existenz wie in der Kantischen von Begriff und Position des Begriffs faßbar ist und hier um die Variante von Durch und Leben des Durch vermehrt wird. Eine solche Konzeption, die bezüglich des Selbstbewußt23

Z u den Schwierigkeiten vgl. S. 1 2 0 f f .

Der Aufstieg als absolute Abstraktion

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seins zwischen formaler Zweiheit und Differenz der Relationsglieder und realer, vollzogener Einheit und Identität unterscheidet (vgl. X, 170), steht der Fichteschen Frühkonzeption diametral entgegen; denn nach dieser fallen in dem sich selber wissenden Ich, das wissend ist, was es ist, und als wissend ist, formale Zweiheit und reales Einssein notwendig zusammen 2 4 . Es ist die kritische Frage angebracht, ob sich eine an sich seiende Realität jenseits des formalen Bewußtseins überhaupt sinnvoll annehmen läßt, ob nicht vielmehr alle Realität immer schon in die Bewußtseinsform eingebunden ist, so wie es kein Sein ohne Wiesein (quale) gibt. Der nächste Schritt wird genau auf diesen Punkt abheben, indem er die Dependenz der Urrealität vom Selbstbewußtsein, die Gebundenheit derselben an dessen Form, sowohl aus idealistischer wie realistischer Perspektive nachweist. 3. Zu diesem Zweck wird die Urrealität, die sich als Existenz des sich selber wissenden Wissens herausgestellt hat, auf die Bedingungen der Möglichkeit ihrer Erkenntnis hin befragt. Sinn dieser Reflexion ist es, durch den Nachweis einer Prinzipiertheit nicht nur des Urbegriffs aus der Urrealität, sondern auch umgekehrt der Urrealität aus dem Urbegriff die Unzulänglichkeit der letzteren zur Repräsentation des höchsten Prinzips darzutun. Denn wenn sich das Verständnis der Existenz des Wissens selber als von diesem dependent und insofern relativ erweist, scheidet die Urrealität als potentieller Kandidat für die absolute Einheit aus. Zur Erklärung des Vorliegens der Existenz (Urrealität) in unserer Einsicht bieten sich zwei miteinander konkurrierende Interpretationen an, eine idealistische und eine realistische. Sie folgen unterschiedlichen Maximen. Ihre Grunddifferenz besteht in der einseitigen Privilegierung entweder der Form oder des Inhalts der stets beide Seiten umfassenden Erkenntnis. Die idealistische Ansicht beruht auf der Maxime, nur die „Reflexion, und sonst Nichts . . . gelten zu lassen" (X, 209). Indem sie sich ausschließlich an den Denkakt hält, zu dem nicht allein die Form, sondern auch der reale Vollzug gehört 25 , und von allem Inhalt absieht, macht sie jenen zum absoluten prius der Einsicht, so auch der in die Existenz des Wissens. „Die E r k l ä r u n g des [realen] Durch ist selber ein Durch" (X, 171), „der Mittelpunkt von Allem bleibt hier der Begriff" (a.a.O.). In der Konsequenz 24

25

Uber Gründe und Hintergründe der Entwicklung von Fichtes Theorie des Selbstbewußtseins von ihrer Früh- bis zu ihrer Spätphase informiert die Arbeit von D. Henrich: Fichtes ursprüngliche Einsicht in Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für W. Cramer, Frankf. a. M. 1966. Fichte spricht in Anlehnung an das griechische ένέργεια, das „Wirklichkeit", „Realität" bedeutet, von der Energie des Denkens oder vom energischen Denken (vgl. X, 172, 179).

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dieses Ansatzes liegt, daß der Inhalt des Denkens — hier die Existenz (Urrealität) — nur als gedachte existiert und nirgends anders als im Bewußtsein Bestand hat. Die für die Existenz des Wissens notwendige Urrealität ist nichts weiter als ein notwendiger Gedanke. Ihr Ansich gilt nicht an s i c h , sondern a l s an sich, d. h. lediglich in der Vorstellung. Demgegenüber folgt die realistische Position der Maxime, nur „den Inhalt des eingeleuchteten Satzes, und sonst Nichts gelten zu lassen" (X, 209), also „auf das faktische Sichbegeben unseres Denkens und Einsehens, und die Erscheinung desselben im Gemüte gar nicht zu reflektieren" (X, 175). Für den Realismus besteht das Eigentliche und Wahre im Ansich des Inhalts — hier der Urrealität. An dieses hat sich die Einsicht zu halten, von ihm als dem absoluten prius auszugehen und „nur nicht hartnäckig auf dem Prinzip des Idealismus, der Energie der Reflexion" (X, 179), zu beharren, deren Faktizität zwar nicht geleugnet, wohl aber für die Erkenntnis als unwichtig befunden wird. Idealismus wie Realismus erweisen sich beide in zweierlei Hinsicht als unzureichend. Zum einen sind sie einseitig, der Idealismus insofern, als er sich ausschließlich auf Form und Vollzug des Denkens stützt und allen Inhalt unter die Bedingung der Formbestimmtheit stellt, und der Realismus insofern, als er ausschließlich auf dem Inhalt des Denkens insistiert und von der Form abstrahiert. Zum anderen sind beide in ihrer Wurzel faktisch; denn sowohl bei der vom Idealismus unbefragt zugrunde gelegten inhaltslosen Reflexion wie bei dem vom Realismus unausgewiesen angenommenen unreflektierten Ansich handelt es sich um absolute Fakten. Aufgrund dieser Einseitigkeit und Faktizität sind beide als unangemessene Interpretamente der Wissensrealität zurückzuweisen. Außer diesen niederen Arten von Idealismus und Realismus kennt Fichte noch höhere, die sich dadurch auszeichnen, daß sie auf das Gegenprinzip Rücksicht nehmen und damit dem Vorwurf der Einseitigkeit entgehen. Der höhere Idealismus bezieht das realistische Prinzip insofern in den Erkenntnisprozeß mit ein, als er das Ansich ausdrücklich anerkennt, jedoch sein Einleuchten abhängig macht von dem vorgängigen Durchdenken desselben. Die Bedeutung des Ansich läßt sich nicht anders verständlich machen denn als Independenz von einer Beziehung auf uns. Ansich heißt: unabhängig von uns, nicht für uns. So drückt ζ. B. die Redewendung „ S o ist's an sich" aus, daß eine Sache so oder so beschaffen ist, sich so oder so verhält, unabhängig vom Bezug auf ein erkennendes und wollendes Subjekt. „ D a s Ansich hat keine Bedeutung, außer inwiefern es das Kon-

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struierte, alles Konstruieren und alle Konstruierbarkeit durchaus negiert" (X, 183). Nichtsdestoweniger bleibt nach idealistischer Auffassung diese Bedeutung der Negation des Denkens abhängig vom Denken. Denn das Durchdenken des begrifflichen Sinns des Ansich macht die erste Bedingung des Prozesses aus, in dem das Ansich begriffen wird als das Unbegreifliche, als das alles Denken Negierende. Und ebenso stellt der höhere Realismus das idealistische Prinzip in Rechnung, insofern er wirkliches Verstehen und nicht bloßes Nennen des Ansich allein in Verbindung mit Reflexion für möglich erachtet, in der Fügung : Ansich = Nicht-für-uns. Insofern die Grundbedeutung des Ansich an das Für-uns, wenngleich in Form von dessen Negation, gebunden ist, wird letzteres als Moment des Erkenntnisprozesses anerkannt. Entgehen auch beide Deutungen der Einseitigkeit, dadurch daß sie die Beziehung zum Gegenprinzip implizieren, so bleiben sie doch weiterhin dem Vorwurf der Faktizität ausgesetzt. Im idealistischen Prinzip des sich selber denkenden Denkens, das eine Relation zwischen asymmetrischen Relata 26 , dem Denkenden und dem Gedachten, vorstellt und damit Ausdruck der oben aufgezeigten Beziehung zwischen Denkakt und einleuchtendem Ansich ist, ist die Zusammengehörigkeit und Unabtrennbarkeit nur faktisch, nicht genetisch evident. Es bleibt unklar, ob das Ansich aus dem Denken oder umgekehrt das Denken aus dem Ansich hervorgeht oder beide die Erscheinung einer verborgenen, höheren Einheit sind. Seine Undurchschaubarkeit macht das Selbstbewußtsein zum „Urfaktum" und zur „Quelle als Faktischen" (X, 195). Nicht anders verhält es sich mit dem realistischen Prinzip des Ansich, das sich bei vollständiger Bedeutungsexplikation als Relatum einer negativen Beziehung zum Bewußtsein herausstellt; denn Sein an sich ergibt nur Sinn als Oppositum eines Seins für uns. In solcher Bezogenheit konstituiert sich eine „Einheit einer Zweiheit" (X, 202), bei der aber ebenso wie bei der des Selbstbewußtseins unaufgeklärt bleibt, ob es sich um eine Einheit d u r c h Zweiheit oder um eine selbständige Einheit mit der Zweiheit als Existenzweise handelt (vgl. X, 202f). Das realistische Prinzip des Ansich erweist sich damit von derselben Internstruktur wie das idealistische des Selbstbewußtseins, es ist im Grunde nichts anderes als dieses: „Unser höchster Realismus daher . . . ist hier selber als ein bisher nur in seiner Wurzel verborgen gebliebener Idealismus aufgedeckt; er ist im Grunde faktisch, und proiectum per hiatum" (X, 203). 26

Sofern i n n e r h a l b der Selbstbeziehung das Eine nicht das Andere ist.

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Besteht das Resultat der Analyse der verschiedenen Idealismus- und Realismusarten bezüglich der Deutung der Urrealität darin, daß dieselbe an die Struktur des Selbstbewußtseins gebunden bleibt, indem sie eine Relationseinheit ausmacht, die das Vorhandensein von Relata und deren faktische Unabtrennbarkeit voraussetzt, ohne deren genetischen Zusammenhang einsichtig machen zu können, dann ist die notwendige Konsequenz die, im letzten Schritt auch von der Urrealität als einer nur relationalen zu abstrahieren angesichts der absoluten, über alle Relation erhabenen Einheit. Die gesamte Subjekt-Objekt-Relation und mit ihr Zweiheit, Gegensätzlichkeit usw. ist fallen zu lassen. Die gesuchte Einheit ist dann erreicht, wenn die Relationseinheit mit ihren Implikaten überwunden ist. 3. Das Problem der absoluten Abstraktion: der Selbstwiderspruch Die Methode der absoluten Abstraktion wirft Probleme auf, von denen wir behaupten, daß Fichte ihrer nicht nur nicht Herr geworden ist, sondern bezüglich ihrer oft nicht einmal ein angemessenes Bewußtsein entwickelt hat. Auch frühere Arbeiten, so beispielsweise die von Siep 27 , haben gelegentlich schon registriert, daß der Prozeß totaler Abstraktion für Fichte nicht eigentlich zum Problem wird, ohne diesem Sachverhalt allerdings auf den Grund gegangen zu sein. Es erscheint daher geboten, im Interesse nicht allein einer besseren Verständigung über Fichtes Ansatz und dessen Tragfähigkeit, sondern auch eines Vergleichs mit konkurrierenden Modellen das Versäumte nachzuholen. Es wurde gezeigt, daß der Aufstieg zum absoluten Einen seinen Ausgang von der faktischen Grundrelation zwischen Denken und Sein im sich selber wissenden Wissen nimmt und daß die letztere in mannigfacher Variation auf den verschiedensten Stufen des Aufstiegs wiederkehrt, so etwa in der Relation zwischen vorstellendem Wissen und vorgestelltem Absoluten im Bild-Wissen oder in den diversen Arten von Idealismus und Realismus. Es drängt sich daher die Frage nach der Relevanz dieser Relation für die Bestimmung der absoluten Einheit auf. Die Beantwortung hängt grundsätzlich davon ab, ob Fichte erkenntnistheoretisch eine Absolutheitsoder Endlichkeitsphilosophie intendierte, und ist mit Fichtes Votum für die letztere indirekt bereits beantwortet. Kann eine Absolutheitsphilosophie von der Art Schellings sich der endlichen Faktizitäten niemals ent27

L. Siep, a . a . O . , S. 91 A n m . 12.

Das Problem der absoluten Abstraktion: der Selbstwiderspruch

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schlagen, insofern das Absolute aus ihnen ebenso folgerbar sein muß wie dieselben aus jenem, so spielen sie für eine Endlichkeitsphilosophie von der Art Fichtes, die das Absolute nur modo negativo durch Ausschluß endlicher Bestimmungen faßt, im Endeffekt keine Rolle. Von hier wird auch verständlich, warum Fichte die Grunddisjunktion in Denken und Sein einfach historisch aufgreift und ohne jede argumentative Rechtfertigung benutzt. — Von dieser Fragerichtung ist eine andere zu unterscheiden, nämlich die nach der Relevanz der Faktizitäten für die Darstellung des Absoluten an ihm selbst wie in seinem Verhältnis zur Endlichkeit, also für das, was Fichte „Nachkonstruktion" oder „Ableitung" nennt. Denn etwas anderes ist der Versuch der Erfassung des Absoluten qua Absoluten und der der Beschreibung desselben, der an die Bedingungen endlicher Erkenntnis gebunden bleibt und sich daher nur mittels der Faktizitäten vornehmen läßt. In dieser Spannung bewegt sich die Wissenschaftslehre. Beide Aspekte sind scharf auseinanderzuhalten; die Nichtbeachtung ihrer Differenz hätte eine Konfundierung zur Folge, der sich Fichte tatsächlich schuldig gemacht hat. Im Grunde wiederholt er denselben Fehler, den Piaton an der Parmenideischen Einheitskonzeption in der ersten Position des gleichnamigen Dialogs moniert, nämlich daß sie das Eine als Absolutum, als Eines und nur Eines unter Ausschluß und Aufhebung alles anderen zu fassen beansprucht und gleichwohl es faktisch nur als „mehr als Eines" anzusetzen vermag, als in Relation zu anderem stehend, damit Vielheit, Differenz usw. implizierend. N u r daß bei Piaton für die faktische Unabdingbarkeit des Mannigfaltigen die „ontologische" Wechselimplikation der generischen Ideen verantwortlich ist, bei Fichte das „epistemologische" Enthaltensein aller Bestimmungen in der Bewußtseinsrelation. Diese Vorüberlegung gibt die Mittel an die Hand, Fichtes Methode des Aufstiegs zum absoluten Einen kritisch zu beurteilen. Die den Aufstieg durchgehend beherrschende Frage ist die, ob nach der Abstraktion von allen endlichen Momenten überhaupt noch etwas bleibt, ja bleiben kann, was sich im positiven Sinne als absolutes Eines ansprechen läßt. Sie stellt sich während des Aufstiegs dreimal, jeweils in vertiefter Form, zunächst im Rahmen der Abstraktion vom Wissen im Modus des Begreifens, also von einer bestimmten Wissensform, der diskursiv-vermittelnden, sodann im Rahmen der Abstraktion vom Wissen im Modus des Bild-Wissens, d. h. von der Wissens- und Vermittlungsform schlechthin, zum dritten im Rahmen der Abstraktion vom Wissen im Modus der Existenz, von dem Wissen in seiner Totalität von Form und Vollzug und damit von aller Relationalität, Zweiheit und Differenz.

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Das erste Mal taucht das Problem auf, als vom Begreifen als einem zur Erfassung der absoluten Einheit inadäquaten Erkenntnismittel abstrahiert wird; denn der Begriff vermag die Unmittelbarkeit der Einheit nur mittelbar, das Zugleich des „einen Schlags" nur in Form der Sukzession von Trennung und Verbindung der Teile wiederzugeben. Daß die Abstraktion vom Begriff und damit von allen rationalen Prädikaten, die auf dem Konstruktionsprinzip von Trennung und Verbindung basieren, nicht in reinem Nichts endet, sondern noch Etwas übrigläßt, versteht sich keineswegs von selbst, sondern wird erklärlich nur unter Zugrundelegung gewisser Prämissen, die über rein begriffs- und aussagenlogische hinausgehen. Die Gleichsetzung des Absprechens rationaler Bestimmungen mit dem Zusprechen irrationaler, wie sie in den Sätzen: „ D a s absolute Eine ist nicht begreifbar" = „ D a s absolute Eine ist unbegreifbar" zum Ausdruck kommt, hat den Korrelationsgedanken zur Basis; nur er erlaubt die Annahme, daß die Negation des einen Relats die Position des anderen, gegenteiligen impliziert. Dieser Korrelationsgedanke verlangt jedoch die Sicherung der absoluten Einheit auf eine andere als begriffliche Art. An dieser Stelle kann sich Fichte darauf stützen, daß das Begreifen das Erkenntnisvermögen nicht erschöpft; neben ihm ist die Intuition als unmittelbar erfassende, ganzheitliche Erkenntnisweise möglich. Und daß es sich hier nicht um eine willkürliche, sondern wohlbegründete Annahme handelt, geht aus der Überlegung hervor, daß der Bezugspunkt, respektive dessen die Negation der begrifflichen Erkenntnis erst möglich wird, derselben entzogen, folglich auf andere Art als durch das Begreifen gesichert sein muß. Die Schwierigkeiten verdichten sich, wenn nicht mehr nur von einer bestimmten, sondern von der Wissensform schlechthin, die Begriff u n d Intuition umfaßt, abstrahiert wird. Denn dann entfallen sowohl die rationalen Prädikate wie das allein der Intuition zugängliche der Substanz. „Alle diese Prädikate daher, mit dem gewaltigsten an der Spitze, dem absolut Substanten, sind nur negative Merkmale, in sich tot und nichtig" (X, 150f). Selbst das bis dahin fragloseste aller Momente zur Bestimmung des absoluten Einen, die Substantialität, die auch nach Abstraktion vom Begriff noch übrigblieb und geradezu definiert wurde als „das der Einsicht übrig Bleibende, für sich bestehen Sollende" (X, 150), erweist sich gebunden an die Wissensform und ist mit dieser aufzugeben. Ein Bewußtsein dieser Schwierigkeit findet sich bei Fichte, wenn er sich die Frage vorlegt: „ H e b t denn nun dein System mit Negation, und mit Tod a n ? " (X, 151) und wenn er es als seine vordringliche Aufgabe betrachtet zu zeigen, daß das durch

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reine Negativität bestimmte absolute Eine „in der Wahrheit . . . keine Negation, sondern die allerhöchste Position" ist (X, 162f). Immerhin bietet sich an dieser Stelle der Argumentation noch ein Ausweg an durch Besinnung darauf, daß die Negation der Wissensform schlechthin ein Wissensakt ist, zwar nicht wißbar und den Formen des Wissens unterwerfbar, wohl aber real vollziehbar. Als Bedingung der Möglichkeit der Negation muß er derselben transzendent sein. An ihm versagt daher auch das Argument, daß alles Wißbare der Wissensimmanenz verhaftet ist und mit der Negation aufgehoben wird; denn als Vollzug gehört er nicht dem Wißbaren an. Als Vollzug ist er nicht wißbar, sondern nur unmittelbar lebbar oder erlebbar, und als gewußter, reflektierter ist er kein Vollzug mehr. Der Zugang zum absoluten Einen, die Positivität seiner Erfahrung, rettet sich hier in die Unmittelbarkeit des nur vollziehbaren Wissensakts. Wie aber steht es, wenn vom Gesamtphänomen des Wissens, Form wie Vollzug, abstrahiert wird; denn auch die Realität des Wissens zeigt sich sowohl aus idealistischer wie realistischer Perspektive der Wissensstruktur mit der für sie symptomatischen Relationalität, Pluralität und Verschiedenheit der Glieder verhaftet. „Bleibt uns denn aber sodann noch irgend Etwas übrig" (X, 203)? Auch hierauf hat Fichte eine positive Antwort gegeben und dieselbe in dem seiner Meinung nach einzig möglichen positiven Satz über das wahre absolute Eine zu Beginn des 16. Vortrags niedergelegt: Nach Abstraktion vom Selbstbewußtsein als höchster Form der Reflexivität bleibt übrig das , , i n s i c h g e s c h l o s s e n e S i n g u l u m d e s L e b e n s u n d S e i n s , d a s n i e a u s s i c h h e r a u s k a n n " (X, 212). Die Möglichkeit einer Identifikation der Negation des Selbstbewußtseins bzw. des Verstandes-Wir mit dem Absoluten hat Fichte ausdrücklich abgelehnt, da eine solche das Absolute als unmöglich qualifizieren würde: Uber die vollendete Negation hinaus gäbe es nichts mehr. „ S o nun Jemand, im unabtreiblichen Bewußtsein der Simultaneität seiner vollendeten Abstraktion und des Eintretens der reinen Vernunft und dem eben so unabtreiblichen Bewußtsein, daß Er das frei Abstrahierende sei, diese seine Freiheit zugleich überträgt auf das Heraustreten der Vernunft; so täuscht sich dieser, und bleibt in einem Idealismus befangen" (X, 233). U m Richtigkeit oder Falschheit dieses Räsonnements beurteilen zu können,'ist ein näheres Eingehen auf Fichtes Expositon des absoluten Einen qua absoluten erforderlich. Zugleich muß hiermit entschieden werden, ob Fichte einem Scheinbegriff erliegt, der sich an bzw. jenseits der Grenze des Erkennbaren errichtet und als dessen unvordenklicher Grund alles sinn-

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volle Denken und Sagen nicht allein ermöglicht, sondern auch begrenzt. Auch andere Philosophen, die gänzlich außerhalb des Fichteschen Traditionszusammenhangs stehen, sind einer solchen Scheinvorstellung erlegen, etwa Wittgenstein, wenn er im Tractatus logico-philosophicus die Aufgabe der Philosophie dahingehend bestimmt, daß sie „das Unsagbare bedeuten [soll], indem sie das Sagbare klar darstellt" (4. 115, I, 32), oder daß sie „das Undenkbare von innen durch das Denkbare begrenzen" soll (4. 114, a.a.O.). In den Vorträgen 15 und 16 gibt Fichte eine Charakteristik des Einen, die vier Aspekte aufweist, einen quantitativen, qualitativen, relationalen und epistemischen. In ihnen kehrt das System kategorialer Bestimmungen aus dem Programmentwurf wieder. 1. Das Absolute wird ein in sich geschlossenes Singulum genannt, wobei der Terminus „Singulum" nicht nur die Einsheit, die auch eine unter anderen sein könnte, sondern insbesondere die Einzigkeit anzeigt, die kein Zweites neben sich duldet. Geschlossen ist diese Einheit, unfähig, sich zu öffnen, zu äußern, d. h. Gegenstand für ein Zweites, das Bewußtsein, zu werden, weil sie andernfalls in Zweiheit und weiter in Pluralität zerfiele und damit nicht länger mehr das Einzige wäre. „ O h n e alle Zusammensetzung und Zerlegung" (X, 232) 2 8 , ungeteilt und unteilbar, repräsentiert sie das Eine-Ganze. 2. Die Einheit und Geschlossenheit ist der Grund dafür, daß mögliche differente Bestimmungen wie Sein und Bewußtsein (bzw. Leben, welches stellvertretend für Bewußtsein steht) im Absoluten nicht in eine wirkliche Differenz auseinandertreten, sondern, indem sie wechselseitig sich durchdringen, in Einem und Demselben aufgehen (vgl. X , 206). Diese koinzidentielle Identität wird durch die scholastische Formel „esse in mero actu" (X, 206) ausgedrückt, die das Sein für die Bewußtseinstätigkeit und die Tätigkeit für das Sein erklärt. In ihr ist keine Differenz gedacht, wie denn überhaupt im Absoluten „durchaus keine Unterscheidung stattfindet, . . . daher die beiden Benennungen nur zwei verschiedene Namen sind für das als durchaus unteilbar, und untrennbar eingesehene Eins" (X, 240). 3. Der Terminus der In-sich-Geschlossenheit weist zudem auf den Sachverhalt der Independenz und Suisuffizienz, den Fichte auch durch die spinozistischen Substanzbestimmungen der Aseität und causa sui usw. wiedergibt. Das Absolute ist „in sich, von sich, durch sich" (X, 206, vgl.

28

Vgl. 206, 212, 233, 2 3 5 f , 240.

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205). Es ist ein Sein, das zu seinem Sein keines anderen Seins bedarf, das daher als selbständige Substanz und nicht als abhängiges Attribut existiert, das Grund seiner selbst und nicht Folge eines anderen ist. 4. Was die Erfassung des Absoluten betrifft, so ist sie nicht durch eine Subjekt-Objekt-Beziehung zu bewältigen, sondern durch das Aufgehen des Subjekts im Objekt, durch das Einswerden mit ihm. Diese unio mystica ist nicht Ausdruck einer schwärmerischen Aufwallung des Gemüts, sondern eine spekulative Konsequenz der an ihre Grenze gekommenen Ratio. Das im Selbstbewußtsein gedachte Ich oder Wir muß sich aufgeben, um die von aller Verstandeseinsicht gereinigte Vernunft zu werden. Sofern das Selbstbewußtsein, das eine Weise geistiger Aktivität ist, im Leben des Absoluten aufgeht, kann gesagt werden: „Wir leben . . . unmittelbar im Lebensakte selber; wir sind daher das Eine ungeteilte Sein selber" (X, 206). An dieser Charakteristik fällt auf, daß die Merkmale innerhalb der einzelnen kategorialen Klassen in Absetzung von ihrem jeweiligen Oppositum gewonnen werden, so die Singularität in Abgrenzung von Gespaltenheit und Pluralität, die Identität in Abgrenzung von expliziter Differenz, die Substantialität in Abgrenzung von Akzidentialität, das lebendige Sein in Abgrenzung vom Sein für das Bewußtsein. Das absolute Eine wird aus der Entgegensetzung zum endlichen Mannigfaltigen gefaßt. Damit wiederholt sich am Ende des Aufstiegs dieselbe Kennzeichnung, die schon den Programmentwurf zu Anfang bestimmte und die sich als eine Objektivation und Veräußerung des absoluten Einen — in Fichtes Worten: als eine Beschreibung seiner äußeren Existentialform — herausstellte. Die Einzigkeit, vollkommene Gegensatz- und Beziehungslosigkeit des Einen ist nicht anders zu beschreiben als in Entgegensetzung und Beziehung auf das in Gegensätze gespaltene Bewußtsein. Selbst wenn man das absolute Eine Fichtes Intention einer radikalen Abstraktion gemäß nicht als numerisch Eines gegenüber dem Vielen, als qualitativ Identisches gegenüber dem Differenten, als Substanz gegenüber den Akzidenzien (bzw. als Grund gegenüber den Folgen), als lebendiges Sein gegenüber der Bewußtseinsdifferenz beschriebe, sondern als weder Eines noch Vieles, weder Identisches noch Differentes, weder Substantes noch Akzidentelles, weder Grund noch Folge, weder Sein noch Bewußtsein, so verfiele man, sobald man dasselbe nur anvisierte oder thematisierte, wieder dem Bewußtseinsgegensatz, indem man es als Eines, Sich-selberGleiches, von anderem Unterschiedenes und insofern als Rektum zu einem anderen Relatum behandelte. Die vermeintliche Transzendenz wird mit ihrer Benennung und Thematisierung zum Gegenstand des Wissens und

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damit zu einem bloßen B e g r i f f von der Transzendenz. So enthüllen sich selbst letzte Unterscheidungen wie die von Transzendenz und Immanenz als bewußtseinsimmanent. Diese Gebundenheit an die Artikulationsweise des Denkens und Sprechens ist nicht zufällig, sondern Ausdruck der Endlichkeit der Erkenntnis und daher faktisch unaufgebbar. Alles gedankliche und sprachliche Formulieren bewegt sich in ihr. Fichte hat diesen Umstand keinen Augenblick lang verkannt, sondern selbst auf ihn in vielfachen Wendungen hingewiesen, z . B . : „ D a s Bewußtsein ist in seiner Sichgültigkeit abgewiesen, ungeachtet zugestanden worden, daß wir aus demselben nicht herauskönnen" (X, 198), „ N u n kann ich freilich, wenn ich auf mich Acht habe, immer inne werden, daß ich dieses reine Sein objektiviere und projiziere" (X, 204, vgl. 210 usw.), „Diese Projektion nun, oder äußere Existentialform, sollen wir, ungeachtet wir faktisch uns ihrer nie entledigen können, dennoch als wahr nicht gelten lassen" (X, 200). Gleichwohl gilt das Postulat der a b s o l u t e n A b s t r a k t i o n und damit der Aufhebung aller gedanklichen und sprachlichen Formen. Resultat einer in extenso durchgeführten Abstraktion ist die Selbstaufhebung des Ansatzes des absoluten Einen, der sich, und zwar notwendig, der gedanklichen und sprachlichen Explikationsmittel bedient. Wenn im Rahmen der endlichen Erkenntnis, die nach Fichte unübersteigbar ist, das Eine nur in den Formen der Vereinzelung, Unterscheidung und Relierung angesetzt werden kann, muß deren Negation zum Widerspruch mit dem Ponierten führen. Die totale Bestimmungs- und Strukturlosigkeit des Resultats, seine Leerheit, seine Negativität ist nicht wieder im dialektischen Sinne als Bestimmtheit und Positivität anderem Bestimmten, Positiven gegenüber zu verstehen, sondern als Nichtigkeit des sich selbst Widersprechenden. Ein Einheitsbegriff, der als absolut vielheits-, differenz- und beziehungslos, bar jeder endlichen Prädikation, der Bewußtseinsmannigfaltigkeit schlechthin entgegengesetzt sein soll und dennoch nicht anders als mit ihren Mitteln erfaßt werden kann, ist in sich widersprüchlich. Diese Konsequenz, die Piaton im Rahmen seiner Fundamentalkritik am abstrakten Einheitsbegriff, dessen Intention auf Prädikatlosigkeit zielt, dessen faktischer Ansatz jedoch die Gesamtheit der Prädikate impliziert, mit unübertrefflicher Schärfe herausgearbeitet hat, — diese Konsequenz hat Fichte übersehen. Selbst wenn man konzedierte, daß die Selbstaufhebung nicht in reinem Nichts endet, sondern zu einem Positiven „jenseits" führt, gäbe es doch zwischen dieser Transzendenz und der Wissensimmanenz kein Hinüber

D a s P r o b l e m der absoluten A b s t r a k t i o n : der Selbstwiderspruch

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und Herüber. Das Verhältnis beider, das im eigentlichen Sinne kein Verhältnis ist, ließe nur die folgende Alternative zu: Entweder geht das Wissen unter Preisgabe seiner Ichheit und Selbstidentität in mystischer Sprach- und Bewußtlosigkeit im Transzendenten auf, wird nach Art einer unio mystica eins mit ihm, lebt und wirkt in ihm. Für diesen Fall entfällt die Möglichkeit einer Objektivation, weil das Absolute seinem Anspruch nach das Eine-Ganze ist, vollkommen, suisuffizient, ohne Motivation, aus sich herauszugehen und Gegenstand für ein Bewußtsein zu werden. Denn gäbe es in irgendeinem temporalen oder atemporalen Sinne, sei es gleichzeitig, früher oder später, ein Bewußtsein von ihm und ein Sprechen über es, so wäre es nicht mehr das, als was es eingeführt ist, Negation des Wissens und mithin das „ganz Andere", das gerade nicht wie das Wißbare eines unter anderen, ein Bestimmtes unter anderem Bestimmten, ein Beziehbares neben anderem Beziehbaren ist. Oder die Transzendenz ist Objekt für und im Bewußtsein und damit bewußtseinsimmanenter Gegenstand und den Bedingungen der Reflexion unterworfen. Dieser Fall schließt eine erlebens- und lebensmäßige Erfassung des Absoluten aus. Denn das mittelbare Verstehen läßt neben sich keinen Raum für einen unmittelbaren Vollzug durch schlichte Hingabe. Selbst die Verständigung über die Möglichkeit einer unio mystica und ihr Verhältnis zum objektivierenden Wissen untersteht noch den Bedingungen der Wissensimmanenz. Für das objektivierende, veräußerlichende Wissen ist das innere Leben des Absoluten nichtig, weil unzugänglich. Das Ergebnis dieser kritischen Analyse von Fichtes Abstraktionsmethode soll im folgenden durch formalistische Erwägungen mittels des für die Abstraktion entscheidenden Operationsterms, der Negation, bestätigt und vertieft werden. Möglich geworden sind solche negationstheoretischen Betrachtungen dank der Untersuchungen, die D . Henrich in den letzten Jahren dem Negationsbegriff vor allem im Umkreis von Hegels Philosophie gewidmet hat 2 9 , die aber aufgrund ihrer Allgemeinheit und nicht zuletzt aufgrund der methodischen Gemeinsamkeit von Hegels und Fichtes Philosophie, nämlich der dialektischen Behandlung des Transzendenzproblems, auch auf Fichte anwendbar sind. Henrich unterscheidet folgende für unseren Kontext wichtige Negationsformen, die sich teils an den έτερότης-

29

Vgl. F o r m e n der N e g a t i o n in H e g e l s L o g i k in H e g e l - J a h r b u c h 1974, S. 245—256, H e g e l s G r u n d o p e r a t i o n in D e r Idealismus und seine G e g e n w a r t , Festschrift f ü r W . M a r x , H a m burg 1976, S. 208—230, H e g e l s L o g i k der Reflexion. N e u e F a s s u n g in H e g e l - S t u d i e n , Beiheft 18, 1978, S. 2 0 3 - 3 2 4 , besonders S. 261 ff.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Begriff der Platonischen Philosophie, teils an die Negationsbegriffe der Aussagenlogik anlehnen, teils Eigengesetzlichkeiten folgen: 1. die Bestimmung und Unterscheidung eines Etwas von einem anderen Etwas, wie sie in der spinozistischen Formel: omnis determinatio est negatio zum Ausdruck kommt. Sie hat den Gedanken einfacher Andersheit zur Grundlage, in welchem eine exklusive Beziehung zwischen mindestens zwei Relata angenommen wird. D a hier Sachverhalte aus einem Feld ausund gegen andere abgegrenzt werden, besteht die Leistung des Negationsakts in Differenzierung, nicht Eliminierung. 2. die einfache aussagenlogische Negation, die eine positive Aussage negiert, deren Resultat folglich Aufhebung ist, 3. die doppelte aussagenlogische Negation, die ein System zweier negativer Aussagen unterschiedlichen Grades vorstellt, von denen die erste auf eine positive Aussage, die zweite auf die negative, also beide auf Verschiedenes gehen, und die daher irreflexiver Natur ist, und 4. die selbstbezügliche doppelte Negation, die dem Modell der selbstreferentiellen Andersheit — des Andersseins seiner selbst — nachgebildet ist und den Status der Autonomie und Absolutheit hat. Da sich diese Negation auf sich selbst, die Negation, bezieht, bedeutet sie zugleich Selbstaufhebung und damit Position. Da jedoch der Gedanke der Autonomie kein unabhängiges positives Resultat gestattet, das in einer äußeren Relation zur selbstbezüglichen Negation stände, ist jenes wiederum als Selbstbezüglichkeit von Negation zu interpretieren, um eine Identifikation mit der ersteren zu ermöglichen. Die Tatsache, daß die absolute Negation ein positives Resultat zeitigt, scheint Fichtes These von der Positivität der absoluten Abstraktion bzw. Negation zu stützen. Um beurteilen zu können, ob dieser Schein einer genaueren Uberprüfung standhält, ist ein detailliertes Eingehen auf die im Verlaufe der Abstraktion vorkommenden Negationsarten und ihre Resultate unerläßlich. 1. Das Begreifen, von dem als einem konstruktiven Verfahren der Trennung und Verbindung von Elementen auf der ersten Stufe zu abstrahieren war, bedient sich der Negationsform der Exklusion. Denn Begreifen meint ein Bestimmen von Sachverhalten durch Unterscheiden und Abgrenzen von anderen und nimmt damit Rekurs auf den Gedanken der einfachen Andersheit. Obwohl die Abstraktion des Begreifens sinngemäß eine Negation der Negation genannt werden kann, wirft sie keine besonderen Deutungsprobleme auf, da mit ihr die einfache, durch die aussagenlogische Negation bezeichnete Aufhebung des Unterscheidens gemeint ist.

Das Problem der absoluten Abstraktion: der Selbstwiderspruch

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Ihr Ergebnis ist folglich negativ. Weder handelt es sich hier um eine doppelte aussagenlogische Negation noch gar um eine selbstbezügliche; denn die Negationsleistung wird nicht durch den Akt des Begreifens selbst erbracht, sondern durch das selbstevidente Licht, d. h. durch das Selbstbewußtsein als eine höhere Form von Reflexion. 2. Schwieriger gestaltet sich die Auslegung der auf der zweiten Stufe vorgenommenen Abstraktion von der Wissensform schlechthin, der Form des Selbstbewußtseins. Da der negierende Akt, der die Aufhebung zustande bringt, nur im Wissen selber liegen kann, nicht außerhalb desselben, ist hier der Fall nicht nur der doppelten Negation gegeben, bei der die Negationen unterschiedliche Stufen einnehmen, sondern der selbstbezüglichen, insofern das Zu-Negierende sich soeben, bezüglich des Begreifens, als Negationsvollzug herausgestellt hat und das Negierende nichts anderes als eben dieser Akt ist. Das Wissen (Selbstbewußtsein) ist als absolute Negation bestimmt und muß dies auch, wenn es Negationsleistungen und zuletzt die der Selbstaufhebung soll erbringen können. Das Ergebnis der Selbstaufhebung der Negation ist positiv und kann als Ausdruck für den in aller Negation sich erhaltenden und wiederherstellenden Negationsakt qua talis gewertet werden, der als Bedingung der Möglichkeit des Negierens dem Negierten transzendent ist. Nichtsdestoweniger unterliegt auch er als zum Wissen gehörig der Selbstnegation und -aufhebung. Diese Ambivalenz von Position und Negation ist Zeichen der faktischen Unaufhebbarkeit des Selbstbewußtseins, das, Bedingung und Bedingtes, Negieren und Negiertes in einem, sich aufhebt und neu setzt. 3. Wie aber steht es, wenn auf der letzten Stufe vom Wissen (Selbstbewußtsein) in seiner Gesamtheit, Form wie Aktuosität, abstrahiert wird? Formal entspräche dieser Abstraktion eine Negation der absoluten Negation. Hier muß sich die Frage nach dem Ort solcher Negation aufdrängen. Liegt der Negationsakt im Selbstbewußtsein, d. h. im endlichen Wissen, oder außerhalb desselben in einem transzendenten, göttlichen? Im ersten Fall fiele die Negation mit der absoluten, selbstbezüglichen zusammen, deren Autonomie dadurch anerkannt würde. Sie bildete als Negierendes eines von deren Momenten und bliebe folglich der Struktur derselben verhaftet, die zwar ein positives Resultat hervorbringt, jedoch nur eines relativer Art, das selbst wieder durch die absolute Negation einzuholen und als Selbstbezüglichkeit der Negation zu interpretieren ist. Im zweiten Fall hätten wir es mit einer aussagenlogischen Negation zu tun, die sich auf die absolute Negation als ein von ihr verschiedenes Objekt bezöge. Ihr Resultat wäre Aufhebung bezüglich der Sache und Erhaltung bezüglich ihrer selbst.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Jedoch miißte auch sie angesichts der Forderung totaler Abstraktion Gegenstand einer anderen, höherstufigen Negation werden und diese wiederum Gegenstand einer anderen und so fort, so daß damit ein unendlicher Prozeß von Position und Aufhebung initiiert wäre, in dem beide relativ blieben. Auch die streng durchgeführte formale Betrachtung mittels des Negationsbegriffs bestätigt, daß sich innerhalb des Fichteschen Ansatzes und mit den Mitteln desselben ein definitives, schlechthin unaufhebbares Positives jenseits der Grenze des endlichen Wissens (des Selbstbewußtseins) als dessen Ermöglichungsgrund nicht erreichen läßt. Jedes erreichte Positive erweist sich als relativ und negierbar. Die Stelle der Transzendenz bleibt leer. Als Lösung Fichtescher Probleme — ob als endgültige, muß geprüft werden — kann daher nur Hegels Theorie des Selbstbewußtseins und des in ihr wirksamen Einheitsbegriffs angesehen werden, die im Bewußtsein der Unübersteigbarkeit der Immanenz das Selbstbewußtsein selbst zum Absoluten macht.

4. Der Abstieg als Erscheinung der absoluten Einheit Die Konstellation des zweiten Teils der Wissenschaftslehre ergibt sich aus dem vermeintlichen Nachweis eines absoluten Einen vom Range des Ganzen im ersten Teil einerseits und der faktischen Vorfindlichkeit einer Mannigfaltigkeit andererseits. Beide Prinzipien stehen zunächst isoliert für sich; sie sind in selbständigen Grundsätzen formuliert: das in sich geschlossene Singulum, das nie aus sich heraus kann, im Grundsatz der Wahrheits- und Vernunftlehre (vgl. X, 212), das faktische Mannigfaltige im Grundsatz der Erscheinungslehre (vgl. X, 306). Um am monistischen Grundkonzept festhalten und den drohenden Dualismus abwenden zu können, gilt es, beide so miteinander zu verbinden, daß das eine aus dem anderen deduzierbar wird. Für Fichte ist dieses Problem nur zu lösen durch eine Interpretation des Mannigfaltigen als Erscheinungsweise des absoluten Einen. Denn wenn es außer dem Einen aufgrund seiner Einzigkeit und Geschlossenheit „gar Nichts" gibt (X, 206) und dennoch Mannigfaltigkeit existiert, läßt sich ein monistischer Anspruch nur so retten, daß das Mannigfaltige als Äußerung und Darstellung des Einen, als dessen Dasein im Unterschied zu dessen Sein, interpretiert wird. In Termini der Wissenschaftslehre von 1810 heißt das: „Soll nun das Wissen dennoch sein, und nicht Gott selbst sein, so kann es, da nichts ist denn Gott, doch nur Gott selbst sein, aber außer ihm selber; Gottes Sein außer seinem Sein;

Der Abstieg als Erscheinung der absoluten Einheit

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seine Äußerung" (II, 696). Hauptproblem des zweiten Teils ist daher die Ableitung des Mannigfaltigen als Erscheinung des absoluten Einen. Daß es nicht um die Deduktion des gesamten Mannigfaltigen in seiner unübersehbaren Fülle geht, versteht sich von selbst. In der Wissenschaftslehre von 1812 (X, 318) hat Fichte die Forderung nach Deduktion einer Schreibfeder ausdrücklich ein albernes Verlangen genannt. Ziel ist vielmehr die Deduktion der Prinzipien, genauer, des Prinzips der Mannigfaltigkeit, zu dem sich das Wissen mit seinen Grunddisjunktionen und -beziehungen qualifiziert hat. Eine weitergehende Ableitung bleibt der ausgearbeiteten Phänomenologie vorbehalten. Es steht zu erwarten, daß im Abstieg zur faktischen Mannigfaltigkeit dieselben Glieder, die im Aufstieg zur absoluten Einheit als inadäquat fallen gelassen wurden, wieder aufgegriffen werden, nachdem ihr genauer systematischer Ort nunmehr bestimmt ist. Wie im ersten Teil so herrscht auch im zweiten die Methode der Genetisierung, die, den endlichen menschlichen Erkenntnisstandpunkt in Rechnung stellend, von einer faktischen Einsicht ausgeht und auf deren Ermöglichungsbedingungen reflektiert, um durch Angabe derselben die Einsicht in ihnen zu verankern bzw. aus ihnen abzuleiten. Die faktische Einsicht ist hier das Wissen von sich als Erscheinungsweise des Absoluten. Bevor allerdings nach den Bedingungen derselben gefragt werden kann, ist sie selbst näher zu explizieren und auf die zu genetisierenden Momente hin zu befragen. Die Analyse führt auf zwei Bestandteile, einen den Inhalt und einen die Form betreffend. Zum einen ist faktisch evident, daß das Wissen ein Bild oder Schema des Absoluten ist, theologisch: eine „Offenbarung und Äußerung Gottes" (X, 223), zum anderen, daß das formale Gesetz seiner Entstehung aus dem Absoluten, welches die Art und Weise seines Hervorgangs festlegt, uneinsichtig bleibt. Zwar vermag das Wissen zu erkennen, d a ß es eine Erscheinung des Absoluten ist, nicht aber, w i e es zu einer solchen wird. Theologisch gesprochen: Daß Gott sich entäußert und in die Mannigfaltigkeit der Welt eintritt, unterliegt keinem Zweifel, unverstanden bleibt jedoch, weshalb er sich offenbart und so offenbart, wie er sich offenbart. „Diese Einsicht [führt] lediglich ein absolutes D a ß , keineswegs aber ein W i e herbei; es kann dem absoluten Wesen nicht wieder zugesehen werden, w i e es sich idealiter konstruiere, noch der innere Grund dieser Konstruktion wieder konstruiert werden; was uns gar nicht befremden muß, indem ja lediglich dadurch diese Einsicht sich bewährte, als die absolute, über welche keine andere, und diese Konstruktion als die absolute, über welche keine andere zu stellen" (X, 215f).

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Unterschiedliche Bestandteile weisen auf unterschiedliche Prinzipien: So kann das Prinzip der materialen Genesis (daß), mittels dessen der kritische Realismus rehabilitiert werden soll, nirgends anders gesucht und gefunden werden als im Absoluten selbst, während das Prinzip der formalen Genesis (wie), welches die Rehabilitierung des kritischen Idealismus leisten soll, nur im Wissen liegen kann. Da sich unter diese beiden Deduktionsaspekte die Probleme des zweiten Teils subsumieren lassen, sollen dieselben die Richtschnur für die folgenden Untersuchungen abgeben. In diesen geht es um die Prüfung der Argumente, die Fichte zur Begründung seiner These, a) daß das Wissen im Absoluten gründe und b) daß das Wie und Warum der Ableitung unzugänglich sei, bereitstellt. Da respektive der formalen Ableitung die Unableitbarkeit konzediert ist, muß sich die Untersuchung auf die materiale konzentrieren. Denn nur wenn diese gelingt, könnte nachträglich auch die Wissensform, wenn schon nicht am Absoluten selbst, so doch an dessen Erscheinung Halt finden und als deren legitime Form interpretiert werden. Andernfalls wäre der Vorwurf eines zweitefi absoluten Prinzips unabweisbar. Die erste und grundlegende Frage lautet deshalb: Läßt sich und wie läßt sich die Behauptung rechtfertigen, daß das Wissen mitsamt seinen Momenten Erscheinung des absoluten Einen sei. Mit ihrer Beantwortung muß endgültig der stets wiederkehrende idealistische Einwand abgewiesen werden, daß das Absolute möglicherweise in der Wissensmannigfaltigkeit nicht wirklich erscheine, sondern nur zu erscheinen scheine, mithin die Mannigfaltigkeit Erscheinung nicht des Absoluten, sondern des Wissens sei. Von der Untersuchung wird nicht mehr und nicht weniger verlangt als die Legitimation der schon im 13. Vortrag propagierten Auffassung, wonach das Ich oder Selbstbewußtsein zwar nicht das Absolute selbst, wohl aber dessen absolute Erscheinung ist. Fichte hat zur Stützung seiner These eine Reihe von Argumenten beigebracht, die sich in zwei Typen gliedern lassen. Von ihnen folgt der eine der Strategie des direkten Beweises, der andere der des indirekten. Das direkte Beweisverfahren ist als Versuch zu betrachten, das Wissen und die in ihm involvierte Mannigfaltigkeit unmittelbar aus dem Absoluten abzuleiten. Es bedient sich dazu des Arguments, daß zum Wesen des Absoluten qua Absoluten die Selbstoffenbarung, das Hinaustreten in die Vielheit, Differenz und Relationalität, gehöre. Soll das absolute Eine nicht nur eines unter anderen, ein Spezifisches neben anderem Spezifischen, Relatum einer Relation, sondern Eines und Alles sein, so muß es selbst es sein, das sich in der wißbaren Mannigfaltigkeit darstellt. Fichte hat diesen

D e r A b s t i e g als Erscheinung der absoluten Einheit

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Gedanken mit Hilfe des Terminus der Konstruktion ausgedrückt: „ K a n n das Sein schlechthin nicht aus sich selber herausgehen, und Nichts außer ihm sein, so ist es das Sein selber, welches sich also konstruiert" (X, 214 vgl. 229). Gemeint ist, daß das Absolute, da es durch sich ist und nicht durch den Begriff, der gewöhnlich für Konstruktion steht, selbst die Konstruktion sein und damit das Wissen vollziehen muß, zu dem auch der konstruktive Begriff gehört. In der Konsequenz des Arguments liegt eine Nivellierung der Differenz zwischen Absolutem und Erscheinung: Wenn das Absolute bruchlos in die Erscheinung übergeht, kann die Differenz nicht mehr wesentlich, allenfalls äußerlich und akzidentell genannt werden. Gegen diese Argumentation bestehen jedoch Bedenken. Ein als integrativer Bestandteil des Absoluten aufgefaßtes Wissen läßt sich nur als Selbstbewußtsein des Absoluten deuten. Kann das Wissen dem Absoluten zusehen, d a ß es sich wesensnotwendig konstruiert, so wird die Annahme unausweichlich, daß es sich bei demselben um ein Sich-selber-Wissen des Absoluten handelt. Dem steht jedoch Fichtes wiederholt und mit Nachdruck vorgetragene These vom Wissen als Bild oder Schema des Absoluten entgegen, das zwar sich selber zu erkennen vermag bei gleichzeitiger Unterscheidung vom Absoluten, aber gerade deswegen keine Selbsterkenntnis des Absoluten darstellt. Zwar gibt es in der Wissenschaftslehre von 1804 die Rede von einer Selbstevidenz des Absoluten, mit der dessen Sich-Konstruktion und -Darstellung bezeichnet wird; denn ein absolutes, suisuffizientes Einfaches kann durch nichts anderes als durch sich selbst einleuchten; jedoch ist von dieser als einer der Verstandeseinsicht unzugänglichen Vernunfteinsicht das Sich-Begreifen des Verstandes wohl zu differenzieren. Und selbst gesetzt den Fall, es wäre das Absolute, welches sich einsähe, so bliebe unverständlich, warum es den Grund und die Art und Weise seiner Genesis nicht sollte einsehen können. Könnte das Absolute noch Absolutum und Omnipotenz genannt werden, wenn es in einem seiner Teile, dem Wissen, den Mangel des Nichtwissens aufwiese? Könnte der Anspruch der Selbsterkenntnis noch aufrechterhalten werden, wenn ihm die Einsicht in das Warum und Wie seiner Erzeugung fehlte? Hinzukommt im Blick auf die im Wissen involvierte Mannigfaltigkeit, daß die Verlagerung des Wissens in das Wesen des Absoluten zu einem Absolutheits- und Einheitsbegriff führte, der die Mannigfaltigkeit integrierte. Dies wäre ein Einheitsbegriff Hegelscher Prägung. Ihm steht Fichtes Einheitsbegriff als abstrakter, von der Mannigfaltigkeit isolierter diametral entgegen. Wurde das Mannigfaltige dem absoluten Einen bisher emanent

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Einheit u n d Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen V e r f a s s u n g

gedacht, so kann es jetzt nicht ohne Widerspruch demselben immanent gedacht werden. Da sich der direkte Weg als unbegehbar erweist, bleibt nur der indirekte. Von ihm, der in mehreren Varianten vorliegt, deren Gemeinsamkeit in der Mittelbarkeit des Schlusses vom faktischen Gegebensein des Wissens und seiner Implikate auf deren Deriviertheit aus dem Absoluten besteht, sagt die Wissenschaftslehre von 1812, daß er das für den endlichen menschlichen Erkenntnisstandpunkt allein adäquate Verfahren sei: „ E s ist ein vermittelter Schluß, ruhend auf dem Faktum und dasselbe voraussetzend. — U m den Unterschied zu fassen, denken Sie sich folgende andere S c h l u ß w e i s e . Wir hätten einen realen Begriff vom Absoluten, und sähen in demselben ein irgend einen Charakter = x, zufolge dessen er erscheinen müsse. So schlössen wir auf die Notwendigkeit der Erscheinung ganz unabhängig von ihrem faktischen Gegebensein. Hier verhält es sich anders . . . Einen solchen Begriff haben wir eben nicht" (X, 344). Darin deutet sich aber auch schon die Schwierigkeit dieser Konzeption an. Denn wie jeder Schluß von einem consequens auf ein bestimmtes antecedens, sei es von einer Wirkung auf eine bestimmte Ursache oder von einem Akzidens auf eine bestimmte Substanz, so ist auch dieser ungewiß und zweifelhaft, da das antecedens nicht nur im Absoluten, sondern auch im Wissen liegen könnte 3 0 . Versuchte der direkte Beweis, die Behauptung der Phänomenalität und Unselbständigkeit des Wissens im Absoluten zu verankern-, so versucht nun umgekehrt der indirekte, dieselbe im Wissen festzumachen. Danach sieht das Wissen in seiner Selbstdurchdringung ein, daß es Erscheinung des Absoluten ist (vgl. X , 215 £). In der „Anweisung zum seligen Leben" findet sich dieses Argument näher expliziert: „Ich nämlich sage: unmittelbar und in der Wurzel ist — Dasein des Seins das — Bewußtsein . . . Daß es nun also sei, und das Wissen und Bewußtsein das absolute Dasein, oder wenn Sie jetzt lieber wollen, die Äußerung und Offenbarung des Seins sei in seiner einzigmöglichen Form, — kann das Wissen sehr wohl begreifen und einsehen . . . Keineswegs aber . . . kann dieses Wissen in ihm selber begreifen und einsehen, wie es selber — entstehe, und wie aus dem innern und in sich selber verborgenen Sein ein Dasein, eine Äußerung und Offenbarung desselben, folgen m ö g e " (V, 4 4 0 - 4 4 2 ) .

30

A u s diesem G r u n d e muß der T h e s e L . Sieps ( a . a . O . , S. 102, Vgl. 77, 90), daß „ d a s Zerfallen der absoluten Einheit [in die Mannigfaltigkeit] . . . v o n der Selbstanschauung des Sehens aus e r s c h l o s s e n " werden k ö n n e , die Z u s t i m m u n g versagt werden; denn jeder Schluß bleibt als K o n s t r u k t i o n des endlichen Verstandes unsicher.

D e r Abstieg als Erscheinung der absoluten Einheit

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Doch das Argument ist unhaltbar. Zwar vermag das Wissen im Selbstbewußtsein zu erkennen, daß es ist und was es ist, nämlich Wissen, nicht aber, daß es als solches eine Erscheinung des Absoluten ist. Denn dies erforderte ein Wissen, das um die Beziehung zwischen Absolutem und Wissen wüßte und damit die Immanenz des Selbstbewußtseins transzendierte. Niemand anders als Fichte selbst hat diesen Sachverhalt im Rahmen einer Jacobi-Kritik am Begriff der Nachkonstruktion (Wissen als Nachkonstruktion verstanden) offengelegt und damit indirekt eine Selbstwiderlegung vollzogen. Wie das Wissen um die Phänomenalität so ist auch das um seinen nachkonstruierenden Charakter ein transzendentes, die Nachkonstruktion als solche überschreitendes. „Indem er [Jacobi] s a g t : Wir können nur nachkonstruieren, leistet er ipso facto mehr als bloßes Nachkonstruieren, und hat sich selber wenigstens aus jenem Wir, von dem er spricht, glücklich herausgezogen. Denn könnte er nur das, so würde er es eben Zeitlebens t u n , nicht aber davon sagen, noch, wie er eben durch dieses Sagen tut, sich zum Nachkonstruieren des Nachkonstruierens selber erheben" (X, 237). Das Wissen um die Nachkonstruktion qua Nachkonstruktion und die Erscheinung qua Erscheinung hat die Differenz von Tun und Sagen, bloßem Vollzug und Darübersprechen zur Voraussetzung, und da es hier um die Beurteilung und Einstufung des sich selber wissenden Wissens geht, die von endlichem und transzendentem Wissen. Eine Erscheinung, die sich als Erscheinung versteht, ist gerade deshalb keine Erscheinung mehr. Aus dem Vorangehenden folgt, daß das Theorem, daß das Wissen Erscheinung des Absoluten sei, nicht mit dem identisch ist, daß es um sich als Erscheinung des Absoluten auch wisse, und daß das Theorem, daß es um sich als Erscheinung des Absoluten wisse, das weitergehende eines transzendenten Wissens verlangt 31 .

31

L . Siep, a. a. O . , S. 61 ff hat den zweiten Teil der Wissenschaftslehre — zugegebenermaßen in Anlehnung an Fichte — dahingehend interpretiert, daß ein erster Schritt das sich selber noch unverstandene In-Erscheinung-Treten des A b s o l u t e n , also das Sichtbarwerden als solches, zeige, ein zweiter das Sich-Verstehen als Erscheinung im S i c h - D u r c h d r i n g e n des Selbstbewußtseins, also das Sehen des sichtbar G e w o r d e n e n . D i e s e Interpretation v e r m a g nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Selbstbewußtsein sich nur dann als a b s o l u t e Erscheinung zu verstehen vermag, wenn der Erscheinungscharakter anderweitig, letztlich durch ein transzendentes Wissen, bereits gesichert ist, sonst müßte zu der absurden A n n a h m e gegriffen werden, daß das Sich-Begreifen Erscheinen sei. A u ß e r d e m bleibt problematisch, wie das Wissen einerseits u m seinen P r o d u k t i o n s c h a r a k t e r soll wissen, andererseits im Z u s t a n d bloßer Erscheinung denselben soll vergessen haben k ö n n e n ; denn im Ansich der Erscheinung ist nur die N e g a t i o n der Produziertheit gedacht. Z u r grundsätzlichen Kritik a m P r o d u k t i o n s t h e o r e m vgl. die subtilen B e m e r k u n g e n von H . Radermacher, a . a . O . , S. 1 0 3 f f .

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Als nicht viel tragfähiger erweist sich im vorliegenden Kontext der Hinweis auf die Wortbedeutung von Erscheinung, Bild, Nachkonstruktion u. ä., derzufolge diesen Begriffen ein Transzendenzcharakter eignet. Daß Erscheinung Erscheinung von etwas, Bild Abbild eines Abzubildenden und Nachkonstruktion Nachkonstruktion eines Ursprünglichen ist, läßt sich nur von einem die Grenzen von Erscheinung, Bild, Nachkonstruktion sprengenden Wissen verstehen. Andernfalls bleibt der idealistische Einwand, daß das Genannte: Erscheinung, Bild, Nachkonstruktion nur auf Einbildung beruhe, in Kraft 32 . Eine Variante des indirekten Schlusses, die sich nicht wie die voranstehende des Verhältnisses von Ding an sich und Erscheinung (von Urbild und Abbild), sondern des Ursache-Wirkungs-Verhältnisses bzw. des Produktionsgedankens bedient, ist der Schluß von der Faktizität des Wissens und seiner Implikate auf deren Genesis aus dem Absoluten 33 . Daß das Bewußtsein, nicht nur das empirische Einzel-Ich, sondern auch das absolute Ich, ein unaufhebbares Faktum sei, ist die durchgängige Annahme der Wissenschaftslehre, die gerade der zweite Teil herausstreicht. Wo ein Faktum, eine Tatsache, gegeben ist, enthält diese den Hinweis auf eine Genesis, eine Tathandlung, und in diesem Fall auf die Produziertheit des Wissens und seiner Implikate aus einem Produktionsvermögen. Jedoch kann auch dieses Produktionstheorem, das auf dem Kausalitätsgedanken beruht, nicht einwandsimmun genannt werden, da nicht nur der Schluß auf eine Produziertheit aus dem Absoluten, sondern auch der auf eine aus dem Wissen, also auf eine Selbstproduktion des Wissens, möglich ist. Daß die letztere auszuschließen sei, könnte nur durch ein Wissen ermittelt werden, das um die Produktion (Kausalität) des Absoluten bezüglich des Wissens als seines Produkts (Wirkung) wüßte, also wiederum nur durch ein transzendentes, die Endlichkeit sprengendes Wissen. Eine weitere Variante nimmt das Substanz-Akzidens-Verhältnis zur Erklärung der Beziehung zwischen Absolutem und Wissen in Anspruch.

32

So kann auch' die von J.Widmann, a . a . O . , S. 2 4 2 f f entwickelte These nicht geteilt werden, daß aus ,der a b s o l u t e n S i c h e r s c h e i n u n g (dem absoluten Wissen)', welche ein „wahres Bild" des Absoluten sei, auf ein „wahres Absolutes geschlossen werden" müsse (S. 243). Da das Schlußverfahren ein Konstruieren des Verstandes ist, enthält es stets die Möglichkeit zu Fehlleistung. Denn was garantiert, daß die absolute Sich-Erscheinung wirklich originäre Erscheinung des Absoluten und nicht bloßes Bild einer Erscheinung und somit Selbstprodukt ist, wenn doch das Wissen immer nur in sich kreist?

33

Vgl. X , 245, 305.

Der Abstieg als Erscheinung der absoluten Einheit

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Reflektiert man auf den Inhalt der Einsicht in das Absolute unter Absehung von der Form, so zeigt sich dieser als ein Vonsich, Durchsich, Insich. Das Absolute ist das, was nach Abstraktion vom Bewußtsein, seiner Relationalität, Diversität und Pluralität übrigbleibt, und zwar rein von sich; denn wäre es nicht von sich, so wäre es von einem anderen und nicht das nach Abstraktion von allem anderen Ubrigbleibende. Das Vonsich ist Ausdruck der causa sui. Seine Einheit beruht nicht auf einer Verstandesbegründung, die eines vom anderen her begründet, sondern ist eine Einheit von sich (vgl. X, 232). Achtet man darüber hinaus auch auf Form und Geschehen der Einsicht, so erweist sich der Charakter des absoluten Einen, das Vonsich, als ein eingesehener, gewußter, mithin als ein als Qualität verstandener. Qualität (Eigenschaft) deutet auf einen Träger und ist nur als Akzidens einer Substanz verständlich. Folglich nötigt die erkennbare Qualität des Vonsich zu dem Schluß auf ein Substrat, das freilich als grundgebendes Vonsich unzugänglich bleibt; denn sobald es zugänglich wird, erscheint es als qualitatives Vonsich in seiner Wasbestimmtheit. Insofern kann gesagt werden, daß das qualitative Vonsich einem selbst nicht qualitativen und weiter zugänglichen Vonsich inhäriere (vgl. X, 244f). Die Argumentation gilt mutatis mutandis auch, wenn das Verhältnis: Absolutes-Wissen bzw. Eines-Mannigfaltiges nicht nach dem SubstanzAkzidens-Schema, sondern nach dem von Ursache und Wirkung beschrieben wird. Nahe legt sie sich deshalb, weil Fichte wiederholt das Wissen als erkennbaren Effekt des unerkennbaren, einseitig effizierenden Absoluten bezeichnet (vgl. X, 245). Gegen diese Begründung lassen sich dieselben Einwände vortragen wie gegen die vorangehenden. Das Wissen von der Qualität als Qualität bzw. vom Effekt als Effekt muß ein die Wissensimmanenz transzendierendes Wissen sein, da es um das Verhältnis von Absolutem und Wissen weiß. Denn bliebe es der Wissensimmanenz verhaftet, so bliebe auch der idealistische Einwand bestehen, daß die Qualität bzw. der Effekt des Vonsich möglicherweise eine Bestimmung bzw. ein Erzeugnis des Wissens selber ist. Die Argumente, die einer materialen Deduktion des Wissens als Prinzip der Mannigfaltigkeit aus dem Absoluten entgegenstehen, lassen sich in den folgenden beiden zusammenfassen: Entweder verbleibt das Wissen, eingedenk des kritischen Standpunkts der Transzendentalphilosophie, in der Immanenz. Innerhalb derselben läßt sich über eine mögliche Beziehung des seiner selbst bewußten Wissens zur Transzendenz und über ein mögliches Fundiertsein in dieser schlechthin nichts ausmachen. Oder das Wissen begibt sich, uneingedenk des kritischen Aspekts, auf einen Stand-

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen V e r f a s s u n g

punkt außerhalb, auf dem es Absolutes und selbstbewußtes Wissen zumal überschaut. Der dann unausweichlich werdenden Konsequenz, diesem Wissen einen noch vollkommeneren Status einräumen als dem Absoluten, ließe sich nur durch die Annahme entgehen, daß dasselbe das Selbstbewußtsein des Absoluten sei. Dann aber bleibt als unaufgelöste Frage, warum dieses Selbstbewußtsein keine Einsicht in das Wie seiner Genesis besitzt. Dessen Unerkennbarkeit oder, was dasselbe besagt, dessen bloße Nachkonstruktion mittels endlicher Begriffe behandelt Fichte unter dem Titel der formalen Genesis. Es ist gezeigt worden, daß die formale Genesis des Wissens aus dem Absoluten das Eingeständnis der Nichtgenesis enthält, insofern sie einer proiectio per hiatum irrationalem unterliegt. Wenn im Sinne durchgängiger Genetisierung nun auch dieser faktisch evidenten proiectio ein Prinzip nachgewiesen werden soll, so bedeutet das nicht, daß der prinzipienlosen Projektion ein Prinzip gegeben und dieselbe so in ihr Gegenteil verkehrt werden soll — auf diese Weise würden wir nicht länger von dem sprechen, von dem zu sprechen wir vorgeben —, sondern, daß für die Prinzipienlosigkeit qua Prinzipienlosigkeit ein Prinzip aufgefunden und damit die Unableitbarkeit als solche legitimiert werden soll. Dieses Prinzip glaubt Fichte, wie schon angedeutet, im Wissen zu finden, genauer, in dessen konstitutiver Begründungsstruktur, dem Soll, wie es sich durchgehend im Aufstieg des ersten Teils gezeigt hat, etwa in der Form: „Soll es zu einem Durch wirklich kommen, so muß etc.", „Soll dieses Leben ein Leben an sich sein, so muß" usw. (X, 225), oder, wie die Form in ihrer allgemeinsten und grundsätzlichsten Fassung lautet: „Soll es zu der absoluten Einsicht kommen, daß . . . [die ideale Sichkonstruktion im Sein selber gegründet ist, vgl. X , 230], so muß eine solche ideale Sichkonstruktion absolut faktisch gesetzt werden" (X, 218). Das Prinzip drückt ein „Soll-so-muß"- bzw. „Wenn-dann"-Verhältnis aus, das sich bei genauerer Diagnose als eine wechselseitige Bedingungsimplikation zu erkennen gibt. Das Absolute fungiert als Bedingung und Grund der Einsicht, jedoch nur unter der Bedingung, daß die Einsicht existiert. Es zeigt sich eine Wechselseitigkeit dergestalt, daß das Bedingende (das Absolute) selbst bedingt ist durch das von ihm Bedingte (das Wissen) und das Bedingte Bedingung des es Bedingenden ist. Das Soll gibt demnach Anzeige auf ein problematisches Bedingungsverhältnis. Da nun das Bedingungsverhältnis lediglich eine Spezies von Verhältnis überhaupt ist und letzteres stets Vielheit und Verschiedenheit der Glieder impliziert, kann das Soll zu Recht als Prinzip der Wissensform schlechthin

Das Problem der absoluten Erscheinung: der Dualismus

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gelten 34 . Gleichgültig, ob die Ableitung des Wissens und der Mannigfaltigkeit, für die es steht, aus dem absoluten Einen als ein Grund-Folge-Verhältnis oder als eines von Einheit und Vielheit, von Identität und Differenz oder ähnlich beschrieben wird, stets geschieht dies auf dem Boden und mit den Mitteln der für das Wissen spezifischen Form. Insofern weist sich die Beschreibung gemäß den genannten Schemata als eine Konstruktion des endlichen Geistes aus, als eine Übertragung per analogiam von endlichen Verhältnissen auf das Verhältnis von Absolutem und Wissen, das streng genommen nicht einmal als Verhältnis angesprochen werden darf. Nicht wahre Einsicht in die Genesis ist behauptet, noch auch Einsicht in eine wahre, tatsächlich stattfindende Genesis; denn die Rechtfertigung einer solchen setzte voraus, daß dem Absoluten in seiner Produktion (Genesis) unmittelbar zugeschaut werden könnte; behauptet ist lediglich eine problematische Einsicht bzw. eine Einsicht in eine vom Wissen problematisch gesetzte Genesis. „Es wird gar nicht behauptet", sagt Fichte X, 218, „und kann nicht behauptet werden, daß das Sein sich in sich idealiter konstruiere, sondern nur, daß es, als sich also konstruierend, projiziert werde". Die Partikel „als", in der philosophischen Sprache Standardausdruck nicht eines schlicht anschaulich Gegebenen, sondern eines als dies oder jenes Verstandenen (wir sagen: etwas als etwas verstehen), dient hier zum Ausdruck eines vom Wissen interpretierten Sachverhalts, nicht des realen, für uns unerkennbaren. Man muß sich bewußt machen, daß eine Erklärung dieser Art eine petitio principii ist, insofern das definiendum, das Wissen mit seinen Implikaten, als definiens bereits vorausgesetzt wird. Denn wenn aus dem als Einheit, Identität, Prinzip usw. konzipierten Absoluten das Wissen mit seinen Momenten, den quantitativen, qualitativen, relationalen usw., nach dem Modell der Vervielfältigung, Differenzierung, Fundierung u. ä. abgeleitet wird, so wird bereits mit Begriffen operiert, die rechtmäßig erst abzuleiten wären. Die Erklärung verbleibt im Bereich des Wissens, ohne über dessen wahres Verhältnis zum Absoluten und ob es überhaupt ein Verhältnis ist, Aussagen machen zu können. 5. Das Problem der absoluten Erscheinung: der Dualismus Die Probleme, vor die der zweite Teil der Wissenschaftslehre stellt, sind nicht weniger erheblich als die des ersten. Warf der erste, dem es um das 34

Vgl. X, 231; I. Schüssler: Die Auseinandersetzung von Idealismus und Realismus in Fichtes Wissenschaftslehre, Frankf. a. M. 1972, S. 147ff.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen V e r f a s s u n g

absolute Einheitsprinzip als solches, seinen Entwurf und seine Durchführung als abstraktes, über alle Mannigfaltigkeit erhabenes Prinzip ging, die Frage nach dessen Widersprüchlichkeit oder Widerspruchslosigkeit auf, so stellt der zweite, der die Beziehung zwischen absoluter Einheit und Mannigfaltigkeit thematisiert, vor die Frage eines Dualismus bzw. seiner Uberwindung. Von zentraler Bedeutung muß hier die Entscheidung werden, ob es Fichte gelingt, sein monistisches Programm durchzuhalten, den aufgrund der Erscheinungskonzeption drohenden Dualismus abzuwehren, oder ob er genötigt ist, neben dem absoluten Einheitsbegriff ein zweites absolutes Prinzip zuzulassen, wodurch sein System auf einen Gegensatz von Einheit und Mannigfaltigkeit hinausliefe. Zu diesem Zweck ist vom jetzigen Stand der Erörterung noch einmal der Einheitsbegriff vorzunehmen. Ließ der Aufstieg nur eine einzige Interpretation der Einheit als Abstraktion und Negation jeglicher Pluralität, Differenz und Relation zu, so ist die Auslegung im Abstieg weniger eindeutig, was sich daraus erklärt, daß die Einheit hier nicht nur als synthetischer Einheitsgrund, sondern zugleich als Disjunktionsprinzip fungiert. Mochte es im Aufstieg von der faktischen Mannigfaltigkeit zur absoluten Einheit möglich sein, dieselbe als Transzendenz ohne Rücksicht auf eine Deszendenz zur Mannigfaltigkeit zu konzipieren, so zeigt sich spätestens im Rückstieg zu dieser, daß die absolute Einheit nicht ohne Rücksichtnahme auf sie anzusetzen ist. Kann die absolute Einheit, um ihre Aufgabe als Divisions- und Spezifikationsgrund zu erfüllen, der Mannigfaltigkeit noch länger entraten? Muß nicht vielmehr alle Mannigfaltigkeit ihr wesensimmanent statt emanent gedacht werden? Die Ansichten hierüber gehen auseinander. So versteht N . Hartmann 3 5 die Koinzidenz der Gegensätze im absoluten Einen, ihr wechselseitiges Sich-Durchdringen und In-einander-Aufgehen, als begriffliche Wechselimplikation, wie sie im Durcheinander des Urbegriffs herrscht. Dadurch daß er d e n Begriff bzw. d i e Reflexion samt ihren Momenten mit dem absoluten Einen identifiziert, wird es ihm möglich, die Ableitung des Mannigfaltigen aus dem Einen als dessen Selbstentfaltung zu deuten. „ D a s Absolute ist nicht punktuelle Einheit, denn aus einer solchen könnte nichts hervorgehen; sondern synthetische, in sich mannigfaltige Einheit, in der die Momente unselbständig sind und lediglich durcheinander bestehen. N u r so kann aus ihr als dem Prinzip die Zweiheit und Mannigfaltigkeit als Prinzipiat rein und ohne äußere hinzutretende Bedingung hervorwachsen. Das ist der Sinn der von Fichte postulierten 35

D i e Philosophie des deutschen Idealismus, 1923/29, 3. A u f l . Berlin 1974.

Das Problem der absoluten Erscheinung: der Dualismus

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„Einheit des Durcheinander" als der wahren Synthesis a priori, deren rein innere Selbstentfaltung die ganze Welt des Seins, des Subjekts und der Sitten, das Reich der Natur, des Wissens und der Freiheit entspringen läßt" 3 6 . Ebenso gehört für M. Gueroult 3 7 die Mannigfaltigkeit, wie sie sich im sich selber begreifenden Wissen realisiert, zum Leben des Absoluten, die mit ihm gesetzt und mit ihm aufgehoben wird. Es ist dann nur konsequent, das Wesen dieses absoluten Einen als ein Sich-Unterscheiden und -Bestimmen aufzufassen, vermöge dessen es sich aus einem unentwickelten Zustand zu einem expliziten System entfaltet. Fichtes Philosophie als Vorstufe derjenigen Hegels wäre die unvermeidliche Folge. Denn nicht nur, daß der Einheitsbegriff im Sinne Hegels als Totalitätsbegriff gedacht würde, bei dem Systemgrund und System zusammenfallen, auch die Deduktion des Mannigfaltigen aus dem Einen wäre in seinem Sinne eine Selbstexplikation, begreifbar deshalb, weil das Verstandeswissen, in das Absolute versenkt, seinen eigenen Hervorgang nachzuvollziehen vermag. Demgegenüber betonen andere Forscher, Zahn 3 8 , Widmann 3 9 , Radermacher 40 , Siep 41 , Schüssler 42 , Kumamoto 4 3 , um nur einige zu nennen, die Differenz zwischen absoluter Einheit und faktischer Mannigfaltigkeit. Es wird darauf verwiesen, daß für Fichte die absolute Einheit eine „in sich selbst geschlossene und vollendete und absolut unveränderliche Einerleiheit" ist 44 oder, wie es in der Wissenschaftslehre von 1804 heißt (X, 212), „ e i n in sich g e s c h l o s s e n e s S i n g u l u m d e s L e b e n s u n d S e i n s , d a s nie aus s i c h h e r a u s " kann, nie Gegenstand für das Bewußtsein werden und damit in die Zweiheit und Differenz von Relata heraustreten kann. Wenn es gleichwohl eine Mannigfaltigkeit gibt, so stellt sie ein absolutes Faktum dar (vgl. X, 195, 305). Von hier verbietet es sich, die Ableitung des Mannigfaltigen als Selbstentfaltung und Zu-sich-Kommen des Einen zu interpretieren — das absolute Eine ist ja das Vollkommene. Zwar handelt es sich bei der Ableitung um eine Selbstexplikation, aber nicht des Selbst36 37 38 39 40 41

42 43

44

A . a . O . , S. 74. A . a . O . , II, 237. A . a . O . , S. 114ff. A . a . O . , S. 241 ff. A . a . O . , S. 75ff, 124ff. A . a . O . , S. 51, 69, 96, 103. Zur Differenz zwischen Fichte und Hegel in diesem P u n k t besonders S. 94 ff. A . a . O . , S. 166ff. C h . K u m a m o t o : Sein-Bewußtsein-Relation beim späten Fichte in Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte, Festschrift f ü r R. Lauth, Stuttg a r t - B a d Cannstatt 1979, S. 2 0 4 - 2 1 4 , bes. S. 208ff, 213f. Die Anweisung zum seligen Leben, V, 439.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen V e r f a s s u n g

bewußtseins des Absoluten, sondern eines, das sich als dessen Bild oder Schema bzw. dessen Erscheinung versteht. Ein Dualismus zwischen Absolutem und Selbstbewußtsein wird damit unausweichlich. Es fragt sich, ob nicht das spezifische Modell der unselbständigen Erscheinung denselben zu verhindern vermag, ohne zugleich dem anderen Extrem eines Sich-selber-Begreifens des Absoluten zu verfallen. Die kritische Analyse nicht nur der formalen Genesis und deren von Fichte selbst konzedierter Unableitbarkeit, sondern auch und gerade der materialen zeigte jedoch, daß es in keinem Fall gelingt, die These von der Erscheinungshaftigkeit des Mannigfaltigen im sich selber wissenden Wissen zu legitimieren und über den Status einer bloßen Behauptung hinauszubringen. Vielmehr war die Unableitbarkeit in formaler wie materialer Hinsicht manifest. Kann das Mannigfaltige nicht auf plausible Weise aus dem Einen deduziert, nur faktisch konstatiert werden, so stellt es zwangsläufig ein zweites autonomes Prinzip neben dem Einen dar. Immerhin hat Fichte das Mannigfaltige als äußere Existenzform des absoluten Einen in einem zweiten, vom Grundsatz der Wahrheitslehre nicht ableitbaren Grundsatz formuliert. Wem soll daher im Streit der Meinungen Recht gegeben werden, Janke 4 5 und Siep 4 6 , wenn sie behaupten, Fichte habe im zweiten Teil der Wissenschaftslehre den Hiat zwischen absoluter Einheit und faktischer Mannigfaltigkeit selber zur These erhoben, oder Schulz 4 7 , wenn er die Ansicht vertritt, die Idealisten hätten, noch in ihrer Vollendung, die Unableitbarkeit „immer wieder verdeckt und gerade versucht, das Ganze der Welt in einem vernünftigen System einzufangen, das seinen Anfang in einer als gründendem Grund verstandenen Gestalt der absoluten Subjektivität hat". Die Unentscheidbarkeit hat ihre Ursache in der Inkonsequenz des Fichteschen Einheitskonzepts. Inkonsequent ist es insofern, als es auf der einen Seite in parmenideischer Nachfolge das Eine hypostasiert, es als das eine Einzige nimmt, welches über jeden Verstandesgegensatz erhaben ist und folglich als absolut vielheits-, differenz-, beziehungslos in keiner Wechselbeziehung zu einem anderen Prinzip steht, und auf der anderen Seite es in eben dieser Position nur in Abgrenzung und Entgegensetzung zum Mannigfaltigen zu begreifen vermag, mithin als das einseitige Glied eines Verstandesgegensatzes, zu dem das Mannigfaltige als das andere gehört. Auch die Interpretation des Mannigfaltigen als Erscheinung oder 45 46 47

Fichte, a . a . O . , S. 408. A . a . O . , S. 102. W. S c h u l z : D a s P r o b l e m der absoluten R e f l e x i o n , F r a n k f . a . M . 1963, S. 18.

Das Problem der absoluten Erscheinung: der Dualismus

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äußere Existenzform des absoluten Einen vermag über die bestehende Differenz zwischen Innerem und Äußerem nicht hinwegzutäuschen, welche beide in das Gegenüber von abstrakter, leerer Einheit und supplementärer Mannigfaltigkeit bringt. Diese Opposition von Gegenprinzipien ist es, welche der zweite Teil in seiner ausdrücklichen Thematisierung der Beziehung zwischen Einheit und Mannigfaltigkeit ans Licht bringt, während der erste im Bemühen um die Gewinnung eines rein abstraktiven Einheitsbegriffs an der Unaufgebbarkeit der Mannigfaltigkeit unbewußt kollabierte. Was der erste Teil abstrahierte, postuliert der zweite als Unaufhebbares wieder hinzu. Beide Teile stehen daher im Verhältnis von Abstraktion und Ergänzung. Nichts anderes als eben diese Beziehung der Einheit zur Mannigfaltigkeit hatte Piaton im Rahmen seiner Kritik am Parmenideischen Einheitsbegriff als die unumgängliche Voraussetzung eines Einheitsbegriffs aufgezeigt, der ein exklusives Eines, das Eine-Einzige, zu sein beansprucht und dennoch, als gedacht, existent, von anderem unterschieden usw., mehr als Eines ist, die Relation auf anderes impliziert. Wenn der erste Teil der Wissenschaftslehre die Schwierigkeit wiederholt, die Piaton für eine vollständig durchgeführte Abstraktion aufdeckte, so wiederholt der zweite die faktische Angewiesenheit der Einheit auf Mannigfaltigkeit. Diese Wiederholung auf gänzlich anderem Reflexionsniveau kann jedoch nicht erstaunen, wenigstens solange nicht, wie an einem Einheitsbegriff festgehalten wird, der der Intention nach Mannigfaltigkeit negiert und der faktischen Denkbarkeit nach der Komplettierung durch dieselbe bedarf. Was Fichtes philosophische Entwicklung anlangt, ist die Wissenschaftslehre von 1804 in der Absicht geschrieben worden, die Mängel der Frühposition zu beseitigen, die zum einen in der Einseitigkeit und Leerheit des angenommenen Prinzips: der abstrakten Einheit und Identität des Ich, zum anderen in dem dadurch erforderlich werdenden Ubergang zu dem Mangelnden als zweitem autonomen Prinzip, kurzum in der Annahme eines Verstandesgegensatzes, bestanden. Wie die kritische Analyse der Wissenschaftslehre von 1804 lehrt, sind diese Mängel auch jetzt nicht behoben; denn die absolute vielheits-, differenz-, beziehungslose Einheit stellt sich in Abhebung von der Mannigfaltigkeit als abstrakte, leere Einheit und die zu ergänzende Mannigfaltigkeit als dualistisches Prinzip heraus 48 . Die Wissenschaftslehre von 1804 wiederholt die inkriminierten Fehler nur auf anderer Ebene, nicht 48

Wir teilen nicht die Auffassung L. Sieps, a . a . O . , S. 12, 87, 89f, daß die Wissenschaftslehre von 1804 die Mängel der f r ü h e n Lehre überwinde.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

mehr innerhalb des Selbstbewußtseins zwischen dessen Momenten: der sich gleichbleibenden Einheit und Identität und den Unterschieden als solchen, sondern zwischen dem Absoluten und dem Selbstbewußtsein, von denen das erste das Prinzip der abstrakten Einheit, das zweite das der Disjunktion bezeichnet. Hegel hat die Grundschwierigkeit von Fichtes Systemkonzeption klar erkannt und wiederholt kritisiert. Eine dieser Stellen findet sich in der Wissenschaft der Logik. Im Zusammenhang der Begriffe von Unendlichkeit und Endlichkeit kommt er auf Einheits- und Ursprungsphilosophien von der Art Fichtes zu sprechen, die die Aufgabe der Philosophie in den Aufweis setzen, „ w i e das U n e n d l i c h e aus s i c h h e r a u s und z u r E n d l i c h k e i t k o m m e " (V, 168f) bzw. , , w i e das U n e n d l i c h e e n d l i c h w e r d e " (V, 170). Sobald Unendlichkeit und Endlichkeit einander konfrontiert und dadurch getrennt werden, indem die eine auf die eine Seite, die andere auf die andere einer Kluft gestellt wird, ist die Möglichkeit eines Ubergangs nicht mehr abzusehen. Denn wie das Unendliche sich verendlichen, wie ein abstrakter, einseitiger Begriff sich in sein Gegenteil verkehren solle, bleibt unbegreiflich. Begreiflich wird dies nur, wenn das Unendliche selbst bereits das Endliche ist, die Einheit seiner und seines Gegenteils (vgl. V, 170). Mit anderen Worten, nur wenn die Mannigfaltigkeit schon in die Einheit gesetzt ist, kann die Ableitung aus ihr als Selbsten tfaltung der Einheit verstanden werden. Die Schwierigkeit von Fichtes Einheitsbegriff verweist auf den Hegels. Zwischen Fichte und Hegel wiederholt sich so auf anderer Reflexionsstufe das Verhältnis zwischen erster und zweiter Position des Platonischen Parmenides.

2.

Kapitel

Einheit mit Einschluß der Mannigfaltigkeit (Totalität), demonstriert an Hegels Einheitsbegriff 1. Die Grundkonzeption Hegel hat seine Theorie in der Wissenschaft der Logik expliziert. Zusammen mit der Phänomenologie und den beiden Realwissenschaften, der Philosophie der Natur und der Philosophie des Geistes, bildet sie nach der Vorrede zur 1. Auflage, welche auch durch eine Anmerkung der rund

Die G r u n d k o n z e p t i o n

131

zwanzig Jahre später erschienenen 2. Auflage bestätigt wird (V, 18), ein Gesamtsystem, innerhalb dessen der Phänomenologie die methodische Funktion einer Propädeutik zukommt, deren Aufgabe es ist, als Erscheinungslehre des absoluten Geistes im Ausgang vom natürlichen Bewußtsein und der für dieses charakteristischen Subjekt-Objekt-Differenz durch alle Formen der Spaltung hindurch, durch das empirische Selbstbewußtsein, die ebenfalls empirische Vernunft, die verschiedenen Gestalten des natürlichen Geisteslebens, zum absoluten Wissen als der Einheit von Subjekt und Objekt aufzusteigen, während den Realwissenschaften die Aufgabe der Applikation des zur Einheit gewordenen Wissens auf verschiedene Bereiche zufällt, dergestalt, daß die Naturphilosophie das sich entäußerte absolute Wissen als bewußtlose, noch nicht zu sich gekommene Natur und die Geistesphilosophie dasselbe als zu sich gekommenen, seiner selbst bewußten Geist zur Darstellung zu bringen hat. Die Wissenschaft der Logik, die den Endpunkt des „phänomenologischen" Aufstiegs und den Ausgangspunkt des „realwissenschaftlichen" Abstiegs und somit die letzte und höchste Stufe des Systems bildet, erfüllt die Rolle einer Prinzipien- oder Fundamentalwissenschaft. Ihr Thema ist der absolute Geist, kurz „das Absolute" genannt, in theologischer Sprechweise „das Ewige, Göttliche" (V, 78), und sie selbst als Wissenschaft davon ist die Darstellung Gottes, , , w i e er in s e i n e m ewigen Wesen vor der E r s c h a f f u n g der N a t u r und eines e n d l i c h e n G e i s t e s i s t " (V, 44). Stellt sich schon für den unbefangenen Betrachter angesichts solcher Wissenschaftskonzeption die Frage nach Möglichkeit und Legitimation eines Wissens, das der endlichen Subjektivität und deren Bedingungen zugehörig bleibt 49 und nichtsdestoweniger ein Wissen von Gott sein soll, wieviel mehr für den, der von der Fichteschen Spätphilosophie herkommt und durch das vom erkenntnistheoretischen Kritizismus geprägte Problembewußtsein der Unaufhebbarkeit der Diskrepanz zwischen endlichem Wissen und Absolutem hindurchgegangen ist. Daß auch Hegel eine gewisse Differenz anerkennt, geht nicht nur aus der These vom Zuschauen und begrifflichen Verarbeiten des Geschauten hervor, von denen zumindest das letzte die Möglichkeit des Irrtums involviert und in Hegel den Wunsch hat aufsteigen lassen, die Logik siebenundsiebzig Mal zu schreiben, sondern auch aus der These von der Temporalität des

49

Mit endlicher Erkenntnis bzw. Wissen ist hier wie schon im Vorangehenden selbstverständlich nicht das empirische, privat-subjektive, sondern das apriorische, allgemeine, intersubjektive Wissen gemeint.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Erkenntnis- und Darstellungsprozesses, derzufolge am Anfang noch keine vollständige Erkenntnis herrscht 5 0 . Aus dem Dilemma des Hiats zwischen endlichem Wissen und Absolutem ist nur auf zweifache Weise herauszukommen : 1. durch die hypothetische Annahme eines eigenen Erkenntnisvermögens zur immediaten, instantanen Erfassung des Absoluten neben dem für endliche Erkenntnis typischen mittelbaren, durch Rationalität gekennzeichneten, sei es in Gestalt einer intellektuellen Anschauung, einer inneren Erfahrung durch Offenbarung oder eines Glaubens, wie Jacobi, Schelling und nicht zuletzt Fichte in der Konzeption einer ichlosen Vernunft solches angenommen haben, oder 2. durch eine theoretische Konstruktion, die den Zusammenfall von ichhaftem Verstand und ichloser Vernunft in einem vernünftigen Verstand oder einer verständigen Vernunft (vgl. V, 17) proklamiert. Die Gründe, die Hegel gegen die erste und für die zweite Möglichkeit sich entscheiden lassen, bestehen zum einen darin, daß beim Verweis auf die intuierende Vernunft oder mystische Schau oder beim Appell an Glauben und innere Erfahrung ein allgemeinverständliches und -verbindliches, intersubjektiv kommunikables Verifikationskriterium fehlt, zum anderen in der Überzeugung, daß Rationalität und Reflexivität das Konstitutionsprinzip der Welt bilden 5 1 und daß allein unter ihrer Voraussetzung nicht nur ein begreifendes Eindringen in das Absolute, sondern auch ein verstehender Nachvollzug des Hervorgangs der Mannigfaltigkeit der Welt aus dem Absoluten möglich ist. Denn aus einem schlechthin Unbegreiflichen, der menschlichen Ratio Verschlossenen läßt sich, wie Fichtes Philosophie gezeigt hat, keine Mannigfaltigkeit auf begreifbare Weise deduzieren, sondern nur als zweites autonomes Prinzip adjungieren. Mit dem Zusammenfall von endlichem Wissen und Absolutem, ichhaftem Verstand und ichloser Vernunft im Theorem einer verständigen Vernunft geht selbstredend auch der Zusammenfall der für beide spezifischen Formen einher. Für den Verstand als Vermögen der Analysis und Synthesis ist dies die Diskursivität und Sukzessivität, mithin die Prozeßform. Daß dem Absoluten qua Absoluten Prozessualität eignen sollte, widerspricht der gängigen Auffassung, wonach ihm als Oppositum des Endlichen die für dieses charakteristischen Prädikate der Bewegung und Veränderung gerade

50

51

Vgl. VI, 570, w o zwischen zeitlicher Entwicklung und Zu-Entwickelndem als solchem unterschieden wird. Aus diesem Grunde bezeichnet Hegel auch das Absolute als Logos (nach V, 27 ist das Absolute „wesentlich Bewußtsein") und beruft sich auf Anaxagoras als Begründer einer „Intellektualansicht des Universums" (V, 44).

Die Grundkonzeption

133

abgehen. Zudem hat die philosophische Tradition das Absolute stets als ruhiges Bei-sich-Sein und — was sein Selbstverständnis anlangt — als immer schon Im-Besitze-Sein ausgelegt, so Aristoteles, wenn er den Nous als unbewegten Beweger beschreibt, der, obwohl alles andere bewegend, selbst unbeweglich verharrt, so Plotin, wenn er das Ureine als Ursprungs- und Kausalitätsprinzip auffaßt, das trotz seiner Wirkungsweise unveränderlich bleibt, oder Thomas von Aquin, wenn er in Anlehnung an Aristoteles Gott als intellectus agens, als in sich ruhende, nach außen wirksame Tätigkeit und Handlung konzipiert. Wenn daher das Absolute durch Diskursivität charakterisiert sein, wenn es selbst Prozeß sein soll, so ist dies dem endlichen Verstand zuzuschreiben. Aus diesem Grunde kann sich Hegel auch zu der Aussage verstehen, daß als W i s s e n s c h a f t , d . h . als verstehendes Erkennen, „die Wahrheit [das Absolute] das reine sich e n t w i c k e l n d e Selbstbewußtsein" sei (V, 43, gesp. v. Verf.). Hingegen geht die spezifische Form des Prozesses, die nicht in endlosem Fortgang, sondern in rückläufiger Bewegung besteht, wie sie bildlich durch den Kreis im Unterschied zur unendlichen Geraden ausgedrückt wird, auf das Konto des Absoluten, seine Vollkommenheit und Geschlossenheit. Denn ohne in das Absolute eingezeichnet und von ihm getragen zu sein, ohne die selbsteigene Bewegung des Absoluten auszumachen, wäre die Bewegung nur als offener, endloser Fortgang denkbar. So haben emanatistische Weltentstehungstheorien wie der Neuplatonismus und Fichtes Spätphilosophie unter der Voraussetzung, daß das Absolute an sich schon vollkommen sei, die Bewegung nicht anders zu deuten vermocht denn als Uberfließen der Fülle, als grenzenlosen Hinausgang des Absoluten zur Mannigfaltigkeit. Bei einem Absoluten hingegen, bei dem Bewegung zur Vervollkommnung gehört wie beim Hegeischen, ist diese nur als geschlossene vorstellbar. Aus diesem Grunde hat Hegel mit Vorliebe das Kreismodell zur Kennzeichnung und Abgrenzung seiner Theorie von den am Modell der ins Unendliche fortlaufenden Linie orientierten herangezogen, so wenn er die Wissenschaft der Logik im Verhältnis zu ihren Teilen als „ K r e i s v o n K r e i s e n " (VI, 571) oder die Einzelwissenschaften im Verhältnis zum Gesamtsystem als „Bruchstücke dieser Kette [von Kreisen]" (VI, 572) beschreibt. „Jeder der Teile der Philosophie ist ein philosophisches Ganzes, ein sich in sich selbst schließender Kreis, aber die philosophische Idee ist darin in einer besonderen Bestimmtheit oder Elemente. Der einzelne Kreis durchbricht darum, weil er in sich Totalität ist, auch die Schranke seines Elements und begründet eine weitere Sphäre; das Ganze stellt sich daher als ein Kreis von Kreisen dar, deren jeder ein notwendiges Moment ist" (Enzykl. § 15

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

(VIII, 60) 5 2 ). Obwohl der räumlich-zeitlichen Außenwelt entnommen, ist die Kreisform, die bei Hegel unter den verschiedensten Bezeichnungen auftritt, als „Rückkehr-in-sich", „Reflexion-in-sich", „Abstoßen-von-sich und Ankommen-bei-sich" 5 3 , „Mit-sich-Zusammengehen" 5 4 , „rückwärts gehende Begründung", „Negation der Negation", „absolute Negation" usw., zu der für sein Philosophieren typischen und stilbildenden Denkfigur geworden, so daß man dasselbe geradezu als Rotationstheorie ansprechen kann 5 5 . Obzwar auch Fichtes Konzeption eine Bewegung erkennen läßt, die im Auf- und Überstieg von der endlichen Faktizität zum transzendenten Absoluten und im Rückstieg von diesem zur endlichen Faktizität besteht, vermag sie es doch nicht zur Geschlossenheit zu bringen, da das endliche, auf Rationalität und Reflexivität beruhende Selbstbewußtsein nicht schon das Wissen des Absoluten von sich ist und die Selbstevidenz des Absoluten nicht das reflexive Selbstbewußtsein. Erst in einer Konzeption wie der Hegels, in der mit den Sphären des Endlichen und Absoluten auch die Ubergänge zwischen ihnen, Auf- und Abstieg, zusammenfallen, wird eine geschlossene Bewegung erreicht. Dennoch bleiben auch innerhalb ihrer die Bezugspunkte der Bewegung sowie deren Richtungssinne wohlunterschieden. Denn wenn das Absolute erst im reflexiven Wissen zur Vollendung gelangt, so ist solcher Herausgang aus sich zu anderem nur als Selbstentäußerung verstehbar, welche aber, da das reflexive Wissen zugleich Wissen des Absoluten von sich ist, Rückkehr zu sich bedeutet. Es muß hier unentschieden bleiben, ob bei dieser Konzeption die christliche Offenbarungstheologie, insbesondere der dieser eigentümliche Kondeszendenzgedanke mit seiner herablassenden und heraufhebenden Bewegung Gottes, zum Vorbild gedient hat oder ob umgekehrt diese Konstruktion das begriffliche Instrumentarium zur philosophischen Ausdeutung des christlichen Erfahrungsgehalts erstellt 56 . Die Analogie ist jedenfalls unübersehbar. Nicht nur in der Logik hat Hegel auf solche Gedankengänge angespielt, ζ. B . in V I , 2 9 6 f , wo er vom ,Heruntersteigen' des Allgemeinen in die „verschmähte Einzelheit", „in der der Begriff sich selbst erfaßt" 5 7 , spricht, sondern auch in seiner Spätphilosophie hat er dieselben zur Reformu52 53 54 55 56

57

Weitere Stellen: Wissenschaft der Logik V, 70f, 164, 247f, VI, 570, Enzykl. § 17 (VIII, 63). Vgl. VI, 27. Vgl. V, 192. Vgl. A. Sarlemijn: Hegeische Dialektik, Berlin/New York 1971, S. l f . Zur Beziehung von Hegels Denkmodell zur christlichen Offenbarungstheologie vgl. bes. die Arbeit von M. Theunissen, a . a . O . , S. 42ff, 177f. Vgl. Enzykl. § 18, (VIII, 63).

Die Grundkonzeption

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lierung der christlichen Trinitätslehre benutzt: Gott in seinem ewigen Beisich-Sein läßt von sich ab, entäußert sich, wird zum Anderen seiner selbst (Christusgeschehen), um sich in diesem als er selbst wiederzufinden und in seiner Vollkommenheit zu dokumentieren (Gemeinde). Sofern sich Gott erst im Bewußtsein des endlichen Menschen vollendet und in diesem ein Bewußtsein von sich erlangt, stellt die Bewegung nicht nur eine Dekadenz dar, sondern ebensowohl ein Werden zu sich 58 . Es ist Hegels spezifische Leistung, mit seiner Theorie ein Modell erstellt zu haben, das Absolutes und Endliches, Vernunft und Verstand in eins zu denken gestattet oder, wie man den Sachverhalt auch wenden könnte, da Vernunft das Innehaben des Systemgrundes und Verstand das Vermögen systematischer Explikation ist, das den Zusammenfall von Systemgrund und explizitem System anzunehmen erlaubt. Betrachtet man dieses Modell speziell im Hinblick auf die in dieser Untersuchung thematischen Begriffe der Einheit und Mannigfaltigkeit sowie deren Modifikationen, der Identität und Differenz, des Prinzips und Prinzipiats (Grund und Folge, Substanz und Akzidens), des Seins und Bewußtseins, so wird man unschwer in ihm das Konzept einer Einheit erkennen, in der Vielheit, Diversität, Relationalität usw. impliziert ist, die folglich eine Totalität ausmacht. Nicht mehr steht wie in Fichtes theoretischem Ansatz die absolute Einheit der Mannigfaltigkeit gegenüber — bildlich gesprochen, über ihr —, sondern fällt mit ihr zusammen, so daß die Einheit als Einheit in der Zweiheit bzw. als Einheit d e r Zweiheit erscheint wie umgekehrt die Zweiheit als in die Einheit integriert und von ihr zusammengefaßt, als Zweiheit in der Einheit. Im Horizont historischer Betrachtung erweist sich Hegels Konzept als ein Exempel jenes gefüllten Einheitsbegriffs, der Alleinheit, den Piaton in der zweiten Position des Parmenides abgehandelt hat. Wiewohl Ubereinstimmung im Grundsätzlichen besteht und von Hegel stets anerkannt worden ist 59 , unterscheidet sich sein Konzept von der historischen Vorlage in zwei wichtigen Punkten, die herauszustellen für das Verständnis des Hegeischen Begriffs sowie für Hegels Selbsturteil über die Tragweite seiner Konzeption nicht unwichtig ist. 1. Soweit erkennbar, kommt Piatons hypothetischer Annahme eines seienden Einen bzw. Eins-Seienden, das stellvertretend für das All-Eine steht, nicht schon dem Ansatz nach die Seinsweise der Bewegung zu; vielmehr zeigt sich Bewegung erst bei konsequentem Durchdenken desselben 58 59

So der Titel der Arbeit von U. Guzzoni: Werden zu sich, Freiburg/München 1963. Vgl. V, 105f, 193.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

als dessen genuine Schwierigkeit. Erst die Erkenntnis, daß die Einheit ein Ganzes aus Teilen ausmacht, von denen jeder wieder ein Ganzes aus Teilen ausmacht und so in infinitum, führt zu einem Entgleiten der Einheit in unbestimmte Zweiheit. Demgegenüber ist Hegels Begriff der Zweieinigkeit von Anfang an als dynamischer konzipiert, der die Einheit überhaupt nicht anders zu fassen erlaubt als dadurch, daß sie sich in sich selbst spaltet, zur Zweiheit dirimiert und über diese zu sich als nunmehr gefüllter Einheit zurückkehrt. Dem Konzept einer statischen Einheit stellt Hegel das einer in sich bewegten, lebendigen entgegen 60 . Mag auch die Verstandessprache mit ihren einseitigen Fixierungen in Subjekt-Prädikat-Sätzen zur adäquaten Explikation spekulativen Gehalts von der Art der Bewegung außerstande sein, über dessen Vorliegen besteht nicht der geringste Zweifel. In diesem Sinne bemerkt Hegel gerade im Kontext seiner Parmenides-Auseinandersetzung, „daß die Wahrheit des Eins und des Vielen in Sätzen ausgedrückt in einer unangemessenen Form erscheint, daß diese Wahrheit nur als ein Werden, als ein Prozeß, Repulsion und Attraktion, nicht als das Sein, wie es in einem Satze als ruhige Einheit gesetzt ist, zu fassen und auszudrücken ist" (V, 193 61 ). Wenn Hegel auf diese Weise den sonst ins Unendliche sich erstreckenden Prozeß in die Einheit verlegt, ihn zu einer von ihr ausgehenden und zu ihr zurückkehrenden, geschlossenen und eben dadurch Einheit repräsentierenden Bewegung macht, so darf man darin zu Recht den Versuch erblicken, der Platonischen Schwierigkeit des recursus ad infinitum zu entkommen. Daß Hegel selbst sein Konzept in diesem Sinne verstanden hat, geht aus seiner Platon-Kritik hervor. Verantwortlich für den Prozeß ist seiner Meinung nach der Ansatz der äußeren Reflexion. Dieser weist zwei Mängel auf, zum einen den der Äußerlichkeit der Beziehung zwischen betrachtendem Subjekt und betrachtetem Objekt, zum anderen den der dadurch ermöglichten Beliebigkeit des Ausgangs im Objekt und des Ubergangs von einem Teil desselben zum anderen. Für das Verhältnis von Einheit und Vielheit bedeutet das, daß gleicherweise, ohne innere Nötigung, von der Vielheit durch Vergleichung auf ihre Gemeinsamkeit zur Einheit wie umgekehrt von der Einheit durch Spezifikation zur Vielheit übergegangen werden kann. Abhilfe schaffen kann nach Hegel nur der Ansatz der inneren Reflexion, dadurch daß er aufgrund des Zusammenfalls von Subjekt und Objekt die subjektive Bewegung zum immanenten Gang der Sache selbst 60 61

Vgl. V, 41, 57, VI, 76. Vgl. VI, 565.

Die Grundkonzeption

137

und dadurch zu einem geregelten, durch die Sache methodisch gehaltenen werden läßt. Schon der Terminus „innere Reflexion" gibt einen Hinweis auf die Immanenz der Bewegung, insofern „Reflexion" Rückbiegung, Rückbeugung, Widerschein meint und „in sich" die Tatsache bezeichnet, daß der Widerschein auf sich selbst gerichtet ist, somit innerhalb des Objekts verbleibt. Zu fragen bleibt allerdings, ob dieses Konzept einer prozessualen Einheit eine definitive Lösung des Regreß- bzw. Progreßproblems erbringt, ja erbringen kann oder entgegen Hegels Selbstauslegung aufgrund seiner in sich rückläufigen Struktur die Notwendigkeit zu permanenter Wiederholung des Kreislaufs involviert. Mit R. Wiehl, einem der wenigen HegelExperten, der die sich hier auftuende abgründige Schwierigkeit klar vor Augen gehabt hat, läßt sich die Frage auch so formulieren: „Woher nimmt man die Gewißtheit, daß [bei Wiederherstellung des synthetischen Ganzen] . . . nicht in Wahrheit nur eine These reproduziert wird, aus der sich die gegebene Synthesis durch Selbstüberwindung bildete, diese Wiederherstellung einer verbrauchten These, aber nur noch ein Zerrbild der ersten [ist]?" 6 2 2. Mit dem Theorem der inneren Reflexion ist bereits ein zweiter Punkt angesprochen, den es eigens herauszustellen gilt. Obwohl Hegel gelegentlich den Begriff „Einheit" zur Bezeichnung seines Systems verwendet, so vor allem im Zusammenhang der Rede von der lebendigen, konkreten Einheit, meidet er gewöhnlich diesen Ausdruck, den er geradezu ein ,unglückliches Wort' nennt 63 . Denn die gängige, der äußeren Reflexion entnommene Bedeutung, mit der die aus der Vergleichung gewonnene eine, gemeinsame Grundlage einer Mehrheit differenter Gegenstände gemeint ist, deren Diskrepanz zu den Gegenständen um so eklatanter ist, je größer die Differenz derselben ist, eignet sich wenig zur Explikation der Hegeischen Intention. Eine abstrakte, einfache, in sich leere Einheit vermag der Vorstellung einer sich in sich dirimierenden und differenzierenden und über die Differenten wieder mit sich zusammenschließenden Einheit nicht zu genügen. Daß hier jedoch nicht nur ein terminologisches, sondern ein tiefer reichendes sachliches Problem vorliegt, zeigt sich daran, daß auch der legitime Einheitsbegriff durch Selbstbewußtsein substituiert und in letzterem 62

63

R. Wiehl: Piatos Ontologie in Hegels Logik des Seins in Hegel-Studien, Bd. 3, 1965, S. 157f. Zum Problem der Selbstbeziehung der Dialektik vgl. jetzt auch den Aufsatz desselben: Selbstbeziehung und Selbstanwendung dialektischer Kategorien in HegelStudien, Beiheft 18, 1978, S. 8 3 - 1 1 3 . Vgl. V, 94.

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der allein adäquate Ausdruck und Repräsentant der sich entzweienden und über die Entzweiten mit sich zusammenschließenden Einheit erblickt wird. Das Recht zu dieser Annahme ergibt sich aus einer Analyse des Selbstbewußtseins. Wie schon der Name anzeigt, ist das Selbstbewußtsein das Bewußtsein von sich. Als solches ist es Bewußtsein von etwas, von einem Objekt, und damit von einem vom Bewußtsein selbst Unterschiedenen, wobei jedoch in diesem besonderen Fall das Gewußte mit dem Wissenden identisch sein soll. Demnach lassen sich im Selbstbewußtsein zwei Momente unterscheiden: 1. das Bewußtsein von etwas, das wie jedes intentional strukturierte Bewußtsein Bewußtsein eines demselben Fremden, Äußeren ist, und 2. das Bewußtsein von sich, das den signifikanten Fall bezeichnet, daß das Objekt das Bewußtsein selber ist. Beide Momente zusammen konstituieren die nach außen identische, nach innen durch Komplexität, Diversität und Relationalität gekennzeichnete Einheit des Selbstbewußtseins. Indem das eine, identische Ich sich in sich selber spaltet in ein Ich qua Subjekt und ein Ich qua Objekt oder in ein Ich qua Wissendes und qua Gewußtes etabliert es eine relationale Bestehungseinheit, deren Relata nur kraft der Einheit und Identität des Ich Bestand haben. Der Vorteil der idealistischen Auslegung des Selbstbewußtseins besteht darin, daß das dem „Bewußtsein von sich" zugrunde liegende „Bewußtsein von etwas", das die Beziehung auf anderes impliziert, die interne Relationalität des Selbstbewußtseins und mit ihr die Dualität und Differenz der Relata zu vergegenwärtigen vermag, was ein reines Bewußtsein von sich nicht vermöchte, da es indifferent ist gegenüber einer punktuellen, atomaren oder referentiellen Auslegung. Es ist gerade diese Struktur der Relationalität, Diversität und Pluralität (Duplizität), welche das Selbstbewußtsein zur Repräsentation einer numerische Vielheit, qualitative Differenz und Verhältnisse implizierenden Einheit prädestiniert. Wenn Hegel im Unterschied zu Piaton den Einheitsbegriff aus der Seins- in die Bewußtseinsdimension, in das Selbstbewußtsein selbst, verlagert und mit reflexionslogischen Mitteln zu bewältigen trachtet, so ist nicht zuletzt auch hierin ein Versuch zu sehen, den in jener Dimension auftretenden Unzulänglichkeiten und Schwierigkeiten, der Regressivität und Progressivität, Herr zu werden. O b dies gelingt oder bei der Reformulierung der Einheit mit bewußtseinstheoretischen Mitteln mit denselben Strukturen auch dieselben Schwierigkeiten wiederkehren, bleibt zu erkunden. Wenn sich ontologisch die Frage stellte, ob nicht ein prozessuales Ganzes aufgrund seiner Kreisstruktur zu unendlichfacher gleichförmiger

Die Grundkonzeption

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Iteration tendiere, so ist reflexionslogisch dieselbe Frage so zu formulieren, ob nicht das sich mit sich identifizierende Selbstbewußtsein, das ein Wissen der Identifikation seiner als Subjekt mit sich als Objekt einschließen muß, bereits außerhalb des identifizierten Ganzen stehe und zu seiner eigenen Identifikation mit dem Gewußten eines neuen Wissens bedürfe, für das respektive seiner Einheit dasselbe gilt und so in einem unendlichen Regreß. Bevor diesen Fragen nachgegangen werden kann, gilt es eine methodologische Reflexion anzustellen. Totalitätstheorien, zu denen auch Hegels zählt, ist es eigentümlich, sich einer Beurteilung und Kritik von außen zu widersetzen, da sie aufgrund ihrer universalen Prätention selbst noch den theoretischen Standpunkt ihres Opponenten mit einzubeziehen reklamieren. Die Insistenz auf einem externen Standpunkt, von dem aus das Totalitätssystem als eines unter anderen gleichberechtigten erscheint und folglich in seiner Totalitätssynthese zu einer bloßen Thesis herabgesetzt wird, läßt jeden Dialog zwischen beiden abbrechen. Eine Kritik, die auch vom Universalsystem soll akzeptiert werden können, muß sich daher auf die Prämisse desselben einlassen und von innen heraus durch den Nachweis von Widersprüchen und Inkonzinnitäten dasselbe aufzubrechen versuchen. Dies wird der im folgenden einzuschlagende Weg sein. Dabei sieht sich die Untersuchung zwei gegenläufigen Schwierigkeiten konfrontiert. Zum einen verlangt eine kritische Beleuchtung des Hegeischen Einheitsbzw. Totalitätsbegriffs rechtmäßig, da dieser mit dem in der Wissenschaft der Logik explizierten Systemgedanken identisch ist, eine kritische Analyse der gesamten Logik. Eine solche ist jedoch im Rahmen einer begrenzten Arbeit nicht zu leisten. Ungeachtet Hegels ausdrücklicher Versicherung, daß sich sein Vorhaben nur durch „die Darstellung des Systems selbst" rechtfertige bzw. widerlege 6 4 , müssen wir uns auf den Grundgedanken beschränken, ohne diesen in seinem ganzen Umfang und in seiner ganzen Entwicklung verfolgen zu können. Zum anderen sind selbsteigene Reflexionen, Analysen und Beschreibungen des systematischen Grundgedankens und der von ihm getragenen Methode in Hegels Werk nur äußerst spärlich anzutreffen, zudem von einer Schwerverständlichkeit, ja geradezu hermetischen Verschlossenheit, die zu den divergierendsten Auslegungen Anlaß gegeben hat, ohne daß sich bislang eine bestimmte hätte durchsetzen können. Da nach Hegels Totalitätspostulat die Methode mit zum Inhalt des Systems gehört, ihm also nicht abstrakt gegenübersteht, so daß sich seine Explikation nur kraft äußerer 64

Phänomenologie, III, 22.

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Anwendung derselben vollzöge, da sie vielmehr dem Inhalt immanent ist und am Ende seiner Explikation aus ihm freigesetzt wird, darf man Aufschlüsse über dieselbe am ehesten am Ende der Logik im Kapitel über die absolute Idee erwarten. O b de facto der Methodenbegriff jene Schlüsselfunktion für das Ganze der Logik besitzt, die ihm laut Ansatz zukommt, insofern in ihm die Wissenschaft auf ihren Begriff gebracht sein soll, läßt sich nur im Kontext entscheiden. 2. Die dialektische Methode als Form Die das Hegeische System beherrschende Methode, jene Bewegung, deren Grundfigur oben als Sich-Entzweien der Einheit und Sich-wiedermit-sich-Vereinen des Entzweiten zur nunmehr gefüllten Einheit angedeutet wurde, ist als „dialektische" oder „spekulative" bekannt. Gewöhnlich versteht man unter Dialektik ein Verfahren, das äußerlich dem Schema der Triplizität folgt und aus Thesis, Antithesis und Synthesis besteht, von denen die letztere wieder als Ausgang eines neuen Dreischritts fungieren kann, indem sich ihr als einer neuen Thesis eine neue Antithesis entgegenstellt, die mit ihr zusammen eine neue Synthesis bildet, von der dasselbe gilt und so ins Unendliche. Obzwar Hegel den äußerlichen Gebrauch dieser Methode, der es primär um Zählung der Momente geht und die sich daher auf beliebige Sachverhalte applizieren läßt, ohne Einsicht in deren innere Dynamik zu gewähren, kritisiert und als seichten Unfug und Kahlheit zurückweist (vgl. VI, 565), hält er selbst an diesem Formalismus mit rigoroser Strenge und einer oft nur mühsam kaschierten Äußerlichkeit fest, so daß dieselbe zumindest zum Ansatz- und Einstiegspunkt einer tiefer dringenden Analyse dienen kann. Tiefer führt nun bereits die Reflexion auf die Funktionsweise des dritten Glieds, das sich ambivalent zeigt, insofern als es einerseits, nach rückwärts gewandt, die Verbindung aus Thesis und Antithesis formuliert, andererseits, vorwärts gerichtet, kraft des aus der Verbindung resultierenden Ergebnisses etwas Neues, durchaus Selbständiges und vom Vorangehenden Unabhängiges bezeichnet, was es zum Ausgang eines neuen Dreischritts qualifiziert. Diese Ambivalenz als eines die Reihe beschließenden und vollendenden und zugleich eine neue Reihe beginnenden Moments erweist sich als Ermöglichungsgrund des formalen Zusammenfalls des Endes der Reihe mit ihrem Anfang und damit der Schließung zum Kreis. Der sich hierbei abspielende Mechanismus läßt sich vom jetzigen Stand der Erörterung am leichtesten mit Hilfe der terminologischen Differenz von Setzung und

Die dialektische Methode als Form

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Nichtsetzung, Reflektiertheit und Unreflektiertheit bzw. Thematisierung und Nichtthematisierung beschreiben. In ein gesetztes und ungesetztes Element zerfallend, ersteres als Exposition der Verbindung von Thesis und Antithesis, letzteres als bloße Möglichkeit eines neuen Anfangs, gestattet das letztere dem dritten Glied den Anschluß an das erste; denn die Thesis setzt genau das, was jenes der Möglichkeit nach enthält. Wie dieses Glied außer der thematischen Setzung der Synthesis als Unthematisches die Thesis involviert, so involviert es auch, ebenfalls unthematisch, in der Beziehung zwischen beiden, welche eine Negativbeziehung ist, das Moment der Antithesis, das im Gange des Dreischritts die zweite Stelle einnimmt. Diese Implikationsstruktur reflektierter und unreflektierter Momente im dritten Glied wirft natürlich auch ein Licht auf das erste. Wenn dieses zunächst als voraussetzungsloser Anfang erschien, gleichsam als Beginn ab ovo, so zeigt es sich nun vor dem Hintergrund der Synthesis gebunden an diese. Es stellt kein einfaches, sondern komplexes Glied dar, das nicht nur explizit sich selbst, die Thesis, als ursprüngliche Setzung enthält, sondern darüber hinaus unexplizit die Synthesis, in der es fundiert ist, wie die Antithesis — dies in der oppositionellen Beziehung beider —, auf die es vorverweist. Nach der bisherigen Strukturanalyse steht zu erwarten, daß dieselben Bestandteile mutatis mutandis auch im zweiten Glied begegnen. Das ist in der Tat der Fall. Während das Glied auf explikativer Ebene die Antithesis, also die Entgegensetzung zur Thesis, und in eins damit die Beziehung auf diese formuliert, stellt es auf unthematischer Ebene zum einen wie jedes Glied der Trias eine ursprüngliche, einfache Setzung dar, wie sie die Thesis zum Ausdruck brachte, und dies, obwohl es seinem Aussagegehalt nach eine voraussetzungsvolle Beziehung bezeichnet, zum anderen das Ganze, bestehend aus sich selbst, der thematischen Antithesis, und der unthematischen Thesis, kraft dessen es auf den nächsten Schritt deutet. So zeigt die exakt durchgeführte Strukturanalyse der Dreischritt-Formel, daß jeder der Schritte ebenso Teil wie Ganzes ist. Jeder der das Ganze konstituierenden Teile enthält sein Gegenteil in sich und infolgedessen das Ganze, wie umgekehrt das aus Teil und Gegenteil konstituierte Ganze selbst nur den Status eines Teils hat. Im Momentsein der Momente liegt Ganzheit und in der Ganzheit des Ganzen Momentsein. Dieser Sachverhalt läßt sich auch so ausdrücken, daß die Teile, welche die Relata eines relationalen Ganzen bilden und von diesem nicht unabhängig gedacht werden können, die ganze Relation repräsentieren und die ganze Relation ihrerseits wieder

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Einzelrelatum ist 6 5 . T r o t z dieser durchgängigen Gleichstrukturiertheit macht es Sinn, die einzelnen Schritte hinsichtlich ihres Aussagegehalts voneinander zu unterscheiden, sofern jeder einen spezifischen Aspekt der Totalität wiedergibt. U n d ebenso gibt es gute G r ü n d e , bei der A n o r d n u n g in genau der Weise zu verfahren, in der Hegel verfährt, nämlich mit dem Einfachsten und Ursprünglichsten, der voraussetzungsfreien Setzung, zu beginnen, z u m Abgeleiteten und Abhängigen, der Entgegensetzung als einem auf Voraussetzung Basierenden, überzugehen und mit der Zusammenfassung von Setzung und Entgegensetzung zu enden 6 6 . In Anbetracht dessen, daß die hier befolgte s y n t h e t i s c h e Methode, die v o m Einfachen z u m Komplexen geht, innerhalb der Strukturtotalität verbleibt, ist sie auch wiederum nur a n a l y t i s c h zu nennen: eine Zerlegung des Ganzen im Sinne einer Bedeutungsexplikation 6 7 . Als Resultat der bisherigen Analyse ist festzuhalten: 1. D i e dialektische Methode beschreibt formal eine Kreisfigur, die auf d e m Zusammenfall des letzten Glieds der Triade mit dem ersten beruht und dadurch die Möglichkeit zu erneutem, prinzipiell beliebigem Umlauf eröffnet. 65

In diesem Punkt unterscheidet sich die vorliegende Interpretation grundsätzlich von derjenigen M. Theunissens, a . a . O . , der sie sich im übrigen verpflichtet weiß. Nach Theunissen besteht der End- und Vollendungszustand darin, daß „alles r e l a t i o und die r e l a t i o alles" ist, so daß „die r e l a t a nichts für sich" zurückbehalten (S. 45, vgl. S. 30). Zwar ist zuzugeben, daß der Endzustand seinem B e d e u t u n g s g e h a l t nach in dieser Weise auftritt, nicht jedoch, daß er seinem S e i n nach nicht wiederum ein R e k t u m darstellt.

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Kritisch ist anzumerken, daß dieses Arrangement dennoch nicht notwendig ist, weil ebensowohl von der Synthesis als relationalem Ganzen ausgegangen und in analytischer Weise zu den Relata von Thesis und Antithesis fortgeschritten werden könnte, wie auch von der Antithesis als bloßer Beziehung und in einem gegenüber Synthesis wie Analysis indifferenten Verfahren zur Thesis als vorausgesetztem Bezugsglied und zur Synthesis als Einheit der Bezogenen übergegangen werden könnte. Der Grund, der Hegel zu seiner Wahl bestimmt haben dürfte, liegt in dem Faktum einsinniger, irreversibler, temporaler Prozesse, wie sie sich z . B . in der Diskursivität des Denkens oder in der Evolution der Natur finden und durch die Unüberholbarkeit des Anfangs ausgezeichnet sind. Selbst wenn hiernach die Reihenfolge von Anfang, Mitte, Ende definitiv feststeht, hat sie, angewandt auf die Kreisstruktur, nur relative Gültigkeit, da eine in sich kreisende Bewegung weder einen absoluten Anfang noch ein absolutes Ende besitzt. An welcher Stelle des Kreises auch immer der Anfang oder das Ende angenommen wird, dieselbe hat Anfangs- wie Endstruktur. In Hegels Theorie verbinden sich sonach zwei durchaus konträre Bewegungsmodelle miteinander, das des Kreises, welches Selbstbezüglichkeit und Beharrung ausdrückt, und das der Linearität, welches Fortschritt bezeichnet.

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„Dieser Fortgang", heißt es bezüglich der Methode in der Enzyklopädie (§ 239 (VIII, 391)), „ist ebensowohl a n a l y t i s c h , indem durch die immanente Dialektik nur das gesetzt wird, was im unmittelbaren Begriffe enthalten ist, - als s y n t h e t i s c h , weil in diesem Begriffe dieser Unterschied noch nicht gesetzt war."

D i e dialektische M e t h o d e als F o r m

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2. Als Grund des Zusammenfalls von synthetischem und thetischem Glied wie auch der übrigen Glieder ist die Ambiguität jedes Glieds zu betrachten, derzufolge jedem sowohl Moment- wie Totalitätscharakter eignet. 3. Die unaufhebbare Diskrepanz zwischen reflektierten und unreflektierten Momenten erweist sich als Movens des Hinausgangs jedes Glieds über sich, nicht nur des Fortschritts von der Thesis über die Antithesis zur Synthesis, sondern auch der Synthesis zur Thesis. Mit diesen Erkenntnissen, die aus einer abstrakten, allein an der Formschematik der Dialektik orientierten Analyse gewonnen wurden, läßt sich nun auch der Text des vielberufenen, aber nur selten verstandenen Methodenkapitels am Ende der Logik aufschlüsseln. In ihm beschreibt Hegel die sein Werk durchziehende Methode ihrer formalen Seite nach vorzugsweise mittels der Terme „Unmittelbarkeit", „Vermittlung" und „vermittelte Unmittelbarkeit", als deren Internstruktur sich Positivität, Negativität und absolute Negativität erweisen. Der Anfang muß ein Unmittelbares sein (vgl. VI, 553). Dies folgt bereits aus einer Wesensanalyse des Anfangs, dessen Grundbestimmung ist, als Anfang von etwas nicht schon durch anderes vermittelt zu sein. Woher sein Inhalt auch stammen, welcher Art er auch sein, welchen Vermittlungsprozeß er bereits hinter sich haben mag, im Status des Anfangs ist er unmittelbar. Bei genauem Hinsehen fällt auf, daß nicht von e i n e m Unmittelbaren, sondern von d e m Unmittelbaren schlechthin oder der Unmittelbarkeit die Rede ist, also nicht von einem irgendwie beschaffenen Etwas, das lediglich die Form der Unmittelbarkeit hat, sondern einem, dessen Inhalt nichts anderes als die Bestimmtheit der Form ist. Die Erklärung hierfür liefert die Tatsache, daß es sich um einen Anfang nicht des sinnlichen Anschauens oder des Vorstellens, sondern des Denkens handelt, bei welchem Inhalt und Form koinzidieren, derart, daß die Form selbst den Inhalt erstellt und der Inhalt zu deren Bestimmtheit wird. Auch die übrigen Merkmale, mittels deren Hegel den Anfang kennzeichnet, werden von hier verständlich: Im Unterschied zum unmittelbar Vorgefundenen und Aufgenommenen der Sinnlichkeit, das stets ein Einzelnes bzw. Mannigfaltiges, in Raum und Zeit Gestelltes ist, ist das Unmittelbare des Denkens ein abstrakt Allgemeines, Einfaches 6 8 . Damit ist das Erste im dialektischen Gange jedoch noch nicht erschöpfend charakterisiert. Obzwar eine abstrakte, einfache, allgemeine Bestimmung, nennt Hegel es auch eine konkrete Totalität (vgl. VI, 555). 68

Vgl. hierzu die E r ö r t e r u n g bei U . G u z z o n i , a . a . O . , S. 32—35.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Aus der Qualifikation des Anfangs qua Anfangs ist diese Kennzeichnung mitnichten verständlich, weil das Anfängliche als schlechthin Unmittelbares schlechthin Unbestimmtes ist, während die Totalität die Gesamtheit der Bestimmungen und Beziehungen bezeichnet und folglich ihren systematischen Ort erst am Ende des dialektischen Prozesses hat. Verständlich wird sie jedoch aufgrund der oben in abstracto durchgeführten Analyse, wonach im Anfangsglied außer dessen thematischer Setzung als unthematische das Endglied des dialektischen Prozesses enthalten ist, mittels dessen ihm die Rückkoppelung an das Ende gelingt. Dieser Sachverhalt liegt auch hier vor. Darauf deutet nicht zuletzt die von Hegel gebrauchte terminologische Distinktion zwischen bloßem Ansichsein der Totalität im Anfang und ihrem An- und Fürsichsein im Ende. Da Ansich- und Fürsichsein reziproke Begriffe sind, von denen der erste ein Sein bezeichnet, das schlicht gegeben, nicht reflektiert ist, und der zweite ein Sein, das nicht nur an sich, sondern auch für ein Bewußtsein, einschließlich des eigenen, ist, weist die begriffliche Distinktion auf die sachliche zwischen einer im Anfang zwar vorhandenen, aber noch unexplizierten und einer erst am Ende vollständig zu Bewußtsein gekommenen Totalität hin. Wenngleich das Absolute wahrhaft „nur in seiner Vollendung" (VI, 556), d. h. am Ende, ist, so muß doch mit ihm bereits „aller Anfang gemacht werden" (VI, 555). Zur Erklärung des Vorliegens der Totalität im Modus des Ansich im Anfang ist auf Hegels These von der Begründung des Anfangs aus dem Ende der Logik zu verweisen. Nicht zufällig steht dieselbe im Einleitungskapitel „Womit muß der Anfang der Wissenschaft gemacht werden?", das, dem eigentlichen dialektischen Prozeß vorausgehend, das Gegenstück zur Erörterung des Resultats am Ende der Logik bildet und mit dieser zusammen den dialektischen Prozeß umschließt. „Das Wesentliche für die Wissenschaft ist nicht so sehr, daß ein rein Unmittelbares der Anfang sei, sondern daß das Ganze derselben ein Kreislauf in sich selbst ist, worin das Erste auch das Letzte und das Letzte auch das Erste wird. — Daher ergibt sich auf der andern Seite als ebenso notwendig, dasjenige, in welches die Bewegung als in seinen G r u n d zurückgeht, als R e s u l t a t zu betrachten. Nach dieser Rücksicht ist das Erste ebensosehr der Grund und das Letzte ein Abgeleitetes; indem von dem Ersten ausgegangen und durch richtige Folgerungen auf das Letzte als auf den Grund gekommen wird, ist dieser Resultat" (V, 70 f). Die These macht Gebrauch von der aus der endlichen Erkenntnis bekannten Unterscheidung von Gründungs- und Begründungsprozeß, von denen der erste als Primärgeschehen das Verhältnis zwischen Grund und Folge artikuliert, der zweite als Sekundärgeschehen den inver-

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sen Vorgang bezeichnet, der im Ausgang von der Folge als dem bereits Gegründeten, aber unmittelbar Vorfindlichen durch Angabe von dessen Bestimmungen Einsicht in den Grund zu gewinnen sucht. Bliebe es jedoch bei dieser Doppelbewegung, dem Hin- und Rückgang (Gründung und Begründung), so gelangte der auf dem Boden des immer schon erfolgten Gründungsprozesses stattfindende Begründungsprozeß mit der vollständigen Artikulation der anfangs nur unartikuliert vorhandenen Bestimmungen zu seinem definitiven Ende, ohne im eigentlichen Sinne die Präsenz derselben im Anfang, wenngleich nur in ihrem impliziten Modus, erklären zu können. Dies gelingt allererst bei Schließung der Bewegungen zum Kreis, die durch deren Zusammenfall erreicht wird, so daß der Rückschritt in den Grund (Begründung) zugleich zum Fortschritt in der Bestimmung (Gründung) wird. N u r durch die Koinzidenz von Grund und Folge läßt sich verstehen, daß die Totalitätsidee des Endes selbst es ist, die im Anfang zum Anfangenden und Gründenden wird. Die Zwiespältigkeit des Anfangs erlaubt auch eine Erklärung der von Hegel in dem schon erwähnten Einleitungskapitel gemachten Äußerung, daß „das P r i u s für das Denken . . . auch das E r s t e im G a n g e des Denkens sein" müsse (V, 66). Da das Prius für das Denken das Ursprüngliche, den absoluten Grund als Totalität der Bestimmungen, meint, der erst am Schluß der fortschreitenden Enthüllungen hervortritt, und das Erste im Gange des Denkens das Anfangende, können beide Aussagen, die im Verhältnis von Totalität und Moment stehen, nur miteinander kompatibel sein, wenn die Totalität im Anfang und als anfangende für eine einfache Bestimmung genommen wird, während sie selbst zum unthematischen Hintergrund abgleitet. Denn was im Anfang von der Totalität ins Denken tritt, ist nichts als ein Einfaches; alles darüber Hinausgehende bleibt leeres, weil ungerechtfertigtes Wort (vgl. V, 79). Als unthematischer Hintergrund aber bleibt die Totalitätsidee präsent 69 . 69

Von hier dürfte sich auch die jüngste Kontroverse über diese Stelle zwischen H. F. Fulda: Uber den spekulativen Anfang in Subjektivität und Metaphysik, Festschrift für W. Cramer, Frankf. a.M. 1969, S. 118 und M. Theunissen, a . a . O . , S. 204f vermitteln lassen, von denen der erste die fraglichen Terme mittels der aristotelischen Distinktion von πρότερον φύσει und πρότερον προς ήμάς auslegt, der letzte mittels des logischen Unterschieds: „wie das Ursprüngliche im Anfang anwest" und „womit der Anfang gemacht wird", wobei dieser aber zugleich auch eine Äquivalenz andeuten soll. Da das πρότερον φύσει nichts anderes ist als das Ursprüngliche und das πρότερον π ρ ό ς ήμας nichts anderes als die Erscheinungsweise desselben, die Art, wie es uns zunächst begegnet, mithin das Anfängliche, besteht zwischen beiden Interpreten im Prinzip Ubereinstimmung, die nur dadurch eingeschränkt wird, daß Theunissen noch zwischen Modalitäten des Ursprünglichen im Anfang und Ende differenziert. — Die andere in der Literatur herr-

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Mit dem Nachweis der an sich seienden Totalität im Anfang ist zugleich der eines weiteren Moments erbracht, nämlich der der Beziehung zwischen dem anfänglichen Unmittelbaren und der Totalität als dem Inbegriff von Bestimmtheit und Vermitteltheit. In Abhebung von der letzteren erscheint das zunächst Unmittelbare und Unbestimmte nun selbst als ein Bestimmtes und Vermitteltes, bedeutet doch Beziehung auf anderes und Abgrenzung von diesem Bestimmung und Vermittlung. Allerdings tritt diese im Anfang nur erst im Modus des Ansich auf. Das Hinausgehen des Anfangs über sich, welches motiviert ist durch die Spannung zwischen gesetzten und ungesetzten Momenten, besteht in nichts anderem als in der Setzung des Vermittelten. Weil das Unmittelbare des Anfangs nur erst an sich die konkrete Totalität ist und, in Beziehung auf diese, auch nur erst an sich das Vermittelte, besteht das dialektische Moment bei ihm darin, dieses in ihm Enthaltene zu setzen. Das Zweite, das auf diese Weise entsteht und an die Stelle des Ersten tritt, ist das Vermittelte. Hegel nennt es auch „das N e g a t i v e des Ersten" (VI, 561). Dies ist in dem Doppelsinn eines genitivus obiectivus wie subiectivus zu verstehen, zum einen als das, was nicht mehr das Erste, Unmittelbare ist, zum anderen als das, was durch Selbstbestimmung und -negation des Ersten entstanden ist. In dieser Negationsleistung besteht für Hegel die innere Dynamik der Dialektik. Negation und Widerspruch gelten ihm als „der innerste Quell aller Tätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, die dialektische Seele, die alles Wahre an ihm selbst hat, durch die es allein Wahres ist" (VI, 563). Hierzu ist zu bedenken, daß der dialektische Fortschritt kein dem Bewußtsein externer, sondern interner Prozeß ist. Setzung, Entgegensetzung und Zusammensetzung sind Tätigkeiten des Geistes, in denen sich seine Spontaneität manifestiert. Mit der ,ungeheuren Macht des Negativen' identifiziert Hegel schon in der Phänomenologie (III, 36) den Verstand, der als das Vermögen des Scheidens und Unterscheidens gilt. Seine Aktivität ist n e g a t i v und im Status des „vernünftigen Verstandes" in sich n e g a t i v , bestehend in einem S i c h - D i r i m i e r e n , welches allerdings wegen des S i c h Dirimierens in die Aktivität eingebunden bleibt und so auch ein Sichwieder-mit-sich-Vereinen bezeichnet. Wenn Hegel das aus dem selbstbezüglichen Negationsakt des Ersten hervorgegangene Zweite „das N e g a t i v e des Ersten" nennt, so ist dies nach dem Ausgeführten weniger eine sehende Kontroverse, z . B . zwischen M. Heidegger, a . a . O . , S. 43f und D. Henrich: Hegel im Kontext, Frankf. a . M . 1971, S. 8 5 f f , ob der Anfang ein provisorischer oder absoluter sei, läßt sich gemäß der oben aufgezeigten Gedoppeltheit der Bewegung als Kreis- und Linearprozeß dahingehend entscheiden, daß er beides ist.

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Aussage über die Bestimmtheit, das SoSein des Zweiten, als über dessen Internstruktur. Denn das Resultieren eines Positiven, wie es das Zweite als solches ist, wäre aus reiner Negation nicht erklärlich. — Mag nun auch das Erste im Zweiten untergegangen sein, sofern dieses seine Nachfolge angetreten hat, so bleibt es doch nach wie vor in dessen Bedeutungsgehalt erhalten, insofern das Zweite als Vermitteltes gar nicht denkbar ist ohne Beziehung auf sein Gegenteil, das Unmittelbare. „Das Unmittelbare ist nach dieser negativen Seite in dem Anderen u n t e r g e g a n g e n , aber das Andere ist wesentlich nicht das l e e r e N e g a t i v e , das N i c h t s , das als das gewöhnliche Resultat der Dialektik genommen wird, sondern es ist d a s A n d e r e des E r s t e n , das N e g a t i v e des U n m i t t e l b a r e n ; also ist es bestimmt als das V e r m i t t e l t e , — e n t h ä l t überhaupt die B e s t i m m u n g des E r s t e n in sich" (VI, 561). Diese Gedoppeltheit von Suspendierung und Transformierung findet bereits sprachlich eine Stütze in der Doppeldeutigkeit des Wortes „aufheben", das sowohl „aufhören lassen, ein E n d e m a c h e n " wie „aufbewahren, e r h a l t e n " meint (V, 114). Das Zweite ist noch genauer durchzunehmen. Als Vermitteltes ist es nicht isoliert, vielmehr bezogen auf anderes, in diesem Fall auf sein Anderes, das Unmittelbare, von dem es sich qua Vermitteltes abhebt. Durch diese Bezogenheit wird auch das Unmittelbare seiner Einseitigkeit enthoben und zu einem Vermittelten. Die Beziehung, welche beide Vermittelten auseinander- und zusammenhält, ist nichts anderes als Vermittlung. Das Zweite erweist sich somit seiner Bedeutung nach als ein Zwiefaches: als Vermitteltes wie Vermittelndes (vgl. VI, 562). Kraft dieser Doppelnatur ist es nicht nur Relat, sondern als Relat wesenhaft Relation. Abgesehen von seiner thematischen Setzung ist das Zweite unthematisch eine einfache Bestimmung und als solche unmittelbar (vgl. VI, 561). Sein Aussagegehalt als Vermittlung hindert diesen Umstand nicht und kann ihn auch nicht hindern, da das Zweite in seiner Stellvertreterrolle für das Erste mit dessen Stelle auch dessen Eigenschaft übernimmt. Mit dem unthematischen Moment der Unmittelbarkeit und dessen Beziehung zum thematischen der Vermittlung ist zudem ein weiteres Moment unthematisch gegeben, nämlich die Totalität. Indem das Zweite in sich sowohl die Vermittlung, die es thematisiert, als auch die Unmittelbarkeit, die es ist, vereinigt, stellt es jene synthetische Einheit gegensätzlicher Bestimmungen her, welche der dritte Schritt explizieren wird. Dem dritten Schritt obliegt sonach noch die Setzung der totalen Vermittlung, der Vermittlung von Vermittlung und Unmittelbarkeit, und d. h. die Selbstanwendung der Vermittlung.

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Der Ubergang erfolgt durch Negation der Negation; denn da sich das Zweite seiner Internstruktur nach als Negation des Ersten erwiesen hat, kann es gemäß der Forderung der Selbstanwendung der Vermittlung ein Fall seiner selbst nur sein, wenn es als Negation der Negation gedacht wird. Deren Resultat ist positiv, was sich keineswegs von selbst versteht, da die duplex negatio auch schlichte Verdoppelung bzw., im weiteren Verlauf, beliebige Vervielfältigung der Negation bedeuten könnte, bei der die zweite sowie jede folgende von höherer Stufe aus die voraufgehende negiert. N u r die selbstbezügliche Negation, bei der die Negation nicht nur negiert, sondern sich, die Negation, negiert, findet Selbstnegation u n d -elimination und damit Position statt 7 0 . Wendet man dies Ergebnis auf die Vermittlung der Vermittlung an, so besagt es die Wiederherstellung der Unmittelbarkeit, freilich einer, die durch den Vermittlungsprozeß hindurchgegangen ist und daher den Charakter totaler, suisuffizienter Vermittlung hat. Von der ersten, einfachen Unmittelbarkeit, die jegliche Vermittlung ausschloß und daher einer Vermittlungslosigkeit gleichkam, unterscheidet sich die jetzige darin, daß sie ohne Vermittlung nicht gedacht werden kann. In ihr ist die Unmittelbarkeit des Ersten wie die Vermittlung des Zweiten gleichermaßen thematisch und damit die Totalität der Setzung erreicht. Weder existiert nur Unmittelbares noch nur Vermitteltes, sondern beides in Einheit. Denn „nur das Sichaufheben der Einseitigkeit b e i d e r an i h n e n s e l b s t läßt die Einheit nicht einseitig werden" (Enzykl. §241 (VIII, 392)). Obwohl das Dritte alles Vorausgehende in sich begreift, ist es damit noch nicht vollständig bestimmt. Denn als totale, suisuffiziente Vermittlung ist es an sich ein Unmittelbares. Und mit der Unmittelbarkeit ist zugleich gegeben die Beziehung bzw. Vermittlung zwischen totaler Vermittlung und Unmittelbarkeit, so daß alle Momente, die als gesetzte auftreten, als ungesetzte wiederkehren. Hierin liegt der Grund, weswegen das Dritte trotz seines die dialektische Reihe vollendenden Charakters über sich hinausweist in die reine Unmittelbarkeit des Anfangs. 70

Es versteht sich, daß Position, erste und zweite Negation, welche die bewegenden Momente des dialektischen Prozesses ausmachen, in dieser Reihenfolge nur Explikate einer einzigen Gesamtfunktion sind und daher in Wirklichkeit stets vereint v o r k o m m e n . Zur detaillierten Analyse der Negationsstruktur bei Hegel vgl. die auf S. 113 A n m . 29 genannten Aufsätze von D . Henrich. Er vertritt die These, daß die absolute Negation, die als selbstbezügliche zu denken sei, das basale Konstruktionsprinzip der Hegeischen Logik bilde. D a in der Dimension der Letztbegründung externe Korrelation und O p p o sition von Position (reiner Selbstbeziehung) und Negation nicht zuzulassen sei, konstituierten beide zusammen eine einzige, wenngleich in sich komplexe Struktur, in der weder der Negation noch der Affirmation ein Primat zukomme.

Das Entgleiten der formalen Methode in die inhaltliche

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Der Ubergang zu dieser geschieht durch Aufhebung der totalen Vermittlung, als deren Folge sich das Resultat der absoluten Negation, die Position, vom Negationsprozeß absetzt; denn die Selbstaufhebung der Negation bedeutet Position ohne jegliche Negation, so wie sie im Anfang gedacht ist. Von hier versteht sich auch Hegels Aussage in VI, 566: „Dies Resultat hat nun als das in sich gegangene und mit sich i d e n t i s c h e Ganze sich die Form der U n m i t t e l b a r k e i t wiedergegeben. Somit ist es nun selbst ein solches, wie das A n f a n g e n d e sich bestimmt hatte . . ., und die N e g a t i v i t ä t , welche die Dialektik und Vermittlung desselben ausmachte, ist in dieser Allgemeinheit gleichfalls in die e i n f a c h e B e s t i m m t h e i t zusammengegangen, welche wieder ein Anfang sein kann." ,In-sichGehen', ,Zusammengehen' des komplexen Ganzen in die ,einfache Bestimmtheit' ist Wiederherstellung des anfänglichen Unmittelbaren durch das Hinter-sich-Lassen alles Vermittelten. Auf diese Weise schließt sich die Bewegung zum Kreis. 3. Das Entgleiten der formalen Methode in die inhaltliche Die Besinnung auf die dialektische Methode in ihrer bisherigen Gestalt bestätigt diese als eine rein formale, als welche sie Hegel auch hat verstanden wissen wollen (vgl. VI, 567f). Ihren markantesten Zügen nach wies dieselbe außer dem Kriterium der Triplizität aus Thesis, Antithesis und Synthesis bzw. aus Unmittelbarkeit, Vermittlung und vermittelter Unmittelbarkeit das vollkommener Geschlossenheit auf, welches seinen sinnbildlichen Ausdruck in der Kreisfigur fand. Die Rückkehr zu sich oder, was dasselbe besagt, die Selbstbezüglichkeit der Methode, welche durch den Zusammenfall des letzten Glieds mit dem ersten, der totalen Vermittlung mit der einfachen Unmittelbarkeit, aber wohlgemerkt nicht als totaler Vermittlung, sondern dieser im Modus der Unmittelbarkeit, zustande kam, erweist sich als Ermöglichungsgrund eines Neuumlaufs, der qualitativ in jeder Hinsicht dem ersten gleicht, allenfalls quantitativ von ihm differiert, was sich durch entsprechende Indizes markieren läßt. Da sich der Zusammenfall beim zweiten Umlauf wiederholt und so bei jedem neuen, iteriert sich der Prozeß in infinitum auf immer gleiche Weise. Im Unterschied zu anderen Konstitutionsprinzipien erhält das dialektische Formschema seine unendlichfache Potenzierbarkeit nicht erst aufgrund seiner Applikabilität auf beliebige Inhalte, sondern aufgrund seiner zirkulären, reflexiven Struktur; und keineswegs verdankt sich diese etwa der bewußten Reflexivität des Selbstbewußtseins, dessen Form sie ist,

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oder der unbewußten Reflexivität natürlicher Vorgänge, sondern ihrer Eigennatur. Insofern die dialektische Methode eine ständig und unabschließbar in sich kreisende Bewegung darstellt, gehört der unendliche leere Prozeß zu ihr. Wie alle formalen Verfahren so ist auch das dialektische qua Form konstant und daher von dem jeweils untergelegten Inhalt independent. Für dasselbe ist es gleichgültig, auf welches Substrat es appliziert wird, es ändert bei Modifikation des letzteren nicht die Weise seines Vorgehens. „Die Methode bleibt an der neuen Grundlage . . . dieselbe als bei dem vorhergehenden Gegenstand" (VI, 566f). Diese aus der Form als solcher resultierende Gleichartigkeit zusammen mit der aus der spezifischen Form der Reflexivität folgenden unendlichen Generierbarkeit des Dreischritts hat Hegel bekanntlich zur Strukturierung seiner Logik benutzt. Das Ganze ist durchgehend triadisch gegliedert, indem nicht nur die Haupteinteilung, sondern auch die Untereinteilungen triadisch ausfallen. Dabei reihen sich die einzelnen Triaden nicht äußerlich, durch ein Hiat getrennt, aneinander, was der Fall wäre bei Anwendung einer irreflexiven Struktur, sondern folgen auseinander, so daß das Ende jeder Triade den Anfang der nächsten freisetzt. Auf ihre Gleichartigkeit hat Hegel selbst im Methodenkapitel anhand eines Beispiels hingewiesen, der Haupteinteilung der Logik in Seins-, Wesens- und Begriffslogik. Für deren Anfänge: Sein, Wesen, Allgemeinheit gilt, daß sie formal absolut gleichstrukturiert sind, d. h. sowohl unmittelbar wie vermittelt. Nicht etwa sind die Anfänge von Wesens- und Begriffslogik weniger unmittelbar als der absolute Anfang der Seinslogik, weil sie aus der Vermittlung der ihnen vorausliegenden Logikteile hervorgehen, sondern qua Anfänge sind sie genauso unvermittelt wie jener, und ebenso ist der Anfang der Seinslogik, obwohl absoluter Anfang der Bedeutungssequenz, nicht weniger vermittelt als die übrigen Anfänge; denn aus der Gesamtperspektive der Logik und ihrer Kreisstruktur betrachtet, erweist er sich als vermittelt durch die Begriffslogik, entstanden aus der Aufhebung der Totalitätsidee, mithin nicht als absoluter, sondern provisorischer Anfang. Gemäß diesem Paradigma herrscht Gleichartigkeit der triadischen Struktur von Unmittelbarkeit, Vermittlung und vermittelter Unmittelbarkeit für alle Anwendungsfälle. Der Kenner der Logik wird nun allerdings einwenden, daß durchaus nicht überall dieselbe Methode begegne, daß sich vielmehr das Vorgehen der Seinslogik wesentlich von dem der Wesenslogik unterscheide und dieses wiederum von dem der Begriffslogik, ja daß selbst innerhalb dieser Diszi-

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plinen das Verfahren ganz unterschiedliche Ausgestaltungen erfahre. So differiert beispielsweise die im ersten, aus Sein, Nichts und Werden gebildeten Kreis vorkommende Methode wegen ihres Mangels an Konstruktivität so sehr von den übrigen, daß ihr geradezu der dialektische Charakter abgesprochen und sie als ein Sonderfall behandelt worden ist 71 . Für den Fall, daß sich die Behauptung eines Methodenpluralismus halten und durch eine Textanalyse bestätigen lassen sollte, bliebe zu ihrer Erklärung nur die folgende Alternative: entweder das Eingeständnis des Kollabierens der These von der durchgängigen Gleichförmigkeit der Methode angesichts der konkreten Durchführung oder die Erkenntnis der Unzulänglichkeit der Beschreibung der dialektischen Methode allein ihrer Form nach und daraus resultierend das Postulat ihrer notwendigen Komplettierung durch den Inhalt, der sich dann als Ursache der Modifikation herausstellte. Formale wie inhaltliche Seite zusammen erst ergäben den vollständigen Methodenbegriff, so daß die Methode, obzwar qua Form unabhängig vom Inhalt, doch auch qua immanente Form an ihn gebunden, von ihm bedingt und bestimmt wäre; denn in einer Universaltheorie wie der vorliegenden kann die Methode dem Gegenstand nicht mehr äußerlich gegenüberstehen, vielmehr muß sie ihm wesenseigen sein. Diese Konzeption hätte zudem den Vorteil, die endlosen, leeren und daher unnützen Wiederholungen triadischer Formschematik inhaltlich zu erfüllen und zu variieren. Auf diese Weise würde-zugleich die Gefahr unendlicher formaler Zirkularität gebannt, indem dieselbe aufgrund der inneren Ambivalenz der Methode in einen inhaltlich fortschreitenden Prozeß hinüberglitte. Wenn sich die formale Methode anschaulich durch eine ständig in sich kreisende Bewegung wiedergeben läßt, so müßte die inhaltlich bedingte und bestimmte Methode durch das Bild einer ständig sich erweiternden Spiralbewegung ausgedrückt werden. Ein Plädoyer für die zweite Alternative hat Hegel im Methodenkapitel gegeben (vgl. VI, 567ff). Das Zurückkommen der dialektischen Methode auf sich selbst bedeutet im Punkt des Zusammenfalls von End- und Anfangsglied nicht nur Wiederherstellung der ersten Unmittelbarkeit durch Aufhebung der totalen Vermittlung und infolgedessen Initiierung eines formal gleichen Umlaufs, sondern ebenso auch Nicht-Wiederherstellung.

71

Vgl. H . G . Gadamer: Die Idee der Hegeischen Logik in Hegels Dialektik, a. a. O . S. 59ff; D . Henrich, a . a . O . , S. 85ff, besonders S. 89.

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Denn vom ersten Anfang unterscheidet sich der zweite darin, daß er nicht mehr wie jener ein unmittelbar Vorgefundenes und Aufgenommenes ist, sondern ein „ A b g e l e i t e t e s und E r w i e s e n e s " (VI, 567). Während der erste den dialektischen Prozeß noch vor sich hat, hat der zweite ihn bereits hinter sich. Indem er durch ihn hindurchgegangen ist, ist er weiterbestimmt als der erste. Mag er mit jenem auch darin übereinkommen, daß er sich die Form der Unmittelbarkeit wiedergegeben hat, so differiert er doch von ihm darin, daß mit seiner Bestimmtheit erstmals ein inhaltliches Moment ins Spiel tritt (vgl. VI, 567). Während im ersten Anfang Form und Inhalt koinzidierten, weil der Inhalt des Anfangs, die Unmittelbarkeit als solche, nichts anderes als die Bestimmtheit der Form war 72 , treten sie im zweiten Anfang in ihre Differenz auseinander, dergestalt daß bei gleichbleibender Formschematik der Inhalt sich ändert und weiterbestimmt. Da das Explizierte nicht nur für den zweiten, sondern für jeden neuen Anfang gilt, weitet sich so die Methode zum inhaltlichen System. Da jeder neue Anfang den bzw. die vorhergehenden plus ein weiteres, durch den Umlauf hinzugekommenes Merkmal enthält, resultiert eine Bewegung, die von einfachen, armen zu immer reicheren, komplexeren Merkmalen führt. Für dieselbe ist symptomatisch, daß sie beim Ubergehen von einem zum anderen Merkmal das vorhergehende nicht fallen läßt, sondern sukzessiv weiterbestimmt. „Der Begriff in der absoluten Methode e r h ä l t sich in seinem Anderssein, das Allgemeine in seiner Besonderung . . .; es erhebt auf jede Stufe weiterer Bestimmung die ganze Masse seines vorhergehenden Inhalts und verliert durch sein dialektisches Fortgehen nicht nur nichts, noch läßt es etwas dahinten, sondern trägt alles Erworbene mit sich und.bereichert und verdichtet sich in sich" (VI, 569). Bedenkt man, daß Form und Inhalt demselben Gegenstand angehören und nur in ihrer Verbindung dessen Einheit konstituieren, so kann die im zweiten Anfang wie in allen folgenden wiederhergestellte formale Unmittelbarkeit, welche die inhaltliche Vermittlung zur Basis hat, von dieser nicht untangiert bleiben. Vielmehr modifiziert sie sich beständig mit ihr. So vollzieht sich dem Prozeß inhaltlich-semantischer Ausweitung gemäß ein formaler Variationsprozeß. Es fragt sich, wie dieser in concreto aussieht. Hier vermögen die obigen Ausführungen über die fortschreitende Explikation der Momente der e i n e n Totalitätsstruktur in Gestalt des Dreischritts einen Leitfaden abzugeben. Die Abfolge der Trias: Unmittelbarkeit, Vermittlung und ver72

Vgl. S. 177f.

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mittelte Unmittelbarkeit gibt die Haupteinteilung der Logik in die drei Disziplinen der Seins-, Wesens- und Begriffslogik vor, von denen jede einen spezifischen Aspekt repräsentiert, die erste Unmittelbarkeit, die zweite Vermittlung (vgl. V, 58) und die dritte vermittelte Unmittelbarkeit. Natürlich heißt das nicht und kann gemäß den Überlegungen zum Totalitätssinn jedes Schritts nicht heißen, daß nicht auch die übrigen Aspekte in einer jeden von ihnen vorhanden wären, sondern nur, daß sie nicht alle gleichermaßen thematisch sind. Unter der Dominanz jedes der Aspekte erfolgt wiederum eine triadische Einteilung, um das Beispiel der Seinslogik herauszugreifen, in die Abschnitte der Qualität, Quantität und des Maßes, von denen der erste Unmittelbarkeit, der zweite Vermittlung und der dritte vermittelte Unmittelbarkeit akzentuiert. Und für jeden dieser Aspekte gilt dasselbe, so daß beispielsweise im Qualitätsabschnitt von den drei dortigen Kapiteln das Seinskapitel der Unmittelbarkeit, das Kapitel des Daseins der Vermittlung und das des Fürsichseins der vermittelten Unmittelbarkeit folgt. Und noch ein letztes Mal wiederholt sich das Schema und führt so im Seinskapitel zur Stellvertretung der Unmittelbarkeit durch das Sein, der Vermittlung durch das Nichts — insofern dies eine rudimentäre Form von Negation ist, die als Absprechen von etwas stets Beziehung auf anderes impliziert — und der vermittelten Unmittelbarkeit durch das Werden, das die erste Gestalt von Wahrheit ist, deren letzte, definitive am Ende der Logik in der absoluten Idee auftritt. Auf diese Weise repräsentiert nicht nur jede Kategorie innerhalb eines dialektischen Kleinstkreises einen bestimmten Aspekt, sondern auch der ganze Kreis, wobei dessen Aspekt wieder unter dem Primat des für den größeren Kreis geltenden steht usw. Daher geht beim Ubergang des letzten Glieds einer Triade in das erste der folgenden nicht nur die Einzelkategorie, sondern mit ihr der Gehalt ihres Kreises, gegebenenfalls der des höheren über. Dementsprechend ergibt sich eine Folge von Kategorien bzw. von Zusammenfassungen derselben zu Kreisen, die von der reinsten Repräsentation der Unmittelbarkeit in der Kategorie des Seins im ersten Seinskreis bis hin zur reinsten Repräsentation absoluter Vermittlung im Ideenkreis in der Idee der Totalität über alle nur erdenkbaren Stufen und Schattierungen der Vermittlung reicht. Da von Anfang an alle Bestimmungen vorliegen, wenngleich im Modus der Unexpliziertheit, untersteht die Sequenz dem teleologischen Gesetz zunehmender Explikation, die ihr Ziel dann erreicht, wenn die Gesamtheit der Bestimmungen artikuliert ist. Hier wird der Evolutionsgedanke spürbar, der von den niedersten Formen bloß vorfindlichen, unbewußten anorganischen Seins bis hinauf zu den höchsten selbstbewußten, sich mit

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sich vermittelnden Geistes alle Organisationsstufen umfaßt 7 3 . Mit seiner Hilfe läßt sich verstehen, daß und wie Hegels System nicht nur ein Ganzes aneinandergereihter gleichartiger Dialektikformen ausmacht oder, um das bekannte Bild zu gebrauchen, einen Kreis aus Kreisen, bei dem jeder eine spezifische Ansicht des allgemeinen Kreises liefert, sondern ein Ganzes ständig sich überholender, im Sinne höherer Organisation fortbildender Formen. Das Hegeische Systemkonzept weist Analogie zum Platonischen Gedanken der συμπλοκή των γενών, des εν διαφέρον εν έαυτφ, der κρασις δι' δλου auf 7 4 , demzufolge die generischen Ideen aufgrund ihrer Wechselimplikationen — des Enthaltenseins aller in allen — eine Totalität konstituieren, von der sie jeweils einen spezifischen Aspekt wiedergeben. Wenn trotzdem ein Unterschied zwischen Piaton und Hegel besteht, so weniger darin, daß es bei Piaton einzelne Ideen, bei Hegel aus mehreren Kategorien gebildete Triadenformen sind, die auf je besondere Art das Ganze spiegeln — denn, wie oben gezeigt, hat bereits jede der zu einem Dreischritt gehörigen Kategorien Totalitätsstruktur, ist mithin eine Bestimmung, wenngleich noch keine Definition des Absoluten wie der Dreischritt selbst —, als vielmehr darin, daß bei Piaton der Ubergang von einer Idee zur anderen aufgrund ihrer Gleichwertigkeit willkürlich und ungeregelt erfolgt, bei Hegel hingegen aufgrund ihres systematischen Fortschritts gemäß dem Evolutionsprinzip methodisch geregelt. Die Ausführungen zur Sequenz der dialektischen Verfahren, die unter variierenden Bedingungen und Umständen ständig wechseln, finden eine Bestätigung im Methodenkapitel, was nicht zufällig ist, da in dieser Schlußerörterung laut Programm der in der Logik sich vollziehende Prozeß auf seinen Begriff gebracht sein soll. Genau besehen finden sie jedoch nur eine gewisse Bestätigung; denn die Statuierung des Begriffs des Gesamtprozesses hieße nicht mehr und nicht weniger als eine Reformulierung der gesamten Logik in methodologischer Absicht. Eine solche aber ist aus praktischen Gründen undurchführbar, zumindest wenig sinnvoll. Statt dessen findet sich ein Ersatzverfahren, das durch Rekapitulation von Formeln oder durch Nennung und Anspielung auf bestimmte, verschiedenen Dialektikteilen angehörige Kategorien an die diversen Verfahren erinnert und deren Grundgerüst repristiniert. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn Hegel in VI, 564 das dialektische Moment der Vermittlung, also das 73 74

Zum Entwicklungsgedanken vgl. A. Sarlemijn, a . a . O . , S. 115ff. Hierauf hat schon R. Kroner: Von Kant bis Hegel, 2 Bde., Tübingen 1921/24, 3. Aufl. 1977, Bd. 2, S. 452 hingewiesen.

Beispiele inhaltsbedingter dialektischer Methode

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zweite der triadischen Grundform, nicht nur durch die der Seinslogik genuine Kategorie des Anderen als „das Andere des Anderen", sondern auch durch die der Wesenslogik zugehörige der Negation als „das Negative des Negativen" beschreibt. Das Auftreten beider in demselben Kontext, zudem unmittelbar hintereinander, kann keine andere Absicht haben als die, auf verschiedene Verfahrensweisen hinzudeuten, die unterschiedlichen Reflexionsebenen zukommen. Gleiches bestätigt die Beschreibung des dritten dialektischen Moments, der vermittelten Unmittelbarkeit, in VI, 565, für die Hegel dort vier Formeln gebraucht. Zum einen ist das Dritte das Unmittelbare durch Aufhebung der Vermittlung, zum anderen das Einfache durch Aufhebung des Unterschieds, zum dritten das Positive durch Aufhebung des Negativen und zum vierten der Begriff durch Aufhebung der Realität 75 . Außer den Hinweisen auf die Seinslogik mittels der Begriffe der Unmittelbarkeit und Vermittlung sowie auf die Wesenslogik mittels der Begriffe der Einfachheit und des Unterschieds, des Positiven und Negativen 76 , enthält diese Stelle noch den Hinweis auf die Begriffslogik mittels der Begriffe des Begriffs und der Realität. Was prima vista den Eindruck einer willkürlichen Häufung und Konfundierung macht, erweist sich bei genauerem Zusehen als bewußter Ausdruck einer Zusammenfassung verschiedener Verfahrenstypen.

4. Beispiele inhaltsbedingter dialektischer Methode Um dem Bedürfnis nach Exemplifikation der These von der inhaltlich variierten Methode zu entsprechen, wäre es im Rahmen einer Untersuchung, die weder das Ganze noch auch größere Komplexe der Logik interpretierend entfalten kann, wünschenswert, sich auf die Grundformen dialektischen Verhaltens zu konzentrieren, wie sie für Seins-, Wesens- und Begriffslogik im ganzen bestimmend sind. Hiermit hat es jedoch seine Schwierigkeit, weil dieselben Abstraktionen aus den in den individuellen Dialektikkreisen herrschenden Verfahren sind, aus denen sich die Logik zusammensetzt, und ihre Konkretisierung daher doch wieder auf jene und damit auf die Logik insgesamt verwiese. Als Ausweg bleibt nur, diejenigen dialektischen Kleinstkreise auszuwählen, die den Methodentypus der Großkreise in reinster Form repräsentieren, und von dort nach einem vergleichenden Blick auf die übrigen Varianten des Großkreises die not75

76

Vgl. auch VI, 564, wo die Trias „das Positive, Identische, Allgemeine" zur Kennzeichnung des Dritten verwendet wird. Vgl. Enzykl. § 114 (VIII, 235).

156

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wendige Generalisation vorzunehmen. Für die seinslogische Methode ist der erste Seinskreis derjenige, der deren Unmittelbarkeit am reinsten verkörpert, für die wesenslogische der Kreis der Reflexionsbestimmungen, den Hegel selbst für den wesentlichsten erachtet und öfter aufgrund seiner reinen Verkörperung von Beziehung stellvertretend für wesenslogische Bestimmungen überhaupt nennt 77 , und für die begriffslogische der Ideenkreis mit der absoluten Idee als Repräsentanten totaler Vermittlung. Da wir jedoch gerade von der letzteren herkommen auf der Suche nach bestimmteren Ausdrucksformen, werden wir uns, was diesen Fall betrifft, an den ersten begriffslogischen Kreis und in ihm an den Begriff des Begriffs halten und seine Beziehung zur absoluten Idee behandeln. Die reinste Darstellung von Unmittelbarkeit begegnet zweifellos im ersten Seinskreis. Denn nicht nur, daß dessen Bestandteile: Sein und Nichts Unmittelbare sind, auch ihrem Übergang eignet Unmittelbarkeit. Umgangssprachlich besitzt dieser Ausdruck zwei Bedeutungen, eine positive wie negative: Zum einen bedeutet er, wie schon an der Negativform kenntlich, Zurückweisung von Mittelbarkeit bzw. Vermitteltheit und damit auch alles dessen, was einen solchen Zustand evoziert, des Vermittlungsakts sowie der benutzten Mittel und Instrumente. Wenn wir z . B . sagen: „Die Ereignisse folgen unmittelbar aufeinander", „Die Orte reihen sich unmittelbar aneinander", „Diese oder jene Erkenntnis stützt sich unmittelbar auf Fakten", so meinen wir jedesmal: ohne Unterbrechung, ohne Abstand, ohne eingeschaltete Instanzen, verallgemeinert: ohne jegliches Zwischenglied. Obzwar der Term „Unmittelbarkeit" seinem Inhalt nach das Gegenteil von Vermittlung besagt, ist er seiner Form nach selbst vermittelt, bezogen auf und bestimmt durch sein Oppositum. Infolgedessen läßt sich sein Aussagegehalt nur via negationis in den Blick bringen, indem die Weise, in der er auftritt, dementiert wird. Daraus resultiert die paradoxe Situation, daß ein Begriff als formaler die Struktur der Bezogenheit und Vermitteltheit besitzt und als inhaltlicher die mit seiner Form gegebene Vermittlungsstruktur zurückweist und in ihr Gegenteil verkehrt.

77

So identifiziert er schon in der Einleitung zur Wissenschaft der Logik bei deren Einteilung in die drei Hauptdisziplinen das spezielle „System der R e f l e x i o n s b e s t i m m u n gen" mit der umfassenderen „ L e h r e v o n d e m W e s e n , die zwischen der Lehre vom Sein und der vom Begriff inmitten steht" (V, 58) und die „Sphäre der V e r m i t t l u n g " ausmacht, und auch noch nach Abschluß der Wesenslogik setzt er im Rahmen einer Kant-Kommentierung die Reflexionsbegriffe der „Sphäre, welche zwischen . . . dem S e i n und B e g r i f f e liegt" (VI, 257), gleich; vgl. auch Enzykl. § 114 (VIII, 235f).

Beispiele inhaltsbedingter dialektischer Methode

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Zum anderen hat Unmittelbarkeit einen eminent positiven Sinn, ohne den jene Paradoxie nicht verständlich wäre; denn die Negation von Vermittlung ist nur auf der Basis eines an sich affirmativen Gehalts möglich. „Unmittelbar" nennen wir die Weise des Auftretens oder Verhaltens von etwas, das von sich, ohne fremdes Zutun sich einstellt und erhält. Der Begriff bezeichnet die Eigenschaft eines sich von sich aus Präsentierenden. Unmittelbar ist demnach ein Selbständiges, von anderem Unabhängiges, dessen Suisuffizienz sich in den beiden möglichen Formen von causa sui: Selbsterzeugung und Selbsterhaltung — des Anfangens seiner selbst und des sich als Grund Erhaltens — manifestiert. Beide Bedeutungen lassen sich belegen. So wird der Begriff „Unmittelbarkeit" vor allem in Verbindung mit dem Anfänglichen, Ersten und in diesem Sinne Ursprünglichen verwendet, das den Beginn einer Reihe ausmacht. „Zuerst" oder „unmittelbar" sind auch für Hegel austauschbare Begriffe (vgl. Phän. III, 82). Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um einen absoluten oder relativen Anfang handelt. Denn selbst wenn der Anfang in anderer Hinsicht vermittelt sein sollte, ist er in Hinsicht auf seine Reihe unmittelbar; andernfalls wäre er nicht deren Anfang, sondern ein bloßer Durchgang. „Unmittelbar" nennen wir aber auch das Wesen, die Natur, den Charakter eines Menschen oder Gottes 78 , wenn wir ein durchgängig gleiches Verhalten im Initiieren von Handlungen, eine konstitutive Spontaneität feststellen oder unterstellen. Nach einer von M. Theunissen ( a . a . O . , S. 31) angeführten Stelle in den Nürnberger Schriften 79 sind auch für Hegel „unmittelbar" und „für sich seiend" deckungsgleich. Der positive Sinn, der Unmittelbarkeit trotz äußerer Negativform zukommt, wird durch Synonyme bestätigt, denen die Negativstruktur fehlt, bei denen also Gehalt und Form übereinstimmen, wie etwa bei Direktheit als Oppositum zu Indirektheit 80 . Diese aus einer Analyse der Umgangssprache gewonnenen Ergebnisse in Zusammenhang zu bringen mit den Bestimmungen der Wissenschaft der Logik ist nicht nur möglich, sondern auch legitim, da Hegel selbst bei Ab78 79

80

Etwa in der Wendung: Die Person hat ein unmittelbares Wesen. Dort (IV, 172) heißt es von den Reflexionsbestimmungen im Unterschied zu den Seinsbestimmungen, daß sie „in ihrem Dasein nicht unmittelbar und für sich" sind, da sie ihren Sinn nur auseinander empfangen. Der Ausdruck kann hier nicht „anfänglich", „ursprünglich" bedeuten, sondern nur „selbstständig" im Sinne von: „sich selbst erhaltend", „aus sich selbst verständlich". Eine Monographie des Begriffs der Unmittelbarkeit hat M. Theunissen, a . a . O . , S. 200 — 202 vorgelegt. Er hebt vor allem die erste Bedeutungskomponente, das Entspringen, mit ihren beiden Ausdrucksformen der Spontaneität und Plötzlichkeit hervor und verfolgt diese in ihrem historischen Kontext zurück bis auf Heraklit.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen V e r f a s s u n g

fassung des semantischen Prozesses seine Orientierung an der gewachsenen Muttersprache, insbesondere deren dialektischen Gehalten, genommen und Wert darauf gelegt hat, den Bezug zu ihr nicht abreißen zu lassen. Wenn daher unter den Prädikaten, mittels deren das Sein zu Beginn der Logik charakterisiert wird, das der Unmittelbarkeit auftritt, so steht zu erwarten, daß mit ihm auch seine Doppelsinnigkeit dem Sein zukommt. So hat das Sein in seiner anfänglichen Position einen unbestreitbar positiven Gehalt. Von den beiden Bedeutungskomponenten des affirmativen Sinns, dem Anfang- und Grundsein, eignet ihm jedoch nur die erste; denn was die Applikation der Unmittelbarkeit auf es legitimiert, ist sein Anfangsstatus. Das Sein läßt sich nur deshalb als Unmittelbares ansprechen, weil es den Anfang des logischen Prozesses bildet; von der Grund-Funktion, die erst am Ende desselben mit der absoluten Idee erreicht wird, sowie von dem Prozeß der rückläufigen Begründung des Anfangs aus dem Ende ist zu Beginn noch gänzlich abstrahiert. Abstrahiert ist aber auch von dem phänomenologischen Vermittlungsprozeß, der das reine Denken allererst ermöglicht. Sofern ein Anfang im reinen Denken gemacht wird, ist dieser für dasselbe ein absolut Erstes und damit im beschriebenen Sinne unmittelbar 81 . Daß dem Sein darüber hinaus die Bedeutung der Negation von Vermittlung zukommt, versteht sich von selbst; denn als Anfangendes, als das es anderes erst aus sich heraussetzt, kann es durch dieses nicht vermittelt sein. Die Tatsache, daß sich der Gehalt des Anfänglichen im Widerspruch zu sich nur mit Hilfe eines vermittelten Terminus wie der Unmittelbarkeit fassen läßt, mithin auf inadäquate Weise 8 2 , deutet darauf, daß es mit 81 82

Vgl. V, 6 8 f . K ö n n t e es zunächst scheinen, als sei diese Situation durch den spezifischen Begriff der Unmittelbarkeit bedingt, so läßt sich nachweisen, daß sie auch f ü r die anderen im A n f a n g gebrauchten Begriffe wie U n b e s t i m m t h e i t und Gleichheit nur mit sich gilt. Zwar hat Hegel in der Vorrede zur 2. A u f l a g e der L o g i k (V, 3 0 f ) die Ansicht vertreten, daß sich der Prozeß der Bedeutungsentfaltung in einer solchen Vollkommenheit darstellen lasse, daß auf jeder Stufe nur die wirklich deduzierbaren B e s t i m m u n g e n vorkämen und entsprechend im A n f a n g , der mit dem Einfachsten beginne, nur die „ s e l b s t ganz einfachen A u s d r ü c k e . . . ohne allen weiteren Z u s a t z irgendeines W o r t e s " (V, 31). Tatsächlich jedoch entspricht der G a n g der L o g i k diesem Methodenideal nicht, und es läßt sich zeigen, daß er ihm auch prinzipiell nicht entsprechen kann, weil schon die einfachste B e s t i m m u n g , mit der das A b s o l u t e ins D e n k e n tritt, in B e z i e h u n g z u ihrem O p p o s i t u m steht und z u s a m m e n mit diesem das A b s o l u t e definiert. Wie H . F . Fulda, a . a . O . , S. 123 hat nachweisen können, hat Hegel selbst diese Erkenntnis 1812 in einem Brief an den Mathematiker und Physiker Pfaff geäußert: „ D a s spekulative D e n k e n schlägt sich eben mit derlei Dingen [Reflexionsbestimmungen] h e r u m , es braucht sie, wie man das B r o t braucht, u m es zu v e r z e h r e n " (Briefe von und an H e g e l , hrsg. v. J . H o f f m e i s t e r , B d . 1,

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ihm sein Bewenden nicht haben könne, daß er vielmehr in bezug auf die freigesetzte Reihe auch als Vermitteltes, als Relatum einer Relation, deren anderes Relatum Vermittlung ist, zu bestimmen sei. In der Paradoxie zwischen unmittelbarem Gehalt und vermittelter Form liegt eine Spannung, die zum Hinausgang über das Sein treibt, nicht allein zum Nichts — denn an diesem wird aufgrund seiner eigenen Unmittelbarkeit und der Unmittelbarkeit des Ubergangs zu ihm die gegenwärtige reflexionslogisch motivierte Argumentation noch am wenigsten sichtbar —, auch nicht allein zu den übrigen seinslogischen Bestimmungen, die letztlich den Charakter der Unmittelbarkeit wahren, sondern zu den reflexionslogischen Bestimmungen selbst, die Ausdruck von Vermittlung sind 83 . Denselben Status der Unmittelbarkeit wie das Sein hat auch das Nichts. Zwar kommt der Ausdruck im Nichts-Kapitel selbst nicht vor; es fällt sogar auf, daß von allen Seinsprädikaten, die auch auf das Nichts Anwendung finden, dieses Merkmal als einziges fehlt; doch wird am Ende des Seins-Kapitels (V, 83) im Ubergang zum Nichts „das Sein, das unbestimmte Unmittelbare", mit dem „ N i c h t s " identifiziert und in der ersten Anmerkung (V, 84) das Nichts in ausdrücklicher Abgrenzung von der vermittelten Negation „eine abstrakte, unmittelbare Negation" genannt, eine „beziehungslose Verneinung, — was man, wenn man will, auch durch das bloße N i c h t ausdrücken könnte". In Anbetracht dessen, daß Unmittelbarkeit „Unabhängigkeit von anderem ( = Selbständigkeit)", „Unbezogenheit" u. ä. bedeutet, muß die Geltung dieses Sinns für das Nichts, durch den es zu einem zweiten Absoluten neben dem Sein wird, um so mehr überraschen, da das Nichts, wie seine entwickelteren Formen: das Andere, der Widerspruch usw. zeigen, der Prototyp von Beziehung und Vermittlung ist. Wenn Hegel dennoch das Nichts als Unmittelbares charakterisiert, will er damit ausdrücken, daß die ihm genuine Struktur der Beziehung im Anfang noch völlig unexpliziert ist.

83

H a m b u r g 1952, S. 408 (Nr. 204)). Die Unvermeidbarkeit von Reflexionsbestimmungen wie überhaupt von Denkbestimmungen anderer Entwicklungsstufe als der jeweils thematischen ist mit dem Denken selbst gegeben. Hegel hat diese Überlegung dort angestellt, wo sie systematisch hingehört, nicht im Seins-Kapitel selbst, sondern in der Einleitung und A n m e r k u n g . In V, 68 weist er ausdrücklich auf die Reflexionsnatur des Ausdrucks „Unmittelbarkeit" hin, der sich „auf den Unterschied von dem Vermittelten" beziehe und daher zur Explikation seines eigentlichen, wahren Gehalts eines eigenen Terminus, des Seins, bedürfe, und in V, 103 f (Anm. 3) begründet er den Fortschritt über das Sein hinaus — hier allerdings anhand der analogen Terme Unbestimmtheit und Bestimmtheit — durch Reflexion auf die Bestimmtheit des Unbestimmten bzw. die Vermitteltheit des Unmittelbaren.

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Wie im Sein die Diskrepanz zwischen unmittelbarem Inhalt und vermittelter Form angelegt ist, so ist sie es auch im Nichts, hier nur als Diskrepanz zwischen wesenseigener relativer Form und unmittelbarer Anfangsstellung. Würde man nicht eine interne Differenz zwischen Sein und Nichts konzedieren, so bliebe angesichts gleicher äußerer Kennzeichnung die seinslogische Priorität des Seins, derzufolge es den Anfang der Logik bildet, unverständlich. Denn nach reflexionslogischer Betrachtungsweise, wie sie die dritte Anmerkung enthält, sind beide gleicherweise Abstraktionen, das Sein vom Nichts, das Nichts vom Sein, und insofern beide zum Anfang qualifiziert. Die seinslogische Präferenz läßt sich daher nur so rechtfertigen, daß das Sein als positiv Gesetztes inhaltlich ein UrsprünglichUnmittelbares ist, das Nichts hingegen nur stellenmäßig. Ebenso unmittelbar wie Sein und Nichts ist auch ihre Beziehung, sofern man überhaupt von einer solchen sprechen kann, die stets Vermittlung ist. Diese Beobachtung stützt sich auf zwei Textstellen: Zum einen verweigert Hegel dem Ubergang zwischen beiden die präsentische Verbform des Ubergehens und bestimmt statt dessen den Vollzug vom Vollzogenen, dem Resultat, her mittels der perfektivischen Form des Ubergegangenseins. „Was die Wahrheit ist, ist weder das Sein noch das Nichts, sondern daß das Sein in Nichts und das Nichts in Sein — nicht übergeht, sondern übergegangen ist" (V, 83) 84 . Zum anderen charakterisiert er die Fortbestimmung des Seins zum Nichts durch die organologische Metapher des Hervorbrechens. „Weil das Sein nur als unmittelbar gesetzt ist, bricht das N i c h t s an ihm nur unmittelbar hervor" (V, 104). So unversehens an einem warmen Frühlingstag die Knospen am Stamm hervorbrechen, so plötzlich bricht das Nichts am Sein aus seiner Verborgenheit hervor. Die damit aufgeworfene und derzeit so heftig umstrittene Frage, ob a) jede Art von Übergang qua Beziehung und Vermittlung hierdurch geleugnet werde 85 oder b) ein Ubergang zwar nicht prinzipiell zu bestreiten, doch wegen seiner Abruptheit als Beziehung und Vermittlung in Frage zu stellen sei 86 oder c) der Übergang qua Beziehung und Vermittlung im Modus des Ansich vorliege, nur eben noch nicht seinem Begriff entsprechend artikuliert, so wie man im Alltag angesichts des jähen Endes eines Menschen auch sagt: „Es ging alles so schnell, so ohne jeden Übergang", nicht meinend, daß überhaupt kein Ubergang stattgefunden habe, sondern

84 85 86

Vgl. auch VI, 563. H. G . Gadamer, a . a . O . , S. 60. D. Henrich, a . a . O . , S. 8 7 f f .

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nur, daß er unbegreiflich sei 8 7 , läßt sich nur unter Berücksichtigung des oben explizierten Bedeutungsgehalts von Unmittelbarkeit entscheiden. Danach ist die Paradoxie die unvermeidliche Antwort; denn Unmittelbarkeit meint per definitionem Vermittlungslosigkeit, Zurückweisung von Mitteln oder, positiv gewendet, Ursprünglichkeit, Spontaneität, wohingegen Ubergang seinem Wesen nach Beziehung und Vermittlung besagt. Es handelt sich im Prinzip um dieselbe schon vom Sein und Nichts her bekannte Paradoxie, nur daß sie hier als Diskrepanz zwischen an sich seiender Beziehung und Vermittlung und deren anfänglichem, noch unexpliziertem, daher beziehungs- und vermittlungslosem Status auftritt. So ist die Dialektikform des Seinskreises durchgehend von Unmittelbarkeit geprägt, die in ihm in ihren beiden möglichen Bedeutungen — was die Glieder betrifft — als Ursprünglichkeit, Selbständigkeit und — was deren Verhältnis anlangt — als Beziehungs- und Vermittlungslosigkeit vorliegt. Diese Merkmale kehren auch in den weiterbestimmten seinslogischen Dialektiktypen wieder, wenngleich in abgeschwächter Form: als relative Selbständigkeit und relative Beziehungslosigkeit, die Hegel im Zusammenhang der Kategorie des Anderen ,Gleichgültigkeit' nennt (V, 125). Selbst die reflektierenden Bestimmungen der Seinslogik wie Etwas und Anderes, Endliches und Unendliches, „ o b sie gleich wesentlich aufeinander hinweisen oder als Sein-für-Anderes sind, gelten als q u a l i t a t i v e für sich bestehend; . . . ihr Sinn erscheint als vollendet auch ohne ihr Anderes" (V, 131, vgl. V, 155). Werden auch mit fortschreitender Entwicklung zunehmend Strukturen sichtbar, die auf Wesen- und Begriffslogik vordeuten, wie Wechsel- und Selbstbezüglichkeit, so bleiben sie doch innerhalb der seinslogischen Dialektik ungesetzt, da derselben die Explikationsmittel fehlen, die zu einer über das unmittelbare Ansichsein hinausgehenden Explikation erforderlich wären. Von ganz anderer Art ist der Methodentypus der Wesenslogik. Wenn die reflektierenden Bestimmungen der Seinslogik trotz ihrer Wechselimplikation als selbständig und für sich existenzfähig zu gelten haben, so kommt den manifesten Reflexionsbestimmungen der Wesenslogik überhaupt kein anderes Sein zu als das der Bezogenheit. Die Beziehung auf ihr Gegenteil und die Vermittlung mit ihm ist ihnen nicht nur äußerlich, sondern wesens-

87

R . - E . Schulz-Seitz: „ S e i n " in H e g e l s L o g i k : „ E i n f a c h e B e z i e h u n g auf s i c h " in Wirklichkeit u n d Reflexion, Festschrift f ü r W. Schulz, Pfullingen 1973, S. 3 7 8 f f .

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eigen. Daß sie , , B e z i e h u n g e n an sich selbst sind" (VI, 3 7 88 ), macht geradezu ihre Definition aus. Spezifisch für ihre Relationalität ist nun allerdings, daß dieselbe stets nur von einem der Relata aus angegangen werden kann. Indem die Reflexionsbestimmungen die aus zwei Relata konstituierte Relation von einem abhängig machen, stellen sie das relationale Ganze unter die Dominanz des „Teils". Auf diese Weise kommt es in ihnen zu einer einseitigen oder — hegelisch — bestimmten Implikationsstruktur. „Die Reflexionsbestimmung ist an ihr selbst die b e s t i m m t e Seite und die B e z i e h u n g dieser bestimmten Seite als bestimmter, d. h. auf ihre Negation" (VI, 35). „In ihnen [den Reflexionsbestimmungen] hat sich die Bestimmtheit durch die Beziehung auf sich befestigt und unendlich fixiert" (VI, 34). Denn dadurch, daß das eine Rektum, welches seinem Anderen gegenübersteht, die Beziehung auf dieses in sich hineinnimmt, etabliert es ein Ganzes, freilich aus der Perspektive des Moments betrachtet. Diese Konstellation läßt sich anhand der Reflexionsbestimmungen: Identität und Unterschied, aus deren Verhältnis die übrigen erwachsen, im Detail belegen. Wenn Identität für die äußere Reflexion Abstraktion von allem Unterschied bedeutet, was sich in dem formallogischen Satz der Identität niederschlägt, so ist sie für die innere ohne Unterschied überhaupt nicht denkbar. Schon die anscheinend leere Tautologie erweist sich bei genauerem Hinsehen als zweideutig, insofern sie nicht nur Wiederholung eines Gesetzten nach dem Schema Α = Α ist, sondern zugleich Setzung von Unterschied, der sich im lokalen Nebeneinander oder temporalen Nacheinander oder in sonstiger realer, beispielsweise schriftbildlicher Differenz des Gesetzten manifestiert. Ist die in der Identität gedachte Ubereinstimmung mit sich nur auf der Basis von Unterschied möglich, so erwachsen dem Begriff daraus zwei Funktionen: Zum einen ist er qua Identität eine spezifische Bestimmung gegenüber seinem Gegensatz, der Nichtidentität oder dem absoluten Unterschied, und solcherart Moment (vgl. VI, 41), zum anderen, „in seiner positiven Bestimmung zugleich über seine negative" greifend (VI, 76), das relationale Ganze. Die Einheit aus Identität und Unterschied bleibt aber von der Identität aus betrachtet. Gleichfundamental mit der Identität und von ihr sowenig ablösbar wie sie von ihm ist der Unterschied. Denn nur was eine Gleichartigkeit besitzt, kann sich auch unterscheiden. Tritt der Unterschied nur in einer Be-

88

Vgl. V, 457.

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stehungseinheit mit der Identität auf, so fällt auch ihm die Doppelrolle der Bestimmtheit und Opposition gegenüber der Identität wie der Relationseinheit mit ihr zu. „Der Unterschied ist das Ganze und sein eigenes M o m e n t , wie die Identität ebensosehr ihr Ganzes und ihr Moment ist" (VI, 47). Jedoch auch hier gilt, daß der dominante Aspekt des Ganzen das spezielle Moment des Unterschieds ist. Diese Unausgeglichenheit von Identität und Unterschied als zugleich Unterschiedener, ja Gegensätzlicher, und Identischer kommt in der dritten basalen Reflexionsbestimmung, dem Widerspruch, zum Austrag. Denn wo in bezug auf dieselbe Sache kontradiktorische Bestimmungen gelten, herrscht Widerspruch, und „die Einheit der Identität und der Verschiedenheit" ist von der Art, daß die „Momente . . . in e i n e r Identität verschiedene; . . . e n t g e g e n g e s e t z t e " sind (VI, 55). Darüber hinaus artikuliert der Widerspruch die prinzipielle Unausgeglichenheit der Reflexionsbestimmungen zwischen ihrer Relationalität, in welcher sich Vermittlung bekundet, und ihrer Selbständigkeit, welche ein Ausdruck von Unmittelbarkeit ist. In dieser generellen Aussagekraft ist begründet, daß Hegel den Reflexionsbestimmungen und ihrer Dialektik, obwohl sie nur einen Teil der Wesenslogik ausmachen, eine pars-pro-totoStellung einräumt. Wenngleich innerhalb der Wesenslogik eine Entwicklung stattfindet von einseitigen Implikationen, wie sie im Schein vorliegen, zu wechselseitigen, wie sie mit der Kategorie der Wechselwirkung erreicht werden, bleibt der unaufgehobene Widerspruch zwischen Vermittlung und Unmittelbarkeit die Grundstruktur des wesenslogischen Dialektiktypus. Nicht zuletzt hierin manifestiert sich seine Zwischenstellung zwischen seins- und begriffslogischem Typ. Zweifellos ist er weiterbestimmt als der erste, insofern er dessen Unmittelbarkeit bzw. Selbständigkeit zu einem Vermittelten, Unselbständigen herabgesetzt und als Moment in sich integriert hat, aber dem Methodenideal totaler Vermittlung vermag er noch nicht zu genügen. Denn an die Stelle der seinslogischen Variante getreten, hat er auch deren Unmittelbarkeit bzw. Selbständigkeit in toto übernommen und verkörpert nun in seiner Relationalität und Vermittlung ein Selbständiges und Unmittelbares, ohne diesen Widerspruch beheben zu können. In einer kritischen Bemerkung der Enzyklopädie hat Hegel auf eben diesen defizienten Modus hingewiesen, indem er dort die Sphäre des Wesens eine ,noch unvollkommene Verknüpfung der U n m i t t e l b a r k e i t und der V e r m i t t l u n g ' nennt, bei welcher der Verstand „die Unterschiede als s e l b s t ä n d i g annimmt und zugleich a u c h ihre Relativität setzt, beides aber nur neben- oder nacheinander durch ein A u c h verbindet und diese

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Gedanken nicht zusammenbringt, sie nicht z u m Begriffe vereint" (§114 (VIII, 23 5 f 8 9 ) . Erreicht wird die ideale Verknüpfung, die bei der Beurteilung der bisherigen Dialektikgestalten bereits z u m Maßstab diente 9 0 , erst mit der Begriffslogik. Soll deren Dialektiktypus dem Postulat eines Ideals genügen, das die Verschiedenheit der zu vermittelnden Relata ebenso berücksichtigt wie ihre Identität, so ist das allein dadurch möglich, daß die Relata als Totalitäten begriffen werden — es versteht sich, als je besondere —, die in der Einen alles durchdringenden Totalität ihren G r u n d haben. Denn nur wenn der in den Momenten von Anfang an vorhandene Totalitätssinn realisiert wird, jedoch so, daß er verschiedene Ausgestaltungen erfährt, besteht die Möglichkeit, Gleichheit wie Ungleichheit der Momente zur Darstellung zu bringen. Wenn die Reflexionsbestimmungen noch „jede für sich abgesondert von der entgegengesetzten" gelten sollten, so ist im Begriff „ihre I d e n t i t ä t g e s e t z t " , so daß jedes seiner Momente „ u n mittelbar nur aus und mit den anderen gefaßt w e r d e n " kann (Enzykl. § 1 6 4 (VIII, 313 f). Daß und wie dies möglich ist, demonstriert die Dialektik des Begriffs zu Beginn der Begriffslogik. A m Begriff lassen sich zwei Strukturelemente unterscheiden: Allgemeinheit und Besonderheit, kraft deren derselbe als allgemeiner oder besonderer auftritt. Diese Unterscheidung darf nicht zu einer Parallelisierung mit der klassischen Distinktion von Gattungs- und Artbegriff verleiten; eher entspricht sie den verschiedenen Betrachtungsweisen des Begriffssystems in 89 90

Vgl. Wissenschaft der Logik VI, 269. Die neuere Hegel-Forschung, z . B . W. Flach: Negation und Andersheit, München/Basel 1959, S. 62ff, R. Wiehl, Piatos Ontologie in Hegels Logik des Seins, a . a . O . , S. 160ff, D . Henrich, a . a . O . , S. 98ff, Hegels Logik der Reflexion, Neue Fassung, a . a . O . , S. 220ff, M. Theunissen, a . a . O . , S. 25ff, deutet das Verhältnis der drei Logikteile nicht nur im Sinne eines methodischen Fortschritts, sondern zugleich in dem einer ständig sich überholenden Kritik, die jeweils die Revision der auf einem bestimmten Methodentypus basierenden Metaphysik einschließt und erst in Hegels Metaphysikentwurf zum Abschluß gelangt. So unterwirft der erste Teil der objektiven Logik zusammen mit dem Unmittelbaren, dem Ansichsein, die auf einer solchen „positivistischen" Prämisse beruhende griechische Metaphysik einer Kritik, der zweite mit der unvollkommenen Vermittlung die moderne Reflexionsphilosophie, die in Kants Transzendentalismus ihr bedeutendstes Exponat hat, während die subjektive Logik eine Substitution der traditionellen Theorien durch Hegels eigenes Konzept vornimmt, in welchem jene trotz ihrer Mangelhaftigkeit nicht schlechthin negiert, sondern als Stufen von dessen Selbstverwirklichung interpretiert sind. Ein solcher Ansatz ist nun aber nicht dadurch einzulösen, daß die Metaphysiktypen im Verhältnis „potenzierter Reflexivität" (W. Flach, a . a . O . , S. 62) stehen, etwa derart, daß der erste das Denken des Seins, der zweite das Denken des Denkens usw. thematisiert, sondern allein dadurch, daß der Idealtypus und mit ihm der Totalitätssinn von Anfang an wirksam ist.

Beispiele inhaltsbedingter dialektischer Methode

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seiner Totalität gemäß dem Prinzip der Generalisation und Spezifikation. Hieraus erklärt sich auch, daß Allgemeinheit und Besonderheit, wiewohl sie sich voneinander abheben — erstere bedeutet Fürsichsein, Unmittelbarkeit, letztere Bestimmtheit gegen anderes und damit Relation, Vermittlung — eine gemeinsame Basis haben und von Anfang an in ihrer U n a b trennbarkeit feststehen. In jeder von ihnen werden folglich drei Bedeutungsmomente sichtbar. So enthält Allgemeinheit 1. abstraktes Fürsichsein, welches das Definiens von Allgemeinheit ist, 2. dessen Gegensatz: Bestimmtheit gegen anderes und 3. Bestimmtheit in allem Fürsichsein. Bei Besonderheit verhält es sich genau umgekehrt, insofern sie 1. Bestimmtheit, 2. Fürsichsein und 3. Fürsichsein auf der Grundlage von bestimmtem Sein aufweist, wobei letzteres durch Übertragung von Allgemeinheit auf Besonderheit zustande kommt und daher als ein Fall von Allgemeinheit zu gelten hat. Beide repräsentieren so die Einheit aus Fürsichsein (Selbständigkeit) und Beziehung, Unmittelbarkeit und Vermittlung, aber auf je verschiedene Weise, die Allgemeinheit so, daß die Bestimmtheit gegen anderes in die Allgemeinheit eingeht, und die Besonderheit so, daß die Gleichheit mit sich in aller Bestimmtheit erhalten bleibt 9 1 . Lokalisiert man wie in der traditionellen Begriffslogik Allgemeinheit und Besonderheit an Spitze und Basis der Begriffspyramide, so findet bei ihrer Vereinigung im einen Fall eine absteigende Bewegung statt, die Ausdruck eines ImAnderen-bei-sich-selbst-Seins ist, im anderen eine aufsteigende, die ein Bei- s i c h - s e l b s t -Sein-im-Anderen wiedergibt 9 2 . Die weitere Entwicklung des dialektischen Verfahrens vom Anfang der Begriffslogik bis zu ihrem Ende besteht darin, die beiden spezifisch modifizierten, ungleichwertigen Totalitäten auf der Grundlage der Einen Totalität zum harmonischen Ausgleich zu bringen. Dieses Ziel wird mit der absoluten Idee erreicht; denn dieselbe ist der Gedanke der vollkommenen Integration der Besonderungen des Begriffs in die Allgemeinheit der Methode. Im Begriff des Systems erfüllt sich die Idee der totalen Vermittlung von Unmittelbarkeit und Vermittlung. Wenn der Dialektiktypus der Seinslogik — grob umrissen — die Einheit von Gegensätzen darstellt, der der Wesenslogik das Verhältnis der Be91 92

Vgl. Enzykl. § 163 (VIII, 311). Hier ist der systematische Ort, der eine theologische Ausdeutung der Begriffslogik nach dem christlichen Kondeszendenzgedanken nahelegt. Im Sinne einer solchen hat M . Theunissen, a . a . O . , S. 49 die Beziehung des Bei-sich-selbst-Seins-im-Anderen als herablassende göttliche Liebe und die des Im-Anderen-bei-sich-selbst-Seins als Befreiung aus der Einzelheit interpretiert.

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ziehungsarten dieser Gegensätze, ihrer Identität und Differenz, aber so, daß zwischen beiden noch ein Widerspruch klafft, so ist im Dialektiktypus der Begriffslogik die Einheit bzw. die Identität von Identität und Differenz erreicht. 5. Entgleiten der inhaltlich bestimmten Methode in den formalen Progreß bzw. Regreß Der Methodenbegriff, verstanden als System, wirft eine Reihe von Problemen auf, die nicht länger übergangen werden können und die so gravierend sind, daß sie m. E. das Hegeische Konzept zu Fall bringen. Ihre Entstehung verdankte die als System auftretende Methode dem Entgleiten bzw. Hinübergleiten der formalen Methode in die inhaltliche, dadurch daß sich dieselbe im Punkt der Rückkehr zu sich in sich selber spaltete in eine gleichförmige, lediglich numerisch vom ersten Umlauf unterschiedene Wiederholung und in einen material weiterbestimmten Diskurs, welcher dadurch bedingt war, daß sich der neue Anfang gegenüber dem ersten als Abgeleitetes und Weiterbestimmtes erwies. Da sich dieses in sich ambivalente Methodenprinzip beliebig iterieren ließ, resultierte ein Prozeß, der bei gleichbleibender äußerer triadischer Form von einfachen zu immer komplexeren Inhalten schritt. Die Frage ist berechtigt, ob ein solcher Prozeß es je zu einem Abschluß — nicht nur zu einem willkürlichen Abbruch, sondern zu einer wirklichen Vollendung — bringen könne oder notwendig sich ins Uferlose dehne. Ist bei einem derartigen Ansatz überhaupt Geschlossenheit für das System zu erreichen, ist dasselbe nicht vielmehr zu Offenheit und Unabschließbarkeit verurteilt? Daß diese Konzeption die Gefahr des unendlichen Progresses bzw. — bei Betrachtung der inhaltlichen Fortbestimmung als rückläufiger Begründung — des unendlichen Regresses in sich birgt, hat niemand klarer gesehen als Hegel selbst: „Indem nun diese Bestimmtheit die nächste Wahrheit des unbestimmten Anfangs ist, so rügt sie denselben als etwas Unvollkommenes . . . Dies kann als die nunmehr bestimmte Forderung ausgedrückt werden, daß der Anfang, weil er gegen die Bestimmtheit des Resultats selbst ein Bestimmtes ist, nicht als Unmittelbares, sondern als Vermitteltes und Abgeleitetes genommen werden soll, was als die Forderung des unendlichen r ü c k w ä r t s g e h e n d e n Progresses im Beweisen und Ableiten erscheinen kann, — so wie aus dem neuen Anfang, der erhalten worden ist, durch den Verlauf der Methode gleichfalls ein Resultat hervorgeht, so daß der Fortgang sich ebenso v o r w ä r t s ins Unendliche fortwälzt" (VI, 567). Zu fragen bleibt also, ob es

Das Entgleiten der inhaltlichen Methode in den formalen Progreß bzw. Regreß

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eine reichste Bestimmung im Sinne eines Superlativs und nicht nur eine komparativ reichste, prinzipiell übersteigbare gebe und ob dies die am Ende der Logik, und zwar genau dort genannte Totalitätsidee sei. Angesichts der im 3. Paragraphen dieses Kapitels angestellten Überlegung zur Einteilung und Gliederung der Logik nach dem triplizitären Prinzip von Unmittelbarkeit, Vermittlung und totaler Vermittlung, wonach die drei Hauptdisziplinen der Logik jeweils einen Aspekt spezifisch repräsentieren und die weiteren Unterteilungen unter der Dominanz desselben jeweils wieder einen und so nach demselben Schema fort, kann die Frage nicht ausbleiben, ob nicht ebenso das aus den drei Hauptdisziplinen gebildete Ganze der Logik unter dem Primat eines bestimmten, von Hegel nur nicht eigens mehr genannten Aspekts stehe, neben den sich gleichberechtigt die übrigen reihen, so daß die „reichste" Bestimmung der Logik lediglich Ausgangspunkt noch entwickelterer Formen wäre. Das Problem stellt sich nicht nur respektive der reichsten, sondern auch respektive der einfachsten Bestimmung. Denn wenn nicht nur die Haupteinteilung der Logik nach der Trias von Unmittelbarkeit, Vermittlung und vermittelter Unmittelbarkeit erfolgt, sondern ebenfalls deren Untereinteilung und wiederum deren und so fort, wird es fragwürdig, ob sich auf diese Weise jemals eine absolut einfache, atomare Bestimmung erreichen lasse, wie sie im Sein des Seinskreises, dem angeblich Unmittelbarsten und rein Anfänglichen, gedacht sein soll. Legt nicht der für das Sein nachgewiesene Totalitätssinn eine weitere Einteilung unter dem Primat der Unmittelbarkeit geradezu nahe und so ins Unendliche? Wenn es eine Lösung dieser Schwierigkeit gibt, so kann sie nur in der Beseitigung der Ursachen des unendlichen Progresses bzw. Regresses bestehen. Ob Hegels Lösungsangebot dies zu leisten vermag, gilt es im folgenden zu diskutieren. Zu diesem Zweck ist noch einmal auf Wesen und Ursache des recursus ad infinitum, wie sie sich in Hegels Selbstverständnis darstellen, genauer einzugehen. In welcher Gestalt auch immer der unendliche Progreß bzw. Regreß in der Wissenschaft der Logik begegnet, ob in qualitativer oder quantitativer oder einer sonstigen 9 3 , seine Entstehung verdankt er der Opposition von Bestimmungen wie denen des Endlichen und Unendlichen, Begrenzten und Unbegrenzten, die rechtmäßig einander nicht zu opponieren sind, weil sie im Verhältnis von Teil und Ganzem stehen. Die fraglichen Bestimmungen werden als disjunktive, wechselseitig sich ausschließende, wenngleich 93

Vgl. V, 151 ff, 262 ff.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen V e r f a s s u n g

aufeinander bezogene und angewiesene behandelt. Obwohl das Endliche nicht unendlich und das Unendliche, wie schon das Wort besagt, nicht endlich ist, verweisen sie notwendig aufeinander; denn auch eine Exklusivbeziehung ist eine Beziehung. Aus dieser Konstellation erwächst ein permanenter Kampf zwischen ihrem eigentlichen Wortsinn und ihrer korrelativen Stellung: Dadurch daß das Unendliche durch die Konfrontation mit dem Endlichen zu einem Verendlichten und Begrenzten, einem „SchlechtUnendlichen", wird, verlangt die Verwirklichung seines Sinns einen Hinausgang zum wahren Unendlichen, welches aber ebenfalls, dem Endlichen konfrontiert und durch dasselbe begrenzt, sich als Endliches erweist und seinerseits einen Hinausgang in Richtung auf ein Unendliches fordert und so beliebig fort. Auf diese Weise entsteht eine perennierende Alternation zwischen Endlichem und Unendlichem — „eine und dieselbe langweilige A b w e c h s l u n g " , wie Hegel abschätzig bemerkt (V, 155). Progreß und Regreß gelten ihm als Produkte des entgegensetzenden und in Gegensätzen befangen bleibenden Verstandes. Für den Verstand sind sie ein „ L e t z t e s " , „über das nicht mehr hinausgegangen wird, sondern angekommen bei jenem „ u n d s o f o r t ins Unendliche" pflegt der Gedanke sein Ende erreicht zu haben" (V, 155). Zu vermeiden ist der unendliche Prozeß nur dadurch, daß das Übel an seiner Wurzel, der Antipodik der Bestimmungen, gepackt und die verstandesmäßige Konzeption eines dem Endlichen opponierten Unendlichen durch die vernunftmäßige eines das Endliche integrierenden Unendlichen substituiert wird, eines Unendlichen also, das die Einheit seiner selbst und seines Gegensatzes ist, bei dem folglich der Hinausgang zum Endlichen zu einer Rückkehr zu sich wird. Seinen Anhalt findet dieses Modell in der Denkfigur der Reflexion in sich, als deren symbolischer Ausdruck der Kreis ermittelt wurde. N u n gibt das Modell aber nicht nur die Möglichkeit einer Lösung zu erkennen, sondern auch deren genuine Schwierigkeit. Zwar vermag die Rückbiegung der ins Unendliche fortlaufenden Geraden zum Kreis — um zunächst beim äußeren Bild zu bleiben — den unendlichen Hinausgang zu blockieren und in einen selbstbezüglichen Verlauf umzuwandeln, nicht jedoch vermag sie die mit der Rückkehr zu sich beginnende, unendlich in sich kreisende Bewegung zu verhindern. In Wahrheit wird der unendliche Progreß bzw. Regreß nicht behoben, sondern lediglich verschoben, aus der Externität in die Internität verlagert, wo er als unendliche Zirkularisation wiederkehrt. Das Bild des Kreises und die ihm korrespondierende Denkfigur sind in ihrer Geschlossenheit daher nicht allein ein Ausdruck der

Das Entgleiten der inhaltlichen M e t h o d e in den f o r m a l e n Progreß b z w . Regreß

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Vollkommenheit, jener Einheit aus Unendlichem und Endlichem, sondern ebenso ein Ausdruck der Begrenztheit, was sich in der unendlichfachen Iterierbarkeit des Universalkonzepts angesichts des eine solche Iteration ermöglichenden Grundes dokumentiert. Veranschaulicht man die einander opponierten S t r u k t u r m o m e n t e : Endliches und Unendliches anhand eines Punktes und einer Geraden und das S t r u k t u r g a n z e aus Unendlichem und Endlichem sowie ihren Ermöglichungsgrund anhand eines Kreises und eines offenen Feldes, so folgt, daß ebenso wie der Punkt sich auf der Geraden ins Unendliche iteriert, so auch der Kreis sich im offenen Feld wiederholt 9 4 . W o immer und in welcher Form immer Geschlossenheit und mit ihr Endlichkeit begegnet, stellt sich der unendliche Progreß bzw. Regreß ein. Wendet man die am Paradigma des Unendlichkeitsbegriffs gewonnenen Erkenntnisse auf den Methodenbegriff in der Bedeutung eines „Systems der Totalität" (Vgl. VI, 569) an, so werden Fruchtbarkeit wie Grenzen des Ansatzes der Reflexion in sich sichtbar. Der von Hegel angedeuteten U n abschließbarkeit inhaltlicher Fortbestimmung bzw. rückwärts schreitender Begründung ist danach nur auf eine einzige Art zu entkommen möglich, nämlich auf die, daß der Prozeß als ganzer, welcher mit der Wissenschaft der Logik identisch ist, die Struktur der Reflexion in sich erhält, so daß sich dessen Ende in den Anfang zurückschlingt. Der Zusammenschluß der unterstelltermaßen komplexesten Bestimmung mit der unterstelltermaßen einfachsten wird aber nicht schon dadurch bewerkstelligt, daß gezeigt wird, daß die absolute Idee die vollständige und durchgängige Explikation der zu Beginn noch unexplizierten Inhaltsbestimmungen ist — denn das Anfängliche, das nicht nur das Zu-Begründende ist, das mit der Angabe der Totalität der Bestimmungen erreicht wird, sondern auch das Ursprüngliche, Begründende, das auf jeder Stufe der Weiterbestimmung als Grundlage erhalten bleibt, ließe sich auf diese Weise niemals einholen —, sondern allein dadurch, daß gezeigt wird, daß der Totalitätsbegriff qua talis jener einfache Begriff ist, mit dem der Anfang beginnt. Der Nachweis der Selbstbezüglichkeit des Begriffs läßt sich auf zweifache Art erbringen, von denen die eine Gebrauch macht von der o n t o l o g i s c h e n Struktur der Selbstbezüglichkeit: der reinen Selbstbeziehung, die andere vom Faktum w i s s e n d e r reflexiver Beziehung. 94

D e r Vergleich hält auch dann noch stand, w e n n man die Einheit aus Unendlichkeit u n d Endlichkeit anhand einer Kugel und ihren Ermöglichungsgrund anhand eines o f f e n e n Raumes exemplifiziert. In welcher Dimension die G a n z h e i t auch vorgestellt w i r d , stets liegt ihr ein o f f e n e s K o n t i n u u m zugrunde, in dem sie sich unendlich auszubreiten vermag.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

1. Der Grundsachverhalt der Logik, mit dem jede Rekonstruktion derselben zu beginnen und zu enden hat, besteht im Zu-sich-Kommen des Begriffs: der Prozeß der Logik ist nichts anderes als der Prozeß des Seinerselbst-bewußt-Werdens des Begriffs. Selbstbewußtsein als Bewußtsein von etwas, in welchem das Selbst sich erkennt, impliziert nach den früheren Ausführungen zwei Momente: 1. im Bewußtsein von sich reine Selbstbeziehung, 2. im Bewußtsein von etwas Fremdbeziehung, während es 3. in seiner Gesamterscheinung Selbstbeziehung auf der Basis von Fremdbeziehung ist. Die letztgenannte Selbstbeziehung unterscheidet sich von der ersten dadurch, daß sie nicht wie jene die Beziehung auf anderes ausschließt, derselben opponiert ist, vielmehr dieselbe einschließt, sie zur Grundlage und Internstruktur hat. Läßt sich das Zustandekommen der ersten nur so erklären, daß eine einfache umkehrbare Beziehung zwischen Einem und einem Anderen vorliegt, in der sich durch Negation der Beziehung des Einen auf das Andere eine Beziehung des Einen nur auf sich, ein reines Selbstverhältnis, etabliert, so gestattet die zweite keine andere Erklärung ihrer Entstehung als die der Integration der Beziehung auf das Andere in die Beziehung des Einen auf sich. Auch der Gedanke der Totalität von Beziehung auf anderes, der kein Relatum mehr außer sich hat, zu dem eine Beziehung noch möglich wäre, ist der Gedanke einer unendlichen, suisuffizienten Selbstbeziehung. Mit D . Henrich 9 5 könnte man beide Formen von Selbstbezug wohlunterschieden halten, indem man die erste als „Beziehungslosigkeit", die zweite als totale „Selbstbeziehung" bezeichnete. Wenn sowohl die einfachste Bestimmung am Anfang der Logik wie die inhaltsreichste am Ende mittels des Selbstbezugs charakterisiert wird, dann ist prima facie klar, daß es sich um unterschiedliche Fälle handeln muß, da die erste die Beziehung auf anderes noch vor sich hat, die zweite bereits hinter sich. Unter den Begriffen, in die das Sein zu Beginn der Logik übersetzt wird, findet sich außer der schon erwähnten Unmittelbarkeit „Gleichheit nur mit sich". Obzwar der Term seiner Herkunft nach ein Reflexionsbegriff ist — zusammen mit Ungleichheit zählt er zu den Modi von Verschiedenheit und bezeichnet die durch Vergleich zu ermittelnde Ubereinstimmung bzw. Nichtübereinstimmung von Instanzen — und als solcher eine Relation zwischen mindestens zwei verschiedenen Relata voraussetzt, deutet das in der Charakteristik des Seins hinzugefügte beschränkende Adverb „ n u r " die Eliminierung der Beziehung auf Anderes, Verschiedenes, 95

Hegel im Kontext, a . a . O . , S. 111.

Das Entgleiten der inhaltlichen Methode in den formalen Progreß bzw. Regreß

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die Verkehrung in den Fall reiner Selbstbeziehung an. Da das Sein weder intern Unterschiede aufweist, noch extern in Unterschied zu anderem steht, ließe es niemals einen anderen Beziehungstyp als reines Fürsichsein zu. Hingegen weist die am Ende der Logik zur Beschreibung der absoluten Idee verwendete „Gleichheit mit sich" (VI, 572 96 ) der Natur der Sache nach den Doppelcharakter einer Beziehung auf sich und auf anderes auf: Zum einen ist sie „der reine Begriff, der sich nur zu sich selbst verhält; . . . die e i n f a c h e B e z i e h u n g auf s i c h , welche Sein ist", zum anderen „ e r f ü l l t e s Sein, der sich b e g r e i f e n d e B e g r i f f , das Sein als die k o n k r e t e , ebenso schlechthin i n t e n s i v e Totalität" (VI, 572). Schließlich handelt es sich um diejenige Selbstbeziehung, die die Gesamtheit möglicher Beziehungen auf anderes zur Voraussetzung hat und die Selbstbeziehung dieses Anderen deshalb ist, weil sich über deren Totalität hinaus keine Beziehung zu anderem mehr denken läßt. Der Nachweis der Identität beider Beziehungsarten beruht nun auf folgender Überlegung. Jene Beziehung auf sich, die Beziehung auf anderes zur Basis und Internstruktur hat, läßt sich von dieser ihrer Basis und Internstruktur isolieren und für sich als reine Selbstbeziehung betrachten. Die Möglichkeit hierzu bietet die Struktur der Andersheit oder der absoluten Negativität. Wie die Negation der Negation nicht nur Selbstbezüglichkeit der Negation meint und damit auf eine komplexe, nach außen positive, nach innen negative Struktur weist, sondern auch Selbsteliminierung und damit Setzung einer rein positiven Selbstbeziehung als Resultat des auf sich selbst gerichteten Negationsakts, so bedeutet analog das Andere des Anderen nicht nur Selbstbezüglichkeit des Anderen, sondern zugleich, indem es sich, dem Anderen, ein Anderes ist, Selbstdistanzierung und als deren Folge Setzung einer reinen Selbstbeziehung. Die Beziehung ist doppeldeutig, insofern sie sowohl einen Zustand bezeichnet, der sich aus lauter Fremdbeziehung konstituiert, wie einen, in dem Fremdbeziehung gänzlich entfällt. Letzterer ist nichts anderes als die der Beziehung auf anderes indifferent entgegengesetzte Selbstbeziehung des anfänglichen Seins. Beide Arten von Selbstreferenz sind somit identisch, unterschieden lediglich nach ihrer Stellung am Anfang oder Ende des logisch-dialektischen Prozesses. Da das auf diese Weise entstandene reine Selbstverhältnis mit dem ersten strukturell zusammenfällt, initiiert es auch einen entsprechenden Prozeß, an dessen Ende wieder ein auf Fremdbezug basierendes Selbstverhältnis

96

Bezeichnenderweise fehlt das „nur".

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

steht, für das dasselbe gilt wie das eben Ausgeführte und so in infinitum. Nicht nur garantiert die innere Zwiespältigkeit des fremdbezüglichen Selbstverhältnisses den Anschluß der absoluten Idee vom Ende der Logik an das Sein des Anfangs, sondern sie ist zugleich Ursache einer ins Unendliche möglichen Wiederholung des semantischen Prozesses. 2. Das zweite Argument rekurriert auf die wissende reflexive Beziehung. Während der sich entwickelnde Begriff zu Beginn der Logik noch ein sich selber unbewußtes, lediglich vorfindliches Sein ist, genommen wie und als was es sich findet (vgl. V, 68), dem das Wissen als Äußeres, Fremdes gegenübersteht, hat er am Ende den Status eines sich selber begreifenden Begriffs, der sich, dem Wissenden, zum immanenten Objekt und Gewußten geworden ist. Zum Wissen des Begriffs von sich gehört das seiner eigenen Genesis. Denn da der zu sich gekommene Begriff sich nicht in dem schlichten Sachverhalt des Selbstbewußtseins und der Identität seiner qua Objekt mit sich qua Subjekt erschöpft — dieser bildet vielmehr von Anfang an die Voraussetzung —, sondern ein Sich-Durchdringen und -Verstehen ist, ein Wissen von der Selbstidentifikation, muß der Prozeß der Selbstentfaltung, an dessen Ende der voll explizierte Begriff steht, in ihn mit eingegangen sein. Beruht die Bedeutung dieses Begriffs wesentlich auf dem Vorgang, der zu ihm führt, so impliziert er notwendig ein Wissen von der Bedeutungsidentifikation von Anfangs- und Endzustand. Der zu sich selbst gekommene Begriff ist also nicht nur schlichtes Selbstbewußtsein, sondern Bewußtsein des Selbstbewußtseins. Die Hegeischen Formulierungen bestätigen dies, wie die folgenden Belege zeigen, indem sie von einem ,Erfassen des Begreifens seiner selbst' oder einem ,Erkennen des Begriffs der Wissenschaft' u. ä. sprechen oder sich des explikativen „als" bedienen: „Sie [die Idee des absoluten Erkennens] ist selbst der reine Begriff, der sich zum Gegenstande hat und der, indem er sich als Gegenstand [habend] die Totalität seiner Bestimmungen durchläuft, sich zum Ganzen seiner Realität, zum Systeme der Wissenschaft ausbildet und damit schließt, dies Begreifen seiner selbst zu erfassen, somit seine Stellung als Inhalt und Gegenstand aufzuheben und den Begriff der Wissenschaft zu erkennen" (VI, 572). „Die absolute Idee allein ist . . . sich w i s s e n d e W a h r h e i t , und ist alle W a h r h e i t " (VI, 549). „Die Methode ist daraus als d e r sich s e l b s t w i s s e n d e , sich als das Absolute, sowohl Subjektive als Objektive, z u m G e g e n s t a n d e h a b e n d e B e g r i f f , somit als das reine Entsprechen des Begriffs und seiner Realität,

Das Entgleiten der inhaltlichen Methode in den formalen Progreß bzw. Regreß

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als eine Existenz, die er selbst ist, hervorgegangen" (VI, 551, „als" gesp. v. Verf.). „Denn da sie [die Methode] die absolute Form, der sich selbst und alles als Begriff wissende Begriff ist, so ist kein Inhalt, der ihr gegenüberträte und sie zur einseitigen, äußerlichen Form bestimmte" (VI, 568, „als" gesp. v. Verf.). Ein Bewußtsein, das in diesem Sinne Bewußtsein der Identität seiner selbst als Bewußthabendes und -gehabtes ist, ist in sich zweideutig, insofern es einerseits einen Fall seiner selbst darstellt, mit hinzugehört zu dem mit dem Gewußten identifizierten Wissen und damit zum Gesamtbestand des Gewußten und andererseits als das diese Identifikation vollziehende Wissen außerhalb derselben steht, mithin ein sich selber unbewußtes, schlichtes Sein ist. Das Bewußtsein vom Selbstbewußtsein gehört notwendig einer anderen Stufe an als das Selbstbewußtsein, das für es Objekt und Gewußtes ist. Indem es wissendes Subjekt, als solches aber sich selber unbewußt ist, bedarf es eines neuen Entfaltungsprozesses, an dessen Ende wieder ein Begriff von sich steht, für den dasselbe gilt und so in infinitum. Denn obzwar es in der absoluten Idee als totaler Bewußtheit nichts gibt, was nicht gesetzt und Begriff ist (vgl. VI, 573), bleibt sie selber ungesetzt. Der spekulative Grund für den Zusammenfall des abschließenden Begriffs der Logik mit dem anfangenden liegt in beiden Argumentationsversionen in der inneren Widersprüchlichkeit der absoluten Idee. Diese stellt nur einen Sonderfall des allgemeinen Paradoxie-Phänomens dar, das aus Semantik, Logik und Mengentheorie bekannt ist. Insbesondere zu den von Russell entdeckten und in den Principia Mathematica formulierten mengentheoretischen Paradoxien hinsichtlich der Menge aller Mengen oder Klasse aller Klassen besteht eine enge Beziehung des Hegeischen Totalitätsbegriffs. Wenn für die Menge aller Mengen, die sich selbst enthalten, gilt, daß sie sich nicht selbst enthält — denn um ihre Aufgabe erfüllen zu können, ausnahmslos alle Mengen, einschließlich ihrer selbst, in sich zu begreifen, kann sie unmöglich Element ihrer selbst sein —, so trifft Entsprechendes auch für Hegels Totalitätsbegriff zu sowie darüber hinaus für jeden, mag er ontologisch oder bewußtseinstheoretisch formuliert sein. Der Totalitätsbegriff muß die für jeden Begriff konstitutive Differenz von Aussagegehalt und Aussageform (id quod und modus quo) aufweisen: Ohne ersteren würde T o t a l i t ä t nicht begriffen, ohne letztere nicht b e g r i f f e n . Sofern besagter Begriff Begriff der T o t a l i t ä t ist, erfüllt er den durch die begriffliche Intentionalitätsstruktur entworfenen Rahmen möglichen Gehalts mit der Gesamtheit des nur Erdenkbaren, sich selber ein-

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geschlossen, und sofern er B e g r i f f der Totalität ist, bewahrt er die jedem Begriff eigentümliche Intentionalitäts- und Relationsstruktur zwischen Wissendem und Gewußtem und entzieht sich damit als Wissendes dem von ihm Intendierten. Rekurriert man auf die Internstruktur der Paradoxie, den Widerspruch, so sieht man sich letztlich der Frage konfrontiert, ob das Ganze der Widersprüche, das die Logik insofern darstellt, als sie keinen Teil enthält, der endgültig und fest und nicht dem Widerspruch unterworfen wäre, selbst widerspruchsvoll oder widerspruchslos sei. Aus dem Erörterten versteht sich, daß jede Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Version eine einseitige Privilegierung des stets beide Seiten umfassenden Sachverhalts bedeutet 97 . Diesem paradoxalen Charakter des Totalitätsbegriffs verdankt sich nicht allein die Stärke der Hegeischen Lösung des Progreß- und Regreßproblems, sondern auch ihre Schwäche. Denn ebenso wie derselbe in positivem Sinne dem unabsehbaren inhaltlichen Prozeß durch Rückbindung zu entgehen erlaubt, ist er in negativem Sinne Grund einer endlos gleichförmigen inhaltlichen Wiederholung. Die inhaltlich bedingte und bestimmte Methode mündet schließlich wieder in die formale ein. Nicht nur geht die formale dank der Einheit von Form und Inhalt in die inhaltliche über, sondern als systematisches Ganzes kehrt die inhaltliche in die formale zurück. Es bleibt allerdings noch ein Ausweg zu diskutieren, der nicht in die Konsequenz unendlicher gleichförmiger Iteration des Systems führt, sondern — was hier als Ausweg zu betrachten ist — in die unendlicher inhaltlicher Fortbestimmung bzw. rückläufiger Begründung. Richtig ist zwar, daß sich dem inhaltlichen progressus und regressus ad infinitum nur entkommen läßt durch die Konstruktion der Reflexion in sich, der Rückbindung der reichsten Bestimmung des Systems an die einfachste; fraglich ist jedoch, ob die absolute Idee de jure und nicht nur de facto die reichste Bestimmung ist. Das von Hegel zur Einteilung der Logik benutzte triadische Schema ließ ja die grundsätzliche Möglichkeit zu, die Logik als ganze genau wie ihre Teile unter den Primat eines bestimmten Aspekts neben andere gleichumfassende zu stellen und die absolute Idee nur als Durchgang zu komplexeren Inhaltsbestimmungen zu nehmen. Zumal die 97

Vgl. die bei A . Sarlemijn, a . a . O . , S. 102f dargestellte Kontroverse zwischen W . Sesemann: Zum Problem der Dialektik in Blätter für Deutsche Philosophie, Bd. 9, 1935/36, Heft 1, S. 28 — 61 und E. Weil: Hegel in Les philosophes celebres, Paris 1956 einerseits und ihm selbst andererseits, in der jene den Standpunkt der Widersprüchlichkeit, dieser den der Widerspruchsfreiheit vertritt.

Das Entgleiten der inhaltlichen Methode in den formalen Progreß bzw. Regreß

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Ubergänge innerhalb der Logik von Seins- zu Wesens- und von dieser zu Begriffslogik auf Totalitätsbegriffen basieren, wäre durchaus denkbar, daß analog dazu der absolute Totalitätsbegriff die Voraussetzung eines Uberschritts zu weiteren Bestimmungen bildet. Wie beispielsweise der Begriff der Totalität seinslogischer Momente als dieselben umfassend selbst nicht mehr deren Sphäre angehören kann, sondern einer anderen, die als Negat und positiver Nachfolger der ersten das Wesen ist, so muß auch der Begriff der Totalität des Begriffenen einer anderen Sphäre als dem Begriffenen zugerechnet werden, die als Negat und Nachfolger auftritt. In der Tat hat Hegel diese Überlegung zum Aufbau seines Gesamtsystems benutzt, das außer der logischen Wissenschaft die realen umfaßt, und in ihr den Ubergang von der ersteren zu den letzteren fundiert. Wie für alle Resultate innerhalb der Logik so gilt auch für das Endresultat, was Hegel im Methodenkapitel feststellt: „Von einer Seite ist die B e s t i m m t h e i t , welche sie [die Methode] sich in ihrem Resultate erzeugt, das Moment, wodurch sie die Vermittlung mit sich ist und den u n m i t t e l b a r e n A n f a n g zu e i n e m V e r m i t t e l t e n macht. Aber umgekehrt ist es die Bestimmtheit, durch welche sich diese ihre Vermittlung verläuft: sie geht d u r c h einen I n h a l t als durch ein scheinbares A n d e r e s ihrer selbst zu ihrem Anfange so zurück, daß sie nicht bloß denselben, aber als einen b e s t i m m t e n wiederherstellt, sondern das Resultat ist ebensosehr die aufgehobene Bestimmtheit, somit auch die Wiederherstellung der ersten Unbestimmtheit, in welcher sie angefangen" (VI, 568f). Die Gedoppeltheit jedes Resultats, derzufolge es zum einen in formaler Hinsicht Wiederherstellung der ersten Unmittelbarkeit durch Aufhebung der Vermittlung, zum anderen in materialer Hinsicht Weiterbestimmung gegenüber dem anfänglich Unmittelbaren ist, spiegelt sich auch im Schluß. Dem Methodenkapitel ist zu entnehmen, daß die absolute Idee einerseits „noch logisch, . . . in den reinen Gedanken eingeschlossen" ist (VI, 572), was sich daraus erklärt, daß sie als Vollendung des Zusichkommens des Begriffs noch mit zu diesem gehört, andererseits, daß sie „ T r i e b " ist, „diese [die Subjektivität] aufzuheben", so daß die Wahrheit als letztes Resultat zum „ A n f a n g e i n e r a n d e r e n S p h ä r e u n d W i s s e n s c h a f t " wird (VI, 572f). Systemimmanenz und -transzendenz äußern sich darin, daß die unbewußte Existenz des Begriffs totaler Bewußtheit, welche das Sein ist, eine zweifache Auslegung erlaubt: Mit ihr ist zum einen das anfängliche Sein der Logik als wiederhergestellte Unmittelbarkeit gemäß der formalen Methode gemeint, zum anderen das Ansichsein der Naturphilosophie als Weiterbestimmtes gemäß dem inhaltlichen Fortschritt.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Mag auch der Ubergang von der logischen zur naturalen Wissenschaft von anderer Art sein als die Übergänge innerhalb der ersten, nicht mehr in einer immanenten Selbstentfaltung des Begriffs bestehen, sondern, auf der Basis des entfalteten Begriffs, in einem Sichentäußern, einem ,freien Entlassen' 98 , analog dem christlichen Schöpfungs- oder neuplatonischen Emanationsgedanken, so bleibt der Grundgedanke, das Hinausgehen über einen erreichten Zustand in einen anderen, derselbe. Wie die Wissenschaft der Logik mit ihrer an und für sich seienden Totalitätsidee in das Ansichsein derselben in der Naturphilosophie übergeht, so geht dieses seinerseits in das Für-sich-Sein und An-und-für-sichWerden derselben in der Geistesphilosophie über, um schließlich in dem An-und-für-sich-Sein der Logik zu e n d e n " . Auf diese Weise schließt sich auch in diesem inhaltlich weiterbestimmten Systemgefüge der Kreis, ohne daß freilich abzusehen wäre, wie sich am Ende des Systems der Systeme alle jene Fragen, die unendliche formale Iteration wie die unendliche inhaltliche Fortbestimmung betreffend, welche sich am Schluß der Logik stellten, vermeiden lassen sollten. Sucht man nach den letzten Gründen der sowohl formalen wie inhaltlichen Prozeßstruktur, so wird man sie in Hegels Ansatz des Totalitätsbegriffs finden, der der Begriff einer synthetischen Einheit ist, aber so, daß sich diese Einheit dem von ihr Synthetisierten entgegenstellt und gleichwohl, um ihrem Anspruch zu genügen, eine neue Synthesis mit ihm eingeht, für die dasselbe gilt und so ins Unendliche. Die Hegeische Synthesiskonzeption basiert auf einer Dreier-Relation, in der das Eine-Ganze nicht in der Dualität der Relata aufgeht, sondern als Drittes und Eigenständiges sich derselben gegenüberstellt und folglich einer neuen Vermittlung bedarf. Flach 100 hat sehr richtig bemerkt, daß Hegel die ursprüngliche synthetische Einheit sozusagen unter der Hand und ohne daß er dessen gewahr wird, zu einer abgeleiteten entgleite. Da ihm Bestimmtheit immer noch als analytische Identität gelte, diese aber als Tautologie durchschaut sei, relativiere er sie im Sinne immanenter Gegensätzlichkeit. So jedoch werde die Einheit und Identität der gegensätzlichen Momente zu einem Dritten. Solange die Einheit den Status eines Ganzen wie eines Moments besitze, sei die Dialektik die unvermeidliche Konsequenz 101 . 98 99 100 101

Vgl. VI, 573. Vgl. VI, 573, Enzykl. § 18 (VIII, 64). A . a . O . , S. 75f. Eine Bestätigung erfährt dieses Ergebnis durch eine Beobachtung M.Theunissens, a . a . O . , S. 44. O b w o h l gerade er zur Ziehung der hier gezogenen Konsequenzen nicht bereit ist,

Das Entgleiten der inhaltlichen Methode in den formalen Progreß bzw. Regreß

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Der Zirkularität des Hegeischen Ansatzes ist nur durch eine prinzipiell anders geartete Theorie der Einheit zu entkommen, eine, die das All nicht ein-, sondern ausschließt 1 0 2 . Als Lösung Hegelscher Probleme bietet sich damit Fichtes Einheitsentwurf an, von dem aber die Untersuchung die Verwicklung in unüberwindliche Schwierigkeiten gezeigt hat. So ist denn die Situation als durchgehend aporetisch erwiesen.

102

weist er darauf hin, daß die Begriffslogik hinter ihrer Intention totaler Vermittlung zurückbleibe, weil sie weiterhin an reflexionslogischen Herrschaftsstrukturen festhalte. Dieses aber sind Strukturen, die die Relation unter dem Primat eines bestimmten Glieds behandeln. Desgleichen konstatiert Theunissen (vgl. besonders S. 50), daß sich die Begriffslogik nicht rein kommunikationstheoretisch im Sinne freier Anerkennungsverhältnisse — weniger anthropologisch ausgedrückt, im Sinne totaler Vermittlung - verstehen lasse, sondern allein auf dem Boden eines Absoluten, zu dem die Momente und das zu den Momenten in freier Anerkennung stehe. Auch dies führt zwingend auf die Annahme einer Dreier-Beziehung. Auf W. Flachs Lösung, wonach der Prinzipiengedanke von grundsätzlich anderer Struktur sein muß als die homogene Reihe, die er beschließt, weil er nicht mehr Glied derselben, sondern deren Abschluß bildet — was für das den Einheitsbegriff bedeutet, daß er nicht mehr synthetische Einheit von Zweiheit bzw. Identität von Differenten sein kann, sondern, in Zweiheit und Differenz aufgehend, reine Heterogenität oder Nur-Verschiedenheit (vgl. a . a . O . , S. 76) sein muß —, wird im letzten Teil der Arbeit zurückzukommen sein.

2. Abschnitt Die Antinomien der Extension Mit der vorangegangenen Untersuchung ist die Sphäre dessen zur Vollständigkeit erschöpft, was sich über das Strukturgefüge aus Einheit und Mannigfaltigkeit im Ausgang von der Einheit ermitteln läßt. In den Begriffen einer Einheit mit Aus- und mit Einschluß der Mannigfaltigkeit sind die beiden der Sache nach einzig möglichen und daher nicht zufällig die Theorietradition beherrschenden Positionen vorstellig gemacht und in ihre aporetischen Konsequenzen verfolgt worden. Dabei zeigte sich für die erstere eine Selbstwidersprüchlichkeit und -aufhebung, für die letztere ein progressus und regressus ad infinitum konstitutiv. Forscht man den Gründen dieser Schwierigkeiten genauer nach, so wird man feststellen, daß sie in beiden Fällen aus einer Verabsolutierung der Einheit, wiewohl in unterschiedlicher Hinsicht, resultieren, im einen Fall durch Generalisation der Einheit und Abstraktion von aller Mannigfaltigkeit, im anderen durch Spezifikation der Einheit und Integration der Mannigfaltigkeit. Beide Male geht mit der Verabsolutierung eine Individualisierung (Vereinzelung) einher, — dies nicht nur, wie man leicht zugesteht, im Falle der Exklusion der Mannigfaltigkeit, sondern auch in dem der Inklusion derselben. Letzteres findet eine Erklärung darin, daß der Gedanke einer Totalität nur dadurch möglich ist, daß die in ihm beschlossene Mannigfaltigkeit zu einem faden, blassen Innenhorizont absinkt. In demselben Maße, wie die Allheit in der Einheit zurücktritt, tritt die Einheit aus der Allheit hervor. Im Unterschied zur anschaulich apprehendierten Totalität, in der die Gesamtheit möglicher Teile durch Synopsis simultan präsent ist, allerdings in ihrer diskreten Pluralität, Differenz und Relationalität unbegriffen bleibt, wird die gedankliche Totalität in ihrer durchgängigen Bestimmtheit begriffen, allerdings um den Preis instanter Erfassung des Mannigfaltigen. Dessen Vergegenwärtigung und Explikation vermag nur sukzessiv zu erfolgen im Fortschritt von Einheit zu Einheit, so daß der Gedanke der Totalität oder vollständigen Bestimmung nichts anderes ist als das Schema eines permanenten Übergangs von Einzelheit zu Einzelheit. So verstanden stellt nicht nur die von der externen Mannigfaltigkeit sepa-

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rierte Einheit, sondern auch die von der internen isolierte eine Vereinzelung dar. Daß angesichts der Unwegdenkbarkeit des Mannigfaltigen ein Einspruch gegen beide Konzeptionen erfolgen muß, liegt auf der Hand, und er äußert sich im einen wie im anderen Fall in einem Widerspruch, im ersten wegen der bewußten Ausklammerung des Mannigfaltigen in Form einer Selbstaufhebung der These, im zweiten wegen der bewußten Hineinnahme des Mannigfaltigen in Form einer ständigen Regeneration der These, deren Folge der infinite Progreß und Regreß ist. Versucht man, der Individuation einen erkenntnistheoretischen Ort zuzuweisen, so wird man hierfür den logischen Bereich nennen müssen; die Individuation selbst wird man als Methode des endlichen und verendlichenden diskursiven Verstandes anzusprechen haben. Denn der Verstand ist das Vermögen des κρίνειν, des Sonderns und Scheidens von Elementen. Um etwas als etwas, als dieses und nicht als jenes ansprechen zu können, bedarf es der Ausgrenzung des Betreffenden aus einem Feld von Möglichkeiten, mit der eine Abgrenzung gegen anderes, prinzipiell gegen alles andere, einhergeht. Dieser Vorgang findet sowohl gegenüber dem Außenwie Innenfeld statt mittels der beiden logischen Operationen, die als Generalisation und Spezifikation bezeichnet zu werden pflegen und deren Produkte das abstrakt Allgemeine und das konkrete Ganze sind. Von hier erweisen sich retrospektiv die im Vorhergehenden exponierten Konzepte als begriffliche und ihre Aporien als ebensolche. Sie sind gebunden an das Denken und an den Versuch einer begrifflichen Bewältigung des Strukturgefüges. Es wäre daher im Prinzip vorstellbar, daß sich bei andersartigem Ansatz, nicht des Denkens als Fundamentalprämisse, sondern der Anschauung, die Aporien vermeiden ließen. Wie es damit steht, ob die anschauliche Interpretation frei von jedweder Schwierigkeit ist oder in ihrer Dimension und auf ihre Weise das logische Dilemma wiederholt, das zu überprüfen ist Aufgabe der weiteren Untersuchung. Damit ist das Programm des folgenden Teils in groben Zügen umrissen. Mit dem Übergang vom logischen zum a-logischen oder besser: prälogischen Bereich begibt sich die Erörterung auf einen neuen, obzwar nicht minder komplexen und komplikationsreichen Boden. Fand sie den Ansatzpunkt ihrer bisherigen Analysen in der begrifflich erfaßten und sprachlich artikulierten Einheit und Mannigfaltigkeit, so sieht sie sich nun auf deren anschauliche Grundlagen verwiesen, auf Extension und Begrenzung. In Entsprechung zu den beiden möglichen Einheitsbegriffen, die das exklusive wie inklusive Verhältnis zur Mannigfaltigkeit thematisierten, hat sie die beiden möglichen Extensionsphänomene in ihrem exklusiven wie

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inklusiven Verhältnis zur Begrenzung zu entwickeln und zu diagnostizieren. Mit dem ersteren ist die grenzenlose Ausdehnung, mit dem letzteren ein begrenzter Ausschnitt aus dieser, ein sog. Intervall, gemeint, Da es jedoch weder in der Umgangssprache noch in der philosophisch-wissenschaftlichen Kunstsprache üblich ist, von Extensionsphänomenen zu sprechen im Gegensatz zur üblichen Rede von Einheitsbegriffen, da man statt dessen vielmehr die Ausdrücke „Kontinuum" und „Gestalt" verwendet, sollen diese um der Usance willen beibehalten werden. Dabei lehrt ein Blick auf das eingangs exponierte anschauliche Formensystem 1 , daß es sich bei denselben um spezifische Auslegungsweisen der Extension handelt, beim Kontinuum um die relationale der uneingeschränkten Extension und bei der Gestalt, die mit Figur, Umriß, Ausdehnungsgröße synonym ist, um die quantitative der begrenzten. Sie stehen hier als pars-pro-totoBezeichnungen. Daß ein Verweisungszusammenhang mit den übrigen Extensionsformen de facto besteht, bestätigt zum einen s a c h l i c h die Interdependenz und Wechselimplikation aller Formen, zum anderen h i s t o r i s c h das Faktum, daß das Kontinuumsproblem stets, oft sogar in ausdrücklichem Bewußtsein, mit der Behandlung von Problemen der Unendlichkeit, Homogenität und Anschauung einhergeht und das Gestaltproblem mit Fragen der Abgrenzung nach außen wie innen auch solche der Distinktion und Diskretion tangiert. Mit dem Perspektivenwechsel in der Betrachtung des Strukturgefüges vollzieht sich in der vorliegenden Untersuchung ein Methoden Wechsel, der historisch bedingt ist und seine Erklärung in dem Umstand findet, daß Extensionsphänomene im Gegensatz zu Einheitsbegriffen in der Geschichte philosophischer Systembildungen keine eigene Thematisierung als Prinzipien erfahren haben, offensichtlich deshalb, weil sie nur das a quo, nicht das ad quem systematisierender Bestrebungen sind. Selbst dort, wo Extensionalität in der spezifischen Form der Zeit zum Prinzip dient wie in den phänomenologischen Konstitutionstheorien und existentialistischen Fundamentalontologien, wird sie entweder direkt aus dem Bewußtsein interpretiert oder indirekt über die Identifikation bzw. Analogisierung der ihr supponierten Selbstreferenz mit der Selbstreflexion und kommt so als das essentiell Andere intellektueller Formgebung nicht zu Gesicht. Die Exposition der Extensionsphänomene kann daher nicht mehr so wie im vorangehenden Abschnitt anhand einzelner historischer Paradigmen erfolgen, sie muß sachgeleitet geschehen, obwohl auf historische Beispiele rekurrie1

Vgl. S. 2 7 f .

Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen V e r f a s s u n g

181

rend. Ihre Probleme müssen dort aufgegriffen werden, wo sie eigens Untersuchungsobjekt sind; das ist einzig in der Grundlagenforschung von Fachdisziplinen der Fall: was das Kontinuum betrifft, in der von Mathematik und Naturwissenschaft, und was die Gestalt anlangt, in einem modernen Zweig der Psychologie, der unter dem Namen „Gestaltpsychologie" bekannt ist. Die Untersuchung bewegt sich damit noch keinen Schritt innerhalb dieser Disziplinen, sondern verbleibt ausschließlich in der Dimension von deren philosophischen Grundlagen. Wenn sich die Darstellung von dieser Seite frei von jenen Schwierigkeiten weiß, die mit der Erörterung von Sachproblemen in historischem Kontext verbunden sind, so ersteht ihr auf der anderen Seite ein neues, nicht weniger kompliziertes Problem in der Zugangsgewinnung und adäquaten Erfassung der extensionalen Sphäre. Im Parmenides hatte Piaton das Andere als das Eine (τά άλλα) im Ausgang von dem Einen als das Nicht-Eine bestimmt. Mit dieser Festlegung verband sich nicht nur die Negation des Einen, sondern zugleich die Position des kontradiktorischen Gegenteils, wobei dieses gemäß dem Postulat weder Eines resp. Einheit s e i n , noch Einheit an sich h a b e n durfte, vielmehr ein einheitsloses Feld ausmachen mußte. D a es als Setzung des Bewußtseins jedoch Eines blieb, war damit der Konflikt zwischen dem unabdingbaren Postulat eines Nicht-Einen und dem faktischen thetischen Bewußtsein eines Einen vorgezeichnet. In Ubereinstimmung mit der Platonischen Grundkonstellation stellt sich für den jetzigen Teil der Arbeit die Aufgabe, im Ausgang von der Einheit durch Negation derselben eine angemessene Vorstellung von dem ihr wesenhaft Anderen, der Extension, zu gewinnen. Da alles Begreifen und sprachliche Artikulieren an Einheit resp. deren Plural gebunden ist, ist diese Bemühung gleichzeitig zu verstehen als eine um den angemessenen Zugang vom Begreifbaren aus zum Unbegreifbaren, rein Anschaulichen. Da Extensionales als Gegenstand des Bewußtseins auch wiederum ein Begriffenes und insofern Eines ist, kann auch hier die Diskrepanz zwischen der Forderung nach einer a-begrifflichen, einheitslosen Ebene und dem faktischen Bewußtsein einer begriffenen, die Eine ist, nicht ausbleiben, so daß eine Wiederaufnahme von Problemen zu erwarten steht, die im zweiten Teil des Parmenides bei der Erörterung der letzten beiden Hypothesen eine Rolle spielten.

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1. Kapitel Extension mit Ausschluß der Begrenzung (Kontinuum) 1. Das Problem Das Kontinuumsproblem ist nicht nur eines der ältesten, sondern auch fundamentalsten Probleme der Philosophie. Seitdem es sich in Zenons Paradoxien erstmals in der Geschichte des abendländischen Denkens stellte, ist es nicht wieder verstummt und hat nichts an Aktualität eingebüßt. Soviel Versuche zu seiner Auflösung oder gar zu seiner Existenzbestreitung auch unternommen worden sind, das Faktum, daß es sich heute mit gleicher Macht aufdrängt wie eh, ist Beweis dafür, daß sich eine akzeptable Lösung bisher nicht hat finden lassen. Mit dem Kontinuumsproblem ist die Frage nach der Struktur desselben angesprochen, die Frage, ob es begrifflicher oder anschaulicher Provenienz sei, ob es sich einem mathematischen oder, allgemeiner, rationalen Algorithmus unterwerfen und damit letztlich auf den Logos reduzieren lasse oder sich rationaler Bemeisterung gänzlich entziehe und ein Phänomen darstelle, das nur in schlichter Anschauung ergriffen werden könne. Im ersteren Fall wäre das Kontinuum als ein dem Verstand und seiner Strukturgebung: dem Einen, Einfachen, Ungeteilten und deren Potenzierung unterworfener Sachverhalt in eine Punkt- bzw. korrelative Zahlenmannigfaltigkeit auflösbar, im letzteren präsentierte es sich als ein irreduzibler Anschauungsinhalt in Form einer lückenlos zusammenhängenden Extension. Mit dieser Frage ist zugleich die weitergehende einer Reduzibilität aller Strukturen auf die Form des Verstandes oder einer prinzipiellen Independenz einiger aufgeworfen — die Frage also nach einem monistischen oder dualistischen Ansatz von Seins- und Erkenntnisstrukturen. Angesichts der Tatsache, daß das Kontinuumsproblem heute fast ausschließlich von der Mathematik okkupiert ist und infolgedessen als mathematisches Problem auftritt, gilt es mit Nachdruck darauf hinzuweisen, daß es sowohl seinem Ursprung wie seiner Bedeutung nach philosophischer Natur ist, in specie ontologisch-erkenntnistheoretischer. Sein erstes Auftreten fällt in die frühgriechische Arche-Forschung. Es war Parmenides, der die Frage nach dem einheitlichen Weltgrund, aus dem die Gesamtheit des Seienden deduzierbar sein soll, mit dem Ansatz eines öv beantwortete, das, abgesehen von einer Reihe negativer Prädikate, durch die positive

D a s Problem

183

Trias πάν, εν, συνεχές charakterisiert ist und damit anzeigt, daß die Struktur des Kontinuums dem Einen-Ganzen eignet 2 . Diese These erscheint plausibel, da das Eine, welches zugleich das All bedeutet, nur als einheitlich Zusammenhängendes vorstellbar ist. Was Parmenides direkt zu erweisen suchte, versuchte sein Schüler Zenon indirekt durch Negation der Vielheit des Seienden und der mit ihr verbundenen Bewegung und Veränderung, wobei er sich des Arguments bediente, daß jenes Eins-Seiende, das einer möglichen, wenngleich zu negierenden Vielheit zum Substrat dient, nicht anders denn als allbefassendes Kontinuum konzipiert werden kann 3 . Obwohl das Kontinuumsproblem in der Tradition gelegentlich in Einzelwissenschaften wie der Physik 4 , der Mathematik und sogar der Theologie 5 auftrat und mit entsprechenden einzelwissenschaftlichen Mitteln behandelt wurde, hat es seine zentrale philosophische Relevanz erst mit der Entwicklung der neuzeitlichen Infinitesimalrechnung verloren. Die Einführung des Limesbegriffs durch Cauchy und die dadurch ermöglichte strenge Begründung der Infinitesimalrechnung ließ den Mathematikern Weierstraß, Dedekind, Cantor, um nur einige zu nennen, das Problem endgültig exakt, sprich: mathematisch, lösbar erscheinen, dadurch daß es in eine überabzählbare Menge von Punkten resp. reellen Zahlen transformiert wurde. Diese mengentheoretische Betrachtung beherrscht in verschiedenen Varianten, meist nicht mehr in der frühen, naiven, sondern in der nach Bekanntwerden der Russellschen Paradoxien axiomatisch verbesserten Fassung, die Mathematik. Bemerkenswerterweise hat sich jedoch im ersten Quartal dieses Jahrhunderts in den Mathematikerkreisen selbst die Einsicht in die Einseitigkeit und Unzulänglichkeit einer rein mengenund zahlentheoretischen Deutung Bahn gebrochen. In Intuitionismus 6 und 2

3

4 5 6

Vgl. frag. 8, 5—6. In 8, 22, 49 tritt noch ό μ ο ΐ ο ν , ό μ ω ς hinzu, was darauf deutet, daß das kontinuierliche E i n e - G a n z e immer auch als h o m o g e n a u f z u f a s s e n ist, vgl. hierzu S. 186 Anm. 11. A u f das Vorliegen von Kontinuität weist nicht zuletzt die Tatsache, daß das E i n e - G a n z e v o m ν ο ϋ ς erfaßt wird, der ursprünglich „ B e m e r k e n " , „ V e r n e h m e n " , „ W a h r n e h m e n " , „ A n s c h a u e n " bedeutet. D a s E i n e - G a n z e gibt sich damit als A n s c h a u u n g s i n h a l t zu erkennen. S. Aristoteles: Physik; vgl. S. 1 8 8 f f , 2 0 8 f f dieser Arbeit. Vgl. W. Breidert: D a s aristotelische K o n t i n u u m in der Scholastik, M ü n s t e r 1970. Vgl. die Arbeiten L . E . J . B r o u w e r s , in Ausschnitten zusammengestellt bei O . B e c k e r : G r u n d l a g e n der Mathematik in ihrer geschichtlichen E n t w i c k l u n g , F r e i b u r g / M ü n c h e n 2. A u f l . 1964, ebenso die als „ H a l b i n t u i t i o n i s m u s " und „ I n t u i t i o n i s m u s " bezeichneten Arbeiten H . W e y l s : D a s K o n t i n u u m , L e i p z i g 1918, U b e r die neue G r u n d l a g e n k r i s e der Mathematik in Mathematische Zeitschrift, B d . 10, 1921. D i e R i c h t u n g wird heute fort-

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phänomenologisch orientierter Grundlagenforschung 7 setzte sich das Bewußtsein von der Notwendigkeit einer Berücksichtigung des phänomenalen Charakters des Kontinuums durch. Und in jüngster Zeit sind Bestrebungen im Gange, beide Aspekte zu vermitteln, das Kontinuum vom Odeur eines mathematischen Spezialproblems zu befreien und ihm seine philosophische Bedeutung zurückzugeben 8 . Wenn vom Kontinuum die Rede ist, darf die Unendlichkeitsvorstellung nicht fehlen. Denn wie immer auch das Kontinuum ausgelegt wird, ob begrifflich als Punktmenge oder anschaulich als Extension, stets ist der Begriff des Unendlichen im Spiel, sei es in Form der unendlichen Punktmenge, sei es in der der unendlichen Extension. Da die Vorstellung von Unendlichkeit unlösbar mit der des Kontinuums verbunden ist, stellt sich auch für sie die Frage nach ihrer Provenienz. Auch hier gilt es die Alternative zu entscheiden, ob die Unendlichkeit erst mit der mathematischrationalen Interpretation des Kontinuums, der Punktualisierung desselben, auftritt und damit auf das Konto des teilenden und zählenden Verstandes geht oder ein Urphänomen darstellt, freilich mit all den begrifflichen Schwierigkeiten, die der Ansatz eines End-losen, Unabgeschlossenen impliziert, das gleichwohl als ein fertig Vorliegendes und somit Abgeschlossenes gegeben sein soll. Angemerkt sei, daß die historisch so relevant gewordene Distinktion von aktualer und potentialer Unendlichkeit nicht ohne weiteres der von phänomenaler und rationaler Unendlichkeit gleichzusetzen ist, etwa in dem Sinne, daß die aktuale der phänomenalen und die potentielle, verstanden als ständige Wiederholbarkeit des Gleichen, der rational-punktuellen entspräche; denn hiergegen wäre einzuwenden, daß die unendliche Punkt- (oder Zahlen-)menge ebensowohl verstanden werden kann als potentielle, die durch die mathematische Konstruktion der Teilung und Zählung erst hervorzubringen ist, wie als aktuale, die immer schon vorliegt und durch die genannte Operation nur zu explizieren und ins Bewußtsein zu heben ist. Zugleich läßt das Argument erkennen, daß die Kontroverse gesetzt im Konstruktivismus besonders der Erlanger Schule: s. die Arbeiten von P. Lorenzen: Konstruktive Logik, Ethik und Wissenschaftstheorie, Mannheim, Wien, Zürich 1973, Konstruktive Wissenschaftstheorie, Frankf. a. M. 1974. 7

8

O . Becker: Beiträge zur phänomenologischen Begründung der Geometrie und ihrer physikalischen Anwendungen in Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Bd. 6, 1923. Vgl. die Untersuchungen von F. Kaulbach, vor allem den Aufsatz: Philosophisches und mathematisches Kontinuum in Rationalität — Phänomenalität — Individualität, Festschr. für H . u. M. Glockner, Bonn 1966, S. 1 2 5 - 1 4 7 .

D a s Problem

185

zwischen Aktualität und Potentialität lediglich ein Spezialproblem innerhalb der punktuellen Unendlichkeitsauffassung bildet und auch nur innerhalb dieser sinnvoll ist; denn eine Anwendung auf das anschaulich-extensionale Unendliche verbietet sich schon deswegen, weil der Gedanke ständiger Iteration des Gleichen, d. h. Wiederkehr eines Begrenzten, Endlichen, inkompatibel ist mit dem Ansatz eines vorgegebenen ExtensionalUnendlichen 9 . Wenngleich das Unendliche in seinen beiden möglichen Formen, dem Unendlich-Großen wie dem Unendlich-Kleinen, in der Neuzeit zum bevorzugten Gegenstand von Mathematik und Physik geworden ist — ersteres im Rahmen der Infinitesimalrechnung, letzteres im Rahmen der Kosmologie — und hierin einerlei Schicksal mit dem Kontinuum hat, ist im Auge zu behalten, daß es sowohl seiner historischen Herkunft wie auch seinem sachlichen Gehalt nach alles andere als ein mathematisch-physikalischer Gegenstand ist. Vor aller einzelwissenschaftlichen Verwendung ist es ein metaphysisches Objekt. Es sei in Erinnerung gebracht, daß es gleich dem συνεχές seinen Ursprung der griechischen Arche-Forschung verdankt. Wenn Anaximandros die άρχή mit dem άπειρον identifiziert aufgrund des Arguments, daß das, was keine Grenzen, also auch keinen Anfang hat, selbst der Anfang sein müsse 1 0 , so kommt dem άπειρον hier dieselbe Funktion zu wie dem Parmenideischen συνεχές. Nicht von ungefähr ist das Unendliche später immer wieder zur Charakteristik des ersten und höchsten Prinzips — theologisch zur Beschreibung Gottes — herangezogen worden. Dieser Hinweis mag genügen, sein Nichtrestringiertsein auf die mathematisch-physikalische Sphäre und seine eigentliche philosophische Bedeutung zu vergegenwärtigen. In den Umkreis der genannten Probleme gehört als drittes das H o m o genitätsproblem, obzwar es weder philosophisch noch mathematisch jemals dieselbe Beachtung gefunden hat wie die beiden anderen, oft sogar in seiner Zugehörigkeit verkannt worden ist. Dennoch zählt Homogenität mit zu

9

U m Mißverständnissen v o r z u b e u g e n , sei darauf hingewiesen, daß sich der Begriff der Potentialität des Unendlichen auf die O b j e k t e , die gesetzt werden k ö n n e n , in diesem Fall auf die P u n k t e und Zahlen, nicht auf das subjektive V e r m ö g e n der Setzung bezieht. N i c h t dieses als Bewußtseinstatsache ist ein bloß mögliches, s o n d e r n ein wirkliches. U n d es bedeutet keinen Widerspruch, wenn auf der einen Seite den P r o d u k t e n desselben potentielle Unendlichkeit z u g e s p r o c h e n und auf der anderen es selbst als aktuale Gegebenheit betrachtet wird.

10

H . Diels: D i e F r a g m e n t e der Vorsokratiker, hrsg. v. W. K r a n z , 5. A u f l . Berlin 1934, B d . 1, S. 89, frag. 1, 1 1 - 1 5 , vgl. Aristoteles: Physik I I I , 4 ( 2 0 3 b 4 - 7 ) .

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dem Komplex 1 1 , und zwar sowohl zu dessen rationaler wie phänomenaler Interpretation, ersteres in Gestalt der Gleichartigkeit der unendlichen Punktmenge, der unendlichen Wiederkehr des Gleichen, letzteres in Gestalt der Gleichartigkeit der unendlichen, stetigen Extension. Folglich kann auch hinsichtlich der Homogenität die Frage nach deren originärer Natur nicht ausbleiben: Ist Homogenität auf eine logische Identitätsstruktur reduzierbar, oder stellt sie ein irreduzibles Datum dar, das den Grund dafür abgibt, daß bei der Teilung „die Teile der Teile in genau derselben Weise Teile des Ganzen [sind], wie die ursprünglichen Teile" 1 2 , so daß es keine näheren und ferneren Teile gibt. Im ersteren Fall wäre die Identität des Verstandes Grund der anschaulichen Homogenität mit der Konsequenz, daß selbst im Falle einer von Natur inhomogenen Anschauung diese gemäß dem Homogenitätsaxiom zu durchgängiger Homogenität ergänzt werden müßte, im letzteren Fall wäre die anschauliche Gleichförmigkeit Grund der ins Unendliche möglichen gleichartigen Verstandesoperationen. Alle drei Probleme gehören zusammen, da es in jedem von ihnen um die Frage nach der ursprünglichen Beschaffenheit einer Struktur, deren Rationalität oder Phänomenalität, geht. Die beiden möglichen Standpunkte differieren nicht nur hinsichtlich ihrer jeweiligen Präferenz, sondern auch hinsichtlich ihrer Beziehung zur Gegen these. Während die rationale Position die Punkt- resp. Zahlenmenge für den einzig legitimen, weil wissenschaftlich exakten Kontinuumsbegriff hält, hingegen das anschauliche Kontinuum zu einer unwissenschaftlichen Vorstellung oder, wie Cantor überspitzt sagt, zu einem ,Mysterium' und ,religiösen D o g m a ' 1 3 disqualifiziert, bestimmt die phänomenale Position das Verhältnis beider dahingehend, daß sie das anschauliche Kontinuum für ein unbestreitbares Faktum nimmt und das punktuelle für dessen rationale Interpretation. D a auch die rationale Position, wenngleich sich 11

D i e Verwandtschaft der drei B e s t i m m u n g e n läßt sich auch historisch belegen, dadurch daß H o m o g e n i t ä t ebenfalls ihren ursprünglichen O r t im R a h m e n der A r c h e - F o r s c h u n g hat. So beschreibt Parmenides das Eins-Seiende nicht allein als συνεχές, sondern ebenso als ό μ ο ΐ ο ν (frag. 8, 22, 49) und vergleicht es einer wohlgerundeten K u g e l , die von der Mitte her überall gleichgewichtig und gleichmäßig ist, weder da stärker, noch dort schwächer (frag. 8, 4 2 - 4 9 ) . U n d das ά π ε ι ρ ο ν des A n a x i m a n d r o s , das - wie überhaupt im Griechischen - die D o p p e l b e d e u t u n g von quantitativer Unendlichkeit und qualitativer U n b e s t i m m t h e i t hat, bezeichnet im letzteren Fall nicht, wie gelegentlich a n g e n o m m e n wird (vgl. H . Schmitz, a . a . O . , B d . 1, S. 3 8 0 f f ) , Indifferenz, C h a o s , sondern H o m o genität, da diese allein die Basis für qualitative Unendlichkeit abgibt.

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H u s s e r l : L o g i s c h e U n t e r s u c h u n g e n , II, 1. Teil, § 19, S. 269. G . C a n t o r : G e s a m m e l t e A b h a n d l u n g e n mathematischen und philosophischen hrsg. v. E . Z e r m e l o , Berlin 1932 ( N a c h d r u c k H i l d e s h e i m 1962), S. 191.

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Inhalts,

Das Problem

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selber unbewußt, nicht ohne ein anschauliches Kontinuum neben dem rationalen auskommt, ist der Weg für die folgende Kontinuumsdiskussion, was deren Ausgang und Ziel betrifft, vorgezeichnet: Auszugehen sein wird von der generell akzeptierten, jedoch unzureichenden logischen Konzeption und von dort ein wissenschaftlich gesicherter Zugang zum phänomenalen Kontinuum gebahnt werden müssen. Hierbei darf eine Position'nicht unerwähnt bleiben, die einen Vermittlungsversuch zwischen beiden Extremen unternimmt, insofern sie das Kontinuum operativistisch in bezug auf die Verstandeshandlungen, die an ihm vollzogen werden können, interpretiert. Im ganzen werden so drei Stadien zu durchlaufen sein: 1. eine logische Auffassung, 2. eine operativistische und 3. eine phänomenale. Die Untersuchung verfolgt die Intention, die anschauliche Konzeption als die ursprüngliche und basale zu legitimieren, und dies mit Hilfe des Nachweises von Inkonsequenzen und Inkonzinnitäten der anderen Auffassungen. Allerdings wird eine profundere Analyse der anschaulichen Konzeption zeigen, daß auch sie mit Schwierigkeiten behaftet ist, jedoch solchen konstitutioneller und unvermeidbarer Art. Bevor wir uns der skizzierten Aufgabe zuwenden, ist eine prinzipielle Bemerkung vorwegzuschicken. Der Kontinuumsbegriff soll im folgenden im allgemeinsten und weitesten Sinne genommen werden; unter ihn soll jede Art von Kontinuum, sofern es unendlich und homogen ist, subsumierbar sein. Das bedeutet, daß nicht nur die üblichen Kontinua: Raum, Zeit und Bewegung angesprochen sind, sondern beispielsweise auch Farbund Tonkontinua, mögen sie qualitativer oder intensiver Art sein, d. h. den allmählichen Ubergang von Qualitäten oder den von Intensitäten bei konstanter Qualität betreffen. Die letztgenannten Kontinua sind, idealiter betrachtet, nicht weniger unendlich und homogen als die ersten. Mögen sie empirisch wegen der physiologischen Reizschwelle für Unterschiedsempfindungen stets nur endlich viele Nuancen und Grade zu erkennen geben, so gilt Entsprechendes auch von Raum, Zeit und Bewegung. Sowenig im letzten Fall die praktischen Grenzen der Teilung und Erweiterung die unendliche Teilbarkeit und Erweiterbarkeit bei methodischer Idealisierung hindern, sowenig hindern sie im ersten die Abhebung unendlich verfeinerter Stufen. Und homogen sind die Skalen in demselben Sinne zu nennen, in dem auch Raum und Zeit trotz des Neben- oder Nacheinander ihrer Teile, also trotz deren Stellenverschiedenheit, gleichartig genannt werden, nämlich in dem, daß die Eigenschaften der Teile dieselben sind wie die des Ganzen. Mögen daher auch die Teile nach Qualität oder Stärke (Grad) differieren, so stimmen sie doch darin überein, daß für jeden von ihnen

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

dasselbe gilt wie für das Ganze. Folglich ist auch auf diese Kontinua die Definition anwendbar, die Husserl von extensiven Ganzen gibt: „Wenn ein Ganzes eine derartige Zerstückung zuläßt, daß die Stücke ihrem Wesen nach von derselben niedersten Gattung sind, als welche durch das ungeteilte Ganze bestimmt wird, so nennen wir es ein e x t e n s i v e s G a n z e s , seine Stücke e x t e n s i v e T e i l e " 1 4 . Obzwar der hier gebrauchte Begriff des Extensiven auf die räumlichkopräsente Extension nicht eingeschränkt ist, vielmehr alle Arten umfaßt, ist die räumliche Extension unzweifelhaft die anschaulichste und bildhafteste, die daher auch den übrigen zum Modell dient. Hierin ist der Grund zu sehen, weshalb wir uns im folgenden auf den Raum bzw. eine seiner Gestalten, die Linie, beschränken. Freilich ist eine solche Beschränkung nicht unproblematisch. Die Problematizität betrifft weniger die Restriktion auf ein eindimensionales Kontinuum, da sich dessen Verhältnisse mühelos auf mehrdimensionale ausdehnen lassen, als vielmehr die Restriktion auf ein endliches, begrenztes Gebilde, an dem das unendliche, unbegrenzte Kontinuum expliziert werden soll. Zur Verteidigung könnte das Argument herangezogen werden, daß der Kontinuumsausschnitt beliebig erweiterbar ist. Jedoch auch so bleibt die Begrenzung, die das reine Kontinuum negiert, erhalten. Spätere Analysen werden zeigen, daß die Repräsentation des unbeschränkten Kontinuums an einem beschränkten nicht zufällig ist, daß hierin gerade seine konstitutionelle Aporie besteht. Für eine methodisch einwandfreie Untersuchung ergibt sich daher das komplizierte Problem, den Kontinuumsausschnitt zwar zugrunde zu legen, jedoch bei ihm nicht stehenzubleiben, sondern über seine Begrenztheit hinwegzugehen.

2. Das mathematisch-rationale Kontinuum Die rationale Kontinuumsauffassung kann auf eine mehr als zweitausendjährige Geschichte zurückblicken. Wiewohl es nicht unsere Absicht ist, einen Aufriß ihrer geschichtlichen Entwicklung zu geben, erscheint es dennoch ratsam, sie anhand der Lehren zweier ihrer bedeutendsten Exponenten zu exemplifizieren, anhand der antiken Paradoxien Zenons und anhand der modernen Mengenlehre Cantors. Durch diese Zusammenstellung soll weniger die historische Kontinuität einer bestimmten Kontinuumsauslegung erwiesen, als vielmehr gezeigt werden, daß trotz einer radikalen 14

H u s s e r l : L o g i s c h e U n t e r s u c h u n g e n , II, 1. Teil, § 17, S. 267.

Das mathematisch-rationale Kontinuum

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Einstellungsänderung gegenüber exakten mathematischen Grenzgebilden (Punkten) 15 die Schwierigkeiten dieser Konzeption dieselben geblieben sind, offensichtlich deshalb, weil sie deren Grundansatz betreffen. Zenons Paradoxien sind nicht im Original tradiert. Bekannt sind sie nur durch die Vermittlung des Aristoteles, der sie im VI. Buch seiner Physik, Kapitel 9, sowie an zwei weiteren Stellen: Buch VI, 2 und Buch VIII, 8 darstellt 16 . Von einigen unbedeutenden Anspielungen anderer antiker Autoren kann abgesehen werden, zumal es sich bej diesen ausnahmslos um Aristoteles-Kommentatoren handelt 1 7 ' 1 8 . Schon diese Überlieferungslage, die einen Vergleich mit anderen Quellen ausschließt und damit auch offenläßt, ob und wieweit die Aristotelische Wiedergabe in Inhalt und Form authentisch oder tendenziös ist, verbietet es, bei der Exposition Anspruch auf historische Authentizität zu erheben. Dies ist ein Grund mehr, philologische Fragen auszuklammern und sich auf eine Sacherörterung zu beschränken. Die Zenon zugeschriebenen Argumente — vier an der Zahl, die unter dem Namen „Dichotomie", „Achill und die Schildkröte", „der fliegende Pfeil" und „das Stadion" bekannt sind 19 — richten sich nach Aristoteles insgesamt gegen Bewegung, deren Möglichkeit und Wirklichkeit. Zu diesem Zweck bedienen sie sich eines Beweisverfahrens, das die Unmöglichkeit und Nichtexistenz von Bewegung aus unvereinbaren Prämissen zu erschließen sucht, und zwar aus der Kontinuitäts- und Pluralitätsannahme. Hierin liegt bereits ein Hinweis, daß das eigentliche Problem nicht speziell kinematischer Natur ist, sondern allgemein struktureller und die Kompatibilität bzw. Inkompatibilität von Kontinuitäts- und Pluralitätshypothese betrifft. Die Paradoxien haben keineswegs nur und schon gar nicht primär phoronomische Bedeutung; nicht einmal die Konstituentien von Bewegung: Raum und Zeit sind vorzugsweise betroffen, vielmehr haben die Paradoxien generelle Anwendbarkeit und tauchen überall auf, wo das Verhältnis zwischen kontinuierlicher Extension und diskreter Pluralität thematisch ist. Das tiefere Verständnis der Zenonischen Argumente führt daher von der 15 16

17 18

19

Zum Unterschied zwischen antiker und neuzeitlicher Mathematik vgl. S. 202f, 222 ff. Nur die erstgenannte enthält eine vollständige Aufführung der Paradoxien, die beiden letzteren nehmen lediglich auf das Dichotomie-Argument Bezug. Etwa Plutarch. Inwieweit Piatons Parmenides in der herausragenden Position (zwischen der zweiten und dritten) eine Stellungnahme zu Zenons Paradoxien enthält, ist in der Forschung noch nicht untersucht worden. Offensichtlich handelt es sich bei diesen Kurztiteln um schulmäßige Bezeichnungen, von denen zumindest der „sog. Achill" bereits auf Aristoteles, VI, 9, 239b 14 zurückgeht.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

oberflächlichen Paradoxie der Bewegung zu einem fundamentaleren Strukturproblem 2 0 . Es ist das letztere, welches folglich im Mittelpunkt unserer Untersuchung wird stehen müssen. Ein Beleg für die Richtigkeit dieser Interpretation findet sich in Piatons Parmenides 1 2 7 e f f . Nach der von Piaton gegebenen Auskunft verfolgt Zenon als Vertreter eines absoluten Monismus mit allen seinen Argumenten das Ziel, Vielheit ad absurdum zu führen. Von Bewegung speziell ist bei Piaton auffälligerweise nicht die Rede. Sie ist nur insofern mitgemeint, als die Befindlichkeit eines Gegenstands an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten, welche wir Bewegung nennen, ein Anwendungsfall von Vielheit ist. Da jedes der vier Argumente Zenons, was die Pluralitätshypothese anlangt, einer zweifachen Auslegung fähig ist, sowohl einer atomistischen wie einer punktuellen 2 1 , müssen beide Versionen auf ihren Aussagegehalt und ihre Konsequenzen überprüft werden. Zu diesem Zweck sind sie kurz vorzustellen. Aus systematischen Gründen beginnen wir anders als in der Reihenfolge des Aristoteles mit jenen Argumenten, die einen Atomismus nahelegen, freilich auch nach der Punkte-Theorie interpretierbar sind, und gehen dann zu jenen über, bei denen das Umgekehrte der Fall ist. Das Pfeil-Argument will beweisen, daß ein fliegender Pfeil sich in jedem Moment seines Fluges an einem bestimmten Ort befindet, mithin ruht und gerade nicht bewegt. Wegen der Ruhelage des Pfeils ist es angezeigt, Ort im atomistischen Sinn als kleinste ausgedehnte, jedoch unteilbare Raumeinheit zu betrachten und ebenso Moment als kleinste ausgedehnte, aber unteilbare Zeiteinheit, quasi als letzte Dauer. Da sich der Pfeil in jedem dieser die Flugzeit konstituierenden Zeitelemente als ganzer in einem korrelativen Raumelement aufhält, befindet er sich in jedem von ihnen in einer 20

21

Auf diesen Sachverhalt hat bereits die verdienstvolle Arbeit von A. Koyre: Bemerkungen zu den Zenonischen Paradoxen in Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Bd. 5, 1922, S. 603f, 615ff aufmerksam gemacht. Der Unterschied von atomistischer und punktueller Interpretation, genauer: von atomistischem Finitismus und punktuellem Infinitismus, wurde von V. Brochard: fitudes de philosophic ancienne et de philosophie moderne, Paris 1912 erarbeitet in der Absicht, die Argumente als Spezialfall der auch sonst von Zenon praktizierten dilemmatischen Methode zu erweisen. Ihr zufolge wenden sich je zwei derselben gegen die atomistische Endlichkeitshypothese und gegen die punktuelle Unendlichkeitshypothese. A. Koyre, a . a . O . , S. 604ff hat die Anwendbarkeit beider Deutungen auf alle Argumente nachgewiesen. Unsere Darstellung schließt sich im wesentlichen an die Koyres an, präzisiert dieselbe aber insofern, als sie sie gesondert für Raum und Zeit durchführt. Weiter unterscheidet sie sich darin, daß sie für sich in Anspruch nimmt, erstmals die Gesamtheit möglicher Gründe für das Resultieren der Paradoxie herausgestellt und in ihrer Gültigkeit für alle Argumente nachgewiesen zu haben.

D a s mathematisch-rationale K o n t i n u u m

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Ruheposition, und auch deren Summe vermöchte keine Bewegung zu erbringen. Zu demselben Ergebnis gelangt man bei punktueller Interpretation. Wird Ort nicht mehr als ausgedehntes, sondern unausgedehntes Raumelement und Moment entsprechend als unausgedehnter Augenblick, als Jetzt, verstanden, somit beide als geometrische Punkte, deren unendlich viele eine begrenzte Flugbahn bzw. -zeit konstituieren im Unterschied zur atomistisch-finitistischen These, derzufolge eine endliche Menge dieselben ausschöpft, so bleibt es dennoch wahr, daß sich der Pfeil in jedem Augenblick an einem bestimmten Ort befindet. An einem Ort aber ruht er, da Bewegung nur zwischen Orten stattfindet, und selbst die Synthese unendlich vieler Ruhelagen und Aufenthaltszeiten hätte zum Resultat niemals Bewegung. Außer dem genannten Argument kann zur Widerlegung der Bewegung ein zweites herangezogen werden, das sich zwar am einleuchtendsten erst am Dichotomie-Beispiel entfalten läßt, das aber auch hier erkennbar ist: Es macht Gebrauch von dem sich selbst widersprechenden Gedanken einer Verbindung von e n d l i c h e r Flugstrecke und Zeitspanne und u n e n d l i c h e r Menge durchflogener Orte und Momente. Mit diesen beiden Argumenten: 1. der Widersprüchlichkeit von Ruhe und Bewegung und 2. der Widersprüchlichkeit von Endlichkeit und Unendlichkeit, genauer, von endlicher geometrischer und unendlicher arithmetischer Summe, sind die Hauptgründe namhaft gemacht, denen die Beweislast innerhalb der Paradoxien zufällt. Beide Widersprüche haben ihr Fundament in der Inkompatibilität von kontinuierlicher und punktueller Struktur oder, wie man auch sagen könnte, von durchgängiger Einheit und Vielheit, und dies insofern, als sowohl Ruhe, welche zu verstehen ist als Beharrung in Einem, wie auch Endlichkeit, welche Ausdehnung bestimmten Ausmaßes bedeutet, sich auf eine kontinuierliche Einheit zurückführen 2 2 und Bewegung als Ubergang von Einem zum Anderen sowie Unendlichkeit als Vielheit von Instanzen in Pluralität gründen. Im Stadion-Argument geht es um folgendes: In einem Stadion befinden sich drei Reihen 2 3 von gleicher Länge und gleicher Anzahl von Gliedern — offensichtlich ein Bild für Läuferstaffeln —, von denen die eine ruht, die beiden anderen parallel dazu von der Mitte aus mit gleicher Geschwindig22

23

Hier liegt eine B e z u g n a h m e auf die von Parmenides d e m Sein zugeschriebenen A t t r i b u t e der R u h e und Begrenztheit — letzteres a u s g e d r ü c k t durch den Vergleich mit einer w o h l gerundeten, geschlossenen K u g e l — vor. όγκοι = Massen, Körper.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

keit sich gegeneinander bewegen 2 4 . Die Behauptung ist, daß in derselben Zeit eine der beiden bewegten Reihen, beispielsweise B , das Ganze der ihr entgegenkommenden Reihe C , jedoch nur die Hälfte der ruhenden Α passiert. U m in eben der Zeit, in der sie das Ganze der C-Reihe passiert, nur die Hälfte der Α-Reihe passieren zu können, muß sie die andere Hälfte überspringen, so daß das Ganze des Weges gleich der Hälfte bzw. das Doppelte gleich dem Einfachen (2 = 1) ist. Mit demselben Recht ließe sich dem Argument eine Deutung geben, bei der nicht die Zeit, sondern der Raum als Maß fungierte und dann nicht der ganze Weg dem halben, sondern die ganze Zeit der halben Zeit entspräche. Dasselbe Raumstück wird sowohl in doppelter wie in einfacher Zeit passiert, je nachdem, ob es der ruhenden Reihe Α oder der bewegten C angehört. U m dasselbe Raumstück in doppelter wie in einfacher Zeit passieren zu können, muß die Reihe Β während er halben Zeit ruhen. Beweisziel und -Strategie dieser Argumentation sind nicht leicht zu durchschauen und, soweit mir bekannt, noch niemals hinreichend expliziert worden. Die durch den Beweis nahegelegte Ansicht, die Deduktion der Unmöglicheit der Bewegung erfolge aus dem Widerspruch, daß ein Bewegungsobjekt in derselben Zeit zwei u n d einen Raumteil passiere, wozu es, um dies bewerkstelligen zu können, sowohl sich bewegen als auch ruhen müsse, oder daß es gleiche Raumteile in zwei u n d einem Zeitelement passiere, wozu es ebenfalls sich bewegen und ruhen müsse, bleibt noch zu sehr an der Oberfläche, da der eigentliche Grund für die gleichzeitige Annahme von Bewegung und Ruhe nicht deutlich wird. Dieser Grund ist die Gleichursprünglichkeit und Unvereinbarkeit von arithmetischer und geometrischer Summe. Man bedenke, daß ein Raumteil der Reihe Β einem und nur einem der Reihe Α und ebenso der Reihe C korrespondiert, so daß die arithmetische Summe der Teile bei allen dieselbe ist und dennoch unterschiedliche Strecken zurückgelegt werden oder, was dem entspricht, gleiche Strecken bei unterschiedlichen arithmetischen Summen. In der Formel, daß 24

Ihr Arrangement ist folgendermaßen zu denken:

Ί

I

a Β

Zu den diversen Auslegungsmöglichkeiten der Anordnung, die durch die textliche Korruptel bedingt sind, vgl. Aristotle's Physics, a revised text with introduction and commentary by W . D. Ross, Oxford 1936, 4. Aufl. 1966, S. 660ff und Aristotle: The Physics, hrsg. v. Ph. H . Wicksteed u. F. M. Cornford, Bd. 2, London 1934, 4. Aufl. I960, S. 188f.

D a s mathematisch-rationale K o n t i n u u m

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das Ganze gleich der Hälfte sei, verschafft sich die Tatsache Ausdruck, daß arithmetische und geometrische Summe sich nicht decken. Das Ergebnis der Argumentation ist dasselbe bei atomistischer wie punktueller Auslegung. Während nach der ersteren die Reihen sich aus einer endlichen Anzahl ausgedehnter, wenngleich unteilbarer Elemente zusammensetzen — desgleichen die Zeit —, so daß in einem so beschaffenen Zeitelement ein Raumelement der sich bewegenden Reihe Β ein Raumelement der ruhenden Reihe A , aber z w e i der ihr entgegenkommenden Reihe C passiert — Entsprechendes gilt für die Zeit —, sind nach der letzteren die Reihen und ebenso die Zeit aus einer unendlichen Anzahl unausgedehnter Punkte bzw. Momente konstituiert zu denken; doch gilt auch hier, daß in derselben Zeit die sich bewegende Reihe Β die Hälfte der ruhenden, aber das Ganze der ihr entgegenkommenden passiert, so daß auch hier der Beweisgang auf die Gleichsetzung von Ganzem und Halbem, 2 = 1, hinausläuft. Analoges ergibt sich für das Zeitargument. Das Dichotomie-Paradox wird von Aristoteles in VI, 9 in der lapidaren Kürze eingeführt, daß Bewegung deshalb unmöglich sei, weil das Bewegte zuerst die Mitte seiner Bahn erreichen müsse, bevor es an deren Ende gelange. Gemeint ist, daß ein Bewegungsobjekt, ehe es den Zielpunkt seiner endlich zu denkenden Bahn erreicht, deren Mittelpunkt erreichen muß und, ehe diesen, den Mittelpunkt der Bahnhälfte und so ins Unendliche. Es ist im Prinzip gleichgültig, ob das Argument als regressus oder als progressus ad infinitum gelesen wird. Im ersten Fall hätte das Bewegungsobjekt, bevor es am Ende seiner Bahn anlangte, zunächst am Mittelpunkt anzukommen und, bevor an diesem, am Mittelpunkt der ersten Hälfte und, bevor an diesem, am Mittelpunkt des ersten Viertels usw. Im zweiten Fall müßte es zunächst den Mittelpunkt seiner Bahn erreichen, sodann den Mittelpunkt der zweiten Hälfte, dann den des nächsten Viertels und so fort. Strukturell laufen beide Versionen auf dasselbe hinaus, da in beiden eine unendliche Anzahl von Punkten zu durchmessen ist, um eine endliche Strecke zurücklegen zu können. Dieselbe Argumentation, die für Strecken gilt, läßt sich auch auf die zum Durchlauf benötigte Zeit anwenden. Folgt man Aristoteles 2 5 , so ist es Zenons Intention, die Unmöglichkeit der Bewegung aus dem Widerspruch zwischen endlicher Strecke und unendlicher Punktmenge bzw. endlicher Dauer und unendlicher Anzahl von Augenblicken zu deduzieren. Man könnte sich aber auch denken, daß das Argument zur Widerlegung aus der Überlegung gewonnen würde, daß das 25

Physik 2 3 3 a 2 1 - 2 3 .

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen V e r f a s s u n g

Bewegungsobjekt in jedem der unendlich vielen Punkte resp. Momente seiner Bahn ruht. Ersteres lehnt sich an das Stadion-Argument und die von ihm benutzte Inkompatibilität von geometrischer und arithmetischer Summe an, letzteres an das Pfeil-Argument. Der Grundgedanke der Argumentation bleibt unverändert erhalten, auch wenn diese nicht mehr nach der punktuellen, sondern atomistischen Hypothese interpretiert wird. Nicht ist die Strecke dann aus einer unendlichen Anzahl von Punkten konstituiert zu denken, sondern aus einer endlichen „kleinster Längen". Da das Maß dieser Kleinststrecken jedoch beliebig klein angenommen werden kann, da jede Kleinheit wieder unterschreitbar ist, läuft auch bei dieser Interpretation das Argument darauf hinaus, daß eine beliebig große Menge beliebig kleiner Raumelemente durchmessen werden muß, um an das Ende einer endlichen Strecke zu gelangen. Damit läßt sich auch hier die Unmöglichkeit der Bewegung entweder aus dem Widerspruch zwischen der Endlichkeit der geometrischen Strecke und der Unendlichkeit bzw. der beliebigen Größe der arithmetischen Menge oder aus der Ruhelage des Bewegungsobjekts in jedem der unteilbaren Raumelemente folgern. Analoges gilt für die Zeit. Mit dem Argument von Achill und der Schildkröte soll bewiesen werden, daß ein schneller Laufender — hier symbolisiert durch den Schnellsten der damaligen Welt: Achill — einen langsamer Laufenden — symbolisiert durch eines der langsamsten Wesen: die Schildkröte — nicht einzuholen, geschweige denn zu überholen vermag, vorausgesetzt, letzterem werde ein bestimmter endlicher Vorsprung konzediert. Denn wenn der Schnellere den Ausgangspunkt des Langsameren erreicht hat, so hat sich dieser in eben der Zeit ein Stück fortbewegt. Und hat der Schnellere diesen Punkt erreicht, so hat sich der Langsamere in derselben Zeit wiederum ein Stück entfernt und so ins Unendliche. Zwar verringert sich der Abstand zwischen beiden mit jedem Schritt, niemals jedoch vermag der Verfolger den Verfolgten definitiv einzuholen. Wie schon Aristoteles hervorhebt 2 6 , entspricht der Kern der Argumentation dem Dichotomie-Argument, nur daß dieses mit einem Bewegungsobjekt, jenes mit zweien operiert und daß dieses das Halbierungsverfahren benutzt, jenes jedes beliebige Teilungsverfahren, allerdings unter Wahrung der Proportionalität. Die Übereinstimmung rechtfertigt sich durch denselben Einteilungsmechanismus und tritt besonders dann hervor, wenn das Dichotomie-Argument in der Form eines progressus ad infinitum genom26

Physik 239 b 18 ff.

Das mathematisch-rationale Kontinuum

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men wird. Denn wie sich dort das Bewegungsobjekt beliebig dem räumlichzeitlichen Zielpunkt nähert, ohne ihn je zu erreichen, so nähert sich hier Achill unbegrenzt, jedoch erfolglos dem Einholungspunkt der Schildkröte. Auch hier resultiert das Paradox aus dem Umstand, in einer endlichen Strecke bzw. Zeitspanne, die durch Start- und Einholungspunkt markiert ist, eine unendliche Zahl von Punkten bzw. Momenten durchlaufen zu müssen. Eine zweite Möglichkeit bestünde darin, die Paradoxie aus dem Pausieren der Bewegungsobjekte: Achill und Schildkröte in den unendlich vielen Punkten und Momenten ihrer Bewegungsbahn zu gewinnen. Wie die früheren Argumente so ist auch dieses sowohl in punktuellem wie atomistischem Sinne deutbar. Darüber hinaus weist das Argument Verwandtschaft zum StadionArgument auf. Da jedem Punkt bzw. Raumelement der Bahn des Achill ein Punkt bzw. Raumelement der Bahn der Schildkröte eindeutig und umkehrbar korrespondiert, ist die Zahl der Momente notwendig gleich, ob deren nun nach der punktuellen Hypothese unendlich oder nach der atomistischen endlich viele angenommen werden. Gesetzt, Achill liefe doppelt so schnell wie die Schildkröte, so wäre sein Weg in derselben Zeit doppelt so lang wie der ihre. Obzwar beide Wege dieselbe arithmetische Anzahl von Punkten bzw. Elementen enthalten, ist ihre geometrische Summe verschieden. Da Achills Weg das Doppelte des Wegs der Schildkröte beträgt, wäre das Doppelte gleich dem Einfachen, also 2 = 1; und es bleibt die behauptete Äquivalenz hier so unbegreiflich wie in jenem Argument. Dieselbe Überlegung läßt sich natürlich auch für die Zeit durchführen. Sie besagt dann, daß Achill dasselbe Raumstück in der Hälfte der Zeit überwindet wie die Schildkröte. Da auch hier arithmetische und chronometrische Summe differieren, insofern die erste bei beiden dieselbe ist, die letzte das Verhältnis 1 zu 2 hat, liegt auch hier die paradoxe Situation einer Gleichheit von Einfachem und Doppeltem vor. So ist in allen Argumenten ein Widerspruch von Unvereinbarem zu konstatieren. Obwohl sich Zenons Argumente in allen vier Fällen eines Kontinuumsausschnitts bedienen, ist diese Restriktion für die Herausarbeitung des paradoxalen Grundgedankens unmaßgeblich. Denn daß sich der Pfeil in jedem Moment seiner Flugbahn an einem bestimmten O r t und somit in einer Ruheposition befindet, gilt auch dann, wenn Bahn und Zeit ins U n ermeßliche erweitert gedacht werden. Ebenso bleibt es im Stadion-Argument wahr, daß in derselben Zeit ein beliebig herausgegriffenes Raumstück der bewegten Reihe Β e i n Raumstück der ruhenden und z w e i der entgegenkommenden passiert, mithin arithmetische und geometrische Summe

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differieren, die Reihen mögen so lang und die herausgegriffenen Raumstücke so groß als immer vorgestellt werden. Nicht anders verhält es sich im Dichotomie- und Achill-Argument. Daß eine unendliche Menge von Punkten oder Kleinststrecken bzw. von Augenblicken oder Kleinstdauern durchlaufen werden muß, um an das Ende einer endlichen, begrenzten Bahn zu gelangen, bleibt gültig, auch wenn das Ende noch so weit hinausgeschoben wird. U m so größeres Gewicht hingegen kommt den beiden Hypothesen, atomistischer wie punktueller, zu. Einem kritischen Nachvollzug der Beweisgänge wird daher daran gelegen sein müssen, die Schwierigkeiten herauszuarbeiten, die sich im einen wie anderen Fall einer Auflösung des anschaulich-extensionalen Kontinuums in den Weg stellen. Um systematisch zu verfahren, ist die Inkompatibilität jeder der beiden Hypothesen mit allen im Zusammenhang des anschaulichen Kontinuums auftretenden Bestimmungen einzeln durchzugehen: 1. der Kontinuität selbst, 2. der Homogenität und 3. der Unendlichkeit. Vor der detaillierten Explikation der Schwierigkeiten der atomistischen These ist das Fundamentalproblem derselben zur Sprache zu bringen, das die Prämisse des Atomismus und den Begriff des Atoms selbst betrifft. Nach atomistischer Auffassung besteht das Kontinuum aus einer Anzahl kleinster ausgedehnter, aber unteilbar zu denkender Elemente, sog. Atome 2 7 — kleinster Raumeinheiten: Linien, Flächen, Räume, kleinster Dauern. Ausgedehntes jedoch unterliegt dem Gesetz der Teilbarkeit. Selbst wenn die Atome ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften nach letzte Wirkungsquanten vorstellen, deren spezifisches Wesen bei weiterer Auflösung destruiert wird, bleiben sie ihren geometrischen Eigenschaften, ihrer Raum- und Zeitstruktur nach, weiter zerlegbar. Die These ausgedehnter Α-tome, d. h. teilbarer Unteilbarer, basiert daher auf einer contradictio in adiecto, deren Auflösung nur nach zwei Seiten möglich ist, durch Ernstnehmen der Ausdehnung und Teilbarkeit oder der Unteilbarkeit und U n ausgedehntheit. Von seinem Grundproblem abgesehen, gerät der Atomismus in Bedrängnis, wenn er Kontinuität erklären soll. Da Atome Diskreta sind und deren Zusammensetzung durch Hiate gekennzeichnet ist, vermag eine solche niemals dem Postulat eines einzigen, durchgehenden, ununterbrochenen Zusammenhangs zu genügen. Der Vergleich des Atomkontinuums mit einer Schnüre aneinandergereihter Perlen bietet sich an. Er 27

Griechisch ατομον bedeutet: das Unteilbare.

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macht deutlich, daß disparate, durch Lücken getrennte Elemente notwendig hinter durchgängiger Kontinuität zurückbleiben. „Bruchstücke" ergeben niemals einen „ungebrochenen" Zusammenhang. Ebensowenig wird die atomistische Hypothese dem Homogenitätspostulat gerecht. Selbst bei Unterstellung absoluter äußerer Gleichheit der Atome hinsichtlich Größe, Form, Aufbau usw. bleiben die Bestandteile im Innern nach Stellung und Verhältnis, nach Außen-, Innen- und Mittellage, unterschieden. Interne Differenz und Unvertauschbarkeit widerspricht auch bei externer Gleichartigkeit der Forderung durchgängiger H o m o genität, derzufolge jedes beliebig herausgegriffene Stück mit jedem anderen übereinstimmen und austauschbar sein muß. Nicht geringer sind die Schwierigkeiten im Hinblick auf das Unendlichkeitspostulat. Ist von ihm die Endlosigkeit des Kontinuums sowohl respektive der Kleinheit wie respektive der Größe gefordert, dann müssen Atome, die stets finiten Ausmaßes sind, in Konflikt mit ihm geraten. Dieser äußert sich bezüglich der unendlichen Kleinheit darin, daß die positive Größe der Atome, selbst bei verschwindendem Ausmaß, von der beliebigen Einschränkbarkeit unterschritten werden kann — was nichts anderes besagt, als daß Atome ihrer Ausdehnung nach weiter teilbar sind. Mathematisch läßt sich dieser Einwand gegen den Atomismus auch so formulieren, daß bei Zulassen von Atomen irrationale Verhältnisse und Zahlen unmöglich werden; denn sobald eine durch eine ganze Zahl exponierbare atomare Strecke zum universellen Maß dient, gestalten sich alle Verhältnisse zu rationalen, — dies jedoch widerspricht der Realität. Auch bezüglich der unendlichen Größe bleibt stets eine Diskrepanz zwischen der ein bestimmtes begrenztes Intervall, wie groß auch immer, konstituierenden endlichen, gegebenenfalls sehr großen Anzahl von Atomen und der eigentlichen Unendlichkeit, die ihrem Wesen nach über jede Endlichkeit hinaus ist. Der Einwand basiert auf dem Unterschied zwischen einer beliebig großen Menge, die stets begrenzt bleibt, und dem wahren Unendlichen, das jede Begrenzung transzendiert. Alle diese Argumente erweisen sich für den atomistischen Anspruch, eine adäquate Interpretation des Kontinuums zu erstellen, als desaströs. Von nicht geringerer Problematizität freilich zeigt sich die punktuelle Hypothese, nach der das Kontinuum aus einer unendlichen Punktmenge bestehen soll. Nicht ist die Behauptung die, daß das Kontinuum eine unendliche Menge von Punkten in sich enthalte, sondern die, daß es aus einer solchen zusammengesetzt und folglich restlos in eine solche zerlegbar sei. Ersteres könnte noch die Vorstellung einer bloßen Einbettung der Punkte

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in ein vorgegebenes Kontinuum evozieren, so daß die Zwischenräume nach wie vor mit Kontinuität erfüllt wären. Dieser Ansicht zufolge stellten Punkte nichts weiter als Grenzen der kontinuierlichen Ausdehnung dar, die zwar mit zu derselben gehörten, aber nicht als deren genuine Bestandteile und Aufbauelemente, sondern als von außen eingeschaltete, artfremde Gebilde 2 8 . Gerade diese Möglichkeit soll durch die Behauptung einer Identität des Kontinuums mit der Punktmenge eliminiert werden. Hierin liegt der Anspruch einer totalen Substitution des Kontinuums durch eine Punktmannigfaltigkeit. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob und wie Punkte ein Kontinuum konstituieren können. U m bei der Beantwortung nicht zu kurz zu greifen, ist von einer Analyse des Punktes auszugehen und in bezug auf die eruierten Wesensbestimmungen die Frage zu präzisieren. Unser Verständnis von Punkt spiegelt sich in der Fassung, die ihm Euklid im 1. Buch seiner Elemente gegeben hat. Danach meint Punkt das, was keine Teile hat 2 9 . Das jeden Teils Bare ist ein absolut Einfaches, Unzusammengesetztes, folglich auch Indivisibles und, da Teilhaltigkeit, Zusammengesetztheit und Zerlegbarkeit Eigenschaften der Ausdehnung sind, auch ein Unausgedehntes. Demzufolge ist die obige Frage dahingehend zu spezifizieren, ob und gegebenenfalls wie Unausgedehntes Ausdehnung hervorbringen könne. Verlangt wird nicht mehr noch weniger als der Nachweis eines Hervorgangs von Ausgedehntem, das von positiver Größe ist, aus Null-Größe. Derart zugespitzt, leuchtet sofort ein, daß die Forderung eine Unmöglichkeit impliziert und jeder Versuch, sie dennoch zu erfüllen, sich selber ad absurdum führt. Denn Ausgedehntes und Unausgedehntes, positive Größe und Null-Größe, sind einander ausschließende Faktoren, die in einem Strukturen- und Erkenntnisdualismus gründen: im Extensionalen und der ihm korrelierten Anschauung einerseits, im Punktuellen, Einfachen und dem ihm korrespondierenden Verstand andererseits. Diesen Dualismus zugunsten eines Monismus aufgeben wollen, derart daß man die anschauliche Komponente als veralteten Intuitionismus abtäte mit dem Argument, daß sie ihre Uberzeugungskraft einzig einem stillschweigenden Appell 28

29

In der angelsächsischen Literatur ist die terminologische Distinktion von components und constituents zur Bezeichnung dieser Differenz üblich geworden, wobei mit den ersteren die genuinen Bestandteile, mit den letzteren die nicht-genuinen gemeint sind, vgl. C . D . Broad, The Nature of Existence by J . Μ. Ε. Mc Taggert, Mind, Bd. 30, 1921, S. 323, vgl. W. D. Ross (hrsg): Aristotle's Physics, a . a . O . , S. 80. Euklid: Die Elemente, Buch I—XIII, übersetzt und hrsg. v. C . Thaer, 6. Aufl. Darmstadt 1975, S. 1.

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an bildhaftes Vorstellen verdanke, hieße nicht nur, ein Grundfaktum übersehen, sondern auch die Antwort schuldig bleiben, wie auf allgemein verständliche und nachvollziehbare Weise Extension aus Nichtextension hergeleitet werden kann, ohne nicht je schon vorausgesetzt zu sein. Auf diese Irreduzibilität und Gleichursprünglichkeit von Extensionalem und Punktuellem gehen letztlich alle Einwände gegen die Möglichkeit einer Deduktion des einen aus dem anderen zurück, wovon die nachfolgenden Belege Zeugnis geben. Bei W . J a m e s 3 0 heißt es: „If, however, we take time and space as concepts, not as perceptual data, we don't well see how they can have this atomistic constitution. For if the drops or atoms are themselves without duration or extension it is inconceivable that by adding any number of them together times or spaces should accrue." „ . . . that being should be identified with the consummation of an endless chain of units (such as „points"), no one of which contains any amount whatever of the being (such as „space") expected to result, this is something which our intellect not only fails to understand, but which it finds absurd." Ähnlich äußert sich P. W. Bridgman 3 1 : „With regard to the paradoxes of Zeno . . . if I literally thought of a line as consisting of an assemblage of points of zero length and of an interval of time as the sum of moments without duration, paradox would then present itself." Daß für Punkte, die aufgrund von Grenzziehungen in der Extension zustande kommen und folglich die Funktion von Grenzen besitzen, keine der Aufbaurelationen gilt, die für extensionale Gebilde in Betracht kommen, hat niemand überzeugender dargelegt als Aristoteles. A m Anfang des VI. Buches seiner Physik nennt er drei solcher Konstitutionsregeln: Entweder können extensionale Ganze im Verhältnis der Kontinuität oder der Berührung oder der Nachbarschaft stehen. Kontinuität (συνεχές) liegt dann vor, wenn die Grenzen der Ganzen zusammenfallen und eine einzige, ununterscheidbare ausmachen (ών τά έσχατα εν), Berührung (άπτόμενον), wenn sie getrennt und unterschieden als zwei selbständige weiterexistieren (im Griechischen ausgedrückt durch die temporale Bestimmung der Gleichzeitigkeit: ων αμα), und Nachbarschaft (εφεξής), wenn sich kein gleich30

31

Some Problems of Philosophy, London 1948, S. 155 und 186 (zit. bei A. Grünbaum: Modern Science and Zeno's Paradoxes, Middletown, Connecticut 1967, S. 116). Some Implications of Recent Points of View in Physics in Revue Internationale de Philosophie, Bd. 3, N r . 10, 1949, S. 490 (zit. bei Α. Grünbaum, a . a . O . , S. 116).

200

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artiges Ganzes zwischen ihnen befindet (ών μηδέν μεταξύ συγγενές). Daß mit dieser Aufzählung begriffliche Vollständigkeit und nicht nur empirische Kontingenz beansprucht ist, geht aus der Verwendung eines trichotomischen Einstellungsprinzips hervor, das in der Thesis den Zusammenfall der Grenzen behauptet, in der Antithesis den Nichtzusammenfall bzw. die gesonderte Existenz und in der Synthesis das Zusammen von Trennung der Grenzen und Ausfüllung des Zwischenraumes durch Kontinuität als in ihren Grenzen zusammengefallener extensionaler Ganzer. Für Punkte kommen alle diese Verhältnisse nicht in Betracht, da sie keine Ganzen mit Grenzen sind, sondern ausschließlich Grenzen, zu denen Ganze ergänzend hinzuzudenken sind. So können sie weder kontinuierlich zusammenhängen, weil bei ihnen die Bedingung von Ganzen, deren Grenzen zusammenfallen, nicht erfüllt ist, noch einander berühren, weil hierzu ebenfalls auseinanderliegende Ganze erforderlich sind, die kraft ihres Seins die Grenzen auseinanderhalten, während sie selbst als Grenzen ohne Ausgedehntes sich nur totaliter berühren und daher notwendig in eins zusammenfallen. Und auch in nachbarschaftlicher Beziehung können sie nicht stehen, da sich zwischen zwei Punkten unendlich viele gleichartige einschalten lassen. Der Begriff des έσχατον, der ursprünglich als Relationsterm konzipiert ist, insofern er etwas voraussetzt, dessen Äußerstes er ist, verliert seinen Sinn, wenn das dazugehörige Relatum entfällt. Als Quintessenz der Überlegungen kann festgehalten werden, daß Punkte nichts Gleichartiges aus sich entlassen, geschweige denn Andersartiges, es sei denn, sie nehmen hierzu bereits Extension in Anspruch. Wenn daher Punkte als Teile der Ausdehnung bezeichnet werden, so ist zwischen den diversen Bedeutungen zu differenzieren. Zum einen kann Teil das meinen, was von gleicher Art und Beschaffenheit ist wie das Ganze — in diesem Sinne ist die kleinere Linie Teil der größeren, die kürzere Zeit Teil der längeren —, zum anderen das, was nicht von gleicher Art und Beschaffenheit ist — in diesem und nur diesem Sinne sind Orte Teile der räumlichen Extension und Augenblicke Teile der Zeit wie überhaupt Punkte Teile der Ausdehnung. Der Punkt ist nun aber nicht nur durch Unausgedehntheit, sondern auch durch Diskretion definiert. Als absolut teillos hebt er sich nicht nur von der teilhaltigen Ausdehnung ab, in der die Teile kontinuierlich ineinander übergehen, sondern auf ihrer Basis auch von anderen Punkten. Berücksichtigt man diesen Gesichtspunkt, so läßt sich die obige Frage auch in der Form stellen, ob und wie Diskreta ein Kontinuum ergeben können. Auch hier ist evident, daß sich die Frage bereits in ihrem Ansatz aufhebt

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aufgrund interner Unmöglichkeit. Denn Kontinuität und Diskontinuität sind einander widerstreitende Bestimmungen. Während Kontinuität der Sinnintention nach inneren Zusammenhang der Teile, Einssein derselben durch Aufhebung des Trennenden und Unterscheidenden, meint und damit auf Grenzüberschreitung deutet, realisiert sich der Punkt gerade in Grenzziehung, in Sonderung und Scheidung. Nicht nur also, daß unverständlich bleibt, wie aus Trennungspunkten Trennungsüberschreitung hervorgehen soll, es kann auch das, was Grenzsetzung ermöglicht, aus dieser nicht deduziert werden, weil es deren Voraussetzung bleibt. Außer durch Ausdehnungslosigkeit und Diskretion sind Punkte durch Identität charakterisiert; denn das absolut Einfache, in sich Teillose und Ununterschiedene kann nur mit sich selbst übereinstimmen. Diesem Aspekt zufolge läßt sich die obige Frage auch so formulieren: Ermöglicht Identität extensionale Homogenität, und gegebenenfalls wie ermöglicht sie sie? Nach dem bekannten logischen principium identitatis indiscernibilium fallen Gegenstände, die sich durch keine angebbaren Merkmale unterscheiden, in einem einzigen zusammen. Von dieser Art sind Punkte. Daher ergibt selbst eine unendliche Menge derselben keine ausgedehnte Gleichartigkeit, in der die Teile trotz qualitativer Ununterschiedenheit durch ihr strukturelles Außereinander, Neben- oder Nacheinander, differieren. Noch einen letzten Aspekt gilt es in der Wesensbestimmung des Punktes zu berücksichtigen, das Faktum, daß der Punkt das Ende von Ausdehnung bedeutet. Die entsprechend modifizierte Frage lautet dann: Können und wie können Enden Unendliches konstituieren? Beide Richtungen, in die sich die Frage wegen der Ambivalenz des Unendlichkeitsbegriffs zu verfolgen läßt, lassen eine negative Antwort erwarten. Im Blick auf das Unendlich-Kleine wäre geltend zu machen, daß der Punkt als Limes der Ausdehnung kleiner ist als jedes erdenkbare extensionale Minimum, welches immer noch weitere Einschränkungen gestattet. Daher resultiert selbst aus einer unendlichen Anzahl von Punkten keine noch so kleine begrenzte Extension, viel weniger eine unbegrenzte. Und im Blick auf das Unendlich-Große wäre anzuführen, daß die punktuelle Unendlichkeit die extensionale deshalb nicht einzuholen vermag, weil sie sich als abzählbare mit jedem Schritt neu begrenzt, während die letztere wesenhaft unbegrenzt ist. Die im letzten Monitum sichtbar gewordene Schwierigkeit, wonach Punkte selbst in unendlicher Menge kein begrenztes Kontinuum zu konstituieren vermögen, geschweige denn ein unbegrenztes, glaubt die moderne Mengentheorie durch Einführung des Begriffs des überabzählbar Unend-

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liehen überwinden und so doch noch die Aufgabe lösen zu können, mittels nulldimensionaler Punkte positive Dimension zu konstruieren. Indem sie zwischen abzählbar und überabzählbar Unendlichem unterscheidet, bürdet sie letzterem, für welches die Antike noch keine Definitionsmethode besaß, alle Beweislast auf. Als dritte Variante neben dem antiken atomistischen Finitismus und punktuellen Infinitismus, der retrospektiv als abzählbarer zu klassifizieren ist, bleibt daher noch der moderne überabzählbare punktuelle Infinitismus zu exponieren. Dies soll stellvertretend anhand der Mengenlehre Cantors geschehen. Von mathematischen Detailfragen soll dabei soweit wie möglich abstrahiert und die Untersuchung sub specie philosophiae geführt werden. Denn nicht primär als Theorie der Klassifikation aller reellen Zahlen, deren Wohlordnung und Abzählbarkeit mittels transfiniter Zahlen zieht diese Lehre unser Interesse auf sich, sondern aufgrund ihrer Prätention, auf Raum und Zeit applizierbar zu sein. Als reine Ordnungsform von Zahlmengen gehört sie ausschließlich der höheren Zahlentheorie an, nicht jedoch, wenn sie reklamiert, durch das arithmetisch verstandene Kontinuum allererst einen zureichenden Begriff des anschaulichen zu erstellen. Bis hin zu Cantor herrschte die Uberzeugung, daß das Kontinuum bereits dann adäquat definiert sei, wenn sich zwischen je zwei Punkten ein weiterer einfügen lasse. Da die Einschaltung gemäß dem dichotomischen Teilungsverfahren erfolgte, dem aufgrund unendlicher Iterierbarkeit arithmetisch die unendliche Reihe der natürlichen Zahlen entspricht, ergab sich so eine abzählbar unendliche Menge von Punkten. Wie sich zwischen die durch Anwendung des Dichotomieprinzips gefundenen Halbierungspunkte die drittelnden einreihen oder wie gar die irrationalen, diese Frage stellte sich noch nicht, wiewohl anschaulich evident sein mochte, daß es solche Punkte gab. Es darf als mengentheoretische Entdeckung gelten, daß das Kontinuum erst dann zureichend beschrieben ist, wenn zwischen beliebigen zwei Punkten nicht mehr nur abzählbar, sondern überabzählbar viele liegen. Bezeichnet man die ausgewählten Punkte beispielsweise durch die Zahlen 0 und 1, so soll die Menge der dazwischen liegenden Punkte die Mächtigkeit der Gesamtheit der reellen Zahlen dieses Intervalls besitzen. Einen Zugang zu dieser Mächtigkeit und damit zum Begriff der Uberabzählbarkeit gewinnt man am leichtesten über einen Rekurs auf die fundamentale Differenz zwischen antiker und neuzeitlicher Mathematik. Galten der klassisch griechischen Mathematik exakte Grenzgebilde wie Punkt, Linie, Fläche als einfache Gegebenheiten, mittels deren sich selbst das Unendliche erschloß, sei es durch fortgesetzte Teilung, sei es durch Konstruk-

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raathematisch-rationale

Kontinuum

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tion mittels Linie und Kreis 32 , so stellen sich der neuzeitlichen Mathematik dieselben als Limiten unendlicher Konvergenzprozesse dar. Der geometrische Punkt bzw. die ihm korrespondierende arithmetische Zahl werden als Grenzwerte unendlicher Intervallverschachtelungen bzw. unendlicher Zahlfolgen verstanden. In den skizzierten Positionen dokumentiert sich eine grundverschiedene Einstellung zum Endlichen und Unendlichen: Während die antike Mathematik das Endliche, Begrenzte zur Basis aller mathematischen Operationen und zum Ausgang selbst der Erschließung des Unendlichen nahm, ist für die neuzeitliche Mathematik das Endliche nicht ohne Voraussetzung des Unendlichen und nur als dessen Begrenzung faßbar. Aus mengentheoretischer Sicht stellt sich daher eine zwischen zwei Punkten oder Zahlen gelegene Menge nicht einfach als eine aus Grunddaten, sondern aus idealen Grenzwerten dar, deren jeder Limes einer unendlichen Punkt- oder Zahlenfolge ist. Vor diesem Hintergrund ist Cantors Kontinuumsdefinition zu sehen. In seinen Schriften finden sich zwei Definitionen, von denen die erste, in den „Grundlagen einer allgemeinen Mannigfaltigkeitslehre" von 1883 gegebene sich für ihn selbst als ungenügend, weil dem eigenen Anspruch unangemessen, erweist. Sie wird daher in den „Beiträgen zur Begründung der transfiniten Mengenlehre" von 1897 durch die zweite ersetzt. Cantors Anspruch geht dahin, nicht nur eine a l l g e m e i n e , sämtliche Kontinuumsarten einschließlich der räumlich-zeitlichen abdeckende Definition zu geben, sondern auch eine s t r e n g w i s s e n s c h a f t l i c h e , die sich ausschließlich logischer und mathematischer Mittel bedient und auf Ressourcen aus der sinnlichen Anschauung verzichtet. Wiederholt betont er, daß für ihn das Kontinuum eine ,logisch-nüchterne' Vorstellung sei 33 — gemäß seiner Denkweise ein Begriff und keine Anschauung. Seine Theorie wendet sich polemisch gegen jede Auffassung, „wonach das Kontinuum ein unzerlegbarer Begriff oder auch, wie andere sich ausdrücken, eine reine a p r i o r i s c h e Anschauung . . . [ist], die kaum einer Bestimmung durch Begriffe zugänglich" ist, und wonach „jeder arithmetische Determinationsversuch dieses M y s t e r i u m s . . . als ein unerlaubter Eingriff angesehen und mit gehörigem Nachdruck zurückgewiesen [wird, so daß] schüchterne Naturen . . . den Eindruck [empfangen], als ob es sich bei dem „Kontinuum" nicht um einen m a t h e m a t i s c h - l o g i s c h e n B e g r i f f , son32

33

Wie beispielsweise die Diagonale, die sich vom rationalen Standpunkt aus als irrationales, unendliches Verhältnis ausnimmt. G . Cantor, a . a . O . , S. 191, vgl. 192.

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dem viel eher um ein r e l i g i ö s e s D o g m a handle" 3 4 . Nicht die anschaulichen Kontinua Raum und Zeit sind für Cantor das Primäre, das logischmathematische Kontinuum das Sekundäre, sondern umgekehrt gilt ihm das mathematische als originärer Begriff 35 , Raum- und Zeitkontinuum lediglich als Derivate, Anwendungs- und Spezialfälle, die durch jenen erst ihre begriffliche Schärfe erlangen. In der Konsequenz des Ansatzes liegt, daß Raum und Zeit selbst dann, wenn ihnen von Natur eine diskrete Struktur zukäme, aufgrund des Stetigkeitsaxioms zu durchgängiger Kontinuität ergänzt werden müßten. Denn die Kontinuität des Raumes und der Zeit wird hier als ein Produkt des mathematischen Verstandes betrachtet und ist daher im Falle bestehender Lücken gedanklich zu komplettieren. Von hier versteht sich, daß in die Kontinuumsdefinition selbst nichts eingehen darf, was irgendeinen Bezug zur Anschauung hätte. An diesem Anspruch ist Cantors Definition zu prüfen. Nach § 10 der Grundlagen soll eine Punktmenge kontinuierlich heißen, wenn sie 1. durch die Eigenschaft der Perfektheit und 2. durch die des Zusammenhangs bzw. der Dichte charakterisiert ist 36 . Kontinuität wird hier durch zwei Prädikate bestimmt, deren jedes für sich notwendig, wenngleich nicht hinreichend ist und daher der Ergänzung bedarf. Da es sich bei beiden um termini technici handelt, sind sie kurz zu erläutern, jedoch nicht systemintern, sondern -extern durch Translation in allgemein verständliche und auch außerhalb der Theorie kontrollierbare Begriffe. „Perfektheit" ist ein anderer Name für „Abgeschlossenheit" und deutet auf die Existenz eines ersten und letzten Elements der Menge. Für Cantor könnte beispielsweise eine Gerade, der einer der beiden Endpunkte oder beide fehlten, also ein ein- oder zweiseitig offenes Intervall, oder eine Kreisfläche ohne Begrenzung sich niemals zu einem vollständigen Kontinuumsbegriff qualifizieren. Im Blick auf die oben behandelten Grenzpunkte verlangt dieses Kriterium nicht nur, daß alle Punkte des Kontinuums Grenzpunkte, sondern auch, daß alle Grenzpunkte Punkte des Kontinuums sind. Da es Mengen gibt, denen zwar der Charakter der Perfektheit, nicht jedoch der der Dichte eignet 37 , reicht dieses Kriterium allein zur vollständigen 34 35 36 37

A . a . O . , S. 191. Vgl. a . a . O . , S. 191. Vgl. a . a . O . , S. 194. Als Beispiel möge der von Cantor, a . a . O . , S. 207 angeführte Inbegriff aller reellen Zahlen dienen, der durch die Formel ζ =

+ · · · + y + • · · strukturiert ist, in der

die Koeffizienten cv nach Belieben die Werte 0 und 2 anzunehmen haben. In ihm findet sich kein noch so kleines Intervall, das überall dicht genannt werden könnte.

Das mathematisch-rationale K o n t i n u u m

205

Definition nicht aus. Es bedarf daher des komplettierenden Merkmals des Zusammenhangs. Zusammenhang der Punktmenge soll dann vorliegen, „wenn für je zwei Punkte t und t' derselben bei vorgegebener beliebiger kleiner Zahl e immer eine e n d l i c h e Anzahl Punkte t l s t 2 , . . . tv von Τ auf mehrfache Art vorhanden sind, so daß die Entfernungen ttj, t]t 2 , t 2 t3, . . . t v t' sämtlich kleiner sind als e" 3 8 . Im Prinzip läuft dieses Kriterium darauf hinaus, daß sich zwischen beliebigen zwei Elementen einer Menge andere müssen einschalten lassen, sollen Lücken und Sprünge vermieden werden. Es fällt nicht schwer zu erkennen, daß diese Definition, insbesondere ihr zweiter Bestandteil, gemessen an dem eigenen Anspruch, keine anschaulichen Vorstellungen zu Hilfe zu nehmen, einer petitio principii unterliegt. Nicht nur, daß der Terminus „Zusammenhang", mittels dessen Kontinuität definiert wird, eine direkte Ubersetzung des lateinischen „continuum" ist und damit die Definition zirkulär werden läßt — der Term ließe sich notfalls durch einen weniger problematischen wie „Dichte" oder „Kohäsion" substituieren —, schwerer wiegt, daß die Definition Gebrauch macht von Vorstellungen wie Distanz, Abstand, Zwischen — explizit ausgedrückt im Begriff der Entfernung der Punkte —, welche der räumlichzeitlichen Anschauung entstammen. Beim zweiten Kriterium handelt es sich um eine metrische, nicht logische Eigenschaft. Zudem wird die Derivation der Kontinuität aus der Punktmenge und deren rein formalen Bestimmungen so wenig verständlich, daß vielmehr umgekehrt supponiert werden muß, daß die mathematische Definition ihr Wissen aus einem außermathematischen Kontinuum schöpft, das ihr zur Orientierung dient. Was Zusammenhang, Dichte etc. bedeutet, wird erst begreiflich aufgrund einer indirekt vollzogenen Einbettung der Punktmenge in ein vorgegebenes anschauliches Kontinuum. So gehen direkt wie indirekt anschauliche Vorstellungen in die Definition ein, obwohl diese erst aus ihr deduziert werden sollten. Es ist dieses Ungenügen, was Cantor in den §§10 und 11 der „Beiträge zur Begründung der transfiniten Mengenlehre" zur Reformulierung seiner Definition veranlaßt. Eine „kontinuierliche" Menge soll jetzt dadurch charakterisiert sein, daß sie 1. perfekt ist, wobei „perfekt" hier die Eigenschaften „abgeschlossen" und „in sich dicht" bezeichnet, und 2. eine abzählbare Teilmenge in sich enthält, die zur Gesamtmenge in einem Verhältnis von der Art steht,

38

A . a . O . , S. 194.

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daß zwischen je zwei beliebigen Elementen der letzteren Elemente der ersteren liegen (vgl. § 11). Bereits Zermelo hat in seinem Kommentar zur Ausgabe der Cantorschen Schriften angemerkt 3 9 , daß die Formulierung des ersten Kriteriums, das die Eigenschaften der Abgeschlossenheit und Dichte umfaßt, wenig glücklich ausfällt, da Abgeschlossenheit zur Kennzeichnung von Perfektheit genügt und Dichte im zweiten Kriterium impliziert ist. Das Innovatorische und Bedeutsame der Cantorschen Definition ist das zweite Kriterium, welches die Existenz einer in der Gesamtmenge überall dichten abzählbaren Teilmenge behauptet. Mit ihm wird das Kontinuumsproblem entschieden von der Logik aus in Angriff genommen und mittels des Klassifikationsgedankens von Mengen unterschiedlicher Rangordnung zu lösen versucht. Aufgefaßt als Menge unter anderen, ist die Mächtigkeit des Kontinuums relativ zu den anderen zu bestimmen. Während die unendlichen Mengen der natürlichen und rationalen Zahlen in ihrem Verhältnis zueinander durch Gleichmächtigkeit gekennzeichnet sind — eine für endliche Mengen absurde, für unendliche Mengen hingegen charakteristische Vorstellung, welche zum Ausdruck bringt, daß eine echte Teilmenge der Gesamtmenge äquivalent, die Elemente beider umkehrbar eindeutig aufeinander abbildbar sind —, erweist sich die das Kontinuum konstituierende unendliche Menge der reellen Zahlen von ungleich größerer Mächtigkeit als die der rationalen Zahlen und damit letztlich einer Reduktion auf die abzählbar unendliche Menge der natürlichen Zahlen unfähig. Der dieser Argumentation zugrunde liegende Schluß auf die Kontinuität der Menge der reellen Zahlen beruht auf der Überlegung, daß, da Abzählbarkeit die Existenz diskreter Elemente voraussetzt, die beim Zählen Element für Element durchgegangen werden, Uberabzählbarkeit, wie sie die Menge der reellen Zahlen charakterisiert, nicht mehr durch Diskretion bestimmt sein kann. Also muß sie dem Postulat der Stetigkeit genügen. Dem Anschein nach rein logisch, erweist sich die Definition bei tieferem Eindringen jedoch an natürliche, sinnlich anschauliche Vorgänge gebunden. So etwa erschließt sich der die Kontinuität definierende Begriff der Ubermächtigkeit oder Uberabzählbarkeit nur durch negative Absetzung von dem Begriff der Abzählbarkeit. Zählung aber ist ein temporaler Vorgang, der den sukzessiven Fortschritt von Einheit zu Einheit in der Zeit bezeichnet. Auch andere systemrelevante Begriffe wie das Verfahren der umkehrbar eindeutigen Zuordnung der Elemente zweier Mengen zum 39

A . a . O . , S. 354.

D a s mathematisch-rationale K o n t i n u u m

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Beweis von deren Gleichmächtigkeit oder, mit gewisser Einschränkung, das sog. Diagonalverfahren zur Feststellung der größeren Mächtigkeit einer Menge, ganz zu schweigen von der Reihe der transfiniten Ordnungszahlen, die als Fortsetzung der realen ganzen Zahlen über das Unendliche hinaus anzusehen ist, lassen sich ausschließlich als zur Idee eines zeitlich-räumlichen Prozesses gehörig interpretieren, insofern jeweils die Elemente Schritt für Schritt und somit in der Zeit durchgegangen werden 4 0 . Das genaue Verständnis der formalen wie operativen Begriffe führt auf ihre Genesis, die ohne Zeit- und Raumimplikationen nicht denkbar ist. An diese Feststellung knüpft sich die weitergehende Frage, ob überhaupt ein rein logisches Klassifikationssystem ohne jeden Rekurs auf Anschauung unter ausschließlicher Verwendung formallogischer Begriffe möglich sei. Welchen Sinn soll man den Begriffen der Sub- und Koordination von Klassen und Elementen, dem Gedanken der auf- und absteigenden Folge der Ordnungszahlen, dem Begriff der Relation zwischen Relata noch geben, wenn man von aller Raum- und Zeitvorstellung abstrahiert. Läßt diese Frage nur eine negative Antwort zu, so folgt für die Beurteilung von Cantors Definition, daß ihre Inkonsequenz darin besteht, ausschließlich logische Bestimmungen in Anspruch nehmen zu wollen, faktisch jedoch anschauliche voraussetzen zu müssen, ohne hiervon ein Bewußtsein zu entfalten 41 . Abschließend ist festzustellen, daß auch die mengentheoretische Entdeckung des ü b e r a b z ä h l b a r U n e n d l i c h e n das Stetigkeitsproblem nicht zu lösen vermag. Wenn die Deduktionen spatialer und temporaler Kontinuität aus einer formallogischen Punktmenge gelingen, so nur deshalb, weil dieselben unbewußt bereits zugrunde liegen. Niemanden wird es wundern, wenn die Deduktionen auf das, von dem sie ausgehen, zurückführen. Die Abstinenz von allen außerlogischen Momenten würde alsbald zeigen, daß null-dimensionale Punkte allein, selbst bei einer noch so großen Häufung, keine positive Dimension ergeben. Sowenig der atomistische Finitismus und der punktualistische Infinitismus der Antike das Kontinuum zu erklären vermochten, sowenig vermag es auch der überabzähl40

41

Zur Kritik vgl. O . B e c k e r : Mathematische Existenz. U n t e r s u c h u n g e n zur L o g i k u n d O n t o l o g i e mathematischer P h ä n o m e n e in J a h r b u c h für Philosophie und p h ä n o m e n o l o gische F o r s c h u n g , B d . 8, 1927, S. 600. Welche Probleme C a n t o r s Theorie unter rein mathematischem G e s i c h t s p u n k t a u f w i r f t , wie z . B . das P a r a d o x i e n p r o b l e m , wird hier nicht weiter untersucht, da im R a h m e n unserer A n a l y s e ausschließlich die Beziehung zwischen logischem u n d anschaulichem K o n t i n u u m interessiert.

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bare Infinitismus der modernen Mengentheorie. Die Untersuchung sieht sich damit vor die Alternative gestellt, entweder auf das Kontinuum zu verzichten zugunsten des Punktes oder die punktuelle Auffassung des Kontinuums preiszugeben, um dem Punkt sein Recht zu belassen. N o c h scheint jedoch ein Ausweg möglich. Denn die Alternative resultiert nur bei einer bestimmten Existenzauffassung, die die unendliche Punktmenge als definitiv gegebene supponiert. Es wäre denkbar, daß sich die letztere nicht im Zustand vollendeten Seins, sondern in dem des Werdens, der ständigen, prinzipiell unabschließbaren Approximation an den Idealzustand perfektiven Seins befände. Auf diese Weise wären die Punkte in permanenter Entstehung begriffen; ihr Sein wäre das Werden. Und es wäre zu überlegen, ob dieselben, wenn schon nicht in Form einer Substitution des Kontinuums, so doch in Form einer Adäquation an dasselbe eine Lösung des Problems erbringen. Die Gründe für eine solche Annahme hängen mit Schwierigkeiten zusammen, die der Begriff des aktual Unendlichen mit sich bringt. Da sie sehr komplexer Art sind, können sie jeweils nur im Kontext der aus einer Kritik am aktualen Unendlichkeitsbegriff hervorgehenden Theorie behandelt werden. So bleibt denn, nachdem mit Cantor die lange, bis auf Zenon zurückreichende Tradition mathematisch-logischer Kontinuumsauffassung von der Art a k t u a l e r Unendlichkeit, wie hinzugefügt werden muß, gescheitert ist, zu explorieren, ob die genetisch-prozessuale Auffassung weiterträgt. Es liegt nahe, zunächst auf die Kontinuumstheorie des Aristoteles einzugehen, zum einen, weil sie aus einer Kritik der Zenonischen Position erwachsen ist, zum anderen, weil sie bis in die Moderne paradigmenbildend gewirkt hat. 3. Das operativistische Kontinuum Die Aristotelische Kontinuumstheorie, entstanden aus einer Auseinandersetzung mit Zenons Paradoxien, trägt auf weite Strecken noch das Gepräge einer kritischen Stellungnahme. D a Zenons Beweise gegen die Möglichkeit und Wirklichkeit der Bewegung stringente Schlußfolgerungen aus inkompatiblen Prämissen sind, aus der Kontinuitätsannahme auf der einen Seite und der Pluralitätsannahme auf der anderen, muß eine Theorie, der es um den Erweis der Möglichkeit und Wirklichkeit der Bewegung geht, darauf abzielen, eine der beiden Prämissen, sei es total, sei es partial, ad absurdum zu führen. Diesem Absurditätsbeweis wird die Pluralitätsprämisse anheimfallen müssen, da sie sich, sowohl was den Stillstand des Be-

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wegungsobjekts in jedem unteilbaren Element, wie was die Inkompatibilität der unendlichen Anzahl von Elementen mit dem endlichen Kontinuumsausschnitt betrifft, als Wurzel des Übels gezeigt hatte. In der Tat verfolgt Aristoteles genau diese Strategie. Dieselbe hat zum Ziel, nicht den Ansatz der Pluralität schlechthin zu widerlegen, sondern nur den ihrer Aktualität, weil allein diese den Grund der Schwierigkeit ausmacht: N u r in einem aktual gegebenen indivisiblen Element, einer atomaren Strecke oder einem Punkt, ruht das Bewegungsobjekt, nur eine aktuale Unendlichkeit gerät in Widerspruch zur Endlichkeit des Kontinuumsausschnitts. In der Physik, derjenigen unter seinen Schriften, die sich am eingehendsten mit dem Kontinuumsproblem befaßt, hat Aristoteles zwei Versuche zur Widerlegung der Zenonischen Paradoxien unternommen, einen in V I , 2 und einen in V I I I , 8, wovon der erste nach seinem Selbstzeugnis 4 2 ein bloßes argumentum ad hominem darstellt, dem im zweiten eine sachlich fundierte Argumentation nachgeschickt wird. Nach Aristotelischer Darstellung in VI, 2 folgert Zenon in seiner. Dichotomie-Paradoxie die Unmöglichkeit der Bewegung aus der Unmöglichkeit, in endlicher Zeit eine unendliche Anzahl von Punkten oder Teilstrecken zu passieren. Moniert werden von Aristoteles an dieser Stelle zwei Zenon unterstellte Prämissen: 1. die fragwürdige Distinktion und Opposition einer Endlichkeit der zum Durchlaufen benötigten Zeit gegenüber einer Unendlichkeit der durchlaufenen Raumpunkte und -abschnitte und 2. die Konfundierung zweier Arten von Unendlichkeit, der nach Abstand (άπειρον κατά τοις έσχάτοις) und der nach Teilbarkeit (άπειρον κατά διαίρεσιν 233 a 25f). Nach Aristoteles' Meinung basiert der Irrtum Zenons auf der Statuierung einer Differenz zwischen Zeit- und Raumstruktur. Die Paradoxie scheint behebbar, sobald die Isomorphic beider Strukturen herausgestellt ist. Ist die zum Durchlaufen benötigte Zeit begrenzt, so ist es auch die durchlaufene Strecke, ist sie hingegen unbegrenzt, so auch die Strecke, und läßt sich die endliche Strecke in eine unendliche Anzahl von Punkten und Teilstrecken zerlegen, so gilt Entsprechendes auch von der endlichen Zeitspanne. Da das endliche Zeitintervall trotz unendlich vieler Teile durchmessen werden kann, muß es auch das endliche Raumintervall können und damit Bewegung möglich sein 4 3 . 42 43

Physik 263 a 15 ff. Gleich, ob dem Abstand nach eine Endlichkeit oder Unendlichkeit zurückgelegt wird, der Begriff der unendlichen Teilbarkeit bleibt davon untangiert. Daher ist die TeilungsUnendlichkeit einer begrenzten Strecke nicht mit der Abstands-Unendlichkeit zu verwechseln.

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Bei genauerem Hinsehen reicht die Argumentation jedoch zur Widerlegung der Paradoxie nicht aus. Vielmehr verschärft die strenge Parallelisierung von Raum und Zeit das Problem noch, indem sich nun die doppelte Frage aufwirft: 1. wie in einer endlichen Strecke unendlich viele Punkte bzw. Abschnitte und 2. wie in einer endlichen Zeit unendlich viele Momente bzw. Zeitabschnitte durchlaufen werden können. Hinter dieser nach Raum- und Zeitaspekt differenzierten Frage verbirgt sich das generelle Problem, wie eine unendliche Mannigfaltigkeit mit Kontinuität — gleich, ob durch einen Ausschnitt repräsentiert oder nicht — kompatibel sei. Es versteht sich, daß dieses Problem nicht länger mehr durch ein Ausweichen auf den Begriff der Abstands-Unendlichkeit zu lösen ist. Will man die Kompatibilität retten, so bleibt kein anderer Ausweg als der einer Kritik und Revision des Prinzips der Aktualität unendlicher Mengen. In diesem Sinne lautet Aristoteles' definitive Antwort auf die Zenonische Paradoxie in VIII, 8 (263a 28f): έν δέ τώ συνεχεί ένεστι μεν άπειρα ήμίση, αλλ' ουκ έντελεχείςι άλλα δυνάμει. Die These läßt sich auch in der Form wiedergeben, daß ein Bewegungsobjekt in einer endlichen Strecke keine aktual unendliche Zahl von Punkten oder Abschnitten durchmesse, sondern lediglich eine potentielle und entsprechend in der Zeit. Ein genaues Verständnis über den Sinn des Begriffs der Potentialität sowie eine richtige Einschätzung seines Verhältnisses zu dem der Aktualität zu erreichen, fällt nicht ganz leicht. Trotz des allgemeinen Konsenses, daß das Aristotelische Kontinuum aus einer potentiell unendlichen Punkt- oder Abschnittsmenge bestehe, bleibt eine Präzisierung des Begriffs „bestehen" zumeist aus. Auf sie aber kommt es an. Nachdem der Kontinuumsbegriff zu Beginn des VI. Buches im Rahmen einer allgemeinen Klassifikation von Relationsbegriffen 44 eingeführt und gezeigt worden ist, daß zu seiner Konstitution eine Relation zwischen indivisiblen Punkten nicht in Frage kommt, gelangt Aristoteles abschließend zur Definition desselben als eines Teilbaren in immer wieder Teilbares (διαιρετον εις αίει διαιρετά 231b 16). Die Definition bringt zum Ausdruck, daß das Kontinuum gegenüber dem Indivisiblen dadurch charakterisiert ist, daß in ihm jeder durch Teilung gewonnene Teil in einem neuen Teilungsschritt transzendiert werden kann, ohne je an letzte Teile, an absolut Unteilbares, zu gelangen.

44

Vgl. S. 199f dieser Arbeit.

D a s operativistische K o n t i n u u m

211

An dieser Definition fällt die Akzentuierung des Teilungsgeschehens gegenüber der der Produkte der Teilung, der Teile und der sie markierenden Punkte, auf. Das Kontinuum wird gefaßt durch den Konstruktionsakt der Teilung, der zugleich ein Akt der Zählung ist. Dem aktiven Vorgang des Hervorbringens von Teilen und Teilungspunkten entspricht am Kontinuum passivisch das Hervorgehen solcher. Eine Definition dieser Art läßt sich mit Hilfe eines modernen Terminus als operativistische klassifizieren. Verstanden wird hierunter eine Definition, bei der das definiendum im Hinblick nicht auf die an ihm bereits existenten Eigenschaften, sondern auf die an ihm erst zu produzierenden bestimmt wird. Das definiens stellt hierzu eine Konstruktionsvorschrift, gegebenenfalls einen ganzen Satz von Operationsregeln, bereit, nach denen bestimmte Qualitäten erzeugt werden. Was am Objekt interessiert, ist allein das, was mit ihm geschehen kann. Genau dies ist der Fall bei der Aristotelischen Definition; denn in ihr versteht sich das Kontinuum von dem her, was mit ihm angestellt werden kann 4 5 . Dieser operativistische Zug läßt sich bei Aristoteles auch sprachlich belegen. Vor allem zwei Erscheinungen fallen auf: Zum einen bevorzugt Aristoteles zur Deskription und Definition des Kontinuums verbale Ausdrücke, die bereits ihrer Wortklasse nach ein Tun indizieren (vgl. die deutsche Ubersetzung des lateinischen „ v e r b u m " als „Tätigkeitswort"). Unter ihnen gilt die Präferenz ausgesprochenen Tätigkeits- und Bewegungsbegriffen wie διαιρεϊν, τέμνειν, άριθμεΐν προστιθέναι, λαμβάνειν, διεξιέναι, διέρχεσθαι, βαδίζειν, γίγνεσθαι usw. 4 6 . Zum anderen vermeidet Aristoteles, soweit er nicht fremde Definitionen zitiert, konsequent den Gebrauch des Substantivs „Teil", da dieses den Gedanken entweder an immer schon vorliegende Bestandteile oder an Resultate eines bereits abgeschlossenen Teilungsprozesses aufkommen lassen könnte. Für Aristoteles aber ist das Kontinuum nicht aus Teilen zusammengesetzt, folglich auch nicht in solche zerlegbar. Denselben operativistischen Charakter weist der mit dem Kontinuumsbegriff essentiell verbundene Unendlichkeitsbegriff auf. Mit der Definition, 45

Eine mengentheoretische D e u t u n g , selbst eine, die das K o n t i n u u m nicht aus einer aktual, sondern potential unendlichen Vielzahl v o n Punkten bestehend denkt, liegt Aristoteles fern. Zwar ist die M a r k i e r u n g von Punkten im Aristotelischen K o n t i n u u m jederzeit möglich, sie versteht sich aber nicht als Explikation von immer schon V o r g e g e b e n e m , sondern als E r z e u g u n g . Diesen operativistischen Charakter zuerst herausgearbeitet zu haben, ist das Verdienst von W. Wieland: D i e aristotelische P h y s i k , G ö t t i n g e n 1962, S. 3 0 0 f f .

46

Vgl. besonders Physik III, 4 - 8 , VI, 1 - 2 , V I I I , 8.

212

Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

daß das Kontinuum teilbar sei in immer wieder Teilbares, ist äquivalent die, daß es ins Unendliche teilbar sei (εις άπειρον γαρ διοαρετον τό συνεχές 185b 10f). Beide treten stellvertretend füreinander ein. Wie Aristoteles in ausführlichen Untersuchungen im 4. und 5. Kapitel des III. Physikbuches zeigt, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen zu werden braucht, darf der Unendlichkeitsbegriff weder als Dingbegriff im Sinne einer unendlichen Substanz noch als Eigenschaftsbegriff im Sinne einer unendlichen Größe noch als Mengenbegriff verstanden werden, da er in allen diesen Bedeutungen in unüberwindbare Aporien gerät. Seine einzig legitime Verwendung hat er als Handlungsbegriff. Wenn daher vom Unendlichen im Kontext des Kontinuums die Rede ist, so kann weder gemeint sein, daß der Gegenstand der Teilung und Zählung, noch auch, daß das Resultat derselben unendlich sei, sondern allein, daß die Handlung der Teilung und Zählung 47 von dieser Art sei. Der Sinn von Unendlichkeit reduziert sich auf den unendlichen Konstruktionsprozeß bzw. die unbegrenzte Iteration von Teilungspunkten und Zahlen. Es versteht sich, daß nach Maßgabe eines solchen Begriffs eine aktual unendliche Punkt- oder Zahlenmenge zur idealen, unerreichbaren Zielvorstellung werden muß. Da die Menge keine seiende, sondern eine stets werdende ist, gebunden an den unabschließbaren Prozeß, hört sie auf, ein vom Prozeß ablösbares, intendierbares Ziel des Suchens zu sein: Die unendliche Menge wird zur Unendlichkeit des Weges selbst 48 . Außer der expliziten Unendlichkeitsaussage enthält die Aristotelische Kontinuumstheorie noch eine implizite, wenngleich nicht zu übersehende Homogenitätsaussage, die ebenfalls operativistische Züge trägt. Die Annahme, daß das Kontinuum teilbar sei in immer wieder Teilbares resp. ins Unendliche, hat nur dann ihre Berechtigung, wenn sich auf jeder Teilungsstufe dieselben Eigenschaften zeigen. Jeder Teil des Kontinuums muß in sämtlichen Bestimmungen demjenigen, dessen Teil er ist, konform sein. Statt der Aristotelischen Kontinuumsdefinition den naheliegenden Vorwurf der Zirkularität zu machen, da sie von zusammenhängenden Teilen ausgehe und zu Teilen, die selbst wieder kontinuierlich zusammenhängen, zurückführe, kann man in dieser Wiederkehr des Gleichen den legitimen Ausdruck einer Gleichförmigkeit sehen, die, independent vom Inhalt, nur die generelle, durchgängige Gleichstrukturiertheit des Kontinuums wiedergibt. Evident wird diese strukturelle Gleichheit von „Ganzem" und „Teil" 47 48

Das άεί άλλο καΐ άλλο λαμβάνεσθοα 206a 27f, vgl. 22. Vgl. Physik 207b 14: ούδε μένει ή άπειρία άλλα γιγνεται.

Das operativistische Kontinuum

213

jedoch nur im real vollzogenen Prozeß der Teilung und außerhalb seiner überhaupt nicht. Was Gleichförmigkeit bedeutet, zeigt sich nur als Gleichförmigkeit des Prozesses. So offenbart das Aristotelische Kontinuum unter diversen Aspekten einen operativistischen Charakter. Mit der Disposition für bestimmte von der Operationsregel vorgesehene Operationen wie die Teilung geht eine spezifische ontologische Verfassung einher, nämlich die, der Anlage nach die durch Teilung zu eruierenden Abschnitte und Punkte in sich zu enthalten. Das Kontinuum muß zumindest eine potentiell unendliche Menge von Teilen und Punkten implizieren, wenn es dem Teilungsprozeß Ansatzpunkte soll bieten können. Der operativistische Begriff ist daher notwendig mit dem Dynamis-Begriff verbunden, wie er in der eingangs zitierten Definition zum Ausdruck kommt 4 9 , und auch umgekehrt ist die Dynamis des Kontinuums notwendig in Relation zu der Tätigkeit bestimmt, deren Anwendung sie gestattet. Es gilt jedoch zu beachten, daß die Aristotelischen Modalbegriffe der δύναμις und έντελέχεια, ένέργεια im Rahmen der Kontinuitäts- und Unendlichkeitstheorie aus Gründen, die in der Sache liegen, eine gegenüber ihrem Gebrauch in bezug auf endliche Gegenstände modifizierte Bedeutung haben s o . Die Tragweite der Aristotelischen Theorie läßt sich erst abschätzen, wenn diese Bedeutung hinreichend geklärt ist. Nach der im neunten Buch der Metaphysik entwickelten Theorie des Möglichen und Wirklichen handelt es sich bei diesen beiden Begriffen um ontologische Bestimmungen, die trotz ihres alternativen Charakters in einer Relation von der Art der Subordination stehen. Dem δυνάμει öv, das einen dem ενεργείς öv analogen Bedingungskomplex aufweist, fehlt eine Bedingung, deren Hinzutritt — sei es auf natürliche Weise von innen oder auf künstliche von außen — dasselbe in ein ένεργείςχ öv verwandelt. Gängige Beispiele solcher Dynamis sind der in der Eichel involvierte Eichbaum oder die im Marmorblock schlummernde Herme. Außer jenen Seinsbereichen, die eine totale Realisierung des Möglichen gestatten und gestatten müssen, damit das Mögliche als Mögliches erkannt und vom Unmöglichen unterschieden werden kann, gibt es solche, in denen dies nicht der Fall ist, in denen nur eine sukzessive, aber nie vollendbare Realisation stattfindet. Als Beispiele nennt Aristoteles in Physik III, 6 49 so

Physik 263 a 28 f. Zu den verschiedenen Bedeutungen des Dynamis-Begriffs und ihrer Entwicklung vgl. M. Wundt: Untersuchungen zur Metaphysik des Aristoteles, Stuttgart 1953, S. 79ff, desgleichen W.Wieland, a . a . O . , S. 291 ff.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

(206 a 22) den Tag und den Wettkampf — gemeint sind mit letzterem die Olympischen Spiele, die den Griechen zum Maß der Zeitrechnung dienten —, welche sich beide nur in einem nie endenden Prozeß von Wiederholungen realisieren, derart, daß jeweils nur ein Tag, eine Olympiade wirklich ist, aber die Möglichkeit zu einem weiteren bzw. einer weiteren besteht: Auf jeden Tag folgt ein neuer, auf jede Olympiade eine neue. Die hier intendierte Wirklichkeit schließt die Möglichkeit des Neuentstehens ein, sie ist Energeia im Modus der Dynamis. Nicht ist das Verhältnis beider mehr das einer Subordination; auch als Koinzidenz 5 1 wäre es nur unzureichend beschrieben; vielmehr handelt es sich um eine· eigentümliche Verschränkung der Modalbegriffe, eine stufenweise Applikation derselben aufeinander, mit dem Erfolg, daß die Wirklichkeit nicht abgeschlossen in sich ruht, sondern, mit einem Uberschuß an Möglichkeit versehen, ständig über sich hinaustreibt. Gleiches gilt auch von den Teilungsabschnitten und -punkten des Kontinuums. Ihre Potentialität ist keine solche, die jemals vollständig in Aktualität transformiert werden könnte, vielmehr eine, die sich nur sukzessiv und progressiv in einem nie abschließbaren Prozeß realisiert. Dadurch daß jede durch einen Teilungsakt hervorgerufene Wirklichkeit eines Abschnitts die Möglichkeit zu weiterer Teilung enthält, wird das Kontinuum und die in ihm implizierte potentiell unendliche Menge von Abschnitten und Punkten zu einem unendlichen Prozeß der Verwirklichung. Es ist kein Zufall, daß dieselbe Akt-Potenz-Struktur, die am Kontinuum auftritt, in der Definition der Bewegung wiederkehrt und daß vermittels ihrer Bewegung auf das Kontinuum anwendbar wird. Aristoteles' Bewegungsdefinition: ή τοϋ δυνάμει οντος εντελέχεια, f) τοιούτον, κίνησίς έστιν (201a 10f) meint nicht, wie zwar oft, aber fälschlicherweise angenommen wird, daß Bewegung in der Verwirklichung des der Möglichkeit nach Seienden im Sinne eines Übergangs vom Möglichen zum Wirklichen besteht; denn diese Übersetzung ließe das signifikante f| τοιούτον, das auf ein bewegbar Bleibendes, Bewegungsfähiges deutet, außer acht, sondern meint, daß Bewegung eine Wirklichkeit in der Form der Möglichkeit ist, wobei letztere sich als Movens neuer und neuer Verwirklichung erweist. Kraft dieser Wechselimplikation der Modalbegriffe fallen Bewegung und Kontinuum zusammen, so daß das Kontinuum durch Bewegung, Prozeß, Werden beschrieben werden kann. Die Aristotelische Kontinuumsdefini51

So bei Simplicius in Aristotelis physicorum libros quattuor priores und posteriores commentaria, ed. H . Diels, 2 Bde., Berlin 1882-1895, Bd. 1, S. 493, 19f.

Das operativistische Kontinuum

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tion läuft damit auf einen kinetisch-genetischen Begriff hinaus, demzufolge das Kontinuum kein statisches, sondern dynamisches ist. Die in ihm enthaltene Abschnitts- resp. Punktmenge gibt sich nicht als aktuale, seiende, sondern als potentielle, werdende, mithin das Kontinuum als Prozeß der Entstehung solcher 5 2 . Ob die Aristotelische Kontinuumskonzeption das Zenonische Paradox zu lösen vermag und darüber hinaus beanspruchen darf, d i e adäquate Kontinuumsdefinition zu erstellen, hängt davon ab, ob sie sich als konsistent erweist. Dies läßt sich bezweifeln. Denn da die Definition, unter welche die von Aristoteles stets als Beispiele angeführten Kontinua Raum, Zeit und Bewegung subsumierbar sein sollen 53 , selbst auf Bewegung hinausläuft und diese als sukzessiver Vorgang immer auch zeitlich ist und zudem in ihrer Sukzessivität nur verständlich wird unter Voraussetzung der Simultaneität des Raumes — so wie das Fließen eines Flusses nur begreiflich wird unter Voraussetzung eines konstanten Flußbetts, das als Bezugssystem fungiert —, erhebt sich gegen sie der Vorwurf der Redundanz. Im Prinzip ist es gleichgültig, ob diese als Zirkel oder als infiniter Regreß ausgelegt wird. Im ersten Fall herrscht die Annahme, daß dieselbe Bewegung einschließlich ihrer Implikate Raum und Zeit, die im definiendum auftritt, im definiens wiederkehrt, so daß beide derselben Ebene angehören, im zweiten Fall die, daß zur Definition eine Bewegung höherer Ordnung verwendet wird und zu deren Definition wieder eine höherer Ordnung und so fort, so daß sich eine stufenmäßige Schichtung ergibt. In beiden Fällen liegt gleicherweise eine petitio principii vor, da das Zu-Erklärende in die Erklärung eingeht. Es ließen sich verschiedene Möglichkeiten zur Entkräftung des Einwands in Erwägung ziehen. Das Naheliegendste wäre, eine Differenz zwischen der zu definierenden Bewegung inklusive ihrer Implikate und der definierenden anzunehmen. Indem man die erste als naturale, in der Welt stattfindende klassifizierte, die letzte als intellektuelle, als Tätigkeit des 52

Auf diesen prozessualen Charakter des Aristotelischen Kontinuums, insbesondere seine temporale Komponente, haben bereits O. Becker in seinem Unendlichkeits-Abschnitt in Mathematische Existenz, a . a . O . , S. 641 ff sowie W.Wieland in seinem KontinuumsKapitel in Die aristotelische Physik, a.a. O., S. 300 hingewiesen. Sie stellen vorzugsweise die Temporalität des Kontinuums heraus und leiten diese aus der Zeitstruktur des Teilungsgeschehens ab.

53

Genau besehen allerdings ist für Aristoteles Kontinuum kein abstraktes Genus, unter das Raum, Zeit und Bewegung als Spezies fallen, sondern eine Eigenschaft, die sich stets an allen zugleich zeigt, die an einem nur zum Vorschein kommt, wenn dies gleichzeitig auf die anderen bezogen wird. Vgl. dazu die Verhältnisbetrachtungen von Größe, Zeit und Bewegung in Physik VI, 2, 232 a, 23 ff.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Geistes, die die erste nur interpretierte, ließe sich darauf ein Unterschied gründen, dergestalt, daß nur der ersten Kontinuität konzediert würde, der letzten hingegen Diskretion. Das Argument macht Gebrauch von dem Gedanken, daß die definierenden Akte der Teilung und Zählung Verstandeshandlungen sind, der Verstand (νόησις) aber von Hause aus auf Einfaches, Unteilbares, Disparates angelegt ist und daher bei der Definition des in der Wahrnehmung Vorgegebenen stets nur einen Teil nach dem anderen in einer infiniten Reihe von Schritten herauszuheben vermag. Die Diskretion des geistigen Prozesses wäre so in der Diskretion des Verstandes fundiert. In diese Richtung zielt die Interpretation von W. Wieland. Unter Berufung auf die pseudo-aristotelische Abhandlung de lineis insecabilibus heißt es bei ihm: „ D i e spezifische Tätigkeit des Denkens im Hinblick auf die wahrnehmbaren Größen und Bewegungen, das άει άλλο και άλλο λαμβάνεσθαι ist keine Bewegung von der Art, wie sie in der natürlichen Welt vorkommt. Die zählende und teilende „ B e w e g u n g " des Denkens ist nämlich selbst nicht kontinuierlich, sondern diskret, wie dies die peripatetische Schulschrift von den unteilbaren Linien deutlich ausspricht (de lin. insec. 969a 30ff). Durch eine solche diskrete Bewegung wird aber auch die Zeit selbst erst konstituiert, in dem sie nämlich auf die kontinuierlichen Bewegungen der natürlichen Welt angewendet w i r d " 5 4 . Gegen diese Auslegung bestehen jedoch Bedenken. Zum einen ist zu unterscheiden zwischen dem reinen, unangewandten, abgesondert für sich existierenden und insofern diskret zu nennenden Verstand und dem angewandten, auf wahrnehmungsmäßig Gegebenes bezogenen. Während jener nichts weiter als das Vermögen zu unbegrenzter Teilung und Zählung ist, selbst aber noch kein Teilungs- und Zählungsprozeß und daher auch weder in sensu stricto noch per analogiam eine Bewegung genannt werden darf, weil unmöglich die bloße Fähigkeit zu einer Ausübung mit dieser selbst identifizert werden kann, stellt der angewandte, im Prozeß der Teilung und Zählung sich realisierende Verstand eine Bewegung dar, jedoch eine nicht minder kontinuierliche als jede andere, — mag auch ungeklärt bleiben, wie eine diskrete Instanz in einen kontinuierlichen Prozeß eingehen kann. Die kontinuierliche Prozeßnatur ist auch schon daraus ersichtlich, daß nach operativistischer Definition dem aktiven Teilungs- und Zählungsprozeß der passive des Hervorgangs von Teilungsabschnitten und -punkten entspricht, und dieser hatte sich nicht nur als unendlich erwiesen, insofern die intendierte Unendlichkeit der Abschnitts- und Punktmenge zur Unend54

W . W i e l a n d , a . a . O . , S. 3 0 6 f .

Das operativistische K o n t i n u u m

217

lichkeit des Prozesses ihrer Entstehung wurde, auch nicht nur als homogen, insofern die Homogenität nur in der Homogenität des Prozesses sichtbar wurde, sondern auch und gerade als kontinuierlich, insofern die zu definierende Kontinuität sich nur in der Kontinuität des Definitionsprozesses zeigte. Zum anderen können nach Auskunft der Physikstelle 262 a 21 ff Teilung und Zählung nicht nur vom Intellekt vorgenommen werden, indem dieser in Gedanken eine bestimmte Strecke in bestimmter Zeit durchmißt und seine Markierungen anbringt, sondern auch von einem Bewegungsobjekt, indem dieses beim Durchlaufen pausiert und neu beginnt und so Raumund Zeitteile voneinander trennt und den Bewegungsprozeß in sich gliedert. Geistige und natürliche Bewegung stimmen darin überein, daß sie kontinuierliche und gleichwohl diskrete Teilungen vollziehende Prozesse sind. Damit erweisen sich beide als ambivalent, ihrem Wesen nach als kontinuierlich, ihren Produkten nach als diskontinuierlich, nicht anders als das Werden der Tage oder der Olympiaden, welches gleichfalls ein kontinuierlicher Vorgang mit diskreten Ergebnissen war. Damit wird offenkundig, daß die Aristotelische Konzeption das Zenonische Paradox der Bewegung mit seiner Inkompatibilität von Kontinuität und Diskontinuität keineswegs behebt, sondern selbst voraussetzt. Möglichkeit und Wirklichkeit der Bewegung werden nicht erklärt, sondern im Teilungs- und Zählungsprozeß bereits in Anspruch genommen. Geht auch Aristoteles' Meinung dahin, daß Kontinuität nur solange vorliegt, wie sie einer Bestimmung durch besagte Operationen zugänglich ist, dagegen bei deren realem Vollzug aufgehoben wird, so gilt doch andererseits, daß der in der Definition enthaltene und ausgeführte Teilungs- und Zählungsprozeß seinerseits bereits die geleugnete Kontinuität voraussetzt. Diesem Umstand könnte ein anderer Lösungsvorschlag entnommen werden, der darauf rekurriert, daß Redundanz das Schicksal aller Definitionen von Grundbegriffen ist. Das Phänomen, daß die an Bewegung, Raum und Zeit auftretende Kontinuität selbst nur durch eine prozessuale, temporale und spatiale Kontinuität bestimmt werden kann, ist hiernach Indiz für die Irreduzibilität dieser Struktur. Die Zirkularität hört auf, ein circulus vitiosus zu sein, sobald sich die Definition in die Dimension von Grundfakten begibt, weil hier vorab feststeht, daß die Ableitung derselben von ihnen selbst Gebrauch macht. Jedoch auch bei diesem Ausweg ist zu differenzieren zwischen der eigentlichen Intention einer Definition und ihren unvermeidbaren Begleiterscheinungen. Sofern Aristoteles' operativistische Definition reklamiert,

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das Kontinuum erschöpfend zu erklären, kollabiert sie an ihrer Redundanz, da sie das eigentlich Zu-Erklärende weiterhin als unbewältigtes Problem mit sich führt. So verstanden muß der Versuch eine Substitution des Kontinuums durch eine zwar nicht seiende, doch werdende Punktmenge als gescheitert angesehen werden. Dagegen läßt sich der Redundanz dann ein positiver Sinn abgewinnen, wenn sie als eine mit der Definition von Grundsachverhalten einhergehende Unvermeidbarkeit betrachtet wird, die gerade Ausdruck einer Definition dieser Art ist. Eine so gefaßte Redundanz weist notwendig über sich hinaus auf ein definitorisch nicht einzuholendes Faktum. D a Definition sich als Versuch einer theoretischen Bewältigung eines Vorgegebenen versteht, muß sie auf Zugrundeliegendes bezogen sein. Der Prozeß der Konstruktion von Teilungspunkten wäre nicht möglich ohne den Rückgriff auf etwas, an dem er sich zu vollziehen vermag und aus dem die Punkte rekrutieren. Auf diesen vorgegebenen Grund des rationalen-mathematischen Kontinuums weist nun in der Tat die Aristotelische Definition, und zwar genau so, wie sie darauf weisen muß: via negationis der Rationalität. Zu Beginn des VI. Buches der Physik bestimmt Aristoteles, wie schon erwähnt wurde, das Kontinuum zusammen mit einer Reihe verwandter Begriffe als einen Relationsbegriff, der sich bei genauerer Analyse als ein negativer erweist: Kontinuität liegt dann vor, wenn die Grenzen extensionaler Ganzer zusammenfallen. D a Relation die Beziehung zwischen distinkten Relata meint, die hier durch extensionale Ganze repräsentiert werden, bezeichnet der Zusammenfall der Grenzen solcher Relata die Aufhebung von Relation. Denn beim Zusammenfall der scheidenden und unterscheidenden Grenzen hören die Glieder auf, in ihrer Selbständigkeit, numerischen Zweiheit und qualitativen Differenz zu existieren und bilden einen einzigen, gleichmäßigen, lückenlosen Zusammenhang. D a die Herstellung von Relationen, sei es in Form von Trennung oder Verbindung, eine Leistung des analytisch-synthetischen Verstandes ist, deutet sich hier eine Kontinuumsvorstellung a-begrifflicher, phänomenaler Art an. Bevor wir diesem weitreichenden Gedanken weiter nachgehen, soll eine moderne Variante der operativistischen Kontinuumsauffassung vorgestellt werden, die sich von der vorangehenden durch die Art des Prozeßverlaufs unterscheidet. Während der Prozeß bisher durch das in der Definition implizierte Einteilungsprinzip als gesetzlich geregelt galt, sollen jetzt die Einteilungen ungesetzmäßig nach freier Wahl erfolgen. Diese von dem Mathematiker Brouwer konzipierte Theorie der sog. freien Wahlfolge kann als eine Reformulierung Aristotelischer Gedankengänge auf dem Boden

Das operativistische Kontinuum

219

und mit den Mitteln der modernen Mathematik angesehen werden, die dem heutigen, durch die Mengentheorie hindurchgegangenen Erkenntnisstand Rechnung trägt und zu einem Kontinuum nicht nur der Halbierungspunkte gemäß dem Dichotomieprinzip, sondern aller Punkte, auch irrationaler, zu gelangen sucht 55 . Wie zu seiner Zeit Aristoteles' Theorie von der Potentialität des Unendlichen und vom Werden der Punktmenge eine Kritik an Zenons Prämisse von der Aktualität der Unendlichkeit und vom Sein der Punktmannigfaltigkeit darstellte, so stellt heute Brouwers Theorie eine Kritik an Cantors mengentheoretischer Position mit ihrer Annahme einer in actu existierenden überabzählbaren Punktmenge dar. Die Kontinuumskritik bildet allerdings nur einen, wenngleich nicht unbedeutenden Bestandteil einer umfassenden intuitionistischen Abrechnung mit der Mengentheorie und deren ontologisch-logischen Implikationen, die eine Wende in der modernen Mathematik markiert, insofern als sie das mathematische Denken wieder mehr an der von der Mengentheorie vernachlässigten Anschauung orientiert. Für das Kontinuum hat dies zur Folge, daß seinem phänomenalen Charakter Rechnung getragen und die punktuelle bzw. zahlentheoretische Auffassung als verstandesmäßige, in specie mathematische Interpretation gedeutet wird. Da sich Brouwers Ideen fast ausschließlich in mathematischem Kontext expliziert finden 56 , im Rahmen unserer Fragestellung aber allein die generellen logisch-ontologischen Implikationen interessieren, ist von mathematischen Spezialfragen soweit wie möglich zu abstrahieren und die Untersuchung philosophisch zu führen. Am leichtesten erschließt sich Brouwers Theorie von ihrer Intention und Strategie her, die basale mengentheoretische Voraussetzungen in Frage stellt. Eine dieser Fundamentalprämissen ist die Annahme der realen Existenz von Mengen, endlicher wie unendlicher, die Cantor mit dem Argument begründet, daß mathematische Operationen wie die der Teilung und Zählung überhaupt nicht möglich wären, wenn sie nicht auf immer schon vorliegende Teilungspunkte und Zahlen rekurrieren könnten. Wenn sich auf einer Geraden unendlich viele Punkte entdecken lassen, so nur deshalb, weil sie dort bereits vorhanden sind; wenn sich die Zahlenreihe ins Unendliche fortsetzen läßt, so nur deshalb, weil es unendlich viele Zahlen 55

56

Wie oben dargelegt, führten die in der Antike bekannten Konstruktionsverfahren nicht über Halbierungspunkte hinaus. Die durch die Mengentheorie inspirierte Frage nach der Existenz aller Punkte verlangt daher eine entsprechende Erweiterung des Konstruktionsverfahrens. Zu den Texten vgl. S. 183 f Anm. 6. Zur Analyse der Brouwerschen Theorie vgl. H. Weyl, a . a . O . , bes. 2. Teil und O. Becker: Beiträge zur phänomenologischen Begründung der Geometrie und ihrer physikalischen Anwendungen, a . a . O . , S. 4 2 5 f f .

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gibt. Auf diesen Gedanken laufen im Prinzip alle Argumente Cantors für die Aktualität hinaus, so, wenn er in der Theorie der Irrationalzahlen das Vorhandensein derselben damit begründet, daß allein auf dieser Basis Reihenbildung zustande komme 5 7 , oder wenn er für Analysis, Zahlentheorie und Algebra die Unentbehrlichkeit des aktual Unendlichen wie folgt rechtfertigt: „Damit eine . . . veränderliche Größe in einer mathematischen Betrachtung verwertbar sei, muß strenggenommen das „ G e b i e t " ihrer Veränderlichkeit durch eine Definition vorher bekannt sein; dieses „ G e b i e t " kann aber nicht selbst wieder etwas Veränderliches sein, da sonst jede feste Unterlage der Betrachtung fehlen würde, also ist dieses „ G e b i e t " eine bestimmte aktual-unendliche Wertmenge" 5 8 . Gemeint ist, daß a priori, vor aller mathematischen Operation, der Aktionsraum derselben durch die Definition und die in ihr involvierten Axiome festgelegt sein muß, damit man sich auf die Durchführbarkeit der mathematischen Operation verlassen kann. Aktuale Unendlichkeit fungiert demnach als Voraussetzung mathematisch verwertbarer Potentialität 59 . Mit dieser Prämisse verbindet sich eine zweite, die Cantor in der lateinischen Form „Omnia seu finita seu infinita d e f i n i t a sunt et excepto Deo ab intellectu determinari p o s s u n t " 6 0 ausgedrückt und dadurch zugleich akzentuiert hat. Es ist das Gesetz der durchgängigen Determination alles Seienden, demzufolge dieses hinsichtlich seines Soseins vollständig und eindeutig bestimmt ist, derart, daß ihm von allen möglichen kontradiktorischen Prädikaten jeweils das eine zukommt, das andere nicht. Das Gesetz gilt, ob ein Erkenntniswesen um den Sachverhalt weiß oder nicht; denn mit dem Dasein eines Dinges muß auch sein Sosein gegeben sein, da Existenz nicht für sich, sondern nur in Verbindung mit einer bestimmten Existenzweise vorkommt. Sind beispielsweise Ε und non Ε zwei einander kontradiktorisch entgegengesetzte Eigenschaften, so steht a priori und noch vor aller Uberprüfung durch das Subjekt fest, daß jedes Seiende eines der beiden besitzen muß, wenn nicht E, dann non E, und wenn nicht non E, dann E. Das Gesetz postuliert eine vollständige Disjunktion der Prädikate und der durch sie bezeichneten Klassen sowie eine vollständige und eindeutige Verteilung der Dinge auf sie. Auf diesem o n t o l o g i s c h e n , 57 58 59

60

G . C a n t o r , a . a . O . , S. 410. G . C a n t o r , a . a . O . , S. 4 1 0 f . W o m i t freilich nicht behauptet ist, daß die Gesamtheit aktualer Elemente auch schon explizit bewußt sein müßte. Vielmehr läßt sich ein Reservoir unendlich vieler unbewußter oder nur z u m Teil bewußter Elemente denken, die erst sukzessiv z u Bewußtsein gebracht werden. G . C a n t o r , a . a . O . , S. 176.

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221

weil eine Aussage über das Seiende formulierenden G r u n d s a t z basiert der f o r m a l l o g i s c h e Satz v o m ausgeschlossenen Dritten (principium tertium exclusi), der, auf die Aussage als solche und ihre Struktur restringiert, behauptet, daß jeder Satz, im einfachsten Falle eine Subjekt-PrädikatBeziehung, richtig oder falsch, eine dritte Möglichkeit aber ausgeschlossen sei 6 1 . Gegen beide Prämissen: 1. die von der Aktualität und 2. die von der durchgängigen Bestimmung des Seienden bestehen, insbesondere was ihre Anwendung auf unendliche Mengen betrifft, von intuitionistischer Seite schwerwiegende Bedenken 6 2 . D e r Haupteinwand richtet sich gegen die Möglichkeit einer Existenzaussage unendlicher Mengen en bloc. D i e v o m Intuitionismus berufenen Erkenntnistheorien, der Kantische Kritizismus und der transzendentale Idealismus Husserls, haben mit N a c h d r u c k darauf hingewiesen, daß Existenz für uns nur dann relevant ist, wenn sie kontrolliert werden kann, also letztlich einen B e z u g zur erkennenden Subjektivität aufweist. Die Frage nach Bestehen oder Nicht-Bestehen eines Sachverhalts verliert ihren Sinn, wenn die Mittel zu ihrer Entscheidung fehlen. D a die Mittel einer endlichen Subjektivität notwendig begrenzt sind und sich in endlich vielen Beweisschritten erschöpfen, muß ein Sachverhalt von der Art unendlicher Mengen einer N a c h p r ü f u n g prinzipiell entzogen bleiben. Nicht weniger gravierend ist das Argument, das gegen die U m f a n g s finitheit einer in Analogie zur endlichen Menge konzipierten unendlichen

61

Auf die Differenz beider zumeist konfundierten Grundsätze hat H . Schmitz, a . a . O . , Bd. 1, S. 325 ff und 413 ff hingewiesen. Er bestimmt dieselbe dahingehend, daß beim Satz der durchgängigen Determination die Negation eines bestimmten Prädikats die Position des kontradiktorischen Gegenteils impliziert, der Mangel eines Attributs also zur Bestimmung durch den Mangel hypostasiert wird, während der Satz vom ausgeschlossenen Dritten sich auf das Zu- oder Absprechen eines bestimmten Prädikats beschränkt, ohne eine weitergehende Aussage über das Zukommen des kontradiktorischen zu machen. Kritisch zu der von Schmitz aus diesem Unterschied gezogenen Konsequenz: der Ablehnung des ersten Satzes als eines ontologisch unausweisbaren und der ausschließlichen Akzeptierung des zweiten als eines wohlbegründeten, ist zu bemerken, daß selbst die N e g a t i o n eines Prädikats im Rahmen des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten q u a t a l i s , d . h . qua Tätigkeit, welche ein Positives ist, nicht möglich wäre ohne die Gültigkeit des ersten Satzes und die in ihm involvierte Gegensatztheorie. Und schließlich setzt auch die Anwendbarkeit des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten auf sich selbst zum Nachweis seiner eigenen Geltung den ersten Satz voraus.

62

Formuliert werden diese allerdings in bezug auf die zweite Prämisse expressis verbis als Einwände gegen den logischen Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Der Sache nach jedoch treffen sie in Anbetracht des aufgezeigten Fundierungsverhältnisses den zugrunde liegenden ontologischen Satz von der durchgängigen Bestimmung.

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Menge spricht. Eine solche Analogiebildung muß schon deshalb sinnwidrig erscheinen, weil das Unendliche, welches ohne Ende ist, seiner Bedeutung nach gerade keine abgeschlossene, vollendete, festumrissene Gesamtmenge bezeichnet, sondern Offenheit, Unerschöpflichkeit meint. Mit der Umfangsbegrenzung entfällt auch die durchgängige und eindeutige Bestimmtheit, da ungewiß bleibt, ob sich in einer offenen Menge diese oder jene Qualität überhaupt finden wird. Die einzige Garantie für die Existenz und Determination von Mengen, vorab unendlichen, bietet die durchgeführte Einzelkonstruktion. Aus diesem Grunde ersetzt Brouwer und mit ihm der Intuitionismus das unkontrollierbare mengentheoretische Axiom vom Vorhanden- und Vorherbestimmtsein unendlicher Mengen durch das Uberprüfung gebietende Postulat von der Herstellung derselben. Für diese „poietische" Auffassung ist Mathematik mehr ein Tun als eine Theorie. In radikalem Gegensatz zur axiomatisch-deskriptiven Einstellung, der das Mathematische als Transzendentes gilt, wird für die konstruktiv-erzeugende Haltung die Frage der Existenz zu einer Frage des Zugangs. Konstruktion ist für sie nicht so sehr eine Methode zur Erfassung von Vorgegebenem, als vielmehr eine zu dessen Produktion. Was zählt, ist nicht die mögliche, sondern die wirkliche Konstruktion, der gelungene Beweis. So tritt im Intüitionismus an die Stelle der seienden, aktual unendlichen Menge die durch Konstruktion erzeugte and wegen der Sukzessivität und Unabschließbatkeit des Könstruktiönsprozesses ständig im Entstehen begriffene, von der parädoxerweise gilt, daß sie nur so lange erzeugt wird, wie sie gerade nicht erzeugt wird, d. h. wie die Konstruktion nicht an ihr Ende gelangt ist. So sehr sich BrouWers konstruktivistischer Grundsatz an Aristoteles' operativistisches Konzept anlehnt, zwei Unterschiede sind nicht zu übersehen. 1. Die wesentliche Differenz zwischen antiker und neuzeitlicher Mathematik 63 und damit auch zwischen Aristoteles und Brouwer besteht darin, daß in der Neuzeit Punkte wie überhaupt scharfe Grenzen nicht als fertig gegebene Gebilde, sondern als ideale, unerreichbare Zielpunkte unendlicher Konvergenzprozesse gelten. In der Konsequenz dieses Ansatzes liegt, daß bei der Teilungskonstruktion, die zu solchen Punkten führen soll, von denselben kein Gebrauch gemacht werden darf, wenn jene nicht zirkulär werden soll. Wie eine Teilung ohne Benutzung exakter Grenzen vor-

63

Vgl. S. 250f.

223

Das operativistische Kontinuum

zustellen ist, dafür hat Brouwer mit seiner Methode der Intervallverschachtelung ein Verfahren bereitgestellt 64 : Man denke sich im einfachsten Fall einen Ausschnitt aus einem eindimensionalen Kontinuum, die Linie AB, und diese in vier gleichgroße Teile geteilt, die fortlaufend als 1, 2, 3, 4 numeriert werden und um die Viertelteile 0 und 5 ergänzt werden. Sodann fasse man jeweils zwei von ihnen zusammen, und zwar so, daß sie übereinandergreifen und ein System sich überschneidender sog. Dualintervalle von der Art Ol, 12, 23, 34, 45 ergeben. Der Sinn dieses Überschneidens ist der, zu zeigen, daß auch im Falle unscharfer, verschwimmender Grenzen, deren Unscharfe hier ein Viertelteil beträgt, ein bestimmtes Intervall i von kleinerer Größenordnung als die Intervalle des Systems mit Sicherheit einem derselben zugeordnet werden kann, entweder Ol oder 12 oder 23 oder 34 oder 45. , Da sich das angegebene Teilungsverfahren iterieren läßt, indem man sines der Dualintervalle erster Ordnung zur Basis wählt und durch dessen Einteilung in Viertelintervalle zu solchen zweiter Ordnung 1', 2', 3', 4' usw. gelangt sowie durch deren Zusammenfassung zu entsprechenden Dualintervallen 01', 12', 23', 34', bezüglich deren dasselbe gilt wie im ersten Fall, nämlich, daß ein genügend klein gedachtes Intervall i' alternativ in einem derselben, entweder in 01' oder 12' oder 23' usw., liegen muß, kommt man zu immer kleineren Dualintervallen und damit zu einer immer größeren Gebietsverschrankuung der in ihrem Innern gelegenen Intervalle i, i', i " usw. Denn mit der Abnahme der Dualintervalle geht eine Einschränkung des Spielraürhs der Intervalle iff einher, die gegen einen Limes tendiert, der geometrisch ein Punkt, arithmetisch eine Zahl ist. Die Intervalle stellen gleichsarti die Umhüllungen öder Verkleidungen der Punkte bzw. reellen Zählen dar, deren Approximation an diese beliebig weit getrieben werden kann, ohne das Ziel jemals zu erreichen. Da es nach diesem Verständnis mathematisch exakte Punkte nicht g i b t , weil kein Prozeß ein sie definitiv gebender ist, da es sie gibt ausschließlich in Prozeßform, ist auch das Kontinuum, das die Gesamtheit derselben verkörpert, aufzufassen als ein werdendes. Das Spezifische dieser Interpreta64

Vgl. H. Weyl, a. a. O . , S. 39ff, O. Becker: Beiträge zur phänomenologischen Begründung der Geometrie . . ., a . a . O . , S. 431 ff.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

tion gegenüber der Aristotelischen besteht darin, daß nicht nur das Kontinuum als Ganzes, als unendliche Menge, in einem unabschließbaren Prozeß des Entstehens begriffen ist, sondern bereits jedes seiner Elemente. 2. Ein zweiter Differenzpunkt zwischen Aristoteles und Brouwer betrifft die Prozeßform. Prinzipiell lassen sich zwei Formen denken: die gesetzmäßige Konstruktion und die freie Wahlfolge. Der ersteren zufolge determiniert ein Gesetz den Ablauf des Geschehens. Die Folge der einzelnen Schritte ist bis ins Unendliche hinein festgelegt. In der Praxis dokumentiert sich dies darin, daß sich nach wenigen vollzogenen Konstruktionsschritten ein „und so weiter" einstellt, welches indiziert, daß prinzipiell Neues nicht zu erwarten steht. Bekanntestes Beispiel einer solchen Regelung ist die Folge der natürlichen Zahlen nach dem Schema η, η + 1 und der Grundrelation zwischen η und η + 1. Das Schema besagt, daß über jede konstruierte Zahl durch Addition einer Einheit zu einer neuen hinausgegangen werden kann. — Der zweiten zufolge geschieht die Konstruktion gesetzlos. Sie ist nicht an eine bestimmte Regel gebunden, vielmehr erfolgt die Fixierung der Schritte von Mal zu Mal neu durch einen Akt freier Wahl. Es gehört zur Idee dieser sog. freien Wahlfolge, daß nur formal festgelegt ist, d a ß gesetzt werden muß, nicht hingegen, w i e . Die Art und Weise der Setzung bleibt prinzipiell offen. Dieser Begriff der freien Wahlfolge ist es, der nach Brouwer Anwendung auf das Kontinuum findet. Begründet wird dies mit der Erkenntnis, daß sich mittels gesetzmäßiger Folgen, selbst rekurrenter, nicht ausnahmslos alle Punkte bzw. Zahlen, die aus mengentheoretischer Perspektive das Kontinuum konstituieren, erreichen lassen. Keine noch so umfassende Mannigfaltigkeit gesetzmäßiger Folgen ist denkbar, die sämtliche reellen Punkte und Zahlen erfaßte. Das Bestreben, jeden beliebigen Punkt und jede beliebige Zahl zu konstruieren, zwingt daher zur Erweiterung des bisher allein gültigen gesetzmäßigen Verfahrens. Für Brouwer wird so das Kontinuum zum Medium freien Werdens, das durch kein Gesetz in der Freiheit seiner Entwicklung eingeschränkt ist. Als Matrix aller Punkte bzw. reellen Zahlen läßt es sich nur durch einen ebenso unendlichen wie frei vollzogenen Prozeß realisieren. Auf die kritischen Einwände, die sich gegen diese Theorie von mathematischer Seite erheben, kann im Rahmen dieser Untersuchung nicht eingegangen werden 6 5 . Hier geht es allein um die Beurteilung dessen, was diese Theorie für die mathematische, genereller, für die rationale Inter6S

Hierzu sei auf O . B e c k e r : Mathematische Existenz, a . a . O . , S. 603ff verwiesen.

Das operativistische Kontinuum

225

pretation des anschaulichen Kontinuums leistet. In dieser Hinsicht unterliegt Brouwers Konstruktivismus im Prinzip denselben Schwierigkeiten wie Aristoteles' Operativismus. Denn sobald das Kontinuum als P r o z e ß der Entstehung von Punkten bzw. Zahlen gedeutet wird, sei es als gesetzmäßiger oder frei werdender, stellt sich ein Zirkel ein insofern, als nicht nur das räumliche und zeitliche, sondern auch das k i n e t i s c h e Kontinuum mittels dieser Definition bestimmt werden soll. Da der Begriff des Prozesses, der Folge, des Werdens und anderer Synonyme, die zur Definition herangezogen werden, selbst ein kinetischer, temporaler und wegen der notwendigen Veranschaulichung der Zeitfolge anhand des Raumes in gewissem Sinne auch ein spatialer Begriff ist, muß die Definition redundant ausfallen. Denn das eigentlich Zu-Erklärende, die räumliche, zeitliche und prozessuale Kontinuität, geht in Form des räumlich-zeitlichen Prozesses in die Erklärung ein. Über diese generelle Schwierigkeit hinaus führt Brouwers Theorie eine spezielle mit sich, und zwar im Begriff der freien Wahlfolge. Dieser stellt den Sinn von Konstruktion, die für Brouwers Theorie essentiell ist, prinzipiell in Frage. Während Konstruktion nach unserem Normalverständnis eine geregelte Setzung im Unterschied zu einer willkürlichen oder einer dem Zufall überlassenen meint — Konstruktion ist eine Methode, mittels eines endlichen Prinzips durch ständige Iteration das Unendliche beherrschbar zu machen —, existiert sie in der freien Wahlfolge nur noch formal, während ihr Inhalt unbestimmt bleibt, da dieser hinsichtlich der Festlegung der Schritte bis ins Unendliche hinein jeweils neu geregelt werden muß. Der Sinn von Konstruktion hebt sich auf, wenn das Prinzip als endliches gleichwohl unendlich sein soll. Hierbei handelt es sieh nicht nur um ein terminologisches Problem, wie E. Ströker 66 meint, sondern um ein sachliches; denn aus ihm resultiert die direkt sachbezogene Frage, ob der Begriff der „gesetzlosen Folge" die Funktion eines „allgemeinsten Gesetzes von Folgen" übernehmen könne, unter das gesetzliche wie gesetzlose fallen, um den gesamten Bereich des Punkte- und Zahlenkontinuums abzudecken. Da Brouwers Kontinuumstheorie, recht besehen, lediglich den Versuch darstellt, das Kontinuum auf exakte mathematische Begriffe zu bringen, weist sie ebenso wie die Aristotelische über sich hinaus auf eine vom rationalistischen Exaktheitsideal freie Kontinuumsvorstellung. Denn damit der Rationalisierungsprozeß überhaupt stattfinden kann, muß ein Substrat 66

E. Ströker: Philosophische Untersuchungen zum Raum, Frankf. a. M. 1965, S. 347.

226

Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

gegeben sein, das als Ermöglichungsgrund des Werdens der Punkt- resp. Zahlenmenge fungiert. Allerdings berechtigt dieser Umstand nicht zu der Behauptung, daß das zugrunde liegende Kontinuum, da es selbst nicht den Prozeß der Entstehung der Punkte bzw. Zahlen darstellt, statischen Charakter habe, nicht dynamischen, sondern nur zu der Behauptung, daß es, von welcher Art auch immer es sein mag, sich aller Mathematizität und Rationalität entzieht. 4. Das phänomenale Kontinuum Zieht man aus den bisherigen Überlegungen die Konsequenz, so sieht man sich angesichts der Unmöglichkeit einer Reduktion des Kontinuums auf eine Punkt- resp. Zahlenmenge, sei es eine seiende oder auch nur werdende, zu der Annahme einer selbständigen, von aller Punktualität und Numerität independenten Kontinuumsnatur genötigt. Gleiches gilt für die beiden mit dem Kontinuum verbundenen Strukturen der Unendlichkeit und Homogenität, da auch sie als punktuelle nicht-punktuelle voraussetzen. Keine dieser Strukturen ist auf die andere reduzierbar oder aus ihr konstruierbar, im Gegenteil bilden sie Strukturen sui generis. Keinesfalls darf der Ansatz eigenständiger Formen außer der Punkt- und Zahlenmannigfaltigkeit als bloßes Produkt der Willkür betrachtet werden, auf das sich auch verzichten ließe. Die voranstehenden Analysen haben vielmehr dargetan, daß kein mathematisches Modell und keine rationale Konstruktion ohne diese Prämisse auskommt, sei es, daß dieselbe unbewußt immer schon zur Orientierung dient und damit die Insuffizienz der mathematisch-rationalen Theorien verrät, sei es, daß sie in deren Definitionen eingeht und dadurch die Zirkularität derselben beweist. Sofern die mathematisch-rationalen Konzepte recht verstanden werden, weisen sie über sich hinaus auf ein ihnen vorausliegendes Kontinuum, zu dessen Interpretation sie beitragen. Denn jede Theorie ist als Theorie die eines ihr zugrunde liegenden Datums, ohne daß sie in dessen Begriffsbildung aufginge. Die Akzeptierung eines von aller Mathematizität und Logizität freien Kontinuums neben der Punkt- resp. Zahlenmannigfaltigkeit läuft auf einen Strukturendualismus hinaus, der die Grundlage abgibt für die Geltung des Satzes von der durchgängigen Bestimmung alles Seienden in seiner höchsten und allgemeinsten Form. Auf seiner Basis kann mit Sicherheit gesagt werden, daß die Negation der einen Struktur, der Punktualität, nicht zur Totalaufhebung und zum reinen Nichts, sondern zur positiven Setzung des kontradiktorischen Gegenteils führt.

Das phänomenale Kontinuum

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Wiewohl damit die Existenz eines außerrationalen Kontinuums sichergestellt ist, fehlt es noch an einer näheren Bestimmung seiner Existenzweise. Als kontradiktorisches Gegenteil mathematisch-logischer Strukturgebung, als das es Punkte und Zahlen, mithin exakte Grenzen und darauf basierende Einheitssetzungen, eliminiert, kann das Kontinuum von keiner anderen Verfassung sein als von extensionaler. Es stellt eine „Erstreckungsganzheit" 6 7 dar, ein „Auseinanderstreben der Teile" bei gleichzeitiger „Bewegung des Zusammennehmens und Einigens" 6 8 — so vorläufig die Begriffe „Ganzheit" und „Teile" hier bleiben müssen, da sie selbst auf Begrenzung basieren. Gleicherweise verhält es sich mit der Unendlichkeit und Homogenität, so daß für ausgemacht gelten darf, daß die der mathematisch-rationalen Punkt- resp. Zahlenmenge opponierte Struktur das e x t e n s i o n a l e unendliche, homogene Kontinuum ist. Der l o g i s c h e n E i n h e i t s s t r u k t u r , wie sie sich in exakter Grenzsetzung manifestiert, steht die E x t e n s i o n a l i t ä t s s t r u k t u r gegenüber, die durch die Merkmale der Kontinuität, Unendlichkeit und Homogenität charakterisiert ist. An dieser Stelle darf die Parallele zum Platonischen Parmenides nicht unerwähnt bleiben. Denn was dort im zweiten Teil als kontradiktorisches Gegenteil der Einheit bestimmt wurde, das Andere (τάλλα), das Einheit ausschloß und dennoch ein Positives darstellte und daher keine andere Bestimmung zuließ als die des einheitlosen Feldes oder Kontinuums, hat sich hier ebenfalls als Gegenteil der mathematisch-rationalen Punktmenge, also der logischen Einheitsstruktur, ergeben. Wenn der Punkt- resp. Zahlenmenge der mathematisch-rationalen Modelle der Verstand als Erkenntnisvermögen zugeordnet ist, so dem extensionalen Kontinuum als einer independenten Struktur ein ebenso independentes Erkenntnisvermögen: die Anschauung. Nach dieser benannt, tritt es unter dem Namen „anschauliches" oder „phänomenales" Kontinuum auf. Die Reduktion beider Kontinuumsverständnisse, des punktuellen wie des extensionalen, auf den Unterschied von Verstand und Anschauung darf nicht zu dem Mißverständnis führen, als handle es sich ausschließlich im ersten Fall um eine objektive, wissenschaftliche Auffassung, insofern sie das Ergebnis scharfer Begriffsbildung sei, hingegen im zweiten lediglich um eine subjektive, insofern sie entsprechend der anschaulichen Erkenntnis unpräzise, vage und verschwommen und deshalb mit einem negativem Vorzeichen zu versehen sei. Vielmehr konstituieren Vagheit und 67 68

H . Glockner: Gegenständlichkeit und Freiheit, Bonn 1963, S. 155. F. Kaulbach, a . a . O . , S. 135.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen V e r f a s s u n g

Verschwommenheit, d. h. das Nicht-Bestehen exakter Grenzen, die spezifische Seinsweise des extensionalen Kontinuums; und diese ist nicht weniger objektiv als die des mathematisch-rationalen, nur von anderer Verfassung. Wenngleich durch das Kriterium der Phänomenalität das Kontiriuum in seinem Wesen erfaßt ist, ist es dadurch noch nicht hinreichend bestimmt. Denn zu jeder Definition, ja selbst zu einer rein phänomenologischen Deskription gehören Begriffe. Beschreibung und Bestimmung vollziehen sich in sprachlicher Form, welche Ausdruck des Logos ist. Für eine Gegebenheit jenseits aller Begrifflichkeit stellt sich damit das zuhöchst diffizile Problem des Zugangs Von seiten des Logos. Mit ihm ist das generelle Problem des Verhältnisses von Logizität zu Phänomenalität aufgeworfen. Zur begrifflichen Bestimmung eines a-begrifflichen Sachverhalts lassen sich zwei und nur zwei Wege denken, ein negativer, bestehend in dem Ausschluß aller logischen Formen, der Begriffe, Urteile, des sprachlichen Zusammenhangs überhaupt, und ein positiver, bestehend in dem metaphorischen Gebrauch der Begriffe. Da alle Beschreibung und Bestimmung mit Begriffen beginnt, sich durch Begriffe vollzieht und mit Begriffen endet, vermag auch die Beschreibung und Bestimmung des reinen Phänomenbereichs nur durch dieselben zu erfolgen, — allerdings in Form von deren Negation. Diese Methode ist Ausdruck des Bestrebens, alles, selbst noch das Α-begriffliche, begrifflich zu fassen, — ein Unterfangen, welches hier an seine Grenze gerät. Zwar nicht inhaltlich, wohl aber formal ist das Phänomenale als selbständige Entität außer und neben dem Begriff durch den Ausschluß des Begriffs bestimmt. In diesem Sinne stellt es ein Unbegreifliches, Undenkbares dar. Rückblickend auf den von uns im Vorhergehenden eingeschlagenen Weg zur Erfassung des Kontinuums, der seinen Ausgang nahm von der logischen Konzeption und durch Negation derselben zur phänomenalen gelangte, bestätigt sich von hier, daß derselbe kein kontingenter war, der nur durch den Umstand nahegelegt wurde, daß das mathematisch-rationale Kontinuum ein allgemein akzeptiertes war und daher von ihm aus der Zugang zu dem problematischeren anschaulichen eröffnet werden mußte, sondern ein notwendiger; denn da jede Bestimmung nur mit Hilfe von Begriffen möglich ist, muß auch die des phänomenalen Kontinuums von ihnen ihren Ausgang nehmen. Mit der Begrifflichkeit entfällt die ihr zugehörige Einheitsstruktur in allen Modifikationen; denn das phänomenale Kontinuum enthält nichts, weder Punkte noch Teile noch überhaupt exakte Grenzen, was jener

Das phänomenale Kontinuum

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Ansatzpunkte bieten könnte. Ohne alle Begrenzung, interne wie externe, entzieht es sich jeder kategorialen Bestimmung, nicht nur quantitativer nach Größe, Zahl und Maß, sondern auch qualitativer nach Identität und Verschiedenheit wie relationaler nach allen möglichen Verhältnissen. In sensu stricto kann es daher weder eines noch vieles, weder mit sich identisch noch von sich verschieden, noch in sich gliedhaft zusammenhängend genannt werden. Alle diese Fundamentalbegriffe sind auf es deshalb inapplikabel, weil es ihnen transzendent ist. Nicht nur das mengentheoretische Schema von Klasse und Element versagt an ihm, weil Element ein Unteilbares, Einfaches ist, sondern auch das operativistische von Ganzem und Teil, weil selbst diese Begriffe auf Begrenzung basieren: der Teil meint etwas Ausgegrenztes und das Ganze impliziert den Gedanken der Vollkommenheit und Geschlossenheit. Im reinen Ausdehnungskontinuum aber gibt es weder begrenzte Teile noch ein begrenzendes Ganzes. Aus diesem Grunde ist auch die Aristotelische Redeweise eines Teilbaren in immer wieder Teilbares, d. h. eines (relativen) Ganzen, das in Teile zerfällt, die selbst wieder Ganze von Teilen sind usw., zu verwerfen. Und ebenso verbietet sich, die mit Kontinuität einhergehende Homogenität als Äquivalenz von Ganzem und Teil zu deuten oder die mit ihr einhergehende Unendlichkeit als Gesamtheit der Teile. U m bei der Charakteristik des phänomenalen Kontinuums nicht in reiner Negation zu verharren, wie sie in der Negationspartikel „nicht" oder in dem Privativum „ u n - " zum Ausdruck kommt, bietet sich als Ausweg die metaphorische Beschreibung an. Gemäß dem Wortsinn von Metapher 6 9 werden hier Begriffe auf einen ihnen ursprünglich nicht spezifischen Bereich angewandt. Da Begriffe als Denkformen ihre eigentümlichen Gegenstände im Denkbereich haben, ist eine begriffliche Erfassung des Anschauungsbereichs qua talis nur per analogiam möglich. Daß dabei insbesondere Begriffe zur Anwendung gelangen, die aus ihrer Bedeutung das für Begriffe symptomatische Fixieren und Determinieren, Scheiden und Unterscheiden eliminieren und demgegenüber das Uberwinden und Einswerden des Trennenden und Scheidenden akzentuieren wie die Ausdrücke des Fließens, Strömens, Rinnens, Verschmelzens und die entsprechenden Substantive: Fluß, Strom u. ä., versteht sich. Wenn die metaphorische Verwendung von Begriffen auch vor allem auf die Dichtung beschränkt ist, weil deren Aufgabe in der bild- und gleichnishaften, symbolischen Repräsentation der Wirlichkeit besteht, allenfalls noch auf die Alltagssprache 69

Griechisch: μεταφέρειν = übertragen.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

sich erstreckt, die sich mit Vorliebe plastischer, sinnlicher Ausdrücke bedient, so findet sich doch hier eine legitime Ausweitung des metaphorischen Gebrauchs auf die exakten Wissenschaften und die Philosophie. Nicht zufällig begegnet die vorzugsweise für die Zeitkontinuität stehende Fließmetapher in naturwissenschaftlicher und philosophischer Literatur, so in Newtons Philosophiae naturalis principia mathematica: „Tempus absolutum . . . aequabiliter fluit" 7 0 oder in Kants Kritik der reinen Vernunft: „Dergleichen Größen [quanta continua] kann man auch f l i e ß e n d e nennen, weil die Synthesis (der produktiven Einbildungskraft) in ihrer Erzeugung ein Fortgang in der Zeit ist, deren Kontinuität man besonders durch den Ausdruck des Fließens (Verfließens) zu bezeichnen pflegt" 7 1 . Keineswegs nur die Dichtung kennt die Rede vom Verrinnen der Zeit, wie Trakls Vers: „ D i e Zeit verrinnt" 7 2 oder Conrad Ferdinand Meyers Gedicht „Eingelegte R u d e r " : „Niederrinnt ein schmerzenloses H e u t e " 7 3 , auch nicht allein die Umgangssprache spricht vom „Dahingehen der Zeit" oder vom „Strom der Zeit, mit dem man schwimmt", dies tun auch die Wissenschaften. — Raumkontinuität wird durch Ausdrücke wie Feld, Spielraum u. ä. wiedergegeben, ζ. B . wenn in der Atomtphysik bei der Kennzeichnung der Komplementäreigenschaften des Atoms dessen Quanten- und Feldnatur einander konfrontiert werden 7 4 . — Was Bewegungskontinuität betrifft, so fällt sie unter die Flußsymbolik, die an sich schon Bewegungsbegriffe enthält, so daß hier der signifikante Fall eintritt, daß das Allgemeine durch das Besondere, die generelle Bewegung durch den konkreten Fluß, vorgestellt wird. Die Legitimität der Anwendung der Flußmetaphorik auf die Zeit ist wiederholt unter Berufung auf logische Gründe bestritten worden 7 5 . 70 71 72 73 74 75

Definitio VIII, scholium. A 170 Β 211f (IV, 117). Zitiert nach H . Schmitz, a . a . O . , Bd. 1, S. 357. A . a . O . , Bd. 1, S. 358. C . F. v. Weizsäcker: Zum Weltbild der Physik, Stuttgart 1958, 10. Aufl. 1963, S. 83. S.o von Kant in De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, § 22 Scholion und Anm. (II, 410), in der Kritik der reinen Vernunft A 188 f Β 231 f (IV, 128), in dem Kiesewetter-Aufsatz von 1 7 8 8 - 9 0 , Reflexion 5661 (XVIII, 319), zuletzt von H . Schmitz, a. a. O . , Bd. 1, S. 358. Zwischen den Gegenständen in der Zeit und der Zeit selbst als F o r m der Gegenstände unterscheidend, konzediert Kant nur den ersteren Sukzessivität (und Simultaneität) gemäß der temporalen F o r m des Nacheinander, der letzteren ausschließlich Beharrlichkeit. In diesem Sinne heißt es an den einschlägigen Stellen der 1. Analogie der Kritik der reinen Vernunft Β 2 2 4 f (III, 162): „Alle Erscheinungen sind in der Zeit, in welcher, als Substrat, (als beharrlicher F o r m der inneren Anschauung), das Z u g l e i c h sein sowohl als die F o l g e allein vorgestellt werden kann. Die Zeit also, in der aller Wechsel der Erscheinungen gedacht werden soll, bleibt und wechselt nicht; weil sie

Das phänomenale Kontinuum

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Geltend gemacht wird das Argument, daß die Konstatierung eines Verlaufs, insbesondere die Messung seiner Geschwindigkeit, nur möglich sei unter Voraussetzung eines konstanten Bezugssystems, das zugleich als Maßskala fungiert. Wie sich das Fließen eines Flusses nur relativ zu einem beharrlichen Flußbett oder Ufer feststellen läßt, so läßt sich auch die als Fließen gedeutete Zeit nur relativ zu einem ruhenden System bestimmen. Wie jedem Punkt des fließenden Wassers ein Punkt auf dem Ufer entspricht, der Pegel, der gerade passiert wird, so korrespondiert jedem Punkt des Zeitverlaufs ein Punkt auf der geforderten Skala, so daß sich in beiden Fällen Zuordnungsverhältnisse zwischen den korrelativen Punkten ergeben. Da die Zuordnung jedoch in jedem Moment neu bestimmt werden muß durch Vergleich des neuen Stands des Flusses bzw. der fließenden Zeit mit der konstanten Skala, ergibt sich eine Serie von Funktionen, deren jede durch ein spezifisches Moment indiziert ist. Insofern die Abfolge der als Indizes fungierenden Augenblicke selbst eine fließende Zeit ausmacht, bedarf sie ihrerseits zur Bestimmung und Messung einer festen Skala — einer Skala zweiter Ordnung —, die sich auch wieder als Momentfolge entpuppt und ihrerseits einer neuen festen Skala bedarf und so in infinitum. Der Versuch, die Zeit als Fließen zu charakterisieren, führt zu einem regressus ad infinitum, da die Bestimmung der Zeit in der Zeit ein konstantes Schema verlangt, welches aber, wenn es als Fließen gedeutet wird, ein neues konstantes Schema erfordert und so beliebig fort. Wenn im vollen Bewußtsein um diesen Sachverhalt, der auf einer illegitimen Identifizierung der Zeit mit dem Zeitlichen beruht, dennoch an der Beschreibung der Zeit als fließender Größe festgehalten wird, so liegt darin ein Hinweis, daß der Ausdruck des Fließens oder Verfließens primär nicht für das ständige Kommen und Gehen, die spezifische Temporalitätsform, steht, sondern für die der Zeit nicht einmal exklusiv zukommende Kontinuität. Das Fließen ist Symbol des nahtlosen Ineinander-Ubergehens der Teile, wie es sich am unaufhaltsam-ununterbrochenen Dahinfließen eines Stroms oder am Zusammenfluß zweier Ströme beobachten läßt. H. Schmitz 7 6 weist in diesem Zusammenhang auf die volkstümliche Redewendung hin, dasjenige ist, in welchem das Nacheinander- oder Zugleichsein nur als Bestimmungen derselben vorgestellt werden können", und in A 183 Β 226 (IV, 125): „Die Zeit [ist] . . . das beständige Korrelatum alles Daseins der Erscheinungen, alles Wechsels und aller Begleitung". Schon zuvor in dem entsprechenden Abschnitt des Schematismuskapitels wird in aller Deutlichkeit gesagt: „Die Zeit verläuft sich nicht, sondern in ihr verläuft sich das Dasein des Wandelbaren. Der Zeit also, die selbst unwandelbar und bleibend ist, . . ." (A 143 Β 183 (III, 102)). 76

A . a . O . , Bd. 1, S. 359.

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daß das Wasser keine Balken habe, womit gemeint sei, daß sich in ihm keine gegepeinander abgegrenzten Teile finden, daß es teillos und dennoch umgreifend sei. So verstanden, besitzt die Flußmetaphorik nicht nur für die Zeit, sondern für alle Kontinua Gültigkeit. 5. Die Selbstwidersprüchlichkeit der phänomenalen Kontinuumsauffassung Nach der Explikation der phänomenalen Kontinuumsauffassung kann nun darangegangen werden, dieselbe auf ihre innere Konsistenz zu überprüfen. Da die Theorie über den Nachweis von Schwierigkeiten und Inkonzinnitäten aller anderen Kontinuumsentwürfe gewonnen wurde, wird man erwarten, daß sie frei von solchen ist. O b sich diese Erwartung bestätigt, wird sich zeigen müssen. Zur Uberprüfung bedarf es nichts weiter als einer nochmaligen Reflexion auf das phänomenale Kontinuum sowie einer entsprechenden Akzentuierung des bereits Recherchierten. Der Zugang zum phänomenalen Kontinuum eröffnete sich von seiten des mathematisch-rationalen via negationis desselben. Die Möglichkeit eines solchen Wegs verlangte den positiven Ansatz eines Oppositums zum mathematisch-rationalen, das kraft seines Seins und seiner Stellung alle Mathematizität und mit ihr alle Rationalität von sich abwies und in diesem Sinne ein schlechthin Unbegreifliches, weil der Begrifflichkeit Entzogenes, war. Auf der anderen Seite jedoch fungierte das phänomenale Kontinuum während der vorangegangenen Untersuchungen als Gegenstand des Nachdenkens und Sprechens, welche keine andere Möglichkeit der Äußerung als die mittels der Begriffe kennen. Nicht nur in dem Sinne war es Objekt von Verstandesoperationen, daß Begriffe per analogiam auf es angewendet und zu seiner Beschreibung und Bestimmung benutzt wurden, sondern selbst noch in dem, daß solche von ihm ausgeschlossen wurden. Denn mit der absoluten Negation hat es die Eigentümlichkeit auf sich, daß das Bezugsobjekt, respektive dessen dieselbe erfolgt, kein Anwendungsfall derselben sein kann. Ihr vielmehr entzogen und transzendent, ist es ein Positives, Bestimmtes und damit Objekt eben des Begriffs, der von ihm negiert wird. Anders formuliert: Die Negation qua Negation, wie sie im phänomenalen Kontinuum realisiert ist, ist selbst Positon und damit möglicher Gegenstand des Denkens. Ist dies die Verfassung des phänomenalen Kontinuums, zugleich Unbegreifliches wie Begreifliches zu sein, ersteres infolge seines Status' als kontradiktorisches Gegenteil des Begriffs, letzteres infolge seiner begrifflichen Erfaßbarkeit, so manifestiert sich in ihm der totale

Selbstwidersprüchlichkeit der phänomenalen Kontinuumsauffassung

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Widerspruch. Den Anlaß zu diesem gibt nicht einmal so sehr der bewußte, kontrollierte metaphorische Gebrauch von Begriffen in bezug auf das Kontinuum als vielmehr der unreflektierte, unkontrollierte Ubergang von seiner reinen Phänomenalität zu seiner Begriffenheit. Da sich dieser in jedem faktischen Bewußtsein des Kontinuums vollzieht, eröffnet sich auch in jedem dieser Abgrund. Zunächst scheinen mehrere Argumente für die Außerkraftsetzung des Widerspruchs, -zumindest für seine Abschwächung zu sprechen. Zum einen ist darauf hinzuweisen, daß das dem phänomenalen Kontinuum zugeordnete Erkenntnisvermögen nicht der Verstand, sondern die Anschauung ist und diese zur Rezeption desselben vollkommen ausreicht. Wenn der Verstand zur Erfassung des Kontinuums nicht unbedingt erforderlich ist, scheint die Paradoxie abwendbar. Nun ist zwar richtig, daß Phänomenbereich und Anschauung einander ursprünglich korreliert sind, nicht aber, daß die distanz- und differenzlos in ihrem Objekt aufgehende Anschauung zur Wesensbestimmung, die über die bloße Rezeption hinausgeht, hinreicht. Vielmehr bedarf es hierzu eines distanzierenden und objektivierenden Erkenntnisvermögens, welches allein das konzeptualistische repräsentiert. Daher muß selbst das Angeschaute, wenn es in seiner spezifischen Eigenart erkannt und vom Nicht-Anschaulichen unterschieden werden soll, Begriffen subsumiert werden. Um eine solche Wesensbestimmung des phänomenalen Kontinuums und nicht nur um ein distanzloses Aufgehen in ihm geht es in den vorliegenden Analysen. Zum anderen ist anzuführen, daß sich der Widerspruch zwischen Unbegreifbarkeit und Begreifbarkeit des Phänomenbereichs auf den bloßen Unterschied von Inhalt und Form des Bewußtseins reduzieren läßt und damit aufhört, Widerspruch zu sein. Das Unbegreifliche, die Phänomenalität, macht den Inhalt und das eigentlich Intendierte aus und das Begreifbare die Form der Intention. Als Begriffenes bewahrt so die Phänomenalität den für jedes Objektbewußtsein konstitutiven Rückbezug auf den begreifenden Akt, während sie als in ihrer Phänomenalität Begriffenes eben diesen Rückbezug leugnet. Inhaltlich weist sie das Denken ab, um gerade so formal von ihm festgehalten werden zu können. Diese Reduktion als Auflösung des Widerspruchs zu betrachten, verbietet sich jedoch aus folgendem Grunde: Zweifellos bilden Inhalt und Form die stets zusammengehörigen Relata des Bewußtseins: wie es keinen Inhalt gibt, der nicht bewußt wäre, so gibt es kein Bewußtsein, das nicht aufgrund seiner Intentionalitätsstruktur auf einen Inhalt bezogen wäre. Wird aber eines der beiden Glieder aus dem Einheitszusammenhang herausgelöst und für sich

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

genommen, so verfällt es zwangsläufig dem Widerspruch, da es die Bindung an sein Pendant nicht zu verleugnen vermag. Der transzendentale Gegensatz von Inhalt und Form wird zum formalen Widerspruch, wenn die Relata isoliert und als solche verabsolutiert werden und damit die faktische Bewußtseinsstruktur ignoriert wird. Genau dies ist der Fall beim Ansatz des reinen Kontinuums, bei der Hypostasierung seiner Phänomenali tat. Der bisher vor allem am Verhältnis zwischen Phänomenalität und Begrifflichkeit aufgezeigte Widerspruch läßt sich selbstverständlich auch an den zugehörigen Strukturen konstatieren. Das phänomenale Kontinuum, konzipiert als kontradiktorisches Gegenteil der verstandesmäßig zu fassenden Punktmenge, weist mit den Punkten, welche ihrem Wesen nach Diskreta sind, zugleich alle Diskretion zurück. Das reine Kontinuum wäre nicht die Vergegenwärtigung von Zusammenhang, wenn es an irgendeiner Stelle Unterbrechung zeigte. Gleichwohl ist auch es ein Begriffenes, das als solches den begrifflichen Bedingungen unterliegt. D a Begreifen ein Analysieren und Synthetisieren, ein In-Beziehung-Setzen von Relata ist, dies aber Ausgrenzung von etwas und Abgrenzung gegen anderes, mithin Diskretion, verlangt, gilt Entsprechendes auch für das Kontinuum. Als Begriffenes und in Beziehung zu anderem Gebrachtes ist es Eines im Verhältnis zu Anderem, Diskretes neben anderem Diskreten, mag dies auch die durch den Verstand erbrachte Diskretion selbst sein. Indem das reine Kontinuum so den Gedanken des Aus- und Einschlusses von Diskretion in sich vereint, unterliegt es dem totalen Widerspruch. Nicht weniger problematisch erweist sich die Unendlichkeitsvorstellung. Der unendlichen Punkt- resp. Zahlenmenge, wie sie von der mathematisch-logischen Auffassung supponiert wird, entgegengesetzt und dennoch als deren Ermöglichungsgrund fungierend, kann das phänomenale Unendliche diese Aufgabe nur erfüllen, wenn es für Punkte und Zahlen unerschöpflich ist. Da Punkte und Zahlen Grenzen indizieren, muß das anschauliche Unendliche selbst deren unendlichfacher Setzung, wie sie im Gedanken der unendlichen Punkt- und Zahlenmenge angenommen wird, transzendent sein. Nichtsdestoweniger ist es, sobald es in seinem Wesen erfaßt, d. h. begriffen wird, wie alles Begriffene und Objektivierte ein Begrenztes, Endliches. Mit der Verbindung von Unendlichem und Endlichem realisiert sich in ihm der absolute Widerspruch. Nicht etwa ist derselbe einer unstatthaften Anwendung finitistischer Begriffe auf das Unendliche anzulasten, sondern dem seiner Struktur nach finitistischen Begreifen des Unendlichen selbst. Die uneingeschränkte Behauptung des

Selbstwidersprüchlichkeit der phänomenalen Kontinuumsauffassung

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Unendlichen widerlegt sich durch den Widerspruch zum limitierenden, verendlichenden faktischen Begriff von ihm. Von derselben Schwierigkeit ist die mit der Kontinuität einhergehende Bestimmung der Homogenität betroffen. Schließt sie auf der einen Seite als Oppositum der voneinander gesonderten, zumindest stellendifferenten Punkte jegliches Ungleichartige aus, so stellt sie auf der anderen Seite als Begriffenes selbst ein von anderem — sei es von einer anderen objektiven Bestimmung oder von der begrifflichen Setzung überhaupt — Unterschiedenes und insofern Inhomogenes dar. In ihrer spezifischen Seinsart fixiert, repräsentiert sie nicht das gesamte Mögliche, sondern nur einen Ausschnitt aus diesem. Indem sie dergestalt Homogenität wie Inhomogenität impliziert, kollabiert auch sie am Selbstwiderspruch. Da Kontinuität, Unendlichkeit, Homogenität und Phänomenalität insgesamt Merkmale der Extension sind, für die in diesem Kapitel stellvertretend der Ausdruck „Kontinuum" steht, decouvriert sich der an ihnen sichtbar gewordene Widerspruch im Grunde als einer der Extension, und zwar der reinen, in abstracto betrachteten. Wie im ersten Untersuchungsteil dieser Arbeit der abstrakte Einheitsbegriff, der alle Mannigfaltigkeit und mit ihr ihre phänomenale Basis, die Extension, ausschloß, am Selbstwiderspruch scheiterte, insofern Eines bzw. Einheit nicht ansetzbar war ohne den gleichzeitigen Ansatz eines Zweiten und des diese Zweiheit ermöglichenden Extensionsgrundes, so unterliegt im zweiten Untersuchungsteil das phänomenale Korrelat zum abstrakten Einheitsbegriff, das reine Extensionsphänomen, das Begrenzung jeglicher Art eliminiert und damit einer möglichen Anwendung des Einheitsbegriffs die Basis entzieht, dem Selbstwiderspruch, insofern das Bewußtsein von Extension den Gedanken von Abgrenzung und damit einer möglichen Fixierung durch den Einheitsbegriff impliziert. Mit begrifflichen Mitteln kann die Schwierigkeit so formuliert werden, daß die reine, ihrem Wesen nach einheitslose Extension nichtsdestoweniger als in diesem ihrem Wesen verstandene Eine ist, oder umgekehrt, daß die Eine Extension ihrer Gegebenheitsweise nach dennoch einheitslos sein muß. In dieser Kontradiktion wird die Grenze unseres Denkens und Sprechens evident. Aufgrund seiner Intentionalitätsstruktur vermag das Denken und Sprechen selbst Objekte von der Art der Extension, welche die Begriffe der Einheit und Vielheit, der Identität und Differenz, der Relationalität usw. von sich weisen, nicht anders zu fixieren als mittels eben dieser Begriffe. Die hier in bezug auf die phänomenale Extension aufgezeigte Schwierigkeit ist im Prinzip aus der letzten von Piatons Positonen im Parmenides

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

bekannt, sofern man die spezifischen Prämissen der Platonischen Philosophie und insbesondere die der Formulierung der Positionen in Rechnung stellt. In dieser letzten Position war das Andere als das Eine (τάλλα) in seiner absoluten Unbezüglichkeit thematisch als das, was Einheit und mit ihr Quantifizierung, ja Prädikation überhaupt ausschloß. Dennoch vermochte diese Annahme nicht zu hindern, daß das Andere stets mehr war als nur die Negation der Bestimmungen, mehr insofern, als es immer auch ein Positives, mithin Bestimmtes, Eines vorstellte, auf dessen Basis Quantifikation und jede andere Prädikation möglich wurde. So verband es Einheit wie Nicht-Einheit, desgleichen die Position wie Negation aller anderen Begriffe in widerspruchsvoller Weise in sich. Das Spezifikum der Platonischen Exposition bestand nur darin, daß der latente Widerspruch eigens expliziert wurde durch Verfolg der mit der Hypothese ει εν μή εστίν aufgeworfenen Frage, was unter diesen Umständen mit dem Anderen geschieht. Daß das Andere bei Wegfall der Einheit auch kein Eines mehr sein kann, läßt sich dann so lesen, daß das Andere, in welchem sich Nicht-Einheit und Einheit verbinden, unter diesen Umständen kein Eins-Seiendes mehr sein kann, in welchem ebenfalls Einheit und Nicht-Einheit (Sein) verbunden gedacht werden, — und hierin manifestiert sich der totale Widerspruch. Faßt man die Überlegungen dieses Kapitels zusammen, so führen sie zu dem Resultat, daß der Ansatz eines rein phänomenalen Kontinuums einem logischen Widerspruch unterliegt. Allerdings ist die Verwendung des Begriffs „logischer Widerspruch" in diesem Zusammenhang nicht unproblematisch; denn da er regulär die Kontradiktion b e g r i f f l i c h e r Bestimmungen bezeichnet, ist sein Gebrauch im außerlogischen Bereich oder im Verhältnis zwischen außerlogischem und logischem Bereich sachlichen wie terminologischen Bedenken ausgesetzt. Diesen kann aus dem Wege gegangen werden durch Einführung eines Analogons bei der Entgegensetzung p h ä n o m e n a l e r Bestimmungen, etwa des Begriffs „phänomenaler Widerspruch" oder besser noch „phänomenaler Widerstreit einer Realopposition", zumal dieser Terminus seit Kant 77 in der philosophischen Literatur bekannt ist. Es besteht deshalb noch keine Nötigung, sich der von H . Schmitz im Rahmen seiner Mannigfaltigkeitslehre entwickelten These 78 anzuschließen, wonach die Gesetze der Logik, die stets Gesetze des Individuierten sind, auf chaotisches Mannigfaltiges, das sich im wesent77

78

I m Abschnitt über die Reflexionsbegriffe in der Kritik der reinen Vernunft (A 264 f Β 320 f (IV, 171f). A 272ff Β 328ff (IV, 176f)) grenzt Kant die Realopposition als besondere, der anschaulichen Sphäre z u k o m m e n d e Form vom logischen Widerspruch ab. A . a . O . , Bd. 1, S. 31 I f f , bes. 325ff, 415f.

Das Problem der Gestaltauffassung

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liehen mit dem hier unter dem Namen „Kontinuum" oder „Extension" abgehandelten Sachverhalt deckt und ein noch nicht Individuiertes, d. h. ein hinsichtlich seiner Identität und Differenz, Einheit und Vielheit und aller sonstigen Bestimmungen Unentschiedenes, Offenes ist, p r i n z i p i e l l keine Anwendung finden. Der These steht entgegen, daß das chaotische Mannigfaltige trotz oder gerade wegen seiner Indifferenz ein ganz Bestimmtes, von anderem, etwa von der logischen Entschiedenheit und Bestimmtheit, Unterschiedenes und insofern Entschiedenes ist. In solcher dialektischen Weise bestimmt, verfällt es dem internen Widerspruch bzw. Widerstreit der Bestimmungen, was gerade das war, quod erat demonstrandum. Wenn die phänomenale Kontinuumstheorie nicht geringeren Schwierigkeiten unterliegt als die übrigen Konzepte, stellt sich die Frage nach der Legitimierung ihres Primats und der Privilegierung ihrer Schwierigkeiten, die gleichwohl Schwierigkeiten bleiben. Die Antwort wird man darin suchen müssen, daß es sich bei den Inkonzinnitäten der anderen Konzepte um kontingente, prinzipiell vermeidbare handelt, wie der mögliche Hinausgang über dieselben beweist, dagegen bei den jetzigen um notwendige, unvermeidbare, die mit der Konstitution des Bewußtseins und des ihm korrespondierenden Strukturgefüges zusammenhängen.

2. Kapitel Extension mit Einschluß der (Gestalt)

Begrenzung

1. Das Problem der Gestaltauffassung Von nicht geringerer Problematizität erweist sich die Situation, wenn wir uns im folgenden jenem Extensionsphänomen zuwenden, das Begrenzung nicht aus-, sondern einschließt. Sinnvollerweise kann unter einem solchen nichts anderes verstanden werden als eine Ausdehnung, die nach außen gegen eine andere Ausdehnung begrenzt ist und aufgrund dieser Begrenzung endlich, inhomogen und diskontinuierlich, nach innen hingegen aufgrund der Extensionalität gleichförmig und zusammenhängend. Ein solches Phänomen stellt einen Ausschnitt aus einer unendlichen, homogenen, kontinuierlichen Extension dar bzw., bei Akzentuierung des

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Quantitätsaspekts, eine bestimmte endliche Ausdehnungsgröße oder, bei Akzentuierung der Zusammenhangsverhältnisse, ein kontinuierliches Intervall. Seine gesonderte Behandlung scheint sich zu erübrigen, da bereits die Untersuchung über das Kontinuum an einem Kontinuumsausschnitt geführt und stellvertretend an diesem die Frage nach der Strukturiertheit desselben, seiner begrifflichen oder anschaulichen Fassung, erörtert wurde. Eine tiefere Besinnung auf den Sachverhalt der Grenze läßt jedoch eine selbständige Behandlung unausweichlich werden. Denn konnten das Liniensegment, das den unendlichen, homogenen, kontinuierlichen Raum vorstellte, das Zeitintervall, das die unendliche, homogene, kontinuierliche Zeit modellhaft repräsentierte, aufgrund beliebiger Teil- und Erweiterbarkeit — welche die Rechtsgrundlage abgaben für die Darstellung infiniter Größen an finiten — hinsichtlich ihrer Begrenzung noch als w i l l k ü r l i c h e Verstandesprodukte betrachtet werden, die den Gedanken einer Grenzziehung durch einen exterritorialen Verstand nicht ausschlossen, eher sogar nahelegten, so ist demgegenüber jetzt die These zu vertreten und zu begründen, daß die Extension sich v o n s i c h aus begrenzt und erst in dieser Form die Basis bietet für entsprechende Verstandesoperationen, die dann als nachträgliche Explikationen von phänomenal Vorgegebenem zu werten sind. Daß eine Selbstbegrenzung der Extension nicht nur möglich, sondern wirklich ist, beweisen die sog. Gestalten. Bei diesen handelt es sich um Konfigurationen, die sich von einem unkonturierten Hintergrund, einem sog. Feld, abheben und solcherart der Wahrnehmung darbieten; die letztere erhält dann ihnen entsprechend den Namen „Gestalt- oder Figuralwahrnehmung". Da die Figur auf einem Untergrund das Primitivste ist, was sinnlich gegeben werden kann, definiert sie das Wahrnehmungsphänomen schlechthin. Nicht bloß bezeichnet sie einen kontingenten Charakter faktischen Wahrnehmens, der es erlaubte, auch andere Elemente zur Wesensbestimmung zu benutzen, wie diskrete, distinkte Empfindungsatome und deren Synthesis durch einen Verstandesakt, vielmehr formuliert sie eine notwendige Bedingung, unter der ein Sachverhalt überhaupt erst als Wahrnehmungsphänomen angesprochen werden kann. Bei dieser sich selbst limitierenden und in ihrer Selbstlimitation unbezweifelbaren Extension muß die Analyse angesetzt und sodann die gewonnene Einsicht auf die scheinbar auch anderer Interpretation zugänglichen Extensionsarten übertragen werden zu dem Zweck, diese von derselben Natur zu erweisen.

Das Problem der Gestaltauffassung

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Hat damit die Berechtigung, ja Notwendigkeit einer isolierten Behandlung der sich selbst limitierenden Extension auch einsichtig gemacht werden können, so bleibt doch noch das außerordentlich schwierige Problem der faktischen Bewältigung einer adäquaten Wesensbeschreibung der Gestalt. Denn bislang sind die Bedingungen, denen Gestalten zu genügen haben, Binnenextension, -homogenität und -kontinuität bei gleichzeitiger Außenbegrenzung, -Inhomogenität und -diskontinuität, nurmehr postuliert, nicht schon legitimiert. Auf den ersten Blick muß es geradezu widersinnig erscheinen, daß Gestalten trotz ihrer Ausgedehnheit über eine Vielheit differenter, zum wenigsten stellendifferenter, und untereinander relierter Teile in sich teillos, d. h. mehrheits-, differenz- und relationslos sein sollen — dies aber verlangt das Postulat interner Extensionalität, H o m o genität und Kontinuität — und damit letztlich ihrer Internstruktur nach mit begrifflichen Mitteln wie denen der Einheit und Mannigfaltigkeit sowie deren Modifikationen nicht faßbar. Da das besagte Postulat das Verständnis der äußeren Begrenzung nicht untangiert Iäßt, muß es ebenso widersinnig erscheinen, wenn mit ihm zugleich gefordert ist, daß Gestalten trotz ihrer deutlichen Abgehobenheit vom Hintergrund und damit ihrer Zugänglichkeit zur begrifflichen Fixierung und Bestimmung in eben dieser Abhebung nicht definitiv und absolut, sondern nur vorläufig und relativ sein sollen, nämlich so, wie sie selbst Ganze potentieller Teile darstellen, ihrerseits potentielle Teile größerer Ganzer ausmachen sollen und diese wiederum potentielle Teile noch größerer Ganzer und so in infinitum, womit sie sich auch ihrer Externstruktur nach begrifflicher Fixierung und Determination entzögen. Zur Verdeutlichung der Schwierigkeiten sei ein Beispiel angeführt. Ist ein weißes Blatt Papier auf einem braunen Schreibtisch oder eine ebenmäßig helle Wand vor einem dunklen Hintergrund in sich einfach oder mannigfaltig? Haben diese Gestalten Teile, oder sind sie teillos? 7 9 Eine Mannigfaltigkeit dürfte ihnen schwerlich abgesprochen werden können, da der Blick, wenn er von links nach rechts, von oben nach unten und vice versa gleitet, über eine Vielzahl von Teilflächen streicht, die, wenngleich nicht qualitativ, so doch lokal voneinander differieren und in Relationen zueinander stehen, was jederzeit durch reale Abtrennung mittels einer Schere und Säge beweisbar ist. Auf der anderen Seiten sind jene vermeinten Teile nur fingierte, hineinphantasierte Produkte der Einbildungs79

Vgl. hierzu die Kontroverse zwischen F. Schumann: Zur Psychologie der Zeitanschauung in Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 17, 1898, S. 130 und Husserl: Logische Untersuchungen, II, 1. Teil, S. 202ff (2. Untersuchung, §§ 38, 39); vgl. auch H . Schmitz, a . a . O . , Bd. 1, S. 340ff.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

kraft, aber keine realen. Gleicht nicht das Ganze eher einem durchgehend ungeschiedenen, einheitlichen Gebilde? Herrscht nicht in ihm eine solche Ingerenz und Kohärenz, ein Hinüberfließen und -gleiten der Sektoren, daß es unstatthaft erscheint, von Teilen überhaupt zu sprechen und das Ganze ein Ganzes aus Teilen zu nennen? Dieselbe Zweideutigkeit bestimmt das Gestaltäußere, was die Frage der Absolutheit oder Relativität der Begrenzung betrifft. Zeichnet sich nicht das weiße Blatt Papier in klaren und deutlichen Umrissen vom Untergrund des Schreibtisches ab, tritt nicht die helle Wand entschieden vor ihren dunklen Hintergrund? Andererseits ist bekannt, daß bei thematischer Umorientierung, beispielsweise bei Verlagerung des Interesses von dem Blatt Papier auf die Gesamtgegebenheit „Schreibtisch" oder auf die Inneneinrichtung des Zimmers, der anfangs das Interesse auf sich lenkende und dadurch scharf markierte Gegenstand zu einem in der umfassenderen Situation aufgehenden und in seinen Grenzen verschwimmenden Bestandteil degradiert und eventuell das umfassende Ganze selbst wieder zu einem Bestandteil eines noch umfassenderen Ganzen wird und so fort. Die Einsicht in die spezifische Natur der Gestalten als mit Verstandesmitteln nicht zu bewältigender Phänomene hat sich nur langsam und schwer Bahn gebrochen, genau besehen ist sie über ein Anfangsstadium nie hinausgekommen, und schon gar nicht hat sie es zu einem vollen Bewußtsein ihrer Tragweite und ihrer impliziten Probleme gebracht. Nicht geringe Schuld hieran ist dem Umstand zuzumessen, daß Gestalt, unter dem Namen είδος, ιδέα (μορφή, σχήμα) u. ä. seit der Antike bekannt und zu den ontologischen und erkenntnistheoretischen Fundamentalbegriffen zählend, als Begriff resp. Begriffenes aufgefaßt und der intelligiblen Sphäre zugeordnet, damit aber zugleich den Wahrnehmungsgegebenheiten opponiert wurde 8 0 . Selbst dort, wo die Abkunft des Gestaltbegriffs aus der Ästhetik nachweisbar ist, wird die sinnliche Gestalt nie anders denn als organisches Ganzes aus Teilen, d. h. als eine von innen heraus nach einem Einheitsprinzip 80

Daß diese Auffassung schon nicht mehr für den späten Piaton gilt, ist in der ParmenidesInterpretation sichtbar geworden. Wurde in jenem Dialog das generische Eidos konzipiert als Synthesis des Genus Einheit und der übrigen einheitslosen und folglich unbestimmten Genera, so wird diese Konzeption im Philebos auf alle Ideen ausgeweitet: In jedem Begriff treffen zwei Bestimmungsmomente, ein begrenztes, bestimmtes (πέρας) und ein unbegrenztes, unbestimmtes (άπειρον), aufeinander. Da das Ideenkontinuum — die übrigen Ideen außer der Idee der Einheit — und das sinnlich-materielle Kontinuum — der Bereich der Genesis — nicht mehr durch angebbare Kriterien unterschieden sind, koinzidieren sie. Vgl. auch B. Liebrucks: Zur Dialektik des Einen und Seienden in Piatons „Parmenides" in Zeitschrift für Philosophische Forschung Bd. 2, 1947, S. 257.

Die konzeptualistische Auffassung der Gestalt

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strukturierte Mannigfaltigkeit, gefaßt und so mit den begrifflichen Mitteln der Einheit und Vielheit zu beschreiben versucht. Es ist daher unumgänglich, den Entwicklungsverlauf nachzuzeichnen, den die Gestaltauffassung in den mit ihr thematisch befaßten Wissenschaften wie der Gestaltpsychologie und Phänomenologie genommen hat, um auf der Basis der bisher entwickelten Konzepte und in konsequentem Verfolg der von ihnen eingeschlagenen Richtung einen zureichenden Gestaltbegriff zu erstellen. Von dieser Zielsetzung her versteht sich, daß der nachzukonstruierende Weg primär nicht als ein chronologischer gemeint ist, sondern als einer zunehmender gedanklicher Durchdringung und Aufklärung des gestaltlichen Wesens, verbunden mit einer Vertiefung des Problembewußtseins. Nur eine solche problemgeschichtliche und problemanalytische Skizzierung kann im Endeffekt die hier zu entwerfende Gestaltkonzeption in der Radikalität ihres Anspruchs als eine allem Konzeptuellen totaliter entgegengesetzte einsichtig machen, indem sie diese als notwendige Konsequenz eines stringent entwickelten Ansatzes nachweist. Auf dem nachzuzeichnenden Weg sind drei Phasen zu unterscheiden. Die erste steht noch ganz im Zeichen einer begrifflichen Deutung, also einer Auslegung der Gestalt durch Verstandesbegriffe und als Verstandesbegriff. Von ihr wendet sich die Untersuchung einer Position zu, die bereits durch das Bewußtsein der Inadäquatheit der begrifflichen Fassung sowie durch Versuche der Ersetzung charakterisiert ist, freilich solche, die scheitern, da sie im Prinzip der begrifflichen Struktur verhaftet bleiben. Im Ausgang von dieser Position wird sodann durch konsequentes Weiterund Zuendedenken die neue Gestaltkonzeption entwickelt, die begrifflicher Struktur transzendent und rein phänomenal ist. Ihr korrespondiert eine von aller Theoretisierung und Begriffskonstruktion independente „ b l o ß e " K o n statierung und Deskription des Gegebenen. Erst im Anschluß hieran können die in dieser Konzeption involvierten Schwierigkeiten expliziert werden. Der voranstehenden Problementfaltung ist der Hinweis zu entnehmen, daß die Untersuchung, wenn sie umfassend und gründlich sein soll, auf allen Stufen am Leitfaden der Doppelfrage nach der Intern- wie Externstruktur der Gestalten orientiert sein muß.

2. Die konzeptualistische Auffassung der Gestalt Die Etablierung des Gestaltbegriffs als eines Grundbegriffs moderner psychologischer Forschung geht auf den Psychologen Chr. v. Ehrenfels zurück. In vielfältiger Weise psychologisch wie philosophisch vorbereitet,

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

so etwa durch die Idee einer psychischen Chemie, nach der aus der Verbindung psychischer Elemente gleich der chemischer eine neue Qualität hervorgeht 81 , oder durch W. Wundts Vorstellung einer schöpferischen Synthese, die in der Verschmelzung von Erlebnissen zu etwas Neuem, der sog. schöpferischen Resultante', besteht 82 , oder durch die ganzheitsadäquaten Beschreibungen von Erlebnissen des Bewußtseinsstroms durch W.James in den Principles of Psychology (1890) 83 , führte Ehrenfels den Terminus „Gestaltqualität", einen Vorläufer des heutigen Gestaltbegriffs, in seinem bahnbrechenden Aufsatz „Uber „Gestaltqualitäten"" (1890) im Anschluß an Äußerungen E. Machs in dessen „Beiträgen zur Analyse der Empfindungen" (1886) ein. Im Ünterschied zu seinen Vorgängern steckte er mit diesem Begriff nicht nur einen Rahmen ab, sondern gab ihm zugleich eine programmatische Sinnerfüllung. Der Begriff bezeichnet den spezifischen Charakter von Phänomenen, die aus einer bloßen Aggregation von Bestandteilen nicht hinreichend verständlich sind, vielmehr erst aus dem Gesamteindruck. Als Beispiele dienten Ehrenfels vorzüglich Gestalten der optischen und akustischen Sphäre, wie der Kreis, der aus dem Nebeneinander von Punkten oder Farbflecken allein nicht zu begreifen ist, sondern erst aus dem Gesamteindruck des Kreisartigen, oder die Melodie, die mehr ist als die Aufeinanderfolge von Tönen. Die Beispiele sind auf diese Sinnesbereiche keineswegs beschränkt sowenig wie auf Simultan- und Sukzessivganzheiten, d. h. auf Raum- und Zeitgestalten, sondern begegnen überall im geistigen, voluntativen, emotionalen Bereich, ζ. B. als bestimmte Denkfiguren, Schlußweisen oder Handlungsformen 8 4 . Nicht zufällig bilden B e g r i f f e (εϊδη, μορφαί) in der platonisch-aristotelischen Philosophie das Paradigma für Gestalten überhaupt. Daß Denkakte wie Begriffe, Urteile, Schlüsse Gestaltungen sind, impliziert keinen Widerspruch; denn etwas anderes ist ihre Funktions- und etwas anderes ihre Gegebenheitsweise, und eine semantische Applikation von Einem auf Vieles schließt die Erscheinungsform von Einem in Vielem nicht aus.

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Vgl. D . Hartley: Conjecturae quaedam de sensu, m o t u et idearum generatione, 1746, J. Mill: Analysis of the phenomena of the h u m a n mind, 2 Bde., 2. Aufl. L o n d o n 1869, vielmehr 1878, repr. N e w York 1967. Vgl. W . W u n d t : Grundzüge der physiologischen Psychologie, Bd. 3, 6. Aufl. Leipzig 1911, S. 755ff. W . J a m e s : The Principles of Psychology, 1890, 3. Aufl. N e w York 1950, 2 Bde., ζ. B. Bd. 1, S. 276ff, 405, 521 ff A n m . , Bd. 2, S. 30. C h r . v. Ehrenfels: Über „Gestaltqualitäten" in Vierteljahrsschrift f ü r wissenschaftliche Philosophie, Leipzig 1890, Bd. 14 nennt als Exempel Widerspruch und R e k t i o n (S. 273ff) sowie Begriffe überhaupt (S. 281 f).

Die konzeptualistische Auffassung der Gestalt

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Für Ehrenfels sind Gestalten durch zwei Merkmale vollständig charakterisiert, die später nach ihm benannt wurden, zum einen durch Ubersummenhaftigkeit (Mehr-als-Summenhaftigkeit), zum anderen durch Transportierbar keit. In negativer Formulierung besagt das erste, daß eine Gestalt, gleich welcher Provenienz, nicht zulänglich erfaßbar ist aus einer bloßen Anhäufung von Teilen, die — um ein Bild zu gebrauchen — Sandkörnern gleich vom Wind zusammengeweht sind. Eine Gestalt ist keine bloße Summe von Summanden, keine bloße Und-Verbindung 8 5 . Vielmehr ist sie, positiv ausgedrückt, etwas aus der Verbindung der Teile resultierendes Neues, etwas gegenüber der Gesamtheit der Eigenschaften und Relationen der Teile Eigenes und mit ihnen schlechthin Inkompatibles. Symptomatisch für sie ist, in dem Komplex, dem sie zukommt und der nach ihr benannt wird, nicht aufzugehen, sondern etwas Adjungiertes zu sein (daher auch der Terminus: Mehr-als-Summenhaftigkeit). Den Beweis liefert folgendes Experiment 8 6 . Werden die Töne einer Melodie unter verschiedene wahrnehmende Subjekte aufgeteilt, dergestalt, daß jedes einen Ton perzipiert, so ergibt die Summe derselben weniger als der Gesamteindruck aller Töne in einem einzigen Subjekt. Das eine Subjekt bringt in der Auffassung der Melodie mehr zur Vorstellung als alle Einzelsubjekte zusammen. Das zweite Kriterium statuiert die Versetzbarkeit von Gestalten aus einem Medium in ein anderes unter Wahrung von deren Eigenart. So läßt sich ein Kreis von einem hellen auf einen dunklen Hintergrund verlagern, vergrößern oder verkleinern, eine Melodie von einer Tonart in die andere transponieren, und gleichwohl werden sie als dieselben wiedererkannt. Während oft schon die geringfügigste Modifikation, die Hinzufügung oder Wegnahme eines einzigen Elements, zur Destruktion der Gestalt genügt, können sämtliche Elemente derselben verändert, verschoben, im Extremfall in andere Medien transformiert werden, ohne die mindeste Einbuße ihrer Grundformation zu erfahren. So reicht es ζ. B . aus, den Tönen der ersten Zeile des Volkslieds „Muss i denn, muss i denn zum Städtl hinaus", die in C-dur gespielt, die Elemente e bis a enthält — das e und f je dreimal, das g viermal, das a einmal —, ein anderes Arrangement zu geben, um trotz

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Es gilt zu beachten, daß sich Ehrenfels' Summen- resp. Und-Verbindungs-Verständnis von dem von uns eingangs exponierten dadurch unterscheidet, daß es nur den einen der beiden Aspekte, den der Trennung und des Getrennt-Haltens, herausstreicht, nicht den anderen der Verbindung und Einheit. Für diesen wird vielmehr der Begriff der Übersummativität eingeführt.

A.a.O., S. 252f.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

der Identität der tonalen Bestandteile eine ganz neue Melodie zu erzeugen, während dieselben, nach Fis-dur versetzt, in der sie als ais, h, cis und dis auftreten, bei durchgängiger Differenz ihre melodische Gestalt bewahren 87 . Dieser kurze Aufriß der Ehrenfelsschen Theorie genügt bereits, das Spezifikum dieser frühen Konzeption, ihre Stärken und Schwächen herauszustellen. Mit den beiden Ehrenfels-Kriterien sind gleich im ersten Anlauf die Hauptaspekte der Gestalt benannt worden: mit dem ersten das auf die Internstruktur bezügliche des Verhältnisses von Teil und Ganzem, mit dem zweiten das auf die Externstruktur abzielende des Gestaltganzen zum Medium seiner Realisation. Wenn mit diesen beiden Momenten das Wesen der Gestalt auch schon umrissen ist, so wird sich doch erst zeigen müssen, ob die von Ehrenfels gegebene Charakteristik der Momente auch genügt. Ehrenfels' Konzeption versteht sich als Gegenentwurf zum Atomismus der zu seiner Zeit dominierenden Elementen- oder Stückepsychologie, auch Assoziationspsychologie genannt, und teilt wie die meisten Innovationen den Mangel, der Theorie, die sie zu überwinden strebt, weitgehend verhaftet zu bleiben. Dies gilt nicht nur für ihre Beschreibungsmittel, was noch zu entschuldigen wäre mit dem Argument, daß sie sich durch den Gebrauch der von der Gegentheorie entwickelten und bereitgestellten Begrifflichkeit dem Opponenten verständlich machen wolle, sondern auch und gerade für ihr Interpretationspotential, was indiziert, daß der theoretische Neuansatz auf halben Wege steckenbleibt. Nach der Grundüberzeugung der Elementenpsychologie, die sich in ihren Ursprüngen auf den englischen Sensualismus, die Erkenntnistheorien von Locke und Hume, zurückführt und bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts die Psychologie beherrschte, sind komplexe Sachverhalte nach Assoziationsgesetzen (Ähnlichkeit, Kontiguität und Kausalität) zustande kommende Synthesen oder Bündelungen von Elementen. Die in solche Zusammensetzungen eingehenden Elemente, die sog. Empfindungsatome, haben als letzte, quantitativ wie qualitativ irreduzible Momente drei Bedingungen zu genügen, 1. der Selbständigkeit, 2. der Isolierbarkeit und 3. der Konstanz. Damit soll gesichert werden, daß die Elemente das, was 87

Vgl. a. a. O . , S. 2 5 9 f . Bei der Wiedererkennung geht es um den Eindruck der Ähnlichkeit, nicht um die faktische Konstanz. Daß die Transportation häufig mit einer tiefgreifenden Modifikation verbunden ist, so ζ. B. die Verlegung eines grauen Kreises von einem hellen auf einen dunklen Hintergrund mit einer Veränderung gemäß den Gesetzen des Farbkontrastes, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Hier ist es allein um den Eindruck zu tun, den wir vom phänomenalen Habitus einer Gestalt haben.

Die konzeptualistische Auffassung der Gestalt

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sie sind, unwandelbar sind, gleichgültig, ob sie eine Verbindung eingehen oder nicht, gleichgültig auch, welcher Art diese ist, und gleichgültig, mit welchen anderen Elementen sie kommunizieren. Die Elemente stellen vorgegebene identische und independente Stücke dar, die zu Komplexen vereinigt und aus solchen herausgelöst und zu neuen Komplexen verbunden werden können, ohne daß dies ihr Dasein und Sosein tangierte. Dieser Invarianz verdanken sie ihren dinganalogen Charakter, der sie stabilen Dingen und physischen Atomen vergleichbar macht. Mit einem treffenden Ausdruck hat Husserl solche Verbände selbständiger, konstanter Inhalte ,in sich z e r s t ü c k t e , b z w . z e r s t ü c k b a r e Ganze' genannt und den Inhalten entsprechend „den Charakter miteinander verknüpfter „ S t ü c k e " " zugeschrieben 8 8 . Es liegt in der Konsequenz dieses Ansatzes, daß das Ganze unselbständig und abhängig ist von den in ihm verbundenen Teilen und keine anderen Eigenschaften aufweist als sie. Wenn die Elementenpsychologie bei der Konstitution der Phänomene wegen des den Elementen gegenüber ihrer Verbindung zugesprochenen Primats von den Teilen zum Ganzen geht, so verfolgt die Gestaltpsychologie die inverse Strategie, indem sie ihren Ausgang vom Ganzen nimmt und durch nachträgliche Analysis zu den Teilen gelangt. Als Gegenkonzept zur Elementenpsychologie verlangt der Ansatz die Anerkennung der Dominanz des Ganzen — der Gestaltqualität als Ganzeigenschaft des K o m plexes — und die Subordination der Teile. Es ist nun aber bezeichnend für das historische Auftreten der Gestalttheorie, daß sie die sachliche Position des von ihr bekämpften Konzepts nicht völlig überwindet, vielmehr neben dem Theorem von der Independenz des Gestaltganzen die traditionelle Lehre von der Selbständigkeit, Konstanz und Isolierbarkeit der Elemente beibehält. Das Resultat dieses Synkretismus ist eine Zwei-SchichtenTheorie, in die als Basis eine Schicht selbständiger, konstanter, isolierbarer Elemente und ein darüber sich erhebendes, aus der Verbindung der Elemente resultierendes, neues, positives, ebenfalls selbständiges, konstantes Element, die Gestaltqualität, eingeht. A.Meinong 8 9 , dessen Objekt-Theorie 88 89

Logische Untersuchungen, II, 1. Teil, S. 227. Uber Gegenstände höherer Ordnung und deren Verhältnis zur inneren Wahrnehmung in Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. 21, 1899, S. 190 (§ 3). Die gestaltpsychologische Konzeption von Ehrenfels ist richtungsweisend geworden nicht nur für die Gestaltpsychologie in specie, sondern für die Erkenntnistheorie in genere, so für die Arbeiten der sog. Grazer Schule, A. Meinongs, V. Benussis, St. Witaseks, A. Höflers. Charakteristisch für diese ist der Produktionsgedanke, der einen zur Mannigfaltigkeit psychischer Elemente hinzukommenden psychischen Akt außersinnlicher Provenienz vorsieht, auf dem die Einigung des Ganzen beruht.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

auf Ehrenfels aufbaut, hat diesen beiden Ebenen in der terminologischen Gegenüberstellung von inferiora und superius einen prägnanten Ausdruck verliehen. Daß sich bei gleichzeitiger Akzeptierung einer Selbständigkeit des Gestaltganzen wie der Gestaltteile die Theorie in Inkonzinnitäten verwickelt und dadurch selbst dementiert, ist unvermeidbar. Die Auflösung des Widerspruchs ist nur nach zwei Seiten möglich, entweder nach der eines Rückfalls in die traditionelle Theorie oder nach der eines konsequenten Fortschreitens auf dem ein geschlagenen Weg in Richtung einer Dominanz des Ganzen und einer Dependenz der Teile. Nicht weniger konstitutiv für die Gestaltkonzeption als das Verhältnis zwischen Fundierungsschicht und Gestaltqualität ist das Verhältnis zwischen Gestaltqualität und Realisationsmedium. Auf dieses Externverhältnis weist das zweite Ehrenfels-Kriterium. Wenn dieser Hinweis auf den ersten Blick auch nicht evident sein mag, so läßt er sich doch vergleichsweise einfach durch folgende Überlegung rechtfertigen. Die Transponierbarkeit einer Gestalt von einem Medium in ein anderes setzt deren grundsätzliche Selbständigkeit und Independenz von einem bestimmten Medium voraus. Sie ist Ausdruck einer äußeren Geschlossenheit und Einheit der Gestalt. Letztere basiert auf der Abgrenzung der Gestalt von dem sie umgebenden Feld, das mit Unbestimmtheiten mancherlei Art angefüllt ist. Ihr verdankt sich, daß die Gestalt als scharf umrissenes, festes, in sich ruhendes, „fertiges" Gebilde dasteht und sich solcherart vom offenen, unbegrenzten und indifferenten Hintergrund abhebt. Was Ehrenfels mit diesem Kriterium im Auge hat, ist nichts anderes als das, was seither als Figur-Grund-, Struktur-Medium, Thema- thematisches Feld-Verhältnis bekannt ist, für das Transportation nur ein anderer Name ist. Wenngleich Ehrenfels das Verdienst gebührt, diese Beziehung erstmals in den Blick wissenschaftlicher Forschung gerückt zu haben, fehlt es bei ihm noch gänzlich an einer genaueren Analyse sowie an einem Bewußtsein der mit ihr verbundenen Probleme. Wenn die Figur-Grund-Beziehung als Relation mit numerisch, qualitativ und hinsichtlich ihrer Dependenzverhältnisse differenten Relata anzusehen ist, ist sie dann adäquat beschrieben als Beziehung zwischen einer begrenzten, bestimmten, selbständigen Figur und einem unbegrenzten, unbestimmten, unselbständigen, weil auf die Figur hin orientierten und in ihr zentrierenden Hintergrund? Ist das einseitige Dependenzverhältnis ein irreversibles oder ein prinzipiell umkehrbares mit der Möglichkeit der Verselbständigung des Grundes und der Verunselbständigung der Figur und damit ein relatives? Obwohl sich solche Fragen nur retrospektiv vom Standpunkt eines entwickelteren Problem-

Die konzeptualistische Auffassung der Gestalt

247

bewußtseins an die Theorie herantragen lassen, sind sie auf die Dauer unaufschiebbar. In der Möglichkeit ihrer Stellung auf dem Boden der Theorie und in dem Vakuum einer Antwort liegt ein wesentliches Motiv der Weiterentwicklung. Versucht man, die vorliegende Theorie als ganze zu charakterisieren, so wird man sie als eine logisch-begriffliche Konzeption klassifizieren müssen. Sowohl was das Verhältnis der Teile zum Ganzen betrifft, wie was das Verhältnis des Gestaltganzen zur Umgebung anlangt, werden die Teile wie das Ganze als Isoliertes bzw. Isolierbares und mithin scharf Ausgegrenztes, als eindeutig und definitiv Bestimmtes und mithin Konstantes, als Selbständiges und mithin Independentes genommen. Mit diesen Charakteren entsprechen sie allen Bedingungen exakter, invarianter Begriffe. Wird daher die Gestalt als ein Ganzes von Teilen in dem eben erläuterten Sinne aufgefaßt, so liegt ihr die Vorstellung einer begrifflichen Einheit einer Mannigfaltigkeit zugrunde, die je nach Aspekt als Einheit von Vielem, als Identität von Differentem oder als Prinzip von Prinzipiertem beschrieben werden kann. Das Eigentümliche der Gestalt, das spezifisch Nicht-Begriffliche, ist für diese Theorie noch nicht einmal am Horizont sichtbar geworden. Bevor wir uns einem entwickelteren Stadium der Gestalttheorie zuwenden, soll eine Variante kurz gestreift werden, nämlich die von Husserl in der Philosophie der Arithmetik exponierte Theorie der figuralen Momente 9 0 . Mit ihr soll zugleich die prinzipielle Ubereinstimmung von Gestaltpsychologie und Phänomenologie in Fragen gestalttheoretischer Konzeption sowie die wechselseitige Beeinflussung und Durchdringung beider nachgewiesen werden. Nach eigenen Angaben 9 1 hat Husserl seine Theorie der figuralen Momente bereits ein Jahr vor Ehrenfels' epochalem Aufsatz über Gestaltqualitäten konzipiert, wie dieser unter dem Einfluß Machs. Während Ehrenfels jedoch das Problem in seiner ganzen Dimension aufrollt, indem er nach Gestaltqualitäten, gleich welcher Provenienz und Struktur fragt, greift Husserl es unter einer speziellen Fragestellung auf, nämlich der nach der Entstehung von Mengen- und Inbegriffsvorstellungen. Es ist ein bekanntes Phänomen, daß sinnliche Mengen wie ein Haufen Äpfel, eine Allee Bäume, eine Kette Hühner nicht einzeln in Form eines sukzessiven Durchgangs durch alle Elemente apprehendiert werden, zumal dann nicht, wenn deren Zahl unüberschaubar groß ist, sondern instantan auf einheitlich-ganz-

90 91

X I I , 193 ff (Kap. 11). X I I , 2 1 0 f Anm.

248

Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

heitliche Weise. Daran knüpft sich für Husserl die Frage nach dem Zustandekommen solcher Mengenauffasung, ohne daß Moment für Moment apprehendiert und simultan kolligiert wird. Dieselbe Frage, nicht noetisch, sondern noematisch gewandt, zielt auf die Erkundung, worauf der Mengencharakter qua Mengencharakter, das spezifische Inbegriffsmerkmal eines Haufens, einer Schar, einer Allee usw., beruht. Der Nachgang dieser Frage führt Husserl zur Annahme figuraler Momente. Mit ihnen sind „in der Anschauung der sinnlichen Menge u n m i t t e l b a r zu e r f a s s e n d e A n z e i c h e n " gemeint, „an welchen der Mengencharakter erkannt werden kann" 9 2 . Es sind „gewisse c h a r a k t e r i s t i s c h e B e s c h a f f e n h e i t e n der einheitlichen Gesamtanschauung der Menge, die mit einem Blick erfaßt werden können, und in ihren wohlunterschiedenen Formen den wesentlichsten Teil der Bedeutung jener den Plural einleitenden Ausdrücke Reihe, Haufen, Allee, Kette, Schwärm, Zug usw. ausmachen" 93 oder, wie Husserl auch sagt, „welche der ganzen Mengenerscheinung einen u n m i t t e l b a r m e r k l i c h e n b e s o n d e r e n C h a r a k t e r " erteilen 94 . Da sie den einzelnen Mengengliedern für sich genommen nicht anhaften, sondern ausschließlich der Gesamtmenge, können sie nur als Resultat einer Verschmelzung der Glieder, sei es einiger oder aller, erklärt werden. Als etwas Neues und Eigenes bezeichnen sie kein bloßes „Kollektivum von Inhalten und Relationen" 95 , sondern ein gegenüber der Vielheit der Fundierungsschicht schlechthin „Einfaches" 96 . In dieser Hinsicht sind sie den sinnlichen Qualitäten verwandt, weshalb Husserl sie gelegentlich quasi-qualitative Momente oder Quasi-Qualitäten 97 nennt. Obzwar der Name „figurales Moment" dem markantesten Fall von Gestalt, der räumlichen Konfiguration, entlehnt ist, die gewöhnlich als Form bzw. Figur von Größe, Lage usw. unterschieden wird, sind für Husserl figurale Momente auf räumliche Beschaffenheiten keineswegs eingeschränkt. Mit seiner Konzeption quasi-qualitativer figuraler Momente weist Husserl in dieselbe Richtung wie Ehrenfels. Wie dieser hält auch er trotz Anerkennung eines suisuffizienten Charakters figuraler Momente an der tradierten Lehre suisuffizienter, konstanter, durch nachträgliche Analyse isolierbarer Elemente fest, welche das Fundament figuraler Momente aus92 93 94 95 96 97

XII, XII, XII, XII, XII, Vgl.

201. 204. Der zitierte Satz steht bei Husserl im Singular. 201. 204. 204. XII, 201 ff, 206.

Die konzeptualistische Auffassung der Gestalt

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machen. Nicht zufällig beruft er sich an einschlägiger Stelle 98 auf Stumpf, einen der namhaftesten und dezidiertesten Vertreter elementenpsychologischen Denkens, nach dessen Verständnis „die verschmelzenden Elemente als das, was sie sind, auch außerhalb einer Verschmelzung auftreten können; und in ihr . . . nicht „im Geringsten verändert" [werden]". So wird auch für Husserl die Annahme einer Schichtung unvermeidbar, bestehend aus einer basalen Schicht selbständiger, vom figuralen Moment independenter Elemente — der Mengenglieder und ihrer Relationen — und einer überformenden Schicht, die das aus der Verschmelzung hervorgehende und gegenüber den verschmolzenen Elementen selbständige figurale Moment, die sinnliche Qualität zweiter Ordnung, enthält. Mit diesen beiden Schichten gehen inkompatible Bestandteile in die Theorie ein, die sich in einem Widerspruch dokumentieren. Offensichtlich im Bewußtsein dieses Widerspruchs hat Husserl selbst noch einen Versuch zur Auflösung unternommen durch die Unterscheidung von πρότερον προς ή μας und πρότερον φύσει, wobei er das erstere auf die Figuralmomente, das letztere auf die sie bedingenden Elemente bezieht". Dabei ist ihm jedoch entgangen, daß die Verteilung eines die Gestaltkonstitution in toto betreffenden Problems auf zwei verschiedene Argumentationsebenen, auf die erkenntnistheoretische der Objektkonstitution und auf die psychologische des Zustandekommens der Gestalterkenntnis, keine adäquate Lösung bilden kann. Zur Externstruktur der figuralen Momente finden sich bei Husserl keine Analysen. Resümiert man den ersten Ansatz der Gestalttheorie, so wirft er zwei Probleme auf, und zwar gerade die, die sich für die weitere Entwicklung als die entscheidenden erweisen werden, zum einen das die Internstruktur betreffende, bei dem es um die Frage der Selbständigkeit, Konstanz und Isolierbarkeit der Gestaltteile o d e r der des Gestaltganzen geht, zum anderen das die Externstruktur betreffende, bei dem es um die Frage der absoluten o d e r relativen Selbständigkeit, Begrenztheit und Bestimmtheit der Figur und entsprechend der absoluten o d e r relativen Unselbständigkeit, Offenheit und Indifferenz des Grundes geht. Daß mit beiden Problemen die Frage der Begrifflichkeit oder Nicht-Begrifflichkeit der Gestalterfassung angesprochen ist, läßt sich unschwer daran erkennen, daß Begrifflichkeit und der Charakter scharfer Umgrenzung, eindeutiger Determination und Selb98 99

XII, 206. Vgl. XII, 201.

250

Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen V e r f a s s u n g

ständigkeit stets zusammengehören. Die Lösung dieser Probleme wird nur eine genaue empirische Erforschung des in Rede stehenden Sachverhalts, ein durch planvolle Variation der Bedingungen geregeltes Beobachten und Experimentieren sowie eine unvoreingenommene, von aller vorgängigen Theoriebildung abstrahierende Beschreibung bringen können. 3. Eine Übergangsposition Zur weiteren Theorieexplikation sei von einem Beispiel ausgegangen, das in der Gestalttheorie als Standardexempel dient, vom Zeichen 5^ 0 0 . Es läßt sich sowohl als kleines gr. φ wie als großes lat. S lesen. Je nach Lesart besitzen seine Konstituentien, Schleife und Bogen, unterschiedliches Aussehen und unterschiedliche Funktion. Im kleinen gr. φ ist die Schleife das Wichtigste und Sinnprägende, der Bogen lediglich Appendix, arabeskenhafte Fortführung, im großen lat. S dagegen steht und fällt die Bedeutung mit dem Bogen, er ist das tragende Moment, die Schleife bloße Zutat. Schleife und Bogen sind jeweils andere, ob sie als Konstituentien des gr. φ oder des lat. S auftreten, und sie sind noch wieder andere, ob sie innerhalb der genannten Sinnzusammenhänge oder außerhalb derselben, isoliert für sich, stehen. Legitimerweise dürfte nur im letzten Fall von „der Schleife" oder von „dem Bogen", d. h. von Schleife und Bogen schlechthin, gesprochen werden, weil es sich nur hier um selbständige Gestalten und nicht um Schleife und Bogen eines φ oder S handelt, um Gestalten also, die thematisches Objekt eigens auf sie gerichteter Bewußtseinsakte sind. Wenn sie mehr enthalten, wie etwa im Fall der Schleife den sich anschließenden Bogen, so gehört dieser wie andere Gestalten in der Nähe der thematischen Figur zur unthematischen Umgebung. Als Ingredienzien bestimmter Sinngebilde wie φ und S sind Schleife und Bogen keine von diesen unabhängigen, aus ihnen beliebig herauslösbaren und mit anderen Elementen synthetisierbaren Inhalte von konstanter Eigenschaft und Strukturfunktion, so daß es ihnen gleichgültig wäre, ob und mit welchen und wie vielen anderen Inhalten sie eine Verbindung eingehen. Sie sind nicht schlechthin da als so oder so beschaffene, sondern wechseln von Fall zu Fall aufgrund phänomenaler und funktionaler Einbezogenheit in mitgegebene Zusammenhänge, auch wenn die physiologische Reizkonstellation dieselbe bleibt. Diesem Beispiel läßt sich die allgemeine Erkenntnis entnehmen, daß die Teile einer Gestalt gegenüber dem Ganzen kein eigenständiges, für sich 100 Vgl. A . G u r w i t s c h : P h ä n o m e n o l o g i e der Thematik u n d des reinen Ich in Psychologische F o r s c h u n g , B d . 12, 1929, S. 291 f, 294, 312, 339.

Eine Ubergangsposition

251

bestehendes Dasein und Sosein haben, daß sie vielmehr von dem Ganzen und dessen Bedeutung dependieren. Die Organisation des Ganzen schreibt das Gesetz vor, nach dem sich Habitus und Rolle der Teile innerhalb des Ganzen richten. M. Wertheimer hat diese Einsicht in dem Satz formuliert, daß jeder Teil „als Teil einer bestimmten Konstellation . . . a n d e r s [resultiert], als wenn er Teil einer andern Konstellation ist; für die Art der Resultierung ist es wesentlich, Teil welcher Konstellation das Gegebene i s t " 1 0 1 , und F. Sander hat in seinem Aufsatz ,,Uber Gestaltqualitäten" diesen Befund neben einer Reihe anderer allgemeiner Ergebnisse empirischer gestaltpsychologischer Forschung in der Feststellung zusammengefaßt: „ D i e Dominanz des Ganzen wird deutlich an dem überwiegenden umfärbenden Einfluß der Ganzqualitäten auf alle Einzelqualitäten: Isolierte Stücke, „Teil"gestalten, von gleicher Qualität werden, wenn man sie einbettet als Glieder in verschiedene Gestaltzusammenhänge, verschieden von einander und von den isolierten Stücken. Ihre qualitative Verschiedenheit ist abhängig von der jeweiligen Gesamtqualität und von der Bedeutung, die ihnen als Gliedern in dem Gestaltgefüge z u k o m m t " 1 0 2 . Die einer subtileren Beobachtung erwachsene tiefere Einsicht in das Wesen der Gestalt macht die Frage nach dem Status des Ganzen bzw. seiner Teile hinsichtlich der Selbständigkeit oder Unselbständigkeit entscheidbar. Aus dem Vorangehenden ist ersichtlich, daß von einer fundierenden Schicht selbständiger, konstanter und infolgedessen isolierbarer Elemente unterhalb der Schicht der Ganzheitseigenschaften nicht die Rede sein kann. Die Zwei-Schichten-Theorie muß zugunsten des Primats des Ganzen entschieden und damit das letzte Relikt atomistisch-mechanistischen Denkens aufgegeben werden. An seine Stelle tritt die Einsicht 1. in die totale Dependenz der Teile vom Ganzen, die sich in deren Bezogenheit auf das Ganze und in deren Zentriertheit in ihm bekundet, 2. in die prinzipielle Variabilität der Teile, derzufolge sich die Teile bei Modifikation der Einstellung und Auffassung des Ganzen in vielfacher Weise und nach vielen Richtungen ändern, und 3. in die Nichtisolierbarkeit der Teile, die ihren Ausdruck in der Zusammengehörigkeit derselben zu einem einheitlichen Ganzen findet. Es ist nur folgerichtig, wenn an dem Prinzip der „Einfachheit" oder, was dasselbe bedeutet, der Unzusammengesetztheit und Unzerlegbarkeit der Gestalt selbst dort festgehalten wird, wo es am ehesten verletzt erscheint, nämlich wo entweder bereits das natürliche 101

102

M. Wertheimer: Untersuchungen zur Lehre von der Gestalt. II. in Psychologische Forschung, Bd. 4, 1923, S. 329. In F. S a n d e r / H . Volkelt: Ganzheitspsychologie, München 1962, 2. Aufl. 1967, S. 68.

252

Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

Erleben auf Elemente oder Elementkomplexe stößt oder die wissenschaftliche Analyse auf solche trifft. Diese scheinbar von selbst sich aufdrängenden oder durch wissenschaftliche Analyse eruierten Letztbestandteile können nach der Stringenz des Gedankens nicht als Letztgegebenheiten, sondern nur als Abstraktionsletztheiten aufgefaßt werden, die auf einem willkürlich und gewaltsam isolierenden Abstraktionsakt basieren. Sie sind künstliche Produkte des Verstandes, welche an s i c h in das Ganze eingebunden und eingeschmolzen sind und bei Isolation das Bewußtsein „des a b s t r a h i e r e n d e n Charakters, d. h. der gewaltsamen Hervorhebung, Herauslösung, Isolierung" 1 0 3 , bewahren. Die gewonnene Einsicht in die Sache verlangt nach einem angemessenen sprachlichen Ausdruck. U m dieser Forderung zu genügen, werden in den Arbeiten dieser zweiten Phase, ζ. B . in den Untersuchungen Krügers, Sanders, Volkelts, Wertheimers, Koffkas, Köhlers, Gurwitschs u . a . , die Begriffe „Element", „Teil", „Partialwahrnehmung", „Partialempfindung" usw., die selbständige, konstante, isolierbare Bestandteile indizieren, durch Termini wie „ M o m e n t " , „ G l i e d " , „ Z u g " , „Seite", „Aspekt", „Färbung" u. ä. ersetzt 1 0 4 . Mit ihnen soll auf die totale Integration der Teile in das Ganze mitsamt den Folgeerscheinungen hingewiesen werden. Wo dennoch weiterhin von „Elementen" oder „Teilen" gesprochen wird, geschieht dies in Anführungszeichen oder zumindest im Bewußtsein der Inadäquatheit der sprachlichen Ausdrucksweise gegenüber dem Realbefund und dem schon erreichten Stand der Theorie. Nur die äußere sprachliche Form bleibt dann noch an Teile gebunden, während die Theorie selbst diese aufgegeben hat. Indessen erweist sich bei kritischer Uberprüfung der Versuch eines terminologischen Ersatzes zum Scheitern verurteilt. Denn auch die Ausdrücke: Moment, Glied, Aspekt usw. bestimmen das Gestaltinnere als mehrheitshaltig, wobei „mehrheitshaltig" sowohl im quantitativen Sinne als „vielheitlich" wie im qualitativen als „mehrbeschaffenheitlich" wie im relationalen als „bezüglich" gemeint sein kann. Es läßt sich nicht übersehen, daß selbst die Momente, Züge, Glieder usw. der Gestalt zahlenmäßig viele sind, jedes für sich eines, qualitätsmäßig jedes mit sich identisch und von den anderen verschieden, relationsmäßig jedes auf das andere wechselweise bezogen und somit von relativer Eigenständigkeit. Die Strukturen der Einheit und Vielheit, der Identität und Differenz, der Relation, die 103

F. Sander: Grundbegriffe der Ganheitspsychologie in F. S a n d e r / H . Volkelt, a . a . O . , S.

36. 104

Vgl. F. Sander: Uber Gestaltqualitäten in F. S a n d e r / H . Volkelt, a . a . O . , S. 68.

Eine Ubergangsposition

253

den Momenten, Zügen, Gliedern eignen, sind aber Charaktere autonomer, konstanter, isolierbarer Elemente. Sie sind nicht denkbar ohne vorgängige Individuation und Verselbständigung. Von Einem und Vielem, von Identischem und Verschiedenem, von Eigenständigem und auf anderes Bezogenem läßt sich sinnvoll nur sprechen, wenn man das Betreffende quantitativ und qualitativ für sich nimmt und ihm eine eigene Existenz zugesteht. So schleicht sich der offiziell zurückgewiesene elementenpsychologische und seiner Struktur nach begriffliche Ansatz unbemerkt wieder ein. Zumal die auf dieser Theoriestufe herrschende Gewohnheit, den Terminus „Gestaltqualität" durch den „ G a n z - " und „Komplexqualität" zu substituieren 1 0 5 , dergestalt, daß „Ganzqualität" die numerische und qualitative Einfachheit und „Komplexqualität" die numerische und qualitative Komplexität des Ganzen bezeichnet, verrät, daß der elementenpsychologische Gesichtspunkt noch keineswegs definitiv überwunden ist. Diese Ambivalenz stempelt die Theorie zu einer typischen Ubergangsposition. Das Mißlingen der terminologischen Substitution hat jedoch nicht nur sprachliche Gründe, seine tieferen Wurzeln liegen in einem immer noch unzureichenden Sachverständnis. Den Gedanken der totalen Integration der Teile in das Ganze, ihrer vollkommenen Unselbständigkeit, Instabilität und Nicht-Isolierbarkeit ernst nehmen, heißt, sie nurmehr als potentielle Teile betrachten, deren Aktualisierung eigene thematische Akte verlangt. Die weitere Entwicklung kann daher nur in die Richtung gehen, das Innere der Gestalt als de facto teil- und mehrheitslos anzusetzen, es einer Beschreibung und Bestimmung durch Begriffe wie die der Einheit und Vielheit, der Identität und Differenz, der Relation usw. zu entziehen. Ausgeklammert von der Erörterung blieb bisher das zweite, die Externität der Gestalt betreffende Problem. Zeigte sich bereits auf der ersten Stufe der Theoriebildung eine merkliche Diskrepanz des Problembewußtseins zwischen diesem und dem ersten Fragenkomplex, so setzt sich dieselbe auf der zweiten Stufe fort. Zwar wird dem Figur-Grund-Verhältnis ein intensiveres Studium gewidmet als zuvor — von gestaltpsychologischer Seite hat sich insbesondere E . Rubin mit ihm beschäftigt und speziell zum optischen Figur-Grund-Verhältnis eine eigene Monographie verfaßt 1 0 6 , von phänomenologischer Seite ist A. Gurwitsch mit Untersuchungen zum Verhältnis von Thema und thematischem Feld hervorgetreten 1 0 7 —, jedoch 105 V g l . F . Sander: Grundbegriffe der Ganzheitspsychologie in F. S a n d e r / H . Volkelt, a. a. O . , S. 47ff. 1 0 6 E. Rubin: Visuell wahrgenommene Figuren, Kopenhagen 1921. 1 0 7 A. Gurwitsch, a . a . O . , bes. Kap. II, S. 298ff.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

findet die Frage nach der absoluten oder relativen Ausgrenzung, Bestimmung und Selbständigkeit der Figur auch jetzt keine befriedigende Lösung. Zum Zwecke einer kritischen Beleuchtung des erreichten Theoriestands sei eine Zusammenfassung der wichtigsten experimentell gesicherten und allgemein anerkannten Forschungsergebnisse vorausgeschickt 1 0 8 : 1. Im Verhältnis zum Grund besitzt die Figur mehr Gewicht und Eindringlichkeit, was sich in der Beschreibung darin äußert, daß zumeist nur auf sie eingegangen wird, während der Grund unerwähnt bleibt. Der sachliche Hintergrund tritt auch deskriptiv in den Hintergrund. Zudem wird die Figur besser behalten als der Grund. 2. In dem als Figur abgesonderten, in sich geschlossenen Teilstück des Feldes zentriert das gesamte Feld. Die Figur ist demnach das organisierende Zentrum desselben und bestimmt, was innen und außen ist. 3. Im ausgeprägten Figur-Grund-Verhältnis ist der Grund ungeformt und gestaltlos. Daher wird der Grenzkontur zwischen zwei Feldern stets als Begrenzung der Figur erfahren, während er für den Grund keine oder nur eine geringe Rolle spielt. E r formt von diesem so wenig, daß sich derselbe vielmehr unter der Figur fortzuerstrecken scheint. 4. Infolge der Geformtheit der Figur und der Ungeformtheit des Grundes bestehen zwischen beiden Tiefenunterschiede, wobei die Figur die Tendenz hat, vor den Grund zu treten. Raumfiguren liegen sogar dem Grund auf. 5. Die Figur hat mehr Ding-, der Grund mehr Stoffcharakter. Gemeint ist damit, daß jede als selbständige Einheit aus einem Feld sich absondernde Figur gegenüber dem umgebenden Feld durch Festigkeit und Substantialität ausgezeichnet ist und in dieser Hinsicht stabilen, substantiellen Dingen gleicht, während der Grund als ungeformt, diffus ein Analogon zum formbaren Stoff bildet. Trotz eindeutiger Priorität der Figur in allen genannten Punkten gehört die Bezogenheit der Figur auf den Grund nicht weniger notwendig zum Wesen der Figur wie umgekehrt die Bezogenheit des Grundes auf die Figur zum Wesen des Grundes. Das Verhältnis ist ein reziprokes 1 0 9 , mag auch die Abhängigkeit ungleich sein, nicht in einer Wechsel-, sondern einseitigen ίο» w i r berufen uns dabei auf die Zusammenstellung in F . Sanders A u f s a t z : Experimentelle Ergebnisse der Gestaltpsychologie

in F . S a n d e r / H . Volkelt,

a.a.O.,

S, 7 9 f ,

die als

repräsentativ gelten darf. 109

D a m i t ist nicht der Selbstverständlichkeit A u s d r u c k verliehen, daß sich in jedem Verhältnis Zwei zueinander verhalten, vielmehr soll auf die gestalthafte B i n d u n g von Figur und G r u n d hingewiesen werden, die es ausschließt, daß das Eine z u m A n d e r e n nur additiv hinzutritt.

Eine Ubergangsposition

255

Dependenz bestehen. Sowenig der Grund ohne die Figur vorstellbar ist, sowenig ist es die Figur ohne den Grund. Es macht nur Sinn, von Figur zu sprechen, wenn diese als Figur auf einem Grund betrachtet wird, wie es auch nur Sinn macht, etwas als Grund zu bezeichnen, wenn dies als Grund einer Figur fungiert. Erst auf der Basis dieser Korrelation etablieren sich die speziellen Dependenzverhältnisse, wobei es den Grund charakterisiert, auf die Figur bezogen und von ihr abhängig zu sein, während die Figur zwar auf den Grund bezogen, jedoch von ihm unabhängig ist. Die Abhängigkeit des Grundes dokumentiert sich in seiner Zentrierung in der Figur. Von ihr her erhält er nicht nur seine Bestimmung, sondern von ihr her eröffnet sich überhaupt erst der Zugang zu ihm. Sie legt fest, welche sachlichen Bestände zur näheren und ferneren Umgebung gehören, welche Funktion und Bedeutung denselben innerhalb dieser zukommt. Der Unselbständigkeit des Grundes steht auf der anderen Seite die Selbständigkeit der Figur gegenüber, die sich in ihrer gestaltenden und zentrierenden Kraft beweist. Allerdings unterliegt die Selbständigkeit einer Einschränkung, wie genaue Beobachtungen lehren 1 1 0 . Sie bekundet sich darin, daß die Gestalt, obwohl von einem bestimmten Hintergrund ablösbar und in einen anderen versetzbar, dennoch nicht in jeden beliebigen transportierbar ist, sondern nur in einen innerhalb gewisser Grenzen. Nicht jedes Thema paßt in jedes Feld. Eine Melodie läßt sich nur von einer Tonart in die andere versetzen, nicht durch ein Farbenspiel wiedergeben; zu einem mathematischen Satz gehört ein mathematischer Horizont; und der Horizont eines künstlerischen Themas muß ebenfalls künstlerische Gegenstände enthalten. Zumeist ist selbst noch innerhalb des zugehörigen Sachhorizontes die Möglichkeit der Transformation begrenzt. So wirken Tintenfaß und Schreibfeder, deren sinnvoller Ort auf dem Schreibtisch ist, wenn sie auf ein Klavier versetzt werden, deplaziert — obwohl es sich bei diesem um Mobiliar handelt wie beim Schreibtisch — und erzeugen den Eindruck, sich in einem artfremden Milieu zu befinden. Die „Versetzbarkeit innerhalb gewisser Grenzen" ist Index einer sachlichen Bindung der Figur an den Grund. Die damit eingeleitete Erkenntnis einer Dependenz auch der Figur vom Grund muß die Frage nach dem Verhältnis beider verschärfen. Ist 1. mit der formalen Bezogenheit der Figur auf den Grund als Relatum einer zweistelligen Relation und 2. mit der sachlichen Gebundenheit der Figur an den Grund das Verhältnis vollständig ausgeschöpft, oder verbirgt sich in ihm 110

Vgl. hierzu A . Gurwitsch, a . a . O . , S. 313.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

noch eine Abhängigkeit fundamentalerer Art, die auf eine völlige Nivellierung des Unterschieds von Figur und Grund hinausläuft und damit auch — wenn man die Figur wegen ihrer Begrenztheit, Bestimmtheit und Selbständigkeit als numerisch Eines, mit sich Identisches, Substantielles bezeichnet, den Grund wegen seiner Unbegrenztheit, Unbestimmtheit und Unselbständigkeit als Vielheits- und Differenzhaltiges, Akzidentelles — auf eine Relativierung der Begriffe von Einheit und Vielheit, Identität und Differenz, Substanz und Akzidens (Selbständigkeit und Unselbständigkeit). Statische Begriffe wären danach zur Beschreibung des Sachverhalts prinzipiell ungeeignet. Da in der Konsequenz dieses Gedankens die potentielle Auffassung nicht nur der Teile gegenüber dem Ganzen, sondern auch des Ganzen gegenüber dem Grund liegt, liefe dies auf eine vollkommene Parallelität beider Verhältnisse hinaus. Die explizite oder implizite Negation einer solchen kennzeichnet alle bisherigen Theorien und markiert die Differenz zu der im folgenden zu entfaltenden 1 1 1 , 1 1 2 . 4. Die phänomenale Auffassung der Gestalt Trotz der im bisherigen Verlaufe der problemgeschichtlichen Untersuchung immer tiefer eingedrungenen Analyse in den Wesensgehalt der Gestalt ist die ganze Problemtiefe mitsamt ihren weitreichenden Konsequenzen noch nicht ausgelotet. Nicht zuletzt hieraus erklärt sich der defiziente Modus der bisher gegebenen Antworten. Folglich läßt nur der noch ent-

111

A . Gurwitsch hält in seiner hervorragenden Arbeit (a. a. O . ) — der einzigen philosophisch relevanten unter den gestalttheoretischen — im Gegensatz zu uns nachdrücklich an der Selbstständigkeit der Figur gegenüber dem Grund fest und lehnt eine Betrachtung des einen Verhältnisses sub specie des anderen ab mit dem Hinweis auf die Verschiedenheit der phänomenologischen Charaktere beider Strukturverhältnisse. E r spricht sogar von zwei Arten von Gestaltverbindung: 1. der Einheit des Themas und seiner Ingredienzien und 2. der Einheit von Thema und thematischem Feld (vgl. S. 313 ff). Allerdings hat Gurwitsch bei seiner Ablehnung mehr die Parallelität der Gestaltungskraft des Themas respektive des Feldes mit der des Themas respektive des eigenen Innern im Auge — eine Gleichsetzung, die er zu Recht negiert — als die Parallelität des Gestaltganzen in seiner Beziehung zum Feld mit den Gestaltteilen in ihrer Beziehung zum Ganzen. Der Gedanke einer Identifikation von Gestaltteilen (bezüglich des Ganzen) und Gestaltganzem (bezüglich des Hintergrundes) liegt ihm noch fern.

112

D i e im Vorangegangenen aufgezeigten Unterschiede zwischen erster und zweiter Fassung der Gestalttheorie sind zwar oft bemerkt, auch begrifflich mehr oder weniger scharf gefaßt worden (vgl. die Arbeit von Gurwitsch, H . Schmitz, a . a . O . , B d . 3, S. 2 7 3 f f , E . Rausch: Das Eigenschaftsproblem in der Gestalttheorie der Wahrnehmung in Handbuch der Psychologie, B d . 1, 1, Göttingen 1966, S. 866—953), jedoch niemals systematisch expliziert worden, wie dies die vorliegende Untersuchung für sich in Anspruch nimmt.

Die phänomenale Auffassung der Gestalt

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schiedenere Rekurs auf die Fakten, gegebenenfalls auch der radikale Bruch mit allen tradierten und liebgewonnenen Vorstellungen, eine adäquate Problemstellung und -lösung erwarten. Daher sei nochmals von einem Beispiel ausgegangen 1 1 3 . Objektiv gegeben ist eine Strichkonfiguration aus je zwei gleichlangen, parallel angeordneten, horizontalen und vertikalen Strichen. Hinsichtlich ihrer sind mindestens drei verschiedene Fälle von Gestaltwahrnehmung möglich. Überblickt man das Gegebene, doch so, daß das Interesse nicht den Strichen, sondern ζ. B. einem komplizierten Muster innerhalb oder außerhalb der Strichkonfiguration gilt, so konstatiert man lediglich links einen Strich und rechts einen und oben und unten einen. Ihre Länge, Gleichheit, Parallelität bleiben in dieser Einstellung gänzlich außer Betracht. Richtet sich hingegen das Interesse auf einen Größenvergleich, so erblickt man je zwei Striche, die zusammen mit den übrigen ihrer U m gebung ein Rechteck bilden und als dessen senkrechte oder waagerechte Seiten erscheinen. Dabei wird das senkrechte Paar durch die beiden waagerechten Striche verbunden und das waagerechte durch die senkrechten. Und konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf das Gesamtgebilde bei gleichzeitiger Abstraktion vom Längenvergleich der Seiten, so zeigen sich nicht mehr zwei Strichpaare resp. je zwei horizontale oder vertikale Rechtecksseiten, sondern eine einzige, einfache, geschlossene Figur, ein Rechteck. Den drei Fällen von Gestaltwahrnehmung, 1. der Strichwahrnehmung, d . h . der Wahrnehmung eines Strichs und noch eines und so fort, 2. der Wahrnehmung von Strichpaaren resp. Rechtecksseiten und 3. der Wahrnehmung eines Rechtecks, liegen unterschiedliche Phänomenbestände zugrunde. So resultiert der Eindruck des Rechtecks aus einer absolut einfachen, geschlossenen Figur, dem Rechteckshaften. Man verstellte den Sachverhalt, wollte man dieses Rechteckshafte als eine Zusammensetzung aus zwei Strichpaaren (aus zweimal zwei äquivalenten Parallelseiten) oder gar als eine aus vier Strichen erklären. Man wird ihm nur dann gerecht, wenn man ihn für eine schlechthin einfache, unzusammengesetzte und folglich auch unzerlegbare, in sich ungegliederte Gestalt nimmt. Dagegen 113

Eine ausführliche Diskussion dieses Beispiels, wenngleich nicht immer im Hinblick auf denselben phänomenologischen Sachverhalt, findet sich bei Husserl: Psychologische Studien zur elementaren Logik in Philosophische Monatshefte, Bd. 30, 1894, S. 159 — 191, S. J63f, K. Koffka: Psychologie in Die Philosophie in ihren Einzelgebieten, hrsg. v. M. Dessoir, Berlin 1925, S. 531 ff, A. Gurwitsch, a . a . O . , S. 347f, 361. Die durch Beschreibung unterschiedlicher phänomenaler Charaktere des Beispiels bedingten Kontroversen, vor allem zwischen Husserl und Koffka, lassen sich durch trennungsscharfe Distinktionen des jeweils Intendierten beheben. Vgl. dazu das Folgende.

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen V e r f a s s u n g

basiert die Wahrnehmung je zweier Parallelseiten auf einem Befund, der zwar noch Rechteckscharakter aufweist, bei dem sich aber je zwei Teile, nämlich die symmetrischen Seiten, so weit emanzipiert haben, daß sie den Hauptakzent tragen, während die beiden anderen nurmehr den Ubergang zwischen ihnen bilden. Diese Rechtecksseiten oder Strichpaare sind aber noch keine Striche, weder phänomenal noch funktional, folglich auch keine Zusammensetzung aus solchen — ein Paar ist etwas anderes als „eins plus eins" —, was u . a . daraus erhellt, daß Rechtecksseiten eine Außenund Innenseite besitzen, Striche hingegen nur zwei gleiche Fronten. Sobald sich die symmetrischen Rechtecksseiten gänzlich aus dem Verband herauslösen und verselbständigen, resultiert eine Strichwahrnehmung. In demselben Maße, in dem die Striche für sich Thema werden, sinken die in ihrer Nähe befindlichen Linien, selbst wenn sie sich ohne Zwischenraum anschließen, zum bedeutungslosen Umfeld der Strichfigur ab. Seinem phänomenalen Habitus und seiner Funktion nach ist ein Strich etwas total anderes als ein Bestandteil eines parallelen Paars oder gar als eine Rechtecksseite. Wie das Rechteck eine einzige, geschlossene thematische Figur vor einem unthematischen Hintergrund ist, beispielsweise einem Strichmuster, so sind in den entsprechenden Bewußtseinszuständen auch die Strichpaare (parallelen Rechtecksseiten) ein einheitliches Thema vor einem Hintergrund, der in diesem Fall durch die Rechtecksfigur gebildet wird, und nicht anders die Striche, wobei deren Hintergrund sich aus Strichpaaren bzw. Parallelseiten konstituiert. Wie das Beispiel lehrt, gehen bei der Auflösung einer Gestalt in ihre sog. Bestandteile — Gleiches gilt für den inversen Vorgang der Synthesis — tiefgreifende Modifikationen vor sich, die den Sinngehalt, die Erscheinungsweise und die Funktion der Gestalt von Grund auf wandeln. Eine Gestalt in ihre „Bestandteile" zerlegen oder sie aus solchen zusammensetzen, hat den Erfolg, daß eine ganz neue Gestalt resultiert, während die alte abklingt. Wie radikal solche Änderungen sind, beweisen die Phänomene von genialem Einfall, von großartiger Erfindung oder Entdeckung. Denn bei ihnen handelt es sich um Herauslösungen zuvor nicht bemerkter Momente aus besonders festgefügten Strukturzusammenhängen, die Umstrukturierungen und Umgestaltungen des Gesamtgefüges nach sich ziehen 1 1 4 . 114

Zur Illustration m a g eine von W. Köhler an Schimpansen gemachte B e o b a c h t u n g dienen. G e g e b e n ist ein fester struktureller Z u s a m m e n h a n g optischer u n d taktiler Art, bestehend aus einem K ä f i g , einem B a u m und einer weit entfernten Frucht. Gelingt es einem A f f e n , diesen Z u s a m m e n h a n g aufzubrechen, aus der Baumgestalt einen A s t „ l o s z u s e h e n " und ihn in eine Stockgestalt mit der F u n k t i o n : B r ü c k e zur Frucht hineinspringen zu lassen, so stellt

Die phänomenale Auffassung der Gestalt

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Daß die Auflösung bzw. Zusammensetzung einer Gestalt leichter oder schwerer vor sich gehen kann, gleichsam von selbst erfolgen oder nur mit extremer Mühe gelingen kann, betrifft einen Unterschied der subjektiven Gestalterfassung, nicht der objektiven Gestaltkonstitution. Wenn auch die Gestaltpsychologie angesichts dieses Faktums meint differenzieren zu müssen zwischen festgeschlossenen Gestalten mit innerlich verschliffenen und folglich nicht mehr erkennbaren Gliedern und solchen lockererer Art mit wohlunterschiedenen, so mag dies für eine psychologische Betrachtungsweise, die sich für die Art des Zustandekommens der Erkenntnis interessiert, immer legitim und sinnvoll sein, nicht jedoch für eine erkenntnistheoretische, der es um die Bedingungen möglicher Gegenstandserkenntnis geht. Auch dort, wo Glieder in einer Gestalt vorliegen, sich sogar von selbst aufzudrängen scheinen, handelt es sich in Wahrheit nicht um Bestandteile dieser Gestalt, weder um selbständige noch um unselbständige, sondern um selbständige thematische Gestalten, die den Prozeß der Gestaltumwandlung bereits hinter sich haben. Im Moment ihrer Bewußtheit bilden sie das Thema, während die Konfiguration, aus der sie hervorgingen, den Hintergrund ausmacht. Auch die Frage, ob die Gestaltmodifikation ihren Grund im Objekt habe, in einer Tendenz zum Gestaltzerfall bzw. -zusammenschluß, oder im Subjekt, in einer analytischen bzw. synthetischen Einstellung, ist für die erkenntnistheoretische Erörterung ohne Relevanz. Von hier wird der Fundamentalfehler aller bisherigen Gestaltauffassung verständlich. Erblickte diese in der Gestalt ein Ganzes aus Teilen, sei es aus selbständigen, konstanten, isolierbaren oder aus unselbständigen, variablen, allenfalls abstraktiv isolierbaren, so zeigt die genaue Diagnose, daß der phänomenale Befund nichts dergleichen enthält, weder Elemente in sensu stricto noch Momente, Glieder, Züge. Vielmehr erwachsen die sog. Teile erst einer thematischen Modifikation, bei der sich das thematisierende Bewußtsein vom ursprünglich thematischen Gestaltganzen weg und den potentiellen Teilen zuwendet. Angesichts der hierbei stattfindenden einschneidenden Veränderungen, die sowohl den Wasgehalt wie den phänomenalen Habitus wie die Funktion der Gestalt betreffen, wäre der Vorgang nur unzureichend beschrieben, wenn man ihn als Reflexion charakterisieren wollte; denn nicht nur, daß diese auf immer schon Vorhandenes rekurriert, dies einen typischen Fall von genialem Einfall dar. Denn „eine offene Gestalt, der Weg zur Frucht, holt sich ihre Schließung aus einer andern geschlossenen Gestalt, und das geschieht dadurch, daß ein Glied dieser Gestalt einen Umwandlungsprozeß erfährt" (K. K o f f k a , a . a . O . , S. 578).

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

in ihr bleiben auch, trotz Explikations- und damit Bewußtmachungsprozeß, Gehalt und phänomenaler Charakter unangetastet. Folglich läßt sich der Vorgang nur als thematische Modifikation ansprechen, als Uberführung einer thematischen Gestalt in eine andere. In der Gestalt Teile, welchen Status' auch immer, als existent annehmen wollen, hieße, die phänomenale Gegebenheit nicht als das nehmen, als was sie faktisch gegeben ist, sondern bereits im Vorblick auf das interpretieren, in was sie überführt werden kann. Es ist aber etwas prinzipiell anderes, ob die Gestalt lediglich als Ermöglichungsgrund von Teilen fungiert, deren Aktualisierung eigenen thematischen Zuwendungen vorbehalten bleibt, oder ob sie als Gebilde aus realen Teilen angesetzt wird. Zwischen aktualisierbaren und aktualisierten Inhalten, zwischen Teilbarkeit und Realteilung besteht eine fundamentale Differenz. Diese ignorieren oder annullieren wollen, bedeutet, statt einer phänomenologischen Deskription der nur thematisierungsfähigen Teile eine Phänomenologie der bereits thematisierten liefern. Da die Teile nur als selbständige Themata numerisch eines bzw. zusammen mehreres, mit sich identisch und voneinander verschieden sowie Relata vielfacher Bezüge sind, müssen bei einer prinzipiellen Leugnung der Teilhaltigkeit der Gestalt auch die Begriffe von Einheit und Vielheit, Identität und Differenz, von Relationalität hinfällig werden. Wenn es im Innern der Gestalt keine aktuellen Teile qua aktuellen gibt, entfällt die Möglichkeit und Berechtigung der Applikation dieser Begriffe. Als Deskriptionsmittel für die Internstruktur der Gestalt erweisen sie sich als inadäquat und sind daher aufzugeben. Aufzugeben sind sie aber nicht allein zur Beschreibung des Gestaltinnern, sondern auch zu der des Äußern. Einen ersten Hinweis darauf liefern die ambivalenten Wahrnehmungen, die sich an reversiblen Gestalten, Kippfiguren, Vexierbildern und dgl., beobachten lassen. Unter den letzteren sind instabile Figur-Grund-Beziehungen zu verstehen, bei denen Figur und Grund abwechselnd ineinander umschlagen, so daß das, was eben noch ausgezeichnete Figur war, im nächsten Moment zum unausgezeichneten Hintergrund wird, und das, was eben noch den Status eines offenen, indifferenten, unselbständigen Hintergrundes hatte, zur scharf umrissenen, eindeutig bestimmten, selbständigen Figur avanciert. Nicht nur die Psychologie, auch das Alltagsleben kennt eine Fülle solcher Beispiele, ζ. B . die Rubinsche Becherfigur, die sowohl als antiker Pokal wie als zwei Gesichtsprofile erscheinen kann, oder jene für Rätsel verwendeten Linienkonfigurationen, aus deren Gewirr plötzlich die klaren und scharfen Konturen eines Gegenstands herausspringen und ebenso plötzlich wieder im Hintergrund des Wirrwarrs verschwinden.

D i e p h ä n o m e n a l e A u f f a s s u n g der Gestalt

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Was jeweils als Figur und was als Grund erscheint, dependiert von Einstellung, Interesse oder Aufmerksamkeit des Subjekts. In gestalttheoretischem Kontext bezeichnet Aufmerksamkeit im Unterschied zu der sonst gängigen Auffassung von ihr in der Psychologie nicht Klarheit und Schärfe, ihr Gegenteil nicht Unklarheit und Unschärfe — würde doch diese Auslegung, angewandt auf das Figur-Grund-Verhältnis, zu einer voreiligen Deklaration des Grundes als Figur führen, eines Grundes, der sich von der Figur in nichts als in Unschärfe und Unklarheit unterschiede —, sondern Schwerpunkt, Gewicht, Akzent 1 1 5 . D a die Figur das Zentrum des Feldes bildet, auf das hin alles übrige organisiert ist, liegt in ihr der Schwerpunkt. Wird dieser auf eine andere Stelle des Feldes verlagert, so erscheint dort die Figur, während die ursprüngliche zum Hintergrund degradiert. Wegen der strikten Korrelativität von subjektiver Interessensverlagerung und objektivem Figur-Grund-Wechsel muß es letztlich unentschieden bleiben, ob die Modifikation der Figur evoziert wird durch eine Modifikation des Interesses oder ob das Interesse deshalb einem bestimmten Teil des Feldes gilt, weil sich dorthin die Figur verlagert hat. Die Gleichung: wo immer in einem Feld sich der Schwerpunkt befindet, liegt die Figur, und wo immer sich die Figur befindet, liegt der Schwerpunkt, ist unauflösbar. Obwohl das beschriebene Phänomen an Kippfiguren besonders augenfällig wird, ist es auf diese keineswegs beschränkt. Vielmehr gilt es ausnahmslos für alle Figur-Grund-Verhältnisse. Wie es keinen Teil des Feldes gibt, der nicht figurierbar wäre, so gibt es keine Figur, die sich nicht zum Hintergrund destrukturieren ließe. Erweist sich aber der gesamte Grund als formbar und jede Figur zum Grund denaturalisierbar, dann ist die Relation von Figur und Grund eine prinzipiell und durchgängig umkehrbare 1 1 6 .

115 116

K . K o f f k a , a . a . O . , S. 5 5 7 f f . A . G u r w i t s c h , a . a . O . , S. 3 2 5 f f , 3 3 0 f f , 3 3 8 f f hat in minuziöser p h ä n o m e n o l o g i s c h e r D e t a i l f o r s c h u n g drei verschiedene Stufen thematischer M o d i f i k a t i o n herausgearbeitet: 1. diejenige, bei der das T h e m a in strenger Identität bewußt bleibt, während seine U m g e b u n g , zuweilen radikal, verändert wird, 2. diejenige, bei der das T h e m a zwar a u f h ö r t , T h e m a zu sein, indem es zu einem Bestandteil des G r u n d e s mit der diesem eigentümlichen Q u a l i t ä t absinkt, jedoch seinem sachlichen Bestand nach unangetastet bleibt, u n d 3. diejenige, bei der das T h e m a nicht nur a u f h ö r t , T h e m a z u sein, sondern auch in seinem sachlichen Bestand angegriffen und totaliter gewandelt wird. V o n diesen stellt jedoch nur die letzte eine thematische M o d i f i k a t i o n des noematischen K e r n s dar und differiert insofern radikal von den beiden anderen. Als nur subjektive Stadien thematischer M o d i f i k a t i o n können diese daher in einer U n t e r s u c h u n g über die M o d i f i k a t i o n des objektiven G e h a l t s vernachlässigt w e r d e n .

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen V e r f a s s u n g

Es versteht sich, daß diese universale Relativität nicht ohne Konsequenz für das Verständnis von Figur und Grund bleiben kann. Mochte es anfangs scheinen, als sei die thematische Figur aufgrund ihrer Geschlossenheit, Bestimmtheit und Selbständigkeit gegenüber dem offenen, unbestimmten, unselbständigen Hintergrund durch die Begriffe der Einheit, Identität, Relationalität bestimmbar, so zeigt sich nun aufgrund ihrer prinzipiellen Vertauschbarkeit mit dem Grund die Hinfälligkeit dieser Begriffe. Wenn dasselbe sowohl begrenzt wie unbegrenzt, bestimmt wie unbestimmt, selbständig wie unselbständig sein kann, sind alle Versuche begrifflicher Determination zum Scheitern verurteilt. Denn Begriffe sind ihrem Wesen nach exakt, eindeutig und konstant; andernfalls wäre Einheit nicht mehr Einheit, sondern Pluralität, Identität nicht mehr Identität, sondern Differenz, Selbständigkeit nicht mehr Selbständigkeit, sondern Unselbständigkeit usw., womit dem Nonsens Tür und Tor offenstände. Da sich Figur und Grund nun aber gerade von dieser Relativität erwiesen haben, können sie weder selbst logische Strukturen sein, noch adäquat durch solche bestimmt werden. Denn unmöglich lassen sich relative Sachverhalte durch starre Begriffe wiedergeben. Folglich müssen sie von prinzipiell anderer Provenienz sein als diese. Die vorangehenden Untersuchungen erlauben die weitreichende Einsicht, daß weder die sog. Teile einer Gestalt aus dem Verbindungstypus Teil-Ganzes noch das Gestaltganze aus dem Verbindungstypus FigurGrund durch strikte Begriffe wie die der Einheit und Vielheit, der Identität und Differenz, der Relationalität überhaupt charakterisierbar sind oder gar selbst solche darstellen. Die Gründe hierfür sind in jeweils unterschiedlichen phänomenalen Tatbeständen zu suchen, was die Teile betrifft, in dem Faktum, daß diese zwar bestimmbar, aber nicht aktualiter bestimmt sind, und, was das Ganze betrifft, in dem Faktum, daß dieses zwar aktualiter bestimmt ist, jedoch wegen der prinzipiellen Vertauschbarkeit mit dem Grund nicht definitiv, sondern nur vorläufig. Begriffe aber erheben hinsichtlich ihrer Bedeutung Absolutheitsanspruch; So sieht sich eine vertiefte Einsicht in das Wesen der Gestalt genötigt, derselben einen alogischen Charakter zuzuschreiben, das aber heißt, da Gestalt trotz ihrer Negativbeziehung zum Begriff etwas Positives ist, einen phänomenalen Charakter. Entsprechend ihrer anschaulich-synoptischen, nicht begrifflich-synthetischen Erfassungsweise dokumentiert sich dieser in Extensionalität. Es war daher nur konsequent, das Gestaltinnere als teil- und damit mehrheits-, differenz- und relationslos zu beschreiben, entspricht doch dies extensionaler Struktur als einer absolut einfachen, gleichartigen, überall zusammenhängenden 1 1 7 .

Die phänomenale Auffassung der Gestalt

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Allerdings erweist sich die Gestalt als ein spezifisches Extensionsphänomen, als ein solches, das aufgrund seiner Abgehobenheit vom Untergrund, wie vorläufig auch immer diese sein mag, nach außen endlich und durch qualitativ absetzende Diskontinuität gekennzeichnet ist. Dergestalt als ein Phänomen sui generis sichtbar geworden, erlaubt die Gestalt zwei Arten der Bestimmung. Die eine kann, da Bestimmung sich stets begrifflicher Mittel bedient, nur in einer Bestimmung via negationis, einer Zurückweisung aller Begriffe, bestehen. Von der Gestalt läßt sich nur negativ sagen, daß sie begriffliche Struktur nicht aufweist, daß sie in sensu stricto weder Eines noch Vieles, weder Identisches noch Differentes, noch Relationales ist. Daß ihr dennoch als Bezugspunkt des Absprechens, respektive dessen Absprechen überhaupt erst möglich wird, eine Reihe alogischer, irrationaler Prädikate zukommt, die der via negationis transzendent sind, impliziert keinen Widerspruch, sondern rechtfertigt sich aus dem Umstand, daß die Gestalt als ein Phänomen einen Sachverhalt eigener Art neben der Begrifflichkeit bezeichnet. Als zweite Möglichkeit bietet sich die metaphorische Beschreibung an. Ist Gestalt als Phänomen erst einmal in den Blick gekommen, dann mag es erlaubt sein, Begriffe auf sie zu applizieren, die ihr von Natur aus fremd sind, da dies in ausdrücklichem Bewußtsein eines übertragenen Gebrauchs geschieht. Daß vor allem Termini Anwendung finden, die ihrem Sinn nach gerade nicht terminieren, sondern der Abgrenzung, die mit ihrem Wesen qua Begriff verbunden ist, widersprechen, versteht sich. Von Relevanz sind in diesem Kontext die Verschmelzungsbegriffe: Fluß, Strom, Lawine, die nicht nur den Vorteil besitzen, die Aufhebung alles Scheidenden und Unterscheidenden zum Ausdruck zu bringen 1. im Sinne einer Synthetisierung des Vielen, Begrenzten zu einer einfachen Einheit, 2. im Sinne einer Homogenisierung, in der alle Distinktionen untergehen, und 3. im Sinne einer Kontinuierung des Diskontinuierlichen, sondern auch den, eine relative Begrenzung zu markieren, die immer weiter hinausgeschoben werden kann. Der Fluß ist nicht nur kraft Einbeziehung aller möglichen Stationen seines Wegs in einen einzigen, ununterbrochenen Lauf Sinnbild einer durchgehend homogenen und kontinuierlichen Gestalt, sondern ebenso kraft Verschiebung der Begrenzung Symbol einer relativ begrenzten. Aus 117

H. Schmitz, a . a . O . , Bd. 3, S. 274f versucht durch Anwendung des Begriffs des chaotischen Mannigfaltigen, der Unentschiedenheit „hinsichtlich der Identität oder Verschiedenheit seiner Elemente mit oder von einander" (Bd. 1, S. 312) bedeutet, auf das Gestaltinnere begriffliche Klarheit zu schaffen. Zur Kritik dieses Begriffs vgl. die Einleitung dieser Arbeit, S. 14 Anm. 18.

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diesem Grund gehört auch die Wellenmetaphorik hierher mit ihren Ausdrücken: Undulation, Modulation, Pulsation u. ä., in denen der relative Begrenzungscharakter eigens thematisiert wird. Mit ihr operiert nicht nur die Phänomenologie 118 und Gestaltpsychologie, sondern bemerkenswerterweise auch die Quantentheorie, indem sie von der Wellennatur des Atoms spricht 119 . Angesichts dieser beiden einzig möglichen Arten von Bestimmung läßt sich retrospektiv auch erklären, warum der im Vorangehenden verfolgte Entwicklungsgang der Gestalttheorie seinen Ausgang von einer begrifflichen Konzeption nehmen und zu einer a-begrifflichen, phänomenalen führen mußte. In ihm spiegelt sich die allgemeine Methode der Bestimmung von Gestalten wider, die nur von seiten des Begriffs erfolgen kann. Insofern war der Weg kein zufälliger, sondern ein notwendiger. 5. Die progressive bzw. regressive Struktur des Gestaltphänomens oder seine Relativität Die voranstehenden Untersuchungen haben die Gestalt als ein Extensionsphänomen ermittelt, und zwar als ein begrenztes, das aufgrund seiner Begrenztheit durch Endlichkeit, Inhomogenität und Diskontinuität zu charakterisieren ist. Mit diesen Merkmalen hat es allerdings die Besonderheit, daß sie sich wegen der prinzipiellen Vertauschbarkeit von Figur und Grund als relativ erweisen. Denn da die fixierte, determinierte, selbständige Gestalt in einen offenen, undeterminierten, unselbständigen Hintergrund vertierbar ist so wie dieser in jene, entfällt für beide Eigenschaftskomplexe der Modus der Absolutheit, und Relativität stellt sich als wesenskonstitutiv für sie heraus. Diese Relativität ist nun aber nicht nur positiverweise ein Wesensmerkmal der Gestalt, sondern zugleich negativerweise ein Grund interner Schwierigkeiten, die mit den Ausdrücken der Instabilität und Vagheit, des Entgleitens jeder festen Grenze vorerst nur vorläufig umrissen werden können. Mochte es anfangs noch den Anschein haben, als sei der Wechsel von Figur und Grund auf subjektive Gründe reduzierbar, nämlich auf die attentionalen Modifikationen als subjekteigene Leistungen, so zeigt das genauere Studium des Sachverhalts, daß der objektive Grund im Wesen der Gestalt selbst liegt. Denn als Synthesis von Extension und Limitation ist 118 119

Vgl. M. Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin 1966, S. 320f. Vgl. C. F. v. Weizsäcker, a . a . O . , S. 83, 105.

Die Relativität des Gestaltphänomens

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die Gestalt die Verbindung unverbindbarer, weil einander kontradizierender Bestimmungen. Dasselbe gilt für die mit Extension und Limitation einhergehenden Merkmale der Unendlichkeit und Endlichkeit, der Homogenität und Inhomogenität, der Kontinuität und Diskontinuität. Daß die Kontradition hier nicht zur Aufhebung der in ihr fundierten Gestalt führt, ist dem Umstand zuzuschreiben, daß das extensionale Moment eine unendlichfache Begrenzung zuläßt oder, anders herum formuliert, daß das begrenzende Moment sich unendlichfach auf Extension anwenden läßt. Auf diese Weise schiebt sich die Totalaufhebung immer weiter hinaus und wird zu einem unendlichen, nie abschließbaren Prozeß. Es ist das Spezifikum der Gestalt und zugleich das Eigentümliche ihrer Schwierigkeit, daß jede Begrenzung kraft Extension bereits transzendiert und jede Extension kraft Begrenzung bereits limitiert ist. Niemals steht die Gestalt zwischen definitiven Grenzen, vielmehr untersteht sie einem permanenten Prozeß der Gestaltwerdung, der sich in immer neuer Grenzsetzung manifestiert. Figurales Sein ist kein statisches, sondern ein prozessuales. Diese Disposition zum Prozeß realisiert sich nach zwei Seiten, zum einen in Richtung auf eine zunehmende Figuration des Hintergrundes, eine Ausweitung der Figur über den Grund, zum anderen in Richtung auf eine zunehmende Defiguration und Ausweitung des Hintergrundes über die Figur. In beiden Fällen tendiert der Prozeß zu einer Koinzidenz von Figur und Grund im Unendlichen — allerdings in einem mit entgegengesetzten Vorzeichen versehenen. Die eine wie die andere Möglichkeit dieser Realisierung ist wesensgesetzlich prädestiniert. Sie ergibt sich aus der mit der Begrenzung der Gestalt einhergehenden Unterscheidung eines Außen- und Innenhorizontes, die beide unbegrenzte Uberführungen von Figurationen ineinander gestatten. Wo immer daher in einem Bewußtseinsfeld eine thematische Gestalt gegeben ist, besteht die im Wesen derselben beschlossene Möglichkeit, entweder durch Hinausgang in den Außenhorizont das weitere Bewußtseinsfeld in einem neuen Akt zu thematisieren und zu gestalten, wozu sich ein neuer Hintergrund einstellt, bezüglich dessen die Möglichkeit fortbesteht und so in infinitum, oder durch Hineingang in den Innenhorizont die thematische Konzentration auf einen Teil der Gestalt zu reduzieren und sodann wieder auf einen und so fort und damit dem unthematischen Feld zunehmend Raum zu geben. Aus diesem Grunde ist die Aktualisierung dieser Möglichkeiten kein kontingenter, d. h. mit der Zufälligkeit des Faktischen behafteter Vorgang, sondern die Verwirklichung einer eidetischen Möglichkeit. Kontingent bleibt dann immer noch, welche der beiden Mög-

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lichkeiten gerade aktualisiert wird und in welchem Maße und Sinne. Denn die Art und Weise der Modifikation läßt sich nicht für die gesamte Dimension im Detail vorherbestimmen, sondern nur nach gewissen generellen Leitlinien festlegen. Diese Leitlinien sollen im folgenden an drei signifikanten Charakteren der Gestalt aufgezeigt werden, zum einen an ihrem quantitativen Charakter als Möglichkeit zunehmender Vergrößerung und Verkleinerung, zum anderen an ihrem qualitativen Charakter als Möglichkeit zunehmender Vereinheitlichung bzw. Differenzierung und zum dritten an ihrem relationalen Charakter als Möglichkeit zunehmender Kontinuierung bzw. Diskontinuierung. Zur Exemplifikation der ersten Progreß- und Regreßform sei auf das schon mehrfach, wenngleich in anderem Kontext, herangezogene Beispiel einer Linie rekurriert, das sich wegen seiner Abstraktion von allen sonstigen Qualitäten besonders gut zur Explikation des rein quantitativen Aspekts eignet. In gestalttheoretischer Hinsicht präsentiert sich die Linie, die von bestimmter endlicher Länge zu denken ist, als einfache, geschlossene Gestalt vor einem Hintergrund. Bekanntlich kann dieselbe um ein beliebiges Stück verlängert werden, dessen Resultat eine neue Linie ist, die sich gleich der ersten als geschlossene, einfache Figur vom Hintergrund abhebt und von jener in nichts als ihrer Größe differiert. Man verfehlte den phänomenalen Sachverhalt, wollte man die neu entstandene Liniengestalt als Summe zweier einfacher Liniengestalten, der ersten und der addierten, im Sinne einer bloßen Aggregation oder Kollektion ausgeben, die in entsprechenden polythetischen Akten zu erfassen wäre. Vielmehr stellt sie eine absolut einfache, innerlich ungeteilte Gestalt dar, in der die beiden Linienabschnitte zu einer einzigen Einheit „zusammengeflossen" sind, die folglich auch nur in einem monothetischen Akt apprehendiert werden kann. Da sich bezüglich der neuen Liniengestalt der Vorgang wiederholen läßt, wiederum mit dem Ergebnis einer neuen, einfachen Liniengestalt vor einem Hintergrund, die sich von ihrer Vorgängerin allein durch ihre größere Länge unterscheidet, und so in infinitum, dehnt sich die Linie immer mehr über den Hintergrund aus mit der Tendenz einer totalen Okkupation desselben. Indem die Linie beständig in den Grund hineinwächst und dieser umgekehrt die Linie aufnimmt und sich mit ihr durchsetzt, figuriert sie immer größere Teile desselben. Da diesem Prozeß keine Grenzen gesetzt sind, konvergieren Linie und Hintergrund gegen Unendlich, von der Linie aus betrachtet, im Unendlich-Großen. Denkt man sich den Prozeß in umgekehrter Richtung, so führt er nicht zu Vergrößerung und Ausweitung, sondern zu Verkleinerung und Ein-

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schränkung. Was Teilung einer Linie genannt wird, ist nichts anderes als deren Verkürzung um ein beliebiges Stück. Als Resultat dieses Vorgangs stellt sich eine neue, gegenüber der ersteren kleinere, ansonsten vollkommen gleichartige Linie ein, die sich wie jene als einfache, geschlossene Gestalt vom Hintergrund abhebt, nur daß zu diesem jetzt der abgetrennte Linienteil gehört. Auch hier würde man dem Sachverhalt nicht gerecht, wenn man die ursprüngliche Linie als ein in sich zerstücktes Ganzes mit der Aktualität aller Teile betrachten wollte. Vielmehr müssen die Teile, um aktuelle zu werden, in der Realteilung erst erzeugt werden, und dies geschieht durch thematische Restriktion auf den jeweils ins Auge gefaßten Teil bei gleichzeitiger thematischer Abstraktion der übrigen, wodurch diese zum bloßen Hintergrund absinken. Da sich die Teilung bzw. Verkürzung in infinitum fortsetzen läßt, verschwindet die Linie mehr und mehr im Hintergrund, während dieser sich in gleichem Maße über sie ausbreitet. Figur und Grund konvergieren auch hier gegen Unendlich, allerdings gegen das Unendlich-Kleine. Wie bei der Linie so sind bei jeder Gestalt Vergrößerung und Verkleinerung in infinitum möglich. Angesichts der Tatsache, daß sich der Prozeß als ein solcher des Zusammensetzens von Einzelgestalten zu neuen, einfachen Gestalten bzw. des Zerfalls einer Gestalt in ihre potentiellen Teile zeigt, kann die Frage nicht ausbleiben, was diesen Prozeß überhaupt von dem entsprechenden Vorgang, der beim gefüllten Einheitsbegriff zu konstatieren war, unterscheidet, präsentierte sich doch auch dieser als eine Synthesis von Einheiten zu neuen, umfassenderen Einheiten bzw. umgekehrt als eine Analysis der Einheit in ihre Vielheit und dieser wieder in ihre eigene Vielheit und so fort. Soll eine Differenz bestehen, so kann sie nur in dem Unterschied zwischen phänomenaler und logischer Ebene zu suchen sein. Insofern die bestimmt ausgegrenzte Figur als e i n e bezeichnet werden kann, mithin durch den Einheitsbegriff greifbar ist, ohne dieser selbst zu sein, bildet sie dessen phänomenale Basis, und ihre prozessuale, relative Natur mit der Fähigkeit zur Maximierung und Minimierung der Ausdehnung gibt die Grundlage ab für die Applikation der begrifflichen Synthesen und Analysen. Während das Gestaltphänomen aufgrund seiner beliebigen Dehnbarkeit und Beschränkbarkeit die Gesamtheit der Teile potentialiter umfaßt, obwohl es sie nur sukzessiv zu aktualisieren vermag, enthält der gefüllte Einheitsbegriff diese aktualiter, wiewohl auch er sie nur sukzessiv artikulieren kann. Für die ungehinderte Entfaltung ist die Relativität der Gestalt mit ihrer unendlichen Variationsbreite die unerläßliche Voraus-

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Setzung. Denn sie allein bietet die Gewähr für immer neue begriffliche Fixierungen, ohne jemals erschöpft zu werden. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß Piaton in der vorletzten Position seines Parmenides die Mengen- oder Massenvorstellung (όγκος) 1 2 0 , welche den oben formulierten Bedingungen eines Gestaltphänomens genügt, durch den S c h e i n der E i n h e i t beschreibt, ohne deren w a h r h a f t e s S e i n . Sie verkörpert das, was dem Einheitsbegriff zwar zur Grundlage dient, aber weder mit ihm identisch ist, noch von ihm je eingeholt werden kann. Denn anders als der festumrissene Begriff weist die Mengenvorstellung keine exakten Grenzen auf; vielmehr erscheint vor jedem Anfang ein neuer Anfang, nach jedem Ende ein neues, weiter zurückliegendes Ende und innerhalb jeder Mitte eine neue, noch genauere Mitte. Diese konstitutive Disproportion zwischen entgleitender, relativer Begrenzung auf der einen Seite und exakter auf der anderen, zwischen unbestimmter Vielheit (Menge) und bestimmter Einheit ist aber die Voraussetzung grenzenloser Anwendbarkeit des Einheitsbegriffs. Verfolgt man die Schwierigkeit nicht mehr in der Dimension der Quantität, sondern in der der Qualität, so begegnet sie in Form eines Prozesses zunehmender Homogenisierung bzw. Differenzierung. Zur Illustration mag das bereits von Piaton (Parm. 165 c f) diskutierte Beispiel des Anblicks eines Gemäldes dienen. Aus der Ferne und unscharf betrachtet, erscheint das Bild stofflich, farblich, zeichnerisch oder welcher Art auch immer als ein indifferentes, nebulös verschwimmendes und infolgedessen gleichartiges Tableau, das sich allenfalls durch seine äußeren Konturen von der Umgebung absetzt. Bei Approximation an dasselbe und Schärfung des Blicks vollzieht sich, gleichen Schritts mit dieser, eine Entwirrung und Entfaltung der Innenfläche dergestalt, daß materielle Differenzen, Farbnuancen, Linien heraustreten, die zuvor nicht erkennbar waren. Da der Annäherung keine anderen als empirisch-praktische Grenzen gesetzt sind, die sich dutch den Gebrauch perfektionierender Instrumente wie Fernglas, Lupe, Mikroskop hinausschieben lassen, ist auch der Differenzierung prinzipiell kein Maximum gesetzt. Uber jede erreichte Stufe der Distinktion hinaus ist ein weiterer Schritt möglich. Gestalthaftes Sein erweist sich somit nicht als ein konstantes, invariantes, sondern als ein relatives, variables.

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Wenn H u s s e r l bei der Explikation seiner T h e o r i e des figuralen M o m e n t s von der M e n g e n oder Inbegriffsvorstellung ausgeht, ordnet er sich damit, ob ihm selbst bewußt oder nicht, in die antike Tradition ein.

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Umgekehrt geht mit zunehmender Distanzierung und Entschärfung des Blicks eine zunehmende Absorbierung der gesonderten Qualitäten einher, indem anfangs gut unterscheidbare Nuancen ineinanderfließen und verschwimmen, in ein indifferentes Einerlei übergehen, das bei Vergrößerung des Abstands schließlich auch das Bild als Ganzes in seinem unterschiedenen Verhältnis zu anderen Gegenständen der Umgebung erfaßt und es zusammen mit diesen in einen homogenen Außenhorizont eintaucht, in dem alle Sonderungen eliminiert sind. Auch dieser Vorgang ist unbegrenzt. Wenn Piaton im Parmenides beide Prozesse, den der Verähnlichung und den der Verunähnlichung, noch durch den Rekurs auf subjektives Verhalten, das Nähertreten und Sich-Entfernen, zu erklären sucht, so hat sich inzwischen ergeben, daß der objektive und zureichende Grund im Wesensgesetz der Gestalt selber liegt. Es ist die dialektische Konzeption der Gestalt und die mit ihr gegebene Spannung zwischen Homogenität und Inhomogenität, die dazu nötigt, jede durch Hineingang in den Innenhorizont erreichte Differenzstufe, die kraft des homogenen Moments auch wieder einheitlich ist, zu überschreiten in Richtung auf eine neue Differenzstufe und jede durch Hinausgang in den Außenhorizont erreichte Homogenitätsstufe, die kraft des inhomogenen Moments auch wieder different ist, zu transzendieren in Richtung auf eine neue Homogenitätsstufe. Nicht anders als im Fall der Quantität gibt der auf Qualität bezogene Prozeß des Gestaltphänomens die Grundlage ab für Begriffsapplikationen, diesmal für Spezifikation und Generalisation, die bei vollständiger Artikulation das Begriffssystem mit seinen Gattungen, Arten und Unterarten ausmachen. Wie mit der im und zum Gestaltphänomen verknüpften Extension und Limitation die Charaktere der Unendlichkeit und Endlichkeit sowie der Homogenität und Inhomogenität verbunden sind, so auch die der Kontinuität und Diskretheit. U m größtmöglicher begrifflicher Klarheit willen erscheint es geboten, auch diese beiden Bestimmungen, die zumeist mit den anderen vermengt werden, für sich zu verfolgen. Ihre unaufhebbare Unvereinbarkeit manifestiert sich in einem endlosen Prozeß der Kontinuierung und Diskretion, für den das Beispiel der Verlängerung und Verkürzung der Linie oder das der Homogenisierung und Differenzierung des Gemäldes ebenfalls einen Beleg abgibt. Wird ein Teil einer Gestalt, sei es in quantitativer oder qualitativer oder sonstiger Absicht, herausgehoben, dadurch daß ihm besondere Beachtung geschenkt wird, so bleibt sein phänomenaler Habitus, den er als integrierter Teil des kontinuierlichen Ganzen hat, nicht verschont; vielmehr geht mit seiner quantitativen oder qualita-

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Einheit und Mannigfaltigkeit in ihrer aporetischen Verfassung

tiven Verselbständigung eine Diskretion und Absetzung gegen das übrige kontinuierliche Feld einher. Gleiches gilt für den isolierten Teil des Teils und wiederum für dessen Teil und so fort, so daß der Verselbständigung stets die Diskontinuität, die Ausgrenzung aus dem Kontinuum, folgt. Umgekehrt verhält es sich im Fall der Aufhebung einer vorhandenen Zerstückelung oder Differenz. Wird aus Teilabschnitten eine Linie aufgebaut oder gehen die Farbnuancen eines Bildes in einen einheitlichen Ton über, so basiert das Erscheinen der neuen, größeren Liniengestalt, der neuen, homogenen Farbe auf der Kontinuierung des ursprünglich Gesonderten. Die Teile bleiben nicht in gegenseitiger Abhebung als Relata einer Relation bestehen, so daß letztere als quantitative oder qualitative Zusammenfassung zu klassifizieren wäre, sondern gehen in einen ungesonderten Zusammenhang ein, in dem sie alle trennende Diskontinuität verlieren und eine einzige, zusammengewachsene Einheit ausmachen. Auch diesem Prozeß der Kontinuierung sind keine Schranken gesetzt, da jedes Diskretum kraft des kontinuierlichen Moments bereits transzendiert und jedes Kontinuum kraft des diskontinuierlichen Moments wieder beschränkt ist. Gaben die Prozesse der Ausdehnung und Einschränkung, der H o m o genisierung und Differenzierung die phänomenale Basis ab für die logischen Operationen der umfangsmäßigen Zusammensetzung und Trennung, der inhaltlichen Generalisation und Spezifikation, so bietet der Prozeß der Kontinuierung und Diskontinuierung die Gewähr für die Durchgängigkeit dieser Operationen. Begriffe sind ihrem Inhalt wie Umfang nach eindeutig definierbar nach dem Schema von genus proximum per differentiam specificam. Dabei bezeichnet das im genus Gedachte das, was den Begriff mit anderen Begriffen verbindet, und das in der spezifischen Differenz Gedachte das, was ihn von anderen trennt. Die durchgängige Beziehung eines Begriffs zu allen anderen, über-, unter- und nebengeordneten, die als selbständige Relata eines umfassenden Relationsgefüges auftreten, könnte nicht gedacht werden ohne die zugrunde liegende Kontinuität des Gestaltphänomens, die als relative auch Diskontinuität impliziert und solcherart die Diskretion der Begriffe bewirkt. Hierin dokumentieren sich Stärke wie Schwäche des Gestaltphänomens, eine Stärke, die zugleich seine Schwäche, und eine Schwäche, die zugleich seine Stärke ausmacht. Denn Instabilität und Variabilität, Vagheit und Unschärfe des Gestaltphänomens sind Merkmale der ihm wesenhaften Relativität und mit seiner Existenz zugleich gegeben. Ohne ihre Voraussetzung wären die ständig neuen Begriffsbildungen, wäre das Begriffssystem als Ganzes nicht möglich. Gleichwohl bleiben sie Unbestimmtheiten.

Die Relativität des Gestaltphänomens

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Auch das Verhältnis zwischen der Prozessualität des Gestaltphänomens und der des mannigfaltigkeitshaltigen Einheitsbegriffs findet von hier seine endgültige Aufklärung. Wenn die letztere Ausdruck eines logischen Widerspruchs war, der nur deshalb nicht zur Selbstaufhebung des Einheitsbegriffs, sondern zu dessen ständiger Regeneration führte, weil die widersprüchlichen Implikate bewußt und ausdrücklich in den Begriff hineingenommen wurden, so bekundet sich in der ersteren eine phänomenale Relativität und Dehnbarkeit, die den totalen Widerspruch ins Unendliche, sowohl ins Unendlich-Große wie -Kleine, verlegt. Während die phänomenale Relativität die Grundlage für die logische Widersprüchlichkeit und den dialektischen Prozeß bildet, liefert umgekehrt die logische Widersprüchlichkeit und Dialektik die Reflexion und begriffliche Explikation jener. War die Schwierigkeit des Mannigfaltigkeit integrierenden Einheitsbegriffs, mit Piaton zu reden, die des niemals Eins-Seins, sondern immer Zwei-Werdens, so ist die korrespondierende Schwierigkeit des Begrenztheit integrierenden Extensionsphänomens die des niemals Unbegrenzt-Seins, sondern stets Begrenzt-Werdens, die der ständigen Verendlichung auf der Basis von Entgrenzung und Begrenzung.

III. Teil Bewegung als aporielose „zweigliedrige Einheit" 1. Systematisierender Rückblick Bevor zur Lösung der nunmehr im ganzen entfalteten Problematik angesetzt werden kann, ist Rückschau zu halten auf die bisherigen Konzepte, da allein deren vollständige systematische Präsentation einschließlich der Gründe ihres Scheiterns via negationis, mittels eines Gegen entwurfs, einen Ausweg aus der aporetischen Situation erhoffen läßt. Zur Untersuchung stand eine Grundstruktur der Wirklichkeit, wohl die fundamentalste überhaupt. Da es sich bei dieser nicht um eine einfache, sondern komplexe handelte, um ein Gefüge zweier gleichelementarer Bestandteile, noch dazu in einer Multiperspektivität, die durch den Kurztitel „Einheit und Mannigfaltigkeit" nur angedeutet, nicht schon ausgeschöpft wurde, stellte sich die Aufgabe, das interdependente, durch „und" indizierte Verhältnis der Glieder aufzuklären. Daß eine solche Aufklärung überhaupt zum Problem werden konnte, verstand sich daraus, daß die Explikation der Wechselbeziehung der beiden Elemente in ihrer Gleichursprünglichkeit jeweils nur auf der Basis und mit den Mitteln eines von ihnen möglich war. Im Falle einer einzigen, umfässenden Struktur und entsprechend eines einzigen, umfassenden Erkenntnisvermögens ergäbe sich das Problem gar nicht erst. Ob diese Schwierigkeit auf einer Eigentümlichkeit der objektiven Strukturen, ihrer Beschränktheit, oder auf der besonderen Disposition des subjektiven Erkenntnisvermögens beruht, das als endliches des strukturellen Ganzen niemals in Omnipräsenz habhaft zu werden vermag, sondern stets nur im Nacheinander, im Ausgang von dem einen Element und Ubergang zu dem anderen — diese das Verhältnis zwischen Seins- und Verstandesdialektik betreffende Frage muß hier unausgemacht bleiben, da die Entscheidung für die eine oder andere Seite von metaphysischen Implikationen abhängt. Nicht übergangen werden durfte hingegen ein anderer für den Kontext wesentlicher Umstand, zumal dieser durch die Formel „Einheit und Mannigfaltigkeit" mehr verstellt als erhellt wurde. Denn nicht eigentlich

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B e w e g u n g als aporielose „ z w e i g l i e d r i g e E i n h e i t "

Einheit und Mannigfaltigkeit bildeten die Opposita innerhalb des Strukturgefüges, setzte doch Mannigfaltigkeit stets Einheit voraus, insofern sie in numerischer Hinsicht deren Vervielfältigung, in qualitativer deren Spezifikation, in relationaler deren Derivat war; die beiden gegensätzlichen Strukturmomente waren vielmehr Einheit und Extension, und ihnen zugeordnet waren die Erkenntnisvermögen Verstand und Anschauung, so daß die möglichen Beziehungsarten zwischen ihnen, Trennung und Verbindung, auf unterschiedlichen Ebenen, sowohl auf der durch Einheit charakterisierten logischen wie auf der durch Extension charakterisierten anschaulichen, begegneten. Aus dieser Situation resultierten bei genauer Bestimmung die Alternativen einer Einheit mit Exklusion resp. Inklusion der Mannigfaltigkeit und einer Extension mit Exklusion resp. Inklusion der Begrenzung, durch die das Strukturgefüge vollständig interpretiert wurde. Wie die Untersuchungen lehrten, waren diese alternativen Positionen, sofern sie für sich Anspruch auf adäquate Bewältigung des Strukturganzen machten, zum Scheitern verurteilt, da sie jeweils nur einen Partialaspekt des Ganzen, nicht den Gesamtaspekt wiedergaben. Ein Unterschied ihrer Aporetik bekundete sich allerdings darin, daß zwei von ihnen — je eine im logischen und anschaulichen Bereich — in einen Widerspruch führten, die beiden anderen dagegen sich in einen unendlichen Progreß und Regreß verwickelten. Diese Differenz erklärte sich aus einer unterschiedlichen Verabsolutierung, im einen Fall der negativ-eliminierenden Beziehung der Strukturelemente, im anderen der positiv-integrierenden. So war der Widerspruch und die mit ihm einhergehende Aufhebung des sich Widersprechenden die unvermeidbare Folge einer Absolutsetzung der Trennung. Denn wenn eines der beiden notwendig zusammengehörigen Momente einseitig hypostasiert, das andere bewußt oder unbewußt ignoriert wird, muß bei Besinnung auf das Pendant ein Widerspruch unvermeidbar sein. Hingegen resultierten Progreß und Regreß aus einer Absolutsetzung der Verbindung. Ist jedes der beiden Elemente zugleich es selbst und nicht es selbst, sondern das Andere seiner selbst, hat es folglich den Status sowohl des Teils wie des Ganzen, so ist es in permanentem Uberschritt über sich begriffen. Diese Differenz gilt es aus dem oben genannten Grund noch einmal zusammengefaßt systematisch vorzustellen. In einen Selbstwiderspruch begibt sich die Annahme, daß Eines und nur Eines sei, daß Einheit für sich allein, unabhängig von jeder Mannigfaltigkeit gedacht werden könne, schon deshalb, weil sie qua Annahme auf der Differenz von Angenommenem und Annahme, Aussagegehalt und Aussageform beruht und damit den Bezug auf ein Zweites involviert. Jede

Systematisierender Rückblick

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Setzung, jeder Gedanke, jede Vorstellung, kurzum jedes Bewußtsein, ist aufgrund der Intentionalitätsstruktur des Bewußtseins als Akt von den mannigfachen, wechselnden Inhalten wie hier der Einheit unterschieden. Infolgedessen ist selbst der einfachste Gedanke, der von Einheit bzw. Einem, entgegen seinem Aussagegehalt in sich dual. Sofern der Begriff „Einheit" auf eine Vielzahl von Auslegungsweisen Anzeige gibt, auf numerische Singularität ebenso wie auf qualitative Identität wie auch auf den relationalen Prinzipien- und Kausalitätscharakter, kehrt der Widerspruch in allen diesen Formen wieder. Er tritt hervor, sobald auf die im Ansatz stillschweigend mitgesetzten Bedingungen reflektiert wird. Denn basiert die im Ansatz implizierte Bewußtseinsrelation auf wechselseitiger Bezogenheit, ist sie zudem eine Relation zwischen numerisch zwei und qualitativ verschiedenen Relata, involviert sie also Dualität, Differenz und Relationalität, so ist mit diesen Implikaten der angesetzten absoluten numerischen Einheit, Identität wie deren Prinzipienfunktion usw. widersprochen. Wie es im Prinzip gleichgültig ist, durch welchen spezifischen Bewußtseinsakt die Widerlegung erfolgt, ob durch Denken oder Sprechen, bloßes hypothetisches Annehmen oder Erkennen, so ist es letztlich auch gleichgültig, ob sie überhaupt durch einen Bewußtseinsakt erfolgt oder durch einen Bewußtseinsinhalt; denn da die Bestimmungen einander wechselseitig implizieren, impliziert die Widerlegung durch die eine Bestimmung indirekt auch die durch alle anderen. Es sei in diesem Zusammenhang erinnert, daß Piaton die verabsolutierte, aller Mannigfaltigkeit enthobene Einheit des ersten Argumentationsgangs des Parmenides primär durch die Idee des Seins in Widerspruch mit sich brachte, erst auf deren Basis durch die übrigen generischen Ideen wie die der Identität und Differenz und erst zuletzt durch die Bewußtseinsakte, indem er darauf reflektierte, daß bereits die hypothetisch angenommene abstrakte Einheit eine seiende, mit sich identische, bewußte usw. ist, während Fichte in der Wissenschaftslehre von 1804 genau umgekehrt verfuhr, indem er beim Aufweis des Widersinns vom Bewußtsein ausging und zu dessen kategorialen Implikaten forschritt. So wichtig die sich hier auftuende methodische Differenz zwischen Antike und Neuzeit sein mag, das sachliche Argumentationspotential wird durch sie nicht tangiert. Dieselbe Schwierigkeit des Widerspruchs und der Selbstaufhebung findet sich bei dem der Einheit opponierten Moment, der isolierten und verabsolutierten reinen Extension; denn die Annahme einer von jeder Art Begrenzung freien Extension widerspricht sich bereits dadurch, daß sie die

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Bewegung als aporielose „zweigliedrige Einheit"

Extension zum Objekt eines Bewußtseinsakts, in specie der Anschauung, macht und eben dadurch von diesem selbst absetzt. Wollte man einwenden, daß es gerade das Spezifikum der Anschauung sei, distanzlos im Angeschauten aufzugehen im Unterschied zum distanzierenden Begreifen, so müßte man zur Aufrechterhaltung der Behauptung einer Differenz auf das Begreifen oder auf die qua Extension begriffene Extension rekurrieren, die stets gegen anderes, von welcher Art auch immer dies sein mag, abgehoben ist; denn etwas als etwas begreifen, heißt eben, es aus einem Feld aus- und gegen anderes abgrenzen. Und diese Definition gilt selbst dann noch, wenn das zu Begreifende das Feld selber ist und eine Abgrenzung gegen Externes, gleichsam noch Umfassenderes, nicht mehr möglich ist, sondern nur noch eine gegen Internes, Beschränkteres. O b das Argument zur Widerlegung aus der Subjekt-Objekt-Relation oder aus den objektiven Strukturbeziehungen gewonnen wird, ist wegen der Interdependenz der Bestimmungen im Grunde so irrelevant wie im vorigen Fall. Da der Ausdruck „Extension" für eine Reihe mitzudenkender Bestimmungen wie Unendlichkeit, Homogenität und Kontinuität steht, muß naturgemäß auch in diesen der Widerspruch angetroffen werden. Wie die Argumentation im einzelnen auch gebaut sein mag, stets macht sie Gebrauch von der Erkenntnis, daß Begrenzung Endlichkeit, Inhomogenität und Diskontinuität mit sich bringt. Wo immer zwei Glieder, Strukturen oder Struktur und Bewußtsein, gegeneinander abgehoben sind, ist der unendliche, gleichförmige, kontinuierliche Zusammenhang unterbrochen und Endlichkeit, Inhomogenität, Diskretion gesetzt. Was den progressus und regressus ad infinitum betrifft, so haben sie ihren Grund in einem theoretischen Ansatz, der sich auf die Formel einer Einheit aus Einheit und Mannigfaltigkeit bringen läßt. In dieser Gleichung taucht Einheit zweimal in unterschiedlicher Funktion auf, einmal als Glied neben einem anderen Glied, das andere Mal als synthetisches Ganzes. Da jedes der beiden Glieder, Einheit wie Mannigfaltigkeit, dieselbe schematische Struktur wie das Ganze aufweist, nämlich selbst eine Einheit aus Einheit und Mannigfaltigkeit ist, für deren Glieder dasselbe gilt und so beliebig fort, und da auch umgekehrt das synthetische Ganze Gliedstruktur hat und mit anderen Gliedern zusammen ein umfassenderes Ganzes bildet, das selbst wieder nur Glied neben anderen ist und so fort, steht die Formel stellvertretend für einen nach beiden Richtungen ins Endlose sich ausdehnenden Prozeß. Wenn dieser Prozeß in der Form, in der er bei Piaton begegnete, wegen der beliebigen Ansatzmöglichkeit der Argumentation bei jedem Bestandteil der Gleichung als ein offener, nach allen Richtungen sich

Systematisierender Rückblick

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erstreckender Prozeß zu betrachten war, so bei Hegel, bei dem er in einer Variante auftrat, als ein geschlossener, einsinnig verlaufender, ständig in sich zurückkehrender. Diese Version beruhte auf dem Gedanken, daß das synthetische Ganze, welches Ausdruck der inneren Bezogenheit und Verbundenheit der Teile war, sich als Teil von dem in ihm Verbundenen als dem anderen Teil absetzte und somit eine neue Verbindung forderte, die selbst, isoliert genommen, sich als Verbindung von dem Verbundenen abgrenzte und so wieder nach einer neuen Verbindung verlangte und so fort. Von der ersten Verlaufsform unterschied sich die zweite dadurch, daß sie die Bestandteile dem Ganzen nicht extern, sondern intern dächte. Daß progressus und regressus in beiden Varianten für alle Modifikationen des gefüllten Einheitsbegriffs gelten, erübrigt sich, en detail auszuführen. Als konstitutive Schwierigkeit begleiten sie sowohl die aus numerischer Einheit und Vielheit hervorgehende Einheit wie die zur Programmformel des Idealismus erhobene Identität aus Identität und Differenz wie auch jenen Grund, der sich selbst und das Begründete umfaßt, also causa sui ist. Eigens hervorgehoben sei nur wegen seiner fundamentalen Bedeutung der signifikante Fall des Bewußtseins (erste Version) bzw. des Selbstbewußtseins (zweite Version). Wird das Bewußtsein als totales aufgefaßt, welches schlechthin alles begreift, Quantitatives wie Qualitatives, Relationales oder wie immer sonst Bestimmtes und schließlich auch noch sich selbst — was formal durch die Formel eines Bewußtseins von Bewußtem und Bewußtsein wiederzugeben ist —, so deutet die Möglichkeit der Reflexion auf sich selbst auf die Schwierigkeit des Regresses hin, insofern sich das vermeintlich totale Bewußtsein mitnichten als solches erweist. Denn kann es als Objekt des Bewußtseins gedacht werden, so verfällt es der Relation von Bewußtem und Bewußtsein, bedarf eines neuen", höherstufigen, umfassenderen Bewußtseins, das beides, Gewußtes und Wissendes, umfaßt, selbst aber nicht weniger Gegenstand eines Bewußtseins ist und so fort. Wenn demgegenüber das als Selbstbewußtsein angesetzte Bewußtsein kraft dessen, daß es per definitionem sich auf sich bezieht und sich mit einschließt, von dieser Seite der Schwierigkeit entgeht, so unterliegt es ihr auf der anderen dadurch, daß es sich in sich selbst dirimiert in ein Gewußtes und Wissendes einschließlich des Wissens um die Identität beider, damit jedoch das, was es erklären soll, voraussetzt, so daß sich bezüglich seiner dieselbe Gedankenoperation wiederholt und so ins Unendliche. Nicht nur beim gefüllten Einheitsbegriff treten Progreß und Regreß auf, auch dem Gestaltphänomen sind sie nicht fremd. Denn eine Extension, die

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Bewegung als aporielose „zweigliedrige Einheit"

Begrenzung in sich aufnimmt, die folglich ein „begrenztes Entgrenztes" darstellt, ist eine contradictio in adiecto, die zum ständigen Hinausgang über sich bzw. Hineingang in sich nötigt. Dadurch daß das extensionale Ganze in eine Vielzahl von Teilen zerfällt, von denen jeder wieder ein Ganzes aus einer Vielzahl von Teilen ist und so fort, bzw. dadurch daß bei veränderter Perspektive das extensionale Ganze vor einem umfassenderen Horizont als Teil neben anderen Teilen erscheint und mit diesen zusammen ein größeres Ganzes bildet, ist es nach beiden Richtungen in unaufhaltsamem Fortschritt begriffen. Wie wichtig die systematische Behandlung dieser Gesetzmäßigkeit durch alle Bestimmungen der Gestalt hindurch, durch ihre Endlichkeit, Inhomogenität und Diskretion, ist, zeigt der Umstand, daß dasselbe Gesetz des Uberschritts unter quantitativem Aspekt als Möglichkeit unendlicher Teilung bzw. Erweiterung einer endlichen Größe, unter qualitativem als Möglichkeit zunehmender Differenzierung und Spezifikation des Innenhorizontes einer zunächst gleichartig erscheinenden Gestalt bzw. zunehmender Integration verschiedener Gestalten in einen gleichförmigen Außenhorizont usw. auftritt. Uberblickt man die Schwierigkeiten, die sich aus der verschiedenartigen Behandlung des Strukturgefüges ergeben, so fällt auf, daß, obwohl beide Arten auf dem Widerspruch basieren, derselbe im einen Fall zur definitiven Aufhebung, im anderen zur permanenten Regeneration führt. Der Grund ist darin zu sehen, daß im Fall der Verabsolutierung der Trennung der rechtmäßig zusammengehörigen Elemente jeweils eines der beiden bewußt und ausdrücklich aus der Hypothese ausgeklammert wird, so daß die Vergegenwärtigung seiner faktischen Unaufgebbarkeit einen eklatanten Widerspruch evoziert, während im Fall der Verabsolutierung der Vereinigung der Elemente der Widerspruch bewußt und ausdrücklich in die Voraussetzung hineingenommen wird und in Form der Behauptung, das eine Element sei zugleich das andere, eine ständige Aufhebung und Neukonstitution bewirkt. Gegenüber der ersten Komplikation zeichnet sich die zweite dadurch aus, daß sie nicht nur negativ, sondern auch positiv bestimmt ist, mithin ein weiterführendes Moment in sich birgt. Wenn es eine Lösung der von uns verfolgten Problematik geben soll, so kann sie einzig und allein in diesem den Widerspruch perpetuierenden Moment gesucht werden und darin bestehen, daß dasselbe, das bisher als unthematischer und unreflektierter Operationsterm fungierte, eigens ins Bewußtsein gehoben wird. Auf diese Weise wird sich das, was bislang als Schwierigkeit auftrat, als die eigentliche Lösung zeigen. Worin das

Anforderungen an das Vermittlungsprinzip

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generative Moment besteht, ist offenkundig: Da Progreß und Regreß Erscheinungsweisen von Bewegung sind, die sich zwar der Richtung und Art nach unterscheiden, jedoch dem Genus nach übereinstimmen, kann es sich nur um Bewegung handeln. Es muß uns daher im folgenden daran gelegen sein, Bewegung zum Thema zu machen. Die Kritik, die Kierkegaard in seiner Auseinandersetzung mit Hegel an dessen methodischen Grundbegriffen: dem Ubergang, der Negation und der Vermittlung, die insgesamt Bewegungsprinzipien sind, übte und mit den Worten zusammenfaßte: „Die Negation, der Ubergang, die Vermittlung sind drei vermummte, verdächtige Geheimagenten . . . eine nähere Erklärung erhält man . . . nirgends" 1 , läßt sich mutatis mutandis auf unser bisheriges Vorgehen beziehen und daran die Forderung knüpfen, die vernachlässigte Erklärung nachzuholen. Dieser Aufgabe wollen wir so nachkommen, daß wir zunächst allgemein die Bedingungen formulieren, die an ein Prinzip in der Funktion der Vermittlung widersprüchlicher Elemente zu stellen sind, und sodann im einzelnen zeigen, daß und wie Bewegung denselben genügt. Der zweite Teil dieser Aufgabe darf nicht dahingehend mißverstanden werden, als ob nach der Artikulation der Bedingungen empirisch alle möglichen oder zumindest aussichtsreichsten Kandidaten durchgegangen und auf die Erfüllung oder Nichterfüllung derselben hin überprüft würden und sich dabei gerade Bewegung qualifizierte, denn schwerlich ließe sich diese auf die angegebene Weise als notwendiges und einziges Prinzip ausmachen, noch darf der Teil dahingehend gedeutet werden, als ob Bewegung hypothetisch angenommen und ihre zufällige Konformität mit den Bedingungen auf gewiesen würde, denn auch auf diese Weise wäre nicht auszuschließen, daß nicht auch andere Prinzipien den Anforderungen entsprächen, vielmehr ist er so zu verstehen, daß, nachdem die formalen Kriterien des Vermittlungsprinzips angegeben worden sind, deren inhaltliche, konkrete Erfüllung durch Bewegung dargetan wird.

2. Anforderungen an das Vermittlungsprinzip Vier Bedingungen vorzüglich sind es, die an ein Prinzip in der Funktion der Vermittlung gleichursprünglicher gegensätzlicher Strukturelemente zu stellen sind. 1. Die erste Bedingung resultiert aus der Negation de~r bisherigen Betrachtungsweisen des Strukturgefüges; denn das Scheitern derselben zwingt 1

Der Begriff Angst, 3. Kap., IV, 3 5 0 f .

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Bewegung als aporielose „zweigliedrige Einheit"

zu einem alternativen Vorgehen. O b damit auch schon alle Schwierigkeiten überwunden sind, ist eine andere Frage. Die bisherigen Behandlungsarten bestanden in einer einseitigen Verabsolutierung entweder der negativ-eliminierenden oder der positiv-integrierenden Beziehung der Elemente. Daß Schwierigkeiten resultierten, hing damit zusammen, daß die jeweils zum methodischen Prinzip erhobene Trennung oder Verbindung sich auf dem Boden der stets mit dazugehörigen komplementären Behandlungsart vollzog, folglich sich als nachträgliche Analysis bzw. Synthesis einer ursprünglichen Einheit der Verfahren darstellte und in dieser Posteriorität unverständlich blieb. So zeigte sich die Unverständlichkeit der Abtrennung der Elemente in deren Widerlegung kraft der unabdingbaren Zusammengehörigkeit derselben, während sich die Unverständlichkeit der Synthesis darin dokumentierte, daß das Einssein der ebenso ursprünglich getrennten Elemente nur im Nacheinander und damit gerade nicht im Zugleich- und Einssein vorgestellt werden konnte. In beiden Fällen resultierte die Unbegreiflichkeit aus einer Analysis bzw. Synthesis post factum, welche immer dann vorliegt, wenn eine der beiden Beziehungsarten allein vorausgesetzt ist und die andere den Versuch einer sekundären Verbindung oder Auflösung macht. An die eigentliche und wahre Vermittlung wird man daher die Forderung richten müssen, der originären Einheit beider Rechnung zu tragen und sich damit als apriorische Synthesis-Analysis zu präsentieren: als eine Verbindung, die in eins Trennung, und eine Trennung, die in eins Verbindung ist. Hierbei handelt es sich zunächst um ein rein formales, via negationis gewonnenes Postulat, das weiterer Ausarbeitung bedarf. 2. Vorab stellt sich die Frage, wie ein originäres Vermittlungsprinzip bzw. ein Vermittlungsprinzip in der Funktion eines Ursprungsprinzips aussieht. Von einem ursprünglichen Prinzip wird generell verlangt, daß es ein systemfundierendes Prinzip ist, in dem die Pluralität, Diversität und Relationalität des Mannigfaltigen ihre Wurzel hat. Als solches muß es von höchster Allgemeinheit und weitestem Umfang sein, alles beherrschen und alles durchdringen. Wenn daher nach jenem Prinzip gefragt wird, das die beiden von Natur aus schon gleichfundamentalen und gleichursprünglichen Strukturmomente vermittelt, so hat auch dieses den genannten Forderungen zu genügen. Man wird also erwarten dürfen, daß es eines ist; denn wären ihrer zwei, so wäre es nicht höchstes und allgemeinstes, nicht wahrhaft letztes Vermittlungsprinzip, welches nichts zu Vermittelndes mehr übrigläßt. Ebenso

Anforderungen an das Vermittlungsprinzip

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wird man annehmen müssen, daß es in sich einfach und nicht aus Diversem zusammengesetzt ist; denn im letzteren Fall verdankte es seine Existenz den verschiedenen Elementen, aus denen es bestünde, nicht umgekehrt diese ihre jenem. Und schließlich wird man davon ausgehen können, daß es Grund und nicht nur Folge ist, also Prinzipiencharakter aufweist; denn dies liegt bereits im Wortsinn eines systembegründenden Prinzips. Mit den Merkmalen der numerischen Einheit, qualitativen Einfachheit und dem Prinzipiencharakter aber zeigt das Vermittlungsprinzip dieselben Züge wie der absolute Einheitsbegriff. Die Besinnung darauf, daß das Ursprungsprinzip nicht nur allgemeinstes und abstraktestes, sondern auch umfassendstes und konkretestes Prinzip ist, welches alle Mannigfaltigkeit in sich begreift, zwingt dazu, es ebenfalls mit der letzteren bzw. deren Ermöglichungsgrund, der unendlichen, homogenen, kontinuierlichen Extension, zu identifizieren. Das ursprüngliche Vermittlungsprinzip ist daher weder einseitig durch Einheit und deren Modi noch einseitig durch Extension und deren nähere Qualifikationen bestimmt, sondern durch beide Strukturbestände zugleich. Darin verschafft sich die Erkenntnis Ausdruck, daß ein Prinzip, das gleichursprüngliche Bestände vermittelt, auch nur durch Bestimmungen, die beide umfassen, wiedergegeben werden kann. Hierin liegt offenkundig eine petitio principii, da das Zu-Erklärende in die Erklärung eingeht. Dabei ist gleichgültig, ob dieselbe als Zirkel gelesen wird, bei dem Erklärendes und Zu-Erklärendes zusammenfallen, oder als infiniter Progreß bzw. Regreß, bei dem Erklärendes und Zu-Erklärendes einer neuen Vermittlung bedürfen, die, als selbst erklärungsbedürftig, eine neue Vermittlung verlangt, für die dasselbe gilt und so fort. In der Letztbegründungsdimension sind Diallelen dieser Art weder verwunderlich noch verwerflich; sie indizieren nur, daß es sich de facto um unübersteigbare Grundlagen handelt 2 . 2

Die von uns für das Letztbegründungsprinzip ermittelte Struktur weist Ähnlichkeit auf mit der von W . Flach, a. a. O. angegebenen, wenn er in Aufnahme und Fortführung des Rickertschen heterothetischen Prinzips (vgl. H. Rickert: Das Eine, die Einheit und die Eins, Tübingen 1924) dasselbe als „das Eine u n d das Andere" (S. 17) bestimmt, wobei keinem der Momente logische Priorität vor dem Pendant zukommt. Die „Ursprungssynthesis" (S. 42 f) enthält sowohl Disjunktivität wie Zusammengehörigkeit der Momente, aber ohne Annahme eines übergeordneten, neutralen Dritten, in dem sie vermittelt wären. Ein Unterschied zu unserer Interpretation besteht jedoch darin, daß für Flach die U r sprungsdimension, als von der homogenen Reihe, die sie aus sich entläßt, verschieden, nicht durch dieselbe bestimmt sein kann (vgl. S. 39). Als nicht-prädikativer, ursprungslogischer Bereich ist sie dem prädikations- und urteilslogischen Denken und dessen Dialektik unerreichbar. Für die Momente hat das zur Folge, daß dieselben nicht im Ver-

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3. Eine zweite Frage betrifft nicht die Strukturierung des Vermittlungsprinzips als solche, sondern seine Erkenn- und Darstellbarkeit. Ausnahmslos bestätigen die vorangegangenen Untersuchungen, daß sich die Gleichursprünglichkeit der Strukturelemente nicht auf gleichursprüngliche Weise, d. h. instantan vorstellig machen lasse, sondern nur mittelbar, im Ausgang von dem einen Element und im Übergang zu dem anderen. Nichtsdestoweniger muß es möglich sein, diesen Übergang, in dem sich die Vermittlung dokumentiert, nicht nur zu vollziehen, sondern in seinem Vollzug und als Vollzug auch zu thematisieren. Man wird hier von vornherein damit rechnen müssen, daß sich dies nur indirekt bewerkstelligen läßt in einem schrittweisen Verfahren, bei dem der Ubergang von diversen Seiten aus, sowohl von der anschaulichen wie von der rationalen, betrachtet wird. Selbst das Prinzip, das beide Seiten vermittelt, vermag einer zweiseitigen Darstellung nicht zu entkommen. In concreto heißt das, daß der Ubergang sowohl als Phänomen wie als theoretisches Konstrukt zu exponieren und dementsprechend einer phänomenologischen Deskription wie einer logischen Interpretation zu unterwerfen ist. Uberraschen kann das nicht, da sich bereits in den zurückliegenden Untersuchungen der Übergang, wenngleich in Form des als Schwierigkeit deklarierten Progresses und Regresses, im anschaulichen wie im logischen Bereich auftretend gezeigt hatte: sowohl als Ubergang von einer Gestalt zur anderen wie als Ubergang von der Einheit zur Vielheit und umgekehrt. Einen Blick vorauswerfend auf Bewegung als Konkretisation des Vermittlungsprinzips, ergibt sich aus dieser Situation die Konsequenz, Bewegung in einer nach Anschauung und Verstand differenzierten Betrachtung zu verfolgen, sie trotz der Vermittlung heterogener Strukturen

hältnis selbständiger, gegensätzlicher, mithin durch Negation und wechselseitigen Ausschluß bestimmter Glieder stehen, sondern in dem der „Nur-Verschiedenheit" (S. 35), und diese bedeutet „die Abwehr der Gleichheit ebenso wie die Abwehr der Gegensätzlichkeit" (S. 35). „Die Gegenstandsmomente stehen nicht im Verhältnis der gegensätzlichen oder ausschließenden Ergänzung, sondern im Verhältnis der .ergänzenden Verbundenheit'" (S. 38). Hier ist jedoch wegen Inkonsequenz Kritik geboten. Denn entzieht sich die Ursprungsdimension der begrifflich-prädikativen Bestimmung, ohne zugleich auf andere Weise, etwa auf sinnliche, zugänglich zu sein, so entzieht sie sich totaliter. Damit entfällt auch die Möglichkeit einer Beschreibung derselben als reine Heterogenität; denn wodurch sollte gerade diese Deskription legitimiert sein. Folglich bleibt nur die Alternative, die U r sprungsdimension entweder durch die Begrifflichkeit exakt bestimmt sein zu lassen, gegebenenfalls auch durch andere Erkenntnisarten, oder sie aller Bestimmung transzendent und unzugänglich anzusetzen oder beides zugleich anzunehmen. Zum letzteren vgl. das Folgende.

Anforderungen an das Vermittlungsprinzip

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in heterogenen, unseren Erkenntnisweisen entsprechenden Bereichen aufzusuchen und erst dann die Frage nach der Vermittlung beider Bereiche anzuschließen. Durch diese Komplikation unterscheidet sich unsere Untersuchung wesentlich von früheren Theorien, die der Bewegung zwar auch einen paradoxalen Charakter konzedierten, denselben jedoch aus der d i r e k t e n Verbindung gegensätzlicher Grundstrukturen, der Einheit und Extension, gewannen 3 . 4. Damit taucht ein neues Problem auf, das der Vermittlung von Vermittlungen, und zwar von phänomenal und rational aufgefaßter. Das Vermittlungsproblem stellt sich hier ein letztes Mal mit unüberbietbarer Schärfe, indem es eine Antwort auf die Frage nach jenem Kriterium verlangt, das die Vermittlung der zu vermittelnden Relata, welche im eigentlichen Sinne Vermittlungsterme sind, nämlich Übergang bzw. Bewegung, sichert. Allem voran gilt es zu explorieren, ob jenes Kriterium bzw. die Dimension, der es angehört, immanenter oder transzendenter Natur sei, ob es durch die durch es selbst ermöglichten und vermittelten Strukturen eingeholt werden könne oder sich einer Einholung durch dieselben widersetze. Ersteres liefe auf die Möglichkeit einer Anwendung der dialektischen Bewegung auf ihren eigenen Grund hinaus, letzteres machte den Ansatz einer der positiven Dialektik entgegengesetzten, sozusagen negativen Dialektik erforderlich. Die Gesetze der Dialektik auf ihren eigenen Herkunftsort zu applizieren, verbietet sich, weil sich alsdann die bekannten Probleme der Zirkularität und des infiniten Progresses bzw. Regresses wieder einstellen. Läßt sich nämlich der Herkunftsort der Dialektik selbst dialektisch fassen, d. h. durch die aus ihm entsprungenen und in ihm vermittelten Gegensatzglieder definieren, so wird der Vorgang redundant. Die Einsicht in das Scheitern einer Bestimmung dieser Metaebene zwingt zum Ansatz einer negativen Form von Dialektik. Sie drückt aus, daß so, wie das Entspringen der dialektischen Bewegung aus ihrem Grund ein Sprung ist, von dem nur das Entsprungene bekannt ist, auch umgekehrt das Einlassen auf den Grund ein Sprung ist, bei dem nur der Absprung, nicht die Ankunft im Ziel, im Ursprung, garantiert ist. Uber einen hiatum irrationalem sich voll3

Als Beleg seien Hegels und Schellings Definitionen angeführt. Nach Hegel ist Bewegung die „Einheit der Negativität und Kontinuität" (Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, XVIII, 310), nach Schelling die ,absolute' oder ,unendliche Synthesis' der gegensätzlichen Grundfaktoren von schrankenloser Ausdehnung und Begrenzung (Punktualität) (System des transzendentalen Idealismus, II, 488 (III, 488)).

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Bewegung als aporielose „zweigliedrige E i n h e i t "

ziehend, bleibt der Sprung ein solcher mit offenem Ausgang. Der Grund wird hier zum Abgrund oder Ungrund. Ist auch der Grund der Dialektik durch die Gesetze derselben nicht einzufangen, so bekundet sich nichtsdestoweniger seine Existenz in der Faktizität ihres Funktionierens, im Vollzug des Ubergangs von einem zum anderen Entgegengesetzten. Er dokumentiert sich im und als Durchsetzen des vermittelnden Prozesses gegenüber den getrennten Gliedern. Eine Redewendung Kierkegaards 4 aufgreifend, liegt hier eine Synthesis mit nur zwei Momenten ohne ein Drittes vor, in dem sie stattfindet. Wollte man die Beziehung zwischen Grund und Begründetem formal explizieren, so käme man auf zwei Relata, die per definitionem Relata einer Relation sind, jedoch ohne deren Relationalität. O b es unter den gegebenen Umständen noch sinnvoll ist, von Relation und Relata zu sprechen, erscheint fragwürdig. Diese Möglichkeit war es, die sich bei Piaton im εξαίφνης der herausragenden Position andeutete. Obzwar Ermöglichungsgrund von zeitlichen Gegensätzen wie Ruhe und Bewegung, Sein und Werden etc. wie auch der Zeitlichkeit selbst und des Nichtzeitlichen, jener gegensätzlichen Bestimmungen der zweiten und ersten Position, wie von Gegensätzen überhaupt, ließ sich das εξαίφνης durch keines der von ihm selbst ermöglichten Gegensatzpaare einholen. Als schlechthin unfixierbar und unartikulierbar, entzog es sich jeder Einsicht. Dennoch war es hiermit nicht rein negativ durch das Weder-Noch der Gegensätze bestimmt, wäre doch auch dies eine eindeutige, wiewohl negative Bestimmung gewesen, die seinem Charakter als schlechthin Orts- und Bestimmungslosem, als άτοπον, widersprochen hätte; ebensowenig war es, obgleich es das Woher der Gegensätze und ihrer συμπλοκή bezeichnete, durch das Sowohl-Als-auch derselben-zu charakterisieren. Weder die Form des ausschließlichen Nichtseins noch die des ausschließlichen Seins der Gegensätze, sondern allein die des Übergangs von einem zum anderen oder, wenn man die Gegensätze durch Einheit und Zweiheit repräsentiert sein läßt, der „zweigliedrigen Einheit" (Zwei-Einheit) war die Weise seines Auftretens. Auf eine Eigentümlichkeit unserer Konzeption gegenüber der Platonischen ist allerdings aufmerksam zu machen, zumal durch sie unsere Konstruktion nicht zu einer bloßen Übernahme, sondern zu einer Fortbildung der Platonischen wird. Die Differenz zwischen einsichtig Begründetem und Vermitteltem und uneinsichtigem Ermöglichungs- und Vermittlungsgrund besteht nicht nur zwischen den weltbezogenen Auslegungsformen und 4

Vgl. Der Begriff Angst, IV, 355.

Bewegung und ihre Modi

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ihrem Ursprung wie bei Piaton, sondern innerhalb des Vermittlungsprinzips selbst. Denn die zu vermittelnden Gegensätze sind bereits Vermittlungen — Vermittlung von ihrer anschaulichen und logischen Seite betrachtet —, und deren Grund entzieht sich der Erkenntnis. Das Vermittlungsprinzip ist in sich ambivalent, erkennbar und unerkennbar, ersteres, was die Vermittlungen anschaulicher und logischer Provenienz betrifft, letzteres, was deren Vermittlung betrifft. Die Differenz liegt hier im Wesen der Vermittlung. Im folgenden gilt es nun, den Nachweis zu erbringen, daß Bewegung den genannten Anforderungen genügt. Dieser Nachweis kann nicht rein mechanisch erfolgen. Denn da die erste Bedingung, die die Apriorität des Vermittlungsprinzips fordert, lediglich ein allgemeines formales Postulat ist, das erst mit den folgenden Bedingungen konkretisiert wird, und da auch die zweite Bedingung, welche die Gleichursprünglichkeit der Grundelemente verlangt, ihre eigentliche Erfüllung erst in der von der dritten Bedingung geforderten differenzierten Darstellung nach phänomenalem und logischem Aspekt findet, kommt es vorzüglich darauf an, sich auf die dritte und vierte Bedingung zu konzentrieren, das aber heißt, Bewegung sowohl als Phänomen wie als logisches Konstrukt vorstellig zu machen und deren jeweiligen Gehalt auf die Vermitteltheit gleichursprünglicher heterogener Elemente hin zu überprüfen sowie schließlich deren Vermitteltheit, die von phänomenaler und logischer Auslegungsweise der Bewegung, zu diskutieren. 3. Bewegung und ihre Modi Von Bewegung spricht man in den verschiedensten Bedeutungen. Sollen diese systematisch erfaßt werden, so hat man sich zu vergegenwärtigen, daß Bewegung die Vermittlung gegensätzlicher Strukturmomente, nämlich der Einheit und Mannigfaltigkeit bzw., diesen phänomenal korrespondierend, der Begrenzung und Entgrenzung, ist, die nach den einleitenden Bemerkungen dieser Arbeit stellvertretend für eine Anzahl von Modifikationen quantitativer, qualitativer, relationaler und epistemischer Art stehen sollten. Diesen entsprechend ist daher Bewegung zu gliedern und zu ordnen. Auf diese Weise gelangt man zu einer quantitativen, qualitativen und relationalen Form von Bewegung, die sich als objektive Arten von einer geistigen als subjektiver Art absetzen. Zu bedenken ist noch folgendes: Sowenig es d i e Einheit und d i e Mannigfaltigkeit oder d i e Extension und d i e Begrenzung gibt, sondern stets nur eine nach diesem oder jenem Aspekt

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modifizierte, sowenig gibt es die Bewegung schlechthin. Vielmehr begegnet Bewegung, wo immer sie auftritt, in dieser oder jener spezifischen Modifikation. Mit dem Allgemeinbegriff „Bewegung" ist daher ein Generaltitel für die Gesamtheit möglicher Auslegungsweisen angegeben 5 . Als Paradigma der quantitativen Erscheinungsform von Bewegung gilt die Ortsveränderung, die gelegentlich auch als Grundform von Bewegung überhaupt betrachtet wird 6 . Unter ihr versteht man den Wechsel von Positionen und Relationen eines Dinges bzw., abstrakt, eines Punktes io und zum Raum innerhalb einer gewissen Zeit 7 . Da hier ausschließlich geometrische Verhältnisse — Raum- und Zeitbestimmungen — interessieren, die sich einer Quantifizierung unterwerfen lassen, kommt in dieser Bewegungsauffassung der mathematisch-quantitative Aspekt zum Tragen. Gleichwohl enthält die quantitative Form Verweisungen auf andere Bewegungsarten. Prima facie scheint es sogar, daß Ortsveränderung, da in ihren Namen und in ihre Definition der Begriff der Veränderung eingeht, lediglich eine Spezies der letzteren darstellt. Veränderung bezeichnet den Wechsel von Zuständen eines Dinges; und sind diese in nichts anderem als in ihren Ortsbestimmungen unterschieden, so tritt Zustandswechsel als 5

Die in der Einleitung zu dieser Arbeit angestellten Erwägungen über die Geschlossenheit oder Offenheit des Kategoriensystems gelten auch für das Bewegungssystem. Es wird daher nicht grundsätzlich ausgeschlossen, daß nicht auch andere bzw. mehr oder weniger Bewegungsarten als die hier aufgeführten gesondert werden können. Piaton gewinnt im 10. Buch der Nomoi (893 b ff) mittels einer phänomenologischen Deskription und dihairetischen Klassifikation zehn Bewegungstypen, zu denen Rotation (Achsendrehung) und Translation (Fortschritt), sowohl lineare wie in sich zurückkehrende, Zu- und Abnahme, Entstehen und Vergehen sowie mechanische und Selbstbewegung rechnen, während er im Parmenides (138 b ff) Ortsbewegung und Veränderung unterscheidet und innerhalb der ersteren Rotation und Linearbewegung. Im Phaidros (245 c ff) und Sophistes (248 d ff) spielt vor allem die Bewegung der Seele eine Rolle: Seele wird geradezu durch Bewegung definiert. In Fortführung platonischer Überlegungen unterscheidet Aristoteles in Physik 200 b 12 f und 225 b 5 ff Ortsbewegung, quantitative Veränderung (Wachstum und Abnahme), qualitative Veränderung und, vorübergehend als vierte Art, Entstehen und Vergehen. Die Einteilung erfolgt am Leitfaden seines Kategoriensystems, wobei jedoch nur die Prädikamente des Orts, der Quantität, Qualität und Substanz sinnvolle Bewegungsarten ergeben.

6

Vgl. M . Merleau-Ponty, a . a . O . , S. 311. Vgl. Leibniz: Epistola ad Thomasium 1669: „Motus est mutatio spatii" in Leibniz, Opera philosophica quae extant Latina, Gallica, Germanica omnia, ed. Joh. Ed. Erdmann, 1. Teil, Berlin 1840, S. 53; Kant: Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (IV, 482): „Bewegung eines Dinges ist die V e r ä n d e r u n g d e r ä u ß e r e n V e r h ä l t n i s s e desselben zu einem gegebenen R a u m " ; A. Höfler: Physik, Braunschweig 1904, S. 3: „Als sich bewegend bezeichnen wir bekanntlich einen Körper (aber auch z . B . einen körperlosen Licht- oder Schattenfleck), der seinen Ort im Räume binnen bestimmter Zeiten verändert".

7

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Stellenwechsel auf und Ortsbewegung erscheint als Ab- oder Unterart derselben. Doch der Schein trügt; denn geht man der Bedeutung von Veränderung genauer nach, so wird man feststellen, daß nicht nur Ortsbewegung von Veränderung dependiert, sondern auch umgekehrt diese von jener. Als Umschlagen eines Zustands in den anderen läßt sich Veränderung mit Kants Worten als „Verbindung kontradiktorisch einander entgegengesetzter Bestimmungen im Dasein eines und desselben D i n g e s " 8 definieren. Die Vorstellung einer Verbindung kontradiktorischer Bestimmungen wie Α und non Α ist widerspruchsfrei nicht möglich 1. ohne den Rekurs auf die Zeit, durch deren Sukzessivität die kontradiktorischen, einander aufhebenden Bestimmungen auseinandergehalten und in einer Sequenz als kompatible Momente, Α und B, vorgestellt werden, und 2. ohne den Rekurs auf den Raum, durch dessen Kopräsenz die Sukzession, die für sich allein reine Fluktuation, irreversible Verdrängung ist, a l s Sukzession festgehalten wird. Erst mit Hilfe der räumlichen Positionsfolge läßt sich die qualitative Zustandsfolge verstehen; erst mit Hilfe der Ortsbewegung und ihrer Raum-Zeitimplikationen erschließt sich der Sinn von Veränderung. Der Rekurs auf die Ortsbewegung hat daher nicht nur den Status einer Hilfskonstruktion, auf die sich wegen der Veranschaulichung an einem im Grunde inadäquaten Modell auch verzichten ließe, vielmehr ist er unerläßlich zum Verständnis von Veränderung. Können zwei Begriffe füreinander sowohl als Genus wie als Spezies fungieren, so sind sie gleichrangig und stellen Erscheinungsweisen eines und desselben Sachverhalts dar: die Ortsbewegung wegen der geometrischen Bestimmungen den quantitativen Aspekt, die Veränderung wegen des Wechsels von Eigenschaften den qualitativen. Die relationale Form von Bewegung verkörpert das Werden. Unter Werden wird nicht nur im engeren Sinne das Entstehen von etwas verstanden, sondern, da das Resultat sowohl Seiendes wie Nichtseiendes sein kann, im weiteren auch das Vergehen 9 . Gemeinsam ist beiden Formen das Eingespanntsein zwischen einen Grund und seine Folge, eine Ursache 8 9

Kritik der reinen Vernunft Β 291 (III, 200). So spricht schon Piaton im Phaidon 71 a f von einem „ z w i e f a c h e n Werden zwischen jeglichem E n t g e g e n g e s e t z t e n " (Beispiele vgl. 70 c f f ) , so daß in diesem Sinne das A m - S e i n Teilergreifen als Entstehen und das V o m - S e i n - A b l a s s e n als U n t e r g e h e n zu definieren wäre. Für H e g e l : Wissenschaft der L o g i k ( A b s a t z „ W e r d e n " , b e s o n d e r s „ M o m e n t e d e s W e r d e n s " , V , 83 und U l f ) ist Werden der D o p p e l v o r g a n g von Entstehen und Vergehen. V o n der Platonischen K o n z e p t i o n unterscheidet sich die H e g e i s c h e d a d u r c h , daß die entgegengesetzten Richtungen nur Abstraktionen eines realiter einzigen V o r g a n g s sind. E n t stehen ist in eins Vergehen und umgekehrt.

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und ihre Wirkung, eine Schöpfungskraft und ihr Produkt oder ähnliches, kraft dessen das Werden einen einsinnigen, vom Ursprung auf das Ziel gerichteten Prozeß darstellt. Da in ihm die Orientierung am Grund-FolgeVerhältnis bzw. an dem von Ursache und Wirkung, Substanz und Akzidens u. ä. erfolgt, steht es für jenen Aspekt von Bewegung, in dem sich Relation bekundet. Auf den ersten Blick scheint Ortsbewegung aus dem Werden verbannt zu sein, zumindest irrelevant für dasselbe zu sein; denn wie die unzähligen Exempel aus der organischen Sphäre zeigen, ist das Werden eher einer inneren Kraft und Tendenz, einem Lebensprinzip, vergleichbar als einer äußeren Bewegung. Allenfalls könnte Ortsbewegung als Erscheinung dieses genetischen Prinzips interpretiert werden, etwa derart, daß sich dasselbe in den Raum hinein projizierte und so Ortsbewegung evozierte. Unterzieht man jedoch den Begriff des Werdens einer genaueren Analyse, so kann nicht entgehen, daß es als richtungsorientiert eines Ursprungs- und Zielpunkts bedarf. Die Relation zwischen dem Woraus und Wozu ist nur verständlich auf der Basis der Relation zwischen dem Woher und Wohin. Mit den lokalen Stellen eines Anfangs- und Endpunkts und dem temporalen Ubergang von dem einen zum anderen schließt das Werden das bereits in sich, was es erklären sollte, so daß Ortsbewegung und Werden wechselseitig voneinander dependieren. Nicht anders liegen die Verhältnisse bei Werden und Veränderung. Kraft dessen, daß Werden als gerichtetes Geschehen aufzufassen ist, das auf die Hervorbringung eines Zustands, einer Form, einer Gestalt u. ä. zielt, dient es zur Basis von Veränderung, welche, den betreffenden Zustand, die betreffende Form voraussetzend, deren Anderswerden bedeutet. Allerdings kann Veränderung auch umgekehrt als Grundlage von Werden betrachtet werden; denn sofern sie den Wechsel von einem Zustand zum anderen, von dessen anfänglichem Nichtsein zu dessen nachfolgendem Sein oder von dessen anfänglichem Sein zu dessen nachfolgendem Nichtsein meint und sofern das Werden seinerseits in Form des Entstehens und Vergehens den Ubergang von Nichtsein zu Sein bzw. von Sein zu Nichtsein bezeichnet, bildet die Heterothetik des Zustandswechsels die Anschauungsgrundlage für die im Werden gedachte Antithetik. Denn antithetische Bestimmungen wie Sein und Nichtsein (A und non A) sind, wie oben gezeigt 10 , nur anhand heterothetischer Bestimmungen wie Etwas und Anderes (A und B) demonstrierbar. 10

Vgl. S. 3 5 4 f .

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Von den objektiven Bewegungsarten unterscheidet sich die subjektve dadurch, daß sie kein naturhafter, sondern geistiger Prozeß ist. Sie wird als Denkbewegung aufgefaßt oder, da es sich nicht speziell um Gedanken zu handeln braucht, sondern um jede Art von Bewußtseinszuständen handeln kann, generell als Bewußtseinsstrom. Die Frage nach dem Verhältnis beider Bewegungsauffassungen, danach, ob sich die objektiven Bewegungen auf das Bewußtsein und seine Struktur reduzieren bzw. daraus deduzieren lassen oder ob umgekehrt die Beschreibung des Bewußtseins als Strom an Naturvorgängen orientiert ist und auf einer Übertragung räumlich-zeitlicher Prozesse per analogiam auf den mentalen Bereich beruht, ist müßig, da die Entscheidung zugunsten der einen oder anderen Version auf metaphysischen Implikationen beruht. Sowenig die in der Natur als in einer scheinbar vom Geist independenten Domäne stattfindende Bewegung ohne Bewußtsein möglich ist, zumindest ohne solches für uns irrelevant wäre, sowenig ist umgekehrt die Struktur des Bewußtseins ohne räumlich-zeitliche Bewegung verständlich. Denn wird Bewußtsein als Sequenz von Bewußtseinszuständen aufgefaßt, wie es offenbar notwendig ist, da das menschliche Bewußtsein anders als das göttliche keine Omnipräsenz ist, so sieht es sich auf die Zeit und die zeitliche Folge verwiesen und diese wiederum bei ihrer Veranschaulichung auf den Raum. Die Zustandsfolge im Bewußtsein als Ubergang von einem Relatum zum anderen ist aber unter dieser Voraussetzung nichts anderes als unter quantitativem Aspekt ein Stellenwechsel, unter qualitativem, da die Relata nicht nur stellendifferent und nach ihren formalen Eigenschaften bestimmt sind, sondern zugleich verschiedene Zuständlichkeiten bezeichnen, ein Zustandswechsel und unter relationalem Aspekt, da die Bewußtseinszustände kommen und gehen, bewußt werden und in Vergessenheit geraten, ein Werden. Da die diversen Bewegungsformen sich wechselseitig implizieren, konstituieren sie erst in ihrer Gesamtheit den vollständigen Bewegungsbegriff. Wenn daher im folgenden die Erfüllung der an ein Vermittlungsprinzip zu stellenden Anforderungen durch Bewegung aufgezeigt werden soll, so kann dies angemessen nur im Diskurs durch alle Bewegungsformen geschehen, indem an einer jeden ein spezifischer Aspekt thematisch wird. Wegen der Wechselimplikation und gegenseitigen Verweisung mag es genügen, den Aufweis an einem Fall in extenso zu demonstrieren, an den anderen mehr schematisch.

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4. Ortsbewegung als quantitative Erscheinungsweise des Vermittlungsprinzips Stellvertretend sei der Fall der Ortsbewegung herausgegriffen. Die seit Beginn der Neuzeit dominierende und unser Denken weitgehend bestimmende mathematisch-naturwissenschaftliche Tradition hat es uns zur Gewohnheit werden lassen, in der Ortsbewegung eine zeitliche Abfolge von Raumpositionen zu sehen. Auf diese Weise wird Ortsbewegung in eine Raum-Zeitfunktion aufgelöst, in der die Raum- und Zeitpunkte in einem geregelten Verhältnis zueinander stehen, das es ermöglicht, z . B . nach dem Gesetz des freien Falls exakt zu bestimmen, an welchem Ort seiner Bahn ein fallender Körper zu welchem Zeitpunkt sich befinden muß. Wenn Bewegung so auf der einen Seite in eine beliebige, potentiell unendliche Zahl von Punkten räumlicher und zeitlicher Art a u s e i n a n d e r g e l e g t wird, so wird sie auf der anderen Seite durch einen in seiner Einheit sich bewahrenden Bewegungsträger wieder z u s a m m e n g e h a l t e n . Ortsbewegung bedeutet daher unter Berücksichtigung dieser beiden Momente das Durchlaufen einer V i e l h e i t von Raum- und Zeitpunkten mittels e i n e s Bewegungsobjekts bzw. in abstracto e i n e s Punkts. Daß diese Betrachtungsweise keineswegs selbstverständlich ist, vielmehr auf einem metaphysischen Präjudiz beruht, jenem nämlich, das sich nicht mehr für die Wesensbestimmung der Bewegung, das „ W a s " derselben, interessiert, sondern für das „ W i e " und „Wie groß', welche mathematischer Quantifizierung zugänglich sind, hat uns erst wieder die Phänomenologie und die sich ihrer Methode bedienende Psychologie ins Bewußtsein gerufen. In der obigen Fassung kommt Bewegung qua talis so wenig in den Blick, daß sie vielmehr durch dieselbe verstellt wird; denn dadurch, daß Bewegung auf eine Reihe von Raum- und Zeitpunkten, welche in bezug auf die Bewegung nichts anderes als Ruhelagen und Pausen sind, reduziert wird, wird sie in Unbewegtes transformiert. Daß aus einer selbst noch so dichten Aneinanderreihung von Ruhelagen und Pausen keine Bewegtheit, aus Statischem nichts Dynamisches resultiert, versteht sich. Im Gegenteil, der Eindruck von Bewegung ist phänomenologisch um so stärker, je weniger Raum- und Zeitpositionen zur distinkten Abhebung gelangen. Zum Beweis sei aus der Fülle phänomenologischer und psychologischer Beobachtungen und Experimente auf ein Beispiel rekurriert 11 .

11

M . Wertheimer: Experimentelle Studien über das Sehen von B e w e g u n g in Zeitschrift f ü r P s y c h o l o g i e , B d . 61, 1912, S. 2 2 1 - 2 3 3 .

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Führt man mit rascher Handbewegung einen Bleistift über ein Blatt Papier, auf dem ein Punkt markiert ist, so entsteht der lebhafteste Eindruck von Bewegung, ohne daß in irgendeinem Augenblick das Bewußtsein aufkäme, daß sich der Bleistift über dem Punkt befände. Hingegen schwindet bei Verlangsamung der Bewegung die Bewegungsimpression genau in dem Augenblick, in dem sich der Bleistift über dem Punkt befindet und die Situation am ehesten der mathematischen Bewegungskonzeption und ihrer Bezugnahme auf Raum- und Zeitpunkte entspricht. Dem Exempel läßt sich das allgemeine Gesetz entnehmen, daß sich die Wahrnehmung von Bewegung und die Wahrnehmung von Punkten umgekehrt proportional zueinander verhalten. Für das Wahrgenommene folgt daraus, daß im Aufbau der phänomenalen Bewegung Punkte nur eine subordinierte Rolle spielen 12 . Nicht nur Raum- und Zeitpunkte sind für die Bewegungswahrnehmung und entsprechend für das Bewegungsphänomen sekundär, Gleiches gilt vom Bewegungsträger. Zwar ist richtig, daß derselbe bei sehr langsamer Bewegung in voller Anschaulichkeit als ein bestimmter, mit diesen und jenen Merkmalen versehener erfaßt und so während der ganzen Bewegung festgehalten wird, quasi, als ob er sich in jedem Moment in einer Ruhelage befände, welche allein die Möglichkeit zu einer Identifikation und Reidentifikation des Gegenstands bietet. Bei schneller werdender Bewegung jedoch verflüchtigt sich das Bewegungsobjekt, und zwar dem Grad der Geschwindigkeitsmaximierung entsprechend, indem es zu einem zunehmend schwerer beschreibbaren Gegenstand wird. Mag derselbe anfangs noch seiner Qualität nach hell oder dunkel genannt werden, freilich schon nicht mehr von einer bestimmten Farbe oder einem bestimmten Helligkeitsgrad, seiner Form nach von der Gestalt eines länglichen, schweifartigen Gebildes, so deformiert er sich zusehends durch Ausziehung zu 12

Ein anderes illustratives und vieldiskutiertes Beispiel (vgl. M. Wertheimer, a . a . O . , S. 2 1 2 - 2 1 4 , P. F. Linke: Phänomenologie und Experiment in der Frage der Bewegungsaüffassung in Jahrbuch für philosophische und phänomenologische Forschung, Bd. 2, 1916, S. 1 5 f f , M. Merleau-Ponty, a . a . O . , S. 3 1 3 f ) ist die stroboskopische Darbietung zweier Lichtstreifen, die abwechselnd in vertikaler und horizontaler Lage exponiert werden. Bei mittlerer Kadenz nimmt die Versuchsperson eine aus der einen in die andere Position und von dieser in jene und so fort drehende Bewegung wahr, ohne daß die beiden Positionen oder eine mittlere für sich statisch gegeben wären; denn gesehen wird nichts als ein unablässig sich hin und her bewegender Strich. Dagegen tendiert bei Verlangsamung der Kadenz die Bewegung zur Dissoziation, indem zunächst ein vertikaler Strich erscheint, der, eine Weile in seiner Position zurückgehalten, sich plötzlich aus dieser losreißt und in die horizontale überspringt. Erkauft wird die Fixierbarkeit der Extrempositionen um den Preis der kontinuierlichen Bewegungsimpression.

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einer immer längeren Linie und geht schließlich in ein gänzlich unbestimmtes Etwas über, das nur noch als Vorbeikommen und Weiterziehen gegeben ist. Das reine Bewegungsphänomen enthält nichts mehr von einem Bewegungsträger, der als ein und derselbe in diesem wie jenem Punkt der Bewegungsbahn auftritt und auf dessen Einheit und Selbigkeit in allen Punkten daher geschlossen wird; es erschöpft sich in einem „Hinüber", dessen Wesen reines Expandieren ist, das jetzt hier und auch nicht mehr hier, sondern dort ist und die ganze Spanne zwischen hier und dort umfaßt. Die Einheit des „Trägers", wenn man von einem solchen überhaupt noch sprechen will, dokumentiert sich im Bewegungsphänomen anschaulich in Form eines einzigen, potentiell ins Unendliche sich erdehnenden Prozesses 1 3 . Das analytische Denken wird einwenden wollen, daß sich die eine, potentiell unendliche Bewegung aus einer unendlichen Menge kleinerer Bewegungen konstituiere, da sich bereits die endliche Bewegung zwischen einem bestimmten Anfangs- und Endpunkt aus beliebig vielen kleineren zusammensetze. Und es wird hierzu das Argument anführen, daß das von der Bewegung durchmessene Raumstück ebenso wie die zum Durchmessen benötigte Zeitspanne beliebig teilbar sei, folglich auch Bewegung dies sein müsse. Da Bewegung in jedem Augenblick einen bestimmten Raumpunkt passiere, zerfalle sie in beliebig viele Etappen. Auf ihrem Wege von Α nach Β gehe sie zuerst zu einem zwischen Α und Β gelegenen Punkt P, sodann von diesem zu einem zwischen ihm und Β gelegenen P ' und so fort. Auf diese Weise füge sich die Eine Bewegung aus einer beliebigen Anzahl diskreter Bewegungsschübe zusammen, vergleichbar dem aus einer Reihe Schritte zusammengesetzten Lauf zwischen Start und Ziel. Dieser Argumentation ist jedoch entgegenzuhalten, daß die Aneinanderreihung diskreter Bewegungsvollzüge, und sei dieselbe noch so dicht, niemals eine einzige durchgehende Bewegung zu ergeben vermag. Zweifelsohne könnte die Bewegung von Α nach Β in jedem beliebigen Zwischen13

Phänomene, in denen das Bewegungsobjekt überhaupt nur vorkommt als in Bewegung begriffen, nämlich seine Bewegung aufnehmend, verfolgend und vollendend oder fortsetzend, sind experimentell leicht zu erzielen. Wird z . B . das zurückbleibende Bild einer Spiralbewegung auf einen Bildschirm projiziert, so ergreift Bewegung Besitz vom ganzen Raum, ohne daß ein Bewegungsobjekt, sei es ein bestimmtes oder unbestimmtes, angebbar wäre. Von den bisher gegebenen Beschreibungen des Bewegungsphänomens, welche allesamt nicht ohne Substrat, entweder ein vollständig bestimmtes (P. F. Linke, a . a . O . , S. 8ff, differenzierter S. 12 ff) oder ein unbestimmtes, bloßes Bewegtes (M. MerleauPonty, a. a. O . , S. 317ff), meinen auskommen zu können, unterscheidet sich die hier vorgetragene Auffassung dadurch, daß sie dieses für nicht konstitutiv hält.

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punkt pausieren und von dort neu beginnen, dann aber hätte man es nicht mehr mit e i n e r Bewegung von Α nach Β zu tun, sondern mit zweien, deren jede für sich unteilbar wäre, sowie einer dazwischen liegenden Ruhepause. Das Bewegungsphänomen präsentiert sich also wesenhaft als ein einziger Gestaltzug, gleichgültig, welcher Raum und welche Zeit zurückgelegt wird, ob von Α nach Ρ oder von Α nach Β oder nach einem im Unendlichen befindlichen Punkt 1 4 . Wegen dieser Relativität ist Bewegung genau genommen ein „Gestaltprozeß", in dem sich die Bewegungsgestalt permanent neu konstituiert kraft der ständigen Verschiebung ihrer Begrenzung. Damit dürfte das Phänomen Bewegung so weit gesichert sein, daß es einer Strukturanalyse unterzogen werden kann. Daß sich dieselbe im U m kreis von Extension und Limitation wird halten müssen, ist prima facie klar; auf die genaue Bestimmung des Verhältnisses beider kommt es an. Allem voran muß einer Aufklärung, die unter dem Quantitätsaspekt erfolgt, am Nachweis des Unendlichkeits- und Endlichkeitsmoments am Bewegungsphänomen gelegen sein, da diese beiden die in quantitativer Hinsicht relevanten Anschauungskriterien sind. Vorab ist allerdings in Erinnerung zu bringen, was anschauliche U n endlichkeit bedeutet und was nicht. Sie ist nicht zu verwechseln mit begrifflich-mathematischer Unendlichkeit. Während diese in der unendlichfachen Iteration eines Endlichen, Begrenzten, im Extremfall eines Punktes, besteht, muß jene als deren anschauliche Basis so vorgestellt werden, daß sie eine solche Wiederholung ermöglicht, d. h. sie muß selbst ohne jedes Ende und jede Begrenzung sein. Als schlechthin — extern wie intern — unbegrenzt (infinitum), muß sie zudem unbestimmt (indefinitum) und unbegreiflich (undefinierbar) sein. Nicht zufällig hat das griechische άπειρον die Doppelbedeutung von „unendlich" und „unbestimmt"; denn das, was ohne Grenze, ohne Umriß und Gestalt ist, bleibt auch dem determinierenden und definierenden Begreifen unzugänglich. Im Prinzip ist gleichgültig, ob die Offenheit als eine des Außen- oder Innenhorizontes verstanden wird, als Unendlich-Großes oder Unendlich-Kleines. Denn so, wie der Uberschritt über jede gegebene Begrenzung zu einer umfassenderen möglich ist, ist auch die Einteilung und innere Begrenzung jeder endlichen Ausdehnungsgröße möglich. Anschauliche Unendlichkeit ist relativ. 14

Zum vorgetragenen Einwand und seiner Widerlegung vgl. die vorzüglichen phänomenologischen Deskriptionen und Analysen der Bewegung von H . Bergson: Zeit und Freiheit, Jena 1911, S. 86ff, Schöpferische Entwicklung, Jena 1912, S. 311 ff, Denken und schöpferisches Werden, Meisenheim 1948, S. 162ff.

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Da sich das Bewegungsphänomen als ein räumlich-zeitliches Expandieren von beliebiger Größenordnung erwiesen hat, ist dies als eines seiner Konstituentien zu betrachten. Ohne das Sich-Ausweiten in Raum und Zeit wäre Bewegung nicht möglich, sowenig allerdings umgekehrt räumliche und zeitliche Extension ohne Bewegung, sind doch die Begriffe spatialer und temporaler Erstreckung nur über und als Bewegungsbegriffe zugänglich 1 5 . Da mit dem Expansionscharakter der von anschaulicher Unendlichkeit verbunden ist, wäre hiermit ein erstes konstitutives Merkmal des Bewegungsphänomens aufgefunden. Gleichwohl ist Bewegung nicht nur unendlich, sondern auch endlich. Insofern sie als Gestaltprozeß auftritt, involviert sie mit Gestalt Begrenzung und mit Begrenzung Endlichkeit, jedoch so, daß sie diese permanent vor sich herschiebt. Wird die Begrenzung von und mit dem Prozeß fortgetragen, so durchzieht sie ihn in toto und erweist sich damit als zweiter essentieller Bestandteil der Bewegung. Diesem begrenzenden und verendlichenden Moment ist phänomenologisch genauer nachzuforschen, da es sich um ein für Extension qua Extension unspezifisches Element handelt. Sowohl an sich wie in seinem Verhältnis zur exakten Verstandesbegrenzung ist es präziser zu bestimmen. Seine Behandlung gehört in den Umkreis der Limesbildung. Für elementare räumliche Limiten wie Punkt und Linie hat erstmals O . Becker in seinen „Beiträgen zur phänomenologischen Begründung der Geometrie und ihrer physikalischen Anwendungen" eine zureichende Diskussion geliefert, die seitdem die Basis aller ähnlich gerichteten Versuche darstellt, so beispielsweise des von E. Ströker 1 6 . Dagegen bleiben Untersuchungen zum zeitlichen Limes, dem Jetzt, wie überhaupt zur Möglichkeit des Ansatzes von Limiten in der Zeit neben denen im Raum in jenen Arbeiten ausgeklammert. Auf die dort geleisteten Analysen stützt sich die folgende Erörterung mit dem Unterschied, daß sie dieselben mutatis mutandis auf Bewegung appliziert, deren Limes der Anfangs- und Endpunkt der Bewegung ist, wobei jeder Endpunkt als neuer Anfangspunkt und jeder Anfangspunkt als Endpunkt einer vorausgegangenen Bewegung genommen 15

16

Eine genaue B e s t i m m u n g des Verhältnisses von B e w e g u n g , R a u m und Zeit v o r z u n e h m e n , ist zu kompliziert, als daß sie im Vorübergehen adäquat geschehen könnte. N ä h e r e s zur kinematischen B e g r ü n d u n g von R a u m und Zeit enthält der Verfasserin Dissertation: D i e Kantische Theorie der N a t u r w i s s e n s c h a f t , Berlin, N e w Y o r k 1976. Hier kann auf ein detailliertes Eingehen deshalb verzichtet werden, weil es u m Extension in genere, noch vor jeder Spezifikation in räumliche und zeitliche, als Genuinbestandteil von B e w e g u n g geht. E . Ströker, a . a . O . , S. 9 6 f f .

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werden kann. Der Sache nach liegt allerdings keine bloße Applikation vor, da wegen der kinematischen Begründung von Raum und Zeit die räumlichen und zeitlichen Limiten die von Bewegung voraussetzen. Aus diesem Grunde kommt auch Beckers Analyse faktisch nicht ohne den Approximat i o n s p r o z e ß an den Grenzwert aus, d . h . nicht ohne Bewegung. N u r bleibt dieselbe bei ihm eine unreflektierte Implikation. Schränkt man die Bewegungsexpansion imaginativ immer mehr ein, so daß sie sich ihrer totalen Aufhebung, der Nullausdehnung, nähert, welche mit dem Anfangs- bzw. Endpunkt der Expansion zusammenfällt, so wird man feststellen, daß sich dieser Prozeß anschaulich nicht beliebig fortsetzen läßt, sondern an eine Stelle gelangt, jenseits deren er zwar in infinitum fortführbar g e d a c h t werden kann, ihm aber in d e r A n s c h a u u n g nichts mehr korrespondiert. Jenseits dieser Stelle läßt sich die Bewegungsexpansion nicht weiter reduzieren, sondern bleibt konstant, auch bei noch so großer gedanklicher Approximation an Null. Der Prozeß läuft also nicht in dem Sinne unbegrenzt fort, daß immer noch kleinere Größen angebbar und hinsichtlich ihres Differenzbetrags gegenüber der vorigen eindeutig bestimmbar wären, sondern gelangt an ein Stadium, nach dessen Uberschreitung die Bewegungsgrößen ihre Differenziertheit verlieren und in einem indifferenten Einerlei untergehen. Da sich diese Erscheinung einer Totalaufhebung widersetzt, indiziert sie etwas Positives. Mit ihr ist ein endlicher anschaulicher Limes bezeichnet. Angesichts der Tatsache, daß dieses Grenzgebilde einen positiven Wert besitzt, kann ihm eine „gewisse" Ausdehnungshaftigkeit nicht abgesprochen werden, obzwar diese so geartet ist, daß sie jede Komparation mit „normalen" endlichen Bewegungsgrößen ausschließt. In diesem Sinne stellt der anschauliche Limes ein minimum visibile dar 1 7 . Da der phänomenale Limes der mit der anschaulichen Extension gegebenen Unbestimmtheit und Vagheit verhaftet bleibt, vermag er die Bedingungen idealer Limiten, wie es Anfangs- und E n d p u n k t sind, nämlich Eindeutigkeit und Exaktheit, nicht adäquat zu erfüllen. Er bleibt ein

17

N a t u r g e m ä ß bleibt der phänomenale L i m e s ein recht grobes G e b i l d e , dessen Feinstruktur von diversen sinnesphysiologischen Faktoren dependiert, wie der Reizschwelle, die v o n Individuum zu Individuum oder von G a t t u n g zu G a t t u n g differiert, oder der A u f l ö s u n g der verschiedenen bei der W a h r n e h m u n g beteiligten Sinnesorgane u s w . Folglich ist auch die obige R e d e : „ v o n einer gewissen Stelle a n " oder „ v o n d e m und d e m S t a d i u m a n " nicht absolut, nur relativ gemeint, da sie bei verschiedenen W a h r n e h m u n g s s u b j e k t e n wechselt. V o n dieser subjektiven K o m p o n e n t e ist jedoch in einer reinen B e s c h r e i b u n g objektiver Strukturen zu abstrahieren.

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anschaulicher Indikator jener Idealgebilde, der dieselben nur proleptisch zu erfassen vermag. Was für Bewegung im ganzen gilt, muß auch für ihre Implikate Raum und Zeit zutreffen, wenngleich mit dem Unterschied, daß der Limitationsvorgang, der bei ihnen zur Limesbildung führt, bereits ein Bewegungsakt ist und infolgedessen dieselben nur auf dem Hintergrund der Bewegungsanalyse verständlich werden. Während die räumlichen Limiten, die aus der Einschränkung des Raumes resultieren, in ihrer elementarsten Form Punktgebilde, auf diesen basierend Linien- und Flächengebilde sind, die sich am adäquatesten als Kleinstlinien, -flächen usw. beschreiben lassen, stellen die aus der Einschränkung der Zeit hervorgehenden Limiten, die Jetzte, Kleinstdauern dar. Daß die Zeit Limesbildung ebenso gestattet wie der Raum, setzt die Isomorphic beider Strukturen voraus, die sich in ihrer wechselseitigen Projizierbarkeit aufeinander dokumentiert. Die Jetzte müssen demnach ausdehnungshafter Natur sein, um genau wie die räumlichen Gebilde einen Einschränkungsprozeß zu ermöglichen. Das aber bedeutet, daß der dem gegenwärtigen Augenblick unmittelbar vorangehende und folgende in voller Anschaulichkeit durch retentional und protentionale Akte von der Art frischer Erinnerung oder der Vorschau präsent sein muß. Das Zuendedenken dieses Ansatzes ist nicht frei von Schwierigkeiten, führt es doch zur Konsequenz einer allumfassenden stehenden Gegenwart, in der Gegenwärtiges schon Vergangenes wie Vergangenes noch Gegenwärtiges ist und ebenso Gegenwärtiges noch Zukünftiges wie dies bereits Gegenwärtiges ist. Nicht geringer freilich sind die Komplikationen im entgegengesetzten Fall der Annahme eines punktuellen Jetzt; denn hier bleibt ungeklärt, wie unausgedehnte, diskrete Momente in die Ausdehnung und Kontinuität des Zeitflusses übergehen können. Aus dem Vorkommen spezifisch phänomenaler Limiten kinematischer, spatialer und temporaler Art muß der Schluß gezogen werden, daß es sich jede Theorie, die die Existenz idealer Limiten bereits für die Anschauungssphäre zuläßt, zu einfach macht. Denn anschaulich gegeben sind stets nur ausdehnungshafte Punkte und Momente, wenn diesen auch jede bestimmte Ausdehnung und Gestalt fehlt. Dagegen bleibt die Erfassung von Ideallimiten einem andersartigen Erkenntnisvermögen, dem Verstand, vorbehalten. An dieser Stelle findet ein Problem seine Auflösung, das bisher vorwiegend im Rahmen der Zeitthematik zu Kontroversen Anlaß gegeben hat: Handelt es sich beim Limes um ein internes oder externes Moment der anschaulichen Extension? Innerhalb der Zeitproblematik stellt es sich in Form

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der Frage nach der Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit des Jetzt zur Zeitlichkeit. Zwei Möglichkeiten sind denkbar: Zufolge der einen gehört das Jetzt zur Zeit selbst, ist in ihr, eines ihrer Konstitutionsmomente. Obwohl es die Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft bildet, stiftet es, da j e d e r Augenblick ein Jetzt ist und es so die ganze Zeit durchzieht, den Zusammenhang derselben. Zufolge der anderen steht es in einem Externverhältnis zur Zeit, bildet ihren transzendenten Grund und konstituiert in dieser Weise den Zusammenhang ihrer Modi. In der Zeit erscheint es nur als Reflex in Gestalt des stehenden Jetzt oder der ewigen Gegenwart. Die Unentscheidbarkeit dieser Kontroverse resultiert nicht zum wenigsten daraus, daß das Jetzt in beiden Theoremen als exaktes, ideales Gebilde gefaßt ist. Der Streit läßt sich schlichten, wiewohl nicht zugunsten der ausschließlichen Geltung der einen oder anderen Konzeption, sondern der restringierten beider, wenn man sich darauf besinnt, daß das Jetzt als immanentes Moment aufgrund der Ausdehnungshaftigkeit der Zeit Ausdehnungscharakter haben muß, während der transzendente Ansatz die inverse Interpretation zuläßt. Mit dieser Modifikation besitzen beide Konzepte Legitimität, das eine als phänomenaler Entwurf, das andere als logischer. Die voranstehende Analyse des Bewegungsphänomens hat auf zwei Strukturmomente geführt: ein extensionales, das Unendlichkeit mit sich bringt, und ein limitierendes, das Endlichkeit involviert. Dies sind zwei heterogene Implikate, die im Bewegungsphänomen zusammentreffen, ohne daß man im eigentlichen Sinne von einer Verbindung Getrennter sprechen dürfte. Denn die Analyse führt ausschließlich auf die genannten Momente und auf keines mehr, wie es Verbindung qua Verbindung wäre. Sowenig über die unendliche Extension hinaus ein noch umfassenderer Verbindungsgrund vorgestellt werden kann, sowenig über die minima visibilia noch Trennenderes. Wegen ihrer Irreduzibilität bilden beide gleichoriginäre Bestandteile, die zusammen das Wesen des Phänomens Ortsbewegung erschöpfen. Ortsbewegung besteht in nichts anderem als in diesen beiden Momenten in ihrer Gleichursprünglichkeit. Wenn hier keine Aporie auftritt wie ehedem bei der Behandlung des Gestaltphänomens der unendliche Prozeß, so deswegen nicht, weil in und mit dem Prozeß die Aporie selbst zum Prinzip erhoben wird. Das Phänomen Ortsbewegung als solches ist ein Paradox. Wenn unsere Prämisse richtig ist, daß Bewegung im allgemeinen und Ortsbewegung im besonderen sich stets von zwei Seiten, sowohl von phänomenaler wie von rationaler, entsprechend den unterschiedlichen

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B e w e g u n g als aporielose „zweigliedrige E i n h e i t "

Erkenntnisvermögen zeigt, dann muß sich auch der phänomenale Strukturenbestand in der logisch-rationalen Interpretation auf entsprechende Weise reflektieren. Die von den exakten, am Methodenideal der Rationalität orientierten Wissenschaften wie der Physik, insbesondere der Mechanik, bereitgestellte Definition der Ortsbewegung ist schon genannt worden: Es ist der Wechsel von Raumpositionen eines Dinges bzw. Punktes in korrespondierenden Zeitmomenten, also die Zuordnung von Raum- zu Zeitpunkten, die einem Bewegungsträger zugeschrieben wird. An dieser Bestimmung fällt die Auflösung der Bewegung in Punkte räumlich-zeitlicher Art auf. Da Punkte und sie allein exakter Feststellung zugänglich sind, ist mit ihrer Angabe dem rationalistischen Methodenideal der Präzision und Eindeutigkeit Genüge getan. Dem Verstand geht es um Fixierung und Determination, folglich interessiert ihn nur der exakt bestimmbare Punkt, den das Bewegungsobjekt verlassen hat und den es erreichen wird und den es einnehmen würde, wenn es unterwegs hielte, nicht das schlechthin unbestimmbare Hinüber von Punkt zu Punkt. Die anschauliche Basis dieser Fixierung bildet das minimum visibile, das die Bedingungen exakter Punktualität nur approximativ, nicht adäquat erfüllt, somit auf ideale Punktualität lediglich verweist. Erst mit der strikten Erfüllung der Bedingungen geht der phänomenale Limes in den idealen über. Allerdings vollzieht sich dieser Ubergang nicht stufenweise, sondern sprunghaft, da die gegenüber der Phänomenalität andersgeartete Idealität nur durch ein andersgeartetes Erkenntnisvermögen, den Verstand nämlich, faßbar ist. Als absolut ausdehnungslos, unzusammengesetzt und unteilbar, ist der Punkt schlechthin Eines. Er repräsentiert in quantitativer Hinsicht katexochen Einheit, deren Mehrzahl Vielheit ist. So erweist sich exakte mathematische Punktualität in ihrer Verkörperung von Einheit und Vielheit als logische Interpretation des anschaulichen Limesgebildes. Durch Punkte allein wird das Wesen der Ortsbewegung jedoch noch nicht erschöpfend definiert. Denn da Punkte unausgedehnt sind, vermag eine Definition, die sich ausschließlich ihrer bedient, das spezifische Hinüber von einem Punkt zum anderen, das das Überbrückende ausmacht, nicht zu erklären. Es bleibt somit die Frage nach dem logischen Äquivalent für das, was anschaulich als unendliche Extension auftritt. Es scheint, als werde der Ubergang von einem Raum-Zeitpunkt zum anderen bereits durch die Unmittelbarkeit ihrer Kopräsenz bzw. Sukzession garantiert. Denken wir die Ortsbewegung minimal, so daß die neben- bzw. nachgeordneten Punkte und Momente an die vorangehenden

Ortsbewegung als quantitative Erscheinungsweise

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ohne Zwischenglied anschließen, dann scheint sich ein Ubergang automatisch einzustellen. Hiernach wäre Ubergang fundiert in der Immediatheit der Aneinanderreihung. Gegen diese Argumentation läßt sich jedoch einwenden, daß zwischen zwei beliebig herausgegriffenen, noch so nahe beieinander gelegenen Raum- und Zeitpunkten stets noch näher beieinander liegende eingefügt werden können. Es hülfe nichts, die Zahl der Raumstellen und Zeitmomente mittels der Annahme minimaler Intervalle zu vermehren oder den Begriff der Distanz durch den des Differentials zu ersetzen, um die Möglichkeit eines unbegrenzten Anwachsens der Zahl der Intervalle und der mit ihnen verbundenen Stellen zu demonstrieren. Niemals sind zwei Punkte einander unmittelbar benachbart, weil sie alsdann in einem einzigen zusammenfielen 18 . Zwischen ihnen bleibt stets ein Zwischenraum, den es zu überwinden gilt. Logik und Mathematik versetzen sich immer nur an die äußersten Enden eines Intervalls, so klein dies sein mag, in den Standort der Punkte, während zwischen diesen die Extension ungestört und für den Verstand ungreifbar fluktuiert. Dieser Situation vermag die Logik und in ihrem Gefolge die Mathematik nur dadurch Herr zu werden, daß sie zu einer Subsidiärhypothese greift, die in der Annahme eines durch alle Punkte des Bewegungsverlaufs sich erhaltenden Bewegungsträgers besteht. Indem dieser die unzähligen Punkte gleich Akzidenzien auf sich vereint, stellt er deren Zusammenhang und Ubergang her. Dieser Träger, der in concreto in einem Bewegungsobjekt, in abstracto in einem mathematischen Punkt besteht, ist in numerischer Hinsicht Einer. Da er sich als solcher durch die Menge der Punkte durchhält, könnte man geradezu sagen, daß er es sei, der sich in eine unbegrenzte Vielheit auseinanderlege und zugleich deren Einheit stifte. Als Einer in Allem stellt er das logische Pendant zur anschaulichen unendlichen Extension dar. So enthält die logische Definition als Ingredienzien mit der unbegrenzten Menge von Punkten Vielheit und mit dem einen, durchgängigen Träger Einheit. Mit diesen Strukturen bildet sie die genaue Entsprechung zum Bewegungsphänomen mit seinen minima visibilia und der diese umgreifenden Expansion. Die bisherigen Untersuchungsergebnisse überblickend, hat die Analyse auf ein Phänomen und auf eine logische Definition von räumlich-zeitlicher Bewegung geführt, die beide einen paradoxen Strukturenbestand 18

Hier gelten die klassischen Argumente des Aristoteles, die an früherer Stelle, S. 199f, erörtert wurden.

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Bewegung als aporielose „zweigliedrige Einheit"

beinhalten. Das Phänomen auf der einen Seite enthält außer der artspezifischen unendlichen Expansion die weniger spezifische, auf dem endlichen Limes basierende Begrenzung, während die logische Fassung auf der anderen Seite außer der dem Verstand ursprünglich zugehörigen Einheit die von ihr abgeleitete Vielheit aufweist. Jede der beiden Auslegungsweisen involviert ein typisches und ein weniger typisches Moment, mit dem es auf die andere Struktur deutet. Auf diese Weise stellt sich ein wechselseitiger Verweisungszusammenhang her, der als Korrespondenz angesprochen werden kann. Eine Letztbegründung intendierende Untersuchung hat jedoch nicht eher zu ruhen, als bis sie auch noch den zureichenden Grund dieser Korrespondenz aufgefunden oder, bei Mißlingen, den Grund des Scheiterns angegeben hat. Denn bei aller Verzahnung bleibt ein Bruch zwischen phänomenaler und logischer Sphäre, der nach Vermittlung verlangt. Daß dieselbe in der Bewegungsrealität bestehen muß, versteht sich; denn worin sonst sollten phänomenologische Deskription und logische Interpretation konsentieren, wenn nicht im Bewegungsvollzug selbst. Zwar können beide Auslegungsweisen ihr Ziel verfehlen; Täuschung und Irrtum sind nicht prinzipiell auszuschließen. Jedoch vermag dies nicht zu hindern, daß sowohl in der Beschreibung wie in der Definition Bewegung intendiert ist. Versucht man aber, das Faktum der Bewegung als solches zu thematisieren, so sieht man sich auf die der erkennenden Subjektivität einzig möglichen Arten phänomenaler und logischer Deutung verwiesen, die gerade vermittelt werden sollten. Die Argumentation dreht sich im Kreis oder mündet nach dem bekannten Schema in einen infiniten Regreß. Der Vermittlungsgrund in Form des Bewegungsakts erweist sich als schlechthin unübersteigbar. Entzieht er sich im Hinblick auf sein Sein jeder Einsicht, so auch im Hinblick auf seine Vermittlungsfunktion. Woran sollen wir erkennen, daß er es ist, der die Vermittlung leistet? Wie sollen wir ein bestimmtes Prinzip mit einer bestimmten Funktionsweise von der Art des letzten Vermittlungsgrundes ausfindig machen, von dem wir keinerlei Wissen besitzen? Selbst wenn wir ein Prinzip fänden, wie sollen wir es mit dem Gesuchten identifizieren, da uns dessen Struktur unbekannt ist? Hier beweisen jene eristischen, jedoch bis heute unwiderlegten Argumente ihre Gültigkeit, die Piaton gegen die Möglichkeit des Suchens und Lernens aufbrachte und die sich in folgende Alternativen gliedern lassen: Was wir schon wissen, brauchen wir nicht zu suchen, denn wir wissen es ja; was wir aber noch nicht wissen, können wir auch nicht suchen, da wir nicht wissen, wonach wir suchen sollen; und gesetzt den Fall, wir fänden dasselbe unter

Veränderung als qualitative Erscheinungsweise

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den begegnenden Sachverhalten, wie sollen wir es mit dem Gesuchten identifizieren, da wir dies nicht kennen 1 9 . In der Frage der Letztbegründung sehen wir uns dem Paradox konfrontiert, daß der Vermittlungsgrund, die Faktizität der Bewegung, sich beständig in phänomenaler und logischer Deutung manifestiert, selbst aber als Vollzug verborgen bleibt. Zwar haben wir die Produkte des Grundes, die Glieder der Relation, nicht jedoch den Grund bzw. die Relation selbst. 5. Veränderung als qualitative Erscheinungsweise des Vermittlungsprinzips Bisher wurde Bewegung in Form von Ortswechsel betrachtet. Da diese Betrachtungsweise ausschließlich rein geometrische und chronometrische Verhältnisse in Erwägung zog und die übrigen Eigenschaften ignorierte, blieb sie eine Abstraktion. Zur vollständigen Determination der Bewegung gehören außer den quantitativen Bestimmungen der Meßbarkeit und Zählbarkeit auch die der Qualität. Denkt man sich die Aufeinanderfolge der Positionen eines Bewegungsobjekts nicht nur nach Ortsbestimmungen unterschieden, sondern zugleich nach qualitativen Beschaffenheiten, so erhält man einen mit Ortswechsel gekoppelten Zustandswechsel. Allerdings liegt hier noch der Spezialfall einer Veränderung vor, die an Ortsbewegung gebunden ist. Abstrahiert man von der letzteren, so gelangt man zu einer reinen Veränderung, für die es, zumindest prima vista, irrelevant ist, ob sie mit Ortsbewegung einhergeht oder an einem bestimmten Ort stattfindet oder als exklusiv temporaler Vorgang aufzufassen ist wie eine Sequenz von Tönen. Indes zeigten frühere Überlegungen, daß die Zeit zu ihrer Veranschaulichung des Raumes bedarf, desgleichen der zeitliche Wechsel von Bestimmungen der räumlichen Positionsfolge, so daß Veränderung stets und wesenhaft mit Ortswechsel einhergeht, mögen nun wie bei der Modifikation an einem Ort interne Bewegungen im Gegenstand stattfinden oder wie bei der rein temporalen die Bestimmungen einem räumlichen Substrat und dessen Bewegung zuzuordnen sein, wie z . B . die Tonsequenz der Luft und ihren Schwingungen.

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Vgl. Menon 80 d f. Die Unwiderlegtheit dieser Argumentation bestätigt ihr beharrliches Fortleben in jeder Identifikationstheorie. So bedient sich beispielsweise auch D. Henrich: Selbstbewußtsein in Hermeneutik und Dialektik, Festschrift für H . - G . Gadamer, Tübingen 1970, S. 268 derselben bei der Frage nach der Möglichkeit der Identifikation des Ich qua Subjekt mit dem Ich qua Objekt im Rahmen der Selbstbewußtseinstheorie.

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Bevor wir der Struktur der Veränderung weiter nachforschen und sie nach ihrer phänomenalen und logischen Seite entfalten — stets im Blick auf die Frage, wie Veränderung als q u a l i t a t i v e Erscheinung von Bewegung den Forderungen eines Vermittlungsprinzips genügt —, muß geklärt sein, wie sie uns „gegeben" ist. Denn daß Veränderung als Wechsel von Zuständen, der sich an einem identischen Gegenstand vollzieht, zulänglich beschrieben sein sollte, ist keineswegs evident, könnte es sich doch hierbei um eine rationale Konstruktion handeln, die in ihrem Bemühen um Klarheit und Deutlichkeit die spezifische Gegebenheitsweise gerade zerstörte. Bestätigt wird diese Vermutung durch eine Reflexion zum einen auf den Status der Zustände, zum anderen auf den des identischen Substrats. Nicht von ungefähr bilden diese beiden Kriterien das permanente Streitobjekt zwischen Logikern und Phänomenologen bzw. Psychologen 2 0 . Gegen die Fassung der Veränderung durch Zustände und deren Sequenz erheben sich seitens der Phänomenologie Bedenken insofern, als Zustände schon der Wortintention nach etwas Stehendes, Bleibendes, Unveränderliches bezeichnen, aus Unveränderlichem aber keine Veränderung hervorgeht. Beobachtung und Experiment lehren zudem, daß das Gewahren von Veränderung nicht von der Distinktion von Zuständen dependiert, im Gegenteil, daß Veränderung um so nachhaltiger empfunden wird, je weniger distinkte Einzelzustände sich aus dem Veränderungsprozeß absondern. So erzeugt eine Melodie den reinsten Eindruck eines klanglichen Wandels, ohne daß die einzelnen Töne voneinander distinguierbar wären. Gelingt es hingegen, einen bestimmten Ton herauszuhören und festzuhalten, so schwindet die Veränderungsimpression. Sie geht genau dann verloren, wenn die Definition erfüllt ist. Wie im Fall der Ortsbewegung gilt auch hier das Gesetz der umgekehrten Proportionalität zwischen der Wahrnehmung von Veränderung und der von: Zuständen. Zwar haben wir die Gewohnheit, die Gehörswahrnehmung mit visuellen Bildern zu konfundieren, der ungebrochen von Anfang bis Ende reichenden Melodie die diskreten Noten eines Notenblatts oder das Anschlagen der Klaviertasten zu substituieren und sie auf diese Weise in eine Auf-

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Vgl. die bei M. Merleau-Ponty, a . a . O . , S. 311 ff dargestellte Kontroverse über Ortsbewegung und Veränderung zwischen P. F. Linke als Exponenten der logischen Richtung und M. Wertheimer als Exponenten der psychologischen. Zu Veränderung s. besonders S. 3 1 5 f , 319 Anm. Merleau-Ponty selbst bezieht eine mittlere Position durch Einschränkung beider Theorien. Außerdem vgl. die vom phänomenologischen Standpunkt aus gemachten Ausführungen H. Bergsons zu Veränderung in Denken und schöpferisches Werden, a . a . O . , besonders S. 1 6 6 f f .

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einanderfolge disparater Töne aufzulösen. In den exakten Wissenschaften findet sich diese Gewohnheit zur methodischen Maxime erhoben, insofern die qualitativen und quantitativen Veränderungen anhand von Skalen wohlunterschiedener Grade gemessen werden. Phänomenologisch jedoch ist die Interpretation durch nichts legitimiert. Denn über lauter Zustandsfixierung vergißt der Logiker den eigentlichen Wandel, der im Hinüber von Zustand zu Zustand besteht und ein Vergehen des einen und gleichzeitiges Entstehen des anderen ist; und dieser allein zieht das Interesse des Phänomenologen auf sich. Ebenso bestehen gegen die Annahme eines identischen Gegenstands, dem die differenten Zustände inhärieren und an dem sich ihr Wechsel vollzieht, Bedenken. Die Notwendigkeit einer solchen Annahme begründet der Logiker mit dem Argument, daß andernfalls die sinnvolle Rede von Veränderung entfällt. Würde der Gegenstand plötzlich verschwinden und unmittelbar darauf ein neuer an seine Stelle treten, so bestände kein Grund, hier noch länger von der Veränderung des einen und selben Gegenstands zu sprechen, sondern nur von der Vernichtung des einen und dem Ersatz durch den anderen. Die philosophischen Lehren der mittelalterlichen arabischen Motakallimun und der späteren Okkasionalisten haben diese Konsequenz in ihrer Rigorosität gezogen. Ihnen zufolge besteht Wandel darin, daß nacheinander der Gegenstand destruiert und durch einen neuen ersetzt wird. Da jeder Gegenstand von der Zeit seiner Schöpfung bis zu seinem Untergang unverändert in sich ruht, setzt sich Wandlung aus einer Abfolge unveränderter Gegenstände bzw. deren Zuständlichkeiten zusammen, die zwar abgestuft modifiziert sind, jedoch nichts miteinander zu tun haben. Echte Wandlung differiert aber evidentermaßen von einer Reihe beziehungsloser und unverbundener Gegenstände bzw. deren Zuständen. Denn sagen wir — um ein Beispiel P. F. Linkes 2 1 aufzugreifen —, ein Fakir verwandle ein Ei in ein Taschentuch oder der Zauberer verwandle sich in einen Vogel auf dem Palastdach, so wollen wir gerade nicht zum Ausdruck bringen, daß der betreffende Gegenstand oder das betreffende Wesen vernichtet und gleich darauf durch einen anderen bzw. ein anderes ersetzt wird, sondern daß ein und derselbe Gegenstand aus dem einen Zustand in den anderen übergeht, wobei die Zustände lediglich Erscheinungsweisen desselben Gegenstands sind. Der Argumentation des Logikers ist phänomenologisch entgegenzuhalten, daß das dem Wechsel der Zustände supponierte identische Substrat 21

A . a . O . , S. 8f.

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nicht wahrgenommen werden kann. Ließ die Ortsbewegung, zumal wenn sie langsam geschah, noch die Möglichkeit einer Fixierung und Identifikation des Bewegungsträgers während des gesamten Bewegungsablaufs durch alle Phasen hindurch zu, so entfällt diese Möglichkeit bei der Veränderung, da stets nur die Erscheinungsweisen des Gegenstands, niemals dieser selbst gegeben ist. Aus phänomenologischer Sicht existiert kein identisches Substrat h i n t e r den variablen Erscheinungen, sondern nur eines in ihnen. Ein Substrat gibt es nur als im Wandel begriffen, als ein „Etwas im Wandel". Indem es solcherart im Wandel sich dokumentiert, dokumentiert es auch seine Identität in der Identität des Wandels qua Wandels. Aus diesem Grunde ist die Auflösung bzw. Zusammensetzung einer gleichförmigen, ζ. B. von Α nach Β reichenden Veränderung, etwa einer bestimmten Klanggestalt, in eine Anzahl kleinerer Veränderungen illegitim. Zwar vermag die Veränderung in einem Bruchteil der Zeit nur einen Bruchteil der Gesamtveränderung zu erreichen, im nächsten Bruchteil wieder einen und so fort. Doch berechtigt das nicht, die eine, einheitliche Veränderung aus einer Vielzahl verschiedenartiger hervorgehen zu lassen. Ohne Zweifel könnte die Veränderung statt von Α nach Β nur bis zu einem Zwischenstadium reichen, dann aber läge eine andere, mindere, wiewohl ebenso einfache Veränderung vor. Würde die Melodie früher enden, so wäre es nicht mehr dieselbe Klanggestalt mit derselben Tonmasse, sondern eine andere, kürzere, obzwar der Form nach der ersten vergleichbare. Hingegen resultiert aus der Zusammensetzung verschiedener Melodien, die durch Pausen, Zustände der Unveränderlichkeit, getrennt sind, nicht eine neue Melodie, sondern ein musikalischer Satz. Die Variation mag so klein oder so groß sein, als sie wolle, als Variation ist sie eine einheitliche Gestalt, deren Anfangs- und Endzustand wegen der Relativität der Größe beliebig hinausschiebbar sind. Damit dürfte die Sicherung des Phänomens Veränderung so weit gediehen sein, daß es jetzt nicht schwerfallen kann, dasselbe auf seine Strukturen hin zu diagnostizieren. Da dies laut Voraussetzung im Hinblick auf die qualitativen Bestimmungen geschehen soll, dieselben aber im Phänomenbereich als Homogenität und Inhomogenität auftreten, hat sich die Analyse darauf zu konzentrieren, ob Veränderung de facto das gleichzeitige Vorkommen beider bestätigt. Sofern Veränderung ein G e s t a l t p r o z e ß ist, der in einem einzigen Wandlungsgeschehen von einem bestimmten Zustand zu einem anderen, davon verschiedenen reicht, muß ihr ein bestimmter Stil konzediert werden, in dem sich die Einheit und Geschlossenheit des Geschehens doku-

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mentiert. Veränderung stellt eine Modulation dar, die getragen wird von einer Zeitwelle und Feldstruktur aufweist. Sofern Veränderung aber auch ein G e s t a l t p r o z e ß von beliebiger Spannweite ist, muß diese Modulation als relative betrachtet werden. Diesem Umstand verdankt sich, daß jede Veränderungsgröße mit jeder anderen komparabel ist: Wie sich das Ganze der Veränderung strukturell im Teil und im Teil des Teils und so fort spiegelt, so auch jeder Teil im Ganzen. D a es keine Privilegierung eines Abschnitts vor dem anderen gibt, ist Veränderung absolut gleichartig. Noch durch ein anderes Argument läßt sich die Notwendigkeit der Homogenität der Veränderung sichern. Wäre Veränderung qua Veränderung veränderlich und damit ungleichartig, indem sie auch Nicht-Veränderung wäre, so kollabierte sie am Selbstwiderspruch. U m ihre Aufgabe des Hinüber von einem Zustand zum anderen erfüllen zu können, muß sie gleichmäßig sein; das Vergehen des einen Zustands und das Entstehen des anderen muß einen Akt ausmachen. Wie Homogenität zum Phänomen Veränderung gehört, so gehört auch Inhomogenität zu ihm. Wurde darunter im Vorangehenden die auf der Abgrenzung nach außen — hier gegen andere Veränderung — beruhende Verschiedenheit verstanden, so soll diese Bedeutung hier beibehalten werden. Auf Inhomogenität weist bereits die Tatsache, daß Veränderung ein Gestaltprozeß mit relativem Anfangs- resp. Endzustand ist, folglich auch die Eigenschaften der Gestalt: Begrenzung und deren qualitativen Ausdruck: Zustand teilen muß. Zugleich wird hieraus ersichtlich, daß die Erörterung der Inhomogenität in die Limesdiskussion fällt. Läßt man Veränderung gegen Null, absolute Unveränderlichkeit, tendieren, die mit Still-Stand und folglich mit Zu-Stand zusammenfällt, so zeigt sich, daß dieser Prozeß anschaulich keineswegs beliebig fortsetzbar ist. Vielmehr gelangt er an ein Stadium, das sich weiterer Reduktion widersetzt. Dieses Stadium, das ein Phänomen sui generis darstellt, ist deskriptiv nur schwer zu fassen. A m ehesten läßt es sich durch eine noch nicht zum Abschluß gelangte Veränderung, die dennoch nicht vom Flecke kommt, wiedergeben, so wie man auch von einer in sich stehenden Bewegung spricht. Wie diese keinen absoluten Stillstand und Ruhe bezeichnet, welche das Ende von Bewegung, deren qualitativ Anderes, wären, so meint jene keine absolute Invarianz und Zuständlichkeit, sondern einen in sich vibrierenden Zustand. Eine gewisse innere Variabilität kann ihm nicht abgesprochen werden, wenngleich diese so beschaffen ist, daß sie jeden Vergleich mit einer endlichen Veränderungsgröße ausschließt. Veränderung aus solchen Zuständen konstituieren zu wollen, wäre unmöglich. Denn obwohl

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dieselben eine gewisse Variationsbreite besitzen, so doch keine exakt angebbare. Mit diesen anschaulichen Zuständen ist ein phänomenaler Limes erreicht, der im Unterschied zum idealen einen positiven, obzwar unbestimmten Wert behält. Absolut invariante Zustände sind niemals anschaulich gegeben, sondern nur denkbar; sie werden durch die anschaulichen Zustände allenfalls indiziert. Diese anschaulichen Zustände nun, mit denen Veränderung beginnt und endet und die selbst wieder End- bzw. Initialzustände einer ins Unbegrenzte ausdehnbaren Veränderung sein können, sind es, die Ungleichartigkeit in die Gleichartigkeit des Wandels bringen. So weist das Phänomen Veränderung zwei konstitutive Merkmale auf: Homogenität einerseits, basierend auf dem Hinüber von einem Zustand zum anderen, auf dem eigentlichen Wandel als Vergehen des einen und Entstehen des anderen, und Inhomogenität andererseits, basierend auf den limitierenden phänomenalen Zuständen. Da beides Wesensbestimmungen sind, kehren sie in jeder Veränderung wieder. Daß mit ihnen der gesamte Phänomenbestand erschöpft ist, ergibt sich daraus, daß eine noch gleichartigere Struktur als Homogenität und eine noch ungleichartigere als Inhomogenität, welche die Explikate von Gleichartigkeit und Ungleichartigkeit sind, nicht vorgestellt werden kann. Dadurch daß beide durch alle Veränderung hindurchgehen, bilden sie letzte Strukturen. Daß in Veränderung das Zugleichsein diametral entgegengesetzter Strukturen begegnet, ist nicht weiter verwunderlich, da Veränderung ein Gestaltphänomen ist und damit auch die für dieses typischen Eigenschaften besitzt; verwundern könnte allenfalls, daß sie nicht an den Aporien jenes partizipiert, also nicht dem infiniten Prozeß unterliegt. Eine Erklärung findet dies darin, daß sie eine Gestalt eigener Art vorstellt, eine prozessuale, die vom Widerspruch der Strukturen lebt. In ihm hat sie ihr Lebenselement. Dem phänomenalen Strukturenbestand und der Art seiner Internbeziehung muß die logische Bestimmung gemäß sein. Den Erweis kann nur die Analyse der von den exakten Wissenschaften bzw. von einem rationalen Standpunkt aus aufgestellten Definition erbringen. Von den Rationalisten des 18. Jahrhunderts, Wolff, Baumgarten, Meier u. a., wird Veränderung definiert als „successio determinationum oppositarum in eodem ente" 2 2 . Auf diese Definition geht auch die Kantische von 22

Diese Formulierung stammt zwar aus Kants Vorlesungen über Metaphysik (hrsg. v. Pölitz, Erfurt 1821, neu hrsg. ν. Κ. H. Schmidt, Roßwein 2. A u f l . 1924, S. 28 f), jedoch waren diese ganz im Stile traditioneller Metaphysik gehalten. Vgl. Baumgarten: Meta-

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der „Verbindung kontradiktorisch einander entgegengesetzter Bestimmungen im Dasein eines und desselben Dinges" 2 3 zurück. Im wesentlichen hat sich diese Fassung unverändert bis in die moderne Wissenschaft erhalten. Symptomatisch für sie ist, daß die im definiendum stehende Veränderung im definiens durch Zustände (determinatio, Bestimmung) substituiert wird. Unter den definierenden Termen kommt der Begriff „Veränderung" oder ein Synonym wie „Wandel", „Wechsel" nicht mehr vor. Könnte ein solcher in dem Definitionsversuch der Rationalisten noch durchzuschimmern scheinen in der Zeitbestimmung der successio, so ist er spätestens in der Kantischen Formulierung durch den Begriff der Verbindung ersetzt. Diesen Sachverhalt könnte man dadurch zu rechtfertigen versuchen, daß andernfalls die Definition tautologisch ausfiele, insofern Veränderung durch Veränderung bestimmt würde. Doch diese Erklärung bleibt an der Oberfläche. Der tiefere Grund ist darin zu sehen, daß der definierende Verstand einzig und allein Interesse an dem hat, was clare et distincte 24 erkennbar ist. Das aber ist im Unterschied zum vage und unbestimmt Bleibenden der Anschauung das Konstante, Invariante, und von dieser Art erweisen sich allein die Zustände, von und zu denen der Wandel erfolgt, nicht der Wandel selbst als das reine Zwischen. Die Ansatzpunkte zur Fixierung von Z u s t ä n d i g k e i t e n findet der Verstand in den phänomenalen Grenzgebilden, die im Rahmen der Anschauung die exakten Zustände antizipieren. Ihre Vollendung erfahren sie erst in den letzteren, die nur dem Verstand begreifbar sind. Aufgrund ihrer absoluten Invarianz sind die Idealzustände notwendig mit sich selbst identisch und von anderen unterschieden, so daß sie einzeln Selbstidentität und zusammen Differenz zum Ausdruck bringen und damit die begrifflich exakte Entsprechung zu den in der Sphäre der Inexaktheit verbleibenden anschaulichen Grenzzuständen bilden. Allerdings ist durch die Diversität der Zustände das Wesen von Veränderung noch nicht zureichend erfaßt. Ungelöst ist weiterhin die Aufgabe, ein einigendes Kriterium zu finden, das der Gleichförmigkeit des Wandels, des Übergangs von einem Zustand zum anderen, logisch korrespondiert. Gewöhnlich meint man, der Zusammenhang differenter Zustände werde bereits durch die Identität des Orts verbürgt, vorausgesetzt, daß sich die Veränderung an einem bestimmten Ort abspielt. Entdeckt man an

23 24

physica, § 125: „Ipsa autem determinationum in ente successio, est eius, et simul determinationum eius, m u t a t i o . " Kritik der reinen Vernunft Β 291 (III, 200). Clare meint das, was von anderem, distincte das, was in sich wohlunterschieden ist.

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einer Stelle des Raumes einen dunklen Fleck und kurze Zeit später an derselben einen hellen, so schließt man auf das Verblassen desselben Flecks, wohingegen niemand, der zunächst an einer bestimmten Stelle einen dunklen Fleck und kurz darauf an einer anderen einen hellen erblickt, hier von der Veränderung eines und desselben Flecks sprechen wird, es sei denn, zwischen beiden Stellen habe gleichzeitig eine Ortsbewegung stattgefunden. D a Veränderung ihren Sinn auch dann behält, wenn sie nicht ortsgebunden ist, sondern mit Ortsbewegung einhergeht oder als rein temporaler Vorgang verstanden wird, muß der Zusammenhalt durch etwas anderes gewährleistet sein als durch die Identität des Orts. Eine größere Garantie scheint die Unmittelbarkeit der zeitlichen Sukzession zu bieten; denn da Veränderung ein temporaler Prozeß ist, dürfte die Zeitstruktur eher einen Beitrag zur Einheitsstiftung leisten als eine Raumbestimmung. Hiergegen aber läßt sich einwenden, daß keine zwei Augenblicke einander so dicht folgen, daß nicht noch dichtere eingefügt werden können, und ebenso daß keine zwei Zustände einander so ähnlich sind, daß nicht noch ähnlichere gedacht werden können. Selbst eine unendliche Menge von Zwischenstadien reichte zur Etablierung eines innerlich durchgängigen Zusammenhangs nicht aus, da die disparaten Zustände durch einen Abgrund getrennt bleiben. Da weder die Selbigkeit des Orts noch die Unmittelbarkeit der Folge den Zusammenhang zu garantieren vermag, sieht sich die logische Bestimmung zu einem Supplement genötigt. Dieses bietet sich ihr in der Vorstellung eines identischen Substrats, das den differenten Zuständen zugrunde gelegt wird. In den obigen Definitionen fand es seinen Ausdruck im „ e n s " oder im „Dasein eines Dinges". Dadurch daß dasselbe den identischen Bezugspol der differenten Zustände ausmacht, stiftet es deren synthetische Einheit. Man könnte statt dessen auch sagen, daß das Substrat sich in den verschiedenen Zuständen manifestiert und dennoch als dasselbe sich in ihnen erhält. Gegenüber der ersten Ausdrucksweise hat diese den Vorteil, die Korrespondenz zwischen der durchgängigen Identität des Substrats durch die Verschiedenheit der Zustände hindurch und der anschaulichen durchgängigen Gleichförmigkeit des Wandels evident zu machen. Mit der Differenz der Zustände und der Identität des Bezugspols sind die gesamten in der Definition involvierten Strukturmomente benannt. Über sie hinaus sind weitere weder auffindbar noch denkbar. Suchte man nach einem Ausdruck für die Verbindung und Trennung beider Momente in Form einer Identität bzw. Differenz von Identität und Differenz, so wäre darauf hinzuweisen, daß mit der die Verschiedenheit durchziehenden

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Identität und mit der die Identität auseinanderlegenden Verschiedenheit umfassende Strukturen benannt sind, die wechselweise ineinandergreifen und so in ihrer Gleichursprünglichkeit das begriffliche Wesen von Veränderung erschöpfen. So erweist sich denn die Definition als das genaue logische Pendant zum Phänomen: Der anschaulichen, durch die phänomenalen Grenzzustände indizierten Inhomogenität entspricht die Wohlunterschiedenheit idealer Zustände und der Gleichförmigkeit des Wandels die Identität des Substrats. Ungeklärt ist nur noch, was diese Entsprechung letztlich garantiert. Bei aller Korrespondenz fehlt die Angabe eines Grundes für die Analogie der Strukturen. Mögen Phänomen und Definition auch darin übereinstimmen, daß sie beide gegensätzliche Strukturen aufweisen, so bleiben sie doch mit denselben ihrer jeweiligen Sphäre verhaftet. Zwar enthält das Phänomen außer der für es charakteristischen, auf dem extensionalen Hinüber beruhenden Homogenität die fremdartig erscheinenden limitierenden und insofern inhomogenen Zustände, zwar weist die Definition außer der für den Verstand charakteristischen Identität auch die andersartige, weil nicht ohne Extension verständliche Verschiedenheit auf, aber auch die jeweils „nicht genuinen" Momente verbleiben innerhalb des phänomenalen bzw. logischen Bereichs; und beide Bereiche differieren trotz aller Vor- und Rückverweise essentiell. Daß der gesuchte Vermittlungsgrund für die phänomenale und begriffliche Auslegung von Veränderung in nichts anderem als in dem Faktum „Veränderung" bestehen kann, scheint klar zu sein, weniger jedoch, was es mit diesem Faktum auf sich hat. Denn der Versuch, es auf irgendeine der dem Erkenntnissubjekt möglichen Weisen zu erfassen — die beiden einzigen aber sind die phänomenale und die begriffliche —, ist zum Scheitern verurteilt, weil er zu Phänomen und Definition zurückführt, die gerade vermittelt werden sollten. Das menschliche Erkenntnisvermögen sieht sich vor einer unübersteigbaren Schranke. Zwar wird, was sich im Vermittlungsgrund unthematisch vollzieht, in Phänomen und Definition auf die eine oder andere Art thematisch, jedoch bleibt, was er an ihm selbst ist, einer thematisierenden Auslegung verschlossen. Phänomen und Definition sind Explikate eines an ihm selbst Undurchdringlichen. Das Paradoxe besteht darin, daß der Vermittlungsgrund — der Vollzug der Veränderung — sich beständig in der Vermittlung seiner beiden verschiedenartigen Glieder dokumentiert, insofern der Ubergang vom phänomenalen zum begrifflichen Zustand und vice versa unter qualitativem Gesichtspunkt

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nichts anderes ist als ein Zustandswechsel und damit eine Veränderung, ohne selbst einsichtig zu werden. N u r an seiner Wirkung ist er erkennbar, nicht in seinem Ansichsein. An dieser Stelle legt sich der historische Verweis auf Piatons synthetische Position im Parmenides nahe. Es sind vor allem drei Punkte, die die Bezugnahme rechtfertigen: Zum einen wird von Piaton der im εξαίφνης fundierte Ubergang gegensätzlicher Momente μεταβολή = Umschlag, Wechsel, Veränderung genannt (155e ff). Was in unserer Untersuchung als qualitativer Modus von Übergang spezifiziert wurde, findet hierin seine Antizipation. Zum anderen fällt auf, daß Piaton den Ubergang nicht als einen zwischen gleichartigen Momenten, ζ. B. statischen wie Sein und Nichtsein, Einheit und Vielheit, beschreibt, sondern als einen zwischen ungleichartigen, einem statischen und einem dynamischen, und damit als einen Ubergang von Sein zu Vergehen, von Nichts zu Werden, von Einheit zu Sonderung, von Vielheit zu Vermischung usw. Diese Beispiele sind gewiß nicht zufällig gewählt, sondern können als Indiz einer richtigen Einsicht in den Sachverhalt gewertet werden, den die Analyse inzwischen als das Paradox des Ubergangs herausgestellt hat. Sowohl für die phänomenale wie für die begriffliche Interpretation des Übergangs (hier der Veränderung) sind die beiden heterogenen Momente mit den nötigen Abwandlungen gleicherweise konstitutiv. Veränderung ist nicht ein Drittes, das die beiden Strukturen an sich hat, sondern sie ist überhaupt nichts anderes als die beiden Strukturen in ihrer Gleichunmittelbarkeit. Damit hängt der dritte Punkt zusammen: Auch für Piaton entzieht sich das eigentliche Vermittlungsprinzip, das εξαίφνης, der Einsicht; nicht liegt es in den Gegensätzen, sondern j e n s e i t s derselben. Obwohl es als Ermöglichungsgrund ihres Zusammenhangs fungiert, ist es von ihnen aus nicht greifbar.

6. Werden als relationale Erscheinungsweise des Vermittlungsprinzips Außer in Form von Stellen- und Zustandswechsel als den quantitativen und qualitativen Präsentationsformen von Bewegung zeigt sich Bewegung unter relationalem Aspekt im Modus des Werdens. Relational heißt dieser Aspekt deswegen, weil Bewegung hier in ihrer Eigentümlichkeit als Beziehung zwischen den Relata Grund und Folge, Ursache und Wirkung u. ä. betrachtet wird. Eingespannt zwischen einen, wenngleich relativ zu denkenden Anfang und ein ebensolches Ende, denen in specie die Funktion eines Ursprungs und Ziels zukommt, weist Bewegung neben den schon explizierten Charakteren auch diesen spezifischen Beziehungscharakter auf.

Werden als relationale Erscheinungsweise

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Werden ist als einsinnig vom Ursprung auf das Telos orientierter Prozeß wesentlich vom Telos her zu verstehen. Von ihm bestimmt sich auch sein Anfang. Bedeutet das Ende zugleich die Vollendung, die Erreichung des Intendierten, mithin die Verwirklichung des bisher nur Möglichen, dann muß von dort der Anfang als die bloße Möglichkeit und das Noch-nichtSein gedacht werden. Ist auch das Resultat im Anfang bereits enthalten, so doch nur im Modus der Abwesenheit, des Vorenthaltenseins. Demnach stellt das Werden die Verwirklichung des Möglichen, den Ubergang vom (Noch-)Nichtsein zum Sein bzw. in umgekehrter Richtung vom Sein zum Nicht-mehr-Sein dar. Von Veränderung unterscheidet sich Werden durch seine Zielgerichtetheit. Wenn die erstere den Doppelvorgang des Vergehens des einen Zustands und des gleichzeitigen Entstehens des anderen bezeichnet, also das Anderswerden eines Zustands, so die letztere den Vorgang des Hervorgehens eines bestimmten Zustands resp. den seines Untergangs. Nicht Zustandswechsel ist gemeint, sondern überhaupt erst Entstehen bzw. Vergehen eines Zustands. Daß Werden dennoch kein total anderer Vorgang ist als Veränderung und im weiteren Stellenwechsel, wie Aristoteles meinte, wenn er Werden als Bewegung, die unter die Substanzkategorie zu subsumieren ist, von den anderen Arten, die den akzidentellen Kategorien (Qualität und Ort) unterstehen, abgrenzte, daß Werden vielmehr nur eine andere Betrachtungsweise desselben Sachverhalts ist, geht aus der Uberlegung hervor, daß die Substanz niemals an sich, sondern immer nur in ihren Zuständen greifbar ist, folglich das Entstehen und Vergehen einer Substanz niemals anders erklärt werden kann denn als Ubergang aus dem Zustand ihres Nichtseins in den ihres Seins und vice versa. Da Tvir es also bei Werden mit keinem prinzipiell anderen Fall zu tun haben als bisher, kann auch die Strukturanalyse auf keine prinzipiell anderen Strukturen treffen als diejenigen, denen wir bei Ortsbewegung und Veränderung begegneten, nur mit dem Unterschied, daß jetzt entsprechend dem relationalen Gesichtspunkt nicht mehr die quantifizierbaren Stellen und qualitativen Zustandsbestimmungen, sondern die Zusammenhangsverhältnisse interessieren. Zuvor bedarf es jedoch einer Klärung, welche Form von Werden der Strukturanalyse zugrunde zu legen ist; denn die bisherige Bestimmung des Werdens kann nur als propädeutische gelten, da sie die Zugehörigkeit zum phänomenalen oder logischen Bereich offenläßt. Gemäß unserem Programm sind beide Versionen zu explizieren und daraufhin zu untersuchen, ob sie den Voraussetzungen eines Vermittlungsprinzips genügen; sodann ist beider Verhältnis zueinander zu diskutieren.

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In der Überschrift zum dritten Absatz des ersten Kapitels der Wissenschaft der Logik 25 definiert Hegel „Werden" als „Einheit des Seins und Nichts". Diese Definition mag pars pro toto für alle diejenigen stehen, die Werden als „Ubergang von Sein zu Nichts und umgekehrt" oder als „Verbindung beider" u. ä. bestimmen. Der Versuch einer Klassifikation dieser Definition decouvriert dieselbe, da Sein und Nichts Zuständlichkeiten bezeichnen, als logische 26 . Mittels statischer Zustände wird ein dynamischer Sachverhalt zu objektivieren, d. h. als Gegenstand zu fixieren und auf unumstößliche Begriffe zu bringen versucht. Erkauft wird diese Objektivität um den Preis der Dynamik des Geschehens. Denn wie schon aus früheren Bewegungsfällen bekannt ist, läßt sich Bewegung, hier in specie Werden, niemals aus durativen Zuständen konstituieren. Stillstände ergeben niemals Werden; denn letzteres meint gerade die Aufhebung von Stillstand. Soll daher das genetische Phänomen selbst zur Sprache kommen, so kann dies nur via negationis der rationalen Bestimmung geschehen. Wie Experimente bestätigen, wird Werden nur dann wahrgenommen, wenn die möglichen Stadien des Geschehens voll in den Prozeß integriert sind und ihr Eigendasein verloren haben. Als Beleg mag das Werden des Tags oder die in Zeitraffung kinematographisch vorgeführte Entwicklung einer Pflanze aus dem Samen zum entfalteten Gewächs dienen. Diese Beispiele bestätigen das allgemeine Gesetz, daß der Eindruck des Werdens um so stärker ist, je weniger sich die durchlaufenen Stadien in ihrem spezifischen Sosein absondern, und um so schwächer, je mehr sie sich als Einzelstadien herausheben. Bei Verlangsamung der kinematographischen Vorführung geht der kontinuierliche Prozeß in eine diskontinuierliche, ruckartige Folge von Stadien über, dergestalt daß eine bestimmte Phase, die eine Weile zurückgehalten erscheint, plötzlich in die nächste überspringt. Je stärker sich der Vorgang der rationalen Bestimmung annähert, desto mehr schwindet das Erscheinungsbild des Werdens. Zwar wird man angesichts der Relativität der Wahrnehmung die Existenz von Zustandsgegebenheiten für den phänomenalen Bereich nicht gänzlich dementieren können, denselben aber eine subordinierte Rolle zusprechen müssen. So gilt auch

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V, 83. Dies gilt auch dann noch, wenn man einwenden wollte, daß die Hegeischen Begriffe Sein und Nichts, in parmenideischer Tradition stehend, Anschauungsinhalte, nämlich den vollen und leeren, bezeichneten und in ihnen Anschauung und Denken konfundiert würden (vgl. E. Tugendhats Aufsatz: Das Sein und das Nichts, a. a. O.). Denn auch als solche differenten Anschauungsgehalte stellen sie begriffliche Ausgrenzungen und Determinationen dar.

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hier das Gesetz, daß wahrgenommenes Werden und wahrgenommene Zustände sich umgekehrt proportional verhalten. Noch ein weiterer Punkt, der auch schon in den vorangegangenen Fällen von Bewegung eine Rolle spielte, verdient Beachtung, die Tatsache nämlich, daß phänomenal ein Substrat des Werdens nicht aufzufinden ist, weder ein vollständig noch ein unvollständig bestimmtes. Über die bisher vorgetragenen Argumente hinaus, denen zufolge der Träger anschaulich niemals selbst, nur in seinen Zuständen faßbar ist, kann beim Werden noch das hinzugefügt werden, daß er überhaupt erst am Ende des Prozesses vom Nichtsein zum Sein vorliegt, nicht schon während desselben. In den Erscheinungen existiert er allenfalls in Form eines kontinuierlichen Werdens, nicht in der eines ihnen bereits z u g r u n d e liegenden Substrats. Präsentiert sich das Werden phänomenal als ein kontinuierlicher Prozeß, so ist es unstatthaft, dasselbe in diskrete Vollzüge zerlegen oder aus solchen zusammensetzen zu wollen. Zwar beansprucht das Werden eine gewisse Zeit und vollzieht sich über Stufen, die auf eine räumliche Skala projizierbar sind, zwar lassen sich Zeit und Raum beliebig teilen, woraus folgt, daß dies auch für das Werden gelten muß, nur ist Teilbarkeit nicht mit Aktualteilung zu konfundieren und somit der ununterbrochene Werdevorgang nicht aus disparaten Vollzügen, die durch Pausen und Stillstände getrennt sind, zu konstituieren. Die möglichen Stadien sind keine realen Halte-, sondern nur Durchgangspunkte. Zwar könnte das Werden statt bis zu einem bestimmten Zustand nur bis zu einem Zwischenzustand reichen oder auch darüber hinausgehen, aber alsdann handelte es sich um ein Werden geringeren bzw. größeren Ausmaßes, wiewohl um einen ebenso kontinuierlichen Vorgang wie den ersten. Ungeachtet der Reichweite, die jede beliebige Größe annehmen kann, bleibt der Prozeß an ihm selbst einer, in sich durchgängig kontinuierlich. Dadurch daß sich die Geschlossenheit des Prozesses vom Nichtsein zu einem bestimmten Sein unbegrenzt ausweiten läßt, erscheint das Werden phänomenal ebenso wie die anderen Formen von Bewegung als Gestaltprozeß, bei dem kein Stadium definitiv ist, sondern beliebig überschritten werden kann. Nachdem das phänomenale Werden so weit exponiert ist, läßt sich sein Strukturenbestand leicht diagnostizieren. Unter relationalem Aspekt interessieren vorzüglich die Zusammenhangsverhältnisse der Kontinuität und Diskontinuität. Gibt es eine Bestätigung dafür, daß beide Letztimplikate des Phänomens sind, wie dies der Fall sein muß, wenn das Werden den Bedingungen eines Vermittlungsprinzips unter relationalem Aspekt genügen soll?

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Den Beweis für das Vorliegen der Kontinuität liefert das Faktum, daß das Werden phänomenal als ein einziger Prozeß auftritt, dessen Ursprung und Ziel aufgrund ihrer Relativität beliebig verschiebbar sind. In diesem Prozeß muß daher jede willkürlich herausgegriffene Phase mit der ihr unmittelbar vorangehenden und folgenden kontinuierlich verbunden sein und über diese mit der dieser vorangehenden und folgenden und so in infinitum. Alle zusammen bilden einen ununterbrochenen Zusammenhang, so daß jede Isolation einer bestimmten Phase auf einem gewaltsamen Akt beruht. Es darf in diesem Kontext angemerkt werden, daß bereits die Wortbedeutung von „Entspringen", „ S p r u n g " , welche mit „Entstehen" als einem Modus von Werden synonym ist, im Gegensatz zur üblicherweise supponierten Auffassung, wonach sie etwas Sprunghaftes, Abruptes bezeichnet, den Hinweis auf Kontinuität involviert. Der Sprung setzt eine Kluft voraus, die er zu überwinden hat. Zur Erbringung dieser Leistung darf er in sich selbst nicht „gesprungen", d. h. unterbrochen sein, sondern muß in einem einzigen Akt von einem zum anderen Ende der Kluft reichen. Sein Sinn besteht somit gerade nicht in Gebrochenheit, sondern in Uberwindung derselben. Freilich ist damit das phänomenale Wesen noch nicht vollständig durchdrungen. Daß das Werden außer der im Hinüber gründenden Kontinuität auch Diskontinuität impliziert, geht daraus hervor, daß es ein Prozeß zwischen Ursprung und Ziel, wenngleich relativen, ist. Begrenzung aber bringt Diskretheit mit sich und die den Prozeß durchziehende Begrenzung durchgängige Diskretheit. Bei deren Deskription ist dieselbe Umsicht geboten, die schon in den früheren Fällen von Limesbildung indiziert war. Denn für den phänomenalen Bereich ist charakteristisch, daß der Limes stets ein positiver bleibt, ohne jemals in ein gänzliches Nichts überzugehen. Daher läßt sich das Werden und mit ihm seine Kontinuität selbst bei noch so großer Approximation an Null niemals total zum Verschwinden bringen, niemals in die absoluten Stillstände Sein und Nichts überführen, welche als das Ende des Werdens zugleich das Ende der Kontinuität und also Diskretion bedeuten. Stets bewahrt der Limes einen Rest prozessualer Kontinuität, wenngleich dieser jeden Vergleich mit einem endlichen Prozeßausschnitt ausschließt. Dieser Rest sichert ihm jedoch die Zugehörigkeit zur extensionalen Sphäre. So hätten sich Kontinuität und Diskontinuität beide als gleichermaßen zum phänomenalen Strukturenbestand des Werdens gehörig erwiesen. Mit ihnen ist derselbe aber auch erschöpft; denn noch originärere Zusammenhangsverhältnisse als Kontinuität und Diskontinuität, die den Zusammen-

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hang und die Trennung der beiden selbst noch leisteten, lassen sich deswegen nicht auffinden, weil Diskontinuität die ganze Kontinuität durchzieht und Kontinuität in aller Diskontinuität präsent ist. Sowenig wie irgendein anderes dynamisches Phänomen ist auch das Werden qua Phänomen definierbar; denn Definition verlangt Fixierung und Determination, während das Werden als Vollzug sich jeder Fixierung entzieht. Gleichwohl bietet es die anschauliche Basis für eine logische Bestimmung. Was aber kann von einer solchen überhaupt noch erwartet werden? Wie vermag sie auf ihre, nämlich auf begriffliche Weise den genetischen Sachverhalt in den Griff zu bekommen? Die definitorische Bestimmung des Werdens haben wir bereits kennengelernt in Form des Ubergangs vom Nichtsein zum Sein eines Dinges bzw. umgekehrt von dessen Sein zu dessen Nichtsein oder, in Hegels Worten, als Einheit von Sein und Nichts. Die Hegeische Formulierung verdient insofern Präferenz, als sie den Begriff „ U b e r g a n g " der ersten Fassung, der die Definition zirkulär werden läßt, durch den weniger problematischen der „Einheit" ersetzt. Nach allem bisher Dargelegten kann es nicht verwundern, daß die logische Fassung auf die starren Zuständlichkeiten des Ursprungs und Resultats des Werdens abhebt, die durch das Noch-nicht- bzw. Nichtmehr-Werden charakterisiert sind. Diese Abhebung geschieht in Ubereinstimmung mit der Natur des Verstandes, der sich nicht nur als ein Vermögen der Fixierung und Grenzsetzung erweist, das auf Einfaches zielt 2 7 , auch nicht nur als ein Vermögen klarer und deutlicher Erkenntnis, das auf Distinktes geht 2 8 , sondern auch als ein Vermögen der Vergegenständlichung, das auf Stehendes, Beharrliches gerichtet ist 2 9 . Von dieser Art aber erweist sich nur das Gewordene und Ungewordene, nicht hingegen das Werden selbst. Der Verstand muß an diesem interessiert sein, weil er allein durch feste Anhaltspunkte, die er in den kontinuierlichen Prozeß der Genesis hineinträgt, sich denselben zu unterwerfen und zu beherrschen vermag. Die Möglichkeit zu solcher Objektivation bieten die anschaulichen Zustandslimiten, die aufgrund ihrer Gebundenheit an die Anschauungsstruktur die Bedingungen idealer Zustände nicht zu erfüllen vermögen,

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Vgl. die A u s f ü h r u n g e n im A b s a t z „ O r t s b e w e g u n g " . Vgl. die A u s f ü h r u n g e n im A b s a t z „ V e r ä n d e r u n g " . D i e hier v o r g e n o m m e n e n Distinktionen der Funktionsweisen des Verstandes, die realiter nur z u s a m m e n v o r k o m m e n , entsprechen den verschiedenen Gesichtspunkten unserer Untersuchung.

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wohl aber eine Tendenz zu denselben haben. Erst der Verstand verhilft ihnen zu adäquatem Ausdruck. Ist damit auch ein erster Bestandteil der Definition genannt, so reicht er zur vollständigen Erfassung des logischen Wesen des Werdens nicht aus. Denn die Zustände Sein und Nichts sind isolierte, beziehungs- und verbindungslose Instanzen, deren Zusammenhang der Erklärung bedarf. Sowenig im allgemeinen die bloße Zusammenstellung von Relata schon eine Relation ergibt, sowenig ergibt im besonderen die Aneinanderreihung diskreter Zustände (Sein und Nichtsein) deren Zusammenhang. Denn mögen Ursprung und Resultat noch so nahe beieinander liegen, die Möglichkeit der Einschaltung von Zwischenstadien beweist ihre Kluft. Diese vermag der Verstand mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln nicht anders zu überwinden als durch die Hypothese eines Substrats — in der obigen Definition wurde dieses durch „Ding" ausgedrückt —, das als Grund und Bezugspol der Zustände fungiert und diese als Akzidenzien auf sich vereint. Die Konstruktion eines Trägers von Eigenschaften, eines Inhabers von Attributen u. ä. erweist sich auch hier als geeignetes Modell zur Erklärung des Zusammenhangs. Daß mit diesem Träger nicht anderes gemeint sein kann als ein logisches Subjekt und mit den Akzidenzien nichts anderes als dessen Prädikate, geht schon daraus hervor, daß es sich um eine logische Setzung handelt. Was der Träger an sich ist, bleibt ungewiß. Wie das Wort χ eine Unbekannte bezeichnet, so steht auch der Träger für ein unbestimVntes Etwas, dies nicht zuletzt deswegen, weil das Etwas in seiner vollständigen Bestimmtheit, seinem Sein, erst am Ende respektive allein am Anfang des Werdeprozesses vorliegt und auch dann ausschließlich in seiner Zuständlichkeit, nicht in seinem Ansich erkennbar ist. Die Sprache vermag diesen Sachverhalt nicht anders wiederzugeben als durch ein Subjekt, dem sie ein Prädikatsnomen zuschreibt, wie dies beispielsweise in dem Satz geschieht: „Das Kind wird zum Manne." Der Ausdruck ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen; denn als Kind ist das Subjekt noch nicht Mann und als Mann nicht mehr Kind 30 . Würde sich die Sprache dem phänomenalen Sachverhalt entsprechend modellieren, so käme dem kontinuierlichen Prozeß des Werdens zwischen beiden die Rolle des Subjekts zu, das Werden selbst wäre das Subjekt 31 und die Stillstände seine imaginären Prädikate. Die Normalsprache hingegen ersetzt den dynamisch-verbalen Ausdruck durch den statisch-substantivischen eines Trägers. 30 31

Vgl. H . Bergson: Schöpferische Entwicklung, a . a . O . , S. 316. Zu einer solchen These gelangt aufgrund seiner Kritik am traditionellen Substanzbegriff Bergson, a . a . O . , S. 316.

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Wie im Phänomen so finden sich auch in der Definition zwei und nur zwei Strukturmomente, die jenen korrespondieren. Den anschaulichen limeshaften Zuständen, die die Diskontinuität in die Kontinuität des Werdens bringen, entsprechen die begrifflich exakten, wohlunterschiedenen Zustände und der durchgängigen Kontinuität der den Zuständen zugrunde liegende und ihren Zusammenhalt stiftende Träger. Sowenig im Phänomen ein noch Verbindenderes oder ein noch Trennenderes als Kontinuität und Diskontinuität vorstellbar ist, sowenig ist es dies in der begrifflichen Definition; denn der Träger als Verbindungsprinzip isolierter Zustände repräsentiert Verbindung schlechthin und die Zustände als Unverbundenes bezeichnen Trennung. Allerdings stehen sich in Phänomen und Definition zwei Modelle von Verbindung und Trennung gegenüber. Während für das Phänomen die Eindimensionalität wechselseitiger Druchdringung von Kontinuität und Diskontinuität konstitutiv ist, findet sich dieselbe in der Definition in die Zweidimensionalität von unverbundenen Zuständen und verbindendem Träger aufgelöst. Ist der Träger im Phänomen in den erscheinenden Zuständen in Form ihres durchgängigen Zusammenhangs, so steht er in der Definition h i n t e r ihnen als das Verknüpfende. Welche Evidenz immer die Korrespondenz zwischen phänomenologischem Befund und logischer Konstruktion besitzen mag, es bleibt, wie in den vorhergehenden Fällen von Bewegung, die Frage nach einem ausweisbaren Legitimationsgrund dieser Ubereinstimmung. Die Antwort wird man darin suchen müssen, daß Anschauung und Begriff des Werdens in der Realität des Werdens, im ständig sich vollziehenden, wenngleich unthematisch bleibenden Prozeß fundiert sind. Versucht man, diese Realität selbst zu thematisieren, so zerfällt sie in eben die Deutungen, deren Vermittlung sie leisten soll, bleibt also einem erkenntnistheoretischen Immediatismus verhaftet. Zwar bewährt sich der Vermittlungsgrund beständig in dem Ubergang vom Phänomen zur Definition und vice versa, insofern dieser als Ubergang von einem begrifflich Unexplizierten zu einem begrifflich Explizierten und damit von einem Nichtsein zu einem Sein und vice versa selber ein Werden ist, aber als Grund an und für sich bleibt er unerkannt. So präsentiert sich die Vermittlung von Phänomen und logischer Bestimmung als eine unmittelbare, die unmittelbar deshalb zu nennen ist, weil sie selbst durch keine phänomenologische noch logische Interpretation mehr vermittelt werden kann. Statt Einsicht in den gemeinsamen Ursprung beider Interpretamente bleibt es bei einer Gleichursprünglichkeit.

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7. Bewußtsein als epistemische Form des Vermittlungsprinzips Wenn im Vorangehenden Bewegung nach ihrer objektiven, naturalen Daseinsweise abgehandelt wurde als eine, die in Zeit u n d Raum stattfindet, so steht jetzt die subjektive, im und als Bewußtsein sich vollziehende zur Untersuchung an. Von der ersteren unterscheidet sie sich, zumindest prima vista, dadurch, daß sie zwar einer Zeit-, aber keiner Raumrestriktion unterliegt; denn einer Sequenz von Bewußtseinszuständen schreiben wir keine Raumstellen zu. Bei genauerer Reflexion zeigt sich jedoch, daß von Bewegung im Bewußtsein sinnvoll nur die Rede sein kann, wenn sich die Bewußtseinszustände stellenmäßig unterscheiden lassen, wenn sie sich numerisch und qualitativ sondern und in Relation zueinander bringen lassen. Dies jedoch ist nur möglich auf der Basis einer verräumlichten Zeit, deren reine Fluktuation und Sukzessivität an räumlicher Kopräsenz festgemacht ist. Dem Umstand, daß auch die Bewußtseinsbewegung nicht ohne Zeit- u n d Raumimplikation auskommt, ist es zuzuschreiben, daß sich alle Arten naturaler Bewegung formal im Bewußtsein wiederfinden: In dem Ubergang von einem zum anderen Bewußtseinszustand spiegelt sich, da dieselben mit Indizes versehbare Stellen einnehmen, Stellenwechsel, in dem Ubergang von einem spezifisch bestimmten Zustand zu einem anderen, davon differenten Veränderung und in dem Entstehen bzw. Vergehen eines Zustands Werden. Schließt das Bewußtsein strukturell alle Arten naturaler Bewegung ein, und zwar im Modus ihrer Bewußtheit, so präsentiert es den epistemischen Aspekt des Bewegungssystems. Das Bewußtsein ist nicht nur schlicht Bewußtsein von Bewegung und die letztere eine bewußte — diese Form ließe noch die Möglichkeit eines statischen, auf Bewegung lediglich intentional gerichteten Bewußtseins zu —, sondern das Bewußtsein als solches ist Bewegung: eine Wissensbewegung. Die genaue Aufklärung des Verhältnisses zwischen Natur- und Bewußtseinsbewegung führt zu einer Reihe von Problemen, die in der Frage zentrieren: Dependiert die Bewußtseinsbewegung von der naturalen oder umgekehrt? Ist die Rede von einer Bewegung im oder gar des Bewußtseins lediglich eine Metapher, die auf einer Übertragung von Strukturen der Außenwelt auf die Innenwelt des Geistes basiert? Oder ist das Bewußtsein so strukturiert, daß daraus die externen Bewegungen deduzierbar sind? Kurzum: Welche von beiden, die interne oder externe, ist Reflex der anderen? Wie immer die Alternative entschieden werden mag — ihr Ausfall hängt vom metaphysischen Standpunkt des Beurteilenden ab —, in beiden Fällen wird eine Isomorphic der Strukturen vorausgesetzt. Denn allein eine

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solche garantiert die Beschreibbarkeit der Innenwelt durch Formen der Außenwelt wie auch die Applikabilität von Bewußtseinsformen auf die Natur. Hieraus folgt, daß Natur- und Bewußtseinsbewegung lediglich verschiedene Betrachtungsweisen desselben Sachverhalts markieren. Im folgenden soll die Bewußtseinsbewegung entsprechend den anderen Bewegungsarten sowohl nach ihrer phänomenalen wie logischen Seite exponiert und auf die Frage hin untersucht werden, ob und wie sie als epistemische den Bedingungen eines Vermittlungsprinzips genügt. Von den früheren Bewegungsarten unterscheidet sie sich spezifisch dadurch, daß ihre phänomenale Rezeption und rationale Interpretation durch bewußtseinseigene Vermögen, Anschauung und Verstand, erfolgt, so daß darin eine Selbstvergewisserung und Selbsterkenntnis liegt. Der Versuch, das Bewußtsein und die ihm genuine Bewegung als Phänomen zum Vorliegen zu bringen, sieht sich nicht geringen Schwierigkeiten konfrontiert. Denn er ist gezwungen, gegen Interpretations modelle anzugehen, die nicht zufällig in der Geschichte der Bewußtseinstheorie dominieren. Jede Theorie über das Bewußtsein begibt sich nämlich bereits aufgrund ihrer theoretisierenden Einstellung in eine objektivierende Position. Indem sie die Wahrheit über das Bewußtsein ermitteln will und diese in generellen und notwendigen, jederzeit kontrollierbaren, intersubjektiv kommunikablen Wesensmerkmalen sucht, führt sie Prämissen ein, die den Erscheinungscharakter des Bewußtseins abblenden. U m des Ansichseins willen wird das Phänomen übersprungen. Der Vorgang setzt die Spaltung des Bewußtseins voraus. Denn das Bewußtsein kann als Gegenständliches nur fixiert und auf feste, scharf umrissene Begriffe gebracht werden, wenn die Orientierung auf Festes, Ausgrenzbares, auf Zustände an ihm geht. Ist aber erst einmal die Separierung einer Zustandsschicht vom Gesamtphänomen vollzogen, dann sieht sich die Theorie genötigt, ein Substrat einzuführen, das die disparaten Zustände wieder bindet, ein Ich, dem dieselben inhärieren. Die geläufige Interpretation des Bewußtseins nach dem Substanz-Akzidens-Schema oder der Bündeltheorie, wonach das Ich als Träger und Besitzer von Bewußtseinszuständen oder als Bezugsund Vereinigungspol solcher fungiert, erweist sich damit als unvermeidbare Konsequenz einer objektivierenden rationalen Einstellung. Liefert die Theorie auch einen Begriff vom Bewußtsein, so zerstört sie doch dessen Phänomenalität. Zu Recht haben Phänomenologie und Psychologie moniert 3 2 , daß auf 32

Vgl. z . B . H . Bergson: Denken und schöpferisches Werden, a . a . O . , S. 161, 166f.

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diese Weise unverständlich bleibt, wie der Bewußtseinsstrom, der faktisch evident ist, überhaupt gegeben sein kann; denn aus starren, invariablen Zuständen, noch dazu diskreten, resultiert niemals ein kontinuierliches Strömen. Selbst eine Theorie, die wie diejenige Humes 3 3 die Idee des Bewußtseinsstroms zur Basis hat, diesen aber aus isolierten oder isolierbaren Elementarvorstellungen zusammensetzt, die Akteuren gleich über die Bühne sich bewegen, scheitert noch an der Erklärung der Kontinuität der Bewegung. Die formale Grundlage des Bewußtseinsstroms bildet der Zeitfluß und wegen dessen notwendiger Bezogenheit auf ein starres Bezugssystem (ein Flußbett) auch die räumliche Extension. Diesem Umstand verdanken sich eine Reihe wesentlicher Züge des Bewußtseins: 1. In der Zeit und mit ihr dehnt sich das Bewußtsein ins Unermeßliche. Während die einem Gegenwartsaugenblick angehörige Momentanphase im nächsten Augenblick in ein Soeben und dann in ein Soeben des Soeben und so fort absinkt, okkupiert zur gleichen Zeit der Gegenwartsmoment die unmittelbar bevorstehende Phase, die den Modus des Sogleich hat, und sodann die dieser vorausgehende mit dem Modus des Sogleich des Sogleich und so in infinitum. 2. Da jede Phase alle Zeitmodi durchläuft, Zukunft, Gegenwart, Vergangenheit, ist jede jeder anderen absolut gleich und somit der Strom ein durchgehend homogener. Wir sprechen auch von einem Gleichstrom. 3. Die Begriffe des Sogleich und Sogleich des Sogleich, des Soeben und Soeben des Soeben, des Jetzt usw. sind wie überhaupt die Distinktion von Zeitmodi inadäquate Deskriptions- und Determinationsmittel, da sie Diskontinuität in die Kontinuität des Bewußtseinsstroms bringen. An sich ist das Bewußtseins ein über alle Diskretion erhabenes kontinuierliches Fließen. Soll daher das Bewußtsein adäquat wiedergegeben werden, so muß es als eine einzige, ins Unendliche sich erstreckende, gleichartige, stetige Bewegung beschrieben werden. Der Vergleich mit einem Fluß oder Strom oder einer Lawine, wie ihn die Phänomenologie bevorzugt, ist daher nicht unangebracht. Ein zweites von Phänomenologen und Psychologen angeführtes Monitum betrifft die Annahme eines Substrats, mag es sich bei diesem wie in den älteren egologischen Theorien 3 4 um eine Substanz mit bestimmten Quali-

33

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D . Hume: A Treatise of Human Nature, hrsg. v. A. D . Lindsay, London 1961, Bd. 1, Sect. 6, S. 238 „ O f Personal Identity". Vgl. Aristoteles, Descartes, die rationalistische Psychologie der Leibniz-Wolffschen Schule.

Bewußtsein als epistemische E r s c h e i n u n g s w e i s e

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täten wie denen der Immaterialität, Inkorruptibilität und Personalität usw. handeln oder wie in den neueren, revidierten Theorien 3 5 lediglich um ein Subjekt. So groß die Suggestivität auch sein mag, von Bewußtsein nur dort zu sprechen, wo jemand vorhanden ist, der über dieses verfügt, sowenig läßt sich dieser Jemand phänomenal nachweisen. Weder das Leibsubjekt kommt hierfür in Frage; denn wie diesem als einem materiellen Gegenstand immateriell-geistige Bestimmungen inhärieren sollen, bleibt unerklärlich, wie überhaupt die Leib-Seele-Relation, ob als influxus physicus, Parallelismus, prästabilierte Harmonie, Okkasionalismus u. ä. gedeutet, ein unauflösliches Rätsel ist; noch auch eine Seelensubstanz kommt in Betracht; denn wie Kant in seiner Kritik der rationalen Psychologie in den Paralogismen der Kritik der reinen Vernunft 3 6 verbindlich nachgewiesen hat, läßt sich für eine solche kein empirischer Beleg erbringen. Und das l o g i s c h e Subjekt ist konzediertermaßen eine bloße Setzung des Verstandes. Obwohl es aller Denkgewohnheit widerspricht, stellt sich das Bewußtsein phänomenal subjektlos dar. Das Ich ist keine Instanz hinter den erscheinenden Bewußtseinszuständen noch auch ein Element unter ihnen, sondern, sofern es überhaupt statuiert wird, in ihnen in Form eines durch sie hindurchgehenden Fließens. Es offenbart sich in dem einen kontinuierlichen, gleichförmigen, unendlichen Strom und als dieser. Vom phänomenologischen Standpunkt ist der Bewußtseinsstrom selbst die Substanz bzw. das Subjekt 3 7 . Die Herausarbeitung und Konfrontation von phänomenaler und logischer Bewußtseinskonzeption erlaubt es, eindeutig Position zu beziehen in dem permanenten Streit der beiden Grundeinstellungen, die in der einen oder anderen Variante die Theoriegeschichte durchziehen. Keine der beiden Auffassungen, weder die nach dem Strommodell noch die nach dem Substanz-Akzidens-Schema, besitzt uneingeschränkte Gültigkeit, vielmehr kommt beiden beschränkte Legitimität zu, insofern sie je verschiedene Ansichten des Bewußtseins wiedergeben.

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Vgl. K a n t : Kritik der reinen Vernunft, Paralogismen der reinen V e r n u n f t . A 341 ff Β 3 9 9 f f ( I V , 2 1 5 f f , III, 262 ff). Z u diesem S u b s t a n z b e g r i f f , der die totale Pervertierung des traditionallen darstellt, vgl. H u s s e r l s Bewußtseinstheorie in der 1. A u f l . der L o g i s c h e n U n t e r s u c h u n g e n , 5. U n t e r suchung, II, 1. Teil, S. 343 f f ; H . B e r g s o n , a . a . O . , S. 169 f, 1 7 6 f ; J . P . S a r t r e : D i e T r a n s z e n d e n z des E g o , H a m b u r g 1964, S. 2 6 f f . Sartre bezeichnet das E g o als die „ k o n k r e t e " oder „unendliche Totalität der Zustände und H a n d l u n g e n " , „ d i e ihre eigenen Q u a l i t ä t e n trägt und enthält. D a s E g o ist nichts außer der konkreten Totalität der Z u s t ä n d e und H a n d l u n g e n , die es t r ä g t " , S. 27. Vorläufer dieser nicht-egologischen Theorien sind die Bewußtseinstheorien v o n D . H u m e , a . a . O . , S. 2 3 8 f f und W . J a m e s : T h e Principles of P s y c h o l o g y , a . a . O . , B d . 1, S. 291 ff.

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Bewegung als aporielose „zweigliedrige Einheit"

Damit hat die Klärung beider Modelle einen Stand erreicht, der es gestattet, die jeweiligen Strukturen und strukturellen Beziehungen einzeln zu explizieren. Es gilt herauszufinden, ob dieselben so vorliegen, daß sie den Forderungen eines Vermittlungsprinzips Genüge tun. D a sich das Bewußtsein phänomenal als reines Strömen gezeigt hat, müssen sich alle Erscheinungsweisen der Bewegung mitsamt den für sie typischen Strukturen in ihm wiederfinden: in seinem unendlichen Ausweiten die Erscheinungsweise und Struktur der Raumbewegung, in seinem gleichförmigen Wandel die Erscheinungsweise und Struktur der Veränderung und in seinem kontinuierlichen Entstehen bzw. Vergehen die Erscheinungsweise und Struktur des Werdens. Sofern der Bewußtseinsstrom ein in die Zukunft unbegrenzt sich erstreckender Prozeß ohne definitives Ende ist, impliziert er Unendlichkeit, sofern in ihm jede beliebig herausgegriffene Phase zwischen zwei Zuständen jeder anderen gleicht, weil alle in gleicher Weise an den Zeitmodi teilhaben, involviert er Homogenität, und sofern jede Phase mit der vorhergehenden und nachfolgenden zu einem durchgängigen Zusammenhang verbunden ist und nur durch einen gewaltsamen Akt abstrahiert werden kann, involviert er Kontinuität. Für den Bewußtseinstrom sind daher dieselben Strukturen bestimmend wie für die Gegebenheitsweisen der übrigen Bewegungsarten, Strukturen, die allesamt in Extensionalität gründen. Von den früher behandelten unterscheiden sie sich darin, daß sie als bewußte auftreten und als solche thematisch sind. Die Art der Bewußtheit einer unendlichen, homogenen, kontinuierlichen Extension aber kann keine andere sein als die Anschauung. So versteht sich, daß die Erscheinungsweise des Bewußtseins, sein Strömen, mit der Anschauung zusammenfällt. Wie die übrigen Erscheinungsweisen der Bewegung neben dem extensionalen Moment ein limitierendes enthielten, so ist dies auch beim Bewußtsein der Fall — schließlich ist der Bewußtseinsstrom eine fließende Gestalt, welche die ihr immanente Begrenzung permanent vor sich herschiebt. Als Begrenzung des Bewußtseinsstroms hat die dem Jetzt angehörige Momentanphase zu gelten. Was für die früheren Fälle von Limesbildung zutraf, gilt auch hier: Selbst eine noch so zusammengeschrumpfte Momentanphase des Bewußtseins wird stets einen positiven Wert behalten und nicht gänzlich in Nichts verschwinden. Zum wenigsten drei Argumente stützen diese Behauptung. Zum einen könnte eine nulldimensionale Momentanphase sowenig Element des Bewußtseinsstroms sein wie die entsprechenden nulldimensionalen Zeit- und Raumpunkte Elemente der zeitlichen und räumlichen Extension. Zum anderen vermöchten absolute

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Stillstände kein Strömen zu erklären, und zum dritten bliebe unverständlich, wie diskrete Zustände einschließlich Momente und Punkte in die Kontinuität des Strömens übergehen sollen. Obwohl gerade die Momentanphase wegen ihres Grenzcharakters auf eine andere Strukturgebung und Erkenntnisweise hindeutet, bleibt sie selbst der Erscheinungs- und Anschauungssphäre verhaftet. So zeigt sich der Bewußtseinsstrom nicht anders als die übrigen Bewegungsphänomene als ein Paradoxon, in dem zwei gegensätzliche Strukturbestände unvermittelt zusammentreffen: die extensionalen Charaktere der Unendlichkeit, Homogenität und Kontinuität auf der einen Seite, die der Anschauung und nur ihr zugänglich sind, und die limeshaften Charaktere der Endlichkeit, Inhomogenität und Diskontinuität auf der anderen, die die Grenze des Anschauungsvermögens anzeigen. Eine Vermittlung durch ein Drittes findet deshalb nicht statt, weil der Bewußtseinsstrom selbst das Dritte ist und sich aus diesen beiden Charakteren konstituiert. Soll die theoretische Konzeption und Definition des Bewußtseins eine Deutung des phänomenalen Befundes liefern, so muß sich der paradoxale Strukturenbestand in ihr reflektieren. Die theoretischen Konzepte stimmen darin überein, daß sie den unendlichen, gleichförmigen, kontinuierlichen Strom in eine Vielzahl heterogener, diskreter Zustände zerlegen, die exakt angebbaren Zeit- und Raumstellen zugeordnet werden. Dies entspricht der Objektivationstendenz des Verstandes. Das anschauliche Fundament hierfür bilden die phänomenalen Grenzgebilde mit ihrem Verweisungscharakter auf die idealen, nur dem Verstand zugänglichen. Die präzisierten Bewußtseinszustände, Zeit- und Raummarkierungen sind deren vollendete Explikate. Da jedoch ein Komplex diskreter Zustände niemals den Zusammenhang des Bewußtseins, dessen Einheit und durchgängige Identität zu erklären vermag, muß zur Hypothese eines Substrats gegriffen werden, das nach dem Modell eines Trägers von Eigenschaften oder schlicht eines Bezugspols jden Zusammenhalt stiftet. Diese Aufgabe erfüllt es dadurch, daß es quantitativ Eines gegenüber einer Vielzahl von Zuständen ist, qualitativ in und trotz der Verschiedenheit derselben durchgängig mit sich identisch ist und relational Grund der Attribution bzw. Prädikation der Zustände ist. Als l o g i s c h e s Substrat ist es nicht anderes als der Verstand selbst. In dieser Konstruktion des Einen in Allem, des Identischen in Differentem, des verbindenden Substrats in unverbundenen Zuständen spiegelt sich die aus der Anschauung bekannte Paradoxie gegensätzlicher Bestimmungen wider. Ein Unterschied gegenüber jener besteht nur darin, daß die

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Eindimensionalität wechselseitiger Durchdringung von Extensionalem und Begrenztem hier in die Zweidimensionalität einer Träger- und Zustandsschicht auseinandergelegt ist. So sehr die rationale Deutung dem phänomenalen Gehalt entspricht, von einer Konstitutionsstufung in dem Sinne, daß das Phänomen das Fundament erstellt, auf dem die Deutung aufbaut, kann nicht die Rede sein. Vielmehr besteht ein interdependentes Fundierungsverhältnis: ohne Phänomen keine Deutung, aber ebensowenig ohne Begrifflichkeit eine Verständigung über das Phänomen. So drängt sich zuletzt auch hier die Frage nach dem Grund der Wechselimplikation auf. Wenngleich eine Antwort nur in der Richtung gesucht werden kann, daß der Vermittlungsgrund von Anschauung und Begriff des Bewußtseins in der Faktizität des Bewußtseins besteht, so bleibt doch offen, wie diese erkenntnistheoretisch auszudeuten ist. Da sich eine Thematisierung nur bewußtseinsimmanenter Mittel, der Anschauung und des Verstandes, bedienen kann, führt sie zu Anschauung und Begriff des Bewußtseins zurück, ohne des Grundes habhaft zu werden. Dieser entzieht sich einer Selbsteinsicht. Deswegen muß auch seine Identifikation mit einem Vermögen von der Art der intellektuellen Anschauung bzw. des intuitiven Verstandes solange eine leere Behauptung bleiben, wie sie nicht einsichtig gemacht oder durch Plausibilitätserwägungen gestützt worden ist. Eine solche wäre beispielsweise die Einweisung des Vermittlungsgrundes in die Rolle einer letzten, unaufgebbaren Prämisse, durch die sich die Einheit von Anschauung und Verstand allein erklären ließe. Nun ist zwar die Einheit ein Faktum, das mit dem Bewußtsein gegeben ist und in dessen Vollzug ständig erfahren wird, aber gerade die Art ihres Zustandekommens bleibt im dunkeln. So endet auch diese Untersuchung in dem Paradox einer faktischen Einheit von Anschauung und Verstand, deren Grund für die Erkenntnis zum Abgrund wird. Es darf niemanden wundern, wenn im Rückgang zu den letzten Gründen die bekannten weltbezogenen Auslegungsformen versagen und die Untersuchung sich dem Paradox konfrontiert sieht. Denn unmöglich kann das Begründende von derselben Qualifikation sein wie das aus ihm Begründete, noch auch kann es adäquat durch das letztere erfaßt werden. Wer sich um eine Theorie des Ursprungs bemüht, muß mit dem Paradoxon rechnen. Uberspitzt läßt sich sogar die Behauptung aufstellen, daß das Auftreten desselben eine Bestätigung für die Richtigkeit der Theorie ist. Nicht zufällig hat die Erörterung unter diversen Aspekten auf dasselbe Prinzip geführt: auf die „zweigliedrige Einheit", die weder monistisch noch

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dualistisch zu verstehen ist, sondern als das Zugleich von „Einheit" und „Zweiheit". Sie konstituiert sich aus Opposita, sei es auf logischer Ebene aus Einheit und Mannigfaltigkeit sowie deren Modifikationen, sei es auf anschaulicher.aus Extension und Begrenzung sowie deren Modi oder aus den Strukturbeständen beider. Indem das Prinzip keinem der beiden Strukturbestände einen Primat konzediert, sondern beide im Gleichgewicht hält, stellt es ein Schweben zwischen beiden dar. Genau dies war der Sinngehalt, auf den das Platonische εξαίφνης vordeutete und den die detaillierte Auslegung nun bestätigt hat.

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Personenregister Adeimantos 26 Adorno 3 Alexander von Aphrodisias 27 Alkibiades 26 Anaxagoras 132 Anaximandros 185f Apelt 25, 29 Appia 83 Aristoteles 6f, 16f, 26f, 31, 71, 77, 133, 183, 185, 189f, 192ff, 198f, 208ff, 217ff, 222, 224 f, 286, 299, 320 Augustin 81 Baumgarten 306 Baumgartner 12 Becker 183f, 207, 215, 219, 223f, 294f Benussi 245 Bergson 5, 293, 302, 316, 319, 321 Bloch 3 Böhme 4 Bonitz 71 Breidert 183 Bridgman 199 Broad 198 Brochard 190 Bröcker 31f, 42, 48, 63, 75 Brouwer 183, 218f, 222ff Bruno 4 Calogero 29 Cantor 183, 186, 188, 202ff, 219f Cauchy 183 Cornford 20, 34, 49, 53, 59, 64, 66, 75, 192 Cousin 31 Cramer 103,145 Cusanus 81 Damascios 51 Dedekind 183 Demokrit 4, 72 Derbolav 12 Descartes 4, 27, 320

Dessoir 257 Diels 185, 214 Dies 63 Dionysius Areopagita 51, 77, 81 Drechsler 101 Eckhart 4 v. Ehrenfels 12, 241ff Erdmann 286 Euklid 198 Euthydem 29 Fichte, I. H. 85 Fichte, J . G. 2, 7, 11, 13, 18, 81 ff, 106ff, 116ff, 121, 123ff, 177, 275 Flach 164, 176f, 281 Friedländer 27, 30ff, 34, 49, 64, 75 Frye 25 Fulda 145, 158 Gadamer 35, 151, 160, 301 Glaukon 26 Gliwitzky 85 Glockner, H . 184, 227 Glockner, M . 184 Grisebach 2 Grote 75 Grünbaum 199 Gueroult 92, 127 Gurwitsch 250, 252f, 255ff, 261 Guzzoni 135, 143 Hartley 242 Hartmann 126 Hay duck 27 Hegel 2, l l f f , 15ff, 25f, 29, 35f, 39ff, 49, 54, 81 ff, 88, 94, 96, 113, 116, 119, 127, 130ff, 142 ff, 148 ff, 154ff, 163f, 166ff, 172ff, 277, 279, 283, 287, 312, 315 Heidegger 5, 15, 50, 146 Henrich 12, 81, 103, 113, 146, 148, 151, 160, 164, 170, 301

Personenregister Herbart 18 Höfler 245, 286 Hoffmeister 158 Huber 30 f, 64 Hume 244, 320 f Husserl 186, 188, 221, 239, 245, 247ff, 257, 268, 321 Iamblichos 51 Jackson 49 Jacobi 121, 132 James 199, 242, 321 Janke 85, 89, 92, % f , 99, 128 Kant 4, 12, 16ff, 20, 59, 95, 127, 154, 156, 164, 230, 236, 286f, 306, 321 Kaulbach 184, 227 Kierkegaard 77, 284 Kiesewetter 230 Köhler 252, 258 Koffka 252, 257, 259, 261 Koyre 190 Kranz 50, 185 Krings 12 Kroner 154 Krüger, F. 252 Krüger, L. 16 Kumamoto 127 Lauth 85, 127 Leibniz 4, 286, 320 Leukipp 4 Liebrucks 25, 27, 34, 42, 54, 240 Lindsay 320 Linke 291 f, 302 f Locke 244 Lorenzen 184 Lynch 30, 53 Mach 242, 247 Marheinecke 82 Marx 113 Mau 11 Meier 306 Meinong 245 Menon 301 Merleau-Ponty 264, 286, 291 f, 302 Metzke 6 Meyer 230 Mill 242

335

Natorp 18f, 27, 31 f, 42, 56, 59, 63f, 72, 75 f Newton 230 Oeing-Hanhoff 11 Parmenides 2, 4, 10, 18, 20, 25ff, 40, 44, 49ff, 55, 63, 66f, 74, 80ff, 92, 94, 130, 135f, 181 ff, 186, 189ff, 227, 235, 240, 268f, 275, 286, 310 Pfaff 158 Phaidon 4, 27, 32, 36, 287 Phaidros 27, 286 Philebos 70 Piaton 4, lOf, 13, 18, 20, 25ff, 40f, 44, 46, 50ff, 55f, 58, 60ff, 65f, 69f, 72ff, 77, 81 f, 92ff, 107, 112, 129, 135ff, 154, 164, 181, 189f, 235, 240, 268f, 271, 275f, 284ff, 300, 310 Plotin 11, 15, 32, 51, 133 Plutarch 50, 189 Pölitz 306 Polyxenos 27 Proklos 29, 31 f, 50f Protagoras 29 Pythodor 26 Radermacher 85, 89, 94, 121, 127 Rausch 256 Reich 16 Rickert 281 Ritter, C. 27, 29 Ritter, J. 11,81 Robinson 29 Ross 27, 29, 192, 198 Rubin 253 Russell 42, 173, 183 Sander 251 ff Sarlemijn 134, 154, 174 Sartre 5, 321 Schelling 2, 13, 81, 83, 85, 88f, 93, 106, 132 283 Schleiermacher 82 Schmidt, E. G. 11 Schmidt, Κ. H . 306 Schmitz 14, 186, 221, 230f, 236, 239, 256, 263 Schneider 12 Schopenhauer 2 Schüssler 125, 127 Schulz, H . 83

336

Personenregister

Schulz, W. 128, 161 Schulz-Seitz 161 Schumann 239 Sesemann 174 Seuse 4 Siep 85f, 88, 97, 106, 120f, 127ff Simmias 36 Simplicius 214 Socher 26 Sokrates 27, 31, 36 Speiser 30 ff, 59, 64 Spinoza 2, 4 Ströker 225, 294 Susemihl 72 Mc. Taggert 198 Tauler 4 Taylor 25, 29 Thaer 198 Theaitet 27f, 50, 72 Theiler 11 Theunissen 15, 30, 49, 134, 142, 145, 157, 164 f, 176 f Thomas von Aquin 11, 133 Timaios 65 Timm 11 Trakl 230 Tugendhat 50, 312

Volkelt 251 ff Wahl 30 Weierstraß 183 Weil 174 v. Weizsäcker 230, 264 Wertheimer 251 f, 290f, 302 Weyl 183, 219, 223 Whitehead 42 Wicksteed 192 Widmann 84f, 89, 92, 122, 127 Wiehl 15, 137, 164 Wieland 211, 213, 215f v. Wilamowitz-Moellendorff 29 Wild 12 Witasek 245 Wittgenstein 110 Wolff 4, 306, 320 Wundt, M. 30, 82, 213 Wundt, W. 242 Wyller 30 ff, 64 Zahn 12, 85, 127 Zekl 25ff, 34, 46, 54, 56, 59, 64, 67ff, 74f Zeller 26, 63 Zenon 20, 28, 31 ff, 38, 40, 182f, 188ff, 193, 195, 199, 208f, 219 Zermelo 186, 206

Sachregister

A b s o l u t e s 9, 85, 8 7 f f , 9 2 f , 9 6 f , 102, 1 0 6 f , 109 f f , 113, 116 f f , 144, 154, 1 5 8 f , 172, 177 A b s o l u t h e i t 86, 89, 106, 114, 119, 240, 264 A b s t r a k t i o n 5, 8, 42, 48, 90, 9 2 f f , 97, 99, 106 f f , 111 f f , 123, 126, 129, 155, 160, 257, 2 6 6 f , 287, 301 A k z i d e n z 14, 19, 111, 120, 1 2 2 f , 135, 256, 288, 299, 316, 319, 321 A n d e r e s 1 3 f , 19, 30, 3 2 f f , 3 9 f f , 45, 5 3 f , 5 8 f f , 6 3 f f , 80, 93, 105, 113, 135, 147, 155, 159, 161, 165, 1 7 0 f , 175, 1 8 0 f , 191, 227, 234, 236, 254, 274, 281, 288, 305 A n s c h a u u n g 9, 13, 2 0 f f , 98, 2 0 5 , 207, 219, 227, 230, 233, 248, 274, 276, 282, 295, 307, 312, 317, 319, 322ff A n t i n o m i e 10, 36, 75, 83, 178 A p o r i e 10, 38, 4 8 , 81, 179, 188, 212, 297, 306 B e g r e n z t h e i t 19, 58, 72, 169, 188, 191, 249, 256, 264, 271 Begriff 5 f f , 1 5 f f , 20, 33, 43, 5 0 f f , 5 5 f , 59, 65, 67, 71 f f , 7 6 f , 8 3 f f , 91 f, 96, 9 8 f , 101 f f , 108, 112, 114, 1 1 9 f f , 1 2 4 f , 135, 142, 152, 154 f f , 160, 162, 1 6 4 f , 1 6 9 f f , 178, 1 8 4 f , 188, 196, 200, 2 0 2 f f , 2 0 6 f f , 2 1 2 f , 215, 218, 2 2 4 f , 2 2 7 f f , 2 3 2 f f , 240, 242 f, 247, 252 f, 256, 260, 262 f f , 268, 2 7 0 f , 275, 279, 284, 2 8 6 f f , 294, 299, 307, 312, 315, 317, 3 1 9 f , 324 B e w e g u n g 7, 10, 1 9 f , 35, 37, 45, 5 8 f , 66, 76 f f , 132 f f , 140, 144 f f , 1 4 9 f f , 165, 168, 183, 187, 1 8 9 f f , 2 0 8 f , 2 1 4 f f , 227, 230, 273, 279, 2 8 2 f f , 305, 3 1 0 f f , 3 1 7 f f , 322 B e w u ß t s e i n 6, 53, 81, 84, 8 7 f , 90, 94, 97, 99 f, 103 f f , 108 f f , 116, 122 f, 131 f, 135, 138, 144, 146, 170, 1 7 2 f , 1 8 0 f , 184, 220, 231, 233, 235, 237, 2 4 0 f , 246, 249, 252, 259, 263, 2 7 5 f f , 2 8 9 f f , 3 1 8 f f B e w u ß t s e i n s s t r o m 242, 289, 320 ff

D e f i n i t i o n 19, 37, 47, 154, 162, 188, 2 0 3 f f , 2 1 0 f , 2 1 3 , 2 1 5 f f , 220, 2 2 5 f , 228, 276, 283, 286, 2 9 8 f f , 302, 3 0 6 f f , 312, 3 1 5 f f , 323 D i a l e k t i k 2 5 , 30, 32, 3 5 f , 38, 40, 80, 137, 140, 143, 1 4 6 f , 149, 161, 1 6 3 f , 174, 176, 240, 271, 281, 2 8 3 f , 301 D i f f e r e n z 1 4 f , 1 9 f , 34, 42, 4 5 f , 5 9 f , 69, 74, 81, 85, 87, 8 9 f , 9 2 f f , 97, 100, 103, 107, 110, 118 f, 121, 125 f f , 129, 131, 135, 1 3 7 f , 140, 152, 160, 162, 166, 173, 1 7 7 f , 198, 202, 209, 218, 221 f, 235, 237, 244, 252 f, 256, 260, 262, 2 6 7 f , 270, 2 7 4 f f , 284f, 307f D i s k o n t i n u i t ä t 72, 2 0 1 , 217, 2 6 3 f f , 2 7 0 , 2 7 6 , 313 f f , 317, 320, 323 D i s k r e t h e i t ( D i s k r e t i o n ) 2 2 , 78, 180, 2 0 0 f , 206, 216, 2 3 4 , 2 6 9 f , 276, 278, 3 1 4 , 320 D i v e r s i t ä t 20, 48, 123, 135, 138, 280, 307 D u a l i s m u s 92, 116, 1 2 5 f , 128, 198 D u p l i z i t ä t 138 Eines (Eins) 3 f , 7, 1 4 f , 19, 21, 2 5 f , 2 8 , 30, 32 f f , 37, 3 9 f f , 53 f f , 65 f f , 75 f, 8 0 f , 8 3 f , 8 6 f f , 9 2 f f , 99, 1 0 6 f f , 1 1 6 f f , 123, 1 2 5 f f , 1 3 5 f , 164 f, 170, 181 f f , 186, 191, 234 f f , 240, 2 4 2 , 2 5 3 f , 256, 263, 2 7 4 f , 2 8 1 , 2 9 8 f , 323 E i n h e i t I f f , 6 f f , 1 9 f f , 32, 35, 3 8 f , 41 f , 46, 48, 50, 5 2 f , 5 6 f , 61, 63 f f , 72 , 74, 76, 7 9 f f , 8 3 f f , 9 0 f f , 103, 1 0 5 f , 1 0 8 f f , 1 1 6 f , 120, 123, 125 f f , 1 3 5 f f , 142, 1 4 7 f , 152, 1 6 2 f , 1 6 5 f , 1 6 8 f , 1 7 6 f f , 181, 191, 2 0 6 , 224, 227, 2 3 5 f f , 2 3 9 f f , 243, 2 4 6 f , 2 5 2 f f , 256, 260, 2 6 2 f , 2 6 6 f f , 270, 273 f f , 2 8 0 f f , 290, 2 9 2 , 2 9 8 f f , 304, 308, 310, 312, 315, 323 ff E i n h e i t s b e g r i f f 9, l l f , 22, 41, 53, 56, 73, 81, 86, 92, 112, 116, 119, 1 2 6 f , 1 2 9 f , 135, 1 3 7 f f , 177, 1 7 9 f , 235, 2 6 7 f , 271, 2 7 7 , 281 E i n h e i t s p r i n z i p 4, 5, 32, 51, 90, 126, 240

338

Sachregister

Entstehen 35, 222, 224, 286f, 303, 305f, 311,314,318,322 Erscheinung 19, 31, 68, 92ff, l O l f , 104f, 116ff, 125, 128, 211, 230f, 288, 295, 302, 304 Extension (Extensionalität) 21 ff, 178 ff, 184 ff, 188f, 199ff, 235, 237ff, 262, 264f, 269, 274ff, 281, 283, 285, 293ff, 309, 320, 322, 325 Extentialform 97, 101, l l l f ε ξ α ί φ ν η ς 34, 77ff, 284, 310, 325 Feld 65, 114, 181, 227, 230, 238, 246, 253ff, 261, 265, 270, 276 Figur 180, 246, 248 ff, 253 ff, 260 ff, 264 ff Fluß - Fließen 215, 229ff, 263, 320f F o r m 7, 13, 18, 21, 28, 30f, 47, 53ff, 64, 70, 77f, 89, 94, 97, lOOff, 107ff, 112f, 115, 117f, 120, 123 ff, 131 ff, 136, 140, 143, 149 ff, 156f, 159ff, 166f, 169 f, 173 f, 179f, 182, 184f, 189, 197, 200, 208, 210, 214, 220, 224ff, 228, 230, 233f, 236, 238, 246ff, 252, 268, 271, 275f, 278, 282ff, 291 f, 296, 300f, 304, 308, 310f, 313, 315, 317 ff, 321 Ganzes 1, 5, 10, 18, 34, 36, 38, 40, 45, 49, 50f, 54, 56ff, 68, 72f, 84, 93, 96, 98, 116, 128, 136 ff, 149 f, 154f, 162f, 167, 172, 174, 176, 179, 186, 188, 192f, 199f, 212, 218, 224, 229, 2 3 9 f , 244ff, 250ff, 256, 259, 262, 267, 2 6 9 f , 273 f, 276ff, 305 Gestalt 3, 5, 10, 19, 41, 45, 66f, 77f, 128, 149, 181, 186, 188, 237, 239ff, 246f, 250ff, 255ff, 262ff, 269, 278, 282, 288, 293 f, 296 f, 304 ff, 322 G o t t 30, 51 f, 116f, 131, 133ff, 157, 185 G r e n z e 52, 61, 73f, 77f, 89, 99, 109, 111, 116, 122, 169, 185, 187, 198 ff, 218, 222f, 227f, 234f, 238, 240, 255, 264ff, 268, 293, 297, 323 G r u n d 1, 6, 9, 11 f, 14f, 21, 30, 33, 38, 46f, 52, 61 f, 69, 79, 87, 92, 96, 101, 105ff, l l O f , 124f, 128, 132 f, 135, 142 ff, 148, 157f, 164, 174, 186, 188f, 192, 208f, 213, 218, 222, 229f, 235, 246, 249, 253ff, 258ff, 264f, 267, 269, 273 f, 276, 278, 281, 283ff, 2 8 7 f , 295, 297, 300f, 303f, 307, 309 f, 316 f, 323 f H i n t e r g r u n d 238 ff, 243 f, 246, 254 ff, 258 ff, 264 ff, 296

Homogenität 21, 65f, 70, 72, 180, 185f, 196f, 201, 217, 226f, 229, 235, 239, 269, 276, 304ff, 309, 322f Ich 85, 103, 111, 118, 122, 138, 250, 301, 319, 321 Idealismus 3, 12, 81 ff, 85, 95, 97, 104ff, 109, 113, 118, 125f, 221, 277, 283 Idee 1, 2 7 f f , 3 5 f f , 43f, 48f, 55ff, 60, 63ff, 68, 92, 107, 140, 153 f, 156, 165, 171 ff, 207, 224, 240, 242, 275, 320 Identität 14f, 19f, 37, 4 4 f f , 50, 59f, 70, 74, 81, 84, 87, 92, 95f, 103, l l O f , 125, 129f, 135, 162 ff, 166, 171 ff, 176 f, 186, 198, 201, 229, 235, 237, 244, 247, 252f, 256, 260ff, 275, 277, 304, 307ff, 323 Inhomogenität 72, 235, 239, 264f, 269, 276, 278, 304ff, 309, 323 Invarianz 245, 305, 307 Kategorie 15 ff, 19, 69, 74, 137, 154 f, 161, 163, 311 Kategoriensystem 13, 16ff, 23, 93, 286 Konstanz 244 f, 249 Kontinuität 5 , 22 , 65, 70, 72 , 77f, 89, 183, 188f, 196ff, 200f, 204ff, 210, 216ff, 225, 227, 229ff, 235, 239, 265, 269f, 276, 283, 296, 313 ff, 317, 320, 322 f K o n t i n u u m 9, 22 , 26 , 51, 65 , 72, 74, 169, 180, 182ff, 196ff, 200ff, 210ff, 218f, 223 ff, 232 ff, 270 Kontradiktion 41, 235 f, 265 Kontrarietät 34 Korrelat(sbegriff) 21, 39, 64, 70f, 73 Korrelation (Korrelativität) 148, 255, 261 Kreis 47, 62, 133, 140, 142, 145f, 149, 153 f, 156, 169, 203 f, 242 ff, 300 Licht 69, 97, 9 9 f f , 115, 129, 141 Limes 201, 203, 223, 294ff, 298, 300, 306, 314 Logik (Seins-, Wesens-, Begriffs-) 13, 16, 20, 36, 41, 133f, 139f, 148, 150f, 153ff, 161, 163ff, 169ff, 206f, 236, 287, 299, 312 Logos 132, 182, 228 Mannigfaltigkeit 1, 6 f f , 2 0 f f , 41, 43, 52f, 63, 80f, 83, 86ff, 91 ff, 95, 116ff, 123, 125ff, 132 f, 135, 178f, 210, 239, 245, 247, 271, 273 f, 276, 281, 285, 325 Mannigfaltigkeitsbegriff 6, 9, 11, 23, 41

Sachregister Medium 21, 76, 243 f, 246 Metaphysik 145, 164 Methode 106, 139f, 142 f, 149 ff, 155f, 165 f, 172ff, 179, 190, 264 minimum visibile 297ff Moment 8, 10, 16, 45ff, 53, 55, 58, 62, 78, 84, 98, 102, 105, 115, 117f, 125f, 130, 133, 138, 140f, 143, 145ff, 152, 162ff, 170, 175ff, 190f, 193ff, 207, 210, 247ff, 252f, 258f, 268, 270, 274f, 278f, 281, 284, 287, 290f, 294, 296f, 300, 308, 310, 322 f Monismus 190, 198 Negation 15, 20, 34, 40f, 45ff, 60f, 68, 78, 87, 89, 92, 94, 108 f, 113 ff, 121, 126, 134, 147 ff, 153, 155, 157ff, 162, 164, 171, 181, 183, 221, 226, 228f, 232, 236, 279, 282 Negation der Negation 134, 148, 171 Nichts 30, 33 f, 36, 41, 50, 55, 65, 84, 103f, 108, 112, 116, 119, 147, 151, 153, 156, 159, 160f, 226, 310, 312, 314ff, 322 Null 295, 305, 314 Objekt 47, 94, 99f, 111, 113, 115, 131, 136, 138f, 172f, 232f, 245 , 250, 259, 276, 301 omnitudo realitatis 100 Operativismus 225 Ortsbewegung 19,45, 286ff, 2 9 0 , 2 9 7 f , 301 f, 304, 308, 311, 315 Paradox (on) 10, 32, 190, 193, 195, 215, 217, 297, 301, 309, 310, 323, 324 Paradoxic 70, 157, 159, 161, 173f, 182f, 188ff, 195, 208ff, 233, 323 Phänomen 30, 173, 182 , 207, 237, 240, 242, 245, 247, 258, 261, 263, 282, 285, 292f, 297, 299f, 304ff, 309, 312f, 315, 317, 319, 324 Plötzlich (keit) 77, 157 Pluralität 10, 20, 41, 45, 65, 70, 109ff, 123, 126, 138, 178, 189, 191, 209, 262, 280 Prinzip 1, 3 ff, 14, 50, 58, 69f, 72f, 77ff, 87f, 90ff, 96, 101, 104£, 116ff, 124ff, 128 ff, 135, 145, 161, 165, 179f, 185, 193, 210, 225, 235, 247, 251, 275, 279ff, 288, 293, 297, 300, 324 f Prinzipiat 87, 101, 126, 135 Progreß 54, 56, 59ff, 73, 79, 166ff, 179, 274, 277, 279, 281 ff

339

Prozeß 30f, 55, 58, 62, 64, 77, 79, 84, 93, 105 f, 116, 133, 136, 142, 144, 146, 148 ff, 154, 158, 166, 168 ff, 174, 207, 212 ff, 224ff, 259, 265ff, 276f, 284, 288f, 292, 294f, 297, 305f, 308, 31 Iff, 317, 322 Qualität 17ff, 77f, 123, 153, 187, 222, 242, 248f, 251, 261, 266, 268f, 286, 291, 301, 311, 321 Quantität 17ff, 153, 268f, 286 Quantum 72 f Raum 65f, 113, 169, 187ff, 196, 204, 210, 215, 217, 238, 265, 286ff, 292ff, 301, 308, 313, 318 Realismus 18, 104 ff, 118, 125 Reflexionsbestimmung 156f, 159, 161 ff Regreß 54, 56, 59ff, 73, 79, 137, 139, 166ff, 179, 215, 274, 277, 279, 281ff, 300 Relat (um) 54, 67, 97, 105, 111, 118, 142, 147, 159, 162, 200, 255, 289 Relation 13f, 17f, 38, 42, 46f, 52ff, 56, 61, 63, 70f, 81, 87, 92, 94, 97, lOOf, 105ff, 114, 118, 126f, 129, 141, 147, 159, 162, 165, 170, 176f, 207, 213, 218, 239, 242, 246, 248f, 252 f, 255 , 261, 270, 275 ff, 284, 286, 288, 301, 316, 318 Relationalität 18, 38, 47f, 68, 71, 87, 91, 96 f, 107, 109, 118, 123, 135, 138, 162f, 178, 218, 260, 262, 275, 280, 284 Ruhe 19f, 35, 37, 45, 58f, 78, 191f, 284, 305 Schein 30, 32, 49, 68f, 73f, 93, 114, 163, 268, 287 Sein 18f, 30, 32, 34ff, 40f, 43ff, 49ff, 54f, 57ff, 67ff, 71, 73 , 75ff, 81, 84, 87, 92ff, 98, lOOf, 105, 107, llOff, 116, 119f, 124 f, 127, 135 ff, 142, 144, 151, 153, 156, 158ff, 164f, 170ff, 175f, 191, 200, 208, 219, 232, 265, 268, 271, 275, 284, 287f, 300, 310ff Selbständigkeit 159, 161, 163, 165, 218, 244 ff, 249 ff, 254 ff, 262 Selbstbewußtsein 4, 14, 16, 18, 36, 81 f, 85, 94 ff, 102 f, 105f, 109, 111, 115f, 118f, 121, 124, 127f, 130f, 133f, 137ff, 149, 170, 172f, 277, 301 Selbstbeziehung 39ff, 53, 105, 137, 148, 169 ff Selbstreferenz 180 Selbstwiderspruch 33, 38f, 47, 69f, 106, 235, 274, 305

340

Sachregister

Struktur 6, 9, 11, 13, 17, 20f, 40f, 43, 45, 52, 56, 58 f, 62 ff, 73, 79, 81, 84, 92, 96ff, 106, 115, 137f, 148 ff, 156, 159, 161, 169, 171, 177, 182 f, 186, 191, 204, 209, 217, 221, 226 f, 234, 241, 246 f, 252 f, 262 ff, 273, 276, 281 ff, 295f, 299f, 302, 304, 306, 309ff, 318, 322 Stufensystem 32 Subjekt 36f, 4 7 f , 50, 52f, 62, 76, 94, 97f, 104, 106, 111, 127, 131, 136, 138f, 165, 172f, 220f, 243, 259, 261, 276, 301, 316, 321 Substanz 2, 14, 19, 61, 108, 111, 120, 122f, 135, 212, 256, 286, 288, 311, 319ff Sukzession 287, 298, 308 Synthesis 7, 30, 32, 34, 40, 75, 90, 127, 132, 137, 140ff, 149, 176, 191, 200, 238, 240, 264, 280, 283f System 2, 3, 5 f , lOf, 13ff, 35f, 68, 83, 85ff, 98, 108, 110, 114, 127f, 131, 135, 137, 139f, 152, 154, 156, 165f, 169, 172, 174, 176, 223, 231, 283 Teil lOf, 18, 22f, 25, 2 7 f f , 33ff, 38, 40, 45, 50, 54ff, 64, 67, 72f, 79f, 82, 88ff, 96, 98, 108, 116ff, 121 f, 125, 128f, 133, 136, 141, 162 ff, 167,174, 177, 1 7 9 , 1 8 1 , 1 8 6 f f , 198, 200f, 210ff, 220, 223, 227ff, 231 f, 239 f, 243 ff, 250 ff, 256, 258 ff, 265 ff, 269f, 274, 277ff, 305 Thema 3, 32, 39f, 42f, 50, 53, 55, 63, 67, 70, 75, 131, 246, 253, 255f, 258 f, 261, 279 Totalität 15, 17, 49, 62, 133, 135, 142ff, 153f, 164f, 169ff, 178, 321 Totalitätsbegriff 127, 139, 169, 173f, 175f Transzendenz 52, 80, 111 ff, 116, 123, 126, 321 Triplizität 140, 149 Umschlag 77f, 287, 310 Unbegrenztheit 58, 66, 70, 72, 74, 256 Unendliches 56, 58f, 62f, 130, 133, 136, 140, 168 f, 172, 176, 185f, 193 f, 197, 201 ff, 207f, 212, 219f, 222, 224f, 234f, 265 ff, 271, 277, 292 f, 320 Unendlichkeit 20f, 56, 65, 169, 180, 184ff, 191, 194, 196f, 201, 208f, 212, 215ff, 219f, 226f, 229, 235, 265, 269, 276, 293f, 297, 322 f

Unmittelbarkeit 98, 108f, 143, 147ff, 155ff, 161, 163, 165, 167, 170, 175, 308 Unselbständigkeit 93, 249, 256 Urbegriff 97, lOOff, 126 Urrealität 97, lOOff, 106 Veränderung 19, 132, 183, 244, 286ff, 301 ff, 315, 318, 322 Verbindung 7ff, 18, 28f, 32f, 47, 53, 57, 63f, 72 , 76, 94, 9 8 f , 105, 114, 140f, 152, 157, 191, 218, 220, 234, 242f, 245, 250, 265, 274, 277, 280, 283, 287, 297, 307f, 312, 317 Vergehen 35, 76, 286ff, 303, 305f, 311, 318, 322 Vermittlung 4, 18, 23, 34, 36, 54, 75ff, 97, 146 ff, 163 ff, 167, 175 ff, 189, 279, 280 ff, 285, 300, 309, 317, 323 Vermittlungsprinzip 34, 77f, 280ff, 285, 289f, 301 f, 310f, 313, 318f, 322 Verstand 9, 13f, 38, 87f, 96, 119f, 122, 132f, 135, 146, 163, 168, 179, 182, 184, 186, 198, 204, 216, 218, 227, 233f, 238, 252, 274, 282, 296, 298ff, 307, 309, 315f, 319, 321, 323f Vielheit 10, 14, 19f, 35, 38f, 45ff, 55f, 67, 69, 74, 87, 91 ff, 107, 118, 124f, 135f, 138, 183, 190f, 235, 239, 241, 248, 252f, 256, 260, 262, 268, 277, 282, 290, 298ff, 310 Werden 5, 55, 60, 63, 65, 76f, 135f, 151, 153, 170, 176, 208, 214, 217, 219, 225f, 284, 287ff, 293, 302, 310ff, 322 Widerspruch 22, 27, 33, 36ff, 43f, 46ff, 52, 54f, 67, 70ff, 76, 84, 112, 120, 139, 146, 158f, 163, 166, 174, 179, 185, 191 ff, 209, 233ff, 242, 246, 249, 263, 271, 274ff, 278, 306 Wissen 3, 16f, 47, 92ff, 99ff, 106f, 109, 111, 113, 115 ff, 127f, 131 f, 134, 139, 172f, 205, 277, 300 Zeit 18f, 27, 34, 37, 46, 75ff, 83, 180, 187, 189f, 192ff, 200, 202, 204, 206f, 209f, 215ff, 219, 230f, 238, 244, 286f, 289, 293ff, 301, 303 f, 308, 313, 318 Zweiheit 14, 38, 4 2 f , 45, 47, 53f, 56ff, 69, 79, 81, 84, 88, 90, 100, 103, 105ff, 110, 126f, 135 f, 177, 218, 284, 325

Günter Abel

Stoizismus und Frühe Neuzeit Zur Entstehungsgeschichte modernen Denkens im Felde von Ethik und Politik Groß-Oktav. X , 377 Seiten. 1977. Ganzleinen D M 118,- ISBN 3 11 007262 9

Karen Gloy

Die Kantische Theorie der Naturwissenschaft Eine Strukturanalyse ihrer Möglichkeit, ihres Umfangs und ihrer Grenzen Groß-Oktav. IX, 227 Seiten. 1976. Ganzleinen DM 6 8 , - ISBN 3 11 006569 X

Christos Axelos

Die ontologischen Grundlagen der Freiheitstheorie von Leibniz Groß-Oktav. VIII, 385 Seiten. 1973. Ganzleinen DM 6 1 , - ISBN 3 11 002221 4

Emil Angehrn

Freiheit und System bei Hegel Groß-Oktav. XII, 490 Seiten. 1977. Ganzleinen DM 124,- ISBN 3 11 006969 5

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Berlin · N e w York

Wolfgang Janke

Historische Dialektik Destruktion dialektischer Grundformen von Kant bis Marx Groß-Oktav. X I , 533 Seiten. 1977. Ganzleinen D M 1 3 5 , - I S B N 3 11 007286 6

Die ontologische Option Studien zu Hegels Propädeutik, Schellings Hegel-Kritik und Hegels Phänomenologie des Geistes Herausgegeben von Klaus Hartmann Mit Beiträgen von Friedhelm Schneider, Klaus Brinkmann und Reinhold Aschenberg Groß-Oktav. VIII, 312 Seiten. 1976. Ganzleinen D M 7 8 , - I S B N 3 11 006813 3

Henning Ottmann

Individuum und Gemeinschaft bei Hegel Band 1: Hegel im Spiegel der Interpretationen Herausgegeben von G. Patzig, E. Scheibe und W. Wieland Groß-Oktav. X , 406 Seiten. 1977. Ganzleinen D M 1 1 8 , - I S B N 3 11 007134 7 (Quellen und Studien zur Philosophie, Band 11)

Friedrich Kaulbach

Das Prinzip Handlung in der Philosophie Kants Groß-Oktav. X V I , 338 Seiten. 1978. Ganzleinen D M 1 0 8 , - I S B N 3 11 007219 X

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