199 54 30MB
German Pages 440 [442] Year 1989
de Gruyter Lehrbuch
Werner H. Schmidt
Einführung in das Alte Testament
Vierte erweiterte Auflage
w DE
G
Walter de Gruyter • Berlin • New York 1989
Die wissenschaftliche Leitung der theologischen Lehrbücher im Rahmen der „de Gruyter Lehrbuch"-Reihe liegt in den Händen des ord. Prof. der Theologie D. Kurt A l a n d , D. D., D. Litt. Diese Bände sind aus der ehemaligen „Sammlung Töpelmann" hervorgegangen.
CIP-Titelaujnähme
der Deutschen
Bibliothek
Schmidt, Werner H.: Einführung in das Alte Testament / Werner H. Schmidt. — 4., erw. Aufl. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1989 (De-Gruyter-Lehrbuch) ISBN 3-11-012160-3
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1989 by Walter de Gruyter & Co. Printed in Germany. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Einband: Lüderitz & Bauer, Berlin.
VORWORT Dieses Buch steht in einer Tradition und bricht zugleich mit ihr. Es hat einen Vorgänger in Johannes Meinholds „Einführung in das Alte Testament" (1919. 3 1932). Sie ist jedoch geschichdich aufgebaut, während die vorliegende Darstellung in ihrer Gliederung weitgehend der alttestamentlichen Literatur folgt. Setzt eine Einordnung der verschiedenen Bücher, Quellenschriften, Rechtssammlungen oder gar der Psalmen in die Geschichte Israels nicht ein sichereres Wissen über die Entstehungszeit der Texte voraus, als wir es besitzen? Im Gegensatz zur „Einleitung" ist der Titel „Einführung" durch die Wissenschaftsgeschichte nicht so festgelegt, daß nicht Raum für unterschiedliche Darstellungsmöglichkeiten bliebe. Deutlich ist aber, daß eine „Einführung" Elemente der drei Themenbereiche „Geschichte Israels", der Literaturwissenschaft (d.h. der traditionellen „Einleitung") und der „Theologie des AT" in sich vereinigen muß. Der Überblick über die Geschichte Israels ist in § 2 auf eine Wiedergabe der Hauptereignisse zusammengedrängt, wird aber in § 3 durch einen Einblick in gewisse sozialgeschichtliche Gegebenheiten ergänzt. Es ist jetzt die Zeit der Lehrbücher — vom Büchermarkt her geurteilt. Während es noch in den sechziger Jahren nur wenige Standardwerke gab, die man lesen mußte, ist das Angebot nun so vielseitig, daß die Auswahl schwerfällt. Trügt aber nicht der äußere Anschein? Es ist eigentlich nicht die Zeit der Lehrbücher — von der Forschung her geurteilt. Sie scheint sich in einer allgemeinen Umbruchssituation zu befinden. Wie einig hat sich die alttestamentliche Wissenschaft über lange Zeit dargestellt, und wie tief gespalten ist sie jetzt! Der Wandel vollzog sich gerade an entscheidenden Punkten; was mehr oder weniger selbstverständlich war und unangefochten galt, ist zweifelhaft geworden. Die Erklärung des Pentateuch aus dem sog. kleinen Credo (G. v. Rad), das Verständnis der Frühgeschichte Israels aus der Amphiktyonie (M. Noth), die Unterscheidung zwischen apodiktischem und kasuistischem Recht, die Rekonstruktion des Glaubens an den „Gott der Väter" (A. Alt), aber auch weit ältere Einsichten, wie die Verbindung des Deuteronomiums mit der Reform des Königs Joschija oder die Früh-
VI
Vorwort
datierung des Jahwisten, stehen nun in Frage. Selbst das Recht der Quellenscheidung im Pentateuch ist umstritten. Angesichts dieser Situation bleibt jeder Versuch, in das gegenwärtige G r u n d w i s s e n vom Alten Testament — von Art, Werdegang und theologischer Intention seiner Bücher — einzuführen, ein subjektives Unterfangen, fast ein Wagnis. Hat man sich deshalb damit zu begnügen, die verschiedenartigen Anschauungen schlicht gegenüberzustellen? Es mag z.Z. noch mehr umstritten sein, als die Darstellung, auch durch ihre Fragen, unmittelbar zu erkennen gibt. Doch habe ich mich bemüht, Eigenes zurückzustellen und hervortreten zu lassen, was die mehrheitlich getragene oder gar vorherrschende Auffassung sein könnte — sie zu bestimmen, ist aber nicht ohne persönliche Meinung möglich. Darum lag mir daran, die vorgetragene Ansicht auch zu begründen, so daß sich der Leser ein Urteil über die Tragfähigkeit der Argumente bilden kann. Hebräischkenntnisse sind beim Leser nicht vorausgesetzt. Er soll entscheiden, wieweit es gelungen ist, drei schwer zu vereinbarende Dinge — Vermittlung von Grundwissen (mit ein wenig Bibelkunde), erforderliche Kürze und Allgemeinverständlichkeit — zu verbinden. Kiel, im September 1978
Das Buch hat — auch bei Rezensenten — erfreulicherweise eine gute Aufnahme gefunden; die Absicht, in einer nicht leicht durchsichtigen Forschungssituation den oft unausgesprochen bleibenden Konsens eines Grundwissens zu suchen, wurde anerkannt. Bei Gelegenheit der vierten Auflage konnte der Schlußabschnitt zu Aspekten der Theologie und Hermeneutik (§ 30 — 32) nochmals ausgestaltet werden; außerdem wurden die Literaturangaben ergänzt. Meinen Mitarbeitern, die in Kiel, Marburg und Bonn bei der Entstehung oder dem Ausbau des Buches geholfen haben, danke ich herzlich. Bonn, im März 1989
Werner H. Schmidt
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort
V
I. Überblick §
über das Alte Testament
und seine
Geschichte
1 Die Teile des Alten Testaments
2
a) Name und Aufbau b) Die Entstehung des Kanons
2 5
§ 2 Epochen der Geschichte Israels
7
a) Die nomadische Vorzeit b) Die vorstaatliche Frühzeit (Landnahme und Richterzeit). . c) Die Königszeit 1. Die gemeinsame Zeit beider Reiche
10 14 17 18
2. Die Zeit der getrennten Reiche, bes. des Nordreichs Israel. . .
19
3. Die Zeit des Südreichs Juda
22
d) Die exilisch-nachexilische Zeit
25
§ 3 Elemente der Sozialgeschichte a) b) c) d) e)
28
Die nomadischen Sippen Der Landbesitz Wandlungen durch das Königtum Soziale Gegensätze zur Zeit der großen Propheten Die nachexilische Situation II. Traditionen und Quellenschriften des sowie der Geschichtswerke
28 31 34 35 37
Pentateuch
§ 4 Der Pentateuch a) Name und Aufbau b) Etappen und Probleme der Pentateuchforschung 1. Kritik an Moses Autorschaft
40 40 43 43
2. Entdeckung und Abgrenzung der Pentateuchquellen (Urkunden-, Fragmenten-, Ergänzungshypothese) 3. Datierung der Quellenschriften
44 45
VIII
§
Inhaltsverzeichnis 4. Ergebnisse und offene Fragen der Literarkritik
47
5. Form- und Uberlieferungsgeschichte
55
5 Ausgewählte Erzählformen
59
a) Mythos und Urgeschichte b) Die Uberlieferungsform der Sage
59 61
1. Die Einzelsage
61
2. Ätiologische Motive
65
3. Die Heiligtumslegende
66
4. Sagenkränze und spätere Sagengestalt
67
c) Die Josephsnovelle §
6 Das jahwistische Geschichtswerk a) Einleitungsfragen b) Theologische Intentionen
§
68 72 "t
7 Das elohistische Geschichtswerk a) Einleitungsfragen b) Theologische Intentionen
§
8 Die Priesterschrift a) Einleitungsfragen b) Theologische Intentionen
§
72 76 82 82 87 91 91 100
9 Alttestamentliches Recht
109
a) Rechtssatzformen b) Rechtssammlungen
109 113
1. Der Dekalog
113
2. Das Bundesbuch
115
3. Das Heiligkeitsgesetz
117
§ 1 0 Das Deuteronomium a) Einleitungsfragen b) Theologische Intentionen § 11 Das deuteronomistische Geschichtswerk a) Einleitungsfragen b) Theologische Intentionen c) Vom Josua- zu den Königsbüchern
119 119 128 136 136 140 146
1. Das Josuabuch
146
2. Das Richterbuch
148
3. Die Samuelbücher
151
4. Die Königsbücher
157
Inhaltsverzeichnis
IX
§ 12 Das chronistische Geschichtswerk
161
a) Die Chronik
161
b) Esra und Nehemia
163
c) Theologische Intentionen
168
III. Die
Prophetie
§ 1 3 Die Form des Propheten Wortes
174
a) Prophetenwort und Prophetenbuch
174
b) Hauptgattungen der Prophetenliteratur 1. Prophetenerzählungen 2. Visionen 3. Worte c) Fragen gegenwärtiger Prophetenforschung
181 181 183 185 189
d) Vorläufer der Schriftpropheten
191
§ 14 Arnos
195
§ 15 Hosea
202
§ 16 Jesaja
210
§ 17 Micha
221
§ 1 8 Nahum, Habakuk, Zephanja, Obadja
226
§ 1 9 Jeremia
234
§ 2 0 Ezechiel
247
§ 2 1 Deuterojesaja und Tritojesaja
257
§ 2 2 Haggai, Sacharja, Deuterosacharja, Maleachi
271
§ 23 Joel und J o n a
283
§ 2 4 Daniel
289 IV. Dichtung
aus Kult und
Weisheit
§ 2 5 Der Psalter
298
§ 2 6 Hoheslied, Klagelieder, Rut und Ester
310
§ 2 7 Die Spruchweisheit
320
X
Inhaltsverzeichnis
§ 28 Kohelet, der Prediger Salomo
327
S 29 Das Hiobbuch
332
V. Theologie und
Hermeneutik
§ 30 Zur Rede von Gott im Alten Testament
342
§31 Die Frage nach der Einheit des Alten Testaments Aspekte einer „Theologie des Alten Testaments"
367
§ 32 Für und wider das Alte Testament Themen alttestamentlicher Hermeneutik
373
Anhang Literaturverzeichnis
384
Abkürzungsverzeichnis
421
Register der Sachen und Begriffe
425
Register der Bibelstellen in Auswahl
429
§ 1 DIE TEILE DES ALTEN TESTAMENTS a) Name und Aufbau Das Alte Testament wird durch das Neue zum Alten. Schon im Namen „Altes Testament", der ja nur im Gegenüber zum „Neuen Testament" möglich ist, verbirgt sich das Problem christlicher Interpretation dieses Überlieferungskorpus. Dennoch geht dieser von christlichem Selbstverständnis her geprägte Name auf das AT selbst, genauer auf prophetische Zukunftserwartung, zurück: Gott wird sich seinem Volk nach dem Gericht wieder zuwenden. Nach der Verheißung von Jer 31,31 ff wird ein neuer „Bund" (lateinisch: testamentum) den zerbrochenen alten ablösen. Macht nicht schon dieses eine Wort beispielhaft deutlich, wie das AT über sich hinauswächst, sich selbst in der Hoffnung übersteigen kann? An solche die eigenen Gegebenheiten transzendierende Erwartung des AT kann das christliche Verständnis anknüpfen. Das Neue Testament bezieht die prophetische Verheißung auf die in Jesus angebrochene Zukunft (vgl. 2 Kor 3; Hebr 8). Die Übertragung des Begriffs „alter Bund bzw. Testament" auf die Bücher des AT findet sich allerdings im Neuen Testament noch nicht. Im Neuen Testament wird das Alte als Autorität (z.B. Lk 10,25 ff), als „von Gottes Geist eingegebene Schrift" (2 Tim 3,16), zitiert. Das AT gilt als „die S c h r i f t " bzw. „die Schriften" schlechthin (Lk 4,21; 24,27ff u.a.). Diese Bezeichnung spiegelt sein hohes, in gewissem Sinn einzigartiges Ansehen wider; sie ist aber nicht in dem Sinne mißzuverstehen, als sei das AT seinem Wesen nach schrifdich fixiertes, das Neue dagegen mündlich ergehendes, lebendiges Wort. Schon das AT ist zu einem erheblichen Teil, zumal in der prophetischen Botschaft, aus mündlicher Verkündigung hervorgegangen und ist später im Gottesdienst verlesen und erläutert worden (Neh 8,8; Lk 4,17). Das AT insgesamt wird im Neuen auch als „Gesetz" (Joh 12,34; 1 Kor 14,21 u.a.), näher als „Gesetz und Propheten" bzw. „Mose und Propheten" (Mt 7,12; Lk 16,16.29; Rom 3,21 u.a.) und schließlich einmal als „Mose, die Propheten und die Psalmen" (Lk 24,44) umschrieben. Diese Benennung legt nicht weniger ein Mißverständnis nahe: Das
Name und Aufbau
3
AT sei seinem Wesen nach gesetzlich. Das „Gesetz" hat jedoch keineswegs nur Gebots- (vgl. Mt 22,40), sondern auch Weissagungscharakter (Joh 15,25; Mt 11,13 u.a.). Erst recht entspricht eine gesetzliche Deutung nicht dem Selbstverständnis des AT. In der zwei- und noch stärker in der dreiteiligen Formel „Mose, die Propheten und die Psalmen" spiegelt sich der Aufbau des AT wider. Eine ähnliche Dreigliederung findet sich schon um 130 v. Chr. im Vorwort der griechischen Übersetzung zu den (apokryphen) Sprüchen Jesus Sirachs. Noch heute ist im Judentum — neben Namen wie tniqra „die Lesung, das zu lesende Buch" — als Bezeichnung der Bibel die Abkürzung TNK (gesprochen Tnach) gebräuchlich. Sie setzt sich aus den Anfangskonsonanten der Namen für die drei Grundbestandteile des AT zusammen. T: Tora, d.h. die „Weisung", die fünf Bücher Mose: Gen, Ex, Lev, Num, Dtn N : Nebiim, d.h. die „Propheten" (einschließlich der Geschichtsbücher Jos—Kön) K: Ketubim, d.h. die (übrigen heiligen) „Schriften", wie Psalter und Hiobbuch Demgegenüber ist die g r i e c h i s c h e Übersetzung des AT, die S e p t u a g i n t a (LXX), eher vierteilig, außerdem umfangreicher, enthält nämlich in wechselndem Ausmaß auch sog. Apokryphen (wie Makkabäer, Baruch oder Jesus Sirach): gesetzliche (1—5 Mo) geschichtliche (Jos, Ri, Rut, Sam, Kön, Chr, Esr, Neh, Makk u.a.) poetische (Ps, Spr, Koh, Hld, Hi u.a.) prophetische Bücher (Dodekapropheton bzw. Zwölfprophetenbuch, Jes, Jer, Klgl, Ez u.a.) Wenn man die beiden ersten Gruppen zusammenfaßt, d.h. die sog. fünf Bücher Mose zu den Geschichtsbüchern zählt, dann ergibt sich eine gegenüber der Gliederung im Hebräischen klarere Dreiteilung, die dem Unterschied der Zeiten entspricht: Vergangenheit (Geschichtswerke), Gegenwart (Psalmen, Sprüche) und Zukunft (Prophetie). Über die lateinische Ubersetzung, die Vulgata, ist dieser Aufbau in unsere Bibel eingedrungen.
In dem e r s t e n Komplex, dem P e n t a t e u c h bzw. den fünf Mosebüchern (u. § 4a), haben hebräische und griechische Überlieferung denselben Umfang. Da der Pentateuch mit der Schöpfung der Welt einsetzt und dann von den Anfängen (Erzväter, Ägypten) wie den Grundlagen (Sinai) Israels berichtet, steht er mit Recht voran.
4
Die Teile des Alten Testaments
Dagegen weicht bei der Bewertung der zweiten Gruppe die christliche von der jüdischen Überlieferung ab. Das Judentum versteht die Bücher der sog. großen Propheten Jesaja, Jeremia und Ezechiel (ohne Daniel) sowie das Zwölfprophetenbuch, das die Schriften von Hosea bis Maleachi (ursprünglich auf einer Rolle) vereinigt, als „ h i n t e r e bzw. spätere Propheten". Ihnen sind die Bücher Josua, Richter, Samuel und Könige als „ v o r d e r e bzw. frühere Propheten" vorgeordnet. Diese Gegenüberstellung „vordere — hintere" bzw. „frühere — spätere" kann man entweder räumlich, d.h. schlicht nach der Stellung der Bücher innerhalb des Kanons, oder eher zeitlich, also nach dem Auftreten der Propheten, erklären. Im „vorderen" erzählenden Schrifttum sind ja die Nachrichten über Propheten wie Natan, Elija oder Elischa gesammelt. Vielleicht beruht die Zusammenfassung geschichtlicher und prophetischer Werke zu einem Block zugleich auf der Anschauung, daß auch jene geschichtlichen Bücher von Propheten (Samuel) geschrieben wurden. Tatsächlich bestehen zwischen der Erzählliteratur und der l>rophetie, gewisse Gemeinsamkeiten. Beide stimmen etwa in der Geschichtsauffassung, speziell in der engen Verflochtenheit von (vorlaufendem oder auch nachfolgend-deutendem) Wort und Ereignis, ein Stück weit überein. Außerdem findet sich dieselbe redaktionelle Überarbeitung (aus der sog. deuteronomistischen Schule), die die Schuld des Volkes in der Übertretung des ersten und zweiten Gebots sieht, in beiden Bereichen. So scheint der Zusammenhang zwischen geschichtlicher und prophetischer Literatur schon in frühe Zeit zurückzureichen.
Dagegen ordnet die christliche Überlieferung die erzählenden Werke nicht der Prophetie zu, sondern bindet im Anschluß an die griechische und der ihr folgenden lateinischen Übersetzung den Pentateuch mit den Büchern Jos—Kön als Geschichtsbücher zusammen und fügt ihnen weitere erzählende Werke (Chr, Esr, Neh, Est) an. Auf diese Weise verliert der Pentateuch etwas von seiner Sonderstellung; stattdessen treten sein Charakter als Geschichtswerk und sein Zusammenhang mit dem Josuabuch deutlicher hervor: Die Landnahme erscheint als Erfüllung der den Erzvätern und Israel gegebenen Verheißung. Ja, die Gesamtgeschichte von den Erzvätern oder gar der Schöpfung bis zur nachexilischen Zeit bildet gleichsam eine Kontinuität, die sich nur in den einzelnen Schriftwerken zwischen Genesis und Esra/Nehemia unterschiedlich widerspiegelt. Der d r i t t e Teil des alttestamentlichen Kanons ist erst recht keine in jüdischer wie christlicher Überlieferung gleich fest umrissene Größe mehr. Dieser Gruppe ordnete man die „Schriften" (Hagiographen) zu, die in den beiden ersten — bereits als abgeschlossen geltenden — Kor-
Die Entstehung des Kanons
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pora keinen Platz mehr fanden; die Reihung dieser Werke lag über Jahrhunderte hindurch noch nicht fest. In der hebräischen Bibel folgen meist auf die umfangreicheren Bücher Psalter, Hiob und Sprüche die fünf Megillot, d.h. die Buch„rollen" der fünf Jahresfeste mit Rut, Hohemlied, Kohelet/Prediger, Klageliedern, Ester (§ 26), schließlich Daniel und das chronistische Geschichtswerk (Esr, Neh, 1—2Chr). Die christliche Überlieferung läßt — wieder in Anknüpfung an die griechisch-lateinische Übersetzung — einen Teil der Sammlung (Hi, Ps, Spr, Koh, Hld) als Einheit „poetische Bücher" bestehen, während sie einen anderen Teil (Chr, Esr, Neh, Est) den geschichtlichen und einen dritten (Klgl, Dan) den prophetischen Büchern zuweist. b) Die Entstehung des Kanons Daß im Aufbau des AT kein klares Prinzip waltet, erklärt sich aus dem geschichtlichen Wachstumsprozeß. Die Gliederung faßt, vornehmlich im Block der „Schriften", bereits vorhandene Bücher nachträglich zu einer Einheit zusammen. Ja, in der Aufteilung des AT wirken die Phasen seiner Entstehung nach. Als frühester Teil findet der P e n t a t e u c h , der in einer jahrhundertelangen Geschichte zusammenwuchs, im 5. oder spätestens 4. Jh. v. Chr. seine vorliegende Gestalt. Die Samaritaner, die sich allmählich — wohl erst in hellenistischer Zeit endgültig — von der Jerusalemer Gemeinde abspalteten, kannten und bewahrten nur die Tora, also die fünf Mosebücher, als Autorität (vgl. § 12c,4). Auch lag der vom 3. Jh. v. Chr. ab in Ägypten entstehenden griechischen Übersetzung der Pentateuch längst vor. An diesen Kern schlössen sich, etwa im 3. Jh. v.Chr., die P r o p h e t e n b ü c h e r als eigene Größe an. Die Ära der Prophetie schien zu Ende gegangen zu sein (vgl. Sach 13,2 ff), die Zeit der Interpretation zu beginnen. Um 190 v. Chr. zählt Sir 4 8 f im „Preis der Väter" bereits Jesaja, Jeremia, Ezechiel und die zwölf Propheten auf, während das Danielbuch, das erst um 165 v. Chr. entstand, fehlt. Verlangte der Pentateuch nicht geradezu nach einer Fortsetzung, auch wenn diese nicht dieselbe Dignität haben konnte? Die fünf Mosebücher weisen in ihren erzählenden wie gesetzlichen Partien mannigfach auf Israels Aufenthalt im Kulturland voraus. Umgekehrt beziehen sich die geschichtlichen, gelegentlich auch die prophetischen Texte auf die grundlegenden Traditionen aus Israels Frühzeit zurück. Zudem könnte die Gewohnheit, im Gottesdienst aus „Gesetz" und Prophetie vorzulesen (Apg 13,15), in weit ältere Zeit zurückreichen (u. § 13a3).
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Die Teile des Alten Testaments
Die Gruppe der „ S c h r i f t e n " wird gar erst in neutestamentlicher Zeit abgegrenzt, als das AT in seinem Gesamtumfang wie in seinem Textbestand festgelegt und kanonisiert, d.h. als inspiriert und damit für Glauben und Leben der Gemeinde gültig, anerkannt wird. Die Einfügung der Chronik oder des Danielbuches in diesen dritten Teil des Kanons spricht für die relativ späte Entstehung dieser Werke, da sie eben in den älteren, bereits abgeschlossenen Sammlungen keinen Platz mehr fanden. Jene endgültige Umfangsbestimmung des gesamten AT erfolgte wohl erst gegen Ende des 1. Jh. n . C h r . (vielleicht auf der sog. Synode von Jabne—Jamnia), als sich die jüdische Gemeinde nach der Zerstörung Jerusalems und des Tempels (70 n. Chr.) neu konsolidierte. Spielte bei der Kanonisierung auch eine Distanzierung vom Christentum eine Rolle? Nicht nur die Tora genoß längst vorher entsprechend hohes Ansehen, auch Prophetenbücher und Psalmen galten faktisch bereits als „kanonisch". Jedoch scheint das Neue Testament das Alte noch nicht in der uns vorliegenden, fest umrissenen Gestalt gekannt zu haben; jedenfalls zitiert es mehrfach Schriften (Jud 14f; vgl. 1 Kor 2,9 u.a.), die als apokryph, d.h. nichtkanonisch, ausgeschieden wurden. Diese Kanongeschichte wirkt sich noch in den christlichen Kirchen aus, die den Umfang des AT nicht in gleicher Weise abgrenzen, die Apokryphen teils beibehalten (katholisch), teils ausgliedern (lutherisch, schärfer reformiert). Der Aufbau des (hebräischen) Alten Testaments Mutmaßliche Name
Inhalt
Fixierung („Kanonisierung")
Tora
Pentateuch:
5 . / 4 . Jh. v. Chr.
„Weisung"
1—5 M o = Gen, Ex, Lev, Num, Dtn
(Samaritaner)
Nebiim
„Vordere (Frühere) Propheten":
„Propheten"
Jos, Ri, 1 - 2 Sam, 1—2 Kön „Hintere (Spätere) Propheten":
3. Jh. v. Chr.
Jes, Jer, Ez Zwölfprophetenbuch (Hos—Mal)
Ketubim „Schriften"
Ps, Hi, Spr 5 Megillot: Rut, Hld, Koh, Klgl, Est Dan, chron. Gesch. (Esr, Neh, Chr)
um 100 n. Chr.
§2 EPOCHEN DER GESCHICHTE ISRAELS Das AT ist in der Geschichte entstanden und bezieht sich in der Mehrzahl seiner Aussagen auf Geschichte. Jedoch ist seine Darstellung Glaubenszeugnis, das die Überlieferung nicht in ihrer ursprünglichen Gestalt, „historisch rein", bewahrt, sondern auf die jeweilige Gegenwart bezieht und damit zugleich verändert. Darum fällt dem Historiker die Aufgabe zu, die Geschichte Israels kritisch aus dem AT herauszuschälen. Diese Rekonstruktion basiert auf einem m e t h o d i schen D r e i s c h r i t t : (i.) Analyse der Quellen einschließlich des in ihnen enthaltenen mündlichen Überlieferungsstoffes, (2.) Auffindung und Auswertung außerbiblisch-altorientalischen Vergleichsmaterials und (3.) — besonders behutsam — Rückschluß auf die historischen Vorgänge.
Umfangreichere schriftliche Überlieferung setzt in Israel erst mit Beginn der Königszeit ein; Erinnerungen aus früheren Epochen wurden mündlich, vielfach in Form von Sagen, weitergegeben. Die Lage der Quellen, aber auch die verschieden angewandte Methodik bringen es mit sich, daß vor allem im Bereich der Vor- und Frühgeschichte Israels vielfach nur umstrittene Ergebnisse erzielt werden. Israel ist als geschlossene Größe historischer Rückfrage erst nach der Einwanderung in Kanaan greifbar; sein Selbstverständnis gründet sich jedoch auf Überlieferungen aus der Zeit vor der Seßhaftwerdung. In Anerkennung dieses Sachverhalts läßt sich die Geschichte Israels zur besseren Übersichtlichkeit grob in fünf oder sechs Epochen aufteilen (wobei man etwa IV. und V. zu einer Phase zusammenziehen kann): I. II. III. IV. V. VI.
Nomadische Vorzeit Vorstaatliche Frühzeit Königszeit Exil Nachexilische Zeit Zeitalter des Hellenismus
15.(?) —13. Jh. 12.-11. Jh. rd. 1000-587 587-539 ab 539 ab 333
Die oft komplexen Probleme der Geschichtsschreibung vorzuführen und die vielfältigen Einzelheiten der Geschichte Israels in ihren altorientalischen Zusammenhängen darzustellen, liegt natürlich nicht im Sinne dieses knappen Überblicks. Vielmehr soll nur ein Rahmen abgesteckt werden, in den die zum Verständnis des AT unabdingbar wichtigen Ereignisse eingezeichnet sind. 2
Schmidt: Einführung AT
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