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German Pages [529] Year 2017
Eugene Gendlin
Ein ProzessModell
VERLAG KARL ALBER
https://doi.org/10.5771/9783495817049
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B
Eugene Gendlin Ein Prozess-Modell
VERLAG KARL ALBER
A
https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Eugene Gendlin entfaltet in seinem philosophischen Hauptwerk ein nicht-duales Verständnis von Körper und Umwelt, Gefühl und Sprache, vom komplexen Reichtum des Erlebens und dem kreativen Spielraum seiner Artikulierbarkeit. In acht Kapiteln entwickelt der Autor entlang den Charakteristiken der Körper-Umwelt-Interaktion die Komplexität eines Verhaltensraums, aus dem ein noch komplexerer symbolischer Raum entsteht. Dabei manifestiert sich ein explikatives Methodenverständnis, das den »beschreibenden Standpunkt« verlässt und damit ein tradiertes Verständnis von innen und außen, von subjektiv und objektiv überwindet. Der kreative Prozess schafft sich auf diese Weise seine eigene Sprache. »Ein Prozess-Modell« öffnet neue Perspektiven hinsichtlich des philosophischen und kognitionswissenschaftlichen Problems der Körper-Geist-Spaltung. Es ist zudem ein sprachphilosophischer Grundlagentext, der verständlich macht, wieso Sprechen über Erfahrung diese verändern kann. Zugleich ist dies ein Text, der den Lesenden über die Möglichkeiten menschlichen Erlebens und Sprechens staunen lässt.
Der Autor: Eugene Gendlin (geb. 1926) war von 1964 bis 1995 Professor für Philosophie und Psychologie an der Universität von Chicago. Er ist Begründer des Focusing und der Focusing-orientierten Psychotherapie. Eugene Gendlin hat zahlreiche Bücher geschrieben, u. a. Experiencing and the Creation of Meaning (1962) und Focusing (1978), das in 17 Sprachen übersetzt wurde. Er wurde viermal von der APA (American Psychological Association) ausgezeichnet, u. a. für außerordentliche theoretische und philosophische Beiträge zur Psychologie, er erhielt 2008 den Viktor-Frankl-Preis der Stadt Wien und wird 2016 für sein Lebenswerk von der World Association of Person-Centered and Experiential Psychotherapy geehrt.
https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Eugene Gendlin
Ein Prozess-Modell Herausgegeben und übersetzt von Donata Schoeller und Christiane Geiser
Verlag Karl Alber Freiburg / München
https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
2., verbesserte Auflage 2016 © Eugene Gendlin © der deutschen Ausgabe VERLAG KARL ALBER in der Verlag Herder GmbH, Freiburg / München 2015 Alle Rechte vorbehalten www.verlag-alber.de Satz und PDF-E-Book: SatzWeise GmbH, Trier ISBN (Buch) 978-3-495-48704-4 ISBN (PDF-E-Book) 978-3-495-81704-9
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Inhalt
Donata Schoeller: Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einführende Bemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel I: Körper-Umwelt
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Kapitel II: Funktionszyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel III: Ein Objekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel IV: Körper und Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel IV-A: Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Körper als der sich fortsetzende Prozess . . . . . . . b) Ein gesamtes Implizieren . . . . . . . . . . . . . . . c) Körper-Umwelt 2 und Umwelt 3 als Subprozesse des Körpers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d-1) Symbolische Funktionen des Körpers . . . . . . . d-2) Einige Anforderungen an unsere weitere Konzeptbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) »Alles-durch-Alles« (eveving) . . . . . . . . . . . . f) Ausrichten (focaling) . . . . . . . . . . . . . . . . . g-1) Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g-2) Alte und neue Modelle: einige Gegensätze . . . . . h-1) Kreuzen, Metapher, Gesetz des Geschehens . . . . h-2) Freiheitsgrade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h-3) Schematisiert werden durch Schematisieren (»sds«) h-4) Die zwei Richtungen des »sds« . . . . . . . . . . .
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76
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76 76 83
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86 91
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92 108 121 124 127 130 135 139 139 5
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Inhalt
Kapitel IV-B: Zeit: Umwelt 2 und Umwelt 3, Geschehen und Implizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Kapitel V: Evolution, Erneuerung und Stabilität . . . . . . . . 168 Kapitel V-A: Ereignisse, die dazwischenkommen . . . . . . . 168 Kapitel V-B: Stabilität: der offene Zyklus . . . . . . . . . . . 187 Kapitel VI: Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel VI-A: Verhalten und Wahrnehmung . . . . . . . . Kapitel VI-B: Die Entwicklung des Verhaltensraums . . . . 1. Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kreuz-kontextuelle Herausbildung . . . . . . . . . . 3. Verhaltensraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Raum, den man haben kann . . . . . . . . . . . . b) Raum-und-Zeit, die wir haben können . . . . . . c) Zwei Sektoren des offenen Zyklus . . . . . . . . . 4. Pyramidisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Objekt-Bildung: Objekte stellen sich heraus (fall out) Appendix zu Kapitel VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ruhende Wahrnehmung, Wahrnehmung der Wirkung und Wahrnehmen hinter dem eigenen Rücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ruhende Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . b) Wahrnehmung der Wirkung . . . . . . . . . . c) Wahrnehmung hinter dem eigenen Rücken . . 7. Relevant machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Verbinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Verdichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. »Zurückfallen« auf ein primitiveres Niveau . . . . 11. Verhaltensmäßige Körper-Entwicklung . . . . . . 12. Gewohnheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Vorstellung (kination), Imagination und Felt Sense
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195 195 210 210 211 215 218 219 223 225 226 232
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232 232 232 233 234 235 235 238 239 241 242
Inhalt
Kapitel VII: Kultur, Symbol und Sprache . . . . . . . Kapitel VII-A: Ein symbolischer Prozess . . . . . . . a) Körperaussehen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Tanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verdoppeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die neue Art des Vorantragens . . . . . . . . . g) Bilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Gesehenes und Gehörtes . . . . . . . . . . . . i) Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Allgemeines (Arten) . . . . . . . . . . . . . . . j-1) Getrennte Sinne . . . . . . . . . . . . . . j-2) Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j-3) Drei Formen des Allgemeinen . . . . . . j-4) Das vorgeformte Implizite (Typ-a) . . . . k) Handlung und Gebärde . . . . . . . . . . . . . l) Sich einstellende Rituale (Slotted Rituals) . . . m)Herstellen und Bilder . . . . . . . . . . . . . . n) Frische Herausbildung von Sequenzen und Werkzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . o) Schematische Begriffe: verwoben; implizites Funktionieren; gehalten; rekonstituiert . . . . . o-1) Verwoben . . . . . . . . . . . . . . . . . o-2) Implizites Funktionieren . . . . . . . . . o-3) Gehalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . o-4) Rekonstituieren . . . . . . . . . . . . . . Kapitel VII-B: Proto-Sprache . . . . . . . . . . . . . a) Innerer Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Kipp-Punkt . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abwesender Kontext im gegenwärtigen Kontext
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247 247 247 251 253 257 261 262 266 270 272 272 272 274 275 283 284 286 288
. . . . 291 . . . . . . . . .
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291 291 294 297 302 309 309 313 319 324
7 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Inhalt
e) Das Kreuzen der Cluster und so genannte »konventionelle« Symbole (oder warum sie sich nicht länger ikonisch zum Körper verhalten; und wie sie dennoch organisch statt willkürlich sind: die internen Verhältnisse von protolinguistischen Symbolen) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Sprachbildung: Zwei Arten von Kreuzen . . . . . . . . f-1) Mittelbares Vorantragen; Sprachgebrauch . . . . f-2) Kontext(e) sammeln, Arten bilden sich . . . . . f-3) Laterales und sammelndes Kreuzen . . . . . . . f-4) Wort-Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f-5) Kurze Einheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . f-6) Der Kontext eines Wortes; gesammelte Kontexte und Interaktions-Kontexte . . . . . . . . . . . . f-7) Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f-8) Sprachgebrauch; neue Situationen . . . . . . . . f-9) Diskursiver Wort-Gebrauch vs. Kunst; Erneutes »Alles-durch-Alles«-Geschehen vs. Wieder-Wiedererkennen. (re-eveving vs. re-recognition) . . f-10) Neuer Ausdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . f-11) Frische Sätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f-12) Mit Bedacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f-13) Mehr als ein Kontext: menschlicher Raum und menschliche Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Wann kippt es? Das Ende der Lautbildung durch den Gebrauch der Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . Appendix zu f) Details fallen nicht weg; Allgemeinbegriffe sind nicht leere Allgemeinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel VIII-A: Mit dem Impliziten denken . . . . . a) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Direkter Referent und gefühlte Veränderung (Felt Shift) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die neue Art der Sequenz . . . . . . . . . . .
330 342 342 343 346 348 349 351 356 360
362 364 366 372 373 376
383
. . . . . 398 . . . . . 398 . . . . . 412 . . . . . 423
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Inhalt
d) Relevanz und das perfekte Feedback-Objekt . . . . . . e) Das Schema des neuen Vorantragens und des neuen Raums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Einige kurze Punkte, welche die Bildung des Direkten Referenten veranschaulichen . . . . . . . . . . . . . . f-1) Wie eine VIIIer-Sequenz Veränderungen im VIIer-Kontext schafft . . . . . . . . . . . . . . . f-2) Jede VIIer-Sequenz, die von einem Direkten Referenten ausgeht, ist wie eine neue »erste« Sequenz im Verhältnis zum VIIer-Kontext . . . f-3) »Monade« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f-4) VIIer-Aussagen, die aus einem Direkten Referenten entstehen, instanzieren ihn . . . . . f-5) Die neue »Universalität« des Direkten Referenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f-6) Die alte Universalität aus Kapitel VII ist ebenfalls implizit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f-7) Die ganze VIIer-Komplexität, nicht nur die gesammelten Arten, wird auf diese neue Weise vorangetragen und universalisiert; wir können nun das Prinzip »Bss« (Beispiel seiner selbst) herleiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f-8) Es gab den Direkten Referenten und die neu universalisierte Komplexität nicht vor seiner Herausbildung. Der Direkte Referent ist kein Nachdenken darüber, was zuvor da war (»Von ½ zu 2«) . . . . . . . . . . . . . . . . . . f-9) Direktes Kontext-Kreuzen erzeugt Neuerung, aber instanziert noch den Mangel . . . . . . . . f-10) Viele Worte, wie zum Beispiel »Richtung«, werden in Kapitel VIII-A in einer »Bss«-Weise gebraucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Zusatz zu Kapitel VIII-A.f . . . . . . . . . . . . . . . . g-1)- bis g-9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
428 433 445 445
445 446 447 448 448
449
451 452
453 458 458
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Inhalt
Appendix zu Kapitel VIII-A . . Monaden . . . . . . . . . . . Dianaden . . . . . . . . . . . Abschluss und Beginn . . . .
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472 472 488 496
Hinweise auf Gendlins Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . 506 Zentren, an denen man Gendlins therapeutische und philosophische Praktiken erlernen kann . . . . . . . . . . 507 Nachwort der Übersetzerinnen . . . . . . . . . . . . . . . 510 Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517
10 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Donata Schoeller
Einleitung
1. Was man erwartet und was einen erwartet Asiatische Kampfsportarten lehren, wie die kämpferische Energie des Gegners für die eigene Bewegung zu nutzen ist. Statt sich gegen die Kraft des Gegenübers aufzulehnen, lernt man etwa im Kung Fu, diese Kraft für sich und die eigenen Wendungen und Drehungen einzusetzen. Eugene Gendlins philosophisches und psychotherapeutisches Projekt legt einen vergleichbaren Umgang mit der Dynamik und Kraft »gewöhnlicher Erfahrung« 1 frei. Der Dreh, der sich in Gendlins Praktiken und auch in seiner Philosophie vollzieht, demonstriert, wie erlebte Zusammenhänge nicht nur »Gegenstand« von Kategorien, Theorien oder Meinungen sind, wie man nicht nur darüber, sondern jeweils auch mit bzw. darin reflektiert und formuliert. Die von ihm entwickelten Praktiken machen erlebbar, wie von diesem Prozess aus relevante Wendungen und präzise Unterscheidungen entstehen, die wirksam auf das Erleben (Denken und Fühlen) zurückwirken. Die von ihm entwickelte Philosophie zeigt, wie solche Möglichkeiten in einem Prozess denkbarer werden können, aus dem man sich selbst nicht »herausdenkt«. In der Philosophie der Gegenwart ist in den letzten Jahren vermehrt die Rolle der ins Abseits geratenen philosophischen
Ich beziehe mich mit dieser Formulierung auf Matthias Jungs Buch mit dem gleichnamigen Titel: Matthias Jung (2014), Gewöhnliche Erfahrung, Tübingen: Mohr Siebeck.
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Einleitung
Praxis betont worden. Gendlin, bis jetzt noch wenig bekannt und als Geheimtipp gehandelt, liefert sie tatsächlich 2 . Seine Betonung der Praxis und seine Befähigung, Schritte zu entwickeln, wofür Schritte unmöglich erscheinen, sind von einem philosophisch-aufklärerischen Motiv getragen, das sich unter dem Stichwort der Emanzipierung zusammenfassen ließe 3 . Auf der Basis des eigenen Erlebens und Auffassens gegen den Strom öffentlicher Sprachspiele und dominanter Auffassungen denken und formulieren zu können, entspricht dem Mo-
Mit diesen Praktiken meine ich das Focusing und das Thinking-at-theEdge (TAE). Vgl. hierzu Eugene Gendlin (1981), Focusing, 2. Aufl., New York: Bantam, siehe hierzu auch http://www.focusing.org/german.html, und Eugene Gendlin (2004), »Introduction to ›Thinking at the Edge‹«, in: Folio, Thinking at The Edge: A New Philosophical Practice, Vol. 19, Nr. 1, S. 1–12; Mary Hendricks (2004), »Thinking At the Edge (TAE) Steps«, in ebenda, S. 12–25; Heinke Deloch (2010), »Das Nicht-Sagbare als Quelle der Kreativität. E. T. Gendlins Philosophie des Impliziten und die Methode Thinking at the Edge (TAE)«, in: Stefan Tolksdorf und Holm Tetens (Hg.), In Sprachspiele verstrickt oder wie man der Fliege den Ausweg zeigt, Berlin: De Gruyter, S. 257–283; Donata Schoeller (2014), »Anfang«, in: Natalie Pieper, Benno Wirz (Hg.), Philosophische Kehrseiten. Eine andere Einleitung in die Philosophie. Freiburg: Karl Alber, S. 15–36. 3 Gendlin (1981), Focusing schreibt einleitend (S. 10): »The happiest change of all is that we can build the change process into society generally and not only in doctor-patient therapy that costs so much and sometimes gives so little. Now the inner act is teachable, we can teach it not just to therapy patients but to anyone. We have found that it can be taught in a school system, in church groups, in community centers, in many other settings.« (Das Erfreulichste an diesem Wandel ist, dass dieser Veränderungsprozess nun in der Gesellschaft insgesamt Platz hat und nicht nur in der Arzt-Patient-Beziehung in der Therapie, die so viel kostet und manchmal so wenig bringt. Nun wird der innere Akt erlernbar, und wir können ihn nicht nur Therapiepatienten beibringen, sondern jedem. Wir haben entdeckt, dass er in Schul-Systemen, in kirchlichen Gruppierungen, in Gemeindezentren und in vielen anderen Einrichtungen gelehrt werden kann. Übers. D.S.). 2
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Einleitung
tiv der Aufklärung, »selbst zu denken«. Während es damals bedrohliche Autoritäten und eingefahrene Traditionen waren, die einen daran hinderten, ist es heute das Gewicht der Experten, das Ausmaß des zu Wissenden und eine nicht endende Flut an Information, die uns entmutigen, Erlebnisse, Fragen oder Ahnungen tief gehen und an uns heran kommen zu lassen, selbst zu denken und Schwieriges zu artikulieren. Die weitreichenden Folgen von Gendlins Übungen lassen sich mindestens auf zwei Weisen philosophisch andeuten: Sie lehren zum einen, wie trotz der »Macht des Diskurses« (der Konvention, der Erziehung, der Kultur, des Paradigmas) die »eigene Stimme« möglich wird. Damit zeigen sie zum anderen, dass es eine Sache der Übung ist, sich, mit Dewey gesagt, im Spannungsfeld des »Universums der Erfahrung« und des »Universums des (mächtigen) Diskurses« erlebend, fühlend, reflektierend und artikulierend so bewegen zu können, dass darin immer wieder ein frischer, sinnvoller und reichhaltiger Spielraum des Weiterdenkens, -fühlens und -handelns entsteht. Der sich verändernde und erweiternde Bedeutungs- und Möglichkeitsraum, der auf diese Weise entstehen kann, ist das treibende Grundthema Gendlin’scher Philosophie. Kennt man Gendlins Praktiken des Focusing oder des TAE, so nimmt man das vorliegende Buch womöglich mit der Erwartung auf, dass es darum gehen wird. Kennt man sie nicht, dann nimmt man das Buch mit der Erwartung auf, einen Beitrag zur Prozess-Philosophie und zu Körper, Erleben, Umwelt und Sprache zu lesen. Die erstgenannte Erwartung wird einem trockenen Text begegnen, in dem es in den ersten zweihundert Seiten so gut wie nie um menschliches Erleben und um die Herausforderung zu gehen scheint, dieses zur Sprache zu bringen! Die zweite Erwartung wird einem Text begegnen, der die prozessphilosophischen Debatten nicht thematisiert und der mit Begriffen arbeitet, die nicht ideen- oder diskursgeschichtlich verortet werden! Und nach den ersten paar Seiten wird klar, dass dieses
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Einleitung
Buch, das sich anfänglich so gut wie nicht erklärt und den Leser wenig darauf vorbereitet, wohin die Reise geht, Arbeit bedeutet! Wegen dieser Anfangshürden ist diese Einleitung verfasst. Sie möchte eine Ahnung davon vermitteln, was im vorliegenden Buch unternommen wird, und damit andeuten, dass die Mühe von Seiten der LeserInnen reich, ich möchte sagen, über-erwartungsgemäß belohnt wird. Denn was dieses Buch unternimmt, kann nicht erwartet werden – das macht seinen Schwierigkeitsgrad und auch seine Qualität aus. Es wird darin mit bekannten Begriffen gegen die eingespielten Bahnen angedacht, in denen diese Begriffe gebraucht und verstanden werden. Das Ziel dieser jahrzehntelangen Denk-Arbeit Gendlins, die als sein philosophisches Lebenswerk zu erachten ist, ist auch nicht leicht in gängigen Klassifikationen unterzubringen. Weder handelt es sich um eine neue Metaphysik oder Ontologie, es ist keine Phänomenologie und kann auch nicht unter dem Schlagwort einer Philosophie der Psychologie abgebucht werden. Der vorliegende Text leistet dennoch wesentliche Beiträge für die genannten Bereiche und für so unterschiedliche Diskurse wie den sprachphilosophischen, emotions- und erkenntnistheoretischen, den kognitionswissenschaftlichen und umwelttheoretischen. Zugleich ist er zugänglich für den Laien, der sich in dieses Buch vertieft, ohne die genannten Fachdiskussionen zu kennen. Das ist ein Vorteil der oben angesprochenen Gründlichkeit: Die Lektüre erfordert keine weiteren Vorbedingungen außer der, sich auf den darin geübten Begriffsgebrauch tatsächlich einzulassen. Will man versuchen, die zentralen Herausforderungen zu verorten, denen sich das vorliegende Modell stellt, so haben sie mit der Überwindung des Dualismus von Körper und Geist zu tun bzw. mit der Überwindung der Annahme von grundlegender Trennbarkeit überhaupt. Anders formuliert könnte man auch sagen: Die Herausforderungen, denen sich dieses Buch stellt, entstehen aus der Sensibilität gewöhnlicher Erfahrung, aus der erstaunlichen Befähigung der Sprache, die Grenzen des Gegenwärtigen zu überschreiten, und aus dem Körper als orga14 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einleitung
nischer Kontinuität einer enormen Vergangenheit. Indirekt entstehen die Herausforderungen, denen dieses Buch begegnet, aus einer Tradition, die es nach wie vor erschwert, über bzw. in Interaktion zu denken. Man könnte deshalb auch sagen, das Buch liefert noch unbetretene Pfade, um über das »hard problem of consciousness« 4 nachzudenken. Dieses lautet in den Worten des Philosophen Thompson: »How is consciousness, as experienced from the inside by an individual conscious being, related to the natural life of that being, as observed and understood from the outside.« 5 Es werden hier Ansätze gründlich durchgespielt, die kognitionswissenschaftlich in jüngster Zeit erst als Paradigma des »Embodiment« diskutiert werden. Gendlin denkt früh durch, was heute, in den Worten Alva Noës, »erstaunt« festgestellt wird 6 , »Das schwere (oder anstrengende) Problem des Bewusstseins« (übersetzt von D.S.) Vgl. zu diesem Begriff und Problem: Thomas Nagel (1974), »What is it like to be a bat?«, in: The Philosophical Review LXXXIII, 4, S. 435–50; David Chalmers (1996), The Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory, New York: Oxford University Press; Evan Thompson (2010), Mind in Life: Biology, Phenomenology, and the Sciences of Mind, Cambridge, Mass: Harvard University Press; Owen Flannagan (2009), The Really Hard Problem. Meaning in a Material World, Cambridge, Mass: MITPress. 5 Thompson, Mind in Life, S. 222. (In welchem Verhältnis steht das Bewusstsein, das von einem individuellen bewussten Wesen innerlich erlebt wird, zum natürlichen Leben dieses Wesens, wie es von außen beoachtet und verstanden wird.« Übers. D.S.). 6 So schreibt der Kognitionswissenschaftler und Philosoph Alva Noë: »In this book I advance the truly astonishing hypothesis: to understand consciousness in humans and animals, we must look not inward, into the recesses of our insides; rather, we need to look to the ways in which each of us, as a whole animal, carries on the processes of living in and with and in response to the world around us. The subject of experience is not a bit of your body. You are not your brain. The brain, rather, is part of what you are.« Alva Noë (2009), Out of Our Head. Why You Are Not Your Brain, and Other Lessons from the Biology of Consciousness, New York: Hill and Wang, S. 7. (In diesem Buch nähere ich mich der wirklich erstaunlichen Hypothese an: Um das Bewusstein in Menschen und Tieren 4
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Einleitung
nämlich dass Bewusstsein nicht als Phänomen nur im Inneren des Menschen oder im Gehirn aufzufassen ist, sondern als aktive, dynamische Interaktion mit einer Welt, von der wir – und was wir fühlen, denken und tun – nicht zu trennen sind. In dieser Weise nimmt diese Philosophie den Standard voraus, den Avantgarde-Denker des Embodiment heute so formulieren: »I urge that it is the body-and-world-involving conception of ourselves that the best new science as well as philosophy should lead us to endorse.« 7 Das vorliegende Buch zeigt als Modell, wie eine solche Auffassungsweise aussehen kann, in der sich das Denken nicht aus den wechselseitigen Zusammenhängen verabschiedet, die uns denken und formulieren lassen. Man erlebt Interaktionen und Zusammenhänge, ohne diese in Worte fassen zu müssen (oder zu können). Man erlebt auch, wie wenig sie sich schön- oder wegreden lassen und wie genaue Begriffe oder Definitionen zu ungenau wirken, um »davon« angemessen sprechen zu können. Und man »weiß aus eigener Erfahrung« auch, was für eine Rolle es spielt, ob und wie sich das, was man erlebt, fühlt und denkt, sprachlich vermitteln lässt. Die Bedeutung der Poesie und Literatur, aber auch der Psychotherapie, die heute zunehmend in der Philosophie erkannt wird, hat genau damit zu tun: der multidimensional verästelten Wirklichkeit des Daseins in ihrer feintarierten Präzision eine Sprache
zu verstehen, müssen wir nicht nach innen schauen, in die Schlupfwinkel des Inneren; vielmehr müssen wir die Weisen beachten, in der jeder von uns, als gesamthaftes Lebewesen (Tier), die Lebensprozesse in und mit und in Antwort auf die Welt um uns herum weiterführt. Das Subjekt der Erfahrung ist nicht ein Teil deines Körpers. Du bist nicht dein Gehirn. Das Gehirn ist vielmehr ein Teil von dem, was du bist. Übers. D.S.) Vgl. hierzu auch das wichtige Buch von Thomas Fuchs (2013), Das Gehirn – ein Beziehungsorgan, 4. aktualis. und erw. Aufl., Stuttgart: Kohlhammer. 7 Alva Noë (2009), Out of Our Head, S. 24. (Ich plädiere dringend dafür, dass die beste neue Wissenschaft und Philosophie uns dahin führen sollten, Auffassungsweisen über uns selbst zu verstärken, die den Körper und die Welt einbeziehen. Übers. D.S.).
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Einleitung
verleihen zu können. Dagegen wirkt psychologische oder philosophische Theoriesprache stereotyp und banal. Wissenschaftlich stößt man schnell an Grenzen, wenn man über die Gültigkeit erlebter Zusammenhänge und über deren verletzliche und zugleich vitale Beziehung zur Sprache in Begriffen sprechen will, die standhalten und dem Thema gerecht werden können. Es ist ja gerade der Bereich des Erlebens und der erlebten Bedeutungen, der aufgrund seiner Einzigartigkeit und Unwiederholbarkeit nicht als wissenschaftlicher und allgemeingültiger zur Geltung kommen kann. Darum erwächst die Schwierigkeit, über die Art der Gültigkeit solcher Zusammenhänge in »genauen Begriffen« nachzudenken, aus einer Tradition, in der schon die Formulierung »genaue Begriffe« in diesem Kontext »Bauchschmerzen« auslösen kann: Wird in »genauen Begriffen« nicht das reichhaltige Spiel des Erlebens zwar vielleicht erklärbar, aber gerade dadurch – einmal mehr – zum Verschwinden gebracht? Oder die Bauchschmerzen entstehen umgekehrt: Wie kann überhaupt von der Genauigkeit des Erlebens die Rede sein? Ist das nicht ein Widerspruch in sich, da Genauigkeit nur auf der Ebene klarer Begriffe zu haben ist und sonst verloren geht? Die dichte, implizite Traditionslast gerade solcher berechtigten Befürchtungen und Bedenken, die sich in viele weitere ausbuchstabieren lassen, veranlasst Gendlin in diesem Buch, zentrale Grundbegriffe umzubuchstabieren und neu zu denken, allem voran den Begriff des Körpers, der Umwelt, des Verhaltens, des Raums und der Zeit, des Fühlens, der Sprache und der Allgemeinheit. Gerade diese Umdenk-Arbeit des Bekannten macht das Verständnis dieses Prozess-Modells selbst zu einer prozessartigen Angelegenheit. Die Schwierigkeit damit beschreibt niemand besser als der Aufklärungsphilosoph Kant, wenn er sagt, wie für einen die Begriffe in einem solchen Werk zwar so ähnlich lauten wie die bereits vertrauten, aber gerade deshalb dem Leser alles »wiedersinnisch und kauderwelsch vorkommen muss, weil man nicht die Gedanken des Verfassers, 17 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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sondern immer nur seine eigenen, durch lange Gewohnheit zur Natur gewordene Denkungsart dabei zum Grunde legt.« 8 Was hier also unternommen wird, ist nicht eine Kritik oder Dekonstruktion der »langen Gewohnheit zur Natur gewordener Denkungsart« oder ein postmodernes Programm einer erwünschten Veränderung. Das vorliegende Modell führt als Modell eine tiefgreifende Veränderung durch, wodurch schließlich Interaktion zur Grundlage wird, um ein Verständnis von Körper, Umwelt, Erleben und Sprache zu entwickeln, in dem genau nachvollziehbar wird, weshalb beispielsweise ein Gefühl – entgegen der Konnotation einer subjektiven Innenwelt – als etwas verstehbar wird, das aus der Interaktion von gelebter Gegenwart und Vergangenheit entsteht, aus dem komplexen Zusammenspiel lebendiger und dynamischer Prozesse, in denen je schon feintariertes Umweltgeschehen implizit und impliziert ist. Was innen und was außen ist, wird somit, wie Gendlin bereits in Kapitel I bemerkt, zu »keiner einfachen Frage« mehr. Im Laufe der acht Kapitel wird Schritt für Schritt nachvollziehbar, wieso auch der Gebrauch von Begriffen ein Geschehen ist, das häufig mehr Veränderung zustande bringt, »als man mit Tausenden von Worten jemals beschreiben könnte« (siehe Kapitel VIII-A.e). Arbeitet man sich durch dieses Buch hindurch, dann wird genau verständlich, »wie wir komplexe Situationen fühlen können; wie der Körper eine Antwort auf eine komplexe menschliche Lebenssituation finden kann, die wir uns selbst nicht hätten ausdenken können; und schließlich: wie Körper und Kognition nicht einfach auseinanderzudividieren sind« (vgl. Kapitel VII e). Es wird ebenfalls systematisch denkbar, »was ein ›Felt Sense‹ oder ein erlebter Sinn (experiential sense) ist, bevor wir diesen expliziert haben, und dass dieser schon vor der Explikation ›unglaublich präzise und komplex‹ wirkt« (ebenda). Es wird begreifbar, welche unreduzierbare Dichte den Verhaltensraum Immanuel Kant (1783/1989), Prolegomena zu einer jeden zukünftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. Stuttgart: Reclam, S. 14.
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kennzeichnet und wie dieser sich durch Sprache ungeheuer differenziert und verändert (vgl. Kapitel VIII-A.g). Wie Sprache an der Verdünnung und Verfestigung, aber auch an der Verdichtung, Umwälzung und Öffnung erlebter Situationen mitwirkt, wird in genauen Begriffen sagbar, die es zuvor erschwert haben, darüber sprechen zu können. Dass Bedeutung als Interaktion – nicht als Repräsentation oder Konstruktion – mit der immer auch gefühlten Situation aufzufassen ist, worin jedes Wort wiederum »ein gigantisches System impliziter Sequenzen und Kontexte« ist (vgl. Kapitel VII, Appendix zu f), dies wird mit einer Gründlichkeit verständlich gemacht, die dem langsam wachsenden Verstehen, wieder mit Kant gesprochen, »sehr vorteilhaft« werden kann – dem Buch selbst, mit dem feinsinnigem Humor des Aufklärers bemerkt, zunächst »allerdings nachteilig« 9 . Aufgrund der von Kant so gut beschriebenen Gefahr des schnellen Hineinlesens und -projizierens dessen, was man bereits weiß oder zu ahnen glaubt, war Gendlin lange Zeit gegen eine Einleitung. Die Veränderung von Denkgewohnheiten, die sich bis in eingespielte Begriffe eingenistet haben, kann nicht auf wenigen Seiten geschehen und auch nicht vorgängig zusammengefasst werden. Dafür braucht es den gründlichen Weg, den es braucht – sprich das Buch, das geschrieben wurde. Gendlins Sensibilität hinsichtlich der Verfälschungsgefahr einer Einleitung, die vorwegnimmt, was erst im Durcharbeiten zu haben ist, teilt er mit anderen. In der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes kritisiert Hegel etwa den Wunsch, Ziel, Sinn und Zweck seiner Schrift einleitend oder zu Beginn bereits erkennbar zu machen, als Ungeduld, die das »Unmögliche« verlange, »nämlich die Erreichung des Ziels ohne die Mittel«. 10 Was daran unmöglich ist, wird durch das vorliegende Buch selbst durchdacht. Denn es macht mit seinen acht Kapiteln unter anderem begreifEbenda. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1807/1970), Phänomenologie des Geistes, Frankfurt a. M: Suhrkamp, S. 33
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bar, dass eine veränderte Weise des Verstehens eine tiefgehende, äußerst komplexe Art von Veränderung ist, die prozesshaft geschieht. Nach vielen Gesprächen (und Einleitungsentwürfen) war Gendlin dennoch zu überzeugen, dass eine Einleitung die von Hegel angesprochene Ungeduld nicht bedienen müsse und dass sie für die Lesenden hilfreich sein könnte. Entsprechend beabsichtigt meine Einleitung folgendes: • zu reflektieren, auf welche Art der Veränderung man sich mit diesem Modell einlässt, ohne diese freilich vorwegnehmen zu können, und anzudeuten, wie man sich darauf einlassen kann; • zu fragen, was man von einer solchen Veränderung hat; • zu kontextualisieren, welchen Traditionen sich die hier durchgeführten Innovationen verdanken.
2. Ein neues Modell? a) Ein Text, der seine Genese denkbar macht, oder ein Zusammenhang, der die Möglichkeit seiner Entwicklung entwickelt Es brauchte Zeit und einige Gespräche, bis ich verstand, warum Gendlin seinen LeserInnen am Anfang seines Buches nur wenige, spärlich definierte Begriffe und Ausgangspunkte bieten kann. Mit jedem weiteren Schritt erst werden die Voraussetzungen, die die weitere Entwicklung ermöglichen, explizierbarer, erst im Fortgang kann die Arbeit ihren eigenen Grund (frei-) legen, der sich dann bei jedem weiteren Schritt als haltbarer erweisen und als tragfähiger ausbauen lassen kann. Es ist diese Entwicklungsmöglichkeit, mit der Gendlin seine Theorie bildet, die er zugleich auch zeigen und denkbar machen will – in ihrer komplexen Art von Ordnung. Sie gestaltet sich anders als eine Reihenfolge, die sich so darstellt, als ob es – ein paar expliziten 20 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Regeln und Gründen entsprechend – geradewegs von einer Proposition zur nächsten ginge. Eine solche Anordnung verwischt die Entstehungsspuren der Art des Prozesses, der dieser Darstellungsweise vorherging. In einem Gespräch erklärt mir Gendlin in seinem amerikanischen Deutsch: »Ich baue das Modell immer frisch und neu. Ich baue fortwährend und zeige dann auch: jetzt können wir nicht weiter, wir müssen zuerst neue ›Ausdrucksmittel‹ erstellen. Die Art und Weise, wie da gebaut wird, geschieht durch ›Ausdrucksmittel‹.« Damit ich besser verstehe, weist er auf einen Moment hin, der im alltäglichen Denken und Sprechen kaum zu bemerken ist und allzu selbstverständlich erscheint. Das Beispiel zeigt im Hinweis auf die Selbstverständlichkeit, mit der wir sprechen, wie hartnäckig und genau Gendlin von Aspekten des Erlebens aus denkt, die meist schon übersprungen sind, um Gehaltvolles überhaupt zu denken oder zu sagen: »Also nimm dir doch bitte irgendetwas, das du gerade denkst, dann siehst du, dass du nur die Anfangsworte hast, aber du, dein Körper weiß schon, wie es weitergehen wird. Du brauchst gar nicht weiterzugehen, um es zu haben. Du hast es schon. Ich kann aber auch merken, dass ich diesen Satz nicht vollenden kann, das kommt auch vor, das ist dann schon anders. Ich hab den Anfang, aber wie es weitergeht, das weiß ich noch nicht . . . . . so quatsche ich weiter. Gewöhnlich haben wir immer ein implizites Wissen, wie wir fortsetzen werden. Aber einen Satz vollenden ist eine große implizite Sache, die jeden Moment, in dem wir sprechen oder denken, geschieht.« Gendlin legt Stellen, an denen er noch nicht »weiterbauen« kann, im Text häufig offen 11 . In dieser Weise lässt der Autor Z. B.: In Kapitel III »Wir haben beispielsweise auch keine Bezeichnungen, die besagen, dass Nahrung für den Körper da sein kann, (…). Wie können sich hierfür Begriffe aus unseren Begriffen entwickeln?«. Oder in Kapitel IV-A: »Bis jetzt hatten wir noch keine Möglichkeit, über das scheinbar getrennte Ding zu sprechen, das wir gewöhnlich »den Körper« nennen.« Oder in Kapitel IV-B: »Bislang gibt es in unserem Modell keine
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seine Leser an der Entstehungsweise des Buches partizipieren, indem er immer wieder transparent macht, dass das Entwickelte bis hierher trägt, aber noch nicht weiter. Und doch – das Weitere, das an dieser Stelle zu denken und zu sagen wäre, ist auf eine gewisse Weise schon leitend. Worte, Wendungen, Sätze, logische Folgerungsweisen bieten sich vielleicht an, erscheinen jedoch ungenügend, um zu vermittlen, was »es braucht«. Nicht alles geht. Man könnte zwar »weiter quatschen«, aber es muss etwas ganz Spezifisches formulierbar werden, das erlaubt, an dieser Stelle weiter zu denken und klar zu machen, worum es geht. Diese Form des Brauchens zeichnet sich im Verhältnis von Denkprozess und Sprachgebrauch durch eine erlebbare Form von Präzision aus, die nicht nur logisch ist. Sie ist weder durch das sprachphilosophische Modell der Repräsentation noch durch das der Konstruktion zu begreifen. Im Zuge der acht Kapitel werden »Ausdrucksmittel« geschaffen, die erlauben, die implizite Komplexität zu verstehen, die involviert ist, wenn es gelingt, etwas zu sagen, das uns weiter zu denken, zu fühlen und auf relevante Weise weiter zu reden erlaubt (also nicht nur zu »quatschen«). Wie Gendlin im Gespräch bemerkte: es ist eine »große implizite Sache«, wenn so etwas möglich ist. Um diese »große implizite Sache« auszubuchstabieren, setzt er tief an – beim basalen InteraktionsverBegriffe für einen Raum, in dem Objekte im Prozess oder dem Prozess erscheinen«. Oder in Kapitel V-A: »Durch den Prozess, wie wir ihn in IIV konzipiert haben, können wir darüber nachdenken, wie neue Formen entstehen. Indem wir dies tun, werden zusätzlich neue explizite Konzepte zu denjenigen entstehen, die wir bereits haben.« In V-B: »In gewisser Hinsicht ist die neue Entwicklung leicht zu verstehen als Teil dessen, was wir schon hatten, während sie in anderer Hinsicht etwas Neues herausbildet und nur dann verständlich wird, wenn wir weitergehende Konzepte bilden.«. In Kapitel VII-A: »Oho! Unsere Schematik hat Konzepte gebildet, die uns über Selbstbewusstsein nachdenken lassen.« Und nochmals Kapitel VII-A: »Wir wollen diesem Konzept erlauben, für uns zu funktionieren und angewendet zu werden, so dass wir es später klarer definieren können, wenn es auf Weiteres angewendet werden kann.«
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hältnis von Körper und Umwelt. Von dort aus arbeitet er sich zu den Möglichkeiten des Erlebens, Formulierens und Denkens in acht Kapiteln methodisch so heran, dass sie nicht aus den Prämissen herausfallen, die angesetzt werden, um sie verständlich zu machen. Dabei entsteht unter anderem auch ein Verständnis für die schwindelerregende Komplexität der Alltagssprache und der Selbstverständlichkeit, mit der Laute »bedeutungsvoll« sind, so dass man ohne zu überlegen meistens weiß, was zu sagen ist und versteht, was gesagt wird. Das Staunen, das in der antiken Philosophie Anlass zum Denken gab und das in der Philosophie der Neuzeit durch das Motiv des Zweifels ersetzt worden ist, wächst im Zuge der Lektüre neu an. Von Beginn an entsteht in diesem Text eine begriffliche Struktur, durch die denkbar werden kann, inwiefern Sprache keine vom Körper abgetrennte symbolische Ebene ist, mit der Tatsachen repräsentiert oder Ideen abgebildet oder konstruiert werden. Die Beziehung von Körper und Umwelt wird zum Dreh- und Angelpunkt, um über Entwicklungen unterschiedlicher Körper-Umwelten nachzudenken, die schließlich auch eine Sprachumwelt denkbar werden lassen. Sprache als gewachsene Umwelt aus lebendigen Interaktionsprozessen, die diese verändert fortsetzen lassen, wird durch den Text selbst performativ modelliert. Denn die Struktur, die durch »Ausdrucksmittel« gebahnt wird, lässt den so genannten Diskurs oder das vom Leser mitgebrachte Verständnis verändert vor sich gehen. Diese Veränderung bedarf nicht nur der Begriffe, Definitionen, Prämissen und Logik. Um sowohl zu schreiben als auch zu verstehen, was hier vermittelt wird, benötigt es als Ressource die Art der (Selbst-)Verständlichkeit des erlebten (Denk-, Fühl-, Versteh-, Formulier-)Prozesses. Es braucht als Autor wie als Leser die Interaktion des vorantastenden Verstehens und Denkens mit der symbolischen Formulierung. Auf Seiten des Lesers bedeutet das: Lesen, Nachvollziehen, anfängliches Unverständnis oder vages Verständnis, Fragen, Anstrengung, Unsicherheit, Aha-Erlebnisse und Frus23 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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tration, Hin- und Herblättern, nochmals Lesen etc. Diese prozesshafte Aktivität erlaubt es, ein neues Verständnis zu bilden, eine veränderte Umwelt, die sich nicht auf die geschriebenen Propositionen, Sätze, Begriffe und Prinzipien reduzieren lässt. Es ist der lebendige Prozess, der eine neue Situation, einen neuen Kontext schafft, in dem sich denkend und fühlend anders »fortsetzen« lässt, den Gendlin denkbarer machen möchte. Wie »groß« die Veränderung impliziter Zusammenhangsweisen ist, wenn sich nur ein Gefühl verändert oder etwas Neues sag- bzw. denkbar wird, wird im Zuge der acht Kapitel immer nachvollziehbarer. Als Leser muss man am Anfang mit einem vorläufigen Verständnis dessen vorliebnehmen, was es mit den Begriffen auf sich hat, die einem anfänglich geboten werden. Dies gilt vor allem auch hinsichtlich des Zentralbegriffs »Implizieren«. Gendlin spricht die Unmöglichkeit, am Anfang eine umfassende Definition liefern zu können, offen an. Die Bedeutung dieses Wortes entsteht durch die Weise, wie sie Schritt für Schritt weiter gedacht und formuliert werden kann, wodurch sich ein Begriffsgebrauch einspielt, der mehr mitdenken lässt, als eine anfängliche logische oder definitorische Festlegung erlauben würde. Wichtig sind hierfür die Beispiele, die zu Beginn die untrennbare Beziehung von Körper und Umwelt vor Augen führen. Man kommt an die Bedeutung der Kernbegriffe nicht heran durch eine zur Gewohnheit gewordenen Externalisierung und Vergegenständlichung: Wir bringen die Dinge in der Regel »vor uns«, um sie zu verstehen, wir malen Diagramme, wir halten etwas von uns »weg«, um es dann begreifen zu können. Um den Begriff des Implizierens zu verstehen sowie das zentrale Prinzip »Geschehen ins Implizieren hinein«, muss das Gegenteil vollzogen werden: Entdistanzierung, die Beteiligung der selbstverständlichsten erstpersonalen Erfahrung, zum Beispiel, wie es ist, hungrig zu sein und zu essen, zu gehen, zu atmen, etwas sagen zu wollen und dafür das stimmige Wort zu suchen. Um den Text zu verstehen, wird ein erlebter Lebenszusammenhang 24 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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und -prozess beansprucht, der üblicherweise übersprungen wird, wenn über Körper, Sprache, Erfahrung diskutiert und nachgedacht wird. Die Bedeutung dieses Begriffs wird schließlich ein Charakteristikum lebendiger Prozesse denkbarer machen können, welches nicht auf Vorhandenes, Sichtbares und Beobachtbares reduzierbar ist. Vom Erleben aus (statt von »nirgendwo« 12 ) zu denken und den begrifflichen Ausgangspunkt so anzusetzen, dass »von hier« Zusammenhänge explizit werden, die die Erlebensdimension nicht zum Rätsel des erklärten Körpers werden lassen, das ist die Hürde, die hier modellartig überwunden wird. 13 Auch wenn das Vokabular trocken und bisweilen unvertraut ist, gelingt gerade dies: ein Verständnis von Zusammenhängen aufzubauen, die immer auch zu erleben sind und die jeweils weit über das hinausgehen (und zugleich verändert werden durch dasjenige), was man mit einer Theorie, einem Modell, mit Erklärungen und logischen Denkweisen darüber sagen kann. Auf diese Weise macht das Buch die Möglichkeit von (symbolischer) Entwicklung reflektierbar und somit auch sein eigenes Vorgehen. Die entsprechende »Gesetzmäßigkeit« wird in Kapitel VII als diejenige der Explikation ausgewiesen. Sie unterscheidet sich von einem üblichen Verständnis eines Gesetzes, das Zusammenhänge, Anordnungen und Folgeweisen explizit festlegt. Die Gesetzmäßigkeit der Explikation (vgl. VII-A.o) besagt dagegen, dass Explizieren (auch das Explizieren eines Gesetzes) bereichert und differenziert. Sie legt ein interaktives Verhältnis von »Ausdrucksmittel« und Denkweg, von expliziter Bedeutung und implizitem Sinn frei, dessen produktive Komplexität sich in acht Kapiteln seine eigene sprachliche Vermittlung baut. Was klassische Pragmatisten wie Dewey als das MissDie Formulierung lehnt sich an Thomas Nagels berühmten Buchtitel Der Blick von Nirgendwo an. 13 Vgl. Hierzu auch Schoeller (2011); »Der Blick von hier. Die Bedeutung der Erste-Person-Perspektive bei Hermann Schmitz und Eugene Gendlin.« In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Sonderband 29. 12
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verständnis einer falschen Reihenfolge beschreiben, wodurch Resultate eines Erfahrungs- und Denkprozesses so dargestellt werden, als ob es Prämissen, gegebene Prinzipien oder Gesetzmäßigkeiten wären, findet sich also im vorliegenden Text von Anfang an gründlich überwunden. Damit ist jene bereits von Husserl beklagte »Naivität« abgestreift, in welcher der Denkund Formulierprozess zu einem blinden Fleck der wissenschaftlichen Produkte wird, die er hervorbringt. Die selbstreflexive Art von Theoriebildung, die im vorliegenden Buch entwickelt wird, lässt eine Beweglichkeit und genaue Zugriffsmöglichkeit zu, die ich oben mit den asiatischen Kampfsportarten in Verbindung gebracht habe – was hier gedacht wird, arbeitet offen mit einer zusätzlichen Präzisierungsmöglichkeit zu der logischen und begrifflichen. Dabei zeigt der vorliegende Text, dass der implizite Prozess, dem er Rechnung trägt, nicht auf gleiche Weise »funktioniert« wie der logisch-begriffliche, und er macht formulierbarer, wie er funktioniert. Um die mächtige Weichenstellung bewusst zu machen, die, mit Merleau-Ponty gesagt, in einer solchen »radikalen Reflexivität« 14 liegt, wechselt der Text bisweilen zwischen Denkweisen, die als »altes« und »neues Modell« umschrieben werden. Man verkennt den Zweck dieser Unterscheidung, wenn man glaubt, der Begriff des »alten Modells« sei ein »Topf«, in den alle anderen großartigen Philosophien vor der Gendlin’schen geworfen würden. Der Perspektivenwechsel zwischen »alt« und »neu« ist als eine Übung zu verstehen, um die verschiedenen Weichenstellungen unterschiedlicher Grundannahmen und Methodiken und ihrer weitreichenden Folgen bemerken zu können. Das Wechseln zwischen alten und neuen, sich erst herausbildenden Perspektiven findet sich in verwandter Weise bei Wittgenstein. Dieser demonstriert in seinen Philosophischen Untersuchungen an einer Vielzahl von interessant klingenden Fragen, wie verfänglich schon die scheinbar unverfängliche FraSiehe Maurice Merleau-Ponty (2000), Sinn und Nicht-Sinn, München: Fink, S. 102.
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gestellung ist und wie sehr sie als solche seiner berühmten Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas verunmöglicht (§ 308). Ist Denken eine Art Sprechen? (§ 330) Was geschieht, wenn ein Mensch plötzlich versteht? (§ 321) Könnte der das Wort »Schmerz« verstehen, der nie Schmerz gefühlt hat? (§ 315). Müssen wir uns selbst beim Denken zuschauen, um uns über die Bedeutung des Wortes »Denken« klar zu werden? (§ 316). Im Ausbuchstabieren der Hintergrund-Annahmen hinter diesen Fragen markiert Wittgenstein immer wieder die grundlegende Differenz, ob man von versteckten Vorgängen und Entitäten ausgeht, die die Bedeutung von Worten ausmachen, oder ob man bereit ist, den tatsächlichen Sprachgebrauch anzuschauen. Wittgenstein zeigt, dass es die Grundannahmen sind, die verhindern zu bemerken, dass die Bedeutung im Gebrauch des Wortes liegt und dass diese von Situation zu Situation und von Sprachspiel zu Sprachspiel variieren kann. Mit einer entsprechend grundsätzlichen Differenz der Herangehensweise arbeitet Gendlin. Er macht durch das ganze Buch hindurch theoretische Gewohnheiten bewusst, die die Entwicklung, die er modelliert, zu denken verunmöglichen. Diese Gewohnheiten bestehen unter anderem darin, von der Welt als Summe vorhandener Entitäten bzw. Objekte auszugehen; von messbaren Einheiten, die alles konstituieren; von einem Satz bestehender Begriffe, Kategorien und logischer Regeln, die auf alles klassifizierend und ordnend zu legen sind; von Ereignissen, Gegenständen und Menschen als getrennten, die aufeinander einwirken; von einer Subjekt-Objekt-Dichotomie und einem damit einhergehenden Dualismus (oder Vulgärcartesianismus), der den Spalt zwischen dem Erleben und seiner theoretischen Erklärung unüberbrückbar macht.
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b) Na und? Aber was hat man davon, wenn sich gewohnte Begriffsverständnisse und Denkweisen diesbezüglich ändern? Sind dann nicht nur gewisse Probleme der Fachdiskussion wieder auf veränderte Weise philosophisch angegangen? Hat man nicht einfach nur ein weiteres philosophisches System »gelernt« 15 ? Angesichts einer solchen berechtigten Frage möchte ich versuchen, im Vorfeld anzudeuten, wieso die im folgenden Text vorgenommenen Veränderungen nicht nur damit identisch sind, ein weiteres philosophisches System mit eigentümlichem Vokabular zu lernen. In Ein Prozess-Modell entwickelt Gendlin auf die oben charakterisierte Weise die Bedingungen der Möglichkeit eines Erlebensspielraums, der sich auf verschiedenen Entwicklungsstufen im Sinne eines »Differenzholismus« verändert, das heißt kontinuierlich und doch gesamthaft 16 . Am Ende von Kapitel IV, nachdem die Grundlagen seines Modells stehen, spricht Gendlin nicht nur ein inhaltliches, sondern ein methodische Ziel seines Buches unter anderem so an: »Wir werden außerdem Konzepte entwickeln, mit denen Kultur, Sprache und Denken über sich selbst sprechen können, nicht nur wie bisher, sondern in Begriffen, die uns erlauben, in unsere Komplexität einzutreten.« Diese merkwürdige Formulierung ist ernst zu nehmen. Sie deutet an, warum es im Einlassen auf dieses Buch nicht nur darum geht, sich ein weiteres philosophisches Modell zu Gemüte zu führen. Es geht vielmehr darum, einem Zusammenhang von Körper, Umwelt, Raum und Zeit, Fühlen, Denken und Sprechen so nachzudenken, dass sich schließlich ein erweitertes VerständVgl. zu dieser Frage Michael Hampes Reflexionen, in Michael Hampe (2014), Die Lehren der Philosophie. Eine Kritik. Frankfurt: Suhrkamp, vor allem den Abschnitt »Erziehen mit neuen Begriffen«, S. 14–28. 16 Zum Begriff des Differenzholismus vgl. Matthias Jung (2009), Der bewusste Ausdruck. Anthropologie der Artikulation. Berlin: De Gruyter, vor allem den Abschnitt 1.1.2. »Der Differenzholismus des Menschlichen«, S. 54–62. 15
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nis sowie erweiterte Möglichkeiten dessen öffnen, was man mit Begriffen tun und leisten kann. Der spiralförmige Weg, der das Verhältnis von Körper und Umwelt mit den Mitteln der Sprache so durchdenkt, dass dadurch ein radikal verändertes Verständnis von Sprache entsteht, erlaubt schlussendlich, diese alltäglich wie auch theoretisch so zu gebrauchen, dass sich damit in die humane »Komplexität einsteigen« lässt – d. h. in ihre untrennbare Interaktion mit vielschichtigen Umwelten. Was man davon hat, kann auf unterschiedliche Weisen und im Blick auf unterschiedliche Folgen zum Ausdruck gebracht werden. Eine zentrale Auswirkung betrifft den Gebrauch von Sprache, und zwar in einer Hinsicht, die niemand deutlicher vor Augen geführt hat als Adorno. Er hat die Form von verkürzender Gewalt vor Augen geführt, die selbst dann einem Begriffsgebrauch eigen ist, der nicht auf Verletzung aus ist, sondern nur beschreibt, klassifiziert oder kategorisiert. Adorno zeigt, wie gerade die begriffliche Fassung eines Phänomens dieses jeweils auf eine Weise identifiziert, die auch beschneidet und dadurch verhindert, begrifflich näher an die Wirklichkeit heranzukommen. Angesichts dieser Begrenzung des Denkens schwebt Adorno die »Utopie« einer anderen Denkweise und einer veränderten Philosophie vor. In ihr würden Begriffe nicht zwangsläufig festlegen und identifizieren, sondern in ihr würden Begriffe »auftun« 17 . Ausschlaggebend für eine solche Philosophie der Zukunft, so seine Hoffnung, ist die Befähigung, die »volle, unreduzierte Erfahrung im Medium begrifflicher Reflexion« zu halten. 18 Eine solche Philosophie würde in dieser Weise »unendlich« in einem »zart verstandenen« Sinn. Denn sie begreift, dass Erkenntnis keinen ihrer »Gegenstände« in der begrifflichen Vergegenständlichung jemals »ganz inne« zu haben vermag 19 .
Vgl. Theodor W. Adorno (1975), Negative Dialektik, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 21. 18 Ebenda, S. 25. 19 Ebenda. 17
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Mit dem Sprachverständnis und der Begrifflichkeit, die Gendlin in seinem Prozess-Modell entwickelt, hängt diese »Unendlichkeit« nicht nur an einem kritisch geübten Zusatzbewusstsein, das den Gefahren eines vergegenständlichenden, verkürzenden Sprachgebrauchs entgegensteuert. Sie vermittelt sich vielmehr gerade durch den »öffnenden« Sprachgebrauch, der in diesem Modell, mit Hegel gesagt, zu sich selbst kommt und dadurch auch kultivierbar bzw. übbar wird. Der unvorhersehbare Charakter dieser Öffnung wird in jedem weiteren Kapitel noch systematischer und zugleich noch tiefer (öffnend) verstehbar. Man könnte deshalb sagen: das dadurch entstehende Verständnis dessen, was Worte im Prozess des Denkens tun, selbst theoretische und abstrakte Begriffe, verkleinert die Kluft zwischen Poesie und Theorie. Üblicherweise ist es die Poesie oder die Literatur, in der sich das komplex gesponnene Netz menschlicher Erfahrungswelten in ihrer Bedeutsamkeit und Relevanz so öffnet, dass man in sie »eintreten« kann wie in reichhaltige Welten, aus denen man, wie Merleau-Ponty treffend beschreibt, am Ende eines Textes wie aus einem Zauber erwacht. 20 In der wissenschaftlich und auch philosophisch eingeübten »objektiven« Distanz wird gerade diese Art von Relevanz lebensweltlicher Zusammenhänge und der damit einhergehenden Bedeutsamkeit, wie Thomas Nagel eindrücklich in seinem Buch Der Blick von Nirgendwo (1986) analysiert, zum Verschwinden gebracht. Darum erzählen Philosophen der Gegenwart gerne Filme, Romane oder Dramen, um an diejenige komplexe Bedeutsamkeit des alltäglich Gelebten heranzukommen, die theoretisch nicht zu erfassen ist. Die prinzipielle Lücke wissenschaftlicher Ansätze hinsichtlich dessen, was in alltäglichen Lebensformen signifikant und wichtig erscheint, wird zunehmend auch von KognitionswissenVgl. Maurice Merleau-Ponty (1966), Phänomenologie der Wahrnehmung, aus dem Franz. übers. u. eingef. v. Rudolf Boehm. Berlin: De Gruyter, S. 214.
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schaftlern und Naturwissenschaftlern besorgt reflektiert. Exemplarisch bringt dies der Anthropologe Steven Deacon in seinem Werk mit dem vielschichtigen Titel Incomplete Nature zum Ausdruck. Worum es im Leben geht, »what matters«, so Deacon, erscheint gerade nicht als ein materiell und energetisch vorhandener Gegenstand, der naturwissenschaftlich untersucht werden kann. Dasjenige, was keine messbare oder quantifizierbare Existenz hat, ist jedoch in Form von Zielen, Vorstellungen, Ideen, Werten und Absichten der treibende Faktor menschlicher Unternehmungen, auch jenen der Wissenschaft. Diese treibenden Faktoren, so macht Deacon bewusst, sind durch eine intrinsische Unvollständigkeit gekennzeichnet (»integral withoutness«) 21 , hat man doch Ziele oder Absichten als »etwas«, das noch nicht erreicht oder verwirklicht ist, das noch nicht da ist. Auch Werte, Ideen oder Vorstellungen sind nicht sichtbar oder messbar »da«. Deshalb beschreibt Deacon diese spezifisch menschlichen Vollzüge insgesamt in doppeldeutiger Weise als »absential features« (Merkmale, die fehlen) 22 . Damit spricht er einerseits die wissenschaftliche Lücke im Umgang mit diesem Charakteristikum des menschlichen Lebens an, andererseits das Merkmal dieses Charakteristikums selbst. Dieses wissenschaftlich nicht erfassen zu können, hat, wie Deacon treffend formuliert, unter anderem zur Folge, dass wir in der von uns erforschten Welt unwirklich zu werden scheinen 23 . Die Unfähigkeit, eine Form von Wirksamkeit zu bedenken, die – aus materieller Terrence Deacon (2012), Incomplete Nature. How Mind Emerged from Matter, New York: W. W. Norton and Company, S. 3. 22 Ebenda. 23 »No wonder«, so reflektiert Deacon in diesem Zusammenhang weiter, »the all-pervasive success of the sciences in the last century has been paralleled by a rebirth of fundamentalist faith and a deep distrust of the secular determination of human values.« Ebenda, S. 12. (Es ist kein Wunder, dass der überzeugende Erfolg der Naturwissenschaften Hand in Hand ging mit der Wiedergeburt des Fundamentalismus und einem tiefen Misstrauen gegenüber einer säkularen Bestimmung menschlicher Werte. Übers. D.S.) 21
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Sicht – auf Nicht-Existentem beruht, führt aber nicht nur zu einer schwerwiegenden Behinderung im Nachdenken über uns selbst, sondern, so Deacon: »it has effectively left a vast fraction of the world orphaned from theories that are presumed to apply to everything.« Dadurch, so Deacon weiter, treten wir hinsichtlich der herausforderndsten Rätsel unserer Zeit, nämlich dem Ursprung des Lebens und der Natur bewusster Erfahrung, nach wie vor auf der Stelle. 24 Was man also von der Art der Veränderung hat, die Gendlins Modell vollzieht, hat damit zu tun, so könnte man sagen, dass man lernt, mit »absential features« (Merkmalen, die fehlen) systematisch zu denken. Sie sind ab der ersten Seite dieses Werkes der Kern aller möglichen Entwicklung bzw. aller Entwicklung, die Möglichkeiten schafft. Gendlin beschreibt den treibenden Faktor dieses »Fehlens« nicht nur. Das Modell setzt vielmehr damit an, von da aus »denkt es«. Eine Wirksamkeit, die darauf beruht, dass etwas noch nicht eingetreten, geschehen, denkbar oder sagbar ist, was gebraucht wird, wird in Gendlins Modell als möglichkeitseröffnende Grundlage methodisch beansprucht, um damit ein jedes Ereignis, eine jede lebendige Entwicklung zu denken. Auf diese Weise wird Schritt für Schritt nachvollziehbar, wie Bedeutung als organisch-umwelthafter Prozess intrinsisch zu haben ist. Auf diese Weise schließt das Modell in seinem Ansatz die Lücke im Umgang mit »absential features«, die Deacon im Kern wissenschaftlicher Zugänge detektiert. Von diesem Ansatz aus wird eine Kontinuität von Körper-Umwelt-Interaktionen bis zu Reflexions- und Artikulationsprozessen systematisch und modellhaft durchgespielt, die zeigt, wie der Reichtum erlebter Lebenswelt nicht als Unreales aus den Erklärungen des Natürlichen herauszufallen hat.
Ebenda. (Ein riesiger Anteil der Welt ist verwaist von denjenigen Theorien, von denen man annimmt, dass sie auf alles anzuwenden sind. Übers. D.S.)
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Einleitung
Was man davon wiederum als Wissenschaftler, Philosoph und auch als Laie hat, lässt sich unter anderem mit Dewey andeuten. Er schlägt vor, folgende Frage an jede Art von wissenschaftlicher und systematischer Untersuchung zu stellen: »Does it end in conclusions, which, when they are referred back to ordinary life-experiences and their predicaments, render them more significant, more luminous to us, and make our dealings with them more fruitful? Or does it terminate in rendering the things of ordinary experience more opaque than they were before, and in depriving them of having in ›reality‹ even the significance they had previously seemed to have?« 25 Letzteres trifft auf das vorliegende Werk nicht zu. Je nachvollziehbarer wird, was sich hier vermittelt, desto mehr steigern sich die Möglichkeiten, in die tiefgehende Komplexität gewöhnlicher Erfahrung und der Verwicklung gewöhnlicher Dilemmas, Paradoxien, Probleme »einzutreten« und somit den Herausforderungen kollektiver und individueller Situationen begegnen zu können, ohne sie zu verkürzen bzw. sie von der wechselseitigen Wirkung vielschichtiger Umwelten abzutrennen.
3. Ideengeschichtliche Wurzeln Der Text setzt unmittelbar mit neuen Grundbegriffen ein. Umwelt 1, Umwelt 2, Umwelt 3, Umwelt 0. Die einzige Einführung, die man erhält, ist ein kurzer Satz, der empfiehlt, die Begriffe so zu verstehen, als kämen sie von Nirgendwo 26 . Die John Dewey (1958), Experience and Nature, New York: Dover, S. 7. (Führt sie zu Schlussfolgerungen, die, wenn sie zurückbezogen werden auf gewöhnliche Lebenserfahrung und ihre Bredouillen, diese bedeutender und heller machen und unseren Umgang damit fruchtbarer? Oder führt sie zu Schlussfolgerungen, die gewöhnliche Erfahrung noch undurchsichtiger machen, als sie zuvor war, und ihr »in der Realität« die Bedeutung raubt, die sie anfänglich zu haben schien? Übers. D.S.) 26 Diese Bemerkungen könnten auch als Anspielung auf ein Verständnis 25
33 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einleitung
Anfangsbegriffe des Modells »aus dem Nirgendwo« kommen in ideengeschichtlicher Hinsicht natürlich nicht aus dem Nirgendwo. Gendlin schreibt in einem seiner Sprachphilosophie gewidmeten Band (Language Beyond Postmodernism) in seiner Antwort auf Robert Scharff : »The tradition is implicit in any thought and discussion, not only when it is overtly the topic« 27 . Die Begriffe, die wie aus dem Nirgendwo zu kommen scheinen, sind implizit getränkt mit Ideengeschichte, mit offenen und direkten Anspielungen und Anknüpfungen an jene Denker, die Gendlin auf seinen Weg gebracht haben. In Fußnote 14 nennt er diesbezüglich die Amerikanischen Pragmatisten sowie Dilthey, Whitehead, McKeon, Heidegger, Merleau-Ponty, Wittgenstein, Leibniz, Platon und Aristoteles 28 . Entgegen dem zunächst vermittelten Eindruck, dass die Begriffe wissenschaftlicher Methode aufzufassen sein, wie sie Thomas Nagel (1986) in seinem Buch Der Blick von Nirgendwo charakterisiert. Es ist unter anderem dieses objektive Methodenverständnis, das im Folgenden radikal überdacht wird. Aber diese Veränderung ist noch nicht geschehen. Darum muss zunächst noch angenommen werden, dass diese Begriffe aus dem Nirgendwo kommen bzw. dass sie ebenso gut funktionieren wie Begriffe, die so verstanden werden, als ob sie aus dem Nirgendwo kämen, das heißt, dem dezentrierten Idealwert der so genannten Objektivität entsprechen. Mehr dazu am Schluss der Einleitung. 27 Eugen Gendlin (1997): »Reply to Scharff«. In: David Levin (Hg.), Language beyond Postmodernism. Saying and Thinking in Gendlin’s Philosophy, Evanston, Ill.: Northwestern University Press, S. 297. (Die Tradition ist implizit in jedem Gedanken, in jeder Diskussion, nicht nur, wenn sie offensichtlich das Thema ist.« Übers. D.S.) 28 Im Vorwort der Taschenbuchausgabe von Experiencing and the Creation of Meaning schreibt er zu dieser europäisch-amerikanischen Prägung seines Denkens: »My recognition of certain difficulties is very European, but my emphasis on situations, practice, action, feedback, transitions, and progressions is very North American«. Eugene Gendlin (1997), Experiencing and Meaning, Evanston, Ill: Northwestern University Press, xvi. (Meine Anerkennung gewisser Schwierigkeiten ist sehr europäisch, aber meine Schwerpunktsetzung auf Situationen, Praxis, Handlung, Feedback, Übergänge und Entwicklungen ist sehr nordamerikanisch. Übers. D.S.)
34 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einleitung
in diesem Modell aus dem Nirgendwo kommen, arbeitet darin eine umfassende philosophische Tradition. Gerade für den klassischen Pragmatismus, auch für die Hermeneutik und die Phänomenologie, selbst für die so genannte Neue Phänomenologie ist es nicht ungewöhnlich, die Wende ihrer neu eingeführten Denkrichtung in Rückbezug auf die Antike einzuleiten. Dies geschieht meistens in abgrenzender Absicht, um das revolutionäre Potential des Neuen von Ansätzen zu kontrastieren, die bis in die Antike zurück zu verfolgen sind. Gendlin dagegen versteht Platons Dialoge als frühe Manifestation eines Denkstils 29 , dessen »responsive Ordnung« auch das vorliegende Werk freilegen möchte 30 . Und sein umfangreicher zweibändiger Kommentar zu »De Anima« macht zudem ersichtlich, welche Rolle Aristoteles zukommt, vor allem in methodischer Hinsicht 31 . Die Bedeutung, die diesen beiden Stammvätern der Philosophie zukommt, findet sich auf den letzten Seiten des vorliegenden Buches direkt angesprochen und reflektiert. Sich der Herausforderung zu stellen, von Interaktion bzw. dem Reichtum der Erlebensmöglichkeiten aus zu denken und von dort aus neue Grundbegriffe und -einteilungen zu schaffen, andere erkenntnistheoretische Voraussetzungen herzuleiten und ein erweitertes Verständnis von Logik zu generieren, erklärt Gendlins Affinität zu Leibniz’scher Philosophie, vor allem jedoch zu den Denkern der Hermeneutik, Phänomenologie und dem klassischen Pragmatismus. Ausdrücke wie Organismus, Körper-Umwelt, Funktion, Interaktion-Zuerst, Implizieren, Er-
Vgl. zu diesem Begriff Eugene Gendlin (1997), »The Responsive Order: A New Empiricism«. Man and World, 30 (3), 383–411 30 Eugene Gendlin (1966), »Plato’s dialectic«. Unpublished manuscript (15 pp.). From http://www.focusing.org/gendlin/docs/gol_2231.html; Eugene Gendlin (1970), What controls dialectic? Commentary on Plato’s Symposium. Unpublished manuscript. Siehe: http://www.focusing.org/ gendlin/docs/gol_2219.html 31 Eugene Gendlin (2004), Line by Line Commentary on Aristotles De Anima, Vol 1, New York: Focusing Institute. 29
35 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einleitung
eignen, Schema, Erste, Zweite, Dritte, Geste, Monaden geben ihre Abstammungslinien unschwer zu erkennen. Diesen Grundbegriffen haftet in ihrem Gebrauch eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit an, die zeigt, wie sehr der junge Gendlin durch die pragmatistische Denkschule gegangen ist, von dorther geformt und geprägt wurde und darin weiterdenkt 32 . Dies ist nicht erstaunlich, wenn man weiß, dass Gendlins Lehrer an der University of Chicago Richard McKeon war, ein direkter Schüler von John Dewey. Gendlin schreibt: »McKeon inherited Pragmatism without claiming the label. Pragmatism always was a pluralism of many systems and approaches – a ›tool closet‹ full of various concepts and procedures.« 33 Gendlin fährt im Ein Prozess Modell, aber auch in seinen übrigen Werken, in den Begriffen fort, die ihn philosophisch initiiert haben, und zwar ganz im Sinne seines Lehrers, ohne »label«. Offensichtlich knüpft bereits der Titel des vorliegenden Buches an das reichhaltige pragmatistische Erbe beispielsweise in seiner Anspielung an Whiteheads Process and Reality an. Das Verhältnis zum klassischen Pragmatismus findet sich bei Gendlin jedoch ideengeschichtlich kaum reflektiert oder diskutiert 34 . In einem unserer Gespräche formulierte Gendlin, die klassischen Pragmatisten, vor allem Whitehead und Dewey, seien »die Luft gewesen«, die er »eingeatmet habe«. 33 Eugene Gendlin (1994), »Response«, in: Human Studies, 17(3), S. 385. (McKeon beerbte den Pragmatismus, ohne diese Bezeichnung zu beanspruchen. Der Pragmatismus war immer eine Pluralität von vielen Systemen und Zugängen – ein »Werkzeugkasten« voller unterschiedlicher Konzepte und Verfahren. Übers. D.S.) 34 Hin und wieder verteidigt Gendlin den Pragmatismus direkt, aber insgesamt scheint ihm das eine müßige Strategie zu sein: »The Pragmatists also did more than what is said of them today. They are said to have evaluated everything by how well it works, but without questioning the values and goals that determine this. But the criticism assumes that values have to be external criteria that must always be brought to anything from outside. Peirce, James, and Dewey sketched out how goals and cri32
36 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einleitung
Er ist kein Pragmatismus-Gelehrter. Er setzt vielmehr das pragmatistische Projekt fort und sollte deshalb als Pragmatist dritter Generation bezeichnet werden statt als Neo-Pragmatist 35 . Im pragmatistischen Projekt, wie Joas in Kürze zusammenfasst, geht es nicht nur darum, »die Vernunft praktisch, sondern die Praxis vernünftig zu machen« 36 . Gendlin zeigt in seiner Philosophie, wie subtil und tiefgehend dieser Ansatz auszuloten ist, der davon ausgeht, dass Wahrheits- und Erkenntniswert hat, was für das Leben brauchbar ist: »What is true is what works; but how does one decide what ›works‹ means? Dewey knew that the criteria arise within the
teria develop in and from practice, and how they change – not by mere imposition. Such an approach does not solve all value questions at once, but it does solve quite a lot, and it advances the remaining questions beyond the simplistic notion of externally derived values.« Eugene Gendlin, (1991), »Thinking beyond Patterns: Body, Language and Situations«. In: B. den Ouden & M. Moen (Eds.), The presence of feeling in thought, New York: Peter Lang, S. 25–151. Pkt. 5 (Die Pragmatisten haben mehr geleistet, als ihnen heute zugeschrieben wird. Man sagt, sie hätten alles danach beurteilt, wie brauchbar es ist, ohne die Werte und Ziele zu hinterfragen, die eine solche Brauchbarkeit determinieren. Aber diese Kritik setzt voraus, dass Werte externe Kriterien sein müssen, die immer von außen an etwas herangeführt werden. Peirce, James und Dewey zeigten, wie sich Ziele und Kriterien in und aus der Praxis entwickeln und wie sie sich verändern – nicht dadurch, dass man sie nur aufzwingt. Ein solcher Zugang löst freilich nicht alle Wertfragen auf einmal, aber es löst eine ganze Menge, und es befördert die restlichen Fragen jenseits einer vereinfachten Auffassung von äußerlich hergeleiteten Werten. Übers. D.S.) 35 Diese Unterscheidung scheint sinnvoll, insofern der Neopragmatismus zentrale Anliegen der klassischen Pragmatisten nicht aufgenommen hat. Das Verhältnis zwischen klassischem Pragmatismus und Neopragmatismus findet sich unter anderem in Joas’ Darstellung der Debatte um Rortys Neo-Pragmatismus kritisch zusammengefasst. Hans Joas (1992), Pragmatismus und Gesellschaftstheorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 307. 36 Hans Joas, ebenda, S. 304.
37 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einleitung
feedback process itself, but he (…) did not further explore the various kinds of feedback internal to a process.« 37 Gendlins erstes Werk, Experiencing and the Creation of Meaning, nimmt sich genau diese Frage vor. Es leistet eine kohärente Ausarbeitung von sieben unterschiedlichen »funktionalen Verhältnissen«, auf denen Feedback-Prozesse zwischen Sprache und Erleben beruhen, die Bedeutung schaffen. Damit legt er eine überraschend originelle Alternative zu repräsentativen und konstruktivistischen Ansätzen aus und ergänzt bzw. vertieft auch die Perspektive der so genannten Ordinary Language Philosophy, vor allem hinsichtlich der Möglichkeit kreativer Bedeutungsentwicklung 38 . In Ein Prozess-Modell geht es darum, eine interaktionsbasierte Theorie zu entwickeln, die als Grundlage einer erweiterten Sprachphilosophie Körper und Bedeutung so zusammendenkt, dass umweltphilosophische und sprachphilosophische Gesichtspunkte sozusagen schon im Ansatz nicht mehr trennbar sind. Zugleich setzt der vorliegende Text ab der ersten Seite Whiteheads berühmte Kritik am Trugschluss der unzutreffenden Konkretheit um: »Dieser Trugschluss besteht darin zu vernachlässigen, welchen Abstraktionsgrad man bereits erreicht hat, wenn man ein wirkliches Einzelwesen bloß insoweit betrachtet, als es bestimmte Denkkategorien exemplifiziert. Es gibt Aspekte der Wirklichkeiten, die man einfach ignoriert, solange das Denken auf diese Kategorien beschränkt bleibt.« 39 Eugene Gendlin (1994), »Response«, in: Human Studies, 17(3), 386 f. (Was wahr ist, ist, was funktioniert (brauchbar ist), aber wie entscheidet man, was »brauchbar« ist? Dewey wusste, dass die Kriterien innerhalb des Feedback-Prozesses selbst entstehen, aber er hat nicht die verschiedenen Arten des Feedbacks untersucht, die einem Prozess inhärent sind. Übers. D.S.) 38 Das führe ich aus in einem Buch mit dem Arbeitstitel »Sich klarer werden«, das in Planung ist für 2016. 39 Alfred Whitehead (1987), Prozess und Realität, Entwurf einer Kosmologie, Frankfurt am M.: Suhrkamp, S. 39. 37
38 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einleitung
Die Herausforderung, der sich der vorliegende Text stellt, hat genau damit zu tun, wie man, trotz bestehender Kategorien, »früher« im Denken ansetzen kann, sogar früher als mit »gegebenen« Einzelwesen, um dadurch »mehr« berücksichtigen zu können, nämlich »Interaktion zuerst«. Indem früher angesetzt wird, eröffnet dieser Text die Chance, bei einem veränderten Verständnis dessen wieder anzukommen, was man hat: Sprache, allgemeine Begriffe, kulturelle Situationsmuster etc. Der Weg, der zu diesem veränderten Verständnis führt, lässt wiederum die Inspiration des Gründervaters des Amerikanischen Pragmatismus, Charles Sanders Peirce, durchspüren. Dessen unkonventionelle Kategorien »firstness«, »secondness« und »thirdness« sind unschwer herauszuhören in Gendlins »drei Formen des Allgemeinen« (Kapitel VII A, e), deren Abkürzungen »Erste«, Zweite« und »Dritte« direkt auf Peirces unorthodoxe kategorielle Bezeichnungen anzuspielen scheinen. Die Diskrepanzen zwischen Peirces wahrnehmungsbezogenem Ansatz hinsichtlich der »firstness« und Gendlins interaktionsbasiertem Ansatz sind jedoch unübersehbar und zeigen erneut, wie Gendlin im Geiste des klassischen Pragmatismus ansetzt, um dann innovative Wege zu gehen. Diese Wege sind vor allem gründlich durch die Dewey’sche und Mead’sche Schule gegangen. Das wird gerade durch den konsequent durchgespielten Ausgangspunkt von »Interaktion zuerst« erkenntlich. Mead kann als Vordenker der kreativen Interdependenz von Vergangenheit und Gegenwart für das Gendlin’sche Modell gelten, von Individualität und Kollektivität oder, in Gendlins Worten – von differenziert-koordinierten Prozessen und ungeteilter Vielheit. Ebenfalls ist Meads Einfluss überdeutlich spürbar in Gendlins Ansätzen, sich der Sprachbildung über die Gestik und den Kampf anzunähern. Zum Verhältnis von Mead und Gendlin wird noch einiges an lohnender Arbeit zu leisten sein; ebenfalls zum Verhältnis von Dewey und Gendlin. Denn der Anspruch des vorliegenden Werkes scheint direkt an jenem Dewey’schen Projekt anzuknüpfen, das in seinem umfangreichen Werk Logik: 39 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einleitung
Eine Theorie der Forschung ein Denken der Kontinuität zu realisieren versucht. Die Selbstverständlichkeit, mit welcher der vorliegende Text begrifflich ansetzt, leuchtet anders ein, wenn man merkt, wie sehr hier aufgenommen und weitergesponnen wird, was Dewey, mit dem Selbstverständnis eines Pioniers, der auf Nachfolger hofft, in seinem großartigen Entwurf eines naturalistischen Verständnisses logischer Strukturen unternimmt. Darin entwickelt der klassische Pragmatist eine Kontinuität von niedrigeren und weniger komplexen zu höheren und komplexeren (mentalen) Aktivitäten, wobei er gegen Vorstellungen seiner Zeit anschreibt, die heute nach wie vor vorherrschen, indem beispielsweise Annahmen, Zweifel, Ideen, Beobachtungen als Akte eines isolierten geistigen Subjektes oder eines Gehirns aufgefasst werden. Entgegen einer solchen heute in den Kognitionswissenschaften immer noch propagierten Auffassung führt Dewey diese Akte auf die Interaktion von Organismus und Umwelt zurück und damit auf Beziehungen, die über den einzelnen Organismus weit hinausgehen 40 . Hinsichtlich seiner damals umwälzenden naturalistischen Grundlegung der Logik verweist Dewey auf eine ähnliche Schwierigkeit seines Begriffsgebrauchs, auf die schon Kant verwiesen hat: »The very words which must be used are words that have had their meanings fixed in the past to express ideas that are unlike those which they must now convey if they are to express what is intended. (…) The present volume is an approach, not a close treatise. The aim it hopes to fulfil is that of being a sufficiently coherent and systematic approach to move others to undertake the long cooperative work (never-ending in any case as long as inquriy continues) needed to test and fill in the framework which is outlined in this book.« 41 Zur Vorreiterrolle Deweys hinsichtlich neuester Strömungen in den Kognitionswissenschaften vgl. Crippen, M. (Under Review), »Refinements of the Wheel: Dewey, Situated Cognitive Science and Greek Thought«, Transactions of the Charles S. Peirce Society. 41 John Dewey (1938), Logic – The Theory of Inquiry, New York: Henry Holt and Company, S. 40. (Die Worte, die gebraucht werden müssen, sind Worte, deren Bedeutungen in der Vergangenheit fixiert worden sind, um 40
40 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einleitung
Gendlin setzt mit Dewey’scher Begrifflichkeit an und scheint in kooperativem Geist das Kontinuitätsprojekt fortzusetzen, allerdings mit einer veränderten Zielrichtung. Im Vergleich zu Dewey geht es Gendlin nicht in erster Linie um eine veränderte Erkenntnistheorie und ein verändertes Verständnis von Logik, wobei sein Modell beides stark tangiert. Ihm geht es um ein verändertes Verstehen der Gültigkeit und Universalität des Erlebens, des Fühlens und Denkens und ihrer Artikulation. Die Verbundenheit mit Deweys Projekt ist jedoch bis in die Wortwahl hinein erkennbar, vor allem auch hinsichtlich der konsequenten Umsetzung jener Kritik, die Dewey an einem gewöhnlichen Verständnis von Interaktion von Körper und Umwelt anbringt: »Unfortunately, however, a special philosophical interpretation may be unconsciously read into the common sense distinction. It will then be supposed that organism and environment are ›given‹ as independent things and interaction is a third independent thing which finally intervenes.« 42
Dagegen betont Dewey, dass der Organismus »exists as organism only in active connections with its environment.« Gendlin wirkt diesem Missverständnis in seiner Begriffswahl von der ersten Seite dieses Buches an entgegen, indem er Ideen auszudrücken, die nicht denen ähneln, die sie jetzt vermitteln müssen, um auszudrücken, was hier gemeint ist (…). Der vorliegende Band ist eine Annäherung und kein geschlossenes Traktat. Das Ziel, das es zu erreichen hofft, ist, einen genügend kohärenten und systematischen Zugang zu liefern, der andere Denker dazu veranlasst, die lange kooperative Arbeit auf sich zu nehmen (die nie aufhört, so lange Forschung weitergeht), die gebraucht wird, um die Umrisse, die in diesem Buch skizziert werden, zu überprüfen und auszufüllen. Übers. D.S.) 42 Ebd., 34. (Leider kann eine gewisse philosophische Interpretation unbewusst in diese Common-Sense Unterscheidung hineingelesen werden. Demgemäß wird angenommen, dass ein Organismus und die Umwelt »gegeben« sind als voneinander unabhängige Dinge und dass Interaktion ein drittes unabhängiges Ding ist, das schließlich dazwischen kommt. (…) ein Organismus existiert jedoch nur in aktiven Verbindungen mit seiner Umwelt. Übers. D.S.)
41 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einleitung
Körper-Umwelt zu einem Begriff macht. Ein ähnlich nahes Verhältnis zu Dewey gibt auch sein bereits erwähnter Zentralbegriff des »Implizierens« zu erkennen. In Deweys Aufsatz Qualitatives Denken (1931) sowie in seiner Logik – Eine Theorie der Forschung wird, in Absetzung zu einem logischen Implikationsbegriff, auf ein offenes und doch regulatives Implizieren aufmerksam gemacht, das auf der Mitwirkung einer ganzen Situation beruht, die wir in gewisser Weise »fühlen« und in der relevante Unterscheidungen getroffen werden können (vgl. Jung, 2009). Was Dewey zunächst nur beschreibt, findet sich bei Gendlin methodisch und systematisch durchgearbeitet: Er denkt von diesem Implizieren aus und entfaltet die Bedingungen der Möglichkeiten der offenen Art von Präzision auf der Basis des untrennbaren Verhältnisses von Organismus und Umwelt. Im Fokus auf den starken Einfluss des klassischen Pragmatismus darf die Beziehung Gendlin’schen Denkens zur Hermeneutik Diltheys nicht übersehen werden 43 . Durch ihn wird dem Gendlin hat seine Masterarbeit an der Universität von Chicago über Dilthey verfasst. Sein großer Einfluss vor allem auf das sprachphilosophische Projekt Gendlins ist auf diese Weise angedeutet: »The continental tradition assumes determination in one direction only; it knows little of feedback – except for Dilthey. In Dilthey’s »hermeneutic« process a change in one part can illuminate others. A textual passage that was a jumble can come to make sense, and can in turn unjumble other parts. Such criteria are internal to the process. Dilthey provided another vital insight, one that is still not appreciated: Dilthey said that experiencing (living) is itself an understanding, rather than something that needs interpretation or understanding put on it. Most current philosophers follow Kant in assuming that experience is only derivative from pre-existing concepts.« Gendlin, »Response«, S. 386. (Die kontinentale Tradition setzt einseitige Determinierung voraus; sie kennt wenig Feedback – außer bei Dilthey. In Diltheys hermeneutischem Prozess kann eine Veränderung in einem Teil die anderen erhellen. Eine Textpassage, die ein Wirrwarr war, kann auf einmal einleuchten und kann wiederum andere entwirren. Solche Kriterien sind dem Prozess inhärent. Dilthey trug noch eine andere starke Einsicht bei, eine, die immer noch nicht richtig anerkannt worden ist: Dilthey sagte, dass Erleben (Leben) selbst ein Verstehen ist statt dass
43
42 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einleitung
jungen Gendlin die Begrenzung klassischer erkenntnistheoretischer Prinzipien bewusst: »Using Dilthey, we can turn Kant around: Living is inherently a kind of understanding not because concepts are at work in it; rather concepts are derived from how living makes sense. And there can be new living and new sense-making. Experiencing is itself a kind of understanding, and we can also hold the converse: Understanding is never just an about; it is itself a kind of experiencing, a new further living.« 44
Vor allem der zu Diltheys Lebzeiten unveröffentlichte »Satz der Phänomenalität« wird in Gendlin’schem Denken zum unhintergehbaren Ausgangspunkt. Dieser Satz macht geltend, dass alles erlebt ist – »die ganze unermessliche Außenwelt, so gut als mein Selbst« 45 . Diese Feststellung mündet nicht in die idealistische These, dass alles Bewusstsein ist, sondern sie soll »als ein nicht weiter auflösbarer letzter Befund nur aufgezeigt werden. Ich erlebe in mir diese Art und Weise, in welcher etwas für mich da ist.« 46 Diltheys Schriften machen deutlich, inwiefern dieser Befund in erster Linie eine »herrschende Ansicht« 47 zur Kategoes etwas ist, das Interpretation und Verstehen darauf angewendet braucht. Der Großteil der Gegenwartsphilosophie folgt Kant in der Annahme, dass Erfahrung nur abgeleitet werden kann von prä-existenten Konzepten. Übers. D.S.) 44 Gendlin, ebenda. (Mit Dilthey kann man Kant umdrehen: Leben ist inhärenterweise eine Art des Verstehens, nicht weil Begriffe (Kategorien) darin arbeiten, vielmehr entstehen Begriffe aus der Art, wie das Leben Sinn macht. Und es kann neues Leben und neues Sinn machen geben. Erleben ist selbst eine Art von Verstehen, und wir können auch das Gegenteil behaupten: Verstehen ist nie nur über etwas; es ist selbst eine Art von Erleben, ein neues Voranleben. Übers. D.S.) 45 Wilhelm Dilthey (1982), Gesammelte Schriften, Bd. XIX: Grundlegung der Wissenschaften vom Menschen, der Gesellschaft und der Geschichte. Ausarbeitungen und Entwürfe zum 2. Band der Einleitung in die Geisteswissenschaften (ca. 1870–1895), hrsg. v. Helmut Johach und Frithjof Rodi, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 59. 46 Ebenda. 47 Wilhelm Dilthey (1984), Das Wesen der Philosophie, Stuttgart: Reclam, S. 171.
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Einleitung
rienlehre unterwandert und in einer neuen kritischen Weise die Begrenzung des Begrifflichen aufzeigt. Seine Trias – Erleben, Ausdruck, Verstehen 48 – scheint in Gendlins Nachdenken über »Direkte Referenz« fruchtbar geworden zu sein, die in Kapitel VIII formulierbar wird. Dieses letzte Kapitel macht reflektierbar, wie sich aus der komplexen Implizität erlebter Voraussetzungen ein universales System von Begriffen und Aussagen mit eigener Kohärenz herausbilden lassen kann. Diese Form von Universalität erlaubt es, unbegrenzt viele Universalitäten zu denken und in ihrer möglichen »Kreuzung« eine unermessliche Erweiterung des Denkens vorstellbar zu machen, die von einem anwachsenden Bedeutungs- und Erlebensraum nicht zu trennen sind. Last but not least fehlt hier noch ein Name, der von ausschlaggebender Bedeutung für das philosophische Projekt Gendlins ist, auch wenn er fachlich nicht in die Philosophie gehört – Carl Rogers. Es ist bekannt, wie sehr sich beide Männer auf dem Gebiet der psychotherapeutischen Praxis und Theorie gegenseitig inspiriert haben 49 . Durch die Beteiligung am Counseling Centre der Universität Chicago wird dem Philosophen Gendlin ein wirksames Verhältnis von Erleben und Artikulation vor Augen geführt, das über sprachphilosophische Ansätze hinausführt und ihm neue Fragestellungen eröffnet. Zugleich gibt ihm die Praxis am Counseling Centre – ganz im pragmatistischen Geist – die Gelegenheit, den Prozess des Erlebens und Fühlens im Verhältnis zur Symbolisierung eingehend zu studieren. So wird Vgl. Wilhelm Dilthey (1970), »Erleben, Ausdruck und Verstehen«, in: Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften, Frankfurt a. M.: Suhrkamp. 49 Spiegelberg schreibt: »Apparently, Gendlin’s share was strongest in the development of Rogers’ concept of self as a process of experiencing.« Herbert Spiegelberg (1972), Phenomenology in Psychology and Psychiatry. A Historical Introduction, Evanston, Ill.: Northwestern University Press, S. 154. (Allem Anschein nach, hatte Gendlin am stärksten Anteil an der Entwicklung des Roger’schen Konzeptes des Selbst als einem Prozess des Erlebens. Übers. D.S.) Spiegelberg verweist auf verschiedene Stellen in Rogers Werk, die den wesentlichen Beitrag Gendlins würdigen. 48
44 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einleitung
Gendlin nicht nur Zeuge, sondern Mitgestalter der Bedingungen für die Entfaltungsmöglichkeiten eines wirksamen explikativen Prozesses. Das vertieft und verändert die Ausgangspunkte, mit denen Gendlin philosophisch sozialisiert wurde, und zwar in einer Weise, wie es nur durch Praxis möglich ist. Die Zusammenarbeit mit Rogers treibt Gendlin über den Tellerrand des philosophischen Akademiebetriebs hinaus, wodurch sich jedoch seine philosophische Überzeugung des Praxisprimats wiederum vertieft. Es führt allerdings einen Maßstab in sein Denken ein, der sich nicht nur am Diskurs orientiert, sondern, mit Dewey gesagt, an den Möglichkeiten des »Universums der Erfahrung«. Zur buchstäblich unvordenkbaren Veränderung, die in der Praxis liegt, schreibt Gendlin in einem Artikel: »Something about doing eluded the pretended determinism of the different interpretations. Instead, assumptions and values could be seen as generated from practice, and modified by it«. 50 Es ist diese undeterminierbare Wirksamkeit des ausführenden Tuns, auch in seiner subtilen Dimension des Fühlens oder Sprechens, die im vorliegenden Werk differenziert und genau denkbar und dadurch auch methodisch kultivierbar gemacht wird. Die Praxischance durch das Zusammenarbeiten mit Rogers ist auf diese Weise eine einzigartige Verdoppelung, Verstärkung und innovative Entwicklungsmöglichkeit von Gendlins philosophischer Stoßrichtung. Ein letztes Wort zum Umstand, dass von diesen zentralen Einflüssen kaum die Rede ist im vorliegenden Text. Je mehr der fruchtbare Umgang mit ideengeschichtlichem, vor allem pragmatistischem Erbe in diesem Text erkennbar wird, desto mehr kann man sich berechtigt fragen, warum davon so wenig die Eugene Gendlin (1997), Conference: After Postmodernism, New York: The Focusing Institute. From http://www.focusing.org/gendlin/docs/ gol_2233.html. (Etwas am Tun (oder am Machen) untergräbt den vorausgesetzten Determinismus unterschiedlicher Interpretationen. Stattdessen können Annahmen und Werte als etwas betrachtet werden, das von der Praxis generiert und modifiziert wird. Übers. D.S.)
50
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Einleitung
Rede ist. In einem Gespräch diesbezüglich ruft Gendlin aus: »Du weißt nicht, wie anders die Zeit war!« Er erzählt, wie sehr der Pragmatismus in der Phase, in der Ein Prozess-Modell entstand (Gendlin schrieb daran ca. 25 Jahre, bis 1997), aus den philosophischen Seminaren und deren Diskurs verdrängt war. Nicht einmal mehr philosophische Freunde und nahe Kollegen konnten sein Interesse am Pragmatismus nachvollziehen 51 . Robert Westbrook (1991) spricht diese Entwicklung an den Universitäten Amerikas in seinem Epilog zu seinem Werk zu John Dewey an, auch, wie der aus der analytischen Philosophie allmählich erwachsende post-analytische Neo-Pragmatismus in seiner Berufung auf Dewey am Kern der Anliegen des Klassikers vorbeizielt. Ähnliches findet sich bei Hans Joas beschrieben 52 . Vor diesem Hintergrund wird Gendlins erster Paragraph des Gendlin formuliert in einem seiner Artikel: »Until Oxford Linguistic Analysis crowded it out, the work of Peirce, James and Dewey was dominant in American universities. Its main ethos was a kind of answer to earlier versions of our question. Pragmatism deliberately employed the variety of approaches, finding a way to do so in the very nature of practice.« Gendlin, Conference: After Postmodernism http://www.focusing. org/gendlin/docs/gol_2233.html. (Bis die Sprachanalyse der Oxfordschule sie hinausgedrängt hat, war die Arbeit von Peirce, James und Dewey vorherrschend an amerikanischen Universitäten. Ihr hauptsächliches Ethos war eine Art von Antwort zu früheren Versionen meiner Frage. Der Pragmatismus braucht bewusstermaßen eine Vielzahl von Zugängen und schafft sich einen Weg, diese zu gebrauchen, durch die eigentliche Natur der Praxis. Übers. D.S.) 52 Hans Joas erklärt in seiner Darlegung der Missverständnisse und der verlangsamten Rezeption des Pragmatismus in Deutschland seinerseits, wie »der Pragmatismus in Amerika selbst seine Hegemonie verloren hatte und in der Philosophie durch logischen Positivismus und sprachanalytische Philosophie an den Rand gedrängt wurde. Bei aller Intensität, mit der sich der wissenschaftliche Nachwuchs in Deutschland westlichem Denken zu öffnen begann, standen deshalb die aktuellen und nicht die gerade unter Beschuss befindlichen Strömungen im Vordergrund.« (Pragmatismus und Gesellschaftstheorie, S. 137 f.) 51
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Einleitung
vorliegenden Buches nochmals anders lesbar. Die Bemerkung, man solle die nun folgenden Begriffe so auffassen, als ob sie von nirgendwo kämen, wird dann als Einladung verstehbar, von allen (philosophischen) Schuleinteilungen mit ihren entsprechenden Qualifizierungen und (Vor-)Urteilen abzusehen, um sich unvoreingenommen auf diese Begriffe einzulassen und von dort aus erst nachzuvollziehen, wie brauchbar ein so ansetzendes Denkmodell ist.
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Einführende Bemerkung
Ich werde ein paar Begriffe auslegen, als ob sie von nirgendwo kämen. Mit dem vorliegenden Modell geht es mir darum zu zeigen, dass es ein Modell ist wie andere auch und mindestens so viel leisten kann. Nach ein paar Seiten werde ich einige seiner Quellen und Beweggründe diskutieren und weitere dann in Kapitel IV-A.d.
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Kapitel I: Körper-Umwelt
Körper und Umwelt sind eins, aber natürlich nur in gewisser Hinsicht. Wir wollen beide behutsam definieren. Der Körper ist eine nicht-repräsentative Verdichtung (mit) seiner Umwelt. Aber Körper und Umwelt unterscheiden sich auch in einigen ihrer Charakteristiken und Tätigkeiten. Ich möchte vier Arten von Umwelt definieren. Umwelt 1 ist die Umwelt des Betrachters. Betrachter definieren gemäß ihrer Umwelt, was auf einen Organismus einwirken kann. Um Umwelt 1 handelt es sich, wenn Wissenschaftler oder Jäger die Umwelt eines Tieres definieren. Sie definieren die Umweltfaktoren. Sie tun es in ihren eigenen Begriffen. Manche Affen leben in den Bäumen, andere auf dem Boden: Der Betrachter definiert diese Umweltfaktoren als getrennt vom Tier. Der Betrachter kann auch bemerken, dass etwas auf das Tier einwirken wird, während das Tier es noch nicht bemerkt (Umweltverschmutzung zum Beispiel). Die Körper der Betrachter interagieren mit der so genannten »Umwelt des Tieres« und schreiben ihre eigene Umwelt einem anderen Lebewesen zu. Umwelt 2 ist identisch mit dem lebendigen Prozess des Organismus, sie ist die rückbezüglich identische Umwelt. Körper und Umwelt sind ein Ereignen, ein Prozess: zum Beispiel »Einströmen-von-Luft-in-Lungen-und-Blutzellen«. Wir können dieses Ereignis sowohl als Luft (die einströmt) oder als Lungen und Körperzellen (in die Luft einströmt) betrachten. Es ist immer ein einziges Ereignis, einmal vom Körper und einmal von der Umwelt aus gesehen. Wir nennen sie nicht »Umwelt«, weil 49 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
I · Körper-Umwelt
sie alles umgibt, sondern weil sie am Lebensprozess teilnimmt. Und mit dem »Körper« sind nicht nur die Lungen gemeint, sondern die sich erweiternden Lungen. Einströmende Luft und sich erweiternde Lungen können nicht getrennt werden. Es kommt hier also darauf an, dass wir zwischen Lunge und Luft nicht trennen müssen. Nehmen wir ein weiteres Beispiel: das Gehen. Der Druck des Fußes auf den Boden ist auch der Druck des Bodens gegen den Fuß. Wir können zwar den Boden vom Fuß trennen, aber nicht den Widerstand des Bodens vom Druck des Fußes. Umwelt 2 ist nicht die abtrennbare Umwelt, sondern die an einem lebendigen Prozess teilhabende Umwelt. Umwelt 2 ist nicht der Boden, sondern der am Gehen-partizipierende-Boden, sein Widerstand. Gehen als Verhalten kann von dieser Beteiligung des Bodens nicht abgetrennt werden. Falls der Körper in der Luft hängend zu gehen versucht, wird er ausgreifender schwingen und nicht vorankommen; es wird kein »Gehen« mehr sein. In tiefem Wasser wird »Gehen« sofort zu einer Art des Um-sich-Schlagens, die Bewegungen werden ganz anders sein. Der Körper kann ohne den Boden nicht das gleiche Verhalten ausführen. Und der Boden kann nicht Bodendruck sein ohne das entsprechende Verhalten (er kann nicht diese Umwelt 2 sein). Ohne Gehen gibt es immer noch einen Boden im Sinn von Umwelt 1, aber nicht als Umwelt 2. Umwelt 2 ist eine Funktion fortlaufenden Lebens und existiert nur darin. Die bekannte Äußerung, dass »die Umwelt eine Funktion des Organismus« ist, kann von hier aus exakter verstanden werden. Wir können verdeutlichen, was Ethologen meinen, wenn sie behaupten, dass es nicht eine einzige Realität gibt, sondern nur die Realität jeder einzelnen Spezies. Im Sinne von Umwelt 2 hat jede Spezies eine unterschiedliche Umwelt. Natürlich sind die einzelnen Artgenossen unterschiedlich, aber auch die übrige Umwelt ist es. Umwelt 2 und der Körper sind Funktionen voneinander. In genau diesem Sinn gibt es keine »Realität«, nur die
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vielen Realitäten, die in den verschiedenen lebendigen Prozessen impliziert sind. Auf diese Weise ist Körper gleich Umwelt und auch wieder nicht! Statt es bei solchen Paradoxen zu belassen, wollen wir weiter an Unterscheidungen und Konzepten bauen. Es ist uns möglich, genauer zu spezifizieren, inwiefern beides gleich und nicht gleich ist. Körper und Umwelt 2 implizieren einander – für diese Philosophie ist es ausschlaggebend, »implizieren« zu definieren, aber das können wir an dieser Stelle noch nicht ausreichend. Selbst wenn wir sagen, dass beide Teil eines Ereignisses sind, können wir doch feststellen, dass das, was üblicherweise als »Körper« und »Umwelt« bezeichnet wird, unterschiedlich aussieht (Fuß und Boden, Luft und Lunge). Beides sieht nicht identisch aus. Das gegenseitige Implizieren von Körper und Umwelt ist »nicht-ikonisch«, d. h. nicht-repräsentativ. Muskeln und Knochen im Fuß und im Bein sehen nicht so aus wie der Boden, aber beides ist ganz eng aufeinander bezogen. Man kann aus Fuß, Bein und Muskeln die Härte des Bodens ableiten. »Ableiten können« meint in einem jetzt noch unklaren Sinn, dass der Fuß die Härte des Bodens impliziert. Eine andere Art von Gelände oder Lebensraum impliziert veränderte Körperteile. Da der Körper und die Umwelt in Umwelt 2 ein Ereignis sind, impliziert eines das andere. Sie implizieren sich gegenseitig, indem sie Teil eines Interaktionsprozesses sind, einer Organisation. Wir könnten aber auch sagen, dass beides Teil einer größeren Organisation ist, die die andere enthält. Beides funktioniert, wie es funktioniert, nur in dieser umfassend funktionierenden Organisation. Dieser Gebrauch von »implizieren« besagt auch, dass das ganze Geschehnis schon da ist, selbst wenn der Körper-Aspekt oder der Umwelt 2-Aspekt einzeln bedacht werden. Umwelt 2 ist immer in einem Prozess begriffen und identisch mit dem Körper-in-einem-Prozess. Umwelt 3 ist die Umwelt, die durch den Körper-Umwelt 2Prozess gestaltet worden ist. Der Körper baut eine Umwelt auf, 51 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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die aus diesem Prozess resultiert. Das Gehäuse der Molluske, das Netz der Spinne oder der fallende Baum des Bibers sind deren hauptsächliche Umwelt, aber sie sind Folgen des Körper-Umwelt 2-Prozesses des Tieres. Umwelt 3 ist umfassender als Umwelt 2. Wir können ein Kontinuum erstellen von anscheinend größerer und kleinerer Trennbarkeit. Der Baum des Bibers scheint ziemlich trennbar vom Biber zu sein, das Nest des Vogels auch; das Netz der Spinne ist trennbar von der Spinne, die weiter leben und ein anderes machen wird, wenn wir dieses zerstören. Das Gehäuse der Molluske ist nicht ganz so trennbar, dennoch denken wir es als getrennt. Wie steht es mit unserem Haar – ist es nicht ein Produkt des Körpers? Aber unsere Haut doch auch. Und der Körper ebenfalls! Der Körper jedes Lebewesens ist das Resultat seines Lebensprozesses. Umwelt 3 schließt den gefällten Baum des Bibers ein, aber auch den Körper des Bibers. Die Umwelt, die der Prozess hervorbringt, ist weitreichender, aber sie umfasst den Körper. Umwelt 3 ist noch mal eine andere Weise, wie Körper und Umwelt eins sind (der Körper ist Umwelt), aber da diese Umwelt weitreichender ist als der Körper, ist diese Gleichung nicht perfekt. Wie sich Körper und Umwelt 3 implizieren, ist komplizierter. (Siehe Kapitel IV-A.h-3) Der Blutkreislauf wird häufig als die Umwelt der Zellen bezeichnet, die er ernährt. Die vielen Prozesse im Körper haben unterschiedliche Teile des Körpers als ihre Umwelt. Die Hautlinie ist nicht die große Grenze. Umwelt 3 erstreckt sich vom Baum des Bibers in seinen Körper bis in die Zellen hinein. Umwelt 3 ist die durch Körperprozesse wieder-entstehende Umwelt. Sie ist das Netz und auch der Körper der Spinne und seine Teile und wiederum deren Teile. Der Lebensprozess geht in Umwelt 3 vor sich (goes on in); er setzt sich im Netz der Spinne und auch in ihrem Körper fort. Der Körper ist eine Umwelt, in der sich der Körperprozess weiter fortsetzt (goes on further). 52 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Der Körper ist durch einen im Prozess befindlichen Embryo entstanden. Die Struktur des Körpers ist aber nicht nur entstanden, sondern wird auch durch fortlaufende Prozesse erhalten – wenn diese aufhören, fällt der Körper auseinander. Betrachten wir die Linien auf einer Muschel: ein kleiner erster Teil ist bereits Muschel und war das Gehäuse eines kleineren Tiers; Ringe und noch mehr Ringe werden durch Wachstum hinzugefügt. Die Muschel ist charakterisiert durch die Spur eines aktiven Geschehens, sie ist verdichteter Prozess. Der Körper ist genau so, er ist ein Beleg, die Spur eines aktiven Geschehens. Wenn Aspekte von Umwelt 3 wieder neu in den Lebensprozess hinein kommen, sind sie dadurch auch wieder Umwelt 2 (sowohl innerhalb wie außerhalb des Haut-umhüllten Körpers). Der Prozess ist Körper-Umwelt 2 und geht in Körper-Umwelt 3 vor sich. Aber nur einige Produkte des Lebens werden zu Umwelt 3, nur jene, in denen er vor sich geht. Was der Betrachter um den Körper herum wahrnimmt, ist Umwelt 1, aber der Körper hat auch seine eigene Umwelt, die er gemacht hat. Wenn Umwelt 3 jedoch auf den Körper nur dann einwirkt, wenn sie wieder Umwelt 2 ist, ist dann diese Unterscheidung nur diejenige eines Betrachters? Es ist selbstverständlich ein Körper, es sind nicht zwei. Umwelt 3 kann auf den Körper nur dann einwirken, wenn Umwelt 3 wieder in Umwelt 2 eintritt. Darum spielt es eine große Rolle, dass diese Umwelt 2 nicht gänzlich neu ist, denn sie ist auch bereits ein Produkt dieses Lebensprozesses. Dieser Prozess geht in seinen eigenen Produkten vor sich. Sagen wir beispielsweise, ein anderer Baum ist gerade dabei, umzustürzen und den Biber zu treffen – der Betrachter kann sehen, dass so etwas gleich passieren wird. Aber die Umwelt 3 tritt nicht auf eine so beliebige Art und Weise in den Prozess ein. Der Baum, an dem der Biber nagt, wird ihn nicht erschlagen. Wenn er einmal auf dem Boden liegt, wird er auf vielerlei Arten auf den Biber einwirken, aber die werden wesentlich andere sein als das Einbrechen eines Baumes, der nicht be53 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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reits Umwelt 3 war. Der Körper impliziert die Umwelt, die der Körper schon »ist«. Das Leben geschieht hauptsächlich in Umwelten, die das Leben produziert oder modifiziert hat. Der Prozess geht zum Großteil in seinen eigenen Produkten vor sich. Die wichtigste »Umwelt« eines jedes Tieres sind die Mitglieder seiner Spezies, andere Tiere, die so sind wie es selbst. Sie sind Produkte des Umwelt 2-Prozesses der Spezies. Diesbezüglich sind sie selbstverständlich Umwelt 3 (und sobald etwas zwischen ihnen vor sich geht, Umwelt 2). Der bei weitem größte Anteil der Aktivität von Tieren findet mit- und untereinander statt. Die Mutter für das Kind, Weibchen und Männchen füreinander, die Gruppe für das Individuum – all das sind wesentliche Umwelten. Darum sollte uns nicht die physische Umwelt als unser grundlegendes Modell einer Umwelt dienen – selbst wenn auch diese oft schon Umwelt 3 ist, nämlich bereits durch den Lebensprozess organisiert, wenn dieser sie als Umwelt 2 beansprucht. Umwelt 3 ist der Zement, auf dem wir gehen, der unterirdische Bau des Maulwurfs, der Bienenstock, der Ameisenhügel, unser Körper und auch ihrer. Der Lebensprozess (Umwelt 2) schafft sich selbst eine Umwelt, in der er sich dann fortsetzt. Wir können das die »haus-gemachte« oder die »domestizierte« Umwelt nennen – Umwelt 3. Da wir nicht mit irgendeinem klaren Begriff von Raum beginnen wollen, ist hier der Gebrauch des Wortes »in« noch unklar (wenn ich z. B. sage, dass der Prozess »in« Umwelt 3 weitergeht). Natürlich haben und nutzen wir unseren (menschlichen) Raum, wir wollen uns aber neue Konzepte des Raums erlauben, die aus unseren interaktionellen Ansätzen hervorgehen. (Wir werden die Unterscheidung zwischen »äußerlich« und »innerlich« erst in Kapitel VII-B »ableiten«. Vom Prozess her können unterschiedliche Arten von Raum generiert werden, wie wir sehen werden – sowohl konzeptionell als auch experienziell.) So sei uns gestattet, diese zwei Richtungen des »in« so stehen zu lassen. 54 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Was »innerhalb« und was »in« heißt, ist keine einfache Frage. Das einfache »in« innerhalb einer Haut-Umhüllung nimmt lediglich einen positionalen Raum an, in dem eine Linie oder Fläche etwas in ein »Außen« und in ein »Innen« trennt. Der Druck des Bodens wird aber nicht nur auf die Sohle des Fußes, sondern bis hoch in das Bein und in den Körper ausgeübt. Von fast jedem einzelnen Knochen eines Tieres können Paläontologen nicht nur den Rest des Körpers herleiten, sondern auch, in welcher Art von Umwelt und auf welchem Gelände das Tier gelebt hat. Beim Atmen tritt Sauerstoff in die Umwelt des Blutkreislaufs ein und geht tief hinein bis in die Zellen. Der Körper ist in der Umwelt, aber die Umwelt ist auch im Körper und sie ist der Körper. Wir können sagen, dass Umwelt 3 in Umwelt 2 mitwirkt. Oder wir können sagen, dass der Körper-Umwelt 2 Prozess sich in Umwelt 3 fortsetzt. Umwelt 0 ist ein vierter Typ. Irgendetwas kann eines Tages auf den Lebensprozess einwirken und Umwelt 2 werden, aber noch nicht jetzt. Dies ist zwar noch nie passiert und ist noch keine Umwelt irgendeines Lebewesens, noch nicht einmal die des Betrachters. Im unendlichen Reichtum des Ungeborenen kann etwas geschehen, das noch nicht geschehen ist und dann erst definierbar wird in den Begriffen des Prozesses, in dem es mitwirkt. Wir wollen uns trotzdem erlauben, jetzt schon darüber zu sprechen. Denn wir wollen nicht behaupten, dass es so etwas einfach nicht gibt. Da es jedoch noch keine Realität im Sinne von Umwelt 2 hat und da Umwelt 3 das Resultat von Umwelt 2 ist, brauchen wir einen Begriff von »Umwelt«, die noch nie in einem Lebensprozess funktioniert hat. Umwelt 0 ist nicht das, was bereits funktioniert, aber noch nicht erkannt worden ist. Riesige Gebiete des Universums sind in unseren Prozess involviert; diese sind alle schon Bestandteil von Umwelt 2. Umwelt 0 ist das, was einmal Umwelt 2 werden kann, aber noch nicht geworden ist (wir müssen nicht annehmen, dass alles, was ist, eine Umwelt werden muss). Wenn etwas
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Neues in Umwelt 2 eintritt, ist es vom Lebensprozess genau so bestimmt wie von Umwelt 0. Ist aber Umwelt 0 räumlich getrennt von dem, was schon Umwelt ist? Oder kann sie schon hier in dem sein, was partizipiert? Offensichtlich müssen wir das zweite wählen, wenn wir überhaupt wählen, weil die Raumrelation noch undefiniert ist. In all diesen Definitionen ist der Prozess primär. Wir setzen nicht zuerst »Körper« und dann »Umwelt« voraus und setzen sie dann zusammen. Später werden wir Begriffe entwickeln, um von »dem Körper« zu sprechen. Im Moment ist beides noch Körper-Umwelt 2. Mit Begriffen, die später kommen werden, können wir auch sagen, welcher Teil von Umwelt 3 der Körper ist. Körper-Struktur ist immer in irgendwelche Prozesse involviert, sonst fällt sie auseinander. Es ist eine Struktur, die aus dem Prozess für den weiteren Prozess entsteht und nicht anders. Körper, Umwelt 2 und Umwelt 3 implizieren einander, weil sie Bestandteil einer Organisation sind, die jeweils die andere einschließt. Sie funktionieren, wie sie funktionieren, nur in dieser umfassend funktionierenden Organisation. Dieser Gebrauch von »implizieren« beruht darauf, dass wir uns bereits auf das ganze Ereignis beziehen, selbst wenn wir nur über den Körper oder die Umwelt nachdenken.
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Kapitel II: Funktionszyklus
Wir wollen nicht mit der simplen Annahme beginnen, dass wir in einem althergebrachten Zeit-Modell leben und denken. Lineare Zeit ist zwar unserer Sprache und Erfahrung inhärent, deshalb verwenden wir sie, aber auch andere Arten von Zeit gehen mit ihnen einher, vielleicht solche, die noch nie zuvor expliziert worden sind. Wir wollen sehen, welches Zeit-Modell sich durch das Explizieren des Explikations-Prozesses entwickelt. Keine Explikation ist je äquivalent mit dem (. . . . . ), was sie expliziert. In der »Explikation« und im »Prozess« ist Zeit selbstverständlich implizit, aber nicht nur die lineare Zeit. Lassen wir Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft später aus dem Prozess entstehen, so wie wir es im Abschnitt 1 getan haben, als wir die Worte »Körper« und »Umwelt« brauchten, um zu sagen, dass sie ein einziger Interaktions-Prozess sind. Später können wir sie dann mit neuen Begriffen kennzeichnen, die sich aus den Prozessen entwickeln. Im alten Modell linearer Zeit-Einteilungen müssten wir beispielsweise sagen, dass ein bestimmter Fuß-Druck drei unterschiedliche Boden-Druck-Teile impliziert: einen, der widersteht und dem Fuß überhaupt ermöglicht zu drücken; ein zweiter entspricht dem Fuß-Druck und ist diesem entgegengesetzt; ein dritter Boden-Druck ist das Ergebnis des Fuß-Drucks. Die Tatsache, dass ein Teil alle drei braucht, ist ein uraltes Problem des linearen Modells. Der »Körper« impliziert alle drei, wenn jemand schon Teile machen will. Es waren also alle drei impliziert, als wir (in Kapi-
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II · Funktionszyklus
tel I) sagten, dass »der Körper seine Umwelt impliziert«, auch wenn wir das erst jetzt sehen. Durch eine (jede) Körper-Umwelt 2 ist ein ganzer Strang von Umwelt 2 impliziert. Und sie kann vielleicht auch mehrere Stränge implizieren. Hört ein Tier ein Geräusch, werden viele Situationen und Verhaltensweisen in seiner Wahrnehmung des Geräusches implizit sein: erreichbare Fluchtorte, Arten von Verfolgern, vorsichtige Schritte, geräuschlose Bewegungen, eine Kampf-Wendung, einige ganze Verhaltenssequenzen. Währenddessen steht das Tier ganz still und horcht nur. Was es tun wird, ist nicht determiniert. Mit Sicherheit wird es nicht alle die impliziten Sequenzen ausführen – vielleicht nicht einmal eine davon, sondern noch subtiler reagieren. Ich sage, dass Hunger Nahrungsaufnahme impliziert, und natürlich impliziert er auch die Umwelt 2, die mit dem Körper identisch ist. Hunger impliziert Nahrungsaufnahme und deshalb auch Nahrung. Hunger könnte deshalb Jagd implizieren, um die Beute zu erlangen, die weit weg ist. Hunger impliziert auch Verdauung, Koten, den Boden ankratzen, um den Kot zu vergraben, und es impliziert, wieder hungrig zu werden. All das ist ein Strang von Umwelten 2, und es sind auch Weisen, wie der Körper sein wird. Ist Verdauung mein Modell-Beispiel, dann ist der Prozess zyklisch. Hunger impliziert auch, nach der Darmentleerung und nach einer Weile Ruhe wieder hungrig zu werden. Dies nenne ich einen »Funktionszyklus«. In so einem Zyklus impliziert »dieses« und jedes Ereignis den ganzen Rest bis wieder hin zum Anfang. Aber wir wollen nicht, wie üblich, einfach voraussetzen, dass die Sequenz prädeterminiert ist. Auch im Gehen gibt es kein einzelnes Fuß-Druck-BodenDruck-Ereignis. Wenn es plötzlich nur so ein einzelnes Stück gäbe, würde das Tier fallen. Denn sein Gewicht ist schon auf dem Weg zu ..... (ein Momentum kann nicht als reine Ortsveränderung formuliert werden). Das »Stück« bewegt das Tier weiter. Es könnte ein Stück am Anfang sein, der sich verstärkende 58 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
II · Funktionszyklus
Fuß-Druck-Boden-Druck mit dem Gewicht, das auf den Fuß kommt. Jedes Stück, auf das man zeigen könnte, impliziert die ganze Bewegung des Gehens. Jedes Geschehen (occuring) ist auch ein Implizieren (implying) weiteren Geschehens. Und jedes Stück impliziert als nächstes etwas anderes. Wenn eine Spinne von ihrem halb fertigen Netz weggenommen und woandershin gesetzt wird, spinnt sie, sobald sie kann, dort weiter, wo sie aufgehört hat. Sie spinnt das restliche Netz nach außen weiter, deshalb hat es in der Mitte ein Loch. Wie bei der Verdauung kann das Netz-Spinnen nicht einfach wieder in der Mitte beginnen. Die Ereignisse können nicht in irgendeiner beliebigen Ordnung folgen. Intelligentere Tiere können ein Feedback dessen, was sie getan haben, miteinbeziehen, so dass sie nach einer unterbrochenen Aktivität wieder von Anfang an beginnen können. Aber selbst das würde eine ganz andere Sequenz als die ununterbrochene Tätigkeit erfordern. Leben kann nicht im Sinne von Einheiten einzelner Ereignisse gedacht werden, die mit anderen Ereignissen nur hinsichtlich ihrer Position in Beziehung stehen, d. h. im Sinne einzelner Ereignisse, die man in irgendeiner Reihenfolge umordnen könnte. Ich meine nicht, dass irgendjemand behauptet, lebendige Ereignisse würden in beliebiger Reihenfolge erfolgen. Aber warum dies unmöglich ist, wird gemeinhin nur in Begriffen gedacht, die von Dingen in einem Betrachter-Raum mit von außen auferlegten Relationen ausgehen. Wir wollen stattdessen der Spinne erlauben, selber Zeit und Kontinuität zu generieren. Der Prozess der Spinne hat seine eigene Ordnung. Der Rest des Netzes wird impliziert bleiben, bis Umwelt 2 im Geschehen (occuring) des restlichen Netzes mitwirkt. Jedes Geschehen ist auch ein Implizieren, und dieses bleibt bestehen, es sei denn, es wird durch ein Umweltgeschehen verändert, das in einer gewissen, sehr speziellen Beziehung zum Implizieren steht. Der Lebensprozess ist »zeitlich organisiert«, was hier aber nicht nur bedeutet, dass jemand bemerkt, dass Hunger vor Essen kommt. Es bedeutet eher, dass Hunger das Implizieren von 59 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
II · Funktionszyklus
Essen ist. Und Essen? Da ist diese spezielle Beziehung wieder: Wenn Hunger ein Implizieren von Essen ist, dann ist Essen ein ».....« von Hunger. Der Begriff, den wir wollen, ist implizit in ».....«, und wenn wir den Begriff finden, wird er mit unserem ».....« das tun, was Essen mit Hunger tut. Wir können folgende Formulierungen versuchen: dass Essen den Hunger befriedigt, dass es ausführt, was im Hunger impliziert ist, dass Essen den Hunger in irgendeine Art des Geschehens führt. Hunger ist das Implizieren von Nahrungsaufnahme (das »Bedürfnis« nach Nahrung, sagen wir, und machen dabei ein Nomen aus diesem Implizieren). Dann ist Essen die Befriedigung (noch ein Nomen). Die Nomen machen unterschiedliche Teilstücke aus einem Prozess. Aber eigentlich macht es keinen Spaß zu essen, wenn man nicht während des Essens hungrig ist. Essen passiert nur mit dem Hunger. Essen passiert in den Hunger hinein. Die Bestandteile haben beides in sich. Der Prozess ist sowohl Implizieren als auch Geschehen. Ein Stück Lebensprozess ist immer auch das Implizieren von weiteren Prozessteilen. Hier bedeutet »implizieren« schlicht dieses zwar bekannte, aber wenig verstandene Faktum. Zeit wird durch die Sequenz generiert. Aber die weiteren Teile des Zyklus (alle oder der nächste) gleichen sich nicht. Hunger gleicht nicht dem Essen, welches seinerseits nicht dem Koten gleicht. Implizieren in diesem Sinn ist wieder nicht-ikonisch, nicht-repräsentativ (wie wir schon in Kapitel I bemerkt haben). In gewisser Weise ist der ganze Zyklus aufeinander folgender Ereignisse jetzt hier, an diesem einen Punkt. Wir können sagen, der ganze Zyklus ist fortlaufend. Wir können sagen, Hunger ist das sich auf die Suche-Machen nach und das Finden von Essen und das Essen selbst. Dieses »ist« und unser Wort »implizieren« (in diesem Gebrauch hier) sprechen von dieser Beziehung: Alles Leben ist ein Geschehen und auch ein Implizieren (von .....). Implizieren hat (macht, bringt, ist .....) Zeit, aber nicht nur die lineare, nur positionale Zeit. Obwohl wir noch ganz unklar 60 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
II · Funktionszyklus
sind (wir sind ja erst am Anfang), wollen wir, dass diese Sequenz Zeit für uns definiert. Wir haben nicht mit einem klaren Begriff von Zeit begonnen. Stattdessen wollen wir sagen, dass sich Zeit aus der Beziehung von Geschehen und Implizieren generieren lässt – statt zu sagen, dass Lebensprozesse in der Zeit stattfinden. (Die letzte Aussage würde eine Zeit beinhalten, die wir bereits vorausgesetzt haben). Vorsicht: Man könnte versucht sein zu behaupten, dass jedes Stück des Geschehens dasjenige ist, das durch das vorhergehende Stück impliziert wurde. Das wäre aber nur wieder das alte lineare Modell. Erst später, in Kapitel IVB und VII, werden wir Begriffe entwickelt haben für unsere Fähigkeit, Zeit als eine lineare Serie von Positionen zu denken (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft). Natürlich haben wir diese Fähigkeit schon jetzt, aber wir wollen nicht voraussetzen, dass diese linearen Positionen »elementar« sind, so als ob alles andere dort hinein passen müsse. In Kapitel VII werden wir Begriffe dafür entwickeln, wie man sich an etwas Früheres erinnern kann oder wie man sich etwas vorstellen kann, das sich jetzt noch nicht ereignet hat. Es wird uns möglich sein, lineare Zeit als einen einfacheren Fall eines komplexeren Zeit-Modells herzuleiten, aus dem ganz viel anderes ebenfalls hergeleitet werden kann. Unser primitives Konzept »Geschehen ins Implizieren hinein« (occuring into implying) wird sich mehr und mehr entfalten. Vom Standpunkt des Betrachters können wir zwar manchmal wissen, was passieren wird, weil wir häufig schon die gleiche Ereignisabfolge beobachtet haben. Wir wollen hier aber nicht voraussetzen, dass der Prozess eine Sequenz prädeterminierter Ereignisse ist. Implizieren ist nicht identisch mit dem, was geschehen wird. Hunger ist nicht Essen und auch keine versteckte Repräsentation von Essen. Wir wollen das Verhältnis von Geschehen-Implizieren nicht zu einer Gleichung machen. Wir brauchen nicht anzunehmen, dass der Prozess aus schon definierten Ereignissen besteht, die der Betrachter zu einer Zeit eins vorhersagt, zu einer Zeit zwei beobachtet und zu einer Zeit 61 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
II · Funktionszyklus
drei erinnert. Wir brauchen auch nicht anzunehmen, dass Implizieren aus definierten Einheiten besteht. In der Natur hat sich eine Myriade unterschiedlicher Arten zu essen entwickelt, und noch mehr Arten könnten entstehen. Das Implizite ist niemals nur dem Geschehen gleichzusetzen. Implizieren ist ein Teil des Geschehens, aber Geschehen gleicht auch der Umwelt, ist Körper-Umwelt. Der Körper impliziert und geschieht in der Umwelt. Aber Implizieren »ist« komplexer als die Umwelt. Geschehen hat auch diese komplexere Ordnung, aber nur hinsichtlich des nächsten Geschehens. Jedes Geschehen impliziert auch, darum ist das Implizieren Teil eines jedes Geschehens. Aber Implizieren ist viel mehr als nur das nächste Ereignis, das der Betrachter vorher schon beobachtet hat. Implizieren und Geschehen sind immer genau so, wie sie sind, keinesfalls indeterminiert, obwohl sie offen sind für weiteres Geschehen (vgl. The Responsive Order und Thinking Beyond Patterns), aber Implizieren ist geordneter als eine Reihe von Körper-Umwelt 2-Ereignissen. Implizieren ist niemals mit Geschehen gleichzusetzen. Darum ist Implizieren nicht ein Geschehen, das »noch nicht« geschehen ist. Es ist nicht einfach ein Geschehen auf einer anderen Position in der linearen Zeit. Wir sehen also, dass Implizieren nicht das ist, was geschehen wird. Auch ist es nicht richtig zu sagen, dass das, was geschehen ist, das ist, was impliziert war. Wir brauchen mehr Begriffe, um in der Lage zu sein, von ihrer Beziehung zueinander zu sprechen. Bislang haben wir das Wort »hinein« gebraucht, um von dieser Beziehung zu sprechen. Wir sagten, dass die Umwelt in das Implizieren hinein geschieht. Da Umwelt ein Teil des Geschehens ist, können wir auch sagen, dass Geschehen ins Implizieren hinein geschieht. Bald wird sich diese Beziehung selbst weiter entfalten. Bis jetzt ist klar, dass es keine Identität sein kann 1 . 1
Die Ordnung des Implizierens ist anders als die Umwelt, wobei auch
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II · Funktionszyklus
Im alten Modell wird vorausgesetzt, dass alles »gleich« bleibt, weil Veränderung dadurch erklärt wird, dass identische Einheiten ausfindig gemacht werden, die nur umgeordnet werden. In einem solchen Modell bleibt das System von Verortungen und Möglichkeiten immer das Gleiche. Wir wollen stattdessen mit Veränderung beginnen. Später werden wir »das Gleiche« aus Veränderung herleiten. diese nicht schon strukturiert und musterhaft ist. Wir, die wir ein Modell bauen, bedienen uns der Muster, wir sehen die Muster in umwelthaften Geschehnissen, aber Muster sind eine spätere Entwicklung. Wir leiten sie in Kapitel VII her. Wir werden daher über die umwelthafte Art von Ordnung im Sinne von Geschehnissen wie dem Gehen oder der Nahrungsaufnahme nachdenken. Diese sind keine Muster, obwohl sie auf verschiedene Weise musterhaft erscheinen können. Es gibt nie nur Muster und hinzu addiert dann Existenz oder Konkretheit. Für eine logische Schlussfolgerung nutzen wir Muster, aber der Prozess, sie zu generieren und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, beinhaltet sehr viel mehr als die Muster. In Mustern denken zu können, beinhaltet immer einen Prozess, der mehr umfasst als die Existenz von Mustern allein. Die Konzepte, die wir hier nutzen, enthalten natürlich auch Muster, aber nicht nur. Denken ist auch ein körperlicher Prozess (wie wir in Kapitel VII-B sehen werden). Konzepte tragen den Körper voran. Jedes Konzept bringt seine vielen situativen Anwendungsmöglichkeiten mit sich; wir können sie uns jederzeit weiter zunutze machen. Jedes Wort bringt auch eine implizite erlebensmäßige Komplexität mit sich, selbst wenn man eine Theorie so nutzt, als ob sie geschlossen wäre und man nicht auf die implizite Komplexität achtet (und auch nicht auf die implizite Anstrengung, die damit einhergeht, diese Komplexität zur Seite zu stellen). Logische Leistungskraft – logische Schlüsse – erfordern dies. Aber wir können eine Theorie an jedem Punkt und in jeder Anwendung wieder öffnen. Wir können jede Theorie sowohl als geschlossen als auch als wieder-geöffnet verwenden. (Siehe Experiencing and the Creation of Meaning, Kapitel VI). Unser Begriff des »Implizierens« nutzt das alte konzeptionelle Muster, aber die Sätze, in denen es hier verwendet wird, ermöglichen diesem Begriff, mehr zu implizieren, wodurch das konzeptionelle Muster ebenfalls verändert wird. Geschehen geschieht ins Implizieren hinein und verändert es. Die Begriffe »geschehen« und »implizieren« müssen zusammen gedacht werden.
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II · Funktionszyklus
Geschehen ist Veränderung; etwas passiert. Geschehen ins Implizieren hinein kann das Implizieren verändern. Die geschehende Sequenz ist auch eine Sequenz von Veränderungen im Implizieren. Also ist die Sequenz nicht durch das Implizieren eines einzigen Geschehens determiniert. Der Prozess ist auf der ganzen Linie ein sich veränderndes Implizieren. Wir können einen Schritt weiter gehen: Da Implizieren ein weiteres Geschehen impliziert und da Geschehen das Implizieren ändert, impliziert Implizieren eine Veränderung im Implizieren. Es impliziert seine eigene Veränderung. Die Sequenz kann definiert werden als die implizierten Veränderungen im Implizieren. Das sind aber keine determinierten Möglichkeiten. Da immer etwas impliziert wird, lässt sich sagen, dass Geschehen jeweils in ein Implizieren hinein geschieht, aber es verändert das Implizieren nicht immer so, wie dieses sich verändert impliziert. Es ist jedoch missverständlich, von »Veränderung« zu sprechen, als ob Implizieren einfach irgendetwas anderes implizieren würde. Implizieren impliziert etwas so Komplexes (intricate), dass nur ein sehr spezielles Geschehen das Implizieren so »ändert«, wie es sich verändert impliziert. Alles andere mag den Körper unterbrechen oder das Implizieren unverändert lassen – so dass es so bleibt wie zuvor. Während das Tier hungrig ist, geschieht beispielsweise etwas anderes als Nahrungsaufnahme. Dann dauert das Implizieren von Nahrungsaufnahme unverändert an. Ein Raubtier könnte das Tier jagen, so dass nun Rennen impliziert wird. Oder das Tier könnte getötet werden. Da immer etwas impliziert ist, geschieht alles Geschehen »ins Implizieren hinein«, aber nicht immer so, wie das Implizieren impliziert. Wir können bereits sagen, dass sich hier weitere Unterscheidungen ankündigen. Implizieren impliziert ein Geschehen, das es verändert, so dass es nicht mehr so impliziert wie zuvor, aber nicht, weil es unterbrochen worden ist, sondern eher, weil
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II · Funktionszyklus
das, was geschieht, sich in einer gewissen (nicht völlig vorherbestimmten Weise) auf das Implizieren bezieht. Weitere Begriffe, mit denen wir über diese Beziehung nachdenken können, werden sich entwickeln.
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Kapitel III: Ein Objekt
Unser Begriff des »Implizierens« hat inzwischen schon eine zweite Bedeutung entwickelt. Zuerst sagten wir, dass alle Teile der Körper-Umwelt 2 sich als Teil eines einzigen Ganzen implizieren; dann sahen wir, dass jedes Geschehen auch ein Implizieren von weiterem Geschehen ist (und von Veränderung im Implizieren). Was aber geschieht, wenn die Umwelt sich in einer Weise verändert, die nicht zum Prozess gehört? Bisher haben wir Körper oder Umwelt als ein Körper-Umwelt-Ereignis definiert. Aber wenn der Fuß sich so verändert, dass er nicht drückt, dann ist der Bodendruck auch nicht da. Wenn der Bodendruck hingegen fehlt, dann wäre der Fuß-Druck auch nicht wie üblich. Wenn also irgendein Aspekt vom Körper oder von Umwelt 2 anders wäre oder fehlen würde, dann würde das, was geschieht, auch anders sein. Das Gehen hört dann auf; der lebendige Körper stirbt vielleicht oder lebt anders weiter. Vieles an der Umwelt 2 ist konstant, Luft oder in manchen Fällen vielleicht Wasser. Dies sind dann keine gesonderten Aspekte (außer wir unterscheiden sie). Aber sogar diese und andere Aspekte von Umwelt 2 können manchmal fehlen. Der Körper hat sich vielleicht so verändert, dass es für ihn keine Nahrung mehr gibt. Oder die Nahrung kann fehlen. Wenn eine Flut kommt, ist der Bodendruck nicht mehr da. Falls das Lebewesen nicht sofort stirbt, wenn ein bestimmter Prozess gestoppt ist, dann gibt es nun ein Implizieren, das durch ein Geschehen nicht verändert wurde. Das Tier bleibt beispielsweise »hungrig«, d. h. Futter und Nahrungsaufnahme bleiben 66 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
III · Ein Objekt
impliziert, aber geschehen nicht. Jetzt ist Hunger nicht mehr bloß das Implizieren, in das hinein Essen geschieht. Vielleicht gibt es bald eine neue Art Futter oder es bildet sich eine neue Möglichkeit, etwas zu tun, wodurch das Implizieren ähnlich verändert wird wie durch Nahrungsaufnahme. Wenn das aber nicht passiert, dann bleibt das Implizieren von Nahrungsaufnahme gleich, unabhängig davon, was für andere Ereignisse noch geschehen werden. Wir haben zum ersten Mal in unserem Modell hergeleitet, was »gleich« (the same) bedeutet. Wir sprechen jetzt nicht von der ganzen »Umwelt«, die mit dem Körper identisch ist, sondern von einem gewissen Aspekt davon, der sich dadurch trennt, dass er abwesend ist. Der Prozess der Nahrungsaufnahme trennt sich also ab und bleibt zugleich impliziert. Alles andere, was mit der Nahrungsaufnahme zu tun hat, bleibt bestehen: das Tier, die anderen Tiere, die Luft, der Boden, das Licht, alles zusammen. Was nicht da ist, ist nur ein kleiner, aber getrennter »Teil« der ganzen Umwelt 2. Wenn so ein Aspekt der Umwelt 2 fehlt, können wir von »einem« Prozess sprechen, der getrennt ist und stoppt. Jetzt gibt es einen gestoppten Prozess, der vom ganzen Prozess trennbar ist. Der Teil der Umwelt 2, der sich trennt, indem er abwesend ist, spielt eine besondere Rolle. Er stoppt einen Prozess durch seine Abwesenheit. Wir wollen diesem Teil der Körper-Umwelt 2 den alten Namen »Objekt« geben (selbst wenn damit hier öfter auch Mitglieder der Spezies gemeint sind und nicht nur Gegenstände wie im alten Modell). Wenn wir das Objekt so denken, dann gehen wir nicht davon aus, dass die Umwelt schon aus Objekten besteht, vor allem nicht aus Objekten, die ein Betrachter definiert hat. Stattdessen ist etwas nur dann ein Objekt, wenn es der Körper-Umwelt 2 angehört und manchmal auch fehlt. Ein Lebewesen kann vielleicht nur ein oder zwei Objekte haben. Da es jetzt einen gestoppten Prozess gibt, hat dieser fehlende Teil von Umwelt 2 eine überraschende Macht erhalten: Wenn 67 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
III · Ein Objekt
dieser kleine Aspekt der Umwelt wieder geschieht, wird der ganze Prozess, der durch seine Abwesenheit gestoppt war, wieder geschehen. Natürlich beinhaltet der Prozess sehr viel mehr als nur den fehlenden Teil, der jetzt wieder da ist. Der sich wieder aufnehmende Prozess ist viel komplexer, als man sich nur von diesem Objekt aus vorstellen kann. Wenn aber dieses Objekt geschieht, setzt sich der ganze komplexe Prozess, der gestoppt war, wieder fort. »Das Tier erkennt das Objekt«, sagt der Betrachter. Es reagiert adäquat auf das Objekt. Wir können jetzt die bekannte Aussage von G. H. Mead herleiten, dass die Umwelt eine Funktion des Organismus ist. Sie ist es jedoch nicht in jeder Hinsicht. Der Körper und die Umwelt haben ihre eigenen realen Verbindungen, und das führt uns zu einem neuen Verständnis des Begriffs »Umwelt 2«, von dem wir jetzt gesondert sprechen können. Der Körperprozess ist vielleicht nicht in der Lage, das Verschwinden oder das Wiederauftauchen des Objekts festzustellen. (Später werden wir vielleicht Prozesse auffinden, die sich mit anfänglich fehlenden Objekten selbst versorgen können, aber das ist etwas anderes.) Das Objekt ist insofern eine Funktion des Prozesses, als der Prozess dieses Objekt von sich trennt, indem er nicht ohne es geschieht und sich erst wieder aufnimmt, wenn das Objekt wiederkehrt. Beim Wiederaufnehmen (resumption) begegnet der Körper dem Objekt nicht wie zum ersten Mal. Es sieht so aus, als ob lebendige Dinge zufällig Objekte haben oder als ob das Tier das Objekt gerade getroffen hätte. Wenn man davon ausgeht, dann bleibt es rätselhaft, was das Tier mit dem Objekt macht und wie es das tun kann. Was wir »ein Objekt« nennen, ist Teil von Umwelt 2 und Teil eines Funktionszyklus. Es war bereits Teil der Umwelt, aber nicht gesondert (nicht als »ein« Objekt). Indem es abwesend ist, ist es getrennt. Somit können wir sagen, dass Objekte bereits 68 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
III · Ein Objekt
Teile des Funktionszyklus waren, obwohl wir sie erst jetzt unterscheiden können. Das Stoppen hat uns befähigt, weiter über das Implizieren nachzudenken und weitere Begriffe zu entwickeln. Weil es Implizieren gibt und dieses ein Geschehen impliziert, welches das Implizieren in einer gewissen Weise ändern wird (die wir später definieren werden können), kann es überhaupt ein Stoppen geben (das heißt ein Geschehen, welches das Implizieren nicht auf eine bestimmte Weise ändert). Dann bleibt das Implizieren für eine Weile gleich, und wir können es fühlen und darüber nachdenken. An diesem Punkt könnte etwas Neues geschehen, das diese bestimmte (noch zu definierende) Beziehung dazu hat, denn Implizieren ist beides, viel komplexer (intricate) und dennoch offen. Wenn das nächste Geschehen es nicht unmittelbar in einer Weise ändert, in der es sich verändert impliziert, begegnen wir dem Implizieren »... . . « als solchem (getragen von anderen Geschehnissen). Aber so lange es gleich bleibt, so lange behält es auch dasselbe Objekt in der Umwelt bei. Wir können von einem Objekt sprechen. Aber wir können von Umwelt 2 nicht so sprechen, als ob diese aus Objekten bestünde, da das meiste davon nie fehlt und als ein Objekt gesondert und impliziert ist. Das meiste ist konstant und nicht unterschieden in Objekte. Wenn Leute sagen, dass Objekte »eine Funktion des Organismus« seien, sagen sie bisweilen auch, dass der Organismus etwas herausgreift oder auswählt, was für ihn ein Objekt ist. Diese Annahme betrifft Objekte des Betrachters. Man nimmt an, dass das Tier mit etwas interagiert, das von einem Betrachter definiert wird. Stattdessen wollen wir den Lebensprozess so denken, dass er Umwelt 2 mit enthält. Irgendein Teil davon kann sich differenzieren, indem er manchmal fehlt. Dann bleibt das Implizieren so lange gleich, wie er fehlt. In unserer dritten Bedeutung des Konzeptes »Implizieren« dauert Implizieren gleichbleibend an, solange der Prozess stoppt. Das führt uns zur Frage: Wie kann da ein Prozess »sein«,
69 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
III · Ein Objekt
der nicht weitergeht? Das nächste Kapitel wird die Frage aufnehmen. Etwas anderes Merkwürdiges fällt auf, das uns weiterführen wird. Bisher haben wir definiert, dass es ein Objekt für den Körper nur geben kann, solange das Objekt fehlt und der Prozess mit ihm nicht geschieht. Sobald das Objekt wiederkehrt, nimmt sich der Prozess wieder auf und ändert das Implizieren, so dass das Objekt nicht länger impliziert ist. Objekte sind bisher nur Objekte, solange sie abwesend sind. Später (in Kapitel VI) werden wir Begriffe dafür entwickeln, wie ein Körper Objekte haben kann, die für ihn da sind, wie etwa wahrgenommene Objekte, bislang haben wir jedoch noch keine Begriffe dafür. Wir haben beispielsweise auch keine Bezeichnungen, die besagen, dass Nahrung für den Körper da sein kann, während Nahrung aufgenommen wird und auch nachher. Soweit unsere Begriffe entwickelt sind, wäre Nahrung ein undifferenzierter Teil des ganzen Prozesses des Körpers, sobald sie geschieht. Die Nahrung wäre ein Teil der ganzen Umwelt 2 und kein gesondertes Objekt. Also können wir fragen: Wie kommt der Körper dazu, Objekte vor sich zu haben und beizubehalten? Wie können sich hierfür Begriffe aus unseren Begriffen entwickeln? Wenn wir unseren Begriffen erlauben, in dieser logischen Weise zu arbeiten, führt uns dies zu verblüffenden Resultaten, die weitere Fragen generieren. Manchmal tauchen wir in ihre mehr als logischen Implikationen ein, aber wir müssen sie auch logisch nehmen, ganz exakt. Es ist klar, dass wir bis jetzt noch keinerlei Objekte der Wahrnehmung haben. Wir haben bis jetzt noch keine Begriffe für Wahrnehmungen, Bilder oder Erinnerungen. Wir haben Begriffe entwickelt für etwas Früheres, Primitiveres, nämlich dafür, wie etwas Gesondertes, zum Beispiel »ein« Prozess und »ein« Objekt, überhaupt zustande kommen können. Bevor dieses Objekt fehlte, war es überhaupt kein »dies« für den Körper. Wenn das Objekt wieder da ist, setzt sich der gestoppte Pro70 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
III · Ein Objekt
zess wieder fort. Dann ist das Objekt nicht mehr länger impliziert. Unsere dritte Art von »Implizieren« kann in beide Richtungen verwendet werden, wenn auch nicht ganz gleich. Wir können sagen, dass der partiell gestoppte Körperprozess den fehlenden Umwelt-Aspekt impliziert. Wir können auch sagen, dass dieser Umwelt-Aspekt den gestoppten Körper-Prozess impliziert und wieder aufnimmt. Zum Beispiel impliziert Nahrung die Nahrungsaufnahme des Körpers. Ein Objekt zu sein heißt, einen Prozess mit dem Körper wieder aufzunehmen. Später (in Kapitel IV-A.e), wenn wir die Begriffe haben, werden wir dazu in der Lage sein, diese zu nutzen, um über ein »ursprüngliches Implizieren« nachzudenken, das in einem Prozess »wieder aufgenommen« ist, der dafür keinen Stopp nötig hatte. Das Objekt impliziert den wieder aufgenommenen Prozess für den Körper, weil der Körper diesen Prozess impliziert. Ein solcher Umwelt-Aspekt hat eine Rolle, eine Funktion, wir können fast sagen: eine »Bedeutung« für diesen Körper; wie ein Symbol bedeutet es (impliziert es) Nahrungsaufnahme. Wir könnten beinahe sagen: Der Körper »erkennt« das Objekt – beinahe, denn dieser Gebrauch des Wortes kommt hier zu früh. Weiter unten werde ich diesen »zu frühen« Gebrauch von Begriffen diskutieren.
Einige vorläufige Beweggründe und Befähigungen des Modells Sage ich, dass ein fehlender und implizierter Umwelt-Aspekt eine Rolle spielt, eine Funktion, eine Bedeutung hat, nämlich die Rolle eines Symbols für den Körper, dann ist mein »zu früher« Gebrauch dieser Worte absichtlich. Dieser zu frühe Gebrauch ist Teil des Projektes, ein alternatives Modell zu schaffen, um lebendige Körper so definieren zu können, dass einer davon unserer sein kann. Wir fangen mit unseren komplexeren Kör71 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
III · Ein Objekt
pern an und wie wir diese kennen (fühlen, sind . . . . . ). Wir wollen Konzepte von »Körper« und »Umwelt« von Anfang an so entwickeln, dass sie auch auf unsere eigenen Körper anzuwenden sind. Unsere menschlichen Körper haben Umwelten, die andere Mitglieder der Spezies sowie andere Objekte, Bedeutungen und Symbole enthalten; deshalb wissen wir, dass lebendige Körper Objekte, Bedeutungen und Symbole haben können. Darum wollen wir unser Modell nicht mit »Grundbegriffen« bauen, die unsere eigenen Körper von Anfang an unmöglich zu machen scheinen. Da wir Menschen nun mal hier sind, können wir sicher sein, dass wir nicht unmöglich sind. Darum muss an einem konzeptionellen Modell der »Realität«, das uns selber unmöglich erscheinen lässt, etwas falsch sein. Im Raum- und Zeitmodell des Betrachters, in dem wir gelernt haben, über alles nachzudenken, erscheinen menschliche Bedeutungen und Symbole unmöglich. Gegenwärtig scheint eine menschliche Welt wie abgetrennt zu schweben, und menschliche Bedeutungen scheinen zur »Realität« hinzugefügt zu sein, wodurch wir unreal erscheinen. Postmoderne Denker wollen jedes konzeptionelle Modell verwerfen. Die Grundrisse eines Modells nenne ich nicht deshalb »grundlegend«, weil jemand glauben würde, ein konzeptionelles Modell wäre die Basis von irgendetwas, sondern weil eine solche »grundlegende« Struktur von allen anderen Begriffen übernommen wird. Heute wird weitgehend verworfen, was üblicherweise als »westliches« Modell gilt, aber es bleibt dennoch »grundlegend«, nicht als eine Setzung, sondern weil es der Struktur der allermeisten Konzepte inhärent ist und deshalb nach wie vor die Grundlage für Neues ist. Das bleibt so, solange uns ein alternatives »grundlegendes« Modell fehlt. Postmoderne Denker haben recht damit, alle Modelle zurückzuweisen. Aber ein Modell hört auf, eine Falle zu sein, sobald wir eine ebenso »grundlegende« Alternative haben. Dann können wir
72 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
III · Ein Objekt
Konzepte jenseits von alten Modellen entwerfen – und auch jenseits des neuen. Wir können eine Alternative entwickeln, wenn wir die »grundlegenden« Begriffe gemäß den lebendigen Körpern entwerfen, die wir haben (die wir sind, von denen aus wir handeln und sprechen .....). Durch grundsätzliche Parameter, die »zu frühe« Versionen menschlicher Prozesse sind, können wir spätere Definitionen von Bedeutung und Symbolen möglich machen. Dann werden wir später nicht geheimnisvoll verkünden müssen, dass Menschen eine Symbolisierungskraft haben, wie dies üblicherweise in den momentan abgekoppelten Sozialwissenschaften getan wird. Wir wollen diese Wirkkraft und ihre Kontinuität auch bei noch nicht menschlichen Prozessen verstehen. Dabei beanspruchen wir nicht, ohne Sprache oder vor der Sprache sein zu können. Selbstverständlich entwerfen wir Konzepte von gewissen Aspekten aus, die wir sind und leben. Und natürlich ist auch die übliche mathematische »Realität« von menschlichen Prozessen hergeleitet. Nichts ist exklusiv menschlicher als Mathematik. Wir können vom Erleben aus sprechen, und wir können grundlegende Konzepte über diese Art des Sprechens machen, besonders über das Focusing und über den Prozess des Explizierens. Weil diese Prozesse in der Wirklichkeit möglich sind, können sie uns zu einer alternativen Reihe »grundlegender« Konzepte einer »Realität« führen, in der wir nicht unmöglich erscheinen. Unser noch rudimentäres Modell wird sich in eine zusammenhängende Matrix von Konzepten fortentwickeln, mit denen wir menschliches Verhalten und Symbolisieren »herleiten« können. So erhält es die Konzepte, mit denen es über sich selbst sprechen kann (Kapitel VII und VIII). Dass Symbole und Rituale tiefe körperliche Wirkungen haben, ist bekannt, aber wie diese möglich sind, darüber kann man schwer nachdenken. Wir bauen einen Weg, um von hier aus und in diese Wirkung hinein zu denken. Natürlich verbringen wir 73 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
III · Ein Objekt
einen Großteil unseres Lebens sprechend. Die alte Idee, dass Symbole »für etwas stehen«, hat diese Beziehung nie erhellt. Es bleibt bei einem rein äußerlichen Verhältnis. Aber wie können Symbole mit Dingen zusammenhängen, wie können sie »über« etwas sprechen? Uns wird von »Bezeichnendem und Bezeichnetem« erzählt – aber die Zeichen schweben. In diesen alten Begriffen über Sprache und Bezeichnen nachzudenken, ist von innen her nicht schlüssig und steht auch nicht in Beziehung zu lebendigen Körpern. Unser kleines primitives Modell mit seinen wenigen Begriffen reicht sogar schon weiter als das übliche Modell. Mit dem Konzept des »Implizierens« und indem Körper und Umwelt zusammen ein Geschehen ausmachen, impliziert der Körper seine partizipierende Umwelt sowie besondere Objekte, die fehlen und einen Prozess wiederaufnehmen können. Üblicherweise wird angenommen, dass ein Symbol zu einem Symbol wird, wenn es »für etwas steht«. Unsere Definition definiert noch kein Symbol, auch noch kein Objekt, das bereits präsent ist und von einem Körper wahrgenommen wird. Bislang verschwindet das »Objekt«, sobald es wieder auftaucht. Und trotzdem »steht« es schon »für« etwas, nämlich für den Prozess, den es wiederaufnimmt, wenn es wieder auftritt. Die Redewendung »stehen für« entstammt jedoch dem alten Modell, das anzunehmen scheint, dass Symbolisieren eine externe Beziehung wäre. Dagegen meine ich, dass der Körper das Objekt »impliziert«, indem er den Prozess impliziert, welcher das Objekt wiederaufnimmt. Darum kann unser rudimentäres Modell schon viel sagen, das gesagt werden muss und im alten Model nicht gesagt werden kann. Wir haben auch Begriffe, um zu sagen, dass mit einem Objekt (und später einem Symbol) eine ganze implizite Komplexität einhergeht, obwohl es so einfach und so vereinzelt aussehen kann. Wie dem fehlenden Umwelt-Aspekt kann auch der Wirkung eines Symbols nicht Rechnung getragen werden, wenn man es allein untersucht. Unser rudimentäres Modell stellt We74 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
III · Ein Objekt
ge zu Verfügung, solche Dimensionen zu bedenken, ohne von Repräsentationen auszugehen. Der Körper impliziert das Objekt nicht dadurch, dass er eine Art Kopie davon hat. Nichts im Implizieren des Körperprozesses sieht aus wie das Objekt. Auch ist das Implizieren des Objekts nicht eine »Referenz« wie im alten Modell. Was tatsächlich impliziert ist, ist ein weiterer Körperprozess, nicht nur das Objekt. Explikation ist nie Repräsentation, sondern selbst jeweils ein weiterer Prozess. Später werden wir Begriffe für kognitive Prozesse ableiten (zum Beispiel solche, die grundlegend sind für das Wort »von«, wie Wahrnehmung von, Symbol von etc.), aber wir setzen damit keinen frischen Ausgangspunkt, als ob wir Menschen kein Teil der Welt wären, die von den Wissenschaften erforscht wird. Der zu frühe Gebrauch von »Bedeutung« und »Symbol« legt jedenfalls sicherlich noch nicht fest, wie wir diese Wörter gebrauchen wollen.
75 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Kapitel IV: Körper und Zeit Kapitel IV-A: Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept a) Körper als der sich fortsetzende Prozess Sobald wir mehr als einen Prozess haben, ist der Körper der andere Prozess, derjenige, der nicht gestoppt ist. Wir wollen nun einen gestoppten Prozess definieren. Wenn ein Aspekt von Umwelt 2 fehlt und der Körper nicht stirbt, setzt er sich unmittelbar in einer anderen Weise fort. Manche seiner üblichen Prozesse gehen nicht weiter. Dadurch entsteht eine Unterscheidung. Nun gibt es den gestoppten Prozess und einen anderen, der weitergeht. Der Körper ist der neue Prozess, der sich weiter fortsetzt. Bis jetzt hatten wir noch keine Möglichkeit, über das anscheinend getrennte Ding zu sprechen, das wir gewöhnlich »den Körper« nennen. Jetzt haben wir den »Körper« zumindest als unterschieden vom gestoppten Prozess definiert. Aber in welcher Weise existiert ein gestoppter Prozess, wenn er sich nicht fortsetzt? Zuerst möchte ich sagen, dass nicht jede Veränderung ein gestoppter Prozess ist. Veränderte Geschehnisse können sehr wohl das Implizieren so ändern, wie dieses sich verändert impliziert. Implizieren ist nicht ein determiniertes Geschehen, das nur auf eine Weise ablaufen kann. Wenn neues Geschehen das Implizieren jedoch nicht ändert, wie dieses sich verändert impliziert, bleibt das Implizieren in dieser Hinsicht gleich, und der gestoppte Prozess wird weiter impliziert bleiben. Was sich dann fortsetzt, ist anders als zuvor. In Abschnitt e) werden wir in der Lage sein, diese Unterschiede zu diskutieren. 76 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Körper als der sich fortsetzende Prozess
An dieser Stelle hier sollen sie uns zunächst zu definieren erlauben, wie der gestoppte Prozess als Geschehen existiert. Als gestoppter existiert er nicht als solcher, sondern nur in der dadurch entstehenden Veränderung des sich fortsetzenden Prozesses. Dieser setzt sich fort ohne das Gestoppte. Wir können sagen, dass diese Veränderung im weiterlaufenden Prozess den gestoppten Prozess trägt. Ein gestoppter Prozess ist ein unverändertes Implizieren, getragen von einem veränderten Geschehen. Er ist getragen von dem Prozess, der sich dadurch verändert fortsetzt. Der sich verändert fortsetzende Prozess umfasst ein unverändertes Implizieren, welches das Objekt impliziert (den fehlenden Umwelt 2-Aspekt, der den gestoppten Prozess fortsetzen würde). Das Objekt ist durch den getragenen Stopp impliziert, getragen durch verändertes Geschehen und durch gleichbleibendes Implizieren. (Selbstverständlich gehört beides zusammen. Nur der weiterlaufende Prozess ist zu unterscheiden vom gestoppten.) Der getragene gestoppte Prozess ist die Körper-Version des fehlenden Objekts. Ich drücke es in dieser Weise aus, um es von der alten Weise, in Repräsentationen zu denken, abzusetzen: Ein getragener Stopp ist keineswegs wie eine Kopie oder wie eine Repräsentation. Aus demselben Grund möchte ich den getragenen Stopp ein »Schema« nennen. Im alten Modell bezeichnete dieser Begriff eine Art Bild, das dem Körper ermöglichte, ein Objekt zu »erkennen«. Hier erfüllt der getragene Stopp diese Rolle. Der fehlende Prozess nimmt sich wieder auf, wenn das Objekt geschieht. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass »erkennen« hier »zu früh« gebraucht ist. Dieses Wiederaufnehmen kann sogar bei Pflanzen und einfachen Tieren passieren. Wir brauchen Begriffe für dieses basale Erkennen, so dass wir später elaboriertere Begriffe für entwickeltere Arten von »Erkennen« erstellen können. Wir entwerfen ein neues Konzept des lebendigen Körpers, 77 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
eines, in dem der Körper bedeuten oder implizieren kann. Wir haben bereits drei Weisen körperlichen Implizierens definiert: Körper-Umwelt, nächstes Geschehen, gestoppter Prozess samt Objekt. Wir werden jetzt eine vierte Weise entwickeln: Wie nämlich Prozesse einander implizieren, sobald es viele davon gibt. Wenn der Stopp neu ist, ist das, was weitergeht, nie zuvor ohne das Gestoppte geschehen. Waren es also »zwei« Prozesse, bevor einer von beiden gestoppt wurde? Nein, denn »sie« sind nie zuvor getrennt geschehen. Der Betrachter kann immer auf viele Weisen aufteilen. Wir hingegen wollen einer Aufteilung zwischen Ereignissen, die ohne einander geschehen können, einen anderen Stellenwert geben. Was sich fortsetzt, wäre nicht neu, wenn diese zwei Prozesse unterschiedlich gewesen wären. Der sich fortsetzende würde dann unverändert weitergehen. Wir denken den Prozess jedoch ungeteilt. Was sich fortsetzt, ist ohne das Gestoppte nie geschehen. Darum ist die Aufteilung neu: Was sich fortsetzt, ist ein neues Ganzes. Neues entwickelt sich auch, wenn wir Folgendes in Betracht ziehen: Sobald sich der gestoppte Prozess wieder aufnimmt, wird das in einen veränderten Organismus hinein geschehen, der sich während des Stopps anders fortgesetzt hat. Darum wird der wiederaufgenommene Prozess auch nicht so sein wie zuvor. Nimmt er sich wieder auf, wird es ein neues Ganzes geben. Der ganze Prozess wird nicht so sein wie vor dem Stopp und dem dadurch geschehenden Unterschied im sich fortsetzenden Prozess. Was sich fortgesetzt hat, war während des Stopps anders und wird weiter verändert durch ein Zusammentreffen mit dem, was den Stopp wiederaufnimmt. Wenn sich der gestoppte Prozess wieder aufnimmt, gibt es dann noch zwei Prozesse im Ganzen? Diese Frage entstammt dem alten Modell: entweder eins oder zwei. Unser Resultat ist komplexer. 78 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Körper als der sich fortsetzende Prozess
Wenn es viele Stopps und Wiederaufnahmen gibt, wird es viele Prozesse geben, das heißt viele neu organisierte Geschehnisse, Weisen, wie der ganze Körper ist. Für viele Prozesse (vielleicht alle) gibt es Phasen, in denen »sie« nur zusammen geschehen, und andere, die uns verleiten, sie als separate Prozesse zu denken. Meistens beginnt man mit diesem Resultat: nämlich mit koordinierten Prozessen. Stattdessen leiten wir den Sachverhalt her, dass es viele Prozesse gibt und dass sie in einer bereits koordinierten Weise viele werden. Das will ich im Folgenden zeigen: In unserem neuen Modell sind die Prozesse ursprünglich und von sich aus koordiniert. In Phasen, in denen sich ein Prozess wieder aufnimmt, geschieht der Rest des Körpers nur mit ihm zusammen. Wann immer dieser Prozess gestoppt ist, lebt der übrige Körper ohne ihn. Also haben die anderen Prozesse Phasen, in denen sie mit diesem einen Prozess immer zusammen geschehen, ganz damit eins sind, nicht davon zu unterscheiden, und andere Phasen, in denen sie sich ohne ihn geformt und fortgesetzt haben. Prozesse können deshalb während ganzer Sequenzen unabhängig scheinen, aber sie sind nur in solchen Phasen unterschiedliche Prozesse, in denen sich einer ohne den anderen fortgesetzt hat. Wenn ein Prozess weitergeht, tut er das gemeinsam mit vielen anderen Prozessen. Jede Phase eines jeden Prozesses hat sich zusammen mit einigen anderen, aber wiederum auch ohne einige andere entwickelt. Alle Phasen eines jeden Prozesses entwickelten sich während des Stopps einiger anderer und wiederum nur zusammen mit einigen anderen. Jeder von ihnen ist deshalb in jedem Moment Teil des körperlichen Ganzen, das nur gewisse Phasen der anderen Prozesse enthält. Wir können jetzt sagen: Wie genau ein Prozess in seinen jeweiligen Phasen ist, impliziert, wie die anderen sind. Dies ist eine vierte Bedeutung von »implizieren.« 79 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
Ob alle Prozesse einander in dieser Weise implizieren oder welche genau oder was als »ein« Prozess gelten kann – das ist eine empirische Frage. Wir behaupten nicht, dass zwei Prozesse nicht unabhängig voneinander sein können, selbst wenn unser Modell so eine Unabhängigkeit bislang noch nicht formuliert. Empirische Komplexität kann immer wieder jedes konzeptionelle Modell übertreffen. Wenn wir das einmal wissen, können wir viele Modelle verwenden. Definiert man zuerst getrennte Prozesse oder körperliche »Systeme«, dann können ihre Interaktionen rätselhaft erscheinen. Sie sind oft viel koordinierter und affizieren sich gegenseitig in mehr Weisen, als man belegen kann. Dann scheint eine »holistische« Medizin nicht wissenschaftlich zu sein. Sobald sich ein Prozess unterschieden hat, indem er sich während einer Phase eines anderen nicht fortgesetzt hat, könnte man glauben, beide getrennt weiterverfolgen zu können selbst in Phasen, in denen sie nur zusammen geschehen. Wir wollen jedoch getrennte Prozesse nicht voraussetzen, wenn sie nicht durchwegs voneinander trennbar sind. Der Betrachter könnte vollständig unterschiedliche Stränge getrennter Prozesse formulieren, zum Beispiel verdauende, atmende, reproduzierende etc. Aber weder sind diese durchwegs getrennt noch sind es ihre Subprozesse auf mikroskopischer Ebene. Die Illusion getrennter Prozesse entsteht auch in Untersuchungen zu sozialem Wandel. So verfolgt man beispielsweise über einen Zeitraum hinweg Veränderungen in Arbeitsmustern. Unabhängig davon verfolgt man dann Änderungen in Familienmustern, in Gesundheitsmustern, in ökonomischen Mustern. In diesen unterschiedlichen Studien werden unterschiedliche Begriffe entwickelt, als ob diese Entwicklungslinien über die Zeit hinweg getrennt existiert hätten, obwohl sie doch vielmehr oft in jedem Ereignis, das Menschen durchleben, verschmelzen. Geht man von getrennten Ereignissen, Prozessen oder Systemen aus, muss man ihr Koordiniert-Sein später wie etwas Zu80 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Körper als der sich fortsetzende Prozess
fälliges hinzufügen, sobald man es bemerkt. Gegenwärtig entdecken Wissenschaften langsam mehr und mehr Arten von Koordination. So einfach unser Modell bis jetzt ist, so bietet es uns doch einen veränderten Zugang, über koordinierte Prozesse nachzudenken. Viele Prozesse und ihr Wiederaufnehmen geschehen nur während Phasen, in denen andere ablaufen oder nur während gestoppter Phasen anderer Prozesse. Sie scheinen getrennt, aber koordiniert zu sein. Sie sind aber nicht getrennt in den Phasen, in denen sie »nur zusammen« geschehen. Diese Phasen müssen als eine Einheit betrachtet werden, sie sind nie getrennt worden. Getrennt sind sie in Phasen, in denen ein Prozess ohne den anderen geschieht, aber selbst dann sind sie nicht einfach getrennt. Der Stopp eines Prozesses geschieht nur zusammen mit gewissen Geschehnissen im anderen. Wie bereits erwähnt, ändert sich ein Prozess, der sich allein fortsetzt, indem der andere nicht geschieht. Ihre Phasen sind also koordiniert, selbst wenn sie »getrennt« erscheinen. Es scheinen zwar getrennte Prozesse zu sein, die »interagieren«. Sie scheinen zuerst viele zu sein; dann inter-agieren sie. Stattdessen wollen wir jene Art von Konzept gebrauchen, das ich »Interaktion zuerst« nenne. Der Interaktionsprozess kann lange vor der Differenzierung von Prozessen existieren. »Ihr« Interaffizieren (interaffecting) geht ihrer Vielzahl voraus und hört nicht auf, wenn sie viele geworden sind. Oben haben wir den Körper als jenen Prozess definiert, der sich weiter fortsetzt. Nun können wir ihn aus dem Blickwinkel eines jeden koordinierten Prozesses definieren. Für jeden einzelnen Prozess ist der Körper die anderen sich fortsetzenden Prozesse – und auch er selbst in den Phasen, in denen er sich fortsetzt. Normalerweise sagt man, dass ein Prozess im Körper geschieht, aber dieses »in« entspricht lediglich einer räumlichen 81 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
Verortung durch den Beobachter. Ohne bisher den Begriff des Raums zu haben, kann »im Körper« für jeden einzelnen Prozess definiert werden. Ein Prozess läuft im Körper ab, insofern er im koordinierten Ineinanderwirken mit anderen geschieht. Der Körper ist immer die anderen fortlaufenden Prozesse – und auch er selbst, wenn er sich fortsetzt. Jeder einzelne Prozess geht in den anderen weiter. Wir wollen dieses komplexe Verhältnis als solches stehen lassen, so dass es uns helfen kann, unsere nächsten Schritte mit all der logischen Kraft zu generieren, die wir dadurch aufbringen können. Wir müssen das Konzept nicht auf artifizielle Weise schärfer und abgetrennter von der Entwicklung darstellen, in deren Mitte wir uns hier befinden. Andererseits werden wir nicht hinter seine Subtilität in eine lediglich vage Ganzheit zurückfallen. Wir wollen das Muster, das hier aufgetaucht ist, behalten und benennen. Wie sollen wir es nennen? »Interaffizieren« und »Koordinieren« sind Worte, welche die alten Annahmen einer einfachen Vielheit von Dingen mit sich führen, die als solche existieren und erst in einem zweiten Schritt miteinander in Beziehung zu bringen sind. Darum brauchen wir eine Ausdrucksweise, die nicht in dieser veralteten Weise aufzufassen ist. Wir wollen das Muster, das wir formuliert haben, als »ursprüngliches Interaffizieren« bezeichnen. Dieser Ausdruck macht nur dann Sinn, wenn man versteht, dass »sie« einander interaffizieren, bevor sie »sie« sind. Wir können auch sagen, Prozesse sind »koordinierterweise differenziert«. Von vornherein in einer koordinierten Weise differenziert, sind sie nur in dieser Weise mit ihren Phasen, die einander implizieren, »getrennt«.
82 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Ein gesamtes Implizieren
b) Ein gesamtes Implizieren Das Implizieren des Körpers ist immer ein gesamtes Implizieren. Um dies klar zu machen, wollen wir eine eher technische Frage stellen: Impliziert ein gestoppter Prozess, der sich wieder aufnimmt, den Rest seiner eigenen Sequenz? Oder sind es immer nur die anderen Prozesse, der ganze Körper, der die Weiterführung des gestoppten impliziert? Die Frage mag merkwürdig klingen. Wenn der ganze Prozess, mit dem wir begannen, seine Sequenz oder seinen Zyklus impliziert und wir den wieder aufgenommenen auch »einen Prozess« nennen, dann scheint es so, dass er seine eigene weitere Sequenz implizieren muss. Es wäre seltsam, wenn die anderen Prozesse die Kontinuität dieses einen implizieren würden, er hingegen seine eigene nicht. Unser Konzept des »ganzen Prozesses« sollten wir nicht ohne nachzudenken auf jeden einzelnen der koordiniert differenzierten Prozesse übertragen. Der ganze Prozess impliziert das nächste Geschehen der koordinierten Prozesse. Aber wir wollen kein eigenes Implizieren von Strängen weiterer Ereignisse jedes Prozesses annehmen. Wir haben gerade oben gesehen: Es sind keine getrennten Stränge. Damit neue Konzepte entstehen, müssen wir den bereits entstandenen auf exakte Weise folgen und uns behutsam vergewissern, wie es jetzt steht. Wir sehen, dass wir den Begriff des einzelnen ganzen »Prozesses« (und den »Rest des Prozesses«) etwas anders gebraucht haben als den Begriff der »Prozesse«. Die Prozesse implizieren einander im selben Geschehen. Ist einer gestoppt, impliziert der ganze andere Prozess (die anderen Prozesse, der Körper) die Weiterführung des gestoppten. Wieder aufgenommen, impliziert der ganze Prozess immer noch jeden. Aber jetzt sind wir unsicher, ob ein einzelner Prozess seine eigene Weiterführung auch impliziert oder nur der gesamte Prozess. 83 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
Wir sind uns sicher, dass der Körper (die anderen Prozesse und der wieder aufgenommene) das koordiniert differenzierte nächste Geschehen impliziert und die nachfolgenden Geschehnisse. Wir entnehmen Kapitel II, dass der Prozess insgesamt seine weiteren Ereignisse impliziert. Aber wir müssen sagen, dass ein wieder aufgenommener, koordiniert differenzierter Prozess nicht seine eigene Weiterführung impliziert; nur der Körper (die anderen Prozesse) impliziert seine nachfolgenden Ereignisse. Natürlich ist der Körper nun die anderen Prozesse und dieser (wenn er wieder aufgenommen ist); darum ist er ein Teil des Implizierens weiterer Ereignisse, aber nur zusammen mit den anderen im gesamten Prozess. Darum können wir auch sagen: Das Schema ist das gesamte Implizieren. Implizieren ist immer ein einziges Implizieren. Das ist ein wichtiges Prinzip, um später verstehen zu können, wie der Körper in einer gefühlten Bedeutung (felt meaning) so viel implizieren kann. Wenn ein kleines Lamm seine ersten Schritte macht, würde es vor einer Klippe nicht anhalten. Es würde weitergehen und fallen, wäre da nicht die Glasscheibe des Experimentators. Nach einer gewissen Anzahl von Tagen, wenn das »Wahrnehmungssystem« genügend entwickelt ist, stoppt das kleine Lamm an der Kante der Klippe, selbst wenn es noch nie zuvor einen solchen Abhang gesehen hat, sogar wenn es seit Geburt verbundene Augen gehabt und bis zu diesem Zeitpunkt nichts gesehen hat. Weil es kurz vor der Klippe anhält, meint der Betrachter, das Lamm »erkenne« den Unterschied, den der scharfe Abhang macht, in räumlichen Relationen, und darum würde es anhalten. Wenn die Umwelt das Implizieren nicht fortführt, hält die Sequenz an! Wir werden hierfür in Kapitel VI Erklärungen haben, wenn wir sie für (und aus) Verhalten und Wahrnehmung entwickelt haben, aber wir können schon jetzt sagen, dass die Sequenz anhält, wenn keine implizierte Wahrnehmung kommt, um sie voranzutragen. Das Implizieren bleibt das gleiche Impli84 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Ein gesamtes Implizieren
zieren. Ohne die Wahrnehmung dessen, was bei jedem Schritt impliziert »war«, stoppt das Weiterlaufen. Aber es gibt noch einen anderen Befund, weswegen ich diese Geschichte erzähle: Wenn das kleine Lamm von seiner Mutter bei der Geburt getrennt und von ihr getrennt vorsichtig aufgezogen wurde, bis es das gleiche Alter hat wie die Lämmer, die an der Klippe anhalten, dann wird dieses Lamm nicht anhalten – selbst wenn ihm nie die Augen verbunden worden waren. Wenn es also von seiner Mutter getrennt wurde, wird es trotz viel räumlicher Wahrnehmungserfahrung seine normalen »perzeptiven und motorischen Systeme« nicht vollständig ausbilden können. »Unmöglich« hieß es zuerst. »Das perzeptive-motorische System ist völlig getrennt vom reproduzierenden System.« Man wusste zwar, dass ein Lamm, das getrennt von seiner Mutter aufgezogen wurde, im Erwachsenenalter keinen normalen sexuellen Instinkt entwickeln wird. Das war verstehbar, da erwachsene Sexualität und frühe Mutter-Kind Beziehung als Teil des gleichen funktionalen Systems verstanden wurden. Die Mutter formt einen »Abdruck« im Baby, welcher im Erwachsenenalter seine sexuellen Wahlmöglichkeiten kontrolliert. Unmöglich nachzuvollziehen war hingegen, wie die Nähe zur Mutter in frühen Tagen die perzeptiven und motorischen Prozesse affiziert. Dennoch, so war der Befund. Ich weiß nicht, ob das Experiment oft wiederholt worden ist. Aber es ist eine gute Illustration dessen, was wir hier zeigen wollen. Der heutige Forschungsstand erfordert, dass Wechselbeziehungen nicht mehr nur in räumlichen und mechanischen Begriffen nachvollzogen werden. Sie müssen auch nicht alle in dieser Weise nachvollziehbar sein. Der von uns definierte Körper füllt nicht nur einen mathematischen Raum aus. Die koordiniert differenzierten Prozesse sind nicht nur wie Nachbarn nebeneinander und können sich gegenseitig im Raum affizieren. Wie der Körper (alle anderen Prozesse) geschieht, ist nicht nur übersetzbar in die flachen Begriffe räumlicher Diagramme und Me85 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
chanismen, obwohl eine solche Übersetzung äußerst wirksam ist. Wir können alle Vorteile gewöhnlicher Reduktionen auf Raum-Zeit-Füller, soweit sie reichen, beibehalten, aber wir werden befähigt werden, über den Körper immer auch als ein gesamthaftes körperliches Geschehen nachzudenken. Es ist deshalb eine logische Implikation unserer Konzepte, dass ein wieder aufgenommener Prozess nicht seine eigene Weiterführung impliziert; nur der Prozess als ganzer impliziert ihn. Das entspricht nicht dem einfachen Entweder – Oder von Einheit und Vielheit, sondern eher einem neuen Typus von Einheit und Vielheit: es sind zum Beispiel nur diese Phasen der neuen Prozesse, die »ausschließlich zusammen« geschehen. Indem der Prozess insgesamt impliziert wird, impliziert jeder den Prozess des anderen und dadurch auch den eigenen, aber nur aufgrund des Implizierens des Prozesses insgesamt. Implizieren ist deshalb immer das Implizieren des Körpers insgesamt, ein Implizieren. Das wird sich in vieler Hinsicht als wichtig erweisen, zum Beispiel später auch für das Focusing 2 . Prozesse sind nicht getrennt. Wie jeder Prozess sich einzeln implizieren würde, entspricht nicht der Weise, wie er von den anderen-und-von-sich-selbst impliziert ist, das heißt, vom einem gesamthaften Körper-Implizieren.
c) Körper-Umwelt 2 und Umwelt 3 als Subprozesse des Körpers So wie es keine völlig getrennten Prozesse gibt (wie wir gerade gesehen haben), so wenig gibt es völlig getrennte Teile des Körpers. Der Betrachter kann die räumliche Körper-Umwelt 2-Iden-
Vgl. E. Gendlin: Focusing, (New York: Bantam, 1981) und E. Gendlin: »On Emotion in Therapy«, in: J. D. Safran & L. S. Greenberg (Hg.), Emotion, Psychotherapy and Change, S. 255–279. (New York & London: Guilford, 1991).
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86 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Körper-Umwelt 2 und Umwelt 3 als Subprozesse des Körpers
tität auf vielerlei Arten aufteilen. Es gibt natürlich wichtige Unterscheidungen von Organen wie Herz, Leber und Darm, von vielen Gewebestoffen und Zellen, die an Prozessen beteiligt sind und die sie als Teile definieren. Aufgrund der koordinierten Differenzierung der Prozesse geht eine große Anzahl von ihnen immer auch in jedem einzelnen Teil weiter. Es gibt keine Prozesse, die nur diesen Teil definieren und dadurch abtrennen. Jeder Teil ist in vielen Prozessen und auf vielerlei Weisen einbezogen. In manchen tatsächlich nur als dieser Teil, aber in anderen Prozessen ist er nur Bestandteil eines größeren Ganzen, andere Prozesse machen wiederum bloß einen untergeordneten Teil des Teiles aus, während andere seiner untergeordneten Teile in verschiedenen größeren oder kleineren Prozessen geschehen. Es gibt nicht nur einen Satz körperlicher Bestandteile. In manchen Prozessen agiert ein »Teil« als einzelner. Aber was wir in dieser Weise räumlich unterscheiden, könnte in anderen Prozessen nicht als ein Teil bestehen, sondern nur mit mehreren anderen zusammen geschehen. Darin wiederum können untergeordnete Prozesse nur untergeordnete Teile davon einbeziehen. Wie in Kapitel I in Hinsicht auf den Körper insgesamt gezeigt wurde, ändert sich auch hier ein körperlicher Bestandteil und könnte auseinanderfallen, sobald die Prozesse (unter- und übergeordnete Prozesse), in die er einbezogen ist, aufhören und sich nicht wieder aufnehmen. Die Bestandteile des Körpers sind herleitbar von Prozess-Ereignissen. Wir kommen zu einem Konzept der Schichtung (jedoch nicht als System einzelner Schichten). Der Körper ist nicht ein Körper und eine Umwelt. Vielmehr sind Körper und Umwelt ineinander. Ein Teil ist »Körper« in irgendeinem Prozess (und identisch mit seiner Umwelt 2 in den Ereignissen dieses Prozesses), andererseits kann er auch verschiedenartige Umwelt 2-Aspekte für viele andere Prozesse mit anderen Körper-Umwelt 2Identitäten sein. In einem Prozess ist er Körper mit einer Umwelt 2; in einem anderen Prozess ist er nur zum Teil Umwelt 2 (in einem größeren Teil des Körpers). Der Körper besteht durch87 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
gehend aus Körper-Umwelt-Prozessereignissen. Dieses Konzept können wir jetzt weiterentwickeln. In Kapitel I hatten wir noch keine Unterscheidung zwischen Körper und Umwelt. Wir haben nicht zwei Dinge zusammengesetzt, die getrennt gewesen waren. Auch jetzt können wir zwischen Körper und Umwelt in den Körper-Umwelt 2-Identitäten nicht durchgehend unterscheiden. Bislang haben wir den »Körper« nur als »die anderen Prozesse und diesen« definiert. Wie können uns diese geschichteten Unterprozesse eine Definition von »dem Körper« geben? Der Körper wird üblicherweise als der Stoff innerhalb der Hautgrenze betrachtet. Aber wir nehmen nicht an, dass die räumlichen Unterscheidungen im Betrachter-Raum die grundlegenden Bedingungen der Realität sind. Wir können sie verwenden, aber innerhalb von interaktiven, umfassenderen Begriffen. (Später werden wir eine andere Art von Raum entwickeln, und noch später den Betrachter-Raum und wie diese Räume in Vorstellungen und Sprache »arbeiten«). »Umwelt« heißt für uns nicht das, was »da draußen«, »extern« ist – außer im Sinne des Betrachters der Umwelt 1. Was heißt »Umwelt« dann? Umwelt 2-Aspekte, die manchmal abwesend sind (wir nannten sie Objekte), waren die erste Umwelt, die vom Körperprozess trennbar waren. Unterprozesse und Teile davon geschehen in vielen umfassenderen Systemen, sie geschehen nicht nur innerhalb der Hautgrenze des Körpers. Darum ist, was wir »den Körper« nennen, ein weit umfassenderes System. »Der Körper« ist nicht nur das, was innerhalb der Hautumhüllung ist. Wenn wir dieser Logik folgen, merken wir, dass es nicht nur eine einzige Ordnung von größer zu kleiner gibt: manche untergeordneten Teile eines Teiles könnten in koordinierter Weise ein Teil eines Prozesses sein, der umfassender ist als dieser Teil. Wir müssen kein Klassifikationssystem voraussetzen, demgemäß Teile und »Einzeldinge« völlig zu erfassen oder bestimmbar wären »unter« oder »in« irgendwelchen Kategorien. Ein Teil
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Körper-Umwelt 2 und Umwelt 3 als Subprozesse des Körpers
eines Teils kann in einem viel umfassenderen Geschehen sein als der Teil. 3 Der Unterprozess eines Prozesses könnte ausschließlich im Verhältnis zu diesem Prozess ablaufen, aber die meisten Unterprozesse sind auch in andere Prozesse einbezogen. Wie genau, bleibt eine empirische Frage. Was und was nicht als ein Ganzes funktioniert, sollte nicht durch irgendein generelles holistisches Prinzip verdunkelt werden, demgemäß alles im Körper ein Ganzes sei. Die Ereignisse selbst bestimmen, was das Ganze ist. Was wir tatsächlich herausfinden, wird immer an die Stelle jener Schlussfolgerungen treten, die es unmöglich erscheinen ließen. Jedes Jahr entdecken wir mehr. Die Überlegenheit des Empirischen beruht nur darauf, was tatsächlich gefunden wird. Daraus folgt aber nicht, dass man verleugnen kann, was (in diesem Jahr) nicht gefunden wurde oder was nicht gefunden werden kann. Aus einem Mangel an Funden folgt gar nichts. Wir brauchen verschiedene Arten von Formulierungen, nicht nur eine. Wir verlieren die anderen nicht mit diesem Modell. Zudem gibt es gute Gründe anzunehmen, dass gewohnte Modelle besser verstanden und subtiler angewendet werden können, wenn dieses hier verstanden wird (Siehe »The Responsive Order«). Räumliche Teile können in vielen Weisen definiert werden. Auch sind viele Betrachter-Räume möglich, nicht nur ein geometrischer Raum. Bis tief hinein in die Haut-Umhüllung erstreckt sich »Körper« im Sinn von »die anderen Prozesse und dieser« (irgendIn Kapitel VIII werden wir die Art des Denkens betrachten, die über die gewohnte Kategorisierung hinausgeht. (Experiencing and the Creation of Meaning zeigt eine Anzahl von solchen »Charakteristiken« auf, aus denen wir sehen können, wie Erleben im Erkennen funktioniert. Eine habe ich bereits erwähnt. Sie lautet: Je mehr Determinanten, desto mehr Neuerung. Determinanten beschränken etwas, aber sie ermöglichen auch etwas. Siehe hierzu mein »Crossing and Dipping« und »Thinking Beyond Patterns«.)
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IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
ein spezifischer, der sich wieder aufnimmt). Es gibt keinen Körper getrennt vom Prozess. Es gibt keinen körperlichen Stoff, der nur einem einzigen Prozess angehört, und auch keinen Prozess, der nur körperlicher Stoff ist. Körper ist durch und durch Prozess und auch durch und durch konkret. »Konkret« meint hier lediglich: in umwelthafter Weise »geschehend«. Mit unseren zusätzlichen Begriffen können wir den Körper jetzt in dem Sinne herleiten, dass sich »darin« Prozesse fortsetzen, ich nannte das »Umwelt 3«. Ein solches Konzept des Körpers legt sich selbst komplexer aus. Ein Prozess geschieht in vielen anderen Prozessen und Unterprozessen. Es sind viele, insofern sie unterschiedlich sind, d. h. manchmal ablaufen und manchmal nicht. Jetzt erkennen wir, in welcher Weise der Körper nicht nur eine Struktur in Raum und Zeit ist. Der Körper oder irgendein Teil davon ist nicht nur UmweltStoff. Er ist in vielen Prozessen organisiert und nie nur eine Art Klumpen, als ob er zur Genüge definierbar wäre durch das Ausfüllen eines Stücks Raum-Zeit. Kein einziger Teil davon ist auf diese Weise da. Der Umwelt 3-Körper, in dem ein Prozess fortläuft, kann nicht umwelthafter Stoff nur im Sinne einer ZeitRaum-Struktur sein, denn Stoff und Prozess sind nicht zu teilen; der Körper ist nicht Prozess in der einen Bedeutung und körperlicher Stoff in einer anderen. Er ist Körper-Umwelt in allen seinen Teilen. In Kapitel IV-A.a sagten wir, dass der Körper immer die »anderen« Prozesse ist, aber dies beinhaltet jetzt auch die untergeordneten Prozesse und ihre Umwelten 2. Auf jeder Ebene (wie immer man einen Satz von Ebenen definiert) ist ein Teil des Körpers auch zum Teil Umwelt 2 für untergeordnete Prozesse mit Teilen, die wieder sowohl Umwelt 2 und Teile sind. In rudimentärer Weise haben wir jetzt den konkreten, greifbaren, aus der Umwelt entstandenen Körper hergeleitet. Wir haben dabei auch mehr Details darüber gewonnen, wie die Prozesse ineinander sind und wie sie manche ihrer gegenseitigen Geschehnisse enthalten können. Der Körper geschieht immer als spezifisches Ganzes. 90 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Symbolische Funktionen des Körpers
d-1) Symbolische Funktionen des Körpers Die Konzepte, die wir erstellt haben, explizieren (sprechen von, machen allgemein anwendbar .....), wie ein Körperprozess seine eigene Kontinuität und seine eigenen inneren Relationen zwischen Ereignissen haben kann. Der Prozess ist nie nur ein Geschehen, sondern immer auch ein Implizieren. Implizieren ist eine rudimentäre Weise des Symbolisierens. Ein Symbol wird aufgefasst als etwas, das »für« etwas anderes »steht«. Wenn man es so auffasst, gibt es keine inhärente Verbindung zwischen dem Symbol und demjenigen, wofür es steht. Wir wollen hingegen verstehen, wie der lebendige Körper selbst ein Hinweisen ist, selbst ein Implizieren, wie er auf eigene Weise hier und jetzt ist und auch etwas ist, das hier und jetzt nicht geschieht. Wir wollen unsere Begriffsbildung davon leiten lassen, wie der Körper so etwas vollbringen kann. Zunächst gibt es drei Weisen des horizontalen Implizierens innerhalb eines Ereignisses. Das ganze Ereignis ist durch jeden seiner Bestandteile impliziert. (I)
Körper und Umwelt 2 sind ein Ereignis, gegenseitig implizieren sie das Ereignis. (IV-A.a) Differenzierte Prozesse implizieren sich gegenseitig. Jeder impliziert, dass die anderen auf gewisse Weise sind. (IV-A.c) Jeder Körperteil (alles, was »Körper« für einen Prozess ist oder Teil von irgendetwas, das so funktioniert) ist involviert in viele Prozesse und von vielen anderen Prozessen aufrechterhalten als ein unterschiedlicher Teil oder als Teile. Er impliziert die anderen, aber nicht als »er«. Indem er die anderen impliziert, funktioniert er nicht als er selbst, aber als ein Funktionieren – in diesem Implizieren.
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IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
Die nächsten drei Weisen des Implizierens bringen (generieren, sind .....) Zeit, wie wir weiter unten sehen werden (und auch horizontales Implizieren). (II)
Jedes Geschehen ist auch ein Implizieren weiterer Geschehnisse. (IV-A.b) Jeder der Prozesse impliziert das ganze nächste Ereignen und die Sequenz ganzer Ereignisse. (III) Die Veränderung der Prozess-Fortsetzung trägt jeden gestoppten Prozess und impliziert das Objekt (UmweltAspekt), das ihn fortsetzen würde. (Der fehlende Körper-Prozess ist impliziert, und da er nur geschehen kann mit seinem Umwelt 2-Objekt, bleibt dieses ebenfalls impliziert.)
d-2) Einige Anforderungen an unsere weitere Konzeptbildung Manchmal halte ich mittendrin an und wende mich der Diskussion der Strategie zu, die ich zum Generieren dieses Modells angewendet habe. Diese Diskussion kann man herausnehmen – um zu zeigen, dass das Modell allein stehen kann – und sie kann auch wieder eingefügt werden, um zu zeigen, was sonst noch beteiligt ist, um zu diesem Modell zu gelangen. Wir können ein ganzes Feld öffnen, das gewöhnlich in der Formulierung eines Modells implizit bleibt. Darum sollten wir die Strategie zwar diskutieren, aber diese Diskussion auch wieder herausnehmen können. Unsere Konzepte entstammen der Absicht, Interaktion zuerst (interaction first) zu setzen. Wir begannen mit Körper und Umwelt als einem Ereignis und haben erst langsam gewisse limitierte Wege entwickelt, auf denen sie trennbar sind. »Interaktion zuerst« hat viele Quellen. Ich werde ein paar davon nennen. Sehr viel geht von »Experiencing and the Creation of Mean92 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einige Anforderungen an unsere weitere Konzeptbildung
ing« aus und auch vom Focusing als seiner Anwendung. Einige Begebenheiten und Geschichten aus dem Focusing können uns weiterhelfen. Aufgrund des Prozesses jeder Art von Explikation können wir sagen (wissen, fühlen, darauf warten . . . . . ), wie der Körper immer sein nächstes bisschen Lebensprozess impliziert und damit auch die umwelthaften Objekte. Aber wir haben dafür noch keine spezifischen Begriffe. Das Modell will sich von jenen Arten von Modellen unterscheiden, die von Wahrnehmung oder von mathematischen Einheiten ausgehen. Die wenigen Konzepte, die wir bis jetzt haben, generieren eine merkwürdige Art von Zeit und Raum. Zwei Menschen in einer nahen Beziehung können beispielsweise folgendes Muster entdecken: »Wenn sie ein bisschen besser wäre oder liebevoller (oder anders in dieser oder jener Weise), dann könnte ich so gut sein, oder ich könnte in dieser oder jener Weise sein ..... Aber ich kann es nicht. Warum nicht? Weil sie mich nicht lässt. Sie ist nicht dieses kleine bisschen besser. Und warum nicht? Wegen der Art und Weise, wie ich bin. Wenn ich ein bisschen besser wäre, dann könnte sie sich mir gegenüber in der Weise verhalten, die ich von ihr bräuchte, damit ich ein bisschen besser sein könnte, so dass auch sie es könnte.« Individuen denkt man gewöhnlich als getrennte, verursachende Agenten. Im Verhältnis von zwei Personen wird von der je anderen gesagt, dass sie »etwas zu den Schwierigkeiten« beitrage und dass sie einen »Teil der Schuld« trage. Andererseits sagen Familientherapeuten über eine schwierige Familie, dass das System krank sei. Berechtigterweise betrachten sie die Interaktion als ein einziges System. Aber es hat noch keine Wege gegeben, dies konzeptionell so zu erfassen, dass man weiter darüber nachdenken konnte. Wenn eine Person damit beginnen könnte, anders zu sein und stetig anders zu bleiben, dann würde sich die andere auch ändern. Aber so oft sie es auch versucht, sie wird bald wieder in das Interaktions-Muster zurückgezogen. Wenn vielleicht beide 93 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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gleichzeitig dieses kleine bisschen anders sein könnten, dann könnten sie aus dem einen Interaktionsmuster in ein anderes springen. Aber es wäre ein Sprung: Es scheint keine Schritte zu geben und keinen Weg, von einem Muster zum anderen zu denken. Um weiter zu denken, beginnt unser Modell mit Konzepten, die Interaktion an den Anfang setzen. Mein Beispiel und diejenigen, die folgen werden, zeigen, wie ein Geschehnis aus zwei oder mehreren Leuten bestehen kann und dass der Charakter des Ereignisses von der Interaktion des Geschehens bestimmt wird (so wie eine Interaktion in der Quantenmechanik die Partikel definiert). Im Westen hat man sich daran gewöhnt, in Einheiten und Substantiven zu denken und Individuen Kausalität zuzuschreiben. »Das ist ein Junge dort drüben« ist ein akzeptabler Satz. Eine zusätzliche Information wäre, dass er sitzt oder rennt. Dagegen könnte man folgenden Satz nicht leicht akzeptieren: »Da ist ein Rennen dort drüben« und dann erst später hinzufügen, dass das Rennen ein Junge ist. Nomen können allein stehen, Verben nicht. Es sieht also so aus, dass wir als erstes einen Jungen und ein Mädchen brauchen. Dann können diese interagieren. Anscheinend können wir keine »Interaktion zuerst« haben. Schon das Wort »Interaktion« klingt so, als ob da zuerst zwei sind, und erst dann gibt es ein »inter«, ein »zwischen«. Wir brauchen offenbar zuerst zwei Nomen. Wir denken uns zwei Leute, die getrennt leben, bis sie erwachsen sind; dann treffen sie sich. Ein guter Teil ihrer Interaktion ist erklärbar durch ihre jeweiligen vorhergehenden Leben. Aber nicht alles. Zu einem wichtigen Anteil ist es ihre Interaktion, die bestimmt, wie sich jeder von ihnen verhält. Es heißt, dass jede unserer Beziehungen »unterschiedliche Eigenschaften« in uns hervorbringt, so als ob alle möglichen Eigenschaften bereits in uns wären und nur darauf warten würden, »hervorgebracht« zu werden. Aber tatsächlich wirkst du auf mich ein. Und mit mir bist du auch nicht nur wie gewöhnlich du selbst. Das Zusammen-Geschehen von dir und mir macht 94 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einige Anforderungen an unsere weitere Konzeptbildung
uns beide unmittelbar anders, als wir sonst sind. Genauso wie mein Fuß im Wasser nicht den gleichen Fußabdruck wie im Gehen ausüben kann, geschehen wir unterschiedlich, wenn wir einander Umwelt sind. Wie du bist, wenn du auf mich wirkst, ist schon durch mich beeinflusst, aber nicht wie ich gewöhnlich bin, sondern durch mich, wie ich geschehe mit dir. 4 Neues geschieht und hindert dadurch Altes daran, zu geschehen. Indem wir ein Modell bauen, scheinen wir von unten nach oben zu bauen, aber wie ich immer wieder zeigen werde, können wir gar nicht anders, als von unserem menschlichen Prozess aus anfangen. Eigentlich beginne ich mit Kapitel VIII – mit Explizieren, Focusing und mit dem Gestalten von Konzepten mit und durch diese Prozesse, mit Begriffen, die dann schließlich in der Lage sein werden, diese Prozesse voranzutragen. Wittgenstein hat gezeigt, dass neue Anwendungsweisen in der Sprache möglich sind, die sofort Sinn machen – ohne dass davor die alten Bedeutungen zusammenbrechen. Ich habe versucht zu zeigen, dass dann, wenn uns die Worte fehlen, unsere komplexere Situation die Sprache, die in unserem Körper auch der Pause »…« implizit ist, bereits umarbeitet, weshalb diese Pause nur scheinbar »prä-verbal« ist. Dieses »….« ist nicht präverbal, und doch ist es »prä-« – vor einer neuen sprachlichen Wendung, die vielleicht kommt. Dem körperlichen Implizieren eines Haustieres ist Sprache implizit (weil es Sprache erfährt), aber nicht dem körperlichen Implizieren eines wilden Tieres. Das Implizieren in jedem Lebensprozess ist jedoch fähig, sich weiter zu entwickeln, so wie auch wir uns entwickelt haben. In uns selbst können wir die Spur der Zivilisationsgeschichte, unsere eigene Kultur, aber auch ein primitiveres Stadium der Kultur zurückverfolgen und auch das Tier und das Pflanzenhafte in uns selbst. Das Implizieren des Lebens geht all diesen Ebenen voraus und muss an erste Stelle gesetzt werden, auf die unterste Ebene verlegt, sogar bis in die unbelebten Ebenen hinein, damit wir ein erweitertes Modell haben. Die Natur des Früheren muss so gewesen sein, dass von dort aus die darauf folgenden Entwicklungen möglich waren. Wir müssen Natur nicht nur gemäß der Mathematik und der Logik modellieren, wie es so lange gemacht wurde. Mathematik und Logik sind exklusiv menschliche Prozesse. Wenn wir die Natur gemäß der Mathematik oder gemäß etwas modellieren, das allein menschlich ist, dann schließen wir alle anderen Formen des Lebens außer unserer aus. Im Fall der Mathematik fällt selbst unsere eigene Lebensform heraus. Implizie-
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Wir wollen Konzepte entwerfen, die diesen genauen Aspekt von »Interaktion zuerst« erfassen. Was jeder innerhalb einer Interaktion ist, ist bereits durch den anderen affiziert. Das führt uns auch zu einer neuen Art und Weise, über Zeit nachzudenken. Üblicherweise nimmt man die Ursache getrennt von der Wirkung an, eines nach dem anderen: »Sie trifft mich mit etwas, und das wirkt auf mich dann so, dass ich in einer Weise handle, die wiederum sie trifft.« In unserem Modell verursachen sie sich durch ein »ursprüngliches Interaffizieren« und durch »koordinierte Differenzierung«. Das eine braucht dem anderen zeitlich nicht voranzugehen. Ein anderes Beispiel: ein Therapeut beschreibt eine schwierige Therapie-Beziehung mit einem Mann. Er verfolgt die Probleme zurück und findet, dass sie bereits in der ersten Stunde da waren, sogar schon zu Beginn der ersten Stunde. Er war so daran gewöhnt, Kausalität individuellen Entitäten zuzuschreiben und diese immer zeitlich vorher zu verorten, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass die Interaktion selbst die Schwierigkeiten hervorbringen könnte. Schließlich sagte er über den Klienten: »Wahrscheinlich hat das Geräusch seines Gangs mich irritiert, als er die Halle herunterkam, noch bevor ich ihn gesehen habe.« ren und Geschehen sind menschliche Prozesse, aber nicht exklusiv menschliche. Implizieren und Geschehen führen zu einem erweiterten Modell, innerhalb dessen wir aber auch die logischen Muster herleiten können. Aber Implizieren und Geschehen können nicht innerhalb des logischen Musters hergeleitet werden, das Frühere kann nicht aus dem Späteren abgeleitet werden. Die Ordnung des Implizierens ist weder bestimmt noch unbestimmt, sie ist komplexer geordnet. Diese Art von Ordnung wird in den meisten Philosophien nicht verstanden, obwohl sie doch genau das ist, was die Philosophien möglich macht. Eine Philosophie verändert die Positionierung grundlegender Begriffe und zeigt dadurch, dass die Ordnung, in der wir leben, geordneter ist und zu mehr fähig, als in ein einziges System einzupassen ist. Darum können viele Modelle fruchtbar sein. Unseres hat spezielle Eigenschaften, aber es wird bald auch andere Modelle geben, die solche haben.
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Einige Anforderungen an unsere weitere Konzeptbildung
Etwas zu erklären scheint zu beinhalten, dass man zeigen kann, dass es schon zu einem früheren Zeitpunkt so war. Aber eine solche Erklärung kommt nicht an die Interaktion heran, als System von zweien, die zusammen ein Ereignis sind. Statt des »Geräusches seines Gangs« (und nur das) zu denken, ist es notwendig, denken zu können, wie ein Ereignis bestimmt, was jeder für den anderen, mit dem anderen ist. Die ersten beiden Anforderungen an unsere Konzepte sind: Interaktion zuerst – und eine neue Konzeption von Zeit, mit der wir etwas erklären können, ohne zeigen zu müssen, dass es schon zu einer früheren Zeit vorhanden war. Der gewöhnliche Typ von Erklärung und das gewöhnliche Konzept von Zeit verleugnen Neuerung. Sie verleugnen, dass irgendetwas wirklich geschieht. Stattdessen zeigen sie, dass es schon so war und nur ein wenig um-arrangiert zu werden brauchte. Eine dritte Anforderung ist, Strukturieren und MusterBilden einzubeziehen und nicht nur Strukturen und Muster. Wenn alles in Begriffen existierender Muster gedacht werden muss, dann gibt es, selbst wenn eine bestimmte Interaktion vorausgeht, keinen Weg, zu einer andersartig strukturierten zu gelangen. Wir müssten von einem Interaktionsmuster in ein anderes springen (oder wünschen, dies zu können). Zum Beispiel denkt Piaget in Begriffen von Interaktionsmustern zwischen Wissendem und Gewusstem (genannt »Kind« und »Objekt«). Aber er kann nicht zeigen, wie sich das Kind von einer Interaktion zur einer entwickelteren fortbewegt. Damit kommen wir zur vierten Anforderung: Für uns impliziert eine Interaktion (ein Prozess, eine Körper-Umwelt) ihre eigene Veränderung. Sie muss nicht gemäß Laplace aufgefasst werden. Laplace war der Mann, der sagte: »Wenn ich wüsste, wo alle Partikel des Universums gerade sind und die Geschwindigkeit und die Richtung, mit und in der sie sich bewegen, dann könnte ich Ihnen die ganze Vergangenheit des Universums erzählen und seine ganze Zukunft vorhersagen.« Was er nicht erkannt hat, war, dass diese Annahme auf dem guten alten mathe97 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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matischen Modell basierte, das er gebraucht hat. Er hätte genauso gut sagen können, dass er die Zukunft erkennen kann, wenn er weiß, was zwei mal zwei ergibt. Wir können nicht ohne mathematische Konzepte und logische Schlussfolgerungen auskommen, und wir brauchen sie auch im Bauen dieses Modells, dennoch brauchen wir auch noch anderes. Wir benötigen Konzepte für etwas, das geschieht, etwas, das nicht schon als etwas Vorhandenes vorgefunden werden kann, so wie wir es in der Mathematik immer tun müssen. Wir sagten schon in Kapitel II (aber zeigten es nicht), dass das Implizieren des Körpers nicht Laplace entspricht – das Implizieren der ganzen Sequenz ändert sich an jedem Punkt. Ich will noch ein anderes gewöhnliches Beispiel anführen, um diese Anforderung an Neuerung und eine nicht laplacesche Zeitsequenz zu spezifizieren. Wie Leute ihre Gegenwart erfahren, hat etwas mit ihrer Vergangenheit zu tun. Wenn ich nicht dies und das erlebt hätte, würde ich nicht wahrnehmen, wie ich jetzt diese Situation wahrnehme. Wenn wir nicht diese Jahre zusammen gehabt hätten, würden wir uns nicht so verstehen, wie wir uns jetzt verstehen. Dies hat einen gewissen Grad an Brauchbarkeit und Wahrheit. Aber die Erklärung mit Hilfe vergangener Erfahrung ist häufig zu einfach. Man erklärt eine Gegenwart mit etwas, das schon in der Vergangenheit so war – aber man erklärt nicht, wie so etwas zum ersten Mal in der Vergangenheit zustande kommen konnte. So verfehlt diese Erklärung, wie etwas überhaupt geschehen konnte. Gemäß der üblichen Kommunikationstheorie ist es für Sie unmöglich, mich zu verstehen, außer Sie sind bereits im Besitz all der Bedeutungen, auf die ich anspiele. Die Theorie weicht daher der Frage aus, wie man zu neuen Bedeutungen gelangen kann. Wenn Bedeutungen aus der Vergangenheit kommen, wie hat man sie sich damals angeeignet? Wenn es damals einen Weg gab, etwas Neues zu verstehen, warum nicht jetzt auch? Dies wurde häufig genug festgestellt. Warum halten wir 98 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einige Anforderungen an unsere weitere Konzeptbildung
dann an einer solchen Erklärung fest? Weil sie eine sehr wirkungsvolle Erklärung mathematischer Art ist und auch jener Art, die man braucht, um etwas aus bereits vorhandenen Teilen zu konstruieren. Aber wir benötigen auch andere Arten von Erklärungen. Weder ist alles reduzierbar auf vorhandene Teile, noch ist alles konstruiert. Wenn etwas konstruiert ist, besteht zu Beginn jeder Bestandteil an sich und wird deshalb als fähig erachtet, allein zu bestehen. Wenn »etwas« dann in eine Kombination eintritt, ist »es« »dasselbe« wie zuvor. Es agiert als es selbst. (Siehe Responsive Order. Wir leiten »menschliches Herstellen« in VII-B.ab.) Wenn je etwas Neues geschehen kann, dann kann es vermutlich auch jetzt geschehen. Wenn wir ein Ereignis erklären, bedeutet das nicht, dass alles, was das Ereignis ausmacht, schon vorher da war. Vergangene Erfahrung ist nicht allein für die gegenwärtigen Ereignisse bestimmend, trotzdem funktioniert sie in einer gewissen Weise, auch jetzt. Manchmal wird die Rolle der Vergangenheit im Sinne der Freud’schen Übertragung aufgefasst: »Ich nehme dich nicht ›wirklich‹ wahr und fühle dich auch nicht wirklich, sondern nur meinen Vater«. In Auflehnung dagegen betonen viele Psychologen heute die Rolle des »Hier und Jetzt«. Aber solche Auffassungen von »Gegenwart« und »Vergangenheit« entsprechen dem, was ich »Einheits-Modell« nenne. Die Gegenwart soll nur sie selbst sein, als ob die Vergangenheit etwas ganz anderes wäre. Beide werden in aufeinanderfolgende Positionen entlang einer Linie gesetzt. Und dann hat man zwischen ihnen zu wählen. Stattdessen brauchen wir eine andere Auffassung von Zeit, um davon sprechen zu können, wie wir die Gegenwart als (mit und durch und aufgrund von) Vergangenheit erfahren. Darauf sei nun näher eingegangen. Offensichtlich erfahre ich Vergangenheit nicht als solche, wenn ich Gegenwart erfahre, sonst würde ich vergangene Ereignisse denken und fühlen und Bilder von diesen Begebenheiten 99 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
haben. Passiert dies, dann versäume ich, was im Moment vor sich geht. Das geschieht, wenn ich in Tagträumen versinke oder die Vergangenheit wieder aufleben lasse. Aber tatsächlich spielt die Vergangenheit eine Rolle, wenn ich völlig in der Gegenwart lebe. Offensichtlich wäre Gegenwart nicht, was sie ist, würde sie nicht darauf beruhen, wie ich bis zum jetzigen Zeitpunkt gelebt habe. Ich erfahre Gegenwart, aber meine vergangene Erfahrung hat daran teil. Meine Aktivitäten und Gedanken kommen aus mir, aus meinem Körper. Ich habe wenig Ahnung davon, wie sie kommen. Meistens sind sie neu; sie entspringen jetzt und sind nicht vorher schon gehört, gewusst oder gefühlt worden; aber obwohl sie neue Kreationen sind, beziehen sie offensichtlich ein, was früher geschehen ist. Vergangenheit und Gegenwart können nicht verstanden werden, wenn wir sie lediglich als zwei unterschiedliche Dinge auf zwei verschiedenen Positionen auf der Zeitlinie denken. Die Gegenwart ist ein verändertes ganzes Ereignis. Die Vergangenheit funktioniert in jeglicher Gegenwart. Wenn wir nun hierfür Konzepte entwickeln wollen, dann können wir auch verschiedene Weisen differenzieren, in denen die Vergangenheit jetzt funktioniert, beispielsweise indem sie die Gegenwart zwingt, sie zu wiederholen, oder indem sie am frischen neuen Implizieren teilhat oder auf viele andere noch komplexere Weisen. Unsere gegenwärtigen Erfahrungen bleiben mit einer nur positionalen Konzeption von Zeit weitgehend unverstanden. Indem wir die Konzepte, die wir bis jetzt erstellt haben, anwenden, können wir sagen, dass Vergangenheit und Gegenwart beide jetzt geschehen, und dass die Gegenwart in den Beständen der Vergangenheit fortläuft und sie voranlebt, so wie Umwelt 3 eine Art Vergangenheit ist, in welcher der frische Körper-Umwelt 2-Prozess fortläuft. Ja, es gibt tatsächlich eine Vergangenheit, die jetzt ist, und diese Vergangenheit wird jetzt verändert. Natürlich ist das eine andere Vergangenheit als die, die tot und 100 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einige Anforderungen an unsere weitere Konzeptbildung
vorbei ist, die auf einem Video aufgenommen ist, die nicht mehr funktioniert. Für manche Zwecke werden wir diesen gewohnten Begriff einer Vergangenheit, die vorbei ist, die früher einmal geschehen ist, beibehalten wollen. Aber es gibt auch diejenige Vergangenheit, die jedem gegenwärtigen Erleben inhärent ist und darin in vielfältigen Weisen funktionieren kann. Was ich jetzt tue, fühle und denke, kommt aus meinem Körper. Das mag merkwürdig klingen, aber woher soll es sonst kommen? Aus dem Geist? Wenn man Geist und Körper trennt, entzieht man dem »Körper« vital wichtige Eigenschaften des lebendigen Gewebes. Ich beziehe mich hier nicht auf das berühmte Körper-Geist-Problem auf einer nur abstrakten Ebene. Das Problem hat mit einer Art des Denkens zu tun, einem Konzept-Typ, der dem Körper das Implizieren (und wie wir bald sehen werden, auch Bedeutung und symbolische Funktionen) entzieht. Für uns hingegen ist der Sachverhalt grundlegend, dass lebendige Körper ihr nächstes bisschen Lebensprozess implizieren. Das gewohnte konzeptionelle Modell zieht Implizieren und Bedeutung von allem ab, nicht nur von lebendigen Körpern. Es konstruiert seine Objekte in der leeren-positionalen Raum-Zeit, so dass alles aus Information an Raum-Zeit-Punkten besteht. Der Raum und die Objekte werden jemandem präsentiert – der aber selber in diesem Raum nicht präsent ist. Vielmehr ist es jemand, der die Raum-und-Zeit-Punkte verbindet. Diese Verbindungen kommen den Punkten also nur extern zu; sie werden anonym hinzugefügt von jemandem, der »idealisierter Beobachter« heißt. Die Beobachter sind lebendige Körper; sie sind wir! Die Verbindungen, die sie liefern, sind inhärente, interne Verbindungen. Sollen wir jetzt die Beobachter (uns selbst) studieren, indem wir noch einen weiteren Satz von Beobachtern erstellen, die uns in ihrem betrachteten Raum und ihrer Zeit verbinden? Konzepte, die nur aus externen positionalen Verhältnissen bestehen, 101 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
sind zu arm, um uns zu ermöglichen, darüber nachzudenken, was lebendige Körper tun können, sogar Pflanzen und gewisse Tiere, geschweige denn wir selbst. Stattdessen wollen wir davon sprechen und von dort aus denken, wie wir Gegenwart mit dem Körper erleben und wie die Vergangenheit in der Gegenwart und im Körper ist und wie der Körper in der Tat eine Art von Vergangenheit ist, eine Vergangenheit, die einbezogen ist im jetzigen Erfahren der Gegenwart. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit in diesem Moment auf die Mitte Ihres Körpers richten, werden Sie Ihr gegenwärtiges komplexes (mehr als definierbares) Körpergespür (body sense) finden, das aus meinen Worten, die Sie gerade lesen, und aus weit mehr besteht. Sprache ist immer implizit in menschlichen Körpern, so dass das gegenwärtige Körpergefühl, wenn man es zulässt, zu einer jeweils neuen Herausbildung frischer Begriffe führt. Sogar bevor diese Begriffe kommen, ist die Vergangenheit, die in diesem Moment funktioniert, spürbar: das eigene Denken und Lesen (mehr, als man explizit erinnern kann); die Gründe, dies hier zu lesen und was Sie sich davon erhoffen; Neugier, Aufregung, vielleicht Ablehnung gegenüber einigem, was ich sage; das Gewahrsein, was heute sonst noch alles gelaufen ist und Ihnen gestattet hat, sich Zeit zu nehmen für die Lektüre; was die Alternativen gewesen wären; vielleicht auch all das, was Sie vermeiden wollten: vielleicht ein Gespür dafür, worin Sie immer gut waren in Philosophie oder was Ihnen häufig schwerfiel – viele vergangene Ereignisse, die sich nicht nur auf das Lesen auswirken, sondern auch darauf, was sonst noch gerade jetzt in Ihrem eigenen Leben vor sich geht. Das sind jetzt meine Worte. Sie selber würden zunächst nur eine etwas ziehende Körperqualität finden (häufig nur Behagen und Unbehagen), die sich öffnen kann in Ihre eigene Version von »all dem«. Stellen Sie sich vor, Sie reden mit jemandem und würden 102 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einige Anforderungen an unsere weitere Konzeptbildung
gern etwas Witziges sagen. Aber dafür kann man bekanntlich nicht viel tun! Ein andermal kommt ein komischer Kommentar einfach, er entschlüpft einem sogar. Betrachtet man ihn, dann bemerkt man, dass er auf wunderbare Weise gewisse Schwächen der anderen Person und gewisse hintergründige Sachverhalte der Situation integriert hat, häufig gleich mehrere davon. Man hätte es lieber nicht gesagt, hätte man es zurückhalten können, weil der Kommentar in so vielen Hinsichten »so wahr« ist. Dabei ist allerdings offensichtlich, wie die Vergangenheit in der Produktion dieser treffenden Bemerkung, die eine neue gegenwärtige Kreation ist, funktioniert hat. Von dieser komplexen Vergangenheit, die zumindest die Rolle spielt, die wir bemerken können, wollen wir uns leiten lassen. Diese vielen vergangenen Erfahrungen funktionieren jetzt innerhalb einer neuen. Das ist nicht die Vergangenheit, wie sie früher war, sondern wie sie jetzt hier ist, jetzt relevant, einbezogen und gelebt, am Erleben teilnehmend, das unser Körper impliziert und ausübt – jetzt. Die Vergangenheit enthält viele Ereignisse, aber die Gegenwart ist nur dieses eine. Viele Erfahrungen partizipieren darin. Wir werden ein Konzept benötigen für die Weise, wie in dem einen Jetzt eine ungetrennte Vielheit in einer frischen Herausbildung funktioniert. Das ist eine fünfte Anforderung an unsere weiteren Konzepte. Wir finden ein Muster, das ich als »viele machen eins« bezeichnen könnte, in dem die vielen und das eine sich gegenseitig bestimmen. »Die Vergangenheit«, die jetzt im Herausbilden der Gegenwart partizipiert, ist nicht diejenige, die vor langer Zeit passiert ist, aber eine Vergangenheit, die in dieser Gegenwart funktioniert. Ungetrennt Vieles ist zuerst in Interaktion, und erst dann ist eins nach dem anderen spezifizierbar. Was jedes ist, war bereits affiziert von den anderen, die wiederum bereits von diesem affiziert waren. Es gibt einen implizierten nächsten Schritt, der durch viele Facetten in einer frischen 103 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
Herausbildung gestaltet wurde, die von vorhergehenden Mustern oder einem Satz von Einheiten nicht ableitbar ist, von der aus jedoch neue Einheiten und Muster generiert werden können. Kann es solche Konzepte geben? Wir haben sie bereits in dem, was wir hier gesagt haben, aber als Sprünge. Ich könnte sie als »Sprung-Konzepte« bezeichnen. Sie sprechen aus Erfahrung. Wir erzählen eine Geschichte oder wir sagen: »Wir brauchen ein Konzept, das ›so wie‹ ist«. Aber »so wie« ist schon ein Konzept. Wenn wir sagen: »vieles in einem, so wie eine treffende Bemerkung«, dann ließ sich die Begebenheit bereits »für andere Situationen anwenden«; sie ist in implizierender Weise mit ihnen gekreuzt. Eine Art Konzept ist bereits tätig, aber wir haben es noch nicht als solches ausformuliert. Das kommt später. Es gibt noch kein intern artikuliertes Konzept, aber dieser »nackte« Gebrauch ist bereits differenzierter als manch artikuliertes Konzept (siehe Thinking Beyond Patterns und meinen Artikel zu Wittgenstein: Was geschieht, wenn Wittgenstein fragt: »Was geschieht, wenn …?« .....). Das komplexe Kreuzen kann nicht gleichgesetzt werden mit der Artikulation, aber wir können von dort aus artikulieren. (Diese merkwürdige Wendung vermeidet den Fehler der Gleichsetzung.) Im Artikulieren aus dem Kreuzen gewinnen wir die Wirkkraft von noch komplexeren Mustern, und für weitere können wir jeweils auf die Begebenheit zurückkommen. Wir lassen die Konzepte zuerst in Geschichten und merkwürdigen Sätzen arbeiten. Dann können wir »hineingehen« und explizieren, wie sie (manche Stränge davon) gearbeitet haben. Wir artikulieren einige ihrer intern differenzierten Verbindungen und Schärfen, so dass sie die Leistungskraft von logischen Schlüssen erlangen. Daher müssen wir sie so stehen lassen, wie wir sie bislang haben, und wir müssen sie vor allem auch schützen, so merkwürdig und logisch unzugänglich sie auch sein mögen. (Sobald unsere Begriffe entwickelter sind, werden sie uns befähigen, noch mehr über den Prozess sagen 104 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einige Anforderungen an unsere weitere Konzeptbildung
zu können, aus dem sie hervorgehen. Die Rolle des »so wie« wird in Kapitel VII-A.c und j-4 diskutiert. Mehr dazu auch in Kapitel VIII.) Wir können den Weg, den wir gegangen sind, explizieren. Im Nachhinein können wir einen neuen Satz von Einheiten generieren, durch den wir dann verorten können, wo wir begannen, und uns von dort weiterbewegen. Sinn-Machen auf »nackte« Weise ist aber nicht von vornherein durch Einheiten bestimmt, die von Anfang bis Ende aufrechtzuerhalten sind. Solche Einheiten entstehen durch die Veränderung und Bewegung des Ganzen. Eine sechste Art, wie unser Modell sich unterscheiden wird, besteht also darin, dass wir keinen gegebenen Satz von Einheiten voraussetzen. Einheiten werden generiert durch die Interaktion und dadurch, dass sie Sinn machen. Sie können sowohl hinsichtlich ihrer Art als auch ihrer Anzahl neu generiert und regeneriert werden. Es verhält sich damit genau so wie mit dem Interaktionsprozess, von dem wir vorhin sagten, dass er nicht durch die vorgängigen Beteiligten determiniert ist. Unser rudimentäres konzeptionelles Modell sagt bereits so viel. Selbst wenn wir die Vorannahme, dass es bestehende Einheiten gibt, nicht mehr haltbar finden, so ist sie dennoch stillschweigend der Struktur der meisten Konzepte inhärent. Fragen wir, ob irgendjemand noch vermutet, dass alles bereits in fixierten mathematischen Teilchen, Partikeln, Einheiten, Raumeinheiten, chemischen Einheiten vorkommt, lautet die Antwort vermutlich, dass so eine Annahme einfältig sei. Dennoch ist diese Annahme eingebaut in die Art und Weise, wie die meisten Konzepte funktionieren, um etwas zu erklären. Die Erklärung besteht aus einem angenommen Satz von fixierten Einheiten, Teilen, Elementen, Konstituenten, die gleich bleiben und durchgängig ausfindig gemacht werden können. Diese Erklärungen sind äußerst brauchbar, aber sie bedürfen eines weiteren Kon-
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IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
textes, der nicht auf sie reduzierbar ist, in dem sie betrachtet werden und in dem andere Einheiten generiert werden können. Im Rückblick auf die letzten zweihundert Jahre, von Kant und Hegel bis zur Gegenwart, ist zu bemerken, wie die Natur, der Lebensprozess und die Tiere der mathematischen Mechanik, den Zeit- und Raum-Einheiten, dem Diagrammblatt, der deterministisch logischen Notwendigkeit, der Laplace’schen Ereignislosigkeit übergeben worden sind. Nur Menschen haben Ereignisse, so wurde jedenfalls gedacht, und selbst das erschien rätselhaft. Bis vor kurzem noch schienen sogar menschliche Körper vollkommen determiniert zu sein durch eine logische Mechanik, so dass Kreativität und Erneuerung nur in der Kunst möglich waren, also nur als »Illusion«. Neuerung musste sich verstecken in »Übergangs-Objekten« (Winnicott), »Ambiguität« (Empson) oder in bizarrer Übertreibung (Bachtin, Bataille). So überzeugt waren Denker davon, dass Natur dem Diagrammpapier entspricht. Wie merkwürdig! Logik, Mathematik und Diagrammpapier sind durch und durch menschliche Kreationen – nichts Natürliches kommt je in gleichen Einheiten vor, die durch logische Raster ersetzt werden können. Jedes Blatt und jede Zelle ist ein bisschen anders. Nur Menschen machen Diagrammpapier. Wo sieht man es je in der Natur? Der größere Prozess ist kreativ und generiert unter anderem die wilde und welterschütternde Produktion von Diagrammpapier. Also brauchen wir die Natur und den körperlichen Lebensprozess sicherlich nicht den festgelegten Einheiten und der Logik zu übergeben – wie mächtig ihr Gebrauch auch sein mag. Wir müssen die Natur nicht so denken, dass sie artifiziell aus unterschiedlichen Teilen konstruiert ist, obwohl es nützlich (und gefährlich) ist, diese zu konstruieren und zu rekonstruieren. Bislang haben wir jedoch kein gutes konzeptionelles Modell mit logischen Verbindungsmöglichkeiten, das nicht als Grundannahme feststehende, individuelle Einheiten voraussetzt. Ich 106 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einige Anforderungen an unsere weitere Konzeptbildung
möchte nicht all die elegante Arbeit ignorieren, die sich in die gleiche Richtung bewegt wie wir hier. Im Gegenteil: ich hoffe, dazu beitragen zu können. Ich verweise lediglich auf Schwierigkeiten, die sich häufig in den Weg stellen. Es hilft, dieses Voraussetzen bestehender Einheiten direkt zu erkennen, so dass man stehen lassen kann, was Sinn macht, selbst wenn es nicht solche Einheiten voraussetzt. Es ist auch nötig zu erkennen, wie Zeit in dem von mir so genannten »Einheits-Modell« (unit model) vorausgesetzt wird. Zu einer Zeit 1 muss ein Satz einfacher Elemente bereits da sein, so dass eine Zeit 2 nur ein neues Anordnen dieser Elemente ist. In so einem Denksystem kann nichts jemals passieren. Wenn etwas passiert, erscheint es unangenehm verwirrend und als Anomalie. In unserem neuen Modell geschieht Prozess. Ereignen ist Veränderung. Wir erarbeiten Konzepte für eine wirkliche Veränderung, nicht nur für ein Um-Ordnen (rearrangement). Darum verzichten wir auf die Art der Erklärung, die Zeit 2 = Zeit 1 braucht. (Diese Erklärung kann als ein besonderer Fall hergeleitet werden.) Wenn die Vergangenheit funktioniert, um die Gegenwart zu »interpretieren«, wird die Vergangenheit in diesem Funktionieren verändert. Wir wollen es noch deutlicher sagen: Die Vergangenheit funktioniert nicht als sie selbst, sondern als bereits verändert durch das, worin sie funktioniert. Unsere weiteren Konzepte werden auszuformulieren haben, was in dieser merkwürdigen Ausdrucksweise ausgesagt wird: »nicht als sie selbst, sondern bereits verändert durch«. Die Konzepte, die wir bis jetzt gebaut haben, implizieren dies bereits. Offensichtlich habe ich sie aus Geschichten entwickelt wie denjenigen, die ich hier erzählt habe. Meine Geschichten werden uns unsere Konzepte noch weiter entwickeln lassen. Unsere sechste Anforderung lautet also: statt eines festgelegten Satzes von determinierten Einheiten brauchen wir Konzepte, die darüber nachzudenken erlauben, wie Einheiten 107 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
entstehen und in unterschiedlicher Weise neu entstehen können. Unsere Konzepte werden eine logische Konsistenz beibehalten, aber sie benötigen zudem: 1) Interaktion zuerst. Das interaktionale Ereignen bestimmt die individuellen Entitäten (oder den Platz für die individuellen Entitäten). Jede funktioniert »nicht als sie selbst, sondern als bereits affiziert durch«. 2) Ein Modell der Zeit, in der die Vergangenheit und ein Implizieren in der Gegenwart funktionieren. 3) Prozess-Ereignisse. 4) Eine nicht-laplacesche Sequenz. 5) Viele Faktoren, die ein Ereignis formen. 6) Einheiten entstehen und entstehen wieder neu auf unterschiedliche Weise.
e) »Alles durch Alles« (eveving) Wir wollen den Faden jetzt also wieder aufnehmen und mehr Konzepte entwickeln, die den Anforderungen genügen, die wir gerade formuliert haben. In IV-A.a-c haben wir Konzepte für eine Sequenz ganzer Ereignisse erstellt. In dieser Sequenz ist jedes bisschen (jedes »dieses«) in spezifischer Weise ein differenziertes Ganzes. Wir wollen nun exakter entwickeln, wie ursprüngliches Interaffizieren und koordiniertes Differenzieren differenzierte Ganzheiten produzieren. Ein angehaltener Prozess ist »getragen« vom sich unterschiedlich fortsetzenden Prozess. Wir wollen nun genauer verstehen, wie sich dieses neue Ganze, die neue differenzierte Vielheit (»all die Verschiedenheiten«) als der fortsetzende Prozess formt. Während eines Stopps formt sich das neue Ganze (das nächste Ereignis) dadurch, wie die Prozesse einander interaffi108 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
»Alles durch Alles« (eveving)
zieren, jene Phasen, in denen einige Subprozesse aufhören, zusammen zu sein oder sich gemeinsam wieder aufnehmen. Auf diese Weise werden sie in viele Prozesse differenziert. Darum nannte ich ihre Beziehung »ursprüngliches Interaffizieren«. Was sich während der Phasen des Stopps fortsetzt, ist neu und wird getrennt. Wenn der angehaltene Prozess sich wieder aufnimmt, geschehen einige seiner Phasen nur zusammen mit einer Phase anderer Prozesse oder nur ohne einige andere. In dieser Weise werden sie differenziert. Die spezifischen Differenzierungen werden also davon bestimmt, was zusammen als ein Ganzes geschieht und wie sich dieses davon unterscheidet, was zuvor als ein Ganzes geschehen ist. In jedem neuen Ganzen geschehen neue interne Differenzierungen zwischen den Prozessen. In IV-A.b sahen wir, dass Implizieren immer das eine Implizieren des ganzen Körpers statt eines der getrennten Prozesse ist. Es ist eine koordinierte Multiplizität statt vieler tatsächlich getrennter Sequenzen nebeneinander. Darum ist jeder Prozess und Subprozess das Implizieren des nächsten ganzen Ereignisses. Somit ist in vielen Teilen des Körpers das gleiche Implizieren. Eine Veränderung in einem der Prozesse verändert, wie die anderen im Implizieren des nächsten körperlichen Ereignisses impliziert sind. Sogar ein winziger Prozess an einer mikroskopisch kleinen Stelle impliziert (und ist das Implizieren von) größere(n) Prozesse(n), deren Teil er ist. Die verschiedenen Prozesse implizieren die Fortsetzung der anderen als eines ganzen Prozesses und dadurch auch ihre eigene Fortsetzung 5 . Ich nenne es »funktionales Ansammeln«, wenn das umwelthafte Implizieren der anderen Prozesse (ihre Umwelten 2) auch durch diesen gegebenen Prozess impliziert wird. Ich meine, dass das Implizieren der Umwelt 2 eines jeden Prozesses die anderen Prozesse »ansammelt«. Zum
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IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
Wir sagten auch, dass jeder Teil des Körpers in vielen Prozessen und Subprozessen geschieht und nicht in allen als der gleiche Teil. Entsprechend ist durch jedes Geschehen bestimmt, was an »einem« Prozess anders als bei den anderen ist. Wenn eine Veränderung eines Prozesses die anderen Prozesse verändert und wenn wir keine einzelne Identität unseres ersten Prozesses annehmen, dann hängt der Unterschied, den dieser macht, auch davon ab, wie die anderen Prozesse wiederum unseren ersten affizieren und differenzieren. Das heißt, die zuerst erwähnte Veränderung in unserem ersten Prozess ist selbst bereits affiziert durch die Unterschiede, die sie macht. Ein Prozess oder Teil funktioniert nicht als er selbst; er funktioniert nicht als ein individuiertes »dieses«; er funktioniert stattdessen bereits interaffiziert. Was »dieses« ist (und seine Wirkung), ist schon affiziert durch die Unterschiede, die es in den anderen Prozessen macht, die wiederum es selbst affizieren. Ich will dies noch genauer entwickeln: Der gesamte Prozess bewegt sich von einer Vielheit zu einer etwas veränderten Vielheit. Wie haben die Bestandteile der ersten Vielheit funktioniert, um die zweite veränderte hervorzubringen? In koordinierter Differenzierung und in ursprünglichem Interaffizieren kommt es zu einer Veränderung der Anzahl und der Identitäten in Bezug auf die Komponenten der Vielheit. Wenn wir die Veränderung von außen eingeleitet haben, dann könnten wir meinen, wir wüssten, was »sie« ist. Das alte Modell nimmt an, dass dasjenige, was wir (von außerhalb des Systems) getan haben, zu unterscheiden ist von den Unterschieden, die es (innerhalb des Systems) ausgelöst hat. Für das System hingegen besteht das Ereignis nur aus diesen Unterschieden. Das gleiche gilt für einen Unterschied und alle anderen dadurch ausgelösten Unterschiede. Im alten Modell ist der UnBeispiel implizieren nicht nur gewisse verdauungsprozesshafte Ereignisse Nahrung. Auch der Blutkreislauf und viele andere Prozesse implizieren Nahrung. Irgendein winziger Unter-Unter-Prozess in einem entlegenen Gewebe impliziert viele Umwelten vieler Körperprozesse.
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»Alles durch Alles« (eveving)
terschied, den etwas in einem System macht, eine Sache für sich (außerhalb von allem anderen). Aber für alles weitere ist der erste Unterschied kein separates Ereignis. Wenn wir innerhalb des Systems denken, dann ist der erste Unterschied bereits durch all die Unterschiede, die er gemacht hat, affiziert. Das alte Modell hingegen nimmt an, dass es zuerst ein »dieses« als Einheit gibt, getrennt davon, wie seine Wirkung »dieses« wiederum selbst affiziert. Aber so ein »dieses« ist nur innerhalb eines Umwelt 1-Betrachter-Prozesses ein Ereignis. Im Prozess, den wir anschauen, gibt es kein getrenntes »dieses«, keine lineare Ursache-Wirkungs-Sequenz, die »dieses« herbeiführt, bevor seine Wirkungen bestimmen, was passiert. Deshalb ist die Zeitreihenfolge hier etwas merkwürdig. Wie kann »es« schon affiziert sein, indem es etwas affiziert, wenn das Affizieren nicht vor dem Affiziert-Werden kommt? Wir wollen dieses Problem begrüßen. Es wird sich weiter unten von selber lösen. Setzt man fixe Einheiten voraus, die ihre Identität beibehalten, nimmt man eine Teilung zwischen diesem einen und seinen Wirkungen auf andere an. (»Dieses« kann ein Teil, ein Prozess oder ein gemachter Unterschied sein.) Im alten Modell kann erst später die Veränderung der anderen Einheiten auf »dieses« zurückwirken. Und nochmal später kann die Art und Weise, wie »dieses« dadurch affiziert worden ist, wiederum die Veränderung verändern, die es anderen Einheiten zufügt. Es würde als Anomalie erachtet werden, wenn wir das veränderte Verändern als gleichzeitiges Geschehen mit der ersten ausgelösten Veränderung betrachten würden. Im alten Modell wurde die Ereignis-Einheit getrennt von den Unterschieden, die sie macht; diese Unterschiede müssen geschehen, bevor sie wiederum das erste Ereignis affizieren können und damit die Unterschiede verändern, die das erste Ereignis weiterhin machen kann (nachdem es jetzt seinerseits geändert wurde). Wenn wir diese Trennungen nicht voraussetzen, werden sich ein paar bekannte Anomalien auflösen. Im Modell, das wir hier 111 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
entwickeln, ist das, was geschieht, das Resultat dessen, wie die Wirkung eines jeden Prozesses, Teils oder Unterschieds wiederum durch eben diese Wirkung auf andere selbst affiziert wird. Wie kann das sein? Getrennte Unterschiede, die gemacht wurden, geschehen nicht. Nur das Resultat geschieht. Unser Modell bewegt sich von einem differenzierten Ganzen vielfältiger Aspekte zum nächsten. Statt eine Lücke zu lassen, können wir Konzepte machen für den Prozess, in dem sich eine neu differenzierte Vielheit bildet. Wir nehmen weder unabhängige Einheiten an noch eine schwammige, undifferenzierte Ganzheit. In einem koordiniert strukturierten Ganzen existiert kein Aspekt genau so, wie er ist, ohne dass die anderen genau so sind (IV-A.a). Jeder ist auch das weitere Implizieren, das sie alle sind (IV-A.b). Die materiellen »Teile« sind relativ zu den Prozessen (IV-A.b) und nicht so, als ob sie gesondert identifizierbar existieren und erst dann in den Prozess eintreten würden. Das einzelne Geschehen enthält all die Unterschiede, auch diejenigen, die durch diese Unterschiede gegenseitig entstehen, und wiederum die Unterschiede, die dadurch entstehen. Geschehen ist ein Interaffizieren von »Allem-durchAlles«. Das Interaffizieren oder Unterschiede-Machen geht, so weit es kann. Es kann nicht endlos so weitergehen (wir werden fragen, warum), damit es ein Geschehen gibt. (Warum es dann noch ein weiteres Geschehen gibt, wird auch zu fragen sein). Und all die Unterschiede, die mit dem Interaffizieren einhergehen, haben bereits alle Unterschiede gemacht, die sie machen können, so dass keine weiteren Unterschiede entstehen. Wenn wir uns dieses Geschehen in linearer Zeit vorstellen wollen (ein Unterschied geschieht nach dem anderen), dann kann ich hierzu eine Geschichte erzählen: Als ich bei der Marine war, lernte ich, die Radio-Empfänger dieser Zeit einzustellen 112 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
»Alles durch Alles« (eveving)
und zu reparieren. Sie hatten verschiedene Teile, die »Zwischenfrequenz-Sender« hießen, von denen jeder oben mit einer Schraube ausgestattet war. Ich musste die Schraube auf dem ersten Sender so lange drehen, bis das Signal am stärksten war. Weiteres Drehen hätte das Signal wieder schwächer gemacht. Dann drehte ich die Schraube auf dem zweiten bis zum Maximum. Das wiederum wirkte sich verändernd auf die erste aus. Ich drehte also wieder an der ersten Schraube, bis das Signal am lautetesten kam. Das wiederum beeinflusste die zweite, die nun auch wieder nachzustellen war bis auf die lauteste Stelle. Das wiederum änderte die erste, aber nur ein wenig. Nachdem man ein paar Mal hin und her gewechselt hatte, waren beide auf ihrer lautesten Position. Dann kam die dritte Schraube an die Reihe, und wieder galt es zwischen der ersten und der zweiten nachzustellen, und immer weiter während des Einstellens an der dritten: erste und zweite, erste und zweite. Und so ging es auch bei der vierten weiter, von wo aus nach jeder Einstellung zur dritten, zweiten und ersten zurückzugehen war. Schließlich waren alle Veränderungen, die sie gegenseitig aufeinander machen konnten, und all die Unterschiede, die aus diesen Unterschieden entstanden waren und so weiter, berücksichtigt. (In Abschnitt f frage ich, wie »das Lauteste« hier als Richtung arbeiten kann.) Das Wichtige ist, dass es ein Resultat gibt. Nachdem alle Unterschiede ihre Unterschiede gemacht haben, ist das Resultat so, wie es ist. Es ist das Resultat von allem, was durch alles interaffiziert ist (eveving). In unserem Modell geschehen die Unterschiede aber nicht. Nur das Resultat geschieht. Es gibt keinen einzelnen Satz separater Dinge, die das »Gesamte« oder die »alles« wären. Was geschieht, erneuert »alle« Teile und Unterschiede. Implizieren ist geordneter als eine Struktur von Teilen, Prozessen oder Differenzen; ein Geschehen bestimmt seine Vielheit neu. (In Experiencing and the Creation of Meaning wird dies als die »Umdrehung der üblichen philosophischen Ordnung« diskutiert.) In der Geschichte der Zwischenfrequenz-Sender braucht 113 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
jede neue Einstellung Zeit. Aber »Alles-durch-Alles« nimmt nicht mehr Zeit als das Sich-Ereignen selbst in Anspruch. Die Unterschiede, die jedes beim anderen macht, sind keine eigentlichen Geschehnisse, keine eigentlichen Zeit-Spannen. 6 Zenons Paradox hat gezeigt, dass ein Ding sich nicht bewegen kann, wenn es eine unendliche Anzahl wirklicher Entfernungen überqueren muss. Wenn ein Intervall unendlich teilbar wäre und wenn jede dieser Unterteilungen ein wirklicher Abstand wäre, dann müsste eine unendliche Anzahl davon überquert werden, bevor das sich bewegende Objekt auf die andere Seite gelangen könnte. Die Lösung war, zu bemerken, dass die unendliche Teilbarkeit eines Intervalls nicht impliziert, dass es auch eine unendliche Anzahl von tatsächlichen Abständen geben muss. Da eine Linie in eine unendliche Anzahl von Punkten unterteilbar ist (weil Punkte keine Dimensionen haben), besagt die Lösung des Paradoxes auch, dass eine unendliche Anzahl von Schnitten immer noch keine unendliche Anzahl fixer Intervalle zwischen den Schnitten zur Folge hätte. Wir können die Lösung umformulieren, indem wir sagen: Die Vielzahl, die durch eine jede Art von Trennung erzielt wird, muss während der Bewegung nicht gleich bleiben. Die Bewegung definiert ihr eigenes Intervall (es ist eine Bewegung von hier nach dort), indem sie startet und wieder anhält. Aber auch sonst müssen Intervall-Einheiten nicht fixiert bleiben, sie definieren die Bewegung nicht. Wenn wir die Lösung des Zenon’schen Paradoxes so formulieren, dann behalten wir die Idee bei, dass eine unendliche Vielzahl von Schnitten nicht eine tatsächlich existierende Unendlichkeit von Intervallen herbeiführt, für deren Überquerung Zeit beansprucht wird. Wir können die wirklich stattfindende Bewegung die Schnitte bestimmen lassen. Diese Formulierung lässt sich auch auf Ereignisse, nicht nur auf Raumund Zeit-Intervalle ausdehnen. Eine kreuzende Vielzahl muss nicht wie Einheiten aufgefasst werden, die wirklich unabhängig voneinander selbstständig geschehen. Wir können das so formulierte Paradox nun auf das alte Modell anwenden: Wenn alles Interaffizieren separate wirkliche Geschehnisse wären, dann würde es unendlich viel Zeit beanspruchen, um interaffizierend von einer Konstellation zu einer anderen zu gelangen. Aber die Vielzahl von Punkten im Raum und auch die Vielzahl von Aspekten eines gegebenen ganzen Ereignisses sind nicht voneinander getrennte Geschehnisse. (Selbst wenn sie gleichzeitig stattfinden, sind es nicht separate Geschehnisse, sondern unterschiedliche Aspekte.) Das wei-
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»Alles durch Alles« (eveving)
Unterschiede resultieren aus Vergleichen und Messungen. Unterschiede sind keine eigentlichen Ereignisse, außer jemand tut etwas. Im alten Modell besteht »Realität« aus allgemeinen Raum-Zeit-Vergleichen, die keine Ereignisse sind. Newton zeigte, dass das Wasser im Eimer am Ende einer gedrehten Schnur an den Seiten hochklettert, wenn der Eimer dreht, und dass das Wasser nicht hoch steigt, wenn er nicht dreht. Das zeigte, dass Bewegung nicht nur eine Veränderung im Verhältnis von Eimer zu Erde ist. Es zeigte, dass es da noch etwas völlig Unterschiedliches und empirisch Unabhängiges gibt, wenn ein Ding sich bewegt. Aber Newton dachte die Bewegung weiterhin als Veränderung in Raum und Zeit-Relationen. Darum folgerte er, dass diese Verhältnisse (die eigentlich nur passive Vergleiche sind) als »objektiv« zu betrachten sind und vor eigentlichen Ereignissen kommen. Der Vergleichsprozess wurde absolut. Einstein moditere Geschehen wird durch sie nicht als eine fixierte und buchstäbliche Vielzahl separater Existenzen definiert. Nur das nächste Ereignis geschieht. Wir können im Nachhinein ein späteres Geschehnis zu einem früheren auf irgendeine Art und Weise in Beziehung setzen und es damit vergleichen. Im Nachhinein können wir eine frühere Vielzahl konstruieren, die scheinbar bis zum späteren Ereignis bestand, und sie dann dem früheren Geschehen zuschreiben. So können wir verstehen, wie das alte Modell einen Übergang konzeptualisiert hat. Aber diese Formulierung ist viel dürftiger als unsere, weil sie separate Stränge von Vergleichen beinhaltet. Für uns ist die im Nachhinein bestimmte Vielzahl eine, in der alle Aspekte alle anderen beeinflusst haben und wiederum beeinflusst wurden dadurch, wie sie andere beeinflussen. Aber all diese interaffizierenden Geschehnisse haben nie getrennt voneinander stattgefunden. Analog zur unendlichen Anzahl von Punkten auf einer Linie sind sie konstruierbar, aber keine unabhängigen Ereignisse in einer eigenen Zeitspanne. Das Überqueren oder das Geschehen ist nicht durch fixierte Einheiten festgelegt. Wenn die Einheiten nicht wirklich bestehen, dann kann irgendeine Anzahl von ihnen da sein, sogar eine unendliche. Ort- und Zeit-Intervalle und unabhängige Einheiten sind keine tatsächlichen Ereignisse, siehe dazu Fußnote 8 und The Responsive Order, Man and World, und Gendlin und Lemke, A Critique of Relativity and Localization.
115 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
fizierte, aber änderte nichts am Anspruch des reinen Vergleichens (der Lokalisation), um Geschehnisse zu verbinden und zu bestimmen. Die Relativitätstheorie limitiert die größere Anzahl an Lösungen, die man durch die Quantenmechanik allein erhalten würde. Die Physik bewegt sich langsam an diesen Restriktionen vorbei. Eine lediglich vergleichende Verortung hat nicht mehr den gleichen Status wie eine Interaktion (A Critique of Relativity and Localization, The Responsive Order). Nur Interaktionen, zum Beispiel Messungen, die auf den Prozess einwirken, sind darin Ereignisse. Die Raum-Zeit-Verortungen sind Vergleiche eines bloß zuschauenden Betrachters. Vergleiche sind im Prozess keine Geschehnisse. Unterschiede sind Vergleiche, sie geschehen nicht. Mit dem Konzept »Alles-durch-Alles« können wir über die Herausbildung des Implizierens und Geschehens nachdenken. Wir müssen uns vor Augen halten, dass Implizieren immer geordnet und komplexer als ein Geschehen ist. »Alles-durchAlles« ermöglicht, über das Implizieren nachzudenken, ohne Unterschiede als solche vorauszusetzen. Im Herausbilden eines neuen Ganzen kreuzen alle Unterschiede impliziterweise so, dass sie aufeinander nicht als solche einwirken, sondern als bereits gekreuzt. Das Konzept des Kreuzens kann von hier abgeleitet werden Im »Alles-durch-Alles« scheint alles gleichzeitig zu geschehen und keine Zeit zu beanspruchen. Deshalb müssen wir uns Gedanken über die Zeit machen. Wir könnten Zeit als die Tatsache bezeichnen, dass »Alles-durch-Alles« nicht wirklich zugleich passiert. Aber warum wird das implizierende »Allesdurch-Alles« vorangetragen in ein neues Geschehen? Und warum gibt es danach dann noch ein Geschehen und noch eins? Es gibt eines nach dem anderen, weil Geschehen das Implizieren in ein neues Implizieren verändert. Aber warum hört die Veränderung innerhalb von »Allem-durch-Alles« (das keine Zeit beansprucht) auf, so dass etwas geschieht, und welche Art von 116 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
»Alles durch Alles« (eveving)
Veränderung, die durch Geschehen entsteht, ist nicht Teil des »Alles-durch-Alles« (dem Kreuzen aller Unterschiede, das keine Zeit beansprucht)? Was macht ein Geschehen zu einem Geschehen? Die Antwort lautet natürlich, dass Implizieren nie allein passiert, sondern immer zusammen mit Geschehen, es passiert vom Geschehen aus und in das Geschehen hinein. Und Geschehen ist Körper-Umwelt; es geschieht in der Umwelt, oder wir können sagen: die Umwelt geschieht in das Implizieren hinein. Darum impliziert das Implizieren die Umwelt, weil Implizieren ein Geschehen impliziert, das immer Körper-Umwelt 2 ist. Darum geht das Implizieren (das »Alles-durch-Alles«) nicht endlos weiter, weil eine Körper-Umwelt geschieht und das Implizieren verändert auf eine Weise, wie es innerhalb von »Allem-durchAlles« nicht passiert. Darum ist die Frage, warum »Alles-durchAlles« nicht endlos geschieht, zugleich die Frage: Wie genau verhält sich das implizierte Geschehen zu dem, was geschieht? Wir sagten zu Beginn, dass Implizieren (oder impliziertes Geschehen) niemals das Gleiche ist wie ein einziges Geschehnis. Implizieren ist immer komplexer organisiert und in dieser Weise präziser, als ein umwelthaftes Geschehen es je sein kann. Unser Konzept »Alles-durch-Alles« spricht auf konzeptionelle Art von dieser Komplexität (ein Konzept repräsentiert nicht; es spricht-von oder trägt voran). »Alles-durch-Alles« geschieht im Implizieren; Geschehen und Umwelt ist nicht »Alles-durch-Alles«, aber geschieht ins »Alles-durch-Alles« hinein. Weitere Konzepte, die diesen Punkt betreffen, werden sich bald entwickeln. Wir dürfen nur nicht vergessen, dass Geschehen in das »Alles-durch-Alles« nicht »Alles-durch-Alles« ist. Kapitel V wird diesen Unterschied klarmachen. Wir sagten auch, dass der Prozess hauptsächlich in Umwelt 3 vor sich geht, d. h. in einer schon vom Leben organisierten Umwelt, die etwas auf das Implizieren erwidert, so wie der Baum des Bibers schon der von ihm gefällte Baum ist. Und selbst wenn die Umwelt nicht schon vom Leben modifiziert ist, ist sie bereits im117 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
pliziert im Implizieren von Umwelt 2, die schon Teil eines jeden Lebensprozesses ist. Darum gibt es mehr als nur ein neues und zufälliges Verhältnis zwischen Implizieren und Körper-UmweltGeschehen. Aber obwohl die Umwelt schon impliziert ist, muss sie auch geschehen, was nicht durch das Implizieren allein determiniert ist, denn das Implizieren hat eine komplexere Ordnung und das Geschehen ist die eigentliche Körper-Umwelt. Die Frage, warum »Alles-durch-Alles« nicht endlos geschieht, betrifft die Frage des Verhältnisses zwischen Implizieren und Geschehen oder zwischen der implizierten Körper-Umwelt und derjenigen Körper-Umwelt, die in dieses Implizieren hinein geschieht. Kapitel IV-B und V werden Begriffe hierfür entwickeln. In den Begriffen linearer Zeit würden wir fragen: Wie steht das Implizieren zu jetzigem, zu vergangenem und zu zukünftigem Geschehen; aber diese Einteilung können wir nicht als Rahmen unserer Diskussion akzeptieren. Wir können Implizieren auch nicht zwischen dem letzten und dem nächsten Geschehen einfügen, als ob es eine eigene Zeit zwischen Geschehnissen beanspruchen würde. Wir werden zu dieser Frage im nächsten Abschnitt zurückkehren. Aber wir haben nun zwei Weisen entwickelt, in denen sich das Implizieren ändern kann – entweder durch die ursprüngliche Veränderung des Vorantragens, welche das Implizieren impliziert, oder durch »Alles-durch-Alles« während eines Stopps (falls der Prozess nicht stirbt). Können wir diese beiden jedoch noch unterscheiden? Im Stopp erkannten wir die Entwicklung von vielen koordinierten Prozessen in Phasen von Unterbrechungen und Wiederaufnahmen mit vielen Objekten. Was entscheidet, ob der Lebensprozess sich entwickelt hat und vorangetragen wird oder ob die ganze Entwicklung noch eine Version der Unterbrechung ist? Statt diesem entweder/oder werden sich noch mehr Unterschiede in Kapitel V entwickeln. Es gibt mindestens zwei verschiedene Weisen, durch die der Lebensprozess durch diese koordinierte Entwicklung vorangetragen wird. 118 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
»Alles durch Alles« (eveving)
Die Kapitel I – IV sind nur ein allgemeines Modell als Alternative zum alten, das momentan den meisten Konzepten als Voraussetzung inhärent ist. Wir haben organische Prozesse noch nicht von Verhalten und Wahrnehmung unterschieden und auch nicht von Kultur-, Sprach- und Handlungsprozessen – geschweige denn davon, was darüber hinausführt. In Kapitel VI werden wir sehen, wie das Verhalten einen zusätzlichen Weg konstituiert, in dem der reguläre Lebensprozess einen Stopp integrieren kann und regelmäßige Stopps und Wiederaufnahmen aufweist. Sollen wir in unserem allgemeinen Modell an dieser Stelle noch immer ein ursprüngliches Vorantragen eines einzelnen Prozesses annehmen, dessen Stopp die Entwicklung von vielen Prozessen produziert und von vielen Stopps und Wiederaufnahmen? Oder sollen wir jedes bisschen Prozess – so dieses weitergetragen wird – als eine Art umwelthafter Wiederaufnahme denken? Natürlich gibt es kein »Alles-durch-Alles«, bis es viele Unterschiede und viele Differenzierungen zwischen Prozessen und Objekten gibt, aber selbst das einfachste Lebewesen hat schon viele. Die Entwicklung, die wir dargelegt haben, ist schon geschehen. Darum brauchen wir die Entwicklung nicht als eine Geschichte aufzufassen, die mit etwas Einfacherem beginnt als mit dem, was wir vorfinden. Wir können die Entwicklung auch lediglich als diejenige unseres Konzeptes auffassen. In diesem Fall können wir jedes Vorantragen als ein Vorantragen von »Allem-durch-Alles« betrachten, obwohl wir »Alles-durchAlles« durch das einfachere allgemeine Modell des Vorantragens entwickelt haben. Vorantragen ist ein Geschehen, das das Implizieren in einer Weise ändert, wie es sich selbst verändert impliziert hat, so dass es nicht mehr »das gleiche« Implizieren ist. »Stopp« ist jetzt von »Vorantragen« ableitbar geworden (und wir können nun sagen, dass wir das konzeptionelle Muster des »Stopp« genutzt haben, um zum Vorantragen zu gelangen,
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IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
und dass sich in diesem Funktionieren das Konzept für uns verändert hat). Genauso wie wir von Prozessen sprachen, die sich gegenseitig affizieren und auf diese Weise das ursprüngliche Interaffizieren (und eine ungeteilte Vielheit) finden, genauso wie wir zuerst Differenzen dachten, die sich kreuzen und dann bemerken können, dass sie bereits gekreuzt sind, so entdecken wir, dass das Vorantragen ein ursprüngliches Wiederaufnehmen ist. »Alles-durch-Alles« und das ursprüngliche Wiederaufnehmen kann auf einen früheren Stopp zurückzuführen sein, oder ein Stopp kann an einem »Alles-durch-Alles« liegen, das den gewöhnlichen Prozess unmöglich macht. Aber das Konzept des Stopps muss die Funktion beibehalten, die sie bis jetzt in unserem Modell ausgeübt hat. Sie markiert eine Weichenstellung, an der gewöhnliche Prozesse nicht stattfinden können und an der eine neue Entwicklung entsteht. Wir brauchen uns nicht auf die Annahme zu beschränken, dass die Entwicklung durch das Verunmöglichen des gewöhnlichen Prozesses aufgrund einer unberechenbaren Veränderung im Körper oder der Umwelt entsteht (wie ich in Kapitel II sagte). (Siehe Increased Sensitivity in Philosophical Critique of the Concept of Narcissism.) Solange wir klar bleiben, können wir mit diesen beiden schematischen Alternativen weitermachen, außer sie machen an einem Punkt einen Unterschied, den wir verfolgen müssen (siehe Experiencing and the Creation of Meaning VI über die funktionelle Gleichheit alternativer Konzepte). Bis auf weiteres leiten die Konzepte »Alles-durch-Alles« (eveving) und »Vorantragen« (carrying forward) das Konzept der »Wiederaufnahme« (resumption) her, das wiederum beides Vorangehende erklärt. Wir können jetzt die Konzepte des »Schemas« und der »Wiederaufnahme« auf jedes bisschen Lebensprozess anwenden, als ob jedes bisschen ein Stopp und eine Wiederaufnahme wäre. Aber natürlich unterscheiden wir noch »Vorantragen« (und Wiederaufnahme) von Geschehnissen, die das Implizieren 120 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Ausrichten (focaling)
unverändert lassen. Da Implizieren komplexer organisiert ist als Geschehen, kann man nur vom Geschehen sagen, dass es etwas ist, das vom Implizieren impliziert war. Nur das Vorantragen bestimmt, was vorantragen kann. (Vgl. die Umkehrung in Experiencing and the Creation of Meaning, vgl. auch ein ganz anderes Beispiel von Umkehrung, nämlich das Konzept der »Verstärkung« bei Skinner.) Geschehnisse sind nur dann die eigenen Lebensprozesse, wenn sie diese vorantragen (wir werden viele Arten von Vorantragen spezifizieren, aber nie eine einzige Liste). Geschehen kann in das Implizieren hinein geschehen, ohne den Prozess in irgendeiner Weise voranzutragen, und manches davon kann Stopps bewirken. Natürlich behalten wir die vitale Unterscheidung zwischen dem eigenen Prozess des Körpers und anderen Ereignisse, die ihm geschehen, bei. Und offensichtlich müssen wir den Stopp vom Vorantragen unterscheiden (oder vom Stopp-und-Wiederaufnehmen). Unser Konzept »Alles-durch-Alles« ist eine Ausdehnung des Konzeptes »Implizieren«. »Alles-durch-Alles« impliziert weiteres Geschehen, und Geschehen involviert Umwelt, darum impliziert »Alles-durch-Alles« selbstverständlich Umwelt, aber immer bloß als Implizieren. Wie die Umwelt tatsächlich in das »Alles-durch-Alles« hinein geschieht, werden wir in Kapitel V aufnehmen. Für eine Weile wollen wir noch beim »Alles-durch-Alles« bleiben.
f) Ausrichten (focaling) In meiner Geschichte über das Radio war ich von vornherein darauf aus, das lauteste Signal zu finden, damit ich entfernte Stationen empfangen konnte. Der Zweck einer Maschine (und von allem, was wir machen) liegt im Hersteller. Aber wie entsteht er in ihm? Wenn er zum Hersteller von noch einem anderen Hersteller gelangen muss, wie konnte dann je ein Zweck 121 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
entstehen? Deshalb müssen wir fragen, wie Zweck und Richtung in einem Prozess entstehen können. Weil diese Frage heute im wissenschaftlichen Diskurs fehlt, wird alles wie eine Maschine behandelt. Und zwar wie eine Maschine ohne Hersteller. Unsere Zwecke und Absichten können innerhalb unserer Wissenschaft nicht erfasst werden, auch wenn sie in vielfacher Form auf sie einwirken. Im Wiedereinstellen jedes Zwischen-Frequenz-Senders werden die Unterschiede kleiner und kleiner und erreichen ein stabiles Resultat. Aber wie kann ohne Zweck und Richtung »Allesdurch-Alles« zu einem Resultat kommen? In unserem Modell bringt das Geschehen sein eigenes Implizieren des nächsten Geschehens mit sich und ändert es. Das körpereigene Implizieren ist das »Ausgerichtet-Sein« (focaling) der vielen Prozesse, der vielen Teile und Unterschiede innerhalb eines Implizierens. Zweck und Richtung sind Aspekte des Prozesses. Der Zweck ist nicht etwas Hinzugefügtes. In menschlichen Ereignissen zum Beispiel ist das, was wir »Zweck« nennen, bereits Bestandteil einer gegebenen Handlung. Dilthey sagt, dass jedes Erleben immanenterweise ein Verstehen ist. Die Pflanze braucht keinen gesonderten Zweck, um sich der Sonne zuzudrehen. Ein Zweck, der als ein gesondertes und hinzugefügtes Ding dargestellt wird, ist artifiziell. Es wirkt auch artifiziell zu behaupten, was »der« eine Zweck ist. Viele »Zwecke« und viele mögliche Aktivitäten sind auf eines hin ausgerichtet. Nur eine Aktivität geschieht als nächste. Unser Konzept des »Ausrichtens« entwickelt sich aus dieser Beziehung von Vielen in Eines. Es entwickelt sich an dieser Stelle im Modell aus dieser Funktion und aus vielen erlebten Beispielen. »Wäre es nicht schade«, frage ich beispielsweise Studenten, »wenn ihr heute die genau gleichen Werte hättet wie zu der Zeit, als ihr vierzehn Jahre alt wart? Aber wäre es nicht noch trauriger, wenn ihr die Werte, die ihr damals hattet, einfach verloren hättet? Es wäre also schade, wenn sie die gleichen wären, und 122 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Ausrichten (focaling)
schade, wenn sie anders wären.« Was wünschen wir uns? Offensichtlich suchen wir nach einem komplexeren Verhältnis, nach einer entwickelteren, differenzierteren, realistischeren, nach einer tieferen menschlichen Ebene, nach mehr Verständnis . . . . . – in dieser Richtung etwa. Zu hoffen ist also, dass Werte weiterhin ihre Rolle spielen in der Art, wie man lebt, aber dass sie sich zugleich entwickelt haben, während sie diese Rolle gespielt haben. Wenn ein Künstler eine genau richtige Linie in einer unfertigen Zeichnung zieht, gibt es vorab keinen Zweck, der diese Linie bestimmt. Der Künstler fühlt und sagt, dass das unfertige Bild »etwas braucht«. Nicht die Zeichnung allein, sondern die Zeichnung und der menschliche Körper implizieren gemeinsam etwas mehr. Aber natürlich hat der Künstler noch keine fertige Zeichnung in seinem Kopf. Das Ziel und die Richtung entwickeln sich aus dem Prozess. 7 Der Künstler probiert nicht zuerst alle möglichen falschen Linien aus und verwirft sie dann wieder, und er »wählt« nicht die richtige aus. In der Geometrie kann man sehr wohl sagen, dass eine Fläche eine unendliche Anzahl Linien enthält, aber diese Linien existieren nicht, genauso wenig wie die Linie existiert, die dann letztendlich gezogen wird. Diese Linie existiert nicht auf einem leeren Blatt. Die bereits gezeichneten Linien (und viel mehr) partizipieren in der Herausbildung (dem »Alles-durch-Alles«) der Linie, die an dieser Stelle »gebraucht« wird. Wenn sie kommt, verändert sie die Wechselbeziehungen aller Linien, um dieses eine Implizieren voranzutragen. Weder Dieses Beispiel verdanke ich Hannah Frish. Sie benutzte den Ausdruck der »Aura« für die Art und Weise, wie all das zugleich gefühlt werden kann. Siehe auch M. Goldfarb: »Making the Unknown Known: Art as the Speech of the Body«, in: M. Sheet-Johnstone (Hg.), Giving the Body it’s Due (Albany: State University of New York Press, 1993), S. 180–191. Einstein sagte, dass ihn ein »Gefühl« zum Relativitäts-Problem geleitet habe. Die »Richtung« im Raum ist ableitbar vom lebendigen Prozess, wie ich in Thinking Beyond Patterns versucht habe zu zeigen und auch in Language Beyond Postmodernism in meiner Antwort auf Mark Johnson.
7
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IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
das Ziel noch die Linie existieren im Voraus. Das eine Implizieren des Künstlers ist ein »Alles-durch-Alles« der Beziehung aller Linien zueinander. Der Künstler ist auf die richtige Linie ausgerichtet. Ein anderes Beispiel: Eine neue Theorie kann die Wissenschaften in einer Weise erweitern, die nicht logisch aus irgendeiner früheren Theorie folgt. Wenn man voraus denkt, dann kann man dem Ausrichtungs-Prozess beim Arbeiten zuschauen. Man verfolgt unklare, jedoch möglicherweise reichhaltige Ränder. Man ahnt mehr, als man zuerst klar denken kann. Wenn die Theorie ausgearbeitet ist, kann man spezifizieren, was sich dadurch verändert hat. Im Voraus ist das nicht zu machen. (Dialektische Logik kann etwas Ähnliches; Hegel konnte die Geschichte des Denkens, die hinter ihm lag, in einer ordentlichen dialektischen Progression gestalten, aber er konnte keinen einzigen Schritt vorwärts generieren.) Richtung und Resultat des Ausrichtens kommen vom Implizieren. »Alles-durch-Alles« (jedes bereits affiziert durch seine Wirkung auf andere) ist Ausrichten; es kommt zu einem Implizieren eines nächsten Schritts.
g-1) Relevanz Wir können diesen Punkt auch im Begriff der »Relevanz« zum Ausdruck bringen. In Experiencing and the Creation of Meaning habe ich gezeigt, wie die vielen Bedeutungen alle bereits an einer beteiligt sind. Hier kommen wir direkt von den vielen Bedeutungen (»Alles-durch-Alles«) her. Wir sagten bereits, dass Relevanz »Alles-durch-Alles« und Ausrichten ist. Was bestimmt, welche Faktoren einen Unterschied machen? Zunächst machen sie offensichtlich schlicht den Unterschied, den sie machen, auf diese Weise bestimmen sie sich selbst als relevant. Wenn ein Prozess vorangetragen wird, war alles, was an der 124 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Relevanz
Herausbildung des nächsten Ereignisses beteiligt war, »relevant« für das vorhergehende Ereignis. Hier könnte man einwenden, dass durch unsere Definition einfach jedes Ereignis relevant werden könnte. Zu beachten ist aber: Von selbst bildet ein Prozess nicht irgendein Ereignis. Das nächste Ereignis wird nicht nur durch eine Definition relevant sein, sondern dadurch, dass es den Prozess voranträgt. Wir werden sehen, wie das vorherige Ereignis in der Herausbildung von diesem funktioniert. Wir können »Relevanz« also genauer definieren: Es ist die Funktion (die Rolle) der vielen in der Herausbildung eines bestimmten (des nächsten). Tatsächlich sind viele Faktoren relevant und viele haben Anteil an der Herausbildung dessen, was geschieht. Indem sie aber an der nächsten Herausbildung partizipieren, öffnen und kreuzen sie. Das tun sie nicht als sie selbst, sondern als schon gekreuzt mit all dem anderen, das an der Herausbildung des nächsten Ereignisses partizipiert. Mein Punkt ist eben gerade der, dass ein Prozess sich sowohl von Beliebigkeit als auch von Logik unterscheidet. Vom nächsten Schritt aus können wir spezifizieren, wie relevant er ist, warum er den Prozess vorangetragen hat. Aber um das zu formulieren, braucht es ein weiteres Vorantragen. Die Begriffe, in denen wir dies tun können, müssen vom Verstehen der Prozess-Schritte abgeleitet werden. Das ist ganz etwas anderes als zu sagen, etwas sei relevant, nur weil wir es sagen. Fast alles, was passieren könnte, ist nicht relevant. Selbst ganz »freies Spiel« macht Sinn (normalerweise neuen Sinn), wenn es Spaß macht. Ein Prozess ist ein Relevant-Machen (relevanting). Diese Verbform will sowohl sagen, dass ein Prozess relevant geschieht, als auch, dass die Relevanz durch den Prozess geschieht. Was geschieht, macht sich selbst relevant. Darum können wir Relevanz nicht so gebrauchen, als ob sie auf einer anderen Ebene angesiedelt wäre, von der aus vorher zu bestimmen ist, was geschehen wird. Implizieren, »Alles-durch-Alles«, Ausrichten und Relevant125 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
Machen sind »Vorwärts«-Relationen; sie entstehen durch »Vorantragen«. Rückwirkend kann man sie (auf verschiedene Weisen) spezifizieren. Aber etwas wissen wir im Voraus, was von großer Bedeutung ist: Wir wissen, dass der Prozess sich relevanterweise bilden wird. Nichts geht verloren, wenn wir den Anspruch aufgeben, bestimmen zu können, was von vornherein relevant ist. Relevanz ist immer nur rückwirkend zu finden, selbst wenn ein begriffliches Modell verlangt, dass man sie zurückliest, als ob sie von vornherein bestimmt gewesen wäre. Wittgenstein und Merleau-Ponty haben mit diesem Anspruch gerungen. Ereignisse, die in keinerlei Weise impliziert »waren« und die nicht vorantragen, können auf den Körper einwirken. Wie wir sehen werden, geschehen selbst solche Ereignisse in das kontinuierliche Relevant-Machen hinein, manchmal mit einem neuen, aber hoch organisierten Resultat. Irrelevante Ereignisse werden allerdings vom Körper nicht produziert. Trotz aller menschlichen Fähigkeiten kann man sich kaum etwas vorstellen, was in jeder Beziehung irrelevant wäre. Jetzt gerade z. B. wäre etwas Irrelevantes ein relevantes Beispiel für diese Diskussion. Und auch sonst könnte man, wenn man an etwas Irrelevantes denkt, normalerweise zurückverfolgen, wie es in dieser Situation – in recht relevanter Weise – dazu kam. Verlieren wir mit dieser Umkehr, die den Prozess an erste Stelle setzt und die scheinbaren »Determinanten« nur rückwirkend macht, nicht »technische Kontrolle«? Nein, wir verlieren nichts, aber unser Modell befähigt uns, anders über technische Kontrolle nachzudenken. Und wir brauchen dringend eine bessere Weise, darüber nachzudenken. Wir verlieren nichts, weil technische Kontrolle immer nur rückwirkend nach vielen wiederholten Beobachtungen gewonnen wird. Erst dann kann man vorhersagen. Dann kann man etwas ändern und wieder beobachten. Man mag die Auswirkung der Veränderung vorhersagen, aber vielleicht bewirkt sie etwas anderes. Erst nachdem man einen regelmäßigen Effekt öfter ge126 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Alte und neue Modelle: einige Gegensätze
sehen hat, gewinnt man technische Kontrolle. Das verändern wir nicht. Aber wollen wir sagen, dass etwas, das wir rückwirkend als »Determinanten« bezeichnen, schon zuvor existiert hat? Wenn wir dies sagen, belügen wir unsere eigentliche Verfahrensweise und verlieren unsere Fähigkeit, überhaupt über Natur nachzudenken. Wir sollten darüber nachdenken, dass unsere wissenschaftlichen Formulierungen sich alle paar Jahre verändern. Weder der letzte noch der nächste Satz an »Determinanten« kann je derjenige sein, welcher tatsächlich die Natur determiniert. Indem wir unsere Formulierungen zurücklesen, als ob sie die Natur determinieren würden, beanspruchen wir, dass die Natur die Art von Ordnung hätte, die unsere Formulierungen haben. Freilich ist es recht naheliegend, dass Natur etwas Ähnliches wie die Art von Ordnung hat, die das Fortschreiten unserer Formulierungen über die Jahre aufweist. Die Natur ist fähig, durch unsere Formulierungen vorangetragen zu werden – und deshalb ist sie unmöglich all diesen ähnlich. Wir bauen ein Modell, um über diese Art von Ordnung nachdenken zu können (vgl. Responsive Order). Natürlich können wir immer noch jedes logische Modell innerhalb unseres weiteren Modells anwenden. Mit unserem Modell können wir sehr viel konzeptualisieren, was in tradierten Modellen nicht konzeptualisiert werden konnte. Aber wir zählen unser Modell nicht unter die geschehenden Prozesse, als ob das Modell diese Prozesse determinieren würde. Implizieren und Geschehen (Vorantragen) ist ein »Allesdurch-Alles«, ein Ausrichten und ein Relevant-Machen.
g-2) Alte und neue Modelle: einige Gegensätze Gleiche Einheiten müssen sich für uns nicht über Veränderung hinweg erhalten. Wenn sie dies tun, ist dies ein Spezialfall. Im alten Modell haben Ereignisse innerhalb einer statischen Viel127 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
heit von räumlichen und zeitlichen Punkten und Partikeln zu geschehen. Ein einzelnes Partikel ist »dieses eine«, »dieses gleiche«, das zuvor da war und jetzt hier ist. Im neuen Modell bildet das Ereignis seine eigene neue Vielheit. Wenn man ein Zeitraum-Partikel-Raster benötigt, dann ist dies durch das Ereignis bestimmt. Nichts im neuen Modell zwingt uns, etwas vom alten, das wir wollen, zu verlieren. Mit dem neuen Modell weisen wir lediglich die Annahme zurück, dass Geschehen prädeterminiert und notwendigerweise aus den Einheiten der früheren Ereignisse zusammengesetzt ist. Gewisse Prozesse, die wir später herleiten werden, bilden zwar eine Struktur, aber nichts wird durch eine auferlegte Struktur (deren Ursprung selbst rätselhaft bleibt) notwendig. Das alte Modell besteht ausschließlich aus expliziter Struktur, aus »Information«, die Zeit-Raum-Positionen zugeordnet werden kann. Die meisten Parameter unserer Wissenschaften sind in genau dieser Weise strukturiert, so dass es sinnlos wäre, diese Voraussetzungen zu verleugnen, denn sie sind nicht nur allgemein: sie sind auch der Art und Weise inhärent, wie alles gedacht und aufgeschrieben worden ist. Etwas (z. B. ein Partikel oder ein Körper) existiert im alten Modell dann, wenn es als Zeit- und Raumfüllung definiert wird. Erst dann durchläuft es auch einen oder keinen Prozess. Was »es« ist, wird unabhängig vom Prozess definiert, durch den »es« läuft oder nicht. »Es« ist getrennt von einem System der Veränderungen und Beziehungen, die damit »möglich« sind. Wir wollen hier die Begriffe »Möglichkeit« und »Einschränkung« neu überdenken, das heißt: was »geschehen kann« und was »nicht geschehen kann«. Ein festgelegter Satz an Möglichkeiten kennzeichnet das alte Modell. Was tatsächlich passiert, kann diesen Satz nicht verändern, sondern ihm nur entsprechen. Eine der Möglichkeiten findet eben statt, zum Beispiel das eine Spermium, das es zum Ei schafft. Es ist, als ob es keine echte Differenz gäbe zwischen dem, was geschieht, und gewissen Möglichkeits-Einheiten, außer dass der geschehenden Einheit 128 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Alte und neue Modelle: einige Gegensätze
eine undefinierbare Präferenz zukommt und sich dadurch der festgelegte Satz an Möglichkeiten nicht verändert. Wir wollen hingegen dem Wort »Möglichkeiten« erlauben, auf zwei verschiedene Weisen gebraucht zu werden: nämlich vor und nach »Allem-durch-Alles« und Geschehen. Dann können wir sagen, dass »eine« (bestimmte) »Möglichkeit« in »Allemdurch-Alles« partizipiert. Dann bestand diese Möglichkeit vor »Allem-durch-Alles«, und sie partizipiert darin, aber sie determiniert und limitiert das Geschehen nicht. Rückblickend von diesem Ereignis aus könnte es dann auch einen anderen Satz vorgängiger »Möglichkeiten« gegeben haben, die durch das Ereignis (re)generiert worden sind. In der Quantenmechanik können die Raumzeit- und Partikelsysteme eine Interaktion nicht überdauern. Der Satz an Möglichkeiten, welche die Resultate des Ereignisses im Nachhinein »erklärt«, ist nicht gleich demjenigen Satz, der zuvor da gewesen zu sein schien. Obwohl solche Fälle häufig vorkommen und wichtig sind, werden sie nach wie vor als Anomalien betrachtet. Sie müssen in einer sehr umständlichen Art aufgeschrieben werden, es bedarf merkwürdiger Partikel, die ins Spiel gebracht und wieder herausgenommen werden, damit sie mit der konsistenten Lokalisierung der Relativitätstheorie konform gehen. Können wir ein Modell denken, in dem das tatsächliche Geschehen das System der Möglichkeiten ändern könnte? Natürlich verwenden wir einen statischen Satz an Einheiten, um Voraussagen formulieren zu können. Aber es ist nicht nötig, diese sozusagen »zurückzulesen«. In der Praxis revidieren Wissenschaftler offensichtlich ihre Theorien und Systeme darüber, was möglich ist – sie tun dies rückwirkend, indem sie sehen, was geschieht. In der Praxis gibt es eine Beziehung zwischen einer Version dieser Theorie und einer nächsten verbesserten. Statt innerhalb eines Gleichheitsverhältnisses zu verharren, können wir diese umfassendere Art von Verhältnis als unseren Modellfall betrachten. Das Thema berührt den Kern der Frage: Wie sollen wir ein 129 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
Ereignis denken? Hier denken wir philosophisch darüber nach, das heißt, wir überdenken ein paar grundsätzliche Voraussetzungen unserer Konzepte. Warum sollten wir unser Modell durch die Annahme begrenzen, dass nichts je wirklich passiert? Können wir nicht ein Modell genügend weit entwickeln, dass das Geschehen darin Ordnung und Möglichkeiten kreiert (re-kreiert) statt andersherum?
h-1) Kreuzen, Metapher, Gesetz des Geschehens »Determinanten«, die als vorgängig verstanden wurden und bestimmen, was passiert, werden ihrerseits dadurch bestimmt, dass sie an diesem Bestimmen partizipieren. Wir sehen das gut am Fall einer Metapher. Wir verstehen diese sofort. Wenn jemand sie nicht verstanden hat, können wir sie erläutern, indem wir viele Erklärungen, viele Ähnlichkeiten generieren, auf denen die Metapher beruht, die wir (dann) aufzeigen können und sie von all dem abgrenzen, was wir nicht gemeint haben. Wir sagen, dass sie alle in der Metapher »impliziert« waren, aber sie waren sicherlich nicht als solche vorher schon da. Wir müssen uns ein wenig Zeit nehmen und nachdenken, um sie aus unserem unmittelbaren Verstehen zu generieren und auszuarbeiten. Eine Metapher ist »Alles-durch-Alles«, Ausrichten, Kreuzen. Die Art und Weise, wie wir eine Metapher erfinden (und verstehen) können, kann an dieser Stelle selbst als Metapher dienen: es wurde lange behauptet, dass eine Metapher auf einer präexistenten Ähnlichkeit zwischen zwei verschiedenen Dingen »beruht«. In unserem Modell dagegen ist es die Metapher selbst, welche die Ähnlichkeit kreiert oder spezifiziert. Indem man von A so spricht, als ob es B wäre, werden gewisse Aspekte von A geschaffen, die zuvor so nicht da waren. Die Metapher »wählt« 130 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Kreuzen, Metapher, Gesetz des Geschehens
dieses Merkmal nicht aus einer Liste existierender Merkmale von A aus; es gibt hiervon keinen festgelegten Satz. Eine Person, die eine Metapher formuliert, geht auch nicht durch endlos viele Merkmale, die A erhalten könnten, indem es mit B verglichen wird. Wir drehen die Ordnung um (vgl. Experiencing and the Creation of Meaning) oder genauer, das alte Modell hat die Ordnung umgedreht, und wir drehen sie dem Geschehen entsprechend wieder richtig herum. Ordnung kommt vom Implizieren und Geschehen. Geschehen füllt nicht bloß eine abstrakte Ordnung aus. Das Wort »möglich« bedarf eines komplexeren Gebrauchs. Was im Implizieren und Geschehen möglich ist, ist nicht vorherbestimmt. Gewiss, was geschehen ist, konnte geschehen. Da es geschehen ist, war es möglich. Wir können das umdrehen und sagen: »Was zum jetzigen Zeitpunkt geschehen konnte, geschah. Ich nenne es das ›Gesetz des Geschehens‹.« Wir sollten bemerken, wie sich dadurch die Bedeutung von »können« verändert hat. Alles, was hätte geschehen »können«, tritt in »Alles-durch-Alles« und Geschehen ein und wird dadurch (re)generiert. Rückblickend von diesem Geschehen kann das Wort »können« nur sagen, was das Implizieren und das Geschehen zusammen geschehen lassen können. Möglichkeiten, die das Ereignis im Nachhinein in einer linearen Zeit (re)generiert, müssen nicht die gleichen Möglichkeiten sein, die in das Ereignis eingetreten waren. Kein abstrakter Satz an Möglichkeiten bestimmt, was das Implizieren vorwärts tragen »könnte« – es ist nicht determiniert, weder von vornherein noch im Nachhinein. Wir können deshalb sagen, dass alles, was partizipieren könnte, partizipiert hat, weil »Alles-durch-Alles« keine Zeit in Anspruch nimmt. Welche Aspekte auch immer relevant sein konnten, wurden relevant gemacht. 8 Jetzt, da wir sie im Nach8
In Responsive Order habe ich gezeigt, dass die Beschaffenheit des Ein-
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IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
hinein spezifizieren, sind es Aspekte. Welche Aspekte partizipieren konnten und welche es gibt, wird durch das Geschehen bestimmt und nicht durch ein vorgängiges Schema. In Crossing and Dipping habe ich gezeigt, dass eine Metapher nicht zwei Situationen kreuzt; hingegen kreuzt die eine neue Situation mit der Gebrauchsfamilie dieses Wortes (vgl. Experiencig and the Creation of Meaning und Crossing and Dipping für eine entwickelte Theorie der Metapher). In dieser Hinsicht ist jeder Sprachgebrauch metaphorisch. Was wir in Paraphrase zu Wittgenstein eine »Gebrauchsfamilie« nennen können – unsere gefühlte Bedeutung der vielen Situationen, in denen wir ein Wort gebrauchen können –, kreuzt frisch mit dem Themengebiet oder der Situation, in der wir sprechen. Im Kreuzen öffnen sie sich gegenseitig und generieren mehr als das, was logisch aus beidem zu folgern gewesen wäre. Wenn wir die metaphorische Natur alltäglicher Sprache verstehen können, kommen wir über das »postmoderne Dilemma« hinweg, aufgrund dessen es unmöglich erscheint, irgendetwas zu sagen, ohne in ein metaphysisches Konzept zurückzufallen. Wittgenstein zeigte sehr gut, wie uns solche Konzepte in der Philosophie in die Irre führen, aber er zeigte auch, dass die Sprache nicht von ihnen determiniert ist. Derrida zeigt bereits, dass es nur einen metaphorischen Sprachgebrauch und keinen sogenannt »richtigen« gibt. Er hat stein’schen und des Newton’schen Raumes nicht so grundlegend ist, wie es Interaktionen sind. Es müssen nicht individuierte Referenzpunkte angenommen werden. Diese Annahme schien sogar grundlegender zu sein als die durchgehende Verortbarkeit, aber beides sind reine Vergleichssysteme. Sie müssen nicht über die quantenmechanische Interaktion gestellt werden. Individuierte Referenten verändern sich je nachdem, wie man sie vergleicht, und das hängt wiederum von weiteren Dingen ab, mit denen man sie vergleicht. Ich verleugne solche Referenten nicht. Wir brauchen diese (und sind sie auch in einer merkwürdigen Weise .....). Worauf ich hinweisen möchte, ist, dass sich individuelle Referenten nur dadurch ohne Interaktion verändern, dass man sich einfach auf eine andere Vergleichsgruppe einigt.
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Kreuzen, Metapher, Gesetz des Geschehens
aber nicht recht, wenn er sagt, dass sich die alte Theorie der Metapher mit jeder Metapher wiederholt. Wie Worte gebraucht werden, so hat Wittgenstein überzeugend gezeigt, wird nicht von den Konzepten bestimmt, die die philosophische Analyse hineinliest. Weder müssen wir die traditionellen Anforderungen an die ursprünglich geschriebenen Propositionen geltend machen, noch geraten wir in eine Sackgasse, weil diese unmöglich erscheinen. Stattdessen bemerken wir, dass Computer weder Metaphern interpretieren noch generieren können. Das heißt, dass Alltagssprache und alltägliche Handlungen in Situationen eine komplexere Ordnung als Logik aufweisen. Alltagssprache generiert keine Widersprüche, außer sie wird zuvor auf Logik reduziert. In Metaphern gibt es verschiedene Arten von Wahrheiten. Jedes Wort kann in jeder Situation gebraucht werden, aber was es bedeutet (oder auch nicht), hängt von der Kreuzung ab, die dort entsteht. Wir können jedes Wort für jedes Ding gebrauchen, aber sie kreuzen nur, wie sie kreuzen können. Diese Kreuzung und was dadurch entsteht, ist nicht beliebig. Eine Kreuzung hat eine gewisse Art von Wahrheit. Es geschieht nichts Beliebiges, wenn etwas in der Herausbildung von etwas anderem so funktioniert, dass es verändert und geöffnet wird. Kreuzen ist sehr präzise und generiert genau nur die Bedeutung, die es generiert. Trotzdem öffnet es die logische Determinierung von Bedeutungen, die dadurch schematisiert werden, dass sie in der Schematisierung von etwas anderem mitwirken. Zum Beispiel kann man Zahnbürsten mit Zügen kreuzen. Man könnte sagen: »Ja, ich sehe, eine Zahnbürste hat nur einen Waggon«, oder man könnte sagen: »Sie schütteln uns beide« oder »Es wäre toll, meinen persönlichen Zug zu haben«. Es kann sehr viele Resultate durch das Kreuzen geben, aber sie sind nie beliebig. Zwei Dinge kreuzen nur so, wie sie tatsächlich kreuzen können. Der schlechte Ruf von Metaphern hat damit zu tun, dass 133 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
man zu unüberprüften Schlussfolgerungen verleitet werden kann, falls man eine neue Situation nicht gut kennt. Wenn man beispielsweise Arbeitern sagt, sie haben zum jetzigen Zeitpunkt Kürzungen ihres Gehalts als »bittere Medizin« zu akzeptieren statt einer noch schlimmeren Kürzung später oder wenn die Regierung »Fett« aus dem Wirtschaftssystem schneidet, so dass sie gesundet und mehr Jobs produziert, so wird das von jenen geglaubt, die kein Wissen aus erster Hand und keine Erfahrung in der Wirtschaft haben. So wie Medizin unangenehm sein kann, aber uns Schlimmeres erspart, so wäre auch eine gewisse Politik unangenehm, die dadurch jedoch Schlimmeres abwendet. Ist man wirtschaftlich bewandert, könnte die Metapher etwas von diesem Wissen ans Licht bringen – oder auch nicht. Eine sachkundige Person könnte meinen: »Ja, das Defizit wird größer, weil Zins-Zahlungen die Steuereinnahmen übersteigen« oder: »Nein, Geld aus der Wirtschaft herauszunehmen, wird zu weniger Jobs führen, nicht zu mehr. Wenn Leute weniger kaufen können, dann stagnieren Produktion und Jobs. Cash wird in etwas anderes gehen müssen.« Oder wenn ich Ihnen erzähle, dass Georg, den Sie nicht kennen, ein Elefant ist, dann können Sie nicht wissen, was ich meine. Vielleicht erwarten Sie einen schwerfälligen Gang oder eine ungewöhnliche Größe. Nehmen wir hingegen an, wir hätten über George Washington diskutiert. Dann versteht man, wie Washington über den zankenden Parteien zu stehen schien, weil sein Ansehen so etabliert war, dass er nicht zu zanken brauchte. Natürlich wäre es Unsinn, so etwas über einen Elefanten zu sagen! So sehen wir, dass die Metapher neue Merkmale generiert, und zwar auf beiden Seiten des Vergleichs. Wir müssen beachten, dass »unser Wissen von Elefanten« und »unser Wissen von Georg« beide vorbegrifflich funktionieren. Dieses Beispiel zeigt, was »vorbegrifflich« in meinem Gebrauch bedeutet. Wenn das Wort nur in Übereinstimmung mit einem definierten Begriff gebraucht würde, könnten keine neu134 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Freiheitsgrade
en Merkmale entstehen, keine neuen präzisen Wirkungen durch die Metapher. Stattdessen funktionieren dieses Wort und diese Situation nicht wie definierte Begriffe, obwohl jede menschliche Erfahrung eine Menge impliziter Begriffe enthält. Sprachgebrauch ist aber »vorbegrifflich«, indem wir neue Konzepte entwickeln können, die wir erst im Nachhinein erklären können. Wittgenstein zeigte dies an Hunderten von Beispielen. Keine Metapher und kein frischer Gebrauch von Worten würde entstehen, wenn implizite Konzepte sich im Kreuzen nicht öffnen würden. Würden sie nur wie explizite Begriffe funktionieren, wären alle weiteren Schritte darin konsequenterweise enthalten. Wir bemerken das vor allem, wenn ein Wort in einer neuen Weise gebraucht wird. Denn natürlich gewinnt es immer seine Bedeutung durch diese präzise Wirkung, die entsteht, wenn man es dieser Situation sagt. Unser Modell ist eine Explikation und handelt davon. Es geht um das Verhältnis zwischen Vorbegrifflichem und Begrifflichem oder zwischen Implizieren und explizit geschehendem Strukturieren.
h-2) Freiheitsgrade In der Anwendung des »Alles-durch-Alles« auf die Metapher haben wir eine weitere Grundannahme des alten Modells umgedreht, nämlich die Annahme von begrenzten »Freiheitsgraden«: Je mehr Determinanten es gibt, desto weniger Raum kann es für Neuerung geben. Im alten Modell gibt es nur Begrenzung oder Unbestimmtheit. Zu sagen, dass der Strich des Künstlers auf einer leeren Seite geschehen »konnte«, bedeutet dann nur, dass er durch nichts verhindert wurde. Das alte Modell kann nicht in Betracht ziehen, wie ein solcher Strich als Ergebnis eines »Alles-durch-Alles« entstehen konnte. Determinanten be-
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IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
schränken nicht nur; sie kreuzen auch und wirken im Implizieren von etwas Neuem mit. Ordnung im alten Modell ist lediglich eine Begrenzung dessen, was noch alles passieren kann. Je mehr Ordnung da ist, desto weniger kann passieren. Aber wir machen hier Konzepte für die Ordnung des Implizierens, die weder Struktur noch Unbestimmtheit ist, aber komplexer (more intricate) als jede explizite Struktur. Wir denken darüber im Sinne von »Allem-durchAlles« nach. Die Auswirkung aller Determinanten ist feiner gestaltet als jede einzelne von ihnen. Das alte Modell kennt nur zwei Alternativen: Unbestimmtheit oder Beschränkung. Implizieren ist keines von beiden, es ist bestimmter als eine explizite Struktur, aber, wie wir sahen, auf eine andere Weise. Nach dem alten Modell gilt: Je mehr Determinanten, desto weniger Erneuerung. Wenn etwas völlig determiniert ist, bleiben keine »Freiheitsgrade«. Wir können hingegen »Alles-durch-Alles« anwenden, um zu zeigen, warum mehr Determinanten mehr Kreativität erlauben (Experiencing and the Creation of Meaning hat das bereits demonstriert). Explizite Determinanten bedingen kleinste gemeinsame Nenner. »Alles-durch-Alles« ist aber Implizieren. Wenn es in »Allem-durch-Alles« mehr Determinanten gibt, kreuzen sie und lassen mehr Neuerung entstehen. Mehr Struktur gewährt mehr Vielfalt, das hätte längst bemerkt werden sollen. Wir sehen es um uns herum, entwickeltere Tiere weisen mehr Vielseitigkeit als einfachere auf, und Menschen noch viel mehr. Je mehr eine Person erkannt hat, desto mehr Komplexität bringt sie für das nächste Geschehen mit. Neues wird dadurch schneller verstanden, und es entstehen mehr neue Ideen und Wege des Erkundens. Wir verstehen dies nur, wenn wir Verstehen als Form des »Alles-durch-Alles« erfassen, als Kreuzen all dessen, was wir mitbringen und was zu verstehen ist. Je mehr verschiedenartige Menschen wir gut gekannt ha136 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Freiheitsgrade
ben, desto eher verstehen wir eine weitere Person, selbst wenn sie anders ist als alle, die wir gekannt haben. Das können wir nun erklären. Je mehr Komplexität wir mitbringen, desto mehr kann kreuzen, so dass die Bedeutungen des anderen aus den unsrigen entstehen können. Je mehr Philosophien wir verstanden haben, desto leichter verstehen wir eine weitere, die wir rezipieren, obwohl sie anders sein wird. Je mehr Komplexität ich mitbringe, desto eher können neue Bedeutungen präzisiert werden durch das »Alles-durchAlles«, das ich mitbringe. Zum Beispiel: Pattee 9 versucht in der Biologie mit folgender Anomalie zu Rande zu kommen: »In einer Kontroll-Hierarchie übt die höhere Ebene eine bestimmte dynamische Beschränkung auf die Details der Bewegung der unteren Ebene aus, so dass die schnelle Dynamik der unteren Ebene nicht einfach einem Durchschnittswert entspricht. (…) Das interessante Problem (…) besteht darin, zu erklären, wie diese gewöhnlichen Moleküle (…) solche außergewöhnliche Autorität als Mitglied eines Kollektivs ausüben können.« Pattee sucht nach einer Art von »Restriktion, die nicht einfach Freiheitsgrade einfriert, sondern neue funktionale Beziehungen zwischen ihnen nötig macht«.
Das Beispiel, mit dem er darüber nachdenkt, ist bemerkenswert: »Als isolierte Individuen verhalten wir uns gemäß gewissen Mustern, aber wenn wir in einer Gruppe leben, befinden wir uns in zusätzlichen Zwängen, die von irgendeiner ›Autorität‹ auf uns Individuen ausgeübt wird.« Das zugrundeliegende Modell setzt Individuen voraus, die zuerst da sind und in sich selbst vollständig. Kommen sie in eine Gruppe, dann werden »zusätzliche« Muster auf sie gelegt, die als Restriktionen empfunden werden.
Howard H. Pattee: Hierarchy Theory (New York: Braziller, 1973), S. 77–78.
9
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Soziologen würden das leugnen, weil aber ihr zugrundeliegendes Modell das gleiche ist, führt ihr Leugnen zum entgegengesetzten Fehler. Pattee denkt sich eine Gesellschaft, die zu Individuen hinzuaddiert wird, obwohl längst erkannt wurde, dass Individuen in einer kollektiven Matrix individuieren, so dass Gruppenbezüge tief prägen, was ein Individuum ist. Das wird zur Zeit wiederum so missverstanden, als ob soziale und kulturelle Bedingungen wie explizite Konzepte funktionieren würden – als Restriktionen. Deshalb wird angenommen, dass das Individuum die Kultur nicht überschreiten kann. Tatsächlich stellt die Kultur Lebenswege bereit – die jedoch immer unzureichend sind und immer weiter entwickelt und verändert werden durch jedes Individuum, das sie voranlebt und entwickelt in Weisen, die unmöglich aus den Mustern allein hätten folgen können. Individuen differenzieren sich in und durch die Muster, die die Gruppe bietet. Die Muster funktionieren im »Alles-durch-Alles« in einer implizierenden Komplexität (intricacy), die niemals strukturiert oder getrennt worden ist. Es geht nicht darum, Pattees Darlegung anzugreifen, sondern den Punkt, auf den er hinweist, voranzutragen. Er sucht ein »Konzept der Kontrolle, (das) eine aktivere dynamische Rolle berücksichtigt als die, nur den verfügbaren Raum zu limitieren, in dem sich Materie bewegen kann (…) solche Zwänge (…) können nur zu fixierten Strukturen führen (…) die Schwierigkeit insgesamt ist, herauszufinden, wie Beschränkungen hinzuzufügen sind, ohne alle Freiheitsgrade aufzubrauchen« (ebenda Seite 82–83). Das Rätsel beruht offensichtlich auf dem Modell, nicht auf dem Molekül, das mehr funktionale Beziehungen erlangen kann. (Vgl. Experiencing and the Creation of Meaning: »Je mehr Faktoren einen nächsten Schritt bestimmen, desto mehr Kreativität ermöglichen sie«; siehe Fußnote 5.) Man sollte Raum für »Alles-durch-Alles« und für das Kreuzen lassen, selbst wenn das alte Modell gut zu funktionieren scheint. (vgl. Responsive Order).
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Schematisiert werden durch Schematisieren (»sds«)
h-3) Schematisiert werden durch Schematisieren (»sds«) Ich möchte für das Verhältnis zweier Dinge, die im »Allesdurch-Alles« kreuzen, einen eigenen Begriff einführen. Ich sage, dass jedes von ihnen »schematisiert wird, indem es das andere schematisiert« oder »sds.« »Sds« heißt, dass zwei Dinge im Verhältnis zum je anderen nicht als sie selbst funktionieren, sondern jedes funktioniert als verändert, indem es das andere affiziert. Wenn zwei Dinge kreuzen, dann kreuzen sie nicht als einzelne, denn sie geschehen als Teil eines »Alles-durch-Alles« und als Teil eines Ereignisses. Das nächste Ereignis könnte zwar so aussehen, als ob es nur »ihre« Kreuzung wäre, aber tatsächlich besteht immer ein »Alles-durch-Alles« des ganzen Gewebes (mesh) des Erfahrungsprozesses (vgl. Metapher und Relevanz in Experiencing and the Creation of Meaning). Es gibt keine Grenze, welche die beiden, die kreuzen, vom ganzen Rest trennt, weil jeder Moment und jedes »Ding« eine Komplexität (intricacy) ist (enthält, mit sich bringt, bedeutet, als Komplexität funktioniert .....).
h-4) Die zwei Richtungen des »sds« Es gibt zwei verschiedene Wege, auf denen sich zwei Dinge gegenseitig schematisieren können und dadurch selbst schematisiert werden. Je nach Richtung erhalten wir nicht die gleichen Resultate. Das ist schwer zu begreifen. Es soll im Folgenden gezeigt und auch erklärt werden, warum das wichtig ist. Wenn wir zum Beispiel eine historische Arbeit schreiben und den Elefanten als Metapher für George Washington brauchen, dann kommt etwas anderes dabei heraus, als wenn wir George Washington brauchen, um etwas über Elefanten zu sagen. Im einen Fall steht der Elefant zur Verfügung, um etwas über Washington sagen zu können. (Er verhielt sich wie ein Ele139 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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fant, der so weit über den zankenden Parteien stand, dass er diese nicht einmal wahrgenommen hat, aber dennoch tat er gewöhnlich, was Hamilton wollte.) Im anderen Fall haben wir vielleicht gerade zwei Jahre im Dschungel mit Elefanten gelebt und schreiben darüber unseren Bericht. Nun ist Washington (oder etwas anderes) nützlich, um unser Elefantenerlebnis schematisieren zu können. Offensichtlich bringt das Kreuzen in jeder Richtung neue Aspekte des Gekreuzten hervor, aber auch unterschiedliche je nach Richtung, in der wir kreuzen? Lassen Sie mich hierfür die Begriffe »Vergangenheit« und »Gegenwart« nutzen statt George Washington und Elefant. Dabei wollen wir das Konzept »sds« zuerst nutzen, um das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart zu schematisieren, um dann, in einem zweiten Schritt, damit wiederum »sds« zu schematisieren, indem ich den Begriff »sds« in das »sds-Verhältnis« von »Gegenwart und Vergangenheit« setze. Wie kann uns »sds« behilflich sein, um etwas über Vergangenheit und Zukunft zu sagen? Ja klar, die Vergangenheit funktioniert in der Herausbildung der Gegenwart. Wir können also sagen, die Vergangenheit spielt eine Rolle in der Schematisierung der Gegenwart, und indem sie diese Rolle spielt, wird sie selbst schematisiert (was an der Vergangenheit ist relevant, was funktioniert jetzt?). Was Vergangenheit »ist«, kann nur rückwirkend von der Gegenwart aus definiert werden, denn indem sie die Gegenwart schematisiert, wird sie selbst schematisiert und relevant werden. Wenn man ein vergangenes Ereignis auf Video hat, so verändert sich dieses nicht, aber (und nun hilft uns das »sds«-Verhältnis, Folgendes zu sagen) die Vergangenheit, die immer noch in unseren Körpern arbeitet, wird durch die Gegenwart verändert. Dies kann uns weiter führen: Wie die Vergangenheit auf unser Leben in der Gegenwart einwirkt, kann verändert werden, indem wir in der Gegenwart anders handeln und leben. Dadurch können wir jetzt auch mehr darüber sagen, wie sich 140 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Die zwei Richtungen des »sds«
Körper und Umwelt 3 gegenseitig implizieren. Wir haben dieses Verhältnis in Kapitel I betrachtet. Dort sagten wir, dass sich der Lebensprozess in Umwelt 3 weiter fortsetzt; er setzt sich fort im Spinnennetz sowie im Körper der Spinne. Jetzt können wir sagen, dass der Lebensprozess im »sds-Verhältnis« zur Umwelt 3 steht, d. h. in dieser von ihm schematisierten Umwelt 3 abläuft (nicht in einer Umwelt 3, die vergangen ist und nicht mehr da). Damit sind wir nun in die eine Richtung gegangen, indem wir mit dem »sds«-Verhältnis über Vergangenheit und Gegenwart sprechen konnten. Ja, Vergangenheit und Gegenwart schematisieren sich gegenseitig und werden dadurch auch schematisiert. Können wir dies nun auch in entgegengesetzter Richtung vollziehen? Können wir das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart auch nutzen, um »sds« besser explizieren zu können? Dafür müssten wir sie wieder kreuzen, aber dieses Mal so, dass wir das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart nutzen, um mehr über »sds« sagen zu können: Wäre unsere Theorie bereits geschlossen und würden wir sie nur logisch verwenden, käme bei beiden Richtungen das gleiche heraus, so wie die Straße von Athen nach Theben die gleiche ist wie die Straße von Theben nach Athen. Aber da wir die Konzepte erst bilden (und auch fertige Konzepte jeweils auch wieder experienziell gebraucht werden können), könnte dasjenige, was wir erfahrungsgemäß über Vergangenheit und Gegenwart wissen, mehr enthalten, als wir bis jetzt verwendet haben. Was entsteht, wenn wir diese Erfahrung gebrauchen, um über »sds« nachzudenken? 10 Das Schema »sds« auf das Schema selbst anzuwenden, zeigt, wie alle Konzepte anzuwenden sind (siehe Kapitel VIII). Was ein Schema in seiner Anwendung verständlich macht, ist nicht nur, was darin oder darunter einzuordnen ist. Vielmehr können Aspekte, die durch die Anwendung des Schemas entstehen, das ganze Schema verändern. Das Schema wird durch seine eigene Rolle des Schematisierens weiterhin schematisiert. Einfach gesagt: man muss ein Schema nicht nur anwenden, um zu bemer10
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IV-A · Der Körper, der keine Maschine ist – ein anderes Konzept
Aber natürlich! Jetzt wird es deutlicher. Wie konnten wir dies zuvor nicht gesehen haben? Die zwei Richtungen von Gegenwart und Vergangenheit sind sehr unterschiedlich. Wir sehen nämlich jetzt, dass »sds« in die andere Richtung gar nicht anzuwenden ist. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn man sagt, dass sich Vergangenheit und Gegenwart gegenseitig schematisieren, solange wir damit meinen, dass ihr Kreuzen Aspekte in beiden kreiert. Wir können tatsächlich sagen, dass »die Gegenwart die Vergangenheit schematisiert«, und auch, dass die »Vergangenheit die Gegenwart schematisierte«, aber beides entspricht nach wie vor der gleichen Richtung und der gleichen Sache. Die Gegenwart ist der Artikel, den wir über George Washington schreiben, und beide gewinnen neue Aspekte, indem die Vergangenheit am Konstituieren der Gegenwart partizipiert. Aber in der entgegengesetzten Richtung würde die Vergangenheit jetzt weitergehen; sie wäre der Aufsatz, den wir jetzt schreiben. Die Gegenwart würde nur partizipieren. Die Vergangenheit würde passieren, ablaufen, geschehen. Tatsächlich kann die Vergangenheit die Gegenwart in einem Ausmaß beherrschen, dass wir den Zugang zur Gegenwart verlieren, aber trotzdem bleibt sie Vergangenheit. Es gibt merkwürdige Zeiten, in denen man tatsächlich die Vergangenheit wiedererlebt, aber auch das passiert in der Gegenwart.
ken, was sich in den Begriffen des Schemas sagen lässt. Es wirkt viel stärker, wenn man bemerkt, dass durch die Anwendung des Schemas Aspekte entstehen, die nicht in das Schema passen. Dadurch kann das Schema selbst weiter spezifiziert werden, indem man gerade diese Aspekte verfolgt. Somit denken wir sowohl über den Gebrauch als auch über die Herausbildung konzeptioneller Schemata nach. Ein Schema bildet sich, sobald etwas verwendet wird, um etwas anderes zu schematisieren. Ich lege dies in Kapitel VIII und in der Theorie-Konstruktion (Thinking at the Edge) weiter aus. Natürlich können wir das Modell auf diese Art und Weise verwenden.
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Die zwei Richtungen des »sds«
Wir können also sagen, dass »sds« auf Gegenwart und Vergangenheit anzuwenden ist, aber nur in einer von zwei Richtungen. Darum, ja! Wir können das Verhältnis von VergangenheitGegenwart nutzen, um das Konzept »sds« selbst zu schematisieren. Wir lernen etwas über beides, was zunächst nicht zu bemerken war, als wir »sds« nutzten, um Vergangenheit-Gegenwart zu schematisieren. Nun können wir sagen, in der »sds-Beziehung« geschieht eine Ausdrucksweise (wie eine Gegenwart, die geschieht), sie geschieht-hinein; sie geht darin vor. Die andere Ausdrucksweise ist jene, in der vorgegangen wird (wie in der Vergangenheit). Wenn wir über Elefanten schreiben, dann funktioniert das wie die Gegenwart, und George Washington funktioniert wie die Vergangenheit. Die Worte »schematisiert durch schematisieren« können diese Differenz der Richtung nicht ausdrücken, weil beide nur in eine Richtung geschehen. Aber wir können die Zeit anwenden, um dadurch beide Richtungen zu definieren: Im »sds-Verhältnis« funktioniert ein Begriff in der momentan vor sich gehenden Herausbildung eines anderen Begriffs. Das Resultat von »sds« verändert sich je nachdem, welcher Begriff geschieht und welcher nur am Geschehen des anderen teilhat. Es geschieht zum Beispiel die Gegenwart, aber nicht die Vergangenheit, sie hat aber am Geschehen der Gegenwart teil. Was wir über »sds« und Vergangenheit und Gegenwart bemerkt haben, wollen wir nun in den nächsten Abschnitt mitnehmen.
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Kapitel IV-B: Zeit: Umwelt 2 und Umwelt 3, Geschehen und Implizieren
Für die Entwicklung unseres Zeit-Modells ist es erforderlich, Geschehen und Implizieren mit Umwelt 2 und Umwelt 3 und dem Körper in Beziehung zu setzen, so dass aus ihnen Zeit entstehen kann. Zunächst könnte man meinen, dass die Gegenwart dem Begriff des »Geschehens« entspräche und die Zukunft dem des »Implizierens«. Die Gegenwart scheint auch in Umwelt 2 zu sein und die Vergangenheit in Umwelt 3. All dies ist auf gewisse Weise der Körper. Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit werden sich im Vergleich mit dem alten Zeitmodell beträchtlich verändern, wenn wir die Zeit aus diesen Begriffen heraus konzeptualisieren. Zuvor möchte ich wiederholen, dass die Kapitel I bis V unser grundlegendes Modell sind, eine Alternative zu jenem Modell, das gegenwärtig den meisten Konzepten inhärent ist. Später, in den Kapiteln VI-VIII, werden wir recht spezifische Begriffe für Verhalten, Wahrnehmung und menschliche Prozesse entwickeln. Da Denken und Modelle-Bauen menschliche Prozesse sind, verwenden wir offensichtlich unsere menschlichen Prozesse, um unser Modell zu bauen. Mathematik ist ein sehr menschlicher Prozess, aber wir haben sie nicht als Ausgangspunkt für unser Modell gewählt. Denn ich habe schon gezeigt, wie ein mathematisch ansetzendes Modell vieles auslassen muss, das für Lebendiges überaus wichtig ist. Darum sei hier etwas anderes aus unserem menschlichen Prozess ausgewählt, um zu beginnen. Unser Modell will mit Geschehen und Implizieren beginnen und daraus Wahrnehmung und Objekte herleiten. Wir setzen Geschehen ins Implizieren hinein (carrying for144 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-B · Zeit: Umwelt 2 und Umwelt 3, Geschehen und Implizieren
ward) an den Anfang, und das wird allen anderen Begriffen inhärent sein. Raum, Zeit und Wahrnehmung werden davon ableitbar. Der Körper und seine Umwelt als eine Interaktion stehen in diesem Modell an erster Stelle. Von hier aus können wir die einzelnen individuellen Dinge und Einheiten herleiten. Bislang gibt es in unserem Modell keine Begriffe für einen Raum, in dem Objekte im Prozess oder dem Prozess erscheinen. Wir, die wir das Modell bauen, haben selbstverständlich einen Raum, und wir nehmen Objekte wahr. Wir haben es jedoch vorgezogen, in unserem Modell nicht damit zu beginnen – in der Gewissheit, dass wir später für solche Objekte Begriffe entwickeln werden, denn dann können wir davon sprechen, in welcher Weise wir sie »haben«. In unserem grundlegenden Modell gibt es Objekte nur als fehlende. Sobald sie geschehen und den Prozess vorantragen, sind sie keine Objekte mehr. Der Prozess hat bislang auch noch keine Repräsentation von Zeit, in der er sich selbst als ein fortlaufender erscheint. Natürlich könnten wir sagen, dass »voran«-tragen lineare Zeit erfordert. Aber lineare Zeit ist eine dünne und vereinfachte Ableitung aus dem Prozess. Über viele Aspekte des Mensch- und Tierseins und auch der modernen Physik und Biologie kann überhaupt nicht nachgedacht werden, wenn alles so aufgefasst würde, dass es in simpler linearer Zeit abläuft. Stattdessen wollen wir sehen, welche komplexere Art von Zeit wir aus unserem Modell und dem uns vertrauten menschlichen Prozess herleiten können. Im alten Modell passiert alles einfach nur, nichts hat einen Prozess, der impliziert und vollzogen wird. Unser Modell betont diejenige Art von »Geschehen ins« Implizieren »hinein«, die das eigene Implizieren des Körpers so voranträgt, so dass er seine eigene Sequenz vollzieht (enact). Natürlich haben wir von Anfang an auch die Möglichkeit von Ereignissen eingeräumt, die »ins« Implizieren »hinein geschehen«, ohne dieses voranzutragen (der Baum zum Beispiel, der auf den Biber fällt). Der Hauptunterschied für uns ist derjenige zwischen vorantragen und nicht vorantragen. Dieser Unterschied bestimmt, ob die Ereig145 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-B · Zeit: Umwelt 2 und Umwelt 3, Geschehen und Implizieren
nisse die des eigenen Körperprozesses sind oder nicht. Dafür spielt es keine Rolle, ob ein Betrachter sagt, dass irgendein Ereignis die Einwirkung der Umwelt auf den Körper ist oder umgekehrt. So könnten beispielsweise die Reaktionen anderer Mitglieder der Spezies oder herbeigeschaffte Nahrung als etwas erscheinen, das dem Körper bloß passiert; stattdessen besagt unser Modell, dass solche Geschehnisse zum körpereigenen Prozess gehören und ihn vorantragen. Stolpert ein Tier hingegen und fällt hin, so könnte das wie eine Tätigkeit des Körpers erscheinen, aber wir würden verneinen, dass es des Körpers eigenes Geschehen-in- sein-Implizieren-hinein ist. Da wir Implizieren voraussetzen, können wir fragen, ob ein Geschehen, das ins Implizieren hinein geschieht, es voranträgt oder nicht. Jedes Geschehen passiert in ein Implizieren hinein, aber nur einiges davon trägt den Prozess voran. Was der Betrachter als ein überraschendes neues Ereignis erachten würde, könnte das Implizieren auch vorantragen. Implizieren ist feiner organisiert als irgendein Satz von Geschehnissen. Wir beginnen nicht mit lebendigen Körpern als getrennten Objekten in einer Umwelt (der des Betrachters). Viele KörperTeile haben beispielsweise interne Umwelten. Andererseits impliziert der Körper des Neugeborenen die Brust der Mutter, und der Körper der Mutter impliziert das Saugen des Kindes. Wenn der Säugling nicht an die Brust kommt, wirkt sich das auf diese aus, und sie muss abgepumpt werden. Die eine Stillsequenz impliziert Handlungen von beiden Seiten, um das Implizieren voranzutragen. Beide sind Umwelt füreinander; beide sind »Körper« und »Umwelt«. In unserem Modell gibt es bis jetzt noch keinen Raum für getrennte, schon vorhandene Körper (Umwelt 3), außer sie werden weiterentwickelt in der fortlaufenden Umwelt 2. Auch wenn ein Betrachter denkt, dass die meisten Sequenzen sich wiederholen, habe ich gezeigt, dass eine Wiederholung von jemandem abhängt, der die eine Sequenz mit einer vorhergehenden vergleicht. Intern geschieht der Prozess frisch. Ge146 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-B · Zeit: Umwelt 2 und Umwelt 3, Geschehen und Implizieren
schehen in das Implizieren hinein ist eine Veränderung. Von diesem Veränderungsprozess aus können wir Gleichbleibendes und Wiederholung als eine besondere Art der Veränderung herleiten. Implizieren ist immer Teil eines Geschehens; Geschehen beinhaltet immer Implizieren. Sie können nicht voneinander getrennt werden. Alles Geschehen ist als Geschehen ins Implizieren hinein aufzufassen. »Geschehen ins Implizieren hinein« ist ein einziger Begriff. Es kann das Implizieren vorantragen. »Vorantragen« ist ebenfalls als ein Begriff zu verstehen. Implizieren und Geschehen sind zwei Stränge eines körperlichen Prozesses. Wichtig ist: Es sind nicht drei. Zählen Sie nicht die Vergangenheit dazu. Implizieren mag eine Art Zukunft sein und Geschehen eine Art Gegenwart, aber wir wollen unserer Auffassung von Zeit erlauben, sich mit diesen Konzepten zu entwickeln. Dadurch werden wir sehen, dass es sich nicht um die gewöhnliche Art von Zukunft und Vergangenheit handelt, und wir werden zusätzlich merken, inwiefern Vergangenheit etwas anderes ist (obwohl sie in diesen beiden funktioniert). Da Implizieren Bestandteil des Geschehens ist, scheint daraus zu folgen, dass geschehen muss, was impliziert ist. Aber es geschieht nicht; es wird nur getragen oder vorangetragen durch das, was geschieht. Das Implizieren ist Bestandteil des Geschehens, aber was impliziert ist, geschieht nicht. Was impliziert ist, ist auch nicht das nächste Geschehen. Implizieren ist komplexer (intricate) als jedes Geschehen. Deshalb ist Implizieren nicht »die Zukunft« im Sinne von »was wird als Nächstes geschehen«. Es ist komplexer geordnet, als ein Geschehen geordnet sein kann, und dennoch ist es unvollständig. Wie beim Lamm an der Klippe trägt die eigene Sequenz des Körpers das Implizieren weiter, wenn das Körper-Umwelt-Geschehen impliziert »war«. Aber es gibt keine getrennte Aufzeichnung dessen, was impliziert »war«. Das Implizieren ist dem Prozess zugehörig und bleibt nicht bestehen; es wird nicht zur 147 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-B · Zeit: Umwelt 2 und Umwelt 3, Geschehen und Implizieren
Vergangenheit. Implizieren kann nicht Vergangenheit werden (außer in den Aufzeichnungen von jemandem). In einem linearen Modell sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft durch ihre Positionen auf einer Zeit-Linie bestimmt. Mit Ausnahme ihrer Position sind alle drei gleich. Geht man von Beschreibung und Definition eines Ereignisses im alten Modell aus, kann nicht unterschieden werden, ob es Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft ist (Kant sagte, die Zeit eines Ereignisses ist nicht darauf geschrieben). Im alten Modell unterscheiden sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur hinsichtlich ihrer Position. Dagegen sind im Modell, das sich hier entwickelt, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sehr unterschiedlich. Uns ist es ernst damit, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft aus ihrem jeweils unterschiedlichen Funktionieren herzuleiten. Wir fassen sie nicht primär als Positionen auf. Etwas ist Vergangenheit, Zukunft oder Gegenwart je nachdem, wie Geschehen ins Implizieren hinein funktioniert. (Diese Vergangenheit und diese Zukunft sind die innere Kontinuität des körpereigenen Prozesses.) Das Implizieren wird nicht zur Vergangenheit, wie wir annehmen müssten, wenn wir von der linearen Zeit ausgehen, in der sich jemand an etwas erinnert. In unserem Modell ändert sich das Implizieren, wenn der Prozess vorangetragen wird, aber es bleibt immer ein Bestandteil des fortlaufenden Geschehens. Gäbe es kein fortlaufendes Implizieren, dann hätte kein Geschehnis mit einem anderen zu tun. Wäre jedes Geschehen reine Gegenwart, gäbe es nur es selbst, ohne seine eigene Kontinuität, seine Ordnung und seine Verbindungen. Offensichtlich ist diese Art bloßer Gegenwart künstlich. Alle internen Verbindungen sind daraus entfernt. Sie werden in einen externen Beobachter ausgelagert. Wie Kant meinte, muss der Betrachter die Ereignisse in Beziehung setzen, indem er sich erinnert und die Vergangenheit zur Gegenwart bringt. Wenn man sich nicht an 148 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-B · Zeit: Umwelt 2 und Umwelt 3, Geschehen und Implizieren
die letzte »1« erinnert, würde man nicht 1,2,3,4, sondern nur 1,1,1,1 erhalten. Wenn wir mit linearer Zeit beginnen, schneiden wir alles künstlich in positionale Einheiten und verunmöglichen, dass etwas seine eigene Aktivität hat. Vielleicht hat tatsächlich nicht alles seine eigene Aktivität, aber warum sollten wir uns von Anfang an für ein Modell entscheiden, von dem aus es unmöglich wird, über irgendetwas nachzudenken, das seine eigene Aktivität hat? »Seine eigene Aktivität« – das heißt, es hat sein eigenes Implizieren, in das hinein es geschieht. »Seine eigene Aktivität« heißt »vorantragen«. Unsere Anfangsunterscheidung verläuft zwischen Ereignissen, die vorantragen, und jenen, die es nicht tun. »Seine eigene Aktivität« ist immer sowohl Geschehen als auch Implizieren. Leben wir mit Pflanzen und Tieren, dann können wir sehen, wie sie ihre eigene Aktivität haben. Wir neigen aber dazu, in eine Stadtphilosophie zu verfallen, in der nur Menschen und Steine vorkommen. Dann scheint es so, als ob nur die »Sprachgemeinschaft« den bedeutungslosen Objekten Bedeutung zuschreibt, so wie Brandom das »Aufklärungsdenken« charakterisiert 11 . Weil wir uns jedoch im Kontinuum mit lebendigen Dingen befinden, können wir gar nicht umhin zu bemerken, dass auch andere Wesen Bedeutung »zuschreiben« (fühlen, sind, implizieren, vollziehen [enact] .....) und Zeit generieren (und dass auch wir so fühlen, sind, implizieren, vollziehen . . . . . ) wie sie. Darum haben wir allen Grund, ein Modell zu entwerfen, mit dem wir über etwas nachdenken können, das seine eigene Aktivität ist. Später wiederum können wir Dinge davon abgrenzen, die das nicht tun. Wenn wir unser Modell anfänglich umfassender ansetzen, können wir Begriffe für Verhalten und menschliche Prozesse generieren und auch für die Fossilien, die jetzt in den Steinen Brandon, R. B.: Making It Explicit (Cambridge: Harvard University Press, 1994), S. 661.
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IV-B · Zeit: Umwelt 2 und Umwelt 3, Geschehen und Implizieren
sind, und für die Art von Zeit, von der uns die Paläontologen berichten. Wir werden Begriffe generieren, die sagen können, wie Menschen Zeit auf eine Weise haben (projizieren, fühlen, leben .....), die Tiere nicht haben, und wie sich Tiere wiederum ängstigen können, wie es Pflanzen wahrscheinlich nicht können. Wir wollen daher zuerst einmal eine Zeit zulassen, die keine vorgestellte Zukunft und keine Erinnerung der Vergangenheit ist. Auch Pflanzen haben beispielsweise eine Vergangenheit, aber nicht, weil sich jemand an sie erinnert. Was geschieht, bezieht (inkorporiert, nutzt, regeneriert, lebt) die Körper-Umwelt 3 der Pflanze ein, und diese ist als Ganze ein Produkt. Sie ist also, was wir (in vorgestellter oder erinnerter Zeit) ihren »früheren« Prozess nennen. Diese Körper-Umwelt 3, in der die Pflanze lebt, ist jedoch nicht eine getrennte und erinnerte Vergangenheit. Sie ist der regenerierte Körper, jetzt. Wir Menschen haben beide Arten von Vergangenheit, aber auch unsere Fähigkeit, Erinnerungen zu haben, hängt davon ab, dass unsere Körper unsere regenerierte Vergangenheit sind. Unsere Erinnerungen sind nicht schwebende Bilder oder getrennte Aufzeichnungen; sie können sich nur bilden, weil unsere gegenwärtigen menschlichen Körper auf physische Weise auch Vergangenheit sind. Wenn ich einen Gedächtnisverlust erleide, weil mir jemand auf den Kopf geschlagen hat und mir meine Brieftasche und meine Identitätskarten gestohlen hat, während ich in Kalifornien war, und wenn ich dort ein neues Leben unter einem anderen Namen führen würde – was macht aus, dass ich meine Vergangenheit nicht verloren habe? Die Vergangenheit ist der Körper. Er trägt die Narben meiner Kindheitsverletzungen. Er hat den »Kater« von letzter Nacht. Er hat (ist .....) meine vergangenen Erfahrungen und auch die meiner Rasse und Spezies. Mit ähnlichen Leuten würde ich ähnliche Lebensfehler machen wie diejenigen, die ich hier mache. Körperliche Prozesse geschehen nicht nur »im« Körper (wie man sagt), als ob der Körper ein statischer Behälter wäre, 150 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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eine alte Bühne für neue Ereignisse. Der größte Teil des Körpers muss kontinuierlich frisch regeneriert werden. Sobald der Blutkreislauf aufhört, zerfällt er. Haare und Knochen halten länger. Es gibt unterschiedliche Grade der Haltbarkeit für unterschiedliche Teile in künstlichen Umgebungen ohne Bakterien, wie z. B. Alkohol. Lebend jedoch wird der Körper ständig regeneriert. Sobald er tot ist, setzt eine andere Art von Veränderung ein, die ihn nicht als den »gleichen« belässt. Unsere Prozess-Konzepte können herleiten, wie etwas dazu kommt, »gleich« zu bleiben, was ja anscheinend nur so viel heißt wie in der Zeit zu bestehen. Der sich verändernde Körper generiert aber eine Zeit, in der er sich als »gleicher« neu erschafft. Der Körper bleibt nicht einfach in einer erinnerten und verglichenen Zeit bestehen. Er bleibt nicht nur bestehen. Wenn schon, dann besteht er vor allem in einer Zeit, die seine eigene Veränderung generiert. Die Vergangenheit wird fortgesetzt, so, wie man eine Situation oder eine Diskussion oder ein Theaterstück fortsetzen könnte. Dies geschieht, indem man die Vergangenheit »mitnimmt« und verändert, wie ein momentaner Satz oder eine Handlung es tun. Die Vergangenheit ist im gegenwärtigen Geschehen; dies ist eine Veränderung der Situation, in der man handelt. Umwelt 3 ist nicht nur der Körper, sondern die ganze selbstgemachte Umwelt. Wenn wir in einer Situation handeln, dann gestalten wir sie um, aber nicht zu irgendeiner anderen Situation. Nein, eine gute Handlung »rettet die Situation«. Sie ist immer noch die »gleiche«, aber nicht, weil sie sich nicht verändert hat. Es verhält sich wie bei menschlichen Institutionen (zum Beispiel bei der Universität von Chicago seit 1890): sie bleiben gleich, obwohl es neue Leute gibt, welche die »gleichen Funktionen« anders und auf eine neue Weise verrichten. Und das gilt auch für die Gebäude, die durch die Hausmeister unterhalten und die periodisch umgebaut werden. Wir haben gesehen, dass es Grade der Abtrennbarkeit in Umwelt 3 gibt: der gefällte Baum des Bibers, die Universitäts151 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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gebäude, die Schale des Weichtiers, solange es darin lebt, unsere Haare, die Kleidung einer Person und ihr Haus. Aber in unserem bislang nur »grundlegenden« Modell haben wir für solche komplexen Dinge noch keine Begriffe, wir haben nur einen Prozess, der die Art von Zeit generiert, in der diese Dinge möglich sein werden. Als Umwelt 3 muss der Körper als Umwelt 2 weitergelebt werden. Seine »Vergangenheit« kann nicht getrennt oder statisch sein. Anders als bei einer Maschine, zum Beispiel bei einem Auto, kann der Körper nicht in einer Garage auf vier Ziegeln trocken gehalten und geölt werden, ohne dass er läuft. Wenn der Körper nicht »läuft«, stirbt er und löst sich auf. Ohne einen fortlaufenden Prozess hat man auch keinen Körper. Dieser bemerkenswerte Umstand zeigt uns, dass der gegenwärtige Prozess den Körper als Produkt neu schafft und dass sich dies unterscheidet von etwas, das wir machen, zum Beispiel eine Maschine oder einen Stuhl. Wenn wir ein Auto reparieren oder einen Stuhl aufpolstern, können wir diese Aufgabe entweder fertig machen oder in der Mitte aufhören. Wir können den Stuhl eine Weile halbfertig stehen lassen. Der Lebensprozess, für den wir hier ein konzeptionelles Modell bauen, kann nicht für eine Weile aufhören. Menschliches Machen ist ein sehr anders gearteter Prozess 12 . Wir leiten dieses »Machen« in Kapitel VII-A her. Siehe hierzu auch meine Herleitung zur Maschine in Responsive Order. In unserer Wissenschaft sieht es so aus, als ob alles aus bestehenden Teilen gemacht wäre. Aber nicht allein Holz oder Metall »machen« die Stühle, und ein gerader Stuhl entwickelt sich nicht von selbst in ein Sofa. Muster und positionale Zeit entstehen zusammen. (Wir sehen dies in Kapitel VII.) Das Muster des Stuhls kann getrennt bestehen und von außen aufgesetzt werden. Das Holz kann brechen und die Nägel können rosten, aber das ist nicht immer nur positionale Zeit. Physik braucht eine komplexere Zeit. Siehe A Critique of Relativity and Localization. Unbelebte Dinge bestehen auch nicht einfach in positionaler Zeit (zu einem reflektierten Umgang mit Raum und Zeit siehe Steven M. Rosen: Science, Paradox and the Moebus Principle (Albany: SUNY Press, 1994).
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Umwelt 3 wird dauernd regeneriert; der Körper kann nicht nur Umwelt 3 sein. Er muss sich verändern – er muss ein existierendes Ding sein, eine Konkretheit, eine Art Gegenwart. Das könnte auch über den aufgepolsterten Stuhl gesagt werden – die Vergangenheit wäre dann der existierende Stuhl, der aufgepolstert und verändert wird. Aber beim Stuhl können diese beiden Aspekte auseinanderfallen. Der Polsterer kann kurzfristig oder ganz aufhören zu arbeiten; der Stuhl bleibt bestehen. Im lebendigen Prozess bleiben diese beiden Aspekte zusammen, und wenn nicht – wenn die gegenwärtige Veränderung aufhört –, löst sich auch das Produkt der Vergangenheit auf oder es verändert sich sehr stark. Der vergangene Umwelt 3-Körper löst sich auf, wenn er nicht durch Umwelt 2 fortgesetzt wird. Wir wollen die Konzepte für Umwelt 2 und Umwelt 3 so entwickeln, dass dieser bemerkenswerte Umstand klar hervortreten kann. Wir wollen sie so entwickeln, dass dies aus ihnen herzuleiten ist. Wir können sagen, dass der gegenwärtige Prozess im Körper weitergeht und der Körper im Prozess ist (wie wir bereits zeigten, kann das Wort »in« in beiden Richtungen verwendet werden). Der gegenwärtige Prozess geht im Umwelt 3-Körper weiter, den er regeneriert und verändert hat. Darum sagten wir in h-3), dass die Gegenwart in der schematisierten/schematisierenden Vergangenheit geschieht, d. h. nicht in der schon-verschwundenen Vergangenheit. Der Prozess ist eine sich regenerierende Umwelt 3. Er setzt sich in seiner Umwelt 3 fort, er geht dort vor sich. Wir sagen das gleiche, aber es klingt merkwürdig, wenn wir sagen: »Der Prozess geht die Umwelt 3 weiter«. »Weitergehen« ist eine transitive Wendung (going on); es bedeutet »etwas Zu einem Modell, das ähnliche Vorteile wie unseres bietet, aber den linearen-atomistischen Modellen noch ähnlicher ist, vgl. Bickhard, M. Zur physiologischen Evidenz, dass ein organismischer Prozess nicht nur etwas ist, das einem Körper zustößt, und dass Wahrnehmung nicht an erster Stelle kommt, siehe R. D. Ellis: Questioning Consciousness (Amsterdam/Philadelphia: John Benjamins, 1995), S. 51–55.
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IV-B · Zeit: Umwelt 2 und Umwelt 3, Geschehen und Implizieren
weitergehen lassen«. Der Prozess lässt den Umwelt 3-Körper weitergehen. Es klingt akzeptabel, wenn wir sagen, die Gegenwart geht »im Kontext der« Vergangenheit weiter, aber wir müssen den Kontext meinen, den sie regeneriert. Der Prozess geht weiter – nicht in dem Kontext, der war (und nicht mehr da ist als Kontext, in dem fortgesetzt wird), sondern in dem Kontext, der dadurch verändert wird. Dieses Prinzip wird viele Anwendungen finden. So werden zum Beispiel Reflexion und Explikation häufig so aufgefasst, als ob sie nur ein Zurückschauen wären, als ob die Vergangenheit dabliebe, so dass man zu ihr zurückschauen könne. Später dann werden wir Erinnerung herleiten, aber Erinnerung ist natürlich nur möglich aufgrund des geschehenden Körpers. Sie ist nur möglich, weil der gegenwärtig geschehende Körper ein Regenerieren (oder Weiterfortsetzen) dessen ist, was er war. Ein solches Verstehen von Reflexion und Reflexivität wird sich vielerorts als sehr wichtig erweisen. Die andere Richtung von »in« führt zum gleichen Ergebnis: Der vergangene Körper funktioniert in der Gegenwart. »In« etwas »zu funktionieren« bedeutet, verändert zu werden. Etwas verändert sich, wenn es in der Herausbildung von etwas anderem funktioniert. Wir sahen dies am Fall der Metapher. Unser Konzept dafür war »sds« (Kapitel IV-A.h). Etwas funktioniert nicht nur als es selbst, sondern als bereits schematisiert durch die Rolle, die es im Gestalten der Gegenwart spielt. Wie die Vergangenheit in der Gegenwart funktioniert, übertrifft bei weitem, was sie nur als Position in der linearen Zeit war oder auch in den Aufzeichnungen von jemandem. Wie vergangen vergangene Erfahrung ist, hat mit der Art dieses Funktionierens zu tun. Darum ist Umwelt 3 nicht nur die Vergangenheit, nicht einfach vorbei, sondern sie »wird weitergegangen« durch einen gegenwärtigen Prozess (nicht der vergangene Kontext wird »weitergegangen«, aber jener Kontext, der regeneriert wird durch den gegenwärtigen Prozess, der ihn weitergehen lässt). 154 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-B · Zeit: Umwelt 2 und Umwelt 3, Geschehen und Implizieren
Der gegenwärtige Prozess geht im Umwelt 3-Körper vor sich, aber es wäre unsinnig zu sagen, dass der gegenwärtige Prozess in der Vergangenheit vor sich geht! Der Umwelt 3-Körper ist derjenige, der durch die Gegenwart fortgesetzt wird. Am Ende von Kapitel IVA sprachen wir von einer »Vergangenheit«, auf die »sds« anzuwenden ist. »Sds« bedarf keiner Aufzeichnung. Die schematisiert-schematisierende Vergangenheit geschieht nicht separat, nicht einmal auf einer Aufzeichnung. Es ist nur so, dass das, was geschieht, nicht so sein würde, wie es ist, wenn nicht die Vergangenheit eine Rolle in der Herausbildung dessen spielen würde, was geschieht. Vieles aus Ihrer Vergangenheit ist beispielsweise ein Teil davon, was jetzt geschieht, auch ohne Erinnerungen. Die Vergangenheit ist immer am spezifischen Gewebe der Gegenwart beteiligt. Es ist die jetzt schematisierende-schematisierte Vergangenheit. Wenn Vergangenheit nur als unveränderliche Ereignisse in einer linearen Vergangenheit betrachtet wird, kann man viele wichtige menschliche Phänomene nicht begreifen. Die in der Gegenwart fortgesetzte Vergangenheit ist zu viel mehr fähig als die fixierte-fotografierte Vergangenheit einer Aufzeichnung. Nein, wir müssen die linear aufgezeichnete Zeit aus dem körpereigenen Prozess herleiten (von dem sie eine Vereinfachung ist). Umwelt 3 funktioniert als eine Vergangenheit in der Gegenwart. Wir werden dieses Konzept brauchen. Und Implizieren ist eine Zukunft, die in der Gegenwart ist. Wenn aber Vergangenheit und Zukunft im gegenwärtigen Geschehen sind, scheinen wir folgern zu müssen, was wir nicht wollten: eine vollständige und selbstgenügsame Gegenwart, so dass es eigentlich keine Zeit gibt, nur verschiedene Aspekte gegenwärtigen Funktionierens. Dann könnte es so aussehen, als ob die Gegenwart keine Verbindung zu einer Zukunft, die noch nicht da ist, hat und auch nicht zu einer Vergangenheit, die schon nicht mehr existiert. Nein, da ist eine Verbindung. Später werden wir entwickeln 155 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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können, wie ein Körper sich erinnern und solche Verbindungen tatsächlich haben kann. Aber ohne weiterentwickelte Begriffe hierfür können wir die Verbindung nur von außen, als Betrachter, feststellen. Was nicht mehr geschieht, ist jedoch verbunden mit dieser neuen und unterschiedlichen schematisiert-schematisierenden Umwelt 3-Vergangenheit, die als Teil des fortlaufenden Körpers funktioniert. Und was passieren wird – wenn es passiert –, wird in dieses fortlaufende Implizieren hinein geschehen. Aber was geschehen wird, ist nicht das Implizieren, und was nicht mehr länger geschieht, ist nur durch die Art und Weise erhalten, wie es jetzt funktioniert. Zum Beispiel: Was wirklich ein historisches Ereignis war, wird erst rückwirkend bestimmt, nämlich dadurch, wie nachfolgende Ereignisse seine Bedeutsamkeit entwickeln. Der Bosnische Krieg ist ein Teil dessen, was der Zusammenbruch der österreichischen Monarchie »war«. Das Ereignis dieses Zusammenbruchs schematisiert und wird schematisiert von gegenwärtigen Ereignissen. In etwas anderer Weise brauchen wir unser Modell, damit es uns erlaubt zu denken, wie unser gegenwärtiges Leben die Vergangenheit verändern kann; wir müssen fragen können: Welche Art von Leben verändert die Vergangenheit und welche nicht? Wie die Vergangenheit einer Person schematisiert und eben dadurch schematisiert wird, entspricht nicht genau der Art und Weise, wie historische Ereignisse dies tun. Und selbst unser Modell entwickelt sich rückwirkend in nochmals anderer Art. Aber all das unterscheidet sich von der Art, mit der die Sowjet-Enzyklopädie es handhabt – durch Lügen. Diese Unterscheidungen benötigen später weiteres Spezifizieren, und wir werden dazu in der Lage sein, weil unser »grundlegendes« Modell uns befähigt, Vergangenheit-in-der-Gegenwart zu denken, statt alles einer Art von Zeit unterzuordnen, die nur aus Schnitten zwischen unterschiedlichen linearen Positionen besteht. Die Umwelt 3-Vergangenheit und die Umwelt 2-Gegenwart sind ineinander verschränkte Begriffe (interlocking terms). 156 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Ein Ereignis (ein Geschehen) betrifft beides; es sind nicht zwei Ereignisse zusammen. Der Körper ist sowohl Umwelt 3 als auch Umwelt 2, aber nicht als zwei Körper zugleich. Sich Fortsetzen ist kein halbes Ereignis; es ist schon das ganze Ereignis. Was fortgesetzt wird (die schematisierte-schematisierende Umwelt 3-Vergangenheit), ist dasselbe ganze Ereignis. Damit sind »verschränkte Begriffe« definiert. Sind zwei Begriffe verschränkt, sind sie offensichtlich nicht dieselben. Sie sind zwei verschiedene Stränge ein- und desselben Interaktionsprozesses. Die durch das Leben fortgesetzte Umwelt 3-Vergangenheit bleibt nicht in derselben Weise bestehen, wie es eine leere Muschelschale tut. Es kann Jahre dauern, bis diese sich im Ozean zersetzt, aber dies ist eine Zeit, die nicht die Muschel generiert. Das langsame Wasser, das Löcher in die Muschel wäscht, ist nicht die eigene Veränderung des Tiers. Es gibt im lebendigen Weichtier kein Implizieren für diese Löcher. Auch eine Vergangenheit des in Alkohol eingelegten Tiers generiert nicht seine Zeit. Wie unbelebte Prozesse Zeit generieren, ist anders, aber auch sie generieren Zeit. Unser Modell hat auch größere Kapazitäten für neue Konzepte, die diese Prozesse betreffen (siehe A Critique of Relativitity and Localization und Fußnote 8). Wir wollen auch hier nicht annehmen, dass sie nur in der schon generierten, festgelegten positionalen Zeit des Beobachters geschehen können. Wir haben also die Verschränkung von Vergangenheit und Gegenwart betrachtet. Die Gegenwart hat aber auch ein verschränktes Verhältnis mit der Zukunft (Implizieren), wobei wir schon gezeigt haben, dass Implizieren nicht die lineare Zukunft ist, die als nächstes Gegenwart und dann Vergangenheit wird. Das Implizieren ist nicht das Geschehen, das gleich sein wird, und es wird zu keinem Implizieren, das war. Wir gewinnen eine komplexere Zukunft durch die Art und Weise, wie Implizieren im Prozess funktioniert. 157 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Wenn ein Geschehen voranträgt, dann ist das Geschehen eine Veränderung im Implizieren. Der Körper, der geschieht, ist dieses Verändern des Implizierens. Wir können also nicht sagen, dass das Implizieren durch das nächste Geschehen ausgeführt (vollzogen, geschehen) wird, sondern es wird vorangetragen. Das Geschehen verändert das Implizieren in ein verändertes Implizieren. Da die ganze Sequenz in jedem Geschehen impliziert ist und da an jedem Punkt ein unterschiedliches »Nächstes« impliziert ist (wie in unserem Beispiel mit der Spinne), ist die Sequenz an jedem Punkt neu, wie oft der Betrachter die Sequenz auch gesehen haben mag. Die Entdeckungen der modernen Physik zeigen, wie Ereignisse, die geschehen, ihr eigenes Raum-Zeit-System generieren können und wie sie auch aus dem Ereignis ihr eigenes neues System »vorgängiger« Möglichkeiten »rückwirkend« generieren (vgl. A Critique of Relativity and Localization). Es gab dafür bislang keine guten konzeptionellen Modelle. Die Konzepte, die wir hier entwickeln, können für dieses Problem hilfreich sein. Später werden wir die Muster des Beobachters generieren, aber unser Modell muss uns zuerst zu denken erlauben, wie ein Prozess sein eigenes Implizieren seiner eigenen verändernden Sequenz hat. In einer solchen Sequenz können Ereignisse (Interaktionen) nicht allein geschehen. Geschehen ist ein Hinein-Geschehen in ein verändertes Implizieren, dessen Veränderung es ist. Das ist eine andere Art von Kontinuität. Auch ein mathematischer Raum hat keine Lücken. Aber dessen Kontinuität besteht aus der bloßen Tatsache, dass zwei Punkte, egal wie nah sie sich sind, dennoch unendliche viele Punkte zwischen sich haben. Trotzdem wird angenommen, dass jeder infinitesimale Punkt für sich alleine besteht, ohne eigene Beziehungen zu anderen Punkten (der Betrachter fügt die Beziehungen hinzu.) Nur der Impuls ist derjenige Parameter, der an die aktive Kontinuität von Bewegung herankommt, aber man kann ihn nur messen, wenn
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man ein Raum-Zeit- und Punkt-Verortungssystem aufgibt, das über die Veränderung hindurch das gleiche bleibt. Vom Impuls her verstehen wir, dass unbelebte Prozesse ebenfalls eine Kontinuität des Geschehens haben und auch eine Art der Zukunft, die im Geschehen funktioniert und nicht nur die Kontinuität prädefinierter Positionen in einem vorgestellten Raum oder einer vorgestellten Zeit ist. In der alten Physik wurde gesagt, dass ein sich bewegender Körper einen Impuls »hat«. Der Körper konnte schließlich anhalten und der gleiche Körper ohne Impuls sein. In der heutigen Physik funktioniert das nicht mehr. Gemäß unserem Modell ist der Körper ein Implizieren, das durch sein Geschehen verändert wird, so dass er nicht aufhören und der »gleiche« Körper bleiben kann. Wir sahen bereits, dass der Prozess nicht aufhören kann, als ob der Körper nur der Umwelt 3-Körper sein könnte. Der Umwelt 3-Körper ist auf verschränkte Weise ein einziges Ereignis mit seinem Geschehen. Jetzt sehen wir, dass das Geschehen des Körpers auch mit dem Implizieren verschränkt ist, in das hinein es geschieht und dessen Veränderung es ist. Geschehen ist beides, aber wir wollen behutsam sein und diese beiden Arten von Verschränkung nicht vermischen oder für identisch erklären. Sie funktionieren auf sehr unterschiedliche Weise, und wir leiten Zeit davon ab, wie sie funktionieren. Der Körper geschieht in der Umwelt und als die Umwelt. Die schematisiert-schematisierende Körper-Umwelt 3-Vergangenheit ist der umwelthaft geschehende Körper. Andererseits ist das Implizieren nicht gleich Umwelt, es ist nicht das, was geschieht (es wird nur durch das Geschehen getragen oder vorangetragen). Zum Beispiel: Hunger impliziert ja so etwas wie Ernährung. Diese geschieht jedoch nicht. Im Hunger geschieht Ernährung nicht auf irgendeine implizite, versteckte Weise. Hunger ist nicht versteckte Ernährung. Hunger ist ein momentanes Geschehen, aber er ist ganz anders als Ernährung. Wenn er längere 159 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Zeit fortdauert, bringt er große Veränderungen mit sich (einen aufgeblähten Bauch, zum Beispiel), die ganz anders sind als Veränderungen, die die Ernährung bewirkt. Der schematisiertschematisierende Umwelt 3-Körper ist der Körper, der geschieht, nicht der implizierte Körper. Der implizierte Körper ist mehr als irgendein Geschehen, und doch ist er nicht das, was geschieht. Wenn wir Konzepte für menschliche Prozesse herleiten wollen, dann wird es uns helfen, dass unser Modell sogar dramatische und furchtbar aussehende pathologische Bedingungen (wie den beim Hungern aufschwellenden Bauch) so begreifen kann, dass diese als Implizieren einer fehlenden Prozess-Wieder-Aufnahme angesehen werden können, die ziemlich gesund wäre. Pathologisches Geschehen kann (in sich) ein recht positives Implizieren tragen (das es unverändert hält). Was implizit ist, kann niemals das gleiche sein wie ein explizites Geschehen. Implizieren ist nie das, was explizit geschieht. Implizieren hat die gesamte Komplexität des Geschehens, die ganze Komplexität dessen, was schon je geschehen ist, aber es ist eine komplexere Ordnung. Da es vom Geschehen getragen ist, können wir auch sagen, dass Geschehen immer komplexer ist als das, was es explizit ist. Weil es das Implizieren trägt, geschieht mehr, als geschehen ist. Was geschieht, ist eine neue Herausbildung, sie kann für den Beobachter bekannt oder ungewohnt sein. Ernährung zum Beispiel ist dem Beobachter vertraut, aber auch intravenöse Ernährung würde den Prozess vorantragen. In der Natur findet sich eine wundervolle Bandbreite von Ernährungsformen. Implizieren impliziert »irgendeine Art« von Vorantragen, aber nicht jede beliebige. Was in einem »gewöhnlichen« Prozess voranträgt, ist für das jeweilige Implizieren genau so neu wie intravenöse Ernährung. Implizieren ist immer offen, und was in es hinein geschieht, ist nicht damit gleichzusetzen. Die gewohnte Sichtweise des Betrachters kann das Implizieren armselig erscheinen lassen. Wenn etwas Heilsames und Kreatives passiert, 160 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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können wir jetzt aber zu Recht sagen, dass das im eigentlicheren Sinn impliziert »war« als das gewöhnliche Geschehen. 13 Von hier aus können wir wieder sehen, dass das, was impliziert ist, nicht nur ein Geschehnis ist. »Es« ist kein einzelnes etwas, aber eine komplexere (more intricate) Ordnung als diejenige, die in der Umwelt geschehen kann. Aber Implizieren ist immer unvollständig. Neuerung geschieht, indem Umwelt ins Implizieren hinein geschieht. Der neue Schritt ist tatsächlich impliziert, aber er existiert als solcher nicht im Implizieren. Der neue Schritt existiert nicht im Implizieren. Er existiert nicht, bis die Umwelt in das Implizieren hinein geschieht und es voranträgt. Nur indem die Umwelt das Implizieren voranträgt, generiert er sich. Das, was so funktioniert, wie wir gerade dargelegt haben, könnte man »die Zukunft« nennen. Sie funktioniert komplexer als die lineare Zukunft. Durch Vereinfachung können wir leicht In diesem Sinne können wir sagen, dass es im Implizieren immer darum geht, dass das Leben gelingt, dass es weitergeht, dass es glückt. Vieles davon, was wir im Focusing entdecken, kann mit diesem Konzept des dualen »war« klarer gesagt werden. Es könnte als nächstes auch etwas Pathologisches impliziert sein, aber auch und vielleicht »wahrer« ein Weg zur Heilung, denn was impliziert ist, ist nicht irgendein Inhalt, sondern ein Vorantragen. Je größer die Komplexität, die Probleme und die Komplikationen sind, oder sagen wir: je größer die Pathologie ist, desto mehr Erneuerung liegt in der Heilung bzw. ist im Vorantragen implizit. Und Vorantragen ist immer auch mehr als Implizieren. Eine Sequenz tatsächlich weiterführender Schritte ist noch mehr, wie die FocusingSchritte zeigen (siehe A Theory of Personality Change und Kapitel VIIA.o dazu, wie das Vorantragen nicht nur mehr ist, sondern auch zusätzliches Implizieren mit sich bringt). Davon deutlich zu unterscheiden ist der Fall, wenn kein Vorantragen stattfindet (wenn man beispielsweise eine Menge Dinge tut, die den Hunger aber nicht vorantragen). Aber es gibt viele Arten des Vorantragens, wie wir später sehen werden. Das ist der Grund, warum das Vorantragen eines aus dem Organismus entstehenden Prozesses diesen mit seinem ursprünglichen Implizieren verbindet. Das ist so viel wertvoller als der beste von außen auferlegte Weg.
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die lineare Zukunft davon herleiten, später, wenn wir Begriffe für Erinnern und Vorstellen und für Zeit haben. Vorantragen verändert das Implizieren so, dass es nicht mehr impliziert ist, denn was »impliziert war«, ist geschehen. Aber da Implizieren nicht das Geschehen ist, sollten wir besser sagen: Vorantragen geschieht, wenn geschehen ist, was impliziert war. Das Implizieren ist nicht das Geschehen, das »impliziert war«, bis die Umwelt in es hinein geschieht und es voranträgt. Eine bedeutende Unterscheidung hat uns ständig begleitet: Einem Körper kann viel passieren, das sein Implizieren nicht voranträgt. Der Baum, den der Biber heruntergenagt hat, ist zu unterschieden von dem Baum, der auf den Biber fällt. Der letztere ist wie das Wasser des Ozeans, das die Meeresmuschel brüchig macht – was vom Körper des Weichtiers nicht impliziert ist. Sein Implizieren verändert sich dadurch nicht, außer wenn es stirbt. Was impliziert war als das nächste Ereignis, wird immer noch als das nächste Ereignis impliziert sein. Als Vorantragen bezeichnen wir, wenn ein Geschehen das Implizieren so verändert, dass das, was impliziert war, nicht mehr impliziert ist, weil »es« geschehen ist. Geschehen regeneriert die Körper-Umwelt 3, und es ist auch eine Veränderung im Implizieren. Die Vergangenheit funktioniert wie der Umwelt 3-Körper. Geschehen verändert die Vergangenheit und die Zukunft. Selbst wenn wir versucht wären, all dies innerhalb linearer Zeit unterzubringen, könnten wir nicht sagen, dass es ein Stück Implizieren zwischen jedem Geschehen und dem nächsten ist. Wir haben auch schon gesehen, dass Implizieren als solches keine Zeit einnimmt. Darum ist Implizieren im Geschehen, nicht zwischen den Geschehnissen. In den Begriffen der linearen Zeit könnten wir fragen: Welches Implizieren ist es, in das »jetzt« etwas hinein geschehen ist und das verändert wird? Ist es das »vorangegangene« oder das »nächste«? In positionaler Zeit würde das Implizieren betrachtet 162 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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werden, als ob es selbst ein Geschehen wäre, das vor jedem Geschehen passiert. So gäbe es einen Unterschied – einen positionalen Unterschied – zwischen einem vorangegangenen Implizieren und dem jetzigen und wieder zwischen dem jetzigen und dem nächsten. Geschehen würde in das vorangegangene Geschehen geschehen, um dieses in das jetzige zu verändern, und ein weiteres Geschehen würde in dieses hinein geschehen, um es in das nächste Implizieren zu verändern. Damit ginge die ganze Pointe des Konzepts vom Implizieren verloren, denn dann würde es wie eine Gegenwart funktionieren und nichts würde wie eine Zukunft funktionieren. Die Kontinuität der Zeit kann nicht in erster Linie durch Dinge, die nebeneinander sind, geschaffen werden, denn eine solche Kontinuität ist passiv; jedes Stück ist einzeln, es hängt von einer anderen Kontinuität ab, damit es mit dem nächsten in Beziehung gesetzt werden kann. Darum kann das Implizieren des nächsten Ereignisses nicht vor dem nächsten Geschehen vorkommen; es kann auch nicht nur neben dem Geschehen sein. Das Implizieren muss im geschehenden Ereignis sein. Aber jemand wird sicherlich trotzdem fragen: Welches Implizieren ist im Geschehen, das letzte oder das nächste? Oder dieses jetzt? Aber jetzt ist deutlich geworden: Es ist eine falsche Unterscheidung, in der Zeit des Vorantragens zwischen dem letzten und dem nächsten Implizieren trennen zu wollen. Wir haben das gleiche Verhältnis, wenn wir sagen, die Explikation ist keine Repräsentation dessen, was impliziert »war«; stattdessen trägt Explikation das Implizieren mit sich und voran. Eine Explikation ersetzt nicht, was sie expliziert. Wenn man unterteilt, könnte man versuchen, zwischen dem, was neu ist, und dem, was schon vorher so war, zu unterteilen. Dann wäre ein Teil der Explikation repräsentativ und der andere beliebig. Aber Explizieren nimmt die kontinuierliche Funktion des Impliziten in Anspruch, die durch die Explikation (voran)getragen ist. Explizieren heißt, das Implizieren vorantragen, nicht nur einmal, 163 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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sondern immer weiter, durch Zyklen und Serien. Ein Geschehen, das voranträgt, ist ein Explizieren. Es ist weder gleich noch nur verändert. Was gleich geblieben ist, kann nicht abgesondert werden davon, was verändert ist. Die Gegenwart kann nicht von sich selbst getrennt werden. Zeit kann nicht von Ereignissen getrennt werden, als ob abstrakte Zeitrelationen allein bestehen und Ereignisse nur zufällig in Zeitverhältnisse hinein gelangen würden. Zeit ist ein Aspekt von Ereignissen. »Die Gegenwart« bedeutet das Geschehen ins Implizieren hinein und das Vorsich-Gehen (going on in) in Umwelt 3. Sie kann davon nicht getrennt werden 14 . Zur Untrennbarkeit zwischen dem, was »impliziert war«, und der Explikation siehe »Reply to Mohanty«, in: D. Levin (1997), Language Beyond Postmodernism und auch den Abschnitt im Kapitel VII-Ao. Wenn der Fuß beispielsweise auf den Boden drückt, muss der Boden den Druck des Fußes »bereits« erwidert haben, damit der Fuß den Druck ausüben konnte. Kant hat dieses Problem in Begriffen des alten Modells gelöst, indem er »Gleichzeitigkeit« zu einer Art von Zeit-»Ordnung« gemacht hat, die mit der Abfolge von Ursache und Wirkung konsistent sein konnte. In ähnlicher Weise scheint der Impuls eines sich bewegenden Körpers beschreibbar zu sein als in-Bewegung-Sein hin zu einem weiteren Ort. Aber der Impuls ist ein Attribut des Körpers hier und jetzt. Das Implizieren ist ein realer Aspekt des Geschehens. Kant sah, dass es nicht nur eine rein positionale Zeitordnung geben kann. Kant drückte dies so aus, dass Zeit nicht auf den Ereignissen geschrieben steht, dass man also Zeit als solche nicht wahrnehmen kann. Ob etwas vorher oder nachher kommen muss, war bei Kant bestimmt durch erklärende Verhältnisse zwischen den Ereignissen: Man muss die Wände eines Hauses vor dem Dach errichten – die Aufmerksamkeit zwischen beiden hin und her wandern lassen geht erst, wenn sie bereits errichtet sind. Kant verstand Zeit entsprechend als Verhältnisschema zwischen Ereignissen. Er nutzte Newtons Modell und war zufrieden damit, positionale und auch erklärende Verhältnisse auf Zeit-Positionen zu übertragen. Wir wollen dagegen sagen: Zeit ist in den Ereignissen, nicht zwischen ihnen. Dass das Dach nach den Wänden kommt, das ist einem Dach inhärent und auch der Tätigkeit des Hausbauens. Darum ist Zeit kein leeres Ordnungssystem, das unabhängig von den Ereignissen besteht. In den Begriffen der Quantenmechanik (re)generieren die gegenwärtigen 14
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Wir können dies als eine »rückwirkende Zeit« erkennen, wenn wir mit der linearen Zeitordnung beginnen. Aber das Geschehen braucht nicht gemäß linearer Zeit zurück zu gehen, um dort ein Implizieren zu erreichen, das »war«. Es liegt nur an einem linearen Schema der Zeit, die ein »vorhergehendes Implizieren« an einer früheren Position zurücklässt, so dass das Geschehen zurückzugehen hat, um darin voranzugehen. Aber das Implizieren wird nicht in einer linearen Serie zurückgelassen; es ist immer die Zukunft, die jetzt ist. In Begriffen linearer Zeit scheint die »Linie« sowohl voran als auch hinter sich selbst zurück zu verlaufen. Im Diagramm geschehen die Punkte A und B am selben linearen Zeitpunkt. Lineare Zeit würde sowohl voran als auch zurück hinter sich selbst verlaufen, um das letzte Implizieren voranzutragen. Aber wenn wir die fortlaufenden Zyklen angrenzend darstellen, werden sie ein Streifen, ein Stab oder ein Rohr, so dass die Punkte auf der Spirale an einem linearen Zeitpunkt zu geschehen scheinen.
Interaktionen das System von Zeit-Raum-Lokalisation (siehe Gendlin/ Lemke, A Critique of Relativity and Localization und The Responsive Order). Erlebensprozesse sind zeitinklusiv und multischematisch, wie ich in Experiencing and the Creation of Meaning zeige. Das heißt, dass viele Zeitmodelle aus dem wirklichen Erlebensprozess heraus erstellt werden können. Die amerikanischen Pragmatisten haben drei Grundbegriffe angewendet, diese Dreiheit sollten wir erhalten und überarbeiten. Zurzeit gibt es in der europäischen Philosophie nur zwei Begriffe: Signifikant und Signifikat. Ein »dritter Begriff«, so wird angenommen, wäre die Hegel’sche Synthese. Darum erscheint es so, dass es außer logischer Kontinuität nur Brüche geben könne. Dieses Modell hier baut auch auf Dilthey, Whitehead, McKeon, Heidegger, Merleau-Ponty und Wittgenstein auf wie auch auf Platon, Aristoteles, Leibniz und anderen. An anderen Orten habe ich geschrieben, wie ich diesen Denkern verpflichtet bin und wie ich von ihnen aus weitergehe.
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IV-B · Zeit: Umwelt 2 und Umwelt 3, Geschehen und Implizieren
Sieht es wie ein Rohr aus, kann man es als gerade Linie betrachten. Aber das würde das »Hinein-Geschehen« und »Vorantragen« verdecken.
Von unserem Standpunkt aus betrachtet ist Zeit nicht rückwirkend – sie ist ein Aspekt des vorantragenden Prozesses. Wir können spezielle Modelle von linearer Zeit, von wiederholenden Einheiten, verschiedene Arten von Logik von hier aus herleiten. Wir können spezifische Modelle an spezifische empirische Kontexte anpassen; ihr enger Geltungsbereich muss uns nicht begrenzen, wenn wir sie innerhalb eines breiteren Modells herleiten. In Experiencing and the Creation of Meaning, IV-B2A (siehe »der multischematische Charakter von Erfahrung«) gibt es einen 166 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
IV-B · Zeit: Umwelt 2 und Umwelt 3, Geschehen und Implizieren
Abschnitt mit dem Titel »Dem Erleben ist die Zeit inklusive«. Darin zeige ich, dass »zeitliche Schemata nur eine Gruppe unter sehr vielen unterschiedlichen Arten von Schemata sind, die Aspekte der Erfahrung sein können«. Ich möchte auf diese längere Diskussion verweisen, die des ganzen Kapitels bedarf. Hier will ich nur feststellen, dass Zeit nicht unbedingt die a priori-Bedingung ist, als die sie so viele Philosophen aufgefasst haben. Dieser Priorität kommt Zeit und Raum zu, weil die meisten Philosophen Erfahrung vor allem als Wahrnehmung erachtet haben. Dann scheinen die Wahrnehmungsobjekte einfach da zu sein, mit Raum und Abfolgen als ihren vorausgehenden Bedingungen. Aber nicht einmal die Wahrnehmung liefert nur ein einziges Zeit-Schema. Unser begriffliches Modell hat dieses Zeit-Schema entwickelt (das aus dem Vorantragen hergeleitet wurde), bevor wir Wahrnehmung herleiten und die Art von Zeit, die ein wahrnehmendes Geschöpf haben (fühlen, projizieren, sich darin spüren .....) kann. Die Begriffe des »Implizierens« und des »Geschehens« haben gemeinsam zu den Begriffen »Erkennen«, »Vorantragen«, »Feedback«, »Alles-durch-Alles«, »schematisiert durch schematisieren« geführt, und wir könnten sie auch dafür verwenden, um über die Metapher zu sprechen, über »Begreifen« (im Sinne von Experiencing and the Creation of Meaning), über »Kreuzen« und, wie wir es bald tun werden, über vieles andere. Unser alternatives »Grundlagen«-Modell braucht einen weiteren Abschnitt. Wir brauchen mehr Begriffe, wie die Umwelt ins Implizieren hinein geschieht. Wir wenden uns dem jetzt in Kapitel V zu.
167 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Kapitel V: Evolution, Erneuerung und Stabilität Kapitel V-A: Ereignisse, die dazwischenkommen
Ich hoffe, dass meine Leser jetzt hungrig sind auf Raum, den man »haben« kann und auf Objekte und damit auf die Art und Weise, wie unsere primitiven Begriffe einen Weg generieren können, wie »der Prozess« registrieren kann, was um ihn herum vor sich geht, selbst wenn das den ganzen Prozess nicht voranträgt. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit zwei Fragen. Bevor ich sie stelle, möchte ich zunächst fragen: Können wir mit unserem neuen Modell auch Konzepte für die Theorie der Evolution entwickeln? Zurzeit besagt die Theorie, dass neue Formen nur durch »zufällige« Veränderung geschehen. Natürliche Selektion erklärt nur, warum Formen überleben, die sich adaptieren, aber nicht, wie neue Formen überhaupt entstehen. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass die Zufalls-Theorie nicht stimmt. Die Zufallskreation einer endlosen Anzahl von Formen, von denen einige gerettet werden – das ist eine uralte Vermutung. (Aristoteles zitiert Empedokles, der diese Ansicht bereits vertreten haben soll.) Bei genauerem Hinsehen merken wir, dass das alte Modell wegen seiner grundlegenden Art und Weise, Ordnung zu verstehen, in die alte Vermutung hineingezwungen wird. Ordnung bestehe nur im Zusammenfügen von Teilen. Wirft man die Teile hoch, so fallen sie zufällig herunter. Wären sie dann zufällig geordnet, wäre diese Ordnung den Teilen nicht inhärent. Ordnung besteht nur als externe Beziehung zwischen ihnen. Die Teile verändern sich nicht, wenn sie hochgeworfen werden, und sie verändern sich auch nicht, wenn sie in der einen 168 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-A · Ereignisse, die dazwischenkommen
oder anderen Weise geordnet sind. In unserem neuen Modell gibt es keinen feststehenden Satz von Teilen. Darum ist Ordnung oder Form ganz anders zu verstehen als ein externes Anordnen unveränderlicher Teile. Wenn wir uns den Prozess so vorstellen, wie wir ihn in den Kapiteln I-IV konzipiert haben, können wir darüber nachdenken, wie neue Formen entstehen. Dabei werden zusätzliche neue explizite Konzepte zu denjenigen entstehen, die wir bereits haben. Vor allem werden wir merken, wie Umwelt und lebendiger Prozess sich zusammen verändern. Wenn sich die Umwelt verändert, verliert der Körper nicht einfach seine Organisation und muss sich eine neue aussuchen, die zufällig da ist. Ein organisiertes System kann in Erwiderung auf eine Einwirkung ein neues organisiertes Resultat ausbilden. Wie so etwas mit unseren Konzepten denkbar ist, sei im Folgenden genauer gezeigt. Die erste unserer zwei Fragen ist: Wie entstehen neue, elaboriertere Geschehnisse? Die zweite Frage ist: Wie entwickelt sich ein stabiler Umweltkontext? Die erste Frage kann man auch anders stellen. Wie entwickelt der Organismus neue Sensibilitäten auf die Umwelt? Das ist die gleiche Frage, weil neue Ereignisse auch neue Sensibilitäten auf die Umwelt sind. Geschehen ist immer Körper-Umwelt; deshalb sind neue Weisen, Körper-Umwelt zu sein, auch neue Weisen, die Umwelt in Anspruch zu nehmen, neue Weisen, in denen der Organismus Einfluss nimmt und affiziert wird durch Veränderungen in der Umwelt. Die zweite Frage ergibt sich daraus, dass wir bis jetzt kein stabiles Objekt haben, nur den Prozess des Vorantragens und Veränderns. Während eines Stopps impliziert der Körper das Objekt (den fehlenden Umwelt-Aspekt; siehe Kapitel III), aber sobald der Prozess durch das Objekt wiederaufgenommen ist, gibt es für ihn kein Objekt mehr. Solange andere Prozesse unterschiedlich weitergehen, weil einer gestoppt ist, nennen wir die Unterschiede das »Schema«, eine körperliche Version des fehlenden Umwelt-Aspektes. Aber wenn er geschieht, geht der 169 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-A · Ereignisse, die dazwischenkommen
Prozess weiter und hat kein Objekt mehr. Der Organismus hat also das Objekt nie, wenn das Objekt da ist! Offensichtlich müssen wir irgendwann das Fundament für etwas Stabiles legen – wie ein Organismus ein Objekt haben kann, selbst wenn es gegenwärtig ist (nicht nur, wenn es fehlt). Aber bislang ist gemäß unseren Konzepten nichts von Dauer – außer einem Stopp, d. h. einer Abwesenheit.
a) Wir wollen zunächst darüber nachdenken, wie sich große neue Ereignisse in den anderen Prozessen entwickeln können. Wir sprachen (in Kapitel IV) von einem Stopp in einem Prozess, der andere Prozesse interaffiziert. Wir sprachen so davon, als ob die Unterschiede gering wären. Nun möchte ich jedoch hinzufügen, dass diese Unterschiede große neue Ereignisse sein könnten. Wenn ein Prozess gestoppt ist, wirkt sich das auf andere aus, und diese wiederum beeinflussen weitere. Was für einen Beobachter wie eine unmerkliche Differenz in einem Prozess erscheinen mag, könnte zu wichtigen neuen Ereignissen in einem anderen Prozess führen. Zum Beispiel kann ein Spannmuskel, wenn er angespannt wird, in einem noch anderen Prozess zu Tritten oder Fuß-Klopfen führen. Ein sehr angespannter, ängstlicher Mensch, der zu schreiben versucht, könnte bemerken, wie seine Hand vom Blatt wegzuckt. Wir haben jetzt lediglich hinzugefügt, dass die Unterschiede in den anderen Prozessen wichtige neue Ereignisse sein könnten.
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Neue Ereignisse auch in dem »gestoppten Prozess« selbst
b) Neue Ereignisse können sich auch in dem »gestoppten Prozess« selbst entwickeln. Ein Prozess könnte einfach aufhören, wenn er nicht weitergehen kann, aber er könnte auch neue Ereignisse entwickeln. So etwas könnte auf zwei Weisen geschehen: (b-1) An dem Punkt, an dem der Prozess nicht weitergehen kann, kann das letzte bisschen (bit), das weitergehen kann, sich wiederholen. Das finden wir häufig. Wir können uns dieses sich wiederholende bisschen auch als das erste Stückchen des Prozesses denken, der nicht weitergehen kann. Nur dieses Stückchen kann es, und dann wiederholt es sich immer wieder. Wie können wir darüber nachdenken, dass so eine Wiederholung geschieht? Wir können dies folgendermaßen konzeptualisieren: Immer gibt es ein Implizieren, nicht nur ein Geschehen. Jedes Geschehen geschieht in das letzte Implizieren hinein und verändert es. Dieses veränderte Implizieren ist das Implizieren des letzten Stückchens. Es impliziert den restlichen Prozess. Prozess ist jedoch eine Kontinuität (wir platzierten die O’s so nah, dass sie einen Streifen bilden; siehe das Diagramm am Ende von Kapitel IV). Es gibt keine »Stücke« im Prozess. Der Stopp bildet jedoch so ein »letztes Stückchen« oder »erstes Stückchen«. Wenn sich also der Prozess fortgesetzt hätte, wäre es nicht länger impliziert. Da Geschehen das Implizieren nicht verändert hat, ist der Rest des Prozesses noch impliziert. Nur dieses »Stückchen« konnte passieren und tat es auch. Darum ist der Prozess immer noch impliziert, so dass jeder Teil, der geschehen kann, geschehen wird, und das ist dieses »Stückchen«. Darum geschieht es wieder und wieder, aber immer ein bisschen anders, da selbst dieses Geschehen das Implizieren etwas verändert hat. Wenn der Prozess von vornherein gestückelt gewesen wäre, könnte man damit nichts erklären. Das Stück, das passiert, würde dann das Implizieren genau so verändern, dass das nächste Stück impliziert wäre, das jedoch nicht passieren kann. Aber 171 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-A · Ereignisse, die dazwischenkommen
weil die Unterbrechung so ein Stückchen bildet, ist die Veränderung im Implizieren neu. Das Stückchen bleibt, während es sich »wiederholt«, nicht wirklich das Gleiche. Der Prozess bleibt impliziert, und dennoch geschieht eine neu geschehende Sequenz, die aus solchen »ersten Stückchen« besteht, jedes ein bisschen anders. Dieses »Sprung-Konzept« einer neuen Art von Sequenz ist eine neue Art von Vorantragen (siehe Kapitel IV-A zu SprungKonzept). Wenn neue Arten des Vorantragens und andere neue Konzepte für uns entstehen, werden wir sie gewöhnlich in den Begriffen derjenigen Konzepte betrachten, die wir bislang haben, dabei werden wir aber zugleich erkennen, dass sie nicht auf die alten reduzierbar sind. Eine Explikation involviert mehr Teile und Unterscheidungen, die nicht zurück reduziert werden können, aber es müssen auch keine totalen Lücken entstehen. Denn es gibt eine Kontinuität zwischen implizit und explizit. »Intentionsbewegungen« (intention movements), wie sie die Ethologie bezeichnet, werden oft beobachtet. Wenn zum Beispiel zwei männliche Affen, die normalerweise kämpfen würden, durch eine Glaswand getrennt sind, dann kann die KampfSequenz natürlich nicht geschehen. Stattdessen gibt es eine lange Sequenz von Kampf-Anfängen. (Später werden wir eine weitere Entwicklung diskutieren, in denen diese zu so genannten »Drohgebärden« werden). Die Natur demonstriert ständig an vielen Beispielen, wie sich ähnliche Stückchen immer wieder wiederholen, aber nie ganz gleich. Es gibt den Herzschlag, das Augenzwinkern, die Nerven-Impulse – und auch strukturell: unser Konzept von »Sub-Prozessen« des Organismus (Kapitel IVAc) erlaubt zu denken, wie sich so etwas in der Körperstruktur reflektiert; in den Hautporen, in den Haaren, in den Blättern der Bäume. Ich möchte ein Ereignis, das dazwischenkommt, zu einem Verb machen und es »leafing« (blättern) nennen.
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Neue Ereignisse auch in dem »gestoppten Prozess« selbst
Wir haben (gerade) Rhythmus hergeleitet 15 , all die vielen Körperprozesse, die »Leafings« sind. Wir werden später bemerken, wie viele Weiterentwicklungen des Organismus vor dem Hintergrund von Rhythmus, von »Leafing«, möglich sind. Mein Begriff des »Herleitens« soll darauf hinweisen, dass wir nicht einfach einen Gemeinplatz behaupten (nämlich, dass vieles in der Natur aus Rhythmen besteht). Wir haben Konzepte oder innere Strukturen entwickelt, um darüber nachdenken zu können. Diese Konzepte und diese Struktur gehen präzise auf unsere früheren Konzepte zurück, und sie werden auch in einem Kontinuum mit unseren späteren stehen. Und doch sind die neuen Konzepte nicht auf die früheren zu reduzieren: es ist kein axiomatisches System. Wenn es eines wäre, würden wir in den ersten Konzepten, die wir entwickelt haben, stecken bleiben, in irgendeiner ersten Wahl. Wenn man einmal mit einem Konzept beginnen kann, dann spricht nichts dagegen, dass man auch öfter beginnen kann. Ich meine damit, dass man neue und weiterführende konzeptionelle Muster entwickeln kann, die nicht nur logisch aus den früheren abzuleiten sind. Natürlich sind große Lücken auch unbrauchbar, dann kann man nicht von einem Konzept zum anderen denken und hat nur die Wahl zwischen diesem oder jenem. Kontinuität besteht deshalb darin, dass neue Entwicklungen die früheren weiter informieren und präzisieren. Begriffe sind in Bezug aufeinander definierbar und herleitbar. Unser Prozess-Konzept kann nun Rhythmus herleiten, etwas gleichzeitig Stabiles und sich Fortsetzendes (»stabil« soll bedeuten, was es hier sagt!). Natürlich ist das »Leafing« nicht nur aus unseren früheren Konzepten entstanden; wir kennen ja Blätter und den Herzschlag und Intentionsbewegungen bei Tieren. Aus diesen Bewegungen haben wir beispielsweise gesehen, wie sich ein neuer Prozess und eine neue Bewegung aus einem Stopp entwickeln können. Indem wir das als Beispiel für unser Modell genutzt haben, konnten wir genauer werden in Bezug auf unsere bereits entwickelten Konzepte. Auch andere Beispiele sind interessant, in denen etwas Neues und sehr Anderes entsteht, wenn ein früherer Prozess nicht weitergeht. Wenn wir solche Modellbeispiele suchen, tun wir mehr, als sie nur zu behaupten. Wir sagen nicht nur ein Ding nach dem anderen. Wenn jemand lediglich sagt, dass Organismen Rhythmen haben oder dass lebendige Dinge pulsieren etc., dann können wir berechtigterweise einwenden, dass damit nicht mehr gesagt ist, als wir ohnehin schon wissen. Aber ist dann unsere Methode davon zu unterscheiden, da sie doch auch ein Beispiel an das andere fügt und bei jedem Schritt neue Konzepte 15
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V-A · Ereignisse, die dazwischenkommen
Es ist wichtig zu sehen, dass die neue Sequenz nicht aus dem genau gleichen ersten Stückchen besteht, das wieder und wieder passiert. Das erste Stückchen ändert sich in seinem Charakter. Wenn man zum Beispiel rennt und schon weiß, dass man gleich anhalten wird, ist das erste bisschen Bewegung, mit der man zu rennen beginnt, nicht wirklich dieselbe, als wenn man sich richtig in die Bewegung hineinbegibt und einfach weiterrennt. Wenn man beim richtigen Rennen nach dem ersten bisschen macht? Wie kann ich beanspruchen, Rhythmus aus unseren Konzepten »hergeleitet« zu haben, wenn ich die Konzepte sichtlich gerade erst entwickle? Ich füge ja eben nicht nur hinzu, dass es zum Beispiel in der Natur Intentionsbewegungen (intention movements) gibt. Ich nehme diese als Modell-Beispiele und lasse sie für uns neue Konzepte bilden – bzw. mehr als das: Ich lasse sie neue Konzepte bilden aus denjenigen Konzepten, die wir bis jetzt schon haben. Um es in die richtige Reihenfolge zu bringen: Wenn wir mit den Konzepten, die wir schon haben, auf ein Beispiel stoßen, dann tun wir mehr, als dieses neue Beispiel gemäß den bestehenden Konzepten zuzuschneiden. Das wäre recht einschränkend und sperrt uns in einen gegebenen Rahmen ein. Aber es ist genauso unklug, das eigene Konzept nicht so weit wie möglich zu nutzen. Es gibt schließlich einen dritten Weg: Wir lassen die Konzepte das neue Beispiel schematisieren, aber wir beachten auch genau, wo das neue Beispiel nicht passt, wo es sich wehrt, kreuzt und uns etwas Neues als Antwort gibt! Wenn wir hinzunehmen, was wir auf diese Weise entdecken, und wenn wir unseren Konzepten erlauben, sich dadurch weiterzuentwickeln, dann können die Konzepte weiter schematisieren dadurch, wie sie schematisieren. Eine neue »Antwort« durch ein neues Beispiel ist nicht einfach nur irgendeine Modifikation. Es ist vielmehr gerade die Modifikation, die diese Konzepte brauchen, um dieses Beispiel zu schematisieren. Es gibt deshalb eine Kontinuität in einer solchen explikativen Entwicklung von Konzepten. Die Konzepte entwickeln sich weiter, bis sie das Beispiel herleiten, durch dessen Schematisierung sie selbst weiter schematisiert werden. Wenn es hergeleitet werden kann, sind die neu entwickelten Konzepte bis zu diesem Punkt erfolgreich. (Manchmal geschieht dies nicht sofort – es braucht einen ganz neuen Kontext, der über viele Schritte gebaut werden muss, bis etwas ableitbar wird, das zuvor gebraucht wurde. Wenn dies geschieht, weise ich gewöhnlich darauf hin.)
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Neue Ereignisse auch in dem »gestoppten Prozess« selbst
plötzlich stoppen müsste, würde man nach vorne fallen. Auf ähnliche Weise unterscheidet sich auch eine Drohgebärde, in der man mit geballter Faust in der Luft nach hinten und vorne ausschwenkt, von jenem Schwung, der ins Schlagen führt. Das Implizieren der zukünftigen Veränderung ist anders. Die wiederholten ersten Stückchen konstituieren eine unterschiedliche Sequenz, einen neuen Typ von Sequenz. Das Insekt trifft wieder und wieder auf die Fensterscheibe, es will hinaus ins Licht fliegen und trifft doch immer wieder schmerzhaft auf die Scheibe. Aber nach einer Weile macht es kleine Versuche ..... bzzz bzzz bzzz, die sind nicht so wie die schlimmen ersten paar Treffer, mit denen der Käfer in die Scheibe knallte, weil sein Körper das Hinausfliegen in die Sonne implizierte. Jetzt sind sie eher kleine, rhythmische, fast kontinuierliche Anfänge entlang der Fensterscheibe, als ob das Insekt untersuchen und die Chance maximieren wollte, eine Öffnung zu finden, falls da eine wäre. Wir sehen, dass die Sequenz der ersten Stückchen in ihrer Art unterschiedlich ist. Wir bemerken auch, dass sie mehr Gelegenheit für Neues bietet als das allererste Stückchen. Denken wir an ein makabres Beispiel. Während des Kalten Krieges hielt das Strategische Luftkommando der USA Flugzeuge dauernd in der Luft bereit für einen Bomben-Einsatz, »so als ob« sie gerade die erste Etappe eines Bombenangriffs flögen. Es entwickelte sich somit eine neue Sequenz, genannt »in der Luft«, die nicht genau der ersten Etappe eines echten Bombenangriffs glich. Tankprobleme, lange Zeiten, Rund-um-die-UhrWechsel – all das war nicht Teil eines üblichen Angriffs. Vieles, was zu einem echten Angriff führen würde, wurde nicht durchgeführt, andere Aspekte des Auftrags schon. Wenn wir uns vorstellen, was mit so vielen angriffsbereiten Flugzeugen in der Luft passieren könnte, schaudern wir. Die Möglichkeit ganz unerwarteter Geschehnisse war in dieser Phase viel größer als in den ersten Minuten eines realen Einsatzes.
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V-A · Ereignisse, die dazwischenkommen
Durch das »Leafing« bleibt der Organismus im Bereich des Stopps. Er bleibt an der Stelle und unter den Bedingungen des Stopps. Wenn der Prozess nicht gestoppt hätte, wäre er an dieser Stelle nur für einen Moment geblieben. Nun könnten sich mit der Umgebung neue Geschehnisse formieren, die sich vor dem Stopp nicht hätten bilden können. (b-2) Eine zweite Art von neuen Geschehnissen kann in den so genannten »gestoppten« Prozessen passieren: Als Beispiel stellen wir uns ein Tier vor, das normalerweise läuft und plötzlich ins Wasser fällt. Laufen im Wasser nimmt sofort ganz unübliche Formen an, weil die Bewegungen auf keinen Boden-Gegendruck treffen. Es gibt also auch keinen Druck des Fußes. Deshalb werden die Bewegungen viel ausladender sein. Wir nennen es »Waten«. Dieses Beispiel zeigt, dass ziemlich viel anderes geschehen kann, sobald die üblichen Geschehnisse nicht passieren können. Waten ist eine neue Sequenz. Offensichtlich ist sie nicht unorganisiert. Sie ist wie »Gehen« organisiert, nur dass dieses im Wasser stattfindet. Die Bewegungen werden augenblicklich ausladender, weil es im Wasser weniger Widerstand gibt. Außerdem spritzen diese Bewegungen Wasser in die Augen, so dass es zu einer Haltungsänderung kommt, um die Spritzer zu vermeiden. Hinzu kommen der Schock, der schnellere Blutkreislauf und alles, was damit zusammenhängt, und noch jede Menge weiterer neuer, jedoch organisierter körperlicher Effekte. All das ist unmittelbar Teil der neuen Geschehnisse, die sich formen, wenn das Tier ins Wasser fällt. Wir können es so beschreiben: Wenn das implizierte Weitergehen auf die veränderte Umwelt »trifft«, entsteht daraus weder Gehen noch Chaos. Stattdessen resultiert daraus eine neue Organisation. Um unsere vorsichtigere Ausdrucksweise zu benutzen: Wenn die Umwelt sich verändert, ist das, was in das (unveränderte) Implizieren hinein geschieht, anders. Ein Prozess ist mehr als nur eine explizite Anordnung expli176 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Neue Ereignisse auch in dem »gestoppten Prozess« selbst
ziter Teile, die ein Betrachter sieht. Wenn der üblicherweise beobachtete Prozess sich nicht ereignen kann, kann sich ein anderer, aber auch geordneter Prozess neu bilden. Dabei ist zu betonen, dass diese neue Herausbildung nichts Geheimnisvolles ist. Durch unser einfaches Beispiel können wir sehen, wie das implizierte Gehen plus Wasser zu Waten wird. Das implizierte Gehen kann nicht geschehen. Wenn wir es allzu wörtlich nehmen, können wir fragen, wo denn das Gehen geblieben ist, weil es im Wasser nicht geschieht. Es ist im Waten enthalten, aber nicht buchstäblich, sondern als Implizieren. Wir sagten ja, dass Implizieren keine spezifische explizite Form ist. Jetzt können wir das in diesem einfachen Beispiel klar sehen. Das implizierte Gehen ist an der Herausbildung des Watens beteiligt, obwohl das Gehen sich nicht ereignet. Wenn das, was impliziert war, nicht geschehen kann, dann kann es im Bilden einer neuen Organisation funktionieren. Was dann passiert, könnte vielleicht sogar mehr sein und größere Bewegungen involvieren, als es der übliche Prozess enthalten hätte. Ändern sich entweder Körper oder Umgebung, geht der Prozess auf eine andere Art und Weise weiter. Ein anderes Beispiel: Wenn eine Chemikalie, welche die Zellwände beschädigt, in eine Lösung gegeben wird, in der bestimmte lebende Zellen existieren, dann produzieren die Zellen eine neue Chemikalie, welche genau jene beschädigten Zellwände repariert. Die Zelle muss sich nicht über Millionen von Jahren an die neue Chemikalie anpassen. Wenn sie sich zum allerersten Mal mit dieser Chemikalie formt, bildet sie sich bereits auf eine unterschiedlich strukturierte Weise. Das heißt nicht, dass wir diesen Befund »erklären«; es ist eher so, dass wir Konzepte entwickeln, die dem Befund entsprechen. Wenn es eine Veränderung im Körper oder in der Umwelt gibt, dann bekommt der übliche Prozess eines Lebewesens unmittelbar eine neue Organisation. Mit diesen Konzepten können wir darüber nachdenken, wie 177 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-A · Ereignisse, die dazwischenkommen
es dazu kommt, dass bei einer Veränderung der Umwelt (des Klimas, einer anderen Spezies) sich damit zusammen auch die Lebewesen verändern. Wie der Körper funktioniert und wie er seine Struktur generiert und regeneriert (Umwelt 3), ändert sich gemeinsam mit Umwelt 2. Und obwohl sie sich ändern, bleiben die Tiere »adaptiert«, wie man sagt. Und sie werden, wie wir hier sehen, elaborierter, als es durch die Evolution erklärbar ist. Was bestimmt die Form eines solchen dazwischenkommenden Ereignisses? Im Repertoire des Tieres gab es diese noch nicht. Merleau-Ponty zitiert so einen Fall: Wenn man die untere Hälfte der Beine eines Käfers abschneidet, wird er immer noch laufen ..... aber anders als je zuvor. Seine Bewegungen werden seltsam sein und viel komplexer. Verschiedene Anziehungskräfte beeinflussen ihn. Nun schwankt der ganze Körper, und andere Teile bewegen sich, um das zu kompensieren. Und doch war dieses seltsame Gehen nie zuvor in seinem Repertoire vorhanden. Die Interaktion zwischen Körper und Welt ist so geartet, dass sie sich unterschiedlich formt, wenn sich eines von beidem verändert. Der veränderte Körper des Käfers nimmt die Umwelt anders in Anspruch. Eine Veränderung im Körper führt zu einer Veränderung in der Umwelt 2. Der Käfer nimmt sich keine Zeit, um allmählich die neue Gangart aus der alten zu entwickeln. Gemäß unserem Gesetz des Geschehens geschieht das neue Gehen so, wie es geschehen kann. Die neuen Abläufe der Geschehnisse formen sich unmittelbar. Ich nenne diese Art von neuen Geschehnissen » Ereignisse, die dazwischenkommen«. Wenn der übliche Prozess gestoppt ist, können solche Ereignisse dazwischenkommen. Aber können wir es immer noch einen »Stopp« nennen, wenn nicht nur die anderen Prozesse, sondern auch der anscheinend »gestoppte« weiterzugehen scheint? Wir könnten sie »gestoppt/weitergehend« nennen, da sie Bestandteile eines Prozesses sind, der nicht wie üblich weitergehen kann. Aber unterscheiden sich diese »gestoppten/weitergehenden«-Ereignisse 178 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Neue Ereignisse auch in dem »gestoppten Prozess« selbst
denn dann in ihrer Art vom alten Prozess, der nicht weitergehen kann? Lassen Sie mich diese Frage für das Kapitel V-B zurückstellen. Zuerst möchte ich zu zeigen versuchen, dass diese neuen Entwicklungen wahrscheinlich weitergehen und sich vervielfachen werden. Wenn nur ein kleines Stück Veränderung da ist, werden viele neue Ereignisse auftreten und sich zu vermehren beginnen. Zwei Wege zu Erneuerung: Es gibt zwei Wege für weitere Veränderung. Durch Interaffizieren kann ein Stopp oder ein »Gestopptes/ Weitergehendes« in einem Prozess die andern verändern, und diese können wiederum andere interaffizieren. Eine kleine Veränderung in einem Prozess kann zu dramatischen Entwicklungen in anderen führen. Aber Interaffizieren ist nicht der einzige Weg, durch den eine Veränderung weitere Veränderungen zu erzeugen vermag. Indem eine Veränderung, an der andere Prozesse teilhaben, die Umwelt verändert, können weitere Veränderungen entstehen. Da Ereignisse sowohl aus Körper wie aus Umwelt bestehen, nimmt das »Gestoppte/Weitergehende« eine veränderte Umwelt 2 in Anspruch. Dies könnte die Umwelt 2 von anderen Prozessen verändern, wenn sie diese konkrete Umwelt teilen (oder die realen Umstände der neuen Umwelt 2 so sind, dass sie andere Umwelt-Aspekte nach sich ziehen, welche die Umwelt 2 anderer Prozesse affizieren.) Wenn zum Beispiel durch das Waten Wasser in die Augen spritzt, kann das die Umwelt der Augen affizieren. Eine andere Sorte des Gehens könnte Staub aufwirbeln und dadurch die Umwelt der Atmung affizieren. Ein rhythmisches Hin und Her-Bewegen an einer Stelle, über die das Tier früher schnell gelaufen wäre, könnte es vielen neuen Umwelteinflüssen aussetzen. Die anderen Prozesse können durch eine veränderte Umwelt affiziert werden (Augen können sich schließen, Staub kann inhaliert werden etc.). Veränderungen in diesen Prozessen können 179 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-A · Ereignisse, die dazwischenkommen
auch noch andere via Umwelt affizieren. Herausgehusteter Staub oder Bewegen mit geschlossenen Augen können weitere neue Umwelt-Aspekte mit sich bringen, die weitere Prozesse affizieren können. Währenddessen kann, wie wir bemerkt haben, ein Prozess auch andere durch Interaffizieren im Körper verändern. Eine Veränderung kann also zu weiteren Veränderungen führen – einerseits durch Interaffizieren, andererseits auch durch eine Umwelt, die unterschiedlich in Anspruch genommen wird. Wenn Veränderung nur durch Interaffizieren entstünde, würde die Neuerung aufhören, nachdem der eine Unterschied gemacht wurde. Aber da sie auch die Umwelt 2 von anderen Prozessen verändert und diese Veränderungen andere Prozesse interaffizieren, die wieder zu weiterer Veränderung in Umwelt 2 führen, kann sich die Serie an Erneuerungen unbegrenzt weiter entwickeln. Natürlich beeinflussen sich die Subprozesse und deren Umwelt in ähnlicher Weise gegenseitig und arbeiten dadurch die Körperstruktur aus. Lassen Sie mich noch genauer erklären, warum beide Wege für kontinuierliche Erneuerung gebraucht werden: Es handelt sich dabei um die gleiche Frage, warum »Alles-durch-Alles« x »Alles-durch-Alles« (eveving x eveving) schließlich zu einem stabilen Resultat führt. Wir sahen in Kapitel IV (Aristoteles), dass »Alles-durch-Alles« nur das Geschehen ist: Es ist nicht so, dass all die vielen Unterschiede geschehen und dann weitere Unterschiede produzieren, die dann wieder geschehen und so weiter. Nur ein Geschehen formt sich. Wenn wir also an den Käfer denken, so geschieht sein neuer Gang nach der Veränderung unmittelbar. All die Unterschiede, die aus der Veränderung hervorgehen, formen eben dieses nächste Geschehen. 180 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Neue Ereignisse auch in dem »gestoppten Prozess« selbst
Und auch dann, wenn es nur die geteilten Umwelt-Änderungen gäbe, würde Neuerung aufhören. Jeder Unterschied, der sich auf die Umwelt aller Prozesse auswirkt, würde durch eine Sequenz gemacht sein, und es würden deswegen keine weiteren Effekte zwischen den Prozessen passieren. Das sind zwei Arten von Änderung: Eine ist Teil der Herausbildung eines Ereignisses; die andere passiert, nachdem etwas als Körper-Umwelt geschehen ist. Aber warum ist das so? Warum können wir nicht sagen, dass Interaffizieren auch die Umwelt 2 anderer Prozesse verändert, die dann unmittelbar unterschiedlich sind und dadurch auch andere interaffizieren, und so weiter? Dann würde sich jede Neuerung in jedem nächsten neuen Geschehen formieren. Das ist die gleiche Frage wie die, warum nicht alles gleichzeitig geschieht. Die Antwort ist jetzt klar: Wenn wir sagen, dass es unmittelbar eine neue Organisation gibt, bezieht sich dieses »unmittelbar« auf das »Alles-durch-Alles« in der Herausbildung des nächsten Ereignisses. Ein neuer Satz von Veränderungen tritt auf, weil dieses Ereignis geschehen ist. Die Veränderung durch die geteilte Umwelt geschieht nur dann, wenn das Ereignis wirklich geschieht. Interaffizieren und geteilte Umwelt passieren beide in der Herausbildung eines jeden Ereignisses. Aber die Veränderungen aufgrund geteilter Umwelt sind jene, die nur durch ein Geschehen passieren, wenn das Implizieren in einem Geschehen in die Umwelt »trifft« oder diese in einem Geschehen »in Anspruch nimmt«. Nehmen wir als Beispiel, dass Sie gerade etwas tippen. Durch Interaffizieren tippen Sie ungewollt eine »Freud’sche Fehlleistung«, und Ihre Finger bewegen Buchstaben, die mehr ausdrücken als das, worüber Sie nachdenken. Das ist eine Veränderung durch Interaffizieren. Aber stellen Sie sich vor, dass irgendeine Veränderung, die vorher passiert ist, die Tastatur durch einen kleinen Ruck bewegt hätte. Dann könnten nicht 181 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-A · Ereignisse, die dazwischenkommen
einmal die »falschen« Buchstaben getroffen werden, die impliziert waren, weil Ihre Finger auf anderen Buchstaben landen würden. Das ist die zweite Art von Veränderung. Sie tippen nicht zuerst die richtigen Buchstaben und dann die falschen und erst dann die ver-rückten. Nur die letzten geschehen. Danach könnte das Geschehen weitere Effekte haben auf einen der Wege oder auf beide Wege. Zu betonen ist, dass die Verschiebung der Buchstaben auf der verrutschten Tastatur nicht durch »Alles-durch-Alles« geschieht. Die Verschiebung ist nicht aufgrund eines Interaffizierens geschehen. Die verschobene Tastatur passiert in das »Alles-durch-Alles« hinein. Wegen des »Alles-durch-Alles« werden nur gewisse Buchstaben getippt, aber wegen der Umwelt-Verschiebung sind die getippten andere als die implizierten. So ermöglichen zwei Veränderungswege kontinuierliche Veränderung, weil jeder bei jedem Geschehnis für noch mehr Veränderung auf dem jeweils anderen sorgt. Tatsächlich partizipiert »alles« in der Herausbildung eines Ereignisses, aber sein Geschehen beansprucht Umwelt 2, und das verändert das Implizieren. Jetzt ist es ein verändertes »Alles«, und das wiederum beansprucht die Umwelt in einem anderen Geschehen. Eine Veränderung allein durch Interaffizieren geschieht in die Bildung des einen Ereignisses hinein, und so geschieht auch eine Veränderung allein in die geteilte Umwelt hinein. Wir können sagen: beides geschieht in einem Ereignis. Das Implizieren kann Veränderungen durch Interaffizieren enthalten, und es kann ebenso auf eine Umwelt treffen, die andere Prozesse verändert haben. So kann das Geschehen in doppelter Weise verändert sein. Das veränderte Geschehen kann andere Prozesse in neuer Weise interaffizieren (welche die Umwelt verändern könnten), und es kann auch zu neuen Veränderungen in der Umwelt führen, die andere Prozesse teilen (die neue Veränderungen durch Interaffizieren machen werden). 182 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Neue Ereignisse auch in dem »gestoppten Prozess« selbst
So kann eine Veränderung in der geteilten Umwelt neue gegenseitige Einwirkungen schaffen, und diese neuen Einwirkungen können Veränderung in einer geteilten Umwelt schaffen. Das sind zwei unterschiedliche Wege der Veränderung. Beide produzieren unmittelbar etwas Neues. Sie können (oder sie können auch nicht) eine endlose Kette von Neuerungen generieren. Wir wollen daran erinnern, dass das, was in »Allem-durch Alles« partizipiert, nicht geschieht. Viele vergangene Erfahrungen funktionieren im Gestalten einer gegenwärtigen Erfahrung; aber diese vergangenen Erfahrungen geschehen nicht. Entsprechend geschieht der Unterschied nicht, den ein Prozess bei anderen auslöst und durch den er wieder selbst affiziert wird. Nur »Alles-durch-Alles« geschieht. Anders gesagt: es braucht nicht mehr Zeit als die Zeit des Geschehens. Die vielen Linien, die der Künstler malen könnte, und die vielen Effekte, die diese Linien haben würden, finden Eingang in das Gefühl des Künstlers, das ihn zur richtigen Linie führt. Aber all diese anderen Linien und Effekte geschehen nicht. Sie sind ein Teil der Herausbildung eines einzigen Geschehens (siehe Kapitel IV-A.d-3). Das ist grundlegend für eine implizite Ordnung. Es braucht auch keine Zeit, damit eine neue Organisation aufgrund einer veränderten Umwelt 2 entsteht. Wenn das Implizieren auf eine veränderte Umwelt trifft, geschieht etwas anderes. Der Prozess wird nicht zuerst als impliziert geschehen und dann anders. Wir haben nun unsere erste Frage beantwortet. Wir haben eine zunehmende Befähigung hergeleitet, durch die Umwelt affiziert zu werden, oder, so können wir nun sagen, wie der Körper die Umwelt auf immer neuen Wegen in Anspruch nehmen kann (so kann Umwelt 0 zu Umwelt 2 werden). Hier gibt es eine wichtige Implikation für die Theorie der Evolution. Um Neuerung und Entwicklung zu erklären, nutzt die traditionelle Evolutionstheorie Mutationen. Die sollen beliebig sein, mit einer natürlichen Auswahl, die für Selektion sorgt, so dass nur das, was sich anpasst, überdauert und sich fort183 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-A · Ereignisse, die dazwischenkommen
pflanzt. Aber das ist schon eine Fragestellung aus der Antike und nicht nur eine der modernen Evolutionstheorie. Studierende der Philosophie erkennen die Mutationstheorie als Anwendung der alten Frage, ob Ordnung zufällig durch regelloses Chaos entstehen kann (siehe Aristoteles, De Anima und Physik). Die Theorie behauptet, dass Mutationen die Evolution ausmachen, nicht weil adaptive Mutationen oft gesehen wurden (Studierende, die sich mit wirklichen Mutationen, zum Beispiel bei den Fruchtfliegen, beschäftigen, berichten, dass diese immer nur verkümmerte Formen sind und keine neuen; und Paläontologen haben nicht Billionen seltsamer Formen ausgegraben), sondern weil die Theorie eine Quelle für Neues benötigt. Das alte Modell kann eine Herausbildung von Struktur nicht erklären. Dieses Problem ist ein Beispiel für die Schwierigkeiten des alten Modells. Neue Organisationsformen müssen sozusagen vom Himmel fallen. Sie müssen »irgendwie« oder »allmählich« von außen übergestülpt sein, weil das Modell, welches festgelegte Teile annimmt, Neuheit zu einem Geheimnis werden lässt. Wenn einmal neue Formen da sind, kann die natürliche Auslese erklären, warum einige von ihnen weiter bestehen bleiben. Dafür gibt es recht gute empirische Bestätigungen: zum Beispiel die Vogelart, die nicht mehr fliegen kann, weil die Flügel, die zur sexuellen Anziehung weit ausgestreckt werden, zu groß geworden sind. Dieses Beispiel zeigt auch, dass Selektion nicht immer adaptiv ist. Ob die Veränderung, die wir gerade hergeleitet haben, adaptiv ist? Wir haben nicht nachgewiesen, dass sie dem Tier nützlich sein kann oder dass sie dabei helfen könnte, einen Stopp wiederaufzunehmen oder sonstwie zu überleben. Das ist zwar nicht sicher, aber sehr wahrscheinlich, wie ich gerne zeigen möchte: Wenn zum Beispiel das Laufen nicht fortzusetzen ist, hilft dann das Waten oder das Schließen der Augen, um wieder aus dem Wasser herauszukommen oder sich an das Wasser zu
184 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Neue Ereignisse auch in dem »gestoppten Prozess« selbst
adaptieren? Wenn ein bestimmter Prozess gestoppt ist, hilft es dann, das erste Stückchen wieder und wieder zu tun? Zu behaupten, dass dies normalerweise hilft, wäre übertrieben. Bestenfalls können wir sagen, dass viele neue Entwicklungen passieren, während ein Prozess gestoppt ist, und dass diese Entwicklungen während des Stopps neue Aspekte der Umgebung in Anspruch nehmen. Das Tier wird sensibler in Bezug auf die Umstände des Stopps. Die dazwischenkommenden Ereignisse nehmen die Umwelt, wie sie zum Zeitpunkt des Stopps ist, in Anspruch, und deshalb beziehen sie höchstwahrscheinlich Faktoren mit ein, die sich für den Stopp zumindest eignen 16 . Deshalb ist es zwar nicht sicher, aber wahrscheinlich, dass eine Art und Weise des Vorantragens entstehen könnte. Obwohl also eine Herausbildung, die zu Adaption führt, wahrscheinlich ist, könnte sie, trotz einer großen Anzahl neuer Entwicklungen, auch nicht geschehen. Dann würde das Tier sterben und die Spezies aussterben. Wenn ein dazwischenkommendes Ereignis den angehaltenen Prozess wieder aufnehmen kann oder wenn all die Veränderungen und neuen Weisen, die Umwelt in Anspruch zu nehmen, ein solches Wiederaufnehmen möglich machen, dann werden die dazwischenkommenden Ereignisse, die zum Wiederaufnehmen geführt haben, Teile dieses funktionalen Zyklus werden. Es kann eine Herausbildung sein, die nun Teil des Zyklus geworden Das gewöhnliche Wort »relevant« könnte hier passen, aber wir haben es bereits in Kapitel IV-A.d dafür verwendet, wie die Vergangenheit in der Gegenwart funktioniert. Dadurch ist sie inhärent relevant; die Vergangenheit würde in dieser Gegenwart nicht funktionieren, wenn sie nicht relevant wäre; dass sie »in der Gegenwart funktioniert«, bedeutet, dass sie zu dem Prozess beitragen kann, die Gegenwart zu gestalten, und dass sie durch ihr Funktionieren in der Gegenwart auch selbst umgestaltet werden kann (siehe Kapitel IV-A.d und VII). Ich möchte das Wort »geeignet« (pertinent) eine weniger inhärente Beziehung zum Ausdruck bringen lassen. Während eines Stopps in der Umwelt ist alles geeignet, so wie alle Informationen zur Lösung eines Problems geeignet sind. Aber nur einige dieser Informationen führen tatsächlich zu einer Lösung.
16
185 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-A · Ereignisse, die dazwischenkommen
ist. Das ehemalige dazwischenkommende Ereignis wird nun den Prozess im gleichen Sinn »vorantragen« können wie jeder andere Prozessabschnitt. Was aber wird aus den anderen dazwischenkommenden Ereignissen, die nicht zu einem Wiederaufnehmen des Prozesses führen? Dort, wo sie sich entwickelt haben, werden sie nach wie vor geschehen, aber sie wären nicht in gleicher Weise Teil des funktionalen Zyklus. Wir werden allerdings bald sehen, dass sie eine wichtige Rolle spielen. In Kapitel IV haben wir gesehen, dass das, was zu einer Wiederaufnahme des gestoppten Prozesses führt, ganz etwas anderes sein kann als das Objekt, das ursprünglich gefehlt hat. Die dazwischenkommenden Ereignisse sind alles Veränderungen der Art und Weise, wie der Körper »geschieht«. Die Veränderungen ermöglichen dem Körper vielleicht, durch andere als die ehemaligen Umweltaspekte vorangetragen zu werden. Den Unterschied, den ein Stopp macht, habe ich das »Schema« genannt. Nun haben wir gesehen, dass durch Geschehen diese Veränderungen weitergehen und sich sogar vermehren können. Dazwischenkommende Ereignisse können als Besonderheiten des Schemas aufgefasst werden, als eine Art der Weiterentwicklung des Schemas, und das können manchmal recht dramatische neue Ereignisse und Ausgestaltungen sein. Diese Entwicklung wird selbst dann einen großen Unterschied gemacht haben, wenn das Objekt, das den Prozess wieder aufnimmt, dasselbe wie eh und je ist, denn jetzt geschieht es zusammen mit einer Menge an zusätzlichen Umweltinteraktionen. Also ist das Ereignis des Wiederaufnehmens des Prozesses viel komplexer und differenzierter als vor dem Stopp. Ein Betrachter könnte nur das Objekt bemerken, das möglicherweise gleich aussieht, aber im Prozess geschieht das Objekt nun zusammen mit anderen Umweltaspekten. Nach der Herausbildung von dazwischenkommenden Ereignissen geschieht das Objekt im Kontext von komplizierteren Weisen, die Umwelt in Anspruch zu nehmen. 186 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Kapitel V-B: Stabilität: Der offene Zyklus
Ein Prozess kann angehalten werden, auch wenn viele dazwischenkommende Ereignisse und »Leafings« geschehen. Das Tier kann sterben. Die Art kann aussterben. Das kann schnell passieren oder langsam. Viele neue Formen können sich entwickeln, und dennoch kann der Prozess angehalten und impliziert bleiben. Trotz all der neuen Entwicklungen, die dazwischenkommen, kann das Tier sterben. Die Ereignisse, die dazwischenkommen, sind also eine neue Art von Vorantragen, weil sie ein Vorantragen im gestoppten Prozess sind und ihn möglicherweise nicht wiederaufnehmen können. Auf eine Art sind diese Ereignisse deshalb ein Vorantragen und auf eine andere Art auch nicht. Sie sind nicht das Vorantragen des gestoppten Prozesses, weil dieser Prozess noch immer impliziert ist. Sie sind eine neue oder spezielle Art des Vorantragens. Ich nannte sie »gestoppt/weitergehend«. Diese widersprüchliche Bezeichnung sagt beides: dass sie weiterführende Geschehnisse sind, die erweitern und vermehren, während der Hauptaspekt des Prozesses immer noch gestoppt und immer noch impliziert ist. Die »Leafings« sind eine Sequenz von Versionen des Stopps. Jedes Stückchen ist eine etwas andere Version. Andere Arten von dazwischenkommenden Ereignissen sind auch Versionen des Stopps, aber weniger offensichtlich. Die »Leafings« wiederholen den Stopp ständig. Eine Veränderung im Körper oder in der Umwelt kann einige dieser wiederkehrenden »Leafings« ändern. Das kann passieren, weil sich die körperlichen Prozesse gegenseitig beeinflussen 187 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-B · Stabilität: Der offene Zyklus
oder weil eine Veränderung einen Einfluss auf die Umwelt hat, die dann wiederum die »Leafings« beeinflusst. Deshalb haben die »Leafings« (und die anderen dazwischenkommenden Ereignisse) den Körper »sensibler« gemacht. Mehr Aspekte der Umwelt können auf ihn einwirken als vor der Entwicklung der wiederholten »Leafings«. Wir erinnern daran, dass einige dieser dazwischenkommenden Ereignisse auch neue Körperstrukturen sind. »Leafings« sind Prozessstückchen, die nur so weit geschehen, wie der Prozess geschehen kann, und das ist jedes Mal das erste Stückchen. Dasselbe wird auch in den Subprozessen passieren (Kapitel IV-A.c). »Leafings« und andere dazwischenkommende Ereignisse sind nicht selber funktionale Zyklen. Sie sind alles Teile des einen Implizierens des gesamten Körper-Ereignisses (IV-A.b), sie sind kein Implizieren neuer Prozesse mit den je eigenen daraus folgenden Sequenzen. Diese neuen Herausbildungen führen selber nirgendwo hin. Wir können auch sagen: sie führen »ins Blaue«. Sie sind wie Finger eines Flusses, der gestoppt wird und sich ausbreitet. Sie fließen, so weit wie sie können; sie entstehen und wiederholen sich ständig wieder, solange der Stopp anhält. Sie sind deshalb immer wieder impliziert. Sie entstehen neu, so weit wie sie können, und zwar immer ein bisschen anders als das letzte Mal. Während unser funktionaler Zyklus in Kapitel II ein Kreis (lauf) war (wir haben Verdauung als Beispiel genommen: Nahrungsaufnahme, Sättigung, Ausscheiden, Ausruhen, Hunger, Nahrungssuche und so fort), ist dieses neue Wiederholungsmuster nicht kreisförmig. Stattdessen ist dieser Wiederholungskontext offen. Wie die Finger an unserer Hand gehen sie, wenn wir sie ausstrecken, so weit, wie sie können, und stoppen dann. Als Finger eines funktionalen Zyklus will ich sie einen offenen funktionalen Zyklus nennen oder einfach: den »offenen Zyklus«. Ich nenne das auch den »Wiederholungskontext«. »Offener Zyklus« klingt widersprüchlich. Der Wieder188 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-B · Stabilität: Der offene Zyklus
holungskontext ist Teil des Implizierens des funktionalen Zyklus, aber er ist offen; es hat dafür noch nie eine Vervollständigung gegeben. Er impliziert »ins Blaue hinein«, und doch hat er das Vervollständigungsimplizieren des funktionalen Zyklus. Wir können den Terminus »funktionaler Zyklus« selber in funktionaler Weise erklären, denn was uns wichtig ist, ist nicht der geschlossene Kreis, sondern dass er ein weitergehendes Implizieren hat. So ist es nämlich mit seinen offenen Fingern – sie haben das eigene ursprüngliche Implizieren des funktionalen Zyklus (in sich). Trotzdem sind sie offen. Wir haben etwas entwickelt, das nicht nur (über die Wiederholung) stabil ist, sondern auch offen für Neues. Von Anfang an haben wir gesagt, dass Implizieren für jede Art von Vorantragen offen ist, nicht nur für einen ganz bestimmten Ablauf. Der funktionale Zyklus selber ist offen für Neues. Die dazwischenkommenden Ereignisse sind tatsächlich kleine Stückchen von etwas Neuem, eine neue Art des Vorantragens. Der offene Zyklus stellt eine Stabilität her, die in unserem Modell neu ist. Bisher hatten wir auf dem Weg zum wiederaufgenommenen Prozess nur neues, frisches Vorantragen. Nun haben wir eine Serie von Impulsen, die nirgendwohin führen. Sie würden weiterführen, wenn sie könnten, aber da kein »weiter« passieren kann, wiederholen sie sich ständig. Dort ist keine neue Quelle für ein Implizieren. Es ist lediglich ein spezieller offener Teil eines funktionalen Zyklus. »Offener funktionaler Zyklus« ist eine schematische Darstellung. Seine Brauchbarkeit bleibt so lange anzuzweifeln, bis er verwendet wird und damit vieles andere (empirische Daten und praktische Beispiele) formuliert werden kann. In Kapitel VI wird uns dieses Konzept ermöglichen, Verhalten und Wahrnehmung ganz anders zu formulieren, als wir es jetzt tun können. Es wird uns ermöglichen, die Prozessbeziehung zwischen Implizieren und Geschehen im Ansatz des Begreifens von Stabilem einzubauen. 189 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-B · Stabilität: Der offene Zyklus
Es ist von großer Bedeutung, genau zu sehen, wie wir etwas Stabiles und Konstantes aus unseren ursprünglichen Konzepten von Veränderung hergeleitet haben. Das alte Modell versucht (und scheitert daran), Veränderung aus basalen Konzepten von Statischem und Gleichem zu erklären. Wir wollen genau verfolgen, wie wir das scheinbar Statische aus dem Prozess heraus entwickeln, genauer gesagt: aus sich wiederholenden Veränderungsimpulsen. Für einen Betrachter könnten sie so etwas wie ein statischer Zustand sein. Sehen zum Beispiel kann wie ein einfaches ständiges Affiziertwerden aussehen, wie eine konstante Rezeptivität, aber tatsächlich ist es ein kontinuierliches rhythmisches Scannen. Viele der konstanten körperlichen Zustände entstehen und werden aufrechterhalten durch einen oder mehrere Prozess(e), die wiederholt passieren. Das Konzept »Der Körper generiert (sich) einen Kontext, in dem er dann weitergeht« hatten wir schon aufgestellt, als wir über Umwelt 3 sprachen. Unser neuer Kontext, der während eines Stopps generiert wird, ist Teil der Umwelt 3. Wenn der gestoppte Prozess nun auf irgendeine Weise wieder aufgenommen wird, passiert dieses Wiederaufnehmen inmitten all der dazwischenkommenden Ereignisse, die ihrerseits auch weitergehen. Das Wiederaufnehmen geschieht im Kontext all dieser neuen Umgebungsinteraktionen. Die »Leafings« sind wie die Finger, die ein Fluss macht, aber sie sind nicht der Finger, der ein neues Flussbett macht. Der Finger, der dann ein neues Flussbett macht, ist einer von ihnen und geschieht im Kontext ihres gesamten Miteinander-Geschehens. Die dazwischenkommenden Ereignisse formieren sich auf eine koordinierte differenzierte Art und Weise zusammen mit anderen Veränderungen, und auch sie geschehen nur zusammen mit dem restlichen Körper-Ereignen. In dieser Hinsicht sind sie lediglich Teil des ganzen Geschehens. Aber insofern die »Leafings« eine konstant sich wiederholende Körper-Umwelt bilden – das heißt einen Sektor der Kör190 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-B · Stabilität: Der offene Zyklus
per-Umgebung, der »derselbe« bleibt –, geht der Veränderungsprozess in diesem »stabilen« Kontext weiter. Das schafft eine neue Bedeutung unseres Ausdrucks »in etwas vor sich gehen«, und es ist eine neue Art von Umwelt 3. Immer wenn ich auf eine neue Ebene gelange, mache ich das so, wie ich es eben getan habe. Ich werde die neue Art des Vorantragens immer als dasjenige einbringen, was wir schon hatten (natürlich in verschiedener Hinsicht), und als eine neue Art. In gewisser Hinsicht ist die neue Entwicklung leicht zu verstehen als Teil dessen, was wir schon hatten, während sie in anderer Hinsicht etwas Neues herausbildet und nur dann verständlich wird, wenn wir weitergehende Konzepte bilden. Wir müssen mit beiden Sichtweisen weitergehen. Das »Leafing« ist ein neuer stabiler Kontext, in dem der Prozess nun weitergeht, aber es ist auch Teil jedes Körper-UmweltGeschehens. Die dazwischenkommenden Ereignisse sind selbstverständlich Interaktionen mit der Umwelt wie jeder andere Prozess auch. Wenn die Leafing-Geschehnisse sich wiederholen, verhelfen sie dem Organismus zu einer konstanten (das heißt sich wiederholenden) Interaktion mit der Umwelt. Innerhalb dieses sich wiederholenden Pulsierens macht eine Veränderung in der Umwelt einen Unterschied. Zum Beispiel werden die »Leafings« anders sein, wenn man hungrig ist als wenn man satt ist, auch wenn die »Leafings« immer weitergehen. Viele (nicht alle) Körperprozesse werden in einer ursprünglich interaffizierenden Beziehung zum offenen Zyklus stehen und werden nur in einigen seiner Zeitspannen auftreten. Wir können auch sagen: ..... werden nur zusammen mit gewissen Aspekten der Umwelt auftreten, die auf eine sich wiederholende Art und Weise den offenen Zyklus in Anspruch nehmen. Deshalb ist die Umwelt anders, wenn es hell ist oder dunkel, warm oder kalt und nicht nur so, wie der Umwelt 1-Betrachter sie definiert und wie er die Zusammenhänge herstellt. Der Organismus ist nun auch »sensibel auf« viele neue Aspekte der Umwelt, 191 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-B · Stabilität: Der offene Zyklus
das heißt, dass er wiederholt mit vielen neuen Umweltaspekten interagiert als Teil jedes neuen ganzen Körpergeschehens. Wir haben nun einen »offenen Zyklus«: einen »stabilen« Kontext sich wiederholender Interaktionen, die Teil der Körpergeschehnisse sind, Teil des »Alles-durch-Alles«. Viele Phasen vieler (nicht aller) Körperprozesse werden damit in koordinierter Weise differenziert (Kapitel IV-A.a) und werden nur mit gewissen dieser sich wiederholenden Umwelt-Interaktionen geschehen. Wenn Körper und Umwelt sich verändern, kann dieser »stabile« Kontext einige dieser Veränderungen registrieren. Aber das Wort »registrieren« ist hier zu früh; das Wort impliziert, dass etwas durch etwas oder durch jemanden registriert werden kann, und das ist hier nicht der Fall. Jetzt, da der Körper einen offenen Zyklus als Sektor hat, können viel mehr Veränderungen in der Umwelt den Körper affizieren. Das ist vorläufig alles. Wenn der Prozess schließlich vorangetragen wird, geschieht das wahrscheinlich mit dem einen oder anderen der vielen dazwischenkommenden Ereignissen. Dies kann einerseits passieren, weil ein neuer Umwelt-Aspekt in einem sich wiederholenden »Leafing« sich als derjenige herausstellt, der (nach einigen Versionen) den Hauptprozess voranträgt. »Leafings« führen den Körper so zu einem neuen Aspekt der Umwelt, der voranträgt. Andererseits können die Änderungen durch Interaffizieren den Körper so verändern, dass eine Wiederaufnahme des Stopps durch einen Umwelt-Aspekt möglich wird, mit dem dies zuvor nicht möglich war. Oder beides trifft zu. Sobald eine Prozess-Wiederaufnahme im »Kontext« des »stabilen Leafings« geschieht, wird sie auch diesen offenen-Zyklus-Kontext selber verändern. Auch würde eine solche Veränderung im offenen Zyklus aufgrund einer solchen Wiederaufnahme des Prozesses nun Teil des »Alles-durch-Alles« der nächsten Prozessgeschehnisse werden. Der offene Zyklus ist nicht getrennt, er ist Teil eines jeden Körper-Geschehnisses, Teil des »Alles-durch-Alles«. 192 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-B · Stabilität: Der offene Zyklus
Wenn diese Konzepte auf ein nächstes Thema stoßen, können sie noch präziser werden. Lassen Sie mich ein wenig mehr darüber sagen, wie wir auch hier in den Konzepten weitergehen, die ich bis jetzt gebildet habe. In Kapitel III haben wir den Stopp erörtert, und das hat uns dazu befähigt, im Kapitel IV über Kapitel II zu sagen, dass Vorantragen ein ursprüngliches Wiederaufnehmen ist. Im Kapitel V haben wir nun die dazwischenkommenden Ereignisse entwickelt, eine Art von Neuerung, wodurch wir dann sehen konnten, dass diese eigentlich das Schema sind – das heißt: Das, was weitergeht, ist während eines Stopps anders als ohne ihn. Wir haben hervorgehoben, dass diese Neuerung aus großen und dramatischen Ereignissen bestehen könnte. Während wir neue Konzepte entwickeln, merken wir, dass diese auch rückwirkend anzuwenden sind und uns so befähigen, unsere früheren Konzepte weiterzuentwickeln. Wir »wenden« sie nicht einfach rückwirkend an, sondern die neueren Konzepte differenzieren sich weiter dadurch, dass wir sie retroaktiv verwenden. Eine Art und Weise, in der ich jetzt vorgehe und die ich als eigenständiges Konzept etablieren möchte, lautet: etwas zuerst entwickeln und dann darin weitergehen. Wieder ist dies eine Bewegung wie im griechischen Theta. Zuerst macht die Linie des Thetas fast einen Kreis, aber dann, statt den Kreis zu vollenden, geht sie zurück in einer weiteren Bewegung und vorwärts durch den bereits gemachten, fast vollständigen Kreis. Es ist das Diagramm, das ich am Ende von Kapitel IV präsentiert habe. Es bedeutet, dass der Prozess für sich selbst einen Kontext generiert, in dem er weitergeht. Umwelt 3 ist schon so, und jetzt ist der offene »Leafing«-Zyklus eine neue Art von Umwelt 3. Jetzt kommen wir endlich zu Konkreterem. Wir werden unsere Konzepte anwenden, um weitere Begriffe zu entwickeln, um Verhalten, Wahrnehmung und Objekte, die bestehen bleiben, herzuleiten, sowie Gefühl, Motivation und Erinnerung, die uns über die Art von Raum und Zeit nachdenken lassen, die ein 193 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
V-B · Stabilität: Der offene Zyklus
Prozess »haben« kann. Wir werden außerdem Konzepte entwickeln, mit denen Kultur, Sprache und Denken über sich selbst sprechen können, nicht nur wie bisher, sondern in Begriffen, die uns erlauben, in unsere Komplexität einzutreten.
194 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Kapitel VI: Verhalten Kapitel VI-A: Verhalten und Wahrnehmung
Gewöhnlicherweise wird Wahrnehmung (perception) ähnlich wie die Fotographie oder der Radioempfang aufgefasst, nämlich als eine Art Aufnahme. Dies bringt Schwierigkeiten mit sich. Nicht nur hat es zu vielen Kontroversen geführt (siehe The Responsive Order und The Primacy of the Body, not the Primacy of Perception). Vor allem verhindert diese alte Denkweise, Wahrnehmung deutlich zu Verhalten und zu Körperprozess in Beziehung zu bringen. Wahrnehmung ist immer ein Teil des Verhaltens, und Verhalten ist eine spezielle Art von Körperprozess. Wenn diese Verbindungen nicht gesehen werden, dann scheint die Verhaltensforschung zu einem Gebiet zu gehören und Physiologie zu einem anderen. Im alten Modell wird alles als Raum-Zeit-Ereignisse aufgefasst, die durch von außen auferlegte Gesetzmäßigkeiten verbunden sind. Körperprozess, Verhalten und menschliche symbolische Handlungen werden in diesem Modell auf ähnliche Weise dargestellt, so wie alles andere auch. Dadurch gehen wichtige Charakteristiken (Leben, Motivation, Bewusstsein) verloren, und was der Wissenschaft verbleibt, erscheint entsprechend verkürzt. In unserem Modell, das sich vom Explizieren herleitet, geschieht Geschehen ins Implizieren hinein. Von Anfang an funktioniert eine enorme implizite Vielfalt in der Herausbildung des Geschehens. Ein Prozess hat seine eigene Kontinuität. Wir haben gerade das Konzept des »offenen Zyklus« entwickelt, eines sich stets wiederholenden Bereichs der Körper195 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VI-A · Verhalten und Wahrnehmung
Umwelt-Interaktion (»Leafing«). Je mehr dazwischenkommende Ereignisse – »Leafing«-Interaktionen – sich entwickeln, umso vielfältiger kann die Umwelt auf den Körper einwirken. Eine Veränderung im Körper oder in der Umwelt kann diesen stets sich wiederholenden Bereich verändern. Er ist eine zweite Umwelt. Der Körper kann nun nicht nur durch die Umwelt als Körper-Umwelt affiziert werden, sondern auch innerhalb seines sich stets wiederholenden offenen Zyklus-Sektors (der ein Teil der Körper-Umwelt ist). Die »Leafings« sind ein Teil des Körpers, aber da sie sich ständig wiederholen, stellen sie eine Art Hintergrund zur Verfügung, in den hinein der Körperprozess jetzt geschieht. Wir werden uns diesen Hintergrund weiter unten genauer ansehen. Diese vermehrte Affizierbarkeit, so sagten wir am Ende von Kapitel V, ist noch nicht Wahrnehmung. Wir werden Begriffe dafür zu entwerfen haben, die zeigen, inwiefern Wahrnehmung mehr ist, als nur affiziert zu werden. Alles Mögliche kann affiziert werden, selbst ein Stein. Aber wir sagen vom Stein nicht, dass er wahrnimmt. Der Beobachter ist es, der die Veränderung des Steines wahrnimmt. Der Beobachter nimmt auch jene Art von Veränderung bei einem Tier wahr, die wir tatsächlich »Wahrnehmung« nennen. Bis jetzt konnten wir noch keinen Unterschied festmachen. Zu fragen ist, wie der Lebensprozess selbst wahrnehmen kann (statt nur affiziert zu werden, so dass der Beobachter derjenige ist, der wahrnimmt). In Kapitel V sahen wir, wie sich neue Entwicklungen zwischen zwei Veränderungswegen unbegrenzt fortsetzen könnten. Jede Körperveränderung könnte (durch Interaffizieren) weitere Körperveränderungen veranlassen und auch die Umwelt der anderen Körperprozesse verändern (durch die geteilte Umwelt). Jede Veränderung der Umwelt könnte die Umwelt anderer Körperprozesse verändern (durch die geteilte Umwelt), die wiederum den Körper (durch Interaffizieren) verändern. All dies betrifft Körperprozesse untereinander, lang bevor sich ein stets wiederholender offener Zyklus entwickelt hat. 196 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VI-A · Verhalten und Wahrnehmung
Jetzt, da der Körper einen ständig sich wiederholenden Sektor hat, können sich der ganze Körper und dieser Sub-Sektor ebenfalls interaffizieren, und beide können sich gegenseitig durch ihre geteilte Umwelt verändern. Wir wollen uns nun mit diesem Konzept weiter vorantasten. Wenn der offene Zyklus hoch entwickelt ist (wenn es viele sich stets wiederholende Umwelt-Interaktionen gibt), wären die Veränderungen gemäß unseren beiden Wegen (Interaffizieren und geteilte Umwelt) beachtlich. Eine Veränderung im Körper könnte den offenen Zyklus verändern, indem sich beim Interaffizieren die Art und Weise verändert, wie der Körper seinen offenen Zyklus impliziert; die Veränderung könnte auch zu einer veränderten Umwelt 2 führen, so dass der Körper den offenen Zyklus etwas anders beansprucht. Eine Veränderung im offenen Zyklus könnte den Körper beim Interaffizieren verändern, weil gewisse geteilte UmweltAspekte die Umwelt 2 des Körpers verändern könnten. Jede dieser Veränderungen kann jede dieser anderen Veränderungen mit sich bringen. Wir wollen uns daran erinnern, wie verwundert wir waren, dass ein »Alles-durch-Alles«-Geschehen nicht alle Veränderungen zugleich umfasst, und dann bemerkten wir, dass »Alles durch Alles« (oder Implizieren) immer Teil eines Umwelt-Geschehens ist (Veränderung über diese beiden Wege geschieht gleichzeitig, aber weitere Veränderungen, die daraus resultieren, geschehen nur mit weiterem Geschehen). Nehmen wir einmal an, dass ein Stopp im Körperprozess große Veränderungen im offenen Zyklus bewirkt. Wenn die Interaktionen des »Leafings« sehr unterschiedlich sind, wird dieses »Registrieren« der körperlichen Veränderung wiederum den ganzen Körper affizieren (beim Interaffizieren und durch die geteilte Umwelt 2), wodurch wiederum verändert wird, wie der Körper sich in seinem stets wiederholenden Zyklus registriert, was wiederum den Körper verändert. 197 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VI-A · Verhalten und Wahrnehmung
Nun geschieht eine neue Art von Sequenz. Die Veränderung im Körper (Körper-Umwelt 2) wird als Veränderung im offenen Zyklus registriert, auf einem oder auf beiden Wegen, und diese Veränderung verändert den Körper und seine Umwelt 2, was wieder eine Veränderung (auf beiden Wegen) darin macht, wie der Körper mit dem offenen Zyklus interagiert. Der Körper geht durch Veränderungen hindurch aufgrund der Art und Weise, wie er in seiner Umwelt 2 ist, und diese Veränderungen verändern, wie der Körper im Bereich des offenen Zyklus ist. Jede Veränderung des offenen Zyklus verändert den Körper weiter, und dadurch verändert sich wieder, wie der Körper in seinem offenen Zyklus ist. Der Körper bewegt sich durch eine Sequenz neuartiger Körper-Umwelt-Veränderungen, die zwischen dem Körper und seinem eigenen sich dauernd wiederholenden Bereich durch das Registrieren dieser Veränderung hervorgerufen werden und durch die Veränderung, die dieses Registrieren auslöst. Der Körper hat zwei Umwelten: seine Umwelt 2 und seinen sich stets wiederholenden Sektor. Der Körper schafft diese Veränderungen und reagiert auf sie in einem Feedback-Verhältnis, und zwar zwischen sich als ganzem (Körper-Umwelt 2) und den Veränderungen in seiner selbst gemachten Umwelt, dem offenen Zyklus. Der Körper verändert sich selbst und bewegt sich selbst durch diese Veränderungen. Wir haben Verhalten hergeleitet! Genauer gesagt, wir haben eine Art Konzept ausgearbeitet. Wenn wir im Rahmen dieses Konzeptes nachdenken, können wir dem Verhalten gerechter werden als mit dem alten Modell. Natürlich ist es nur ein Schema, eine konzeptionelle Struktur, aber vielleicht ein besseres Modell, um Konzepte über das Verhalten zu erstellen, als das bestehende. Was sind denn die Vorteile, die besonderen Charakteristiken dieses neuen Konzepts, dieser neuen Art von Sequenz? 198 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VI-A · Verhalten und Wahrnehmung
Ähnlich wie bei den dazwischenkommenden Ereignissen in Kapitel V könnte diese neue Entwicklung anpassungsfähig sein. Sie könnte es natürlich auch nicht sein. Aber der Organismus bewegt sich. Was während eines Stopps fehlt und impliziert wird, kann eher angetroffen werden, wenn sich das Tier bewegt. Oder anders ausgedrückt: Jetzt sind der Körper und die Umwelt während eines Stopps nicht auf eine einzige Weise festgelegt, sondern das Tier bewegt sich durch einen ganzen Strang veränderter Versionen des »gleichen« Stopps (oder »des gleichen« Implizierens). Dadurch kann dem eher begegnet werden, was der Körper impliziert, oder es kann sich entwickeln. Es muss aber nicht. Wir sagen nur, dass die neue Sequenz immer zum Stopp gehört. Mit unserem Konzept können wir auch die hinlänglich bekannte Tatsache verstehen, dass die Körperstruktur sich in Übereinstimmung mit dem Verhalten entwickelt. Was in Kapitel V gezeigt wurde, ist immer noch zutreffend: Verhaltensmäßige Ereignisse sind ein spezieller Fall neuer dazwischenkommender Ereignisse – ein neuer Gewebeprozess. Verhaltensmäßige Ereignisse sind neue körperliche Entwicklungen und Interaktionen mit neuen Aspekten der Umwelt. Aber ist diese Sequenz nicht nur eine, wie wir sie schon in Kapitel V hatten, eventuell nur beschleunigt? Oder ist sie anders? Sie ist beides. Wir können über die Verhaltenssequenz nachdenken wie über dazwischenkommende Ereignisse, die von derselben Art sind wie diejenigen in Kapitel V (was sie auch sind), und wir können sie auch als neue Art von Veränderung denken, die vor dem Hintergrund eines sich stets wiederholenden Zyklus geschieht, der sich aus früheren dazwischenkommenden Ereignissen heraus entwickelt hat. Wir können dieses Wiederholen beispielsweise analog zu einem Fernsehschirm denken. Die Fernsehröhre projiziert einen Strahl auf den Schirm. Dieser Strahl geht sehr schnell auf der Horizontalen hin und her, und es bilden sich sehr dünne regelmäßige Linien, die immer gleich bleiben. Das Bild entsteht, in199 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VI-A · Verhalten und Wahrnehmung
dem das Signal von der Antenne auf diesen Linien-zeichnenden Strahl einwirkt, so dass der Strahl die Bild-Signale als Veränderungen dieser Linien registriert. Jetzt könnten wir zu Recht sagen, dass das Bild aus denselben Linien besteht, bloß dass diese aus ihrer gewöhnlichen Bahn gezogen werden. Das Bild ist nur eine spezielle Form genau dieser Linien. Oder wir könnten auch sagen, das Signal ist etwas anderes, das vor dem Hintergrund dieser sich wiederholenden Linien registriert wird. Die regelmäßigen Linien des Fernsehstrahls geschehen nicht, wenn das Bild den Strahl aus seiner gewöhnlichen Linienführung zieht. Darin unterscheidet sich das Fernsehen von (beispielsweise) Diagrammpapier, weil hier die Linien vorhanden bleiben unter dem, was darauf gemalt wird. Der offene Zyklus ist in dieser Hinsicht wie Fernsehen, nicht wie Diagrammpapier. Der offene Zyklus geschieht nicht wie üblich, nur mit einer neuen, zusätzlichen Form, wie es bei Diagrammpapier wäre. Stattdessen formt er sich ausschließlich als verändert. Ein anderes Beispiel: Ein Film besteht aus einer Serie »gleicher« Bilder, außer dass jedes etwas anders ist als das vorherige. Wir sehen die Bewegungen, weil sich die Veränderungen gegen die sich wiederholenden Aspekte abheben können. Noch ein anderes Beispiel: Haben Sie bemerkt, wie der Wind im Gras sichtbar ist? Und natürlich sehen wir ihn auch in den Blättern und Zweigen der Bäume. Wir könnten den Wind nicht sehen außer dadurch, dass er in einem ansonsten stabilen Kontext, in dem der Wind die Veränderung ist, registriert wird. In unserer neuen Sequenz bewegt sich der Körper durch die Veränderungen, die durch das Registrieren gemacht werden (via Interaffizieren und Umwelt). Das unterscheidet diesen Prozess von den obigen Beispielen. Der Wind wird nicht angetrieben durch das Registrieren des Grases. Aber wir können uns von dorther vorstellen, dass ein vorhandener sich wiederholender Kontext Veränderungen registrieren kann, gerade indem er gleich bleibt, so dass die Veränderungen darin auffallen. Wenn eine neue Art von Sequenz sich in unserem Modell 200 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VI-A · Verhalten und Wahrnehmung
entwickelt, dann ist sie jeweils sowohl ein spezieller Fall einer früheren als auch eine neue Art von Sequenz überhaupt. Sie bildet sich wie die alte Art, aber in ihr findet sich eine neue Art des Vorantragens. Wir bemerken, dass in der Verhaltenssequenz eine neue Art des Vorantragens enthalten ist. In Kapitel III habe ich das Wort »erkennen« noch zu früh gebraucht. Ich sagte, dass sich der ganze gestoppte Prozess wieder aufnimmt, wenn ein fehlender Umwelt-Aspekt wieder auftaucht. Es könnte so aussehen, als ob der Körper das fehlende Objekt »erkennt«. Nun können wir das Wort in einem zweiten (immer noch zu frühen) Sinn gebrauchen. Der Körper erkennt das nächste körperliche Geschehen als Vorantragen dessen, was er impliziert hat, aber jetzt erkennt er auch das nächste Geschehen als das Registrieren der Bewegung seines eigenen Körpers wieder, und dies konstituiert wiederum seine nächste Bewegung. Nun haben wir ein verdoppeltes »Erkennen«, da es ein verdoppeltes Implizieren gibt. Wir haben zwar noch die gewöhnliche Art des körperlichen Implizierens und Geschehens (Verhalten ist immer Teil eines körperlichen Ereignisses), aber zugleich haben wir jetzt auch das neue Verhältnis. Bislang haben wir jedoch noch gar nicht gesagt, dass der Körper auch impliziert, wie er seine Bewegung registrieren wird. Aber wenn er sein Registrieren impliziert hätte, dann würde das Registrieren, das stattfindet, in dieses Implizieren hinein geschehen und es vorantragen. Dieses zweite Implizieren ist aber noch nicht da, wenn sich die Sequenz erst bildet. Die neue Sequenz bildet sich als dazwischenkommende Ereignisse, erst dann findet sie sich in dieser doppelten Weise vorangetragen. Sobald sich der Körperprozess doppelt vorangetragen findet und die Sequenz Teil des »Alles-durch-Alles« wird, wird das Registrieren, das auch die nächste Bewegung ist, Teil des einen umfassenden körperlichen Implizierens (Kapitel IV-A.b). Die körperliche Veränderung ist auch das Implizieren ihrer Registrierung und der weiteren Bewegung, die das Registrieren 201 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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macht. Wir können daher sagen, dass der Körper die Veränderungen des offenen Zyklus als seine eigene Veränderung erkennt. Damit haben wir nun hergeleitet, warum das Lamm an der Kante des Abhangs stehen bleibt, obwohl es noch nie einen Abhang gesehen hat. Das implizierte Registrieren ist nicht gekommen, und deshalb bleibt die Bewegungssequenz stehen. An der Kante ist das Registrieren nicht so, wie die Körperbewegung ihr Registrieren impliziert hat. Das Lamm erkennt den Abhang nicht wieder als impliziert durch seine eigene Bewegung, und darum bleibt es stehen. Aber auch hier ist die Verwendung des Wortes »Wieder-Erkennen« noch zu früh. »Erkennen« (cognition) beinhaltet noch etwas mehr, etwas, das wir erst in Kapitel VII aufnehmen werden. Verhalten ist eine neue verdoppelte Art des Implizierens und Vorantragens. Der Körper wird dadurch dazu gebracht, das Registrieren des eigenen offenen Zyklus zu implizieren. Wir wollen nun weitergehen. Der Körper bewegt sich fort, indem er registriert, wie er sich gerade bewegt hat. Er bewegt sich und ist dann affiziert durch das Wieder-Erkennen dessen, was er gerade getan hat. Jedes bisschen Sequenz enthält die körperliche Auswirkung (das Registrieren) darauf, wie sie gerade war, wodurch sie auch entsteht. Wir könnten sagen, dass der Körper sein eigenes Tun fühlt! Wir wollen versuchen, dies »Fühlen« (feeling) zu nennen. Der Begriff »Fühlen« ist, wie die meisten anderen Begriffe, derzeit nicht besonders klar. Es scheint nach wie vor keinen guten Weg zu geben, darüber nachzudenken, was Fühlen ist und warum ein Fokussieren darauf zu Informationen über eine Situation (die Umwelt) führt, d. h. wie es überhaupt Information »enthalten« könnte. Es ist auch merkwürdig, warum Fühlen Veränderung mit sich bringt – zum Beispiel in der Psychotherapie. Man spricht momentan über das Fühlen so, dass man be202 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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rechtigterweise fragen könnte: »Was bringt es mir schon, all das Zeug zu fühlen, das ich vermieden habe? Vielleicht finde ich ja mehr darüber heraus, aber wie wird es sich dadurch verändern?« Natürlich ist die Antwort darauf komplex (siehe Focusing-orientierte-Psychotherapie), aber Fühlen ist selbst ein Veränderungsprozess. Es sollte nicht als Substantiv, sondern als Verb verstanden werden – als Sequenz. Mit unserem neuen Modell können wir die implizite Umwelt-Information des Fühlens explizieren und auch dessen Ursprung im Verhalten. Später werden wir auch entwickeln, wie Fühlen ohne sichtbares Verhalten vor sich gehen kann. Aber immer wird es Teil irgendeiner Art von Verhaltenssequenz sein – diese bewegt den Körper durch die Auswirkungen der Manifestation seiner eigenen Bewegungen, d. h. durch die Auswirkungen dessen, wie der Körper soeben war. Was wir »Fühlen« nennen, hat (ist) doppelte Information. Es ist eine körperliche Veränderung. Und es ist auch die Manifestation dieser körperlichen Veränderung in der sich stets wiederholenden Umwelt. Eine körperliche Bewegung impliziert jetzt auch ihre Manifestation, welche die nächste Bewegung auslöst. Darum ist Fühlen eine Serie, nicht nur eine Manifestation. Entsprechend müssen wir verbessern, was ich soeben gesagt habe, nämlich dass Fühlen »die« Auswirkung »der« Manifestation sei. Fühlen ist die Serie der Veränderungen, die durch die Auswirkungen der Manifestationen dessen, wie der Körper war, erstellt wird. Später werden wir über dasjenige Fühlen nachzudenken haben, das ohne sichtbares Verhalten einzutreten scheint. An diesem Punkt hier existiert Fühlen nur im Verhalten, als Serie körperlichen Wieder-Erkennens. Um uns daran zu erinnern, wollen wir es »Fühlen-im-Verhalten« nennen. Was ich als »Wieder-Erkennen« bezeichne, ermöglicht uns zu verstehen, wie sich Fühlen in sich selbst verortet. Im Fühlen fühlt sich der Körper selbst, aber nicht so, als ob er ein Objekt unter anderen Objekten wäre. Stattdessen fühlt der Körper seine Umwelt, indem er wieder-erkennt, was er gerade getan hat. 203 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Fühlen ist die Serie der Auswirkungen dessen, was der Körper gerade getan hat. Durch das Fühlen ist der Körper nicht nur, sondern fühlt die Auswirkung davon, wie er »war«. Das ist Empfindungsvermögen. Wir haben Bewusstsein hergeleitet!! Das ist die hochtrabende Art, es zu sagen. Wir wollen Bewusstsein (»consciousness«) nicht auf irgendein simples Schema reduzieren. Wir haben lediglich ein Konzept hergeleitet, mit dem wir über einen Aspekt von Bewusstsein nachdenken können, nämlich über seine Selbst-Registrierung. Zu bemerken ist allerdings, dass wir hiermit nicht jenem Konzept von »Bewusstsein« entsprechen, das gemäß westlicher Tradition als eine Art von Licht betrachtet wurde, das etwas schon vorher Vorhandenes erhellt. Mit unserem neuen Konzept ist »Fühlen« das Verhalten; es ist die Serie körperlicher Auswirkungen vom eigenen Tun des Körpers in der Umwelt. Wir wollen ein wenig weitergehen, bevor wir die Beziehung diskutieren, die hier »von« (of) heißt. Sie wird sich weiter entwickeln. Bislang haben wir nur die körperliche Seite des Verhaltens bedacht, die Serie der körperlichen Einwirkungen der Versionen des offenen Zyklus. Aber sie bilden ebenfalls eine Serie, die Teil der Verhaltenssequenz ist. Die Serie der Registrierungen im offenen Zyklus (der selbst-gemachten Umwelt) – was ist das eigentlich? Aha! Die Serie der Manifestationen des offenen Zyklus ist Wahrnehmung! Wieder muss ich schnell hinzufügen: Wenn ich sage, diese Serie ist Wahrnehmung (perception) oder Empfindung (sensation), meine ich lediglich, dass wir eine Art begrifflicher Struktur entwickelt haben, um über Wahrnehmung zu sprechen und zu denken (weiter und besser zu denken als mit der gegenwärtigen Art von Konzepten). Dieses Konzept unterscheidet sich wiederum sehr von einem 204 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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traditionellen Begriff von »Wahrnehmen« oder »Empfinden«. In unserem Konzept sind Verhalten, Fühlen und Wahrnehmen in sich aufeinander bezogen und grundsätzlich verbunden. Später werden wir über eine Art von Wahrnehmung nachdenken, die ohne sichtbares Verhalten geschieht. Die Wahrnehmung, die wir gerade hergeleitet haben, geschieht als Teil des Verhaltens. Wir wollen sie »Wahrnehmung-im-Verhalten« nennen. Wahrnehmung ist gefühlt. Fühlen handelt vom Wahrnehmen, welches das körperliche Implizieren voranträgt. Die einzelne Sequenz, in der sie vorkommen, ist Verhalten. Eine Verhaltenssequenz enthält zwei besondere Fälle der Beziehung von Gegenwart und Vergangenheit, zwei Fälle, wie es »darin weitergeht« – unser Theta. Mit der Manifestation setzt sich der Körper in dem fort, was er darstellt. Oder transitiv gesagt: die Manifestation setzt den Körper fort. Der Körper setzt sich im Empfinden dessen, was er getan hat, fort. Wahrnehmen ist nicht nur ein Aufnehmen, eine Rezeption, ein unbewegtes Foto. Es ist das Fortsetzen in der Umwelt, das wahrgenommen wird. Fühlen ist nicht nur die Empfindung dessen, was war. Es geht weiter. Es ist das Fortsetzen in dem, wie der Körper gerade war. Wieder-Erkennen heißt verändern, weitergehen. (Dies wird wichtig, wenn wir zu den Symbolen kommen. Sie sind auch eine Weise des Fortsetzens und nicht nur statische Kopien.) Wenn wir sehen, hören oder sagen, was wir getan haben, explizieren wir weiter. Nur durch das Vorantragen des Körpers gibt es einen offenen Zyklus, der manifestiert, wie wir gerade waren. Der Körper bewegt sich nun durch sein eigenes Tun. Er bewegt sich in der Umwelt, weil jener Teil seiner Umwelt 2, der seine verdoppelte, wiederholende Umwelt ist, ihn weiterbewegt und dabei registriert, wie er sich bewegt hat. Jetzt können wir sagen, dass der Körper wahrnimmt, nicht nur weil er affiziert 205 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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wird, sondern weil er eine verdoppelte Wieder-Erkennung hat. Das körperliche Implizieren (das immer ein gesamthaftes Implizieren ist, siehe Kapitel IVAb) ist verdoppelt. Das körperliche Implizieren impliziert auch Wahrnehmen und Fühlen. Ein besseres Wort für »Wieder-Erkennen« könnte »Ausdruck« (»expression«) sein. Im Ausdruck wird das, was man gerade tat oder war, äußerlich manifestiert. Dies hat eine spezielle Wirkung, nämlich sich in dieser Manifestation so zu spüren, wie man gerade war. Aber das Wort »Ausdruck« muss zu Kapitel VII gehören. Wir wollen es uns für Kapitel VII reservieren, obwohl der Boden dafür hier gelegt wird. Das körperliche Vorantragen kreiert zuerst diese doppelt-implizierte Sequenz, in welcher der Körper seinen Ausdruck als den eigenen wieder erkennt. Diese doppelte »Selbst-Verortung« ist schon der primitivsten Art von Empfindungsvermögen inhärent. Verhalten (fühlen und wahrnehmen) ist immer ein körperlicher Prozess, wenn auch ein verdoppelter. Wir haben ein Konzept des Verhaltens als Körperprozess gebaut, das ein doppeltes Implizieren hat. Nun haben wir Fühlen und Wahrnehmen innerhalb dieser doppelten Selbst-Verortung hergeleitet. Die mittelalterliche lateinische Tradition hat die aristotelische Wahrnehmungstheorie als selbst-»reflexiv« umschrieben, was zu bedeuten schien, dass sich die Wahrnehmung selbst als Objekt empfindet. Aber damit konnte man keine weiteren Schritte denken. Als selbstverständlich hatte man zu akzeptieren, dass die Sinnesorgane durch etwas affiziert werden, was eine Wahrnehmung auslöst; dass Empfinden sich jedoch selbst empfindet, schien ein rätselhafter Zusatz zu sein. Diese ganze Tradition scheint anzunehmen, dass Erfahrung mit SinnesWahrnehmung beginnt, als ob diese unser einziges Verhältnis zur Umwelt wäre. Dabei wird ausgeblendet, dass der ganze Körper eine fortlaufende Interaktion mit seiner Umwelt ist. Ein Pflanzenkörper besteht in physischer Weise aus umwelthaften Interaktionen ganz ohne fünf Sinnesorgane, und wir sind zumindest Pflanzen. 206 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Ohne den körperlichen Prozess, der für bewusstes (aufmerksames) Empfinden konstitutiv ist, schien es so, als ob Bewusstsein eine schwebende zusätzliche »Reflexion« wäre, wie ein Sonnenstrahl auf etwas, das in gleicher Weise auch im Dunklen da sein kann. Dies macht den schlechten Ruf des Begriffs »Bewusstsein« in der Philosophie aus. In unserem Modell entwickeln sich die Bewegung des Körpers und sein Selbst-Empfinden in einer Sequenz. Empfinden allein ohne offenkundiges Verhalten ist ein späteres Derivat, das wir noch nicht entwickelt haben. In der neuesten Forschung wurde entdeckt, dass sich Empfinden normalerweise nicht ohne Bewegung entwickelt. Wenn ein neugeborenes Tier von Geburt an verbundene Augen hat, sich aber bewegen darf, nimmt es später, sobald die Augenbinde gelöst wird, normal wahr. Wenn das Neugeborene hingegen am Bewegen gehindert wird, obwohl ihm gestattet wird, alles wahrzunehmen, inklusive der Bewegungen der anderen Tiere, dann nimmt es später nicht normal wahr. Auf der Basis gegenwärtiger Theorien ist dieser Befund rätselhaft. Gefühle entwickeln sich in ähnlicher Weise auch nur im Verhalten. Gegenwärtige psychologische Theorien erachten Gefühle nach wie vor als etwas nur »Internes«. Damit ignoriert man, wie Gefühle implizite Informationen darüber enthalten können, was momentan vorgeht, oder man rätselt daran herum. Zu glauben, dass der Körper »weise« in Bezug auf sein eigenes Leben und seine Situation ist, kann dann nur als Aberglaube abgetan werden. In der Geschichte westlichen Denkens wurde Wahrnehmung als unsere einzige Verbindung zur Welt erachtet. Gefühle wurden nicht so aufgefasst, dass sie gültige Information enthalten. Sie wurden lediglich als eine »Begleiterscheinung« der Wahrnehmung betrachtet oder schlimmer: als eine irreführende Verzerrung. Gewöhnlich findet man sie am Ende von Philosophiebüchern diskutiert. Die wichtigen Fragen wurden ohne sie erörtert. Von uns Menschen wurde angenommen, dass wir nur Emotionen 207 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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fühlen, als ob unser Körper nicht unsere Situation und das, was wir tun und sagen, auf eine dichte Weise fühlen würde. Wir müssen das »grundlegende« Modell analog unserer Konzepte ändern. Natürlich kann man sie hinterfragen und zurückweisen, und gewiss werden noch bessere erarbeitet. Wir brauchen nicht unbedingt diese Konzepte, aber wir brauchen auf jeden Fall Konzepte, die Funktionen wie unsere ausüben. Einige dieser Funktionen sehen wir hier: Konzepte müssen uns ermöglichen zu denken, wie Wahrnehmung gefühlt sein kann und wie es ein Fühlen der Umwelt geben kann. Bis jetzt gibt es bemerkenswerterweise noch keine Unterscheidung zwischen den fünf Sinnen 17 . Darum ist Wahrnehmung nicht visuell, und die fünf Sinne sind in ihrer Kombination nicht zu trennen von anderem körperlichen Empfinden (heute nennt man das »viszeral«). Eine ganze Serie körperlicher Veränderungen ist das Fühlen dessen, was wir »Wahrnehmung« nennen. Wir spalten die körperlichen Veränderungen nicht von den Sinneswahrnehmungen ab, deren Veränderungen sie sind. Wahrgenommenes wird durch die körperlichen Veränderungen als Fühlen empfunden. Diese Veränderungen sind also nur deshalb Fühlen und Wahrnehmen, weil sie eine selbst-verortende Verhaltenssequenz konstituieren. Die einzelne Sequenz ist Fühlen und sie ist auch Wahrnehmen. Bewegen ist ein Feedback-Geschehen, als Spüren und Fühlen dieser Bewegung. Damit wird die lineare Zeit wieder verDas soll nicht heißen, dass wir die visuelle Wahrnehmung in Körper und Gehirn eines Tieres nicht auch separat von anderen Wahrnehmungen verfolgen können. Aber wir sollten das, was wir da differenzieren, nicht in einen Prozess hineinlesen, der diese Differenzierung noch gar nicht gemacht hat (siehe Teil B von Thinking Beyond Patterns). Wenn wir das nämlich tun, verstehen wir nicht, wie wir diese Differenzierung später in der Entwicklung herausbilden. Wir werden den Prozess nicht erfassen können, in dem und aus dem heraus wir dieses Verständnis bilden können.
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208 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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letzt. Der offene Zyklus ist (eine Version davon), wie der Körper gerade war. Seine Wirkung ist ebenfalls eine Bewegung des Körpers. Wie wir in Kapitel IV sahen, besteht Kontinuität nicht aus nah aneinandergepressten Teilchen, sondern im Funktionieren eines jeden im letzten und im nächsten. Der offene Zyklus trägt den Körper voran und vermittelt erst dann und nicht vorher dem Körper zurück, was dieser war. In linearer Zeit scheint der Punkt auf unserem Theta sowohl zurück als auch nach vorne zu laufen (siehe das Ende von Kapitel IV-B).
Ist es der offene Zyklus, der die letzte Bewegung registriert, oder ist es die verändernde Bewegung, die diese Bewegung registriert? Das Feedback auf diese Bewegung bewirkt die nächste Bewegung. In linearer Zeit erscheint der offene Zyklus versetzt, sowohl voranlaufend als auch hinterherhinkend. Aber lineare Zeit ist zu simpel. Wenn unsere Thetas zu einem Streifen reduziert werden, dann sieht es so aus, als ob ein Punkt sich auf einer Linie bewegt. Statt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auseinanderzuschneiden, führt unser Zeitmodell dazu, zwischen Interaffizieren und geteilten Umwelt-Effekten zu unterscheiden. Wenn es diesen Unterschied nicht gäbe, würde alles gleichzeitig geschehen oder es würde nichts geschehen. Es gäbe dann keinen Unterschied zwischen Implizieren und Geschehen.
209 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Kapitel VI-B: Die Entwicklung des Verhaltensraums
1. Motivation Sobald eine Verhaltenssequenz einmal geschieht, ist sie als ganze impliziert. Aber nicht nur als neues Implizieren von Verhalten, sondern von Verhalten als Teil eines Körper-Prozesses, in dem das Verhalten ein Umweg, ein Strang von Versionen eines gestoppten Körper-Prozesses ist. Die ganze Sequenz ist impliziert, da der Körper die Wiederaufnahme des Körperprozesses impliziert (welche am Ende des Verhaltens geschieht). Wir haben somit »Motivation« hergleitet. Verhalten allein (Versionen des Stopps) wird das Tier nicht lange am Leben erhalten; ab einem gewissen Punkt muss es den Körperprozess wieder aufnehmen, sich ernähren, kopulieren usw. Früher oder später muss es Nahrung aufnehmen und verdauen, es kann nicht nur von der Futtersuche leben. Verhalten muss in den Körperprozess zurückmünden, in dem es ein Umweg ist. Dieses Zurückmünden wird oft »Befriedigung« (consummation) genannt. Ein solches Ereignis ist sowohl Verhalten als auch die Wiederaufnahme des Körperprozesses. Befriedigungen sind nicht nur jene körperlichen Ereignisse, die es schon vor dem Verhalten gab. Verhalten entwickelt den Körper weiter. Gewisse Verhaltensweisen führen zu Befriedigungen, die es noch nicht gab, bevor sich die Verhaltensweise entwickelt hat. Falls der relevante Kontext für gewisse besondere Verhaltensweisen nie geschieht (wenn z. B. das Tier in Gefangenschaft 210 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Kreuz-kontextuelle Herausbildung
lebt), so werden diese Verhaltensweisen nach gewisser Zeit auch wieder verschwinden. (Man nennt das »Leerlauf« – »einen leeren Lauf«.) Unsere Regel, dass sich Verhalten durch einen gestoppten Körperprozess »motiviert«, wird dadurch nicht verletzt. Aber es wäre besser zu sagen: Da Verhalten den Körper weiter ausarbeitet und umbaut, kann sich ein Stopp auch durch irgendeine Verhaltensweise entwickeln. Wir könnten versucht sein zu sagen, dass eine gewisse schon bekannte Befriedigung das Motiv einer bekannten Verhaltensweise definiert. Dann sieht es so aus, als ob die Befriedigung die Sequenz definieren würde, aber wie bei allem Implizieren braucht die Wiederaufnahme des Prozesses nicht so zu sein wie zuvor. Was sich als Befriedigung herausstellt, ist bestimmt durch die Motivation, das Implizieren, das »Alles-durch-Alles«Geschehende, durch die Wiederaufnahme des Stopps selbst. Es ist immer das Vorantragen, das die Sequenz definiert und generiert. Da »Alles-durch-Alles« Teil des Geschehens ist, ist Vorantragen ein Geschehen in das »Alles-durch-Alles« hinein. Wenn eine veränderte Sequenz zu einer neuen Befriedigung führt, sind beide Teil des »Alles-durch-Alles« geworden. »Allesdurch-Alles« ist immer das körperliche Implizieren – aber mit der Umwelt, die dort hinein geschieht.
2. Kreuz-kontextuelle Herausbildung Wir haben (in Kapitel IV) gesehen, dass »Alles-durch-Alles« nicht geschieht, dass es selbst keine Zeitspanne ausmacht oder in Anspruch nimmt. Umwelthaftes Geschehen geschieht in das »Alles-durch-Alles« hinein. Wenn eine Sequenz impliziert ist, aber nicht geschehen kann und das Tier nicht stirbt, dann formt sich stattdessen unmittelbar ein anderer Körperprozess. Wenn ein ausgerichtet (focally) impliziertes Verhalten wegen der Umwelt nicht passieren kann, setzt sich körperliches 211 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VI-B · Die Entwicklung des Verhaltensraums
Implizieren ohne Verhalten fort. Denn Verhalten ist immer als Teil eines implizierten Körper-Prozesses impliziert. Es kann sich aber auch ein anderes oder verändertes Verhalten formen. Die Herausbildung des Verhaltens hat mit dem Implizieren des Körpers zu tun und damit, wie die Umwelt in dieses hinein geschieht. »Alles-durch-Alles« ist als Teil des Geschehens beides. Wie wir schon oft sagten (und auch in den zwei Veränderungswegen), ist das gegenwärtige »Alles-durch-Alles« ein Resultat davon, wie die Umwelt in das körperliche Implizieren des nächsten Schrittes hinein geschieht. »Alles-durch-Alles« ist ein Kreuzen von »Allem-durch-Alles« (everything by everything, Kapitel IV-A.e), und da hinein kreuzt die Umwelt damit, wie der Körper die Umwelt impliziert hätte, wenn diese nicht anders in dieses Implizieren hinein geschehen wäre. Neues Verhalten bildet sich durch den offenen Zyklus, der in das Implizieren der Sequenz geschieht, die sich nicht formen kann. Die neue Sequenz, die sich formt, ist deshalb ein »Allesdurch-Alles«, welches die andere Sequenz geformt hätte, aber mit dieser Umwelt nun diese neue formt. Mit anderen Worten: Die alte Sequenz ist im Geschehen der neuen implizit. Die neue passiert in das Implizieren der alten hinein. Das bedeutet, dass die alte Sequenz die neue nun impliziterweise in sich hat und die neue die alte implizit in sich hat. Wenn das nächste Mal die alte Sequenz impliziert wird, wird die neue auch implizit sein. Beide werden an dieser Stelle zusammen, gemeinsam mit der Umwelt, am »Alles-durch-Alles« Anteil haben. Die Sequenzen sind nicht getrennt. Sie sind implizit ineinander. Sie bilden einen Kontext. Jede Sequenz ist ein Strang von Versionen des »Kontextes«, in dem die anderen Sequenzen implizit sind. 18 Wir geben dem Wort »Kontext« hier eine interne konzeptionelle Struktur. Für Menschen heißt der Verhaltenskontext »Situation«. Oft möchte man sagen, dass etwas »in einem Kontext geschieht«. Der Begriff ist so vage, wie er wichtig ist. Es werden bessere Konzepte dazu formuliert werden, aber unseres gibt uns wenigstens ein bisschen mehr konzeptio-
18
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Kreuz-kontextuelle Herausbildung
Körperlicher Prozess (inklusive Verhalten) ist immer eine frische Herausbildung, ob ein Beobachter diese zuvor gesehen hat oder nicht. Wir können hinzufügen: auch wenn ein Beobachter nur das gleiche wie zuvor gesehen haben könnte, kann die Sequenz diesmal eine oder zwei neue Sequenzen implizit enthalten. 19 Funktioniert eine Sequenz impliziterweise, dann ist sie nicht genau die gleiche. Dies trifft auf alles zu, was impliziterweise in der Herausbildung von etwas anderem funktioniert, was dann seinerseits wiederum darin implizit ist. »Etwas« funktioniert insofern, als »es« in dem partizipiert, was geschieht, und zwar unterschiedlich in jeder Sequenz 20 . Und wie »es« partizipiert, nelle Struktur, so dass wir weiter darüber nachdenken können, dass etwas jeweils »nur in einem Kontext geschieht«. Hilft es zur Konzeptualisierung dessen, was wir verstehen wollen, wenn wir bedenken, dass das Ding sich in einem Kontext aus einem Strang veränderter Kontexte herausstellt? Statt anzunehmen, dass es einen leeren Raum gibt – so dass der Ausdruck »in einem Kontext« nur meint, dass das Ding räumlich von allem anderen umgeben, aber durch seine Position getrennt ist –, können wir das »in« so bedenken, dass das Ding nicht trennbar ist. Es ist der Strang der Kontexte. Das Verhältnis von Handlung zu Situation ist zum Beispiel so. Tatsächlich ist es mein Modell-Beispiel für dieses Schema. Eine Handlung geht in einer Situation vor sich, aber das ist kaum zu verstehen, wenn das »in« räumlich aufgefasst wird wie bei einem Objekt in einem Zimmer. Die Handlung verändert die Situation, in der sie vor sich geht. Deshalb ist die Situation »die gleiche«: vorher, während und nach der Handlung – wenn das nicht so wäre, würden Handlung und Situation sich gar nicht treffen. 19 Implizieren zielt immer auf irgendein Vorantragen, nicht auf eine fixierte Form. Wenn die Umgebung in ein Implizieren hinein geschieht und sich damit etwas Neues bildet, können wir sagen, dass die neue Sequenz impliziert »war«. Also kann »impliziert« entweder heißen a) es hat nie zuvor stattgefunden, oder b) es sieht für einen Beobachter so aus wie ein früheres Geschehnis. 20 Das ist ein Beispiel für diejenige Art von Modell, nach der Pattee Ausschau hält (siehe Kapitel IV, wo wir über ihn gesprochen haben). Er sucht einen Weg, um zu verstehen, wie die scheinbar gleiche Einheit in unterschiedlichen Kontexten offenbar sehr verschiedene Charakteristika haben
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VI-B · Die Entwicklung des Verhaltensraums
ist Teil davon, wie »es« an diesem Punkt mit allem gemeinsam und von da aus geschieht. Das körperliche Implizieren enthält einen ganzen Kontext von sich gegenseitig implizierenden Verhaltenssequenzen, ausgerichtet (focaled) und alles durch alles geschehend mit der gegenwärtigen Umwelt, die dahinein geschieht. Die gegenwärtige Umwelt enthält die Umwelt 2 des Körpers und die »Leafing«-Interaktionen des offenen Zyklus-Sektors. Im »Alles-durch-Alles« kreuzt dies mit dem körperlichen Implizieren des offenen Zyklus (der jetzt der »Kontext« der sich gegenseitig implizierenden Verhaltenssequenzen ist). Die beiden Systeme kreuzen im »Alles-durch-Alles«, das Teil jedes Geschehens ist. Wenn der gegenwärtige offene Zyklus so stattfindet, wie der Körper ihn impliziert, geschieht die gewöhnliche Sequenz. Wenn nicht, geht etwas anderes aus dem »Alles-durch-Alles« hervor, in das hinein der implizierte Verhaltenskontext mit dem gegenwärtigen offenen Zyklus kreuzt, den wir den umwelthaften Verhaltenskontext nennen. Ich sage deshalb, dass Verhalten sich »kreuz-kontextuell« bildet. Das Wort »kreuzen« könnte von hier aus frisch hergeleitet kann. Pattee irrt sich jedoch in mindestens zwei Punkten: Er nimmt an, dass Ordnung eine Grenze hat (siehe Kapitel VIII), und er denkt über ein bestimmtes Molekül als »vollständig determiniert« nach, ohne Freiheitsgrad, ohne irgendetwas Unbestimmtes – was für ihn dasselbe heißt wie: ohne Offenheit für Neues. Gemäß unserem Modell ist nichts, was implizit funktioniert, durch eine explizite Form determiniert. Zum anderen ist die Determiniertheit, die er betrachtet, lediglich explizit. Es gibt für ihn keine Möglichkeit, darüber nachzudenken, wie etwas implizit funktioniert – und das kann große Unterschiede machen, obwohl etwas gleich aussieht. Dieser Punkt teilt sich wieder in zwei Punkte auf: Das Molekül kann mehr tun, als der Wissenschaftler darüber weiß, weil es eine implizit funktionierende Seite hat – und außerdem ist ein exakt gleiches Molekül in einem anderen Kontext nicht genau das gleiche! Der Kontext ist nicht nur – gemäß der Sichtweise des Beobachters – räumlich um etwas herum. Der Kontext kann auch implizit sein.
214 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Verhaltensraum
werden, entsprechend der Art und Weise, wie es in dieser »kreuz-kontextuellen« Herausbildung verwendet wird. (Das Wort kann von vielen Arten des »Kreuzens« sprechen.) Hier kreuzen zwei Systeme von gekreuzten, gegenseitig impliziten Verhaltenssequenzen in ein einziges »Alles-durch-Alles« und Geschehen hinein. Was geschieht, ist ihr Kreuzen 21 . Nun wollen wir unseren Konzepten erlauben, diese Herausbildung eines »Verhaltenskontextes« von gegenseitig impliziten Sequenzen zu entwickeln.
3. Verhaltensraum Wenn einmal viele Verhaltensweisen geschehen sind, besteht jede Sequenz aus einem Strang ihrer »Alles-durch-Alles«. Jede bezieht impliziterweise die anderen in ihre Herausbildung ein. Jede ist eine Art und Weise, ein Gewebe voranzutragen, das aus den anderen besteht. Darum ist jede Verhaltenssequenz ein Strang, der verändert, wie die anderen impliziterweise funktionieren. Eine Verhaltenssequenz ist ein Strang von Versionen der Verhaltenskontexte gegenseitig impliziter Sequenzen. Eine geschehende Sequenz ändert auch, wie die anderen geschehen würden, falls sie sich im Anschluss daran bilden würZum Beispiel geht jedes Wort mit einer Gebrauchs-»Familie« einher. Diese Gebrauchsweisen sind nicht aneinandergereiht, sondern gekreuzt, so dass man »weiß, wie man das Wort verwendet«. Aber im tatsächlichen Gebrauch kreuzt diese gekreuzte Familie auch noch mit der Situation, so dass das Wort ganz genau sagt, was es in dieser Situation zu sagen hat (siehe mein »Crossing and Dipping«). In einer Situation kommen die Wörter schon gekreuzt – der Körper lässt sie entstehen als Implizieren der Veränderung, die wir in dieser Situation brauchen. Was gerade diese Wörter kommen lässt, hängt damit zusammen, wie ihre Gebrauchsfamilie mit unserer Situation kreuzt. Sprache diskutieren wir in Kapitel VII, aber wir haben unser Modell hier so konstruiert, dass wir es dann dort gebrauchen können.
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VI-B · Die Entwicklung des Verhaltensraums
den. Sagen wir zum Beispiel, dass eine geschehende Sequenz aufhört und eine der anderen beginnt. Die letzte würde sich etwas anders bilden, wäre die erste noch weitergegangen. Und wie andere Sequenzen geschehen würden, falls sie geschähen, würde auch anders sein. Jede geschehende Sequenz ist ein Strang von Veränderungen der Art, wie jede der anderen Sequenzen geschehen würde. Der Verhaltenskontext besteht daraus, wie jede Sequenz geschehen würde, wenn sie geschähe, deshalb können wir ihn als einen Raum denken, als ein Gewebe von möglichen Verhaltensweisen, die der Körper in allen möglichen Richtungen und Hinsichten impliziert. Man kann das als »Verhaltensraum« bezeichnen. Wir wollen das weiterentwickeln. Ein Beobachter sieht zum Beispiel, wie ein Tier eine einfache Bewegung macht in einem Raum, der, aus einer menschlichen Perspektive gesehen, ansonsten leer ist. Sogar in einem solchen Raum können wir bemerken, dass die geschehende Sequenz impliziterweise sehr viele Sequenzen verändert. Hat sich das Tier einmal bewegt, ist es nicht mehr an der gleichen Stelle. Von der Stelle aus, an der sich das Tier bewegt hat, hätten viele andere Bewegungen gemacht werden können. Aber nun, von dieser neuen Stelle aus, würden alle diese Bewegungen anders geschehen. Das Tier könnte immer noch zu diesem Baum gelangen, aber auf einem anderen Pfad. Es könnte nun zu dem Felsen dort drüben laufen, aber nicht mehr um ihn herum wie vorher, als der Felsen noch direkt vor dem Tier war. Jede erdenkliche Bewegung – und es könnte eine enorme Vielfalt sein – ist mit einem Mal verändert durch die Bewegung, die geschehen ist. Dieses Beispiel betrifft nur die Position. Wir denken uns die Bewegung des Tiers nur als eine reine Fortbewegung im leeren Raum. Leerer Raum und bloße Ortsveränderung passieren jedoch nur in einem von Menschen gemachten leeren Raum. Dieser wird sich weiter entwickeln und wird sich als ein Raum erweisen, der Symbole enthält. Ein Verhaltensraum ist nicht leer, 216 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Verhaltensraum
er ist sozusagen »voll«. Es ist ein Gewebe von implizierten Verhaltenssequenzen (nicht nur von Bewegungen). Die impliziten Sequenzen könnten beispielsweise beinhalten, dass ein Vogel den Baum hochgejagt und dann verzehrt wird. Kann eine der Sequenzen geschehen und geschieht sie tatsächlich, dann ist sie auch eine Veränderung der Art und Weise, wie die andere implizit ist. Offensichtlich betrifft dies mehr als nur eine Orts-Veränderung. Eine Verhaltensweise geschieht immer innerhalb anderer impliziter Verhaltensweisen und als deren Veränderung. Das ganze Gewebe wird vorangetragen. Das körperliche Implizieren des befriedigenden Körper-Prozesses impliziert auch den ganzen Kontext des offenen Zyklus von implizitem Verhalten, und es wird vorangetragen, indem die gegenwärtige Umwelt mit diesem verdoppelten Implizieren interagiert. Verschiedene Umwege des körperlichen Prozesses entwickeln sich und implizieren verschiedene Kontexte impliziten Verhaltens. Im alten Modell beginnt man mit Wahrnehmungsteilen, mit Farbflecken zum Beispiel, mit einem Geruch. Wir sind weit davon entfernt zu sagen, dass Erfahrung mit diesen Wahrnehmungen beginnt, die dann in einer Sequenz zueinander in Beziehung gesetzt werden. Umgekehrt ist es der Fall: Die Wahrnehmung ist ein gesamtkörperliches Vorantragen; die Kette der offenen Zyklen resultieren aus dieser Sequenz 22 .
Wie schon häufig in der Philosophie bemerkt worden ist, werden nicht einmal menschliche Wahrnehmungen als Laut- oder Sichtteilchen erfahren (wir behandeln dies in Kapitel VII). Wir hören Stimmen oder Lastwagen und wir sehen Menschen. Aber wir brauchen eine Theorie der Wahrnehmung, um darüber nachdenken zu können – und auch darüber, wie reine Laut- oder Farbteilchen entstehen können (wie wir in Kapitel VII sehen werden).
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VI-B · Die Entwicklung des Verhaltensraums
a) Raum, den man haben kann Wir wollen nicht sagen, dass der Körper den Raum »projiziert«, als ob mit diesem mysteriösen Wort etwas erklärt wäre. Wir haben nun eine schematische interne Struktur von Konzepten statt der »Projektion« eines »Raums« vor dem Körper des Tieres und um ihn herum. Der Körper impliziert und trägt einen »Alles-durch-Alles« geschehenden offenen Zyklus mit seinen impliziten Verhaltenssequenzen voran. Als Teil dieses körperlichen Vorantragens fühlt der Körper und nimmt den ganzen Kontext impliziter Verhaltensmöglichkeiten wahr. Verhaltensraum ist Raum, den man haben kann, das heißt: gefühlter und wahrgenommener Raum. Es ist nicht der externe Raum eines Beobachters, in dem ein Organismus angeschaut werden könnte. Stattdessen ist es der eigene Raum des Prozesses, das eigene Implizieren der Verhaltenssequenzen des Körperprozesses. In Kapitel V gingen unsere Konzepte nur bis zur Entwicklung eines sich wiederholenden Sektors, der durch Veränderungen affiziert werden konnte. Eine Pflanze zum Beispiel könnte körperlich zur Sonne hin wachsen 23 . Ich habe dort zu bedenken gegeben, dass dies noch kein Raum ist, den der Körperprozess fühlt und wahrnimmt. Jetzt ermöglichen uns unsere Konzepte, darüber nachzudenken, wie ein Körperprozess einen Raum haben kann. Indem das verdoppelte körperlich-verhaltensmäßige Implizieren vorangetragen wird, fühlt und nimmt der Organismus den Raum (das Gewebe impliziter Sequenzen) wahr. Jedes Geschehen geht jetzt in diesem Raum vor sich (goes on in) und trägt ihn voran (als diesen Kontext anderer Sequenzen). Wenn ein Insekt die Blätter auf der einen Seite eines Baumes angreift, entwickeln die Blätter auf der anderen Seite ganz schnell ein Gegengift. Wie Pflanzen ihren Körper-Prozess implizieren, ist viel komplexer, als man bisher angenommen hat. Aber ich denke, sie haben die Verdoppelung nicht, die wir hier gerade hergeleitet haben.
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218 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Verhaltensraum
Wir sagen, dass Verhaltensraum aus »Verhaltensmöglichkeiten« besteht, aber wir müssen in Erinnerung behalten, dass nur die Möglichkeit, die geschehen ist, wirklich möglich »war«. Es ist nicht so, als ob jede der anderen impliziten Sequenzen sich genauso gut hätte bilden können. Diejenige, die geschehen ist, war im »Alles-durch-Alles« ausgerichtet (focaled) mit der gegenwärtigen Umwelt. Auch wenn eine Verhaltensweise nur ein spezielles Objekt zu betreffen scheint, werden die anderen Objekte in diesem Raum immer mit einbezogen. Wenn zum Beispiel die Katze hinter einem Vogel her rennt, muss sie den großen Stein, der ihr im Weg ist, mit einbeziehen und auf ihn achten. Die Katze rennt um ihn herum und nicht in ihn hinein, und sie springt auch nicht auf ihn hinauf. Hier sehen wir »Alles durch Alles« und könnten es herleiten: Jede Sequenz ist ein »Alles durch Alles«Geschehen der anderen. Der Stein ist ein Objekt auch in den impliziten Hoch-Spring-Sequenzen und in den Dahinter-Versteck-Sequenzen, die jetzt nicht geschehen. (Wir werden bald darauf zurückkommen und anhand dieses Steins diskutieren, wie sich Objekte herausbilden.) Verhaltensraum ist eine neue »hausgemachte« (homegrown) Umwelt, eine neue Art von Umwelt 3. Der Körper geht darin vor sich, verändert sie (goes it on) und ist, wie bei jeder Umwelt, selbst Teil davon. Der Körper impliziert diese Umwelt und verortet sich selbst darin in der Weise, wie er in dieses Implizieren hinein geschieht.
b) Raum-und-Zeit, die wir haben können Man hört immer von »Raum und Zeit« zusammen, aber was ist ihre inhärente Beziehung? Warum sind sie immer zusammen? Wurden sie separat geboren und dann wie zwei Fremde einander vorgestellt? Könnte man genauso gut drei haben, zum Beispiel
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VI-B · Die Entwicklung des Verhaltensraums
Zeit, Raum und Kausalität? Was ist ihnen eigen, dass sie mit dem anderen verbunden sind? Wir wollen klar und exakt darüber nachdenken können, wie Verhalten, Fühlen, Wahrnehmung, Raum und Zeit verschränkt sind. Wir können sie nicht verstehen, wenn wir nur feststellen, dass all das einfach da ist, als ob sie Dinge wären, die zuerst da liegen und dann miteinander in Beziehung kommen. Im alten positionalen Modell hat der Raum drei Parameter, und die Zeit ist noch ein zusätzlicher. Wenn man seinen Blick auf einen Punkt im leeren euklidischen Raum richtet, dann verändert sich das, was man sieht, nur dann, wenn man seinen Blick nach links oder rechts bewegt, nach unten oder oben oder nach vorne und hinten. Aber wenn man die Position hält und eine Weile wartet, ändert sich, was man dort sieht, auch. Es wird sich mit der Zeit ändern. Würde man eine Stelle nicht konstant halten können, würde man die Zeit allein gar nicht bemerken. Nur indem man den Blick auf eine Stelle fixiert, können wir eine Veränderung bemerken, die nur in der Zeit stattfindet. Dann dreht man sich weg und sagt, dass die anderen Veränderungen – dass Änderung insgesamt – in der Zeit passieren. Aber all dies betrifft nur positionalen Raum und positionale Zeit. Zeit und Raum im alten Modell sind sehr limitiert. Sie können nicht als endgültiger Rahmen der Wirklichkeit akzeptiert werden. Sie sind äußerst abstrakte positionale Vergleichsverhältnisse, die durch jemanden eingeführt worden sind. Durch wen? Offensichtlich durch einen Wahrnehmenden, durch eine Person, die wahrnimmt, aber nicht im-Verhalten-wahrnimmt, sondern nur wahrnimmt und nur vergleicht, durch einen Betrachter, der lediglich eine äußere Beziehung zu dem hat, was er wahrnimmt. Aber »extern« ist etwas, das wir bis Kapitel VII-B nicht herleiten können. Um nicht anzunehmen, dass diese Art von Wahrnehmung und deren Raum und Zeit »grundlegend« sind, brauchen wir Alternativen. Ansonsten bleibt, auch wenn wir alle »grundlegenden« Modelle und Behauptungen zu220 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Verhaltensraum
rückweisen, das alte Modell dennoch grundlegend, weil wir gar nicht anders können, als es in allem, was wir denken, vorauszusetzen (obwohl wir es insgesamt zurückweisen). Es ist nicht nur eine generelle Fragestellung, ob man tiefer als in positionalen Verhältnissen denken kann. Fast jeder spezifische Parameter in der Physik bezieht sich auf das alte Modell von Zeit und Raum. Geschwindigkeit ist beispielsweise Entfernung pro Zeit. Die Struktur der Ortsbestimmung (localisation) ist innerhalb der meisten Konzepte aufzufinden, selbst wenn sie diese nicht explizit erwähnen. Konzepte der Sozialwissenschaften und des »Common Sense« stellen »Dinge« in Zeit und Raum dar. Aber was nimmt wahr und hält die Wahrnehmung an einem Punkt fest? Wer oder was vergleicht und bemerkt die Veränderung, um die vier abstrakten Dimensionen der Veränderungen zu generieren? Offensichtlich etwas/jemand, das/der Erinnerung und Kontinuität hat. Die bewegten Bilder in dem beobachteten Rahmen können doch weder am Anfang noch am Schluss stehen. Es geht nicht darum, dass wir Wissenschaft oder Computer aufgeben – es geht darum, weiter zu denken. In Kapitel VII können wir positionale Raum und Zeit generieren, aber dabei auch deren Begrenzung erfassen und Aussagen machen, die über sie hinausgehen. Als menschliche Wesen aber beginnen wir mit menschlicher Erfahrung. Wir entwickeln von uns aus gesehen Konzepte über prähumane und frühere Daseinsformen. Aber Wahrnehmung braucht nicht unser »grundlegendes« Modell-Beispiel zu sein (vor allem nicht nur Wahrnehmungen, abgeschnitten von Verhalten und Körper, nur als äußerliche Positionen). Was sind Positionen? Sie sind reine Externalität. In unserem Model gibt es bis jetzt noch keine Unterscheidung zwischen einer »äußeren« Umwelt und einem »inneren«
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VI-B · Die Entwicklung des Verhaltensraums
Erleben. Wir werden diese Unterscheidung in Kapitel VII-B herleiten. Unsere eigenen Körper generieren eine Art Raum und Zeit, und von daher können wir sagen, dass jeder Lebensprozess das tut. Es gibt immer schon das Implizieren, das durch Geschehen vorangetragen wird. Wir haben jetzt Konzepte über ein verdoppeltes Implizieren und ein verdoppeltes körperlich-umwelthaftes-Geschehen erstellt, das einen verdoppelten Raum und eine verdoppelte Zeit generiert. Der verdoppelte Körper-Prozess generiert sich selbst mit dem Empfinden des Geschehens. In unserem Modell liegt die inhärente Verbindung zwischen Raum und Zeit im verhaltensmäßigen Implizieren. Es gibt noch keine Unterscheidung zwischen Raum und Zeit in den körperlich ausgerichteten Verhaltensmöglichkeiten. Lassen Sie mich dies genau zeigen: Stellen Sie sich vor, dass jemand einen Schneeball auf Sie wirft, und der kommt auf Sie zu. Jetzt leben (fühlen und nehmen) Sie die Zukunfts-»Zeit« wahr (den Sie treffenden Ball), und Sie leben im Raum zwischen dem Ball und Ihnen, indem Sie versuchen, auszuweichen und sich zu ducken, was schwierig ist, vielleicht versuchen Sie auch, ihn zu fangen, zu springen, zu laufen, auf den Boden zu fallen, zu krabbeln, sich zu rächen – und vieles mehr, das den »Raum« und die »Zeit« ausmacht, den Kontext, in dem all dies passiert. Das Verhältnis zwischen dem, was wir »Zeit« und »Raum« nennen, ist der Art und Weise eigen, wie sich Verhalten bildet und ins Implizieren geschieht. Innerhalb des Verhaltens können wir jetzt das Räumliche (nicht nur als hier) vom Zeitlichen (nicht nur als jetzt) unterscheiden, aber wir haben sie beide zusammen gefunden im verhaltensmäßigen Implizieren. Können wir vom Verhalten aus die »Zeit, die man hat« so bilden, dass sie getrennt zu haben ist? Wenn nicht, wenn wir Raum und Zeit nur zusammen »haben«, dann ist der Raum, 222 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Verhaltensraum
den wir »haben«, auch nicht nur Raum. Natürlich enthielten Implizieren und Verhaltensraum bereits Zeit. »Verhaltensraum« war schon »Raum-und-Zeit, die wir haben können«. Die Katze steht vor der Tür, sie miaut. Sie möchte hinaus und lebt im Verhalten, aus der Tür und von dort aus weiter zu laufen. Ich sage, sie hat Raum-und-Zeit in einer Weise, wie sie der Baum und die Amöbe nicht haben. Ihr körperliches Implizieren impliziert das verdoppelte Implizieren des Aus-der-TürLaufens, und wenn die Tür zu bleibt, bleibt ihr verdoppeltes Implizieren »gleich« und geschieht in wenig veränderten Versionen, während sie sich zum Laufen bereit macht vor der Tür und miaut. In dieser Weise verbinden unsere Konzepte Körper, Verhalten, Fühlen, Wahrnehmung und gehabte(n) Zeit-und-Raum in jeder einzelnen Verhaltenssequenz.
c) Zwei Sektoren des offenen Zyklus Einige Jahre schien es mir so, als ob der in versetzter Weise geschehende offene Zyklus, nämlich sowohl vor und nach dem körperlichen Implizieren, zwei Sektoren der Körperstruktur in Anspruch nehmen würde. Das Implizieren ist Teil des Geschehens und ist verändert durch eben dieses Geschehen. Das Implizieren ist im Vorantragen, wird dadurch verändert und ist auch das Veränderte. Da das Implizieren sowohl voran als auch zurück geht, dachte ich, dass es zwei Körpersektoren brauchen würde. Dann fiel mir auf, dass sich der Körper tatsächlich selbst die Antwort gibt, die er impliziert. Zum Beispiel: Ich fahre das Auto, und ich trete auf die Bremse. Das Auto fährt mit einem Ruck schneller (aus Versehen bin ich auf das Gas-Pedal gestiegen. Das Gas-Pedal ist weicher, darum bin ich fest darauf getreten). In so einem Fall bemerke ich, dass ich das Abbremsen des Autos schon gespürt habe, obwohl es nicht ge223 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VI-B · Die Entwicklung des Verhaltensraums
bremst hat. Ist das Feed-Back nicht so, wie mein Körper impliziert, merke ich, dass es zwei unterschiedliche Feedbacks gibt, das eine, das mein Körper sich selbst gibt, und das andere, das von der umwelthaften Interaktion kommt. Das führt mich dazu, die Frage zu stellen: Gibt es zwei gleiche Sektoren von offenen Zyklen, so dass entweder der eine als vorangehender und der andere als nachfolgender bezeichnet werden kann? Dann kann der Körper die nächste Verhaltenssequenz haben, obwohl sie den Körper nicht zur nächsten führen kann ohne die Kooperation mit der gegenwärtigen Umwelt (Körper-Umwelt). Das Vorantragen würde in versetzter Weise in beiden geschehen. Aber das schien mir eine theoretisch unbehagliche Verdoppelung zu sein. Ich mag keine Duplikationen von Begriffen; meistens zeigen sie einen Fehler an. Zudem: würde Verhalten nicht zwischen den beiden offenen Zyklen vor sich gehen, würde es zwischen beiden und dem ganzen Körper in der gegenwärtigen Umwelt zu geschehen haben. Es gäbe keine direkte Verbindung zwischen den beiden Sektoren. Ich erzählte meine Überlegungen meinem Kollegen Ward Halstead, und er sagte nur: »Oh doch, Stereo«. Damit hat er auf seine Weise gesagt, dass der ganze Raum »gehabt«, gefühlt und gespürt werden kann, wenn es zwei sind. Das betrifft nicht genau den gleichen Punkt, aber er ist verwandt. Ich bemerkte, dass das Modell die bilaterale Symmetrie der Körper der meisten Tiere hergeleitet hatte. Das schließt die beiden Gehirnhälften ein, aber es ist ein Fehler, mit dem Gehirn so umzugehen, als ob es allein funktionieren würde und nicht als Teil der Funktionen des gesamten Körpers. Unser Modell scheint auch den rätselhaften Tatbestand herzuleiten und zu erklären, dass die beiden Gehirnhälften nicht direkt verbunden zu sein brauchen. Ihre Funktion geht durch beide Seiten des ganzen Körpers, und nur so kann sie den Körper bewegen. Bei Menschen ist eine Seite durch Sprache differenziert, 224 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Pyramidisieren
aber nach letzten Forschungen zur Gehirn-Teilung ist der Unterschied zwischen beiden Seiten komplizierter, als das gewöhnliche Verständnis annimmt. Lassen Sie uns die Entwicklung von Sprache auf Kapitel VII verlegen.
4. Pyramidisieren Wir haben bereits gesagt, dass dann, wenn eine Sequenz in gerichteter Weise impliziert wäre, etwas Neues dadurch geschehen kann, wie die gegenwärtige Umwelt in das »Alles-durch-Alles« geschieht. Dann wird und bleibt die neue Sequenz ein Teil des »Alles-durch-Alles« sowie Teil des Verhaltensraumes. Wenn die gleichen Umstände wieder geschehen, wird sich die neue Sequenz wieder frisch bilden, und die alte Sequenz wird sich unter Umständen nie mehr formen. Wenn es jedoch eine kleine Veränderung im Körper oder in der Umwelt gibt, so dass die neue Sequenz sich nicht bilden kann, dann wird sich die alte Sequenz formen, wenn sie kann. Wenn sich eine noch neuere Sequenz entwickelt, ist sie die neue-neue, und die vorherige »neue« Sequenz wird zur altenneuen. Wenn viele Sequenzen sich in dieser Weise bilden, dann sage ich, dass die neuen über die alten »pyramidisieren«. Die meisten gegenwärtigen Sequenzen des Verhaltensraumes einer Person sind pyramidisiert. Die alte Sequenz bleibt immer implizit. Offensichtlich ist »sie« (»die alte Sequenz«) nicht ganz gleich wie zuvor, als sich die neue Sequenz bildete, weil die neue Sequenz (und vieles, was in der Zwischenzeit geschehen ist) implizit ist in den Kontexten, von denen »die alte Sequenz« jetzt ein Strang ist. In Träumen, in der Hypnose und unter Drogen ist der Verhaltensraum verengt, so dass er implizit nicht so viel enthält, wie er im wachen Zustand enthalten könnte. Wir sehen, dass sich dann sehr alte (»primitive«) Sequenzen bilden, und diese enthalten einige (eine unterschiedliche Menge) aus dem gewöhnlichen Kontext impliziter Sequenzen. In diesen 225 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VI-B · Die Entwicklung des Verhaltensraums
Zuständen können wir beobachten, dass sich die vertrauten Erfahrungen immer noch bilden, und wir können sehen, wie viele in gewöhnlichen Erfahrungen implizit ausgerichtet sind (siehe hier den Theorieteil in Let your Body Interpret your Dreams). Das Geschehen einer Sequenz ist immer eine frische Herausbildung; in dieser Weise ist jede Sequenz neu und enthält impliziterweise viel mehr von dem, was passiert ist, seit ein Beobachter sie das letzte Mal sah. Eine ganz große Menge an Sequenzen ist pyramidisiert unter dem gewöhnlichen Repertoire eines jeden Tieres. Vielleicht haben sie sich nicht in vielen Generationen gebildet. (Ein gewisser Vogel des Atlantischen Ozeans hat keinen Balztanz. Eine ähnliche Spezies des Pazifischen Ozeans hat noch einen. Wenn der pazifische Vogel dem atlantischen präsentiert wird, wird er einen Balztanz vollführen, welche diese Spezies seit tausend Jahren nicht mehr gemacht hat.) Der Verhaltensraum wird zusammen mit der Körperstruktur vererbt. (Ich werde mehr über geerbtes Verhalten unter Punkt 11 sagen.) Der individuelle Organismus sequenziert die meisten der impliziten Verhaltensweisen nicht, die übereinander pyramidisiert sind. Aber die gewöhnlichen Verhaltensweisen bilden sich auch in einer pyramidisierten Weise, eine über der anderen.
5. Objekt-Bildung: Objekte stellen sich heraus (fall out) Objekte bilden sich pyramidisierend. Lassen Sie mich zunächst die Objektbildung diskutieren und dann den pyramidisierenden Aspekt zeigen. Sagen wir, dass die Katze hinter dem Vogel her rennt, den sie verfolgt. Indem sie rennt, hält sie den Vogel konstant vor sich. Der konstante Vogel wird durch das Verfolgungsverhalten »gleich« gehalten. Das Objekt wird gleich gehalten durch die Veränderungen der Verhaltenssequenz. Ich sage, dass sich das 226 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Objekt-Bildung: Objekte stellen sich heraus (fall out)
konstante Objekt als das »gleiche Objekt«, das die Sequenz macht, herausstellt. Ein Verhaltens-Objekt (es ist immer auch ein wahrgenommenes Objekt) wird durch die Verhaltenssequenz geschaffen. Ein Verhaltens-Objekt stellt sich vor dem Hintergrund der sich verändernden Verhaltensräume heraus (falls out). Die Katze hält den Vogel beständig, indem sie den Rest der Szene rasant ändert. Alles andere rauscht flüchtig vorbei, wenn die Katze rennt. Aber die Katze empfindet den Raum als stillstehend! Wenn die Erde sich bewegen würde, würde die Katze stehen bleiben. Obwohl der Raum vorbeizieht und hoch und runter hüpft, hält die Lauf-Sequenz den Verhaltensraum »gleich«, indem sie ihn voranträgt. Der »gleiche Raum« ist der Verhaltensraum des Vogels und der Erde, die sich vorbei bewegt. Wenn die Katze aufhört, entwischt der Vogel, und der Verhaltensraum hat sich verändert. Darum hält das Laufen nicht nur die Katze und den Vogel beständig; die schnellen Veränderungen des Rennens halten auch den Verhaltensraum »gleich«, den Nahrungs-JagdRaum. In einer Verhaltenssequenz ist jedes bisschen eine veränderte Version »des gleichen« Verhaltenskontextes. Ich sage, dass jedes bisschen der Sequenz den Kontext »rekonstituiert«. Der ganze Verhaltensraum wird benötigt, damit sich das Objekt herausstellen kann. In Kapitel III hat der Körper niemals ein Objekt, das ihm gegenwärtig ist. Es wird nur impliziert, wenn es fehlt. Wenn das Objekt wieder geschieht, nimmt sich der Prozess wieder auf, und das Objekt ist nicht länger impliziert. Jetzt haben wir ein Objekt hergeleitet, das bleibt. Es wird beständig gehalten durch die Sequenz, und es stellt sich aus der Sequenz heraus. Da der Körper die Sequenzen impliziert und diese die Objekte konstant halten, folgt daraus, dass das körperliche »Alles-durch-Alles« jetzt die Objekte impliziert, indem die Sequenzen impliziert werden. 227 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VI-B · Die Entwicklung des Verhaltensraums
Darum besteht der Verhaltensraum aus Objekten, aber nur, insofern er aus impliziten Verhaltenssequenzen besteht. Wenn die vielen anderen Sequenzen und ihre Objekte nicht in einem Verhaltenskontext impliziert wären, würde die Katze nicht vor dem großen Stein ausweichen, während sie den Vogel verfolgt 24 . Unser Objekt in Kapitel III konnte lediglich abwesend sein, aber das Objekt in Kapitel VI kann vorhanden und auch abwesend sein. Dies liegt daran, dass der offene Zyklus die implizite Sequenz enthalten kann, selbst wenn sein zentrales Objekt abwesend ist. Die Stelle (slot) für ein Objekt kann im VerhalTraditionellerweise wurde ein Objekt als Einheit gewisser »Eigenschaften« aufgefasst. Das Objekt ist die zugrunde liegende Substanz (manchmal vom Beobachter als Subjekt aufgefasst), die die Eigenschaften zusammenhält. Zucker ist weiß, süß und kristallförmig, er löst sich in Wasser auf etc., aber jede dieser »Eigenschaften« wird auch von anderen Dingen geteilt. Was es zu Zucker macht, ist die Einheit dieser Eigenschaften. Von unserem Gesichtspunkt aus setzt so ein Denken zu spät an. Eigenschaften sind abstrahierte Entitäten. Oben denken wir die Einheit eines Objektes als wechselseitig sich implizierende Verhaltenssequenzen. Objekte enthalten impliziterweise andere Sequenzen und auch die herausgestellten Objekte. Sie sind intern verbunden. Ein Objekt enthält impliziterweise, wie es sich aus anderen impliziten Sequenzen und deren Objekten herausstellt (falls out, wir können es nun ein »dieses« nennen). Wir leiten her, wie es Objekte über verschiedene Sequenzen hinweg geben kann. Wir setzen keine Welt voraus, die bereits in Objekte und Bündel von Eigenschaften aufgeteilt ist, die von Verhaltensweisen abstrahiert sind. Was Objekte sind, das hängt vom Leben und vom Verhalten des Organismus ab. Ein Baum ist für Menschen ein Objekt. Wir fällen ihn oder sitzen unter ihm oder klettern auf ihn oder essen seine Frucht, und wir laufen um den Baum herum, wenn er uns im Weg steht. Für manche Tiere kann der Baum genau so ein Objekt sein. Für andere sind manche Blätter und Äste das Zuhause, das sich aus vielen Sequenzen herausgestellt hat, während der Baumstamm mit den restlichen Ästen ein ganz anderes Objekt sein kann. Eine solche Unterteilung muss nicht räumlich sein wie im obigen Beispiel. Nasse Bäume nach dem Regen könnten ein Objekt sein und der Rest ununterscheidbar vermischt mit allem anderen.
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Objekt-Bildung: Objekte stellen sich heraus (fall out)
tensraum existieren, selbst wenn das Objekt abwesend ist. So kann es als abwesend wahrgenommen werden. Lassen Sie uns einen Schritt weitergehen: Da die Stelle für ein Objekt bestehen bleibt, kann das Objekt an dieser Stelle, an der es auch abwesend sein kann, als vorhanden wahrgenommen werden. Die Nahrung kann nun als etwas wahrgenommen werden, das da ist, das fehlt, das wieder da ist oder halb gegessen. Ein Verhaltensraum, in dem sich viele Objekte herausgestellt haben, befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium, das nur bei höheren Säugetieren gefunden wird. Aber Verhaltensraum besteht nicht zuerst aus Objekten. Können wir beides sagen, dass sich ein Objekt »aus einer Sequenz herausstellt« und dass es diese Sequenz auch voranträgt? Ja, aber genau genommen ist es der offene Zyklus, der das Vorantragen bewirkt. Aber da der offene Zyklus aus impliziten Sequenzen und ihren Objekten besteht, tragen die Objekte tatsächlich die Sequenzen voran. Es ist nötig, sich daran zu erinnern, dass ein Objekt nur mit einer ganzen Sequenz von Kontexten zusammen entsteht, das heißt mit der stabil gehaltenen Szene. Was voranträgt, ist nicht nur ein Aspekt, sondern die ganze Szene, die Serie von offenen Zyklen (offener Zyklus = Szene = Verhaltensraum = Kontext von impliziten Sequenzen). Ein Objekt ist immer impliziterweise die ganze Szene, der ganze Kontext, das ganze Gewebe von anderen Sequenzen. Ein Vogel beispielsweise scheint zwar getrennt zu sein von der Stromleitung, auf der er sitzt, und von allem anderen in der Szene. Aber die Szene und die anderen Objekte sind implizit in diesem einzelnen Vogel. Ein Vogel, der auf der Leitung kleben würde, wäre ein anderes Objekt, nicht ein wirklicher Vogel. Jedes Objekt, das zunächst recht eigenständig erscheint, ist eigentlich das Produkt der verschlungenen Wege, wie es sich herausstellt. Und nur weil diese implizit bleiben, bleibt es an verschiedenen Schauplätzen »das gleiche«. Darum impliziert es immer die vielen Sequenzen, von denen es seine »Washeit« (itness) erhält. 229 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VI-B · Die Entwicklung des Verhaltensraums
Stellen wir uns etwas vor, das sich normalerweise bewegt, aber im Moment gerade nicht. Nehmen wir an, der Vogel sitzt. Auch die Katze hält inne und wartet. Der Beobachter sieht, dass nichts passiert, aber die Muskeln der Katze sind angespannt, sie macht sich bereit zu springen, als ob sie Distanz und Moment abmessen würde. Die Katze macht viel. Sich-bereit-machenzum-Springen ist ein komplexes Verhalten 25 . Das Sich-bereit-Machen der Katze und das Nicht-Verändern des sitzenden Vogels sind weitere Sequenzen, die sich in dem Kontext bilden, der den sich bewegenden Vogel impliziert. Ein weiteres Beispiel: Nehmen wir an, wir haben eine Fotografie eines Stiers vor uns. Dieser Stier steht still. Machen wir dagegen einen Film, haben wir viele Bilder des Stiers in etwas anderen Positionen. Der Stier bewegt sich. Nehmen wir an, wir wollen, dass der Stier im Film still steht. Dafür muss Bild für Bild mit dem Stier in der gleichen Position vorbeiziehen. Damit der Stier still stehen kann, muss man nicht den Film anhalten. Viele fast unveränderte Dias bewerkstelligen, dass er still steht. Für uns stellt sich der sitzende Vogel aus einer Sequenz von Versionen des Verhaltenskontextes heraus, in dem seine Bewegungen implizit sind. Während die Katze still hockt, ist die Komplexität ihres Verhaltens zu beachten. Jede Bewegung des Vogels wird von ihren Pupillen verfolgt, von ihren Muskelanspannungen, von ihren Ausrichtungen. Der nicht-fliegende Vogel stellt sich aus einer Diese Darstellung des Raumes und der Objekte im Raum macht es möglich zu unterscheiden zwischen dem, was sich bewegt, und dem, was sich nicht bewegt. In Newtons Raum, im absolut leeren Raum, bewegen sich nur die Katze und der Vogel, die Szene selbst bleibt unverändert. Wir haben aber gerade eine Erfahrung von Konstanz und Gleichheit hergeleitet, die der Betrachter in Newtons Raum braucht. Aber darüber können wir erst in Kapitel VII wirklich sprechen. Von unserem Schema aus können wir sehen, wie einfach das alte Modell ist, es besteht lediglich aus dem Vergleichen bereits vorausgesetzter Objekte im leeren Raum. Wir werden diesen leeren Raum in Kapitel VII herleiten, aber der Verhaltensraum bleibt auch für ihn grundlegend.
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Objekt-Bildung: Objekte stellen sich heraus (fall out)
Sequenz heraus, in der die geringste Bewegung zurückwirkt auf die Präzision der Art und Weise, wie sich die Katze zum Sprung bereit macht. Die Sequenz des sitzenden Vogels und seine Szene richten sich impliziterweise auf eine ganz Menge nicht-geschehender Sprünge der Katze aus. Objekte implizieren andere implizite Sequenzen in ihrer ganz eigenen Herausbildung.
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Appendix zu Kapitel VI
Die folgenden Abschnitte von Kapitel VI enthalten Konzepte des Verhaltens, auf die nicht verzichtet werden kann. Ich stelle sie in den Appendix, weil der Leser zu Kapitel VII übergehen und diese Konzepte nachschlagen kann, wenn sie zitiert und angewendet werden. Es kann ermüdend sein, ein neues Konzept nach dem anderen zu lesen, ohne sie angewendet zu sehen. Darum schicke ich den Leser weiter.
6. Ruhende Wahrnehmung, Wahrnehmung der Wirkung und Wahrnehmen hinter dem eigenen Rücken a) Ruhende Wahrnehmung Wenn der offene Zyklus als Teil des Körper-Prozesses durch das »Alles-durch-Alles« geht, kann sich der Körper im Ruhezustand im Gewebe der Sequenzen fühlen, die wiederholend impliziert sind. Ich nenne diese Art von Sequenz »ruhende Wahrnehmung«. b) Wahrnehmung der Wirkung Darum kann eine Veränderung in der Umwelt selbst ohne Verhalten wahrgenommen und gefühlt werden. Ich nenne diese Art von Sequenz die »Wahrnehmung der Wirkung«.
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Ruhende Wahrnehmung
So wie das Bereit-Machen-zum-Springen der Katze sind diese Arten des Verhaltens und Fühlens spezielle Arten von Verhaltenssequenzen.
c) Wahrnehmung hinter dem eigenen Rücken Merleau-Ponty wies darauf hin, dass wir den Raum hinter unserem Rücken wahrnehmen können, selbst wenn wir nicht hören und dort auch nichts direkt sehen. Man kann dies selbst direkt überprüfen. Mit unseren Konzepten können wir nun diesen Sachverhalt herleiten. Sagen wir, ein Tier hat vor einer Weile ein Raubtier gesehen und gerochen, und jetzt rennt es weg. Es ist noch nicht weit genug weg gerannt, dass es entspannen kann. Das Raubtier wird immer noch wahrgenommen – nicht im gewöhnlichen Sinn, aber gewiss in unserem hier entwickelten. Das Tier schafft Distanz zwischen sich und dem Raubtier, das irgendwo hinter ihm ist. Die Motivation, weg zu kommen, wird durch jeden Baum vorangetragen, der vorbei zieht. Was wahrgenommen wird, sind nicht nur die Bäume, es ist auch der Verhaltenskontext, der durch diese Bewegung der Bäume vorangetragen wird. Sie werden so wahrgenommen, dass sie Distanz schaffen zwischen dem Tier und dem Raubtier hinter ihm. Offensichtlich enthält der gefühlte und wahrgenommene Verhaltensraum auf diese Weise vieles, was nicht die »Wahrnehmung« durch die fünf Sinne ist. Stattdessen fühlt und nimmt der Körper den Verhaltensraum wahr – eine Sequenz, welche die sich gegenseitig implizierenden Sequenzen voranträgt. Implizit sind zum Beispiel auch Verhaltensweisen des Umdrehens, des Anhaltens und Ausruhens oder Abwendens. Diese würden das Raubtier näher bringen. Das Tier rennt voran in einem Raum, der aus vielen Sequenzen besteht, die impliziterweise Anteil haben an der Herausbildung (am »Alles-durchAlles«) dieses Verhaltens. Das fortlaufende Verhalten besteht 233 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu Kapitel VI
aus Versionen des wahrgenommenen und gefühlten Verhaltensraums, selbstverständlich vor und hinter dem Tier. Ich sage mehr dazu im Abschnitt 13. Wir haben die breitere Wahrnehmung hergeleitet, die Teil des Vorantragens des Verhaltensraums ist, der vom Körper impliziert wird.
7. Relevant machen Kann ein Objekt eine Sequenz hervorbringen, die zuvor nicht schon in gerichteter Weise impliziert war? Muss die Katze beispielsweise in gerichteter Weise das Baumklettern implizieren, bevor sie den Baum gefunden hat? Oder kann die Kletter-Sequenz geschehen, weil die Katze auf den Baum trifft? Wir können sagen, dass der Baum »relevant war«, wenn sich die Baum-Kletter-Sequenz bildet, aber wir können auch sagen, dass der Baum geholfen hat, sie relevant zu machen. »Relevanz« ist in einer Weise ein anderes Wort für »Alles-durch-Alles«. Die Umwelt geschieht ins »Alles-durch-Alles«. Also doch. Durch Geschehen tritt der Baum in das »Alles-durch-Alles« ein, so dass Klettern in gerichteter Weise impliziert werden kann. Lassen Sie uns ein Verb daraus machen: Der Baum kann aktiverweise »die Sequenz« relevant machen. (Das war bereits in Kapitel IV evident.) Wenn die Verhaltenssequenz daraus folgt, war das Relevant-Machen selbst das erste bisschen des Verhaltens. Ein Objekt kann eine Sequenz mit einem anderen Objekt relevant machen. Die Katze sieht eine offene Tür und rennt durch sie hindurch hinter dem Vogel her, der Tür keine Beachtung schenkend. Aber die Tür ist Teil des Verhaltensraums des Vogels, wie der große Stein, um den herum die Katze rennt.
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Verbinden
8. Verbinden Jedes bisschen einer Verhaltenssequenz macht das nächste bisschen relevant. Darum kann es schwierig für eine andere Verhaltenssequenz sein, relevant zu werden, während diese vor sich geht. Ein Umweltaspekt kann eine Sequenz relevant machen, wenn er geschieht, bevor eine andere Sequenz relevant wird. Wenn der Aspekt während einer anderen Sequenz geschieht, könnte dies nicht geschehen. Wenn dann die Sequenz in eine Befriedigung mündet, kann das den Körper so verändern, dass der andere Umweltaspekt nicht länger seine Sequenz relevant macht. Das gibt dem Verhalten eine gewisse Stabilität und Organisation. Ein Objekt kann eine Sequenz an einer Stelle relevant machen, aber nicht an einer anderen. Verhalten wird durch Verbinden organisiert. Indem es sich verhält, verändert das Tier seinen Verhaltensraum. Andere Verhaltensweisen werden implizit und können relevant werden. Das ist nicht nur eine Veränderung durch Äußeres. Der Verhaltensraum wird konstituiert durch den Körper in Interaktion mit der Umwelt. Durch Verhalten verändert das Tier seinen Körper und seinen Verhaltensraum.
9. Verdichten »Verdichten« ist ein Konzept, das wir später brauchen werden, wenn wir zu Sprache und menschlicher Handlung kommen. Es entwickelt sich zunächst aus dem Verhalten des Tieres. Studien zeigen, dass Verhalten die Tendenz hat, einfacher zu werden, ritualisierter, verdichteter, je höher es sich auf der Evolutionsskala befindet. Zum Beispiel gibt es für eine frühere Spezies eine komplexe Balz-Zeremonie. Das Entenweibchen schwimmt seinem voraussichtlichen Partner davon, zu anderen Männchen hin, dann kehrt es um und schwimmt zurück zu ihm 235 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu Kapitel VI
und dann wieder zu den anderen. Es macht dies sechs oder sieben Male. In einer späteren Spezies bleibt der Hals des Weibchens zu seinem Partner hingewendet, während es zu anderen schwimmt – und es tut das nur einmal! Was zuvor eine elaborierte Sequenz war, wird jetzt durch ein einziges kurzes »ritualisiertes« Verhalten ausgeführt. Unser Modell wird uns ermöglichen, die erste Theorie herzuleiten, mit der man darüber nachdenken kann. Wenn sich mehr und mehr Sequenzen entwickeln, kommt es zu größeren Veränderungen, wenn eine Sequenz gerichtet impliziert wird. Wenn Verhalten sich zu bilden beginnt, bringt das erste bisschen nur eine kleine Veränderung. Jetzt ist es eine große Veränderung, wenn das erste bisschen auf gerichtete Weise die Sequenz relevant macht. Natürlich erzeugt die ganze Sequenz noch mehr Veränderung, aber das erste bisschen – das reine Relevant-Machen – kann jetzt eine große Veränderung sein, sicherlich mehr als in jenem Stadium, als sich die Sequenz zum ersten Mal herausgebildet hat. Auf dieser entwickelten Stufe kann es so aussehen, als ob die Sequenz schon geschehen sei, sobald sie gerichtet impliziert ist, aber dem ist nicht so. Ich bin zum Beispiel nicht bereits an der Tür angekommen nur dadurch, dass ich mich auf sie zu bewege. Dennoch kann eine ganze Situation drastisch verändert werden, wenn ich beginne, mich auf die Tür zu zu bewegen. Es braucht auch nicht das erste bisschen zu sein. In unserem obigen Beispiel mit den Enten entsteht die große Veränderung, wenn das Weibchen hinaus schwimmt und sich zurückdreht. Dieser Moment bringt schnell die Veränderung, die zuvor viele Sequenzen gebraucht hat, als das Verhalten sich erstmals herausgebildet hat. Das verdichtete Verhalten könnte auch das letzte Stückchen sein, so dass die Befriedigung schneller erreicht wird. Beispielsweise endet ein Kampf zwischen männlichen Affen, wenn einer von ihnen endlich dem anderen den Rücken zukehrt. Aber in gewissen sozialen Spezies dreht jeder Affe dem anderen den Rü236 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Verdichten
cken zu, sobald derjenige höher in der Hierarchie steht. Dann gibt es keinen Kampf. Befriedigung wird direkt erreicht. Die Drehung ist die Verdichtung der ganzen Sequenz. Aber der Kampf ist noch implizit, und er geschieht, wenn ein Affe sich nicht gemäß der hierarchischen Ordnung abwendet. Wann immer ein bisschen Verhalten das »Alles-durch-Alles« stark verändert, ist genügend Veränderung passiert, so dass etwas anderes relevant werden kann. Dann muss die restliche Sequenz vielleicht gar nicht mehr geschehen. 26 In einem entwickelteren Verhaltensraum ermöglicht Verdichtung ein schnelles Vorantragen mit zügigen Übergängen dazwischen. Nach nur ganz wenigen Sequenzen kann eine andere gerichtet impliziert werden. Verdichtung ist eine Art von Pyramidisieren. Die ganze Sequenz ist immer noch implizit, aber die neue verdichtete geschieht stattdessen. Lorenz erzählt von einer Ente, die er nach gewissen Experimenten jeden Tag mehrere Treppen hinaufführte. Einmal war ein starkes Geräusch auf der Straße, als sie im zweiten Stock angekommen waren. Die Ente rannte in ein Zimmer, schaute aus dem Fenster, dann beruhigte sie sich und lief die restlichen Treppen hoch. Von da an machte die Ente jeden Tag eine kleine Schleife in Richtung des Zimmers und ging dann weiter. An einem Tag jedoch, viele Monate später, machte die Ente die Schleife nicht. Nach ein paar Stufen drehte sie um, ging den Die kurzen Silben der Sprache (und ihre komplizierte Syntax) können durch die Verdichtung längerer Sequenzen in einer Proto-Sprache entstanden sein. Wir werden dies in Kapitel VII diskutieren. Ein weiteres Beispiel: Ein neuer Gedankenstrang muss sequenziert werden. Haben wir das ein paar Mal getan, genügt nur die Art und Weise, wie er implizit werden kann, um uns weiterzuführen. Eine kurze Wendung, wie »Ah, ja, das!« reicht. Wir brauchen ihn nicht mehr gänzlich zu sequenzieren wie beim ersten Mal. Die kurze Wendung verändert das »Alles-durch-Alles« in genügender Form, so dass etwas Nächstes impliziert wird. (Ich nenne diese Art von Verdichtung »verpacken«).
26
237 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu Kapitel VI
ganzen Weg wieder hinunter bis zum Raum und schaute aus dem Fenster. Dann ging sie die Treppen wieder hoch. Das Beispiel zeigt, dass die ganze Sequenz in der kleinen verdichteten Schleife implizit blieb. Als diese »neue« SchleifenSequenz nicht geschah, wurde die ganze alte Sequenz in gerichteter Weise impliziert und geschah.
10. »Zurückfallen« auf ein primitiveres Niveau Dies ist ein anderer Terminus, den wir in Kapitel VII brauchen werden. Höhere Tiere entwickeln mehr und mehr Verhaltensweisen und mehr und mehr Objekte, die Verhalten relevant machen können. Wenn die Katze nicht hungrig ist, nicht sexuell engagiert, nicht flüchtet oder etwas verfolgt, geht sie vielleicht umher, riecht an etwas, dreht sich, um ein Geräusch zu hören, streift umher, schaut in ein Loch, setzt sich eine Weile hin. Verschiedene Objekte machen Sequenzen relevant, die durch andere Objekte unterbrochen werden, die andere Sequenzen relevant machen. Auf einmal erscheint eine Maus, und die Katze ist auf der anderen Seite des Raumes, bevor wir wissen, was geschehen ist. Dort wird sie, bis die Jagd vorbei ist, nicht leicht abzulenken sein. Tierpsychologen nennen dieses schnelle Verhalten ein »festgelegtes Handlungsmuster«, weil es auf wiederholte und unablenkbare Weise abläuft. Ein festgelegtes Handlungs-Muster scheint ein Rückfall auf eine primitivere Ebene der Entwicklung zu sein. Der Verhaltensraum scheint dann nicht mehr Sequenzen mit einigermaßen interessanten Objekten einzubeziehen. Sie sind zwar noch da, wie wir daran sehen können, dass die Katze sie trotz ihrer Geschwindigkeit und der nicht unterbrechbaren Qualität ihrer Jagd dennoch gekonnt vermeidet. Darum ist dieses festgelegte Handlungsmuster nicht einfach primitiv. Einige zusätzliche Objekte 238 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Verhaltensmäßige Körper-Entwicklung
sind im Verhaltenskontext, den dieses Handlungsmuster voranträgt, implizit, aber die meisten Objekte nicht. Inmitten eines solchen festgelegten Handlungsmusters werden entwickeltere Objekte schwerlich eine unterschiedliche Sequenz relevant machen. »Alles-durch-Alles« verliert während festgelegter Handlungsmuster vieles, was es sonst enthält. Ich nenne das verengte »Alles-durch-Alles« eines festgelegten Handlungsmusters »Zurückfallen«, eine Rückkehr zu einer früheren Verhaltensweise mit weniger Objekten und einer ganzkörperlicheren Herausbildung. Wir werden dieses Konzept brauchen, um zu verstehen, wie sich menschliche Emotionen von umfassendem körperlichen Fühlen unterscheiden, dem »Alles-durch-Alles« des ganzen Kontextes.
11. Verhaltensmäßige Körper-Entwicklung Wir sahen bereits, wie Veränderungen in der Körperstruktur durch die Entwicklung des Verhaltens weitergehen und beschleunigt werden. Es sind oft große und schnelle Veränderungen. (Zum Beispiel können innerhalb einer Generation die Bienen eines Bienenstocks als Reaktion auf veränderte Verhaltensumstände mit einer veränderten Körperstruktur geboren werden.) Früheres bleibt nicht gleich, denn spätere Stadien entwickeln die früheren weiter. Manche Verhaltensweisen können auf neue Weise befriedigt werden, und so können sich auch neue Stopps im Körperprozess entwickeln. Gewisse körperliche Motivationen, die es bei Tieren zuvor nicht gab, bilden sich mit dem Verhalten erst heraus. Verhalten ist ja ein Umweg, ein Strang von Versionen eines gestoppten Körperprozesses, aber es könnte neue oder veränderte Stopps sowohl kreieren als auch vorantragen. Die gegenwärtige Lücke zwischen den Gebieten der Physiologie und der Psychologie ist keine Lücke zwischen Körper und Verhalten. Es ist eher eine Lücke zwischen dem gegenwärtigen 239 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu Kapitel VI
Vokabular und den Konzepten der beiden Gebiete. Wenn man die körperliche Entwicklung des Empfindungsvermögens nicht begrifflich entwickeln kann, wird beides mysteriös. Dann scheint der Körper eine Maschine zu sein, und die Begriffe für das Verhalten gehen von einem neuen und falschen und körperlosen Anfang aus. Damit erhalten unsere Begriffe von Körper und Verhalten niemals die inhärenten internen Verbindungen. 27 Wenn wir es schaffen, über Körperprozess und Verhalten innerhalb eines Paradigmas nachzudenken, können wir zeigen, wie die körperliche Struktur einer jeden Spezies genau ihrer Verhaltensweise entspricht. Wenn Verhalten eine gewisse Art und Weise des Vorantragens und Veränderns des Körpers ist, dann klingt das weniger mysteriös. Damit wird andererseits auch vererbtes Verhalten verständlich, was gegenwärtig noch ein Rätsel ist. Wenn der Körper vererbt ist, dann selbstverständlich auch sein implizites Verhalten. In der Evolution entwickeln sich Körper und Verhalten zusammen. Das scheint nur dann geheimnisvoll zu sein, wenn man zwischen Stoff und Prozess, zwischen Körper und Funktionieren trennt. Würden Sie die Lungen als vererbt auffassen, aber das Atmen als gelernt? Würden Sie das Herz als vererbt auffassen, das Pumpen jedoch nicht? Und warum wären Beine vererbt, aber Gehen nicht? Ich frage meine Studenten: »Wie lernen winzige Kinder laufen?« Sie antworten: »Indem sie den Erwachsenen zuschauen«. Dann frage ich sie: »Wie lernen sie dann krabbeln?« Lange Zeit haben Verhaltensforscher darauf bestanden, dass
Merleau-Ponty sollte für diese Diskussion sowohl zitiert als auch gewürdigt werden. Er hat kein Modell zur Verfügung gestellt und auch nicht den eigenen explikativen Prozess studiert, den er genutzt hat. Aber er war ein Pionier hinsichtlich der Rolle des Körpers in der Wahrnehmung, im Verhalten und in der Sprache.
27
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Gewohnheit
Tiere ihre komplexen Verhaltensweisen lernen müssten. Wenn Tiere im Käfig im Labor aufgezogen wurden, ging man davon, dass sie das Verhalten bereits im Mutterbauch gelernt haben mussten. Aber was ist Lernen? Ohne ausgerüstet zu sein, kann man nichts lernen. Etwas muss immer vererbt worden sein, damit gelernt werden kann. Man kann keinem Baum beibringen, Mäuse zu fangen. Es gibt ein Kontinuum zwischen Angeborenem und Gelerntem in unterschiedlichen Kombinationen. Ein Kätzchen muss die komplexe Weise »lernen«, wie man auf eine Maus springt. Die Mutter zeigt es – einmal – und es ist gelernt. Es ist zwar vererbt, aber es braucht ein wenig Lernen. Wenn gewisse Gehirnzellen aktiviert werden, wird das Verhalten auch ohne Mutter hervorgerufen. Aber man sollte nicht sagen, es ist das Gehirn. Ein Gehirn kann nicht auf Mäuse springen. Der ganze Körper wird umstrukturiert, wenn sich Verhalten entwickelt; der ganze Körper ist vererbt zusammen mit seinem Verhalten.
12. Gewohnheit Lange war es ein Rätsel, warum Wiederholung Gewohnheiten aufbaut. Wiederholung allein erklärt es nicht. Die Antwort lautet, dass die Entwicklung einer Gewohnheit eine bestimmte Art der körperlichen Veränderung ist. Die »Wiederholung« geschieht in unterschiedlichen Umständen. Jedes Mal trägt sie einen etwas anderen Verhaltenskontext voran. Jedes Mal wird das Verhalten in vielen verschiedenen Sequenzen implizit, in denen es zuvor noch nicht implizit war. Wir sahen, dass zwei Verhaltensweisen gleich erscheinen mögen, aber trotzdem können viele verschiedene Verhaltensweisen darin implizit sein. Ein Verhalten wird zu einer Gewohnheit, wenn es in ganz vielen anderen Verhaltenssequenzen implizit wird und diese wiederum darin (im Kontext, in dem dieses Verhalten ein Strang ist). Je mehr Sequenzen dieses Verhalten 241 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu Kapitel VI
impliziterweise einbezieht, je schwieriger ist es für eine neue Sequenz, stattdessen zu geschehen und darüber zu »pyramidisieren«. Wenn das Verhalten in vielen Sequenzen implizit ist, verschwindet es nie vollständig. Ein neues Verhalten kann zu einer Gewohnheit werden, wenn es zu einer neuen Befriedigung führt oder schneller zu einer alten. Darum kann eine »Belohnung« eine Gewohnheit aufbauen. Manchmal ist einmal genug, um eine Gewohnheit aufzubauen. Andererseits kann sich ohne eine »Belohnung« (irgendeine Art von Befriedigung) keine Gewohnheit bilden, selbst mit ganz vielen Wiederholungen in verschiedenen Kontexten. Widerspricht Gewohnheitsbildung meiner Behauptung, dass Geschehen immer eine frische Herausbildung ist? Unsere neuen Konzepte zeigen, dass es nicht so ist. Eine Gewohnheit bildet sich jedes Mal frisch wie jede andere Sequenz. Sie ist frisch relevant gemacht und ausgerichtet. Wenn das Gleiche geschieht unter den gleichen Bedingungen, nennen wir es »wiederholende Verursachung«: Das gleiche Ding bildet sich wieder in gleicher Weise, wie es sich zuerst gebildet hat.
13. Vorstellung (kination), Imagination und Felt Sense Im alten Modell beginnt man mit Erfahrung, die bereits in unterschiedliche Arten aufgeteilt ist. Man nimmt an, dass die »grundlegende« Realität nur aus einer Art und Weise besteht, in der wir bereits alles abgegrenzt, unterschieden und umgearbeitet haben. (In Kapitel VII werden wir uns in diesem Umarbeiten besser verstehen.) Wenn man nicht zurückverfolgen konnte, wie etwas aufgenommen wurde (zum Beispiel durch Licht- oder Tonwellen, die vom Objekt auf ein Sinnesorgan treffen), dann musste es als eine Imagination (imagination) bezeichnet werden. Imagination
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Vorstellung (kination), Imagination und Felt Sense
war immer geheimnisvoll, als Erfahrung von Objekten – ohne Objekte. Sie musste so etwas wie eine Erinnerung an etwas sein, das einmal gegenwärtig war, zum Beispiel alte Erfahrungen, die vielleicht kreativ umgeordnet wurden. Freud und Jung entdeckten, dass Imagination und Träume viel umfassender sind als individuelle Erfahrung. Sie entdeckten das »Unbewusste« der menschlichen Rasse, das »kollektive Unbewusste«, das sogar Bilder aus primitiven Zeiten, in denen die Kultur erst entstand, kreieren kann. Sie scheinen auf der ganzen Welt ähnlich zu sein und können bei allen hervorgerufen werden durch gewisse Chemikalien, durch Hypnose oder durch Schlaf. Das alte Modell erklärt alles, indem es auf frühere Einheiten verweist, wodurch dasjenige, was neu erscheint, nur ein UmOrdnen von Altem wird. Träume und Imagination sind dann leicht als eine Wieder-Gabe oder als ein Wieder-Umordnen von alten Erfahrungen zu erklären. Aber das eigentliche Problem besteht doch darin, zu verstehen, wie eine Erfahrung zum ersten Mal geschieht. Es ist schon lange bekannt, dass der Körper, auf den etwas einwirkt, immer noch die Erfahrung machen muss. Ein Objekt kann in der Nähe eines Steins sein, aber das genügt nicht, damit der Stein dies erfährt. Man muss ausgerüstet sein, um eine Erfahrung zu machen – was auch immer »Erfahrung« ist. Fast alles, was geschieht, wenn wir uns eine Erfahrung vorstellen oder sie reproduzieren, muss auch geschehen, wenn wir zum ersten Mal erfahren. Kant sagte, es bedürfe der Einbildungskraft auch dann, wenn wir etwas zum ersten Mal erfahren, und nicht nur, wenn wir eine Erfahrung nochmals durchspielen. Er sprach von der »produktiven Einbildungskraft«, welche vor der »reproduktiven« kommt, und sagte, dass diese Befähigung tief in uns »verborgen« liege und kaum wahrnehmbar wäre. Aber er verstand, dass
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Appendix zu Kapitel VI
fortlaufendes Erfahren in (durch die Teilnahme von) Einbildungskraft geschieht. Durch das Bauen unseres Modells sind wir nun an einem ähnlichen Ort angelangt. Das Tier bewegt sich in seiner hausgemachten (home-grown) Umwelt, dem offenen Zyklus, der mit seinen gegenseitig impliziten Sequenzen Verhaltensraum geworden ist. Ein großer Unterschied dieses Modells zu vorhergehenden ist, dass der offene Zyklus durch den ganzen Körper impliziert wird. Der ganze Körper ist eine Interaktion mit der Umwelt. In der traditionellen westlichen Philosophie wurde der ganze Körper ignoriert. Erfahrung musste aus den Eindrücken der fünf Sinnesorgane zusammengebaut werden. Diese als Quelle von Erfahrung aufzufassen, hieß, von Farben und Gerüchen zur Erfahrung von Objekten, Dingen und Situationen springen zu müssen. Man sollte anscheinend nicht bemerken, dass selbst die einfachste Situation nicht als Teilchen von Farben und Gerüchen aufzufassen ist. Oben in Kapitel VI behandelten wir, wie eine Situation (ein Verhaltenskontext) Objekte umfassen kann, die sowohl hinter als auch vor dem Körper wahrgenommen und gefühlt werden. Der Verhaltensraum umfasst den Verfolger hinter dem fliehenden Tier. Dieser Raum besteht nicht aus Teilchen von Farben und Gerüchen, sondern aus den körperlich-implizierten Verhaltensweisen und ihren Objekten. Oben sagten wir, dass sich im Rennen des Tieres ein gefühlter und wahrgenommener Raum vieler möglicher Verhaltensweisen voranträgt. Das Rennen und die vorbeiziehenden Bäume tragen seine körperliche Fluchtmotivation weiter. Natürlich nimmt das Tier die Bäume hinter sich wahr und fühlt diese auch. Es fühlt, dass es nur ein wenig ausweichen muss, um keinen Baum zu treffen, und es fühlt dies, ohne schauen zu müssen. Wenn das Tier rückwärts läuft, würde es das Vorbeiziehen der Bäume umdrehen. Und wenn es sich ausruht, hören die Bäume auf vorbeizuziehen, und das verfolgende Raubtier kommt näher. 244 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Vorstellung (kination), Imagination und Felt Sense
Versteckt es sich hinter einem dieser Bäume, zieht das Raubtier vorbei oder auch nicht. Sein Körper (das »kollektive Unbewusste« der »pyramidisierten« Sequenzen seiner Spezies) »weiß«, ob diese Art Raubtier es riechen würde, wenn es sich versteckt, oder ob das Raubtier besser klettern kann als es selbst. All das ist Teil des Kontextes, aus dem sich die vorbeiziehenden Bäume als Objekte im Verhaltensraum, in dem das Tier rennt, herausstellen. Wenn wir nun sagen, der Verhaltensraum sei »Vorstellung (imagination)«, dann meint der Begriff, was tatsächlich in der Körper-Umwelt-Interaktion präsent ist. Das ist, meine ich, in gewisser Weise hinsichtlich menschlicher Vorstellungskraft auch zutreffend, aber dieser Frage können wir uns erst in Kapitel VII zuwenden. An dieser Stelle können wir uns sicher sein, dass »Vorstellung« nicht jenseits von Körper-Umwelt-Interaktion anzusetzen ist, so als ob sie gänzlich daneben liegen könnte. Durch die Tiere haben wir die interaktionelle reale Vorstellung gewonnen. Wenn wir zu den Menschen kommen, wird es diese Vorstellung sein, die wir weiterzuentwickeln haben. »Vorstellung« könnte missverständlich sein, wenn man sich darunter lediglich Visuelles oder die Beteiligung der fünf Sinne vorstellt. Das Wort Kinästhetik (von »Kinesis«, Bewegung) ist auch noch zu dürftig, wenn man bei Bewegung nur an eine Ortsveränderung im leeren Raum denkt. Wir werden noch verstehen, inwiefern auch reine Bewegung mit einem vorgängigen Verhaltensraum verbunden ist und selbstverständlich den ganzen Körper beansprucht. Ich präge das Wort »Kination« (Kinesis plus Imagination) anstelle des normalerweise vorkommenden Wortes »Vorstellung«. »Kination« ist der verdoppelte, körperlich implizierte Verhaltensraum. Die Katze miaut zum Beispiel vor der Tür; sie »stellt sich vor«, nach draußen zu rennen. Im Verhaltensraum geht die Tür damit einher, was auf beiden Seiten ist. Der Verhaltensraum besteht aus vielen möglichen Verhaltensweisen, die die Katze draußen machen kann und was sie jetzt hier drinnen macht. Da ist keine große Trennung zwischen der Tür, die 245 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu Kapitel VI
sie sieht, und dem Draußen, das sie nicht sieht. Die körperlich implizierte »Kination« ist immer enorm viel umfassender als das, was im Moment aufgenommen (photographed) werden könnte. Es gibt keinen Bruch zwischen physischem Fühlen und Kination. Kination = »Alles-durch-Alles« des Verhaltens = Vorantragen des offenen Zyklus = Fühlen (die Veränderungen des »Alles-durch-Alles«) = Wahrnehmung (das Versionieren des offenen Zyklus). Wir können sagen, dass das Verhalten in Kination geschieht, wenn wir uns erinnern, dass Kination verdoppelte, fortlaufende Körper-Umwelt-Interaktion ist. Kination ist kein autistischer innerer Raum. Diese Konzepte, die auf ihre Art die ersten sind, können noch nicht perfekt sein. Indem wir sie nutzen, werden sich jedoch bessere entwickeln.
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Kapitel VII: Kultur, Symbol und Sprache Kapitel VII-A: Ein symbolischer Prozess
a) Körperaussehen Endlich können wir Symbolisieren herleiten. Mit »herleiten« meine ich natürlich, dass wir Konzepte entwickeln können, die uns klar darüber nachdenken lassen, was Symbole sind und wie etwas »von« etwas handeln kann, wie es bei Symbolen der Fall ist. Wir werden sehen, dass vieles von dem, was wir zuvor behandelt haben, hierfür nötig gewesen ist. Um klar denken zu können, braucht man Konzepte (oder Begriffe), die eine interne Struktur gemeinsam haben, die sich mit ihnen zusammen entwickelt. Diese Struktur gewährleistet, dass man versteht, was jedes einzelne Konzept (oder jeder Begriff) im Verhältnis zu den anderen ist und leistet. Es reicht also nicht aus, einfach ein Konzept an das nächste zu reihen. Wenn wir nur behaupten: »Menschen besitzen die Fähigkeit zu symbolisieren«, dringen wir weder tief in die Erfahrung ein, noch denken wir klar. Außerdem wissen das ja alle schon. Obwohl ich die Leistungskraft von Symbolen aus dem Verhalten der Tiere und dem Körperprozess zu entwickeln scheine, soll hier keine Naturgeschichte geschrieben werden. Im Gegenteil, ich denke, dass die hier entwickelten Konzepte dabei behilflich sein können, diese Art von Entwicklungen zu studieren. Warum? Weil sich diese Konzepte aus dem Symbolisieren entwickeln. Warum war es dafür nötig, Körperprozess und Verhalten neu zu formulieren? Nur indem wir diese klarer und im Ein247 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
klang mit dem Symbolisieren entwickeln, können wir hoffen, darüber nachdenken zu können. Damit sind Körper und Verhalten ein für alle Mal beteiligt am Symbolisierungsprozess. In den dürftigen Konzepten über den Körper, aber auch über Verhalten, Wahrnehmung, Fühlen, Raum und Zeit, die gegenwärtig in Gebrauch sind, können wir über Symbolisieren nicht angemessen nachdenken. Das wird jetzt klarer werden. Als Überleitung lassen Sie mich über jene Verhaltensweisen des Tieres sprechen, die dem Symbolisieren am nächsten kommen, nämlich »Tier-Gebärden« und »Tier-Rituale«. Von dort aus wird erkennbar, was durch Symbolisieren hinzukommt und was nicht. Wir können nicht einfach sagen, dass »Sprache« hinzukommt. Wir müssen die Art des Erfahrungsprozesses verstehen, der mit Sprache einhergeht. Höher entwickelte Tiere sind und tun fast alles, was Menschen sind und tun. Jane Goodall berichtet beispielsweise, wie eine Schimpansen-Mutter vorsichtig den gelähmten Arm und das gelähmte Bein ihres Kindes versorgt, das Polio hat. Oder wie sich der kleinere Bruder eines verletzten Männchens zu ihm setzt und vorsichtig die offene Wunde zudrückt. Die symbolisierende Art von Erfahrung ist für differenzierte Kommunikation nicht nötig. Kürzlich wurden die Tonmuster von Vogelrufen analysiert. Ein männlicher Vogel zwitscherte auf 150 verschiedene Weisen pro Tag. Als sein Weibchen entfernt wurde, sang er nur noch einen einzigen Ton, den ganzen Tag lang. Am nächsten Tag, als das Weibchen ihm zurückgebracht wurde, zwitscherte er wieder seine 150 Weisen. Tiere kämmen sich gegenseitig und entfernen Flöhe, auch wenn es keine gibt, nur um sich Gesellschaft zu leisten. Wir kennen dieses Verhalten von unseren Hunden, Katzen und Pferden. Wenn sich mein Kater besonders wohl fühlt neben mir, dann »kämmt er das Fell« auf meiner Hand, obwohl er spürt, dass da keines ist. Diese Art von Kommunikation geschieht bei Tieren untereinander und mit uns. Was aber ist das für eine Art von Erfahrung, die mit Sprache 248 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Körperaussehen
verbunden ist und die Tiere nicht haben? Ich nenne diese Art »Worüberheit« (aboutness). Mary zum Beispiel lebt allein mit ihrer Katze. Wenn sie den Koffer aus dem Schrank nimmt, wird ihre Katze traurig. Die Katze weiß, was dies bedeutet, nämlich dass Mary bald verreisen und die Katze für ein paar Tage allein lassen wird. Wenn Mary aber nur etwas in den Koffer verstauen will, hat sie keine Möglichkeit, dies der Katze mitzuteilen, außer indem sie den Koffer wieder in den Schrank stellt. In der Tier-Erfahrung gibt es nichts, das nur »davon« handelt. Denn Verhalten ist, was es ist. Tiere reagieren nicht auf Bilder als reine Bilder. Man kann nicht in den Verhaltenskontext wechseln, ohne sich tatsächlich zu verhalten. Dennoch gibt es Verhaltensweisen von Tieren, die nah an eine solche Veränderung herankommen. Sie werden »Tier-Gebärden« oder »Tier-Rituale« genannt. Gewisse besondere Verhaltensweisen, die oft geringfügig sind, können zu einer großen Veränderung führen. Sexualverkehr, Kampf, Nestbau und andere wichtige Verhaltenssequenzen können durch gewisse Körperhaltungen und Töne von Seiten eines anderen Tieres initiiert werden. Wenn ein Kater einen anderen sieht, wird sein Schwanz dick, der Kater faucht und knurrt. Das bewirkt beim anderen Kater entweder einen Flucht- oder einen Kampf-Reflex. Verhaltensweisen, Töne und Körperhaltung einer jeden Katze tragen die jeweils andere voran. Diese verursachen entweder Flucht oder Kampfbereitschaft auf Seiten der anderen Katze. Im Balztanz zeigt der eine Vogel bestimmte Federn, deren Gestaltung und Farben die Sexual-Bereitschaft des anderen vorantragen, was sich wiederum auf den ersten Vogel überträgt und so fort bis zum Sexualverkehr. Wenn ein Affe seinen Arm hebt, um zu schlagen, trägt dies die Kampfbereitschaft des anderen voran und schließlich das Kämpfen. Wenn im Kampf ein Affe zu flüchten bereit ist, dreht er dem anderen seinen Rücken zu, wodurch die Kampf-Sequenz angehalten wird. 249 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
Unter Tieren, die gemeinsam im gleichen Territorium leben, gibt es eine Sozialhierarchie. Jeder Affe dreht seinen Rücken anderen zu, die höher in der Rangordnung sind, und erhält seinerseits diese Unterwerfungsgeste von denen, die unter ihm sind. Dieses so genannte »Tier-Ritual« nimmt dann den Platz der Kampfsequenz ein. Nur noch dieses letzte bisschen der Kampf-Sequenz geschieht und vermeidet somit das Kämpfen. Wenn jedoch der rangniedrigere Affe versäumt, dem ranghöheren den Rücken zuzukehren, dann geschieht der Kampf. Die Kampf-Sequenz ist implizit, obwohl sie nur selten geschieht. Auf diese Weise haben die höheren Säugetiere und speziell die sozialen unter ihnen eine funktionale Rolle für besondere Weisen, wie ihre Körper aussehen oder klingen. Darum heißen sie »Gebärden« oder »Rituale«. Die kleinen Veränderungen im Körperaussehen, in den Bewegungen und Lauten kommen nah an so etwas wie Symbole heran, insofern ihr geringfügiges Geschehen einen Verhaltenskontext drastisch bewegt. Das heißt, dass sie sehr viel mehr »bedeuten«, als sie scheinen. Dennoch sind sie nur Verhalten und schaffen keine »Worüberheit« (aboutness). Knurren, Abwenden, um zu rennen, der angedeutete Schlag sind Teile von Verhaltenssequenzen. Dennoch kann eine »Tier-Gebärde« einen ziemlich wichtigen Unterschied auslösen: Die Bewegung zum Beispiel, die im sich-Bereitmachen-für-den-Kampf durch den Körper geht, ist eine äußerst prägnante körperliche Veränderung. Es gibt nichts Geringes oder Subtiles an den daran beteiligten Veränderungen des Blutkreislaufs, der Muskeln, der Haltung und anderer körperlicher Aspekte. Der ganze Verhaltensraum ist auf einmal durch eine solche Gebärde verändert, sie entspricht einer großen körperlichen (»Alles-durch-Alles«) Veränderung. Kleine einzelne Bewegungen oder Weisen, wie der Körper aussieht oder tönt, können nun große Unterschiede machen, zum Beispiel zwischen kämpfen oder nicht kämpfen.
250 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Der Tanz
b) Der Tanz Stellen wir uns vor, dass sich zwei Affen treffen, aber keiner von ihnen dreht dem anderen den Rücken zu, dennoch bildet sich die Kampfsequenz nicht (vielleicht, weil es nicht geht, weil beispielsweise ein Fluss zwischen ihnen ist oder weil sich etwas Neues herausbildet). Wir wollen uns vorstellen, dass sich statt Kampf oder Abwendung die anfängliche »Drohgebärde« wiederholt, jeweils etwas anders. Die Drohgebärde macht das erste bisschen einer Kampfsequenz relevant. Dieses bisschen ist eine wichtige körperliche Bewegung des Sich-zum-Kampf-Bereitmachens. (Wie auch sonst in unserem Schema: Ein erstes bisschen Geschehen verändert das Implizieren der ganzen Sequenz. Wenn der Rest der Sequenz nicht geschieht, ist sie immer noch impliziert. Sie beginnt wieder, wenn sie beginnen kann. Darum geschieht das erste bisschen immer wieder auf veränderte Weise.) Die »Drohgebärde« hat eine große verändernde Wirkung auf den Körper. Wenn diese Gebärde (gesture), nämlich diese Weise, wie der Körper aussieht, klingt und wie der Arm sich bewegt, nun etwas anders ausfällt, wird auch die Wirkung auf den anderen Affen etwas anders sein. Sie wird wiederum das Körperaussehen des anderen Affen verändern, seine Laute und seine Bewegung. Dies wird nun wiederum den ersten Affen etwas anders vorantragen, und so fort. Wir bekommen eine Sequenz von geringfügig unterschiedlichen Versionen der gleichen »Gebärde«. Ich nenne dies einen Tanz (a dance). (Es handelt sich um eine neue Art von versionierender Sequenz.) Die Wirkung des einen Affen auf den anderen ist jedes Mal eine Version der großen Veränderung im Körper (»Alles-durchAlles« und sein Verhaltenskontext), die solche »Gebärden« im Tierverhalten haben. Eine Veränderung in einer solchen »Gebärde« muss eine veränderte Wirkung haben, die jeder Affe im Körper des anderen bewirkt. Statt nur einer Veränderung (shift) 251 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
bekommen wir zunächst diese und dann einen ganzen Strang von Versionen dieser Veränderung. Ein etwas anderes Körperaussehen und ein anderer Ton der jeweiligen Körper bewirken einen etwas anderen Körper (»Alles-durch-Alles«) beim anderen und deshalb ein anderes Körperaussehen und einen anderen Ton. Die Ausformulierung dieser Gebärde in einen ganzen Strang ist also eine Pause im gewöhnlichen Verhalten. Der Verhaltenskontext wird nicht vorangetragen. Statt zu kämpfen oder sich den Rücken zu zu drehen, hält dieser Strang von Versionen den Verhaltenskontext gleich. In dieser neuen Sequenz ist jedes Körperaussehen eine Version des gleichen Verhaltenskontextes. Der Verhaltenskontext wird nicht so verändert, wie er durch eine Verhaltensweise verändert würde. Kämpfen ist zwar in gerichteter Weise impliziert, aber es geschieht nicht. Der Kampf bleibt weiter impliziert. Der Verhaltenskontext, in dem Kämpfen impliziert ist, bleibt nach wie vor bestehen. Die neue Sequenz ist nicht Verhalten, denn sie verändert den Verhaltenskontext nicht, wie eine Verhaltenssequenz ihn verändern würde. Die neue Sequenz ist ein Strang von Versionen eines (ansonsten) unveränderten Verhaltenskontextes. Damit ist die neue Sequenz ein Strang von Manifestationen des Verhaltenskontextes, »wie-der-Körper-in-diesem-Verhaltenskontext-aussieht«. Die neue Sequenz ist ein Strang von Manifestationen des Körperaussehens im gleichbleibenden Verhaltenskontext. So wie das Verhalten ein Umweg innerhalb des Körperprozesses war, so ist jetzt dieser Tanz ein Umweg innerhalb des Verhaltens; er hält (als Strang von Versionen) den gestoppten Körper-Prozess und den gleichen Verhaltenskontext an.
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Repräsentation
c) Repräsentation In dieser Sequenz gibt es eine neue Art des Vorantragens, es gibt ein neues Verhältnis: Das Körperaussehen des einen (lassen Sie mich dieses Wort Körperaussehen so verwenden, dass es auch Ton und Bewegung umfasst) ist eine Manifestation dessen, wie der Körper des anderen gerade aussah. Hierher passt nun ein neuer Gebrauch des Wortes »wiedererkennen« (recognize). (Schematisch gesprochen handelt es sich um ein Wieder-wieder-erkennen, da wir das Wort bereits zweimal verwendet haben: Wir gebrauchten »erkennen« [recognize] in Kapitel III und »wieder-erkennen« [re-recognize] in Kapitel IV.) Der Körper erkennt das Aussehen des anderen als sein Aussehen, nämlich wie er selbst gerade war. Aber dieses Erkennen ist durch die Sequenz geschaffen, es ist ein Verhältnis innerhalb der Sequenz. Der körperliche Ausdruck trägt jetzt voran. Dieses Erkennen ist Ausdruck (ohne Anführungszeichen und nicht zu früh hier). Wir nehmen damit also nicht an, dass ein Körper weiß oder fühlt, wie er aussieht und dadurch die Ähnlichkeit an einem anderen Körper sieht. Genau das Gegenteil ist der Fall. Tiere haben ein Aussehen und geben Geräusche von sich, die wir Menschen erkennen, die aber nicht unbedingt unter Tieren wiedererkannt werden. In unserer neuen Sequenz trägt zuerst das Körperaussehen des anderen den eigenen Körper voran. Deshalb wird eine bestimmte Art und Weise, wie ein Körper ist, nun diese Sequenz implizieren. Bevor sich die neue Sequenz herausbildet, haben Körperaussehen und Körpergeräusche zum Großteil keine Funktion. Kaum ein Körperaussehen ist eine »Tier-Gebärde«, und diese bilden auch noch keine eigene Sequenz. Sie machen lediglich ein bestimmtes Verhalten relevant. Erst jetzt gibt es eine ganze Sequenz von Körperaussehen. Ein Körperaussehen ist so, wie der Körper im gegebenen
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VII-A · Ein symbolischer Prozess
Verhaltenskontext aussieht, und erst jetzt gibt es einen Strang von Versionen davon. Noch bevor sich eine solche Sequenz herausgebildet hat, könnte ein menschlicher Beobachter sagen, dass ein gewisses Aussehen eines Tieres ausdrucksstark und charakteristisch für diesen oder jenen Verhaltenskontext sei. Aber erst jetzt trägt das Körperaussehen im Verhaltenskontext die Tiere selbst in diese Sequenz. Der Verhaltenskontext wird somit durch Körperaussehen dargestellt oder repräsentiert. Wir können sogar formulieren, dass Körperaussehen auf diese Weise ein Symbol eines bestimmten Verhaltenskontextes ist, in dem sich ein Tier oder Mensch befindet. Es sind nicht »konventionelle Symbole«, die willkürlich dieses Aussehen oder diesen Ton oder diese Bewegung brauchen, um diesen Verhaltenskontext anzuzeigen. Es gibt stattdessen ein inhärentes körperliches Verhältnis zwischen Körperaussehen und dem Verhaltenskontext, den es darstellt. Körperaussehen ist (umfasst Versionen davon), wie der Körper einer Spezies in diesem Verhaltenskontext aussieht, klingt und sich bewegt. Körperaussehen ist somit eine neue Art der Umwelt, die das körperliche »Alles-durch-Alles« darstellt und es voranträgt in die nächste Weise, wie der Körper aussieht und ist. In dieser Sequenz impliziert jedes Körperaussehen das nächste. Genauer gesagt: Jedes Körperaussehen ist das Aussehen eines körperlichen »Alles-durch-Alles«, welches das nächste Körperaussehen impliziert. Es geschieht in dieses Implizieren hinein. Aber dieses Implizieren ist durch die Sequenz impliziert. Zuerst wird die Sequenz vorangetragen durch die Variationen relevantmachender Veränderungen. Ist sie einmal geschehen, findet sich die Sequenz mit diesem neuen Verhältnis vor. Jedes Körperaussehen ist, wie der andere Körper gerade war. Nur die Sequenz verleiht dem körperlichen »Alles-durch-Alles« das Implizieren eines nächsten Körperaussehens. Nun erst ist es möglich, einen unveränderten Verhaltens254 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Repräsentation
kontext zu fühlen, zu haben, zu sequenzieren, ohne vorangetragen zu werden. Zuvor gab es nur die Veränderungen im Verhaltenskontext als Wahrnehmung (offener Zyklus) und als Fühlen (Körper-Veränderungen). Nun gibt es eine neue Weise der Wahrnehmung, nämlich die Sequenz des Körperaussehens (wie der Körper in diesem Verhaltenskontext aussieht) und einen neuen Strang von Körper-Veränderungen (Fühlen). Es gibt eine neue Art von Umwelt und eine neue Art des Manifestierens. Aber auch in gewöhnlichen Verhaltensweisen fühlt der Körper den Verhaltenskontext. Er konnte wahrnehmen, wie er sich bewegt hat. Ist das nicht auch Fühlen, eine Wahrnehmung des Verhaltens? Schon, aber in einem »zu frühen« Sinn dieses »des«. Verhalten ist nur gefühlt, indem es sich verhält. An dieser Stelle können wir zum ersten Mal das Wort »von etwas« (of) oder »über etwas« (about) verwenden. Der Tanz handelt vom Kampf-implizierenden Verhaltenskontext. Der Tanz ist nicht ein Kämpfen, er ist auch kein Kampf-Vorbereiten und auch kein Kampf-Beenden. Er gehört nicht zu den Verhaltenssequenzen, die den Kontext ausmachen, aber er handelt davon. Es entsteht nun eine Zeitspanne durch eine Sequenz, die vom Kampf-Kontext handelt, statt darin zu geschehen. An dieser Stelle entstehen Empathie, Repräsentation, Ähnlichkeit, Universalität, Symbol, Bedeutung, Abbildung und noch viel mehr. Lassen Sie mich all dies Schritt für Schritt zeigen. All diese menschlichen Aspekte entwickeln sich selbstverständlich sehr viel weiter. Die rudimentäre schematische Sequenz hier gibt uns aber den Boden, um spätere Entwicklungen zu konzeptualisieren. Man spricht häufig über Empathie, als ob ich selbstverständlich wüsste, wie mein Körper aussieht, wenn ich mich in einer gewissen Weise fühle. Sehe ich dann jemanden, der so aussieht, nehme ich an, dass er sich auch so fühlt wie ich, wenn ich so aussehe. Wer so denkt, wundert sich merkwürdigerweise nicht darüber, wie ich denn wissen kann, wie mein Körper aussieht, da 255 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
ich meinen Körper selten von außen betrachte. Nach G. H. Mead haben viele diese Reihenfolge umgekehrt. Zuerst reagieren andere auf die Art und Weise, wie ich aussehe, und erst dadurch wird mein körperliches Gefühl ein gewisses Aussehen implizieren. Zuerst kommt Empathie, das heißt: Zuerst gibt es eine körperliche Veränderung, die dadurch entsteht, wie ein anderer Körper aussieht. Dadurch kommt mein Körper dazu, das Aussehen eines anderen zu implizieren, und erst dann impliziert mein Körper sein eigenes Aussehen. (Dieses einzelne Implizieren werden wir weiter unten anzuschauen haben. Bis jetzt ist nur die Sequenz mit einem anderen impliziert). Es ist diese Sequenz, die zunächst die Ähnlichkeit zwischen meinem Körper und dem eines anderen generiert. Unsere Körper sind ähnlich, aber diese Tatsache fällt nur dem entwickelten menschlichen Umwelt-1-Beobachter auf. Dieser Beobachter hätte immer schon sagen können, dass die Mitglieder einer Spezies Körper haben, die ähnlich aussehen. Aber jetzt erstellen wir erstmalig Konzepte, die verständlich machen, wie der menschliche Beobachter Ähnlichkeit (likeness) bemerken, haben, spüren kann. Repräsentation ist entstanden. Wir sind damit allerdings noch nicht sehr weit gekommen. Wir haben lediglich gezeigt, wie statt eines relevant machenden Verhaltens nun Körperaussehen in einer eigenen Sequenz »gehabt« werden kann. Eine Ähnlichkeit, ein Bild, ein Muster, etwas, das hier und da ist – das ist ein Allgemeines (a universal), eine Art (a kind). Aber das müssen wir noch besser verstehen. Aussehen ist jetzt als Aussehen impliziert und trägt voran. Es ist gehabt, sequenziert. Ein Aussehen, könnten wir sagen, ist kein konkretes Ding. Aber was ist es dann? Diese beiden Körper sind von der gleichen Art, sie haben die gleiche Art des Aussehens, sie sehen nämlich so ..... aus, wenn sie in diesem Verhaltenskontext sind.
256 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Verdoppeln
d) Verdoppeln Einerseits manifestiert unsere neue Sequenz den Verhaltenskontext, der dadurch gehabt, gefühlt, sequenziert wird (und weiterhin das nächste Verhalten impliziert, das nicht geschieht). In dieser Hinsicht handelt die neue Sequenz vom Verhaltenskontext. Andererseits ist die neue Sequenz selbst eine spezielle Weise des Verhaltens, eine Art des Bewegens, des Hebens von Armen oder anderer Gliedmaßen und Muskeln. Jedes bisschen ist eine Weise des Verhaltens und repräsentiert auch einen Verhaltenskontext (der nun im Körperaussehen dargestellt ist). Um diese Bewegungen als Verhalten aufzufassen, bedarf die Sequenz des gleichen Feedbacks durch den offenen Zyklus wie jede andere Verhaltenssequenz. Der Tanz würde zum Beispiel an der Kante des Abhangs stoppen oder sich um den Felsbrocken herum bewegen. Jedes bisschen unserer neuen Sequenz ist verdoppelt, es sind zwei Weisen des Vorantragens, der Typ aus dem Kapitel VI und der Typ unseres neuen Körperaussehens. Ich nenne dies Verdoppeln. Vom Verhalten her betrachtet ist unsere neue Sequenz ein Spezialfall. Zunächst wirkt sie sehr einfach – da sind nur gewisse Bewegungen, Gebärden und Laute. Verglichen mit dem komplexen Verhalten (z. B. Nestbauen, Verfolgen etc.) können Sequenzen von Gebärden sehr einfach erscheinen, nur wie eine Drehung des Körpers oder eine Bewegung des Arms oder des Gesichtsmuskels. Aber diese scheinbare Einfachheit muss uns nicht täuschen. Diese Bewegungen sind verdoppelt, in jedem bisschen versionieren sie den Verhaltenskontext (haben ihn und rekonstituieren ihn). Die Sequenz ist zugleich eine einfache Bewegung und eine Reihe von Versionen einer großen körperlichen Veränderung, welche die »Tier-Gebärde« war (indem sie eine gewisse 257 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
Verhaltenssequenz relevant macht). Was hier dargestellt wird, geht im Körper vor und wird verändert, auch wenn wir Beobachter weder den Verhaltenskontext sehen noch die implizierten Verhaltenssequenzen. Wir sehen nur die Bewegungen (die manchmal ganz einfach sind). Verhalten geht im Verhaltenskontext weiter, jenem (wie wir sagten) »gefüllten« Raum, der aus all den implizierten Verhaltenssequenzen besteht. Die einfachen, gestischen Bewegungen gehen jedoch zugleich in einem anderen Raum vor sich, in einem Raum des Körperaussehens oder in einem Raum der Gebärden oder in einem einfachen Bewegungsraum. Aber dieser Raum ist verdoppelt. Er ist der verdoppelte Raum einfacher Bewegungen. Der Verhaltenskontext wird darin nicht so verändert, wie er im Verhalten verändert würde. Stattdessen wird er versioniert, dargestellt, sequenziert, gehabt, gefühlt, während er »der gleiche« bleibt. (Offensichtlich ist dies auch eine große körperliche Veränderungssequenz, aber sie verändert nicht, wie Verhalten den Verhaltenskontext in einen nächsten vorantragen würde.) Wir haben einen symbolischen Raum generiert, das heißt einen verdoppelten Raum, einen Raum von Bewegungen, die symbolisieren. Der Verhaltenskontext wird versioniert. Verhalten geht darin nicht weiter. Die Bewegungen verändern nicht als Bewegungen die implizierten Verhaltensmöglichkeiten, die impliziten Verhaltensweisen und das auf gerichtete Weise implizierte nächste Verhalten. Darum bewegen sich diese Bewegungen in einem leeren Raum. Zum ersten Mal nun existieren reine Bewegungen in unserem Schema, das erste Mal in einem leeren Raum, in einem Raum reiner Bewegungen. Aber wir wollen nicht vergessen, dass der Raum dieser Sequenzen verdoppelt ist, körperlich ist er auch die Sequenz der Versionen eines Verhaltenskontextes, der gefüllte Raum. Obwohl die Bewegung, die durch diese neue Art von Sequenz gemacht wird, nicht Verhalten ist, ist sie dennoch eine körperliche Veränderung (später werden wir uns daran er258 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Verdoppeln
innern, wenn wir verstehen, dass ein Initiationsritual beispielsweise tatsächlich in physischer Weise Menschen auf körperliche Weise in Erwachsene verändert). (Dieser Tanz ist noch kein Ritual.) Ähnlich steht es mit Heilungsritualen. Rituale, die wir noch nicht definiert haben, sind nicht nur Zeichen von etwas. Bislang ist für uns eine Symbol-Sequenz zugleich eine körperliche Veränderung (ein Strang von Versionen erheblicher Veränderungen, die geschehen, wenn eine Verhaltenssequenz auf einmal relevant gemacht wird durch eine »Tier-Gebärde«). Unser Mensch bewegt sich bislang in einem Raum einfacher Bewegungen (drei Dimensionen, nur Raum und Boden und die einfachen Bewegungen der anderen) sowie auch im Verhaltenskontext, in dem eine einzige Drehung eine verhaltensverhindernde Gebärde war. Die Sequenz von Gebärden geschieht sowohl in einem einfachen Bewegungsraum und im komplexen Verhaltenskontext, den sie versioniert. Der einfache dreidimensionale Raum von Bewegungen leitet sich von hier ab. Der Affe wendet sich immer in komplexen Verhaltensräumen ab, nicht im einfachen Bewegungsraum, den Menschen haben können und in dem sie den Affen beobachten. Der einfache Bewegungsraum (und damit die meisten Weisen, in denen Menschen über Verhalten nachgedacht haben) ist ein menschliches Produkt, ein Resultat einer verdoppelten Sequenz. Aber dieser einfache Bewegungsraum ist symbolisch – einfache Bewegungen versionieren den Verhaltenskontext. Die Sequenz ist ein Satz von Körperveränderungen (Fühlen), die wiederum Versionen davon sind, wie der Körper in diesem Verhaltenskontext ist. Dieses Fühlen, Sequenzieren und Versionieren ist eine neue Weise der Veränderung des »gleichen« Verhaltenskontextes in seiner ganzen Komplexität. Eine kleine Regung dieser Art ist ein Strang von Versionen der mächtigen Veränderung, die, wie wir bemerkt haben, eine Tier-Gebärde auslöst. Dieser Raum ist symbolisch: Eine Bewegung des Arms ist
259 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
eine fühlende-versionierende Sequenz eines ganzen Verhaltenskontextes und aller seiner impliziten Sequenzen. Einen Arm mit geballter Faust zu heben, macht Kampfverhalten relevant. Die versionierende Sequenz verändert, wie Kämpfen impliziert ist. Sie verändert den Verhaltenskontext damit in einer Weise, wie es Verhalten nicht ändern könnte. Stellen Sie sich vor, dass Sie in einer Sitzung sind. Es kommt schließlich zur Abstimmung. Durch das einfache Heben Ihres Armes stimmen Sie ab und verändern dadurch vielleicht Ihre ganze Situation. Menschen leben zum großen Teil mittels symbolischer Sequenzen. Indem Sie an einer gewissen Stelle unterschreiben, können Sie Ihre ganze Situation verändern. Diese verfrühten Beispiele zeigen hier nur, dass ein Verhaltenskontext durch einfache Bewegungen, die mit ihm nicht auf physische Weise verbunden sind, geändert werden kann. Unsere Tanz-Sequenz ist eine erste Sequenz dieser Art. Sie stellt noch kaum weitere Kapazitäten zur Verfügung. Sie bildet sich nur in dem Verhaltenskontext, den sie versioniert, und wir wissen noch nicht, wie sie sich irgendwo und irgendwann sonst bilden kann. Sie verändert den Verhaltenskontext in neuer Weise, aber wir wissen noch nicht, welchen Unterschied es macht, wenn der Tanz beispielsweise das Kampf-implizierende Verhalten versionieren würde, wir wissen auch nicht, wie das Kämpfen dann verändert wäre (es wäre immer noch impliziert, der Verhaltenskontext ist »der gleiche«, nachdem der Tanz vorbei ist). Aber wir wissen, dass die neue Sequenz einen doppelten Charakter hat; sie ist eine eigene Art von Verhalten und Bewegen, und jedes bisschen versioniert zugleich einen Verhaltenskontext, der nicht ausagiert wird. Somit handelt diese Sequenz »von etwas«. Wie haben wir das geschafft? Indem wir das ausdrucksstarke körperliche Aussehen, die Geräusche und Bewegungen, die wir an Tieren sehen, als eine neue Art des Manifestierens aufgefasst haben. Wie der Körper aussieht, tönt und sich bewegt, hat unter den Tieren keine Funktion. Das Aussehen des Körpers in einem gegebenen Verhaltenskontext erlaubt Menschen in neuer Wei260 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Ausdruck
se, den Verhaltenskontext, in dem sie sind, zu fühlen und zu haben.
e) Ausdruck In Kapitel VI habe ich »Ausdruck« im Zusammenhang mit »wiedererkennen« zu früh definiert. Korrekterweise ist Ausdruck erst hier in Kapitel VII beheimatet. Körperaussehen, Töne und Bewegungen drücken aus, wie der Körper in einem gegebenen Verhaltenskontext ist. Es gibt eine inhärente Verbindung zwischen Körper-im-Verhaltenskontext und Körperaussehen. Der Körper einer bestimmten Spezies sieht genauso aus, wie er in einem bestimmten Verhaltenskontext aussieht und klingt. Das ist kein System, das von jemandem erdacht worden ist. (Wie sich Symbole jenseits dieses expressiven Verhältnisses entwickeln, werden wir in Kapitel VII-B sehen.) An dieser Stelle ist es, um das Verhältnis zwischen Symbolen und Körper zu verstehen, wichtig zu merken, wie es ein symbolisches Verhältnis in der eigenen Natur des Körpers geben kann. Ausdruck beinhaltet immer, vorangetragen zu werden. Von einem äußeren Standpunkt allein können wir etwas nicht »Ausdruck« nennen. Schöne Muster auf dem Eis sind ausdrucksvoll für uns, da wir von Mustern vorangetragen werden, aber nicht für das Eis. Das Tier drückt recht viel aus, aber außer in speziellen Verhaltensweisen trägt dies nur uns voran. Die Tiere drücken nichts füreinander aus. Was sie voranträgt, ist, wie sie sich miteinander verhalten. Man könnte auch sagen, Verhalten und Ausdrucksweisen sind bei ihnen noch nicht in zwei unterschiedliche Ebenen ausdifferenziert. Wir müssen deshalb genau verstehen, wie ausdrucksvolle Muster des Körperaussehens uns vorantragen. Dann können wir uns auch andere Muster ansehen, und zwar nicht nur die, die sich vom Körperaussehen herleiten. 261 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
f) Die neue Art des Vorantragens Die neue Sequenz kann man nun im eigentlichen Sinn als eine Sequenz von Gebärden bezeichnen (während Tier-»Gebärde« in Anführungszeichen steht, weil sie nicht wirklich eine Gebärde ist). Diese neue Sequenz kann auch Symbolisieren heißen, Versionieren des Verhaltens-Kontextes. Die erste Sequenz, die sich je so entwickelt hat, nannte ich eine Tanz-Sequenz. Sobald so eine Sequenz impliziert ist, impliziert der Körper (»Alles-durch-Alles«) Aussehen, Töne und Bewegungen des anderen, die, wenn sie auf einem anderen Körper geschehen, den eigenen vorantragen. Jedes »Alles-durch-Alles« dieser Sequenz impliziert aber auch noch das nächste Verhalten, das nicht passiert. Der Körper geht durch einen Strang von Versionen »des gleichen« Verhaltenskontextes. Verhalten und Verhaltenskontext haben keinen solchen Strang. Es handelt sich also um eine vorantragende Ausführung des Verhaltenskontextes als eines versionierten – nicht wie er zuvor war. Was kann das heißen? Der Körper hat bereits das Empfinden, das in Kapitel IV expliziert wurde, und ist sich bewusst, wie er sich verhält. Nun aber wird dieser Verhaltenskontext jedes Mal in einer leicht veränderten Version des Körperaussehens wiederholt. Der Verhaltenskontext, der geschieht, ist bereits empfunden und gefühlt, und nun ist diese neue Sequenz ein Strang dieser gefühlten Versionen des Verhaltenskontextes. Diese Versionen bestehen aus Körperaussehen, nicht aus Verhaltenskontext. Der Körper fühlt und nimmt in dieser Sequenz wahr, was er bereits fühlt und wahrnimmt, nämlich in diesem Verhaltenskontext zu sein. Oho! Unsere Schematik hat nun Konzepte gebildet, die uns über Selbst-Bewusstsein (self-consciousness) nachdenken lassen können. Natürlich ist schon im gewöhnlichen Verhalten das Empfindungsvermögen bewusst. Fühlen und Wahrnehmen sind auch bewusst. Im Verhalten ist sich der Körper der Veränderungen 262 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Die neue Art des Vorantragens
in seiner Umwelt und in sich bewusst, die das Verhalten ausmachen. Der Verhaltenskontext ist körperlich impliziert (so, wie der Verhaltensraum gerade ist), und indem er vorangetragen wird, ist er gefühlt. Und nun gibt es eine Sequenz des Gefühlten, einen neuen Strang von körperlichen und umwelthaften Veränderungen (die Umwelt ist nun das Körperaussehen), in dem man sequenziert, hat, fühlt ..... was man fühlt, wenn man in diesem Verhaltenskontext ist. Es wäre jedoch nicht richtig zu behaupten, dass die neue Sequenz einen fühlen lässt, was man schon zuvor gefühlt hat. Der Verhaltenskontext, den man fühlt, ist genau genommen nicht wie zuvor, sondern derjenige, der jetzt versioniert wird. Es ist nicht wie Zurückschauen und dabei wahrnehmen und fühlen, was war – sondern genau genommen ist die neue Sequenz eine verdoppelte. Die neue Sequenz rekonstituiert »den gleichen« Verhaltenskontext nicht als erinnert oder zurückgeschaut, sondern als Resultat des Versionierens. Wir sind uns nicht dessen bewusst, was zuvor war, sondern einer Neuschöpfung der selbst-bewussten Sequenz. Der »gleiche« Verhaltenskontext während der neuen Sequenz ähnelt natürlich der Verhaltenssequenz vor der Versionierung, aber nicht wie bei einem mysteriösen Reflektieren dessen, was schon da war wie bei einem Spiegel. Der gleiche Verhaltenskontext ist ein neues Produkt. Ich wäre unglücklich, wenn bislang nur vermittelt worden wäre, dass es aufgrund des Körperaussehens nun eine Sequenz gibt, die vom Verhaltenskontext handelt. Tatsächlich geht es dabei um etwas recht Neues, und zwar um »den gleichen Verhaltenskontext«, der durch die symbolisierende Sequenz selbst entsteht. Symbolisieren kreiert eine neue Welt, das ist bekannt, aber es wird hier klarer denkbar. Momentan ist es nur ein technischer Unterschied, und wir sehen noch nicht, wie grundlegend anders dieser versionierte »gleiche« Kontext ist. Wenn wir das später verstehen, wird es nötig sein, sich an diesen technischen 263 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
Punkt hier zu erinnern. Was wirklich versioniert wird, ist der versionierte Kontext, er resultiert aus der versionierenden Sequenz. Selbst-Bewusstsein ist nicht ein Bewusstsein dessen, was zuvor da war. Wir können darüber nicht nachdenken, ohne das genauere Verhältnis zu sehen, in dem Versionen des Früheren eine neue Sequenz bilden, aus der sich ein neues »Gleiches« herausstellt. Was stellt sich heraus? Ein Muster des Körperaussehens verdoppelt durch einen (nicht direkt wahrgenommenen) Verhaltenskontext. Was gefühlt wird, ist verdoppelt. Es ist ein Muster des gleichen Verhaltenskontextes. Der Körper hat ein Bewusstsein von Versionen vom Verhaltenskontext. (Es sind zwei »von«-Beziehungen.) Er fühlt (über eine Zeitspanne hinweg) das Gefühl, in diesem Verhaltenskontext zu sein, ohne ihn voranzutragen (wie es Verhalten tun würde). Was in einer Fühl-Sequenz-im-Verhalten nur etwas Kurzes wäre, bleibt nun »gleich« durch einen Strang von Versionen. So kann das Gefühl in diesem Kontext gefühlt werden, was zuvor nicht geschehen konnte. Nur eine Sequenz von Körperveränderungen kann gefühlt werden, die als Verhalten zuvor so nicht gefühlt werden konnte, außer jeweils schon vorangetragen als ein anderes Verhalten. In unserem Schema haben wir bislang drei Arten von »Geschehen ins Implizieren hinein« entwickelt: Körperprozess, Verhalten und jetzt Gebärden. Im Verhalten geschieht der offene Zyklus und trägt voran durch seine Version dessen, wie der Körper gerade als Körperumwelt war, wie er sich gerade bewegt oder verhalten hat. Gebärden sind eine Pause im Verhalten. Das Körperaussehen ist eine neue Art des umwelthaften Manifestierens. Geschieht Körperaussehen in verschiedenen Weisen, trägt es den Körper voran im Fühlen des Verhaltenskontextes, den er fühlt. Durch diese Sequenz und durch sein Körperaussehen fühlt er sich selbst den Verhaltenskontext fühlen. Die ersten Tiere, die sich selbst in einer solchen versionierenden Sequenz auf einmal als Menschen wiederfanden, müssen 264 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Die neue Art des Vorantragens
eine aufregende Zeit damit verbracht haben, sich ihrer selbst bewusst zu sein! Auf einmal nahmen sie durch ein gegenseitiges Bewegen, durch Tanzen wahr, dass sie sich wahrnehmen. Natürlich ist dies nur ein dünnes Schema. Bislang sind wir nur am Anfang von Kapitel VII, und außerdem sind Konzepte im Allgemeinen nur ein Schema. Ich sage nicht, dass das alles ist, was Selbst-Bewusstsein ausmacht. Mein Anliegen ist es, Konzepte zu entwickeln, die einige wesentliche Aspekte davon erfassen können, wie Menschen erfahren und denken. Hier konnten wir nun genauer zeigen, wie Symbole SelbstWahrnehmung (self-awareness) ermöglichen. Als vorantragende Darstellungen sind sie die Mittel, »die Wahrnehmungen« der Sequenz. Andersherum können wir nun auch präziser sagen, dass man ein Symbol nur dann wahrnehmen kann, wenn man sich selber wahrnehmen kann. Muster tragen einen sich selbst-bewussten Prozess voran, Muster können auf uns nicht als Muster einwirken, außer sie handeln von (etwas anderem als dem Muster), und sie können dies nur, indem sie uns in einer verdoppelten Weise vorantragen (sowohl als Muster als auch durch eine Versionierung von etwas). Wir fühlen uns fühlen, worum es geht, und deshalb fühlen wir uns fühlen. Es wird hier klar werden, dass Selbst-Bewusstsein nicht von Anfang an das Bewusstsein eines Selbst ist, als ob es das Selbst wäre, dessen wir uns bewusst sind. Stattdessen sind wir uns bewusst, uns bewusst zu sein, worum es geht. Spätere Entwicklungen werden uns vielleicht erlauben, das Wort »selbst« in einer gewöhnlicheren Weise zu verwenden. Aber es wird sich als äußerst wichtig erweisen zu sehen, dass es ein Selbst-Bewusstsein gibt und eine Art »Selbst-Gespür« (sense of self), ohne dass es eine Entität, einen Inhalt gäbe, den man, getrennt von anderen Inhalten, als »das Selbst« bezeichnen kann. All das ist noch zu früh für unser rudimentäres Schema. Es muss dennoch hier gesagt werden, weil die Konzepte, die kom265 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
plexere Entwicklungen in neuer Weise klären und explizieren werden, genau hier auf diese neue Weise gestaltet werden. Da wir auf Muster reagieren, sehen wir sie natürlich überall, und wir erklären viel damit. Aber wir müssen uns die Frage stellen, warum Muster als Erklärung funktionieren. Warum können wir die Natur mit Hilfe von Mustern vorhersagen? Wir werden diese Fragen in Kapitel VII-B beantworten. Hier entwerfen wir einen Weg, um darüber nachzudenken, wie Muster unsere Körper vorantragen können und auch jeweils Muster »von etwas« sind. Das doppelte Vorantragen, das darin enthalten ist, haben wir bereits betrachtet. Spätere Derivate mögen zwar wie ein abgehobenes Symbol aussehen, das mit irgendeiner Bedeutung da draußen verbunden ist, für die es steht. Aber zuerst haben wir zu erfassen, wie ein Symbol, hier ein Muster, die Macht haben kann, Muster vonetwas zu sein und wie es diese Macht auf unsere Körper ausüben kann. Dazu werden wir im nächsten Abschnitt noch Genaueres zu sagen haben. Bis jetzt sind unsere Menschen nur in einer Interaktion zwischen mindestens zweien menschlich und sich selbst bewusst. Die Fähigkeit, sich das Vorantragen via Körperaussehen selbst zur Verfügung stellen zu können, kommt später.
g) Bilder Die Version des Körperaussehens ist eine Art Bild des Verhaltenskontextes. Lassen Sie mich nun versuchen zu sagen, was ein Bild ist und warum ein Bild erst in Kapitel VII geschehen kann. Tiere reagieren nicht auf Bilder von etwas. Die Katze wird das Bild einer Katze entweder als Stück Karton behandeln, auf dem sie sitzt oder das sie mit ihrer Pfote herumschieben kann, oder sie wird die abgebildete Katze erkennen und darauf reagieren, als sei es eine wirklich anwesende Katze. (Es mag einige Ausnahmen bei Schimpansen geben, aber auch da nur, wenn 266 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Bilder
sie von Menschen trainiert wurden. Ich bestehe nicht auf einer scharfen Grenze zwischen Mensch und Tier; sie mag durchaus graduell sein.) Auf ein Bild als Bild zu reagieren, heißt etwas (er) leben zu können, das »von etwas« handelt (eine »Worüberheit« zu leben). Ein Bild ist ein Bild von etwas, das nicht anwesend sein muss. Auf ein Bild zu reagieren ist anders, als sich gegenüber dem Objekt, das auf dem Bild dargestellt wird, so zu verhalten, als ob es anwesend sei. Wenn Menschen Gebärden machen, tun sie es in einem versionierten Verhaltenskontext. Dieser braucht nicht physisch präsent zu sein (er ist aber, indem er versioniert wird, in dieser neuen VIIer-Weise gegenwärtig). Menschen können einen Verhaltenskontext hervorbringen, indem sie ihn versionieren – er muss nicht wirklich da sein. Indem wir unsere Körper (bei uns) haben, können wir die Töne, die Bewegungen und das Aussehen jederzeit produzieren und uns dadurch in diesen Verhaltenskontext begeben. Es ist das Körperaussehen, welches voranträgt (und nicht der physische Verhaltenskontext, der versioniert wird). Aber gibt es nicht auch Tierverhalten, das sich über Körperaussehen voranträgt? Der Ethologe, der seine Tiere studiert, bemerkt, dass immer dann, wenn ein Vogel seine Flügel ausbreitet und eine gewisse rote Feder zeigt, das andere Tier sich in einen Balztanz begibt. Das kann jederzeit geschehen, wenn der Ethologe den Flügel des Tiers ausbreitet oder auch nur ein Bild eines Flügels mit solch einer roten Feder darauf präsentiert. Das tanzende Tier drückt jedoch nichts über den Geschlechtsverkehr aus, sondern verhält sich darin und macht sich körperlich dafür bereit. Auch wenn der Ethologe nur ein Bild zeigt, reagiert das Tier nicht auf ein Bild als Bild. Es gibt diese Ebene des Reagierens nicht, und deshalb werden die roten Federn normalerweise natürlich nicht gezeigt, außer in einem Verhaltenskontext, der zum Geschlechtsverkehr führt. Darum ist der Sachverhalt, dass der Balztanz jederzeit ausgeführt werden könnte, selbst in der Abwesenheit 267 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
des sexuellen Verhaltenskontextes nur artifiziell (von uns aus in einer Umwelt 1 beobachtet). Traditionelle Philosophie hat menschliche Realität aus einer rationalen Struktur und aus Wahrnehmungsteilchen konstruiert. Da Tiere keine rationale Struktur haben (die als abgehobene, auferlegte Form aufgefasst wurde), schien dies bedeuten zu müssen, dass sie reine Maschinen sind. Es ist schwer vorstellbar, wie Philosophen diese Sichtweise der Realität mit ihrer Erfahrung mit Tieren in Übereinstimmung bringen konnten. Aber heute tut selbst die existentielle und phänomenologische Philosophie etwas Ähnliches. Sie unterteilt in zwei grundsätzliche Arten von Lebewesen: zum einen Menschen mit ihren Möglichkeits-Entwürfen und zum anderen Dinge, die nur Resultate sind. Ich nenne das eine »Stadt-Philosophie«, worin es nichts als Menschen und Steine gibt. Aber weder menschliche Vernunft noch menschlicher Lebensentwurf begegnen dem Sein zum ersten Mal. Menschliches ist jeweils schon eingebettet in Natur (und überhaupt nicht als getrennter, entfremdeter Pol, selbst wenn wir uns auf diese Weise denken können). Vernunft und Sprache sind eingebettet in Verhalten und Körper. In diesem Modell hier wird klar, dass es für Tiere zwei Ebenen gibt, nämlich Körperprozess und Verhaltenssequenzen, aber noch kein »Worüber« (aboutness). Obwohl die Ebene des »Worüber« die Welt radikal umformt, gibt es dennoch eine wichtige Weise, in der höher entwickelte Tiere vieles haben, was wir auch haben, allerdings ohne diese unterscheidende Ebene. Ich habe schon gezeigt, dass die Ebene des »Worüber« nicht nur eine weitere Reflexionsebene hinzu addiert, als ob Tiere fühlen, aber sich ihres Fühlens nicht bewusst wären. Man kann nicht fühlen außer als verdoppeltes Fühlen von-etwas. Tiere haben beispielsweise Empathie, aber nicht auf einer getrennten Ebene, die davon (about) handelt. Das Tier wird unsere Laune spüren und sich darin verhalten, aber sein Verhalten handelt nicht »davon«. Die gleiche Antwort gilt in Bezug auf Einzelnes (particulars) 268 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Bilder
und Allgemeines (universals) bei Tieren. (Wir werden die Bedeutung dieser Begriffe in Kapitel VIII ohnehin drastisch ändern.) Man könnte sagen, dass Tiere alles als Allgemeines behandeln: zum Beispiel den Baum als Baum. Oder man könnte sagen, Tiere reagieren nicht auf Gegenstandsklassen als solche, sondern nur auf dieses und jenes, hier. Diese Unterscheidung existiert noch nicht. Dennoch sind die gefühlten körperlichen Veränderungen eines Muttertiers, wenn es zu seinem Jungen läuft (oder laufen will), gar nicht so anders als unsere. Darum ist es falsch, nur zu sagen, dass die Katze etwas, das nicht da ist, nicht fühlen kann. Es stimmt, dass ein Kater sofort aggressiv wird (sich zum Kampf bereit macht), wenn ein anderer Kater da ist, und sobald er nicht mehr da ist, wird auch seine Kampfbereitschaft abklingen. Der Kater kann nicht zu Hause sitzen und sich um seinen Ärger kümmern, so wie wir das können, indem wir eine Situation symbolisch rekonstituieren und in ihr fühlen können. Einen Tag später jedoch, wenn unser Kater an die gleiche Stelle kommt, an der zuvor der andere war, wird er schnüffeln und suchen. Er verhält sich zu diesem Kater suchend, aber unabhängig davon redet er nicht über ihn. Und weder wir noch andere Katzen können uns mit unserer Katze über diese andere Katze mit Gebärden verständigen. Sollen wir deshalb sagen, die Katze kann sich nur auf eine anwesende Katze beziehen, nach der sie sucht, oder dass sie sich auf die Katze von gestern bezieht, die nicht hier ist? Das ist eine nicht anwendbare Unterscheidung, es gibt keine unterschiedlichen Ebenen. In ähnlicher Weise bezieht sich die einen Kampf einleitende »Tier-Gebärde« nicht »auf den« Kampf (sie handelt nicht »vom« Kampf). Sie ist Verhalten.
269 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
h) Gesehenes und Gehörtes Der Verhaltensraum enthält nun einige Sequenzen mit Pausen darin (Tanz, Gebärden). Wenn ein Objekt eine solche Sequenz relevant macht und andere Menschen nicht mit dabei sind, um diese Sequenz zu bilden, dann ist die Pause in den Gebärden zwar in gerichteter Weise impliziert, kann jedoch nicht geschehen. Die implizierte Pause würde dann impliziterweise – in dem, was auch immer geschieht – geschehen. Sagen wir nun, das erste bisschen geschieht, wobei die Sequenz immer noch zum Großteil impliziert ist und sich nicht bilden kann, so dass dann das erste bisschen nochmals geschehen würde, aber etwas anders. So bildet sich eine neue Gebärden-Sequenz mit dem Objekt, und das Verhalten wird damit angehalten. Diese neue Sequenz kann kurz oder lang sein, sie kann eröffnende Teile oder mehr enthalten. Kapitel VII-B wird genauer in Bezug auf diese Entwicklung sein. Dafür muss ich diese Entwicklungen sich zuerst entwickeln lassen, damit sie eine Gruppe von Konzepten bilden. Wenn wir diese dann präzisieren, werden sie uns in Kapitel VII-B erlauben, in Bezug auf diese Entwicklung genauer zu werden. Diese Gebärden können vielleicht ein paar Grunzer sein oder Armbewegungen oder beides, sie können auch etwas von einem Tanz an sich haben. Das Objekt ist in dieses Implizieren hinein geschehen und wird in der Sequenz, die sich bildet, auch anders wahrgenommen. Nun stellt es sich nicht nur im Verhalten ein, sondern auch in den Gebärden (dem Vorantragen durch die Sequenz des Körper-Aussehens). Was für eine Art von Objekt stellt sich aus einer verdoppelten Sequenz heraus? Was für ein Objekt trägt eine Sequenz von Körperaussehen voran? Dieses Objekt trägt durch sein Aussehen, seinen Ton und eventuell auch durch seine einfachen Bewegungen voran. Zum ersten Mal hat ein Objekt nun ein Aussehen, einen Ton 270 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Gesehenes und Gehörtes
oder einfach eine Bewegung, das heißt, dass Menschen das Aussehen eines Objektes, seinen Ton oder seine Bewegung als Sequenz haben. Die Sequenz der Gebärden ist verdoppelt, darum ist das Objekt zwar noch das Verhaltensobjekt, aber in dieser Sequenz trägt es durch sein Aussehen voran. Ich nenne so ein verdoppeltes Objekt zusammenfassend ein Gesehenes (darin enthalten ist auch, dass es gehört werden und Bewegungen haben kann). Die Wahrnehmungsseite der Sequenz hat nun sowohl menschliches Aussehen, menschliche Töne und Bewegungen als auch das Aussehen, die Töne und Bewegungen von Objekten. Gebärden sind Muster. Aussehen und Töne sind auch Muster. Wir werden bald viel mehr über Muster sagen. Ich weiß nicht, ob sich solche Sequenzen des Gesehenen rasch mit allen Objekten bilden oder nur mit einem besonderen Objekt. Wenn letzteres der Fall ist, so würde unser Affe, der nur während des Tanzes menschlich ist, dieses Objekt sehr geschätzt haben. Das Objekt hätte die Macht, unseren Affen zwischendurch wieder zum Menschen werden zu lassen. Es wäre ein sehr wertvolles Objekt. Selbst wenn man allein ist, ist man sich nun des Objektes bewusst. Das Aussehen des Objektes ist symbolisch. Es trägt, wie der Tanz, im symbolischen Raum voran. Das Aussehen ist ein Muster im leeren Raum. Man kann ein Objekt jetzt, ohne sich dazu verhalten zu müssen, sehen als eine solche Art von Objekt (zu diesem Verhaltenskontext gehörend). Das Objekt kann als dasjenige gesehen, sequenziert, gefühlt werden, was es im Verhalten ist, ganz ohne Verhalten (auch ohne Vorbereitung auf ein gewisses Verhalten, was für uns auch Verhalten ist). Das Objekt wird als diese Art gesehen (mehr zu Arten in Kürze).
271 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
i) Handlung Wenn sich die Sequenzen des »Gesehenen« vervielfachen (die immer zugleich auch Gebärden-Sequenzen sind), hat der Verhaltensraum bald viele Sequenzen, die auch solche Pausen beinhalten. Sie sind, ob sie tatsächlich ablaufen oder nicht, implizit und werden indirekterweise im Verhalten vorangetragen. Damit sind nun Selbst-Bewusstseins-Pausen den Sequenzen implizit, in denen sie sind. Trägt Verhalten voran, so trägt es nun auch diese Sequenzen impliziterweise voran (es trägt das »Allesdurch-Alles« voran, das diese enthält). Dieses Verhalten ist impliziterweise selbst-bewusst. Ich nenne es Handlung. Verhaltenskontexte mit solchen Pausen sind Situationen. Meistens schließt Handlung versionierende Sequenzen ein, die geschehen. Handlung wird dadurch manchmal angehalten, und zu diesen Zeiten ist sie expliziterweise selbst-bewusst; zu anderen Zeiten ist sie es impliziterweise.
j) Allgemeines (Arten) j-1) Getrennte Sinne Etwas Gesehenes ist ein Muster. Es ist nicht Nahrung (falls das Objekt Nahrung ist), sondern deren Aussehen und deren Ton. Man kann sich nicht von einem Aussehen und einem Ton ernähren. Das Verhalten wird durch Gesehenes nicht wieder aufgenommen und Gesehenes wird nicht als Verhalten sequenziert, sondern als Gebärde. Das Gesehene ist (beispielsweise) die Zusammensetzung von Nahrung. Es ist ein Muster von etwas. Es handelt davon. Es ist ein Versionieren. Das Gesehene ist eine neue Art von Objekt, es ist eine Art (a kind). Die Trennung der verschiedenen Sinne (sehen, hören, riechen) entsteht hier. Diese Trennung ist ein symbolisches Produkt. Im Verhalten existiert eine solche Trennung nicht. Kein 272 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Allgemeines (Arten)
Tier verhält sich nur zu etwas Visuellem und Auditivem. Es verhält sich immer zum Vogel oder zur Katze. Nur der menschliche Beobachter, der Gesehenes und Gehörtes trennen und darauf als solches reagieren kann, bemerkt, dass der Vogel auf die Umrisse des Katzenkopfes reagiert oder die Katze auf den Ton des Vogels. Aber der Vogel reagiert auf eine Katze und die Katze auf einen Vogel. So entdeckt der Ethologe beispielsweise, dass ein Männchen einer gewissen Sorte kleiner Fische zu kämpfen beginnt, wenn es den roten Punkt auf der Seite eines anderen Männchens sieht. Der Ethologe befestigt also ein kleines Kartonstück mit einem roten Punkt an einem Zahnstocher, und wenn der Fisch diesen sieht, fängt sofort sein Kampfverhalten an. Zeigt das nicht, dass Fische doch lediglich auf eine Konfiguration von Farbe reagieren? Aber es ist der Ethologe, der eine reine Konfiguration aus Farbe entdeckt hat. Für den Fisch ist es ein anderer Fisch, kein roter Kreis. (Später sehen wir, wie wissenschaftliche Muster in der Natur gültig sind.) Nur Menschen können »einen Ton« hören oder etwas sehen, das nur visuell ist. Etwas nur Visuelles muss ein Bild sein; selbst als Aussehen oder Ton eines vorhandenen Objektes geht es dann nur um das Aussehen oder diesen Ton. Natürlich existiert etwas rein Visuelles oder Auditives nicht! Eine Trennung wird gemacht, beispielsweise zwischen dem Stück Karton, der tatsächlich existiert, und dem Aussehen der Person oder des Baumes, die darauf dargestellt sind. Das rein Visuelle oder der Ton, der Geruch – das sind symbolische Produkte, d. h., sie sind nur möglich nach und aufgrund eines Habens, eines Sequenzierens in einer Weise, die nicht Verhalten ist – so wie wir uns nicht zum reinen Aussehen eines Baumes verhalten. Wir klettern nicht auf das Aussehen eines Baumes. Aber sobald man etwas auch auf rein visuelle Weise »haben« kann, dann hat der Baum, auf den wir klettern, das Aussehen eines Baumes. Wir haben Konzepte entwickelt für die Art von Sequenz, mit der Aussehen, etwas rein Visuelles, 273 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
»gehabt« werden kann. Nur dadurch wird es möglich, Sinne aufzuteilen und Töne als etwas anderes als Gesehenes und Gerüche aufzufassen, weil es nur dadurch Töne, Gesehenes und Gerüche gibt. 28
j-2)Arten Etwas Sichtbares oder Hörbares (ein Gesehenes) – sind Formen des Allgemeinen. Es sind die Töne von ..... oder das Aussehen von ..... Wir sagen auch: das Objekt sieht so aus wie oder es klingt wie. Oder wir sagen, es hat das Aussehen eines Baum oder den Ton eines Vogel oder eines Gewehr. Körperaussehen und gesehene Objekte sind Symbole von Verhaltenskontexten (und Kontexte sind ein Gewebe sich ge-
Seit kurzem hat die Philosophie ihre langdauernde Begeisterung für »Sinnesdaten« überwunden – und damit auch den Irrtum, mit ihnen zu beginnen. Aber es hat immer noch keine Herleitung dieser Sinnesdaten gegeben. Husserl sagt, dass wir nicht Töne hören, sondern Vögel und Stimmen und zuknallende Türen. Töne als reine »Sinne« seien, so dachte er, Produkte einer Theorie. Aber das stimmt so nicht ganz. Menschen können Töne hören und tun es auch. Wir können einen Ton hören. Wir können ein Stöhnen hören und doch wissen, dass es der Wind ist oder dass jemand Stöhnen nachahmt. Wir können einen Schuss hören und uns fragen, ob es wohl etwas anderes war, das einen solchen Ton erzeugt hat. Reine Sinnesdaten sind nicht Ableitungen einer Theorie, sondern entstehen aus dem Ausdruck, aus symbolischen Sequenzen des Aussehens, der Töne von ..... Nur dadurch sind getrennte Sinne da. Dann kann da nur ein Ton sein. Nur dadurch können wir theoretisch über uns als Wesen nachdenken, die Töne hören, visuelle Stimuli sehen, ohne zu wissen, was sie sind. Das Tier hört etwas und weiß vielleicht nicht, was es ist. Wir können einen Ton hören, und wir wissen vielleicht nicht, wozu dieser Ton gehört, aber wir können immer hören, wie dieser Ton klingt (auch wenn er ganz fremd ist und »so klingt wie nichts, das wir kennen«). Wir können den Ton als Ton haben, fühlen, auf ihn achten. (Erst da kann die Theorie, die Husserl mit Recht kritisiert, ansetzen.)
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Allgemeines (Arten)
genseitig implizierender Sequenzen, von denen eine ausgerichtet ist). Körperaussehen ist, wie der Körper in dieser Art von Verhaltenskontext aussieht. Aber wir haben noch nicht gezeigt, wie eine Art oder eine Ähnlichkeit sequenziert und als solche gehabt werden kann. Wir können dies bis Kapitel VII-B noch nicht zeigen. Das Gesehene sieht aus wie ....., aber es ermöglicht Menschen noch nicht, die Klasse von Objekten zu denken (zu haben, zu fühlen, zu sequenzieren), die so aussehen. Das Gesehene, das Muster, ist eine Art Allgemeines, aber bis jetzt haben wir nur gesehen, dass ein Muster vorantragen kann, dass Menschen Muster sehen und hören können. Ich werde diesen Unterschied nun genau erklären.
j-3) Drei Formen des Allgemeinen Ein Allgemeines (a universal) ist etwas, das auf viele »Einzelfälle« (instances) »anzuwenden« ist. Um zu verstehen, was ein Allgemeines ist, müssen wir uns auch fragen, was ein Einzelfall ist. Wir haben uns darauf geeinigt, nicht von einer Realität auszugehen, die bereits sauber in Klassifikationen geschnitten ist, so dass »Einzelnes« (particulars) bereits unter Klassendefinitionen aufgeteilt ist, die man »Allgemeines« nennt. Wenn wir verstehen, wie all dies herzuleiten ist, dann werden wir darüber auch anders nachdenken können. Wir schneiden hier tiefer in die Grundlagen des Denkens hinein. Wie sind Ereignisse oder Dinge beschaffen, die als »Allgemeines« aufzufassen sind? Was macht etwas zu einem »Einzelfall« von etwas? In der Philosophie wird diese Frage seit Platon diskutiert. 275 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
Einzelnes »nimmt« am Allgemeinen »teil«, sagte Platon und diskutierte dieses Verhältnis ausführlich. Er sagte auch, dass das Einzelne das Allgemeine »nachahme«. Aristoteles, der dieses Schema dann einführte, sah die höchste Ursache ebenfalls als eine, die »nachgeahmt« wird. Kant betrachtete das Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem als eine Sache der Klassifizierung oder der Vereinheitlichung. Er gab lediglich eine formale Erklärung dafür ab, wie Objekte durch die vereinende Vernunft konstituiert werden, wodurch sie dann auch klassifizierbar werden. Wir wollen jedoch verstehen, was Arten (kinds) sind, und wir wollen verstehen, was Einzelfälle einer Art sind. Ich nenne das übliche Allgemeine »drittes Allgemeines« oder einfach »Drittes«. Zwei weitere grundlegende Arten müssen verstanden werden, sonst können wir nicht erfassen, was im üblichen Allgemeinen enthalten ist. Das gewöhnliche Allgemeine, z. B. ein Wort (auch ein Konzept, das technischer strukturiert ist), wird als solches gebraucht, und durch diesen Gebrauch werden einzelne Situationen verändert oder ein einzelnes Objekt erreicht. Es sieht so aus, als ob das Allgemeine allein geschehen könnte, ohne auf ein Einzelnes angewendet zu werden. (Aber das wäre sehr merkwürdig, warum sollte man beispielsweise ein Wort ganz allein sagen? Um ein philosophisches Argument zu illustrieren? Um das Wort zu definieren? Es gibt immer sowohl einen besonderen Kontext als auch das Allgemeine.) Jedenfalls kann das übliche Allgemeine tatsächlich vorkommen, es kann als solches gehabt und sequenziert werden (zusammen mit dem Einzelnen). So ein Allgemeines kann auch implizit funktionieren, beispielsweise, wenn wir mit einem Objekt umgehen und wissen, was für eine Art von Ding es ist, ohne das als solches zu sagen oder zu denken. Die beiden primitiveren Formen des Allgemeinen, die ich diskutieren möchte, kommen nicht als solche vor. Wenn sie tat-
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Allgemeines (Arten)
sächlich vorkommen, funktionieren sie als Allgemeines nur impliziterweise. Eine neue Version des Körperaussehens, ein »neuer Ausdruck« (die Tanz-Sequenz) ist ein »erstes Allgemeines«. Es bildet sich in einem Verhaltenskontext. Dann aber funktioniert es impliziterweise im Bilden von vielen anderen Sequenzen von Gesehenem (in Gebärden während Handlungen und in Mustern von Objekten, die vorantragen). Eine ganze Gruppe solcher »zweiter Sequenzen« bildet sich, in denen die »erste Sequenz« Anwendung findet. Natürlich ist dies ein merkwürdiger (ein zu früher) Gebrauch des Wortes »anwenden«. Ich nenne es »ursprüngliches Anwenden.« Aber warum sollte man den neuen Ausdruck der Tanz-Sequenz überhaupt ein Allgemeines nennen? Ich nenne ihn so, weil er ein erster Schritt auf dem Weg zum gewohnten Allgemeinen ist. Ausdruck ist eine Muster-Sequenz, eine gleiche Sequenz, die in vielen verschiedenen Fällen funktioniert. Wir können somit genau über folgende Aspekte des Allgemeinen und des Einzelnen nachdenken: Wie es nämlich eine interne Beziehung zwischen vielen Einzelfällen geben kann und auch zwischen jedem von ihnen und einer gleichen einzelnen Sequenz. Es kann diese interne Beziehung aber nur geben, weil die einzelne Sequenz im Herausbilden dieser vielen Einzelfälle funktioniert hat. Natürlich kann die Sequenz auch allein geschehen und geschieht auch so. Aber wenn sie geschieht, funktioniert sie noch nicht als diejenige, die in diesen unterschiedlichen Einzelfällen ähnlich ist. Die vielen Fälle sind voneinander unterschieden. Jedes Objekt hat seine eigenen unterschiedlichen Muster und Gebärden, die sich mit diesem Objekt in der Sequenz gebildet haben. Wir könnten Objekte, die auf gleiche Weise wieder geschehen, aussortieren und sie von anderen trennen. Um dies zu können,
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VII-A · Ein symbolischer Prozess
müssten wir unsere Fähigkeit anwenden, Ähnlichkeiten als solche zu sequenzieren, nämlich als »dritte Allgemeine«. Der Tanz funktioniert implizit in der Herausbildung vieler verschiedener Muster von Objekten. Die Ähnlichkeit einer gegebenen Gruppe (von Begebenheiten, die wir die »gleichen« nennen würden) ist nicht der Tanz. Es ist eine Sequenz, die wir haben können. Wir verstehen noch nicht, wie wir als Beobachter Ähnlichkeit feststellen können, aber jetzt nähern wir uns dem Punkt an, von dem aus wir das verstehen können. Wir müssen nun nicht mehr blindlings annehmen, dass Formen des Allgemeinen die durch einen Beobachter von außen auferlegten Gemeinsamkeiten des Einzelnen sind. Stattdessen wollen wir das interne Verhältnis von verschiedenen Einzeldingen erfassen, welches diese zu Einzelfällen macht, und auch ihr internes Verhältnis zu einem Allgemeinen verstehen, dessen Einzelfälle sie sind. Darum müssen wir verstehen, wie Einzelfälle durch und mit dem Allgemeinen gebildet werden. Das haben wir nun gezeigt. Wir haben gesehen, wie eine neue Herausbildung das Implizieren einer Ausdruckssequenz, die momentan nicht geschehen kann, auf neue Weise vorantragen kann. Dann funktioniert die Ausdruckssequenz impliziterweise im Herausbilden dieses Falles. Somit haben wir eine »erste« Form des Allgemeinen, die »angewendet« wird, indem sie impliziterweise in der Herausbildung dessen funktioniert, was jetzt geschieht. Dass nicht die schon fertig-geschnittenen, geformten Ähnlichkeiten bestimmen, wie die Vergangenheit in der Gegenwart funktioniert, sahen wir bereits. Sonst wäre die Gegenwart lediglich eine umgeordnete Vergangenheit, und die Vergangenheit hätte ihrerseits auch nicht geschehen können (außer als umgeordnete Vergangenheit, und immer so weiter). Wir sahen, dass die Vergangenheit etwas ist, das auf eine neue Weise im Geschehen der Gegenwart implizit funktioniert. Indem vergangene Erfahrung so funktioniert, kommt sie zur »Anwendung«. Diese Anwendung wird neu gebildet. 278 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Allgemeines (Arten)
Einzelfälle (instances) entstehen in dieser Art von Anwendung. Die Tanz-Sequenz funktioniert impliziterweise und lässt, indem sie zur Anwendung kommt, eine Art Einzelfall oder »Beispiel ihrer selbst« entstehen. Vergangene Erfahrungen verhalten sich alle so, aber die Tanz-Sequenz ist eine Mustersequenz. Deshalb gelangt eine Mustersequenz auf neue Weise zur Anwendung, damit Muster von Objekten und weitere Gebärden gebildet werden können. In ihnen funktioniert impliziterweise die Tanz-Sequenz. Gesehenes nenne ich »zweites Allgemeines«. Es ist immer noch nicht das übliche Allgemeine, das wir ein »Drittes« nennen. Einzelfälle und ihr Allgemeines müssen zusammen gebildet oder zumindest gemeinsam erfasst werden. Ähnlichkeiten entwickeln sich hier in einer merkwürdigen Ordnung – wir haben (um es in der alten Weise zu denken) Einzelfälle einer Gemeinsamkeit, die sich als solche noch gar nicht entwickelt hat. Gewohnterweise wird das Allgemeine ja als Gemeinsames gedacht. Im Zuge unserer Entwicklung werden wir sehen, dass Gemeinsames jedoch eine zu dürftige Weise ist, um darüber nachzudenken. Bislang ähnelt Gesehenes den Tanz-Sequenzen, aber bis jetzt gibt es noch keine Möglichkeit, ihre Ähnlichkeit als solche zu sequenzieren. Die Sequenzen sind nicht buchstäblich gleich, sie sind unterschiedliche Formationen einer implizierten Körperaussehens-Sequenz. Ihre Gemeinsamkeit hat sich noch nicht als solche gebildet, und sie wäre auch nicht genau die Tanz-Sequenz, auch wenn wir wüssten, wie Ähnlichkeit als solche sequenziert und gehabt werden könnte. Die Muster von Objekten und Gebärden sind Einzelfälle eines ursprünglich angewendeten »ersten Allgemeinen«. Sie bilden sich noch nicht in ihrer Ähnlichkeit als solche. Damit haben wir noch ein weiteres Beispiel für die »Umkehr der gewohnten Ordnung«, wie ich es in »Experiencing and the Creation of Meaning« genannt habe. Darin habe ich gezeigt, dass Metaphern nicht von einer zuvor existierenden Ähnlichkeit 279 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
abhängen, viel mehr kreiert eine Metapher eine neue Ähnlichkeit. In Metaphern ist diese Ähnlichkeit ein neues »Drittes«. An dieser Stelle können wir jetzt genauer über diese Herausbildung sprechen. Die Metapher kreiert die Ähnlichkeit mit etwas anderem (mit der alten buchstäblichen Bedeutung der Worte), das in der neuen Herausbildung in diesem neuen und anderen Kontext funktioniert. Menschen wollen denken, dass eine Ähnlichkeit, ein Drittes, schon existiert, so dass man nur äußerlich vergleicht und die Ähnlichkeit bemerkt, ohne irgendetwas zu ändern. Stattdessen sehen wir, wie etwas in der Bildung von etwas anderem funktionieren und wie auf diese Weise ein internes Verhältnis zwischen der neuen Herausbildung und dem, was in ihr funktioniert, entstehen kann. Dadurch bemerken wir nun auch, dass eine Ähnlichkeit nicht zuerst an vielen Orten vorkommen muss, damit sie von außen bemerkt werden kann und auf diese Weise zu Ähnlichkeit wird. Jedes Muster ist immer schon ein »Aussehen-wie«, ein »Geräusch-wie«, eine Konfiguration, ein Muster – etwas, das sich von einem einzelnen Verhaltensobjekt abgelöst hat. Ein Muster ist schon ein Bild, ohne dass irgendjemand von außen vergleicht. Es genügt, dass dieses Muster einmal geschieht, es braucht noch keine Gemeinsamkeit zu sein. Ein Muster ist immer ein Muster von ..... Bis jetzt ging es darum, dieses »worüber« zu verstehen (nämlich Versionen eines Verhaltenskontextes haben zu können aufgrund einer Körperaussehens-Sequenz, in welcher der Körper so aussieht wie in diesem Kontext). Wir haben auch gesehen, wie diese Muster implizit in der Herausbildung der Muster von Objekten und Gebärden funktionieren. In der Herausbildung von Gesehenem funktionieren die gleichen Muster des Körperaussehens, die einem Kontext zugehören, implizit in vielen anderen. Alle Muster sind Variationen davon, wie der Körper in dem einen Kontext aussieht, so 280 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Allgemeines (Arten)
dass sie in diesen anderen Kontexten nicht länger direkt ausdrucksvoll sind. Alle Muster sind Ähnlichkeiten. Und doch hat sich die Art von Ähnlichkeit, über die wir nachdenken, die Gemeinsamkeit als solche, noch nicht herausgebildet. Selbst ohne Gemeinsamkeit als solche sind die vielen Kontexte und ihre Muster intern miteinander und auch mit der »ersten« Ausdruckssequenz verbunden. Somit ist jetzt die Grundlage gelegt für die Art von Sequenz, die eine ganze Art, eine ganze Klasse vorantragen würde, und sie wäre ein »Haben« der Ähnlichkeit als solcher, aber wir wissen noch nicht, wie sich eine solche Sequenz tatsächlich bildet. Unser Schema lässt uns das erste Mal klar über diese wichtige Frage nachdenken. Damit einzelne Objekte und Situationen »unter« einer Rubrik des Vergleichs oder der Ähnlichkeit zusammenfassbar sind, müssen die Objekte entsprechend re-kreiert und musterhaft werden. Es kann nicht sein, dass es lauter unterschiedliche Objekte mit Merkmalen gibt, die von jemand Außenstehendem gruppiert werden, der sie dann mit ihren gemeinsamen Formen ausstattet. Diese mysteriöse Person und diese Anwendung müssen verstanden werden. Objekte bleiben nicht die gleichen. Sie können nicht nur verglichen und klassifiziert werden ganz unabhängig davon, wie sie in sich selbst sind, als ob sie nur formell umfasst oder in einen Index schwebender geistiger Abstraktionen aufgenommen werden könnten. Dies schien bloß so, weil man ein Allgemeines an die erste Stelle gesetzt hat, das eigentlich erst an dritter kommt. Bevor es sich entwickelt, muss eine Form des Allgemeinen kreiert werden, mit der die musterhaften Dinge re-kreiert werden. Kant sah, dass es einen inhärenten Grund geben muss, warum unsere Formen notwendigerweise auf Objekte anzuwenden sind. Er sah, dass diese allgemeinen Formen die Objekte mithergestellt haben müssen, und darin muss man ihm recht geben. Aber er hat diese Gemeinsamkeiten, die Formen (die Dritten) 281 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
einfach in die Objekte hinein behauptet. Da er wusste, was er tat, realisierte er, was dies zur Folge hat, nämlich dass es Objekte nur für einen Vergleichenden und Klassifizierenden gibt, der die Formen von außen aufoktroyiert, einen Beobachter. Er schrieb die Formen dem menschlichen Geist zu und beließ es dabei (als »geheimnisvolle Tiefe menschlicher Einbildungskraft«). Wir wollen dies tiefer erfassen. Die Allgemeinheit von Urteilen (alle Sterblichen, alle Katzen, etc.) sind von der »ersten« und »zweiten« Form des Allgemeinen zu unterscheiden. Bevor Ähnlichkeit als solche zu haben ist, gibt es Muster und Ähnlichkeit auf zwei grundlegendere Weisen als Körper-Ausdruck und durch die Art, wie Objekte aussehen, sobald Menschen von dem Ausdruck des Körperaussehens vorangetragen werden. Kant hat die Welt neu erschaffen durch das Zusammentreffen von Vernunft-Formen und von Stückchen sinnlicher Wahrnehmung. Dies ist eine Art Kreationsmythos, in dem der ausgereifte Geist des Philosophen auf sinnliche Eindrücke trifft, und gemeinsam kreieren sie eine Welt. Obwohl wir bereits zusammenfassende Formen haben, wenn wir zu philosophieren beginnen, müssen wir nicht behaupten, dass der Baum aus Formen entstanden ist. Dagegen sehen wir hier, dass Muster eine elaborierte Entwicklung sind und nicht nur etwas, von dem wir annehmen, dass es wie z. B. Büroklammern oder Einzäunungen etwas vereinigt. Ein Muster ist symbolisch, es ist eine Weise, eine komplexe Situation (einen Verhaltenskontext) durch eine einfache Bewegung zu versionieren und zu haben (zu fühlen und sequenzieren). Verhaltensobjekte tragen jetzt die einfachen Bewegungssequenzen des Menschen im leeren Raum voran. Diese Objekte sind neu gemacht, so dass sie ihre eigenen verdoppelten Muster haben. Das Objekt kommt in den menschlichen Musterraum. Genauer: Dieses Objekt ist etwas, das sich aus vielen Sequenzen herausgestellt hat, welche nun Mustersequenzen als Pausen erhalten haben. Das Objekt trägt diese so voran, wie es kann, wodurch es zu seinem Muster oder zu seiner Ähnlichkeit kommt. 282 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Allgemeines (Arten)
Wenn menschliches Körperaussehen als Mustersequenz voranträgt, dann gewinnt das Objekt sein eigenes Muster (das daher alles andere als willkürlich ist). Es ist das Aussehen dieses Objektes, sobald Muster vorantragen können.
j-4) Das vorgeformte Implizite (Typ-a) Ähnlichkeit »als solche« kann bis jetzt nicht sequenziert werden. Ähnlichkeiten sind zwar schon geformt, aber noch nicht als solche. (Natürlich werden sich noch viel mehr herausbilden.) Sie sind implizit. Etwas kann auf zwei Weisen implizit sein: implizit vom Typ-a ist bereits geformt, aber noch nie sequenziert worden. Ich nenne es vorgeformt oder »Typ-a«. Implizit vom Typ-b bedeutet bereits sequenziert. Eine implizite Sequenz des Typs-a funktioniert implizit auf gewisse Weisen, auch wenn sie sich bis jetzt noch nicht geformt hat. Lassen Sie uns ein konkretes Beispiel anschauen. Wenn ein Vogel im Wind fliegt, nimmt er den Wind wahr, aber nicht das »Geräusch des« Windes. Geräusche, Gesehenes, Temperatur sind noch nicht getrennt. Der Wind ist das, was sich in jeder dieser gegenseitig impliziten Verhaltenssequenzen einstellt. Sobald sich Gesehenes entwickelt, kann der Mensch das Geräusch des Windes separat hören, als Geräusch-Muster. Sitzt man geschützt, kann das reine Geräusch des Windes gehört werden. Der Mensch kann auch aufschauen und das reine Muster der Wolken sehen. Der Baum hat jetzt ein Aussehen – ganz unabhängig davon, ob er gerade in einem Verhalten vorkommt. In dieser Herausbildung des Windgeräuschs, des Wolkenmusters, des Baum-Aussehens funktionierte das menschliche Körperaussehen implizit. In das implizite Funktionieren des menschlichen Stöhnens und Singens hinein geschieht der Wind, und so trägt dieser jetzt mit seinem Geräusch voran. Im einfachen Bewegungsraum des Ausdrucks menschlichen 283 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
Körperaussehens bekommt der Baum sein ausgreifendes und ausgestrecktes Aussehen. Wolken haben nun Muster. Aber an diesem Punkt ist die Ähnlichkeit zwischen dem menschlichem Stöhnen und dem Wind oder dem menschlichem Ausgreifen und dem Baum noch nicht als solche zu sequenzieren (und zu haben und zu fühlen). Aber die Muster des Windes und des Baumes sind durch das implizite Funktionieren menschlicher Muster entstanden. Später wird es eine Sequenz dafür geben, Ähnlichkeit als solche zu haben. Dann kann der Wind wie jemand klingen, der stöhnt, und die Wolken können wie Leute aussehen. Bis jetzt klingt der Wind wie der Wind, und die Wolken haben WolkenMuster. In anderen Worten: das menschliche Stöhnen geschieht in dem einen Handlungs-Kontext (einer Situation), und das Wind-Geräusch geschieht in einem anderen Handlungskontext. Bis jetzt gibt es noch keinen Kontext, um »menschliches Stöhnen im Wind-Kontext zu sequenzieren« oder »menschliche Figuren in der Wolke zu sehen«. Dafür muss man in einem Kontext sein können, während man tatsächlich in einem anderen ist. Wir müssen diese menschliche Befähigung genau betrachten und haben dies noch nicht getan. Wir können sagen, das implizite Funktionieren des Tanzes im Generieren des Gesehenen habe Ähnlichkeit geschaffen. Aber ist die Ähnlichkeit bereits da? Nein, sie ist noch nicht da, sie ist Typ-a implizit.
k) Handlung und Gebärde Bis jetzt sind Handlung und Gebärde verschiedenartig. Eine geht vor sich, während die Sequenzen der jeweils anderen impliziterweise funktionieren. Das bedeutet, dass jede Weiterentwicklung der einen Sequenz die andere affiziert. Sobald ein neuer Tanz (ein »erstes Allgemeines« oder eine 284 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Handlung und Gebärde
»erste Sequenz«) in impliziter Weise funktioniert, löst er ein ganzes Spektrum neuer oder veränderter Pausen von Gebärden und Gesehenem in der Handlung aus. Wenn ein neuer Tanz einen ganzen Verhaltens-Kontext neu versioniert, sind die Entwicklungen, von denen zuvor die Rede war, ein Teil des Verhaltenskontextes (Handlungskontextes). Der neue Tanz versioniert das alles und ist deshalb von den Entwicklungen des Handlungskontextes beeinflusst. Im nächsten Abschnitt sehen wir, dass Handlung nicht nur durch Pausen in den Gebärden beeinflusst wird, und auch in Kapitel VII-B wird sich diese Unterscheidung von Handlung und Pause weiter verändern. Aber selbst hier sehen wir einen gegenseitigen Einfluss. Ein neuer Tanz ist ein neues erstes Allgemeines. Daraus entwickelt sich ein Cluster »zweiter Sequenzen« (oder Veränderungen in bestehenden Sequenzen). Die Entwicklung hört auf, bis wieder eine neue erste Sequenz einen neuen Typus an Musterdimension für ein neues ganzes Spektrum von Entwicklungen bildet. Wir wollen an dieser Stelle noch recht einfach bleiben, bis wir damit arbeiten können und mehr Konzepte entwickeln. Dann kehren wir an diesen Punkt zurück, um ihn noch exakter zu machen. Eine solche wechselseitige Beziehung von ersten und zweiten Sequenzen kann man sogar heute noch bemerken, allerdings in veränderter Weise. Bietet die Kunst nicht neue Seh- und HörDimensionen an, die uns dann dazu befähigen, eine Menge gewöhnlicher Dinge mit neuen Designs zu entwickeln? Selbstverständlich! Und spiegelt die Kunst nicht auch die schon vorhandenen Dinge, zum Beispiel unser Maschinen-Zeitalter und unsere Lebensweisen? Auch das stimmt. Die Kunst versioniert immer noch, was ist, und generiert dadurch neue Ausdrucksmuster. Später werden wir sehen, wie sich dieses Versionieren vom Versionieren früherer Phasen unterscheidet. Eine Schichtung entwickelt sich, viele Ebenen eines neuen 285 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
ersten Tanzes, ein Cluster an Veränderungen, und wieder ein neuer erster Tanz. Diese Schichtung rückt die Musterbildung immer weiter von erkennbaren menschlichen Ausdrucksformen weg, die auf natürliche Weise Teil des ursprünglichen Körperausdrucks wären. Später werde ich das besser erklären.
l) Sich einstellende Rituale (Slotted Rituals) Obwohl sich Tier-Verhaltenssequenzen frisch herausbilden (sie werden keinem bestehenden Repertoire entnommen), kann ein Beobachter bemerken, dass sich gewisse Gebärden an gewissen Stellen bilden. In ähnlicher Weise bilden sich ein Tanz und eine gestische Pause inmitten von Handlungen oft auch an gewissen Stellen. Selbst wenn sie Pausen sind und den Handlungs-Kontext nicht vorantragen, geht die Handlung nicht weiter, bis sie sich gebildet haben. Ich nenne solche gestischen Sequenzen »sich einstellende Sequenzen« (slotted). Solch eine gestische Sequenz ermöglicht der Handlung fortzufahren. (Sie ist ein Umweg im Verhalten, so wie Verhalten ein Umweg im Körper-Prozess war.) Sich einstellende, gestische Sequenzen und Tänze sind Rituale. Nicht alle gestischen Pausen stellen sich regelmäßig ein, manche bilden sich nur einmal oder jedes Mal unterschiedlich. Die Tänze funktionieren so, dass sie ein ganzes Spektrum kultureller Formen generieren. Dadurch können wir nun klarer darüber nachdenken, wie ein Ritual einen kulturellen Kontext generiert (wie bereits angedeutet). Wir nennen »ein Ritual« auch diejenigen Pausen vor der Handlung oder mitten in ihr, ohne die sie nicht mehr weitergehen kann. Das sind anscheinend unnötige Elaborationen, ohne die man aber nicht isst, Geschlechtsverkehr hat oder schläft. Dennoch sind sie nicht nur Extras, wie man heute meinen könnte. Sie ermöglichen nämlich eine physische, körperliche Ver-
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Sich einstellende Rituale (Slotted Rituals)
änderung, ohne die der Rest der Handlung nicht fokussiert impliziert wäre und sich auch nicht bilden könnte. Wir sehen hier, jedenfalls in dieser frühen Phase, dass beispielsweise ein Initiationsritual jemanden körperlich in einen Erwachsenen verändert, was ansonsten nicht in gleicher Weise geschehen wäre. Selbst heute noch können wir den Appetit verlieren, wenn nicht zuvor gewisse kulturelle Formen eingehalten werden, ohne die wir nicht oder nicht gleich gut essen können. Wir arbeiten uns voran mit einem Gewebe von Sequenzen, von Weisen, vorangetragen zu werden, die vom Körper impliziert werden. Wir können über dieses implizit funktionierende Gewebe nachdenken. Wenn man das Ritual nicht als kulturschaffend betrachtet, sondern lediglich als eine Spiegelung ähnlicher Strukturen oder Modi der Jagd und so weiter, dann wäre das auch richtig. Denn jeder neue Tanz ist ein Strang von Versionen des Handlungskontextes. Aber wir erinnern uns, dass diese Versionen körperliche Bewegungen sind und als solche nur Symbole des Handlungskontextes. Körper, die zu gewissen Handlungen befähigt sind, können auch anders tanzen und sich anders ausdrücken. Die Beziehung ist körperlich und kann nicht nur als direkte Teilhabe an Formen und Mustern aufgefasst werden. So aufgefasst, generieren Rituale als erste Tänze Kulturformen, die sie regenerieren, wenn sie wieder geschehen. Sind diese Rituale »spontan« oder »ganz mechanisch« und routiniert? Beides. Die Uneindeutigkeit kommt von unserem Gebrauch des Wortes »spontan«, welches »ohne zu überlegen, direkt vom Körper« oder auch »ungezwungen« bedeutet. In dieser doppelten Bedeutung versteckt sich ein modernes Sehnen nach einer Handlung, die gesamtkörperlich voranträgt, und ein anderes modernes Sehnen nach individueller Neuheit und Kreativität. Und es wird tatsächlich zu fragen sein, was genau ein »neuer Ausdruck«, eine »neue erste Sequenz« heutzutage sein könnte. Aus Gründen, die in Kapitel VII-B folgen, können je287 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
doch kein Tanz und kein Kunstwerk mehr ein ganzes kulturelles Gewebe rekreieren. Die Rituale, die wir an dieser Stelle diskutieren, trugen im Vergleich zu gegenwärtigen kulturellen Handlungen zum Großteil gesamtkörperlich voran. Wir würden sie als Beobachter jedoch als recht starr empfinden. Sie mussten wohl meistens genau auf eine bestimmte Weise geschehen sein – nicht weil man Regeln beachtete, sondern weil sie sich auf diese Weise durch wiederkehrende Ursachen und trotzdem immer ganz frisch gebildet haben. Sowohl Handlungen als auch Gebärden würden uns als äußerst festgelegt erscheinen, obwohl sie im Vergleich zum Verhalten des Tiers schon sehr elaboriert waren. Aber die Befähigung, anzuhalten und absichtlich etwas anderes zu tun als das, was sich ständig formt, hat sich noch nicht entwickelt. Pausen in den Handlungen und die Befähigung, Handlungskontexte zu haben (zu fühlen, zu sequenzieren), sind ein Bestandteil der Befähigung, absichtlich zu handeln. Aber diese Pausen bilden sich noch frisch, sie können nicht abgerufen oder angewendet werden, um zu entscheiden oder darüber nachzudenken, etwas anderes zu tun. An welchem Punkt dieser Entwicklungen die Sprache beginnt und was sie genau hinzufügt, das werden wir in Kapitel VII-B sehen. An dieser Stelle können wir es noch nicht sagen. Bis jetzt haben wir Handlung und Gebärde unterschieden, letztere als eine Pause im Handeln. Aber es erscheint offensichtlich, dass Handlung affiziert werden muss, indem jedes Handlungsobjekt jetzt gesehene Sequenzen impliziert.
m) Herstellen und Bilder Tiere stellen Sachen her, Nester, Bienenstöcke, Spinnweben und so weiter. Aber Menschen stellen etwas her, indem sie die Muster der Dinge umarrangieren. Die höchstentwickelten Affen können knapp einen Stock in 288 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Herstellen und Bilder
das hohle Ende eines anderen stecken, um damit an eine Banane zu kommen. Sie werden nicht durch das Muster der Dinge vorangetragen (hier gibt es zwar auch eine Abstufung, aber keine gesonderte Muster-Sequenzierung). Wir wollen jetzt nicht nur behaupten, dass Menschen das können, wir wollen es verstehen. Wir können bereits nachvollziehen, wie Menschen Verhaltensweisen anhalten und Handlungs-Kontexte durch Gebärden fühlen und sequenzieren können. Wir können auch erfassen, wie Objekte unser Implizieren von Mustern vorantragen und so selbst musterhaft werden können. Wir verstehen, wie sich rein visuelle, auditive und bewegte Muster von den Verhaltenssequenzen sozusagen ablösen und als solche sequenziert und gehabt werden können. Die Muster können Sequenzen bilden, die Verhaltens- und Handlungsobjekte nicht bilden können. Das Muster des Baumes wird auf vielerlei Weisen sequenziert, wie es beim Baum als Verhaltensobjekt nicht so sein wird. Aber wir wollen nicht einfach nur behaupten, dass Menschen sich ein Objekt anders vorstellen (imagine) können, als es tatsächlich vor ihnen steht. Wir wollen gerade das verstehen. Wir haben (in Kapitel VI) das Konzept der »Kination« formuliert und dort deutlich bemerkt, dass der Verhaltensraum weiter ist als das, was sich in einem physikalischen Sinn vor dem Tier erstreckt. Der Verhaltensraum enthält auch den Raum hinter seinem Rücken, dieser gehört zum körperlichen Implizieren gegenseitig impliziter Verhaltenssequenzen. Sich umdrehen und nach hinten ausweichen gehört dazu zusammen mit anderen, sich anschließenden Verhaltenssequenzen. Daraus haben wir eine Art von Vorstellungskraft abgeleitet, die wir »Kination« nannten und welche über die traditionelle Spaltung zwischen Wahrnehmung und Vorstellung hinausging. Es macht keinen großen Unterschied, ob etwas auf die Sinnes289 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
organe trifft oder nicht, wenn es im Raum der Verhaltensmöglichkeiten ist. Sobald Handlung durch die Muster von Objekten vorangetragen wird, ist der ausreichend lange Stock auf gerichtete Weise impliziert, wenn die vorhandenen Stöcke zu kurz sind. Sobald etwas zu weit weg ist, um erreicht zu werden, ist ein Stock (d. h. irgendetwas mit einem solchen Muster) in gerichteter Weise impliziert. Dieses ausgerichtet implizierte Muster funktioniert in jeder Wahrnehmung. Man betrachtet einen Baum und sieht da seinen Stock, man zieht ihn herunter, reißt die Blätter und Zweige ab. Ein solches Herstellen entwickelt sich zunächst langsam, weil sich erst ein paar Muster gebildet haben. Je mehr sich herausbilden, desto mehr wird hergestellt. In dieser Weise erhalten wir eine zweite Definition von Vorstellung neben der Kination (die verschiedenen Sinne waren in der Kination noch nicht unterscheidbar). Wir haben vielmehr die Befähigung, in ausgerichteter Weise Muster (dadurch auch entsprechende Handlungen) impliziert voranzutragen, d. h. visuelle und auditive Konfigurationen und Bewegungsmuster. Die Muster der Dinge und die Muster menschlicher Bewegungen sind offensichtlich verwandt. Das Ding trägt implizite menschliche Sequenzen voran, und zwar durch sein eigenes Muster. Es hat ein visuelles, auditives oder Bewegungsmuster nur, solange es voranträgt. Deshalb können wir mit unseren Gebärden einen Stock nachbilden, entweder indem wir uns so bewegen, als hätten wir einen in unserer Hand, oder indem wir unsere Hand ausstrecken und somit die Form eines Stockes implizieren. Ein solches Nachbilden ist ein Vorantragen durch Muster, Muster sind ohnehin nie real in dem Sinn, dass es sie physisch und isoliert gäbe. In diesem Sinne ist Gesehenes inhärenterweise bildhaft.
290 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Frische Herausbildung von Sequenzen und Werkzeugen
n) Frische Herausbildung von Sequenzen und Werkzeugen Herstellen ist eine Art von gestischer Pause in der Handlung. Man holt die Bananen nicht herunter, während man den Stock macht. Falls der Stock fürs Wandern gedacht ist, wandert man nicht, während man ihn herstellt. Herstellen bedarf einer Pause in der Handlung, es versioniert die Handlung. Man muss natürlich den Handlungskontext haben (fühlen, sequenzieren, versionieren), sonst wüsste man nicht mehr, warum man überhaupt einen Stock braucht. An dem Punkt, an dem wir jetzt stehen, würde der Stock seine Bedeutung verlieren, sobald die Bananen geholt worden sind. Wir haben noch keine »dritten« Sequenzen, durch die die allgemein brauchbare Kategorie von Stöcken gehabt (gefühlt, sequenziert) werden könnte. Bis jetzt ist ein Werkzeug bedeutungsvoll nur in einem Handlungskontext, in dem es auf gerichtete Weise impliziert ist. Gab es wirklich so ein Stadium? Einige Jahre, nachdem ich diese Konzepte entwickelt hatte, lernte ich, dass Menschen Millionen Jahre lang Jagdwerkzeug gemacht haben, das sie am Jagdplatz liegen ließen. Sehr viel später erst hat man Jagdwaffen an Heimstätten gefunden, d. h. sie wurden dann mit nach Hause genommen und dort aufgehoben. Das bekräftigt jedenfalls diese Konzepte.
o) Schematische Begriffe: verwoben; implizites Funktionieren; gehalten; rekonstituiert o-1) Verwoben Wir brauchen einen Begriff, mit dem wir anzeigen können, dass eine Sequenz ihre Individualität nicht verliert, wenn sie implizit funktioniert. Sie kann immer noch als sie selbst wieder geschehen, obwohl sie im Gewebe gegenseitig sich implizierender Sequenzen funktioniert. Ich nenne dies »verwoben« (meshed). 291 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
Eine Sequenz ist ein Strang von Kontexten. Jeder Kontext ist ein Gewebe sich gegenseitig implizierender Sequenzen. Wir sprachen von ihnen auch als mögliche Sequenzen, Verhaltensmöglichkeiten oder jetzt auch als gestische Möglichkeiten. Mit weiteren Entwicklungen enthalten die Kontexte unserer Sequenz neue implizite Sequenzen. Wenn die Sequenz wieder geschieht, ist sie nicht ganz die gleiche. Neue Sequenzen werden in unserer Sequenz implizit sein und umgekehrt. Anders gesagt: indem die Sequenz in der Formierung neuer Sequenzen impliziterweise funktioniert, verändert sie sich selbst. Worin sie impliziterweise funktioniert, wird in ihr implizit. Wir können auch sagen: Jede neue Weise, in der sie zur Anwendung kommt (in der sie funktioniert), wird in ihr implizit. Solch ein Gewebe ist pyramidisiert (siehe Kapitel VI) und geschichtet, wie wir bereits sahen. Man könnte meinen, dass eine Sequenz niemals wieder so geschieht, wie sie einmal war, da ihre Kontexte nun andere sind. Eine Sequenz ist ein Strang von Kontexten, folglich ist sie, wenn diese Kontexte jetzt andere Sequenzen umfassen (selbst wenn sie einem Beobachter gleich vorkommt), bereichert durch neue Kontexte und nicht mehr nur ein Strang des alten Kontextes. Wie kann dann die Sequenz je als diejenige wieder geschehen, die sie war, bevor neue Sequenzen Teil des Kontextes wurden? Erstens merken wir, wie missverständlich es ist, von »der Sequenz« zu sprechen, die sich verändert, indem neue weitere Sequenzen in ihren Kontexten implizit sind. Wir sagen auf missverständliche Weise, dass in »ihr« implizit ist, wie sie nun auf neue Weise funktioniert. Genau genommen ist es jedoch nicht mehr die gleiche Sequenz. Denn wenn »sie« wieder geschieht, geschieht eigentlich eine neue Sequenz, die sich noch nie herausgebildet hat. Ein Gewebe von sich gegenseitig implizierenden Sequenzen ist pyramidisiert (siehe Kapitel VI) und geschichtet, wie wir so292 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Schematische Begriffe
eben sahen. Es ist nicht nur eine Schicht oder Ebene oder Fläche. Neue Sequenzen entwickeln sich, so dass sie statt früherer in gerichteter Weise impliziert sind. Aber wenn die neuen nicht geschehen können, kann immer noch eine frühere geschehen (Siehe Kapitel VI). Eine verwobene Sequenz ist genau genommen immer noch so implizit, wie sie ursprünglich war, auch in ihrer neuen Form. Eine gegenwärtig geschehende Sequenz ist frisch herausgebildet (der »Gebrauch« von standardisierten Sequenzen in einem Repertoire entwickelt sich erst im Kapitel VII-B. Selbst dann gibt es immer ein frisches körperliches »Alles-durchAlles«). Das körperliche »Alles-durch-Alles« bestimmt, was geschieht, es ist das Geschehen. Unter bestimmten Umständen kann der Körper noch die ursprüngliche Sequenz implizieren. Solche Umstände sind speziell, aber eine »verwobene« Sequenz ist noch da in einer pyramidisierten Weise, in ihrer ursprünglichen Form, und sie ist auch in der gegenwärtigen Verwobenheit des »Alles-durchAlles« enthalten. Der Begriff »verwoben« meint »sowohl als auch«. »Es« ist sowohl weiter entwickelt und verändert, wenn neue Entwicklungen geschehen, wenn es impliziterweise im »Alles-durchAlles« funktioniert. Und es bleibt auch selbst eine Verhaltensmöglichkeit in ihrer ursprünglichen Form, wenn dasjenige, was sich weiterentwickelt hat, nicht geschehen kann. Drogen, Hypnose, Schlafentzug und andere Bedingungen verursachen, dass viel gewöhnliches »Alles-durch-Alles« nicht geschehen kann. Sehr primitive Sequenzen, die normalerweise bei Menschen nicht mehr vorkommen, können immer noch geschehen, selbst das, was am eigenen fünften Geburtstag passiert ist. (Natürlich ist der Körper anders, als er damals war, aber die ursprüngliche Sequenz ist immer noch da, selbst wenn sie jetzt nur unter besonderen Bedingungen geschehen kann, die verhindern, dass
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das gesamte Gewebe körperlich gelebt wird. Darum sind diese Bedingungen vor allem körperliche Veränderungen.) Indem eine Sequenz am weiteren »Alles-durch-Alles«-Geschehen teilnimmt, ist eine Sequenz deshalb beides, verändert und nicht verändert. Wir wollen diesem Konzept erlauben, eine Weile lang für uns zu funktionieren und angewendet zu werden, so dass wir es später klarer definieren können, wenn es weitere Anwendungen erfahren hat.
o-2) Implizites Funktionieren Funktionieren heißt Geschehen – aber die Sequenzen, die »impliziterweise funktionieren«, geschehen nicht, es geschieht nur die jetzt geschehende Sequenz. Es gibt zwei Weisen, dies zu sagen, und zusammen schaffen sie folgendes Problem: Man könnte die nicht ganz präzise Formulierung gebrauchen (und die werde ich weiter verwenden): »Die Sequenz funktioniert impliziterweise«. Eine genauere Formulierung wäre: »Eine Sequenz funktioniert impliziterweise nur, wenn es ihr gelingt, an der Bildung dessen, was geschieht, mitzupartizipieren«. Wenn die gleiche Sequenz in jeder Hinsicht funktionieren würde, dann würde sie geschehen. Das »Alles-durch-Alles«-Geschehen, das nun geschieht, wäre ihr »Alles-durch-Alles« sowohl zu Beginn als auch in jeder weiteren Phase. Aber »sie« funktioniert nicht als sie selbst, ein anderes »Alles-durch-Alles« geschieht jetzt, und nur insofern unsere Sequenz daran partizipiert, funktioniert sie jetzt. In dieser Weise haben wir das »Alles-durch-Alles« in Kapitel IV konzipiert. Wir kommen zu einem solchen Konzept, wenn wir nicht von fertigen Teilen ausgehen, die determinieren, was passiert, wobei ihre eigene Natur festgelegt ist (so dass das Resultat dadurch determiniert ist). Stattdessen bedeutet »Allesdurch-Alles« (eveving) ein jeweils neues Entstehen von Teilen 294 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Schematische Begriffe
wie auch von »Verhältnissen« (relations). Wenn wir also ein altes Teilchen im »Alles-durch-Alles« zurückverfolgen, würden wir feststellen, dass »es« funktioniert, indem es durch das neue Ereignis determiniert wird und nicht aufgrund des Charakters, den es als Teil vorher hatte. Wenn der Teil also impliziterweise funktioniert, dann tut er es nur so, wie das neue »Alles-durchAlles« seine Partizipation bestimmt. Wir sahen seitdem schon oft, dass Erneuerung in diesem »Teilnehmen am neuen Ereignis« entsteht. Das neue Ereignis ist wirklich neu oder es kann neu sein. Gemäß den Konzepten, die wir entwickelt haben, ist es immer frisch. Wir haben noch keine Konzepte für den »Gebrauch« eines Repertoires von etwas. Ein Beobachter mag ein Ereignis sehen, das genauso wie ein früheres erscheint, aber das Ereignis ist an sich frisch. (Wir können noch nicht über die Befähigung des Beobachters nachdenken, eine solche Gleichartigkeit zu sequenzieren, zu haben. Natürlich können wir unsere eigene Befähigung, Ähnlichkeit zu bemerken, nutzen, und später können wir versuchen zu verstehen, wie wir dies konnten. Aber unser Modell versucht grundsätzlich die Annahme zu vermeiden, dass alles in schon-vorhandenen, schon-geschnittenen und festgelegten Teilen vorliegt.) Die Wirkung einer implizit funktionierenden Sequenz muss nicht bereits Teil der Sequenz sein. Dennoch wird sie irgendeine Beziehung zur Sequenz haben. (So entsteht zum Beispiel die Bewegung des Watens, wenn der Versuch unternommen wird, im Wasser zu gehen. Die Bewegungen werden ausladender und anders als beim Gehen sein.) Darum können wir die Sequenz nicht unterteilen in »insofern sie jetzt funktioniert« und »insofern sie nicht funktioniert«. Sie auf diese Weise zu unterteilen, würde annehmen, dass sie nur als sie selbst funktionieren kann und ihre Wirkung ein Teil davon gewesen sein muss. Das muss aber gerade nicht sein! Die Kontexte (das körperliche »Alles-durch-Alles« und das umwelthafte Vorantragen) der geschehenden Sequenz gesche295 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
hen tatsächlich. Aber dennoch ist ein Kontext auch ein Gewebe von implizit funktionierenden Sequenzen. Wenn wir sagen würden, dass diese einfach nicht geschehen, dann würde die geschehende Sequenz genauso wenig geschehen. Ein Kontext ist geschehendes Körper-Ereignis und Umwelt, welche beide viele Sequenzen implizieren, und jede Sequenz ist ein spezifisches »Alles-durch-Alles« all dieser Sequenzen. Die implizit funktionierenden Sequenzen geschehen also, indem sie an der Herausformung dieses einen Geschehens teilnehmen. Jede andere Sequenz (die jetzt implizit ist) wäre auch ein Strang von Kontexten, welche diese (jetzt geschehende) Sequenz vorantragen würden, aber anders. Da die fortlaufende Sequenz den Kontext voranträgt, sind alle impliziten Sequenzen noch implizit, nun aber auf andere Weise. Wenn eine andere Sequenz stattdessen stattgefunden hat, hätte diese auch verändert, wie alle Sequenzen implizit sind. Wie eine implizite Sequenz funktioniert, ist deshalb nicht in direkter Weise Teil der geschehenden. Die fortlaufende Sequenz verändert den Kontext der impliziten, aber sie verändert ihn nicht so, wie die implizite diesen verändert hätte, wenn sie geschehen wäre. Könnten wir diesen Unterschied hinsichtlich der impliziten Sequenz vergleichen? Nein, denn wir können nicht an ihr implizites Funktionieren gelangen, indem wir solche Unterteilungen vornehmen. Eine Sequenz funktioniert impliziterweise nicht nur als sie selbst. Es ist hilfreich zu wiederholen, dass eine Sequenz eine Herausbildung ist. Eine Sequenz, so wie wir sie auffassen, besteht aus einem Strang von »Allem-durch-Alles«. Die Sequenz ist die Herausbildung, die sie ist, und wäre sie die einzige Herausbildung, die geschieht, würde sie selbst geschehen. Wenn die Sequenz impliziterweise funktioniert, heißt es, dass die Ereignisse 296 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Schematische Begriffe
nicht nur durch sie geformt sind, dass das »Alles-durch-Alles« mehr ist, und deshalb ist es nicht nur Sache der Sequenz, wie sie implizit funktioniert. Dies zeigt erneut, dass wir nicht unterteilen können in die Sequenz, die im neuen »Alles-durch-Alles« partizipiert, und in jene, die nicht partizipiert. Wie die Sequenz funktioniert, entsteht durch das neue »Alles-durch-Alles« und ist in der Sequenz vorher nicht enthalten. Das erste Gesetz der Explikation besagt, dass eine Explikation mehr und anderes umfasst als das Geschehen, in dem das jetzt Explizierte noch implizit »war«. In typischen Fällen von Explikation entsteht mehr. Gefragt, ob man einen Satz, den man geschrieben hat, explizieren kann, weiß man, dass man nach einer Anzahl weiterer Sätze gefragt wird. In dieser Weise wird der »eigene Standpunkt« mit mehr Bedeutung expliziert als im ersten Satz. Hier sagte ich »mehr und anderes«, weil Explikation für uns eine umfassendere Bedeutung und Anwendung hat. Wir sahen in Kapitel IV, dass etwas beim Schematisieren schematisiert wird. Die implizit funktionierende Sequenz wird selbst verändert, indem sie verändernd funktioniert. Ihre gestaltende Funktion ist nicht ein Teil von ihr, wie wir gerade sahen. Etwas Neues geschieht der Sequenz, wenn sie implizit funktioniert. Der gegenwärtige Prozess erschafft die neue Rolle der vergangenen Erfahrung. Insofern sie jetzt funktioniert, geschieht sie jetzt. Wenn sie als solche wieder geschieht, könnte sie ganz anders sein. Sie würde dann die Sequenz implizit enthalten, in der sie jetzt gerade implizit funktioniert. Die jetzt geschehende Sequenz wird Teil des Kontextes sein.
o-3) Gehalten Da eine Sequenz implizit nicht einfach als sie selbst funktioniert, muss hier eine Unterscheidung getroffen werden. Wie wir sa297 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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hen, kann es sich nicht um eine Unterteilung innerhalb der Sequenz handeln. Solange eine Sequenz nicht implizit funktioniert, nenne ich sie diesbezüglich gehalten (held). Wir wollen nun die Frage einen Schritt weitertreiben. Wenn eine Sequenz implizit funktioniert, funktionieren in ihr jetzt auch die Sequenzen implizit, die in ihr implizit sind? Und auch diejenigen, die den Impliziten implizit sind, und so weiter? Die Frage soll noch genauer gestellt werden, damit wir sehen, ob wir sie schon beantwortet haben. Wir haben gesehen, dass die Sequenz nur implizit funktioniert, insofern sie tatsächlich am »Alles-durch-Alles« partizipiert, d. h. in der Herausbildung der geschehenden Sequenzen. Darum lautet unsere Frage genauer: Insofern die implizite Sequenz funktioniert, funktionieren auch alle, die in ihr implizit sind, und dadurch auch alle, die in den impliziten implizit sind? Die Frage hängt von diesem »insofern« ab. Enthält dieses »insofern« auch das »insofern« der Sequenzen, die in der impliziten implizit sind, und so weiter? Die Antwort ist ja, eine Sequenz (als das geschehende »Alles-durch-Alles«) bestimmt auch die Funktion der Sequenzen, die in der impliziten implizit sind. Aber wenn die implizite Sequenz selbst geschehen würde, dann würden diejenigen, die in ihr implizit funktionieren, anders funktionieren. Darum sind die Sequenzen nicht wie festgelegte Teile implizit. Das haben wir von Anfang an gesagt. Jede Sequenz ist ein anderes »Alles-durch-Alles«-Geschehen. Die vielen Sequenzen sind alle implizit ineinander, aber »sie« sind nicht die gleichen, wenn sie in verschiedenen »Alles-durch-Alles«-Geschehnissen funktionieren. Wenn wir vorher sagten, dass alle Sequenzen gegenseitig implizit sind und dass jede ein Strang des Kontextes ist, der aus allen besteht, dann müssen wir nun das Konzept »gehalten« einführen. Alle impliziten Sequenzen sind in irgendeiner Hin298 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Schematische Begriffe
sicht »gehalten«, und in irgendeiner Weise funktionieren sie implizit. Was dies tatsächlich bedeutet, ist von einer Sequenz zur nächsten nicht gleich. Sonst würden sie alle gleich sein, und alles würde immer auf die gleiche Weise funktionieren. Wenn die implizite Sequenz, über die wir sprachen, geschehen würde, würde sie eine neue Unterscheidung schaffen zwischen »gehaltenem« und implizitem Funktionieren. (Ihr »Allesdurch-Alles«-Geschehen würde diesen Unterschied machen statt der jetzt geschehenden Sequenz). Es ist also das Geschehen des »Alles-durch-Alles«, das von Fall zu Fall diese Unterscheidung schafft – und auch so könnten wir »Alles-durch-Alles« definieren. Dies soll im Folgenden deutlicher werden. Lassen Sie mich zunächst mit Annahmen beginnen, wie sie das alte Modell nahelegt, und diese anschließend korrigieren. Man könnte versucht sein zu denken, dass das, was in einer impliziten Sequenz implizit ist, selbst auf implizite Weise funktioniert. Wenn die implizite Sequenz tatsächlich geschieht, würde nichts Neues in ihr implizit sein, was nicht schon implizit funktioniert hat (als die Sequenz implizit war). Wenn wir also etwas explizieren, würde dadurch nichts Neues implizit werden. Egal wie viel man expliziert, immer wäre nur implizit, was anfänglich implizit war. Natürlich, könnte man sagen, denn man versteht den eigenen Standpunkt dadurch besser, dass man mehr und mehr expliziert, aber während man dies tut, funktioniert nichts weiteres auf implizite Weise. Andererseits entdecken wir, dass, während man expliziert, neue Aspekte implizit funktionieren, die zuvor nicht funktioniert haben (als die jetzt geschehende Sequenz nur impliziterweise funktioniert hat). In der obigen Annahme behandelt man das, »was implizit funktioniert«, wie festgelegte Teile, von denen man glaubte, dass sie sich in irgendeiner Weise vom Dunkel ins Licht bewegen. 299 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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(Wir sagten von Anfang an, dass Implizieren nicht in dieser Weise geschieht. Implizites ist nicht von der gleichen Art wie Explizites, nur eben versteckt – oder »noch nicht«.) Wir müssen uns erinnern, dass körperliche Herausbildung (und alle Sequenzen sind solche) nicht aus Sequenzen besteht. Sie impliziert Sequenzen, genauer, der Körper impliziert sein eigenes Vorangetragen-werden. Sie impliziert sich selbst in irgendeiner Weise vorangetragen. Wir können darin nicht dem alten Modell folgen. Wir können über körperliches »Allesdurch-Alles« nicht so nachdenken, als ob es aus festgelegten Teilen bestehen würde, nämlich eben aus den Sequenzen selbst. Stattdessen bildet sich ständig eine neue Form heraus, selbst wenn diese dem Beobachter bekannt vorkommt. Der Körper generiert Sequenzen, er besteht nicht aus Sequenzen, nicht aus explizit strukturierten Teilen. Würde alles, was implizit wäre, wenn eine Sequenz geschieht, auch schon implizit funktionieren, wenn die Sequenz implizit funktioniert, dann wären alle Sequenzen wirklich gleich. Es würde nicht bedeuten, dass etwas explizit und etwas anderes implizit war; es wäre dann nur eine scheinbare Unterscheidung. Für uns ist Geschehen und Implizieren ein Ereignis. Diese geschehende Sequenz ist bzw. besteht aus anderen Ereignissen, als ob eine andere geschehen würde. Da die Sequenz ein »Allesdurch-Alles« der anderen ist, ist sie ein anderes »Alles-durchAlles«, als diese es wären. Der Kontext, der all diese impliziert, geschieht tatsächlich, aber es ist das »Alles-durch-Alles« dieser Sequenz, und das nächste bisschen ist das vorangetragene ausgerichtete Implizieren dieser Sequenz. Was als »Alles-durch-Alles« in dieser Sequenz geschieht, bestimmt, welche anderen Sequenzen implizit funktionieren und warum. Wenn eine der jetzt impliziten Sequenzen tatsächlich geschieht, würde ihr »Alles-durch-Alles« (ihr Kontext) tatsächlich geschehen und verändern, wie andere Sequenzen tatsächlich implizit funktionieren. 300 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Schematische Begriffe
Dies soll unser zweites Gesetz der Explikation sein 29 . Zu explizieren, was implizit funktioniert hat, erlaubt anderem, implizit zu funktionieren, was zuvor nicht implizit gewesen sein mag. Dies könnte zuvor »gehalten« gewesen sein. Oder es könnte neu sein. Wie ich in A Theory of Personality Change sagte: Wenn man darauf eingeht, was momentan implizit bei einer Person funktioniert, so dass es als vorangetragener Prozess geschehen kann, können andere Aspekte, die nicht einmal implizit waren, dadurch rekonstituiert und implizit werden. Die Unterscheidung zwischen »gehalten« und »implizit funktionierend« besteht weder innerhalb der Sequenz (wie bereits gezeigt) noch zwischen den Sequenzen, die jetzt implizit funktionieren, und jenen, die jetzt nicht implizit funktionieren. Eine solche Unterscheidung nimmt wieder festgelegte Teile an, die sich durch eine Veränderung hindurch erhalten. Wie eine Sequenz funktioniert (das heißt, was sie ist), wird in jedem »Alles-durch-Alles«-Geschehen neu bestimmt. Wir haben auch schon häufig gezeigt, wie neue Sequenzen implizit werden können, bevor sie je geschehen (Typ-a implizit). Was »gehalten« ist, partizipiert nicht in der Herausbildung des Geschehens, und es wird nicht verändert durch ein Geschehnis (außer in der verkehrten Weise, dass seine Abwesenheit von einem Beobachter als Einfluss auf das Geschehnis gedeutet werden könnte). All das hat wichtige Konsequenzen, um das »Unbewusste« zu verstehen und neu zu überdenken. Die beiden Explikationsgesetze sind hier eingefügt, weil wir sie von hier aus herleiten können. Aber wir sprechen hier nur von einer Sequenz, die zuerst implizit funktioniert und dann tatsächlich eigenständig geschieht. Die Bestandteile sind in beiden Fällen verschieden, auch dasjenige, was implizit ist. Später, wenn wir über Sprache reden und über Explizieren im üblichen Sinn, werden diese beiden Gesetze noch mehr Bedeutung erhalten.
29
301 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Es ist entscheidend, dass wir nicht das alte Modell in unsere neuen Begriffe hineinlesen. Täten wir dies, hätten wir nicht wirklich neue Begriffe, sondern nur neue Worte. Über das Implizite und die Explikation wurde noch nie klar nachgedacht, weil Konzepte jeweils nur nach dem explizit Geformten modelliert waren, so dass Implizites so konstruiert wurde, als wäre es von der gleichen Art wie Explizites, nur eben versteckt. Darum ist es sehr wichtig, die Entwicklung einer klaren und scharfen internen Struktur unserer Konzepte zuzulassen, wie sie eben hier stattgefunden hat.
o-4) Rekonstituieren Dieser Begriff wird uns weiter helfen im Verständnis dessen, was gewöhnlich »Vorstellung« genannt wird, aber dazu komme ich erst am Ende dieses Abschnitts. Wir haben diesen Begriff bereits verwendet. Eine Sequenz »rekonstituiert« den Kontext, den sie versioniert. Jedes bisschen Sequenz ist eine Version des Kontextes (ein »Alles-durch-Alles«), und die Sequenz als Ganze ermöglicht, den Kontext zu haben (zu fühlen, zu sequenzieren). Ich sage, die Sequenz rekonstituiert den Kontext. Wir können nun genauer sehen, dass der Kontext tatsächlich geschieht. Die Sequenz ist ein Strang von Kontexten, die den Kontext-als-gehabten rekonstituieren. Wenn sich ein Objekt herausstellt, heißt das nicht, dass das Objekt geschieht und die Kontexte nur implizit sind. Sie geschehen auch. Wenn zum Beispiel die Katze den Vogel verfolgt (wie in Kapitel VI), dann bleibt der Vogel konstant, während die Szene sich rasant weiterbewegt (da die Katze rennt, um den Vogel konstant zu behalten). Die vorbeifliegenden Szenen geschehen auch, sonst würde der Vogel sich nicht herausstellen können. Dies wird verwirrend, weil wir auch sagen, dass ein Kontext ein Gewebe implizit funktionierender Sequenzen ist. 302 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Schematische Begriffe
Diese Verwirrung wird dadurch aufgehoben, dass wir bemerkt haben, dass eine Sequenz, die implizit tatsächlich funktioniert, geschieht. Implizieren und Geschehen sind zusammen ein wirkliches Ereignis. Wie konnten wir überhaupt denken, dass implizit funktionierende Sequenzen nicht geschehen? Es kam daher, weil wir den Begriff »gehalten« noch nicht hatten und damit keinen Unterschied zwischen »gehalten« und »implizit funktionierend«. Wenn wir von »impliziten Sequenzen« sprechen, dann geschehen diese entweder auf gewisse Weise oder sie geschehen auf gewisse Weise nicht. Wir haben diese beiden Weisen nun unterschieden. »Implizit funktionieren« ist deshalb viel spezifischer als »implizit«. Der »rekonstituierte« Kontext, so kann man sagen, stellt sich aus der Sequenz genauso heraus wie das Objekt. Die Katze rennt in einer Szene, die als konstant und unbewegt wahrgenommen wird, obwohl sie dahinrast und hoch und runter springt! (Kant hat bereits diesen Unterschied zwischen subjektiver und objektiver Wahrnehmung festgestellt.) Die »rekonstituierte« Szene ist die konstante, die »gleichgehaltene«, in der die Katze hinter dem Vogel her rennt. Jedes bisschen, jede Version des Kontextes besteht aus impliziten Sequenzen, die, wenn eine davon geschieht, den Kontext auf ihre Weise verändern würden. Stattdessen wird er gerade durch die Art dieser Sequenz verändert. In welcher Weise auch immer Kontexte geschehen, sie sind nicht rein implizit. Im Grunde genommen hat immer gegolten, dass alles »Implizite« auf bedeutsame Weise funktioniert und ein wichtiger realer Aspekt eines jeden geschehenden Ereignisses ist. Nur der Ausdruck »gehalten« ist neu. Wenn die Kontexte sich so ändern, wie eine Sequenz sie verändert, nämlich durch Vorantragen, nenne ich dies einfach »vorangetragen«. Aber wenn die Kontexte einer impliziten Sequenz nicht so verändert werden, wie diese sie ändern würde, sondern wie die geschehende Sequenz sie verändert, sage ich, dass die 303 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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implizite Sequenz »indirekt vorangetragen« wird. Ich brauche diesen Begriff, da die implizit funktionierende Sequenz jetzt in diesem Geschehen verändert wird. Wie dies geschehen kann, ist an jeder Stelle der geschehenden Sequenz unterschiedlich. Der Kontext, in dem es geschehen würde, wird vorangetragen und rekonstituiert von dieser Sequenz. Unser zweites Gesetz (Rekonstituieren) zeigt sich nun. Die Sequenz, die jetzt geschieht, verändert auch, was implizit funktioniert. Wir sahen dies bereits, und wir sehen es jetzt hinsichtlich des Kontextes, den die geschehende Sequenz rekonstituiert. Was »gehalten« ist, funktioniert nicht, geschieht nicht und wird nicht indirekt vorangetragen. Es bleibt gleich. Wenn in einer anderen Sequenz etwas Neues explizit wird, funktioniert etwas Neues auch impliziterweise. Was daher in einer früheren Sequenz gehalten war, könnte nun in dieser implizit funktionieren. direktes Vorantragen
implizites Vorantragen indirektes Vorantragen die geschehende Sequenz, die implizit funktionieder Strang von Kontexten renden Sequenzen, die oder das »Alles-durchden Kontext konstituieAlles«, das die geschehen- ren, oder das »Allesde Sequenz konstituiert. durch-Alles« der geschehenden Sequenz werden durch die geschehende Sequenz vorangetragen. versionierter VerhaltensKontext oder HandlungsKontext, wie im Tanz oder als Gesehenes.
nicht vorangetragen »gehalten«: wie die implizit funktionierende Sequenz nicht funktioniert und nicht im geschehenden »Allesdurch-Alles« ist.
Das Geschehen des »Alles-durch-Alles« schafft die Unterscheidung zwischen dem, was geschieht, und dem, und was nicht geschieht. Geschehen ist nicht nur eine Möglichkeit in einem System unterschiedlicher Möglichkeiten. Geschehen verändert das, was im alten Modell als bestimmend erachtet wurde. Denn durch das 304 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Schematische Begriffe
Geschehen wird verändert und bereichert, was die Sequenzen selbst sind und sein können. Wenn wir sagen, dass irgendeine alte Sequenz implizit funktioniert und dadurch verändert wird, ist es die alte oder die veränderte Sequenz, welche implizit funktioniert? Es ist die veränderte. »Alles-durch-Alles« heißt, dass die Unterschiede einen Unterschied machen für die Unterschiede, die sie machen (Kapitel IV). Eine geschehende Sequenz verändert die anderen Sequenzen als Möglichkeiten (sie selbst sind auf diese veränderte Weise noch nicht geschehen). Durch ihre Beteiligung an der Herausbildung von Gesehenem und von Handlungsobjekten werden die Tanz-Sequenzen geändert. Umgekehrt verändert ein »erster« Tanz alle oder viele der im Handlungskontext impliziten Sequenzen, den er versioniert. Wenn diese impliziten Sequenzen (gestische Pausen und Handlungen) geschehen, wird wiederum der Tanz verändert. Diese Unterschiede im Geschehen werden auch den nächsten Tanz weiter verändern. Veränderung ist in keiner Weise durch den Tanz abgeschlossen. So wie die veränderten Sequenzen selbst geschehen, schafft ihr unterschiedliches »Alles-durch-Alles«-Geschehen weitere Veränderung. (Dies ist ein wichtiges Prinzip, das wir später brauchen werden: Das tatsächliche Geschehen einer Typ-a impliziten Sequenz ergibt weitere Veränderung.) Nicht nur ist das körperliche »Alles-durch-Alles« verändert, sondern auch die implizierte Umwelt (offener Zyklus) und wie diese vorantragen kann. Der neue Tanz verändert impliziterweise das Aussehen und die Töne der Objekte und der Menschen, die gestisch mit den Objekten umgehen. Welche neuen Töne und Bewegungen sie machen werden und welche Muster sie sehen und hören werden, dies alles ist im Tanz auf Typ-a implizite Weise verändert. Es ist also nicht nur der Verhaltensraum (Handlungsraum) körperlich impliziert, sondern das »Alles-durch-Alles« des um305 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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welthaften Geschehens, das in dieses Implizieren hinein geschieht. »Alles-durch-Alles« ist genau das. Nun wollen wir sehen, wie uns das bei der Vorstellungskraft hilft. Das Rätsel dabei scheint zu sein, wie der Körper eine Umwelt entstehen lassen kann, die physisch abwesend ist. Wir sahen bereits, dass der Körper so etwas schon in einem entwickelteren Verhaltensraum kann (siehe Ende des Kapitels VI). Viele der möglichen Sequenzen, welche durch die Körper-Umwelt, die jetzt geschieht, impliziert sind, sind zum Beispiel Bewegungen hinter dem Tier. Es gibt Objekte in seinem Verhaltensraum, die es nicht sieht, die es aber sehen würde, wenn es sich umdrehen oder woanders hinlaufen würde. Diese geschehen in seinem Raum. Unser Begriff »rekonstituiert« besagt genau, auf welche Weise Verhaltensraum oder Handlungsraum geschieht und auf welche Weise die impliziten Sequenzen buchstäblich geschehen oder nicht geschehen. Der ganze Verhaltensraum wird direkt vorangetragen. Implizite Verhaltensmöglichkeiten werden indirekt vorangetragen und dadurch verändert. Das Tier verhält sich im rekonstituierten Raum der geschehenden Sequenz (dieser Raum geschieht, er ist nicht implizit). Es wäre nicht Verhaltensraum, wenn er nicht aus impliziten Verhaltensmöglichkeiten bestehen würde, aber diese geschehen tatsächlich als das »Alles-durch-Alles« und als die Umwelt dieser Sequenz. (Von Anfang an ist Implizieren ein Aspekt eines realen Ereignisses, so wie es das Geschehen ist.) Durch die Symbolisierung entsteht eine zusätzliche Frage: Geschehen die rekonstituierten Verhaltenskontexte tatsächlich oder nur die Muster und das Körperaussehen? Obwohl man tatsächlich nur das gesehene Muster oder die Tanzbewegungen sehen wird, ist der Verhaltenskontext, den diese versionieren, rekonstituiert und geschieht auch. Lassen Sie mich das genau zeigen. Die verdoppelte Symbolisierungssequenz hält einen Kontext »gleich«, indem versioniert wird, wie der Körper in diesem Verhaltenskontext ist (und aussieht und sich bewegt). Die Sym306 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Schematische Begriffe
bol-Sequenz rekonstituiert diesen Verhaltenskontext (und das körperliche Sein darin). Der Verhaltenskontext geschieht, und jedes verdoppelte bisschen ist eine Version davon. Deshalb sollte man nicht sagen, dass in seiner Symbolisierungssequenz der Verhaltenskontext nur implizit ist. Er geschieht. Er ist rekonstituiert (und gehabt, gefühlt und sequenziert) durch das Symbolisieren. Man lebt in dieser Situation, wenn man sie symbolisiert. Wenn dem nicht so wäre, wenn der versionierte Verhaltenskontext implizit wäre, wäre er wie alle anderen Kontexte, die gegenseitig implizit sind. Man wüsste nicht, welcher Kontext symbolisiert oder versioniert wird. Wenn man zum Beispiel etwas herstellt (Kapitel VII-A.m), dann versioniert ein Muster den gegenwärtigen Handlungskontext. Man ist natürlich in dem gegenwärtig geschehenden Kontext. Wir könnten sonst den symbolisierten Kontext, in dem wir sind, nicht fühlen (nicht vorantragen und haben), wenn Symbolisieren diesen nicht als Geschehen in jedem versionierten bisschen rekonstituieren würde. Wir haben allerdings noch nicht jene Ebene erreicht, auf der Menschen in einer Situation leben können, die nicht physisch gegenwärtig ist. (Obwohl selbst höhere Säugetiere in einem Raum leben, der bei weitem über das hinausgeht, was physisch anwesend ist, ist dieser Raum immer der gegenwärtige.) In Kapitel VII-B werden wir sehen, wie sich diese zusätzliche Ebene entwickelt, und wir werden uns erinnern, dass der rekonstituierte Kontext nicht allein davon abhängig ist, was physisch und buchstäblich auf uns eindringt. Wenn es je einen Grund dafür gäbe, Gebärden zu entwickeln, um eine abwesende Situation zu rekonstituieren, und wenn wir wüssten, wie sich solche Gebärden je bilden würden, dann wüssten wir auch, wie Menschen in Situationen sein können, die wir (gemäß altem Modell) »vorgestellte« nennen. Wenn die Jäger sich dazu entscheiden, die Jagdinstrumente nach Hause zu nehmen, dann sagen wir, dass sie befähigt sind, bereits 307 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-A · Ein symbolischer Prozess
in der nächsten Jagd »zu leben« und nicht nur im Kontext des Nachhause-Gehens, in dem sie sich tatsächlich befinden. Wir werden merken, dass dies keine kleine Veränderung ist. Fast alles, was wir noch in unseren neuen Menschen vermissen, wird sich damit zusammen entwickeln. Aber nochmals: uns geht es hier nicht um eine korrekte Naturgeschichte. Im Gegenteil, unsere Konzepte können neue Entdeckungen unterstützen. Worum es uns geht, ist, genau zu erfassen, was diese menschlichen Befähigungen alles beinhalten und wie genau darin verschiedene Aspekte miteinander verbunden sind. Alles, was wir hier sagen können, ist, dass die neue Sequenz dem Stopp angemessen sein müsste (siehe Kapitel V).
308 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Kapitel VII-B: Proto-Sprache
a) Innerer Raum In Kapitel VII ist der Raum auf inhärente Weise ein innerer und ein äußerer. Die VIIer-Sequenzen etablieren diese Unterscheidung. Gebärden versionieren zwar den Verhaltenskontext, sind aber einfache Bewegungen. Der Verhaltenskontext ist »der gleiche«, jedes Körperaussehen ist eine Version dessen, wie der Körper in diesem Verhaltenskontext aussieht. Jede Gebärde rekonstituiert den Verhaltenskontext. Wahrgenommen wird jedoch nur die Gebärde. Gebärden sind »äußerlich«, der Verhaltenskontext ist ein Strang von »Allem-durch-Alles«, der gefühlt wird. Gebärden sind keine möglichen Verhaltensweisen des Verhaltenskontextes und ändern nichts daran, welche Verhaltensweisen möglich sind. Gebärden gehen nicht im »gefüllten Raum« der Verhaltensmöglichkeiten vor sich. Stattdessen schaffen die einfachen Bewegungen einen neuen, scheinbar »leeren« Raum. Die Veränderung in »Allem-durch-Alles« (die Versionen des gleichen Verhaltenskontextes sind) ist nur gefühlt, nichts ändert sich im Verhaltenskontext. Diese Veränderung geschieht »innen«. Der Raum der einfachen Bewegungen ist »außen« und vom gleich-gehaltenen Verhaltenskontext zu unterscheiden. Nun gibt es eine deutliche Differenz zwischen der »äußerlichen« Bewegung im »leeren« Raum und der Bewegung als
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VII-B · Proto-Sprache
Version des komplex gefüllten Verhaltenskontextes, der nur »innerlich« sequenziert wird. Man sieht nur die einfachen Bewegungen und nicht, was diese im Körper versionieren und vorantragen. Was jeder Körper am anderen sieht (wodurch er vorangetragen wird), ist das eine (ein Körperaussehen, eine Bewegung), und was im Körper gefühlt, gehabt und sequenziert wird, ist etwas anderes (die Verhaltenskontexte oder Handlungskontexte). Dadurch gibt es ein Innen und ein Außen. Wir hatten immer innen und außen, aber jetzt erst haben wir Konzepte, mit denen wir über diese Unterscheidung nachdenken können. Wie auch sonst geht es mir nicht um eine Naturgeschichte des Ursprungs dieser Unterscheidung, sondern darum, Konzepte zu entwerfen, um darüber klar nachdenken zu können. Zweifellos wird es einmal bessere Konzepte geben. Aber es ist bemerkenswert, dass es hierzu noch gar keine Konzepte gab. Dies führte zu viel philosophischem Unsinn 30 , zu Häufig wird zum Beispiel argumentiert, dass nur das als Basis des Denkens zu gebrauchen ist, was öffentlich beobachtbar ist. Damit verfehlt man allerdings die Tatsache, dass unser inneres Erleben in öffentlich wahrnehmbaren Kontexten (in Verhaltenskontexten) genauso wie die Sprache geschieht. Wir haben unsere inneren Erfahrungen in Kontexten (Situationen) mit anderen, und sie haben ihre öffentliche Bedeutung genauso, wie Worte sie haben. Inneres Geschehen ist weder privat (im Sinne von nicht-öffentlich) noch unpassend für eine Theoriebildung. Nicht darüber nachdenken zu können, heißt so viel wie: unfähig zu sein, über das meiste im menschlichen Leben nachdenken zu können. Aber wie konnte nur ein solcher absurder Irrtum unterlaufen, inneres Erleben aus der Theorie und sogar aus der Philosophie auszuschließen? Das konnte nur geschehen, weil die Außen-Innen-Unterscheidung kritiklos akzeptiert wurde. Deshalb wurde »innen« als etwas erachtet, das räumlich jenseits des Sichtbaren existiert, und es wurde so getan, als ob der Umstand, dass es nicht berücksichtigt wird, keine Lücke in der öffentlichen Welt hinterlassen würde. Und dies wurde als angemessen erachtet. Man muss allerdings begreifen, dass alles menschliche Geschehen (alle VIIer-Sequenzen) inhärent äußerlich/innerlich ist, das heißt: es ist inhärent symbolisch, inhärent konkret, während es zugleich von etwas ande-
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310 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Innerer Raum
einer armseligen Theorie über die Erforschung der Menschen und zu Schwierigkeiten mit dem undenkbaren Beobachter in der Physik. Die einfachen Bewegungen der Gebärden lassen einen den Verhaltenskontext sequenzieren, versionieren, haben und fühlen, ohne ihn zu verändern. Gebärden verändern einen Verhaltenskontext nicht, jedenfalls nicht in der Weise, wie eine Verhaltensweise diesen ändern würde (insofern eine Sequenz eine Veränderung dessen ist, wie alle anderen körperlich möglich sind). Eine Bewegung im Tanz könnte zwar verändern, wie eine dieser Verhaltensweisen zu vollziehen wäre, aber das wäre zufällig. Der Tanz trägt ja durch Körperaussehen voran und nicht dadurch, dass er einen Verhaltenskontext verändert. Selbstverständlich ist Versionieren auch Veränderung, aber eine andere Art von Veränderung als Verhalten. Wir müssen berücksichtigen, dass Fühlen, Spüren oder Wahrnehmen Zeit generiert, es handelt sich jeweils um eine Sequenz. Wenn wir sagen, wir fühlen »etwas«, dann sprechen wir im Rahmen eines verdinglichenden Modells, wir fühlen ein »Ding«, ein »Etwas«. Aber Fühlen ist eine Veränderungssequenz. Das »Alles-durch-Alles« des Verhaltens wird gefühlt, während es vorangetragen wird. Im Versionieren gibt es wieder einen Strang von sich verändernden »Allen-durch-Alles«, aber sie handeln nun alle vom »gleichen« Verhaltenskontext. Dieser Kontext ist verändert in jeder Version des Stranges, aber nicht in der Weise, wie Verhalten ihn verändern würde. rem handelt. Man kann dies vielleicht anders konzeptualisieren, aber es auszulassen würde bedeuten, niemals etwas Menschliches, geschweige denn die Natur zu begreifen. Unfähig zu bleiben, über den inhärenten Charakter von Innen und Außen nachzudenken, bedeutet auch, den menschlichen Beobachter unerforscht zu belassen – und damit die Grundlage des Modells, das gegenwärtig in den Naturwissenschaften gebraucht wird. Deshalb können auch die Naturwissenschaften nicht tiefgehend revidiert werden, die Humanwissenschaften werden gänzlich unmöglich, und dort, wo sie in Beziehung zueinander stehen, verbleibt ein Graben.
311 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-B · Proto-Sprache
Somit gibt es einen versteckten Aspekt in den einfachen Bewegungen; wir fühlen nicht nur das Vorantragen des Körpers im sichtbaren Körperaussehen, wir fühlen auch die Versionierung des Verhaltenskontextes, dessen Veränderung wir fühlen, aber nicht wirklich sehen. Das Äußere der einfachen Bewegungen und Muster und das Innere des Versionierens von Handlungskontexten werden natürlich gemeinsam generiert. Eine Sequenz dieser verdoppelten Art schafft diese Unterscheidung. Während der Gebärden sind Außen und Innen beide klar – man macht und sieht die einfachen Bewegungen in einem äußeren Raum reiner Bewegungen. Das Innere ist gefühlt, es ist das Gefühl der Bewegungen, die mit einem Handlungskontext gegenseitig impliziter Sequenzen zu tun haben und diesen pausieren (und das gleichzeitig das Gefühl dieser Bewegungen selbst ist). Aber wenn die Gebärden aufhören und die Handlung weitergeht, was ist dann Außen und was ist Innen? Bis zu einem gewissen (noch zu definierenden) Punkt (ich nenne ihn den Kipp-Punkt) geschehen die Handlungen im äußeren Raum. Bis dahin geschieht das Außen/Innen nur in den Gebärden (wobei es implizit in der Handlung funktioniert). Die neuen Innen- und Außen-Räume sind beide notwendigerweise symbolisch. Der äußere ist ein Musterraum. Objekte kommen in den Musterraum. Der innere ist der Strang von Versionen des Handlungskontextes, während man einfache Bewegungen wahrnimmt. Das »Innere« ist ein Gefühl vom (für das) Körperaussehen und vom (für den) versionierten Handlungskontext. Das Körperaussehen ist symbolisch. (Man spürt das Symbol selbst und auch seine Bedeutung, darum ist diese Dualität korrekt.) Die gleiche Wahrnehmung (der kleine Wahrnehmungsausschnitt) – das »Äußere« – ist die einfache Bewegung, sie handelt vom Handlungskontext (sie trägt dasjenige »Alles-durch-Alles« voran, das die Verhaltensweisen oder Handlungen impliziert und 312 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Der Kipp-Punkt
das auch die Gebärdensequenz impliziert, die diesen Handlungskontext versioniert). Das klärt die Bedeutung der beiden Verwendungsweisen von »von«. Vom Gefühl (dem körperlichen Vorantragen) wird gesagt, dass es von etwas handelt. Wie wir gerade gezeigt haben, betrifft das Fühlen sowohl das Symbol als auch das, wofür das Symbol steht (was es versioniert und rekonstituiert). Das Symbol, die wahrgenommene Gebärde, handelt, und sie handelt davon, was sie versioniert und rekonstituiert.
b) Der Kipp-Punkt Aber ab welchem Punkt genau wird dieser neue Innen/AußenRaum derjenige Raum, in dem Handlung und Gebärden vor sich gehen? 31 Bis zum Ende von Kapitel VII-A geschah alles noch im Verhaltensraum. Die Verhaltenskontexte wurden elaboriert, jeder mit seinen Gebärden, aber diese waren lediglich Pausen in Handlungs-Kontexten. Gebärden und Handlung setzten sich in Handlungskontexten fort. Sie verhielten sich zueinander entsprechend den Verhaltenskontexten im Verhaltensraum (eine gegebene Sequenz verändert, wie die anderen geschehen können). Die Gestik ist jeweils verdoppelt, und deshalb sind die Bewegungen äußerlich in einem leeren Raum, der rekonstituierte Handlungskontext ist jedoch hier und jetzt, gehabt und gefühlt, selbst während man die Gebärden betrachtet. Während man Gebärden macht, geschieht diese Dualität. Nimmt sich die Handlung wieder auf und hören die Gebärden auf, befindet man sich wieder im Verhaltensraum, in dem man die ganze Zeit war. 31 Gab es schon eine Art Kippen im Kapitel VI? Es konnte nicht so ein Kippen sein wie hier, nämlich von einem Raum zum anderen, weil es vor Kapitel VI noch keinen Raum gab. Aber es gab etwas Neues zu bedenken an dem Punkt, an dem der offene Zyklus zu einem Verhaltensraum wurde.
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VII-B · Proto-Sprache
Denn es sind nicht die Gebärden, welche die Beziehungen zwischen den verschiedenen Situationen herstellen, es sind immer noch die Handlungen. Die verschiedenen körperlichen Begebenheiten sind noch nicht in einem leeren Raum verortet, sondern immer noch im Verhaltensraum. Nach dem Kipp-Punkt sind die Kontexte nicht mehr allein die physischen Settings, sondern die zwischenmenschlich gestischen Kontexte. Ihre Verbindungen sind diejenigen des Verhaltenskontextes, nicht so, wie eine körperliche Handlung den Kontext der anderen Handlungen ändert. Stattdessen entstehen Verbindungen jetzt dadurch, wie ein gewisses Sich-Verständigen durch Gebärden eine Situation zwischen Menschen ändert. Viele physische Settings können darin involviert sein – so können sie zum Beispiel darüber diskutieren, wer einen bestimmten Baum besitzt. Darüber können sie sich im Garten vor dem Baum stehend streiten oder zu Hause, während sie im hölzernen Langhaus, angelehnt an der Wand, sitzen. Der Baum ist in ihrer Situation, ob sie dort, wo er steht, physisch anwesend sind oder nicht. Nach dem Kipp-Punkt ist alles im gestischen, äußerlichen, leeren Raum zu verorten, und die gestische Interaktion ersetzt den physischen Handlungsrahmen und definiert, was jede Situation ist. Bevor wir genau sehen können, an welcher Stelle dieser Kipp-Punkt geschieht, wollen wir zuerst genauer sagen, was damit einhergeht. Es gibt eine Anzahl anderer Entwicklungen, die wir auch genau zu erfassen haben. Jede dieser Entwicklungen gehört zu einer Theorie der Sprache, sie sind notwendig, wenn auch nicht genügend. Wenn wir diese klar erfassen, können wir versuchen zu verstehen, in welcher Beziehung sie sich zueinander entwickeln können. Braucht es den Kipp-Punkt (das ist tatsächlich die gleiche Frage), um sich mit Gebärden über den Baum daheim (im Langhaus) zu verständigen? Gebärden können offensichtlich überall gemacht werden, sie 314 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Der Kipp-Punkt
benötigen den tatsächlich anwesenden Baum nicht. Gebärden gehören nicht in das Gewebe der Verhaltensraums-Sequenzen. Eine Gebärde verändert nicht, wie Verhalten danach körperlich möglich ist. 32 Aber obwohl wir sehen, dass Gebärden zu Hause gemacht werden können, warum würde sie jemand in einem solchen »falschen Kontext« machen wollen? Wie können Menschen je herausfinden, dass sich Gebärden dort bilden können, warum würden sie das wollen? Was würde solche Gebärden relevant machen? Anscheinend muss das warten, eine solche Möglichkeit braucht Kontexte, die interaktiv und nicht nur physisch determiniert werden, das heißt, es braucht den KippPunkt. Wir wollen genauer verstehen, wie sich Interaktions-Kontexte entwickeln und in welcher Weise sie ineinander implizit sind. Das gleiche anders ausgedrückt: Wir möchten verstehen, wie eine Interaktion (eine Gebärden-Sequenz) verändert, wie andere Interaktionen geschehen oder nicht geschehen können. Es ist wichtig zu sehen, dass unsere Theorie sozusagen vor dieser Hürde steht. Wir könnten uns beispielsweise vorstellen, dass jemand einfach entdeckt, dass Gebärden, die zu dem einem Kontext gehören, in einem anderen gemacht werden können, Deshalb ist dieser Raum leer. Natürlich: was die Bewegungen der Gebärden selbst betrifft, kann man nicht seinen eigenen Arm hochheben und ihn zur gleichen Zeit nach etwas anderem ausstrecken. Aber das kümmert uns im Moment nur in Bezug auf Bewegungen, auf Orte im Raum und nicht auf die Bedeutung von Verhaltensweisen (die diese gestischen Bewegungen nur versionieren). Wenn die Gebärden das neue System des Raums bilden, sind die Situationen in Interaktionen aufeinander bezogen, und der leere Raum wird alles begrenzen. Objekte können dann überall in diesem leeren Raum positioniert werden, so, als ob sie überall dort auftauchen könnten, wo Raum für sie ist, so wie das bei den Gebärden auch ist. Das ist dann unabhängig davon, was für ein Objekt das ist und in was für einem Kontext es tatsächlich auftaucht oder gefunden wird, so wie im Verhaltensraum. Objekte sind dann lose und arrangierbar, was ihre Verortung angeht. Das ist der »Raum«, den wir normalerweise meinen, wenn wir dieses Wort benutzen.
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VII-B · Proto-Sprache
aber unserer Theoriebildung widerstrebt das. Warum würden sie sich bilden? Was würde sie relevant machen 33 ? Die Paläontologie bekräftigt uns darin, dass über lange Zeit hinweg Werkzeuge für jede neue Jagd frisch gemacht wurden, die dann an der Jagd-Stelle zurück gelassen wurden. Ohne den Jagd-Kontext verloren die Werkzeuge ihre Bedeutung. Es gab keine Möglichkeit, etwas aufzubewahren, alles bildete sich frisch, wie in unserer Theorie. Die Muster der Werkzeug-Herstellung waren nur Pausen im Verhalten oder im Jagen. Sie konnten sehr elaboriert sein, aber sie waren im Verhaltensraum und noch nicht in einem Interaktionsraum. Die Muster verloren ohne den Verhaltenskontext, den sie angehalten hatten, ihre Befähigung, voranzutragen, selbst wenn diese Muster schon auf den Objekten vorhanden waren. Diese Muster wurden auch nicht aus ihren physischen Kontexten heraus gebildet. Und dann, irgendwann, geschah all dies, und die Menschen agierten in ihrem durch Gebärden definierten Interaktions-Kontext und nicht länger im Verhaltensraum. Dort kippt es. Handlung wird seither durch den Umgang der Menschen miteinander bestimmt, selbst wenn sie mit Objekten handeln, selbst wenn andere Menschen abwesend sind. Der Baum ist der Baum dieser Person, selbst wenn sie abwesend ist. Das Fällen des Baumes wird dann zu einer Handlung, wenn es nicht mehr nur um die Veränderung möglicher Verhaltensweisen in Bezug auf einen gefällten Baum im Unterschied zu einem noch stehenden geht. Stattdessen ist es eine Handlung, weil die Beziehung zu der anderen Person durch das Fällen des Baums, der dieser Person gehört, verändert wird. Und es ist die eine Form von Handlung, wenn die Person darum gebeten hat, und eine ziemlich andere, wenn die Person versucht hat, dies zu verhindern. Um das Kippen zu verstehen, brauchen wir eine neue Unterscheidung. Der Verhaltensunterschied zwischen dem sich Auch wir können heutzutage nicht einfach irgendetwas Altes heranziehen, sondern etwas muss passieren, damit wir daran denken, etwas muss es für uns »hervorholen«, es relevant machen (siehe Kapitel VI).
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316 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Der Kipp-Punkt
Verständigen durch Gebärden und dem Handeln ist nun überflüssig, weil die gestischen Sequenzen bestimmend geworden sind dafür, was wir unter Handlung verstehen und nicht mehr die körperlichen Handlungen mit Objekten. Wir brauchen einen neuen Begriff für letzteres: nennen wir es »Tun«. Tun ist eine sichtbare Aktivität mit Objekten; aber vom Beobachten allein können wir nicht wissen, ob es eine Handlung ist oder nicht (ob es den Interaktions-Kontext verändert oder nicht), und wir können auch nicht wissen, was die Handlung tatsächlich ist (wie sie den Kontext wirklich verändert). Nennen wir die Kontexte Interaktions-Kontexte. Wir haben »Handlung« als eine vorantragende Veränderung im Handlungskontext definiert. »Versionieren« war nur ein Strang von Versionen, die den Handlungskontext »gleich« gehalten haben. Wir wollen diese Unterscheidung beibehalten, aber sie funktional werden lassen. Sie deckt sich nicht mehr länger damit, ob eine Sequenz ein körperliches Tun mit Objekten ist (oder mit anderen als physischen Objekten) oder ob sie mit Gebärden zu tun hat. In beiden Fällen kann es Handlung sein oder es kann nur ein Versionieren sein. Was eine zweifache Unterscheidung war, wird zu einer vierfachen. Was wie körperliches Verhalten aussieht, kann entweder Handlung sein oder nur »Tun«. Was wie Gebärden aussieht, kann entweder Handlung sein oder nur Versionieren. Ich will den Begriff »Handlung« wie zuvor beibehalten, um mich auf das Vorantragen des Kontextes zu beziehen, nun des Interaktions-Kontextes. Andererseits bezieht sich »Versionieren« (wie zuvor) auf einen Strang, der den Kontext (jetzt den Interaktions-Kontext) gleich hält. Neue VIIer-Kriterien, symbolische Kriterien, bestimmen nun, ob die Sequenz Handlung ist oder nur Versionieren oder nur Tun. Wenn ich beispielsweise den Scheck nicht unterzeichne, war das Ganze keine Handlung. Wenn ich sage: »Ich kündige«, wenn der Chef nicht zuhört, war es keine Handlung. Wenn ich in einem gewissen Kontext und mit einer gewissen Stimm317 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-B · Proto-Sprache
lage zu meinem Vorgesetzten sage: »Ich kündige«, war das auch keine Handlung, vielleicht nur ein Ausdruck von Betroffenheit, ein Versionieren eines Interaktions-Kontextes, aber kein Vorantragen desselben. Ein Käufer der Chicago Getreide Börse hebt einen Finger und hat dadurch hundert Wagenladungen Getreide gekauft. Viele scheinbar aktivere Verhaltensweisen wären reines Tun gewesen, keine Handlung. Der Käufer kann die Wagenladungen nicht bekommen, wenn er zum Bahnhof geht, wo sie stehen. Wenn er auf die Waggons springt, das Getreide in ihnen anfasst, die Arbeiter dort anschreit, die Waggons laut als seinen Besitz deklariert – all dies wäre nur Tun. Was bestimmt, was eine Handlung und was keine ist, möchte ich als »VIIer-Kriterien« bezeichnen. Sie entstammen den gestischen Interaktions-Kontexten. Nun gibt es eine neue Unterscheidung zwischen Sequenzen, die als Handlungen funktionieren, und solchen, die nicht so funktionieren. Diese Unterscheidung kann nicht gesehen werden, sie muss als Teil eines Interaktions-Kontextes »gehabt« werden. Die Geste des Getreide-Käufers ist eine Handlung, wenn sie im Stockwerk des Getreides-Handels ausgeführt wird, während das Bieten vor sich geht. Ist man mit diesem Kontext nicht vertraut, würde man es nicht einmal bemerken. Die schreienden und herumlaufenden Leute würde man viel deutlicher bemerken, aber weder deren Tun noch die Gebärden beim Umherlaufen sind Handlungen. Ich behalte die Unterscheidung zwischen Handlung und Versionierung bei, aber sie ist nun bestimmt durch VIIer-Kriterien. Beides sind Interaktionen und setzen sich fort in Interaktions-Kontexten. Versionieren wäre zum Beispiel eine lange Diskussion, die zu keiner Veränderung führt. Ein anderes Beispiel sind die expressiven Gebärden der Menschen auf dem Stockwerk des Getreidehandels (natürlich verändert Versionieren auch den Interaktions-Kontext, aber nicht in derselben Weise wie Handeln). 318 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Die Ordnung
Menschen leben und handeln in Situationen (was jetzt heißt: in Interaktions-Kontexten). Situationen sind nicht physisch-äußerliche Fakten, sondern sie sind der Kontext der Interaktionen mit anderen, und dieser bestimmt auch, wie diese Fakten definiert werden. (Eine geschlossene Tür ist das eine, wenn ich mich vor jemandem verstecke, aber sie ist etwas ganz anderes, wenn ich versuche, hinauszukommen.) Handlung ist hinsichtlich der Innen/Außen-Unterscheidung nun immer teilweise innerlich, d. h. sie enthält Interaktions-Kontext-Veränderung, die man nicht sieht, weil sie in den Gebärden der Menschen inbegriffen ist, die jetzt auch Handlung sind. Dieser Aspekt der Kontextveränderung ist nicht nur hinsichtlich einer einzigen Person, sondern natürlich auch hinsichtlich anderer ein innerer. Es wäre falsch zu sagen, dass Menschen nun in einem innerlichen Raum leben, als ob Situationen privat wären, als ob man sie allein hätte in einem räumlichen Innen. Menschen leben mit anderen, die für sie äußerlich sind und die außerhalb von ihnen in einem äußeren Raum verortet werden können. Aber Interaktions-Kontexte sind auch nicht nur Gestaltungen in diesem äußerlichen Raum. Das hat es schwer gemacht, sie mit der Art von Konzepten zu erforschen, die bis heute gängig sind, die nämlich Dinge im Außenraum als Vorbild nehmen. Der Unterschied von Außen und Innen ist ein Resultat von (oder es bildet sich heraus aus) versionierender oder symbolischer Interaktion zwischen Menschen. Der äußere Raum wird umfassend, wenn der Interaktions-Kontext umfassend wird und das Tun sich darin fortsetzt.
c) Die Ordnung Wir wollen nun einige Schritte der Entwicklung betrachten, die zum Punkt des Kippens geführt haben mögen. Wir versuchen, genau zu sein bezüglich ihrer Herausbildungen und genau zu 319 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-B · Proto-Sprache
verstehen, was jeder von ihnen beinhaltet. Dies erlaubt uns dann zu sagen, in welcher Reihenfolge sie sich entwickeln, was jeder bereits mit sich bringt und was sich später formt. 1. Im ersten Tanz trägt das ganze Körperaussehen jedes Einzelnen den anderen voran. Es gibt keine Sequenz ohne den anderen. 2. Das einzelne Individuum macht Gebärden zu Objekten hin und nimmt auch das Aussehen des Objekts wahr. (Wir nennen dies die »Herausbildung des Gesehenen«.) Wir wollen es »alleiniges Vorantragen« nennen. Sagen wir, es seien mehrere Individuen im Wald, ein paar hundert Meter voneinander entfernt. Ein Vogel fliegt über sie hinweg, und sie machen alle, jeder für sich, eine Gebärde in seine Richtung und sehen sein Aussehen. 3. Wenn sie nun wieder zusammen sind und einer von ihnen Gebärden in Richtung eines Objekts macht, werden die anderen, die zuschauen, durch diese Gebärden des Individuums selber auch vorangetragen. (Sie wissen, wohin die Gebärde des Individuums zielt.) Dies wollen wir als »ebenfalls-Vorantragen« bezeichnen. In den obigen drei Schritten sind die Menschen in einem gegenwärtigen physischen Kontext, und das Objekt ist anwesend. Um aber den Garten zu Hause in der Nacht voranzutragen, bedarf es eines Vorantragens durch Muster statt durch das ganze Körperaussehen. Der ganze Körper sieht zu Hause nicht so aus, wie der ganze Körper im Garten aussieht. Die Herausbildung des Gesehenen ist bereits kein Ganzkörper-Vorantragen mehr. Das Objekt gibt das menschliche Körperaussehen nicht zurück. Seine eigenen Muster, sein eigenes Aussehen bilden sich (indem menschliches Körperaussehen impliziterweise funktioniert). Die Gebärden zu einem Objekt hin sind keine Körperaussehen-zu-Körperaussehen-Sequenz. Schauen andere das Individuum an, dann werden sie auch vorangetragen. Aber ihr Vorangetragen-Werden geschieht nicht 320 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Die Ordnung
in einer Körperaussehen-zu-Körperaussehen-Sequenz mit diesem Individuum. Das Individuum braucht sie nicht anzusehen, es reflektiert ihr Körperaussehen nicht zurück. Die GebärdenSequenz formt sich zwischen Individuum und Objekt. Das Individuum wird dadurch vorangetragen, gemeinsam mit den anderen. Sie werden durch die Gebärden selber vorangetragen, nicht durch das ganze Körperaussehen, und sie werden nur durch das Betrachten vorangetragen, nicht dadurch, dass die Wirkung auf ihren Körper wechselseitig die Wirkung auf den anderen Körper darstellt. Beim zweiten Schritt geschieht etwas recht Fundamentales (in der Herausbildung von Gesehenem). (In Kapitel VII-B.e wird die genaue Weise, wie Gesehenes sich bildet, klarer werden.) Muster tragen voran, die nur Teil des Körpers sind, und sie tragen nicht zwischen zwei Körpern voran, sondern zwischen Körper und Mustern. Da Körperaussehen als Ganzes schon ein Muster ist, will ich diese neuen Muster als »eigenständige Muster« bezeichnen. Es stimmt, was G. H. Mead sagt, dass unser Einzel-Vorantragen (lone carrying-forward) sich in einem früheren Kontext des interaktionalen Vorantragens (im Antworten aufeinander) entwickelt, aber es gibt einen dritten Typ von gegenseitigem Vorantragen, der anders ist und der sich nur nach einem Einzel-Vorantragen entwickelt. 34 Ich nenne diese nicht Muster als solche, weil sie »als solche« Es macht keinen Unterschied, ob sich diese zweite Stufe mit einem einzelnen Individuum gebildet hat oder ob andere zugegen waren, die zugeschaut haben. In beiden Fällen ist ein Individuum einem Objekt zugewandt und nicht den anderen. Die anderen werden auch vorangetragen durch das, was das Individuum in Bezug auf dieses Objekt macht. Von Anfang an ist implizit, dass die anderen durch dieselbe Herausbildung ebenfalls vorangetragen werden. Der Tanz, welcher impliziterweise in der Herausbildung von Gesehenem funktioniert, ist eine Interaktion mit den anderen. Sie sind also von Anfang an implizit. Weil sich diese Gebärden und gesehenen Objekte durch die implizite Tanz-Interaktion beim Individuum herausbilden, bilden sie sich auch für die anderen. Es
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VII-B · Proto-Sprache
ein drittes Allgemeines sind. Zudem ist es nicht klar, an welchem Stand der Entwicklung des Gesehenen der Kipp-Punkt ist. Sagen wir einmal, die Menschen schauen alle voneinander weg und zum Objekt. Dann ist jeder »einzeln«, und ihre Interaktion miteinander ist implizit. Darum entsteht das Schema ähnlich, ob sie zuerst physisch präsent sind oder nicht, denn »einzeln« bezieht sich auf die Sequenz: PersonObjekt statt Person-Person-Körperaussehen. Und die Person-Objekt-Sequenz muss geschehen, bevor die neue Ebene erreicht ist, und sie geschieht nur in einem die Interaktion impliziterweise enthaltenden Kontext. Eine jede solche Mustersequenz trägt auch die anderen Menschen voran, und aus demselben Grund hat sie sich überhaupt für jeden einzelnen gebildet. (Wir nannten es auch Vorantragen.) Nun wird jeder von seinen eigenen Gebärden selbst vorangetragen und auch durch dieselben Gebärden der anderen. Das Vorantragen ist bei jeder einzelnen Person vollständig, jede einzelne kennt die eigenen Gebärden, ohne Feedback von anderen, und sie kennt auch die Gebärden, die andere machen könnten. Dass jemand anderer auch vorangetragen wird, ist jeder dieser Sequenzen implizit. (Wenn anwesende Andere gemeinsam vorangetragen werden, ist dies dennoch eine andere Sequenz als ein einzelnes Vorantragen durch eine Sequenz, in der Andere nur implizit vorangetragen werden.) In späteren Interaktionen zwischen den Menschen sind die einzeln-vorantragenden Sequenzen implizit. Neue Interaktionen entwickeln sich zwischen den Menschen in dem Kontext, der die Sequenzen des einzelnen Vorantragens enthält. Und
spielt keine Rolle, ob sie sich zuerst allein bilden oder ob sie vorangetragen werden, indem sie diesem Individuum zum ersten Mal zuschauen. Dass andere »auch vorangetragen« werden, ist implizit (zuerst als Typ-a vorgeformtes Implizites, nachdem es aber geschieht, verändert es den Kontext weiter).
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Die Ordnung
wenn sie wieder einzeln sind (oder sich Objekten zuwenden, auf die auch andere schauen), dann entwickeln sich neue Sequenzen des Einzel-Vorantragens, da jetzt mehr Interaktionssequenzen implizit sind. Die Entwicklung geht hin und her. Jeder Sequenztyp ist im anderen implizit. Interaktion nach dem dritten Schritt ist anders als beim ersten. Alle wissen jetzt (sind vorangetragen durch das), was die anderen machen, und alle sind auch vorangetragen durch das, was sie selbst tun. Alle haben das Vorangetragen-Werden der anderen als Teil des Kontextes. Alle wissen, dass die anderen wissen, dass sie wissen. Es ist nicht nur so, dass die Sequenzen des einzelnen Vorantragens implizit sind. Die Interaktion ist eine neue und andere. Ihre Ereignisse haben sich entwickelt durch einzelnes Vorantragen und sind nun unterschiedlich und viel elaborierter. Interaktionen, so wie wir sie kennen, sind alle von der Art, dass sie Einzel-Vorantragen schon enthalten. Unsere Interaktionen enthalten das Vorantragen unserer selbst wie das der anderen, und sie enthalten das Vorantragen der anderen und damit auch unseres in jedem bisschen der fortlaufenden Interaktionssequenz. Jetzt tragen die Muster selbst voran (die Muster des Objekts und der Gebärden zum Objekt hin), und sie tragen selbst dann voran, wenn sie vom restlichen physischen Kontext getrennt sind. Ein Muster trägt voran, selbst wenn der Rest des Körpers nicht so ist, wie er üblicherweise wäre. Das Muster eines Objekts trägt voran, selbst wenn das Objekt nicht anwesend ist. Man kann ein Bild »erkennen«. Das »Aussehen-eines-Kaninchens« trägt voran auch ohne den ganzen Rest dessen, was ein Kaninchen ausmacht. Die Gebärden, die eine Person zu einem Kaninchen hin macht, tragen voran, selbst wenn kein Kaninchen da ist (obwohl wir noch nicht herausgefunden haben, wie man jemals eine solche Gebärde bilden würde, wenn kein Kaninchen da ist). Aber auch gewöhnliche Sequenzen wie eine Kaninchenjagd würden in einem Musterraum geschehen. Man könnte nur ei323 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-B · Proto-Sprache
nige der Jagdbewegungen machen, und diese würden erkannt werden (sie würden vorantragen), selbst wenn kein Kaninchen zu erwarten oder anwesend wäre (selbst wenn wir immer noch nicht wissen, warum man dies tun würde). Deshalb hängt das Vorantragen der Belange, die den Garten betreffen, während man daheim (im Langhaus) ist, vom Vorantragen eigenständiger Muster ab. Wir müssen von hier aus einige weitere Schritte gehen, bevor wir über Sprache nachdenken können. Denn wir können noch nicht ganz verstehen, was sich bis jetzt entwickelt hat. Jedenfalls können wir uns hier schon klar sein über die inhärente Verbindung zwischen der Herausbildung und der Macht eigenständiger Muster (Symbole) und der anderen Entwicklungen oben. Sie entwickeln sich zusammen. Damit sagen wir weder, dass wir diese gemeinsame Entwicklung in der Naturgeschichte so vorgefunden haben, noch dass sie nur so in unsere Theorie passt. Wir verstehen jede dieser Entwicklungen aus sich selbst heraus und sehen dadurch, wie sie inhärent verbunden sind. Einzelnes Vorantragen geht nur durch eigenständige Muster (weil es keinen anderen menschlichen Körper gibt, auf den man reagieren kann). Gemeinsames-Vorantragen oder zu Hause Vorangetragen-Werden braucht einzelnes Vorantragen, darum enthält die Interaktion jetzt einzelnes Vorantragen. Menschen werden durch ihre eigenen Gebärden und auch durch die der anderen vorangetragen.
d) Abwesender Kontext im gegenwärtigen Kontext Wir wollen nun weiter verstehen, wie sich Interaktions-Kontexte entwickeln, die wechselseitig implizit sind. Wie kann es dazu kommen, dass Leute einen abwesenden Kontext mit Gebärden deutlich machen (zum Beispiel den Garten), während sie physisch in einem anderen Kontext sind (zum Beispiel am Abend daheim im Langhaus)? Warum würde ir324 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Abwesender Kontext im gegenwärtigen Kontext
gendjemand die »falsche« Gebärde im »falschen« Kontext machen? Eigenständige Muster tragen voran, egal wo sie gemacht werden. Diese Gebärden rekonstituieren den Kontext, den sie versionieren (schematisch ausgedrückt). Die Gebärde ist ein Strang von Versionen des Kontextes, deshalb können Menschen sie in solcher Weise haben-fühlen-sequenzieren. So können sie in der »abwesenden« Situation leben. Aber nun klingt es so, als ob sie sich, wenn sie zu Hause Baum-Gebärden machen, so erleben, als ob sie im Garten wären: Wie wissen sie denn noch, ob sie zu Hause oder im Garten sind? Es müssen offensichtlich unterschiedliche Sequenzen sein, den Garten im Garten zu versionieren oder zu Hause. Die gleiche Gebärde wäre eine andere Sequenz, und deshalb wäre es nicht die gleiche Gebärde in der Garten-Sequenz und im Langhaus. Sicherlich sieht der Körper zu Hause nicht so aus wie bei der Arbeit im Garten, dennoch könnte man die gleichen Muster auch im Garten verwenden. Selbst dann sind sie nicht die gleichen, jedenfalls nicht als ganze Sequenz. Wir haben genau zu verstehen, inwiefern sie unterschiedlich sind. Menschen können im Garten über ein Kaninchen, das im Garten anwesend ist oder auch nicht, miteinander kommunizieren, oder auch über ein Kaninchen, das nicht anwesend ist, weil sie zu Hause im Langhaus sind und das Kaninchen im Garten ist, oder auch über ein Kaninchen, das abwesend ist in einem abwesenden Garten, während sie zu Hause sind. All das müssen unterschiedliche Sequenzen sein. Die Muster, die ein anwesendes Kaninchen (ein Gesehenes) versionieren, funktionieren jedoch in der Bildung der anderen Sequenzen. Wie genau? Wir können hier nicht vorgreifen, als ob es schon Sprache gäbe und die gleichen Sätze gebraucht werden könnten – bislang hat sich jede Sequenz frisch geformt (durch wiederholte Verursachung in den gleichen Routineabläufen zwar, aber frisch).
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Es ist ein anderer Interaktions-Kontext, den Garten zu Hause oder den Garten im Garten zu versionieren. Die Muster, die sich bilden, werden nicht die gleichen sein, obwohl die Muster vom einen im Muster des anderen implizit funktionieren werden. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir über die ursprüngliche Herausbildung verschiedener eigenständiger Muster nachdenken. Durch die Sprache wird es später die gleichen Muster geben, die in verschiedenen Kontexten gebraucht werden. Jetzt gerade sind wir erst bei einem gewissen Stadium der Entwicklung dieser Muster. Es gibt noch keinen fertigen Satz von ihnen, der zum Gebrauch parat steht, und wir verstehen auch noch nicht, was »gebrauchen« heißt. Bislang haben sich die Muster frisch gebildet. Eine Sequenz wird nicht die gleiche sein in verschiedenen Kontexten, wir haben noch nicht solche »gleichen« Sequenzen entwickelt, die in verschiedenen Kontexten geschehen können. Der InteraktionsKontext ist der Kontext des Gartens-im-Langhaus. 35 Wir hatten drei Fälle, die den Anschein erweckten, dass sich eine Sequenz im falschen Kontext bildet. Jedes Mal merkten wir, dass es nicht die gleiche Sequenz ist. Sie bildet jeweils einen neuen Kontext, der die früheren Kontexte auf neue Weise einbezieht. Die drei Fälle waren der Wind, der wie eine Person heult, die Versionierung des Gartens am Abend zu Hause, und das »Dritte«, das seine eigenen gesammelten Kontexte rekonstituiert und damit den gegenwärtigen Kontext zu einem Einzelfall macht. Natürlich sind die drei Fälle unterschiedlich. Bis der Wind einen Ton wie ein Mensch macht, muss das Geräusch des Windes selbst vorantragen können. In dieser Herausbildung funktioniert das Geräusch, das eine Person macht, nur impliziterweise. Wenn der Wind sich so wie eine Person anhört, wird diese Ähnlichkeit selbst sequenziert, gehabt, gefühlt und vorangetragen. Menschen laufen dann nicht heraus, um den Wind zu trösten oder um eine verlorengegangene Person da draußen zu trösten, sie wissen, es ist der Wind. Was sequenziert wird, ist die Ähnlichkeit-zum-Heulen-im-Windkontext. Und wenn man zu Hause ist und den Garten versioniert, dann gräbt man nicht mit dem Spaten den Fußboden auf. Wie die Ähnlichkeit-zum-Heulen-imWindkontext ist auch der Garten-zu-Hause-Kontext ein neuer Kontext. 35
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Abwesender Kontext im gegenwärtigen Kontext
Vorantragen durch eigenständige Muster heißt nicht, dass die gleichen Muster in verschiedenen Kontexten gleich sind. Die Ähnlichkeit gibt dem Wind keine persönliche Identität, sie elaboriert den Windkontext nicht auf eine grundlegende Weise. Die Versionierungen im Garten ändern den Gartenkontext jedoch in einen Interaktionskontext. Was macht diesen Unterschied aus? Das Vorantragen durch Ähnlichkeit als solche oder durch Muster als solche geschieht in allen drei Fällen. Aber der Kontext des Gartens-zuHause entwickelt sich hin zu Sprache, während der heulende Wind es nicht tut. Warum nicht? Fähig zu sein, Ähnlichkeit als solche voranzutragen, befähigt auch dazu, Bilder als Bilder zu sehen oder jemandem zu zeigen, wie man den Garten umgräbt, indem man aufsteht und die entsprechenden Bewegungen macht (ohne buchstäblich in den Boden zu stechen). Die Fähigkeit, neue Ähnlichkeiten zu bilden, ist also äußerst grundlegend und geschieht überall. Es ist nicht Sprache, es ist kein Kreuzen, es ist keine Herausbildung von vielen ähnlichen und doch unterschiedlichen Symbolen durch das Kreuzen. Wir können sagen, dass es eine Ähnlichkeit gibt zwischen irgendeinem Ton, der sich bildet, und dem menschlichen Ton, der darin implizit funktioniert, aber dann haben wir nicht erklärt, wie wir das tun können. Wir können sagen, dass Tiere eine Ähnlichkeit erkennen, wenn sie auf eine Sache wie auf eine andere ähnliche Sache reagieren, aber das Tier reagiert nur auf dieses gegenwärtige Objekt. Wenn das Tier hört, dass der Wind wie ein anderes Tier klingt, wird es hinauslaufen und dieses Tier suchen, es wird nicht die Ähnlichkeit sequenzieren. Wir haben oft unsere entwickelten menschlichen Fähigkeiten genutzt, um zu beschreiben, was sich entwickelt, lang bevor die Befähigung, das so zu beschreiben, sich entwickelt. Deshalb gibt es diese drei: was sich entwickelt; wie sich das Entwickelte selbst schon haben oder sequenzieren kann; was wir darüber sagen oder es beobachten oder haben können. Sonst können wir den Beobachter nicht verstehen, der außerhalb des Systems bleibt. Und dann können wir unser eigenes wissenschaftliches System auch nicht verstehen. Es ist etwas ganz anderes, etwas zu leben oder zu tun, als es sagen, beschreiben oder verstehen zu können (das heißt, es haben, sequenzieren, pausieren, fühlen, symbolisieren, versionieren, spüren zu können, ohne es zu verändern). Viel Entwicklung und Leben liegt dazwischen. Grob gesagt, Leben ist wie eine erste Sequenz, die Entwicklungen dazwischen wie zweite Sequenzen, und es sagen können, ist wie eine dritte Sequenz.
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Verschiedene Muster bilden sich in (oder als) verschiedene(n) Interaktions-Kontexte(n). Wenn ich den Garten und das Langhaus zwei Kontexte nenne, befinde ich mich mit dieser Unterscheidung vor dem KippPunkt. Nach dem Kippen können Ihre Bäume in Ihren Interaktionen zu Hause vorkommen, weil es dann einen Kontext gibt, nämlich Ihren Interaktions-Kontext. Bis zum Kippen jedoch sind Kontexte noch diejenigen des Verhaltensraumes, verbunden durch Verhalten, das weitere Verhaltensmöglichkeiten verändert. In diesem Stadium sehen wir, wie Interaktions-Kontexte sich bilden. Die Interaktionssequenzen funktionieren in der Herausbildung von neuen Sequenzen, aber sie sind noch getrennt, jede ist eine Pause in einem Verhaltenskontext. Da sie gegenseitig in der Herausbildung der anderen funktionieren, sind die Interaktionen anderer Verhaltenskontexte implizit in den Gebärden, die diesen Verhaltenskontext »pausieren«. Geschähen diese impliziten Gebärden, würden sie die anderen Verhaltenskontexte rekonstituieren. Aber wie wir bereits sahen (Kapitel VII-A.o), funktioniert implizit nur, was an der jetzt geschehenden Sequenz partizipiert, und nicht die ganze implizite Sequenz. Genauer gesagt: Ein rekonstituierter Kontext geschieht. Der Verhaltenskontext, den ein gewisser Satz an Gebärden versioniert, ist gehabt, gefühlt und geschieht. Während Menschen Gebärden machen, wissen sie, dass sie im entsprechenden Kontext sind. Die anderen Kontexte geschehen nicht, außer wenn der gegebene so ist, dass die anderen von ihm aus ansetzen könnten. Wie wir schon genauer sahen (in Kapitel VI), handelt es sich dabei um Verhaltensweisen, die diesen Raum ausmachen durch die Weise, wie sie von diesem Punkt aus geschehen können. Aber warum können die anderen Gebärden nicht in diesem Kontext geschehen? Das ist, als ob man fragen würde: »Warum gibt es noch keinen einzigen Raum, der sich durch alle wechselseitig impliziten gestischen Sequenzen gebildet hat?« Genau der bildet sich nun, und wir wissen noch nicht, an welchem Punkt 328 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Abwesender Kontext im gegenwärtigen Kontext
er sich genügend entwickelt haben wird, so dass es kippt und dann ein solcher Raum vorherrschend wird. Aber die folgenden vier Punkte sind klar: 1. Die Sequenz wird anders sein, weil der ganze Körper anders ist, zu Hause und im Garten. Die eigenständigen Muster, die sich immer noch frisch bilden, werden nicht die gleichen sein (obwohl jedes implizit im Herausbilden der anderen funktionieren wird, während sie sich weiter entwickeln). 2. Es gibt noch keine Sprache, keinen Gebrauch eines Satzes gleicher Muster als solcher. Eigenständige Muster tragen nun voran, aber sie bilden sich frisch und anders in unterschiedlichen Kontexten. 3. Deshalb sollten wir nicht von »der gleichen Sequenz« sprechen, die in verschiedenen Kontexten geschieht, denn es wird eine unterschiedliche Sequenz sein. Der Begriff der gleichen Sequenz in zwei Kontexten setzt bereits Sprache voraus. Wir wollen dagegen sehen, wie sich eine solche Sequenz entwickelt, denn sie hat sich noch nicht entwickelt. Es ist immer ein anderer Kontext. Würden Menschen nur den Garten-Kontext zu Hause versionieren, würden sie sich im Garten und nicht mehr auch zu Hause erfahren. Nein, sie versionieren den Garten-zu-Hause-Kontext, nicht den Garten-Kontext. 36 4. Der Kipp-Punkt ist noch nicht da. Interaktions-Kontexte entwickeln sich, aber jeder ist noch innerhalb seines Verhaltenskontextes, als Pause. Gestische Sequenzen funktionieren im Herausbilden von neuen und sind in ihnen deshalb implizit. Eine Eine andere Weise, dies im Sinne unseres schematischen Prinzips zu sagen, ist, dass die reflexive Zuwendung zum Kontext sich nicht dem Kontext zuwendet, wie er zuvor war, sondern einem neu regenerierten Kontext. Man wendet sich einem zugewandten Kontext zu, nicht einem nicht-zugewandten. Die Muster des Vorantragens regenerieren als solche den Kontext, so dass er ein Interaktionskontext ist, das heißt, dass er Muster-als-solche umfasst (und nicht ein Verhaltenskontext mit Mustern ist, die zum Verhalten dazu addiert werden). Die Muster beschreiben einen bereits musterhaften Kontext, eine »Situation«.
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solche implizite Sequenz würde, wenn sie geschieht, den Verhaltenskontext rekonstituieren, den sie versioniert. Aber die Kontexte haben noch keine Einheit gebildet, noch keinen eigenen Raum. Genau dann würde es kippen.
e) Das Kreuzen der Cluster und so genannte »konventionelle« Symbole (oder warum sie sich nicht länger ikonisch zum Körper verhalten; und wie sie dennoch organisch statt willkürlich sind: die internen Verhältnisse von proto-linguistischen Symbolen) Wir wollen nun die Herausbildung dieser Gebärden und Symbolisierungen, die wir diskutiert haben, eingehender studieren, um dadurch weitere, notwendige Merkmale der Sprach-Bildung zu verstehen. Die Symbole, die wir betrachten, sind noch nicht Sprache, aber ihre Vorbedingung. Bekanntlich musste es an einem gewissen Punkt in der Entwicklung von Sprache eine Bewegung von direktem körperlichem Ausdruck hin zu Zeichen gegeben haben, die nicht direkt expressiv sind. Sehen Zeichen immer noch aus wie der Körper in den bezeichneten Situationen und tönen auch entsprechend (sie heißen gewöhnlich »expressiv«), werde ich sie »onomatopoetisch« oder »ikonisch« nennen. (Ich möchte für den Begriff »Ausdruck« die technische Bedeutung beibehalten, die wir ihm gegeben hatten.) Aber bis jetzt war zu wenig klar, wann genau, warum und wie Zeichen sich verändern und wie sich Zeichen entwickeln konnten, die ihrer Bedeutung nicht ähneln. Nennt man solche Zeichen »konventionell«, dann ruft dieses Wort die Vorstellung eines Treffens von Menschen hervor, das zum Zweck einer Art Einigung einberufen wurde, die man dann »Konvention« nennt. Natürlich weiß jeder, dass sprachliche Zeichen nicht auf diese Weise entstanden sind. Das Wort »konventionell« bedeutet nicht-ikonisch oder nicht-onomato330 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Das Kreuzen der Cluster und so genannte »konventionelle« Symbole
poetisch. Aber wie können sich solche Zeichen bilden, wenn es keine inhärente Verbindung gibt zwischen dem Zeichen und dem, was es bedeutet? Die Schwierigkeit ist dadurch entstanden, dass man über Zeichen nachgedacht hat, als ob sie Einheiten wären (so wie alles im alten Modell als Einheiten untersucht wurde). Dann tendiert man dazu zu denken, Zeichen seien als direkter Ausdruck mit der Situation verbunden, in der sie gebraucht werden, und sonst gäbe es keine inhärente Verbindung. Aber inhärente Verbindung kann viel komplexer sein, wie wir sehen werden. Außerdem konfrontiert Sprache diejenigen, die sie studieren, mit einem extrem komplexen System. Wenn es in Einheiten heruntergebrochen wird, deren Anordnung die Bedeutung ausmacht, dann erscheinen implizite Regeln und das syntaktische System der Sprache unnötig kompliziert und rätselhaft. Das komplexe System wird zuerst ausgeblendet, so als ob Sprachlaute vom Himmel fallen wie getrennte Hagelkörner, und dann kehrt das System als Rätsel zurück. Aber das System legt nahe, dass sich die Einheiten in und mit ihren komplexen internen Verbindungen als System gebildet haben. Aber wie kommen wir vom körperlichen onomatopoetischen Ausdruck zu Lauten, die nicht ikonisch sind und doch komplex und systematisch verbunden mit den Kontexten, in denen sie sich bilden? Wir können jetzt zeigen, wie wir dahin kommen können. Wir haben das in prinzipieller Weise schon ein wenig gesehen. Wir sagten, dass die Muster der Objekte und die Gebärden, die damit einhergehen, sich mit körperlichen Ausdrucks-Sequenzen, die darin funktionieren (Tanz), formten. Das hat ja schon bedeutet, dass sich viele Gebärden-Sequenzen in vielen verschiedenen Handlungskontexten gebildet haben, die nicht onomatopoetisch für diese Handlungskontexte waren (sondern nur in jenem, in dem der Tanz entstand). Allen anderen Handlungskontexten ist nun dieser eine Tanz implizit. Ihre Elaborationen sehen aus und klingen wie dieser Tanz und nicht so, wie 331 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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der Körper in der gegebenen Handlung aussehen und klingen würde. Wir wollen uns nochmals genauer erinnern: Der erste Tanz versioniert irgendeinen Handlungskontext. Dieser Kontext (der Verhaltensraum in diesem Moment) besteht aus vielen anderen Verhaltens-Möglichkeiten, wobei es gerade jetzt die eine geschehende Handlung ist, die voranträgt und keine andere. Allen anderen Sequenzen wird, wenn sie geschehen, diese gegenwärtige in ihren Kontexten implizit sein. Aber die gegenwärtige Sequenz hat jetzt die Tanz-Pause. Dieser Tanz ist deshalb allen anderen Verhaltensweisen implizit. Das bedeutet nicht, dass der Tanz in ihnen geschehen wird, aber dass das, was davon geschehen kann, geschehen wird. Was ich ein ganzes »Cluster« von Muster-Bildungen (Gebärden und Mustern von Objekten) nenne, wird sich je unterschiedlich herausbilden 37 , aber in jeder Herausbildung funktioniert der Tanz. Das haben wir bereits gezeigt. Ich wiederhole es, um darauf hinzuweisen, dass bereits so ein erstes Cluster nicht mehr onomatopoetisch ist. Nur der erste Tanz selbst ist es. Sagen wir, dieses Cluster geschieht momentan nicht (ein ganzes Cluster »zweiter Sequenzen«). Und ein neuer »erster« Tanz entsteht aus einem anderen Handlungskontext (dieser Das Implizite muss nicht ausschließlich im Sinne des noch-nicht-Expliziten gedacht werden. Im Gegenteil, es gibt große Unterschiede zwischen einem Typ-a Cluster und dem späteren wirklichen Geschehen. (Siehe hierzu: Polemarchos lernt und meine Diskussion zu Menon in Kapitel VIII.) Wenn eine veränderte Sequenz des Gesehenen tatsächlich geschieht, verändert sie auch all die Weisen, wie andere Sequenzen implizit sind. Tatsächliches Ausarbeiten oder ein Geschehen ist auf keinen Fall das, was implizit war. Wir sahen, dass das Implizite nicht von der gleichen Art wie strukturiertes Geschehen ist. Später, nachdem etwas geschehen ist, wird der entsprechenden Struktur zugeschrieben, dass sie »implizit war«, aber so war es nicht. Wir können nicht trennen zwischen dem, was geschieht, und dem, was nicht geschieht, aber implizit funktioniert, wie wir in Kapitel VII-A sahen. 37
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Das Kreuzen der Cluster und so genannte »konventionelle« Symbole
Handlungskontext enthält bereits Derivate des ersten »ersten« Tanzes). Wieder wird nun ein ganzes neues Cluster von Ableitungen dieses neuen Tanzes vor-geformt. Er wird sich herausbilden, weil alle diese Handlungssequenzen implizit im Getanzten sind und dieser implizit in ihnen. In jeder dieser Handlungen wird, wenn sie geschehen, die Veränderung des neuen Tanzes mit der vorhergehenden Veränderung kreuzen, und etwas Neues wird entstehen. Die Gebärden des allerersten »ersten« Tanzes werden nun weiter verändert durch diejenigen des neuen. Ich nenne dies die Interaktion des ganzen ersten Clusters mit der zweiten »Kreuzung«. Stellen wir uns beispielsweise vor, dass es zuvor einen Tanz gab, der Kämpfe versionierte. Das ganze Cluster von Verhaltenskontexten wurde elaboriert durch Gebärden, die sich vom Kampf-versionierenden Tanz ableiten. Danach entwickelte sich ein Tanz, der Jagen versionierte. Nun ist das ganze System von Kontexten elaboriert durch Ableitungen des Jagd-Tanzes, die sich in gekreuzter Weise mit den vorhandenen abgeleiteten Mustern des Kampf-Tanzes bilden. Ein weiterer Tanz, der Paarung versioniert, würde nun weitere Gebärden zur Verfügung stellen, die implizit funktionieren, so dass die Gebärden in all den Handlungskontexten sich als gekreuzte aus vorhandenen Gebärden mit neuen bilden. Das gesamte gekreuzte System würde eher so aussehen wie der Körper in den drei getanzten Kontexten als in irgendwelchen anderen Kontexten. Somit können wir jetzt genau zeigen, wie sich Muster entwickeln, die nicht »onomatopoetisch« oder ganz-Körper-expressiv sind! Als es nur einen ersten Tanz gab, waren die Muster in allen Handlungskontexten von diesem einen Tanz abgeleitet. Deshalb sind sie nur für diesen einen getanzten Kontext bereits expressiv, aber Ableitungen bilden sich in allen Kontexten. Dieser eine Tanz hat eine Muster-Dimension zur Verfügung gestellt. Mit dem nächsten neuen Tanz wird das gesamte Cluster 333 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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mit einem anderen gekreuzt, so dass die daraus entstehenden Sequenzen von Gebärden noch weiter davon entfernt sind, wie der ganze Körper in jedem Handlungskontext aussieht. Stellen wir uns zum Beispiel vor, wie eine gewisse Handbewegung 38 sich als ein erster Tanz formt. Alle oder viele der vorhandenen Sequenzen, die diesen Kontext ausmachen, bilden sich jetzt mit einer Handbewegung (und vielleicht mit anderen Veränderungen durch das Interaffizieren im Kreuzen). Es werden viele, viele verschiedene Handbewegungen sein, die sich »ähneln«, abgeleitet von dieser neuen Hand-Sequenz, die aber in vielen Weisen auch unterschiedlich sind. Die ursprüngliche Hand-Bewegung, die den Handlungskontext des Tanzes versionierte, war eine Sequenz aus Variationen einer Handbewegung oder Handhaltung, die in diesem Handlungskontext tatsächlich geschieht. Die Handbewegungs-Sequenz wäre »onomatopoetisch« für diesen Kontext, aber die davon abgeleiteten Handbewegungen werden nicht onomatopoetisch sein für die vielen anderen Handlungskontexte, in denen sie sich durch Kreuzen bilden. Die »Ähnlichkeit«, die ich gerade erwähnt habe, kann an diesem Punkt aber noch nicht sequenziert, gesehen oder gehört werden. Wir können von dieser Ähnlichkeit sprechen. Darum Warum hat sich die Sprache in Lauten entwickelt? (Sobald sich eigenständige Muster entwickelten, waren sie entweder Laut-Muster oder visuelle oder Bewegungs-Muster. Wie wir in Kapitel VII-A sahen, wurden die verschiedenen Sinne differenziert. Aber warum waren es die Laute, aus denen sich Sprache entwickelt hat?) Viele Gründe bieten sich hierfür an. Ein wichtiger mag sein, dass der Ton in alle Richtungen trägt, so dass man nicht jemanden anschauen muss, um von ihm angesprochen zu sein. Das Weinen des Kindes erreicht die Mutter, auch wenn sie gerade in eine andere Richtung schaut. Dass die Lautmuster uns mit ihrer Qualität körperlich affizieren, wird natürlich offensichtlich in der Musik. Der Om-Laut wird immer noch für seine spezifische körperliche Wirkung genutzt. Beide Gründe haben damit zu tun, warum »konventionelle« Symbole sich zu Lauten entwickelten.
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Das Kreuzen der Cluster und so genannte »konventionelle« Symbole
muss ein wichtiger Punkt angemerkt werden: Zwei Gebärden können sehr ähnlich und nur wenig unterschiedlich wirken, dennoch können sie zwei sehr unterschiedliche Handlungskontexte versionieren und rekonstruieren. Einem externen Umwelt 1-Beobachter kann diese Ähnlichkeit als sehr deutlich erscheinen und der Unterschied nur minimal. Wenn sich so eine Gebärde jedoch bildet für die Person, die sie ausführt, und auch für die andere, die sie wahrnimmt, formt sie sich als ein Versionieren eines Handlungskontextes. Der andere Handlungskontext, der eine ähnliche Gebärde enthält, kommt ihnen dabei nicht in den Sinn bzw. in den Körper, so wie er jetzt ist. Das Gleiche gilt für uns. Wenn die Kontexte ähnlich-lautender Worte uns in den Sinn kämen, während wir sprechen oder hören, könnten wir nicht sprechen oder denken. Die Sprachtheorie hatte keine Mittel und Wege, um zu verstehen, wie diese minimalen Unterschiede in ähnlichen Lauten unterschiedliche Kontexte rekonstruieren. Symbolische Kommunikation trennt sich auf diese Weise von der expressiven Kommunikation des Körperaussehens, des Körpergeräuschs und der Körperbewegung. Nach ein paar Cluster-Kreuzungen ähneln sich die Muster untereinander eher als dem Körper in dem bestimmten Handlungskontext. In all den abgeleiteten Sequenzen, die gekreuzt sind, ist es nicht mehr der ganze Körper, der voranträgt. Und doch kann sich ein neuer »erster Tanz« bilden, der wieder ein ganzkörperliches Vorantragen ist. 39 Wie wir später sehen werden, kann dies jedoch nicht unbegrenzt weitergehen. Jeder neue Tanz bildet sich als ein neues Vorantragen-durch-KörperAussehen. Wie wir in Kapitel VII-A sagten, bereichert die ganze Entwicklung von Mustern in Handlungskontexten die Möglichkeit dieses Vorantragens, so dass der nächste neue Tanz einen solchen elaborierten Handlungskontext versioniert (in dem die anderen Handlungskontexte implizit sind). Der Musterraum wird zugleich »aus-gehandelt« und »aus-gedrückt«. Das Objekt hat immer sein Aussehen und seinen Ton, aber dies wird
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Ich nenne das, was wie ein neuer Tanz funktioniert, eine »erste Sequenz«. Die vielen dadurch veränderten Sequenzen, die ein Cluster bilden, nenne ich »zweite Sequenzen«. »Gesehenes« sind zweite Sequenzen, auch »Hergestelltes« und all die Muster-Sequenzen, die eine Handlung pausieren. Jede neue erste Sequenz macht ein neues Cluster, das mit den schon gekreuzten früheren Clustern kreuzt. Jede zweite Sequenz wird, wenn sie auf ihre neue Weise geschieht, damit implizit in den bereits geformten und in den sich noch zu formenden Sequenzen. Eine zweite Sequenz zur anderen verhält sich wie eine Verhaltenssequenz zur anderen, nur dass wir jetzt von verdoppelten Sequenzen sprechen. Darum verändert die Herausbildung einer jeden Sequenz sowohl die Handlungen als auch ihre Gebärden. Sind uns diese beiden Ebenen nun klar? Die Verhaltenskontexte sind einander implizit insofern, als ein Verhalten oder eine Handlung verändert, wie die anderen möglich sind. Wenn man einen Baum fällt, kann man nachher nicht mehr auf ihn klettern. Wenn man auf ihn klettert und er währenddessen gefällt wird, kann man nicht mehr herunterklettern. So ist das Verhältnis von Handlungen innerhalb eines Clusters. Wenn sich Gebärden bilden, verhalten die sich zueinander so, wie die dadurch versionierten Handlungskontexte sich zueinander verhalten. Aber es gibt nun auch andere inhärente Verhältnisse, nicht nur die der Verhaltenskontexte zueinander. umso elaborierter, je mehr Muster-Aspekte vorantragen können. Wie es aussieht und wie es sich anhört, wird immer deutlicher entwickelt, obwohl es immer seinen Charakter behält (gesehen und gehört im Musterraum). In gleicher Weise vermehren Handlungsmuster die Muster der Objekte, und Objektmuster vermehren die Muster, die man in Handlung und Herstellung verwendet. All diese sind nicht willkürlich, obwohl die Dimensionen der Muster Derivate der ausdrücklichen Versionierung ganz bestimmter menschlicher Kontexte sind.
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Das Kreuzen der Cluster und so genannte »konventionelle« Symbole
Gebärden entstehen dadurch, wie der Körper in einem gegebenen Kontext aussieht und wie er sich bewegt. Der Körper impliziert alle Sequenzen des Verhaltensraums. Im gerichteten Implizieren von »Allem-durch-Alles« impliziert der Körper genau diese Sequenz. Darum hängen die Verhaltenssequenzen nicht nur äußerlich zusammen (wenn man einen Baum fällt, kann man nicht auf ihn klettern), sondern auch im Körper. 40 Das Aussehen des Körpers hängt inhärent mit diesem Verhaltenskontext zusammen, und es konstituiert ein »Alles-durch-Alles«-Verhältnis zwischen all den Kontexten. Die verschiedenen Weisen, wie ein Körper in verschiedenen Kontexten aussieht, hängen auf diese beiden oben beschriebenen Weisen miteinander zusammen. Sowie ein Kontext versioniert wird (jedes Stückchen einer gestischen Sequenz konstituiert den gleichen Verhaltenskontext etwas anders), entsteht ein ganzer neuer Satz körperlich-organischer Zusammenhänge, da jedes Sequenzstück den Kontext versioniert, der doch aus allen diesen Sequenzen besteht. Dadurch hängen die Gebärden (die Symbole) in einem gegebenen Kontext auf inhärente Weise mit anderen Kontexten und ihren Gebärden im Körper zusammen. Kreuzen ist ein körperliches Verweben, da jedes Körperereignis ein »Alles-durch-Alles« ist. Obwohl die Gebärde jetzt nicht mehr so ist, wie der Körper in diesem gegebenen Verhalten aussieht, ist sie ein gekreuztes Produkt davon, wie der Körper in diesem Verhalten ist und wie Die verschiedenen Verhaltens- und Handlungsweisen waren physisch verbunden, aber nicht nur für den externen Beobachter. Es gab viele andere physische Verbindungen als nur die, dass man nicht auf einen gefällten Baum klettern kann oder dass ein rennendes Tier nicht gleichzeitig aus einer ortsgebundenen Quelle trinken kann. Der Beobachter kann das sehen. Aber der Körper ist komplexer, und vieles, was der Beobachter für möglich erachtet, kann dennoch nicht zusammen passieren. Andererseits kann vieles ein einziges körperliches Ereignis sein, was für einen Beobachter wie unterschiedliche Ereignisse aussehen kann.
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er im getanzten Verhaltenskontext ist, aus dem sich die Gebärden herleiten. Was auch immer sich formt, formt sich durch den Körper in diesem gegebenen Kontext, der mit der impliziten Tanz-Sequenz gekreuzt ist. Darum sind es nicht Muster und Gebärden, die in einen gegebenen Kontext willkürlich hineingesteckt werden. Sie bilden sich organisch, und das Kreuzen geschieht in der Herausbildung von Körperereignissen. Das betrifft die Laute des Körpers, sein Aussehen und seine Bewegungen und auch die Muster der Objekte. Körper und Objekte sind ihre eigenen Muster, aber sie bilden sich im »Allesdurch-Alles« heraus, welches das Implizieren der Tanz-Sequenz-Muster miteinbezieht. 41 Die Muster sind deshalb inhärent verbunden mit dem, was sie »bedeuten« (was sie versionieren und rekonstituieren, was sie uns haben, fühlen, sequenzieren und »gleich halten« lassen). Gebärde und Bedeutung bilden sich als ein Ereignis. Sie zu haben (zu sequenzieren, zu fühlen, »gleich zu halten«), ist ein Strang von leicht unterschiedlichen Versionen – die es zuvor nicht gab. Das Wort »gleich« steht in Anführungszeichen, denn einen Verhaltenskontext zu versionieren (und somit zu haben und zu fühlen) heißt, einen ganzen neuen Satz an Versionen zu kreieren (es ist der versionierte Kontext, der gefühlt und gehabt wird, natürlich nicht der ursprüngliche). Auch das zeigt, dass das Verhältnis zwischen der Gebärde und dem Kontext, den sie rekonstituiert, nicht willkürlich, sondern organisch ist. Das Gleiche gilt auch für das Verhältnis von verschiedenen Gebärden-Sequenzen zueinander. Diese hängen nicht nur in der Weise zusammen, wie ihre Kontexte im Verhaltensraum bereits zusammenhingen, sondern auch durch die soeben beschriebene Herausbildung und Kreuzung. Wie wir (im Kapitel V) sahen, muss dies nicht buchstäblich ein Teil des Tanzes sein. Es kann für einen Beobachter recht neu aussehen. Es wird das sein, was sich formen kann, wenn die Tanz-Sequenz selber implizit ist und sich nicht herausbilden kann. Wie wir (beim Waten) gesehen haben, kann das, was sich herausbildet, mehr sein, es muss nicht weniger sein.
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Das Kreuzen der Cluster und so genannte »konventionelle« Symbole
Indem jedoch die Kontexte durch Gebärden versioniert und dadurch erheblich neu-erschaffen werden, ermöglichen die Beziehungen zwischen den Gebärdenformen auch den Kontexten eine neue Beziehung untereinander. Diese neuen Verhältnisse sind nicht einfach nur hinzuaddiert, sondern haben auf inhärente Weise Anteil daran, wie diese Kontexte neu-erschaffen werden (oder, wenn man will, weiter-entwickelt werden). Direkte, ikonische Lautmalerei ist nun in die Ferne gerückt, aber es sind die nicht willkürlichen körperlichen und umwelthaften Herausbildungen, durch die ein Cluster häufig gekreuzter Derivate von Muster-Sequenzen die Handlung weiterentwickelt. Deshalb hat das System zusammenhängender Gebärden-Sequenzen in unterschiedlichen Kontexten eine tiefe körperliche Verankerung durch gegenseitig-gekreuzte Verhältnisse. An Komplexität geht dies weit über jede nur räumliche Positionierung von Ton- oder Bewegungs-Einheiten hinaus. Das System ist symbolisch, aber nicht durch eins-zu-eins Etikettierungsverhältnisse in Bezug auf Objekte oder Situationen oder Handlungen. Das System unter der Sprache hat tatsächlich den Charakter einer körperlichen Organisation, jenes System, das wir auch formal als Metastruktur beschrieben haben. Mehr dazu werde ich in Kapitel VIII sagen. Offensichtlich überschreitet dieses System bei weitem die Art der Verhältnisse, die durch gewöhnliche Logik dargelegt werden. Es ist der Körper, der hier in diesen Herausbildungen funktioniert, darum sind diese nicht auf Einteilungen präexistenter Einheiten zu reduzieren. Verhalten und wie der Körper dabei aussieht, hat mit der Natur des Körpers zu tun. Auch in den Gebärden eines gegebenen gekreuzten Clusters und einer nächsten Kreuzung ist körperliche Formierung einbezogen. Es ist nicht nur ein physischer, äußerlich sich bewegender und tönender Körper, sondern einer, der Verhaltenssequenzen und Verhaltensraum impliziert. Wenn ich diese entwickelten Kontexte »Interaktions-Kontexte« nenne, dann spreche ich von einem Zustand nach dem 339 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-B · Proto-Sprache
Punkt des Kippens. Ich habe bislang von ihrer Herausbildung gesprochen, aber noch nicht davon, wie sie als Kontexte den Raum übernehmen, in dem Handlung geschieht. Hier sehen wir immer noch nicht, wie dies passiert, wir sehen lediglich, wie sich diese Interaktions-Kontexte im Zusammenhang miteinander und mit ihren Gebärden bilden, so dass auch diese sich aufeinander beziehen. Das Körper-Ereignis und das körperliche Implizieren während der Gebärden rekonstituiert selbstverständlich auch den entwickelten Verhaltenskontext (indem er geschieht, gefühlt, gehabt, vorangetragen wird), so dass die Verhältnisse, die ich dargelegt habe, allesamt ein System sind. Es ist ein neues System von ineinander impliziten gestisch (interaktionell) elaborierten Handlungs-Sequenzen. Um noch mehr auszufüllen, was bislang nur schematisch dargelegt worden ist, fragen wir: Was bedeutet es, zu sagen, dass Gesten und Gebärden die verschiedenen Handlungskontexte elaborieren und auch neu verbinden? Es bedeutet, dass Interaktionen zwischen Menschen (die zuvor nur »über« Handlungskontexte zu laufen schienen) die wichtigeren Beziehungsverhältnisse zwischen den Kontexten werden. Die symbolisierenden Sequenzen zwischen den Menschen handeln nicht mehr nur von Handlungen, sondern Handlung handelt zunehmend von den Beziehungen zwischen Menschen. Das ist mit dem Punkt des Kippens gemeint, den wir noch nicht hergeleitet haben, obwohl das System zusammenhängender InteraktionsKontexte sich vor unseren Augen herausgebildet hat. Was wir in dieser Weise dargelegt haben, ist wichtig, um die Herausbildung von Sprache und Kultur zu verstehen. Natürlich müssen diese wesentlichen Parameter nicht in den Begriffen unseres Schemas ausgedrückt werden, aber ohne sie geht es nicht. Sie können in andere Begriffe übersetzt werden, wenn jemand andere und hoffentlich noch bessere zur Verfügung stellt. Zu den Aufgaben dieser Arbeit zählt unter anderem: den Körper in neuen Begriffen so aufzufassen, dass wir verstehen können, wie Focusing möglich ist; wie wir komplexe Situationen 340 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Das Kreuzen der Cluster und so genannte »konventionelle« Symbole
fühlen können; wie der Körper eine Antwort auf eine komplexe menschliche Lebenssituation finden kann, die wir uns selbst nicht hätten ausdenken können; und schließlich: wie Körper und Kognition nicht einfach auseinanderzudividieren sind. All das benötigt offensichtlich ein anderes Verständnis des Körpers als das, was die Physiologie uns gegenwärtig liefert. Ich habe, denke ich, gezeigt, warum die Physiologie und die Arten von Konzepten, die sie benutzt, diese Aspekte des Körpers, die wir kennen und haben, nicht konzeptualisieren kann. Eine weitere, recht ähnliche Aufgabe dieser Arbeit besteht darin, Konzepte für das Vorbegriffliche zu bilden (damit ist der gleiche Punkt angesprochen, nur ohne den Körper). Wir wollen fähig werden, darüber nachzudenken, was ein »Felt Sense« oder ein erlebter Sinn (experiential sense) ist, bevor wir diesen expliziert haben. Sogar vor der Explikation hat dieser bereits eine unglaublich subtile Struktur. Ohne unser Schema kann man darüber nur sagen: Erfahrung ist nicht unbestimmt, sie ist fein geordnet, allerdings nicht wie Konzepte (wie oft habe ich schon eine solche hilflose Aussage gemacht!). »Nicht willkürlich, aber auch nicht durch ein Konzept bestimmt.« Nicht dieses, nicht jenes. Hier entwickeln wir den Weg, um darüber nachzudenken, was es ist. Wir formulieren hier, wie sich Sprache in einer körperlichen Weise entwickeln kann und was für eine Art von »System« ihre internen Zusammenhänge ausmachen. Sprache ist nicht auf den Körper gepfropft. Sprache bildet sich direkt aus dem Körper heraus. Ihre inhärente Ordnung besteht aus viel mehr als aus Einteilungen ihrer hörbaren Einheiten. Wir müssen auch darüber nachdenken können, wie das menschliche Individuum tatsächlich Teil eines interaktionellen Systems ist und wie elementare »psychische Inhalte« wirklich Prozess-Aspekte von Interaktionen sind. (Wenn wir genügend Begriffe haben, dann können wir in ihnen weiterdenken, um sagen zu können, wie wir zu ihnen gekommen sind: wie wir fähig waren, darüber nachzudenken, was vor dem Denken kommt.) 341 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Kultur muss als System von Situationen erfasst werden – damit meine ich Interaktions-Kontexte – oder als implizites Gewebe möglicher Interaktionen. Kultur ist das, was man in verschiedenen Situationen tut (und sagt) – aber selbstverständlich besteht eine Situation wiederum selbst in inhärenter Weise aus einem System zusammenhängender (in wechselseitiger Beziehung stehender) Handlungen, aus ihren Konsequenzen und aus der sich dadurch verändernden Situation. Handlungen gehen in einer Situation vor sich und ändern sie dadurch. Andersherum ist eine Situation das, was als fokussiertes Implizieren eine Handlung benötigt. Wenn wir nicht handeln, um die Situation voranzutragen, haben wir »den Anforderungen der Situation nicht entsprochen«. Es gibt viel bloßes Tun, das einer Situation nicht gerecht wird. In Anbetracht unterschiedlicher Kulturen kann man nicht sagen, dass sie »der gleichen« Situation auf unterschiedliche Weise begegnen, weil die Situationen natürlich nicht die gleichen sind. Bis jetzt haben wir noch nichts darüber gesagt, wie eine kulturelle Vielfalt ins Spiel kommt. Bislang haben wir gesehen, dass sich die Grundlagen der Sprache und der Kultur zusammen bilden. Aber bevor es Sprache gibt, braucht es eine entscheidende Weiterentwicklung. Bislang hatten wir nur sich frisch bildende (nicht »gebrauchte«) Sequenzen. Die Bildung von Archetypen menschlicher Kultur (wenn wir sie so nennen wollen) kommt also vor der Sprache als solcher.
f) Sprachbildung: Zwei Arten von Kreuzen f-1) Mittelbares Vorantragen; Sprachgebrauch Wenn Sprache gebraucht wird, trägt jedes Wort und jede Wendung den eigenen universalen Kontext voran (so scheint es), unabhängig davon, in welchem Kontext sie gebraucht werden. 342 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Sprachbildung: Zwei Arten von Kreuzen
Wörter haben ihre eigene Bedeutung, von der wir sprechen können, getrennt von der besonderen Situation, jetzt, in der sie gebraucht werden. Um zu definieren, wie ein Wort gebraucht wird, würden wir von einer Situation erzählen und auch davon, was der Gebrauch des Wortes in einer solchen Situation bewirkt. Zum Beispiel hat »Demokratie« damit zu tun, dass große Gruppen zusammenleben, sie hat etwas mit Regierung und Güterverteilung zu tun und wie in diesen Kontexten damit umgegangen wird, nämlich so und so. Oder nehmen wir zum Beispiel das Wort »freiwillig«. Wir brauchen es in einer Situation, in der eine Handlung aus eigenem Antrieb gemacht werden kann, oder auch im Kontrast dazu in einer Situation, in der wir zu etwas gezwungen werden und dann doch in diesem Kontext etwas aus eigenem Antrieb gemacht haben. Jedes Wort oder jede Wendung verändert durch seinen Gebrauch die Situation auf eine bestimmte Weise. Das Wort »bedeutet« sowohl die Situation (den Kontext) und auch, wie der Gebrauch des Wortes den Kontext verändert (wie der Gebrauch des Wortes die Situation voranträgt). Beides macht den Kontext eines Wortes aus, es hat sein eigenes Vorantragen in seinem eigenen Kontext. Durch dieses eigene Vorantragen des Wortes tun wir auch etwas in dieser bestimmten Situation, jetzt, in der wir das Wort gebrauchen. Die Struktur dieses Gebrauchs enthält etwas nicht-Direktes, sie ist »mittelbar«. Wir können die jetzige Situation dadurch vorantragen, dass das Wort seine eigene Situation voranträgt.
f-2) Kontext(e) sammeln, Arten bilden sich Wie erlangt ein Wort (oder eine Wendung) seinen/ihren eigenen Kontext? Damit fragen wir, wie sich Allgemeines bildet – das ich »drittes Allgemeines« nenne (zu »erstem« und »zweitem« siehe Kapitel VII-A). 343 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Wir haben gesehen, dass Muster Versionierungen sind – jedes bisschen Mustersequenz ist eine Version eines Verhaltenskontextes, der »gleich gehalten« wird, so dass der Strang an Versionen uns befähigt, den »gleichen« Verhaltenskontext eine Zeit lang zu haben, zu fühlen und zu sequenzieren. Zudem sage ich, dass die Sequenz des Versionierens (die Sequenz der Gebärden) den Verhaltenskontext rekonstituiert. Er geschieht, wird körperlich gefühlt, gehabt, gelebt. Damit haben wir verstanden, auf welche Weise Symbole uns befähigen, Verhaltenskontexte zu leben und zu fühlen (über die Zeit zu sequenzieren).Versionieren geschieht durch die Weise, wie der Körper sich in einem Verhaltenskontext bewegt und tönt. Zuerst trägt das ganze Körperaussehen (inklusive Töne und Bewegungen) voran, dann trägt das, was wir »eigenständige Muster« nannten, voran. Die Anführungszeichen markieren, dass ein spezifisches visuelles oder auditives Muster das Vorantragen bewerkstelligt und nicht die Wirkung des ganzen Körperaussehens der einen Person auf die andere. Wenn wir mit Arten und Kategorien beginnen wollten (was wir in der Tat können), würden wir sagen, Muster entstünden durch das Aussehen des Körpers in dieser Art von Verhaltenskontext. Wir mit unserer Fähigkeit zu verallgemeinern würden beobachten, dass der Körper immer auf diese Art aussieht, wenn er in dieser Art von Kontext ist. Wenn wir also Arten von Anfang an voraussetzen würden, könnten wir sagen, dass wir verstehen, wie sich Arten bilden: schließlich rekonstituiert das Muster nicht nur diesen Kontext jetzt, sondern auch alle anderen Kontexte (dieser Art). Wir könnten fragen: »Welchen Kontext rekonstituiert das Muster, und welchen befähigt es uns zu fühlen? Diesen jetzt oder den von gestern oder von damals oder einen anderen von damals?« Die Antwort müsste sein: alle – und alle zugleich. (Denn wir wollen nicht annehmen, dass alles schon in Arten organisiert ist; wir wollen das herleiten und verstehen, was es damit auf sich hat. Aber dafür müssen wir uns einen Augenblick gedulden.) 344 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Sprachbildung: Zwei Arten von Kreuzen
Ich sage, dass ein Wort oder ein Ausdruck seine(n) Kontext (e) rekonstituiert. Die Schreibweise im Plural zeigt an, dass es auf eine Weise viele Kontexte sind, die rekonstituiert werden, und auf eine andere Weise ist alles eine allgemeine Art von Kontext. Wir sehen, dass Muster diese inhärente Art der Verbindung zu einzelnen Kontexten haben, sie rekonstituieren sie alle. Aber selbstverständlich nehmen wir nicht an, dass jemand im Vorfeld Kontexte in Haufen von Arten gruppiert und organisiert hat. Wir wollen verstehen, wie es zu Arten kommt und diese nicht voraussetzen. Darum sagen wir nicht, dass das Muster alle Kontexte dieser Art rekonstituiert. Wir drehen deshalb das Obige um und sagen: Im Rekonstituieren erst kreiert das Muster eine Art oder eine Kategorie (nun müssen wir immer noch sehen, wie das geschieht). Zunächst können wir nur sagen, dass die Muster-Sequenz rekonstituiert, was immer sie rekonstituiert, erst dann können wir sehen, was das sein könnte. Es ist bestimmt nicht nur dieser Verhaltenskontext jetzt, denn diese Sequenz rekonstituiert, wie der Körper in diesem Kontext und damit auch in anderen Kontexten dieser Art ist – aber es gibt noch keine Arten. Rekonstituieren schafft also durch Rekonstituieren eine Art als Beziehung – es ermöglicht der Person, Kontext(e) jetzt zu fühlen (zu haben, zu sequenzieren). Dadurch bildet sich eine Art. Geschieht dies immer und immer wieder, wird das Rekonstituierte jedes Mal etwas anders, aber es ist jedes Mal Kontext (e). Jede neue Rekonstitution wird im gegenwärtigen (Kontext) jetzt versioniert, indem er als Kontext(e) rekonstituiert wird. Jede frische Herausbildung hat natürlich erneut Anteil an dieser Sammlung und affiziert, wie und was die anderen, die jetzt rekonstituiert werden, sind. Alle sind mit dieser frischen Herausbildung gekreuzt. Was jetzt rekonstituiert wird, ist ein gekreuztes Produkt von dieser und der (etwas neuen) Weise, in der all die anderen mit dieser zusammen jetzt rekonstituiert werden. 345 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Was wir oben geschrieben haben, veranschaulicht, wie wir mit Metaphern in Experiencing and the Creation of Meaning umgegangen sind. Wir setzen keine vorher existierenden »Ähnlichkeiten« und »Gemeinsamkeiten« voraus, sondern wir sehen, wie sie sich durch das Kreuzen des gegenwärtigen Kontextes mit einem anderen oder mehreren Kontexten ausbilden. Arten sind eine Folge – zusammen mit den Worten und Ausdrücken, die sie rekonstituieren. Wir haben soeben gesehen, wie sich Arten bilden, aber noch nicht, wie sie gebraucht werden. Im Gegenteil: Es wird klar ersichtlich, wie sich in jeder Situation eine Versionierung frisch herausbildet, die nicht nur diesen Kontext, sondern auch weitere rekonstituiert. Der gegenwärtige Kontext wird dadurch elaboriert, wir können sogar sagen, er wird dadurch ge-artet (er wird eine Art). Was ein Kontext ist, bezieht andere mit ein, die damit rekonstituiert werden. Aber es gibt noch keinen Gebrauch eines stabil vorhandenen Vorrats. Es gibt immer noch lediglich frische Laut-Bildungen. Kontext(e) und rekonstituierende Laute entstehen zusammen.
f-3) Laterales und sammelndes Kreuzen Herkömmlicherweise ging man davon aus, dass Gemeinsamkeit bzw. Abstraktion übrig bleiben, wenn die unterschiedlichen Details aus all diesen Situationen wegfallen. Dann bleibt eben genau das übrig, was diese Situationen gemeinsam haben. Ich werde zeigen, dass diese Auffassung ein Fehler ist, ein wirklich schlimmer Fehler. Gesammelte(r) Kontext(e) ist der gesamte Reichtum und die Komplexität jedes Kontextes, gekreuzt mit jedem neuen. Durch Kreuzen fallen die Details nicht heraus, sie sind Teil des »Alles-durch-Alles«, welches ein körperliches Ereignen ist. Darüber werde ich in einer gesonderten Diskussion, nämlich im Appendix zu f) am Ende von Kapitel VII-B, mehr sagen. 346 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Sprachbildung: Zwei Arten von Kreuzen
Wir wollen das Kreuzen, das wir kennen, von diesem neuen »sammelnden Kreuzen« abheben. Wir sahen bereits, wie die neue Dimension eines Musters (eines neuen Tanzes) ein ganzes Cluster implizit hat (Typ-a implizit, vorgeformt), nämlich alle Verhaltenssequenzen, die den Verhaltensraum ausmachen – und wie jede elaboriert und verändert wird durch diese neue Musterdimension. In den meisten Verhaltenssequenzen wird sich Neues entwickeln, das implizit die neuen Musterdimensionen des Tanzes in seiner Herausbildung hat. Dann sagten wir, dass, nachdem all dies geschehen ist und ein weiterer neuer Tanz eine neue Musterdimension bietet, das neue implizite Cluster mit dem bestehenden Cluster kreuzen wird. Später wird wiederum eine neue Musterdimension mit den bereits gekreuzten Clustern kreuzen und so weiter. Ich nenne diese Art von Kreuzen »laterales Kreuzen« (lateral crossing). Es beruht auf der Weise, wie die Verhaltensweisen im Verhaltensraum ein gegenseitig implizites Cluster bilden. Unsere neue Art des Kreuzens geschieht nicht auf diese Weise. Sammeln (collecting) kreuzt Kontexte einer Art statt Kontexte des Verhaltensraums. Im Verhaltensraum beispielsweise steht Laufen mit vielen anderen Verhaltensweisen in Beziehung. Wenn das Tier läuft, kann es nicht trinken, und wenn es trinkt, kann es nicht laufen. Jedes Verhalten enthält implizit ein Gewebe anderer Verhaltensweisen, die verschieden davon sind. Im Gegensatz dazu sammelt Laufen als Art alle einzelnen Fälle des Laufens. Läuft ein Tier hingegen, bringt dies nicht alles andere Laufen mit sich. Laufen sammelt nicht. (Vergangenes Erfahren funktioniert allerdings darin, wie in Kapitel IV beschrieben. Vergangene Zeiten des Laufens können im gegenwärtigen Laufen funktionieren. Aber vergangene Erfahrung funktioniert nicht wie eine Art, nicht nur – wie so oft fälschlicherweise angenommen wird. Die Struktur der Art muss 347 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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nicht als eine grundlegende Realität vorausgesetzt werden, die von vornherein gegeben ist. Das wollen wir verstehen.)
f-4) Wort-Bildung Wir wollen diese beiden Arten des Kreuzens näher betrachten: Nehmen wir an, dass der Laut in einem Tanz »kinnickinnick« jetzt in der Bildung von vielen verschiedenen Lauten in vielen verschiedenen Kontexten funktioniert. Dieser Lauttyp funktioniert nun in der Bildung vieler verschiedener Laute, die den Laut »k« oder »kin« haben. Obwohl dieser Laut »kin« sich davon herleitet, wie der Körper in einem gewissen Verhaltenskontext ist, kreuzt er nun (wie wir im letzten Abschnitt gesehen haben) damit, wie der Körper in jedem anderen Verhaltenskontext ist (die im ersten impliziert sind). Das heißt »laterales Kreuzen«. Wenn »kin« in einem Kontext gebraucht wird und »kind« in einem anderen und »ken« wieder in einem anderen, dann rekonstituiert jedes dieser Geräusche und kreiert so seine Arten. Jedes sammelt seine(n) Kontext(e). »König« (king) wird Kontexte sammeln, und auch »Kind« wird Kontexte sammeln. Diese gesammelten Kontexte sind nicht wie unsere Universalbegriffe in der Logik; »Art« (kind) rekonstituiert nicht nur alle Mitglieder des Clans, sondern auch, wie man sich gegenüber einem Mitglied des Clans anders benimmt als gegenüber einem Fremden. 42 Das Geräusch »ken« rekonstituiert den (die) Kontext(e) des Familiären. Gesammelte Kontexte sind nicht rein logisch begrenzte Vielheiten bestimmter Einzelfälle, sind nicht Edvard sagte als Baby »tschau-tschau« und winkte immer dann, wenn jemand das Haus verließ und in ein Auto stieg. Später hießen wir, wenn wir zusammen das Haus verließen, »Tschau-Tschau-Gehen« und unser Auto hieß »Ela-Tschau-Tschau« (wobei der erste Teil für die Abkürzung seines Namens stand). Beim Auto anderer Leute stand deren Name vor »Tschau-Tschau«. So etwas nennt man »semantische Verschiebung«.
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wie ausgestanzte Münzen, die sich nur durch Partikularität unterscheiden. Im Gegenteil, es wäre eine endlose Aufgabe, logisch zu formulieren, was ein Wort sammelt und rekonstituiert. Jedes Mal, wenn es sich bildet, fügt es zu den gesammelten Kontexten einen frischen komplexen Kontext hinzu, in dem es sich bilden kann (da es sich bilden konnte). Wir sehen also klar, dass die Details eines jeden Kontextes nicht wegfallen zu Gunsten von abstrakten Strukturen. Im Gegenteil, die Details werden beibehalten und mit dem gesammelten Kontext gekreuzt. Das Allgemeine bildet sich als das gekreuzte Produkt dieser Kontexte.
f-5) Kurze Einheiten Vom Gesagten können wir ableiten, dass es als Resultat des Sammelns von Kontext(en) eine starke Tendenz hin zu den kürzesten Einheiten gibt. Zunächst möchte ich darüber in der alten falschen Weise, die Ähnlichkeiten voraussetzt, nachdenken, und dann besser darüber nachdenken. Sagen wir, dass sich zwei lange Sequenzen in zwei verschiedenen Kontexten bilden. Gewisse Teile dieser Sequenz sind gleich, der Rest unterscheidet sich. Der Teil, der in beiden gleich ist, würde die beiden Kontexte sammeln und als unabhängige Einheit existieren. Dadurch würden die Einheiten kürzer und kürzer, bis Silben ihre eigene Bedeutung haben, das heißt, ihre eigenen gesammelten Kontexte, die vorantragen. Stattdessen sagen wir, dass durch das Sammeln ein »Teil« sich als Teil herausbildet. Durch das Sammeln gibt es erst Gleichheit (Sammeln, so sagten wir, geht mit dem Rekonstituieren eines Kontextes einher, der ein gekreuztes Produkt dessen ist, was sich gleichzeitig mit vielen rekonstituierten Kontexten bilden kann).
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Darum müssen wir nicht von vornherein annehmen, dass die längeren Sequenzen bereits als Strang von Teilen vorhanden sind. Wir müssen auch nicht annehmen, dass gewisse Laute als »ähnliche« oder »gleiche« existieren. Erst wenn der Laut den/ die gesammelten Kontext(e) rekonstituiert, wird »er« eine eigenständige Lauteinheit, etwas, das als solches wieder geschehen kann, etwas, das sowohl seine anderen Geschehnisse und dieses Geschehnis sein kann; kurz gefasst, etwas, das derartig (such) sein kann. Sammelndes Kreuzen führt somit zu den kürzesten Einheiten. Sobald eine unvollständige Sequenz gesammelte Kontexte wiederherstellt, wird sie eine eigenständige Einheit, »ein« Teil, ein »es«, und stellt sich als solches heraus. Es stellt sich heraus, weil es nun seinen eigenen gesammelten Kontext voranträgt. Es rekonstituiert seinen gesammelten Kontext – d. h. sein Vorantragen darin – sogar ohne den Rest der Sequenz. 43 Das wird offensichtlich, sobald wir darauf achten: Die meisten längeren Worte in einer Sprache sind Kombinationen aus Silben, die auch eigenständig etwas bedeuten können. Ursprüngliche Wort-Bildung scheint Lautsequenzen heruntergebrochen zu haben bis zu Silben-Einheiten. Die ersten Worte müssen bis zu Silben-Einheiten herunter gekürzt gewesen sein. Als dann die Bildung von Worten im Sinne der Entstehung einer Sprache fertig war, wurden (und werden immer noch) neue Worte durch Kombination oder Metaphern gebildet – was nicht gleichzusetzen ist mit der ursprünglichen Sprachentstehung. Wir werden in Kürze untersuchen, was der kritische Punkt Es ist noch nicht klar, ob wir darüber als »Gebrauch« nachdenken sollen – oder ob es immer noch nur die Entwicklung der Einheiten ist, die dann später gebraucht werden. (Wahrscheinlicher ist, dass wir später deutlich sehen werden: Ja, diese Herausbildung einer kurzen Einheit ist auch ein ursprünglicher Gebrauch.) Wenn einmal kurze Einheiten geformt sind, gibt es auch ihren Gebrauch. Bis es kurze Einheiten gibt, funktioniert nur vergangenes Erleben, obwohl Muster selbst auch sammeln.
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ist, an dem die Entstehung von Sprache endet. Von dort an gebrauchen Neubildungen nur bestimmte Kombinationen aus bereits Bestehendem. Offensichtlich gäbe es noch viele Laute, die genauso nützlich wären wie die sprachlichen. Aber sobald die ursprüngliche Entstehung von Sprache beendet ist, werden durch sie keine neuen Worte mehr gebildet. Dieses Ende geschieht lange bevor alle möglichen neuen Silben ausgeschöpft sind. Damit wird ersichtlich, dass die Bildung von Worteinheiten alles andere als ein willkürlicher Gebrauch von möglichen Silben ist, sondern dass sie mit einem sehr spezifischen Prozess einhergeht, der ab einem gewissen Punkt nicht weitergehen kann. 44
f-6) Der Kontext eines Wortes; gesammelte Kontexte und Interaktions-Kontexte Sobald eine Worteinheit sich herausgestellt hat (weil sie ihre(n) eigenen Kontext(e) rekonstituiert), bewahrt sie ihre Beziehungen zu anderen Kontexten und zu anderen Worteinheiten. Wir verstehen das genau, wenn wir Folgendes berücksichtigen: Ein Kontext besteht aus vielen anderen impliziten Sequenzen, die jetzt nicht geschehen. Die geschehende Sequenz trägt Warum genau und wo genau hört die Sprache damit auf, neue Laute aufzunehmen? Wir haben jetzt ein paar solcher Fragen über den genauen Zeitpunkt, an dem eine gewisse Entwicklung stattfindet: Wir wollen etwas darüber wissen, wann keine neuen Laute mehr in die Sprache aufgenommen werden; wir wollen etwas über den Beginn des Gebrauchens und über das Kippen wissen, das heißt, ab wann der InteraktionskontextRaum (innerer und äußerer Raum) da ist. Wir können diesen Fragen die schematischen Entwicklungen an die Seite stellen, die wir bereits deutlich erkannt haben: den Wechsel vom gesamthaften Vorantragen durch Körperaussehen zum Vorantragen durch ganz bestimmte visuelle oder auditive Muster; die Herausbildung interaktiver Kontexte zusammen mit Gebärden-Sequenzen; das gemeinsame Rekonstituieren von Mustern; die Entwicklung kurzer Einheiten.
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den Kontext auf ihre Weise voran, während die impliziten Sequenzen im Kontext diesen auf andere Weise vorantragen würden. Darum ist eine Sequenz immer auch eine implizite Beziehung zu anderen Sequenzen. Wir sahen zuvor, dass die gestischen Sequenzen neue Beziehungen sowohl innerhalb der Kontexte, die sie versionieren, als auch innerhalb der Muster selbst schaffen. Bis zum Kippen geschehen die Gebärden noch als Pausen in den Sequenzen des Verhaltensraumes. Danach laufen selbst Handlungen in den sich gegenseitig implizierenden Interaktionssequenzen als übergeordnetem (innerem/äußerem) Raum ab. Jede Worteinheit ist deshalb impliziterweise ein riesiges System von sich gegenseitig implizierenden Sequenzen und zugleich ihr eigenes Geschehen, ihr eigenes Vorantragen ihrer eigenen Kontexte. Diese gegenseitig sich implizierenden Sequenzen sind gestische, und sie rekonstituieren natürlich Handlungs-Kontexte. Sowohl die Laute als auch die Kontexte implizieren sich gegenseitig, sie sind implizit als Kontext, den die Wort-Einheit rekonstituiert. Das Wort bildet sich demnach nur in gewissen InteraktionsKontexten und nur in gewissen Beziehungen zu anderen Worten und nur an gewissen Stellen innerhalb einer Sequenz. Es ist wichtig zu realisieren, dass sich auch für uns heute Worte in einer körperlichen Weise formen. Die richtigen Wörter müssen uns kommen (wenn sie nicht kommen, können wir wenig tun, außer in einer körperlichen Art warten und fühlen, was unsere Situation ist und was wir gespürt haben, als wir gerade etwas zu sagen versuchten). Es ist unser körperliches Sein in der Situation, in der wir sind, das die passenden Worte kommen lässt. Würde der Leser einen Moment innehalten und sich selbst beobachten, wird dies sofort klar. Worte »kommen einfach« beim Denken und beim Sprechen. Wie kommen sie? Wir sortieren nicht die unpassenden Worte aus, als ob wir durch eine Datei gingen. Wir »wählen« Worte nicht unter anderen Worten. Die richtigen oder fast richtigen Worte »kommen einfach«. Was 352 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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geht diesem Kommen voraus? Manchmal ein körperliches Gespür für die Situation. Aber häufig gibt es kein gesondertes Gespür dieser Art, auf das man seine Aufmerksamkeit richtet. In der Situation zu sein, lässt die Worte kommen. Das System zusammenhängender Worte und das System zusammenhängender Situationen und Interaktionen ist auf eine grundlegende Weise ein einziges System. Und auf eine andere grundlegende Weise sind es zwei miteinander zusammenhängende Systeme: das System der Worte und das System unserer gelebten Situationen. Schematisch gefasst, besteht der grundlegende Zusammenhang zwischen den beiden in der Weise, wie Muster Situationen rekonstituieren (wir sie fühlen, haben, sequenzieren über eine Zeitspanne), ohne sie so zu verändern wie Handlungen. Ein Muster ist ein Muster von …. und es lässt uns eine Situation versionieren, ohne dass wir handeln. Nach dem Punkt des Kippens jedoch werden diese gestischen Sequenzen zur Haupthandlung (Interaktion). Andere Kennzeichen werden entscheidend für den Unterschied, eine Situation zu ändern oder nur etwas in einer Situation zu tun oder nur darüber zu sprechen. Die elementare Trennung besteht nicht mehr zwischen Gebärden und Handeln. Nach dem Kippen sind die beiden Systeme nicht mehr länger zu unterscheiden durch die Differenz zwischen Gebärden und Handeln. Nun besteht der Unterschied eher zwischen den eigenen gesammelten Kontexten der Worte auf der einen Seite und der spezifischen gegenwärtigen Situation, die mittels der Worte jetzt, das heißt vermittelt vorantragen wird. Dadurch werden die Situationen ge-artet (kinded), so dass jede Situation nicht nur diese eine ist, sondern auch eine Situation einer gegebenen Art. Der Unterschied bleibt deshalb bestehen. Worte werden gebraucht (denn sie tragen immer ihre eigenen Kontexte voran, und sie tragen diesen einen Kontext jetzt nur in vermittelter Weise voran). Interaktionen werden nicht gebraucht – man ge-
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braucht Worte in Interaktionen. Natürlich ist der eine Sprechakt beides. Das will ich im Folgenden genauer zeigen. Sie sagen zu Ihrem Freund: »Ich bin müde. Hören wir für eine Weile auf zu arbeiten.« Sie gebrauchen vorhandene Worte. Aber die Interaktion ist frisch, Sie sind jetzt müde. Könnten wir zu sagen versuchen, dass auch die Interaktion gebraucht wird? Man könnte meinen, dass es in unserer Kultur angemessen ist zu sagen, dass jemand müde ist. Damit verschafft man sich normalerweise eine Ruhephase oder eine erlaubte Beendigung der Arbeit. In einer anderen Kultur müsste man eine andere Entschuldigung gebrauchen. Aber nun gibt es einen Unterschied! Ihr Freund wird es Ihnen übelnehmen, wenn das tatsächlich eine taktische Wendung wäre, die Sie gebrauchen – aber es kommt keine Irritation auf, wenn Sie Worte gebrauchen. Wir sehen zwar, dass Interaktionsschritte gebraucht werden können, aber das ist ein Spezialfall. Im Normalfall formen sich Interaktionen nicht als vorhandene und zu gebrauchende Wendungen. Der Sprechakt wird in Form von Worten gebraucht, aber als Interaktion ist er frisch. Es gibt hier zwei Systeme von Kontexten: die gegenseitig impliziten Situationen, die ich als Lebens-Interaktions-Kontext bezeichne, und die gegenseitig impliziten gesammelten Kontexte jedes Wortes, welche ich als das sprachliche System die gesammelten Lebens-Interaktions-Kontexte nennen werde. Die Worte tragen demnach immer ihre eigenen Lebenskontexte voran, und wir gebrauchen sie, um den gegenwärtig frischen Kontext, in dem wir leben, voranzutragen. Wir können feststellen, dass Kultur als System der Kontext aller gesammelten Lebens-Interaktionen ist – es ist das gleiche System, das sich zusammen mit der Sprachbildung als Arten von Situationen herausbildet. Wir sahen zuvor ja schon, wie sich der Interaktions-Kontext und die Sprache zusammen bilden. Die Interaktions-Kontexte, in denen wir leben, sind einzig-
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artig, obwohl natürlich der Kontext der gesammelten Lebensinteraktionen jeweils schon implizit in unseren Situationen ist. Wir wollen nicht vergessen, dass vor der Sprache, selbst vor den Menschen, der Verhaltensraum schon sehr komplex ist. Gebärden und Muster versionieren und elaborieren das deutlich. All das verschwindet keineswegs, so als ob uns nur relativ wenige Arten von Verhältnissen, nämlich Abstraktionen, übrig blieben. Verhältnisse als Arten versionieren und rekonstituieren Situationen mit all ihren Details und ihrer Komplexität. Darum geschieht sehr viel mehr, als in Arten ge-artet ist. Auch in den ge-arteten Situationen und in den gesammelten Kontexten geschieht viel mehr als das, was in ihnen ge-artet ist. Es ist auch klar, dass enorm viel gekreuzte Komplexität in den gesammelten Kontexten als solchen geschieht; Worte können mehr kulturelle Bedeutung haben, als ein Individuum erfassen kann, und gewöhnlich haben sie dies. Auf jeden Fall ist Gesammeltes nicht ärmer. Allgemeines ist nicht nur Gemeinsamkeit. 45 Und Individuen sind nicht nur rein kognitiv – sie sind Körper, die den gesammelten Lebens-Interaktions-Kontext implizieren. Die frischen Situationen, die wir leben, können selbstverständlich über den gesammelten Lebens-Interaktions-Kontext hinausgehen, da sich, was wir leben, frisch herausbildet. Aber es muss zugleich klar sein, dass der gesammelte Lebens-Interaktions-Kontext bei weitem über das hinausgeht, was wir reflektieren können. (Wir haben noch nicht die Art von Sequenzen diskutiert, in denen wir reflektieren, wie wir interaktionell leben.)
Im Appendix zu f) am Ende des Kapitels VII-B findet sich eine Auseinandersetzung damit, wie Details eben nicht herausfallen und dass allgemeine Formen nicht jene Gemeinsamkeiten sind, aus denen die Differenziertheiten herausgefallen sind. Damit wollen wir uns weiter hinten beschäftigen, um der jetzigen Diskussion zu erlauben, direkter zu ihren Ergebnissen zu kommen.
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f-7) Syntax Eine kürzere Einheit war ein Ereignis in der längeren Sequenz, bevor sie sich als solche herausgestellt hat. Wie jedes Ereignis in einer Sequenz implizierte sie den Rest der Sequenz. Da kurze Einheiten Kontext(e) selbst vorantragen, wird die Sequenz jetzt recht anders. Aber jede Einheit impliziert immer noch den Rest der Sequenz (jetzt der neuen). Der Gebrauch eines jeden Wortes verändert, welche anderen Worte jetzt gebraucht werden können. Wir sahen dies bereits hinsichtlich der verflochtenen Beziehungen (interrelation) von Situationen (Kontexten) und auch hinsichtlich der verflochtenen Beziehungen von Worten zueinander. Der Gebrauch eines jeden Wortes verändert, welche anderen Worte geschehen könnten, um zu vervollständigen, was einmal eine gestische Sequenz war. Im vorherigen Beispiel sagten Sie zu Ihrem Freund: »Ich bin müde. Lasst uns aufhören zu arbeiten.« Sie hätten nicht sagen können: »Ich bin rund«, weil das Wort »rund« zu einem anderen Kontext gehört. Aber Sie könnten auch nicht sagen: »Ich bin müde. Lass uns«, weil das Wort »lass« impliziert, dass ein anderes Wort kommen wird. Jedes Wort ist impliziterweise auch das System all der Worte, die nachher kommen könnten, und manchmal auch von Worten, die später im Satz zu folgen haben. Man könnte einen Satz mit »lass uns« beenden, wenn eine Geste oder ein Zeichen folgen würde, zum Beispiel könnte man zur Tür weisen. Dies zeigt, dass es eine Interaktions-Einheit ist, die zu folgen hat, es muss nicht unbedingt ein Wort sein. Aber Worte implizieren diese Stelle (slot) für andere Worte, auch wenn es noch keinen Bedeutungs-Inhalt gibt, der einzusetzen ist. Das sieht man auch an der Ordnung der Worte. Man kann nicht sagen: »Bin müde ich«, obwohl die Bedeutung klar wäre. Man kann auch nicht sagen: »Ich bin Müdigkeit.« Man hat bemerkt, dass die syntaktische Struktur der Sprache viel komplexer ist, als die Bedingungen von Bedeutung es 356 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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rechtfertigen würden. Es ist zudem eine merkwürdige Art von Struktur, die man schwer auf explizite Regeln reduzieren kann. Es ist vielmehr jene Struktur, die der Körper hat und macht. Sie manifestiert den körperlichen Ursprung des Charakters von körperlichen Verhaltenssequenzen und ihrer Beziehungen zueinander. Syntax hat die Komplexität und die gegenseitig verflochtene Wechselbeziehung, die für den Körper charakteristisch ist. Wir können das Bedürfnis nach einem bestimmten Wort nicht nur durch die Situation fühlen, in der wir sind, sondern auch durch die Worte, die wir bis zu einem gewissen Punkt gebraucht haben. Das Wort ist in gerichteter (focally) Weise impliziert, selbst wenn es nicht kommt, ähnlich wie Ausatmen impliziert ist, wenn wir unseren Atem anhalten, oder wie Nahrung es ist, wenn wir hungrig sind. Darum ist es kein Mysterium, dass Menschen sprechen können, ohne die »Regeln« der Syntax zu kennen, genauso wie sie es schaffen, sich auf einen Stuhl zu setzen, ohne hinzufallen, obwohl sie weder ihre Anatomie noch Physik kennen. Die »Regeln«, die wir explizieren, sind ein sehr spätes Produkt, und sie allein genügen nicht – wenn wir nur die besagten »Regeln« hätten, würden wir nicht sehr gut sprechen, und wir könnten nicht alles tun, was wir mit Sprache tun. Hätten wir nur Regeln, wie man sitzt, würden wir hinfallen. Aber diese »Regeln« zeigen dennoch, wie ein Aspekt des Möglichkeitsraumes sein kann, ein Aspekt der gesammelten Lebens-Interaktions-Kontexte, die ein Wort mit sich bringt und in einer körperlichen Weise rekonstituiert, die wir fühlen können. Darum ist es auf eine Weise richtig zu sagen, dass die Struktur der Syntax angeboren ist, 46 genauso wie auch viele Verhaltensweisen und Interaktionen es sind. Man könnte viele strukturelle Aspekte des Verhaltens und der Interaktion explizieren. Was wir gesagt haben, bietet einen Weg an, um Chomskys Sichtweise zu verstehen.
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Das Verhältnis zwischen gelernt und angeboren muss wieder aufgenommen werden – jede Sequenz ist beides, und zwar in vielfältiger Weise. Natürlich ist die Syntax nicht allein als solche angeboren. Der Körper ist vererbt. Wir haben gesehen, dass der lebendige Körper ein funktionales und ein Interaktionssystem ist. Seine fortgesetzte Interaktion mit der Umwelt ist vererbt inklusive der Art, wie Zellen gebaut werden, inklusive der Balztänze, der gestischen Körper-Ausdrucks- Interaktionen und der grundlegenden menschlichen Interaktions-Kontexte. Die Syntax hängt mit all dem zusammen. Aber es erscheint mysteriös, wie Syntax in den Körper »eingebaut« sein kann, so wie ihn die Physiologie konzeptualisiert. Das betrifft aber genauso alles funktionelle Implizieren, jede verhaltensmäßige und menschliche Interaktion. Der animalische Organismus ist zu einfach und zugleich zu mechanisch konzipiert worden. Darum gibt es keine Brücken von physiologischen Konzepten zu denjenigen, die das Verhalten betreffen. Wie im Körper des Eichhörnchens das Vergraben der Nuss »eingebaut« sein soll, ist genauso mysteriös wie die Syntax. Aber es besteht überhaupt keine Lücke zwischen dem Körper, dem Verhalten und der Physiologie. Die Lücke besteht nur zwischen der Art von Konzepten, die gegenwärtig von der Physiologie gebraucht werden, und jener Art von Konzepten, die wir brauchen, um tierisches Verhalten und symbolische Interaktion zu studieren. Darum war es für uns nötig, den Körperprozess zu rekonzeptualisieren (Kapitel I-V). Es stimmt wohl, dass Physiologie-Bücher den Körper gewöhnlich auch funktional und interaktionell beschreiben. Aber die detaillierten Konzepte bewegen sich innerhalb des alten Einheits-Modells, so dass es nicht möglich ist, über spezifische körperliche Prozesse in funktionalen Begriffen nachzudenken. Wir haben hier einige, wenn auch nur sehr allgemeine Schritte in Richtung neuer spezifischer Konzepte über den Körperprozess getan, die uns über den körperlichen Charakter von Verhalten und Symbolisierung nachdenken lassen. 358 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Sprachbildung: Zwei Arten von Kreuzen
Angeboren sind natürlich nicht »die Regeln«, wie Linguisten es formulieren. Der Körper ist vererbt – aber nicht nur der physische Körper, sondern auch all seine Funktionen. Tatsächlich ist der physische Körper selbst ein Produkt seines Funktionierens, des Lebensprozesses. Wir erben nicht nur Lungen, sondern auch, wie wir atmen, und wir erben nicht nur den Magen, sondern wie dieser verdaut und welche Nahrungsmittel er zu sich nehmen kann. Das gilt auch für dasjenige, was gelernt werden muss. Nichts kann gelernt werden, es sei denn, dieser Organismus hat bereits die Art von Struktur, die es ihm möglich macht, genau das zu lernen. Ein Teil der Struktur des menschlichen Gehirns hängt mit Sprache zusammen und auch vieles, würde ich hinzufügen, im menschlichen Körper. Die Entwicklung von Sprache und Kultur ist die Entwicklung der Menschheit und eines Körpers, der sich von anderen lebendigen Körpern unterscheidet. Diese Entwicklung ist nicht nur eine Frage des Gehirns, sondern des ganzen Körpers, in dem das Gehirn funktioniert, als ganzes System von Aktion und Interaktion, die der Körper impliziert. Kein Zweifel, es kann hierfür viele unterschiedliche Konzepte geben, und bessere können entwickelt werden. Aber wir können hier zumindest damit zufrieden sein, dass wir nun einen Satz von Begriffen und damit zusammenhängend von Ableitungen und Fragen haben, die uns unsere Begriffe gestatten. Damit können wir ein Terrain betreten, das bislang noch ein weißer Fleck auf der theoretischen Landkarte war, oder, um die Metapher zu wechseln, die hier entwickelte Art und Weise, wie Körper und Sprache zusammenhängen (und vieles anderes, was wir diskutiert haben), lässt uns eine ganze Ebene tiefer über Themen nachdenken, als wir es bislang konnten.
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f-8) Sprachgebrauch; neue Situationen Wir sahen bereits, dass wir immer an einem spezifischen »Punkt« im gesammelten Lebens-Interaktion-Kontext sind, der natürlich davon abhängt, wie es uns in unserem interaktionellen Lebenskontext geht (in dem der gesammelte Lebens-Interaktions-Kontext implizit ist.) Darum gibt es einen Satz von Sprechakten, der in einer Situation fokussiert impliziert sein kann. Genauer gesagt, sind es gewisse weitere Interaktionen, die in fokussierter Weise impliziert sind (das macht ja eine Situation aus, dass ihr entsprochen werden muss, das heißt, sie erfordert oder impliziert weitere Handlungen). Nur einige dieser fokussiert implizierten Interaktionen sind Sprechakte. Entsprechen die Umstände einer gewohnten Routine, entspricht die nächste Interaktion auch dieser Routine. Selbst wenn eine Situation neu ist und wir nicht genau wissen, was wir tun oder sagen sollen, besteht dennoch ein subtiles und präzises Implizieren einer nächsten Interaktion. Aber diese ist dann neu und noch nie geschehen. Wie etwas, das noch nie geschehen ist, in gerichteter Weise impliziert sein kann, mag überraschen. Aber es ist ganz und gar nicht überraschend! Gemäß unserem Schema verhält es sich von Anfang an so. Verändern sich die Umstände, stirbt der Körper oder etwas Neues geschieht (siehe Kapitel VI, V und VI). Ein Körper-Ereignis ist ein »Alles-durch-Alles«-Geschehen, es ist immer auch das Implizieren einer nächsten (und ganzen) Sequenz. Aber wir sagten auch immer, dass selbst dann, wenn ein Beobachter genau zu wissen scheint, welches nächste Ereignis in gerichteter Weise impliziert ist, Implizieren nicht gleich einer strukturierten Sequenz ist. Es ist eher ein Implizieren irgendeiner Weise des Vorantragens, nicht unbedingt derjenigen, die dem Beobachter bekannt ist. Auf diese Weise konnten wir klarer über Entwicklung und Erneuerung nachdenken. Eine neue Sequenz geschieht statt der360 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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jenigen, die gewöhnlich durch ausgerichtetes Implizieren geschieht. Die neue ist dann über die alte pyramidisiert. Die alte wird geschehen, wenn die neue nicht geschehen kann. Jede Sequenz ist – von ihrer Warte aus – neu. Die neue Sequenz ist eine neue-neue (die alte war auch eine neue). Nun haben sich diese silbenhaften Worteinheiten (und Kombinationen) entwickelt, die ihr eigenes Vorantragen ihres/ ihrer eigenen Kontexte/s sind. Wie immer, ist die Herausbildung der gegenwärtigen Sprechsequenzen frisch und neu. Aber es ist eine Herausbildung einer neuen Einteilung vorhandener Einheiten, die ihr Eigenes vorantragen. Dies will ich genauer erklären. Die Herausbildung dieser Worte in diesem Satz ist jetzt die Interaktion, die, wie wir sagten, sich frisch formt. Linguisten erstellen »Regeln«, weil Sprachgebrauch kreativ ist. Was gesagt wird, ist nicht nur Regelmäßigkeit. Das Gesagte zeigt eine große kreative Vielfalt. Aber es gibt eine Regelmäßigkeit, wie diese kreativen Sätze strukturiert werden müssen. Der Begriff der »Regeln« spricht diese Art von Regelmäßigkeit in der Herausbildung der unregelmäßigen kreativen Vielfalt innerhalb gewisser Regulierungen an. Diese Regeln betreffen nicht nur Reihenfolge und Kombination. Wie wir sahen, impliziert jedes Wort, welche anderen Worte als nächste kommen können, nicht nur hinsichtlich der Reihenfolge von Sequenzen, sondern auch hinsichtlich der Bedeutungs-Kontexte. Man ist immer an einem gewissen Punkt innerhalb seines interaktionellen Lebenskontextes und dadurch an einem gegebenen Punkt des gesammelten Lebenskontextes. Wenn genaue Worte und Sätze nicht vorhanden sind, dann gibt es trotzdem noch ein genaues Implizieren des eigenen Seins im InteraktionsLebens-Kontext. Es ist nun dieses Implizieren, welches zu einem erneuten »Alles-durch-Alles«-Geschehen der vorhandenen Worte führt
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(und der umfassenden Systeme impliziter Sequenzen, die jedes Wort ist). Sprachgebrauch ist nach unseren schematischen Begriff dieses erneute »Alles-durch-Alles«-Geschehen. Man könnte jedes erneute »Alles-durch-Alles«-Geschehen als ein Wiedergeschehen (re-eveving) bezeichnen, aber ich benutze diesen Begriff hier, weil Worte ein Repertoire konstituieren. »Repertoire« ist ein anderes Wort, das Gebrauch und Wiedergeschehen von »Allem-durch-Alles« (re-eveving) anzeigt: Jeder Bestandteil des Repertoires ist bereits sein eigenes Wiedergeschehen von »Allem-durch-Alles«. Wenn man es gebraucht, schafft man ein frisches »Alles-durch-Alles«-Geschehen. Im nächsten Abschnitt wird dies klarer.
f-9) Diskursiver Wort-Gebrauch vs. Kunst; Erneutes »Alles-durch-Alles«-Geschehen vs. Wieder-Wiedererkennen (re-eveving vs. re-recognition) Wenn ein Maler ein Motiv ausborgt, beispielswiese einen zerklüfteten toten Baum, wie ihn Ruysdael frisch kreiert hat, sagen wir dann, das Motiv sei »gebraucht«, so wie Worte gebraucht werden? Die Antwort ist nein, aber warum eigentlich nicht? Schließlich ist bekannt, dass ein solcher Baum einen desolaten und zugleich dramatischen Effekt stiftet. Wenn man diesen Effekt will, könnte der Maler einen solchen Baum »gebrauchen«. Wir könnten uns vorstellen, dass ein Bild fast ausschließlich aus solchen bekannten Elementen besteht – und häufig wird sehr schlechte Kunst so fabriziert. Ein gemalter Baum ist ein visuelles Muster. Die Qualität seiner Linien und Farben affiziert uns. Eine Melodie affiziert uns durch die Qualität ihrer Ton-Muster. Dagegen affiziert uns ein Wort nicht durch die Qualität seines Laut-Musters. Wir müssen das Wort wieder-erkennen (wieder – wie beim Wieder-geschehen des »Alles-durch-Alles«), und wir müssen auch 362 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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das Laut-Muster, aus dem das Wort besteht, wiedererkennen. Aber dieses Wiedererkennen hat eine Wirkung, die unabhängig ist von der Qualität des Lautmusters als Ton. Außer bei den wenigen Worten, die onomatopoetisch sind, spielt die Wirkung des Lautes keine Rolle. Wenn der Künstler einen Baum von Ruysdael benutzt, ist es immer noch die Qualität des visuellen Musters, das uns affiziert. Wenn zum Beispiel statt des Baumes eine kleine Tafel hineingezeichnet wäre, auf der »dramatischer einsamer Baum« stünde, würde dieser Effekt nicht eintreten. Der Baum muss auch hinsichtlich seiner Linien- und Farbmuster mit dem Rest des Bildes visuell zusammenarbeiten. Dagegen muss ein Wort mit anderen Worten nicht hinsichtlich seiner Tonqualität zusammenarbeiten, sondern hinsichtlich des Systems anderer Worte und Sequenzen, die das Wort impliziert. Der Ton spielt keine Rolle – außer in der Dichtung, die wieder eine Form von Kunst ist. Jedes Kunstwerk ist ein frisches neues Ganzes, das nicht aus Einheiten gemacht wird, deren jede ihr eigenes Ganzes ist. Das ist ein zweiter Unterschied. Hat dies mit dem obigen Sachverhalt zu tun, dass Kunst ihre Wirkung immer noch als auditive und visuelle Qualität ausübt? Ja. Sowohl Sprache als auch Kunst kreieren frische Ganzheiten, und von beiden kann man sagen, dass die Wirkung ihrer Teile im Kontext eine andere ist als getrennt davon. Aber die Einheiten der Sprache sind sozusagen selbst-abgeschlossen. Jede Einheit muss zuerst ihre eigene Wirkung haben, erst dann bauen sich diese Effekte zu einem Ganzen zusammen, das wiederum alle modifiziert. Wenn Worte immer noch durch Lautqualität vorantragen würden, würde jedes folgende Worte im akkumulierten Effekt verschmelzen. Ein Laut nach diesem Laut hat eine völlig andere Wirkung als nach jenem. Der einzige Grund, warum Worte von dieser Verschmelzung unabhängig sind, ist der, dass ihre Wirkung auf Bedeutung und nicht auf Ton beruht. Und Bedeutung ist eben kein Ton-Effekt. Ihre Wirkung beruht nicht länger auf der Ton-Qualität, sondern auf einem »wieder363 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Wiedererkennen«. Hinsichtlich des schematischen Gebrauchs dieses Begriffs wäre es wieder-wieder-Wiedererkennung, weil ich den Begriff schon zweimal zu früh gebraucht habe. Hier wird er jedoch in einer anderen Weise gebraucht, nämlich gerade nicht dadurch, dass der Körper seine eigenen »expressiven« Hervorbringungen wiedererkennt. Dieses Verhältnis bleibt noch erhalten in der Gesamtwirkung der eigenen Rede, indem man auf die Bedeutung, die man ausdrückt, reagiert. Wenn diese nicht dem entspricht, was man vermitteln wollte, hört die Sequenz auf. Unser Terminus Technicus der wieder-Wiedererkennung trifft also auf die erzielte Bedeutung zu. Sie trifft nicht auf die unabhängige Bedeutung jedes Worts oder Ausdrucks zu. Die Begriffe, die ich für dieses neue Verhältnis gewählt habe, sind »Erneutes-›Alles-durch-Alles‹-Geschehen« (»re-eveving«) oder »Repertoire«. Die Wort-Einheit ist, in einer selbst-abgeschlossenen Weise, ihr eigenes »Alles-durch-Alles« und ein Vorantragen ihres eigenen Kontextes, und dieses eigenständige »Alles-durch-Alles« geschieht dann erneut in Sprech-Akten.
f-10) Neuer Ausdruck Kunst kreiert neue visuelle, auditive und Bewegungs-Muster. Diese funktionieren dann in den meisten anderen Handlungen und Interaktionen. Neue Kunstformen beeinflussen heute noch unsere Wahrnehmungsweise. Bildnerische Kunst beeinflusst, wie wir die Natur sehen, unsere Möbel entwerfen, unsere Zimmer einrichten; und welche Tonfolge uns als erstes Musik wahrnehmen lässt, hat Einfluss darauf, was für uns schön und was nicht schön klingt. Indem sie Aspekte unserer Welt versioniert, kreiert Kunst aber auch immer wieder neue Muster, die als Muster zuvor noch nicht versioniert wurden. So werden zum Beispiel Industriemaschinen und ihre Geräusche in der Musik wie in der Malerei versioniert, und diese Muster werden dann wie364 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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derum in neuem Fabrikdesign genutzt. (Ich wünschte mir, dass die gegenwärtige Musik auch alltägliche Lärm-Entwicklung beeinflussen würde, aber bis jetzt hat sie dies, soweit ich weiß, nicht getan.) Als sich das erste Mal Muster für Menschen bildeten, waren sie nicht Kunst. Sie waren kultur- und menschenbildend. Damals wie heute versionieren die Muster gewöhnliche Kontexte (versionieren = sequenzieren, d. h. sie lassen sie uns fühlen, sie lassen uns damit Zeit zubringen). Damals wie heute sind diese Muster symbolisch für unsere Lebenskontexte, weil sie versionieren. Obwohl sie nur Muster sind, sind sie auch ein körperliches Fühlen und Haben der Lebenskontexte, die sie rekonstituieren. Aber es gibt einen großen Unterschied: Jetzt sind diese Muster Kunst, d. h. ein getrennter und anderer Kontext, nicht Leben, sondern Kunst. Aber nicht die Kunst hat sich verändert – in der Kunst bewirkt ein neues Muster, was es schon immer bewirkt hat: Es versioniert unser Leben auf neue Weise und elaboriert und erschafft es neu. Was sich verändert hat, ist, dass es jetzt Sprache gibt, und unsere Lebenssituationen (und unsere InteraktionsKontexte) haben sich jetzt mit Sprache strukturiert. Darum können jetzt visuelle, auditive oder BewegungsMuster in keiner Weise mehr (mit Ausnahme von Kapitel VIII, wie wir sehen werden) wie ein »erster Tanz« wirken und unsere ganze Kultur regenerieren. Ihre Wirkung ist nun weniger stark (und dennoch sehr wertvoll). Als sich Sprache entwickelte, geschah auch eine Trennung zwischen Sprache und Kunst. Diese Trennung kommt von den selbst-abgeschlossenen Einheiten der Sprache, die ich auch diskursiv nenne, im Unterschied zu einem neuen visuellen oder auditiven Ausdruck, der jeweils ein neues Kunstwerk ist. Aber an welchem Punkt wurde Kunst abgespalten, so dass ein kultur-regenerierender neuer Ausdruck nicht mehr als ein »erster Tanz« geschehen konnte? Es ist der gleiche Punkt, an dem sich kurze, unabhängig funktionierende Einheiten der Sprache entwickelten. 365 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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f-11) Frische Sätze Nachdem wir jetzt genauer gesehen haben, was diskursive Einheiten sind, können wir nun die Diskussion über die frische Herausbildung im Sprachgebrauch abschließen. Als Interaktion sind Sprechakte immer eine frische Herausbildung. Als Wortgebrauch sind sie ein erneutes »Alles-durchAlles«-Geschehen (re-eveving), da jedes Wort und jeder Ausdruck bereits sein eigenes »Alles-durch-Alles«-Geschehen (eveving) ist. Die »Regeln« sind im Sinne dieses erneuten »Alles-durchAlles«-Geschehens (re-eveving) zu verstehen, als Weisen, wie man Einheiten zusammenfügen kann, von denen jede einzelne ein riesiges System impliziter Sequenzen, das heißt möglicher weiterer Schritte ist. Während bis zu diesem Punkt eine ganze Sequenz höchstwahrscheinlich ohne Unterbrechung durchlief (wie wir in Kapitel VI unter »relevant machen« beschrieben haben), bevor sich eine neue Sequenz bildete, gibt es nun ein neues »Alles-durchAlles«-Geschehen zwischen jeder Einheit und der nächsten. Damit haben wir »Erneutes Alles-durch-Alles« (re-eveving) nochmals anders definiert. Was wie ein System von Regeln aussieht, das zu Einheiten hinzugefügt wird, um diese zu kombinieren, ist tatsächlich jeder Einheit inhärent. Jede Einheit besteht aus vielen impliziten Sequenzen. Einheiten zu kombinieren heißt: das »Alles-durchAlles«, das jede Einheit ist, erneut als »Alles-durch-Alles« geschehen zu lassen. Dadurch wird eine neue Art von Erneuerung möglich, die nicht nur aus neuen Ton-Mustern besteht. Diese neue Art von Erneuerung sind Kombinationen, die bestehen bleiben als selbständige Einheiten und als Metaphern (siehe »Experiencing and the Creation of Meaning«), in denen dieselbe Einheit einen radikal neuen Kontext erhält. Dieser entsteht in der Metapher durch Kreuzen des alten und des neuen Gebrauchs des Wortes. 366 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Es gibt auch andere Wege, wie neue Worte und Ausdruckweisen entstehen, aber sie entstehen immer aus dem feststehenden Bestand uralter silbenhafter Wort-Einheiten. Sogar der eingespielte, alltägliche Wortgebrauch ist kreativ. Genau die Sätze, die wir sagen, sind vielleicht noch nie zuvor gesagt worden. Der Lebens-Interaktions-Kontext (die Weise, wie alle unsere Situationen ineinander implizit sind) geschieht jetzt auf eine ganz bestimmte Weise. Dennoch sind unsere Situationen sprachstrukturiert. Die Interaktions-Kontexte haben sich mit Sprache entwickelt, und sie werden sich mit ihnen weiterentwickeln. Was die eine Situation strukturell von der anderen unterscheidet, was die eine Situation zum Beispiel zu einer Lernsituation und die andere zu einer Situation freundlicher Diskussion macht, ist nicht in zwei getrennte Systeme aufzuteilen – einerseits in Situationen und andererseits in den Sprachgebrauch darin. Ohne Sprache gäbe es überhaupt keine Weise, so viele unterschiedliche Arten von Situationen zu haben. Nur wegen der Nuanciertheit der Sprache sind unsere Situationen so variiert und fein strukturiert. Andersherum gesagt: Die Herausbildung der Sprache ist auch die Herausbildung subtil unterschiedener Situationen. Die Situationen sind natürlich nicht nur dadurch unterschieden, was man in ihnen sagt, sondern auch, wie man in ihnen interagiert. Aber so viel davon ist gesprochene Interaktion, dass der Rest nicht davon zu isolieren ist. Wenn all dies isoliert aufgefasst wird, wird es unklar. Kultur wurde in Bezug auf merkwürdige Rituale und Glaubensweisen erforscht. Aber natürlich ist Kultur die Art und Weise, wie man sich in verschiedenen Situationen benimmt; Kultur ist, was diese Situationen sind. Kultur ist, wie man »Auf Wiedersehen« sagt und was man sonst tut, bevor man geht; wann man aufsteht, um zu gehen und die Art von Treffen, die man haben kann; die Rollen, die verschiedene Arten von Menschen einnehmen; wann man sich beleidigt fühlt und wann und wie man über etwas hinwegsehen kann; wann und wie man kämpft und argumentiert und worüber. Kurz gesagt, Kultur ist das in-Muster367 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Fassen von Situationen, und das ist zu einem großen Teil (natürlich nicht ganz) linguistisch. Man würde die wichtigsten Lebensinteraktionen ignorieren, wenn man sagen würde, alles wäre linguistisch – aber selbst die ganz physischen oder spirituellen Interaktionen, die scheinbar vor oder jenseits der Worte liegen, sind impliziterweise reich an Unterscheidungen und Erfahrungen, die Worte brauchen oder gebraucht haben als Teil dessen, was geschieht. Sprache muss als Teil des Systems von kulturell strukturierten Situationen verstanden werden, das heißt von Rollen, Identitäten, Lebensprozessen und Interaktionen. Nur so können wir mühelos darüber nachdenken, wie es sein kann, dass es selbst dann, wenn wir in einer ganz neuen Situation sind und nicht wissen, was wir tun oder sagen sollen, ein Implizieren dazu gibt, was als nächstes zu tun ist und sogar, was zu sagen ist. (Zusätzlich kann in Kapitel VII unterschieden werden zwischen einem Sprechen als Interagieren und einem Sprechen, das nur »darüber« spricht. Es gibt eine starke Tendenz dahingehend, dass Über-etwas-Sprechen selbst schon Interaktion wird. Sie vertrauen sich dieser Person an, um mit ihr über Ihre Beziehung zu einer anderen Person zu sprechen. Dabei leben Sie zugleich Ihre Beziehung zu dieser neuen Vertrauensperson. In dieser neuen Beziehung verändert sich auch dasjenige, worüber Sie sprechen. Dieses ist nun selbst Interaktion.) An jedem Punkt unseres Lebensprozesses (living) sind Worte impliziert, die entweder diese Situation vorantragen oder auch »nur« über sie sprechen und dazu verhelfen, eine Situation zu haben, zu fühlen, zu spüren und zu sequenzieren, ohne sie zu verändern (so wie ein Interagieren mit den beteiligten Personen sie verändern würde). Sprache ist immer implizit, nie nur hinzuaddiert. Wenn wir in Worten irgendein privates Gefühl explizieren, das völlig autistisch und ganz und gar eigentümlich (nur als unser ganz eigenes) erscheint, sind Worte dennoch bereits darin implizit, weil 368 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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sie in unserem Leben überhaupt, in unseren Körpern und Interaktionen implizit sind. Wenn wir Gefühle in Worte fassen, dann ist es nie das erste Mal, dass Worte und dieses Fühlen aufeinandertreffen. Seit Kapitel V haben wir gesehen, dass die Entwicklung von Neuem 47 leicht denkbar ist, solange man nicht mit der Voraussetzung beginnt, dass weitere Geschehnisse aus bereits existieJe mehr Entwicklung da ist, umso mehr Erneuerung geschieht. Beides beschleunigt exponentiell. Menschen sind par excellence Prozesse, die sich selbst Schwierigkeiten bereiten und zu Stopps führen können. Es muss keine Veränderung der Umwelt gewesen sein, die zum Stopp geführt hat, es könnte auch vom Körper ausgelöst worden sein (siehe hierzu den Abschnitt über die vermehrte Sensibilität). Jede Sequenz ist ein Strang von Kontexten vieler impliziter Sequenzen. Deshalb kann das, was als die gleiche Handlung erscheinen mag, jedes Mal mit unterschiedlichen, entwickelteren impliziten Sequenzen wieder geschehen. Es kann jedoch ein Punkt erreicht werden, an dem auch diese gegebene Sequenz selbst nicht mehr geschehen kann und das gegebene Vorantragen nicht länger voranträgt. Dies ist in der modernen Kultur gut feststellbar. Wir werden »zu sensibel«, wie man sagt, um zu essen, um Profit zu machen, um uns zu verteidigen, um sexuellen Verkehr zu haben und vieles andere, und das alles unter Bedingungen zu tun, die unsere Vorfahren noch ohne Probleme vorangetragen haben. Wir können eine Verhaltensweise noch ausführen, aber wir werden nicht mehr körperlich und vollständig vorangetragen, darum können wir das nicht tun, was unsere Körper als nächstes implizieren würden. Stattdessen geraten wir in einen Stopp und damit in eine neue Situation mit einem neuen Implizieren. Wir können nicht erwarten, dass wir immer Wege finden, diese neue Situation voranzutragen, aber wir sollten es versuchen. Es gibt kein einfaches Zurückgehen zu einer geringeren impliziten Komplexität. Wir können es Kreativität oder Neurose nennen, wir können die alten Zeiten als primitiv oder spontan bezeichnen, das spielt alles keine Rolle. Es ist ein Fehler zu denken, dass wir zur ewigen Wiederkehr des Gleichen zurückkehren wollen, so wie Nietzsche es sah. Natürlich hat er recht, dass wir Wege finden müssen, um unsere Körper, unsere Arbeit und unsere Fortpflanzung voranzutragen. Keine Anhäufung von Verhalten kann den Körperprozess ersetzen, man kann nicht von Verhalten allein ernährt werden. Andererseits muss auch der komplexeste menschliche Raum ermöglichen, uns noch zu ernähren, zu schlafen und uns fortzupflanzen.
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renden Einheiten oder Orten bestehen. Wir konzeptualisieren weiteres Geschehen als »Alles-durch-Alles«-Geschehen, das heißt, dass alle vorhandenen Strukturen einbezogen werden und dass das nächste Ereignis trotzdem neu sein kann. Strukturen funktionieren nicht als sie selbst (so dass das Resultat mit ihnen konsistent wäre), sondern sie funktionieren im gegebenen »Alles-durch-Alles«. Darum sind Lebensereignisse inhärenterweise immer neu.
Aber all das muss nicht wie leere Allgemeinheiten betrachtet werden, als ob Details nichts ausmachen würden. Wir sind mitten in einer ganz neuen Phase in der Entwicklung des Individuums. Ein großer Anteil von Menschen in der Welt entwickelt ein von innen gefühltes Selbst, das die kulturelle Rollenidentität überschreitet. Der Rest wird auch bald dazukommen, weil es eine kulturelle Entwicklung ist. Darum müssen wir weder überrascht darüber sein noch uns darüber aufregen, wenn viele traditionelle Muster für uns nicht mehr länger möglich sind. Es entwickeln sich langsam neue Muster, aber wir können als Individuen nicht eine ganze Kultur regenerieren. Wir können selbst nicht all die neuen Muster entdecken, die wir brauchen, um unser Leben in jeder Situation voranzutragen. Gewiss ist diese Art von Kulturkreation für ein Individuum allmählich normal. So wie von einem gewissen Zeitpunkt an die Kultur von Ort zu Ort unterschiedlich wurde, wachsen nun auch die individuellen Varianten zu einem erheblichen Faktor an. Aber Menschen sind auf inhärente Weise interaktionell, und auch die größte Kreativität, die ein Individuum haben könnte, würde nicht garantieren, dass immer ein Weg gefunden werden kann, um eine Interaktion voranzutragen. Ich werde dies in Kapitel VIII näher betrachten, da es in Kapitel VII nicht gelöst werden kann. Dieses Kapitel hier ist im eigentlichen Sinne der traditionellen Kultur gewidmet, bevor die oben beschriebene Strömung beginnt. Erneuerung gab es immer schon im menschlichen Leben. Jemand, der nur gemäß seiner bekannten Gewohnheiten interagieren kann, wäre nicht menschlich. Hier wollte ich daran erinnern, dass der Körperprozess nie nur aus bestehenden Einheiten besteht. Implizieren impliziert immer ein Vorantragen, aber kein bereits geformtes Nächstes. Einen Stopp kann ein sich entwickelnder Prozess selbst veranlassen, er geschieht nicht nur aufgrund einer Veränderung, die von außen kommt.
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Darum ist es leicht einzusehen, dass Menschen sich häufig in recht neuen Situationen wiederfinden können mit einem auf recht neue Weise implizierten nächsten Ereignis. Ein solches nächstes Ereignis hat bis jetzt noch keine Form. Es ist noch nicht strukturiert (im Sinne einer expliziten Form und Struktur). Aber es ist ein sehr präzises Implizieren. Man merkt das in solchen Zeiten leicht daran, dass, was man zu sagen oder zu tun gedenkt, zweifellos nicht dem genügt, was es als nächstes braucht. Man kann sich leicht tausenderlei Taten oder Aussagen ausdenken, die jedoch die eigene körperliche Weise, in der Situation zu sein, nicht voranträgt. Zu tun und zu sagen, was impliziert ist und was die Situation vorantragen wird (was ihr »entspricht«), das ist eine schwierige und neue Kreation. Daran sieht man, wie genau ein Implizieren ist, selbst wenn wir noch nicht wissen, was wir sagen oder tun sollen. Aber der Sprachgebrauch sieht tatsächlich so aus, als würde man präexistente Einheiten arrangieren, und jede Einheit scheint als sie selbst zu funktionieren und nicht restrukturiert zu werden, indem sie jetzt auf bestimmte Weise funktioniert. So scheint es jedenfalls. Darum wollen wir genauer sein: Das stimmt für die Kreation von frischer Sprache, mit dem einen Unterschied: Diskursive Einheiten funktionieren, indem sie ihre eigenen Kontexte vorantragen, und nur dadurch funktionieren sie auch im frischen Prozess. Wie sie jetzt frisch gebraucht werden, kommt wirklich zu ihren eigenen Kontexten hinzu (und kreuzt mit ihnen), so dass mit jedem Gebrauch eines Wortes oder eines Ausdrucks seine jeweilige Bedeutung zunimmt. So etwas wie Metaphernbildung geschieht in jedem Gebrauch, wenn sich frische Bedeutung kreiert durch das Kreuzen des gewöhnlichen Kontextes eines Wortes mit dem jetzigen. Jedes Wort ist abgeschlossen und kann als Laut nicht mit anderen fusionieren. Jedes trägt seinen eigenen Kontext voran, und nur dadurch wird es dann (in Anbetracht seiner Bedeutung und nicht seines Lautes) ein wenig frisch modifiziert.
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f-12) Mit Bedacht Innezuhalten und dann, ohne etwas zu tun, darüber nachzusinnen, was man angesichts einer Anzahl von verschiedenen Möglichkeiten tun könnte, ist die Befähigung, etwas bedenken zu können. Jedes Versionieren ist bereits die Befähigung, eine Handlung anzuhalten, den Kontext der Handlung durch einen Strang von Änderungen hindurch »als gleichen« zu halten und nicht, wie es Handlung tun würde, zu ändern. Aber so eine Pause formiert sich, sie kann nicht absichtlich eingeleitet werden. Sobald Sprache da ist, geschieht ein neues »Alles-durch-Alles« mit jeder Wort-Einheit. Jede Einheit ist ein System von möglichen nächsten, ein eigenes System. Was diese Einheit in einem gegebenen Gebrauch jetzt bewirkt, ist, dass sie diese Situation als eine derjenigen der Wortkontexte rekonstituiert (versioniert, mich fühlen und haben lässt). Ich lasse das Wort die Situation jetzt für mich versionieren. Und es versioniert sie, indem es diese Situation als einen seiner eigenen Kontexte rekonstituiert. So geschieht es auch mit dem nächsten Wort, und sogar wenn ich nichts sage, ist das System der Worte in meinen Situationen implizit. Vieles, was gesagt werden könnte, ist impliziert, und mehr noch: Es ist auch das impliziert, was ich noch gar nicht sagen kann. Sprechen ist »bedachtsam«, und viele Handlungen und Interaktionen sind es auch. Sprechen und Handeln können jederzeit anhalten und jederzeit Pausen machen. Jedes bisschen einer solchen Handlung ist ein Pausieren. Verhaltensweisen sind darin absorbiert, und die Pausen wurden (nach dem Kipp-Punkt) zu Haupt-Prozessen, zu Interaktionen, zu einzelnen Gebärden und Herstellungsweisen. Emotionen stellen eine Ausnahme dar, die wir später anschauen müssen. Es gibt auch eine Pathologie des Bedenkens aufgrund einer »Verdünnung« (thinning), wodurch jedes bisschen Interaktion 372 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Sprachbildung: Zwei Arten von Kreuzen
körperlich viel weniger potent ist als in einem Raum, der noch einfacher war. Nur selten ändern wir unsere Situation radikal genug, dass wir dies wirklich fühlen. Meistens geschieht dies auf emotionale Weise. Es gibt auch noch eine andere Weise, die wir in Kapitel VIII verstehen, um körperlich deutliche und situationsgemäße radikale Änderungen zu vollziehen. Man sollte annehmen, dass das komplexere menschliche Leben dicker, nicht dünner wird – so viel ist doch in jeder Handlung impliziterweise enthalten. Aber diese Dichte kann nur vollzogen werden auf eine Weise, die in Kapitel VIII gezeigt wird. Während wir unsere kulturell musterhaften Interaktionen fortsetzen, wird dabei so vieles implizit, was nicht gesamthaft vorangetragen werden kann, dass Handlungen, die einst »dicht« waren, nun »verdünnt« sind (die Adjektive beschreiben die Qualität des körperlichen Ereignisses). Sie ermöglichen uns immer noch zu essen, Geschlechtsverkehr zu haben, zu arbeiten oder etwas herzustellen, aber dabei werden wir häufig nicht mehr gesamtkörperlich vorangetragen.
f-13) Mehr als ein Kontext: menschlicher Raum und menschliche Zeit Wir haben über den menschlichen Raum gesprochen (als Innen/ Außen-Raum, als Interaktions-Lebens-Kontext). Nun können wir hinzufügen: Das System der sich gegenseitig implizierenden Interaktions-Kontexte enthält jetzt sprachliche (gestische) Sequenzen. Diese sind ineinander wechselseitig implizit, einmal als Beziehung der Kontexte, zum anderen als Beziehung der Wort-Einheiten. Die Wort-Beziehungen haben noch zusätzliche Aspekte, welche ihrem Ursprung nach aus längeren Sequenzen stammen, und jede Worteinheit ist jetzt ein System von impliziten Sequenzen vieler anderer Einheiten. Jedes Wort ist sein eigenes »Alles-durch-Alles« (eveving), sein eigenes Vorantragen seiner eigenen Kontexte. Darum ist 373 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-B · Proto-Sprache
man jeweils in zwei Kontexten, im eigenen Kontext des Wortes (der Art) und im Interaktions-Kontext jetzt (der ge-artet wird). Jedes Wort bringt seinen eigenen Kontext mit sich, d. h. seine Beziehung zu vielen anderen Kontexten. Jeder irgendwie geartete Interaktions-Kontext besteht nun auch aus impliziten Interaktionen, die, wenn sie stattfinden würden, andere Situationen wären. Wenn ich nun mit einer gewissen Person spreche, ist alles, was ich je mit dieser Person getan habe oder tue oder tun könnte, implizit, wie auch alle Situationen, die dadurch geändert werden würden, und auch all die Leute, die mit diesen Situationen zusammenhängen, und alles, was ich mit ihnen tun könnte. Während keine Person eine abgeschlossene Einheit ist, nenne ich dieses ganze System den interaktiven Lebens-Kontext, wobei ich weiß, dass es da auch unzusammenhängende Stellen geben könnte (das ist eine Frage des empirischen Holismus, ob »alle« oder nur gewisse Stellen des Kontextes gegenseitig implizit sind in allen oder in gewissen anderen). Dies war schon der Fall, als sich Interaktions-Kontexte bildeten, aber an diesem Punkt gab es für einen Menschen keine Möglichkeit, einige der anderen Kontexte, die jetzt implizit sind, zu rekonstituieren und darin zu leben (diese zu fühlen und zu haben). Wenn man zum Beispiel Werkzeuge für die Jagd gefertigt und diese dann gebraucht hatte, gab es auf dem Heimweg noch keine Möglichkeit, die nächste Jagd zu fühlen und zu haben, d. h. die Werkzeuge als solche wiedererkennen zu können. Dafür muss man die Werkzeuge als etwas Allgemeines verstehen können, als diese Art von Dingen, die zu diesem Kontext gehörten. Aber diese Möglichkeit, Arten zu haben, gab es noch nicht (keine »Dritten«, wie wir sagten). Aber obwohl es jetzt Worteinheiten gibt, bilden sich diese immer noch aus den Kontexten, in denen man ist. Wie befähigen uns ihre Existenz und ihr Gebrauch, in einer Situation zu sein, in der man nicht in physischer Weise ist? Nach dem KippPunkt, sagten wir, macht die Interaktion und nicht die physische Gegenwart den Kontext aus, in dem man ist. Damit gewinnt die 374 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Sprachbildung: Zwei Arten von Kreuzen
»Gegenwart« eine andere Bedeutung. Es ist »diese Situation«, nicht »dieser physische Verhaltensraum«. Sie enthält alle Interaktionen, die ich mit dieser Person gehabt haben mag, und alle Situationen, die wechselseitig implizit sind, und alle damit verbundenen Zeiten. Es sind nun nicht nur vergangene Erfahrungen, die implizit am Zustandekommen eines Ereignisses beteiligt sind, sondern Situationen, die ich rekonstituieren und in denen ich leben kann. Wir wissen natürlich, dass Menschen das können, aber können wir genau denken, wie sie das können? Mit Worten können wir andere Situationen rekonstituieren. Aber wie konnten sich diese Worte herausbilden? Durch das gegenseitige Implizieren von Interaktions-Kontexten könnte das nächste Ereignis in einem Kontext sein, der zuvor nur implizit und in einem anderen physischen Zeit-Raum war. Aber wieso konnte man sich auf diese Weise nicht schon vorher bewegen? Im Verhaltensraum war eine solche Bewegung physisch und eine konkrete Veränderung in der physischen Raum-Zeit. Aber die Interaktions-Kontexte haben einander schon vor dem Kipp-Punkt impliziert. Gewiss, aber damals war das ganze System nur eine Pause innerhalb einer gegebenen Handlung in einem gegebenen physischen Kontext. Also macht das Kippen es auch möglich, einen gegenwärtigen Interaktions-Kontext und sodann einen physisch nicht gegenwärtigen zu erleben. Zusätzlich muss gesehen werden, dass eine ge-artete Interaktion mit Bedacht geschieht (das heißt, wenn ein expliziter Gebrauch von Worten in einer jeden Situation implizit ist). Jedes erneute »Alles-durch-Alles« ist ein neues Öffnen von impliziten Kontexten, und der Umstand, dass unmittelbar danach ein erneutes »Alles-durch-Alles« geschieht, ermöglicht in kurzer Zeit viele Bewegungen von einem physischen Kontext zu einem anderen. Es sieht so aus, als ob wir uns mit unserer Aufmerksamkeit irgendwohin bewegen könnten, zu welchem Zeitpunkt auch immer. In Wirklichkeit können wir das nicht. Wozu es noch keine Verbindung von unserem momentanen Lebensprozess, von unserem Denken und Fühlen aus gibt, 375 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-B · Proto-Sprache
dorthin können wir uns noch nicht bewegen. Diese Verbindungen müssen »sich ergeben«. Gegenseitig sich implizierende Verhältnisse sind nun jedoch zugänglich mit jedem Wort und bei jeder irgendwie ge-arteten Handlung. Menschen leben in vielen Kontexten. Dies eröffnet eine Komplexität, die ich an einem anderen Ort und zu einem späteren Zeitpunkt darlegen möchte.
g) Wann kippt es? Das Ende der Lautbildung durch den Gebrauch der Sprache In den Fußnoten zu f-5) haben wir diese Frage bereits betrachtet. Die Formierung kurzer Einheiten, so sagten wir, ist wahrscheinlich die Stelle, an der »Sprachgebrauch« beginnt, weil man Sprache in solch kurzen Einheiten gebraucht. Zuvor sammeln die Muster, sie rekonstituieren nicht nur den gegenwärtigen Kontext. Als lange Sequenzen sind sie jedoch kein Repertoire, das zu verwenden ist. Wann und warum genau hört Sprache auf, neue Laute aufzunehmen? Das ist die gleiche Frage wie jene, die danach fragt, ab wann keine neuen »Erste-Tanz«-Sequenzen mehr geschehen oder ab wann Kunst beginnt. Warum würde ein neuer Tanz einen Kontext nicht länger auf neue Weise versionieren? Sobald sich neue Interaktionen (oder Entwicklungen) ohne neue Laut-Gebärden bilden, ist offenbar der Punkt erreicht, an dem sich Sprache ohne neue Laut-Bildung weiterentwickelt. Darum können wir unsere Frage auch auf diese Weise stellen: Warum sollte sich Sprache durch das Kombinieren existenter Laute weiterentwickeln, statt dass die Lautqualität sich ständig neu formieren und versionieren lässt? Wenn sich Interaktionen weiterentwickeln, geschieht dies nicht durch das neu-Arrangieren fixer Einheiten. Jede Interaktion ist ein frisches Ereignis, kein Gebrauch festgelegter Wendungen. Zwei Punkte sind hier wichtig: Die kulturelle Entwicklung 376 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Wann kippt es?
geschieht nicht in Einheiten. Sprache entwickelt sich natürlich zusammen mit den Interaktions-Kontexten, aber diese Entwicklung geschieht in Form des gleichen uralten Bestands von silbenhaften Worteinheiten. Wann und warum genau hörte die neue Laut-Bildung auf? Die Sprache verändert sich natürlich weiter, aber ohne dass sie neue Laute aufnimmt. Alte Worte werden in neuem Gebrauch formuliert, neue Worte aus alten Worten oder Silben gestaltet, die bereits bedeutungsvoll sind. Selbst die Linearschrift A, die alte Sprache Kretas lange vor seiner großen Zivilisation, stellte sich, als sie endlich entschlüsselt werden konnte, als eine Art Griechisch heraus. Laut-Bildung hörte sehr früh auf. Sobald sich Sprache einmal gebildet hat, ist sie erstaunlich konservativ. Eine unendliche Vielfalt von Lauten, die nicht Sprache sind, ist möglich, dennoch werden diese nicht hinzugezogen, um die Sprache zu bereichern. An einem kritischen Punkt ist der Basis-Bestand linguistisch gebrauchter Laute geschlossen, und was nachher hinzukommt, muss jeweils schon aus bereits bedeutungsvollen Lauten bestehen. Mit jedem neuen Kreuzen gibt es eine ungeheure Differenzierung. All die Aspekte, die existierende Gebärden-Muster versionieren, fühlen und haben lassen, werden nun durch eine neue Muster-Dimension elaboriert. Jede multipliziert sich mit dem ganzen Cluster. Eine riesige Anzahl neuer Facetten wird bemerkbar, erfahrbar, fühl- und hab-bar. Darum vermehrt jedes Kreuzen die Anzahl der Facetten ungeheuerlich, die man getrennt sequenzieren kann. Die Vielfalt, die möglich ist, vermehrt sich enorm. Die Feinheit der Definition und Struktur – das heißt die Anzahl der Facetten, die durch eine neue Handlung (als ein »Alles-durch-Alles«-Geschehen) vorangetragen werden müssen – ist riesig, und das Leben wird komplex. Was eine Situation ist und impliziert (bedeutet), wird subtil. Dennoch kann es einen neuen ersten Tanz geben, der wieder eine elaborierte Situation versioniert allein durch LautMuster (oder durch ein visuelles Muster oder ein Bewegungs377 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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muster). Warum wird dies von einem gewissen Zeitpunkt an unmöglich? Wir haben ebenfalls gesehen, dass gegebene Laut-Muster bald nicht mehr als Teil eines gesamten Körper-Aussehens vorantragen, aber als reiner Laut. Wir nannten sie »eigenständige Muster« statt eines ganzen Körper-Aussehens oder Lautes. Sie sind immer noch Muster der Laut-Qualität, und »erste« Sequenzen sind noch möglich, selbst wenn Laut-Muster bereits eigenständig vorantragen. Wann können sie sich nicht mehr bilden? Auch heute ist ein reiner Laut-Ausdruck noch mächtig genug, um den Körper voranzutragen, zum Beispiel als Musik oder Ton der Stimme. Warum kann der Laut heute jedoch nichts mehr zur Sprache hinzufügen? Warum kann ein Ton nicht, wie ein erster Tanz es getan hätte, eine ganze Situation versionieren? Nehmen wir an, ich versuche es. Ich bin in einer komplexen Interaktion mit jemandem, ich komme nicht weiter und finde keinen Weg, mich so zu verhalten oder so zu sprechen, dass es mich voranträgt. Etwas ist impliziert, in recht fokussierter und definitiver Weise, aber ich weiß weder in Worten noch in Handlungen, was es ist. Jetzt knurre ich, und mein Gegenüber spürt sicher etwas. Da ist eine gewisse Kommunikation. Warum ist es kein »Versionieren« unserer Situation? Vieles davon wird ja durch das Knurren versioniert. Aber wie viel davon? »Versionieren« heißt, man bekommt die Situation zu fühlen, zu leben, zu haben und zu sequenzieren. Zu welchem Ausmaß hat und fühlt mein Gegenüber durch das Hören des Knurrens die Situation? Relativ wenig wird dadurch vermittelt. Bis dahin wurde die Interaktion offensichtlich mit Taten und Worten durchgeführt, und als Zusatz kann das Knurren tatsächlich sehr ausdrucksstark und kommunikativ sein. Aber nur innerhalb des Interaktions-Kontextes, nicht als Versionieren des Ganzen. Mit Reden kann man auch etwas verdecken, und KörperAussehen und Laute können dann sogar besonders informativ sein – aber wieder nur innerhalb der komplexen Interaktion. 378 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Wann kippt es?
Das ist das »innerhalb« nach dem Kippen. Ellen führte einen Tanz auf über den Mann, der die Pieta im Vatikan zertrümmert hatte. Der Tanz allein hätte uns nicht gezeigt, wovon er handelt. Es war ein Tanz der Trauer (Trauer der Pieta und Trauer über das Zertrümmern). Eine neue Sequenz des Körper-Aussehens besteht nun innerhalb eines weiteren Interaktions-Kontextes, weil sie nicht mehr länger den ganzen Interaktions-Kontext versioniert. Die Muster des Körper-Aussehens und des Tons sind nun nie mehr so differenziert, wie Muster-als-solche es bereits sind. Wenn die Qualität des körperlichen Lautes den Kontext zum ersten Mal nicht mehr versioniert, dann wirkt sie innerhalb des Kontextes. Versionieren heißt, den ganzen Kontext zu rekonstituieren – jedes bisschen ist eine Version des Kontextes. Wenn durch das Muster weniger als der Kontext rekonstituiert wird, dann verbleibt es innerhalb des Kontextes. Wir wollen uns dies nochmals vor Augen führen. Irgendetwas ist merkwürdig. Sobald Gebärden-Sequenzen das erste Mal innerhalb des Kontextes verbleiben, statt diesen als ganzen zu versionieren, nehmen gestische Kontexte überhand und sind nicht mehr länger nur Pausen in den Verhaltenskontexten. Ist das nicht widersprüchlich? Nein – es ist der Interaktions-Kontext, der jetzt zu umfassend ist, um gänzlich durch einen neuen Laut versionierbar zu sein. Der neue Laut bleibt innerhalb des Interaktions-Kontextes. Dadurch hört die Interaktion auf, bloßes Versionieren von Verhaltensweisen zu sein, sie wird stattdessen zu Kontext. Es gibt im eigentlichen Sinn keinen Interaktions-Kontext, bis es kippt. Bis dahin gibt es nur einen Verhaltenskontext mit Weiterentwicklungen. Werden diese Elaborationen komplexer, kann der Ton versionieren, dann sind sie der Kontext, d. h., sie sind umfassender, und der Ton geschieht darin und wird eine Sequenz unter anderen Interaktionssequenzen, so dass er als Muster nie mehr das Ganze der impliziten Interaktionssequenzen auf einmal versionieren kann. 379 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Das Kippen geschieht in demselben Moment, in dem keine neuen Laute mehr in die Sprache aufgenommen werden. Da es eine Anzahl verschiedener Sprachen gibt (aber wiederum nur wenige, wenn wir die grundlegenden Stammsprachen anschauen), geschah das Kippen und das Aufhören der sprachlichen Lautzunahme etwas (aber nicht viel) später als die Herausbildung kultureller und linguistischer Vielfalt. Darum geht die Vielfalt der Arten wahrscheinlich sehr weit zurück (es gibt und gab immer schon unterschiedliche Spezies jeder Art lebender Wesen). Aber die gewöhnliche Struktur der Sprache ist genau, wie sie ist, sie ist nicht ein Satz spezifischer »Regeln«. Die Suche nach allgemeinen linguistischen Eigenschaften, die zur Zeit durchgeführt wird, ist genauso albern wie die Suche nach universal anwendbaren menschlichen oder kulturellen Merkmalen. Das Unterfangen ist albern, weil es diese Gemeinsamkeiten am falschen Ort sucht – in den Inhalten, also in jenen Entwicklungen, die später kommen. Der Typ von Struktur, die Spracheund-Kultur ist, ist mehr oder weniger überall ähnlich. (Ich werde darüber an einem anderen Ort mehr sagen, siehe auch Neurosis and Human Nature und Eternal Return.) Wir haben das Kippen und das Aufhören der sprachlichen Lautzunahme zusammen verortet. Wie steht es jedoch um den Sprach-Gebrauch? Beginnt er auch dort? Und ist dies auch derselbe Punkt, an dem kleine Einheiten sich herausstellen? Wir sahen bereits, dass kleine Einheiten von Einheit zu Einheit erneut als »Alles-durch-Alles« geschehen müssen (»re-eveved«), und das ist Gebrauch. Der Grund dafür ist, dass jede ein »Allesdurch-Alles« ist, ein Vorantragen von eigenen Kontexten. Darum gibt es zwei »Alles-durch-Alles«, zwei Kontexte, den Kontext des Wortes, der erneut als »Alles-durch-Alles« im Körper geschieht. Ja, kurze Einheiten und Gebrauch gehören zusammen. Geschehen also das Kippen und das Aufhören der sprachlichen Lautzunahme am gleichen Punkt wie kurze Einheiten und Gebrauch? Sollten wir sagen, dass sich kurze Einheiten bil380 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Wann kippt es?
deten, und darum konnte der Verhaltenskontext als ganzer nicht mehr versioniert werden durch den Laut? Oder sollten wir sagen, dass zuerst das Kippen und das Aufhören der sprachlichen Lautzunahme geschahen und sich nachher kurze Einheiten begannen einzustellen? Welches dieser Geschehnisse hilft uns, die anderen zu verstehen? Vor dem Kipp-Punkt sammelt ein Muster (es rekonstituiert nicht nur diesen Kontext), aber es ist eine Pause im Verhalten. Das heißt, das Muster sammelt und ist eine Art, aber der Kontext ist noch nicht so oder so ge-artet, er ist nur versioniert und gefühlt. Nach dem Kippen sammelt ein Muster wie zuvor, aber nun wird der Kontext durch das Muster vorangetragen – nicht versioniert. Die Muster-Sequenz ist jetzt wie eine Handlung (Interaktion) und trägt die Situation weiter. Kontexte werden jetzt vorangetragen (nicht versioniert), und nur so kann es zwei Kontexte geben, jenen des Wortes und diesen jetzt. Warum? Weil das Wort seinen Kontext voranträgt. Das ist nicht möglich, bevor es nicht einen Kontext gibt, den ein Wort vorantragen kann! In anderen Worten ist dies also nicht möglich, bevor es nicht einen Interaktions-Kontext gibt. Meine Schwierigkeit hing damit zusammen, zu vergessen, dass es bis nach dem Punkt des Kippens keine Interaktions-Kontexte gibt, bis dahin gibt es Verhaltenskontexte, die durch Pausen elaboriert werden. So eine Pause kann nicht ihr eigenes Vorantragen des Kontextes gewesen sein. Zweifellos konnten sich Einheiten, die ihren eigenen Kontext vorantragen, nicht entwickeln bis nach dem Punkt des Kippens. Mehr noch: sobald es Interaktions-Kontexte gibt, sobald Laute Kontexte vorantragen (statt zu versionieren), würden sich kurze Einheiten einstellen, weil das erste bisschen den Kontext vorangetragen und verändert haben würde. Er wäre nicht nur pausiert, sondern er wäre damit verändert worden. In anderen Worten: Laut-Muster rekonstituieren vorher und nachher musterhafte Kontexte. Aber vor dem Kippen heißt 381 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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musterhaft, dass der Kontext Muster-Pausen enthält. Danach bedeutet »Kontext« Interaktions-Kontext, Muster-Kontext. Der Kontext ist von der gleichen Natur wie die Laut-Muster, und nur so hat ein Wort »seinen eigenen Kontext«. Der gesammelte Kontext ist sein eigener Kontext (er war dies auch vor dem Kipp-Punkt, aber da war der Kontext Verhaltenskontext), nur weil es jetzt frischen, gegenwärtigen Interaktions-Kontext gibt. Somit können wir klar zeigen, dass durch das Kippen doppelte Kontexte entstehen, diejenigen des Wortes und dieser hier. Nur dann kann sich eine kurze Einheit herausstellen, wenn sie ihre Veränderung machen kann, wenn sie als Wort funktionieren kann, wenn sie gebraucht werden kann. Wir sehen, dass Gebrauch immer innerhalb ist: Man gebraucht ein Wort in einem Kontext, den das Wort zusammen mit seinem eigenen rekonstituiert. Wir sehen auch, dass es nie mehr ein Rekonstituieren oder Versionieren eines Ganzen gibt. Es gibt keine »neuen ersten Tänze« mehr. Nun gibt es immer nur eine Sequenz unter vielen anderen möglichen Sequenzen innerhalb des Kontextes. (Selbst wenn »versionieren« heißt, »über« den Interaktions-Kontext zu »sprechen« statt ihn voranzutragen, bedeutet es nie mehr, diesen ganzen Kontext zu versionieren.) Alle Sequenzen rekonstituieren den Kontext, aber nie den ganzen.
382 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu f) Details fallen nicht weg; Allgemeinbegriffe sind nicht leere Allgemeinheiten
Die Unterscheidung zwischen einer Art und einem einzelnen Fall existiert vor Kapitel VII nicht. Tier-Situationen können als allgemein bezeichnet werden (das Tier verhält sich mit jedem Baum gleich). Oder man kann sagen, sie sind alle einzigartig (das Tier verhält sich immer zu diesem Baum, es verhält sich nicht zu einer Kategorie). Bevor ein solcher Unterschied existiert, ist weder das eine noch das andere richtig, und man kann sich für beide Varianten starkmachen. Es ist der menschliche Beobachter, der die Strukturierung in Arten und Fälle einbringt. Wir wollen diese jedoch nicht von Anfang an voraussetzen. Es erscheint armselig zu behaupten, dass die Realität in gewisse »Typologien« eingeteilt ist. Statt uns darüber nachdenken zu helfen, was Allgemeines und einzelne Fälle sind, wird damit nur gesagt, was alle ohnehin schon wissen. Diese Strukturierung in Arten bestimmt nicht, wie Arten entstehen. Vieles, was durch diese Strukturierung erklärt werden soll, geht ihr eigentlich voraus, nicht nur hinsichtlich der Zeit und der Entwicklung, sondern auch hinsichtlich dessen, was im Denken Priorität hat. Der Idealismus (man kann es so sagen) nimmt an, dass ein erwachsener, entwickelter Philosoph das Sein (sozusagen auf der Straße) trifft, und sie stellen sich einander vor. Sie treffen sich zum ersten Mal. Der Philosoph liefert nun die Art-Struktur (Vernunft, Formen der Einheit im Urteil usw.), und das Sein liefert die Wahrnehmungs-Stückchen (wie bei Kant), oder es liefert ein bislang unbestimmtes Anderes. Die menschliche Seite dieses Aufeinandertreffens liefert Möglichkeit, Zukunft, Ver383 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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bindungen, Ordnung. In einem solchen Kreationsmythos bleibt allerdings gerade die menschliche Seite unverstanden. Der Idealismus ist ein generelleres Beispiel dafür, wie der menschliche Beobachter dafür gebraucht wird, um alles zu bestimmen, wobei natürlich dieser Beobachter nicht innerhalb des Systems studiert werden kann. Tatsächlich ging der Idealismus als Philosophie mit der Naturwissenschaft Hand in Hand, die auch von diesem idealisierten, verallgemeinerten Beobachter abhängt. Wenn wir nun auch über den Beobachter nachdenken wollen, namentlich über uns selbst, dann kann dies nicht in den gleichen Konzepten geschehen, die einen ungeklärten Beobachter in ihren eigenen Strukturen voraussetzen. Wir sahen, dass es im lebendigen Prozess eine andere und umfassendere Ordnung gibt, und von dort aus und darin wollen wir verstehen, wie Arten entstehen. Selbst nachdem sie entstanden sind, sind sie nur für einen kleinen Anteil der Ordnung des Lebensprozesses bestimmend. Arten sowie die elaborierten Situationen, die mit ihnen entstanden sind, sind kein unabhängiges System. Sie sind vielmehr neue Versionen einer viel größeren Ordnung, die zuvor bestanden hat und die nun gelebt, gefühlt, sequenziert und elaboriert wird. Vergangene Erfahrung funktioniert in jeder Gegenwart (siehe Kapitel IV). Aber dieses Funktionieren ist nicht durch eine Struktur von Arten determiniert. Es gibt kein System der Ähnlichkeiten, wonach vergangene Erfahrung wüsste, in welcher Gegenwart sie zu funktionieren hätte, oder wonach gegenwärtige Erfahrungen wüssten, von welcher Art sie sind, um die entsprechende vergangene Erfahrung derselben Art herunterzuladen. Selbst heute, nachdem sich längst eine Struktur der Arten entwickelt hat, funktioniert vergangene Erfahrung immer noch auf viel mehr Weisen als nur gemäß einer Struktur von Arten. Im Gegenteil, man kann sagen, dass das Funktionieren von vergangener Erfahrung die Ähnlichkeits-Verhältnisse erst schafft. Weil vergangene Erfahrung in genau dieser Weise 384 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu f)
funktionieren kann, haben Gegenwart und Vergangenheit jetzt genau diese Ähnlichkeitsverhältnisse. Das Funktionieren der Vergangenheit im Jetzt ist dasselbe wie das Geschehen jetzt. Was die Gegenwart jetzt ist (wie sie sich jetzt formt) und welche Vergangenheit jetzt relevant ist (jetzt ähnlich ist), ist eine einzige Herausbildung, nämlich das Geschehen jetzt. Betrachten wir irgendeine gegenwärtige Erfahrung etwas näher, können wir viele Ähnlichkeitsbezüge von gegenwärtigen zu vergangenen Erfahrungen finden. Beispielsweise lesen Sie gerade. Ihre ganze vergangene Erfahrung mit dem Lesen funktioniert jetzt, inklusive aller Diskussionen über Philosophie, aller Diskussionen über Sprache, die Sie je geführt haben, inklusive früherer Inspirationen oder Irritationen, welche durch die Gedankenführung jetzt in Ihnen ausgelöst werden, inklusive all der Beziehungen zu anderen Leuten, die in einem ähnlichen Verhältnis zu Ihnen standen wie ich jetzt gerade, als Autor hier, inklusive all der Zeiten, in denen Sie auf ähnliche Weise argumentiert haben. Aber in welcher Hinsicht ähnlich argumentiert? Ist es das gleiche Fazit, die gleiche Weise zu begründen, die gleiche Art des selbstgerechten Tonfalls, die gleiche Weise, Beispiele ins Feld zu führen, die gleiche Art von endlosen Sätzen – Aspekte ohne Ende könnten aufgezählt werden, um zu verdeutlichen, in welcher Hinsicht eine Ähnlichkeit besteht. Ich habe damit ein paar Ähnlichkeiten aus unterschiedlichen Schriften von mir hervorgehoben. Sie haben jedoch womöglich an eine ganz andere Ähnlichkeit gedacht als an meine Beispielreihe oben. Ohne Ihre Darlegung anhand eines Beispiels, an das Sie denken, könnte ich unmöglich die richtige Ähnlichkeit finden, die richtige Art von Ähnlichkeit, die hier Anwendung findet. Das zeigt, dass Ähnlichkeiten bestimmt werden durch zwei Erfahrungen, die wir kreuzen! Ohne die andere Erfahrung könnte die gegebene nicht als eine bestimmte Art definiert werden. Bemerken Sie bitte auch, dass die begriffliche Kennzeichnung der vielen Arten von Ähnlichkeiten, die ich in diesem Beispiel gefunden habe, nicht schon besteht. Ich musste neue 385 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Wendungen machen, um sie hervorzuheben. Jede Erfahrung befähigt dazu, eine endlose Reihe von art-gemäßen Verhältnissen und Ähnlichkeiten zu schaffen, die davon abhängen, womit wir sie vergleichen (siehe Experiencing and the Creation of Meaning, Kapitel V). Offensichtlich ist jede Erfahrung viel reicher als die bestehende begriffliche Art-Struktur. Das Funktionieren der vergangenen Erfahrung (von »allem« in der Herausbildung eines gegenwärtigen Ereignisses, siehe Kapitel IV) ist organisch. Wenn wir fälschlicherweise annehmen, dass es an der Funktion getrennter Aspekte liegt, dann gäbe es eine enorme Vielzahl davon. Aber vergangenes Erfahren funktioniert nicht als Vielzahl in der Formierung jeder Gegenwart, ihre Vielfältigkeit besteht nicht aus Getrenntem. Sie ist eine Vielfältigkeit anderer Art (siehe Kapitel IV). Tiere »erinnern« sich, so sagen die Menschen, weil Tiere eine Begebenheit als die gleiche wie die vom letzten Mal erkennen. Diese Fähigkeit hängt offensichtlich nicht von der Sprache ab. (Dennoch können Tiere Ähnlichkeiten zwischen zwei Dingen, zwei Orten, zwei Ereignissen lernen, die mit Sprache zu tun haben.) Menschliche Situationen, die durch Menschen geschaffen und nur mit Sprache entstanden sein können, werden von Tieren erkannt. Darum ist Sprache auf eigenartige Weise auch in der Erfahrung eines Haustiers implizit. Die Katze kennt den Unterschied zwischen dem Wohn- und dem Esszimmer und den Unterschied zwischen einem Auto und einem Flugzeug, zwischen den Kleidern, die man gebraucht, um hinauszugehen, und denen, die zu Hause getragen werden. Um das zu erkennen, braucht sie keine Sprache, die diesen Situationen implizit ist. Dies liegt an der Funktion von vergangenem Erfahren, nicht an einer vorhandenen Struktur von Arten. Ähnlichkeiten bestehen nicht nur als jene, die die Worte sammeln. Wir können nicht voraussetzen, dass es einen einzelnen Satz von Arten in der Natur gibt, und vor allem nicht, dass diese bestimmend sind für die Natur. 386 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu f)
Das Netz der weiteren organischen Struktur, die sich jetzt formiert, hängt davon ab, wie der Lebensprozess im organischen Kreuzen vor sich geht (siehe Kapitel VI). Nur in metaphorischer Weise können wir dieses als riesiges Netz noch-nicht-getrennter-Ähnlichkeits-Verhältnisse denken. Natürlich ist unser Schema nur ein Weg, neue Konzepte (neue Arten) aus diesem organischen Prozess zu schaffen. Unser Schema vollzieht, wovon es handelt. Der Umstand, dass die Arten, die wir artikulieren, immer nur ein »Set« unter vielen möglichen sind, ist diesem Schema inhärent und spricht nicht dagegen. Vielmehr ist es gerade dieser Aspekt, der in unserem Schema in klarer Weise bedacht werden kann. Vorsichtig definierte, klar strukturierte Konzepte sind eine weitere Entwicklung auf einer neuen Ebene. Hier versuchen wir erst noch zu verstehen, wie sich Worte formen – und wie wir sehen, ist jedes Wort ein gigantisches System impliziter Sequenzen und Kontexte, ganz und gar nicht wie ein technisches Konzept. Auch für uns geht unser neues Konzept erst aus dem Gebrauch hervor, und zwar in der noch unklaren Familienverwandtschaft seiner Gebrauchsweisen. Erst nachdem wir ein Konzept eine Weile gebraucht haben, können wir den nächsten Schritt tun und es von innen her strukturieren (siehe das Theorie – Konstruktionsverfahren TAE dafür, wie wir das haben tun können und wie es möglich ist). Aber wir werden uns selbstverständlich nicht verwirren lassen durch Behauptungen, dass ein formales System von geklärten technischen Konzepten die Struktur der Natur oder der Erfahrung sei. Stattdessen wollen wir die Wirkmächtigkeit solcher Konzepte verstehen und auch, wie sie entstehen, wie sie dem Erfahrungsprozess verwandt bleiben und was sie tun. Ihre »Wahrheit« liegt nicht in einem fotografischen Verhältnis oder in einer Gleichsetzung. Die Funktion vergangener Erfahrung hat nichts mit Arten zu tun. Wenn ein Tier rennt, so bringt dies nicht die ganzen anderen Gelegenheiten mit sich, in denen es gerannt ist. (Wie 387 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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zuvor angemerkt, würde man nicht wissen, welche von vielen solchen ähnlichen Gelegenheiten aufzurufen wären . . . . . es ist Rennen, es ist Atmen, es ist Wegrennen von etwas . . . . . , zu . . . . . mit ..... in die Sonne usw.) Das Tier rennt im Verhaltensraum und nicht in einer Art-Struktur. Für den Beobachter mag »Rennen« eine Art sein. Der beobachtende Ethologe kreiert viele und merkwürdige Arten durch seine Beobachtung jeder Tierspezies. Verhalten sammelt nicht, es besteht nicht aus Einheiten-vonÄhnlichkeit, es besteht nicht aus »einem« Rennen und »einem« Atmen. Es ist nicht auf diese Weise geartet. Menschliches Handeln entspricht nur in wenigen Hinsichten gewissen Arten, vergleicht man diese mit der ungeheuren Vielfältigkeit, mit der vergangene Erfahrung funktioniert. Die Arten, hinsichtlich derer wir uns als Menschen formiert haben und die unsere Kultur konstituiert haben, sind jedoch sehr wirkmächtig. In den Abschnitten zum Pyramidisieren (in Kapitel VI) und zum »Verweben« (in Kapitel VII-A) sahen wir, dass ursprüngliche Sequenzen immer noch geschehen, wenn später entwickelte nicht geschehen können. Der vererbte Körper impliziert all diese Sequenzen. Die elementaren, kulturformenden Arten sind nicht Gemeinsamkeiten, als ob alles andere »nur« Details wären. »Katze«, zum Beispiel, ist eine gemeinsame Struktur, und siamesisch vs. abessinisch nur ein zusätzliches Detail, das in keinerlei Weise die gemeinsame »Katzenheit« ändert. Was eine Katze ist, kann man unabhängig von diesen zusätzlichen Details wissen. Stattdessen ist jede neue Formierung eine Kreuzung, so dass die ursprünglich kulturbildenden Arten organisch elaboriert und verändert werden und auch funktionieren in ihrer ursprünglich verwobenen Weise. Das Elaborieren der Interaktions-Kontexte und der Gebärden und Laut-Muster ist eine Entwicklung. Es gibt kein getrenntes Wort-System, obwohl, wie wir sahen, Sprache ihre eigenen
388 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu f)
Kontexte hat und ihre eigenen Zusammenhänge zwischen den Worten. Jede menschliche Handlung und jede Erfahrung ist so oder so geartet, sie ist »eine« solche. Aber sie entspricht nicht nur den Arten, die wir in existierenden Worten und Ausdrücken verbalisieren können. Es gibt immer enorm viele Arten, wie etwas verbalisiert werden kann und wofür eine gegebene Erfahrung als Fallbeispiel gekennzeichnet werden kann. Dann sagen wir, das »war« ein Beispiel dieser Art oder dieser Ähnlichkeit. Wir können sagen, das »war«, nachdem wir expliziert haben. Diese ZeitRelation ist der Explikation inhärent. Wir können dieses Kaninchen hier nicht erfahren, ohne implizit »ein« Kaninchen zu versionieren. Dafür braucht es nicht nur die Kaninchen, wie sie die Katze kennen mag. Es braucht das visuelle Aussehen »eines« Kaninchens, das uns das Bild eines Kaninchens als das Bild »eines« Kaninchens erkennen ließ. Es erfordert Muster der Bewegungen »eines« Kaninchens, und es braucht eine Sammlung von Kaninchen. Wir erfahren nicht nur dieses da, sondern immer auch »eines«. Erfahrung ist ge-artet, die Art-Struktur von gesammelten Kontexten ist implizit in aller Erfahrung. Situationen sind Arten (sie sind »ge-artet«), durch Versionieren kreiert als Fälle eines gesammelten Kontextes. Ein Mensch ist eine Mutter, ein Sohn, ein Regent, ein Bauer, ein Mann. Die ersten Arten sind »Archetypen«, ursprüngliche Arten, Typen von Interaktions-Kontexten. Darin erwerben Menschen Rollen-Identitäten, nicht als singuläre Individuen, sondern im Kontext miteinander. Und, gewiss, es sind Strukturen von Interaktionen untereinander, es sind situative Strukturen: wie ein Mann sich in Beziehung zu einer Ehefrau verhält, eine jüngere Person in Beziehung zu einer älteren, ein Schwager zu einem Ehemann etc. Wir kommen darauf zurück. Dabei ist es zentral, die inhärente Verbindung der verschiedenen Dimensionen zu sehen, die wir in einem Cluster herlei389 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-B · Proto-Sprache
ten. Wir sollten nicht einfach nur das Faktum anerkennen, dass Menschen Sprache haben und auch Rollen und Identitäten in Interaktionen. Das wissen wir ja alle schon. Es geht darum, über die inhärente Weise nachdenken zu können, wie diese intern verbunden sind, so dass wir darüber nachdenken und von dort Konzepte entwickeln können. Wenn wir sehen, dass menschliche Situationen immer so und so geartete Situationen sind (selbst wenn sie einzigartig sind, denn gehabte Einzigartigkeit ist eine weiterführende Entwicklung), können wir das Prinzip »Beispiel-seiner-selbst« (Bss, Instance of Itself IOFI, aus Experiencing and the Creation of Meaning, Kapitel V) herleiten. Würde ich es hier schon herleiten, dann müsste ich zu viel sagen, was erst ins Kapitel VIII gehört. Durch die inhärente Verbindung zwischen Sprache und situativer Struktur wird es auch verständlich, wie es möglich ist, dass wir sprachlich artikulieren können, wie wir uns fühlen. Was wir fühlen, ist interaktionell, hat mit unserem »Lebenmit-anderen-in Situationen« zu tun. (Selbst der Eremit lebt in einer Situation, entfernt von anderen. Weitere Entwicklungen ganz allein sind natürlich möglich, aber auch auf der Basis unserer interaktionellen menschlichen Natur.) Wir können Worte »finden«, um zu sagen, was wir fühlen, weil Gefühle, interaktionelle Situationen und Sprache ein System sind, selbst wenn wir neue Wendungen und Metaphern formulieren müssen. Weil Muster Verhaltenskontexte rekonstituieren (und sie uns fühlen und haben lassen), wird ein Verhältnis zwischen Allgemeinem und Einzelnem (Einzigartigem) geschaffen. Die Unterschiedlichkeit beider Seiten entsteht gemeinsam als unterschiedliche. (So wie bei der Formierung der »Außen/Innen«Unterscheidung müssen wir uns davor hüten zu denken, dass vor der Unterscheidung das eine oder das andere bereits war.) Bevor versionierende Sequenzen sammeln, ist alles weder universal noch partikular. Jetzt trägt eine Sequenz »diesen« Kontext voran, in dem sie die gesammelten Kontexte versioniert und re390 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu f)
konstituiert. Sowohl gesammelte Kontexte als auch dieser Kontext kommen erst in einer solchen Sequenz auf. In gewissem Sinne macht das dritte Allgemeine keine solche Unterscheidung; es trägt den gegenwärtigen Kontext als eingeschmolzenen Teil des gesammelten Kontextes voran. Natürlich wissen Menschen, dass sie hier und jetzt sind und nicht in irgendeinem anderen gesammelten Kontext. Aber wie? Das wird verständlich durch die Weise, wie das Sammeln geschieht; es gibt damit auch eine neue Art von Raum und Zeit, ein neues »Hier und Jetzt« und neue »andere Zeiten und Orte«. Neue Markierungen entwickeln sich, die zwischen gesammelten Kontexten unterscheiden, zwischen »diesem« Kontext und »jenem«. Das ist eine weitere aus Kapitel VII herzuleitende symbolische Unterscheidung. Selbst mit diesen Unterscheidungen rekonstituiert das Muster immer die gesammelten Kontexte. Man kann nicht »dieses Kaninchen« sagen, ohne Kaninchen zu rekonstituieren. In gleicher Weise rekonstituiert »ein Kaninchen« Kaninchen insgesamt. Die Muster »dieser« und »jener« sind selbstverständlich nur Resultate dieser Unterscheidung. Sie machen diese Unterscheidung nicht. Das Sammeln macht sie, wodurch Kontext(e) rekonstituiert wird (werden), wobei dadurch der einzigartige Kontext entsteht. Ein Muster ist immer sowohl allgemein wie einzigartig, alle Kontexte in diesem Kontext. Das Sammeln ist ein Kreuzen, aber nicht das laterale Kreuzen, in dem die unterschiedlichen Sequenzen, die ein Cluster bilden, mit einem (vor-formierten) Cluster kreuzen, das einen neuen Tanz versioniert. Hier hingegen gibt es ein Kreuzen aller »gleichen« Kontexte miteinander. Alle sind rekonstituiert und versioniert in einer Version. Aber nicht wie bei einem Kartenstapel zum Beispiel. Sie werden verwoben (meshed, siehe auch Kapitel VII – A.o) in einem »Alles-durch-Alles«-Geschehen (eveving). Wir sehen dadurch, dass ein Allgemeinbegriff tatsächlich weiß, wann er sich bilden kann! Aristoteles und Kant hatten 391 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-B · Proto-Sprache
Unrecht, als sie dachten, dass uns eine getrennte »praktische Weisheit« sagen muss, welcher allgemeine Begriff in was für einem einzigartigen Kontext anzuwenden ist. Es braucht kein zusätzliches Urteil, um zu sagen, wann ein gegebenes Urteil anzuwenden ist. Das schien nur so, weil Allgemeines als leer betrachtet wurde, ohne Einzelfälle, ohne Details. Was gemeinsam war, schien wegabstrahiert worden zu sein von all dem, was bei jeder Begebenheit unterschiedlich war. Aber so ist es nicht! »Das Dritte« rekonstituiert alle einzigartigen Kontexte verwoben und gekreuzt, das heißt so, wie es sich in diesem Kontext formiert. 48 Der gegenwärtige Kontext ist nicht nur ein Beispiel dessen, was schon gesammelt wurde. Selbst wenn Kontexte für uns heute schon völlig geformt sind, formen sie sich gerade weiter. Jede Natürlich ist eine besondere Situation hinsichtlich der Begriffe, die in ihr ausgebildet werden können, unerschöpflich (siehe Experiencing and the Creation of Meaning, Kapitel V), und in diesem Sinne hatten Aristoteles und Kant recht: Praktische Situationen sind wie unsere Details. Aber sie missverstanden das System von Allgemeinbegriffen in unterschiedlichen Weisen: Erstens ist es nicht richtig zu fragen: »Welcher Begriff ist heute anzuwenden?« Sie sind alle anzuwenden, und sie können sich alle heute bilden. Aber dies kann zweitens nicht aus der externen Beobachtung der eigenen Situation getan werden, sondern nur durch Direkte Referenz, die es in Kapitel VII noch nicht gibt. Die Person auf der Ebene des Kapitels VII hat dazu noch keinen Zugang. Dann wird Allgemeines auf Einzelnes angewendet, statt dass es sich aus dessen Reichtum formen kann. Anwenden auf und Herausbilden aus sind zwei unterschiedliche Vorgehensweisen. Die Welt ist kein System, in dem diese beiden Vorgehensweisen zwei Systemen von unterschiedlichen Einheiten, Dingen, Überlegungen und Aspekten entsprechen würden. Selbst aus denen, die sich formen, möchte man in einer praktischen Situation dasjenige wählen, das in ausgerichteter Weise weiterträgt. Auf der entwickelten VII-, aber noch nicht VIII-Ebene ist ein gesamtkörperliches Vorantragen schwierig. Zu viele Überlegungen, Aspekte und Begriffe bilden sich, aber nichts davon kann vorantragen, nicht weil sie leer sind, sondern weil es schwierig ist, die gesamte gerichtete Situation voranzutragen. Die individuelle Situation ist prinzipiell jenseits von Einteilungen (kinds), und doch schließt sie alle ein.
48
392 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu f)
neue Anwendung eines »Dritten« fügt etwas zu seinen gesammelten Kontexten hinzu, kreuzt mit seinen früheren Verwendungen, so dass sich verändert, was das Symbol »bedeutet« (oder man kann sagen, dass eine neue Weise, es zu verwenden, gefunden wurde). Der gegenwärtige Kontext kreuzt in seiner jetzigen Herausbildung mit den früheren. Andersherum wird der Kontext, worin sich die jetzige Sequenz herausbildet, vorangetragen durch die Anwendung von »Dritten«, nämlich durch das eigene Vorantragen ihrer gesammelten Kontexte (unter denen der gegenwärtige jetzt konstituiert wird). Der gegenwärtige Kontext wird nicht nur als Bestandteil einer Klasse entdeckt. In dieser Weise zu denken, setzt all das voraus, was wir zu verstehen versuchen. Stattdessen wird der gegenwärtige Kontext zu einem der gesammelten Kontexte gemacht durch die Herausbildung der jetzigen Sequenz. Wir besprechen hier immer noch frische Herausbildung, noch nicht Gebrauch. Der Umstand, dass sich die Sequenz herausbildet (das heißt sich herausbilden kann, weil sie es gerade tut), zeigt, dass der gegenwärtige Kontext als diese Sammlung rekonstituiert werden kann – sonst würde die Sequenz fehlschlagen, d. h. jetzt nicht vorantragen können. Aber beide, der gesammelte Kontext und auch dieser, verändern sich dadurch gegenseitig. Jede Herausbildung verändert die weitere Anwendung der Sequenz, das heißt, sie verändert die anderen Kontexte (und die einzelnen Begebenheiten). Das ist etwas ganz anderes als das Wegfallen von Details! Jedes Mal, wenn sich die Sequenz herausbildet, sind Details ein Teil des »Alles-durch-Alles« und müssen es sein. Nur der gegenwärtige Kontext mit seinen Details bestimmt, ob sich eine Sequenz herausbildet oder nicht! Wenn Details nicht jedes Mal ein Bestandteil der Herausbildung wären, woher wüsste man überhaupt, welche Details man weglassen sollte? Darum sahen Aristoteles und Kant hier ein Problem, das nicht gelöst werden 393 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-B · Proto-Sprache
konnte. Wenn den Allgemeinbegriffen die verschiedenen Details ihrer Einzelfälle fehlen würden, könnten sie in keinerlei Weise bei der Entscheidung mitfunktionieren, welche Details wegzulassen sind. So ein leeres Allgemeines wäre nichtssagend in Bezug auf seine Anwendung auf bestimmte Situationen. Aber tatsächlich bildet es sich in bestimmten Situationen heraus. Das Thema hat seine Ursache im tieferen Irrtum Kants, Natur werde nur durch die Sinneswahrnehmungen aufgenommen und dann durch Verstandesbegriffe organisiert. Viele weitere Fehler leiten sich davon ab. Wegen dieser Sichtweise müssen Tiere zu reinen Objekten werden, und unsere eigene Tiernatur geht völlig verloren. Zweifellos ist unsere »Tier-Natur« durch die menschliche Entwicklung sehr verändert und elaboriert, aber weder Menschen noch die Natur machen Sinn, wenn sie als »Wahrnehmungs-Stückchen plus leere Begriffe« aufgefasst werden. Sogar unsere Dritten, voller gekreuzter Details einzelner Begebenheiten, sind ungenügend! Wir sahen, wie viel Organisation es in der Natur gibt, bevor sich »Dritte« überhaupt formen können. Ohne diese organische Ordnung könnten sie das nicht tun. Allgemeine Begriffe (»Dritte«) müssen so verstanden werden, dass sie sich in und aus tatsächlichen Situationen und ihren Eigenarten bilden. Indem sie sich formen, tragen sie Situationen voran, und durch ihre ursprüngliche Herausbildung kreieren sie fort, was Situationen sind. Menschliche Situationen sind ge-artet. Das Einzigartige ist auch jeweils eines seiner Art. Um dieses Verhältnis zu erfassen, müssen wir die alte Idee loslassen, dass Begriffe abstrakt sind oder dass sie nur Einfassungen sind, um einzelne Begebenheiten zusammen zu sammeln. Wie Whewell früher sagte, ist es natürlich leicht, eine Pferdenatur zu »abstrahieren«, wenn jemand Ihnen netterweise eine Serie von Pferden zum Anschauen zur Verfügung stellt, die Sie eines nach dem anderen anschauen können ohne Ablenkung. Auch genügt es nicht zu sagen, dass 394 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu f)
Arten ganz willkürlich seien, dass man abgrenzen könne, wie man wolle. Natürlich gibt es vielfältige Weisen zu klassifizieren, sobald wir fähig sind, zu klassifizieren. Aber dies kann nur bewerkstelligt werden durch die tatsächlichen Charakteristiken von Dingen und Situationen. So wie Objekte in den menschlichen Musterraum gelangen und dort eigene Aussehens- und Laut-Muster zeigen, so können sie nur gesammelt werden, indem sie tatsächlich durch eine Sequenz zusammen rekonstituiert werden. Katzen haben nie Welpen, aber jede andere Klassifizierung wird auch sammeln, was zusammen rekonstituiert wird, nicht einfach irgendeinen Unsinn. Darum müssen die wirklichen Dinge und Situationen, die Kontexte, mit ihren Details in der Herausbildung von Begriffen funktionieren. »Sich herausstellen« heißt für uns immer, dass der ganze Kontext in dem, was sich herausstellt, implizit ist. Wir sagen, das Allgemeine stellt sich aus gekreuzten Kontexten heraus, die es rekonstituiert. In ähnlicher Weise kann der Vogel kein Objekt ohne eine Szene sein – er stellt sich aus gegenwärtigen Szenen heraus. So kann es auch kein Allgemeines geben ohne alle seine Kontexte, die es rekonstituiert. Aber dieses Verhältnis ist nicht genau gleich, weil die Veränderungen der Szenen, die den Vogel herausstellen, ein Strang sind, während die gesammelten Kontexte zusammen gekreuzt und rekonstituiert werden. Aber Vögel und Allgemeinbegriffe werden beide häufig wie Objekte aufgefasst, die ohne ihre Kontexte existieren. »Dritte« machen diese Kontexte, die sie kreuzen und aus denen sie sich herausstellen, zu »den gleichen« ihrer Art. Sie machen sie zu den »gleichen«, indem sie sie zusammen rekonstituieren. Alle Situationen, in denen wir gegebene Sequenzen formen, werden im gegenwärtigen Kontext rekonstituiert, der seinerseits auch rekonstituiert wird. Alle werden versioniert, nicht nur dieser. Aber sie werden alle in der Version dieses einen versioniert. 395 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VII-B · Proto-Sprache
Darum ist unser Denken und Sprechen so viel reicher, als wenn man es im Sinne leerer Allgemeinbegriffe bedenkt. Es gibt keine leeren Begriffe. Das beschreibt zu einem großen Teil, was ich anderswo noch anschaulicher beschreibe, nämlich wie ein gegebener Satz oder eine Aussage eine Bedeutung haben kann, die so viele unterschiedliche Aspekte des Erlebens umfasst. Die Bedeutung einer explizit gemachten Aussage zu haben, ist viel mehr als nur die explizite Aussage. Solange wir uns in routinemäßigen Abläufen bewegen, brauchen wir diesen Umstand nicht allzu sehr zu beachten. Sobald wir neu zu denken oder etwas selbst zu verstehen versuchen, wie bekannt dies auch sein mag, müssen wir das Funktionieren dieser Textur gekreuzter Begebenheiten und auch gekreuzter Cluster von Interaktions-Kontexten zulassen, welche selbst körperliche Elaborationen von Verhaltens- und Lebensprozessen sind. Symbole stehen überhaupt nicht nur »für« etwas. Sie verändern uns, sie erzeugen einen körperlichen Prozess. Sie tragen uns voran. Ein allgemeiner Begriff ist nicht abgesondert und auf einer anderen Ebene – er ist eine Art und Weise, wie Einzigartiges zu haben, zu leben und zu fühlen ist. Symbolisiert ist, was ich rekonstituiert nenne, d. h., es geschieht, es wird vorangetragen und gefühlt. Wenn wir von einer Situation sprechen, leben wir in ihr. Sie ist gegenwärtig, selbst wenn sie nicht physisch präsent ist. Sie ist unser gegenwärtiger Interaktions-Kontext. Darum gebrauchen wir Worte nie außerhalb eines Kontextes, selbst wenn wir, wie in einer philosophischen Diskussion, ein Beispiel eines Wortes ohne Kontext aufzeigen wollen. Einstein dachte selbstverständlich auch in einer Situation. Er befasste sich mit seiner (und jedermanns) Unfähigkeit, gewisse Operationen auszuführen und richtige Voraussagen zu treffen. Da er viel über Physik und Mathematik wusste und da Wissen körperlich ist, hatte Einstein (wie er berichtet) die ganze Zeit ein 396 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu f)
»Gefühl«, wie die Antwort lauten könnte. Dieses Fühlen war sein körperliches Implizieren, er konnte es »haben«, weil er Symbole (Versionierungsmuster) hatte, wodurch er diese Situation rekonstituieren konnte. Er konnte die Situation noch nicht vorantragen, was bedeutet hätte, den Ansprüchen der Situation gerecht zu werden, um das zu tun, was erforderlich war (auf eine gewisse, offensichtlich nicht vor-definierte Weise). Aber er konnte die Situation rekonstituieren. In ähnlicher Weise rekonstituiert man, selbst wenn man nur sagen kann: »Oh, ja …« oder »Ach so!« oder etwas anderes, dabei die Situation. Man sagt auch, man weiß oder fühlt, auf welche Situation man sich gerade eben bezieht. Ich sage, wir leben dann in dieser Situation, sie geschieht, es gibt einen Strang von Versionen des körperlichen Implizierens davon. Sind allgemeine Begriffe denn ärmer – kann man sagen, dass etwas Einzelnes immer reicher ist als die Struktur der Arten? Nein, dann müsste man Arten im alten Sinn voraussetzen. Stattdessen können wir sagen, dass die Arten nur aus einigen Aspekten der Komplexität hervorgegangen sind. Aber jede Art bringt die ganze Komplexität der gesammelten Kontexte mit sich. Diese Sammlung ist sicher reicher als der gegenwärtige einzelne Kontext, der zu einem der gesammelten Kontexte gemacht und mit ihm gekreuzt wird, wenn wir diese Situation mit dem Gebrauch von Worten vorantragen. Der gegenwärtige Kontext kann auch anders sein, aber im Sprechen tragen wir ihn mittels der gesammelten Kontexte voran, wodurch dieser einer von jenen wird. Je nachdem welche Worte wir gebrauchen, kann einiges davon nicht vorangetragen werden. Was wir üblicherweise in Situationen sagen, ist recht armselig, und es trägt die gegenwärtige Situation nur auf entfernte Weise weiter. Aber das muss nicht immer so sein, wir können die Situation auch in sehr tiefer Weise vorantragen. Das Ganze jedoch können wir auf diese Weise niemals vorantragen (siehe Kapitel VIII).
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Kapitel VIII-A: Mit dem Impliziten denken
a) Einführung »Stundenlang bin ich ganz still gestanden, hatte die Hände zwischen den Brüsten gefaltet und den Solarplexus bedeckt. Meine Mutter war oft beunruhigt, wenn ich so lange Zeit ganz regungslos und wie in Trance stand – aber ich suchte die zentrale Quelle aller Bewegungen und entdeckte schließlich den Krater der Bewegungskraft, die Einheit, aus der all die unterschiedlichen Bewegungen entstehen …« (Isadora Duncan, My Life, 1927)
Isadora Duncan steht still, manchmal ganz lange. Sie spürt Tanzschritte, in die hinein sie sich bewegen könnte, aber sie fühlen sich nicht richtig an. Was sich richtig anfühlen würde, ist noch nicht klar. Sie »sucht«, sagt sie, sie schaut, sie wartet darauf, dass das richtige Fühlen (feel) kommt, und sie ist bereit, es entstehen zu lassen. Dieses Suchen, Warten, Schauen und Zulassen ist eine Art Handlung, eine Art und Weise, sich auf etwas zu beziehen, mit etwas ..... zu interagieren. Womit? Worauf? Es ist eine Interaktion mit »etwas«, das sich richtig anfühlt, mit einer neuen Art des Fühlens, das an einem neuen Ort entstehen wird. Durch diese Interaktion werden neues Fühlen und neuer Raum erst geschaffen. (Das ist wieder ein Beispiel unseres Grundprinzips »Interaktion zuerst«. Erst die Interaktion lässt die daran Teilnehmenden entstehen. Eine neue Art von Interaktion erschafft jeweils neue daran Teilnehmende, siehe Kapitel IV-A.) 398 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einführung
Dass Duncan auf eine neue Weise schaut, wartet, lässt . . . . . , verändert das, was entsteht, aber trotzdem stimmt es immer noch nicht ganz. Sie reagiert auf die sich verändernde Art und Weise des Fühlens, indem sie sich dazu anders verhält. Sie richtet sich auf einen Aspekt des Fühlens aus, den sie tanzen will, und spürt ihm nach. Als Antwort auf dieses Ausrichten und Nachspüren wird das Fühlen selbst deutlicher, als ob etwas da wäre, eine Gegebenheit, ein Objekt, etwas in einem Raum, den es vorher noch nicht gab. Während das »Fühlen« (feel) sich bildet, versteht es sich sozusagen selber. Es bringt sein eigenes »ja, ja, genau . . . . . « mit sich. Duncan ist mit sich »selbst« auf eine neue Art »in Berührung«, wobei dieses »Selbst« nicht schon vorher da war und gewartet hat. Ein neues, verändertes, stimmigeres »Fühlen« ist da, ein Gefühl des »in-Berührung-Sein-mit .....«. Dann erst tanzt sie etwas, das sie vorher nicht hätte tanzen können. Der Tanz als solcher ist die Art von Sequenz, die wir in Kapitel VII behandelt haben. Neu daran ist, wie diese neue Art des »Fühlens« sich gebildet hat, die Sequenz, die Duncan durchläuft, während sie stillsteht. Inwiefern bildet sich diese Sequenz anders, als sich ein neuer Tanz in Kapitel VII entwickelt hätte? Dort entstehen ja auch neue Sequenzen aus dem Körper, aber sie entstehen ohne die lange Pause, wie sie Duncan beschreibt. Das Neue entsteht in Kapitel VII auf eine unmittelbar direkte Weise, die ich dort »direkt-kreuz-kontextuell« genannt habe. Gemeint ist damit Folgendes: Der Körper verfügt natürlich implizit über die Gesamtheit aller üblichen Kontexte. Wenn sich im Körper etwas ändert, so dass dadurch etwas Neues impliziert und erforderlich wird, kreuzt sich das bereits vorhandene System von Kontexten mit der neuen Art, wie der Körper jetzt ist. Aus dem Körper geht eine neue Sequenz unmittelbar hervor, ohne die Pause, die wir jetzt diskutieren. Diese neue Pause nun enthält eine neue Art des »Fühlens«. In Kapitel VII gibt es jedoch auch Gefühle. Wir wollen kurz 399 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
rekapitulieren, wie wir diese aufgefasst haben. Ein Gefühl zu haben, ist eine Sequenz, eine Abfolge von Ereignissen, die Zeit braucht (Zeit schafft). In Kapitel VII hat man ein Gefühl nur zusammen mit einem Symbol, das ebenfalls vom Typ VII ist; man verwendet beispielsweise Wörter oder man stellt sich Handlungen vor und hat dadurch das entsprechende Gefühl als private Sequenz. Aufgrund dieses Zusammenhangs war es in Kapitel VII möglich, zuerst ein Gefühl zu haben und von diesem aus zu tanzen. Auf welche Art unterscheidet sich unsere neue Sequenz davon? Der Unterschied liegt in der neuen Weise des Herausbildens einer neuen Art des »Fühlens«. Unser Kapitel VII betrifft die traditionelle Kultur, wie sie bis vor kurzem für die meisten Leute gültig war. »Kultur« kann definiert werden als Struktur von Situationen, als die Bildung von Mustern innerhalb menschlicher Interaktion. Kultur besteht aus vielen impliziten Kontexten ineinander. Kontexte sind Situationen. Situationen gehen immer mit Interaktionen einher (sogar wenn wir allein und nicht mit anderen zusammen sind, wenn wir also nur mit uns selbst interagieren – dann sind auch das Sonderfälle von Interaktion). Gefühle der gewöhnlichen Art sind Bestandteil davon, wie unsere Situationen kulturell strukturiert sind. Wir haben die Gefühle, und mit »haben« meine ich immer eine Sequenz, eine Zeitstrecke – wir haben sie an gewissen Stellen innerhalb der Interaktion. Die üblichen kulturell geprägten Interaktionen würden sich nicht auf die übliche Art und Weise fortsetzen lassen, wenn einem der Beteiligten das »sich einstellende« (slotted) Gefühl fehlen würde. Wenn man nicht Respekt vor den Heiligen hat, nicht ärgerlich wird, wenn Autoritäten zur Ordnung rufen, nicht erfreut ist, wenn man ein Geschenk bekommt usw., dann gelingt es nicht, die kulturell strukturierten Interaktionen wie gewohnt fortzusetzen. Der Körper würde dann etwas anderes implizieren als das, was üblicherweise als nächstes passiert. Ent-
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Einführung
weder würde nichts weiter passieren oder etwas ganz anderes. (Sogar ein so-Tun-als-ob wäre schon etwas anderes.) Deshalb sind solche Gefühlssequenzen, obwohl sie oft privat sind, Bestandteil von routinemäßigen Abläufen. Wenn wir in einem Konflikt besiegt werden, dann würde das kulturelle Muster von uns erwarten, Frustration und Ärger zu fühlen, das aber nicht zu zeigen (vgl. A Phenomenology of Emotions). Trotz des privaten Charakters ist unsere private Sequenz aber auch für die anderen Beteiligten impliziter Bestandteil der Situation, in der sie mit uns zusammen sind. Wie wir beide später gemeinsam interagieren, wird dann aufgrund dessen, was wir gerade miteinander erlebt haben, für alle klar sein. Darum ist unser privates Innenleben weitgehend ein inhärenter Bestandteil unserer musterhaften Situationen mit anderen (siehe Kapitel VII-B). Abgesehen von solch aktuellen Gefühlssequenzen ist es natürlich eine noch simplere Tatsache, dass jede Handlung (bei Tieren: jedes Verhalten) mit Gefühlen einhergeht – aber nicht als eine separate Sequenz. Jede Handlung und jede Interaktion ist ein Vorantragen des Körpers, nur deshalb fühlen wir unsere Handlungen. Ich bezeichne diesen Typ von Gefühl als »in-Verhalten« oder »in-Handlung«. Da kulturelle Situationen sehr komplex sind und jede Situation implizit weitere komplexe involviert, wird körperlich und handlungsmäßig auf diese Weise sehr viel mehr gelebt und gefühlt, als in diesen eher wenigen sich einstellenden (slotted) Sequenzen entwickelt wird, die wir als unsere Gefühle ansehen. Durch eine VIIer-Sequenz wird zwar diese ganze Komplexität vorangetragen, weil sie ja in jeder Sequenz implizit ist. Trotzdem wird sie nie als solche gefühlt. Weder »sich einstellende« Gefühle noch »Gefühle-in-Handlung« vermitteln ein Gefühl für das gesamte Kontext-System. Implizit trägt alles, was geschieht, dieses Ganze auf eine gewisse Weise voran, aber durch eine andere Sequenz würde es anders vorangetragen werden. Alles geschieht in dem impliziten Kontext, in dem auch alles andere enthalten ist, und deshalb findet alles im gesamten Kon401 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
text von allem anderen statt. In Kapitel VII kann es noch kein »Haben« des Ganzen geben außer impliziterweise in der einen oder anderen Sequenz. Eine VIIIer-Sequenz hingegen, so werde ich im Folgenden zeigen, trägt das Ganze voran und ermöglicht bzw. ist das »Haben« dieses Ganzen. Das neue »Fühlen« ist ein Gefühl, ein Haben, ein Entwickeln-Lassen des Ganzen. Im Folgenden werde ich mich heranarbeiten, um dies zeigen zu können. Nehmen wir ein typisches VIIer-Beispiel, an dem wir sehen können, wie das Ganze eben nicht in der Art und Weise, die ich meine, gefühlt oder gehabt werden konnte, obwohl es implizit auf eine bestimmte Weise vorangetragen wurde. Zum Beispiel habe ich tatsächlich einmal meine Zigarette auf der Tischplatte ausgedrückt. Es war eine Aktion, die manche Leute als »ausdrucksstark« bezeichnen würden. Als ich es tat, habe ich natürlich gefühlt, was ich tat, und ich habe auch die Situation gefühlt, die dazu geführt hat (wie wir alle es in jeder gewöhnlichen Handlung tun). Aber ich tat nicht, was Isadora Duncan beschrieben hat. Ich ließ nicht zuerst ein Fühlen der ganzen Situation in mir entstehen, um dann daraus zu handeln. Ich hatte und fühlte die ganze Situation lediglich »im-Verhalten«, in diesem spontanen Akt. Nachher musste ich mich an die Situation zurückerinnern und versuchen herauszufinden, was mich dazu gebracht hatte, so zu handeln. Natürlich war es Ärger, den ich fühlte, aber das ist zu einfach. Gefühle »fallen zurück« (»break back«), wie wir in Kapitel VII sahen, das heißt, dass sie normalerweise nicht die ganze Situation berücksichtigen oder vorantragen. (Deshalb bereuen wir später oft, was wir gefühlsmäßig getan haben. Dann erst werden andere Aspekte der Situation ersichtlich, die nicht vorangetragen wurden.) Selbst wenn ich zunächst meinen Ärger gefühlt hätte (in einer sich einstellenden [slotted] privaten Sequenz), so hätte ich dadurch noch nicht die ganze Situation gefühlt. Mein spontanes Verhalten hat deshalb auch nicht die ganze Situation vorangetragen. Keine Sequenz von VIIer-Sym402 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einführung
bolen kann das jemals, egal ob sie verbal, bildlich, vorgestellt oder ausagiert ist wie in diesem Beispiel. Zwar ist etwas Neues passiert (üblicherweise reagiere ich nicht so), aber es geschah nicht das, was in Isadoras Pause geschieht. Duncan hätte auch auf diese spontane Weise tanzen können, ohne zu warten. Von irgendeiner Stelle aus hätte sie während ihres Wartens tanzen können. Es wäre irgendein Tanz entstanden. Stattdessen hat sie sich auf etwas anderes eingelassen. In jedem neuen Moment des Innehaltens spürt sie den gesamten Kontext unmittelbar als ein »Fühlen« (wobei dieser Ausdruck nicht ganz richtig ist). Keine der vorangehenden Arten von Sequenzen, die wir betrachtet haben, wäre dazu in der Lage gewesen. Der Raum, in dem Duncan den Ursprung stimmiger Bewegung sucht, hat, wie wir bemerkt haben, einiges mit einem zwischenmenschlichen Interaktionsraum gemeinsam. Sie interagiert mit einer Art »Fühlen« (feel), noch bevor es richtig da ist. Sie sucht es, achtet darauf, wartet, lässt es kommen, verfolgt es weiter und richtet ihre Aufmerksamkeit darauf, spürt, ob es stimmig oder unstimmig ist – und das alles, bevor etwas klar als ein »es« bezeichnet werden kann. Dies alles sind Handlungsweisen, die man auch in Beziehungen zu Personen oder Objekten in einem gewöhnlichen Situationsraum (den wir in Kapitel VII entwickelt haben) ausüben könnte. Interaktion findet normalerweise (und soweit wir es bis jetzt erörtert haben) mit einer Person oder einem Ding statt. Man folgt jemandem nach oder deutet auf etwas. Nun finden Interaktionen wie diese in einem neuen Raum statt, der durch diese Handlungsweisen entstanden ist, und diese Interaktionen lassen ein neues seltsames Gespür (sense) zwischen der Tänzerin und dieser neuen Art des »Fühlens« entstehen. Eine kleine körperliche Veränderung entsteht durch irgendeine Veränderung in der Umwelt, die wiederum den Körper in eine neue kleine Körperveränderung voranträgt – so haben wir bis jetzt eine Sequenz aufgefasst. Wenn ich in irgendeiner Situa403 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
tion nach etwas suche, dann wird die Szene (und wie ich sie erfahre) durch mein Suchen verändert, und was ich dann sehe, beeinflusst wiederum, wie ich weiter suchen werde – das heißt also, dass die nächste in gerichteter Weise implizite Bewegung meines Körpers verändert wird, je nachdem, wie sich die Umgebung zu meiner letzten Bewegung verhält. Ein weiteres Beispiel: wie ich mich im Raum bewege, verändert die Erreichbarkeit aller Objekte von meinem jeweils neuen Ort aus. Das wiederum hat Einfluss auf meine nächste Bewegung. So verhält es sich mit jeder Sequenz. In unserer neuen Art von Sequenz hat die Bewegung, mit der sich Duncan ihrem erst noch vagen Fühlen zuwendet, Einfluss auf dieses Fühlen, das im Gegenzug auf die nächste Bewegung einwirkt, die in ihrem Körper entsteht. Allerdings sind diese Bewegungen jetzt keine Tanzschritte, keine Wörter oder Bilder, sondern es ist ihre Interaktion mit diesem Fühlen, ihre Zuwendung oder ihr Weiterverfolgen oder Warten. Die Umgebungsveränderungen sind Veränderungen in diesem »Fühlen«. Aus jedem kleinen Stückchen dieser neuer Sequenz hätte Duncan tanzen können. Stattdessen fühlt sie das Ganze, aus dem heraus so ein Tanz entstehen könnte, und sie fühlt, dass dieses Ganze noch nicht stimmig ist. Sie wendet sich diesem Fühlen zu, und es verändert sich so, dass es ihren Körper in eine weitere Bewegung voranträgt (wir müssen später über diese neue Art des Vorantragens nachdenken und darüber, wie es passiert). Auf diese Weise ist die neue Sequenz eine Abfolge von Veränderungen im gesamten Kontext, eine Art Veränderung in diesem Ganzen, die durch Tanzen nicht hätte passieren können. Jedes Stückchen dieser neuen Sequenz ist ein verändertes Ganzes. Jedes würde zu einem anderen Tanz führen als das vorhergehende. Jedes würde auch zu einem veränderten Sprechen führen, wenn sie versuchen würde zu sagen, wie sich dieses »nicht ganz stimmig« jetzt anfühlt, und zu anderen Bildern, wenn sie versuchen würde, sich diese vorzustellen. Jedes kleine Stückchen der Sequenz ergibt ein neues Ganzes. 404 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einführung
Im Sinne von Kapitel VII jedoch bleibt die Situation ganz und gar unverändert. Es ist diese Relevanz, nämlich zu spüren, gleich tanzen zu können, die unverändert bleibt im Sinne von VII – denn Duncan tanzt immer noch nicht. Sie wartet noch. Die gleiche VIIer-Situation wartet, ist angehalten (paused). Die VIIIer-Sequenz verändert in neuer Weise, was in VII gleich bleibt. Jedes neue Ganze ist auf diese Weise eine Version »derselben« Tanz-Situation im Sinne von VII. So wie wir neue Arten von Sequenzen in früheren Kapiteln entwickelt haben, so besteht auch diese neue Sequenz hier aus einer Abfolge von Versionen desselben angehaltenen früheren Kontextes. Aus dieser Sequenz von Versionen stellt sich etwas Neues heraus. Wie auch sonst in unserem Schema stellt sich aus der Abfolge von Versionen das Gefühl oder das Objekt, das man hat, heraus. Das ist es ja, was »ein Gefühl« ausmacht. Es ist die Veränderung durch die vorantragende Kontinuität einer Serie von Körper-Zuständen, die wir als »ein« Gefühl wahrnehmen (und wir können ja nur über einen Zeitverlauf hinweg spüren). 49 Diese neue Art des »Fühlens« ist nicht einfach da und wartet, es formt sich in dieser neuen Sequenz. Sowohl bei ihren Bewegungen zu diesem »Fühlen« hin und bei dem »Fühlen« handelt es sich natürlich um Isadora Duncan, um ihren gesamten Körper. Je nachdem, wie sie die interaktionelle Beziehung zu dem »Fühlen« verändert, verändert sich auch das »Fühlen«, und während es sich verändert, führt es, impliziert es, ermöglicht es wiederum eine veränderte Haltung dazu. Wo passiert dies? In einem neuen Raum, der durch diese Art von Sequenz generiert wird. Wenn man jemandem sagt, er solle »neben« einem Gefühl oder einer Emotion stehen, wird ihm der Siehe Kapitel VI und VII. Wenn jedes bisschen buchstäblich gleich wäre, gäbe es keine Körperveränderung, und man würde nichts fühlen.
49
405 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
Satz, so verwendet, keinen Sinn machen. Was meinst du mit »daneben stehen?«, wird die Person fragen. Der neue Raum im Kapitel VIII ist noch nicht vertraut und konnte von dieser Person nicht konstituiert werden. In Kapitel VII fühlen Menschen Dinge in ihrer Brust oder in ihrem Magen, das ist das eine »Wo«, und sie spüren sie auch in ihren Situationen, das ist ein anderes »Wo«. In Kapitel VIII öffnet sich ein neuer Raum. Bis jetzt bestand jede Sequenz, die wir diskutiert haben, aus etwas Körperveränderung und etwas Umweltveränderung, und das ist auch hier der Fall. In jeder Sequenz trägt eine Art von Umwelt den Körper in ein etwas verändertes Implizieren voran (das lässt eine weitere Veränderung in dieser Umwelt entstehen, die dann wiederum den Körper voranträgt). In unserer neuen Sequenz scheint es jedoch gar keine Umwelt zu geben. Aber dieser Anschein trügt. Wir haben schon gesehen, dass Umwelt immer zum Teil »hausgemacht« ist. Die Umwelt, die Verhalten voranträgt, ist nicht nur eine rein physische Äußerlichkeit wie im alten Begriff der externen Stimuli. Vielmehr ist sie durch den Körper konstituiert und ist ein Teil des Körpers (vgl. Kapitel VI). In ähnlicher Weise bilden zwischenmenschliche Interaktionen eine neue Umwelt (zuerst das Körper-Aussehen, siehe Kapitel VII). Von welcher Art ist die neue Art Umwelt, die hier auf neue Art voranträgt? Es genügt nicht zu sagen, dass die neue Umwelt der Direkte Referent ist, das »Fühlen«, das ich erörtert habe. Das wäre so, als würde man eine Umwelt, die aus Verhaltensweisen besteht, mit Objekten gleichsetzen. Wir wollen die Herausbildung dieses »Fühlens« verstehen, genauso wie wir in Kapitel VI nicht mit den Objekten beginnen konnten. Da wollten wir auch verstehen, wie sie sich formen. Bisher sagten wir, dass das »Fühlen« sich aus den in Veränderung begriffenen Versionen des Ganzen »herausbildet« (analog zur Art und Weise, wie ich die neue Sequenz in Kapitel VI präsentiert habe. Wir haben dort gesehen, dass Empfinden-im-Verhalten sich aus einer Abfolge von Körper406 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einführung
Veränderungen »herausstellt«). Die neue Umwelt hier ist eine neue Art von körperlichem Empfinden (bodily sentience) – neu zumindest darin, dass damit interagiert werden kann auf diese neue Weise. Jetzt kann man nämlich mit etwas interagieren, was es zuvor lediglich in-Handlungen gab, und jetzt trägt es voran. Zu verstehen bleibt allerdings noch, wie das Vorantragen geschieht. Es ist wichtig zu betonen, dass die neue Sequenz nicht mit dem Direkten Referenten beginnt. Der wartet dort nicht, bis er bemerkt wird oder bis man mit ihm interagiert. Vielmehr ist der Direkte Referent eine neue Art von Objekt, ein »Datum«, das sich formt, das sich aus der Sequenz »herausstellt« (falls out). Die Sequenz beginnt mit suchen, kommen lassen, warten auf ..... was noch nicht »da« ist. Und wo schaut man und lässt etwas kommen? Auch dieser Raum ist neu und wird generiert. Indem man sozusagen im normalen Körper-Empfinden sucht, findet sich dieses Suchen vorangetragen durch eine Veränderung in einem irgendwie anders gearteten Raum. Wie sich dieser Raum generiert, wird bald klar werden. Denn man fühlt nicht wie gewöhnlich Schmerz, Hunger oder Müdigkeit im Körper, und doch ist es nicht völlig davon zu unterscheiden. Ich will den Unterschied klarer machen. Obwohl die Unterschiede in unserer neuen Sequenz gering erscheinen mögen, ist doch jede von ihnen eine enorme Veränderung. Duncan nennt es die Entdeckung des »Kraters der Bewegungskraft, die Einheit, aus der all die unterschiedlichen Bewegungen entstehen«. Es ist eine neue Art Quelle. Kein Tanz, kein Sprechen oder Handeln vom Typ VII könnte so einen großen Unterschied machen. Es ändert sich alles, wenn auf diese Weise ein kleines bisschen Veränderung geschieht. Jedes bisschen ist ein neues Ganzes, ein verändertes Ganzes. Aus jedem bisschen Veränderung entsteht ein entsprechend anderer Tanz oder ein anderes Sprechen oder Handeln. Ich habe diese neue Art des »Fühlens« schon von Emotionen und »sich einstellenden« (slotted) Gefühlen unterschieden. Die407 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
se üblichen Gefühle bewirken natürlich auch Veränderung. Was man nach so einem Gefühl sagt oder tut, ist anders als zuvor. Aber all das ist noch innerhalb des gesamten Kontextes. Unsere neue Sequenz dagegen besteht aus Veränderungen des Ganzen. Diese neue Art des körperlichen »Fühlens« ist nun zu unterscheiden vom gewöhnlicheren Körperempfinden. Zuerst soll Duncan diesen Unterschied machen, dann werde ich es tun. Duncan schreibt: »Die (alte) Ballett-Schule lehrte den Schüler, dass die Quelle (aller Bewegung) in der Mitte der Rückens an der Basis der Wirbelsäule liegt. Von dieser Achse aus, sagt der Ballett-Meister, müssen sich Arme, Beine und Oberkörper frei bewegen und den Eindruck einer animierten Marionette ergeben. Diese Methode produziert eine artifizielle mechanische Bewegung, die der Seele nicht würdig ist.« (Duncan, My Life, S. 75). In ähnlicher Weise wird heute viel mit dem Körper und dem körperlichen Empfinden (bodily sensing) gearbeitet. Zum Beispiel kann man seine Aufmerksamkeit langsam von den Füßen hoch zum Kopf bewegen, so dass man überall Spannungen spürt und sie dann entspannt. Dabei arbeitet man mit einem körperlichen Empfinden, das rein körperlich ist, es ist kein Spüren einer ganzen Situation. Andere Methoden gehen mit der Entdeckung (oder NeuEntdeckung) einher, dass alte Kindheitsereignisse und emotionale Sequenzen so, wie sie damals waren, im Körper gespeichert sind. Es gibt gegenwärtig viel aufgeregtes Rätselraten darüber, wie das sein kann. Wenn man auf eine gewisse Weise die Muskeln beansprucht oder sonst wie körperlich arbeitet, kommen diese alten Sequenzen hervor und werden spontan ausagiert und ausgedrückt. Dies muss sehr rätselhaft wirken, wenn der Körper in der gewöhnlichen physiologischen Weise verstanden wird. Unser Modell erlaubt uns, darüber klar nachzudenken. Der Körper impliziert auf ausgerichtete Weise jeweils einen nächsten Schritt, in dem alle Sequenzen, die er je durchlebt hat, ineinandergreifend wie in einem Gewebe implizit sind (und 408 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einführung
auch übereinander pyramidisiert, siehe Kapitel VI). Aber in diesen Methoden sind die alten Erinnerungen, Handlungen und Emotionen natürlich nicht das gegenwärtige lebendige Implizieren der Person. Die alten Sequenzen und die reinen Emotionen sind außerdem nur partiell, wie alles in den Typ-VIIer-Sequenzen. Es ist etwas ganz anderes, eine körperliche Wahrnehmung von seiner eigenen ganzen Situation zu haben (zu fühlen, zu sequenzieren). Dieser Unterschied ist äußerst folgenreich, wie ich später darlegen werde. (Die alten Muster sind nicht als solche konstitutiv für unseren Lebensprozess. Die »ewige Wiederkehr des Gleichen« und die »Archetypen« werden ganz anders zu verstehen sein, wenn wir einmal diese neue Art der Sequenz begreifen, die sich hier entwickelt.) In dieser neuen Art von Sequenz ist körperliches »Fühlen« ein körperliches Implizieren der nächsten ausgerichteten Bewegung, und zwar jetzt (was ein Ausrichten von vielen, vielen impliziten Sequenzen ist), und die neue Sequenz ist darin eine Reihe von Versionen, eine Reihe von Veränderungen. Duncan war eine der Pionierinnen dieser neuen Ebene. Stanislawski war ein anderer Pionier. Heute noch wird missverstanden, dass er gesagt haben soll, Schauspieler sollten die Emotionen fühlen, die sie darstellen. Er mochte kein emotionales Schauspiel. Was er vorzog, war das Spüren einer ganzen Szene, das gesamte Spiel, die ganze Situation, das sich-Einleben in das Ganze ..... »… wegen Mangel an besseren Methoden wird der Bühnendirekter Emotionen aus dem Schauspieler pressen, indem er ihn vorantreibt wie ein Pferd, das schwere Lasten nicht von der Stelle bewegen kann. ›Mehr, mehr‹, wird der Bühnendirektor schreien. ›Leb stärker, gib mir mehr davon! Lebe es nochmals! Fühle es!‹ …« (Aus: My Life in Art, Theatre Arts Books, N.Y.; 1948, Ausgabe von 1921, 475)
409 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken »… Es scheint so, als ob es nichts Einfacheres gäbe als nackte Leidenschaft und sonst nichts. Doch je einfacher eine Sache ist, umso schwerer ist sie darzustellen. Das Einfache muss viel Inhalt haben. Ohne Inhalt ist es so wenig zu gebrauchen wie eine Nussschale ohne Kern. Das Einfache muss, um das Wichtigste zu werden und sich voran zu bewegen, in sich die gesamte Bandbreite komplexer Lebensphänomene enthalten.« (ebenda 474–475) »Neben Talent braucht es auch eine innere spirituelle Technik.« (ebenda 475)
Hier sehen wir, dass neue Konzepte gebraucht werden. Sonst sind wir nicht fähig, den Unterschied zwischen Emotionen (und Gefühlen im gewöhnlichen Sinn) auf der einen Seite und dieser neuen Weise des »Fühlens« zu erfassen und zu verstehen, das »in sich die gesamte Bandbreite komplexer Lebensphänomene enthält«, wie Stanislawski sagt. »Ich muss nur an die Gedanken und Sorgen von Stockman denken, und die Anzeichen von Kurzsichtigkeit kamen von selbst, zusammen mit dem nach vorne gebeugten Körper, dem schnellen Schritt, den Augen (…) Und diese Gewohnheiten kamen von selbst, unbewusst und ganz unabhängig von mir selbst. Woher kommen sie? Woher? Die kreativen Wege der Natur sind außerhalb des menschlichen Horizonts.« (Ebenda 405)
Ihm fehlen hier die Konzepte für die Bildung dieser neuen Art des inneren Objekts, des »Datums«, das »in sich selbst die gesamte Bandbreite komplexer Lebensphänomen enthält«. Diese Konzepte erstellen wir nun. Stanislawski (wie auch Duncan – sie sprachen wirklich miteinander) verlangt von seinen Schülern, dass sie zunächst still sind und dass sie ein »Fühlen« entstehen lassen, das seine eigene Richtigkeit hat. Erst dann sollten sie aufstehen und spielen, so dass ihr Spielen sich aus diesem neu gebildeten inneren »Datum« heraus entwickeln könnte. Richtige Haltungen und Bewegungen würden dann kommen. Er insistiert also auch auf einer Pause in den VIIer-Sequenzen, auf einer Zeit, in der man nicht spielt oder spricht oder sich gemäß irgendeiner VIIer-Sequenz verhält. 410 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Einführung
Wir sehen hier wieder, dass sich etwas verändert, wenn sich dieses neue innere »Datum« bildet. Wie aus diesem neuen Bezugspunkt heraus gehandelt werden kann, unterscheidet sich davon, wie zuvor gehandelt worden wäre – und dieser Unterschied ist anders und stärker als die Art des Unterschiedes, den eine VIIer-Sequenz ausmacht. Alles, was jemand dann tut, ist anders, insofern es aus diesem veränderten Körperspüren heraus gelebt wird. Die ganze Bandbreite impliziter Sequenzen ist an dieser veränderten Entstehung beteiligt. Deshalb kommen solche Weisen zu stehen, zu sprechen und zu schauen wie von selbst und sind angemessen. Stanislawski bezeichnet es als Befähigung, »aus der inneren Natur etwas Neues zu kreieren«. Ich befasse mich mit Duncan und Stanislawski nicht wegen meines Interesses an Kunst oder Drama. Was Stanislawski in sich nutzt, ist der implizite Situations- und Interaktionsreichtum seines ganzen Körpers, der durch dieses spezielle gerichtete Implizieren als Ganzes jetzt verändert wird. So etwas brauchen wir in jeder Lebenssituation, auch in jedem neuen theoretischen Denken. Sein Prozess besteht aus dem lebendigen Vollzug eines körperlich impliziten Ganzen, und daraus entspringen veränderte und richtigere Handlungen und Gedanken 50 . Um was für eine Art der Sequenz, um welche neue Art des »Fühlens« handelt es sich hier? Wie hätte ich denn das Ganze meiner Situation gehabt und gefühlt, die mich (wie wir vage sagen) ärgerlich werden ließ? Und was für eine neue Art des Spürens ist es, die das gewöhnliche VII-Sequenzieren pausiert? Einstein schrieb, dass er während der 15 Jahre seiner Arbeit an der Allgemeinen Relativitätstheorie nicht nur ein »Gefühl« dafür hatte, wie die Antwort auszusehen hätte, sondern dass ihn dieses Gefühl leitete. Was meint er damit? Nicht, dass er ein persönliches Gefühl hatte. Sondern dass sein Wissen über Diese »Richtigkeit« ist das ja…ja…, das mit der Herausbildung des Direkten Referent kommt. Ich werde es später diskutieren.
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Physik und Mathematik »ungenügend« war und ihm verunmöglichte, das Problem tatsächlich zu lösen und Gleichungen zu formulieren, die korrekte Vorausberechnungen gestatten – aber dass sein Körper, der diese Situation als Ganze lebte und bündelte, daraus einen Direkten Referenten formte, den er als solchen fühlen konnte. Er konnte darüber nicht in physikalischen Begriffen sprechen, aber 15 Jahre lang war es ein Physik-Vorwärtsleben in einer körperlichen Weise. Nur als »gefühlt« konnte er es vorwärtsleben, nicht mit Gleichungen und Messungen. Originelle Denker betreiben wahrscheinlich häufig Direkte Referenz, obwohl man mit direktem Kontext-Kreuzen auch manchmal zu einer Antwort kommen kann oder zu einem weiteren Schritt eines Problems, ohne den Felt Sense oder das ganze Problem als solches gehabt zu haben. Diese Methode zu systematisieren, ist nicht nur für das Denken nützlich, es öffnet auch ein ganz neues Feld an Regeln, eine neue Art der Logik, eine neue Art und Weise des Verstehens der immer schon gegebenen Leistungsmöglichkeiten des Denkens und der Vermehrung dieser Leistungen.
b) Direkter Referent und gefühlte Veränderung (Felt Shift) In unserem nächsten Abschnitt werden wir verstehen, warum das so ist, und klarer darüber nachdenken. Hier will ich es beschreiben. Ein Direkter Referent (ein direktes Bezugsobjekt) bildet sich nicht immer. Er bildet sich auch nicht zwangsläufig dann, wenn wir es wollen. Und er bildet sich, wie auch immer er sich bildet und vielleicht überhaupt nicht so, wie wir es uns gewünscht oder erwartet haben. Anders gesagt, ein Direkter Referent kommt. Er kann nur kommen, wenn wir ihn lassen, und ich werde dieses »lassen« genauer beschreiben. Wenn ein Direkter Referent sich bildet und kommt, hat sich 412 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Direkter Referent und gefühlte Veränderung (Felt Shift)
etwas verfestigt, etwas ist geschehen, eine ganze Menge hat sich zusammengefügt. Wir werden dies später verstehen. Zuerst ist da nur eine instabile Periode des Kommens und Gehens. Man spürt die »ganze Situation« oder »das ganze Problem«, und dann ist das Gespür (sense) dafür wieder verschwunden. Es gibt Möglichkeiten, Menschen dabei zu helfen, wie sie einen Direkten Referenten formen lassen können, die viel genauer sind, als ich es hier beschreibe (Focusing). Dennoch mag Folgendes sehr spezifisch klingen, vielleicht spezifischer, als Leser gewohnt sind, in die Details der Erfahrung einzusteigen. In dieser instabilen Phase, in der sich der Direkte Referent bildet, hilft es, einen vorläufigen beschreibenden Begriff für die Qualität des instabilen Gespürs zu finden, der sich auf das ganze Problem bezieht. Wir nennen das einen »Griff« (handle). Das ganze Problem fühlt sich ..... ungelöst ..... etwas klebrig an ..... ja, »klebrig« benennt es genau richtig. (Es kann ein persönliches Problem sein oder auch ein theoretisches, das wir gerade anscheinend ziemlich gut formuliert haben, und doch . . . . . ) Nehmen wir ein theoretisches Problem. Wenn der Griff passt, kann man ihn weiter gebrauchen, immer wieder, und der Felt Sense des gesamten Problems, das unbehagliche Gespür, das nun »klebrig« heißt, wird jedes Mal wieder kommen. »Es« kommt, von allein (und man muss darauf warten, sich körperlich bereithalten). Ah ..... da ist es wieder, ja, das stimmt, klebrig. (Vielleicht braucht es noch ein passenderes Wort, einen Ausdruck, ein Bild oder manchmal eine Körperhaltung . . . . . irgendeine Art von VIIer-Symbol.) Wenn der Griff so funktioniert, wie er sollte, dann wird der Direkte Referent sich stabiler bilden. Es wird eine innere »Ja… ja…«-Qualität geben, ein körperliches Gespür, dass das genau richtig ist, sogar dann, wenn man noch nicht weiß, worauf sich »klebrig« bezieht. (Man hat allerlei schnelle Ideen, worauf es 413 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
sich beziehen könnte, aber das sind alte Informationen, die müssen zur Seite geschoben werden.) Jedes Mal, wenn ein Direkter Referent jetzt kommt, sobald das Wort oder die Worte wiederholt werden, jedes Mal, wenn auf den Direkten Referenten gewartet wird, stellt sich wieder ein Gefühl der Erleichterung ein, etwas bewegt sich, lässt los, tut sich im Körper. Das kann eine leichte Bewegung sein oder eine große Erleichterung. Ja, das ist es genau, klebrig. Diese Befreiung oder Erleichterung oder Bewegung wird dann viel stärker geschehen, wenn nach einer gewissen Zeit der Felt Sense sich öffnet und sich auf eine bedeutsame Weise bewegt. Man findet dann auch heraus, was so »klebrig« an der vermeintlich guten Formulierung des Problems war – und üblicherweise ist es sehr anders als das, was man dachte. Es können viele kleine Dinge sein, die auf einmal an ihren Platz fallen, oder es kann eine große Bewegung sein. Von jetzt an ist alles ganz offen, und man kann es sagen, aber es braucht vielleicht noch Zeit, um die richtigen Worte und Handlungen zu finden. Man kann sagen, was die Schwierigkeit »war« und ist. Zum Beispiel: »Oh, ja…ja… genau, ..... meine Formulierung erfasst zwar genau diesen seltsamen Punkt, von dem ich denke, dass von dort aus etwas Interessantes kommen könnte, ... .. aber wie es nun aussieht, ist es zu einfach, auch wenn es gut aussieht. Irgendwie habe ich sogar das Problem vergessen, mit dem ich gestern so viel Mühe hatte. Heute sieht es so aus, als ob alles gelöst sei, aber nur deshalb, weil diese interessante Schwierigkeit verschwunden ist.« Oder vielleicht: »Oh ja…ja… ich kann es nicht ausstehen, wenn alles auf diese Art von Erklärung hinausläuft!« Dann wird es einen weiteren Schritt brauchen, die Person wird versuchen, weiter auszuformulieren, was das, »was ich nie gemocht habe«, implizit über »diese« Art von Erklärung enthält. Was anfangs ein verschwommenes Unbehagen zu sein scheint, eine rein persönliche Reaktion auf ein theoretisches Ar-
414 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Direkter Referent und gefühlte Veränderung (Felt Shift)
gument, enthält implizit komplexe und auch neue Sicht- und Verstehensweisen des theoretischen Themas. Denken, wie wir schon in Kapitel VII gesehen haben, ist ganz und gar nicht nur ein Herumbewegen fixer Entitäten, ein Herumbewegen definierter Konzepte und »Bestandteile« von Wissen. Denken ist immer weitgehend implizit, und wie ich zu zeigen versucht habe (Experiencing and the Creation of Meaning; Thinking beyond Patterns), ist das Implizite nicht ein Rand oder die Peripherie dessen, worüber wir zentral nachdenken. Es ist eher so, dass der Sinn, der zentrale Punkt, um den es geht, nur als Vorantragen einer impliziten Komplexität zu haben ist. Es ist genau dieser Punkt, der implizit in dem, was wir jetzt sagen oder denken, funktioniert. Dieser »Direkte Referent« ist deshalb neu. Das Implizite funktioniert in jeder Art von Denken, und in jedem neuen Denken werden ein paar neue Aspekte spezifiziert, aber dies kann auch spontan als Reaktion auf das, was sich zeigt, entstehen, aus dem direkten Kreuzen von Kontexten (siehe Kapitel VII-B). Später wird noch zu zeigen sein, warum das Herausbilden eines Direkten Referenten einen so großen Unterschied macht. Ein Gespür wie »klebrig« könnte als ein persönliches Gefühl (feeling) betrachtet werden, als ob es dabei nur um persönliche Belange ginge. Aber das stimmt ganz und gar nicht. Es äußert sich darin ein Begreifen des gesamten theoretischen Problems, eine umfassendere Auffassungsweise, die noch nicht formuliert werden kann. So verhält es sich auch mit persönlichen Problemen. Das Fühlen der ganzen Schwierigkeit unterscheidet sich von den üblichen Gefühlen und Emotionen (wobei letztere natürlich auch Wege sind, Situationen zu leben und in eine Sequenz zu bringen). Ein Gefühl zum Ganzen ist immer eine Art des Vorantragens komplexer Kontexte möglicher Sequenzen, die in der Welt möglich sind, oft in einer gerichteten Art und Weise, wie sie in der Welt noch nicht möglich ist. Sowohl unser theoretisches Denken als auch unsere Lebens415 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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weise laufen nicht mehr so vorgeprägt ab wie zu früheren Zeiten. In unserer Zeit kommen kulturell geprägte Muster und Routine-Abläufe mit unseren Situationen nicht mehr zurecht. Wie wir gesehen haben, bringt jede Entwicklung viele implizite Entwicklungsmöglichkeiten mit sich (Typ-a implizit), die tatsächlich noch gar nicht stattgefunden haben. Deshalb steigt unsere Komplexität mit jeder Neuerung an, und zwar deutlicher, als man dem jeweiligen Geschehen ansieht. Situationen entwickeln sich, die durch keine Handlung, die man schon vorrätig hat, vorangetragen werden können, und es lässt sich auch nicht immer leicht etwas Neues kreieren, was das tun könnte. Unsere Sensibilität, so könnten wir sagen, ist größer als das, was wir uns für das Vorantragen ausdenken können. Die Umstände, unter denen körperlich umfassendes Vorantragen kommen würde, sind komplexer und weniger häufig geworden und weniger leicht herbeizuführen. In immer mehr Situationen, in denen eine nach einfacheren, tradierten Mustern agierende Person ärgerlich werden oder Sex haben oder arbeiten oder einfach weitermachen würde, können wir blockiert sein, weil es keinen guten Weg gibt, keinen körperlich umfassenden Weg. Wie wir Vater sein können in unseren Situationen, wie Frau oder Student oder was auch immer, ist nicht so offensichtlich, nicht so routinemäßig festgelegt, dass es für uns funktionieren könnte. Wir müssen es jedes Mal neu herausfinden. Weil Emotionen an bestimmten Stellen in Interaktionen auftreten und weil unsere Situationen Neues von uns fordern, das wir nicht mehr vorantragen können, stellt sich die entsprechende Emotion vielleicht nicht ein; und weil Emotionen im ganzen Körper zu fühlen sind, denken die Leute, das Problem läge darin, diese Emotionen zu haben. Aber wie wir gesehen haben (in Kapitel VII-B), können Emotionen zurückfallen (break back), sie tragen dann nicht die ganze Situation voran. Das Ganze wäre etwas ganz anderes. Sogar abgesehen von der Tatsache, dass unsere kulturell vorgeprägten Gewohnheiten nicht mehr funktionieren, besteht die 416 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Direkter Referent und gefühlte Veränderung (Felt Shift)
Komplexität einer urbanen gebildeten Lebensweise so sehr aus symbolischen Handlungen statt aus körperlichem Tun, dass dieses »verdünnt« (thinned) ist (Kapitel VII-B). Wenn wir z. B. etwas unterschreiben oder auf einen Knopf drücken und es dadurch einen riesigen Wandel gibt, spüren wir das üblicherweise relativ deutlich in unserem Körper. Der Magen sinkt, das Herz klopft, die Hand zittert – und wenn die Handlung ganz voranträgt, dann gibt es einen Erleichterungsschub und einen neuen Aufbruch in unserem Leben. Aber wie häufig sind unsere Handlungen so, dass sie diese Art von Veränderung mit sich bringen? Normalerweise bleibt das Ganze so, wie es war, nur leicht verändert. Das Ganze einer Situation voranzutragen und in einem umfassend körperlichen Prozess zu sein, ist innerhalb der Muster von Situationen fast nicht möglich. Wie würde es jedoch sein, umfassend körperlich zu leben, das Ganze dieser vorgeprägten Situationen voranzutragen? Das wäre ein neues Stadium. Eine neue Art von »Umgebung« würde uns erlauben, das Ganze unserer Situation zu haben und sie als Ganze vorwärts zu leben. Lassen Sie mich deutlicher werden: Nehmen wir an, jemand hat Sie beleidigt. Sagen wir mal, Sie sind verletzt, ärgerlich, bekümmert in einer Weise, wie Sie es gemäß unserer kulturell tradierten Weise sein sollten. Diese definiert beides: was als »Beleidigung« zu gelten hat und wann und wie diese Emotionen kommen. Zu einem großen Ausmaß leben und fühlen wir natürlich noch in diesen Mustern, und so sind Sie also ärgerlich, verletzt und bekümmert. Wenn Sie gefragt werden, warum, werden Sie auf das Offensichtliche verweisen. Man hat Sie öffentlich so oder so genannt, und das ist doch Grund genug! Das kann doch wohl jeder verstehen? Würde sich nicht jeder so fühlen? Wir sagen ohne Umschweife, ja, jeder würde sich so fühlen, zumindest in unserer Kultur. Trotzdem: Wenn heute ein paar Personen auf eine ähnliche 417 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
Art beleidigt worden wären und jede ärgerlich, verletzt und bekümmert reagiert hätte – so gäbe es noch eine weitere Ebene, auf der man jede einzelne Person befragen und immer weiter befragen könnte, warum sie sich so fühlt. Um das beantworten zu können, müsste sich jede von ihnen den unscharfen Rändern, dem unklaren Teil der ganzen Situation zuwenden. Manche Leute wüssten nicht, wie das geht, geschweige denn, dass so etwas überhaupt möglich ist. Manche hingegen wissen, dass es immer einen unklaren Rand gibt, wenn man ihn sucht, wartet, dass er auftaucht, wenn man ihn kommen lässt. 51 Dann würde je nach Person sehr Unterschiedliches und Spezifisches zum Vorschein kommen. Wie jede andere auch, hätte auch diese Person Gefühle der Wut, des Ärgers, der Verletzung. Man neigt dazu, die entsprechenden Emotionen und den dazu gehörigen situativen Kontext immer wieder Revue passieren zu lassen. Damit sich jedoch ein Direkter Referent herausbildet, muss eine Person aufhören, durch diese VIIer-Sequenzen zu gehen. Aber dieses Aufhören ist nicht Nichts. Es ist eine andere Art von Aktivität, die eine »Pause« in der gewöhnlichen Aktivität schafft. Die veränderte Aktivität ist es, das Ganze als Ganzes zu spüren. Später werde ich eingehender beschreiben, wie dies zu bewerkstelligen ist. Wenn die Person dies tut, wird sie eine gesamthafte, körperliche Qualität der ganzen Angelegenheit finden, und die wird zu Beginn unklar sein. Die Person findet einen »Griff« für das Ganze, indem sie vielleicht sagt, es fühlt sich alles »mies« an. Ich fühle mich »mies«. Wenn sie nun ganz viel reden würde, wären die Sätze wieder von der gewohnten Art: »All diese Menschen, die zugeschaut haben, was werden die denken, ich bin so ärgerlich, ich sollte mich rächen, wart du nur ab, ich hasse es, wenn man mich zum Trottel macht etc. etc.« 51
Siehe Focusing, Hamburg: Rowohlt, 102012.
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Direkter Referent und gefühlte Veränderung (Felt Shift)
Wenn wir auf diese alten VIIer-Sequenzen zurückfallen, verliert sich das Gespür (sense) für das Ganze wieder. Anders sieht es aus, wenn die Person den Griff (»mies«) nutzt, um das Gespür für das Ganze wieder kommen zu lassen. »Ich erinnere mich, ›mies‹ ..... ist das noch da? . . . . . (wartet) ..... ah, ja, da ist es wieder .....«. Während wir dieses Gespür kommen lassen, vielleicht immer wieder kommen lassen, nachdem es auch wieder verlorengegangen ist, ist es noch instabil. Wenn »es« wieder »da« ist, dann kann man es sozusagen berühren, abklopfen, befragen, sich darüber wundern ..... Dann ist auf einmal die gefühlte Veränderung (felt shift) da ..... ja, das ist es .. ... warte ..... jetzt kann ich es sagen. Jetzt wird die Person es vielleicht sagen können – oder auch nicht. Der Direkte Referent hat sich geformt – oder wenn wir wollen: weiter-geformt (die Herausbildung des Direkten Referenten umfasst all diese Schritte). Jetzt fühlt er sich für das Sprechen und Handeln geöffnet an, man kennt ihn, er ist selbst-verständlich, sogar ohne Worte. »Oh, es ist mir egal, was die denken, aber ich hatte Unrecht und ich hasse es, das so klar zu sehen, das macht das miese Gefühl aus. Komisch, ich wusste das vorher schon und doch auch nicht ..... Ja, so ist es.« Nach einer kleinen Weile ist entweder alles geklärt und die Person kann weiter machen, leben, denken, sich bewegen – oder (häufiger) das Problem ist nicht in einem Schritt gelöst. Es bleibt ein schlechtes Gefühl, jetzt dreht und dreht sich die Person um das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben, das zu hassen, es zu entschuldigen oder nicht zu entschuldigen, ethische Belange kommen ins Spiel etc. All das ist sehr anders als vor dem Shift, aber es sind wieder alte Gedanken, die nichts lösen. Wieder ist es nötig, dass sich dieses veränderte Ganze als Direkter Referent herausbildet. Wieder wird es einen »Griff« geben, sagen wir, es fühlt sich »unfrei« an. Ja, das stimmt. Mit 419 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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diesem Wort kann der neue Direkte Referent immer wieder kommen. Wenn er sich bewegt, gibt es eine große Erleichterung. »Oh ..... es hat nicht damit zu tun, Unrecht gehabt und einen Fehler gemacht zu haben. Es ist eher so, als ob ich gezwungen wäre, in dieses schlechte Licht hinein zu gehen, in das ich gestellt wurde, und dann entsprechend blöd auszusehen. Ich krieche immer wieder in diesen Zustand hinein.« Dann kann sich viel Erleichterung einstellen, und dann gibt es vielleicht noch eine Runde – die endet in »ah ja, phfff ..... Ich blockiere meine gute Energie dadurch, dass ich mich da immer wieder hineinbegebe, sicher ..... ja. Ich kann diesen dreckigen Platz gut aushalten, ich halte ihn vielleicht sogar etwas fest, aber ich habe mich selbst angehalten, seitdem das passiert ist, mich zurückgehalten, als wäre es nicht in Ordnung, meine Energie weiterfließen zu lassen. Uhhh ..... was für eine Erleichterung. Jetzt kann ich das.« Es ist sehr unwahrscheinlich, dass diese gleichen Besonderheiten auch bei einer anderen Person auftauchen würden, die an diesem Tag beleidigt wurde. Sie wären zunächst auch unklar, ähnlich poetisch in ihren Details, aber anders. 52 Eine zweite Person könnte befinden: »Ja, . . . . . hm . . . . . ich bin ärgerlich. Hmm .....« und nach der Herausbildung des Direkten Referenten an dieser Stelle: »Ja ....., ich versteh . . . . . oh ... .. (Seufzer, Atmen), ich fühle mich so, als ob ich diesen Idioten umbringen könnte. Es ist nicht sehr sicher für mich, so etwas zu fühlen. Genau, ja (Atmen). Ich werde etwas Dummes tun, nicht ihn wirklich umbringen, aber etwas Dummes. Ich will überhaupt nicht, dass dieser Teil von mir aufgeweckt wird. Es ist schwer, ihn zu kontrollieren.« Und nach einem weiteren ähnlichen Schritt: »Ja, es nicht kontrollieren zu können, das ist das Problem. Auf diese Art und Weise möchte ich nicht gerne ärgerlich sein. Der Ärger ist nicht so gefährlich, wenn ich bereit bin, Zu bemerken ist, dass der dritte Schritt nicht einfach nur eine spezifische Weise des Beleidigt-Werdens ist. Die Details fallen nicht »unter« die Definition einer allgemeinen Klasse. Siehe hierzu später mehr.
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Direkter Referent und gefühlte Veränderung (Felt Shift)
ihn einen kleinen Moment lang zu haben, aber ich weiß nicht, ob ich ihn haben und auch halten kann, und sei es nur kurz. Pfff ..... Wenn ich ihn halten könnte, könnte ich darüber nachdenken, was ich tun will.« Jetzt könnte der Leser sagen: Was soll das beweisen? Natürlich sind wir unterschiedlich. Aber was ist aus der kulturellen Routine geworden? Hatten wir nicht gesagt, dass jeder diesbezüglich gleich reagieren würde? Wie wir sowohl gleich als auch unterschiedlich sein können, ist keine einfache Frage. Übliche kulturell eingespielte Muster enthalten keine der obigen Aussagen und auch keine der Handlungen, die diese Leute nun tun könnten. Solche Aussagen und Handlungen tauchen erst dann auf, wenn man zulässt, dass die ganze Situation in einer neuen Weise vorangetragen wird und nicht durch eine Sequenz, die von bestehenden Mustern vorgegeben ist. Was dann gesagt wird und mögliche spezifische Handlungen sind in dieser Weise noch nie geschehen. Sie sind neu in der Geschichte der Welt. Darum ist die Sprache häufig ungewohnt, seltsam neu geformt (»Es ist eher so, als ob ich gezwungen wäre, in dieses schlechte Licht hinein zu gehen, in das ich gestellt wurde, und dann entsprechend blöd auszusehen. Ich krieche immer wieder in diesen Zustand hinein.«) Aber haben wir uns nicht alle schon einmal so gefühlt? Ist dies nicht einfach nur eine dichterische Art, um – vielleicht zum ersten Mal – das auszudrücken, was eine erkennbare Facette von jedermanns Erfahrung ist, oder wenigstens von vielen? Selbst wenn wir es nicht erfahren haben, verstehen wir es sofort. Jemand stellt Sie in ein schlechtes Licht, und wenn Sie das Gefühl haben, es stimme zumindest ein bisschen, dann fühlen Sie sich gezwungen, dort wieder hinein zu gehen und darin zu bleiben, und es fühlt sich schlecht an. Ist das neu in der Geschichte der Welt? Es ist einfach nur ein poetischer Mensch, der das so differenziert ausdrücken kann.
421 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
Später werde ich zeigen, warum Sprechen und Handeln von einem Direkten Referenten aus verstehbar wird. Das Bilden des Direkten Referenten ermöglicht eine solche poetische Neuheit – aber die neue Formulierung ist nur ein Resultat. Die vorgängige wichtige Sequenz ist die Herausbildung des Direkten Referenten, das Haben und Fühlen der ganzen Situation als ein direkt gefühltes unklares Ganzes. Dieses Haben, diese Sequenz ist schon ein Vorantragen – nur so können wir über die Zeit hinweg eine Art von Anhalten und Sequenzieren des Ganzen haben und fühlen. Es ist eine andere Veränderung, als wenn wir wie gewöhnlich etwas unternehmen und sagen und nur verwenden, was schon klar ist, ohne einen Direkten Referenten entstehen zu lassen. Ohne dies kann niemand solche Aspekte finden, denken oder sagen. Wir alle sind auf eine solche Weise komplex, selbst in einer noch so traditionellen Kultur. Diese Komplexität ist und bleibt implizit und unverändert, unerlöst, körperlich eingeengt, in welcher Art auch immer. Es gibt keine Direkten Referenten dort in irgendeinem »Unbewussten«. Das Unbewusste ist der Körper. Aber die Bildung des Direkten Referenten ist eine neue Art von Sequenz, die außer ein paar merkwürdigen Menschen zu anderen Zeiten noch niemand kannte. Die Direkten Referenten sind nicht auf implizite Weise da, aber die ganze Komplexität ist da, und sie ist implizit in jeder Handlungs-, Fühl- und Denksequenz. Wenn sich eine Person auf die Herausbildung eines Direkten Referenten einlässt und dann spricht, dann können wir verstehen und »erkennen« – nicht was im wörtlichen Sinn vorher da war, sondern genauer, was sich aus dem heraus, was da war, jetzt formt. Was da war, war implizite Komplexität, waren implizite Sequenzen, manche von ihnen noch nie sequenziert – aber auch all die, die schon sequenziert wurden, Situationen, die wechselseitig ineinander impliziert sind, der interaktive Lebenskontext (selbstverständlich nicht völlig geeint). Aus unserer Komplexität heraus formt der Sprecher, dem wir zuhören, in uns ein Erkennen, dass wir auch immer schon so »waren«. Und 422 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Die neue Art der Sequenz
doch, wenn diese »gleiche« Bedeutung sich (in uns) formiert, ist sie aus einer anderen implizit funktionierenden Erfahrung gemacht. Nämlich unserer. Ich werde im Appendix zu Kapitel VIII-A mehr über dieses neue Verhältnis zwischen Neuerung, Einzigartigkeit, universeller Verstehbarkeit, Allgemeinheit und Besonderheit sagen. Dieser Abschnitt hat gezeigt, aber nicht gelöst, wie diese Begriffe überdacht werden müssen.
c) Die neue Art der Sequenz Wir verstehen unsere Sequenz bislang nur so weit, dass gewisse interaktive Bewegungen hin zu einem noch nicht-direkt-präsenten »Fühlen« dieses »Fühlen« generieren und einen neuen Raum bilden, in dem es sich formen kann. Wir haben auch gesehen, dass jedes kleine bisschen einer solchen Sequenz zugleich eine Veränderung des Ganzen ist, eine veränderte Version der »gleichen« Gesamtsituation, der gleichen gesamten Relevanz. Wir haben gesehen, dass eine solche Veränderung im Ganzen nicht durch eine VIIer-Symbolisierungs-Sequenz geleistet werden kann (andererseits hat auch jede VIIer-Sequenz das Ganze implizit in sich auf ihre eigene Art und Weise). Jedes kleine bisschen der neuen VIIIer-Sequenz verändert »alles«, und aus dieser Abfolge sich ändernder Versionen bildet sich das neue »Fühlen«, der Direkte Referent als ein gehabter, gefühlter heraus. Dieses Haben des Ganzen (oder Fühlen also solches) war in Kapitel VII nicht möglich. Es ist eine neue Art von körperlichem Gespür (bodily sense) für die gesamte Komplexität selbst. Um es zu haben, muss man eine Pause im VIIer-Symbolisierungsprozess machen. Viele Leute können heutzutage nicht einmal für einen Moment ohne irgendeine VIIer-Symbolisierungssequenz sein. Sie müssen sich in einem fort Gedanken machen, sich irgendetwas vorstellen oder etwas tun. So kann sich die neue Sequenz nicht 423 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
entwickeln. Natürlich haben solche Leute Gefühle (feelings). Aber diese Gefühle haben sie nur in Bezug auf eine vorgestellte Situation und im Nachdenken darüber, was sie in dieser Situation tun könnten. Körperliche Empfindungen (body sensations) kennt natürlich jeder, auch solche, die als Emotionen kommen. Das Herz schlägt, der Magen sinkt. Sie sind im Körper lokalisiert. Emotionen verursachen auch einen großen Shift – wenn sie kommen, ist alles anders. Was man sagen oder tun würde, ist, sobald die Gefühle gekommen sind, anders als vorher. Aber die Emotionen lassen nicht die ganze Situation ablaufen, sie sequenzieren nicht (denn sie lassen kein Fühlen der Gesamtsituation aufkommen). Das Gefühl des schlagenden Herzens, zum Beispiel, wird in dem uns vertrauten Situationsraum erfahren, das heißt zwischen dem Tisch und der Lehne des Stuhls, auf dem ich sitze. Auf der anderen Seite wird die Veränderung der Situation (durch die sich einstellende Emotion) in der Situation um mich herum erfahren. Die Beziehung zwischen diesen beiden Veränderungen wird auch erlebt, aber nicht auf klare Weise. Der Situationsraum ist nicht so wie das Schlagen des Herzens »im« Körper lokalisiert. Im Kapitel VII sagten wir zwar, dass der Körper all unsere Situationen impliziert und in jeder Situation in gerichteter Weise unsere nächste Bewegung impliziert (selbst wenn wir dort noch keine doppelte Sequenz finden können). Aber das ist üblicherweise nicht im Körper selbst gefühlt als Gespür für die ganze Situation, als inneres Objekt (»Datum«), das im Körper lokalisiert ist. Wenn das körperliche Gespür (bodily sense) einer Situation als solches zu erfahren ist, dann haben die meisten Leute nur sehr vage und allgemeine VIIer-Sequenzen verfügbar. Man fühlt sich »angespannt« oder »entspannt«, »weit« oder »eingeschränkt«, »gut« oder »schlecht«. (Diese beschreibenden Qualitätsbegriffe sind nur physisch und allgemein, dennoch sind sie der beste Einstieg ins Focusing.) 424 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Die neue Art der Sequenz
Beim Entstehen lassen eines Direkten Referenten macht man zweierlei: man belässt die Situation gleich, und man lässt sie sich verändern. Man belässt sie gleich, indem man die Relevanz, die Pointe, das Gespür für das Ganze beibehält. Es ist diese Situation (und alles, was darin involviert ist), die ich als ganze spüren möchte. An dieser Relevanz halte ich fest. Zugleich aber warte ich auf das Aufkommen einer neuen Art des Fühlens, auf den Felt Sense zu der ganzen Geschichte. Ich kann es nur aufkommen lassen, ich kann es nicht machen. Indem ich es aufkommen lasse, erlaube ich meinem körperlichen Fühlen (body-feel), sich zu regen, zu bewegen, das zu tun, was immer es unabhängig von meiner bewussten Kontrolle tut, während ich meine bewusste Kontrolle nutze, um die Situation, die Relevanz zu halten. Halten und Lassen ist ähnlich wie einen Rahmen halten und dabei allem, was zum Vorschein kommt, erlauben, sich in diesem Rahmen zu zeigen. Die Vorstellung eines Rahmens ist eine Analogie. (Man kann sich einen Rahmen tatsächlich vorstellen und ein Bild darin aufblitzen lassen – aber das wäre die Entstehung eines Bildes, nicht die eines Felt Sense. Ein Bild formt sich in einem Bild-Raum, nicht in diesem neuen Raum, den wir immer noch beschreiben müssen.) Halten und Lassen klingt widersprüchlich, aber es ist beides der gleiche Akt, wie es auch ein Halten und Warten geben kann. Während dieses Aktes gibt es unklare körperliche Veränderungen, und erst nach einigen Sekunden gibt es ein deutliches »dies hier«, den Felt Sense, den Direkten Referenten. Er kommt ein wenig so, wie eine Emotion im Körper entsteht, aus eigenem Antrieb, von selbst – aber in einem etwas anderen Raum als dem buchstäblich körperlichen Raum. Natürlich ist er auch buchstäblich im Körper, zwischen dem Tisch und der Stuhllehne (falls wir dort sitzen), aber es ist auch in seinem eigenen neuen Raum. Ich spüre den Felt Sense »dort«, und ich bin neben ihm, ich deute auf ihn in diesem neuen Raum. Der Raum ist nicht deutlich, bis der Direkte Referent sich formt. 425 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
Ob ein Direkter Referent sich tatsächlich formt, ob er kommt oder nicht, kann nicht kontrolliert werden. Man kann bewusst halten und warten, darauf zeigen und spüren, aber man kann keinen Direkten Referenten willentlich dazu bringen, sich zu formen und zu kommen. Wenn ich zum Beispiel unzufrieden bin mit meiner Formulierung eines theoretischen Problems, kann ich selbstverständlich Worte sagen wie: »Oh ..... nun bekomme ich eine Ahnung davon, was falsch ist.« Aber ich kann mich nicht dazu bringen, dass ich ein Gespür dafür bekomme, was falsch ist. Ich kann mit dem beginnen, was ich habe, etwa eine diffuse, unfokussierte Unzufriedenheit, aber dies ist noch nicht das »Spüren«, welches eine Version des Ganzen ist. Es gibt noch kein »dies«, das gekommen ist. Und vielleicht kommt es an diesem Tag überhaupt nicht, was auch immer ich innerlich oder äußerlich tue. Ich kann mein diffuses Unbehagen irgendwie benennen, indem ich ein Substantiv verwende, aber es entsteht dadurch noch kein Direkter Referent für mich (deshalb wollte Duncan so lange nicht tanzen). Aus all dem sehen wir, dass das Herausbilden eines Direkten Referenten tatsächlich eine Art von Vorantragen ist. Vorantragen ist etwas, das immer auch nicht passieren kann. Alles andere passiert, man kann, wenn man will, sprechen, malen, handeln, Tee kochen – aber nichts von alledem hilft dabei, ein Gespür für das Ganze aufkommen zu lassen. Wenn man allerdings darin geübt ist, ist es oft gar nicht schwierig, solch einen Referenten aufkommen zu lassen. Darüber hinaus gibt es noch eine weitere Unterscheidung: Ich habe sie »gefühlte Veränderung« (Felt Shift) genannt und früher schon beschrieben (Iberg nennt das Stadium vor dem Shift »schwanger« [parturient] und das Stadium nach dem Shift »geboren, auf die Welt gekommen« [nascent]). Hat der Referent sich einmal bewegt (shifted), dann kann man sprechen oder handeln, nicht nur in den unzähligen unbefriedigenden Weisen, die bereits verfügbar sind, sondern in einer ausgerichteten Art und 426 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Die neue Art der Sequenz
Weise, die voranträgt, was impliziert ist. (Selbst das ist nicht ganz richtig, man muss möglicherweise noch mehr tun oder dies könnte nur ein Schritt sein oder es könnte nötig sein, die Handlungssituation auf vielerlei Weisen anzugehen.) Aber man kann etwas sagen oder tun, was als nächster Schritt gerade richtig ist. Für weitere Schritte muss man sich dann vielleicht auf die Bildung neuer Direkter Referenten einlassen. Es ist nicht ganz richtig, das Aufkommen und das Bewegen des Direkten Referenten getrennt zu halten, als ob sie voneinander unterschiedene Geschehnisse wären. Manchmal sind sie es. Der Direkte Referent, das »Fühlen« des ganzen Problems, mag selber geschlossen und noch im Entstehen sein, bis er sich plötzlich öffnet und sich das, »worum es sich handelt«, herausstellt. »Es« hat sich verdichtet. Jetzt »begreift« man, auch wenn es noch einige Zeit brauchen kann, bis man Wörter oder Handlungsweisen findet. Was ich von nun an über den Direkten Referenten als Objekt zu sagen habe, bezieht sich auf ihn, nachdem er sich als ein »dies« geformt hat. Das bedeutet, dass eine Bewegung erlebt wurde, auch wenn es noch nicht derjenige »Shift« sein mag, der uns hinausgehen und all das, was nötig scheint, sagen oder tun lässt. So gibt es also einen Unterschied zwischen dem Direkten Referenten, der im Entstehen begriffen ist (so wie Duncan wartet, weil sich das Ganze noch nicht richtig anfühlt), und dem, der sich gebildet hat. Vielleicht bleibt mir dann nichts anderes zu tun übrig, als feststellen zu können, was das Problem war. Dennoch hat sich das Problem dadurch schon sehr verändert, weil ich jetzt sage, was es war und immer noch ist. Ich kann es jetzt nämlich sagen.
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VIII-A · Mit dem Impliziten denken
d) Relevanz und das perfekte Feedback-Objekt In der neuen VIIIer-Sequenz fühlt man die Relevanz als solche. Fühlen ist eine Sequenz von Veränderungen, eine Abfolge von Versionen. Das Ganze (oder die Relevanz) geht, indem es gefühlt wird, durch die Versionen hindurch. Indem es als solches gespürt oder gefühlt wird, ändert es sich (oft sehr stark, wie wir gesehen haben). Wenn ein Direkter Referent sich einstellt (sich verfestigt), dann können wir auch sagen (oder tanzen oder von dort aus handeln), was das ganze Problem »war«, was die Relevanz »war«. Aber das können wir natürlich nur aus einer veränderten Relevanz heraus sagen. Im Sinne von Kapitel VII besteht die gleiche Situation, die wir gehalten haben, immer noch, das gleiche Problem oder die gleiche Sorge. Obwohl sie in dieser Hinsicht noch gleich ist, hat sie sich aus der neuen Sequenz als neues »Fühlen« eingestellt, und aus diesem »Fühlen« heraus können wir nun in einer neuen Weise sprechen, um zu sagen, was es schon immer »war«. Wir haben oft gesagt, dass Explizieren nicht gleichzusetzen ist mit dem, was implizit war. Implizieren ist niemals mit irgendeiner Struktur gleichzusetzen. Wenn wir ein paar Mal gesehen haben, dass Vorantragen durch dasselbe Ding geschieht, meinen wir sagen zu können, dass es das war, was der vorangegangene Moment impliziert hat. So impliziert der Hunger Nahrung. Aber auch anderes könnte auf eine neue Art und Weise vorantragen (zum Beispiel intravenöse Ernährung). Auch wenn es neuartig ist, macht ein Vorantragen einen deutlichen Unterschied. Was impliziert war, wird nachher nicht mehr impliziert sein. Im Gegensatz dazu gibt es eine ungeheure Bandbreite von Geschehnissen, die nicht vorantragen und so das Implizieren unverändert belassen. Sie sind hungrig und gehen hinaus in den Regen. Jetzt sind Sie immer noch hungrig. Falls Sie auf dem Weg zu einem Restaurant sind, wäre dieses Hinausgehen eine Version Ihres gleichbleibenden Hungers, den Sie in 428 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Relevanz und das perfekte Feedback-Objekt
dieser Weise vorantragen – der aber trotzdem irgendwann und irgendwo durch Nahrung vorangetragen werden muss. Unsere neue Sequenz besteht also wieder aus Versionen (ist ein Versionieren) auf einer neuen Ebene. Ab und zu gelingt die Herausbildung des Direkten Referenten, und Duncan wird wieder tanzen (vielleicht nicht am gleichen Tag). Was ist denn nun genau das neue Vorantragen und neue Versionieren dieser VIIIer-Sequenz? Wenn es kommt (sich einstellt, sich verdichtet), dann habe (fühle, sequenziere) ich, was das ganze Problem »war«. Das heißt, dass sich damit ein Objekt, ein »Datum«, gebildet hat, das sich nun nicht weiterbildet und weiterverändert. Es gibt nun ein »dies«. Dieses »dies« ist das Gespür dafür, was das Problem »war«. Ich habe oder fühle es jetzt. Ich will im Folgenden erklären, dass dieses Objekt als solches ein Vorwärts-Leben, ein Vorantragen ist, eine Art Lösung des Problems. Es ist, was gebraucht wird, aber auf dieser neuen Ebene, in dieser neuen Umwelt (so dass ich immer noch einiges zu tun haben werde in den alten Umwelten). Es ist eine Art Lösung, ein Objekt, das voranträgt, und auch ein Gespür für das Problem. Darum lauten erste Beschreibungen des Direkten Referent üblicherweise so: »Ah, das ist es, darum geht’s bei der ganzen Sache!« Aber tatsächlich hat sich in dieser Herausbildung viel mehr verändert, als wir zunächst bemerken. Dass man das Gefundene der Vergangenheit zuschreibt, ist nicht ganz richtig. Dies (der Direkte Referent) ist nicht buchstäblich, was das Problem die ganze Zeit war. Etwas Neues und Anderes hat sich herausgebildet. Jede etwas veränderte Version der Relevanz trägt voran. Sie ist auf eine Weise das, was impliziert war. Der Körper lebt weiter, lebt voran, lebt die frühere Stockung des Problems oder der nicht richtigen Situation weiter. »Nicht richtig« meint lediglich, dass etwas in gerichteter Weise impliziert war und nicht passieren konnte. In diesem neuen Raum, so scheint es, kann nun geschehen, 429 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
was impliziert war und was im vorhergehenden VIIer-Raum unserer eigentlichen Situation nicht geschehen konnte. Der Direkte Referent bildet sich aus einer Sequenz, in der (sozusagen) erfüllt wird, was erforderlich war. Darum gibt es die große physische Erleichterung, wenn sich ein Direkter Referent herausbildet. Viele Prozesse im Körper müssen den Stopp (stoppage) nicht mehr tragen und kehren zurück in ihre normale Funktion (siehe Kapitel IV-A). Immer noch ist eine Interaktion in der Situation impliziert, sie wartet noch darauf, getan zu werden, sie ist vielleicht immer noch ziemlich unklar und unmöglich, aber der Körper hat weiter vorwärts gelebt, und der Stopp wurde durch ein neues Objekt, den Referenten, wiederaufgenommen (resumed). Wenn der Direkte Referent kommt (sich herausbildet, verdichtet, sich einstellt .....), geschieht dies durch eine »perfekte Feedback«-Sequenz – jedes bisschen davon ist, was das vorhergehende bisschen gerichteterweise impliziert gebraucht hat. Es ist deshalb nicht nur ein Gespür der Schwierigkeit, sondern ein neues Objekt, das durch die Lösung der Schwierigkeit (in einer neuen Art von Umgebung) entstanden ist. Man hat den Stopp hinter sich gelassen, der das eigentliche Problem gewesen ist. Von der veränderten Relevanz aus, in diesem jetzt veränderten ganzen Kontext, formuliert man das Problem auf neue Weise. Man formuliert es in einer Welt, in der es gelöst ist, in einem durch diese Lösung veränderten Kontext. (Falls irgendwelche weiteren Schritte in der VIIer-Situation gebraucht werden, bevor sich ein Weg zeigen kann, ist es wichtig, am Direkten Referenten des Problems festzuhalten, bis genügend Sequenzen sich von dort bilden können, so dass der Interaktions-Kontext entsprechend verändert werden kann. Häufig kann man nicht sofort so sprechen und handeln, dass die Situation zu lösen ist. Aber jedes Sprechen und Handeln ist nun beispielhaft für die Lösung und fühlt sich richtig an. Die Situation wird dadurch so verändert, dass sie die Lösung exem-
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Relevanz und das perfekte Feedback-Objekt
plarisch macht. Somit wird eine Handlung möglich, die zuvor so nicht da gewesen sein mag.) Der Direkte Referent ist ein perfektes Feedback-Objekt. All dies wäre widersprüchlich, hätten wir nur VIIer-Konzepte, um das zu sagen. Was wir als Problem empfinden, ist die Lösung. (Leute sagen häufig genau das! »Wenn du das Problem formulieren kannst, hast du schon die halbe Lösung« – und andere paradoxe Formulierungen. Ein Paradox ist ein neues Konzept, das hier noch nicht herausgebildet ist.) Auch wenn wir es die ganze Zeit gespürt haben, hat es sich wirklich fundamental verändert. Es war davor nicht so, wie wir jetzt sagen können, dass es »war«. Hier müssen wir sofort unterscheiden: Ohne eine VIIIerSequenz kann man auch sagen, was das Problem ist, und man hat auch viele Gefühle und Emotionen und kann handeln. Gewöhnlich sind dies aber nur weitere Manifestationen des Problems. Solche Sequenzen sind Beispiele für das Problem (wie der ganze Kontext ist, so dass man nicht weiterkommt und bemerkt: da ist ein Problem) und nicht für die Lösung (wie der ganze Kontext ist, so dass das Problem gelöst werden kann). Unsere Darstellung des Problems ist dann selbst ein Beispiel für das Problem, und ihr fehlt das, was dem Problem auch fehlt. Die eigene Anstrengung, etwas in Ordnung zu bringen, manifestiert ein weiteres Mal das, was man versucht, in Ordnung zu bringen. Vom Direkten Referenten aus sind jedoch die Darstellungen des Problems und anderer Handlungen Beispiele der veränderten Konstellation des vorangetragenen Ganzen, der Lösung. Der Körper hat sich selbst ein Objekt gegeben, das ihn in genau der Weise voranträgt, wie es die körperliche Ausrichtung gesamthaft impliziert. Natürlich fehlt noch etwas im VIIer-Interaktions-Kontext, in der Situation, aber dies kann jetzt gestaltet werden. Der vorangetragene Körper (der den Stopp nicht länger 431 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
trägt) kann nun direkt mit der Situation kreuzen, und das Sprechen und Handeln, das sich jetzt herausbildet, ist beispielhaft für das neue Ganze. Wenn ein Direkter Referent kommt, sich bildet (verdichtet) und sich öffnet (im Entstehen begriffen ist), dann hat das Vorantragen stattgefunden. Er kommt, wie er kann, und nur so. Wie er sein wird, ist üblicherweise nicht vorauszusehen, auf jeden Fall unterliegt er nicht unserer Kontrolle. Manchmal ist es nicht ein »dies«, sondern es sind zwei Dinge oder drei Facetten. Manchmal ist es eine merkwürdige Verbindung, zwei Dinge, keines davon ist »dies«, erst die Art und Weise, wie sie kreuzen. Ein Direkter Referent hat seinen eigenen Charakter. Eine große Veränderung findet in der Herausbildung eines Direkten Referenten statt, ein Vorantragen des Ganzen in Einklang mit dem gerichteten Implizieren, das zuvor nicht vorangetragen werden konnte. So wird verständlich, warum die Herausbildung des Direkten Referenten Zeit braucht (wieso der Direkte Referent nicht einfach da ist und wartet, sondern gebildet werden muss), und auch, warum er seinen eigenen Charakter hat. Man kann ein Problem nicht auf irgendeine alte Art und Weise lösen. Es kann kein Feedback-Objekt, kein Vorantragen von Komplexität auf irgendeine alte Weise geben. Die Veränderung durch die Herausbildung ist nicht dieselbe Veränderung, die wir fühlen, wenn der Direkte Referent als ein »dies« da ist. Das Herausbilden ist unklar – und auf einmal wird es so, dass sich der Direkte Referent als stabiles Objekt oder »Datum« herausstellt. Während Sekunden oder Minuten, manchmal sogar während Monaten, stellt sich nichts ein. Es ist nicht so, dass man sich dem, was dort ist und wartet, zuwendet oder es reflektiert. Diese Herausbildung ist sehr speziell. Wenn der Direkte Referent sich einstellt, ist jedes bisschen Sequenz genau das, was das vorhergehende bisschen benötigt hat, und das Objekt, das dadurch entstanden ist, ist das perfekte Feedback-Objekt.
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Das Schema des neuen Vorantragens und des neuen Raums
e) Das Schema des neuen Vorantragens und des neuen Raums Wie in den vorigen Kapiteln dargestellt, bringt auch diese neue Art des Vorantragens eine Art Verdoppelung mit sich, der Körper findet sich selber auf eine neue Art vorangetragen, und wir müssen wieder genau zeigen, was an diesem neuen Vorantragen ähnlich zu verstehen ist wie zuvor und was nicht. Dabei wollen wir auch das Selbstverstehen verstehen, das mit einem Direkten Referenten einhergeht als »Ja…ja…«, als Gespür »Jetzt passt es«. Jedes bisschen der neuen Sequenz verortet sich in demjenigen, was das vorhergehende bisschen gerichteterweise impliziert hat. Was für ein wieder-Wiedererkennen ist das hier? Eine neue Art von Sequenz, so sei erinnert, ist jeweils verdoppelt. Auf eine Weise (auf etwas spezielle Weise) ist es noch die alte Art von Sequenz, auf andere Weise geschieht auch ein zweites, doppeltes Vorantragen. So ist zum Beispiel Verhalten eine neue Art von Körper-Prozess und schafft eine (neue Art von) körperliche(r) Veränderung. Die neue Umwelt des Körpers (siehe Kapitel VI) trägt jedoch auch jedes bisschen Körper-Veränderung voran in dieser zweiten, neuen Weise. So ist es auch in Kapitel VII: Gebärden sind ein (eine spezielle Art von) Verhalten, aber sie enthalten auch eine neue verdoppelte Weise des Vorantragens durch das »Körperaussehen«. Während des Tanzes vermeidet man immer noch, von einem Abhang zu stürzen, in diesem Sinne sind die Bewegungen Verhalten und bewegen sich auf dem Boden wie anderes Verhalten im Verhaltensraum mit seinen Objekten auch. Aber die »einfachen Bewegungen« der Gebärden tragen den einen Körper durch das »Körperaussehen« eines anderen voran. Hier nun ist der spezielle Fall der alten Sequenz das Interagieren, das Zeigen, Warten, Nachverfolgen etc. Das ist sicherlich speziell, aber es gehört noch zur alten Art und ist lediglich ein Spezialfall davon. (Denn man muss zum Beispiel mit dem 433 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
sich heranbildenden Direkten Referenten auf eine »freundliche« Art interagieren, man muss ihn »begrüßen« usw.) Aber in dieser neuen Weise der alten Sequenz geschieht ein zweites Vorantragen: Das Körper-Gespür (body sense) als Ganzes findet sich vorangetragen. Veränderungen im Körper-Gespür sind jetzt eine neue Umwelt, eine neue Art von Registrierung. Die Interaktionsbewegung, die gemacht wurde, und der daraus resultierende Referent, der kommt, sind eine neue Art alter Interaktion. Aber das Vorantragen des gesamten Körpergespürs in Bezug auf ein Problem ist ein neues, zweites Vorantragen. Lassen Sie mich erklären: Wenn es nur diese neue innere Art der Interaktion gäbe, zum Beispiel in einem neuartigen Bezug auf irgendetwas, auf ein »Datum«, zum Beispiel auf einen Schmerz, dann würde der Schmerz vielleicht auch anders, sogar weniger schlimm werden. Oder, sagen wir, ich hätte eine Sorge, dann könnte ich diese zurückstellen. Und wenn es mir möglich ist, nehme ich sie wieder hervor und sorge mich etwas weiter. Dann kann ich sie wieder bleiben lassen. Ob das nun gelingt oder nicht: es gibt hier etwas Ähnliches wie die oben dargestellte Interaktion. Aber es gibt kein neues Vorantragen im Sinne von Kapitel VIII. Denn wie eine Gebärde nicht nur eine einfache Bewegung ist, sondern zugleich ein Strang von Versionen des ganzen Verhaltenskontextes (siehe Kapitel VII-A), so ist auch die Interaktion mit einem Direkten Referenten nicht nur irgendein innerlicher Tanz, sondern jedes bisschen Spüren ist eine Version der ganzen Lebenssituation oder des ganzen theoretischen Problems. Wieder erlaubt eine neue Art von Umwelt, dass etwas scheinbar Einfaches in der neuen Umwelt Versionen der ganzen Komplexität einer früheren Art von Umwelt sind. Was wie eine einfache Veränderung auf der neuen Ebene aussieht, ist auch eine enorme Veränderung auf der alten. All die VIIer-Sequenzen (also all das Gesprochene, all die Aktionen und Interaktionen, die in der Situation implizit sind) werden variiert, geändert, vorangetragen als ganze. 434 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Das Schema des neuen Vorantragens und des neuen Raums
Ein Direkter Referent ist deshalb so verschieden von einem gewöhnlichen Gefühl wie eine durch das Körperaussehen vorangetragene Gebärde sich unterscheidet von gewöhnlichem Verhalten. Ein Direkter Referent ist wie ein Symbol hinsichtlich des Ganzen der menschlich- symbolischen Interaktionswelt, insofern er für die Situation oder das Anliegen relevant ist. Es gibt nur einen Körper. Darum ist es verständlich, warum eine Veränderung der Einstellung gegenüber dem erwarteten »Fühlen« auch dieses »Fühlen« selber ändert. Entsprechend ist die Veränderung »des Fühlens« auch eine Veränderung im Körper und im gerichteten Herausbilden der nächsten Einstellung des Körpers. Das Gleiche trifft auch auf der neuen Ebene zu: Der Direkte Referent »stellt sich heraus«, wenn ein wenig Veränderung des »Fühlens«, das die Komplexität voranträgt, so beschaffen ist, dass ihr körperlicher Effekt zu einem weiteren bisschen Veränderung des Fühlens führt, das wiederum voranträgt. Bis hierher gibt es ein bisschen Veränderung, aber noch nicht die Sequenz. Zum Definieren der Sequenz passt unser alter Begriff der »wieder-Wiedererkennung« (re-recognizing). Darüber, was gewöhnlicherweise »Ausdruck« heißt, wollten wir als eine Weise des »wieder-Wiedererkennens« nachdenken. Etwas, das getan wird, ist dann ein Ausdruck, wenn der Körper darauf so reagiert, dass er sich dadurch weiter vorangetragen findet und darin den Umwelt-Effekt durch den Körper wiedererkennt als eine Darstellung dessen, was er gerade getan hat. Ausdruck ist nie lediglich nur eine Einheit. Sobald ein Ausdruck geschieht, gibt es eine Rückmeldung darauf. Die Rückmeldung des Körpers auf den Ausdruck, den er hervorgebracht hat, ist ein Erkennen des äußerlich Wahrgenommenen als eine umwelthafte Version dessen, was der Körper gerade war. Ausdruck wird geschaffen, wir wollen ihn nicht einfach voraussetzen. Wie eine neue Umwelt funktionieren kann, um voranzutragen, muss zuerst herausgefunden werden. 435 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
Der Direkte Referent ist eine Art (eine neue Art) von Ausdruck. Jedes bisschen ist eine neue Art von körperlichem Spüren davon, wie man gerade war, und man findet sich vorangetragen. Rückwirkend ist das veränderte Körper-Fühlen das, was der Körper gerade »war«, und dieses Verhältnis ist das neue Vorantragen. Eine Sequenz ergibt sich dann, wenn ein Sich-ausgedrücktFinden eine Körperveränderung ist, die wiederum eine weitere »Fühl«-Veränderung schafft, die wieder wieder-erkannt wird, und wenn dies wiederum ein Ausdruck dessen ist, was vom Körper in gerichteter Weise impliziert war. Diese neuen Körper-Fühl-Veränderungen sind eine neue Umwelt, eine neue Registratur, die in einer neuen Art von Sequenz gemacht sind. Wir wollen auch diesmal fragen, wie ein Körper-Gespür schon etwas Kraft zum Vorantragen hatte. In Kapitel VII wurde ersichtlich, wie gewisse Verhaltensweisen, die wir »Tier-Gebärden« nannten, schon große Veränderungen auslösen konnten (wenn der kämpfende Affe sich abwendet und der Kampf dadurch vorbei ist oder nicht einmal beginnt, nicht weiter impliziert ist). In Kapitel VII impliziert ein körperliches Gespür die Komplexität einer ganzen Situation, nur ist diese noch nicht als solche gefühlt (gehabt, durchlaufen, vorangetragen). Wenn eine Emotion kommt, ergibt diese eine große Veränderung (aber sie trägt nicht die ganze Situation voran). Sich einstellende Gefühls-Sequenzen ergeben ähnlich große Veränderungen, sie sind auch Körper-Veränderungen und somit Veränderungen, wie der Körper die ganze Situation impliziert. Das ist alles nicht neu. Neu ist nur, wie eine neue Umwelt ein Ganzes auf verdoppelte Weise voranträgt. Das ist neu. Körper-Gespür hat bis Kapitel VIII nicht als eine Art eigenständige Umwelt funktioniert. (So gibt es in analoger Weise viele ganzkörperliche Ausdrucksweisen bei weiter entwickelteren Tieren, die der Mensch als Ausdruck der ganzen Situation eines Tieres wahrnehmen kann, aber auf die Tiere untereinander nicht reagieren. Aussehen und 436 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Das Schema des neuen Vorantragens und des neuen Raums
Ton des Körpers machen keine veränderte Umwelt für sie aus, nur ein gewisses Aussehen und gewisse Töne lösen Reaktionen aus – und dann nur als Verhalten.) Verdoppelung kann auch als zwei Arten von Implizieren aufgefasst werden. Jedes bisschen Körper-Fühlen (body feel) würde in gerichteter Weise eine VIIer-Handlung, ein Sprechen, einen Tanz implizieren. Es kann sehr viele unterschiedliche Handlungen implizieren. Aber jedes bisschen Körper-Fühlen impliziert auch das nächste bisschen Körper-Fühlen, das die ganze Komplexität, die ganze Relevanz voranträgt (so wie jede kleine Gebärde einen anderen Verhaltens-Kontext impliziert als die nächste kleine Gebärde). Deshalb hat man ein Gespür dafür, was man sagen könnte, und weiß auch, was gerade passiert, und doch ist die Veränderung mehr, als man mit Tausenden von Worten jemals beschreiben könnte. Von einem bisschen neuer Sequenz aus geschieht eine Veränderung dessen, was gesagt (und getan) und symbolisiert werden könnte in einer ungeheuren Anzahl von VIIer-Sequenzen, aber wie dann das nächste bisschen dieses voranträgt, enthält mehr, als je gesagt werden könnte. Wir müssen dieses Wissen als Gespür besser verstehen. Es ist nicht so, als ob man es überhaupt »sagen« oder »denken« könnte. Aber es gibt ein inneres Verstehen, ich nenne es »Selbst-Verstehen«, wozu ich später sehr viel mehr sagen muss. Es können nicht all die vielen VIIer-Sequenzen, die jetzt verändert sind (und als Typ-a implizit noch nie in ihrer veränderten Weise sequenziert wurden), ablaufen. Es genügen ein paar von ihnen, um eine VIIer-Situation so zu verändern, dass man darin handeln kann. Jedes bisschen einer Direkten-Referent-Sequenz geschieht in ein vorhergehendes Implizieren hinein – dies macht das innere Selbst-Verstehen einer Direkten-Referent-Sequenz aus (wie wir in unserem Modell in Kapitel IV sagen würden). Jedes bisschen Geschehen verortet sich selbst in das vorgängige Implizieren, es ist eine Explikation dieses Implizierens. Die vielen VIIerSequenzen, die jede für sich eine Art von Verstehen ist (auch 437 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
Handlungen in Kapitel VII beinhalten Verstehen, denn wir wissen, was wir tun durch die Weise, wie wir vorangetragen werden), all diese Verstehens-Sequenzen werden jetzt gemeinsam vorangetragen, als Ganzes, und alles Verstehen darin ist implizit. Das wäre eine Möglichkeit, über die »Ja…ja…«-Qualität eines Direkten Referenten nachzudenken. Aber bis jetzt waren wir zwar immer körperlich, hatten aber nie die ganze Relevanz, die ganze Situation. Darum gibt es hier auch eine neue Art von Verstehen, ein Spüren und Haben der ganzen Relevanz, die mit jeder anderen Version der ganzen Relevanz vorangetragen wird. Das ganze Implizieren wird vorangetragen, und wir fühlen diese Relevanz als solche, von Version zu Version. Tiere spüren einen Raum, der jedoch voll ist. Leerer Raum, insbesondere geometrischer Raum, ist eine späte menschliche Ableitung. Leerer Raum beruht auf dem symbolischen Charakter der Gebärden (wie wir in Kapitel VII sagten) – durch die Art und Weise, wie sie eine ganze Komplexität versionieren, auch wenn die Gebärden selbst einfach sind. Gebärden gehen weiter, nicht nur im tatsächlichen physikalischen Raum, sondern auch im komplexen Kontext, den sie versionieren. Dieser Kontext ist »voll«, aber der Raum, in dem die Gebärde sich jetzt physisch bewegt, ist anders. Es ist nicht länger der Verhaltens-Kontext selbst, in dem die Gebärde geschieht. Gebärden kreieren vielmehr ihren eigenen Raum, nämlich leeren Raum, in dem einfache Bewegungen sind. Wenn ein Tier sich bewegt, bewegt es sich im Verhaltensraum, im vollen Kontext aller anderen Bewegungen, die sich gegenseitig implizieren, einen Kontext bilden und einen Raum. Nur der symbolisch verdoppelte Raum ist leer, so dass reine Bewegungen unabhängig davon, wie alles andere durch jede Bewegung verändert wird, darin geschehen können. Denn die Gebärde (die immer noch inmitten des Verhaltenskontexts ist, da sie vermeiden muss, einen Baum zu treffen oder vom Abhang zu stürzen) ist nicht wirklich in diesem Raum, aber in ihrem eige438 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Das Schema des neuen Vorantragens und des neuen Raums
nen verdoppelten Raum, und die Komplexität, die versioniert wird, ist nicht anwesend, nur der leere Raum. In dieser Hinsicht ist die Verdoppelung hier in Kapitel VIII auch zweifach: Der Raum, in dem sich der Direkte Referent bildet, ist in gewisser Hinsicht leer (es besteht darin nur diese neue Art des Selbst und dieser neue Direkte Referent), in anderer Hinsicht ist er jedoch die ganze körperliche Komplexität, die versioniert wird. Der neue Raum ist leer, weil die VIIer-Komplexität nicht wirklich da ist, und doch wird diese Komplexität ganzheitlicher vorangetragen als in jeder VIIer-Sequenz. Dadurch wird die ungeheure Weite dieses Raums verstehbar: Es handelt sich hier nicht um die Art von Raum, wie Situationen es sind. In denen sind wir ja. Das hier ist ein Raum, in dem sich DIE GANZE SITUATION BEWEGT. Wir sind nicht mehr in der Situation, sondern in einem neuen Raum, und wir sind hier, die Situation ist jetzt ein »Etwas«, ein neues »Datum«, dort, uns gegenüber. Wenn sich ein Direkter Referent einmal gebildet hat, verändert sich auch, was man in dem neuen Raum tun kann. Man kann etwas »zur Seite stellen« oder »empfangen«, man kann es auf später verschieben oder man könnte fragen, wie man sich fühlen würde ohne dies (und auf ein neues Fühlen im Körper warten, das wiederum »kommen« muss, man kann es nicht erfinden), man kann daneben stehen, man kann es leicht berühren, um zu spüren, was noch alles darin enthalten ist, oder wenn man jedes neue Problem auf eine Seite stellt und jedes weitere Problem wieder einen Direkten Referenten werden lässt, den man woandershin stellt, – dann kommt man auf eine gewaltige Ebene. Die großen Probleme liegen da wie riesige Brocken, die jetzt klein werden im Vergleich zum großen offenen Raum. Wie der VIIer-Raum ist dieser Raum symbolisch auf seine neue Weise (nicht wie in Kapitel VII). Es ist ein Raum, der generiert wird durch das Bewegen in Beziehung zum Direkten Referenten, und man steht dem Anschein nach außerhalb der Situationen. 439 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
Der Raum wird durch die Sequenz geschaffen. Die Sequenz ist ein körperliches Vorantragen dieser neuen Art (Ganzes-Ganzes-Ganzes). Das Gespür des Körpers ist die neue Darstellung, die neue Registratur, das neue umwelthafte Versionieren dessen, was der Körper ist, impliziert, gerade war. Der Raum ist selbstverständlich nicht dieses Gespür, der Raum ist leer. Der Raum ist für uns immer ein Resultat, ein »in«, das durch eine Sequenz generiert wurde. Jede Sequenz geht weiter in ihrem eigenen generierten Raum. Zuerst begegnete uns Raum in Kapitel VI, in dem jedes mögliche Verhalten das veränderte, was an Verhalten jetzt möglich ist. Daran sei nochmals erinnert. Ein Tier bewegt sich nicht nur, es verhält sich. Wir können sagen, es bewegt sich von links nach rechts, aber diese Art von leerem Raum und reiner Bewegung ist ein VIIer-Resultat von Bewegungen, die Gebärden sind und die verdoppelt sind, wie ich gerade gezeigt habe, und die vom gegenwärtigen Verhaltens-Kontext befreit sind (außer dass man dabei an nichts stößt). Wenn ich meinen Arm zum Wählen heben muss, dann geht es bei dieser Gebärde nicht nur darum, dass ich dabei den Mann neben mir nicht treffe. Ich muss zwar aufpassen, aber die Gebärde spielt sich in der Situation ab, über die wir abstimmen – worum es geht, kann weit weg sein und nicht in diesem Raum, in dem Leute um einen Tisch sitzen. Meine Abstimmung kann natürlich viel verändern, was sich nicht in diesem Raum befindet. Auf diese Weise ist eine neue Art von Raum in dem Zimmer kreiert worden, ein leerer Raum, ein wirklich symbolischer Raum. Das Tier dagegen verhält sich. Wenn es sich nach links bewegt (was nur wir so sehen), indem es beispielsweise eine Maus verfolgt, werden alle anderen darin impliziten Verhaltensweisen nicht ausgeführt, aber wenn sie ausgeführt würden, müssten sie anders ausgeführt werden. Das Verhalten geht in einem vollen Raum vor sich, im Kontext anderer Verhaltensweisen (so wie mein Arm-Heben im Verhältnis zu den Leuten und Objekten in meiner Nähe, aber nicht im Verhältnis zu sei440 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Das Schema des neuen Vorantragens und des neuen Raums
nem Charakter als Gebärde, die unabhängig davon ist und in einem leeren Raum vor sich geht und eine abwesende Situation versioniert). Voll ist ein Raum, wenn sich die anderen impliziten Sequenzen zusammen mit der geschehenden auf der gleichen Ebene und im gleichen Kontext befinden. Symbolisch betrachtet, ist meine VIIer-Situation ein voller Raum; je nachdem, wie ich handle, verändern sich alle weiteren Sequenzen meiner Handlungsmöglichkeiten. Nach einer Abstimmung kann ich gewisse Dinge nicht mehr so tun wie zuvor – und es spielt keine Rolle, ob ich weiterhin dort sitze oder mich wegbewegt habe. Wir haben gesehen, wie wichtig es ist, Raum nicht nur hinsichtlich reiner Positionen und positionaler Verhältnisse zu denken. Diese brauchen immer einen Beobachter, der selbst ein Rätsel bleibt, weil er menschlich ist. Für einen Beobachter können die Positionen A und B aufeinander »bezogen« sein, aber das heißt nicht, dass es einen wirklichen Bezug zwischen den Ereignissen A und B gibt. Dass ein Beobachter überhaupt etwas räumlich in Beziehung setzen konnte, dafür haben wir das ganze Kapitel VII denken müssen. Ein Tier, welches sich in gewisser Weise verhält, verändert dabei nicht nur seine Position, sondern die Art und Weise, wie nun alle anderen Verhaltensweisen folgen können, wie wir schon in Kapitel VI sahen. Hat das Tier sich einmal von hier nach dort bewegt, kann es offensichtlich eine gewisse Stelle nicht in gleicher Weise erreichen wie zuvor. Wenn das Tier eine Maus verfolgt, erhöht sich sein Adrenalinspiegel, sein Blutkreislauf verändert sich. Dadurch hat sich verändert, wie alle Verhaltensweisen, die durch den Körper impliziert sind (und die sich gegenseitig implizieren), weiter geschehen können. Das Tier verhält sich in einem Gewebe möglicher Verhaltenssequenzen. Jedes Verhalten ist zugleich eine Veränderung der darin impliziten anderen Verhaltensweisen. Das Verhalten geschieht in diese implizite Komplexität hinein, bleibt immer darin und trägt nie das Ganze voran. Das kann nur Symbolisieren. So wie die Gebärde einen über den Verhaltenskontext hi441 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
naus führt, so wird auch verständlich, wie eine VIIIer-Sequenz jemanden durch Verdoppelung und durch Vorantragen des Ganzen auf einer neuen Ebene über seine Situation hinausführt. Darum ist der VIIIer-Raum zwar leer, aber dennoch ist er voll spürbarer Lebensbedeutungen, die in ihrer gesamten Komplexität vorangetragen werden. Der weite Raum ist nicht der Raum in Kapitel VII, nur größer, sondern er wird durch das Vorantragen in einer neuen Art von Medium erst geschaffen. Das Objekt, das sich herausstellt (der Direkte Referent) ist eine neue Art von Objekt. 53 Dieses Die Herausbildung des Direkten Referenten geschieht analog zur ersten VIer-Sequenz. Erinnern wir uns, dass ein Vogel sich erst später, in einem entwickelteren Kontext (Verhaltensraum), herausbildet. Der Raum der ersten Sequenz ist ein leerer Raum (der auch bestehen bleibt als das symbolische Gegenstück zu einfachen Bewegungen). (Später, nach dem Kipp-Punkt, scheint alles Verhalten im symbolischen leeren Raum vorzugehen.) Darum ist der Direkte Referent nicht wie der Vogel ein Objekt neuen Typs im Gewebe der sich gegenseitig implizierenden Sequenzen, dieses Stadium haben wir hier noch nicht. Der Direkte Referent ist eher ein Objekt verdoppelten Vorantragens, wie die Gebärde des Affen, die versioniert. Statt eines großen emotionalen »Shifts« geht das Körper-Gefühl hier durch ein Versionieren auf einer neuen Ebene weiter. Die Linie, die noch nicht gezogen werden kann zwischen der Herausbildung des Direkten Referenten und dem Shift, der darin vor sich geht, ist analog der Veränderung, die in den Affen als Resultat des ganzen Tanzes geschieht. (Ihr Konflikt-Verhaltens-Kontext ist verändert, so dass etwas Neues geschehen kann.) Wir erfahren dies als einen »Shift« im Direkten Referenten oder des Direkten Referenten. Dieser ist selbst ein perfektes Feedback-Objekt (so wie jedes bisschen einer jeden neuen Sequenz es ist). Es löst die kontextuelle Anforderung ein, aber was sich dabei herausgestellt hat, ist bereits diese ganze Veränderung. Ein weiterer Veränderungsschritt, der eindeutig anders wäre (und von dieser HerausbildungsVeränderung zu unterscheiden wäre), würde die Herausbildung eines weiteren Direkten Referenten benötigen, nicht die Rolle eines Direkten Referenten als eines Objekts, das ein Implizieren davon voranträgt. Jedes Vorantragen trägt in gewisser Weise ein eigenes Implizieren voran, aber
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Das Schema des neuen Vorantragens und des neuen Raums
Objekt und sein Raum entstehen zusammen. Darum muss der Raum notwendigerweise größer sein als das Objekt. Das Selbst entspricht dem Raum und nicht nur dem Objekt (es entspricht dem Raum und dem Objekt). Das Körpergespür als Direkter Referent ist jetzt das Objekt, die »Wahrnehmung«, ein spezifischer Aspekt von Umwelt. Diese ganze neue Art von Umwelt, dieser ganze Raum wird jedoch nun vom Körper impliziert. Das Selbst erscheint deshalb so weit, weil es eindeutig nicht nur das Haben-des-Objektes ist. Wie groß auch die Veränderung sein mag, die durch die Herausbildung des Direkten Referenten entsteht, der Raum ist noch viel größer. Aber was ist dieser Raum? Sollte er (unserem Schema gemäß) nicht, wie im Verhaltensraum, das implizite Ineinander aller Sequenzen Direkter Referentenbildung sein? Nein, viel eher entspricht er dem neuen Bewusstsein der ersten VIIer-Sequenz in Kapitel VII-A. In Kapitel VII-A ging mit den ersten, symbolischen, einfachen Bewegungen ein »leerer« Raum einher, deshalb können wir auf dieser Grundlage über diese neue Art des »leeren Raums« nachdenken. In Kapitel VII befanden sich Bewegungen immer noch im gefüllten Raum als Verhaltensweisen (sie durften nicht an etwas stoßen), aber sie waren verdoppelt und als Gebärden deshalb nicht mehr im gleichen Verhaltensraum. Auch befanden sie sich nicht in einem (noch gar nicht geformten) Kontext dieser neuen Sequenzen. Der leere Raum bleibt aber auch, wenn sich solch ein Interaktions-Kontext herausbildet, denn er ist der Raum, der mit einfachen Bewegungen einhergeht. Das Versionieren des vorgängigen Kontext-Typs ist seine »Leere«. Dadurch wurde es symbolischer Raum. Aber die Konzepte von Kapitel VII müssen auf eine VIIIergemäße Weise genutzt werden, um den Direkten Referenten dies ist kein vorantragendes Objekt auf einer neuen Ebene, da sich diese noch nicht herausgebildet hat.
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VIII-A · Mit dem Impliziten denken
und seine Herausbildung beispielhaft zu machen; wir wollen Kapitel VIII nicht auf die Begriffe von Kapitel VII reduzieren, es sei denn, wir nutzen sie auf eine VIII-gemäße Weise. Aber mit diesen Begriffen können wir über den Charakter dieses neuen »leeren« Raums nachdenken, insbesondere auch über das neue Selbst (als selbst-verortetes Vorantragen), welches nun die körperliche Seite des neuen Vorantragens ist. Der positionale geometrische Raum lokalisierbarer Punkte darf nicht als grundlegend aufgefasst werden, weil man dann vergisst, dass er aus symbolischer Bewegung hervorgegangen ist. Entsprechend darf der neue Raum in Kapitel VII nicht auf eine simple und schon gar nicht auf eine positionale Art als leer gedacht werden. Positionen sind immer im Verhältnis zu jemandem zu verstehen, Raum ist das Gewebe impliziter Sequenzen und wie sich jede ändert, sobald eine geschieht. Wenn ein Raum reiner Positionen konstruiert wird, rückt all dies aus dem Blick, es sei denn, wir erinnern uns an seinen abgeleiteten Charakter. Dass ein menschlicher Beobachter eine Kontinuität zwischen hier und da und da und dort leben kann, leitet sich aus Bewegungen her, die die Verhaltenskontexte versionieren (physisch davon jedoch unabhängig und auf einer anderen Ebene sind). Wenn der neue symbolische Interaktionsraum die alten Verhaltenskontexte umfasst (siehe Kapitel VII-B), dann leben Menschen stattdessen in symbolischen Interaktions-Kontexten, und der physische Raum scheint leer zu werden, dabei ist er doch immer verdoppelt. Er wird ein Netzwerk bloßer Bewegungen und Positionen, weil die Lebensereignisse sich jetzt im symbolischen Interaktionsraum abspielen (siehe Kapitel VII-B.b). Wir versionieren unsere Interaktions-Kontexte, indem wir uns bewegen und diese Bewegungen im leeren Raum miteinander in Beziehung setzen. Wir würden natürlich mehr von unserem Selbst fühlen, da so viel mehr vorangetragen wird, was bedeutet: körperlich verändert = gefühlt = gehabt = sequenziert = geschieht. Sich dort hinein zu verorten, ist nicht einfach nur eine Selbst-Bewusstheit 444 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Die Bildung des Direkten Referenten
wie in Kapitel VII, sondern eine neue Ebene von »von«. Um darüber nachzudenken, müssen wir zunächst verstehen, auf welche neue Art die Herausbildung des Direkten Referenten auf eigene neue Weise universal ist.
f) Einige kurze Punkte, welche die Bildung des Direkten Referenten veranschaulichen f-1) Wie eine VIIIer-Sequenz im VIIer-Kontext Veränderungen schafft Jeder Teil der neuen Sequenz ist eine veränderte Version des ganzen VIIer-Kontextes. Jedes bisschen trägt den vorangehenden Anforderungs-Kontext voran und befriedigt ihn. Wäre das nicht so, würde sich kein Direkter Referent, kein Fühlen des Ganzen herausbilden. Im Kontext von VIIer-Sequenzen ist die Veränderung durch diese neue Art des Vorantragens nicht möglich, sie kann durch eine VIIer-Sequenz nicht bewirkt werden. Es geht um eine Veränderung in allen Sequenzen als »verwobene« (meshed), wie ich es nannte (in Kapitel VII-A). Dadurch verändern sich alle, aber in einer Weise, die keine einzelne in den anderen hervorrufen könnte.
f-2) Jede VIIer-Sequenz, die von einem Direkten Referenten ausgeht, ist wie eine neue »erste« Sequenz im Verhältnis zum VIIer-Kontext Eine neue »erste« Sequenz gibt es entweder durch ein neues Versionieren (wie in Kapitel VII: Jeder »neue Ausdruck« oder jeder neue Tanz bewirkt eine neue Kreuzung aller VIIer-Sequenzen mit dem neuen Ausdrucks-Muster, siehe Kapitel VII-B) oder sie kann nur auf einer nächsten Ebene geschehen (wie jetzt 445 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
in Kapitel VIII), wenn kein neuer Ausdruck das Ganze in einer Umwelt voranträgt, in der das Körperaussehen bestimmend ist (siehe Kapitel VII-B). Hinsichtlich der VIIIer-Ebene sind alle VIIer-Sequenzen aus dem Direkten Referenten »zweite Sequenzen«, die Bildung des Direkten Referenten ist dagegen wiederum die »erste« Sequenz. Aber innerhalb der VIIer-Ebene ist jede Sequenz nach dem Direkten Referenten wie eine »erste« Sequenz, das heißt, sie ändert den ganzen Kontext, alle anderen Sequenzen. Wir wollen uns hier an den Unterschied erinnern (der in Kapitel VII-B klargemacht wurde), denn auch neue oder veränderte zweite Sequenzen können alle anderen verändern. Zweite Sequenzen arbeiten aus, lassen geschehen, was bereits in der ersten Sequenz Typ-a implizit war – darum ist diese überhaupt eine erste Sequenz, weil sie impliziterweise ein ganz neues Cluster von gekreuzten neuen zweiten Sequenzen mit sich bringt. (Und wenn sie dann tatsächlich geschehen, bewirken sie weitere Veränderung.) Jede Aussage von einem Direkten Referenten aus wirkt wie eine neue erste Sequenz in Kapitel VII. Jede bringt impliziterweise (Typ-a implizit) ein ganzes Cluster von »Anwendungen« für alles in Kapitel VII, nicht nur für die gegebene Situation oder für das Problem oder das theoretische Thema. Darum gehen diese Aussagen, wie wir später sehen werden, weit über ihre buchstäbliche Bedeutung hinaus (siehe »Thinking at the Edge«). Jede dieser Aussagen kann ein Modell sein, das auf jede weitere Überlegung einwirkt. Als VIIer-Aussage ist sie hingegen nur auf all das anzuwenden, was »unter« ihre Verallgemeinerung fällt.
f-3) »Monade« Ich verwende den Begriff »Monade«, um zu sagen, auf welche Weise ein Direkter Referent auf alles anzuwenden ist, nämlich 446 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Die Bildung des Direkten Referenten
auf die Herausarbeitung aller seiner zweiten Sequenzen (von denen jede eine »erste« Sequenz in Kapitel VII ist, wie wir gerade gesagt haben). Für mich ist »monaden« (»to monad«) ein Verb, ich möchte sagen, dass ein Direkter Referent »in alles hinein aus-monadet«.
f-4) VIIer-Aussagen, die aus einem Direkten Referenten entstehen, instanzieren ihn Diese Aussagen sind deshalb wirksam, weil sie nicht nur veränderte VIIer-Aussagen sind, sondern weil sie vom Direkten Referenten kommen und diesen indirekt und auf implizite Weise vorantragen. Jede dieser Aussagen, die den Direkten Referenten instanziert, »monadet« diesen »aus«. Darin liegt ihre Wirkungskraft. Wir müssen uns natürlich daran erinnern, dass ein Direkter Referent sich nur bildet (sich herausstellt), wenn die Sequenz voranträgt, wenn sie das Implizieren des Ganzen aufnimmt. Insofern gibt es eine implizite Richtigkeit, eine Gültigkeit in jeder VII-Aussage hinsichtlich des ganzen VII-Kontextes, der vorangetragen wurde. Auch müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass »alles« nicht viele Dinge nebeneinander bedeutet, sondern viele Sequenzen, von denen jede implizit die anderen enthält. Darum verändert sich das ganze Cluster (auf irgendeine vorantragende Weise). Jede veränderte VIIer-Sequenz enthält (Typ-a) implizit die Veränderung ihres ganzen Clusters – darum nenne ich sie in Kapitel VII eine »erste« Sequenz. Aber sie instanziert auch den Direkten Referenten, der eine andere Art von Veränderung des Ganzen ist. Alle VIIer-Sequenzen eines Direkten Referenten sind Anwendungsfälle des gleichen Direkten Referenten, den die anderen instanzieren. Das Ganze, das die Herausbildung des Direkten Referenten voranträgt (und das der herausgestellte Direkte Referent ist), ist nicht nur jene Art Ganzes, die jede 447 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
VIIer-Sequenz implizit mit sich bringt. Stattdessen ist es ein Haben (Fühlen, Sequenzieren) eines Ganzen, das innerhalb von Kapitel VII niemals spürbar werden und als solches in VIIer-Sequenzen nicht gesagt oder getan werden konnte.
f-5) Die neue »Universalität« des Direkten Referenten Aus einer neuen Ebene des Versionierens stellt sich der Direkte Referent heraus. Er handelt auf eine neue Weise »von« VIIerKontexten (das Versionieren definiert dieses »von«) in einer neuen Art des Habens, in einer neuen Art, das zu tun, was in Kapitel VII korrekterweise Symbolisierung genannt wurde. Für das Kapitel VIII werde ich diese neue Art von »Art« in Anführungszeichen stellen. Ein Direkter Referent ist eine neue Art von »Symbolisierung« (ohne Symbole)! Es ist eine neue Weise, etwas darzustellen (den ganzen VIIer-Kontext), jetzt nämlich durch ein Körpergespür.
f-6) Die alte Universalität aus Kapitel VII ist ebenfalls implizit Es ist wichtig, die neue »Universalität« und »Symbolisierung« nicht mit der Tatsache zu verwechseln, dass die Herausbildung des Direkten Referenten die VIIer-Kontexte insgesamt voranträgt und sich dadurch eine Veränderung in allen VIIer-Allgemeinbegriffen konstituiert. Offensichtlich hat der Direkte Referent eine Bedeutung, die für VIIer-Allgemeinbegriffe signifikant ist, da sie einen VIIer-Kontext voranträgt, der aus gegenseitig impliziten VIIer-Sequenzen besteht. Diese werden in diesem neuen Vorantragen jedoch verändert, woraus VIIerBegriffe folgen, das sind Aussagen oder Arten von Interaktion. Aber diese sind ein VIIer-Resultat aus der neuen »Universalität«. Oben haben wir die neue »Universalität« als solche beschrieben. Sie ist anders.
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Die Bildung des Direkten Referenten
f-7) Die ganze VIIer-Komplexität, nicht nur die gesammelten Arten, wird auf diese neue Weise vorangetragen und universalisiert; wir können nun das Prinzip »Bss« (Beispiel seiner selbst, IOFI) herleiten Wir sahen (in Kapitel VII-B), dass Wörter sammeln, sie kreuzen alle Kontexte, auf die sie angewendet werden, jeder neue Kontext kreuzt mit den schon gesammelten. Dieses gesammelte Kreuzen unterscheidet sich vom lateralen Kreuzen aller Kontexte, die situationsgemäß ineinander implizit sind. Wir sahen auch, dass die VIIer-Begriffe alles andere sind als leere Verallgemeinerungen, aus denen die Details herausgefallen sind, wie man gewöhnlich denkt. Man gebraucht ein Wort mit der gesammelten Bedeutung aller Kontexte, in denen es jemals Anwendung fand. (Auch unabhängig von der persönlichen Erfahrung sind die Kontexte, in denen ein Wort Anwendung findet, im kulturellen System implizit, so dass man diesen impliziten Gebrauch schon in anderen Kontexten und in anderen Worten hat, auch wenn man individuell das Wort noch nicht in genügend Kontexten verwendet hat, um damit eine persönliche Erfahrung zu haben.) All diese Kontexte implizieren sich lateral, was nichts anderes heißt, als dass unsere unterschiedlichen Interaktions-Kontexte sich gegenseitig implizieren. In Kapitel VIIB habe ich all das genau gezeigt. Die VIIer-Komplexität, die Interaktions-Kontexte (die sich gegenseitig implizieren) sind durch das sammelnde Kreuzen der Sprache grundlegend elaboriert, aber es gibt auch noch viel mehr Komplexität, als die Sprache in Arten erstellt und sammelt. Die Herausbildung des Direkten Referenten trägt viel mehr voran als das versprachlichte System. Sie trägt nicht nur die VIIer-Universalität voran (die »Dritten«: Wörter und mögliche Sätze, die gesammelten Lebens-Interaktions-Kontexte, die gesammelten Interaktions-Kontexte), sondern auch die ganze Komplexität aller sich gegenseitig implizierenden Kontexte, die, wie wir gesehen haben, nicht herausfallen, wenn wir sprechen. 449 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
Und sie trägt auch Aspekte voran, die überhaupt noch nicht in Worten gesammelt sind (siehe Appendix zu VIII-A). Darum kann ein Direkter Referent der Ursprung unzähliger neuer VIIer-Allgemeinheiten sein und nicht nur die bestehenden verändern. Daraus leitet sich das »Bss«-Prinzip in »Experiencing and the Creation of Meaning« ab, in dem wir noch nicht erklärt haben, warum jede Aussage, die aus einem Direkten Referenten entsteht, zu unzähligen neuen Allgemeinbegriffen befähigt – oder wie ich hier gesagt habe: auf unzählige Weise ein Beispiel ihrer selbst sein kann. (Genauer gesagt: den Direkten Referenten irgendeiner Aussage zu haben, kann Anlass sein für unzählige weitere allgemeine Aussagen, von denen besagte Aussage ein Beispiel sein wird.) Vorsichtig ausgedrückt: die Aussage – oder besser gesagt, sie als Direkten Referenten zu haben – kann eine Illustration oder ein Beispiel unzähliger Verallgemeinerungen sein, neuer Kategorien. So kann zum Beispiel der Punkt, den ich hier ausführe, ein Beispiel von neuen Schlussfolgerungen sein, die aus dem entstehen, was wir schon sagten und zu wissen glaubten; nämlich wie implizite Komplexität funktioniert; wie Allgemeines zustande kommt; wie neue spezifische Aspekte nicht wirklich logischerweise unter etwas fallen, was allgemeiner ist; wie ein Direkter Referent »monadet«, wie er sich herausbildet; wie ein neuer Aspekt in Kontinuität zu einem vorigen steht, aber nicht logisch davon deduziert und abgeleitet werden kann; und mit ein wenig Kreativität könnte es fast so aussehen, als ob alles, was wir hier gesagt haben, so dargestellt werden kann, als ob es hier instanziert wird. So eine Liste könnte niemals ausschöpfen, was alles »verallgemeinert« werden könnte (wie üblicherweise ausgedrückt) oder »universalisiert« (wie ich es nennen will). Die Herausbildung des Direkten Referenten, die nicht nur VIIer-»Dritte«, sondern die ganze Komplexität voranträgt, hat ein Typ-a implizites Allgemeines aus jeder Facette dieser Komplexität gemacht.
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Die Bildung des Direkten Referenten
f-8) Es gab den Direkten Referenten und die neu universalisierte Komplexität nicht vor seiner Herausbildung. Der Direkte Referent ist kein Nachdenken darüber, was zuvor da war (»Von ½ zu 2«) Aus dem Strang vorantragender Prozesse stellt sich der Direkte Referent heraus. Darum ist der Direkte Referent nichts, was schon zuvor da war und darauf gewartet hat, von uns bemerkt zu werden. Die Hinwendung, die man zu tun gedenkt, ist da, aber als neue Sequenz, und sie kreiert ein neues Objekt, nichts, was davor schon da war. Die VIIer-Komplexität, die tatsächlich immer da war, ist nicht die vorangetragene. Sie ist die nicht vorantragbare Komplexität. Man könnte einwenden, beide Komplexitäten seien gleich, diejenige, die in VIII vorangetragen werden kann, und diejenige, die in VII nicht vorangetragen werden konnte. Das stimmt, der Direkte Referent ist neu und entsteht aus der Sequenz des Vorantragens. Das war bis jetzt immer der Fall. Etwas zu fühlen heißt, es zu haben, es zu sequenzieren, es aus einer Sequenz sich herausstellen zu lassen. Was sich herausstellt (und was gemeinhin als »Gemeinsamkeit« bezeichnet wurde), ist ein Produkt des Vorantragens der Sequenz und nichts, was davor tatsächlich schon da war. (Wenn ich von der Explikation dessen spreche, was etwas »war«, setze ich deshalb »war« in Anführungszeichen.) Sogar der getanzte Verhaltens-Kontext in Kapitel VII ist der in diesem neuen Versionieren veränderte und nicht so, wie er buchstäblich war. Selbst in Kapitel VI ist der Körper-Stopp versioniert im Verhalten und dadurch selbst eine neue Art körperlicher Veränderung. Ich nenne dies das Prinzip »von ½ zu 2«. Grob gesagt, soll es verständlich machen, dass das, was man landläufig »Reflexion« nennt, nicht eine Hinwendung ist, um zu sehen, was zuvor nicht zu sehen war. Es war nicht »1« da, und dann bekommen wir reflektierend, wie im Spiegel, 2. Stattdessen werden beide kreiert in dem neuen »reflektierenden« Prozess. Was zuvor da war, 451 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
kann »½« genannt werden. (Natürlich meine ich damit nicht Quantitäten im buchstäblichen Sinn.) Darum kann man ohne die Herausbildung des Direkten Referenten nicht das Problem bezeichnen und auch nicht den Mangel bemerken, den man instanziert. Sich des Problems bewusst sein, heißt: es zu haben, es ablaufen zu lassen, es vorantragen zu lassen in einer neuen Art von Sequenz. Darum kann man in keiner Weise haben oder fühlen, was nicht vorangetragen worden ist. Das wird uns weiter dabei halfen, den Charakter des sogenannten »Unbewussten« zu erklären, wie wir noch sehen werden.
f-9) Direktes Kontext-Kreuzen erzeugt Neuerung, aber instanziert noch den Mangel Neuerung laut Kapitel VII verändert auch impliziterweise all die gegenseitig sich implizierenden Sequenzen, aber neues Handeln oder Sprechen wird den Mangel negativ instanzieren, denn das Ganze wird nicht auf eine Art und Weise vorangetragen, die das Implizieren befriedigt. Die obigen Punkte können wir brauchen, um diesen Unterschied zwischen VIIer- und VIIIer-Neuerung klar zu machen. In VII geht es langsam zu und her, kulturelle Kontexte dauern lange an, und ein Individuum kann nicht allein durch bewusstes Planen und Entscheiden eine Änderung herbeiführen – es wird wieder eher das Problem instanzieren statt einer Lösung. Dem direkten KontextKreuzen mangelt es an der ungeheuren Differenzierung (siehe Kapitel VIII-A.g), obwohl es auf der VIIer-Ebene gewisse Differenzierungen gibt.
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Die Bildung des Direkten Referenten
f-10) Viele Worte, wie zum Beispiel »Richtung«, werden in Kapitel VIII in einer »Bss«-Weise gebraucht Jedes Wort und jeder Satz kann in einer Weise gebraucht werden, die den Direkten Referenten instanziert. Hier möchte ich auf eine Charakteristik unter vielen hinweisen, die dadurch entsteht. Worte wie »Richtung«, »gut«, »möglich«, »richtig« und viele andere wirken, wenn sie auf eine VIIIer-Weise verwendet werden, inhaltsleer, und dennoch sind sie überhaupt nicht leer. Sie instanzieren stattdessen die Herausbildung des Direkten Referenten. Man weiß im Voraus, dass ihr Gebrauch vom Direkten Referenten aus gemeint ist. Man kann zwar (vor der Herausbildung des Direkten Referenten) ihren VIIer-Inhalt nicht mitteilen, obwohl sie einen solchen haben. Lassen Sie mich erklären: Wenn ich mich in einem VIIer-Kontext in eine gewisse Richtung bewegen will, dann weiß ich die Richtung und kann sie definieren. In einem VIIIer-Kontext weiß ich im Voraus, dass sich die Richtung durch die Herausbildung des Direkten Referenten ändern wird. Vom VIIer-Gesichtspunkt aus heißt dies allerdings nur, dass ich nicht weiß, wie die Richtung nach dieser Herausbildung sein wird. In VIII weiß ich jedoch mehr als die Richtung, die ich definiert habe, ich weiß um die Offenheit, die ich für die »Veränderung« lasse, die durch die Herausbildung des Direkten Referenten geschieht, indem sie den ganzen Kontext voranträgt. Das VIIIer-Vorantragen erfüllt die Anforderungen, das Implizieren des ganzen VIIer-Kontextes oder genauer: das Implizieren des Körpers (welcher der ganze VIIer-Kontext ist, so wie der Körper ihn konstituiert). Diese spezifische Art und Weise, es zu sagen, lässt die Möglichkeit offen, dass mir einiges aus meiner Situation auch entgehen kann, weil sie andere Leute umfasst. Das meiste davon – weit mehr als mir bewusst ist – ist im Körper-Gespür (body sense) implizit, das die Situation, so 453 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
wie ich sie lebe, konstituiert, dennoch bin ich vielleicht nicht sensibilisiert für alles, was relevant sein kann. Das VIIIer-Vorantragen erfüllt das Implizieren jedoch auf neue Weise, durch ein neues Medium. Darum ist in diesem Vorantragen viel mehr einbezogen, als in Kapitel VII geschehen kann, und deshalb ist es auch nicht sinnvoll zu fragen, ob das auch in den Begriffen der VIIer-Handlung, der VIIer-Interaktionen und der VIIer-Symbolisierungen hätte geschehen können. In dieser Weise geht das VIIIer-Vorantragen über die Anforderungen von VII hinaus, und es kommt zu einer körperlichen Lösung, die zwar allen Erfordernissen von VII Rechnung trägt, aber auf neue Weise, die dann innerhalb von VII noch kreativ in Gang gebracht werden muss. Darum ist es offensichtlich, dass solche Veränderungen nicht im Voraus von VII aus entworfen werden können. Darum wäre es für mich unsinnig, mich für die »Richtung« einer Problemlösung zu entscheiden, bevor ich es löse. Eine solche Entscheidung würde wiederum nur das Problem instanzieren. Dennoch spüre ich eine Richtung und könnte sagen, was es für eine ist. Stattdessen will ich zwar diese Richtung, aber nicht als eine, die in VII definierbar ist, sondern als Bereitschaft zur »Veränderung« durch ein VIIIer-Vorantragen. Soweit es in Kapitel VII überhaupt möglich ist, sie zu definieren, ist es diese Richtung, in die ich zielen will. Aber ein VIIIer-Gebrauch des Wortes (Richtung) würde zusätzlich meinen, dass die »Richtung« noch nicht definierbar ist. (Ich hebe dieses »zusätzlich« hervor, weil durch das VIIIer-Vorantragen nichts von der in Kapitel VII formulierten Richtung verlorengeht, außer dass es in Kapitel VII noch keine Worte und Handlungen gibt, die zeigen, inwiefern meine VIIer-Aussage noch nicht so ist, wie ich zu meinen beabsichtige.) Eine alte Weise, so etwas zu sagen, ist: Man will, dass Gottes Wille geschehe (to want the will of God). Man will das Beste und langfristig Erstrebenswerteste, man will alles, was man wollen würde, wenn man alles wüsste. (Jedenfalls verhält es sich so in 454 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Die Bildung des Direkten Referenten
Bezug auf den Gottesbegriff, den ich hier impliziere.) So will man immer noch etwas ganz Bestimmtes, so wie es sich einem jetzt darstellt, aber zusätzlich möchte man, dass es sich auf die bestmögliche Art ändert. Zudem: wenn diese Art zu denken nicht die beste wäre, dann würde man wollen, was auch immer die beste wäre. Wenn schließlich »das Beste« keine richtige Weise ist, darüber nachzudenken und zu fühlen, und vielleicht »wollen« auch nicht, dann sind alle Veränderungen, welcher Art auch immer, die so zu erzielen sind, ebenfalls beabsichtigt. In Kapitel IV-A.e hat unser Konzept »Alles-durch-Alles«Geschehen diese Art von »Richtung« schon angewendet, als wir formulierten, wie dieses stabil wird. Erst jetzt kann es wirklich klar gesagt werden. Das Konzept von »Allem-durch-Alles« kommt aus der Herausbildung des Direkten Referenten, aus Kapitel VIII. Die Diskussion hier ist auch ein Beispiel dafür, wie Kapitel VIII sich zum Inhalt von Kapitel VII verhält. Eine VIIIer-Sequenz ist ein Vorantragen eines VIIer-Inhalts, aber es ist viel mehr als das. Es erfüllt die Anforderungen von VII, aber sie bewegt »etwas« auf eine Weise, wie es innerhalb dieser Anforderungen allein nicht möglich gewesen wäre. Wir wollen etwas »Mögliches«, und die Herausbildung des Direkten Referenten wird uns dazu befähigen, aber »möglich« muss wie oben definiert werden, nicht wie Aussagen und Bedingungen in Kapitel VII definiert würden. (Wir sahen überall und wir diskutierten in Kapitel IV, dass ein Modell falsch ist, das jedes Ereignis so darstellt, als ob es sich aus schon bestehenden, vorgängig definierten Möglichkeiten herleiten ließe.) Wieder ist die Beziehung zwischen VIIIer- und VIIer-Inhalten betroffen, auf die ich hinweisen möchte. Wir werden die Bedingungen so erfüllen, dass spätere Handlungen und Aussagen in VII möglich sind, aber durch ein Vorantragen, das in VII nicht möglich ist. Die eintretende Veränderung wird in VII möglich sein. Im Nachhinein werden wir den VIIer-Kontext in einer möglichen
455 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
Weise restrukturieren, und dann können wir sagen, wie das, was wir sagen und tun, möglich ist (und immer möglich »war«). So ändert sich unser Empfinden für »gut« und »schlecht« zum Beispiel, wenn wir uns als Personen entwickeln. Das bedeutet nicht, dass wir schlechter geworden sind. Es wäre traurig, wenn sich unser Sinn für »gut« und »schlecht« seit der Teenager-Zeit nicht entwickelt hätte, wenn er nicht subtiler, komplexer, tiefer geworden wäre. Aber es wäre auch traurig, wenn wir dadurch etwas verloren hätten, das gut war. So etwas zu sagen, wäre widersprüchlich, wenn wir bei einem VIIer-Gebrauch von Worten bleiben müssten. Hier wurde gerade sowohl »entwickeln« als »gut« in einer VIIIer-Weise gebraucht. Spirituelle Menschen sagen heutzutage öfter, dass man keine Absicht, keine Richtung haben sollte und dass man nicht besorgt sein soll um »gut« und »schlecht«. Sie meinen das in einer VIIer-Weise und gebrauchen die Worte so. Aber es gibt eine anscheinend inhaltsleere Weise, sie zu gebrauchen, die nicht nur durch eine VIIer-artige Weise definiert ist, sondern durch ein Vorantragen von VIII. Dann hat man immer noch die beste Definition aus VII und wie man diese versteht – aber auch mehr. Es ist offensichtlich, dass ich dann, wenn ich meine Anstrengungen, mich zu entwickeln, allein danach richte, wie ich jetzt alles empfinde, im Wesentlichen so bleibe, wie ich bin. Ich werde mich bemühen, Fähigkeiten zu stärken, die in Bezug auf meinen jetzigen Lebenszustand einen Wert haben, und ich werde dies auf die Art tun, wie ich es jetzt tue. Etwas Analoges zeigt sich in exemplarischer Weise in der Diskussion über die Frage, wie es möglich ist, axiomatische Systeme zu überprüfen und zu überschreiten. Das ganze neue Modell hier instanziert in gewisser Weise die Frage, wie sich etwas entwickeln kann, das sich nicht auf die bereits vorhandene explizite Struktur, ihre Einheiten und Verhältnisse, zurück reduzieren lässt. Hier findet sich auch das ganze Verhältnis zwischen Implizieren und Geschehen instanziert. Impliziert ist keine explizite 456 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Die Bildung des Direkten Referenten
Struktur (auch kein gewohntes Ereignen, das schon oft vorangetragen hat), aber etwas, das vorangetragen wird. Geschehen, wenn es ins Implizieren hinein geschieht, ändert das Implizieren nicht so, als ob es eine explizite Struktur wäre. Eine »explizite Struktur« ist als solche, wie sie normalerweise gedacht wird, ein VIIer-Begriff! In Kapitel VIII wird sie zu etwas, das einen Direkten Referenten instanzieren kann und darum anwendbar ist auf eine Art und Weise, auf die man von ihrer VIIer-Charakteristik nicht hätte schließen können. Es ist wichtig zu begreifen, dass nichts verlorengeht. Implizieren ist nicht weniger bestimmend als eine explizite Struktur. Implizieren ist immer geordneter, aber auf andere Weise (Ich habe das schon oft gesagt, aber jetzt kann ich es klar zeigen)! Die »weitere« und andere Art von Ordnung ist die des VIIIer-Vorantragens, die Herausbildung des Direkten Referenten, was zumindest dasjenige ist, was ich dazu gesagt habe. Zumindest deshalb, weil es immer noch VIIer-Aussagen waren, sicherlich neue, merkwürdige, aus der Herausbildung des Direkten Referenten gebildete, aber immer noch nur VIIer-Begriffe! Das ist sehr wichtig. Nichts, was ich in diesem Werk sage, soll ausschließen, was jemand besser spüren und besser wissen könnte. Alles ist in jenem Gebrauch von Worten ausgesagt worden, den ich gerade erst definiert habe. Ein VIIIer-Vorantragen ist ein Vorantragen des VIIer-Implizierens. Es ist nicht unbestimmt, es erfordert mehr. Es hat die ganze Bestimmtheit von VII. Eine VIIer-Aussage verliert nichts von ihrer Bestimmtheit, indem sie einen Direkten Referenten instanziert (vor oder nach der Herausbildung des Direkten Referenten). VIIIer-Vorantragen ist jenseits einer expliziten VIIerStruktur, indem es diese voranträgt, und nicht, indem es alles unbestimmt oder vage macht (das definiert den Begriff »vorantragen« erst wirklich). In Anbetracht des VIIIer-Vorantragens kann etwas »offen« sein, ohne seine VIIer-Ordnung zu verlieren. 457 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
g) Zusatz zu Kapitel VIII-A.f 1) VIIer-Versionieren verändert und kreiert, was in VIer-Verhaltenskontexten möglich ist, deshalb können Menschen in VII tatsächlich Dinge tun (siehe Kapitel VII-A), aber nicht auf die Weise, wie diese Verhaltenskontexte explizit strukturiert sind. Wenn Versionieren anders wäre, würde das, was symbolisiert ist, nicht wirklich im Verhaltenskontext arbeiten können. 2) Ein Direkter Referent kann nur durch seine Verfestigung monaden, also dadurch, dass er sich aus dem VIIIer-Vorantragen herausgestellt hat. Spüren oder Fühlen allein hat diese Eigenschaft nicht. Die Herausbildung des Direkten Referenten braucht Zeit, es ist eine erstaunliche Geschwindigkeit darin, aber es braucht doch etwas Zeit. Etwas geschieht. Bis es geschieht, kann das »Monaden« nicht geschehen, und obwohl man VIIer-Aussagen machen kann, haben sie nicht die beschriebenen Eigenschaften. 3) Der »Bss«-Raum entsteht nicht ohne die Herausbildung eines Direkten Referenten. Das ständige Kreisen um ein Thema, die vielen Perspektiven, die man vor Augen hat, lassen nicht automatisch einen »Bss«-Raum entstehen. Erst wenn die Herausbildung des Direkten Referenten geschehen ist und erst in Bezugnahme darauf, kann man VIIer-Aussagen in einer VIIIer-Weise gebrauchen. Bis dahin kann man nichts anderes machen (wie ich schon gesagt habe), als die Begriffe offen zu lassen für die Herausbildung des Direkten Referenten. Damit etwas klargemacht werden kann, sind die VIIer-Begriffe derart zugeschnitten, dass anderes ähnlich Wichtiges und Wahres dadurch ausgelassen und zugedeckt wird. In Kapitel VIII werden Worte so gebraucht, dass sie den Direkten Referenten 458 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Zusatz zu Kapitel VIII-A.f
instanzieren, nicht nur als explizite Struktur, die verdeckt und auslässt. Der »Bss«-Raum hat seine eigenen Regeln. 4) Im Raum der VIIIer-Sequenzen ist das Selbst »getrennt« vom Inhalt, der vorangetragen wird. Die Inhalte (data) sind mehr oder weniger so konstituiert wie wahrgenommene Objekte (siehe Kapitel VI), sie sind ein Strang von Wahrnehmung-Wahrnehmung-Wahrnehmung, während es auch einen Strang von Fühlen-Fühlen-Fühlen gibt, beides als eine Sequenz. Der Direkte Referent, das neue »Datum«, das neue Objekt ist dort, ich bin hier. Der sich herausstellende Direkte Referent ist wie Wahrnehmung-Wahrnehmung-Wahrnehmung, das interagierende, getrennte Selbst ist das Fühlen-Fühlen-Fühlen (siehe Kapitel VI-A). Beide machen die Kontinuität des Vorantragens aus, aber nun ist das verdoppelte Vorantragen neu: Wie jedes bisschen der Herausbildung des Direkten Referenten das nächste bisschen impliziert, ist neu. Es ist ein Selbst-Verstehen, das viel umfassender ist als der VIIer-Inhalt (sogar als ganzer), denn das Vorantragen ist, wie wir gezeigt haben, neu – neu als Art, in einem neuen Medium (das Körpergespür wird zur Umwelt). So wie in Kapitel VII das Vorantragen nicht nur Version(en) des Verhaltenskontextes war, sondern eine neues verdoppelndes Medium, so verhält es sich auch hier. Das Selbst in dieser Sequenz ist nicht das VIIer-Selbst (von ½ zu 2), auf das zurückreflektiert wird, es findet sich in neuer Weise als ein neues umfassenderes Selbst mit einem umfassenderen Objekt, dem Direkten Referenten, der nicht von der Art der alten VIIer-Objekte ist. Selbstverständlich ist das Selbst auch nicht das neue »Objekt«, ein Objekt ist immer vor dem Hintergrund bzw. aus der gleichen Sequenz konstituiert, in der sich das Selbst findet. (Der vorangetragene, sich herausstellende Kontext oder Raum ist viel umfassender, siehe unten.) Selbst angesichts von VIIer-Situationen ist jedes Fühlen aus der Fühlen-Fühlen-Fühlen- Sequenz das Ganze, angesichts die459 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
ser Situationen handelt jedes bisschen »Alles-durch-Alles«-Geschehen von der Situation. So wie VIer-Objekte den Verhaltensraum einbeziehen und VIIer-Objekte die Interaktions-Kontexte, so bezieht ein Direkter Referent einen neuen Raum ein (den weiten Raum, in dem man den Direkten Referenten neben sich oder auf eine gewisse Distanz »stellen« kann). Das Selbst oder das Bewusstsein, das sich jetzt selbst-versteht, geht einher mit dem Raum, mit dem Vorantragen des Kontextes, mit dem Selbst-Verorten des Kontextes, offensichtlich nicht nur mit dem Objekt. 5) Zum Charakter von Bewusstsein gehörte in unserem Modell immer schon das Selbst-Verorten (siehe Kapitel VI) und das Schaffen eines neuen Raums. (In Kapitel VI war es der erste Raum. In Kapitel VII war es der innere Raum oder der Innen/ Außenraum, siehe Kapitel VII-B.a.) 6) Alle Kontexte sind in jedem einzelnen implizit (man sollte eher sagen: sehr viele Kontexte, da eine völlige Gesamtheit nur eine Annahme ist). Als solches kann dies aber nicht gespürt und nicht gehabt werden. Es zu haben oder zu spüren heißt, es ablaufen zu lassen (to sequence), es voranzutragen in einer Sequenz. Man könnte wie Platon sagen, dass alles, was umfassend gewusst und nachverfolgt wird, zu allem anderen führen würde, aber man könnte dies nur in kleinen Schritten tun und niemals vollenden. In der Herausbildung des Direkten Referenten geschieht es vollständig, aber bei jeder Herausbildung jedes neuen Direkten Referenten auf veränderte Weise. Darum gibt es viele Ganzheiten, nicht nur eine, wie Platon dachte. Man kann sagen, dass man immer das »gleiche« Ganze in der Herausbildung eines Direkten Referenten formt, aber diese Gleichheit muss man in Anführungszeichen setzen. Die Ordnung der Er460 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Zusatz zu Kapitel VIII-A.f
fahrung, der Natur, des Universums ist nur verstehbar als (mindestens) eine VIIIer-»Ordnung« (wenn man das Wort so wie »Richtung« weiter oben gebraucht). 7) Von der Herausbildung eines jeden Direkten Referenten aus können sich sehr viele neue Begriffe formen, und vom Gebrauch jedes einzelnen aus kann wiederum die Herausbildung eines neuen Direkten Referenten geschehen. (Dies kann geschehen, sage ich, aber es muss nicht. Man kann die Herausbildung des Direkten Referenten nicht voraussetzen, denn sie ist eine besondere Weise des Vorantragens.) Darum müssen die Begriffe, die einen Direkten Referenten instanzieren, nicht unbedingt innerhalb des »Systems« bleiben, das ein Direkter Referent ist. Die Herausbildung des Direkten Referenten kann durch seinen Gebrauch weiter führen. Ein Direkter Referent ist sowohl einzigartig als auch allgemein, wie wir gezeigt haben. Von jedem Gebrauch eines Begriffs oder einer Aussage der VIIer-Ebene oder von jedem Punkt des Lebens aus kann sich ein neuer Direkter Referent herausbilden. In diesem Sinne kann auf der VIIIerEbene immer wieder ein neues Einzigartiges ausgebildet werden, das wieder zu neuem Allgemeinem führt. Neues und altes Allgemeines können so zu einem neuen Einzigartigen führen (durch die Herausbildung des Direkten Referenten). Auf diese Weise ist Einzigartiges im radikalsten Sinn nicht unter Allgemeines zu bringen. Auch enthalten solche Formen des Allgemeinen (VIIer-Begriffe, die auf VIIIer-Weise gebraucht werden) keinen festgelegten Satz von Einzelfällen. 8) Unser Begriff der ungeheuren Differenzierung bezeichnet, was geschieht, wenn die ganze Komplexität an einem gewissen Punkt vorangetragen wird durch eine neue umwelthafte Version der gesamten Komplexität. Vorantragen ist immer das Kreuzen von Kontexten: Die Art und Weise, wie der Körper die Umwelt 461 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
impliziert, ist anders als die Art und Weise, wie die ausgebreitete Umwelt eine Version dieses gleichen Implizierens ist (siehe Kapitel VI). Versionieren differenziert erheblich, was versioniert wird. Darum gibt es eine enorme Differenzierung und eine Steigerung von Komplexität in Kapitel VII im Verhältnis zu Kapitel VI. Diese Komplexität bleibt erhalten und ist eine neue Art des Vorantragens, so dass Vorantragen nun immer kreuz-kontextuell ist (körperliches Implizieren wird vorangetragen durch eine umwelthafte Version dieses gleichen Implizierens). Indem die Komplexität, die, wie jeder VIIer-Kontext, implizit ist, bemerkbar wird, können wir sie haben (wodurch, wie wir sagen, das Ganze impliziterweise universalisiert und versioniert wird). Dadurch kreieren wir eine enorme Anzahl jetzt sagbarer Aspekte (Typ-a implizit), die ausgesprochen, gedacht oder behandelt werden können. Was ein kulturelles Muster oder ein basaler menschlicher Typ (Archetyp) war, wird zu einem Gewebe möglicher Differenzierungen. Was zum Beispiel gemäß der VIIer-Denkweise entweder so oder so ist (zum Beispiel entweder kontinuierlich oder unterschiedlich, entweder bestimmt oder unbestimmt, entweder innerlich oder äußerlich, entweder diesem oder jenem System zugehörend), wird in Kapitel VIII zwar nicht unbestimmt, aber zu einem neuen Gewebe, das viele neue Differenzierungen und Konzepte ermöglicht. (Das gleiche gilt für das persönliche Leben.) Unser Konzept »Alles-durch-Alles« (kreuzen) ist auch auf dieser neuen Ebene anwendbar. Es ist hier zum Charakteristikum eines jeden vorantragenden Prozesses geworden. Das Konzept stammt offensichtlich aus Kapitel VII und instanziert die Herausbildung des Direkten Referenten. Eine neue Umwelt ermöglicht ein neues Kreuzen körperlichen Implizierens mit einer umwelthaften Umsetzung, ein neues Vorantragen, somit ein neues »Alles-durch-Alles«-Geschehen. Alles, jede Facette gekreuzt mit jeder anderen (und wir gebrauchen »jede« im Sinn von Kapitel VIII, das heißt, das Kreuzen selbst bestimmt erst 462 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Zusatz zu Kapitel VIII-A.f
diese neue Vielfalt), macht jede Facette so vielfältig, wie die ganze Komplexität war. Natürlich ist dies nur eine Metapher aus Kapitel VII, um zu sagen, was geschieht. 9) So wie Tiere ausdrucksvolles Körperaussehen an den Tag legen, das im Verhalten des Tieres nicht funktioniert (und eine neue Umwelt wird, die Menschen voranträgt), so gibt es schon auf der VIIer-Ebene ein Vorantragen durch das Körpergespür. Das Körperaussehen des Tiers funktioniert nur in geringem Ausmaß im Verhalten des Tiers. So trägt auch das Körpergespür in gewissen VIIer-Sequenzen voran, aber nur als symbolisiertes und nur zum Teil, nie als Ganzes. Jetzt ist dieses Gespür als Ganzes eine neue Umwelt, und sie trägt das körperliche Implizieren gesamthaft voran. Wie kommt es, dass aus einer solchen Sequenz heraus neue symbolische VIIer-Sequenzen tatsächlich wieder auf der VIIerEbene möglich werden? Wir hatten diese Art von Frage bereits in Kapitel VII. Wir gaben uns nicht einfach mit dem Begriff des Symbolisierens zufrieden, sondern hatten zu fragen, warum das Versionieren von Mustern des Körperaussehens zu etwas führt, das tatsächlich getan oder gemacht werden kann. Warum funktioniert Symbolisieren? Um die Frage zu beantworten, haben wir zurückverfolgt, wieso die Muster nicht willkürlich sind, sondern inhärenterweise bezogen auf die Verhaltenskontexte. Denn zunächst ist das Körperaussehen so, wie der Körper in diesem Kontext aussieht, später zeigte sich, dass selbst so genannte »konventionelle« Symbole in komplexen, aber nicht willkürlichen Beziehungen zum Verhaltens-Kontext stehen. Das Symbol und dasjenige, für das es steht, sind deshalb überhaupt nicht zwei unterschiedliche Dinge. Diese Spaltung schafft zwei gegenständliche Einheiten, die grundsätzlich getrennt erscheinen und dann durch Konvention erst zusammengebunden werden müssen. Stattdes463 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
sen sahen wir, dass das, was Muster bildet, bereits Typ-a gemäß implizit da war, bevor sie auftraten (siehe Kapitel VII-B), und wir sahen, wie sie sich entwickeln. Wir sahen auch genau, wie sie den körperlich impliziten Verhaltenskontext, den sie versionieren, rekonstituieren. In Kapitel VIII wollen wir nun ebenfalls klar verstehen, wie das Körpergespür ein nicht willkürliches Versionieren von VIIerKontexten ist. Symbolisieren oder Versionieren geschieht immer in einem neuen Medium, das auf nicht willkürliche Weise mit dem alten verbunden ist. Es gibt kein eins-zu-eins Bezeichnungs-Verhältnis zwischen dem Symbol und demjenigen, wofür es steht – wenn das so wäre, dann wäre alles, was symbolisiert ist, schon vorher da, genauso auseinandergeschnitten und zusammengesetzt, wie es Symbole darstellen. Auch die VIIIer-Sequenz hier »findet« nicht nur, sie erschafft etwas (jedoch nicht aus dem Nichts, nicht willkürlich). Der Körper impliziert den gesamten VIIer-Kontext in einer gewissen gerichteten Weise. Wenn dieser durch eine neue Art der Veränderung geht, verliert sich dieses Implizieren nicht. Vielmehr ist die neue Art der Veränderung ein Vorantragen dieses Implizierens. Dennoch ist sie von einer neuen Art, das heißt keine Art von Sequenz, die innerhalb des Ganzen impliziert war. Die ungeheure Differenzierung ist eine Differenzierung von diesen implizierten Kontexten und Sequenzen, und zugleich ist sie verdoppelt: Darum gilt, dass sowohl die VIIer-Sequenzen darin anders sind (sie sind bereits Allgemeines) als auch dass das neue verdoppelte Vorantragen nicht nur sie betrifft. Was heißt das? Ist es dann ein VIIer-Vorantragen oder ist es etwas anderes? Wenn wir nur zwischen diesen Alternativen zu wählen hätten, dann ist es etwas anderes. Stattdessen wollen wir aber genau das Verhältnis, das wir gefunden haben, im Auge behalten, nämlich dass das Symbolisieren von etwas ein Versionieren ist (ein Strang vorantragender Versionen in einer neuen Art des Vorantragens in einer neuen Umwelt). 464 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Zusatz zu Kapitel VIII-A.f
Der VIIer-Kontext wird »gleich« gehalten, obwohl er (wie bei dem Begriff »Richtung« oben) durch eine Veränderung geht. Es wird bis auf weiteres nicht vorangetragen auf eine VIIer-Weise, bis wir dazu kommen, etwas zu sagen oder zu tun. Ein weiteres Merkmal des Verhältnisses zwischen Kapitel VIII und VII ist, dass die Veränderung zwar eine Lösung des VIIer-Problems ist, jedoch »nur« auf eine VIIIer-Weise. VIIerWeisen, es zu lösen, müssen erst noch ausfindig gemacht werden. Neue VIIer-Sequenzen werden unmittelbar in gerichteter Weise impliziert, aber diese werden vielleicht das VIIer-Problem nicht sofort lösen können. Vielleicht lässt sich das Problem jetzt »nur« darstellen, man kann sagen, was falsch ist. Sie instanzieren die Lösung, aber es kann noch viel Mühe brauchen, sie auszuarbeiten. (Entsprechend ist die Veränderung im Verhaltenskontext durch eine VIIer-Symbolisierung keine garantierte Lösung des Problems im Verhaltenskontext. Dennoch ist sie angemessen und nicht willkürlich.) Das Verhältnis, wie es auf der VIIIer-Ebene um die Ebene von VII geht und auch nicht geht, kann deshalb, wie wir gesehen haben, nicht auf simple Weise aufgeteilt und dargestellt werden. Man kann den Direkten Referenten nur als solchen haben, er kann in den VIIer-Weisen nicht dargestellt werden. Jede VIISequenz, die aus ihm folgt, kann ihn instanzieren, das heißt, man meint mit der VIIer-Sequenz mehr, als diese auf VIIer-Weise voranträgt. Sie rekonstituiert den Direkten Referenten, und sie ist eine »zweite Sequenz« im Verhältnis zum Direkten Referenten. In Kapitel VII geschieht kulturelle Veränderung langsam, die Komplexität wächst mit jeder direkten Kontext-Kreuzung, aber dies führt nicht zu einer veränderten Konstellation des Ganzen. Wir werden »sensibler« und können an den Punkt gelangen, an dem wir nicht auf die gewöhnliche Weise vorantragen können, neue Wege sind jedoch noch nicht entwickelt. Jedes bisschen Neuerung verändert alle (oder viele) der anderen impliziten Sequenzen, sie haben jetzt den veränderten Kontext im465 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
plizit in sich. Eine solche Veränderung ist jedoch nicht zu vergleichen mit dem Vorantragen des Ganzen in VIII. Durch das direkte Kontext-Kreuzen kann irgendein vorantragender VIIerWeg gefunden werden, das heißt jedoch ohne den Direkten Referenten, ohne zu fühlen, ohne zu »haben«, ohne sagen zu können, was falsch war, und wichtiger noch, ohne die Veränderung des Ganzen. Es ist wichtig zu verstehen, was ich hier mit »vermehrter Sensibilität« meine. Ich benutze auch den Ausdruck der »harten Struktur« für gewöhnliches Vorantragen, das als einzig vorhandener Weg fortbesteht, obwohl es dadurch nicht gelingt, alles, was wir spüren, voranzutragen, und manchmal gar kein Vorantragen gelingt. Vieles in unserer Kultur befindet sich momentan in diesem Zustand. Kultur formt sich und formt sich erneut im Kreuzen (lateral und gesammelt), was ich »direktes Kontext-Kreuzen« nenne. Die Herausbildung des Direkten Referenten ist in VIIer-Begriffen ein solches Kreuzen aller impliziten Sequenzen mit allen. Sie ist deshalb Kultur-Bildung par excellence. Kultur wurde (in Kapitel VII-B) als Struktur von Situationen definiert, von Interaktions-Kontexten. Die Herausbildung des Direkten Referenten entwickelt gerade diese (ungeheuer differenziert, sagten wir). Was in der Interaktion mit anderen in einer Situation nach der Herausbildung des Direkten Referent implizit ist, ist enorm differenziert worden, unterschiedliche Arten von Alternativen existieren, die zuvor nur »unbewusste« (ungetrennte) Facetten impliziter Komplexität waren. Diese Facetten »existieren«, sagte ich gerade – ich meine als solche, das heißt, sie können gespürt, gehabt, besprochen werden, sie sind Allgemeine, neue Arten (wie alles in Kapitel VII eine Art ist). Nicht nur sind die bereits vorhandenen VIIer-Sequenzen verändert, nicht nur gibt es nun viele weitere neue, nicht nur sind diese neuen allgemein, das heißt, sie können in Kapitel VII sequenziert werden (man kann sie tun oder sprechen) – all dies sind 466 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Zusatz zu Kapitel VIII-A.f
nicht nur enorm mehr Alternativen, nicht nur quantitative Veränderungen. Es hat sich vielmehr verändert, was eine Situation (ein Kontext) ist. Es bleibt »der gleiche« Kontext, so wie »Richtung« die Richtung beibehält und sie auch verändert. Nach der Herausbildung des Direkten Referenten ist die »gleiche« Richtung unterschiedlich in ihrer Art, wird zu vielen neuen Arten. Die Herausbildung des Direkten Referenten ist Kultur-Bildung – das müssen wir weiter untersuchen, denn es klingt so merkwürdig. Dieser individuelle und private Prozess soll Kultur-Bildung sein? Es ist die Formulierung neuer Interaktions-Kontexte, neuer impliziter Interaktions-Sequenzen zwischen einem selbst und anderen. Bis vor kurzem war dies ein merkwürdiger und privater Prozess, und selbst heute wird er nicht verstanden, wenn er nicht praktiziert wird. Eines seiner Probleme war seine Individualität – und die Frage, wie er sich zur Kultur, zur Gesellschaft, zu anderen verhält. VIIer-Symbolisierung kam als Interaktion zustande. Nur durch Interaktion ist das VIIer-Selbst geworden, was es ist. Eine Person erwarb Innenleben durch die den Interaktions-Kontexten impliziten privaten Sequenzen. Etwas auf der VIIIer-Ebene schien falsch zu sein, weil es nicht so entstand. Aber während der Jahre, in denen ich auf diesem Gebiet gearbeitet habe, ist die Veränderung unserer Kultur so augenscheinlich geworden, sie schwillt förmlich an. Die Art und Weise, wie Leute ihre Situationen und Interaktionen implizieren, wandelt sich so schnell, dass es eindeutig ist, dass die Herausbildung des Direkten Referenten Kulturbildung ist. Weiter vorne sage ich (und das stimmt weitgehend immer noch), dass unsere Rollen nicht mehr gut funktionieren, dass gewöhnliche Weisen des Vorantragens zusammengebrochen sind, man muss sich seinen eigenen Weg durch die Situationen suchen. Vater, Mutter, Tochter, Sohn, Ehefrau, Ehemann, Angestellter etc., die Rollen-Muster – die »harten Strukturen« – 467 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
schaffen es häufig nicht, eine Situation voranzutragen. Wir müssen (durch direktes Kontext-Kreuzen) unseren Weg hindurch finden. Damit dies besser gelingt, brauchen wir die Herausbildung des Direkten Referenten. Sie ist bereits inkorporiert in dasjenige, was eine Situation ausmacht und wie sie von Menschen impliziert ist. Die ganze Komplexität, die zuvor nur implizit war, ist nun das, was einer Situation »angemessen« ist – und jene, die keinen Direkten Referenten bilden und dann davon sprechen können, müssen lernen, dies zu tun. Dies ist etwas ganz anderes, als die Sequenzen laut auszusprechen, die man einst für sich behalten hat. Menschen müssen den inneren Bezugspunkt solchen Sprechens lernen, und es breitet sich rapide aus durch diejenigen, die es schon haben. Während meiner Lebenszeit, meiner Arbeit und allem, was ich dabei beobachtet habe, haben sich besonders die nahen zwischenmenschlichen Beziehungen in dieser Hinsicht äußerst schnell verändert. Und was könnte eine größere kulturelle Veränderung sein als eine Veränderung dessen, was diese Beziehungs-Kontexte sind und wie sie impliziert werden? Wenn man mit seinem Partner nicht über fein differenzierte sexuelle Gefühle und Verhaltensweisen sprechen kann, ist man »verschlossen« und muss dazulernen. Es nützt nichts zu sagen: »Es ist in Ordnung, lass es uns einfach tun, ich liebe dich.« Vor nicht allzu langer Zeit (und in manchen Kreisen immer noch) galt die andere Person – diejenige mit den ganz differenzierten, komplexen Gefühlen – als neurotisch, zu kompliziert, als merkwürdig. Dies gilt umso mehr für die intime und persönliche Interaktion zweier Menschen. Welcher Reichtum an Differenzierung ist auf einmal in die gewöhnliche Rede hineingeraten, über die man vor nicht langer Zeit noch verwundert die Stirn gerunzelt hätte. All das ist nicht nur als »Zugabe« zur Intimität zu verstehen, es macht vielmehr aus, was heute als intime Beziehungssituation gilt. Ich behaupte nicht, dass heute alle Rollen und alle Kontexte 468 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Zusatz zu Kapitel VIII-A.f
intim werden. Intimität ist eine Art des Interaktions-Kontextes. Aber andere werden sich auch ändern, erstens, weil vieles, was zuvor implizit und versteckt war, nun völlig sichtbar, wahrnehmbar, sagbar geworden ist. Während man früher (und häufig immer noch) nur sagen konnte: »Er ist komisch«, oder »So ist sie halt«, kann man nun zum Beispiel die Art und Weise des Chefs differenziert wahrnehmen, als manipulatives Handeln, als doppelzüngig, als Ausspielen, als sich vor Verantwortung Drücken aufgrund von offenkundigen Absichten und so weiter und so fort. Zweitens gibt es eine wachsende Wahrnehmung dafür, dass Routineabläufe nicht so bleiben müssen, wie sie waren. Immer weniger Leute fühlen sich bedroht, wenn man ihnen irgendeine Veränderung in der üblichen Strukturierung ihrer Situationen in Aussicht stellt. Immer mehr Menschen verlangen einen Spielraum, um in unterschiedlichen, differenzierten Weisen umstrukturieren zu können. Diese Spur der Veränderung ist noch nicht weit vorangeschritten, aber sie ist bereits deutlich bemerkbar. Die Veränderung ist so stark, dass daraus buchstäblich eine neue Art von Menschen hervorgeht. Eine Person, die den inneren Bezugspunkt dieser Differenzierungen noch nicht gefunden hat, erscheint verschlossen gerade in Bezug darauf, was wir als »Person« zu begreifen beginnen. Selbstverständlich heißt »sich finden« deshalb nicht, dass man etwas findet, das da sitzt und darauf wartet, gefunden zu werden (von ½ zu 2). Was wartet, ist die nicht vorangetragene implizite Komplexität (nicht vorangetragen auf eine VIIIer-Weise, auf eine differenzierte Weise). Was gefunden wird, ist etwas sehr anderes, die vorangetragene, gänzlich veränderte Komplexität und das Selbst, das von alldem vollständig getrennt ist, in einer neuen Sequenz und in einem neuen Raum. Ich nenne das VIIIer-Vorantragen auf der Seite des »Allesdurch-Alles-durch-Alles« »selbstverstanden« oder »Selbstverständnis«. Es ist das »ja…ja…ja« der Herausbildung des Di469 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
VIII-A · Mit dem Impliziten denken
rekten Referenten, die neue Art des Vorantragens des Ganzen. Dieses Verstehen geschieht im Wesentlichen ohne Worte (selbstverständlich versioniert und verändert es impliziterweise die Worte, die im Kontext implizit sind). Wieder könnte man fragen: Sind die impliziten symbolischen Sequenzen, die vorangetragen werden, das Selbstverständnis? Wir haben uns zu diesem Verhältnis oben bereits genau geäußert. Nein, das Vorantragen ist von einer neuen Art, und Gesprochenes wird in einem neuen Medium verdoppelt versioniert. Die Interaktions-Kontexte, ihre impliziten verbalen Sequenzen und Interaktionssequenzen der verstehbaren Art werden rekonstituiert (jeder kleine Teil ist eine verdoppelte Version davon). Darin sind alle alten und enorm viele neue VIIer-Bedeutungen, aber auch eine eigene Weise von »Bedeutung«. So wie das VIIer-Körperaussehen eine neue Dimension an Mustern als neue Art der Umwelt zur Verfügung stellt, so stellt hier das Vorantragen durch das Körpergespür eine neue Dimension zu versionieren, wiederzugeben, zu bedeuten zur Verfügung. Eine neue Art von Bedeutungsdimension entsteht für eine neue Art des Denkens. Wieder gilt von ½ zu 2: Denken hat immer schon implizites Körpergespür beansprucht. Mit TonSymbolen (oder jeder Art von Symbolen) hatte immer körperliches Vorantragen einherzugehen, der Strang des Fühlens-Fühlens-Fühlens .... . eingewoben im Strang der WahrnehmungWahrnehmung-Wahrnehmung, wo jede Wahrnehmung, jedes Fühlen voranträgt. Muster, wie wir sahen, sind mächtig. Alles, was in einen Muster-implizierenden-Raum gelangt, hat sein eigenes Muster, ist nicht eine willkürliche menschliche Erfindung (siehe Kapitel VII). Aber Denken war immer mehr als nur Muster, es war ebenfalls körperliches Vorantragen. Nun ist es das körperliche Spüren selbst, das den Körper voranträgt, so dass das Körpergespür ein Objekt, ein »Datum« ist. Hinsichtlich des Körpergespürs als wiedergebender (rendering) Umwelt kommt derjenige Aspekt des Denkens, der jeweils schon impliziter Teil der 470 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Zusatz zu Kapitel VIII-A.f
Sequenz war, nun auf sehr neue Weise zu sich selbst. Es verhält sich nicht so, dass man etwas bemerkt, das sich dadurch nicht verändert. »Bemerken« sollte nicht gemäß dem Taschenlampen-Modell gedacht werden. »Bemerken« ist eine Sequenz. Etwas zu bemerken, ohne es zu verändern, heißt, es zu »pausieren«, einen Strang von Versionen des »gleichen« Dinges zu haben, statt es voranzutragen. Was auch immer es sein mag, gewinnt dadurch eine neue Natur, die dann schließlich seine eigene wird, wiedergegeben durch ein neues Medium. So wie Symbolisieren Natur auf eine neue Weise erschließt und eine Welt baut, so tut es auch diese neue, vorantragende Umwelt. Dazu später mehr, aber zuvor noch: Von jedem Punkt einer Diskussion oder Gedankenentwicklung auf der VIIer-Ebene kann man sich auf zwei verschiedenen Wegen weiterbewegen: einmal hinsichtlich der Implikationen von Symbolen; zum anderen hin zur Herausbildung eines Direkten Referenten (und von dort wiederum zu neuen symbolischen Sequenzen). Natürlich gelingt die Herausbildung des Direkten Referenten nicht immer. Es macht jedoch einen enormen Unterschied, wenn es gelingt. Man wird auf Denkwege gebracht, die man gewöhnlicherweise nicht erreicht hätte ..... und man kommt dadurch zum inneren Kern des Themas. Wie bei den Mustern ist es wieder der Körper, der das neue Medium zur Verfügung gestellt hat. Man muss verstehen, dass aufgrund dieses neuen Mediums alles auf neue Weise erschlossen werden kann. Und man denkt über die Natur dessen nach, was erschlossen worden ist, und nicht über irgendetwas Ausgedachtes. Dies wird dann erkennbar an den neuen VIIer-Sequenzen, die von dort ausgehen und die VIIer-Anforderungen befriedigen können (obwohl sie mehr instanzieren).
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Appendix zu VIII-A
Dieser Appendix wurde in früheren Fassungen »Kapitel VIII-B« genannt. Aber das war ein Fehler. VIII-B ist in der Welt noch nicht möglich. Wenn man Kapitel VI-B in Beziehung zu Kapitel VI-A anschaut und Kapitel VII-B in Beziehung zu Kapitel VII-A, dann wird deutlich, dass sich noch kein Gesamtkontext von Konzepten, Aussagen und Handlungsweisen entwickelt hat, der ein »B« werden könnte.
Monaden Wir haben das System von »Allgemein« und »Einzeln« weit hinter uns gelassen. Wir sahen bereits in Kapitel VII-B, dass Worte Kontext(e) rekonstituieren, so dass die Details nicht herausfallen. Worte sind keine »Abstraktionen«. Wir sahen auch, wie vergangene Erfahrung funktioniert (grundsätzlich in Kapitel IV und auch in Kapitel VII-B, die beide bereits Kapitel VIII instanziert haben). Ein Direkter Referent klassifiziert und organisiert keine bestehenden Einzelfälle, sondern kreiert ein ganzes neues Spektrum an Allgemeinbegriffen (Allgemeinbegriffe sind als solche auf viele Einzelfälle anzuwenden). Also können sie wie Allgemeinbegriffe aus Kapitel VII funktionieren und – indem sie vorantragen – einen Einzel-Kontext vorantragen, es ist aber insgesamt ein ganz anderes System, ein Cluster. Wir sagten: Jede VIIer-Sequenz eines Direkten Referenten instanziert diesen. Sie trägt ihn auf implizite Weise voran. Alle 472 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Monaden
VIIer-Sequenzen eines Direkten Referenten instanzieren sich auch gegenseitig (sie instanzieren den Direkten Referenten, den jede Sequenz auf implizite Weise voranträgt). Ich bezeichne das System von VIIer-Allgemeinbegriffen aus einem Direkten Referenten als »Monade«. Die Monade ist ein System von VIIer-Sequenzen – aber es gibt eine beliebige Anzahl solcher Sequenzen. Es könnten eine oder drei oder sehr viele sein. Eine jede ist ein Beispiel einer jeden anderen durch den Direkten Referenten, den jede von ihnen instanziert. Die Aussagen in diesem Buch sind von dieser Art! (Sobald ich zur Theorie-Konstruktion komme, kann ich zeigen, wie man all dies genau anwendet, siehe Thinking at the Edge.) Es gibt kein erschöpfendes System, wie es die zwölf Kategorien von Kant sind. Die vielen VIIer-Sequenzen eines Direkten Referenten sind in ihm auf Typ-a implizite Weise enthalten. Dadurch können wir jetzt besser sehen, was »Typ-a implizit« genau bedeutet, obwohl wir dies schon an »ersten«, »zweiten« und »dritten« Sequenzen betrachtet haben (in Kapitel VII-A und -B). Vom Direkten Referenten aus gesehen sind VIIer-Sequenzen »zweite« Sequenzen. Wenn sie tatsächlich geschehen, bewirken sie viel mehr an Veränderung als jene großen Veränderungen, die der Direkte Referent bewirkt hat. Das ist wichtig. Damit verlegen wir diese geschehenden Sequenzen nicht im buchstäblichen Sinn zurück in den Direkten Referenten, sie sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht geschehen. Wenn sie geschehen, geschieht damit wiederum ein Kreuzen, ein »Alles-durch-Alles« (eveving) (siehe Kapitel IV-A, was auch gleichbedeutend ist mit einem »neuen Ausdruck« in Kapitel VII-A). Betrachten wir ein Beispiel aus Platons Dialektik: Nachdem Polemarchos’ erste Definition von Gerechtigkeit in der Politeia fehlgeschlagen war (indem sie in den Widerspruch und in die Ungerechtigkeit führt), bleibt ihm nur ein »Fühlen« (feel) davon übrig, was er eigentlich gemeint hatte. Kehrt Polemarchos nach diesem Resultat zu dem zurück, was er ursprünglich hatte de473 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu VIII-A
finieren wollte, oder hat er jetzt mehr? Hat er etwas gelernt, und zwar mehr als die Widersprüchlichkeit der Aussage, die er gemacht hat? Ich möchte zum Prinzip erklären, dass Polemarchos lernt. 54 (Dies ist ein Beispiel dafür, dass zweite Sequenzen nicht Die Gesprächspartner von Sokrates bilden nicht wirklich Direkte Referenten aus. Wenn ich sage, dass man in der Dialektik zurückgeworfen wird auf das, was man meinte (da die Aussage dem widersprochen hat, was man eigentlich meinte), ist »was man meinte« nicht sofort ein Direkter Referent. Die Gesprächspartner beschweren sich üblicherweise darüber, dass sie verwirrt sind oder gelähmt, sie wissen nicht, was sie sagen sollen. Oder sie geben einfach eine weitere schnelle Antwort. Aber selbst wenn die nächste Antwort genau die Definition ist, die dialektisch aus dem Widerspruch folgt und das inkorporiert, was gelernt wurde, ist sie nur ein direktes Kontext-Kreuzen des vorherigen Wissens und dessen, was nun verstanden wurde. Die neue Definition erfolgt in einer Weise, die aus dem Widerspruch herausführen soll. Wenn Gerechtigkeit heißt, zurückzuzahlen, was man schuldet, so wird dies hinsichtlich einer Waffe, die einem zur Sicherstellung gegeben wurde, problematisch. Gibt man die Waffe zurück, nachdem der Besitzer verrückt geworden ist und sich damit leicht verletzen kann, dann wird man auf diese Weise jemanden eine Verletzung zufügen, der einen nicht verletzt hat. Zurückgeben, was man schuldet, ist in diesem Fall gänzlich ungerecht. Die nächste Definition der Gerechtigkeit lautet also, mit einem Gefallen auf einen Gefallen zu antworten und mit einer schlechten Tat auf eine schlechte Tat. Man hat also gelernt, dass das, was man jemanden schuldet, ein Gefallen ist, etwas Gutes, nicht die Waffe oder das Geld oder das geborgte Ding. Die Dialektik ist deshalb formal – sowohl darin, Aussagen herzuleiten, die sich gegenseitig widersprechen (etwas Unfaires oder Ungerechtes folgt logisch aus der Definition der Gerechtigkeit), als auch darin, wie die nächste Definition erreicht wird, nämlich als Lehre aus dem Widerspruch. Wir brauchen diese Formalität, jede Aussage einzeln in den Widerspruch zu führen, nicht. Die Herausbildung des Direkten Referenten verändert hingegen die ganze Szene, nämlich die ganze Art und Weise, wie alle Sequenzen jetzt impliziert sind und was sie sind. Aber auch jede neue Definition der Dialektik verändert alle Einteilungen, die Art und Weise, wie die Begriffe zugeschnitten waren, jede Definition macht neue Schnitte. Dies geschieht wie beim direkten Kontext-Kreuzen, nämlich aus einem veränderten körperlichen Implizieren, aber ohne es zuerst als ein neues Datum als solches voranzutragen.
54
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Monaden
nur feststellen, was bereits in der gefühlten Bedeutung [felt meaning] vorhanden ist. Im Feststellen strukturieren sie weiter und sind weiteres Geschehen.) Wie auch sonst in diesem Modell wird eine Veränderung, die eine neue Sequenz bringt, in den bereits bestehenden Sequenzen implizit. Diese haben dann mehr Bedeutung, wenn sie wieder geschehen (sie tragen auf implizite Weise mehr voran). Darum fügt eine Feststellung, die andere instanziert, diesen auch etwas hinzu. Wenn eine Aussage aus einem Direkten Referenten auf einen Kontext »angewendet« wird, ist dies nicht nur eine logische Anwendung. Es werden nicht gewisse Muster oder Schlussfolgerungen einem Thema aufoktroyiert. Deshalb wird »anwenden« im Kapitel VIII in Anführungszeichen gesetzt. Die Aussage wird nicht im buchstäblichen Sinn nur angewendet. Sie instanziert den Direkten Referenten. Er kreuzt sich mit dem Thema. Selbstverständlich hat der Direkte Referent schon »Allesmit-Allem« gekreuzt, den ganzen VIIer-Problemkontext, auf den er gerichtet ist – und dadurch auch die ganze VIIer-Welt, die in diesem Kontext implizit war. Aber so, wie im Kapitel VII jede Sequenz den ganzen Interaktions-Kontext auf ihre eigene Weise voranträgt und eine andere Sequenz auf andere Weise, so gibt es viele WeiWenn Implikationen aus-sequenziert werden, dann verändert das, wie die ganze Komplexität im körperlichen Implizieren ist. Das trifft nach der Herausbildung des Direkten Referenten zu und auch ohne diese. Deshalb habe ich das Prinzip so benannt. Auf der langsameren VIIer-Ebene offenbart die Dialektik auch das Problem, um dessen Beantwortung es hier geht: Wie kommt es, dass man zwar schon etwas weiß, wodurch man erkennen kann, dass die Konsequenz dessen, was man gesagt hat, nicht dem entspricht, was man gemeint hat, und dass man trotzdem dazugelernt hat? Entspricht das, was man jetzt expliziterweise lernt, dem, was man schon impliziterweise wusste? Nicht ganz! Denn die eigentliche implizite Bedeutung der Frage hat sich auch entwickelt.
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Appendix zu VIII-A
sen, in denen das Ganze implizit ist. Deshalb hat auch der Direkte Referent, wenn er sich mit einem anderen Thema kreuzt, nicht schon buchstäblich alles verändert. Es gibt viele neue Ganzheiten in Kapitel VIII. Jeder Direkte Referent trägt bereits eine ganze Welt voran und kann dann in ganz andere Welten von Themen und Kontexten »monaden« (kreuzen und »angewendet« werden). Die Monade ist das Cluster neuer Aussagen, die entstehen. Ein anderer Direkter Referent wird anders »monaden«. Dann entstehen wieder viele Ganzheiten. Die traditionelle Dialektik nimmt dagegen an, dass es die gleiche formale Ganzheit ist, die durch jeden Weg erreicht wird. Ganzheit erhält deshalb in Kapitel VIII eine neue Bedeutung. All diese Ganzheiten sind nicht einfach unterschiedlich, und sie sind auch nicht einfach gleich. Das »eine Ganze« in Kapitel VIII steht in Anführungszeichen. 55 Ein Direkter Referent ist eine Typ-a implizite Monade. Oben wurde »Typ-a implizit« bereits definiert, aber diese Bedeutung wird im Weitergehen wachsen. In diesem Geschehen des Monadens (monading) bleibt ein Direkter Referent »gleich«, aber in einem neuen Sinn von »gleich«. In der Herausbildung des Direkten Referenten bleibt er über die Versionen hinweg »gleich« (wie auch sonst in unserem Modell), als ein Sinn, ein Datum, ein Objekt, das sich dabei herausstellt. (Die Veränderungen der vorantragenden Versionen erlauben uns, ein Datum, ein Objekt ein ..... »dieses« zu fühlen, zu spüren und zu bemerken; siehe Kapitel VI.) Durch dieses Geschehen (monading) gibt es jetzt noch einen weiteren Weg, wie der Direkte Referent »gleich« bleiben kann. Er verändert sich zwar (so wie sich eine »erste« immer durch »zweite« Sequenzen ändert; siehe Kapitel VII). Er ist aber dennoch das »gleiche« Ganze, instanziert, implizit vorangetragen, aber jede Sequenz wird elaboriert, indem sie immer weitere Sequenzen des gegenwärtig geschehenden Monadens impliziert. Der Direkte Referent bleibt 55
Die unterschiedlichen Monaden sind alle gültig.
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Monaden
»das gleiche« Ganze (so wie der Verhaltensraum immer »der gleiche« Raum ist, während jede neue Sequenz das Gewebe weiter elaboriert, das dabei impliziterweise verändert wird). Wir wollen an dieser Stelle anhalten und fragen: Wie ist das möglich? Wie kam es dazu, dass die einzigartige Besonderheit, in der eine Person die VIIer-Komplexität hat, universal gültig sein kann, während sich der Direkte Referent herausbildet? Wie kann es sein, dass es daraus neues Allgemeines auf der VIIer-Ebene geben kann, das für jedermann gültig ist? In den Naturwissenschaften muss ein allgemeines Gesetz durch den Einzelfall veranschaulicht werden. Wir wollen für einen Moment altmodisch sein und die Annahmen betrachten, aufgrund derer so etwas behauptet wird. Alles, was geschieht, egal wie merkwürdig es sein mag, veranschaulicht ein Gesetz, das es begründet (so würde es der Wissenschaftler sagen). Ein einziger Fall genügt, um zu sagen, ob etwas gesetzmäßig ist. Eine Ausnahme genügt, um das Gesetz zu widerlegen. Von hier aus wäre es leichtfertig, die Idee menschlicher »Einzigartigkeit« einfach so zu akzeptieren. Wenn aber eine gewisse menschliche Erfahrung eines Individuums überhaupt geschehen kann (und wenn sie geschah, konnte sie geschehen), dann ist das Universum derart, dass dies möglich war. Mit »derart« ist ein universales Musterbilden gemeint. Wir wollen uns nun dieser Annahme zuwenden und der Frage nachgehen, ob das Universum oder die Natur aus Gesetzen oder aus Verallgemeinerungen oder aus allgemeinen Formen besteht. Lassen Sie mich nicht einfach unkritisch davon ausgehen, als ob dies ein Faktum und nicht zu hinterfragen wäre. Gesetze, Verallgemeinerungen, VIIer-Begriffe sind Muster; wir sahen in Kapitel VII, wie sie arbeiten. Sobald etwas in einen Muster-implizierenden Raum gelangt, erhält es seine eigene Musterbildung. Die Herausbildung des Direkten Referenten (siehe Kapitel VIII-A) bezieht alle Aspekte ein (nicht nur eine gewisse Anzahl) und kreuzt sie (mit einer neuen umwelthaften Wie477 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu VIII-A
dergabe davon), so dass jeder Aspekt in diesen musterbildenden Raum gelangt (einen Musterraum, wie ihn der Körper impliziert). Dies trifft auch bei der »Anwendung« des instanzierten Direkten Referenten zu, nämlich in der Kreuzung mit jedem neuen Thema (oder mit jeder VIIer-Aussage, die sich von dort aus bildet). Wir sehen in Kapitel VII-A, wie dort eine »erste« Sequenz ein »erstes Allgemeines« ist. Es ist nur ein anfängliches, das erst wirklich allgemein wird, wenn es implizit in der Herausbildung »zweiter« Sequenzen funktioniert. In Kapitel VII-A.o) sahen wir: Was implizit funktionieren würde in einer Sequenz, die geschieht, geschieht nicht unbedingt implizit, wenn die Sequenz selbst nur implizit funktioniert. (Wenn sie nicht funktioniert, so bezeichnen wir sie als »gehalten«.) Diesen Gesichtspunkt brauchen wir hier, wir instanzieren und klären ihn: Ohne dieses merkwürdige Prinzip wären alle VIIer-Sequenzen einer Monade tatsächlich in einem Direkten Referenten, und jede Veränderung, die jede »zweite« Sequenz machen würde, wäre bereits durch die allererste »zweite« Sequenz gemacht. Oder wir müssten sagen, nein, diese Sequenzen sind schlicht und einfach weder im Direkten Referenten noch in irgendeiner zweiten Sequenz implizit. Stattdessen haben wir den Begriff »Typ-a implizit«, der mehr Veränderung zulässt, wenn eine Typ-a implizite Sequenz als solche tatsächlich geschieht. So wie sich Sequenzen entwickeln, so implizieren sie sich auch gegenseitig weiter. 56 In Kapitel VI sahen wir, dass es noch einen anderen Grund Um es deutlicher zu sagen: Wir könnten sowohl über Entwicklung, über Wiederholung oder über Pathologie sprechen. Einmal entwickelt, ist alles Bestehende impliziert – aber wenn es auf veränderte Weise geschieht, ist es wieder ein neues »Alles-durch-Alles«. Geschieht etwas einmal, ist es dann nicht mit seinem neuen »Alles-durch-Alles« in allen bestehenden Sequenzen implizit? Ja, aber nicht wie bei einem einzigen logischen expliziten System. Neues Spezifizieren und Verallgemeinern
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Monaden
dafür gibt, warum das Kreuzen mit einer neuen umwelthaften Ebene Erneuerung bringt. In Kapitel VI sagte ich »der offene Zyklus kann das Geschehen von ›Allem-durch-Alles‹ über(neue Einzelheiten oder Aspekte und neue Begriffe) kann von jedem Punkt aus entstehen und ist nicht im buchstäblichen Sinn implizit. Aber all das ist immer noch Entwicklung. Warum betrifft das denselben Punkt wie denjenigen, den ich mit »gehalten« bezeichne? Genauer gesagt: Es muss eine Beziehung geben zwischen Typ-a-implizit und »gehalten«, da beide hier den Direkten Referenten (oder die Herausbildung des Direkten Referenten) instanzieren. Wie verhalten sie sich zueinander, wenn sie nicht gleich sind? Meinen wir nicht gerade, dass ein wirkliches Geschehen etwas ist, eine wirkliche Veränderung, und nicht nur das Füllen einer Lücke durch bestehende »Möglichkeiten«? Das Implizieren wird verändert, wenn etwas geschieht, wie kann es also ein verhärtetes System sein, als ob Implikationen lediglich Noch-nicht-Geschehenes wären? Verhält es sich hier ähnlich wie bei Entwicklung und Wiederholung? Wenn etwas wieder geschieht, ist dies wieder eine Herausbildung (mit Ausnahme von »Verdünnung« und »Verpackung« [Kapitel VI, Kapitel VII], die hier keine Rolle spielen). Aber das ist nicht die Frage. Es geht darum, ob dasjenige, worin ein »Erstes« herausbildend funktioniert, implizit ist in einer Weise, die weiteres herausbildendes Funktionieren offen lässt, so wie manches Implizite in-Implizitem gehalten ist. Aber »gehalten« heißt, dass jedes nur funktioniert, indem es gestaltet. Nicht alle Sequenzen funktionieren in buchstäblicher Weise implizit (viele sind gehalten) in einer gegebenen VII-Sequenz, darum ist das Gehaltene nicht gekreuzt worden, was nur geschehen wäre, wenn es implizit funktioniert hätte. Darum können wir mit dem Prinzip des »Haltens« dem Umstand Rechnung tragen, warum jede neue zweite Sequenz ebenfalls die Welt verändert, und warum dies noch nicht geschehen ist in der Herausbildung des Direkten Referenten, und wenn nicht da, dann in jeder zweiten Sequenz aus dem Direkten Referenten. Aber »gehalten« scheint eine zu geringfügige, quantitative Weise zu sein, dies zu sagen, außer wir reichern »gehalten« von hier aus an! Es verhält sich nicht so, dass eine Sequenz ausgelassen wurde, die später gekreuzt werden kann, sondern wie alles impliziterweise funktioniert, IST so, wie es in dieser Herausbildung funktioniert, in dieser Sequenz, in diesem »Alles-durch-Alles«. All das instanziert, dass es kein fester Satz von Entitäten ist, die umher bewegt werden, sondern dass es ein unterschied-
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Appendix zu VIII-A
raschen«. Obwohl es das körperliche »Alles-durch-Alles« ist, das die umwelthafte Versionierung impliziert, schafft, projiziert, geschieht dies mit der gegenwärtigen Körper-Umwelt. So verhält es sich auch hinsichtlich des Körpergespürs (body-sense). Auch dieses entsteht durch das Implizieren und Vorantragen von »Allem-durch-Alles«, dennoch kommt es in seiner eigenen (wiederum körperlichen) Weise. Dies wird umso offensichtlicher, wenn wir von »zweiten« Sequenzen sprechen – sie können an jeder Stelle das »Allesdurch-Alles« »überraschen«, weil sie in der VIIer-Umwelt (im Interaktions-Kontext) geschehen und natürlich auch in den verkörperten Verhaltens-Umwelten (Körper-Umwelt), welche in den Interaktions-Kontexten enthalten sind. Wenn wir von hier aus zurückblicken, enthält das Körpergespür auf gewisse Weise all das – der Körper geschieht in all diese Umwelten hinein, und das Körpergespür ist natürlich auch ein Aspekt des physischen Lebensprozesses. Diese Umwelten sind selbstverständlich nicht getrennt voneinander, wir haben gesehen, wie jede verdoppelt ist durch ihre neue Art des Vorantragens der vorherigen. Alle diese Umwelten sind implizit im körperlichen »Allesdurch-Alles«, und jede geschieht anders als das Körpergespür. Dieses könnte etwas anderes ins Erleben bringen als das, was das »Alles-durch-Alles« impliziert. In seiner konkreten körperlichen Weise kann es deshalb »überraschen«. Das können die VIIer-Sequenzen in ihrer Umwelt natürlich auch. Was später erst unterschieden und spezifiziert werden kann (in VIIer-Sequenzen), »war« in all diesen Weisen bereits implizit (Typ-a). Häufig kann man deshalb erst später sagen, wie eine Erfahrung aus einer anderen »hervorging« oder ein »Aspekt« einer anderen war. Denn sie hat sowohl den Direkten Referenten als auch die weiterführende Kreativität jener Aspekte instanliches »Alles-durch-Alles« in jeder Sequenz gibt. Das instanziert und klärt, wie viele Ganzheiten es geben kann.
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Monaden
ziert, welche das Sequenzieren aus dem Direkten Referenten zur Folge hat. In Experiencing and the Creation of Meaning konnte ich nur zeigen, dass es sich so verhält. Hier können wir nun darüber nachdenken. Natürlich ist unser Modell nur eine Möglichkeit, ein Modell mit Hilfe von VIIer-Konzepten aus dem herausgebildeten Direkten Referenten zu erstellen, natürlich kann es andere geben. Das stellt uns allerdings vor folgendes Problem: In »Experiencing and the Creation of Meaning« konnte ich auf all das nur zeigen und dennoch keinen Zweifel am Gesagten haben (beispielsweise wie etwas im Nachhinein so spezifiziert werden kann, als ob es aus etwas anderem folgen würde, aus dem es eigentlich nicht folgen kann). Indem ich es hier nun in VIIer-Konzepten darstelle, kann ich mir aber, wie es scheint, nicht mehr so gewiss sein. Gewissheit habe ich nur, wenn ich meine Begriffe so gebrauche, dass sie den Direkten Referenten instanzieren! Das Zeigen in Experiencing and the Creation of Meaning wurde ja auch in VIIer-Konzepten geleistet, in Worten und in einem Schema. Das Schema war jedoch so einfach, dass offensichtlich war, dass es nicht um das Schema, sondern um das Zeigen ging. Das brauchen wir hier nicht zu verlieren! Die Vorteile, die entstehen, wenn man fähig ist, scharf und klar über die Bildung des Direkten Referenten nachzudenken, können wir nutzen. Zugleich können wir mit dem, was wir sagen, den Direkten Referenten instanzieren lassen. (Und offensichtlich gehört zum Instanzieren des Direkten Referenten ein »Zeigen«, das heißt: Direkte Referenz ist, was ein Direkter Referent ist.) Auf diese Weise behalten wir die inhärente Gültigkeit der Konzepte, die aus einem Direkten Referenten entstehen, ohne deren Gültigkeit überzustrapazieren, indem wir in ein VIIerVerständnis konzeptioneller Schemata zurückfallen! Denn von Kapitel VIII aus sehen wir die Macht der Konzepte nicht im Sinne einer wortgetreuen repräsentativen Wahrheit, sondern als ein Geschehen des Monadens, das von einer umfassenderen 481 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
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Wahrheit ausgeht. Diese größere Wahrheit kann Anlass sein für viele Cluster von VIIer-Sequenzen. Jeder Direkte Referent ist außerdem nur einer aus endlos vielen möglichen anderen, die in der alten VIIer-Bedeutung gleich universal gültig sind. Jeder ist eine Andeutung »eines Ganzes« in einer Weise, über die wir noch nicht klar nachdenken können. Gleiche Gültigkeit hat hier aber nichts mit Relativismus zu tun, der den Grad der Wahrheit jeder relativen Version mindert. Im Gegenteil, das monadierte Cluster von Konzepten aus einem Direkten Referenten ist auch im VIIer-Sinne ganz wahr und kann mit Gewissheit auf wahre und signifikante Weise auf jede Person und in jedem Kontext angewendet werden. Die alte VIIer-Vorstellung, dass es nur eine Wahrheit gibt, ist falsch. Sie ist zu arm. Indem wir sie aufgeben, geht nichts verloren. Erfahrung, Natur und Wirklichkeit sind viel reicher, als die alte Sichtweise wahr haben wollte. Was können wir also tun, wenn wir nicht nur die Klarheit unserer Konzepte über die Herausbildung des Direkten Referenten wollen, sondern auch die Gewissheit aus Experiencing and the Creation of Meaning? Wenn wir also nochmals fragen wollen, warum das Sprechen von einem Direkten Referenten aus gültig ist, dann wäre erneut zu antworten: Der Direkte Referent ist nicht nur irgendein unklares Gefühl, er muss sich herausbilden, und manchmal bildet er sich auch nicht heraus. Wenn er sich bildet, ist der ganze VIIer-Kontext eines Problems (mit all seinen implizit funktionierenden Kontexten) tatsächlich vorangetragen, das heißt, allen implizierten Anforderungen ist auf gewisse Weise entsprochen. Aber nun sagen wir, dass all das in irgendeinem Modell erfasst sein soll? Sind wir uns denn so sicher in Bezug auf diese ganze Angelegenheit, auf die Sequenzen und Kontexte und Anforderungen und Versionierungen? Wir wollen uns an dieser Stelle auf einen kreativen Regress einlassen, auf den Felt Sense dazu, was all das instanzieren soll. (Ich werde jetzt andere Worte verwenden, um auf den Felt Sense zu zeigen. Sie sollen nur instanzieren und nicht in buchstäbli482 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Monaden
cher Weise sprechen.) Wir merken ja, Erfahrungen sind auf gewisse Weise ineinander verwoben. Ja, man kann eine Art von Textur beschreiben, die immer da ist. Etwas Tiefgreifendes geschieht in der Herausbildung eines Direkten Referenten oder wie immer wir dies nennen sollen. Wir könnten uns einfach damit begnügen, zu beschreiben, was uns auf diese Weise immer möglich ist und dabei unsere Beschreibung so spärlich belassen, dass sie niemand im buchstäblichen Sinn als Schema auffassen würde. In diesem Regress haben wir anscheinend weniger als unser Modell. Das stimmt aber nicht, denn wir erinnern uns ja noch an unser Modell! Wir können genauso gut sagen, dass wir uns vergegenwärtigen, worum es in unseren präzisen konzeptionellen Aussagen wirklich geht. Wir ergänzen unser Modell und seine präzisen Aussagen durch die umfassendere Bezugsweise des Direkten Referenten, den sie instanzieren. Unser direkt referierter impliziter Sinn, von dem aus wir sprechen, hat jetzt die präzisen Aussagen, die darin impliziert waren! Polemarchos hat gelernt! Wir kommen nach dem Konzeptualisieren nicht auf den buchstäblich gleichen Direkten Referenten zurück, aber wir kommen auf den »gleichen« zurück. (Später werden ich mehr über diesen Raum [den Raum des Bss, des Beispiels seiner selbst] sagen. Er entsteht durch Instanzieren, und er entsteht gerade hier.) Wenn aber jede Konzeptualisierung die direkte Referenz verändert und darin dann jeweils implizit bleibt, was heißt das im Hinblick auf einen falschen Gedankengang? Was geschieht, wenn wir diesen nicht bemerken und nichts daraus lernen? Stellen wir uns vor, wir gehen davon aus, dass er richtig ist, selbst wenn dem nicht so ist. Bleibt er dann immer implizit in unserem vermeintlich gültigen Direkten Referenten? Wir können an dieser Stelle nun klarer über unser eigenes Modell nachdenken und nicht mehr nur sagen, dass es viele Modelle geben könnte, aber dass es wichtig ist, wenigstens eines zu haben, das gut ist. Es geht nicht nur darum, dass unser Modell 483 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu VIII-A
auf einer neuen und bislang wenig verwendeten Ebene angesiedelt ist. Und dass es bald mehrere und bessere dieser Art geben wird. Das ist tatsächlich so. Aber in unserem Modell können wir nun sagen, warum das so ist. Wir können es nun fassen, hineindenken und präzise Konzepte bilden, die untermauern, warum das so ist. Wir können über eine neue Art von Wahrheit nachdenken, die viel umfassender ist. Offensichtlich instanzieren unsere Konzepte, wie jedes andere auch, den Direkten Referenten, der als ganzer nur zu haben ist durch diese instanzierende Direkte Referenz. Dabei geht aber eine buchstäbliche Verwendungsweise von Begriffen und Aussagen nicht verloren. Damit haben wir mehr als die üblichen vagen Aussagen, die wir beispielsweise von Platon oder von Heidegger kennen (und die natürlich trotzdem wahr bleiben). Heidegger sagt (in Wesen der Wahrheit), dass jede Wahrheit auch immer die Wahrheit verstellt. Platon zeigte in jedem Dialog, wie man mit jeder Aussage dazu gebracht werden kann, sich selbst zu widersprechen, indem man ihre Implikationen so weit logisch verfolgt, bis das Gegenteil dessen erreicht ist, was gemeint war. Längst wurde erkannt, dass dies der Natur konzeptioneller Strukturen entspricht. Auch darüber können wir jetzt schärfer nachdenken und diese Begrenzungen des Begrifflichen sogar nutzen, statt darüber nur perplex zu sein. Diese Begrenzungen sind nicht negativ, sie müssen nur verstanden werden. Dann wissen wir zumindest darum und auch um die Herausbildung eines Direkten Referenten und um den instanzierenden Gebrauch von Aussagen, der hier langsam klar wird. Nachdem wir also eine Formulierung ausprobiert haben und den Regress auf den Direkten Referenten unternehmen, sind im Gegensatz zur obigen Befürchtung genau diejenigen Aspekte ihrer Wirkung implizit, die gültig sind. Welche Magie! Aber natürlich …., denn die Aussage, die den Direkten Referenten instanziert und indirekt voranträgt, kann dies nur als gültige. Gelingt es ihrer Wirkung nicht, den Direkten Referen484 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Monaden
ten voranzutragen, dann misslingt ihr, ihn in dieser Formulierung funktionieren zu lassen. Er wird nicht implizit funktioniert haben und dasjenige, was wir sagen, wird sich nicht geformt und sich dadurch nicht verändert haben. Darum ist es ein sehr wirksames Korrektiv, sich zwischen den Sätzen so oft wie möglich auf den Direkten Referenten zu beziehen. Wenn sich nichts bildet, das unseren Formulierungs-Versuch implizit aufnimmt, wenn es nur eine undeutliche Verwirrung und keinen Direkten Referenten gibt (mit dem ja…ja…ja-Effekt des Selbst-Verstehens), dann ist es wichtig, die Formulierung als unbrauchbar zu erachten 57 und schnell zum Direkten Referenten vor unserem letzten Formulierungs-Versuch zurückzukehren. War das bei gutem Denken nicht immer schon der Fall? In gewisser Weise ja, in anderer Weise aber auch nicht. Dialektik zum Beispiel und andere Methoden haben indirekt natürlich alles Gewusste während des Denkens implizit funktionieren lassen. Sonst hätte es kein Denken gegeben. Denken ist das Vorantragen der Komplexität, die versioniert wird. Aber meistens gab es nur die logische Anleitung, und so kam man zu Formulierungen und Systemen, die nur logisch »gesponnen« waren. Empirische Prüfverfahren korrigieren das. In der Dialektik kommt die Rückkehr zum ursprünglich Gemeinten hinzu und auch die wirkungsvolle Einsicht, dass neue Konzepte anders zurechtgeschnitten werden können, wenn man in einen Widerspruch gerät. Aber beides, das nur logische Vorgehen mitsamt dem emDas heißt nicht, dass wir die Aussage nicht aus bestimmten Gründen für später aufbewahren wollen. Es könnte die einzige Aussage sein, die wir jetzt machen können – über irgendeine Entdeckung oder eine Beobachtung oder einen Begriff, den wir umformulieren wollen. Aber wir halten sie gewissermaßen auf Abstand, bis wir sie anders formulieren können. Wir können auch gewisse Aspekte spezifizieren, weshalb die Aussage nicht passt. Wir können das aber nur tun, wenn wir den Direkten Referenten gebrauchen und indem wir ihn beibehalten, so dass Aussagen darüber, was noch nicht stimmt, Aussagen sind, die den Direkten Referenten instanzieren.
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Appendix zu VIII-A
pirischen Prüfverfahren sowie die dialektische Rückkehr und Reformulierung, gehen langsam, in »direkter-Kontext-Kreuzung« voran. Offensichtlich sind diese Schritte auf implizite Weise durch all das informiert, was man weiß. Aber sie müssen langwierig auf logische Weise ausgelegt, dann getestet und dann umformuliert werden. Es gab bisher noch keinen Weg, alles, was man für relevant hält, als ein eigenes Datum zu konstituieren und zu gebrauchen, als neue Art des Objektes, das zwischen zwei Denkschritten jeweils konsultiert werden kann als neue Art des »empirischen Testens«, wenn man so will. (Und wir sahen, was für eine wirkungsvolle und riesige Veränderung die Herausbildung eines solchen Objektes im Inhalt selber macht. Sie ist vergleichbar mit einer ungeheuren Anzahl von Theorien und ihrer Überprüfungen, mit einer enormen Anzahl dialektischer Umformulierungen, und all dies gleichzeitig.) Aber wie können wir wirklich verstehen, was es heißt, dass ein »Monaden« aus allen Direkten Referenten »wahr« oder »gültig« sei? Es heißt, meine ich, dass es in der Welt gelebt werden kann, dass die Welt auf diese Weise wirklich verändert und gelebt werden kann. Ich meine zumindest das. Wir haben nun einen Weg, darüber nachzudenken, wie die Herausbildung des Direkten Referenten solche neuen Aussagen und Handlungen ermöglicht, die tatsächlich in der Welt, in Situationen, in Problemen gelebt werden können und die sich dadurch verändern. Aber wir wollen nicht die gute Erklärung mit der Realität verwechseln. Gültigkeit ist nicht gleichzusetzen damit, wie wir sie erklären Ein Junge sagte im katholischen Religionsunterricht, nachdem der Lehrer Thomas von Aquins Gottesbeweise vorgestellt hatte: »Herr Lehrer, mein Leben lang höre ich von Gott, und Sie meinen, darauf beruht das alles?« Wenn neue VIIer-Sequenzen Typ-a implizit sind, dann heißt es, dass sie gelebt, getan, sequenziert, gehabt, gefühlt werden in einer Sequenz, die Zeit beansprucht. Eine solche geschehende Sequenz ist, wie wir sahen, ein neues und weiteres »Alles486 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Monaden
durch-Alles« (eveving); sie ist nicht schon buchstäblich »im« Direkten Referenten, denn sie muss erst gelebt werden. Wie hat dann die Herausbildung des Direkten Referenten gewährleistet, dass sie gelebt werden kann? Nur so weit wie das Vorantragen des Ganzen-Ganzen in der Herausbildung des Direkten Referenten verändert hat, wie der Körper all diese Kontexte impliziert. Ist das zwangsläufig genug an Veränderung, um die weitere Veränderung zu ermöglichen, welche die aktuelle Sequenz machen wird? Nein, das sagten wir bereits. Es braucht vielleicht noch viele Schritte, viel Sprechen und Handeln und dann wieder eine weitere Herausbildung des Direkten Referenten. Eine Garantie wäre eine Annahme, die wir nicht machen können, und tatsächlich brauchen wir häufig viele Schritte, und wir lösen nicht alle Probleme. Aber die Herausbildung des Direkten Referenten bewegt sich wirkungsvoll in diese »Richtung«. Können wir trotzdem noch klarer darüber nachdenken, warum die Herausbildung des Direkten Referenten nicht notwendig lebbare VIIer-Sequenzen in nur einem Schritt ermöglicht? Wir sahen bereits, wie alle VIIer-Sequenzen »überraschen« können. Sie beanspruchen die wirkliche, weitläufige Umwelt, die im Direkten Referenten nur implizit funktioniert hat (als Körpergespür und »Alles-durch-Alles«). Wir sahen auch schon in Kapitel VI, dass Versionieren den Kontext nicht in garantierter, aber in angemessener Weise so verändert, dass ein angehaltener Prozess, ein Stopp, wieder aufgenommen werden kann. 58 Später werden wir die Beziehung zwischen dem monadierenden Direkten Referenten und den Kontexten, Sprachsystemen und anderen Gebieten untersuchen, in die hinein er monadiert ist. All das kann unterschiedlich sein, und deshalb können auch die VIIer-Sequenzen, die von einem Direkten Referenten ausgehen, unterschiedlich sein. Aber alles, was bisher gesagt wurde, zeigt, dass die Herausbildung des Direkten Referenten noch nicht mit der tatsächlichen Kreation von VIIer-Sequenzen gleichzusetzen ist. Etwas weiteres entsteht, wenn diese geschehen. Sie wären nur dann logisch ableitbar und von vornherein bestimmbar, wenn wir die körperlich implizierte VIIer-Komplexität fälschlicherweise als gleichbedeutend mit einem System von Aussagen, von »Dritten«, auffassen. Aber
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Appendix zu VIII-A
Dianade (diafil) Eine Monade habe ich als eine Art VIIIer-Objekt definiert, jetzt will ich eine andere Art betrachten: Ich nenne sie Dianade (diafil). Eine Monade entspricht dem Verstehen (comprehension), eine Dianade der Metapher (metaphor) in Experiencing and the Creation of Meaning. Während ein Direkter Referent »aus-monadet«, bleibt er »der gleiche«. Das ganze Cluster der von ihm ausgehenden, ihn instanzierenden Aussagen und die Art und Weise, wie diese »angewendet« werden, ist wie ein umfassendes Verstehen des Direkten Referenten in unterschiedlichen Bereichen. Wir können aber auch jedes Thema und jeden Kontext mit dem Direkten Referenten kreuzen, und zwar nicht nur nach der Art der »Anwendung« und des »Aus-Monadens« des Direkten Referenten, sondern auch in der umgekehrten Richtung, indem wir ein anderes Thema einen Direkten Referenten sein lassen, der in unseren ersten »hinein-monadet«. Tun wir dies, verlieren wir die Relevanz unseres Direkten Referenten, und er ist nicht länger »der gleiche« wie während des Monadens (Kapitel IV-A.h). Als ich zum Beispiel ganz am Anfang Explikation mit Handlung gekreuzt habe, ließ ich beide im Prozess des Kreuzens sich verändern. (Wie mein Verfahren über Theorie-Konstruktion Thinking at the Egde zeigen wird, konnte ich dies tun, weil beide in der Entstehung von VIIer-Sequenzen (die von einem Direkten Referenten ausgehen) gelten die gleichen VIIer-Verhältnisse zwischen den Interaktionskontexten und ihrer Entwicklung, Veränderung und Rekonstitution durch die Sprache. Das Cluster ist von vornherein Typ-a implizit und darum auf sehr subtile Art bestimmt, aber wie sonst auch kann das Implizieren (dieses Clusters) auf verschiedenen Wegen vorangetragen werden – aber selbst einer ist nicht leicht zu finden, da so viele subtile neue implizite Differenzierungen vorangetragen werden müssen.
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Dianade (diafil)
bereits Facetten des Direkten Referenten waren, von dem aus ich gearbeitet habe. Sie haben also den Direkten Referenten bereits instanziert, und das Beispiel ist nur in technischer Hinsicht ein Beispiel für den Prozess des »Dianadens« (diafilling). Wenn wir uns darüber im Klaren sind, dann ist es hilfreich und richtig zu beachten, was ich da gemacht habe, um diese Art Wendung in der Theorie-Konstruktion als Dianade betrachten zu können.) Würden wir jedes neue Thema in beide Richtungen kreuzen, kämen wir letztendlich in der Weisheit an – obwohl dann keine einzelne Relevanz mehr bestehen bleiben würde. Wir haben bereits gesehen, dass die Art des Kreuzens, die wir »SdS« nannten (Schematisiert werden durch Schematisieren, siehe Kapitel IV-A.h), sich je nach Richtung des Schematisierens unterschiedlich verhält: Zwischen je zwei Erfahrungen werden je unterschiedliche Resultate erzielt, je nachdem, welche man nutzt, um neue Aspekte der anderen zu erhalten. In anderen Worten: Es gibt kein festgelegtes Verhältnis (oder keinen Satz festgelegter Verhältnisse) zwischen zwei Erfahrungen, wie auch immer sie sein mögen. Wäre dies nicht so, würde es ja keinen Unterschied machen, ob man mit der einen oder mit der anderen Erfahrung beginnt, die jeweils andere ins Verhältnis zu setzen. Man würde jedes Mal das Gleiche erhalten. Was wir über »SdS« (schematisieren und schematisiert werden) gesagt haben, war deshalb ein Beispiel dafür, dass im Schematisieren neue Aspekte kreiert werden, die nicht schon gegeben sind. Es wird dasselbe instanziert, wenn wir sagen, Implizieren sei nicht identisch mit einer expliziten Struktur; wenn das nämlich so wäre, wären die Verhältnisse schon völlig festgelegt, es gäbe einen begrenzten impliziten Satz von ihnen, dem man nur ein »noch nicht« hinzuzuaddieren hätte. Darum ist der Unterschied zwischen Monade und Dianade nicht wirklich möglich, wir können zwischen ihnen nicht klar trennen. Sonst müssten wir unterscheiden zwischen der Beibehaltung der Relevanz im Monaden (als »Alles-durch-Alles«-Geschehen) und ihrer Veränderung im »Dianaden«. Beim 489 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu VIII-A
Kreuzen wird aber die Relevanz des Gekreuzten auf eine Weise vorangetragen und sie bleibt auf eine Weise »gleich«. Es gibt mehr als nur einen oder zwei Wege, wie zwei Erfahrungen gekreuzt werden können. In Experiencing und the Creation of Meaning habe ich diesen Umstand auf die vielen »anderen« Erfahrungen zurückgeführt, die als Kontext ständig mitfunktionieren. Abhängig davon, was wir wollen, an welcher Stelle der Diskussion oder des Gedankens wir sind, was sonst noch alles wichtig ist, um eine Lösung akzeptabel zu machen, wird das Kreuzen von zwei Erfahrungen unterschiedlich sein. (Als »zwei« könnte man zum Beispiel das ganze Gespür für ein Problem an dieser Stelle mit dem Gespür für ein anderes kreuzen. Dann sind alle »anderen« darin funktionierenden Erfahrungen schon Teil des Direkten Referenten. Die Beziehung zwischen den funktionellen Verhältnissen habe ich nirgends in Experiencing and the Creation of Meaning und in dieser Diskussion erörtert. Offensichtlich sind beides Schemata, und was dieses Modell hier zu Schemata sagen wird, trifft auch auf diese beiden zu.) Ein anderes Beispiel für die Tatsache, dass viele Wege statt nur einem zum Vereinigen und Schematisieren möglich sind, ist das folgende: Wir können nicht sagen, dass ein neuer Aspekt implizit oder nicht implizit (Typ-a) im Direkten Referenten war, wenn er sich durch das Kreuzen von zwei Erfahrungen gebildet hat. Wir können nur retroaktiv spezifizieren, wie der Direkte Referent »war«. Dann erscheint es allerdings so, als ob der Aspekt darin implizit »gewesen« wäre. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass wir nicht zwischen dem implizit Funktionierenden und dem Gehaltenen unterscheiden können. Gehaltenes/implizit Funktionierendes ist keine Trennung zwischen Teilen (siehe Kapitel VII-A.o). Es ist eine neue Art von Unterscheidung, wie etwas im Gestalten von etwas anderem funktionieren kann. Eine Ähnlichkeit wird kreiert, wenn etwas im Gestalten von etwas anderem funktioniert. 490 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Dianade (diafil)
(Wir instanzieren damit die Umkehrung der üblichen Ordnung.) Gegebene Sequenzen oder Inhalte funktionieren dabei nicht nur als sie selbst, nicht als irgendwelche präexistenten Teile, sondern indem sie in keinerlei Weise zuvor ein Bestandteil waren. Am Beispiel des Watens (in Kapitel VI) sahen wir, dass ihre Funktionen sehr auffällig werden können. (Wenn Gehen nicht mehr möglich ist, weil man im Wasser ist, wird das Gehen nicht »teilweise« geschehen, sondern es entsteht ohne Grund und Boden sehr viel mehr an Bewegung. Waten war kein »Teil« des Gehens, bevor man ins Wasser fiel.) Wir teilen auch nicht zwischen Sequenzen auf, die in gewisser Weise implizit funktionieren, und solchen, die es nicht tun. Die Sequenzen sind alle ineinander implizit (oder wenn wir keine perfekte Einheit annehmen wollen, so sind viele ineinander implizit). Nicht alle impliziten Sequenzen werden in einer geschehenden Sequenz mitfunktionieren, wenn sie selbst nur implizit funktioniert. Das folgt aus dem, was wir gerade sagten. Denn eine Sequenz funktioniert implizit nicht als sie selbst, sie funktioniert implizit nicht in immer gleicher Weise oder auf irgendeine bekannte Weise. Versionieren heißt gleich halten und auch ändern (vorantragen). Versionieren ist immer verdoppelt. Wir sahen, dass das beim »Monaden« auch so ist. Der Direkte Referent wird gleich behalten, indem man ihn in ein anderes Thema voranträgt. Dieses andere Thema könnte ich auch einen Bereich nennen. Dieser ist durch die Funktion im Verhältnis zum Direkten Referenten definiert. Monaden (monading) ist deshalb ein Beispiel für »Verstehen« (wie es in Experiencing and the Creation of Meaning definiert ist). Kontexte sind alle ineinander implizit, so dass man jeweils an irgendeinem Punkt in allen Kontexten ist. Würde es sich nur um ein einziges logisches System handeln, dann würde dies auf einen Satz logischer Verhältnisse zwischen diesen hinauslaufen. Durch die Art und Weise, wie die Kontexte ineinander implizit sind, ist nichts festgelegt, es gibt mehr als ein logi491 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu VIII-A
sches System (es kann mehr als eine VIIer-Sequenz impliziert sein). Statt nur zu sagen, wie etwas schon war, werden die Kontexte weiter angereichert, obwohl wir auch sagen (und spezifizieren) können, inwiefern sie bereits so »waren«. Wir haben die Herausbildung des Direkten Referenten nun in den Begriffen verstanden, die wir hier gebrauchen, insbesondere als Kreuzen vieler Kontexte. Es ist jedoch die Herausbildung des Direkten Referenten, die durch diese Begriffe instanziert ist, so dass wir die Ordnung nicht wieder umkehren wollen. Sie ist immer schon umgekehrt worden, und wir drehen sie richtig herum. Wir wollen also die Herausbildung des Direkten Referenten nicht auf unsere Begriffe reduzieren, und wir wollen auch das Monaden eines Direkten Referenten nicht darauf reduzieren, was wir hier darüber sagen. Wir meinen lediglich, dass ein Monaden zumindest das ist, was wir hier sagen können. Und dass die Herausbildung des Direkten Referenten »zumindest« als das Kreuzen aller Kontexte aufgefasst werden kann. Wenn die Herausbildung des Direkten Referenten auf diese Weise (»zumindest«) auch ein »Dianaden« ist, dann müssen wir beachten, dass es sehr viele Weisen gibt, wie gekreuzt werden kann. Dadurch können wir auch denken, dass beim Monaden des Direkten Referenten sogar noch mehr geschieht und dass es viele Direkte Referenten aller Kontexte geben kann (und viele »alle Kontexte«). Wir beschrieben die Herausbildung des Direkten Referenten als »Festwerden« (jelling), um die Art und Weise zu beschreiben, wie sie sich anfühlt. Wieder gilt: Es gibt viele Weisen des Herausbildens und auch viele Weisen des Festwerdens, viele »Schritte« (steps) und viele »Bewegungen« (shifts). Wir können nicht zwischen noch-keiner-Bewegung, einer-Bewegung und einer-weiteren-Bewegung unterscheiden. Wenn wir etwas über diese Differenzen wissen wollen, dann kann nur das Monaden in VIIer-Sequenzen uns zeigen, ob das Problem gelöst
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Dianade (diafil)
ist, ob es gelebt werden oder ob von dort aus weitergedacht werden kann. Wenn es sich nicht festigt, dann hat sich kein Direkter Referent herausgebildet, und dann kann nicht vollzogen werden, was wir hier beschrieben haben. Diese Unterscheidung steht zwischen der Herausbildung des Direkten Referenten und dem Direkten-Kontext-Kreuzen. Später werden wir diskutieren, wie ein neuer Bereich von Begriffen zu erstellen ist. Es wird weder eine »Anwendung« im Sinne eines Monadens unseres Modells sein, noch wird es etwas ganz anderes sein. Das Modell (unser Direkter Referent) wird implizit funktionieren, um diesen neuen Bereich von Begriffen zu bilden. Dieser Direkte Referent hat, wie üblich beim Monaden, auch in all den Sequenzen, die bis jetzt entstanden sind, implizit funktioniert. In einem neuen Bereich werden die Sequenzen weder so funktionieren, wie wir hier das Monaden konzeptualisiert haben, noch so, wie wir das »Dianaden«, konzeptualisiert haben. Wir wollen davon als »Monaden-Dianaden«, als ganzem Kontinuum unterschiedlicher Wege sprechen: Man braucht möglicherweise weitere »Anwendungen«, um ein Modell wiederholt zu überarbeiten und es zu einem theoretischen System zu machen. Oder man braucht die Art von Konsistenz unseres Modells, wodurch neue komplexere Begriffe erlaubt sind, die nicht alle im gleichen Verhältnis zu früheren, einfacheren Begriffen stehen und dennoch nicht widersprüchlich sind. Oder man kann vielleicht manche Widersprüche tolerieren, während man an anderen arbeitet (damit man behandeln kann, was zu behandeln ist). 59 Diese Aufzählung soll nur verständlich machen, dass es keine einfache Trennung gibt zwischen dem Verbleib innerhalb einer Monade und einer weiteren Entwicklung. Aber all diese Möglichkeiten verwenden immer noch ein einziges Modell. Später werden wir zeigen, dass viele
Einen Widerspruch herauszuarbeiten, zeigt uns immer etwas und macht uns Aspekte klarer.
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Appendix zu VIII-A
Modelle gebraucht werden können (siehe Experiencing and the Creation of Meaning, Kapitel VI und die Abschlusspassagen unten). Eine weitere Unterscheidungsvariante, in der wir so ein Kontinuum bemerken könnten, wäre die: Wenn ich alles, was wir in diesem Buch besprochen haben, zusammenfasse und jeden Begriff mit jedem kreuze, würde ich die Begriffe zueinander noch konsistenter machen. Dann könnte man sagen: Alle Themen instanzieren bereits das Monaden des Direkten Referenten, darum führen sie selbstverständlich zu einem System von monadierenden Sätzen und Begriffen. Ich könnte aber auch einen engeren Ausschnitt meines Modells betrachten und es auf alle anderen Themen »anwenden«, statt mein Modell durch all diese umbauen zu lassen. Oder ich könnte mein Spektrum noch erweitern, neue Themen einbringen und mein Modell als noch im Bau befindlich betrachten. Es macht auch einen Unterschied, ob wir zuerst einem neuen Thema erlauben, seine eigenen Facetten hervorzubringen, so dass es dann einige Aspekte vorgibt, mit denen wir uns zu befassen haben. Sie sind es dann, welche die Struktur ihrer Verhältnisse selbst einführen. Oder aber wir könnten unser Model oder den Direkten Referenten die Aspekte des nächsten Themas spezifizieren lassen und uns nur mit diesen befassen. Manchmal erschrecken wir, wenn wir merken, wie ungeheuer differenziert all das ist, was uns wichtig ist. Wenn es uns wichtig ist, müssen wir diese Differenziertheit aber erlauben. Von daher wissen wir, wie ungeheuer anders sich alles verhält als die simplen Schemata, mit denen wir häufig über alles nachdenken. Mit unserem Modell und unserer Methode können wir einen oder mehrere Schritte in die eigentliche Komplexität hinein differenzieren, statt nur die vermeintliche Armut des Denkens im Verhältnis zur Wirklichkeit zu beklagen. Das zu tun ist sehr wirkungsvoll, und dass wir es sogar auf viele Weisen tun können statt nur auf eine, ist noch wirkungsvoller. Denn es 494 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Dianade (diafil)
gibt nicht nur ein einziges System von impliziten Differenzierungsebenen. Ich nenne dies die unterschiedlichen »Dichten« (densities) von Konsistenz. Es gibt immer viele unterschiedliche Erwägungen, um das, was ich hier zur Sprache bringen möchte, in ein Schema zu überführen. Ähnliches sagte ich über das Verstehen und über die Metapher in Experiencing and the Creation of Meaning. Auch dort habe ich gezeigt, dass jede Überlegung genutzt werden kann, um damit Verhältnisse durch ein Schema zu spezifizieren. Das gilt für jeden Punkt, über den man als Instanzierung der elementarsten Beziehung zwischen Erleben und Symbolen nachdenken will. Der Gebrauch der Begriffe »Monade« und »Dianade« hier entspricht dem Gebrauch von »Verstehen« und »Metapher« in Experiencing and the Creation of Meaning. Die Begriffe behalten ihre VIIer-Schärfe und helfen uns, zu denken und zu instanzieren, ohne den Direkten Referenten auf diese Begriffe zu reduzieren. Das manifestiert sich auch darin, dass ein Aspekt auf zwei Weisen formuliert werden kann. Wir können mit »Monaden« das »Dianaden« und die Herausbildung des Direkten Referenten erklären und vieles mehr, aber wir können auch, mit unterschiedlichen Resultaten, das »Dianaden« gebrauchen und andere, noch unterschiedlichere Begriffe formulieren. Damit möchte ich nur zeigen, dass VIIer-Begriffe klar bleiben und ihre Kraft nicht verlieren. Wir behalten ihre vorhandene Stärke und fügen unermesslich viel hinzu. Wir werden nicht nur die Achseln zucken, wenn es aufgrund von zwei Formulierungen zu unterschiedlichen Resultaten für das »Gleiche« kommt. Wir wissen, in welchem Sinn es »gleich« und »nicht gleich« bleibt (und können klar darüber nachdenken). Wir können unterschiedliche Aspekte als Direkte Referenten betrachten, die durch die verschiedenen Formulierungen spezifiziert werden. Wir werden an jeder Abzweigung sehen, wie sich die ver495 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu VIII-A
schiedenen Aspekte darauf auswirken. Diese Wirkung kann verfolgt werden, sie kann als Direkter Referent geformt und weiter spezifiziert werden. Wenn es an einem gewissen Punkt keinen Unterschied macht, etwas so oder so zu sagen, ahnen wir jedoch, dass es später einmal durchaus einen Unterschied machen könnte. Wir können also einen Unterschied, der aus verschiedenen Formulierungen folgt, stehen lassen im Wissen, dass er nicht endgültig zu beseitigen ist. Denn das würde Erfahrung auf ein einziges System hin verarmen. Warum sollten wir das wollen? Wir sehen doch, dass unterschiedliche Formulierungen starke Auswirkungen haben. Warum erlauben wir uns nicht, präzise über etwas nachzudenken, das reicher ist, ich wiederhole, nicht ärmer, nicht weniger bestimmt, nicht weniger strukturiert, nicht weniger bedeutungsvoll, nicht einfach zu haben für schnelle Zugriffe und willkürliche Aussagen oder Handlungen? Bislang hatten wir keine Möglichkeit, über etwas deutlich nachzudenken, das geordneter ist als klare Denk-Abfolgen. Darum haben Menschen das alles missverstanden. Wenn Begriffe einen Direkten Referenten instanzieren, bedeuten sie mehr, d. h. sie tragen mehr voran. Da, wo sie gebraucht werden, wirken sie stärker. Sie machen einen größeren Unterschied in dem Kontext, den sie vorantragen. Wenn dieses »mehr« oder auch nur etwas davon spezifiziert werden soll, können wir das auch tun – aber nicht durch eine vollständige Reduktion auf VIIer-Begriffe, sondern durch ein adäquateres Wissen um die Wirkung dessen, was die Worte sagen, ohne die VIIer-Klarheit der Worte zu verlieren.
Abschluss und Beginn Was das vorliegende Modell anbelangt, höre ich hier auf. Eine weitere Entwicklung von Begriffen ist zwar gerade am Entstehen und am »Kommen«, die wichtige offene Punkte des Modells klären wird. (Es gehört jedoch zu unserer Art von Konzeptbil496 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Abschluss und Beginn
dung, dass Punkte offen bleiben müssen. Sie zu füllen, würde die Entwicklung einer weiteren Schicht bedeuten, die wiederum neue Punkte offenlassen würde.) Unser Modell wird, wie ich schon gesagt habe, weiter implizit funktionieren, wie es für jede Stufe bis jetzt funktioniert hat, aber mit einer größeren Offenheit, die wir später definieren werden. Von nun an wird jedem neuen Thema erlaubt sein, eigene Aspekte einzubringen, nicht nur solche, zu welchen unser Modell in seiner Anwendung darauf führen würde. Wir werden dann auch in einem »Bss«-Raum (Beispiel seiner selbst-Raum) sein, nicht nur in unserem Modell. Ich würde viele Modelle anwenden wollen, auch wenn es bis jetzt noch wenige auf dieser neuen Ebene gibt. Wir werden immer noch weitere Cluster sich gegenseitig implizierender Konzepte und Aussagen erarbeiten, und zwar für jeden Bereich. Die Wirkkraft unseres Modells wird auf diese Art am besten zu sehen sein. Oft genug werden wir »darin« bleiben. Wir wollen aber auch die anderen Vorteile nutzen. Hätte ich früher aufhören können? Ich bin von Kapitel VIII ausgegangen (in der Form, die Experiencing and the Creation of Meaning hatte) und wollte wieder in Kapitel VIII ankommen, nachdem ich Konzepte durch Kreuzen mit anderen relevanten Themen gebildet hatte (Körper, Verhalten, Symbolisieren etc). Einmal in Kapitel VIII angekommen, weiß ich, dass ich immer weiter fortfahren könnte. Ich möchte in der Lage sein, darüber nachzudenken, auf welche Art VIII schon von Beginn an »funktioniert« hat. Brauche ich mehr Konzeptbildung, um das zu können, so will ich es im Folgenden noch geschehen lassen. Diese kleine Diskussion, die wir gerade hatten, ist von großer Bedeutung. Viele Leute glauben heutzutage, dass sie wählen müssen zwischen einem Denken, das ganz scharf und systematisch ist, oder einem, das das lebendige Ganze wertschätzt. Ich hoffe gezeigt zu haben, dass, indem wir das implizite Funktionieren der direkten Referenz auf ein Ganzes gebrauchen, beides 497 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu VIII-A
kontinuierlich ein klares Denken anreichern kann. Wir wollen nicht nur über die Leistungskraft systematischer Aussagen als solcher klar nachdenken können, sondern auch darüber, wie durch sie angereichert wird, worauf wir danach wieder direkt referieren können. Wie ich anderweitig deutlicher darlegen werde, sind Platon und Aristoteles zusammen ein Beispiel dafür, was wir gerade diskutiert haben. Platon erarbeitete eine Methode zur Konzeptbildung (Dialektik), in der jeder Schritt sich am Ganzen maß und dieses auch vervollständigte. Platon hielt viel mehr von dieser Methode als von irgendwelchen spezifischen Konzepten, wie leistungsstark und erhaben diese auch im Vergleich zu früheren sein mochten. Aristoteles modifizierte diese Methode, um Konzepte zu verbessern. Er entwickelte ein konsistentes Cluster. Er wusste sehr wohl, dass in jedem neuen Kontext eine neue Konzeptbildung erlaubt sein muss. Wann immer er sein Modell »anwendete«, tat er dies so, dass es in jedem neuen Kontext auf neue Art differenziert werden konnte. (»Es sollte etwa sein wie .....«, würde er sagen und ein früheres Beispiel zitieren. Dann würde er aus dem neuen Kontext und nicht innerhalb der bestehenden Konzepte dafür neue Begriffe sich entwickeln lassen, die dennoch dem nicht widersprachen, was er schon hatte.) Trotz der bewusst frischen Konzeptbildung des Aristoteles bei jedem neuen Thema und trotz seiner präzisen Beschreibung, wie das zu bewerkstelligen sei (Aposteriori-Analyse), hatte dies den Verlust der Methode der Konzeptbildung zur Folge, die bei Platon ihren Ursprung hatte und die Aristoteles entwickelt hat. Nachfolger fanden es viel einfacher, die Konzepte von Aristoteles zu lernen als seine Methode der Konzeptbildung. Tatsächlich wurde die Methode häufig genug nicht einmal wahrgenommen. Die »Wissenschaften«, die Aristoteles herausgearbeitet hat, haben weitgehend überdauert, während die sehr komplexe überlappende Art und Weise, wie er gearbeitet hat, größtenteils missverstanden wurde. Die basalen Konzepte vieler Wissen498 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Abschluss und Beginn
schaften, wenn sie nicht aristotelisch geblieben sind, sind oft Vereinfachungen seiner Konzepte. (Gegenwärtige Diskussionen über Zeit, Raum und Bewegung, Lebensprozesse, über das Selbst und andere, über das Individuum und die Gesellschaft, über Geschichte und Kunst sind Beispiele hierfür.) Sollen wir Aristoteles dafür tadeln – wenn das überhaupt sinnvoll ist –, dass er so ein schönes Modell entwickelt hat? Hätte er es nicht tun sollen? Hätte er näher bei Platon bleiben sollen, der mit jedem Dialog neu begonnen und mit einem jeweils unterschiedlichen Schema geendet hat? Das kann keine befriedigende Antwort sein. Es muss doch einen Weg geben, jedenfalls heute, wenn nicht schon damals, die Leistungskraft eines oder mehrerer guter Modelle zu haben und zudem die Leistungskraft von Konzeptbildung. Ich will mein eigener Platon und mein eigener Aristoteles sein. Ich will nicht nur eine Methode anbieten, wie es Platon tat (und wie es das Experiencing and the Creation of Meaning tut), sondern auch ein Gebäude konsistenter Konzepte, die für die Wissenschaften geeigneter sind als die, die wir hatten, und die zu einer besseren Philosophie führen als zu der, die wir hatten. Aber ich will noch mehr! Ich möchte nicht, dass diesem Modell hier die Nachteile zukommen, die sich historisch am aristotelischen Modell erwiesen haben. Ich möchte nicht, dass die Leistungskraft neuer Konzepte Leute daran hindert, etwas über die Konzeptbildung zu wissen und diese selbst zu nutzen. Die Methode der Konzeptbildung ist viel wichtiger, als es die Konzepte selbst sind. Außerdem ist das, was die Methode über das Verhältnis von Konzepten und Erfahrung zeigt, viel wichtiger als die Art und Weise, wie ich diese Beziehung formuliert habe. Wie kann man Platon sein und Aristoteles und noch mehr? Denn sie haben ja schon geschrieben, und wir stehen auf ihren Schultern und auch auf denen von Kant, auf denen von Wittgenstein, von Heidegger und vielen anderen. Wenn man wirk-
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lich versteht, geht man immer darüber hinaus und bewegt sich weiter, wie ich weiter oben versucht habe zu zeigen. Wenn dem so ist, heißt das, dass wir die konsistenten Ergebnisse und Theorien in den Wissenschaften hinter uns lassen wollen? Man kann Modelle nicht immerzu ändern. Wenn wir das tun, entsteht kein konsistentes Wissensgebäude. Das brauchen wir aber. Ein paar wenige neue Modelle können von großem Wert sein, zum Beispiel in der Medizin oder in der Aerodynamik. Aber es wäre erstrebenswert, wenn diese in Interaktion mit der bereits existierenden Wissenschaft gebraucht werden und sie nicht durcheinanderbringen. Sind wir nicht froh darüber, dass konsistent gebildete Daten und Propositionen in diesen Wissenschaften lang genug intakt geblieben sind, dass wir sie sorgfältig testen und weiterentwickeln konnten? Würden wir ein Flugzeug besteigen wollen, das nach den Richtlinien irgendeines neuen Denkmodells gebaut wurde? Und habe ich nicht versprochen (und vielleicht sogar in einigen Fällen gezeigt), dass unser neues Modell der Wissenschaft helfen kann, z. B. bei der Auflösung von Anomalien und im weiteren Aufbau konsistenter Daten und Propositionen in eben diesen Wissenschaften, nicht nur in neu begonnenen Ansätzen? Wie können aber konsistente Wissensgebäude mit unserer Methode der Konzeptbildung versöhnt werden? Immer schon gehörte es zu den Aufgaben der Philosophie, die Art der Konzepte, die in der Wissenschaft verwendet wurden (und die Art ihrer Methoden, Vorannahmen, Strategien), zu untersuchen. Wenn Wissenschaftler selbst die grundlegenden Arten von Konzepten und Methoden untersuchen, dann betreiben sie Philosophie (auch wenn sie unvorbereitet und nicht vertraut damit sind, wie eine solche Untersuchung durchzuführen ist). Wissenschaftler tun so etwas bisweilen aufgrund von Kontroversen über unterschiedliche Vorannahmen oder wegen Anomalien, die im gegenwärtigen Modell auftauchen, oder weil sie ihre Denkkraft weiterentwickeln wollen. Der Unterschied zwischen Wissenschaft und Philosophie 500 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Abschluss und Beginn
muss sich nicht in unterschiedlichen Gruppierungen von Menschen verkörpern. Natürlich braucht es unterschiedliche Unterteilungen in den Bibliotheken, unterschiedliche Sammlungen zusammenhängender Aussagen und Entdeckungen. Aber dieselben Menschen müssen zu unterschiedlichen Zeiten beides tun. Ich bin gegen die Aufrechterhaltung der Trennung zwischen Wissenschaftlern und Philosophen. Es kommt mir falsch vor, die erste Gruppe durch ihre Erziehung systematisch daran zu hindern, jemals mit Philosophie vertraut zu werden. Dann können sie ihre eigenen Werkzeuge und Annahmen nicht überprüfen. Und ich stimme mit Merleau-Ponty und Hoeller 60 überein, dass es für Philosophen gut wäre, sich kontinuierlich mit Wissenschaft zu beschäftigen, um direkt untersuchen zu können, welche Unterschiede philosophische Behauptungen machen. Zu häufig schien es so zu sein, dass die Philosophie die Aufgabe der Wissenschaftsuntersuchung nur einmal zu leisten hat. Die Wissenschaftler sollen diese dann lesen. Dass sich ein Philosoph in den Wissenschaften auskennen soll, wurde nie ernstlich in Frage gestellt. Aber es schien unnötig, in kontinuierlicher Interaktion damit fortzufahren, auf jeder Seite oder in jedem Paragraphen. Ich habe, wie man mittlerweile bemerkt haben wird, die philosophische Betrachtung von Konzepten und Methoden oft gemeinsam mit einem wissenschaftlichen Thema diskutiert, das Einfluss darauf hatte, was ich philosophisch dazu sagen konnte. Trotzdem bleibt natürlich der wesentliche Unterschied zwischen Aufgabe und Funktion von Philosophie und Wissenschaft bestehen. Heißt das nun, dass »Wissenschaft« immer ein einziges verbundenes und konsistentes Wissensgebäude bleibt, während die Philosophie Modelle verändern und Konzeptarten untersuchen kann, indem sie selbst viele unterschiedliche Arten verwendet? Keith Hoeller: »Phenomenology, Psychology, and Science«, in: Review of Existential Psychology and Psychiatry, Bd. XVI, Nr. 1, 2, & 3 (1978– 79), S. 147–75.
60
501 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu VIII-A
Bislang war es in der Geschichte der Philosophie nicht so. Philosophen haben zwar stärker noch als Wissenschaftler versucht, ein Modell, ein konsistentes System zu entwickeln. (Platon war die Ausnahme.) Trotzdem ist wahr, dass Philosophie auf diese Weise unbeabsichtigt viele Modelle erhalten hat. Die meisten Philosophen beklagen diese Tatsache, als ob eine richtig durchgeführte Philosophie aus einem Guss sein müsste. Denn gäbe es einmal ein grundlegendes System, dann könnte der Philosoph es fortan anwenden, und Wissenschaftler könnten es lesen und es auch selber anwenden. Hin und wieder ist so etwas auch geschehen. Als Heidegger sein konsistentes Modell (Sein und Zeit) vervollständigt hatte, weigerte er sich, es zu gebrauchen, und fuhr stattdessen mit dem Generieren neuer Konzepte und vager, aber dennoch vitaler Erkenntnisse fort. Statt jedermann einzuladen, sein neues elementares Modell anzuwenden, bat er fast darum, dies nicht zu tun. Er wusste etwas davon, was ich hier sage. Aber es war ein großer Fehler, nicht an der Entwicklung seines »Modells« so weiter zu arbeiten, dass dieses eine Genauigkeit erhielt, die ein bestehendes gewohntes Modell ersetzen konnte. Diese Aufgabe hätte er leisten sollen oder zu etwas Ähnlichem aufrufen, was ich hier getan habe. Hingegen wollte er das »Ende der Metaphysik« ausrufen, d. h. das Ende von Systemen und einer konsistenten schematischen Philosophie. Indem er auf diese Weise die Systematisierung beenden wollte, hatte er ein Gespür für etwas, das über Systeme hinaus gehen könnte, aber ohne zu wissen wie. Darum fiel er auf vagere, naturalistischere, vertrautere Weisen des Ausdrucks zurück, und er wich in die Dichtung aus. Er hat das Problem nicht gelöst, wie man dennoch eine kontinuierliche Philosophie haben kann, ein kontinuierliches Untergraben und jeweils neues Untersuchen, eine kontinuierliche Herausbildung von Konzepten, eine frische Emergenz von Formen – und trotzdem konsistent verbundene Wissensgebäude. So wie dieselbe Person sich zu unterschiedlichen Zeiten so502 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Abschluss und Beginn
wohl in der Philosophie als auch in der Wissenschaft engagieren kann und obwohl das unterschiedliche Aktivitäten sind, kann auch dieselbe Person konsistente Modelle anwenden und Konzeptbildung betreiben, in der Philosophie wie in der Wissenschaft. Es braucht keine langen zeitlichen Abstände, es reichen ein paar Momente dazwischen. Hat man einen Gedanken mit einem konsistenten und starken Modell verfolgt und gemerkt, wie leistungsstark es ist, warum sollte man nicht ein paar Momente später befähigt sein, ein anderes Modell zu verwenden, um zu sehen, wohin dieses führt? So etwas widerspricht der Konsistenz von Modellen nicht, im Gegenteil, es ist nur möglich, weil konsistente Modelle zu leistungsstarken Resultaten führen und verschiedene Modelle zu verschiedenen. Wenn der Gebrauch eines zweiten Modells zu etwas Relevantem führt, besteht kein Grund, warum man nicht genau »dies« mit einem konsistenten Modell seiner Wahl formulieren will (und dabei auch untersuchen kann, welchen Unterschied diese Art von Formulierung macht). Und wenn dies mit unterschiedlichen bestehenden Modellen so ist, dann gilt das auch für den Einsatz innovativen Denkens. Das Problem, sowohl mit der Anwendung von Konzepten als auch mit einer neuen Konzeptbildung zu arbeiten, ist so alt wie Platon, und zwar berechtigterweise, da er Konzeptbildung eher betonte als die Konzepte selbst. Er beschimpfte Mathematiker dafür, dass sie nie nach dem Grund dafür fragen, dass, wenn man »eines« in der einen Hand und »eines« in der anderen Hand hält, beides unverändert zu »zweien« wird, nur weil man die Hände zueinander hin bewegt. Dieses Beispiel (unter vielen anderen) besagte, dass man begriffliche Annahmen untersuchen und diese nicht einfach ableiten sollte. Das »Liniengleichnis« in der Politeia unterscheidet in der oberen Hälfte die deduktiven Wissenschaften von der Dialektik (von der eigentlichen Philosophie). Aber indem er die Mathematiker kritisiert, wollte Platon die Mathematik nicht eliminieren! Platon hat jedoch das Problem, wie man mit beidem arbeiten 503 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Appendix zu VIII-A
kann, nicht gelöst, und er wollte auch nicht nur grundlegende wissenschaftliche Begriffe untersuchen oder überprüfen, er wollte sie ändern, und er änderte sie auch in jedem Dialog. Wenn aber so etwas passiert, wie kann man dann beides haben? Natürlich, irgendeine unschuldige »Philosophie der Mathematik«, welche die Begriffe und Axiome, die Mathematiker gebrauchen, nur reflektiert, aber nicht verändert, hat dieses Problem nicht. Aber Platon meinte etwas anderes. Wenn der Bootsnavigator nicht nur fragt, wie man nach Ägypten kommt, sondern auch, was Platon wollte, warum man dorthin kommen sollte und welche Absicht erstrebenswert wäre, würde das natürlich die Wissenschaft der Navigation durcheinanderbringen. (Oder würde es uns von der Fessel der technischen Aufspaltung zwischen den Fragen »Warum« und »Wie« befreien, zwischen den Fakten und den Werten, zwischen dem Physikalischen und Menschlichen usw.? Würde es zu neuen Begriffen führen, welche die Bereiche überbrücken können?) Ich diskutiere hier zwei Unterscheidungen: Philosophie/ Wissenschaft und Systematisierung /kontinuierliche Herausbildung. Bislang habe ich gesagt, dass eine Person beides zu unterschiedlichen Zeiten tun kann, vielleicht nur ein paar Momente oder Sätze entfernt, aber dass sie unterschieden bleiben und dass es sehr viel mehr Leistungskraft in der Verwendung von beiden gibt, als wenn man auf eines von beiden verzichten müsste. Von der Perspektive aus Kapitel VIII lässt sich nun noch mehr über Philosophie und Wissenschaft sagen. So wie die vielen Allgemeinheiten, die neu aus der Herausbildung eines Direkten Referenten hervorgehen, nicht unter andere, noch allgemeinere Allgemeinheiten eines logischen Systems zu subsumieren sind (siehe Kapitel VIII-A.g-7), so gibt es auch keine einfache Trennbarkeit zwischen mehr oder weniger allgemeinen Themen. Dies gilt nicht nur angesichts des Spielraums ihrer Allgemeinheit. Dies gilt auch angesichts von Kontexten. Ein Befund aus der Soziologie, irgendetwas sehr Spezifisches, das nur von wenigen Beobachtern bemerkt worden 504 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Abschluss und Beginn
ist, kann (durch die Herausbildung eines Direkten Referenten) viele Sequenzen für viele andere Wissenschaften instanzieren. Es gibt philosophische Aspekte in jeder Aussage und in jeder Handlung. Anders gesagt, kein Thema ist der Philosophie fremd. Die entsprechenden Aussagen könnten wie Soziologie klingen und von der Gesellschaft handeln, sie könnten wie Psychologie klingen und über die Psyche sprechen, sie könnten physikalisch klingen und über Materie und Veränderung sprechen. Dabei geht es aber nie nur um diese Dinge, es geht immer auch darum, wie man darüber nachdenken und diskutieren kann. Was auch immer auf diese Weise gesagt wird, exemplifiziert ein philosophisches Thema. Durch die Herausbildung des Direkten Referenten bewahrheitet sich dies auf ganz neue Weise. Da der Direkte Referent ein Cluster ist, in dem sich alles ändert, werden alle diese Veränderungen durch jede Aussage instanziert, die ansonsten so aussehen, als ob sie nur ein Gebiet beträfen. Das heißt nicht, dass man die Trennung zwischen den Fachgebieten verlieren sollte. Wir brauchen natürlich öffentliche Wissensgebäude, die nach Fachbereichen thematisch gesammelt und organisiert sind. Zusätzlich dazu sollte man jedoch auch wissen können, wie man etwas als Beispiel anführen kann, das zu mehr als einem Thema gehört. In gleicher Weise ist der Unterschied von Philosophie und Wissenschaft beizubehalten. Philosophie wird immer grundlegende Begriffe untergraben, überprüfen und repositionieren. Philosophie betrifft immer die Art des Konzepts, das man gebraucht, und nicht nur direkt das Thema. Aber trotzdem sind alle Ebenen des Diskurses in der Herausbildung eines Direkten Referenten einbezogen. Darum ist es tatsächlich kein Misserfolg und auch keine Begrenzung, dass sich unsere Begriffe (alle Begriffe aus Kapitel VIII, die einen »Bss«-Raum instanzieren) nicht schematisch festlegen lassen. Stattdessen gehen wir vorwärts, hinein in ein kontinuierliches Philosophieren. 505 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Hinweise auf Gendlins Arbeiten
Die im Buch angegebenen Referenzen zu Gendlins Werken können in der umfassenden »Gendlin Online Library« auf der offiziellen Website des Focusing Instituts New York abgerufen werden. http://www.focusing.org/gendlin/
506 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Zentren, an denen man Gendlins therapeutische und philosophische Praktiken erlernen kann
Deutschland Deutsches Ausbildungsinstiut für Focusing und Focusing-Therapie (DAF) Internationale Focusing-Sommerschule Fort- und Weiterbildungen zu Focusing und Focusing-Therapie Hrsg. des Focusing-Journals Ludwigstr. 8 A 97070 Würzburg +49-931 41 62 83 [email protected] www.daf-focusing.de Focusing Institut Köln (FINK) Astrid Schillings Dipl.-Psych. / Psycholog. Psychotherapeutin, Ausbildende Focusing-Koordinatorin Brüsseler Platz 6 50672 Köln +49-2 21 5 62 57 70 [email protected] www.focusing-institut.eu Focusing Netzwerk Büro Focusing Netzwerk Antje Sommer-Schlögl Karl-Valentin-Weg 2 85521 Ottobrunn bei München [email protected] www.focusing-netzwerk.de
507 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Orte, an denen man Gendlins Philosophie und Praxis erlernen kann
Focusing Zentrum Karlsruhe – FZK Dieter Müller, FZK Weingarten, Höhefeldstr. 48 76356 Weingarten (Baden) Heinz-Joachim Feuerstein, FZK Gengenbach Untere Reig 12 77723 Gengenbach [email protected] www.focusing.de FocusingZentrum Rheinland Dr. Sybille Ebert-Wittich Dipl.-Psych., PPT Koordinatorin des Intern. Focusinginstituts (TFI) Fort-/Weiterbildung in Focusing u. Focusing-Beratung/-Coaching Pielstr. 5 56154 Boppard +49 67 42 13 59 [email protected] www.focusingzentrum.de Psychologische Praxis Dipl. Psychologe Christian Fritze-Dessauer Focusing Professional Psychologischer Psychotherapeut Supervisor LPTK-RP und BDP Roonstr. 18 56068 Koblenz +49 2 61 1 63 20 [email protected] Psychologische Praxis Engelbert Langhammer Focusing Professional Poppelsdorfer Allee 70 53115 Bonn +49 2 28 65 08 61 [email protected] www.Allee-Praxis.de
508 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Orte, an denen man Gendlins Philosophie und Praxis erlernen kann
Schweiz Ausbildungsinstitut GFK Heinz Meier Hagenbuchrain 13 8047 Zürich +41 43 817 41 24 [email protected] www.gfk-institut.ch Focusing Forum Teresa Dawson Koordinatorin und Ausbilderin des Internationalen Focusing Institutes Zürich +41 41 497 03 32 +41 76 335 49 00 [email protected] www.focusingforum.ch pca.acp Schweizerische Gesellschaft für den Personzentrierten Ansatz Geschäftsstelle Josefstrasse 79 8005 Zürich +41 44 271 71 70 [email protected] www.pca-acp.ch Focusing Aus- und Weiterbildung Eveline Moor Züllig MAS Prävention & Gesundheitsförderung Focusing Koordinatorin TFI für die Schweiz Casa Civetta CH-6670 Avegno/Tessin +41 91 796 27 90 [email protected] www.focusingausbildung.ch 509 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Nachwort der Übersetzerinnen
(Auch wenn dieses Gespräch nicht genau so stattgefunden hat, so besteht es aus vielen Gesprächen, die genau so stattgefunden haben.) Donata: Warum sollen wir eigentlich nachträglich überhaupt noch darüber sprechen bzw. schreiben, Christiane? Christiane: … weil man dem fertigen Text den Prozess nicht mehr ansieht, die darunter liegenden abgesunkenen Schichten … Donata: Gott sei Dank … Christiane: (lacht auf) Donata: Ohne dieses Lachen wäre ich wahrscheinlich mit den Schichten langsam mit-versunken … und ohne Deine Leitmetapher der Raupe. Christiane: Ja, die stammte aus dem Buch der russischen Übersetzerin Swetlana Geier, die im hohen Alter alle »Fünf Elefanten« (die großen Dostojewski-Romane) übersetzt hat. Donata: … und so wie ihre Deutschlehrerin ihr, so hast auch Du mir eingeprägt: »Nase hoch! Man übersetzt nicht wie eine Raupe, 510 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Nachwort der Übersetzerinnen
die sich durch ein Blatt frisst, man übersetzt den Satz aus dem Vogelflug. Es geht um das Ganze!« Christiane: Der Vogel hat aber Zeit gebraucht! Am Anfang war es tatsächlich ein Sich-durch-den-Text- Fressen. Wie waren doch die ersten Übersetzungs-Schichten sprachlich scheußlich! Und dennoch hat die Raupe unablässig und stur weitergemacht und brav weitere scheußliche Stellen produziert (lacht). Donata: Deshalb ist es ja ganz gut, dass diese Schichten versunken sind. Christiane: Mit der Zeit wurden die Sätze »schöner«. Aber egal, wie schön sie wurden, bis zum Schluss konnten wir weiter Stellen sammeln in unserem Ordner »scheußliche Stellen«. Donata: Ja. Den müssten wir uns eigentlich aufheben. Und uns immer mal wieder gegenseitig vorlesen, wenn wir in schlechter Stimmung sind. Dann wird alles gleich besser … Christiane: Man sieht dem Text wirklich nicht mehr an, wie viel Haareraufen, Humor und Durchhaltewillen nötig waren. So viel gab es zu lachen, das hört man auch nicht mehr. Donata: Man sieht auch nicht, dass er zu einem Großteil zwischen unterschiedlichen Zeitzonen, mit einem Ozean dazwischen übersetzt wurde und in wie vielen Zügen, Flugzeugen, an welchen Unis in der Schweiz und in Amerika, an welchen schönen Stellen an der Maggia und am Michigansee oder frühmorgens im Bett, bevor die Kinder aus dem Haus gingen, oder spät Abends. Vor allem merkt man auch nicht, wie viel wir sonst noch besprochen haben, bevor die Übersetzung begann. Das
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Nachwort der Übersetzerinnen
wäre ein gutes Anschauungsmaterial für Kapitel VII und VIII gewesen! Christiane: Es war ein verrückter Prozess, der an so vielen Orten, ZWISCHEN Orten und Zeiten, zwischen uns, in uns allein und dann wieder miteinander stattgefunden hat. Aber auch wenn man dem Endresultat nichts mehr von all dem ansieht, die ProzessSpuren bleiben uns – eine vertiefte Freundschaft, ein anderes Verstehen, neue Fragen, andere Schreib- und Übersetzungsmöglichkeiten – Du traust Dich jetzt ja sogar, Gedichte zu übersetzen! Donata: (denkt nach) Stimmt … irgendwas hat dieser Text für mich auch mit Poesie zu tun. In dieser schwierigen Sprache geht es darum, etwas nicht zu verlieren …, etwas aussagbarer zu machen, das in gewöhnlicher, auch in philosophischer Sprache kaum zu sagen ist. Wir können nun sogar darüber sprechen, wie uns durch den Übersetzungsprozess eine neue Umwelt entstanden ist. Und wie Dein und mein Arbeiten ein Zusammen-Geschehen war, von uns beiden und dem Text. Und ich sage jetzt nicht, dass es auch ein Interaffizieren war … und dass die dadurch regenerierte Vergangenheit im Kreuzen mit der Gegenwart nun auch diese anders vor sich gehen lässt … Christiane: (lachend) Kannst Du Dich erinnern, als wir nur noch so gesprochen haben? Donata: Was auch bemerkenswert an dem Prozess war: nach einigen Übersetzungsrunden hat sich etwas verändert. Für mich war ein Kern-Erlebnis zu merken: auf einmal übersetzt man freier – und zugleich präziser. 512 https://doi.org/10.5771/9783495817049 .
Nachwort der Übersetzerinnen
Christiane: Ja, das hast Du oft gesagt. Und auch, dass die Raupenmetapher diesbezüglich nicht mehr stimmig ist. Die Raupe scheint sich in einen Vogel zu verwandeln, nicht in einen Schmetterling. Plötzlich gelingt ein »Vogelflug« – wir konnten den Kopf heben und aus der Vogelperspektive »alles« betrachten, zueinander in Beziehung setzen, zwischen den Kapiteln hin- und herfliegen, den Zusammenhang fühlen. Dann wurde es zu einem »FeltSense-Übersetzen«. Donata: Schau mal das Zitat, das ich hierzu gerade in einem Manuskript von Claire Petitmengin entdeckt habe: »Dieses In-Kontakt-Kommen mit der nichtverbalen Dimension kann besonders gut am Prozess des Übersetzens gezeigt werden. Ein genaues Betrachten dieses Prozesses zeigt nämlich, dass Übersetzen kein ›Entschlüsselungs‹-Vorgang zwischen zwei Sprachen ist, der darin besteht, dass man in der einen Sprache die Wörter und grammatikalischen Strukturen sucht, die denjenigen in der anderen Sprache entsprechen. Der Übersetzer übersetzt keine Wörter, er übersetzt eine Bedeutung (meaning).« 61 Christiane: Oh, das erinnert mich an einen kürzlich wiedergefundenen Ausschnitt aus der Dankesrede Michael Hamburgers zur Verleihung des Übersetzerpreises 1964: »Weder das Lesen noch die kritische Analyse eines Gedichts gewährt wie das Übersetzen eine innige Teilnahme an dem schöpferischen Prozess, den der Übersetzer mit anderen Mitteln zu wiederholen versucht. … Darum glaube ich behaupten zu dürfen, dass das Dichten selber mit dem Übersetzungstrieb viel intimer zusammenhängt als man bis jetzt anerkannt hat: das Schreiben eines eigenen Gedichts ist nämlich unter anderem Claire Petitmengin, The scientist’s body at the source of meaning, in: V. Saller und D. Schoeller, Thinking as Embodied Process – First Person as Interaction, Freiburg: Alber Verlag, 2016.
61
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Nachwort der Übersetzerinnen
die Übersetzung in Worte von etwas, welches bis dahin nicht als Wortfolge bestand. Da der Übersetzer von Gedichten aber genötigt ist, hinter die Wortfolge zu dringen, also das fertige Gedicht gewissermaßen wieder aufzulösen, um dieses Etwas in seiner Sprache wiederzugeben, ist sein Wagnis mit jenem des Dichters ganz nah verwandt.« Dennoch frage ich mich: Haben wir uns lediglich an diese sehr spezielle Sprache gewöhnt? Wie geht es wohl einem Erstleser damit? Donata: Was für das Übersetzen gilt, das gilt doch auch für das Verstehen: Auch hier genügen Worte allein nicht, um zu vermitteln, was sie alles vermitteln können! Genau darum geht es ja auch in diesem Buch. Sonst könnten wir etwas Neues sofort von der ersten Seite an begreifen. Christiane: Stimmt. Es muss eine lesende Person eben den Prozess für sich selbst auch machen: den Text lesen, nochmals lesen, darüber sprechen, darüber schlafen, nicht-verstehen, wieder weitermachen – und ihn in gewisser Weise auch übersetzen, in die eigene Erlebenswelt, in das eigene Verstehen. Donata: »Interaction first«, wie Gendlin immer sagt. Christiane: Das gilt für dieses Buch übrigens ganz wörtlich: Es ist besser, diesen Text nicht alleine zu lesen. Dies ist ein Interaktionstext und braucht Interaktion, um erschlossen zu werden. Donata: … und dann erschließt sich die Interaktion, die er braucht. Man versteht dann auch, wenn ich mal so sagen darf, welche reichhaltigen und sensiblen Kontexte mitwirken, wenn zwei oder mehrere miteinander reden oder lesen.
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Nachwort der Übersetzerinnen
Christiane: Aber nicht wahr, oft glaubt man, verstanden zu haben, kann dann aber kaum sagen, was bzw. wie man es verstanden hat. Will man sagen, was man verstanden hat, fällt man wieder heraus. Donata: Dort braucht es eigentlich nochmals einen Übersetzungsprozess, damit man die neuen Verständnisweisen nicht wieder durch die gewohnten Formulierungen überdeckt. Christiane: Wir meinen jetzt, dass wir damit fertig sind. Aber Svetlana Geier sagt so richtig: »Übersetzungen sind sterblich.« Und sie sagt »Jede Zeit verdient ihre eigenen Übersetzungen.« Donata: … das klingt wie Gendlins kontinuierliche Philosophie am Schluss des Buches. Aber ich habe nichts dagegen, dass wir momentan glauben, mit dieser Übersetzung fertig zu sein. * * * * *
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Nachwort der Übersetzerinnen
Donata Schoeller, geb. 1967, Studium der Philosophie und Religionswissenschaft in Wien, Oxford und Zürich. Dissertation über den Begriff der Demut in Zürich, habilitiert über ›Klärende Sprechakte‹ an der Universität Koblenz. Zur Zeit »Visiting Professor« an der DePaul-Universität Chicago. Programmleiterin »Wissenschaft und Weisheit« an der Universität Zürich, Focusing-Trainerin und Mutter von drei Töchtern. www.donataschoeller.com Christiane Geiser, geb. 1949, Studium der Germanistik, Linguistik, Philosophie und Geschichte an den Universitäten Bochum und Zürich, dann Psychotherapieausbildungen und Arbeit als Psychotherapeutin in freier Praxis. Zusammen mit Ernst Juchli Aufbau des Ausbildungsinstituts GFK (Gesprächspsychotherapie-Focusing-Körperpsychotherapie), Ausbilderin, Supervisorin. Zertifizierende Koordinatorin des Internationalen Focusing Instituts New York. Mutter einer Tochter und Großmutter zweier Enkelkinder. Lebt in Zürich und im Tessin. www.christianegeiser.ch
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Index
Dieses Register ist nicht vollständig. Es umfasst eine Auswahl von Schlüsselbegriffen und eine Auswahl relevanter Orte, an denen sie zu finden sind. Keine Seitenzahlen sind angegeben, wenn die angegebenen Abschnitte kurz genug erscheinen, wenn es sich um Kapitel-Überschriften handelt oder wenn der Begriff so oft im ganzen Abschnitt vorkommt, dass sich Seitenangaben erübrigen. Finden sich nur Seitenzahlen angegeben, dann handelt es sich um Kapitel ohne Abschnitte oder um Stellen in Fußnoten. Ähnlichkeit, VII-B, 148 f.; VII-B, 185 Alles-durch-Alles, IV-A, e, h-1, h-2, h-3; V-A, 180 f.; V-B, 192; VI-A, 197, 201; VI-B, 1, 2, 3, 4, 5; Appendix zu VI, 6a, 7, 10; VII-A, c, 254, f, 262, o-1, o-2, o-3, o-4, 304 ff.; VII-B, a, 311 f., f-3, f-8, f-9, f-11, f-13, g, 380; VIII-A, Zusatz zu f, g-4, 8, 462, 469; Appendix zu VIII-A, 473 Allgemeines, VII-A, 143 –, erstes, zweites, drittes Allgemeines: VII-A, 145 ff., 151 Allgemeinbegriffe, VII-B, 216 Arten, VII-A, 145; VII-B, 217 Ausdruck, VI-A, 100; VII-A, 136 –, neuer Ausdruck: VII-B, 205 f. Außen/Innen, siehe Innen/Außen Bedeutung, III, 71 ff.; IV-A, a, 84, d-2, 98, 101, g-1, 124, h-1, 133,
135, h-2, 137; IV-B, 149; VII-A, c, 255, f, 267; VII-A, o-2, 297; VII-B, a, 310, 312 f., e, 338, f-1, f-5, f-6, 355, f-7, 356, f-9, f-11, 371; Appendix zu f, 396; VIII-A, b, 423, e, 442, f-2, 446, f-6, f-7, Zusatz zu f, 470 –, gefühlte Bedeutung: IV-A, b, 84, h-1, 132; Appendix zu VIII-A, 475 Begriffe, VIII-A, g-7 Beispiel-seiner-selbst (Bss), VIII-A, f-7; f-10, Zusatz zu f, g-3; Appendix zu VIII-A, 483, 497, 505 Betrachter/Beobachter, I; II; III, 67 ff., 72; IV-A, a, 78, 80 f.; IV-A, d-2, 101, e, 116; IV-B, 146 f. 157 f., 160; V-A, a, 177; VI-A, 196; VI-B, 2, 213, b, 220 f., 5, 230; VII-A, c, 254 f., j-1, j-3, 278, l, 286 f., o-2, 295;
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Index VII-B, a, 311, e, 335 f., Appendix zu f, 383 f. –, Betrachter-Raum: IV-A, c, 88 f. Bewusstsein, VI-A, 204; VIII-A, Zusatz zu f, g-5 Bilder, VII-A, g Cluster, VII-B, e Denken, Appendix zu VIII-A, 480 f. Dianade, Appendix zu VIII-A Direkte Referenz/Direkter Referent, VIII-A, a-d Doppelt, verdoppelt, VI-A, 92, 201 ff.; VI-B, b, 222; VII-A, b, f, h; VIII-A, c, e, Zusatz zu f, 464; Appendix zu VIII-A, 470, 491 Einheiten, II, 62 f.; IV-A, d-2, 94, 104, 106 –, fixe: IV-A, e, 111, 114; IV-A, e, 111; VII-B, g, 376 –, kurze: VII-B, f-5, f-7, 361, g, 371, 380 ff. Einzigartigkeit, VII-B, Appendix zu f, 390; Appendix zu VIII-A, b, 423, 477 Emotion, VIII-A, b, Zusatz zu f, 431 ff. Empathie, VII-A, c Empfinden, VI-A, 205 f. Empfindungsvermögen, VI-A, 204 f.; Appendix zu VI, 11 Ereignisse, dazwischenkommende, VI-A Erkennen, IV-A, a; V-B, 167; VI-A, 201 f. –, Wieder-Erkennen: VI-A, 205 f.; VII-A, c
–, Wieder-wiedererkennen: VII-A, c, e; VII-B, f-9; VIII-A, e Erleben, III, 73; IV-A, f; VI-B, a, 222 Erneuerung, IV-A, 106, h-2, 136; V, 179 f.; VII-A, o-2; VII-B, f-8, f-11 Evolution, V Explikation, explizieren, II, 57; III, 75; IV-A, d-2, 93, h-1, 135; IV-B, 154, 163 f.; VII-B, Appendix zu f, 389 –, Gesetz der Explikation: VII-A, o-2, 194
Felt Sense, Appendix zu VI, 13; VII-B, 341; VIII-A, a, 412 f., b, c, 425; Appendix zu VIII-A, 482 Focusing, III, 73; IV-A, b, 86, d-2, 93; VII-B, e, 340; VIII-A, b, 413, c, 424 Freiheit, Freiheitsgrade, IV-A, h-2 Fühlen, VI-A, 202 ff.; VII-A, c, d, f; VII-B, a; VIII-A, a, 399 ff., c, g-4 Funktion, funktionieren, I, 50, 56; IV-A, d-1, g-1, 125, h-1, 134 f., h-2, h-3, h-4; V-B, 188 f.; VII-A, o-2; VI-B, 2; VII-A, j-3, 276 f.; VII-B, Appendix zu f –, funktionaler Zyklus: II; Appendix zu VIII-A, 478 –, Funktion vergangener Erfahrung: IV-A, d-2, 99 ff., 108; IV-B, 148, 154 f.; VII-B, Appendix zu f. –, implizites Funktionieren: VII-A, j-4, o Gebärde, VII-A, k; VII-B, e Gefühl(e), VI-A, 207; VII-B, Appendix zu f, 390; VIII-A, 403, b, 415 ff.
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Index –, sich einstellende Gefühle, zurückfallende Gefühle: VIII-A, a Geschehen ins Implizieren hinein, II, 60 ff.; IV-A, e, 116; IV-B; VI-A, 201, 2, 212 ff.; VI-B, a; VII-A, f-10, 456 f. Gespür, IV-A, 102; VII-B, 353; VIII-A, b, c, d; Appendix zu VII-A, 480 Gestoppter Prozess, (Stopp), III, 66 f.; IV-A, 76 ff., e, 108, 118 f.; V-A, 169 ff.; VII-B, 369; VIII-A, d, 430 f. Gewohnheit, Appendix zu VI-B, 12 Gleich, gleichbleibend, gleichgehalten, II, 63; III, 67, 69; IV-A, d-1, 105, 114, 129; IV-B, 147, 151, 164; VI-A, 200; VI-B, 223, 4, 225, 5, 226 f.; VII-A, b, 251 f., f, 262 f., j-3, 277, o-4, 303 f.; VII-B, a, 309, e, 338 ff., f-2, 344; VIII-A, b, d, Zusatz zu f 9, 467; Appendix zu VIII-A, 476 f., 495 Griff, VIII-A, b, 413
Halten und Lassen, VIII-A, c, 425 Handlung, VII-A, i, k, l; VII-B, 310; VIII-A, a, 401 f. Herausstellen, Appendix zu VI-B, 13, 245; VII-A, o-4, VII-B, g, 380, 382, Appendix zu f, 395; VIII-A, Zusatz zu f 4 Herleiten, V-A, 173; VII-A, a, 247 Implizieren, I, 51 f., 56; II, 57 ff.; III, 66 ff.; IV-A, b, d-1, e; IV-B; V-A, b 171; V-B, 188 f.; VI-B, 2, 214; VII-A, c, 253 ff.
–, ein gesamtes Implizieren: IV-A, b –, Implizites vorgeformt: VII-A, j-4 –, mit Implizitem denken: VIII-A –, verdoppeltes Implizieren: VI-A, 201 f., 79; VI-B, b, 222 Individuum, VII-B, e, 341; Appendix zu VIII-A, 477 Innen/Außen, I, 55; VII-B, b, 313, 319, f-13; VII-B, 210 –, innerer Raum: VII-B, a Instanzieren, VIII-A, f-4, 7; Appendix zu VIII-A, 478 ff. Interaffizieren, IV-A, a, 81 f., d-2, 96, e, 108 ff.; V-A, 179 ff.; VI-A, 196 f. Interaktion, I, 51 ff.; IV-A, a, 81, d-2, 92, g-2, 129; IV-B, 145; IV-B, 192; VI-A, 207, Appendix zu VI-A, 244 f.; VII-B, b, 316 f. –, Interaktion zuerst: IV-A, a, 81, d-2, 92 ff., 108
Kipp-Punkt, VII-B, a, 312, b, g; VIII-A, 442 Komplexität, I, 63; IV-A, e, 117; IV-B, 161; V-B, 194; VII-B, f-3, f-7; VIII-A, b, 416 f., c, 422 f., 3, e, 434 f., f-7, f-8, g Zusatz zu f, 8, g-8, g-9; Appendix zu VIII-A, 485, 494 Kontext, IV-B, 164; V-A, b, 174; V-B, 188 f.; VI-B, 2, 5, 227 ff.; VII-B, f-2, f-6, f-13; VIII-A, f-1, f-2, f-9 –, abwesender/gegenwärtiger Kontext: VII-B, d –, gesammelte Kontexte: VII-B, f-4, f-6, Appendix zu f, 395 ff.; VIII-A, f-7
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Index –, gekreuzt: VIII-A, f-9 –, Handlungskontext: VII-A, j-4, k, l, n; VII-B, a, 312 ff., e, 331 f. –, Interaktionskontext: VII-B, b, 316 ff., d, 326 ff., f-6, f-13 –, rekonstituierter Kontext: VII-B, d, 328 –, stabiler Kontext: V-B, 191 f. –, Verhaltenskontext: VI-B, 2, 212 f., 5; VII-A, b, c, d, e, f, o-4, 304, f-2; VII-B, a, 306 f. Konvention, VII-B, e Konzept, II, 63; IV-A, 119 f., h-1, 134, h-4, 142; IV-B, 141; V-A, b, 172 ff.; VI-A, 204 ff.; VII-A, o-2, 294; VII-B, Appendix zu f, 387; VIII-A, b; Appendix zu VIII-A, 481 ff. –, Konzeptbildung: IV-A, d-2; Appendix zu VIII-A, 496 ff. –, Sprungkonzept: V-A, a, 172 Koordiniert, IV-A, a, 79 –, koordiniert differenziert: IV, b, e Körper, Körper-Umwelt, ab I in allen folgenden Kapiteln (zu oft, um als Einzelstellen angeführt zu werden). Körperaussehen, VII-A, a, j-2, j-3; VII-B, a, c, f-1; VIII-A, e, 433, Zusatz zu f, g-9 Körper-Ereignis, VII-B, e, 340 f., f-8 Körper-Fühlen, Körpergefühl, IV-A, d-2, 102; VIII-A, e, 436 Körpergespür, IV-A, d-2, 102; VIII-A, e, 434, 443, f-5, 4, 9, 463 ff. Kreuzen, IV-A, h-1; VII-B, e, f, f-3; VIII-A, f-9; IV, d-2, 104 f., e, 116; VI-B, 2; VII-B, Appendix zu f, 385; VIII-A, f-7, f-9, Zu-
satz zu f, g-8; Appendix zu VIII-A, 488 ff., g-1, h-1 Kultur, IV-A, 95, h-2, 138;V-B, 194; VII-A, l; VII-B, e, 342, f-5, 354, f-10, 365, f-11, 367 f.; Appendix zu f, 388; VIII-A, a, 400 f. b, 112 f., Zusatz zu f, 457 ff. Kunst, VII-B, f-9 und f-10 Leafing, V-A, b, 172 ff.; V-B Metapher, II, 53 f.; IV-A, h-a; Appendix zu VIII-A, Dianade Modell, alt, neu, II, 63; III, 71 ff.; V-B, 148, 152, 156 ff., 184; IV-A, 195; VI-A, 203; VI-B, 214, 220 f.; VII-A, o-3, 299; VIII-A, a, 408, f-2, f-10; Appendix zu VIII-A, 475, 481 ff., 493 f., 493 ff. Möglichkeit, VI-A, g-2, 129, h-1, 131 Monade, VIII-A, f-3; Zusatz zu f, 458; Appendix zu VIII-A, 472 ff. Motivation, V-B, 194 f.; VI-B, 1 Muster, II, 63; IV-A, d-s, 94 ff.; V-B, 158, Appendix zu VI, 10, 238; VII-A, c, 256 f., e, f, 264 ff., h, 271, j-1, j-2, j-3, j-4, m; VII-B, c, d, e, f-2, f-10, g; VIII-A, 8, 9; Appendix zu VIII-A, 470, 475 f. Objekt, III; VI-A, 92; V-A, 168 f., 186; VI-B, 219; VI-B, 5, 10, Appendix zu VI, 13; VII-A, h, j-2, j-3, m; VII-B, c; VIII-A, a, 403 f., d, Zusatz zu f, g-4; Appendix zu VIII-A, 486
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Index Ordnung, II, 59, 62; VII, 59 ff.; IV-A, 96, e, 118, g-1, 127, 130, h-2, 136 f.; IV-B, 160 f.; V-A, 168, 183; VII-A, j-3, 279; VII-B, c; VIII-A, f, 457, Zusatz zu f, g-6, 394, 6; Appendix zu VIII-A, 492 Pause, IV-A, 95; VII-A, b, 252, f, 264, h, 270, i, k, l; VII-B, b, 313, f-6, 352, f-12, g, 379 f.; VIII-A, a, 398 ff., c, 423 Pyramidisieren, VI-B, 4; VII-B, Appendix zu f, 388 Raum, I, 54 f.; III, 72; IV-A, b, 85 f., c, 88 ff., d-2, 101; IV-B, 145, 158 f.; V, 168; VIII-A, a, 393, 398 ff. –, innerer Raum: VII-B, a –, leerer Raum: IV-B, 216; VIII-A, e, 438 ff. –, menschlicher Raum: VII-A, f-13 –, Musterraum: VII-A, j-3, 282; VII-B, a, 312; VIII-A, e, Appendix zu f, 395; Appendix zu VIII-A, 478 –, neuer Raum: VIII-A, e –, Verhaltensraum: VI-B, 3, 13; VII-A, c, o-4, 305 f. Registrieren, V-B, 192; VI-B, 5; VI-A, 197 ff. Rekonstituiert, rekonstituieren, VII-A, o, insbesondere o-4; VII-B, a, 309, b, 313, d, 324, e, 338, f-1, 344 ff., f-4, f-5, f-6, f-12, Appendix zu f., 390 ff. Relevanz, IV, g-1 –, relevant machen: Appendix zu VI, 7; VIII-A, a, 405, c, d, e,
435 f.; Appendix zu VIII-A, 488 f. Repräsentation, II, 61; IV-A, a, 77; IV-B, 163; VII-A, c Rituale, III, 73; VII-A, a, 248 ff., d, 259; VII-A, l Routine, VII-B, f-8, Appendix zu f, 396; VIII-A, b, 416, 469
Sätze, VII-B, f-8; VIII-A, b, 418, f-7; Appendix zu VIII-A, 485, 494 –, frische Sätze: VII-B, f-11 Schema, IV-A, a, 77 –, Schematisiert werden durch Schematisieren (»sds«): IV-A, h-3; IV-B, 153 ff.; V-A, 174; VII-A, o-2, 297; Appendix zu VIII-A, 489 Sektor, V-B, 191 f.; VI-A, 196 ff.; VI-B, c Selbst, VII-A, f, 164; VIII-A, a, 399, 443 f., Zusatz zu f, g-4 Selbst-Bewusstsein, VII-A, f, 261 ff. Selbst-Gespür, VII-A, f, 265 f. Selbst-Registrierung, VI-A, 204 Selbst-Verortung, VI-A, 206 Selbst-Verständnis, VIII-A, Appendix zu f, 469 Selbst-Verstehen, VIII-A, e, 437, Appendix zu f, 4; Appendix zu VIII-A, 485 Selbst-Wahrnehmung, VII-A, f, 265 Sensibilität, V-A, 169; VIII-A, b, 416, Zusatz zu f, g-9, 466 Sequenz, II, 60 f., 64; IV-A, b, 83 f., d-1; IV-B, 158 f.; V-A, 175; V-B, 187; VI-A, 198 ff.; VI-B, a, 4, 5,
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Index Appendix zu f; VII-A, b, c, d, f, h, j, k, l, m, n, o; VII-B, a, c, d, e, f-5, f-7, f-11; VIII-A, a, c, e, 433 ff.; Appendix zu VIII-A, 472 ff. Sequenzieren, VII-A, c, 255, j-3, 284, o-4, 302; VII-B, a, 311, e, 338, g, 377; VIII-A, a, 411, c, 424, f-4 Situation VI-B, 102; VII-B, f-8; IV-A, h-1, 130 f.; IV-B, 151; VI-B, 212 f., 215, Appendix zu VI, 244; VII-A, i, j-2, 281 ff., o-4, 307; VII-B, b, 314, e, 339 f., f-1, f-6, f-8, f-11, f-12, f-13, g, 377 ff., Appendix zu f, 389 ff.; VIII-A, a, 400 ff., d, Zusatz zu f, g-9, 466 f. –, die ganze Situation: VIII-A, a, 402, 409 ff., b, 416, 420, c, 424, d, 436 ff., e, Zusatz zu f, g-4 Sprache, III, 73; IV-A, c, 88, 95, d-2, 102, h-1, 132, Appendix zu VI, 237; VII-A; VII-B; VIII-A, b, 421, f-7; Appendix zu VIII-A Sprachgebrauch, VII-B, f-1, f-8, f-11 Symbol, symbolisch, symbolisieren, III, 71 ff.; IV-A, d-1; VII-A; VII-B, a, 309, e, f-1, Appendix zu f, 393 ff.; VIII-A, b, 412, e, 435 ff., f-5, f-6, Zusatz zu f, g-9, 463, 470 ff. –, symbolischer Raum: VII-A, h, 271; VIII-A, e, 440 Syntax, VII-B, f-7 Tanz, VII-A, a, b, j-3, j-4, k, l, o-4; VII-B, a, 311, c, 320, e, 331 ff., f-4, f-10, 365, g, 376 ff.; VIII-A, a, f-2
Universalität, VIII-A, f-5, f-6; Appendix zu VIII-A, 472 Verhalten, II, 58; III, 73; VI-A, Appendix zu VI; VII-A, a-o; VII-B, a, b, d, 328 f., e, f-2, 344 f., f-3, f-4, f-7, g, 379 ff.; VIII-A, a, 401 f., e, 433 ff., Zusatz zu f, g-9 –, Verhaltensraum: siehe Raum –, Verhaltenskontext: siehe Kontext Version, Versionen, Versionieren, IV-A, 77; V-A, 169; V-B, 187, 199, 209, Appendix zu VI-B, 1, 210 ff., 5, 227, 11, 239, 13, 246; VII-A, b, c, d, f, g, j-1, 272, j-3, o-4, 277, 306 ff.; VII-B, a, d, e, 332 ff., f-2, f-6, 352 f., f-10, f-12, 372, g; VIII-A, a, 405 f., c, d, e, f-1, f-5, Zusatz zu f, g-1 8, 9; Appendix zu VIII-A, 476, 480, 482, 485, 491 Verwoben, VII-A, o; VII-B, Appendix zu f, 388, 391; VIII-A, f-1; Appendix zu VIII-A, 483 Vorantragen, II, 63; IV-A, b, 84, d-2, 95, e, 118 ff., g-1; IV-B, 145 ff., 160 ff.; V-A, b, 172, 185; V-B, 187 f.; VI-A, 201 f.; VI-B, 211 ff., a, 218, c, 223, 5, 229, Appendix zu VI, 237; VII-A, c, 253, d, 257, f, j-3, 278, 281, o-4, 304; VII-B, c, 320 ff., f-1, f-6, f-7, f-8, f-9, f-11, 368 ff., Appendix zu f, 392 f.; VIII, a, 402 ff., b, 415 f., 422, c, 426, d, 428 f., 432; VIII-A, e, f-1, f-4, f-6, f-8, f-10, Zusatz zu f, g-4,
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Index 7, 9 464 ff., Appendix zu VIII-A, 485 –, vermitteltes Vorantragen: VII-B, f-1 Vorstellung, VI-B, 13; VII-A, 302, 306
f-10, Zusatz zu f, 470; Appendix zu VIII-A, 472 –, diskursiver Wortgebrauch: VII-B, f-9 –, Worteinheiten: VII-B, f-6, f-8, f-13, g, 374
Wahrnehmung, IV-A, b, 84 f.; IV-B, 167; VII-A, c, 255, m, 289; VII-B, a, 312, Appendix zu f, 394; VIII-A, a, 409, e, 438, 459 Wiederaufnahme, Wiederaufnehmen, III, 68, 74; IV-A, a, 77, 79, 81, e, 188 f.; V-A, 185 f.; V-B, 190, 192; VI-B, 210 –, ursprüngliches Wiederaufnehmen: V-A, e, 120; V-B, 193 Wiederholung, IV-B, 146 f.; V-A, b, 171; V-B, 188 f.; VI-A, 199, Appendix zu VI, 12 –, Wiederholungskontext: V-B, 188 –, Wiederholender Sektor: VI-B, 218 f. Worte, IV-A, h-1, 132 ff.; VII-A, j-3; VII-B, 310, e, 335, f-4, f-6, f-7, f-8, f-9, f-11, f-12, f-13, g, Appendix zu f, 386 ff., 396 f.; VIII-A, b, 414, 419, e, 437, f-7,
Zeit, II, 57, 59 ff.; IV-A, d-2, 92, 96, 100 ff., 107 f., e, 111 ff.; IV-B; V-A, 183; VI-A, 209; VI-B, b; VII-B, a, 311, f-11, 316, f-13, Appendix zu f, 389, 391; VIII-A, 400 –, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: II, 61; IV-A, d-2, 98 ff., 107 f., h-4; IV-B, 73 f., 144 ff., 162; VI-A, 205, 209; VII-A, j-3, 278, Appendix zu f, 385; VIII-A, d, 429 Zurückfallen, Appendix zu VI; VIII-A, b, 416; Appendix zu VIII-A, 481 Zyklus, Funktionszyklus, II; III, 68; V-A, 185; V-B, 90 f.; VI-A, 196 ff. –, Offener Zyklus: V-B; VI-A, 196 ff., 209; VI-B, 2, 212, 214, 3, a, c, 5, 228 f.; Appendix zu VI, 6, a, 13; VII-A, d, 257, f, 264, o-4, 305
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