Eigentum und öffentliches Interesse [1 ed.] 9783428421701, 9783428021703


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German Pages 322 Year 1970

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Eigentum und öffentliches Interesse [1 ed.]
 9783428421701, 9783428021703

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 125

Eigentum und öffentliches Interesse

Von

Hans Schulte

Duncker & Humblot · Berlin

HANS

SCHULTE

Eigentum und öffentliches Interesse

Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 125

Recht

Eigentum und öffentliches Interesse

Von

Dr. Hans Schulte o. Professor an der Universität Karlsruhe

D U N C K E R

&

H Ü M B L O T / B E R L I N

Auf Empfehlung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster gedruckt m i t Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Alle Rechte vorbehalten © 1970 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1970 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany

Vorwort Die Arbeit hat der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster i m Sommersemester 1968 als Habilitationsschrift vorgelegen. Literatur und Rechtsprechung sind bis zum 30. 6.1969 berücksichtigt, wobei Vollständigkeit nicht angestrebt werden konnte. Mein besonderer Dank gilt meinem Lehrer, Herrn Professor Harry Westermann. Vieles i n der vorliegenden Untersuchung ist an seinem Beispiel ausgerichtet, z. B. der Drang, die praktische Bewährung der dogmatischen Erörterungen aufzuzeigen. I n dem Mut, die vorgetragenen Gedanken nicht für belanglos zu halten, stützte mich i n freundlichster Weise auch Herr Professor Christian-Friedrich Menger. Die unentbehrlichen äußeren Bedingungen für das Entstehen der A r beit schufen ein Habilitationsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft und nicht zuletzt das Zentralinstitut für Raumplanung an der Universität Münster. Karlsruhe, i m J u l i 1969

Hans Schulte

Inhalt § 1: Einführung

15

§ 2: Private gesetzliche Eingriffsrechte und öffentliches Interesse . . .

18

I. Nachbarrechtliche Kollisionen ohne Einschaltung von hoheitlichen Akten 1. Das Nachbarrecht als „notwendige Kollisionsregelung" 2. Das öffentliche Interesse als gesetzgeberisches M o t i v 3. Das gesetzgeberische M o t i v (das öffentliche Interesse) i m Nachbarrecht: ökonomisch sinnvolle Raumnutzung 4. Die ökonomisch sinnvolle Raumnutzung i n den einzelnen Vorschriften des Nachbarrechts a) Notweg (22); — b) Leitungsnotweg (22); — c) Überbau (23); — d) Immissionen gem. § 906 B G B (24); — e) §906 B G B analog (24); — f) Bergrecht (24); — g) W i l d abfließendes Wasser (25); — h) Weitere landesrechtliche Fälle (25); — i) Wohnungseigentum (26); — j) Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis (29) 5. Die dogmatische Behandlung des Nachbarrechts bei Baur .. 6. Entschädigung u n d ihre F u n k t i o n II.

Nachbarrechtliche 1. 2. 3. 4. 5. 6.

I I I . Notstandsrechtliche 1. 2. 3. 4.

mit

Einschaltung

von Hoheitsakten

Kollisionen

gesetzliche

Eingriffsrechte

Der „politische Mieter" Gewerkschaftliche Mitgliederwerbung i m Betrieb Soziales Mietrecht Feldmühle-Fall Gemeinsame Problematik dieser Fälle

V. Zusammenfassung

20 22

30 31 32 32 33 33 33 33 34 35

§ 904 B G B Sonstige Dogmatische Eigenständigkeit gegenüber dem Nachbarrecht .. Keine Fälle m i t Einschaltung hoheitlicher A k t e

I V . „Sonstige " private 1. 2. 3. 4. 5.

Eingriffe

Immissionen gem. §§16 ff. GewO Notweg Leitungsnotweg W i l d abfließendes Wasser Bergrechtliche Grundabtretung Dispens i m öffentlichen Baurecht

18 18 19

35 35 36 37 37 38 41 43 44 45 46

Inhalt

8 § 3: „Eingriff"

und „Inhaltsbestimmung"

I. Die Eingriffs-

IL

III.

und Inhaltsvorstellung

beim Eigentum

48

im allgemeinen

48

1. „Eingriff" als negative Kennzeichnung 2. Die denkökonomische Dimension juristischer Begriffe 3. Das Verhältnis der Gegensatzpaare Eingriff — Inhaltsbestimm u n g u n d entschädigungslos — entschädigungspflichtig zueinander 4. „ I n h a l t " u n d „Eingriff" n u r bildhafte Vorstellungen 5. Materiell entscheidend: Die „ K r i t e r i e n " 6. Vorschlag: Aufgabe der bisherigen Inhalts- u n d Eingriffsvorstellung 7. Statt dessen: Denkmodell des totalen Eigentümerbeliebens als formale Regel u n d des „Eingriffs" als formale Ausnahme 8. Beispiele für Verwechslungen formaler m i t inhaltlichen K a tegorien i n der Diskussion über Eigentum a) Pandektistik u n d B G B (56); — b) Rechtsprechung (57)

48 48

Die Eingriffs - und Inhaltsvorstellung

58

im Nachbarrecht

54 55

62

Die Bedeutung

63

I. Richtung

58 59

der „Kriterien "

68

der Untersuchung

68

1. Vielfalt der möglichen Aspekte 2. Der vorliegend behandelte Aspekt

III.

54

1. Der „ a n sich" gegebene Abwehranspruch aus § 1004 B G B 2. Beispiele a) Westermann (59); — b) Kleindienst (60) 3. Vorzüge der vorliegend vertretenen Ansicht

§ 4: öffentliches Interesse

II.

49 50 52

Das Gebot der Gesetzesbindung Konkretisierung des öffentlichen

der Verwaltung Interesses

68 69 als Zwang

zur

71

1. Gesetzesbindung der V e r w a l t u n g 2. F u n k t i o n des Gesetzgebers dagegen: wertendes Entscheiden..

71 74

Die parallele

77

Problematik

im Polizeirecht

1. „Abstrakte Gefahr" bei unselbständigen Polizeiverfügungen 2. „Konkrete Gefahr" bei selbständigen Polizeiverfügungen 3. Weitere Kennzeichnung des Begriffs der konkreten Gefahr .. IV. Abstrahierung der Problematik: „Zweck"-Normierung

„Konditionale "

Normierung

und

1. Konditionale u n d Zweck-Normierung i m Polizeirecht 2. „Isolierte" u n d „gebundene" Generalklauseln V. Das öffentliche

Interesse

bei der Enteignung

1. Bisherige Versuche zur E r k l ä r u n g des Begriffs W o h l der A l l gemeinheit i n A r t . 14 I I I 1 GG

77 78 79 81 81 83 85 85

Inhalt 2. 3. 4. 5. 6.

Trotzdem keine befriedigende Begriffsbestimmung Möglichkeit rationaler Konkretisierung N u r unmittelbares öffentliches Interesse Rationalität durch Plan A l l e diese Merkmale i m heutigen Enteignungsrecht berücksichtigt

VI. Enteignung

und private

Eingriffsrechte

94 97

1. Unterscheidungsmerkmal: Konkretes u n d abstraktes öffentliches Interesse 2. Anwendung auf die i n § 1 erwähnten Fälle 3. Formaler Enteignungsbegriff u n d materieller Gehalt

§ 5: Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung I. Ein neues Rechtsinstitut

II.

87 88 90 92

97 99 101

107 107

1. Konstituierende Merkmale 2. L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung 3. Bedeutung

107 107 111

Nachbarliches

115

Gemeinschaftsverhältnis

III.

Verfassungsrechtliche

IV.

Entschädigung

124

1. Die F u n k t i o n der Entschädigungspflicht 2. Die K r i t e r i e n zur Abgrenzung zwischen entschädigungslosen u n d entschädigungspflichtigen „Eingriffen" 3. Z u r Höhe der Entschädigung

124

V. Privatrechtliche

Grenzen

Aufopferung

117

und Gefährdungshaftung

§ 6: Parallelen zwischen privatrechtlidier und öifentlich-rechtlicher Aufopferung I. Entschädigungsfrage 1. 2. 3. 4. II.

Enteignung

133

137 137

„Sonderopfer" „Situationsgebundenheit" u n d „Ortsüblichkeit" „Zumutbarkeit" Praktische Konsequenzen

Abgrenzung

126 129

— Aufopferung

— Gefährdungshaftung

137 138 140 140 141

1. öffentlich-rechtliche Gefährdungshaftung 2. Enteignung — Aufopferung 3. Gegen die dogmatische Nivellierung der Fälle der öffentlichrechtlichen Entschädigung

141 142 143

III.

Übennaßverbot

145

IV.

Generalklausel

146

10

Inhalt

§ 7: Die gewerberechtliche Anlagegenehmigung I. Das Genehmigungsverfahren

als Vorkontrolle

148 privater

Tätigkeit

1. L i t e r a t u r zur dogmatischen Einordnung 2. Gegenüberstellung m i t § 906 Abs. 2 B G B 3. Die privatrechtliche Auffassung der gewerberechtlichen A n lagegenehmigung a) Präventivmaßnahme (150); — b) N u r formal Charakter hoheitl. Eingriffs (151); — c) Anspruch auf Genehmigung bei konditionaler Normierung (151); — d) K e i n „Vertrauensschutz" (152); — e) Ergebnis (153) II.

III.

Die öffentlich-rechtliche

Nachbarklage

im Gewerberecht

153 153 154

Vorteile

158

der vorliegend

I. Enteignungsrechtliche

angewandten

Betrachtungsweise

oder nachbarrechtliche

Konsequenzen Lösung

und

Einzelheiten

der

155 157

161 Lösung?

1. Rechtsprechung des RG 2. L i t e r a t u r 3. Erste K r i t i k : Das RG spricht nicht von privatrechtlicher A u f opferung 4. BGH-Rechtsprechung: Überwiegend enteignungsrechtliche Lösung 5. Weitere K r i t i k : Das Problem hat nichts m i t der Frage des „öffentlichen Eigentums" zu t u n 6. Grundsätzlich: Nach der A r t des maßgebenden öffentlichen Interesses handelt es sich u m Enteignungsfälle

III.

150

1. Zulässigkeit 2. Wesen: Entscheidung über privatrechtliche Streitigkeiten 3. Der Verwaltungsakt m i t privatrechts-streitentscheidender Funktion 4. Z u r formalen Verschiebung der Parteistellung i m V e r waltungsprozeß

§ 8: Das Nachbarrecht der öffentlichen Sachen

II.

148 148 149

enteignungsrechtlichen

161 161 163 163 164 169 171 172

1. Abweichendes Ergebnis i n den Fällen der RG-Rechtsprechung 2. Opfergrenze des § 906 B G B auch i m Enteignungsrecht? 3. „Ortsüblichkeit" k e i n adäquates Entschädigungskriterium f ü r alle Fälle 4. N u r dort anzuwenden, wo die fraglichen Beeinträchtigungen auch durch Private praktisch u n d typisch möglich wären 5. Praktische Bedeutung

172 173

Abgrenzung

181

zur Gefährdungshaftung

1. Beispiele für unrichtige Abgrenzung 2. „Gefahr" i m allgemeinen Sprachgebrauch u n d als juristischer Begriff 3. Versuch richtiger Abgrenzung

173 175 177

181 183 184

Inhalt

11

§ 9: Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage I. Das bisherige

186

System und seine Schwierigkeiten

186

1. Einführung 2. Die Schwierigkeiten a) Prinzipielle Rechtfertigung des Instituts (187); — b) Welche Normen sind „nachbarschützend"? (187); — c) I n w i e w e i t darf der Nachbar beeinträchtigt werden? (188); — d) Die nach Baubeginn erhobene Nachbarklage (188); — e) Konkurrenz der zivilrechtlichen u n d der öffentlich-rechtlichen Möglichkeiten (189); — f) Vorläufiger Rechtsschutz (190) 3. Die Position des Nachbarn — ein subjektives öffentliches Recht? II.

III.

IV.

Bisherige

Versuche der prinzipiellen

Rechtfertigung

des Instituts

186 186

191 192

1. Keine ausdrückliche Zulassung i m öffentlichen Baurecht 2. Faktisches Betroffensein reicht nicht aus 3. Auch nicht der erkennbare W i l l e des Gesetzes, nachbarliche Interessen zu schützen 4. Sonstige nicht zureichende Begründungsversuche 5. Auch A r t . 1 9 I V GG h i l f t nicht weiter

192 192

Begründung

200

des Instituts

aus Art. 141 GG

194 197 198

1. K l ä r u n g der Fragestellung 2. Das öffentliche Baurecht als die wichtigste Quelle von V o r schriften über die Nutzung des Grundeigentums 3. Das zwingt zu einer extrem privatrechtlichen Auffassung . . .

200

Der nachbarrechtliche

207

Dispens

1. Einteilung: „nachbarrechtlicher" u n d „enteignungsrechtlicher" Dispens 2. A u f r i ß des vorgeschlagenen neuen Systems 3. Die wesentliche Neuerung: E i n Ersatzanspruch f ü r wesentlich betroffene Nachbarn a) Rechtfertigung des Ersatzanspruchs als F a l l eines A n spruchs aus privatrechtlicher Aufopferung (210); — b) U m fang u n d Grenzen des Ersatzanspruchs (211); aa) nicht jeder „Eingriff" schädigt (212); bb) Möglichkeit ersatzloser Schädigungen als typisch nachbarrechtliche Erscheinung (212); cc) K r i t e r i e n (213); — c) Keine Bindung an Junctimklausel (213); — d) Weitere Vorteile der vorliegend vertretenen A n sicht (214); aa) Automatische Regelung als Folge der E n t schädigungspflicht (214); bb) Möglichkeit nachbarlicher V e r einbarungen (215); cc) Schwächung der Position des Nachbarn (216); — e) Die nach Baubeginn erhobene Nachbarklage: Lösung der meisten Unzuträglichkeiten durch Analogie zu §§912 ff. B G B (216); aa) Schwierigkeiten bei der bisherigen Auffassung (216); bb) Bessere Lösung: Analogie zu §912 B G B (217); cc) Andere Fälle analoger A n w e n d u n g von §912 (219); dd) Umfang u n d Grenzen der Analogie (221); ee) Z u m E n t schädigungsanspruch (223) 4. „Nicht beabsichtigte Härte" u n d „nicht entgegenstehende öffentliche Belange" a) „nicht beabsichtigte Härte" als typisch nachbarrechtlicher Gedanke (224); — b) Verbindung zum nachbarlichen Gemein-

202 206

207 208 210

224

Inhalt

12

schaftsverhältnis (225); — c) „Sofern öffentliche Belange nicht entgegenstehen" (227); — d) Beispiel (228) 5. Anspruch auf nachbarrechtlichen Dispens 6. Zusammenfassung V. Der enteignungsrechtliche

Dispens

230

1. Bedeutung des „Wohls der Allgemeinheit" 2. Junctimklausel a) Keine „Enteignungen" nach der bei Erlaß des GG üblichen Terminologie (234) ; — b) Andere Fälle, i n denen die J u n c t i m klausel stillschweigend übergangen w i r d (236); — c) Rechtsprechung des B G H i n vergleichbaren Fällen (236) 3. K e i n Anspruch auf enteignungsrechtlichen Dispens VI. Nachbar schützende Normen

229 230

und Rechtsweg

231 234

237 238

1. Nachbarschützende Normen 2. Hechtsweg 3. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage auf anderen Gebieten

238 241 242

§ 10: Die Zuordnung der Gewässer und die nachbarrechtlichen Kollisionen im Wasserrecht

245

I. Bisherige Konstruktionen Gewässer IL

Vorschlag

und Auffassungen

der Zuordnung

der

einer neuen Auffassung

249

1. K r i t i k der bisherigen Auffassungen 2. Grundsätzliches zur K o n s t r u k t i o n der Zuordnung: A u f spaltung der Eigentumszuordnung 3. Fortsetzung: Originär private u n d originär öffentliche Z u ordnung 4. A n w e n d u n g auf das neue Wasserrecht III.

Die Rechtsnatur

der zugeordneten

Positionen

1., Das bewilligte Recht als subjektiv öffentliches Recht 2. Das bewilligte Recht und die „öffentliche Nutzungsordnung des Wasserhaushalts" IV.

245

Ergebnis

V. Die nachbarrechtlichen Kollisionen im neuen Wasserrecht 1. Kollision wasserrechtlicher Positionen untereinander (Ausgleichung) 2. Die Kollisionen zwischen Grundeigentum u n d wasserrechtlichen Berechtigungen 3. Durchleitungsrechte 4. Durchleitungsrechte: Enteignungsrechtliche Fälle 5. Grundwasser

249 249 253 255 258 258

259 262 263 263 266 267 268 270

Inhalt §11: Bergrecht und öffentliches Interesse I. Die Zuordnung der Bodenschätze geordneten Positionen II.

III.

„Subsidiäre

Staatshaftung

und die Kollisionen

275 der

zu-

für Bergschäden?"

283

Die Kollision

und Grundeigentümer

285

Grundabtretung

287

1. 2. 3. 4. 5.

zwischen Schürfer und bergrechtliche

Typisch nachbarrechtliche Kollision Bergschadenshaftung keine Gefährdungshaftung Grundabtretung keine Enteignung Bergschaden i n einer Bergrechtsreform Konzessionssystem i n einer Bergrechtsreform

V. Zulegung

277 278 280 282

287 287 288 290 291 292

VI. Hilfsbaurecht

VIII.

277

1. Ausgangspunkt 2. Mögliche Konsequenzen 3. Die Rechtsnatur des „Eingriffs" der Verleihung des Bergwerkseigentums 4. K e i n Verstoß gegen die Institutsgarantie des Eigentums 5. Auch kein Verstoß durch evtl. Unvollkommenheiten des E r satzanspruchs

IV. Bergschaden

VII.

275

294

1. I m freien Felde 2. I m fremden Felde

294 294

Mitgewinnungsrecht

295

1. Gegenüber dem Grundeigentümer 2. Gegenüber dem benachbarten Bergwerkseigentümer

296 297

Zum „echten "

298

Bergnachbarrecht

1. Umfang u n d rechtsdogmatische Begründung der E i n w i r k u n g s rechte 2. Entschädigungsansprüche? 3. Fälle der Wasserhaltung bei Stillegungen 4. Bergrechtsreform

298 303 305 307

§ 12: Zusammenfassung

309

Literaturverzeichnis

314

§ 1. Einführung Die vorliegende Untersuchung behandelt Fälle, i n denen privatnachbarrechtliche Verhältnisse durch Verwaltungsakte beeinflußt werden. Das Zweiseitigkeitsverhältnis Nachbar—Nachbar w i r d zum Dreiecksverhältnis Nachbar—Behörde—Nachbar. Dadurch entstehen dogmatische Schwierigkeiten: Ist das durch Verwaltungsakt beeinflußte Rechtsverhältnis noch privat-nachbarrechtlich oder handelt es sich schon u m eine „öffentliche Nutzungsordnung", eine Ordnung, i n der die Behörde festsetzt, was i m nachbarlichen Raum rechtens ist, eine Ordnung, i n der die Behörde den Raum verwaltet? Diese Frage ist bis heute ungeklärt, nie umfassend untersucht und wohl i n ihrem Umfang und ihrer Bedeutung auch noch nicht ganz gesehen worden 1 . Die rechtsdogmatische Unsicherheit bedeutet zugleich Unsicherheit und Uneinheitlichkeit in der Rechtsprechung. U m von Anfang an deutlich zu machen, worum es geht, werden schon hier einige Fälle erwähnt, i n denen das Problem besonders deutlich wird. 1. Nach dem System der §§ 16, 26 GewO führt die behördliche Genehmigung gewerblicher Anlagen zu einer Privilegierung dieser A n lagen i n den nachbarrechtlichen Beziehungen: Den Nachbarn ist die ihnen nach dem allgemeinen Nachbarrecht des BGB „an sich" zustehende Abwehrklage des § 1004 genommen. Ist deswegen die behördliche Anlagegenehmigung des § 16 GewO eine Enteignung gegenüber den Nachbarn? Diese Annahme liegt nahe, weil die Merkmale der Enteignung (hoheitlicher A k t , Sonderopfer und/oder unzumutbare schwere Belastung des Betroffenen) eigentlich vorliegen. Andererseits würde die Annahme einer Enteignung zu dem praktisch unhaltbaren Ergebnis führen, daß bei der Anlagegenehmigung geprüft werden müßte, ob öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne vorliegt, was gewiß nicht bei allen gewerblichen Anlagen der Fall wäre, bei konsequenter Durchführung also zu einer weitgehenden Lähmung industrieller Tätigkeit führen würde. 1

Baur, J Z 1963, 46, spricht von ungeklärten dogmatischen Grundlagen des Nachbarschutzes u n d den sich hieraus ergebenden praktischen Schwierigkeiten der Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht u n d Privatrecht.

16

§ 1. Einführung

2. I m öffentlichen Baurecht taucht dasselbe Problem bei der Erteilung von Dispensen auf: Die Behörde kann auch von denjenigen Vorschriften des öffentlichen Baurechts Befreiung erteilen, die anerkanntermaßen — auch — dem Schutz der Nachbarn dienen. Ist dann nicht die Befreiung ein Eingriff in die Rechte des Nachbarn, der nur unter enteignungsrechtlichen Voraussetzungen vorgenommen werden dürfte? 3. Ganz ähnlich w i r d i m Wasser recht Privaten die Möglichkeit gegeben, sich durch behördlichen A k t gegenüber ihren Nachbarn Sonderbefugnisse einräumen zu lassen. Sind das nicht Enteignungen zugunsten Privater, die den Voraussetzungen des A r t . 14 Abs. 3 GG genügen müssen? 4. I m Bergrecht hat die Verleihung des Bergwerkseigentums durch die Bergbehörde zur Folge, daß der Bergwerkseigentümer das Grundeigentum beschädigen darf. Dem Grundeigentümer ist also die Abwehrmöglichkeit des § 1004 BGB durch hoheitlichen A k t „genommen". Müßte dann nicht für diesen A k t jeweils öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne vorliegen? Allgemeiner formuliert berühren sich diese Fälle i n ihren Fragen nach Zulässigkeit und Grenzen, nach Schwächen und Stärken einer „öffentlichen Nutzungsordnung" für privates Eigentum. Die rechtsdogmatischen Schwierigkeiten ergeben sich daraus, daß heute zwar — w i l l man Privateigentum nicht aufgeben — auch Grund und Boden, Bodenschätze und (jedenfalls teilweise) Gewässer nach wie vor Privaten zugeordnet werden müssen, daß aber die Nutzung der privat zugeordneten Rechte schon sehr weitgehend i n Formen des öffentlichen Rechts geregelt ist — und dies sogar dort, wo es u m die Beziehungen zwischen privaten Nachbarn geht. Die vielschichtigen, noch i n vielen anderen Fällen auftauchenden und teilweise hochaktuellen Probleme lassen sich nicht m i t wenigen Sätzen behandeln. Es bedarf eines weiten Ausholens, um eine Lösung sichtbar machen zu können. Es ist zunächst beim Begriff des öffentlichen Interesses anzusetzen. Dieser spielt i n der Diskussion u m die angeschnittenen Fragen eine wichtige, zugleich aber auch höchst zwielichtige Rolle: Die behördlichen Eingriffe i n den eben geschilderten Fällen werden nicht selten — man möchte fast sagen: wider besseres Wissen — m i t angeblich vorliegendem öffentlichen Interesse gerechtfertigt: Bei der Genehmigung gemäß §16 GewO soll es das öffentliche Interesse am Wachstum der W i r t schaft sein, das den Eingriff gegenüber dem Nachbarn rechtfertigt, beim Dispens i m öffentlichen Baurecht das öffentliche Interesse an sinnvoller Ausnutzung des knappen Grund und Bodens, i m Wasserrecht das öffentliche Interesse an optimaler Nutzung des volkswirtschaftlich so

81. Einführung

17

wichtigen Wasserschatzes, bei der Verleihung des Bergwerkseigentums das öffentliche Interesse an der Gewinnung von Bodenschätzen. Es ist aber mehr als fraglich, ob diese öffentlichen Interessen denn auch demjenigen öffentlichen Interesse entsprechen, das A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG als Voraussetzung für Enteignungen fordert. Dies bedarf vorab einer eingehenden Klärung. Sie w i r d zeigen, daß öffentliches Interesse bei der Enteignung etwas anderes meint, als die zur Rechtfertigung der oben geschilderten Eingriffe angeführten öffentlichen Interessen. Es gibt dann i n den geschilderten Fällen nur noch eine Möglichkeit, die Eingriffe — die praktisch unentbehrlicher Bestandteil einer Eigentumsordnung sind — zu rechtfertigen: Man muß die Eingriffsrechte, obwohl sie durch Verwaltungsakt entstehen, als privat-nachbarrechtliche Befugnisse ansehen. U m einleuchtend zu machen, daß dies wirklich möglich ist, muß zunächst verdeutlicht werden, daß es überhaupt Eingriffsbefugnisse Privater gegenüber Privaten gibt, und zwar muß dies auch anhand von Fällen demonstriert werden, i n denen keine behördliche Entscheidung eine Rolle spielt und das B i l d verwirrt. Das führt zu dem Institut der privatrechtlichen Aufopferung. Von dorther lassen sich dann auch die „kritischen" Fälle zutreffend einordnen und lösen. Insgesamt gesehen geht es also darum, was i m Recht der Nutzung des privaten Eigentums Privatrecht war, ist, bleiben kann und bleiben muß. Dabei w i r d sich zeigen — und das mag überraschen —, daß nicht selten gerade privatrechtliche Auffassungen eine „gemeinverträglichere" Lösung bringen, als rein öffentlich-rechtliche Anschauungen dies bislang konnten. Der Verfasser möchte nicht dahin verstanden werden, daß er als Privatrechtler irgendeine Abneigung gegen öffentliches Recht kultivieren wolle. Es w i r d hier nicht die „Verdrängung von Privatrecht durch öffentliches Recht" bekämpft 2 . Es geht allein darum, dogmatische Mißverständnisse aufzuklären, denen Privatrechtler wie Öffentlichrechtler i n gleicher Weise zum Opfer gefallen sind. Dabei mögen manche der Ergebnisse zu der Vermutung drängen, daß überhaupt die Unterscheidung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht nicht der Weisheit letzter Schluß ist 3 . 2 M. E. k a n n man auch nicht davon sprechen, das Privatrecht habe „ i n dogmatischen Grundfragen seine Eigenständigkeit verloren" u n d diese Eigenständigkeit müsse „zurückgewonnen" werden; so aber Bucher, S. 12, der auch die „Verdrängung von Privatrecht durch öffentliches Recht" beklagt. 3 Ganz i n dieser Richtung Bullinger, öffentliches Recht u n d Privatrecht, z. B. S. 115/116: Was hier not tue, sei eine A r t Entideologisierung, die den Weg von der Rechtsform auf den Rechtsinhalt, v o m begrifflichen System auf die Funktionalität des Rechts freigebe.

2 schulte

§ 2. Private gesetzliche Eingriflsrechte und öffentliches Interesse I. Nachbarrechtliche Kollisionen ohne Einschaltung von hoheitliehen Akten Ein privates gesetzliches Einwirkungsrecht ist das unmittelbar auf Gesetz beruhende Recht eines privaten Rechtssubjekts, i n private Rechte eines anderen einzugreifen 1 . A m häufigsten kommen private Eingriffsrechte bei der Regelung nachbarrechtlicher Eigentumskollisionen vor. 1. Zu solchen Kollisionen kommt es, wo mehrere subjektive Eigentumsrechte an ein und derselben Sache bestehen. Unter „Sache" ist dabei allerdings nicht die Sache i m Rechtssinn zu verstehen, also nicht etwa das einzelne Grundstück innerhalb seiner juristischen Grenzen. Dann gäbe es, zumindest vordergründig betrachtet 2 , nie mehrere subjektive Eigentumsrechte an einer Sache, denn es k a n n nach allgemeiner Meinung i m m e r n u r ein einheitliches ungeteiltes Eigentumsrecht an eigener Sache geben (wenn auch dieses Eigentumsrecht einer Personengesamtheit zustehen kann). A l l e Befugnisse D r i t t e r müssen sich v o n diesem Eigentumsrecht ableiten.

Sache ist hier vielmehr i n einem „natürlichen" Sinne, etwa als ein zusammenhängender Komplex von Materie, zu verstehen. Teilung einer Sache (in diesem Sinne) unter mehrere Eigentümer liegt stets beim Grundeigentum vor. Der Gesamtraum der Erdoberfläche eine Gebietes ist mittels künstlicher, juristischer Grenzen i n der Regel an verschiedene Grundeigentümer aufgeteilt. Diese Teilung führt notwendig zu Kollisionen, da die Nutzung des einen Grundstücks, soll sie „ökonomisch sinnvoll" 3 sein, nicht ohne W i r k u n g auf die anderen Grundstücke bleiben kann. Diese Kollision bei der Raumnutzung ist allerdings keine Folge der juristischen, künstlichen Grenzziehung. Die sachlich gleichen Probleme bekäme auch zu spüren, wer alleiniger Eigentümer des Gesamtraumes wäre. Auch dieser müßte, wenn er versuchte, seinen Raum sinnvoll zu 1 Dabei w i r d der Begriff „Eingriff" sehr w e i t gefaßt. Eine Abgrenzung zwischen „Eingriff" u n d „Inhaltsbestimmung" ist damit noch nicht beabsichtigt. Unter Eingriff i n Eigentum eines anderen w i r d hier alles verstanden, was die Interessen des betroffenen Eigentümers irgendwie beeinträchtigt. E i n gehend zu den Ausdrücken „Eingriff" u n d „Inhaltsbestimmung" erst u., § 3. 2 Vgl. jedoch auch u., § 10 I I . 8 Z u diesem Terminus eingehend sogleich, S. 21 ff.

I. Nachbarrechtliche Kollisionen ohne Hoheitsakt

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nutzen, seine einzelnen Projekte aufeinander abstimmen; auch er könnte sein Wohnhaus nicht ohne Schaden neben sein Hüttenwerk setzen, eine Schule nicht neben ein Hammerwerk und einen Flugplatz nicht neben ein Krankenhaus. Der gedachte einzige Eigentümer des Gesamtraumes kann diesen aus der Natur der Sache folgenden Konflikt m i t sich selbst ausmachen. Bei der Teilung des Raumes i n einzelne Grundstücke aber w i r d eben dieser Konflikt zum Rechtsproblem. Aus der Natur der Sache ergibt sich die notwendige Kollision und damit die Notwendigkeit einer Kollisionsregelung jedenfalls dann, wenn man Grundeigentum nicht von vornherein so beschränken w i l l , daß jede Störung der Interessen des Nachbarn verboten ist. Das könnte aber, wie oft beschrieben 4 , nur dazu führen, daß das Grundeigentum weitgehend seine wirtschaftliche Nutzbarkeit verlöre 5 . Diesem Sachzwang verdankt das private Nachbarrecht des BGB seine Entstehung. Es ist eine notwendige Kollisionsregelung. 2. Was dieses Nachbarrecht m i t öffentlichem Interesse zu t u n hat, ist zunächst schnell gesagt. Das ist hier nicht anders als bei jeder Norm, die irgendeine Gruppe von Lebenssachverhalten regelt: Bestände kein öffentliches Interesse an der Regelung nachbarlicher Kollisionen, so würden sie überhaupt nicht geregelt sein. N u r weil ein solches Interesse besteht, nimmt sich der Gesetzgeber der Sachverhalte an und normiert sie. Zumindest besteht hier also wie bei jeder Normierung ein Interesse an Rechtsfrieden und Ordnung. Wie der Gesetzgeber ein Interesse daran hat, daß die Rückerstattung ungerechtfertigter Bereicherungen i n geordneten Bahnen ermöglicht w i r d und deshalb Vorschriften wie §§ 812 ff. BGB schafft, so hat er ein Interesse daran, daß jedermann gesagt wird, was er auf seinem Grundstück t u n und lassen darf. Damit ist es für den Gesetzgeber aber nicht getan: Er muß nicht nur Ordnung, sondern auch Gerechtigkeit schaffen. Es ist zwar auch für die Gerechtigkeit schon vieles gewonnen, wenn alle ein und derselben abstrakten Ordnung unterworfen sind. Der Gesetzgeber muß aber beachten, daß trotz aller abstrakten Gleichheit der einzelne Lebenssachverhalt bei Anwendung der abstrakten Ordnungsregelung zu ungleichen — ungerechten — Ergebnissen führen kann. Er muß daher zumindest überall dort noch speziellere Regelungen treffen, wo solche ungerechten Ungleichheiten typischerweise auftreten. 4 Vgl. Westermann, Sachenrecht, §63 I 1; ders., Maßnahmen, S. 48; Kleindienst, S. 11 ff.; Heck, Sachenrecht, S. 216, spricht v o n einer „notwendigen Nutzungsgemeinschaft benachbarter Grundstücke". Bes. treffend schon Ihering (Iher.Jb. Bd. 6, 81 ff.): „Das Eigentum w ü r d e an seiner eigenen Consequenz zu Grunde gehen". Ä h n l i c h auch R. Schneider, V e r w A r c h 1967, 326. 6 Sogar landwirtschaftliche Nutzung wäre an den Grundstücksgrenzen behindert.

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So muß der Gesetzgeber beachten, daß der Empfänger einer ungerechtfertigten Bereicherung gutgläubig sein kann, vielleicht nicht einmal von seiner Bereicherung weiß oder unmöglich ahnen kann, daß sie ungerechtfertigt ist. I n dieser Überlegung haben Vorschriften über den Wegfall der Bereicherung ihren Grund.

Ähnlich ist es i m Nachbarrecht: Es genügt nicht, daß Gleichheit hergestellt wird. Wenn zum Beispiel bestimmt wäre, jeder Eigentümer dürfe unbeschränkt bauen und damit abstrakte Gleichheit erzielt wäre, dann könnte es trotzdem dahin kommen, daß jemand sein Gebäude so hoch und so nahe an die Grenze baut, daß dem Nachbarn i n einem viel kleineren Haus Licht und L u f t genommen wären, konkret also Ungleichheit erzielt würde. Daher sind Vorschriften über Grenzabstände und Gebäudehöhen erforderlich. Ihre Schaffung liegt i m öffentlichen Interesse. 3. I n dieser Weise mag man viele Vorschriften des Nachbarrechts als Ergebnis von Gerechtigkeitsvorstellungen erklären können: Es erscheint als gerecht, daß der Grundeigentümer sein Grundstück nur so „vertiefen" darf, daß der Nachbar keinen Schaden n i m m t (§ 909 BGB). Es erscheint als gerecht, daß gem. § 906 Abs. 2, S. 2 BGB derjenige Ersatz leisten muß, der den Nachbarn durch übermäßige aber rechtmäßige Emissionen i n der Grundstücksnutzung erheblich beeinträchtigt. Es erscheint als gerecht, daß jemand, dessen Grundstück vom öffentlichen Weg abgeschnitten ist, vom Nachbarn gem. § 917 BGB einen „Notweg" verlangen kann. So fraglos diese Regelungen gerecht sind, so zweifelhaft ist es andererseits, ob es allein die Gerechtigkeit ist, die diese Regelungen fordert. Das w i r d schon dann zweifelhaft, wenn man fragt, ob das Gegenteil der gesetzlichen Regelung „ungerecht" wäre. Man kann das nämlich nicht i n allen Fällen feststellen: Wäre es ungerecht, wenn es das Recht auf einen Notweg nicht gäbe? — Wohl kaum, denn jeder, der ein vom Weg abgeschnittenes Grundstück besäße, hätte das dann doch irgendeinem i n seiner eigenen Sphäre liegenden Umstand zuzuschreiben, sei es einem unvernünftigen Kauf, sei es einer ähnlichen Nachlässigkeit seines Erblassers. Ein Nachbarrecht ohne Notwegregelung wäre nicht ungerecht. Vielleicht wäre es ungerecht, wenn es § 906 Abs. 2, S. 2 BGB nicht gäbe. Aber ganz zweifelsfrei ist auch das nicht. Immerhin war der Zustand ohne diese Vorschrift 35 Jahre lang rechtens und ist gesetzlich erst nach 60 Jahren geändert worden 6 . Man mag das damit abtun, daß 6 § 906 B G B kannte i n der ursprünglichen Fassung die Entschädigung, w i e sie heute Abs. 2, S. 2 — seit 1960 — vorschreibt, nicht. Die Entschädigung wurde praktisch durch das RG i n einer Entscheidung aus dem Jahre 1937 (RGZ 154, 161) „eingeführt".

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eben § 906 BGB ohne Entschädigungsregelung von Anfang an ungerecht gewesen sei, daß man das nur zu spät bemerkt habe. Aber was ist eigentlich das K r i t e r i u m für die Gerechtigkeit i n diesem Fall? Doch wohl der für den Geschädigten zufällige Umstand, daß der Nachbar sein Grundstück anders nutzt als er selbst, und zwar so intensiv, daß die Wirkungen dieser Nutzung nicht auf das eigene Grundstück beschränkt werden können. Man mag das als K r i t e r i u m für Gerechtigkeit, hier also für die Statuierung einer Entschädigungspflicht hinnehmen. Aber man muß auch beachten, wie diese Situation überhaupt entsteht: Sie entsteht nur dadurch, daß dem emittierenden Grundeigentümer die Emission und damit die Beeinträchtigung des Nachbarn erlaubt wird. Ist das gerecht oder ungerecht? Man w i r d sagen müssen, daß das für Gerechtigkeit irrelevant ist. Es hat m i t Gerechtigkeit nichts zu tun, ob einem Grundeigentümer gestattet wird, den Nachbarn durch Emissionen zu schädigen oder nicht. Mag also § 906 Abs. 2, S. 2 BGB auch allein aus Gründen der Gerechtigkeit hinreichend erklärt sein — der ganze § 906 BGB und besonders die grundlegende Bestimmung über die Rechtmäßigkeit von Beeinträchtigungen läßt sich so nicht erklären. Auch das Merkmal der „Ortsüblichkeit" als Voraussetzung für Beeinträchtigungen hat keine Beziehung zur Gerechtigkeit. Es ist nicht einzusehen, warum eine ortsübliche Beeinträchtigung gerechter sein sollte als eine nicht ortsübliche. Für den Betroffenen macht das nichts aus, oder allenfalls insofern, als er ortsübliche Beeinträchtigungen eher voraussehen kann. Daß jemand einen Schaden vorhersehen kann, ist aber kein K r i t e r i u m für die Gerechtigkeit einer gesetzgeberischen Zulassung der Schädigung. Es ist also nicht einzusehen, wie es gerade Gründe der Gerechtigkeit gewesen sein könnten, die den Gesetzgeber veranlaßt hätten, zwischen ortsüblichen und anderen Immissionen zu unterscheiden. Diese Beispiele stellen folgendes klar: Das Prinzip der Gerechtigkeit gibt keine volle Erklärung für die Regelungen des Nachbarrechts. Gerecht sind mehrere Lösungen. Die Gerechtigkeit spräche i n einigen Fällen nicht einmal gegen eine extrem andere Lösung. Sie gibt also allenfalls einen Rahmen, in dem sich die Lösungen zu halten haben. Es ist folglich noch nach einem anderen Prinzip zu suchen, das dem Nachbarrecht zugrunde liegt, nach einem Prinzip für die Auswahl zwischen mehreren gerechten Möglichkeiten. Das öffentliche Interesse i m Nachbarrecht und damit der entscheidende Gedanke, der erst zu konkreten Lösungen führt, ist das Prinzip der „ökonomisch sinnvollen Raumnutzung": Die „notwendigen Kollisionsregelungen" — und damit alles Nachbarrecht — erstreben eine Ordnung der raumbeanspruchenden Maßnah-

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men. Ziel dieser Ordnung muß eine ökonomisch sinnvolle Nutzung — nicht des einzelnen Grundstücks, sondern — des Gesamtraumes sein. Dieses Ziel ist ein beherrschendes Motiv allen Nachbarrechts 7 . Daran ändert sich nichts dadurch, daß diese „materialistische" Zielvorstellung ihre Grenze an ideellen Zielvorstellungen wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit findet, sich also nicht etwa i n der Weise auswirken kann, daß jeweils ganz schematisch diejenige Grundstücksnutzung rechtmäßig wäre, die dem Ziel der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung am besten diente 8 . Notwendige Kollisionsregelung — also Nachbarrecht — und ökonomisch sinnvolle Raumnutzung gehören demnach zusammen. Eine K o l l i sionsregelung ist notwendig, weil eine ökonomisch sinnvolle Nutzung erforderlich ist. Die Kollisionsregelung wurde oben 9 gerade deshalb als „notwendig" bezeichnet, weil ein Zustand ohne sie als einer sinnvollen Raumnutzung entgegenstehend betrachtet wurde. Anders gesagt: Das Ziel ökonomisch sinnvoller Raumnutzung w i r d hier als der Rechtsordnung vorgegeben angenommen. Damit w i r d als Staatsziel, als öffentliches Interesse auch die materielle Wohlfahrt der Gemeinschaft unterstellt. Das deutet die Grenzen dieser Annahme an, zeigt aber zugleich ihre Brauchbarkeit für die gegenwärtige Rechtsordnung. 4. Es läßt sich auch konkret nachweisen, daß der Gedanke der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung tatsächlich dem geltenden Nachbarrecht weithin zugrunde liegt: a) § 917 BGB gibt dem Eigentümer eines von jedem Zugang zu öffentlichen Wegen abgeschnittenen Grundstücks ein Recht, seinen Weg über das Nachbargrundstück zu suchen. Damit erreicht das Gesetz, daß auch das abgeschnittene Grundstück nutzbar wird. Das ist ein Vorteil, der die vom Nachbarn zu duldenden Nachteile i n aller Regel weit überwiegt. Der von den beiden beteiligten Grundstücken gebildete Raum w i r d — insgesamt gesehen — ökonomisch sinnvoller genutzt, als das ohne Notweg möglich wäre. b) Eine Unterart des Notwegrechts ist der „Leitungsnotweg". Nach einer Entscheidung des BGH 1 0 kann ein Notwegrecht zum Inhalt haben, 7 Unrichtig Brohm, S. 91 Fn. 1, der (gegen Westermann , Bauliches Nachbarrecht, S. 9) meint, die vernünftige Gestaltung des nachbarlichen Raums i m Interesse der Allgemeinheit durch die Normen des privaten Nachbarrechts sei n u r eine „zwangsläufige Nebenerscheinung" des Nachbarrechts. 8 Das ist ganz dasselbe w i e bei dem Z i e l der M a x i m i e r u n g der Zuwachsrate des Sozialprodukts. A u c h dieses Z i e l w i r d nicht u m jeden Preis angestrebt, hat vielmehr Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit zu beachten; die M a x i m i e r u n g findet hier ihre Schranke. 9 S. 19. 10 N J W 1960, 93; bestätigt v o n B G H N J W 1964, 1321.

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daß der Nachbar die Verlegung eines unterirdischen Abwässerkanals durch sein Grundstück zu dulden hat. Allgemein w i r d auch eine entsprechende Anwendung des § 917 BGB auf Versorgungsleitungen und auf Fernmeldekabel vertreten 1 1 , so daß man generell von einem Leitungsnotwegrecht sprechen kann. Inzwischen gibt es auch entsprechende Kodifikationen i n Nachbarrechtsgesetzen der Länder, nämlich i n § 7 e bwNbRG und i n §§ 30—34 heNbRG 12 . Die Schaffung des Leitungsnotweges beruht wiederum auf einer Abwägung der beteiligten materiellen Interessen: Dem duldungspflichtigen Nachbarn entstehen kaum Nachteile, während der Berechtigte wichtige Vorteile hat, die u. U. sein Grundstück überhaupt erst bebaubar machen. c) Auch i n §§ 912 ff. BGB w i r d ein Fall eines privaten Einwirkungsrechts geregelt. Es ist zwar irreführend, generell von einem — subjektiven — Überbaurecht zu sprechen. Niemand hat das Recht, über die Grenze zu bauen. H i e r ist zunächst gar kein Recht zur E i n w i r k u n g auf ein fremdes Grundstück gegeben. Es entsteht jedoch dann eine Duldungspflicht des Nachbarn, w e n n zwar zunächst rechtswidrig, aber höchstens leicht fahrlässig u n d ohne W i d e r spruch des Nachbarn, über die Grenze gebaut worden ist. Das ist dann wieder ein Einwirkungsrecht. Der Unterschied zu den übrigen E i n w i r k u n g s rechten liegt n u r darin, daß bei diesen schon die erste E i n w i r k u n g rechtmäßig ist, daß bereits die Schaffung des beeinträchtigenden Zustandes geduldet werden muß. B e i m Überbau ist es dagegen n u r die Fortdauer des zunächst rechtswidrig herbeigeführten Zustandes, die geduldet werden muß. A b e r gerade i n dieser Fortdauer liegt eine E i n w i r k u n g . Da sie v o m Gesetz als rechtmäßig anerkannt w i r d , muß man auch insoweit v o n einem privaten Einwirkungsrecht sprechen.

Es ist sehr deutlich, daß hier der Gedanke der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung das ausschlaggebende Bewertungskriterium für den Gesetzgeber war. Ebenso deutlich ist, daß dieses K r i t e r i u m nicht der einzige Maßstab ist, der i m Nachbarrecht eine Rolle spielt: Beim grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Uberbau und beim Überbau entgegen dem — rechtzeitigen — Widerspruch des Nachbarn läßt das Gesetz eine ökonomisch an sich nicht wünschbare Wertvernichtung zu, stellt also das ideelle Interesse an der Eigentumsfreiheit über die ökonomischen Gesichtspunkte. 11 Vgl. z.B. Westermann, Sachenrecht, §65 I I 1; Staudinger-Seufert, §917 Rn. 34 a; Palandt-Degenhart, § 917 A n m . 3 d; Meisner-Stern-Hodes, § 27 I I Fn. 59; Glaser-Dröschel, Ziff. 95, S. 246/247. E i n dem Notweg ähnliches Recht ist auch das i n der Schweiz bekannte Recht auf einen Notbrunnen gemäß A r t . 710 ZGB. 12 Entsprechende Vorschriften fehlen i m ndsNbRG v o m 31. 3. 67 u n d i m 1. Referentenentwurf f ü r ein n w N b R G ; seit langem schon ist das Durchleitungsrecht f ü r Wasser, Gas, Elektrizität u.a.m. i n der Schweiz gesetzlich geregelt, vgl. A r t . 690, 691 ZGB.

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d) Als Fälle privater Eingriffsrechte sind allgemein bekannt die Immissionsbefugnisse des § 906 BGB 1 3 . Daß auch hier erst der Gedanke der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung eine volle Erklärung für die gesetzliche Kollisionsregelung bietet, ist bereits dargelegt 14 . Das Merkmal der Ortsüblichkeit i n § 906 BGB zeigt dabei an, daß das betreffende Grundstück bereits von einer bestimmten Nutzung beherrscht wird. Es bewirkt, daß sie nicht von Grundeigentümern verhindert werden kann, die eine nicht verträgliche Nutzung wählen. Damit w i r d Änderungen in der Raumnutzung vorgebeugt, was i n der Regel weniger Nutzen bringen als Schaden anrichten würde. e) Eine analoge Anwendung des § 906 BGB findet sich bei dem Problem der Störung des Rundfunk- und des Fernsehempfangs durch andere Rundfunkgeräte oder durch Starkstromanlagen. Bei schematischer A n wendung der Vorschriften des BGB wäre eine derartige Störung auch eine gemäß § 1004 abwehrbare Störung, und zwar auch i m Falle minimaler Beeinträchtigungen. Das würde zu einer ökonomisch sinnlosen Behinderung der Benutzung aller Anlagen führen, die den Rundfunkund Fernsehempfang stören können; die absolut sichere Entstörung dieser Anlagen würde einen unwirtschaftlichen Aufwand erfordern. Aus diesem — typisch nachbarrechtlichen — Grund w i r d allgemein i n Analogie zu § 906 BGB angenommen, daß geringfügige Störungen dieser A r t zu dulden sind, also insoweit ein privates Einwirkungsrecht gegeben i s t 1 5 . H i e r zeigt sich übrigens, daß es bei A n w e n d u n g der nachbarrechtlichen Prinzipien weniger darauf ankommt, daß die kollidierenden Rechte Rechte an Grundstücken sind, als vielmehr darauf, daß es sich u m die typische n o t wendige, praktisch unvermeidbare Kollisionssituation handelt. Allerdings gibt es solche Fälle fast n u r bei Grundstücken, da eben fast n u r diese i n dauernder Nachbarschaft liegen. Das t u n aber auch die üblicherweise ortsfesten Empfangsgeräte. A l l e i n das rechtfertigt schon die A n w e n d u n g v o n Nachbarrecht. I m übrigen w i r d auch beim „normalen" Immissionsrecht selbstverständlich nicht danach unterschieden, ob emittierende Anlagen Bestandteil des Grundeigentums sind oder etwa i n Fällen des § 95 Abs. 1, S. 2 B G B als bewegliche Sachen gelten.

f) I m Bergrecht gibt § 54 A B G dem Bergwerkseigentümer das Recht, schädigend auf Grundeigentum einzuwirken. Auch das ist Regelung einer typisch nachbarrechtlichen Raumkollision. Die Befugnis des Berg13 A u f die hier akut werdende Problematik der Entschädigungspflicht braucht an dieser Stelle noch nicht eingegangen zu werden (vgl. dazu u., § 5 V). Z u bemerken ist wiederum, daß vorliegend sämtliche Fälle des § 906 B G B als Eingriffsrechte bezeichnet werden, also auch die Fälle, i n denen die E i n w i r k u n g e n v o m Nachbarn entschädigungslos hinzunehmen sind; zur Rechtfertigung dieser — ausnahmsweise nicht unwichtigen — terminologischen Festsetzung vgl. u., § 3. 14 Vgl. o., § 2 I 3. 15 Vgl. dazu z. B. Wolff-Raiser, § 52 I I I 3 u n d § 53 I I 4.

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Werkseigentümers, die Erdoberfläche zu beschädigen, gehört i n diesen Rahmen, weil sie die typischen Merkmale nachbarlicher — rechtmäßiger — Beeinträchtigung bei juristischer Aufteilung einer natürlichen Sacheinheit zeigt 18 : Es ist ökonomisch sinnvoll, die Gewinnung von Bodenschätzen auch dann zuzulassen, wenn dadurch Schäden an den Oberflächengrundstücken entstehen. Eine ähnliche Funktion wie das Merkmal der Ortsüblichkeit i n § 906 BGB übernimmt i m Bergrecht der § 150 A B G : Wer i n Kenntnis der Gefahr von Bergschäden baut, hat keinen Ersatzanspruch, wenn der Schaden eintritt. Das bewirkt — soll jedenfalls nach den Intentionen des Gesetzgebers bewirken —, daß sich die Oberflächenbebauung auf Grundstücke beschränkt, unter denen kein Bergbau umgeht. Dahinter steckt offensichtlich eine ökonomische Überlegung, die vermeidbare Schäden und Schadenersatzpflichten verhüten w i l l . g) Auch i n den landesrechtlichen Bestimmungen über „ w i l d abfließendes Wasser" lassen sich Fälle privater Einwirkungsrechte erkennen: Der Eigentümer eines Grundstücks darf den Zufluß w i l d abfließenden Wassers vom Nachbargrundstück her nicht verhindern 1 7 . Die Einwirkung besteht darin, daß der beeinträchtigte Nachbar den Zufluß dulden muß, wozu er „an sich" nicht verpflichtet wäre 1 8 . Auch diese Bestimmungen zeigen das typische Merkmal nachbarrechtlicher Kollisionsregelungen: Sie dienen einer ökonomisch sinnvollen Raumnutzung. I n aller Regel nämlich ist es — insgesamt gesehen — weniger schädlich, wenn das Wasser über ein Grundstück hinweg abfließt, als wenn es sich beim Nachbarn staut. Hier i m Wasserrecht w i r d dieser Gedanke sogar ausdrücklich zur tatbestandlichen Voraussetzung der Eingriffsrechte gemacht: Alle L W G bestimmen ausdrücklich, daß w i l d abfließendes Wasser nur aufgenommen zu werden braucht, wenn der dadurch erzielte Vorteil des „Oberliegers" den Nachteil des „Unterliegers" erheblich überwiegt. h) Ebenfalls nur landesrechtlich geregelt sind folgende Fälle privater Eingriffsrechte: aa) Das Hammerschlags- und Leiterrecht, wonach der Grundeigentümer das Nachbargrundstück betreten darf, u m dort Gerüste, Leitern und andere Geräte aufzustellen, wenn er nur so Arbeiten an seinem eigenen Bauwerk vornehmen kann 1 9 . Dieses Recht ist 16

Vgl. dazu i m einzelnen u., § 11. Vgl. § 39 I I Nr. 2 ndsNbRG; § 21 I I Nr. 2 heNbRG; § 78 I I n w W G ; § 81 b w W G ; A r t . 631 Ziff. 2 b a y W G ; § 84 r h p f W G ; § 75 saWG; § 7 1 h m b W G ; § 68 shWG; § 66 I I blnWG. 18 H i e r v o n geht das shWG i n § 681 auch ausdrücklich aus. 19 Vgl. i m einzelnen Meisner-Stern-Hodes, § 281, S. 380 f.; Westermann, Bauliches Nachbarrecht, S. 30 f. 17

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§ 2. Private gesetzliche Eingriffsrechte und ö. I. jetzt auch i n § 7c bw, i n §§ 28, 29 he, in §§ 47, 48 nds und i n §§ 24, 25 n w NbRG geregelt, während folgende Fälle nur noch i n alten Bestimmungen zu finden sind:

bb) Das Schaufelschlagrecht, das dem Eigentümer eines Grabens das Recht gibt, diesen zu reinigen und dabei den ausgehobenen Schlamm auf das angrenzende fremde Grundstück zu werfen 2 0 ; cc) das Anwenderecht, wonach beim Pflügen eines Ackers die Zugtiere beim Wenden das Grundstück des Nachbarn betreten dürfen 2 1 und dd) das Schwengelrecht, d. h. das Recht, an der Grenze eines Ackers so zu pflügen, daß ein Zugtier das Nachbargrundstück betritt 2 2 . i) Eingehender müssen die nachbarrechtlichen Aspekte des Wohnungseigentums besprochen werden. Dabei geht es nicht u m das Nachbarrecht der i n Wohnungseigentum aufgeteilten Einheit — das ist allgemeines Nachbarrecht —, sondern u m das Nachbarrecht zwischen den einzelnen Wohnungseigentums-Einheiten. Nach der hier vertretenen These muß es Nachbarrecht und private Eingriffsrechte auch dort geben, da die Wohnungseigentums-Einheiten als Teile der natürlichen Sacheinheit des Hauses „notwendig" miteinander kollidieren. Der Ausgangspunkt des WEG ist zunächst derselbe wie der des BGB: „Jeder Wohnungseigentümer kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, m i t den i m Sondereigentum stehenden Gebäudeteilen nach Belieben v e r f a h r e n . . . und andere von Einwirkungen ausschließen." Das entspricht völlig § 903 BGB 2 9 . Wie i m BGB, so genügt auch i m WEG eine solche Regelung nicht. Von jedem Sondereigentum gehen Einwirkungen auf das „benachbarte" Sondereigentum aus, insbesondere Geräusche, aber auch Beeinträchtigungen aus mangelhafter Instandhaltung, die etwa zum Durchsickern von Wasser aus der oberen Wohnung i n die untere Wohnung führen können, auch Belästigungen durch Publikumsverkehr, etwa wenn ein Wohnungseigentümer i n seiner Wohnung eine Praxis betreibt. Gäbe es keine detaillierte Regelung der nachbarlichen Beziehungen, so würde — wie i m BGB das Grundeigentum — hier das Wohnungseigentum praktisch unbenutzbar: Jede, auch die geringste, Beeinträchtigung wäre eine abwehrbare Störung. Die sich i m Raum stoßenden 20

Vgl. i m einzelnen Meisner-Stern-Hodes, § 28 I I , S. 381 f. Vgl. i m einzelnen Meisner-Stern-Hodes, § 28 I I I , S. 382. Vgl. i m einzelnen Meisner-Stern-Hodes , § 2 8 I V , S. 383; Panwitz, B1GBW 1962, 357 ff. 23 Wenn man davon absieht, daß es i n § 903 B G B heißt: „ . . . von jeder E i n w i r k u n g ausschließen". Dieser Unterschied dürfte nicht als rechtlich bedeutsam gemeint sein. 21

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nachbarlichen Interessen würden einander so behindern, daß ein Ruhezustand, der allen gerecht würde, nur ein Zustand praktischer Nutzlosigkeit der zugeordneten Eigentumsrechte sein könnte. Wie daher der Gesetzgeber i m Grundstücksnachbarrecht Einwirkungsrechte geben mußte, u m eine ökonomisch sinnvolle Raumnutzung herbeizuführen, so mußte das auch i m WEG geschehen. Das Nachbarrecht des WEG besteht i n folgendem: aa) § 14 Nr. 1 u. 2 WEG schreiben vor, daß die Wohnungen so zu benutzen sind, daß keinem anderen Wohnungseigentümer ein Nachteil erwächst, der über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidbare Maß hinausgeht. Das entspricht genau dem § 906 Abs. 1 BGB: Unwesentliche Beeinträchtigungen sind (entschädigungslos) hinzunehmen. Dabei deutet § 14 WEG m i t den Worten „geordnetes Zusammenleben" an, was i n § 906 Abs. 1 BGB auch ohne besondere Erwähnung allgemein für rechtens gehalten w i r d : Bewertungsmaßstab für das, was hinzuzunehmen ist, ist die Verkehrsanschauung, ein Durchschnittsmerkmal, eine Generalklausel, die ähnlich wie § 242 BGB auf das „Empfinden aller b i l l i g und gerecht Denkenden" hinweist. Das w i r d noch einmal durch § 15 Abs. 3 WEG bestätigt. Jeder Wohnungseigentümer kann verlangen, daß Sondereigentum und gemeinschaftliches Eigent u m nur so genutzt werden, wie es „dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht". Diese Erwähnung des „Interesses der Gesamtheit der Wohnungseigentümer" als entscheidendes K r i t e r i u m ist eine Bestätigung der These, daß ökonomisch sinnvolle Raumnutzung ein entscheidender Gedanke allen Nachbarrechts ist: Der Nutzen für die Gesamtheit der an der Raumnutzung beteiligten Rechtsinhaber ist der Leitgedanke und nicht etwa nur ein größtmöglicher Schutz des Einzelnen und auch nicht allein die Gerechtigkeit, die auf eine derartige Maximierung des Nutzens nicht Rücksicht zu nehmen brauchte. bb) Als echtes Nachbarrecht sind ferner die Vorschriften der §§14 Nr. 4 und 21 Abs. 5, Nr. 6 WEG zu verstehen: Es geht u m die Benutzung und das Betreten der i n Sondereigentum stehenden Gebäudeteile, soweit dies zur Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums erforderlich ist (§ 14 Nr. 4), sowie u m die Duldung von Maßnahmen i n Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum, die erforderlich sind für die Herstellung von Anschlüssen für Rundfunk, Telefon und Energieversorgung zugunsten eines Sondereigentümers. (Das ist Nachbarrecht und nicht Gemeinschaftsrecht, weil es um das Verhältnis des Sondereigentums zum gemeinschaftlichen Eigentum geht, nicht ausschließlich u m das gemeinschaftliche Eigentum.) Auch diese Regelung erfolgte i m Interesse einer besseren Nutzbarkeit des Wohnungseigentums insgesamt. Der Gedanke der ökonomisch

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sinnvollen Raumnutzung hat sich auch hier durchgesetzt, wie nicht anders zu erwarten, da auch hier „notwendige Kollisionen" vorliegen. Allerdings hat das Gesetz diesem Gedanken hier nur erstaunlich geringen Raum gegeben. Aus § 21 Abs. 5, Nr. 6 WEG ergibt sich nämlich, daß die genannten Einwirkungsbefugnisse hier nur gegenüber dem gemeinschaftlichen Eigentum bestehen, Eingriffe i n das Sondereigentum also nicht geduldet zu werden brauchen 24 . Ein Wohnungseigentümer muß also zwar zustimmen, wenn ein anderer Wohnungseigentümer i n gemeinschaftliche Teile des Hauses eingreifen w i l l , etwa Leitungen i n gemeinschaftlichen Wänden verlegen w i l l (evtl. entstehenden Minderwert muß der eingreifende Sondereigentümer ausgleichen, § 21 Abs. 6 WEG). Er braucht aber keine derartigen Eingriffe i n die seinem Sondereigentum unterliegenden Teile zu dulden, also nicht etwa eine Beschädigung der Tapeten seiner Wohnung. Obwohl eine solche Regelung vertretbar wäre 2 5 , hat der Gesetzgeber sie nicht geschaffen; vielleicht meinte man, derartige Eingriffe könnten den Hausfrieden zu sehr gefährden. Ähnlich eng begrenzt ist die Regelung des § 14 Nr. 4 WEG: Nicht zur Reparatur von Gegenständen des Sondereigentums, sondern nur für die Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums muß ein Wohnungseigentümer das Betreten und Benutzen seines Sondereigentums gestatten. Hier zeigt sich allerdings, daß das WEG — zumindest seinem Wortlaut nach — zu eng ist. Man denke an eine notwendige Reparatur einer nur vom Sondereigentum aus zugänglichen Versorgungsleitung: I m Interesse der Gemeinschaft braucht der Wohnungseigentümer nur „Betreten und Benutzung" seines Sondereigentums zu dulden, also nicht auch Beschädigung (§ 14 Nr. 4); i m Interesse eines anderen Sondereigentümers braucht er nur Beschädigung des gemeinschaftlichen Eigentums zu dulden, nicht einmal aber Betreten und Benutzung seiner Wohnung (§ 21 Abs. 5, Nr. 6 WEG). Dies ist ein Fall, i n dem der Gedanke der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung rechtsgestaltende K r a f t hat. Es wäre ökonomisch unvernünftig, u. U. ein ganzes Haus verderben zu lassen, weil ein Wohnungseigentümer einer notwendigen Reparatur widerspricht. Das erzwingt eine erweiternde Auslegung des § 14 Nr. 4 WEG. Sie läßt sich so vornehmen, daß „Benutzung" auch i m Sinne von „Beschädigung" ver24 Das sagt zwar noch nicht unmittelbar der W o r t l a u t von § 21 Abs. 5 Nr. 6, w o h l aber die Stellung dieser Vorschrift i m Abschnitt „ V e r w a l t u n g " , w o es n u r u m die V e r w a l t u n g des gemeinschaftlichen Eigentums gehen k a n n ; auch die übrigen Vorschriften des § 21, insbes. Abs. 5, behandeln n u r Maßnahmen, die f ü r das gemeinschaftliche Eigentum Bedeutung haben. 25 M a n denke etwa an den Fall, daß ein Wohnungseigentümer eine neue Gasleitung oder eine stärkere Elektrizitätsleitung benötigt.

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standen wird. Diese Auslegung w i r d dadurch erleichtert, daß § 14 Nr. 4 (2. Halbsatz) WEG schon eine Entschädigung vorgesehen hat 2 6 . Wenn das WEG i m übrigen kein echtes Nachbarrecht enthält, so liegt das nicht daran, daß sich hier aus der Natur der Sache etwa weniger Kollisionen als beim Grundeigentum ergäben; es dürfte eher das Gegenteil der Fall sein. Das Gesetz konnte auf weitere Regelungen verzichten, weil es die Befugnis, detaillierte Anordnungen zu treffen, an die Wohnungseigentümer (bzw. an den Ausgeber bei der Vorratsteilung nach § 8 WEG) und an die Wohnungseigentümer-Gemeinschaft delegiert hat. M i t Hilfe von Verträgen und Beschlüssen kann so ein exaktes Nachbarrecht geschaffen werden. Notfalls wäre zwar auch schon m i t den erwähnten Generalklauseln i n §§ 15 Abs. 3 und 14 Nr. 1 WEG auszukommen. Es würde dabei i m konkreten Fall allerdings schwierig sein, den Einzelnen von der Wichtigkeit des i n § 15 Abs. 3 WEG anklingenden Gedankens der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung („Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer") zu überzeugen. j) Nach allem überrascht es nicht, daß sich der Gedanke der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung auch i n derjenigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nachweisen läßt, die sich m i t den vom gesetzlichen Nachbarrecht nicht oder — nach Meinung der Rechtsprechung — nicht i n richtiger Weise behandelten Fällen befaßt. Gemeint ist die Rechtsprechung des B G H zum nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis. Deutlichstes Beispiel dafür ist die Entscheidung BGHZ28, 225. Bei Arbeiten i m Steinbruch des Beklagten wurden durch Sprengungen häufig Steine auf das Grundstück des Klägers geschleudert, der eine Fabrik betrieb und Einstellung der Störungen verlangte. Nach BGB ist der Fall eindeutig entschieden: Die Störungen können nach § 1004 untersagt werden, die Ausnahme des § 906 erlaubt keine „grobkörperlichen" Immissionen. Trotzdem hat der B G H einen Unterlassungsanspruch verneint! Er hat eine Interessenabwägung vorgenommen, und i n dieser die Gegenüberstellung der materiellen Vor- und Nachteile zum entscheidenden Argument werden lassen 27 . Allein diese Interessenabwägung führt — contra legem — zur Bejahung der Duldungspflicht des Klägers. Das ist nichts anderes als wiederum der Gedanke der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung. 26 Die vorgeschlagene ausdehnende Interpretation ist aber nicht etwa schon wegen der Existenz dieser Entschädigungsnorm zwingend. Es ist keineswegs zwingend, daß bei dieser Entschädigungsregelung Schäden durch gezielte Eingriffe i n die Substanz des Sondereigentums gemeint sind. Vielmehr liegt es näher anzunehmen, daß das Gesetz hier n u r an Schäden „bei Gelegenheit" der Benutzung gedacht hat. 27 aaO, S. 230, 231.

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A n anderer Stelle 28 heißt es: „Wenn die beabsichtigte Benutzung eines Grundstücks ... m i t ungewöhnlich schweren Nachteilen für die Nachbarn verbunden i s t . . k a n n der Grundeigentümer gehalten sein, von der schädigenden Benutzung abzusehen, wenn eine andere A r t der B e n u t z u n g . . . den angestrebten Zweck o h n e . . . ins Gewicht fallende Mehrbelastung auch erreicht, aber jene Nachteile vermeidet". Man mag sagen, dieser und andere Sätze aus der Rechtsprechung des B G H enthielten nichts anderes als das fast selbstverständliche Gebot gegenseitiger nachbarlicher Rücksichtnahme, das aus § 242 BGB folge 29 . Das ist gewiß richtig, darf aber nicht darüber hinwegsehen lassen, daß wesentliches K r i t e r i u m für das Bestehen einer solchen — i m Gesetz nicht vorgesehenen — Pflicht eben immer die erwähnte Nutzen-Schaden-Relation, also der Gedanke der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung ist. 5. Diese Beschreibung des Nachbarrechts als einer „notwendigen Kollisionsregelung", die an dem Gedanken der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung ausgerichtet ist, scheint näher an den K e r n der Dinge zu rühren, als die Kennzeichnung von Baur 3 0 : Der Grundsatz der freien und ungebundenen Stellung des Eigentümers versage i n drei Fällen, nämlich erstens bei „mangelndem Eigeninteresse" (§ 905 BGB), zweitens bei „überwiegendem Einwirkungsinteresse" (§§ 904, 912, 917 BGB) oder drittens bei einer „Egalisierung aller Grundeigentümer i n gleicher Lage" (§ 906 Abs. 1, Abs. 2, S. 1 BGB). Das ist m. E. eine nicht weiterführende, weil zu formale Beschreibung. Sie bringt keine Erklärung dafür, wann das Einwirkungsinteresse überwiegt, welches die Kriterien der Gleichheit sind und warum das Eigentümerinteresse an Abwehr von Störungen ggf. mangelhaft ist. Erst der Gedanke der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung gibt für die nachbarrechtlichen Regelungen eine inhaltliche Erklärung. Baurs Einteilung ist gewiß nicht falsch, aber sie hat zu wenig Erklärungswert. I n der übrigen Literatur w i r d zwar auch bislang schon vielfach, jedoch stets nur sehr beiläufig anerkannt, daß dem Nachbarrecht nicht nur Vorstellungen von Gerechtigkeit, Gleichheit u n d Rechtsfrieden zugrunde liegen, sondern auch „wirtschaftliche" Erwägungen. So formulieren Meisner-Stern-Hodes 31, die §§ 904, 912 ff. BGB, 26 GewO seien Ausfluß des „wohltätigen Rechtsgedankens", daß die volle Auswirkung 28

B G H L M § 903 B G B Nr. 2. Wie j a der B G H den Gedanken des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses selbst als einen Anwendungsfall des § 242 B G B i m Nachbarrecht gekennzeichnet hat, vgl. B G H Z 28, 114; ebenso schon RGZ 167, 14ff.; w i e auch RGRK-Pritsch, §906 A n m . 28 u.a.m. — Z u m nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis eingehender u., § 5 I I , § 4 I V 2, § 6 I V . 30 Lehrbuch, § 25. 31 § 24 V I I pr, S. 433. 20

I. Nachbarrechtliche Kollisionen ohne Hoheitsakt

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des Eigentumsrechts nicht zur Zerstörung wirtschaftlicher Werte führen darf. Kleindienst 32 erkennt an, daß i n §§ 906 I I BGB, 26 GewO „die Eigentumsgrenzen zwischen den Nachbarn i m Interesse einer möglichst produktiven Ausnutzung des Gesamtraumes... verschoben werden". Liver 33 spricht von der Erhöhung des Gesamtnutzens zweier Grundstücke, der entsteht, indem der Belastung des einen Grundstücks ein ungleich größerer Vorteil des anderen entsprechen könnte. 6. Beinahe selbstverständlich ist, daß Gesetz und Rechtsprechung derartige Duldungspflichten meist nicht ohne Gegenanspruch auf Entschädigung auferlegen. I n fast allen besprochenen Fällen aus Gesetz und Rechtsprechung hat der Duldungspflichtige einen Anspruch auf Ausgleich seiner durch die Duldung entstehenden Nachteile. Selbstverständlich mag Entschädigung sein, wenn man vom Gerechtigkeitsgefühl ausgeht oder auch — i m Zusammenhang damit — von der Vorstellung eines „an sich" m i t diesen Duldungspflichten nicht belasteten Eigentums. Vielleicht könnte man auch von einer „ D r i t t w i r kung" des A r t . 14 GG sprechen. Das mag einstweilen dahingestellt bleiben 34 . Wichtiger ist hier zunächst der Hinweis darauf, daß es gerade dieser Ersatzanspruch ist, der dem System des Nachbarrechts m i t besonderem Nachdruck seine Wirkung i m Hinblick auf eine ökonomisch sinnvolle Raumnutzung verleiht. Erst dieser Ersatzanspruch nämlich führt dazu, daß die Grundeigentümer sich „freiwillig" i m Sinne einer ökonomisch sinnvollen Raumnutzung verhalten: Wer ein Recht hat, auf ein Nachbargrundstück einzuwirken, w i r d von diesem Recht nur Gebrauch machen, wenn er für sich daraus mehr Vorteile zieht, als er an Ausgleichszahlungen für den betroffenen Nachbarn aufbringen muß. Wer also seinen Steinbruch weiter betreiben w i l l , w i r d sich überlegen, ob dieser Steinbruch die Ausgleichszahlungen aufbringt. Ist das nicht möglich, dann w i r d der Steinbruch eingestellt. Das bedeutet dann, daß der Steinbruch nicht die ökonomisch sinnvolle Raumnutzung war: Er konnte nicht erwirtschaften, was er an Werten vernichtete. Dieser einfache Mechanismus läßt sich auch in den anderen hier erwähnten Fällen nachweisen 35 .

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S. 45. Festschrift f ü r Gutzwiller, S. 753. Eingehend dazu u., § 6 I V . Etwas ausführlicher dazu nochmals u., § 5 I V 1 .

§ 2. Private gesetzliche Eingriffsrechte und ö. I.

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I I . Nachbarrechtliche Eingriffe mit Einschaltung von Hoheitsakten Es erscheint zunächst als eine etwas absurde Idee, i m Nachbarrecht den Art. 14 Abs. 3, S. 1 GG, also das Enteignungsrecht, ins Spiel zu bringen, insbesondere m i t der konkreten Forderung, es müsse i n jedem Einzelfall eines nachbarrechtlichen Eingriffs ein öffentliches Interesse vorliegen. Das wäre i n der Tat abwegig, wenn es nur u m das private Nachbarrecht des BGB und i n den Landesgesetzen gehen würde. Immerhin gibt es einige Stimmen, die i n nachbarrechtlichen Eingriffen Enteignungen sehen oder zumindest — mehr oder weniger deutlich — enteignungsrechtliche Gedanken ins Spiel bringen. So findet sich gelegentlich die Bezeichnung „private Enteignung" für nachbarrechtliche Tatbestände 36 . Außerdem werden Parallelen zur Problematik des Art. 14 GG nicht nur durch die häufige Behauptung hergestellt, daß die nachbarrechtlichen Bindungen ein Fall der Sozialbindung des Eigentums gem. A r t . 14 Abs. 2 GG seien, sondern auch durch die Bezeichnung „Sonderopfer" für die Beeinträchtigungen, die ein Nachbar i m Interesse des anderen Nachbarn dulden muß 3 7 . Es wäre vielleicht möglich, i n diesen Äußerungen nur terminologische Eigentümlichkeiten zu sehen, wenn es nicht Fälle nachbarrechtlicher Regelungen gäbe, bei denen die Ansicht, daß nachbarrechtliche Eingriffe Enteignungen sind oder zumindest i n den Zusammenhang des gegensätzlichen Begriffspaares Enteignung — Sozialbindung gehören, heute durchaus nicht fern liegt. Immer dann nämlich, wenn der nachbarrechtliche Eingriff nicht, wie heute i m BGB, als privater A n spruch zwischen Grundstücksnachbarn konstruiert ist, sondern sich so verwirklicht, daß erst eine Behörde die Einwirkungsbefugnis einräumen muß, — immer dann w i r d die Problematik zumindest scheinbar enteignungsrechtlich. Es handelt sich dabei hauptsächlich u m folgende Fälle: 1. Der Fall der gewerberechtlichen Anlagegenehmigung gemäß §§ 16 ff. GewO: Von der behördlichen Genehmigung an besteht ein Eingriffsrecht gegenüber Nachbargrundstücken: Deren Eigentümer können schädigenden Einwirkungen nicht widersprechen, § 26 GewO, d. h. die Einwirkungen sind erlaubt. Es liegt — wie schon i n der Einleitung angedeutet — nicht fern, hier Enteignungsproblematik ins Spiel zu bringen: Die behördliche Genehmigung, ein hoheitlicher A k t , n i m m t dem 36

Liver, Festschrift f ü r Gutzwiller, S. 753; Kleindienst, S. 45. Baut, Sachenrecht, § 12 I I 2 u n d bes. §25 I I I ; Wolff-Raiser, §53 Fn. 21; Horst, S. 63/64, der zudem fordert, daß solche Sonderopfer n u r auferlegt w e r den dürfen, w e n n es dabei „wenigstens mittelbar u m Interessen der A l l g e meinheit, u m eine Förderung des Gemeinwohls" gehe. 37

I . Nachbarrechtliche Kollisionen

Hoheitsakt

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Nachbarn — oder einer Gruppe bestimmter Nachbarn — die Abwehrrechte aus § 1004 BGB, was man als ein anderen nicht zugemutetes Sonderopfer ansehen könnte. Es werden hier also Immissionsbefugnisse vom Erlaß eines besonderen Hoheitsaktes abhängig gemacht; § 906 BGB dagegen läßt solche Befugnisse ohne Einschaltung eines Hoheitsaktes entstehen. 2. Eine ähnliche Konstruktion ließe sich beim Notwegrecht denken: Es läßt sich vorstellen, das BGB hätte bestimmt, der vom öffentlichen Weg abgeschnittene Grundeigentümer könnte bei der Behörde beantragen, daß diese i h m ein Notwegrecht auf dem Grundstück des Nachbarn einräumt. Diesen behördlichen A k t könnte man dann wieder als Enteignung ansehen 38 . 3. Daß es nicht abwegig ist, an solche Konstruktionen zu denken, zeigt sich beim Leitungsnotweg. Neben den rein privatrechtlich konstruierten Fällen des Leitungsnotwegs, die bereits oben 39 besprochen wurden, gibt es i m Wasserrecht das sog. Durchleitungszwangsrecht. Hier w i r d die Befugnis, Leitungen durch ein fremdes Grundstück zu verlegen, durch einen besonderen Hoheitsakt, die Verleihung des Zwangsrechts, eingeräumt 40 . 4. Auch die privaten Eingriffsrechte bezüglich „ w i l d abfließenden Wassers" 41 haben eine öffentlich-rechtliche Parallele: § 122 bremWG (wie auch der durch das ndsNbRG aufgehobene frühere § 123 ndsWG) kleiden diese Einwirkungsbefugnis i n die Form eines „Zwangsrechts": Der Oberlieger hat nicht unmittelbar Anspruch auf Duldung der Wasserzuführung. Vielmehr muß er sich zunächst an die Wasserbehörde wenden, die i h m bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein Zwangsrecht einräumen muß. Erst dann kann aus diesem Zwangsrecht Duldung verlangt werden. Auch hier liegt es dann nicht fern, von Enteignung zu sprechen. 5. Während die Befugnis des Bergwerkseigentümers, das Grundeigentum durch Abbauhandlungen untertage zu schädigen 42 , als privates Eingriffsrecht ohne Einschaltung eines Hoheitsaktes konstruiert ist, hat das Gesetz dem Bergwerkseigentümer zwar auch Eingriffe i n 38 Laband; A c P 52, 151 ff., sah sogar ein Notwegrecht i n der A r t seiner heutigen K o n s t r u k t i o n als eine Enteignungsbefugnis an u n d die richterliche Bestellung des Notwegs als einen Enteignungsakt. Buch, insbes. S. 77/78, beschreibt, daß sich bei der dogmatischen Beurteilung des Notwegs schon seit jeher eine enteignungsrechtliche u n d eine nachbarrechtliche Theorie gegenüberstehen. Die M o t i v e zum B G B (Mot. I I I , § 863, S. 289 ff, 291) sagen, der E n t w u r f lehne es ab, von einer Enteignung durch den Richter auszugehen. 39 I 4b. 40 Vgl. dazu eingehend u., § 10 V. 41 Vgl. o., I 4 g. 42 Vgl. o., I 4 f.

3 Schulte

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§ 2. Private gesetzliche Eingriffsrechte und ö. I.

das Grundeigentum durch Oberflächenanlagen (z. B. Schachtanlagen) gestattet, das Entstehen dieser Befugnis jedoch von einem besonderen behördlichen Hoheitsakt, dem Grundabtretungsbeschluß, §§ 135 ff. ABG, abhängig gemacht. Es ist heute fast einhellige Meinung, daß dieser Beschluß eine Enteignung sei 43 . 6. Die i n Ausnahmefällen auf der Grundlage des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses gewährten privaten Eingriffsrechte schließlich 4 4 finden eine öffentlich-rechtliche Parallele i n den Bestimmungen über den Dispens i m öffentlichen Baurecht. Auch dort w i r d einem Grundeigentümer gestattet, i n Ausnahmefällen (nämlich zur Abwendung einer „nicht beabsichtigten Härte") i n das Eigentum seines Nachbarn einzugreifen. Nur hängt dieses Eingriffsrecht davon ab, daß dafür zunächst von der Behörde eine Baugenehmigung unter besonderer Befreiung von den an sich entgegenstehenden Normen des öffentlichen Baurechts erteilt worden ist 4 5 . Es kann nicht überraschen, daß eine absolut herrschende Meinung auch hier Enteignungsproblematik sieht 46 . So nahe es liegen mag, i n diesen Fällen von Enteignung zu sprechen, so sehr drängen sich aber auch Bedenken gegen diese Annahme auf: I n allen aufgeführten Fällen gibt es, wie gezeigt, völlig parallel liegende rein privatrechtlich konstruierte Eingriffsrechte. Sollte es also etwa nur eine Frage rechtstechnischer Konstruktion sein, ob solche Fälle enteignungsrechtlich problematisch sind oder nicht? Diese Frage drängt sich auch deswegen auf, w e i l das „öffentliche Interesse" bei beiden A r t e n der Konstruktion dieselbe Holle spielt. Auch bei den öffentlich-rechtlich konstruierten Eingriffsrechten besteht am einzelnen Eingriff kein anderes öffentliches Interesse als bei den privatrechtlich konstruierten. Sollte also, obwohl auch diese „Interessenlage" völlig gleich ist, trotzdem die rechtstechnische Konstruktion ein materiell entscheidendes Gewicht haben? Bevor das geklärt werden kann, sind eine Reihe von Vorfragen zu klären. Dabei ist zunächst erforderlich, einige Fälle privater Eingriffsrechte außerhalb des Nachbarrechts und ihre evtl. öffentlich-rechtlichen Parallelen zu erörtern.

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Vgl. u., § 11 I V 3. Vgl. o., I 4 j. Dazu eingehend u., § 9. Vgl. dazu insbes. u., S. 188.

III. Notstandsrechtliche Kollisionen

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I I I . Notstandsrechtliche Kollisionen 1. A n Kollisionen des Eigentums m i t anderen privaten EigentümerInteressen außerhalb des Nachbarrechts ist allgemein nur noch der Fall des Notstandes bekannt: Gem. § 904 BGB darf der Eigentümer solche Einwirkungen nicht abwehren, die zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr für einen anderen erforderlich sind. Allerdings muß der abgewendete Schaden unverhältnismäßig größer sein als der am Eigentum entstehende Schaden. Dieses alte, fast selbstverständliche Güterabwägungsprinzip i n Notstandsfällen bedarf hier keiner eingehenden Besprechung. Nur die Bedeutung des öffentlichen Interesses i m privaten Notstandsrecht muß erläutert werden: Auch beim privatrechtlichen Notstand kann man davon sprechen, es gehe u m öffentliche Interessen, nämlich u m das Interesse an der Bewahrung des höherwertigen Gutes bei einer Kollision m i t einem geringerwertigen Gut. § 904 BGB zielt dahin, daß sich die i n Not befindliche Person auch gegenüber fremden Rechten durchsetzen kann. Es werden Eingriffsrechte geschaffen. Das öffentliche Interesse geht dahin, daß solche Eingriffe zulässig sind, und es geht dahin, eine KostenNutzen-Relation einzuführen: Auch i n Notstandssituationen darf nicht ein wertvolleres Gut einem geringerwertigen geopfert werden. Dabei muß der drohende abzuwendende Schaden gegenüber dem durch die Notstandshandlung angerichteten Schaden sogar unverhältnismäßig groß sein. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis muß also ganz eindeutig für den Eingriff sprechen, — eine i n Anbetracht der meist sofortiges Handeln fordernden Notstandssituation vernünftige Regelung. Wenn die Relation zweifelhaft ist, soll der Eingriff verboten bleiben 47 . Das öffentliche Interesse beim privatrechtlichen Notstand geht dahin, unverhältnismäßige Wertvernichtungen zu verhindern. Auch hier findet sich also — ähnlich wie i m Nachbarrecht — ein ökonomisches Kriterium. Es w i r d zugleich aber auch deutlich, daß dieses K r i t e r i u m hier auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben soll, daß eben nur zur „Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr" eingegriffen werden darf. I n allen anderen Fällen w i r d beim Notstand das an sich ökonomisch sinnvolle Prinzip durch das Interesse an möglichst weitgehender Freiheit des Eigentums verdrängt. 2. Weitere Fälle notrechtlicher privater Eingriffsbefugnisse sind: Der „passive" Notstand, § 228 BGB und die Notwehr, §§ 227 BGB, 47 Bislang versucht allein Hemsen, S. 104 ff., auch notrechtliche Fälle i n den vorliegenden Zusammenhang einzubeziehen. Dabei ist er allerdings insofern ungenau, als er auch die Fälle der §§ 917, 912 B G B als Notstandsfälle einordnen w i l l , vgl. a.a.O. S. 106.

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§ 2. Private gesetzliche Eingriffsrechte und ö. I.

53 StGB m i t ihren Ausprägungen in den Selbsthilferechten des § 561 BGB (drohende Vereitelung des Vermieterpfandrechts), des § 859 BGB (Selbsthilfe des Besitzers gegen verbotene Eigenmacht) und des § 229 BGB (Selbsthilfe bei drohender Anspruchsvereitelung) 48 . Notwehr und Selbsthilfe sind die einzigen Fälle eines Eingriffsrechts in Leben und Gesundheit. Ferner sind die Verfolgungsrechte der §§ 867, 962 BGB zu erwähnen. Auch diese Fälle zeichnen sich dadurch aus, daß eine Güterabwägung Voraussetzung des Eingriffs ist, sei es ausdrücklich (in den Notstandsfällen), sei es infolge des zivilrechtlichen Übermaßverbotes (bei Notwehr und Selbsthilfe) oder sei es auch nur infolge der Entschädigungspflicht, die zwar keine formale Eingriffsvoraussetzung ist, aber doch Mißbrauch verhindert (bei den Verfolgungsrechten). Die für das Nachbarrecht typische Kosten-Nutzen-Relation, die voraussetzt, daß der Nutzen größer ist als der Schaden, findet sich allerdings nur beim agressiven Notstand und — praktisch — bei den Verfolgungsrechten. Beim passiven Notstand genügt es dagegen, wenn der Schaden nicht „außer Verhältnis" zum Nutzen steht. I n den Notwehr- und i n den Selbsthilfefällen genügt es sogar, daß das Verhältnis nicht deutlich mißbräuchlich ist (was beim Eingriff i n Leib und Leben aktuell werden kann). 3. Man könnte meinen, es sei unberechtigt, die so gekennzeichneten Fälle der Notstands-Kollision von denen der nachbarrechtlichen K o l lision systematisch zu sondern und ihnen damit, wenn die systematische Einordnung sinnvoll sein soll, auch eine dogmatisch unterschiedliche Stellung zuzuweisen. Die Parallelen zwischen beiden Arten von Kollisionen sind deutlich: Eingriffsbefugnisse zum Schutz wertvollerer Güter, also beides Fälle der Güterabwägung, zugleich aber auch i n beiden Fällen i m Interesse der Wahrung des Instituts des Eigentums eine Einschränkung dieses Eingriff sprinzips auf Sonderfälle; anders gesagt: Das Eingriffsprinzip als 48

§ 25 Abs. 2, S. 1 Nr. 2 L u f t V G , das Notlanderecht, also ein Spezialfall des agressiven Notstands, erwähnt die Kosten-Nutzen-Relation nicht. Das ist aus der N a t u r der Sache verständlich: Bei Notlandungen von Luftfahrzeugen sind i n aller Regel nämlich bei bemannten Luftfahrzeugen, auch Menschenleben i n Gefahr. Dann ist die agressive Notstandshandlung i m m e r berechtigt. Bei Notlandungen unbemannter Luftfahrzeuge dagegen w i r d man auf die Kosten-Nutzen-Relation des § 904 zurückgreifen müssen, — ein allerdings w o h l mehr theoretischer Fall, da von einer Notlandung i m Sinne eines N o t standes n u r bei gezielten — gesteuerten — Landungen gesprochen werden kann. Wo von einer solchen Landung nicht mehr gesprochen werden kann, liegt genau genommen schon Gefährdungshaftung vor. Die Alternative des § 25 Abs. 2, S. 1 Nr. 1 L u f t V G als F a l l der Notlandung zu regeln, w a r also an sich überflüssig. Die ganze Unterscheidung hat hier w e n i g praktischen Wert, da § 25 Abs. 3 L u f t V G bezüglich der Schadenabwicklung bei Notlandungen auf die Vorschriften über die luftverkehrsrechtliche Gefährdungshaftung verweist.

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Ausnahme vom umfassenden absoluten Schutz des „an sich" unbeschränkten Eigentums. Ein grundlegender Unterschied zwischen beiden Arten der Kollision liegt aber darin, daß die Eingriffsbefugnisse i m Nachbarrecht i m Interesse der Ermöglichung einer sinnvollen Wertschöpfung gegeben werden, i m Notstandsrecht aber i m Interesse der Verhinderung einer sinnvollen Wertvernichtung. Man würde sich vorschnell evtl. wichtiger Gesichtspunkte bei der Begründung etwaiger Analogieschlüsse oder der Differenzierung entschädigungsrechtlicher Folgen berauben, wenn man diesen Unterschied unbeachtet ließe. Ein deutlicher Unterschied liegt auch darin, wie es zur Kollision kommt: I m Nachbarrecht ist die K o l lision „notwendig", i m Notstandsrecht dagegen zufällig. Es liegt nahe, daß dem Gesetzgeber bei der „notwendigen Kollision", also bei K o l lisionen, die aus der Natur der Sache zugleich m i t der Existenz privaten Grundeigentums vorgegeben sind, weiterreichende Befugnisse zur Schaffung von Eingriffsrechten zustehen, als dort, wo es nur zufällig zu Kollisionen kommt. 4. öffentlich-rechtliche Parallelen in dem für das Nachbarrecht beschriebenen Sinn lassen sich beim Notstand nicht finden. Von der Natur der Sache her ist das nicht anders möglich: Notstandsfälle erfordern schon per definitionem sofortiges Handeln. Dann w i r d es nicht möglich sein, eine Konstruktion zu finden, i n der dieses sofortige Handeln von einer vorgängigen behördlichen Entscheidung abhängig gemacht wird.

IV. „Sonstige" private gesetzliche Eingriffsrechte Man könnte meinen, m i t privatrechtlichem Notstand und m i t dem Nachbarrecht seien die Kollisionsfälle, i n denen es zu privaten Eingriff srechten kommt, erschöpfend behandelt; oder auch anders gesagt: zulässige Eingriffe Privater i n Eigentum gebe es nur i m Nachbarrecht und i n den Fällen des Notstandes; alle anderen Einwirkungen seien gemäß § 1004 BGB verboten; insbesondere gebe es kein Prinzip, das generell einem Interessenten gestatte, etwa i n Eigentum nur deshalb einzugreifen, w e i l er erhebliche eigene Interessen geltend machen kann, denen anerkennenswerte Interessen des Eigentümers nicht entgegenstehen. Der Standpunkt des überkommenen Privatrechts dürfte sich i n der Tat so formulieren lassen. Danach wäre eine solche generelle Interessenabwägung unzulässig. Sie wäre vielmehr schon ein für alle mal i m Gesetz vorgenommen, nämlich i n der Weise, daß eben das Interesse des Eigentümers am ungestörten Besitz seines Eigentums nur i n den ausdrücklich geregelten Sonderfällen des Nachbarrechts und des Notstandes gelegentlich zurückstehen muß, während sonst sein

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§ 2. Private gesetzliche Eingriffsrechte und ö. I.

Interesse stets vorgeht. Das brauchte man nicht allein als Folge des § 903 BGB, des normgewordenen Denkmodells vom „an sich" unbeschränkten Eigentum 4 9 , anzusehen, der das Eigentum für nur insoweit eingeschränkt erklärt, als das ausdrücklich angeordnet ist. Man könnte hier auch eine normativ gemeinte Güterabwägung annehmen, die darüber hinausgehende Abwägungen für unzulässig erklärt. Diese Meinung entspricht nicht nur dem überkommenen Standpunkt des geltenden Privatrechts, sondern darüber hinaus auch wohl der heute zumindest i m Privatrecht verbreiteten verfassungsrechtlichen Vorstellung vom „Wesen" des Eigentums. Es w i r d heute jedenfalls erst sehr zaghaft versucht, dem zu entkommen. Die folgenden Ausführungen sollen verdeutlichen, daß dies immerhin bewußt oder auch unbewußt doch schon häufiger geschieht, als man annehmen könnte. M. E. liegen hier für die Privatrechtsdogmatik wesentliche Ansatzpunkte für eine neue Sicht der Eigentumsproblematik verborgen. Durchbrechungen des angedeuteten überkommenen lassen sich heute i n folgenden Fällen feststellen:

Standpunkts

1. Der Mieter einer Wohnung i n einem Mehrfamilienhaus möchte aus Anlaß eines Wahlkampfes ein Spruchband m i t den Parolen seiner Partei aus dem Fenster hängen. Der Hauseigentümer w i l l i h m das verbieten. Es w i r d sich kaum jemand finden, der dem Eigentümer Unrecht gibt. Das Interesse des Mieters an politischer Meinungsäußerung mag noch so stark sein und sogar grundgesetzlich geschützt, das Interesse des Eigentümers als Eigentümer noch so geringfügig beeinträchtigt sein, — nie w i r d das Interesse des Mieters das Recht des Eigentümers überwinden können. Die politische Tätigkeit ist hier Eigentumsverletzung — weil durch den Mietvertrag nicht gedeckt — und damit verboten. Nur diese Interessenabwägung ergibt sich aus dem Gesetz. Jeder Eingriff i n Eigentum außerhalb von Nachbarrecht und Notstand ist verboten. I m übrigen w i r d ein Eingriffsinteresse — und sei es noch so stark — nicht geschützt. Diese Banalitäten werden hier natürlich nur deshalb dargestellt, weil es inzwischen eben doch nicht mehr ganz zweifelsfrei ist, ob sie noch unumschränkt geltendes Recht sind: Gerade der soeben geschilderte Fall des „politischen Mieters" hat dem BVerfG Anlaß zu einer gänzlich neuen Betrachtungsweise gegeben 50 . Das BVerfG hat zwar i n dem geschilderten Fall das Unterlassungsbegehren des Eigentümers für berechtigt erklärt. Aber die Begründung des Urteils zeigt deutlich eine Auffassung, die das bisherige System (Eingriffsbefugnisse Privater nur i m Nachbarrecht und i n Notstandsfällen) radikal i n Frage stellt. 49 50

Dazu eingehend u., § 3. BVerfGE 7, 230 ff.

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Das Gericht verwirft die Verfassungsbeschwerde des Mieters nicht etwa als unzulässig (z. B. weil kein verfassungsrechtliches Problem vorliege) oder etwa deswegen als unbegründet, weil die Interessenabwägung zwischen Eigentümer und Dritten schon i m einfachen Gesetz aufgrund der Kompetenz aus § 14 Abs. 1, S. 2 GG ein für alle mal vorgenommen worden sei. Vielmehr nimmt das BVerfG — und das ist das Überraschende und Bedeutsame an dieser Entscheidung — selbst die fallentscheidende Interessenabwägung vor; und diese Abwägung ist nicht am BGB orientiert! Wesentliches Argument des BVerfG ist nämlich, daß einerseits der Mieter bei einem Verbot i n seinem Hecht auf freie Meinungsäußerung nicht wesentlich beeinträchtigt wurde, andererseits aber der Eigentümer nicht auf „Wahrung seiner formellen(!) Eigentümerbefugnisse" pochte, sondern die politische Werbung nur untersagen wollte, u m den Hausfrieden zwischen den Mietern i n seinem Haus nicht zu gefährden. Erst diese Abwägung bringt das BVerfG dazu, die Verfassungsbeschwerde abzuweisen, also den Abwehranspruch aus § 1004 BGB für gegeben anzusehen. Die Konsequenzen einer derartigen Begründung liegen auf der Hand: I n einem Fall, i n dem der Eigentümer nur auf seine „formellen Eigentümerbefugnisse pochen" würde, wäre der Anspruch aus § 1004 BGB gegenüber gewichtigen Interessen Dritter zu versagen, also etwa dann, wenn es nicht u m Mieter i n einem Mietwohnhaus ginge, sondern u m den Mieter eines Bungalows, der i n dem mitgemieteten Garten eine Werbetafel m i t politischen Plakaten errichtet 51 . Es ist zwar ein derartiger oder vergleichbarer krasser Fall — soweit ersichtlich — noch nirgends entschieden worden. Man müßte aber annehmen, daß das BVerfG i h n gegen den Eigentümer entscheiden würde. Das ist deshalb umso wahrscheinlicher, als die besprochene Entscheidung sich bereits auf eine grundlegende Auffassung vom Verhältnis von Verfassungsrecht und Privatrecht stützen kann: „Da i m Zusammenleben i n einer großen Gemeinschaft sich notwendig ständig Interessen» und Rechtskollisionen zwischen den einzelnen ergeben, hat i m sozialen Bereich ständig ein Ausgleich und eine Abwägung der einander entgegenstehenden Rechte nach dem Grade ihrer Schutzwürdigkeit stattzufinden", lautet der fundamentale Satz des BVerfG i n einem anderen Urteil 5 2 . Diesen Ausgleich hat das BGB i n seinem Bereich nicht ein für alle mal festliegend vorgenommen, vielmehr ist bei Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften stets die von der Verfassung aufgerichtete Wertordnung zu beachten; auch das Privat51 52

Angenommen, dies sei durch den Mietvertrag nicht gedeckt. BVerfGE 7, 198 ff., 220 (Lüth-Urteil).

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recht ist i n diesem Sinne auszulegen und anzuwenden 53 . Zum Wertsystem der Verfassung aber gehört der Satz, daß sich auch die i n der Verfassung garantierten Rechte nicht absolut durchsetzen: „Es w i r d deshalb eine Güterabwägung erforderlich: Das Recht zur freien Meinungsäußerung muß zurücktreten, wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt würden. Ob solche überwiegenden Interessen vorliegen, ist aufgrund aller Umstände des Falles zu ermitteln 5 4 . Das Urteil über den politischen Mieter macht dann noch einmal deutlich, daß dieser Grundsatz der Güterabwägung nicht etwa nur bei der Kollision zwischen Freiheit der Meinungsäußerung und Ehre gilt, sondern bei jeder Kollision zwischen allen grundrechtlich geschützten Positionen 55 . Damit w i r d das Eigentumsrecht durch A r t . 14 GG nicht nur insoweit geprägt, als es u m die Position des Eigentümers gegenüber hoheitlichen Eingriffen geht. Vielmehr w i r d auch das gesamte private Eigentumsrecht des BGB aufgesprengt. Es w i r d eine neue Generalklausel imputiert, die private Eingriffe i n privates Eigentum auch dort gestattet, wo solche Eingriffe nach BGB eindeutig verboten sind. Das Eigentum als subjektives Recht w i r d damit weit über den bisher üblichen Rahmen hinaus relativiert. Dieses i n der verfassungsrechtlichen Diskussion inzwischen weitgehend hingenommene Ergebnis ist i n dem Bereich, i n dem es i n die Praxis umzusetzen wäre, i n der Privatrechtsdogmatik, bis heute wenig beachtet worden 56 . Nach allem kann es nicht mehr genügen, einen Eingriff Privater in Eigentum m i t dem einfachen Hinweis darauf abzutun, daß der betreffende Eingriff vom Gesetz nicht ausdrücklich gestattet und daher gem. § 1004 BGB verboten sei. Vielmehr muß — genau genommen — 53

Vgl. BVerfGE 7, 204 ff. BVerfGE 7, 210/211. Das w i r d heute i m öffentlich-rechtlichen, verfassungsrechtlichen Schriftt u m schon überwiegend f ü r richtig gehalten, vgl. vor allem Haberle , Wesensgehaltgarantie, passim, insbesondere S. 31—69, m i t seinen vehementen A n griffen gegen das überkommene „Eingriffs- u n d Schranken-Denken". Damit soll allerdings nicht gesagt sein, daß man dieses Denken n u r m i t dem von Häberle stark propagierten institutionellen Denken überwinden könnte. V i e l mehr ist das Eingriffs- u n d Schrankendenken als normative K r a f t bereits dann ausgeschaltet, w e n n man es — w i e hier — lediglich als einen bequemen, vielleicht unentbehrlichen Denkbehelf ansieht (dazu v o r allem u., § 3). 56 V o n dem überall auftauchenden — aber unfruchtbar bleibenden — Bekenntnis zur Sozialbindung des Eigentums — insbes. i m Nachbarrecht — (dazu eingehend u., S. 146 f.) abgesehen (Ausnahme ist der Aufsatz Küblers i n A c P 159, 236). Es wäre aber gerade die Privatrechtsdogmatik berufen, diese Probleme zu diskutieren. Sie würde dabei gewiß auch gewichtige Einwände machen können; zwar w o h l nicht gegen das neue generelle Güterabwägungsprinzip überhaupt, aber doch i n Richtung einer Forderung nach seiner sehr engen Begrenzung. Die vorliegende Untersuchung behandelt einen solchen E i n w a n d u., S. 118 ff., w o es u m die Begrenzung nachbarrechtlicher Eingriffsbefugnisse aus dem Prinzip der ökonomisch sinnvollen Güternutzung geht. 54

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stets geprüft werden, ob nicht für den Eingreifer eine verfassungsrechtlich geschützte Position besteht, die i m konkreten Einzelfall schutzwürdiger ist als die des Eigentümers. 2. Trotz der verfassungsrechtlichen Fundierung mag dieses Ergebnis — zumindest i n seiner Anwendung auf das Eigentumsrecht — immer noch sehr befremdlich und zweifelhaft wirken. Es ist daher auf eine weitere Fallgruppe hinzuweisen, bei der genau diese Rechtslage bereits heute m i t wesentlich weniger Unwillen hingenommen w i r d und die Problematik — nämlich der scharfe Gegensatz zum überkommenen System des Eigentumsrechts — schon nicht mehr so scharf empfunden wird. Es handelt sich u m die Frage des Rechts der Gewerkschaften auf Mitgliederwerbung im Betrieb 57. Man kann diese Frage m i t einem Hinweis auf das Vertretungsrecht des Betriebsinhabers aus Eigentum verneinen. Das ist i n der Tat oft geschehen58. Inzwischen ist aber die deutlich vorherrschende Meinung zu einer Interessenabwägung übergegangen und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß der Eigentümer i. d. R. keinen Abwehranspruch hat. Dabei w i r d allerdings i n Einzelheiten unterschiedlich argumentiert: Brox 59 meint, wegen § 903 B G B u n d A r t . 14 Abs. 1, S. 2 GG müsse, w e n n m a n dem Eigentümer das Abwehrrecht bestreiten wolle, ein „Gesetz" gefunden werden, auf das m a n sich berufen könne 8 0 . Neumann-Duesberg 61 meint, die Mitgliederwerbung der Gewerkschaften i m Betrieb sei „sozialadäquat" u n d deshalb nicht rechtswidrig. Säcker 62 u n d das B A G 6 3 entnehmen das Recht auf Mitgliederwerbung i m Betrieb direkt aus A r t . 9 Abs. 3 GG.

I n den dahinterstehenden Begründungen zeigt sich aber eine auffallende Ubereinstimmung darin, daß sie letztlich sämtlich auf eine Güterabwägung zurückgreifen: Wenn man 6 4 versucht, den fraglichen Anspruch aus einer lückenausfüllenden, ergänzenden Auslegung des BetrVG zu entnehmen und dabei dann u. a. darauf abstellt, daß diese 57

o. ä.

Durch Plakate u n d Anschläge an dem firmeneigenen

„schwarzen B r e t t "

58 L A G Hannover, zitiert bei Brox , B B 1965, 1321; Rewolle, Betrieb 1965, 364ff.; Hohn, B B 1965, 545; weitere Nachweise bei B A G N J W 1967, 843. 69 B B 1965, 1321. 80 Brox findet dieses Gesetz i m BetrVG, i n dem er durch ergänzende A u s legung i m Wege der Lückenausfüllung einen Anspruch auf Duldung der Werbung findet. Diese Methode w i r d von Säcker (BB 1966, 902 ff., 907 ff.) u n d Neumann-Duesberg (BB 1966, 700 ff.) w o h l zutreffend damit kritisiert, daß Lückenausfüllung methodisch n u r dort zulässig sein kann, w o m a n von einem Gesetz die Regelung des betreffenden Punktes eigentlich erwarten könnte, was beim B e t r V G bezüglich der Mitgliederwerbung i m Betrieb nicht der F a l l sei. 61 a.a.O. 62 a.a.O. 83 N J W 1967, 843 ff. 64 Wie Brox , a.a.O.

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§ 2. Private gesetzliche Eingriffsrechte und ö. I.

Auslegung das „Wertsystem der Verfassung" beachten muß, also auch die Koalitionsfreiheit, dann t u t man i m Grunde nichts anderes, als das BVerfG, wenn es generell von einer gegenseitigen Begrenzung und Einschränkung aller Grundrechte spricht 85 . Der Inhalt des Eigentums w i r d durch Interessenabwägung m i t anderen grundrechtlich geschützten Positionen relativiert, ob man das nun, wie das BVerfG, offen ausspricht, oder ob man bestehende Gesetze i m Geiste des Wertsystems des GG ergänzend auslegt und so — scheinbar — i m System der bisherigen eigentumsrechtlichen Vorstellungen bleibt. Allerdings hat diese Methode deutlich einen Vorteil: Sie läßt nur eine langsame, vorsichtige Rechtsfortbildung zu, während die vorbehaltlose Anerkennung einer „generellen Grundrechtekollision" leicht zu unabsehbaren Entwicklungen führen könnte, zu allgemeiner Rechtsunsicherheit, da sie einen Standpunkt vermittelt, von dem aus das gesamte System des privaten Eigentumsrechts radikal i n Zweifel gezogen und aus den Angeln gehoben werden könnte. Davor ist zu warnen 8 6 . NeumannDuesberg 67 t u t i m Grunde nichts anderes, nur nennt er das, was er m i t dieser Güterabwägung begründet, nicht „Lückenausfüllung", sondern „Sozialadäquanz"; er stellt darauf ab, daß die Mitgliederwerbung für die Gewerkschaft zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben notwendig ist, für den Betriebsinhaber aber zumutbar 6 8 . Säcker und das B A G 8 9 schließlich argumentieren letztlich ebenfalls m i t einer Güterabwägung, wenn sie meinen, A r t . 9 Abs. 3 GG verleihe nicht nur die Möglichkeit zu tariflicher A k t i v i t ä t , sondern auch alle diejenigen Befugnisse, die unerläßlich sind, u m diesen Verfassungsauftrag zu erfüllen, und dem dann die Interessen des Betriebsinhabers als nur minimal tangiert gegenüberstellen 70 . Beide bringen dieses Argument allerdings i m Gewände der Enteignungsproblematik. Wie immer man zu dieser Frage steht — man w i r d ins Auge fassen müssen, daß das System des BGB bezüglich der privatrechtlichen Beziehungen des privaten Eigentümers durch die Verfassung modifiziert sein kann, daß es also etwas wie die hier so bezeichnete „allgemeine 65 So verweist Brox, a.a.O., S. 1324 Fn. 57 ausdrücklich auf BVerfGE 7, 205, allerdings n u r zur Stützung seiner Auslegungsmethode. 66 Vgl. dazu etwa Kriele, Rechtsgewinnung, S. 262 ff., der bei aller Sympathie f ü r Methoden, die eine Rechtsfortbildung erlauben, doch auch einem „gemäßigten Konservativismus" das W o r t redet. 87 a.a.O. 68 Ferner darauf, daß diese Werbung üblich sei, zudem die gegenseitigen Beziehungen zwischen Arbeitgeber u n d Arbeitnehmer verbessere u n d i m übrigen der Sozialpflichtigkeit des Betriebs entspreche; (dieses letzte A r g u ment geht fehl, w e i l es etwas unterstellt, was gerade erst erwiesen werden sollte u n d m i t den übrigen Argumenten auch hinreichend begründet war). 69 Jeweils a.a.O. 70 Säcker, a.a.O., S.704; B A G N J W 1967, 843 ff.

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Grundrechtekollision" gibt 7 1 . Das w i r d hier nicht u m seiner selbst w i l len dargestellt, sondern deshalb, weil sich von hierher Impulse ergeben können für eine neue Betrachtungsweise i m Nachbarrecht. Auch dort herrscht bislang Gesetzespositivismus. Dieser ist allerdings bereits durch den Gedanken des „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" vorsichtig aufgelockert worden 7 2 . Der vom BVerfG i n der o. g. Rechtsprechung eingeleitete und i n der zitierten Literatur deutlich sichtbare Trend zu einer Verallgemeinerung des Gedankens der Güterabwägung könnte diese Tendenz i m Nachbarrecht noch unterstützen und insbesondere dort die Argumentation verstärken, wo sich diese Betrachtungsweise bislang noch nicht durchgesetzt hat 7 3 . Darauf w i r d zurückzukommen sein 74 . 3. Eine weitere Bestätigung finden diese Gedanken i m „sozialen Mietrecht", sei es i m alten Mieterschutzrecht, sei es i m neuen § 556 a BGB. I n beiden Fällen hat der Mieter Rechte zum Eingriff i n Eigentum, nämlich zur Nutzung gegen den Willen des Eigentümers. I m Falle des Mieterschutzes mag man dieses Recht noch als ein — vorliegend n i d i t interessierendes — vertragliches Recht ansehen. Es ist aber nur eine sehr äußerliche Frage der rechtstechnischen Konstruktion, ob das Gesetz dem Eigentümer Kündigungsmöglichkeiten nimmt, also nur Mietverträge m i t derartigen Erschwerungen der Kündigung zuläßt, oder ob es zuläßt, daß ein Mieter bei Vorliegen bestimmter Gründe ex lege Anspruch auf längeres Verbleiben i n der Wohnung hat. I n jedem Falle handelt es sich u m Rechte des Mieters, die i h m der Eigentümer nicht freiwillig eingeräumt hat. I n beiden Fällen handelt es sich daher u m gesetzliche Einwirkungsrechte, auch wenn das Gesetz sie so konstruiert, daß es sich vom Augenblick ihrer Begründung ab u m vertragliche Rechte handelt. Diese Rechte des Mieters i m sozialen Mietrecht sind also ein weiterer Fall von Eingriffsrechten außerhalb des bisherigen, überkommenen Systems 75 . Eingriffskriterium ist hier der Gedanke des Sozialen. 71 Die verfassungsrechtliche Problematik, w i e sie etwa Häberle, (vgl. o., S. 40 Fn. 55) darstellt (Abkehr v o m Eingriffs- u n d Schranken-Denken), zeigt hier also wichtige privatrechtliche Folgen. M i t allem w i r d der bekannte Problemkreis der „ D r i t t w i r k u n g " der Grundrechte angesprochen, was hier aber nicht allgemein vertieft zu werden braucht, (vgl. dazu etwa Raiser , G r u n d gesetz u n d Privatrechtsordnung; Leisner , Grundrechte u n d Privatrecht. K ü h ler, AcP159, 236, der insbes. f ü r das Eigentumsrecht die Verbindungslinien zwischen Verfassung u n d Privatrecht herausarbeitet, spricht von „ P r i v a t rechtswirkung" des A r t . 14 GG u n d v o n „ A r t . 14 Abs. 2 GG als Privatrechtsn o r m " , vgl. dazu eingehender u., S. 146 f.). 72 Der B G H hat aber wieder eine strengere A n l e h n u n g an das gesetzte Nachbarrecht propagiert, vgl. B G H Z 38, 61 ff.; dazu auch u., § 5 I I I . 78 A u c h der besprochene arbeitsrechtliche F a l l könnte i n dieser Weise überzeugender als bisher begründet werden. 74 Vgl. u., § 9 I V 4 c. 75 Z u den Grenzen des Gesetzgebers bei der Schaffung solcher Rechte zugunsten v o n Mietern vgl. BVerfGE 18, 131 f.

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Es w i r d hier besonders deutlich, w o r i n dieser Gedanke letztlich besteht: Es ist, wie das B V e r f G 7 6 sagt, die Bedeutung, die die Wohnung als M i t t e l p u n k t der menschlichen Existenz hat, die zur Schaffung der Eingriffsrechte des sozialen Mietrechts führt. Es ist also sozusagen die Person als solche, die m i t dem Recht des Eigentümers kollidiert. Der Mieter hat Rechte gegenüber dem Eigentum allein aus seiner Person heraus. M a n braucht nicht Eigentum, Vermögen, Vertragsansprüche zu haben, auch schon die bloße menschliche Existenz allein k a n n Rechte gegenüber Eigentum geben. Das w a r bislang allenfalls aus dem privaten Notstandsrecht bekannt 7 7 .

Eindeutige Schlüsse auf die konkrete Gestaltung des Mietrechts können daraus allerdings nicht gezogen werden. Es bleibt daher nötig, daß der Gesetzgeber die Voraussetzungen derartiger Rechte des Mieters tatbestandlich detailliert fixiert. 4. Als einer der am meisten problematischen Fälle eines privaten Einwirkungsrechtes ist schon hier der der sog. Mehrheitsumwandlung vorzustellen (obwohl er erst an späterer Stelle der Untersuchung abschließend beurteilt werden kann 7 8 ): Gemäß §§1, 9, 15 des Gesetzes über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften und bergrechtlichen Gewerkschaften vom 12. Nov. 1956 (UmwG) 7 9 kann eine Kapitalgesellschaft i n der Weise umgewandelt werden, daß ihr Vermögen unter Ausschluß der Abwicklung auf einen Aktionär übertragen wird. Solange alle A k t i e n i n einer Hand sind, ist hier nichts Problematisches. Die Umwandlung durch Übertragung des Vermögens auf einen Aktionär ist aber auch dann möglich, wenn mehrere Aktionäre vorhanden sind. I n diesem Falle bedarf es nicht etwa einer Willensübereinstimmung aller Aktionäre, vielmehr kann ein Aktionär, der eine Mehrheit von über 75 °/o besitzt, die Umwandlung, d. h. die Ubertragung des Vermögens der Aktiengesellschaft auf sich, auch gegen den Willen der Minderheit durchführen. Die Übertragung hat also zur Folge, daß der Minderheit durch den Willen des Mehrheitsaktionärs ihr Aktienrecht genommen wird. Das Aktienrecht des Einzelnen erlischt m i t der Umwandlung. Damit ist dem Mehrheitsaktionär die Möglichkeit gegeben, auf das Recht anderer, der Minderheitsaktionäre, einzuwirken, es sogar zum Erlöschen zu bringen. Das ist nicht etwa die Ausübung eines staatichen Enteignungsrechtes durch den Mehrheitsaktionär, sondern Ausfluß seines ihm durch das 76

Vgl. BVerfGE 18, 131/132. Einen Versuch, den Schutz gegen schädliche Immissionen nicht n u r v o m Grundeigentum her zu sehen, sondern auch aus dem Persönlichkeitsrecht her zu begründen — u n d zu erweitern —, b r i n g t die Schrift von Forkel: Immissionsschutz u n d Persönlichkeitsrecht (1968). 78 Vgl. u., § 5 I I I . 79 BGBl. I , 844. 77

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Gesetz zugestandenen Rechtes zu einer „Umgestaltung der privatrechtlichen Beziehungen zwischen den Aktionären" 8 0 . Auch die Entscheidung des Registergerichts über die Eintragung der Umwandlung i n das Handelsregister ist kein hoheitlicher Eingriff i n das Aktienrecht der Minderheitsaktionäre, denn sie stellt lediglich fest, daß der Eintragung kein rechtliches Hindernis entgegensteht 81 . Schließlich kann auch die Einräumung der Umwandlungsbefugnis an die Hauptversammlung, praktisch also an den Mehrheitsaktionär, keine Enteignung sein. Eine Legalenteignung — allein diese kommt insoweit i n Betracht — liegt deshalb nicht vor, weil das U m w G nicht unmittelbar i n das Aktienrecht eingreift. „Es grenzt für den Fall der Umwandlung die Befugnisse zwischen Mehrheit und Minderheit i n einer Aktiengesellschaft allgemein ab; eine solche Rechtsetzung ist nicht an sich schon eine Enteignung 82 ." Daraus folgt, daß auch das Recht zur Mehrheitsumwandlung als privates Einwirkungsrecht anzusehen ist. Nach Meinung des BVerfG liegen Existenz und Ausübung dieser Befugnis i m öffentlichen Interesse, denn das Interesse des Mehrheitsaktionärs sei für die Gemeinschaft wichtiger als das Interesse des Minderheitsaktionärs. Denn unternehmerische, wertschöpfende Initiative und Konzentration zu größeren Unternehmenseinheiten förderten das Gemeinwohl 83 . Ob diese gesetzgeberischen Erwägungen, die zu der Regelung führten, billigenswert sind, ob sie die gesetzliche Regelung rechtfertigen können und ob das zitierte Urteil des BVerfG i m Ergebnis richtig ist, kann hier noch nicht beurteilt werden 84 . 5. Allen vier i n diesem Abschnitt besprochenen Fällen ist also gemeinsam, daß man sagen kann, an den Eingriffsbefugnissen bestehe öffentliches Interesse, sei es das Interesse an gesamtwirtschaftlich wünschenswerter Unternehmenskonzentration, sei es an Erhaltung von Wohnmöglichkeiten i n sozialen Härtefällen, sei es an Förderung gewerkschaftlicher oder an politischer Betätigung. A l l e n diesen Fällen ist aber ferner gemeinsam, daß sie privatrechtlich konstruiert sind, daß sie private Eingriffsrechte sind. Die Frage ist dann, ob sie trotzdem als Enteignungsfällle anzusehen sind, zumindest als Fälle, i n denen die Problematik der Abgrenzung zwischen Sozialbindung und Enteignung auftaucht. 80 81 82 83 84

So BVerfGE 14, 263 ff., 277 („Feldmühle"). So auch B V e r f G a.a.O. So B V e r f G a.a.O. BVerfGE 14, 280, 282. Dazu jedoch u., § 5 I I I .

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§ 2. Private gesetzliche Eingriffsrechte und ö. I.

Falls man das wegen der privaten Natur der Eingriffsrechte verneint, ist weiter zu fragen, ob sie vielleicht dann enteignungsrechtlich zu beurteilen sein würden, wenn sie öffentlich-rechtlich konstruiert worden wären, wenn etwa das U m w G bei der Mehrheitsumwandlung den konstitutiv wirkenden Beschluß einer Behörde vorgesehen hätte oder wenn i m sozialen Mietrecht der Mietvertrag durch Beschluß eines Mieteinigungsamtes verlängert würde.

V. Zusammenfassung Zusammenfassend kann gesagt werden: Es liegt nahe, zumindest alle diejenigen Eingriffsrechte, die erst durch einen besonderen Hoheitsakt entstehen, als Enteignungen anzusehen. Jedenfalls liegt das dann nahe, wenn man als Enteignung jeden Hoheitsakt ansieht, der i n Eigentum eingreift und den Eigentümer als einzelnen ungleich trifft („Sonderopfer") und/oder i h m gegenüber unzumutbar schwer w i r k t . Die aufgezählten Fälle dieser A r t fallen unter den so definierten Enteignungsbegriff: Es werden den Betroffenen die Ansprüche aus § 1004 BGB genommen, die sie nach den gesetzlichen Vorschriften „an sich" hätten. Das trifft sie gegenüber anderen Eigentümern ungleich und i n der Regel auch unzumutbar schwer. Zugleich aber müsssen Zweifel daran aufkommen, ob die Einordnung dieser Fälle als Enteignung richtig ist. Diese Zweifel basieren darauf, daß, wie dargestellt, alle Fälle der unter Einschaltung von Hoheitsakten konstruierten Eingriffsrechte eine rein privatrechtliche Parallele haben, i n der dieser Hoheitsakt fehlt, das Eingriffsrecht dem Eigentümer also schon unmittelbar kraft Gesetzes zusteht. Wenn man diese und sogar den Fall des U m w G nicht als Enteignung einordnet (weil es am Hoheitsakt fehlt), jene aber doch (weil eben ein Hoheitsakt eingeschaltet ist), so würde die verfassungsrechtliche Beurteilung dieser Fälle von ihrer rechtstechnischen Konstruktion abhängen und damit vom Belieben des einfachen Gesetzgebers. Dieser könnte m i t Hilfe rechtstechnischer Konstruktion manipulieren, ob die genannten Fälle an den Voraussetzungen zu messen sind, die die Verfassung für die Enteignung aufstellt oder nicht. Daraus ist zu schließen: Eine unterschiedliche verfassungsrechtliche Qualifikation aufgrund der verschiedenen rechtstechnischen Konstruktionen kann nicht richtig sein. Entweder müssen auch die unmittelbar kraft Gesetzes bestehenden Eingriffsrechte wie Enteignungen behandelt werden, oder aber die

V. Zusammenfassung

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erst durch Hoheitsakt eingeräumten Befugnisse sind private Eingriffsrechte. Wie hier zu entscheiden ist, läßt sich nicht m i t wenigen Worten darlegen. Es muß vielmehr zunächst ein grundlegendes Mißverständnis aufgeklärt werden, dem heute Rechtsprechung und Lehre weitgehend unterliegen, nämlich einer wenig durchdachten Anwendung des Begriffs des öffentlichen Interesses, dem, wie sich zeigen wird, bei der Enteignung und bei den privaten Eingriffsrechten eine völlig unterschiedliche Bedeutung zukommmen muß. Zuvor ist ferner zu klären, was man i m Eigentumsrecht unter dem Terminus „Eingriff" (und unter „Inhaltsbestimmmung") zu verstehen hat.

§ 3. „Eingriff" und „Inhaltsbestimmung" beim Eigentum I. Die Eingriffs- und Inhaltsvorstellung im allgemeinen 1. Es liegt nahe, in einem „Eingriff" i n Eigentum einen anormalen, exzeptionellen, wenig wünschenswerten, ja prinzipiell abzulehnenden Vorgang zu sehen. Infolgedessen fühlt man sich vielfach gezwungen, offenbar notwendige Abstriche von einem unbegrenzten Eigentümerbelieben nicht als „Eingriffe" zu bezeichnen. Alle Formulierungen von „Schranken", „immanenten Schranken", „Grenzen", „Begrenzungen", „Inhaltsbestimmung", „Sozialbindung" und „Pflichtigkeit" nehmen hier ihren Ausgang. Wo man der unwillkürlich als negativ empfundenen Kennzeichnung „Eingriff" entkommen w i l l , muß man das Eigentum als begrenzt definieren. Das ist materiell-rechtlich i n keiner Weise falsch. Gewiß ist das Eigentum materiell, inhaltlich, kein unbegrenztes Recht. Ein vollkommenes, „natürliches" Eigentümerbelieben ist nie Rechtszustand gewesen. Freies, unbegrenztes Belieben kann kein Rechtszustand sein. „Recht" ist Begrenzung. 2. So richtig die Vorstellung eines begrenzten Eigentums also inhaltlich auch ist, so sehr muß klargestellt werden: Sie ist denkökonomisch völlig unpraktikabel. Sie könnnte unter diesem Aspekt durch wesentlich bessere Vorstellungen ersetzt werden, die inhaltlich nichts anderes besagen, m i t deren Hilfe aber die inhaltlichen Probleme des Eigentums viel leichter dargestellt und diskutiert werden könnnten. Eine solche Unterscheidung zwischen inhaltlicher Richtigkeit und denkökonomischer Praktikabilität juristischer Begriffe mag ungewöhnlich sein, an ihrer Zulässigkeit w i r d nicht gezweifelt werden können: „Das Eigentum" als Rechtsbegriff ist nicht ein raum-zeitlicher, körperlicher Gegenstand, für den es nur eine richtige Darstellung wie bei der Beschreibung einer realen Existenz gäbe. Vielmehr ist „die juristische Welt, i n formaler Betrachtung, eine Welt von nicht existenten irrealen Größen, eine Welt abstrakter Begriffe, die lediglich Produkte menschlicher Denkkraft sind und daher auch allein i n der menschlichen Vorstellung ein Dasein führen" 1 . Nichts spricht gegen Versuche, eben diese „irrealen Produkte menschlicher Denkkraft" so zu fassen, wie sie von 1

Böhmer,

Festschrift für Dölle, Bd. I, S. 7/8.

I. Die Eingriffs- und Inhaltsvorstellung im a e

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dieser Denkkraft am besten gehandhabt werden könnnen, also die abstrakten Begriffe so zu formen, daß sie sich des materiellen Hechtsgehalts, den es darzustellen gilt, auf die praktikabelste Weise bemächtigen können. 3. Weder die negative Akzentuierung der „Eingriffs"-Vorstellung, noch die — von ihr ausgelöste — Vorstellung von dem von Anfang an inhaltlich begrenzten Eigentum sind denkökonomisch optimale Darstellungsweisen. Die Unterscheidung zwischen Eingriff und Inhaltsbestimmung überschneidet sich m i t der Unterscheidung zwischen Maßnahmen, die der Eigentümer entschädigungslos hinzunehmen hat und solchen, für die i h m Entschädigung zusteht. Das Verhältnis beider Unterscheidungen zueinander ist unklar: a) Nicht selten leugnet man überhaupt einen Zusammenhang zwischen ihnen. Das ist dann der Fall, wenn man Inhaltsbestimmungen annimmt, die eine Entschädigungspflicht auslösen2. Ebenso geschieht das dann, wenn man umgekehrt jede „Eingriffs"-Möglichkeit als Inhaltsbestimmmung kennzeichnet 3 . I n beiden Fällen wäre es sinnlos, die Vorstellungen „Eingriff" und „Inhaltsbestimmung" beizubehalten. Denn es nicht ersichtlich, welche rechtsinhaltliche Konsequenz diese Qualifizierungen noch haben könnten, wenn sie nicht m i t der Abgrenzung entschädigungspflichtig— entschädigungslos korrespondierten. b) Von hierher gesehen erscheint es als sinnvoller, einen Bezug zwischen diesen beiden Abgrenzungen herzustellen, also Eingriff und Entschädigungspflicht auf der einen Seite sowie Inhaltsbestimmung und Entschädigungsausschluß auf der anderen Seite zu koppeln. Dies w i r d denn heute auch weit überwiegend getan. Die Enteignungsrechtsprechung des B G H geht seit jeher von dieser Gleichstellung aus. U m die Frage Sozialbindung (Inhaltsbestimmung) oder Enteignung (Eingriff) geht es hier stets i m Zusammenhang m i t der Entschädigungsfrage. Aber auch diese Gleichsetzung scheint wenig sinnvoll und i m Gegenteil sogar insofern gefährlich zu sein, als sie manche Mißverständnisse nahelegt: M a n muß sich vor allem fragen, welches der beiden Gegensatzpaare das primäre ist, d. h., ob aus der Qualifizierung „entschädigungslos" oder „entschädigungspflichtig" die Qualifizierung „Inhaltsbestimmung" oder „Eingriff" folgt oder ob man umgekehrt zunächst feststellen muß, ob „Inhaltsbestimmung" oder „Eingriff" vorliegt, u m die Entschädigungsfrage entscheiden zu können. 2

Vgl. Wolfg. Schulte, S. 25. Wie das Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 223, t u t , w e n n er sagt, es gebe keine rechtmäßigen Eingriffe; oder auch v. Mangoldt-Klein, A r t . 14. A n m . I V 2, S. 430, die sogar die Enteignung als „Inhaltsbestimmung" kennzeichnen; ebenso R. Schneider, V e r w A r c h 1967, 216. 3

4 Schulte

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§ 3. „Eingriff" und „Inhaltsbestimmung" beim Eigentum

Angenommen, das letztere Vorgehen sei richtig, so fragt sich weiter, nach welchen Kriterien man zunächst feststellen kann, was Inhaltsbestimmung und was Eingriff ist. K r i t e r i u m kann nicht die Entschädigungsfrage sein, denn gerade diese soll ja erst gelöst werden. Kriterien können dann also nur die i n Rechtsprechung und Literatur entwickelten Abgrenzungsmerkmale „Sonderopfer", oder „Eingriffsschwere" oder „Situationsgebundenheit" oder „Zweckentfremdung" o. a. (oder auch alle zugleich 4 ) sein. Steht aber nach Prüfung dieser Kriterien fest, daß Eingriff oder daß Inhaltsbestimmung vorliegt, dann ist damit automatisch auch gesagt, ob entschädigt werden muß oder nicht. Dann könnte man aber genauso gut die Qualifizierungen Eingriff und Inhaltsbestimmung überspringen und aus der Prüfung der genannten Kriterien sofort die Frage der Entschädigung entscheiden. Die Einordnung als Eingriff oder als Inhaltsbestimmung wäre überflüssig. Geht man aber anders vor und sieht i n der Frage nach der Entschädigungspflicht die vorrangige Qualifizierung, an die sich dann automatisch die Bezeichnungen Eingriff und Inhaltsbestimmung anhängen, so sind diese Bezeichnungen nicht weniger entbehrlich: Sie können erst dann angewendet werden, wenn die entscheidende rechtsinhaltliche Frage nach der Entschädigungspflicht bereits beantwortet ist. Die nachträglich angehängten Ausdrücke Eingriff oder Inhaltsbestimmung sind dann nur andere Namen für dieselbe Sache. c) Wie man es also auch wendet — wenn man keinen Zusammenhang zwischen den beiden Gegensatzpaaren herstellt, aber auch, wenn man sie als miteinander korrespondierend ansieht —, i n jedem Falle ist eines von ihnen überflüssig. Dieses überflüssige Paar können nur die Begriffe Inhaltbestimmung und Eingriff sein. A u f die Qualifizierung entschädigungslos—entschädigungspflichtig kann nicht verzichtet werden, weil sich i n ihnen die entscheidende Rechtsfolge ausdrückt. 4. Wenn also die entscheidende rechtsinhaltliche Aussage i n der A n t wort auf die Entschädigungsfrage liegt 5 , dann haben die Ausdrücke Inhaltsbestimmung und Eingriff demgegenüber nur die Bedeutung einer — vermeintlich — einprägsamen Vorstellungshilfe, eines Bildes, i n dem die rechtsinhaltliche Aussage symbolisiert, gleichnishaft eingefangen wird. 4 Diese gleichzeitige Heranziehung aller „gängigen" Abgrenzungskriterien deutet sich i n der Rechtsprechung des B V e r f G an; vgl. v o r allem B V e r f GE15,1 ff. Sehr deutlich i n dieser Richtung jetzt Kreft, S. 22. 5 Diese Betrachtungsweise ist keineswegs neu. Forsthoff (§ 17, S. 297/298) betont nachdrücklich, daß der heutige, „technische" Enteignungsbegriff n u r noch die F u n k t i o n habe, alle Merkmale i n sich aufzunehmen, nach denen die entschädigungsfreien von den entschädigungspflichtigen Eingriffen zu unterscheiden sind. Z u diesen Merkmalen zählt Forsthoff an keiner Stelle die Begriffe „Inhaltsbestimmung" u n d „Eingriff".

I. Die Eingriffs- und Inhaltsvorstellung im allgemeinen

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Man übersieht zu oft, daß das B i l d von Eingriff und Inhaltsbestimmung eben auch nur ein „Produkt menschlicher Denkkraft" ist, eine „irreale Größe", die nur „ i n der Vorstellung ein Dasein führt". „Das Eigentum", sei es als Institut, sei es als subjektives Einzelrecht, ist ein Rechtsbegriff, ein Gedankengebilde, nicht ein raum-zeitlicher, körperlicher Gegenstand 6 . Das B i l d von Eingriff und Inhaltsbestimmung ist daher keine naturwissenschaftliche Beschreibung realer Dinge, sondern eine gleichnishafte Vorstellungshilfe, eine bildhafte Übernahme von Vorgängen aus dem Bereich der Realitäten i n rein gedankliche Welten. Genau genommen kann man nur den „Inhalt" realer Gegenstände „bestimmen" und nur i n körperliche Gegenstände „eingreifen". Aber es fehlen i m Bereich des „rein Geistigen" oft die Worte, u m gedankliche Operationen m i t spezifischen Ausdrücken zu beschreiben. Deshalb (aber auch wohl aus einer traditionsreichen Oberflächlichkeit heraus) n i m m t man immer wieder Ausdrücke aus der Welt der Realität zu Hilfe, wenn man sich i m rein Gedanklichen verständlich machen w i l l . Dieses Vorgehen ist so weit verbreitet, daß man nicht mehr bemerkt, daß es nur Bildersprache ist, was man sagt. M a n spricht v o n der „ K r a f t " eines Gedankens, v o m „Gewicht" einer Idee, obwohl K r a f t u n d Gewicht physikalische Begriffe sind, ebenso v o n geistiger „Substanz", ähnlich aber auch v o n der „Stärke" dinglicher Rechte (gegenüber den „schwächeren" obligatorischen Rechten), v o n einem N o r m e n - „ K o m p l e x " (der nichts anderes ist als eine Vielfalt v o n Gedanken zu einem Rechtsgebiet), davon, daß eine Regelung i n einer anderen bereits „enthalten" ist, v o n „Verletzung" v o n Rechten. Meist sind solche bildhaften Ausdrücke u n schädlich. A b e r sie bergen auch Gefahren, etwa beim Argumentieren m i t „starken" dinglichen u n d „schwachen" obligatorischen Rechten. Die bildhafte Vorstellung erhält eine i h r nicht zukommende normative K r a f t , w e n n m a n bei jeder Kollision zwischen dinglichen u n d obligatorischen Rechten m i t den Vorstellungen schwach u n d stark operiert.

So w i r d auch das B i l d vom Inhalt und vom Eingriff bei Rechten insbesondere beim Eigentum gefährlich. Diese Ausdrücke legen die A n sicht nahe, man könne Inhalt und Eingriff beim Eigentum erkennen wie bei körperlichen Gegenständen, sie seien wie bei diesem unmittelbar „sichtbar", das „geistige Sein" dieser juristischen Begriffe sei 8 Eike von Hippel, S. 14/15, beschreibt u n d beklagt eine verbreitete A n schauung, i n der sich subjektive Rechte „zu Schemen v o n räumlich-gegenständlichem Charakter" verselbständigen. Ganz i n diesem Sinne kritisierte Rosenberg, Die Beweislast, 5. Aufl., S. 332: „ A b e r eine solche Übertragung des körperweltlichen Kausalitätsgesetzes auf Erscheinungen der geistigen Welt ist ein schwerer, schon oft begangener u n d ebensooft gerügter Denkfehler"; vgl. auch Rosenberg a.a.O., S. 111 f. Besonders scharf u n d k l a r Wieacker, S. 434 f.: Rechte u n d Rechtslagen als reale Dinge anzusehen, sei eine V o r stellung, i n die sich die extremste Spielart der Begriffsjurisprudenz gesteigert habe. I n Wahrheit sei die Vergegenständlichung der Beziehungen rechtlichen Sollens n u r ein nicht veriflzierbarer Analogieschluß, der eine Anschauungshilfe f ü r das Auffinden fruchtbarer Problemlösungen geben könne.

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§ 3. „Eingriff" und „Inhaltsbestimmung" beim Eigentum

ebenso unmittelbar anschaubar („einsichtig") wie das „Sein" realer körperlicher Gegenstände7. Damit ist man aber bereits deutlich i n der gefährlichen Nähe des Sprachmißbrauchs: Eine Idee, ein juristischer Begriff „existiert" gewiß i n einem ganz anderen Sinne als ein realer Gegenstand m i t raum-zeitlichen Dimensionen. Beide Arten des „Seins" m i t demselben Ausdruck zu benennen, leistet spekulativen Irrtümern Vorschub, vor allem der Fortsetzung dieser vorgespiegelten Identität i n Behauptungen von der Möglichkeit des „Entdeckens" und „Erkennens". Diesen Gefahren kann nur entgehen, wer sich vor Augen hält: Inhalt des Eigentums, Eingriff i n Eigentum sind nur Bilder ohne eigenständige normative Bedeutung 8 . Sie sind nicht unmittelbar anschaubar. Wenn man angeben w i l l , was sie bedeuten, kann man nicht auf sinnlich wahrnehmbare, intersubjektiv vermittelbare Anschauungen verweisen. 5. Vielmehr muß man Kriterien benennen, die angeben, was Inhalt, was Eingriff bedeutet. Diese Kriterien (Sonderopfer, Schwere, Situationsgebundenheit, Zweckentfremdung) enthalten den wesentlichen Rechtsgehalt. Ohne Bezugnahme auf Kriterien können die Bilder von Eingriff und Inhalt nur verwirren. Sie verführen dazu, einen „prinzipiell zugewiesenen Eigentumsinhalt" anzunehmen 9 , einen „an sich" gegebenen A b wehranspruch des Eigentümers aus § 1004 BGB 1 0 , also irgendwelche von „Kriterien" unabhängigen naturrechtlichen Vorgegebenheiten 11 . Würde man aber diese unmittelbare Einsicht dem positiven Rechtszustand entnehmen wollen, so begäbe man sich entweder ins Gebiet des Unlogischen oder i n den Bereich des Sinnlosen: Wollte man die Abgrenzung nach den positiv-rechtlichen Abgrenzungskriterien für die Ent7 Eine solche Ansicht dürfte besonders Anhängern der Lehren der phänomenologischen Schule naheliegen. Heute v e r t r i t t u n d praktiziert eine derartige Auffassung insbes. Larenz (deutlich i n seinem Allgemeinen T e i l des B G B , München 1967, insbes. § 3 I I , S. 46 ff.). 8 Beispiel f ü r einen Mißbrauch: Z u A r t . 141, 2 G G w i r d oft vertreten, daß Bestimmung der „Schranken" u n d Bestimmung des „ I n h a l t s " des Eigentums dasselbe bedeute. Hiergegen polemisiert Krüger (Hamburger Festschrift für Schack, S. 72) u n d argumentiert: Wenn Grenze „bis hierher u n d nicht weiter" meine, dann könne eine solche Aussage nichts darüber bestimmen, w i e es innerhalb des umgrenzten Raumes (also i m „ I n h a l t " ) aussehen solle. Damit werden aber v o n Krüger die bildhaften Ausdrücke „Schranken" u n d „ I n h a l t " zu ernst genommen, d. h. fälschlich w i e Aussagen über reale körperliche, raum-zeitliche Gegenstände behandelt. 9 Kleindienst, S.44; dazu u., S. 60 ff. 10 So die gesamte privatrechtliche L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung, dazu u., S. 58. 11 Selbst w e n n aber solche Vorgegebenheiten „ u n m i t t e l b a r einsichtig" sein sollten, so wären derartige Einsichten doch i m m e r „Privatoffenbarungen", nicht rational diskutierbare Einsichten.

I. Die Eingriffs- und Inhaltsvorstellung im a e

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Scheidungen der Entschädigungsfrage vornehmen, so wäre das ein Zirkelschluß, falls die Ermittlung dieser Grenzen die A n t w o r t auf die Entschädigungsfrage vorbereiten soll. Wollte man aber dem geltenden Recht eine von der Entschädigungsfrage unabhängige Vorstellung vom Inhalt des Eigentums entnehmen, so könnte man das doch nur wieder, indem man die Kriterien angäbe, nach denen das Gesetz diese Inhaltsbestimmung vornimmt. Das Gesetz sagt nicht direkt, inwieweit A b wehransprüche „an sich" gegeben sind, was dem Eigentümer an Eigentumsinhalt „prinzipiell" zugewiesen ist. Man kann das immer nur m i t telbar über die Gesichtspunkte der Wertungen des Gesetzgebers feststellen, und diese Gesichtspunkte sind nichts anderes als die genannten „Kriterien". Rational diskutierbar sind also die Fragen Eingriff (oder Inhaltsbestimmung) und Entschädigungspflicht (oder nicht) niemals unmittelbar. Man kann nur über Kriterien diskutieren 12 , darüber, ob sie vorliegen, und darüber, ob man ein bestimmtes K r i t e r i u m überhaupt verwenden soll, also darüber, ob etwa Sonderopfer, Schwere, Situationsgebundenheit, Zweckentfremdung maßgebende Gesichtspunkte sein sollen. Einigt man sich i n dieser Frage, ergeben sich bestimmte Folgen für die materielle Frage der Entschädigungspflicht. „Eingriff" und „ I n h a l t " dagegen bleiben unverbindliche Bilder. Als Vorstellungshilfe allerdings mögen diese Bilder Wert haben. I n ihrer Gegensätzlichkeit machen sie anschaulich, daß Eigentum nichts unbegrenztes ist, eben, daß es einen „ I n h a l t " hat, und daß daher nicht alles, was den Eigentümer tangiert, gleich ein „Eingriff" ist. Aber man hat diese Vorstellungshilfe bis zur Unbrauchbarkeit denaturiert, indem man begonnen hat, sie rechtsinhaltlich zu verstehen: Man spricht von einem „beschränkten Inhalt" des Eigentums, als wäre nicht jeder Inhalt per definitionem beschränkt. Man kennzeichnet die rechtmäßige Enteignung als Eingriff, obwohl doch die Abwehr enteignender Eingriffe gewiß nicht zu den Befugnissen des Eigentümers gehört, also so gesehen schlecht Inhalt sein kann. Andererseits wäre natürlich die Entschädigungspflicht bei Enteignung nicht zu erklären, wenn man den Eingriffscharakter der Enteignung leugnen würde. Aber gerade hierin zeigt sich der Mißbrauch der bildhaften Vorstellungen von Inhalt und Eingriff: Man meint, m i t diesen Bildern etwas „erklären" zu können, also zu begründen. Bildhafte Vorstellungen können jedoch allenfalls zur Beschreibung, nie zur Erklärung dienen. Das Gedankengebilde Eigentum aber ist zu kompliziert, als daß man es so einfach nur beschreiben (geschweige denn erklären) könnte. Was 12

Dazu v o r allem Kriele,

K r i t e r i e n der Gerechtigkeit, insbes. S. 19 ff.

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§ 3. „Eingriff" und „Inhaltsbestimmung" beim Eigentum

m i t diesen Ausdrücken angedeutet werden soll, ist praktisch dies: Es gibt Befugnisse, Möglichkeiten, Rechte, die dem Eigentümer prinzipiell zustehen, aber nicht i n jeder Situation. I n dem Ausdruck „beschränkter Inhalt" soll etwas ausgedrückt werden, das so gar nicht gesagt werden kann: Regel und Ausnahme sollen zugleich i n diesem einen Ausdruck eingefangen werden. Es liegt auf der Hand, daß damit die Denkhilfe zur Denkverwirrung wird. Man kann nicht Regel und Ausnahme gleichzeitig formulieren. 6. Diese Überlegungen führen zu dem Vorschlag, die Ausdrücke Inhalt und Eingriff i n ihrem bisherigen Gebrauch aus der Diskussion über die Eigentumsproblematik zu verbannen. Wie gezeigt, ist das ohne Schaden möglich. Das materielle Problem der Entschädigungsfrage ist ohne diese Bilder ebenso gut zu lösen. Die Gesichtspunkte (Kriterien) zur Beantwortung dieser Frage ändern sich dadurch nicht. 7. Dies bedeutet nicht, daß auf die Ausdrücke Inhalt und Eingriff gänzlich verzichtet werden sollte. Zur Formulierung von Rechtsregeln und für jede juristische Diskussion sind Begriffe erforderlich, und es zeigt sich, daß gerade „ I n h a l t " und „Eingriff" hier praktikabel sind — aber eben i n einem anderen Sinne, als sie heute verwendet werden: Es dürfte unmöglich sein, materielle Rechtsnormen anders zu formulieren als i n einem Denkschema von Regel und Ausnahme. Jede Rechtsordnung geht davon aus, daß alles erlaubt ist, was nicht verboten ist. Das ist kein materielles, rechtsinhaltliches Prinzip, sondern eine formale, denkgesetzliche Notwendigkeit, die sich, so könnte man sagen, aus der Struktur menschlicher Denkfähigkeit ergibt. Man kann nicht „alles-ineins" denken und formulieren, sondern muß Regel und Ausnahme als — formales — Denkschema zu Hilfe nehmen. Man muß demgemäß bei Normierungen von Freiheit und Eigentum von einem Denkschema völliger Freiheit und totalen Eigentümerbeliebens ausgehen 13 . A l l e Normen über Freiheit und Eigentum sind — formal — Ausnahmen von dieser Regel. Nur i n diesem Schema kann man denken, formulieren, diskutieren. Dabei hat die Kennzeichnung „Ausnahme", u m es nochmals 13 Diese Erkenntnis ist durchaus nicht neu. Bucher (S. 53, 153 Fn. 6) sagt überaus deutlich: „Jede Rechtsordnung ... steht unter einer Freiheitsvermutung, d. h. geht i n i h r e m Aufbau davon aus, daß Rechtspflichten n u r sow e i t bestehen, als eine N o r m solche s t a t u i e r t . . . Jede N o r m muß, u m überhaupt einen logisch faßbaren I n h a l t zu haben, inhaltlich begrenzt s e i n . . . weshalb die Rechtsordnung ... einen nicht normierten, d. h. freigestellten Bereich voraussetzt"; ferner: der Satz „was nicht verboten ist, ist erlaubt", sei nicht rechtsinhaltlicher, sondern logischer Natur, er gelte i n jeder Rechtsordnung. Ähnliche Vorstellungen scheinen bei Staudinger-Seufert (vor § 903 Rn. 3) anzuklingen: Es sei zwischen dem Begriff „Eigentum" u n d dem materiellen Gehalt dieses Rechts zu unterscheiden; der Begriff sei i m m e r n u r eine Denkform , aus der Inhalt niemals gewonnen werden könne. — Ä h n l i c h Wolff-Raiser, S. 173, w o von einer Formung des Eigentums-Begriffs u m seiner „rechtstechnischen Handlichkeit w i l l e n " gesprochen w i r d .

I. Die Eingriffs- und Inhaltsvorstellung im a e

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zu betonen, nur formale, nicht rechtsinhaltliche, materielle Bedeutung. Sie ist nicht zu verstehen als etwas auch rechtsinhaltlich Exzeptionelles. Formale und inhaltliche Struktur des Rechts dürfen nicht verwechselt werden. „Ausnahme" ist nur formal Ausnahme. Darüber, ob sie zulässig ist, gibt diese Kennzeichnung kein Urteil ab. Der formale Ausnahmecharakter ist noch nicht einmal ein Indiz für die Entscheidung der materiellrechtlichen Frage; der formale Ausnahmecharakter ist wertungsmäßig völlig neutral. I n diesem formalen Denkschema nun ist der Platz für die Ausdrücke „Inhalt" und „Eingriff": „ I n h a l t " ist die formale Regel des totalen Eigentümerbeliebens. „Eingriff" sind alle Ausnahmen von dieser Regel. Alle Normen über Eigentum sind in diesem formalen Sinne „Eingriff". Die inhaltliche Frage w i r d durch diese Kennzeichnung i n keiner Weise präjudiziert. Das Denkmodell dieses Eigentums hat keine normative Kraft. Geht man aber von der materiellen, rechtsinhaltlichen Seite des Eigentums aus, so stellt sich die Sache genau umgekehrt dar: Der gedankliche, formale Ausgangspunkt des völlig unbeschränkten Eigentums ist inhaltlich ein gänzlich amorphes Gebilde, kein Eigentum. Inhaltlich gewinnt das Eigentum erst Konturen durch die „Eingriffs Normen; erst diese konstituieren das Eigentum als rechtsinhaltliches Gebilde 1*. Alle Normen über Eigentum sind i n diesem Sinne Eingriffsnormen. Dies zeigt zugleich wieder, warum es nicht möglich ist, ein bereits inhaltlich geprägtes Eigentum zum gedanklichen Ausgangspunkt zu nehmen: Man käme sofort zu dem Problem, daß man dann unterscheiden müßte zwischen Normen, die das Eigentum inhaltlich konstituieren und solchen, die von dem einmal konstituierten Eigentum wieder Ausnahmen machen („eingreifen"). Diesen Unterschied macht das Gesetz nicht ausdrücklich; man müßte also, u m ihn festzustellen, wieder auf die „Kriterien" zurückgreifen. I n diesem Sinne w i r d vorliegend von Eingriffen und Eingriffsrechten gesprochen: Der Inhalt des Eigentums w i r d formal, i m Denkmodell, wie nicht anders möglich, als total angesehen, m i t völligem Eigentümerbelieben gleichgesetzt. „Eingriff" i n diesem Sinne ist jeder Abstrich vom totalen Eigentümerbelieben. Der bisher übliche materielle Eingriffs- und Inhalts-Begriff w i r d ersetzt durch den formalen Eingriffsund Inhalts-Begriff. 8. Wie nahe es liegt, daß die gemäß der Struktur des menschlichen Denkens auch dem menschlichen Gedankengebilde Rechtsordnung vor14 I n anderer Formulierung, sachlich aber gleichbedeutend, Pawlowski, A c P 165, 407: Das Rechtsproblem der Begrenzung des Eigentums entstehe n u r dann, w e n n man unter Eigentum die Summe der Möglichkeiten verstehe, die sich nicht aus dem Eigentumsrecht, sondern aus der diesem unterliegenden Sache ergeben.

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§ 3. „Eingriff" und „Inhaltsbestimmung" beim Eigentum

gegebene formale Regel-Ausnahme-Struktur als ein inhaltliches Prinzip mißverstanden wird, sollen die folgenden Beispiele zeigen: a) So scheint etwa die deutsche Pandektistik diesen Fehler nicht immer vermieden zu haben. Alle Begriffsjurisprudenz hat vielleicht hier ihren Ausgangspunkt. Hier dürfte vor allem die Ursache dafür liegen, daß bis heute der Eigentumsbegriff des § 903 BGB vielfach normativ mißverstanden wird. Statt deutlich zu sagen, daß jede Norm über Eigentum schon denk- notwendig (aber eben nicht „norm-notwendig") von einem totalen Eigentumsinhalt ausgehen muß, formuliert Windscheid 15 zumindest unklar: „Das Eigentum ist als solches schrankenlos"; und weiter 1 6 : „Es ist die Negation der Beschränkung, aber es verträgt Beschränkungen"; ferner 1 7 : „Man muß also i n die vollständige Definition des Eigentums die Kategorie des ,an sich' aufnehmen. Das Eigentum ist dasjenige Recht, welches an sich den Willen des Berechtigten entscheidend für die Sache i n der Gesamtheit ihrer Beziehungen macht. A n sich, das w i l l eben sagen: so lange das Recht den Spruch, den es i n der Verleihung des Eigentums getan hat, nicht i n dieser oder jener einzelnen Beziehung zurückgenommen hat." M i r scheint allerdings, daß dies mehr als unklar, \ i e l m e h r falsch ist. Der „Spruch", den das Recht tut, wenn es Eigentum überhaupt anerkennt, gibt kein inhaltlich totales Eigentum. Es ist nur aus der Struktur des menschlichen Denkens heraus erforderlich, daß Eigentum zunächst formal als unendlich gedacht wird, wenn man Rechtsregeln über Eigentum überhaupt formulieren w i l l . Es scheint, daß Windscheid hier eine notwendige formale Struktur der Rechtsordnung m i t inhaltlichen Prinzipien verwechselt, eine Verwechslung, die extrem liberalen u n d vielleicht auch manchen anderen naturrechtlichen Auffassungen entgegenkam und i m Grund bis heute verhindert hat, daß Denkmodell und inhaltliche Norm beim Eigentum auseinandergehalten werden 18 . Man w i r d auch ohne Übertreibung, wenn auch vereinfachend, sagen können, daß die historische Aufgabe der deutschen Pandektistik des 19. Jahrhunderts und die historische Größe Windscheids mehr i n der Schaffung eines formalen Systems als i n einem neuen inhaltlichen Denken zu sehen sind. Das legt es nahe, gerade den Eigentumsbegriff als eine formale Kategorie, als Denkschema ohne normative Kraft, anzusehen. Aber schon das Selbstverständnis Wind15

Pandekten, l.Bd., 8. Aufl. 1900 (bearbeitet von Kipp), S. 757. a.a.O., Fn. 3. a.a.O., Fn. 5. 18 E i n heutiges Beispiel einer materiellen naturrechtlichen Vorstellung, die ihre Richtigkeit zum T e i l aus der formalen S t r u k t u r beweisen w i l l : „Das Privateigentum ist rechtslogisch früher als die Sozialpflichtigkeit. Denn der Mensch ist älter als der Staat; i m Wesen des Menschen aber wurzelt der A n spruch auf das Eigentum" (Wilhelm , DöV 1965, 404). Der erste T e i l dieses Arguments („rechtslogisch") verwechselt formale u n d inhaltliche Kategorien; L o g i k ist eine formale Kategorie. 16

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I. Die Eingriffs- und Inhaltsorstellung im a e

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scheids dürfte es i h m selbst nicht gestattet haben, Form und Inhalt so genau auseinanderzuhalten 19 . Das hat es erleichtert, daß formalen Begriffen inhaltliche Macht zuteil wurde, daß das Verlangen nach Freiheit dazu verführte, aus der Logik der Abstraktion rechtsinhaltliche Schlüsse zu ziehen 20 . I n gleicher Weise ist dann der formale Eigentumsbegriff des § 903 BGB als rechtsinhaltliches Prinzip mißverstanden worden 2 1 , und es hat erst der Sozialklauseln i n A r t . 153 WRV und A r t . 14 GG bedurft, u m diesem Denken etwas entgegensetzen zu können. b) Aber bis heute ist dieses Denken i n der Eigentumsproblematik anzutreffen. Das RG formulierte: „Eine E n t e i g n u n g . . . ist schon dann anzuerkennen, wenn das Recht des Eigentümers, m i t der Sache gemäß § 903 BGB nach seinem Belieben zu verfahren, zugunsten eines Dritten beeinträchtigt w i r d 2 2 . " Man sieht sich enttäuscht, wenn man meint, solche Formulierungen seien heute überwunden. Jedenfalls hat auch das BVerwG einmal wie folgt argumentiert: „Da das Wesen des Eigentums ist, m i t der Sache nach Belieben zu verfahren und andere von jeder Einwirkung auszuschließen (§ 903 BGB), bedeutet auch die Inanspruchnahme zur Benutzung nach dem Reichsleistungsgesetz eine Antastung des Wesensgehalts des Eigentums und sonach eine Enteignung 2 3 ." Diese Ubersteigerungen begrifflichen Denkens werden zwar verständlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, worum es i n den entschiedenen Fällen ging: Das RG (es handelte sich um den „Hamburger Denkmalsfall") wollte sagen, daß zum Wesen der Enteignung nicht Übertragung von Eigentum oder von Eigentums-Teilen gehört; das BVerwG wollte ausdrücken, daß nicht nur Übertragung zu Eigentum, 19

Dies auch dann nicht, w e n n — w i e E r i k Wolf, S. 593, sicherlich zu Recht berichtet — Windscheids Bemühungen vorrangig auf den logisch-systematischen I n h a l t der Begriffe zielten; denn sonst hätte Windscheid k a u m (in A n lehnung an D. 1.1.1.1) v o n der Rechtswissenschaft als einer „Priesterin des Rechts" sprechen, also dieser seiner Wissenschaft eine heimliche Macht über das Leben anmaßend zuerkennen können: auch hierzu E r i k Wolf, a.a.O., insbes. S. 597 ff. 20 Luhmann, Entschädigung, S. 154 Fn. 16: I n abstrakt definierten subjekt i v e n Freiheitsrechten „stärken u n d stimulieren die L o g i k der Abstraktion u n d das Verlangen nach Freiheit sich gegenseitig". 21 Vgl. etwa M o t i v e Bd. I I I , S. 262: i n §903 B G B solle weniger eine Definit i o n gegeben, als der wesentliche I n h a l t des Eigentums festgestellt werden; diese Formulierung w i r d bei Staudinger-Seufert, § 903 Rn. 1, noch heute — m i t einer unwesentlichen Erläuterung — als richtig übernommen. Krüger (Hamburger Festschrift f ü r Schack, S. 72) spricht v o n § 903 B G B als von einer Blankovollmacht an den Eigentümer. Ganz anders dagegen etwa ErmanWestermann, § 903 A n m . 1: die Bedeutung des § 903 liege mehr auf v e r fahrensrechtlichem Gebiet; die Freiheit des Einwirkungsbeliebens werde v e r m u t e t ; u n d Soergel-Baur, v o r § 903 Rn. 5 a: „die nicht auf einen bestimmten I n h a l t des Eigentums festgelegte Fassung des § 9 0 3 . . . " . 22 RGZ 116, 268 (272). 23 B V e r w G E 8, 226 (227).

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§ 3. „Eingriff" und „Inhaltsbestimmung" beim Eigentum

sondern auch schon Übertragung zur Benutzung Enteignung sein kann. Was aber i n beiden Fällen erschreckt, ist, daß beide Gerichte ihr A n liegen m i t dem formalen Eigentumsbegriff des § 903 BGB erklären zu können glauben, obwohl doch schon i n § 903 selbst angedeutet ist, daß m i t diesem Begriff rechtsinhaltlich nichts anzufangen ist ( „ . . . soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entegegenstehen . . . " ) .

I I . Die Eingriffs- und Inhaltsvorstellung im Nachbarrecht Nicht etwa nur i m Enteignungsrecht, sondern auch und gerade i m vorliegend primär wichtigen Nachbarrecht spielt derartiges Denken eine bis heute nicht überwundene wichtige Rolle. Gerade hier t r i f f t man immer wieder auf Formulierungen, die von einem „an sich" gegebenen Eigentumsinhalt sprechen. So richtig dies materiell i m Einzelfall sein mag, so sehr ist doch zu befürchten, daß bei dieser Ausdrucksweise nicht selten auch eine Verwechslung von formalen Denknotwendigkeiten m i t materiellen Prinzipien mitspielt. 1. Vor allem ist die Formulierung vom „an sich" gegebenen Abwehranspruch aus § 1004 BGB zu kritisieren. Sie taucht bezeichnenderweise überall dort auf, wo es u m privatrechtliche Entschädigungen für gesetzlich gestattete „Eingriffe" i n Eigentum geht. § 26 GewO, so sagt man allgemein 24 , setze einen Entschädigungsanspruch an die Stelle des „an sich" gegebenen Abwehranspruchs. Dieser Satz w i r d darüber hinaus ebenso einhellig zu einem allgemeinen Prinzip erhoben, indem man formuliert, überall dort, wo ein „an sich" gegebener Abwehranspruch „aus besonderen Gründen" ausgeschlossen sei, trete an seine Stelle ein Ersatzanspruch 25 . I m Bergrecht w i r d behauptet, der Ersatzanspruch wegen Bergschäden aus § 148 A B G trete an die Stelle des dem Grundeigentümer „an sich" zustehenden Anspruchs auf Abwehr bergbaulicher Beeinträchtigungen 26 . Diese Formulierungen sind sinnvollerweise aber eigentlich nur wie folgt zu verstehen: Bei Beantwortung der Frage, wo i n gesetzlich nicht geregelten Fällen Entschädigungsansprüche des Eigentümers für rechtmäßige Eingriffe zuerkannt werden sollen, hat man sich danach zu richten, wie der Gesetzgeber den Eigentümer i m allgemeinen m i t Abwehransprüchen ausgestattet hat. Wo man Abwehransprüche nimmt, die das Gesetz sonst allgemein zuerkennt, muß statt dessen ein Ent24 Vgl. z.B. B G H Z 1 5 , 146 (150); Glaser-Dröschel, S. 165; Meisner-SternHodes, S. 726; Palandt-Degenhart, § 903 A n m . 3 c ee; zwar nicht erkennbar konträr, aber doch vorsichtiger Westermann, Sachenrecht, §63 I I 4 a: „Der Ersatzanspruch soll die erweiterte Duldungspflicht ausgleichen". 25 Vgl. B G H N J W 1967, 1858; B G H Z 16, 369/370; 24, 232; Palandt-Degenhart, § 903 A n m . 3 c aa. 26 Dazu eingehend u., § 11 I V .

II. Die Eingriffs- und Inhaltsvorstellung im Nachbarrecht

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schädigungsanspruch gewährt werden. Die Entscheidung kann sich i n diesen Fällen zugleich darauf stützen, daß der Gesetzgeber schon selbst i n manchen Fällen rechtmäßiger Eingriffe Entschädigungsansprüche gibt und auch damit eine Linie andeutet, jenseits derer rechtmäßige Eingriffe zur Entschädigung verpflichten. Wenn die o. g. Formulierungen so gemeint wären, und es soll nicht bezweifelt werden, daß mancher sie so verstanden wissen w i l l , dann wäre gegen sie nichts einzuwenden. Aber gewiß nicht immer sind sie so gemeint. Vielmehr steckt i n dem „an sich" wohl nicht selten die Vorstellung, daß die Wegnahme des Abwehranspruchs ein exzeptioneller, „an sich" dem Eigentum widersprechender Vorgang sei. Gerade das ist aber zu bezweifeln, gerade hier scheint wiederum eine Verwechslung zwischen denknotwendiger formaler Struktur des Rechts und inhaltlichen Prinzipien vorzuliegen. Was materiell von derartigen Eingriffsnormen zu halten ist, sagen vielmehr erst die Kriterien des Gesetzes, mittels derer zwischen entschädigungspflichtigen und entschädigungslosen Eingriffen entschieden wird, also i m Zivilrecht — i n erstaunlicher Parallelität zu den Abgrenzungskriterien i m Enteignungsrecht 27 — etwa mittels der Merkmale des § 906 BGB: Wesentlichkeit, Zumutbarkeit, Ortsüblichkeit 28 . 2. A n zwei Beispielen mag verdeutlicht werden, zu welchen Schwierigkeiten es führt, wenn man den Unterschied zwischen formalem Denkschema und materiellem Gehalt nicht strikt beachtet: a) Westermann 29 formuliert, die von § 906 BGB 3 0 begründeten Duldungspflichten beschränkten nicht als äußere Fessel ein an sich unbegrenztes Eigentum, sondern bestimmten den Inhalt des Eigentums. Nicht etwa berechtigende und verpflichtende Beziehungen zwischen verschiedenen Eigentümern, sondern eine absolut wirkende Inhaltsbestimmung des Eigentums sei das Ergebnis. Folglich habe das BGB hier keinen Anlaß, die Folgen des § 906 BGB durch Zahlungspflichten auszugleichen. I m Gegensatz dazu werde durch die Duldungspflicht des § 26 GewO nicht der Inhalt des Eigentums bestimmt, vielmehr eine „besondere Duldungspflicht" zugunsten einer über den allgemeinen positiven K e r n des Eigentums hinausgehenden Nutzungsbefugnis geschaffen. Diese besondere Duldungspflicht sei finanziell auszugleichen. Hier w i r d also zweierlei getrennt und als wesensmäßig verschieden einander gegenübergestellt: Einerseits Bestimmung des „Inhalts des 27

Diese Parallelität w i r d u., S. 137 ff., eingehend besprochen. Z u r Ortsüblichkeit eingehend unten, § 5 I V 2. Maßnahmen, § 18. 30 Westermann spricht hier von § 906 B G B allgemein, w e i l die zitierte Schrift vor der Neufassung des § 906 (durch das Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung u n d Ergänzung des B G B v o m 22. Dez. 1959) erschienen ist. Die alte Fassung des § 906 B G B kannte keine Entschädigungspflichten. 28

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§ 3. „Eingriff" und „Inhaltsbestimmung" beim Eigentum

Eigentums" und andererseits Schaffung einer „besonderen Duldungspflicht". Gleichzeitig w i r d gesagt, eine „besondere Duldungspflicht" sei finanziell auszugleichen, während bei einer „Inhaltsbestimmung" kein Anlaß bestehe, einen finanziellen Ausgleich zu schaffen. Dann fragt sich aber sogleich, worin der wesentliche Unterschied zwischen „Inhaltsbestimmung" und „besonderer Duldungspflicht" liegt. Er kann auch nach Westermann nicht darin liegen, daß i n dem einen Fall („besondere Duldungspflicht") der Gesetzgeber eine Ausgleichspflicht begründen muß, i m anderen („Inhaltsbestimmung") nicht. Denn die Notwendigkeit, eine Ausgleichspflicht zu begründen, ist hier deutlich Folge der jeweiligen Qualifizierung als „Inhaltsbestimmung" oder als „besondere Duldungspflicht". Dann kann diese Notwendigkeit nicht zugleich Ursache der Qualifizierung sein. Es muß also nach anderen Unterscheidungsmerkmalen zwischen „ I n haltsbestimmung" und Schaffung „besonderer Duldungspflichten" gesucht werden, wenn man diese Unterscheidung aufrechterhalten w i l l . Diese Suche aber führt nur wieder zu den Kriterien für die Abgrenzung zwischen entschädigungslosen und entschädigungspflichtigen Eingriffen. Die Gegenüberstellung Inhaltsbestimmung — Eingriff („besondere Duldungspflicht") ist dann nur eine überflüssige, verwirrende Z w i schenstufe der Argumentation. Sie ist überflüssig, w e i l sich ohne sie dasselbe ergäbe. Sie verwirrt, weil sie die allein entscheidende Bedeutung der genannten Abgrenzungskriterien verdunkelt 3 1 . b) Ganz ähnlich spricht i m selben Zusammenhang die viel zitierte Schrift von Kleindienst 32 von einem „prinzipiell zugewiesenen Eigentumsinhalt". Die Entschädigungsregelungen des § 906 Abs. 2 BGB und des § 26 GewO erklärt er aus dem „Entzug" dieses Inhalts. Das sei „Grundlage" für das Verständnis des Ausgleichsanspruchs aus § 906 Abs. 2 BGB. Bezeichnend ist dann, wie ermittelt wird, was der „normale Eigentumsinhalt" ist: „Normal" seien die Immissionen, die die Grundstücksgrenzen typischerweise i n beiden Richtungen überschreiten 3 3 ; hier fehle daher jeder Ansatzpunkt für die Gewährung eines Geldausgleichs 34 . (Schon hier fällt auf, wie unwillkürlich normaler Eigentumsinhalt und Geldausgleich gekoppelt werden.) Dies gelte aber nur für „maßvolle 35 Grenzüberschreitungen". Von einem Entzug „an sich" weiterreichenden Eigentums müsse aber gesprochen werden, wo Immissionen zugelassen würden, die nach A r t oder Stärke typischer31 Oder aber auf naturrechtliche — v o n diesen K r i t e r i e n unabhängige — Vorstellungen hindeutet, was vielen Autoren, die i n dieser Weise argumentieren, durchaus fernliegen dürfte. 32 S. 44. 33 Kleindienst, S. 47. 34 S. 48. 35 A l l e Hervorhebungen i n diesem Absatz v o m Verf.

II. Die Eingriffs- und Inhaltsvorstellung im Nachbarrecht

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weise nur einzelne Grundeigentümer erzeugen könnten, während andere davon nur Nachteile hätten. Solche Nachteile seien i n Geld auszugleichen. „Durch den Ausgleichsanspruch (!) w i r d der gleichwertige Zuweisungsgehalt des betroffenen Eigentumsrechts prinzipiell anerkannt und bestätigt." Zum „normalen" Eigentumsinhalt gehöre danach grundsätzlich die Möglichkeit zu beliebiger, nicht wesentlich beeinträchtigter und nicht wesentlich beeinträchtigender Benutzung. Diese Regel werde „ n u r " durch das Ortsüblichkeitsprivileg abgewandelt, dieses wiederum durch die Grenze des „zumutbaren Maßes", jenseits derer wieder das Gebiet des „Unnormalen" beginne. Dies zeigt deutlich: Auch Kleindienst geht letztlich auf die genannten Kriterien zurück („maßvoll", „wesentlich", „zumutbar" 3 6 ). Es sind dies aber stets und überall die gesetzlichen Kriterien zur Abgrenzung zwischen entschädigungspflichtigen und entschädigungslosen Maßnahmen 87 . Dann ist wiederum deutlich: Die Unterscheidung Inhalt (Gestaltung des „prinzipiell zugewiesenen Eigentumsinhalts") — Eingriff („Entzug") ist auch hier nur ein der gesetzlichen Regelung der Entschädigungsfragen nachträglich aufgepfropftes Bild 3 8 . Kleindienst selbst scheint das allerdings nicht bemerkt zu haben und das B i l d als eine selbständige belangvolle rechtsinhaltliche Einsicht anzusehen. Bezeichnenderweise bewirkt dies, daß seine Argumentation 36 A u c h das M e r k m a l des „Sonderopfers" k l i n g t an, w e n n v o n „typischer Gegenseitigkeit" (das ist nichts anderes als Gleichheit) u n d v o n dem „einzelnen Grundeigentümer" als v o n Merkmalen des entschädigungslos Hinzunehmenden gesprochen w i r d ; der Zusammenhang m i t dem Sonderopfergedanken w i r d v o n Kleindienst selbst an anderer Stelle betont; dazu eingehend u.,

§6 11. 37

Dazu nochmals u., § 5 I V 2. Auch die neueste einschlägige Untersuchung zu diesem Thema (Wolfg. Schulte, insbes. S. 14—36) versucht, m i t diesen B i l d e r n zu argumentieren. Das zeigt sich besonders bei dem Versuch, einen wesensmäßigen Unterschied z w i schen den Duldungs- u n d Ausgleichspflichten des §906 I I B G B u n d denen des § 26 GewO zu beweisen. Der Unterschied w i r d daraus hergeleitet (S. 19 bis 21, 29 ff.), daß bei § 906 I I B G B potentiell alle Nachbarn gleichmäßig begünstigt u n d benachteiligt seien, § 26 GewO dagegen begründe n u r einseitig Vorteile u n d Nachteile; §906 I I B G B bestimme daher den I n h a l t des Eigentums, § 26 GewO dagegen gebe Entschädigung f ü r Eingriffe. — H i e r ist also schon der Ausgangspunkt unrichtig: Auch durch §§16, 26 GewO sind alle Grundeigentümer gleicherweise potentiell belastet u n d begünstigt; jeder Grundeigentümer k a n n unter denselben Voraussetzungen einen emittierenden genehmigungspflichtigen Gewerbebetrieb errichten w i e auch Immissionen aus solchen Betrieben ausgesetzt sein. — Die Entschädigungspflicht des § 906 I I B G B erklärt Wolfg. Schulte (S. 30/31) als Ergebnis der Erfahrung, daß es einseitig benachteiligende E i n w i r k u n g e n gebe. Die Entschädigungsregelung sage also nichts über den typischen Eigentumsgehalt; sie ziehe n u r die Konsequenzen daraus, daß eine rechtliche Gleichbehandlung der Eigentümer tatsächlich zu ungleichen Ergebnissen führe. Demgegenüber muß jedoch gefragt werden, welchen Sinn die Feststellung eines „typischen Eigentumsgehalts" hat, w e n n damit über die Entschädigungsfolgen nichts gesagt ist. 38

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§ 3. „Eingriff" und „Inhaltsbestimmung" beim Eigentum

letztlich zum Zirkelschluß w i r d : Wenn „Grundlage" für das Verständnis des Ausgleichsanspruchs i n § 906 Abs. 2 BGB die Vorstellung eines Entzugs prinzipiell zugewiesenen Eigentumsinhalts ist, sodann aber das, was prinzipiell zugewiesener Eigentumsinhalt ist, nur wieder anhand der i m Gesetz vorgesehenen Entschädigungen ermittelt wird, dann ist der Zirkel geschlossen89. 3. Die vorliegend vertretene Auffassung hingegen scheint geeignet, von unnötigen, mißverständlich bildhaften Vorstellungen zu befreien. Der Eigentumsbegriff w i r d dabei zunächst nur als ein formales Denkschema von Regel (totales Eigentümerbelieben) und Ausnahme (Eingriff) angewendet. Den materiellen Gehalt bestimmen die „Kriterien". Dies verhindert, daß sich die wesentliche, rechtsinhaltliche Diskussion über Eigentum i n einer Debatte verliert, i n der die Worte Inhalt und Eingriff zu unkontrollierbaren Mystifizierungen und zu einem unbewußten Einfließen naturrechtlicher Vorstellungen führen können. Vielmehr führt diese Auffassung dahin, daß sich die wesentliche Diskussion i n einer direkten Auseinandersetzung m i t den genannten Kriterien abspielt, also i n Fragen wie der, ob Ortsüblichkeit, Wesentlichkeit, Schwere, Situationsgebundenheit, Zweckentfremdung u. a. m. als K r i terien für oder gegen Entschädigungspflichten zweckmäßig und gerecht sind. Zugleich ermöglicht dies, scharf zu erkennen, ob eine Diskussion über das positive Recht hinausfragt: Wenn die Kriterien hingenommen werden, wenn es nur darum geht, ihre Auswirkungen auf einen Fall oder Fallgruppen zu diskutieren, so hält man sich i m positiven Recht. 39 Nicht weniger bezeichnend erscheint m i r , daß Kleindienst, S. 46, auch auf „institutionelles Denken" rekurriert, u m zu zeigen, daß m i t dem Eigentum notwendig Beschränkungen verbunden sind. So richtig das rechtsinhaltlich ist, so wenig ist doch institutionelles Denken geeignet, eine klare Darstellung dieses Rechtszustandes zu ermöglichen. Der Gedanke der Institution („sinnhaftes, von menschlichem Leben erfülltes soziales Gebilde") ist zwar geeignet, zu verdeutlichen, daß die logische S t r u k t u r eines Rechtsgebietes (auch des Eigentums) u n d sein materieller Gehalt nicht dasselbe sind. A b e r institutionelles Denken ist nicht geeignet, das Denkschema von Regel u n d Ausnahme, den abstrakt-allgemeinen Begriff w i r k s a m zu ersetzen. Dies auch gegen Häberles an sich bewundernswerten Sturmlauf gegen das „Eingriffs- u n d Schranken-Denken" (Wesensgehaltsgarantie, passim). Es bedarf aber w o h l nicht dieses Aufwandes, u m ein solches Denken zu kritisieren. Es dürfte genügen, m i t der Unterscheidung zwischen formaler S t r u k t u r u n d materiellem Gehalt Ernst zu machen. Das institutionelle Denken v e r f ü h r t dazu, einen Schritt zu w e i t zu gehen, sozusagen das K i n d m i t dem Bade auszuschütten, nämlich m i t den Fehlern eines falsch angewendeten — u n d insofern v o n Haberle v ö l l i g zu Recht kritisierten — Eingriffs- u n d Schranken-Denkens zugleich das Denken i n abstrakt-allgemeinen Begriffen überhaupt über Bord zu werfen. Dieselbe K r i t i k ist gegen das v o n Larenz, Methodenlehre, S. 353 ff., i m Rückgriff auf Hegel befürwortete Denken i n „konkret-allgemeinen" Begriffen zu richten, das dem institutionellen Denken übrigens sehr nahe kommen dürfte. Der von Larenz, a.a.O., S. 30, i m abstrakt-allgemeinen Begriff vermißte Sinngehalt ist i n den „ K r i t e r i e n " enthalten. Auch w e n n man beides trennt, geht nichts verloren.

III. Die Bedeutung der „Kriterien"

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Werden dagegen die Kriterien infrage gestellt, so w i r d das positive Hecht infrage gestellt 40 . Da dieses positive Recht, jedenfalls das positive Recht des materiellen Eigentumsinhalts, Verfassungsrecht ist (die A b grenzungskriterien bei der Entschädigung werden von B G H und BVerwG „unmittelbar aus A r t . 14 GG" abgeleitet), zeigt sich, daß schon jede Änderung i n den Kriterien einen Verfassungswandel bedeutet. Vielleicht ist dies ein weiterer Grund dafür, warum man dazu neigt, formales Denkschema und materiellen Gehalt beim Eigentum zu verwechseln: Das formale Denkschema bleibt von inhaltlichen Wandlungen unberührt, spiegelt also diejenige Kontinuität vor, die eine statische Auffassung von der Verfassung braucht, u m nicht fortwährend Verfassungsbrüche monieren zu müssen. Die richtige Auffassung aber, diejenige also, die anerkennt, daß der materielle Rechtsgehalt des Eigentums i n jenen Kriterien liegt, muß zugleich von einer dynamischen Auffassung der Verfassung ausgehen, („die Verfassung lebt"). I h r bleibt die Aufgabe, zu ermitteln, was die Verfassung zu den Kriterien sagt, also einen Rahmen zu finden, i n dem sich dieser „heimliche Verfassungswandel" bewegen kann 4 1 . I I I . Die Bedeutung der „Kriterien" Nicht nur u m einer naheliegenden K r i t i k vorzubeugen, muß schon hier auf folgendes hingewiesen werden: Die inhaltliche Problematik des Eigentums erschöpft sich nicht i n den Kriterien der Abgrenzung zwischen entschädigungspflichtigen und entschädigungslosen Eingriffen. Wollte man das behaupten, so wäre damit zugleich gesagt, daß der Gesetzgeber Eingriffsbefugnisse beliebig schaffen dürfte; n u r über die Entschädigungspflicht könnte er nicht frei disponieren, er wäre nur dort an die genannten Kriterien — die Verfassungsrang haben — gebunden. Das wäre aber gewiß unrichtig, wie schon A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG zeigt, der enteignende Eingriffe nicht nur entschädigungsrechtlich, sondern auch und vor allem i n ihrer prinzipiellen Zulässigkeit behandelt und vom K r i t e r i u m des öffentlichen Interesses abhängig macht. Dies w i r d heute allerdings überall übersehen, wie sich besonders i n der Diskussion u m die Enteignungsproblematik zeigt. Diese Diskussion geht ausschließlich u m die Abgrenzung zwischen entschädigungslosen 40 Oder auch n u r eine gesetzesvertretende Rechtsprechung, so w e n n etwa die P r a k t i k a b i l i t ä t des „Sonderopfer"-Kriteriums des B G H bezweifelt w i r d . 41 Dabei sind die Kriterien, die die Verfassung als eigentums-konstituierend ansieht, m. E. n u r zu ermitteln, w e n n m a n den Gedanken einer „Rezeption" anerkennt, d . h . die Transformation vorgefundenen Rechts i n V e r fassungsrecht (ein v o n Häberle, Wesensgehaltsgarantie, unter Zustimmung z.B. von Schnur, DVB1 1965, 490, eindringlich geschilderter Vorgang), u n d diesem vorgefundenen Recht die K r i t e r i e n entnimmt, ohne daß das eine starre Bindung an sie bedeuten könnte.

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§ 3. „Eingriff" und „Inhaltsbestimmung" beim Eigentum

und entschädigungspflichtigen Akten. Die Frage nach der Zulässigkeit (gleichgültig ob nun entschädigungslos zulässig oder nur gegen Entschädigung) w i r d praktisch nie gestellt (von Erörterungen zur JunctimKlausel abgesehen). Das zeigt sich insbesondere daran, daß heute fast allgemein ein Enteignungsbegriff aufgestellt wird, der die Aufgabe hat, alle entschädigungspflichtigen A k t e zu umfassen, gleichviel ob sie rechtmäßig oder rechtswidrig sind und ob es sich u m konfiskatorische, polizeirechtliche, i m alten Sinne aufopferungsrechtliche oder klassischenteignungsrechtliche Eingriffe handelt 42 . Gerade die Einbeziehung rechtswidriger, also unzulässiger Eingriffe zeigt, daß ein solcher Enteignungsbegriff von irgendwelchen Zulässigkeitsmerkmalen absieht. Diese Nivellierung nun bringt die ganze Diskussion u m Eigentum und Enteignung i n höchste Schwierigkeiten. Denn sie hat unausweichlich zur Folge, daß für alle Arten von Eingriffen, gleichviel ob zulässig oder unzulässig, ob polizeirechtlich, ob klassisch-enteignungsrechtlich oder ob aufopferungsrechtlich (im alten Sinne) dieselben Kriterien für die Entschädigungsfrage angewendet werden müssen. Es ist aber i n keiner Weise bewiesen oder auch nur naheliegend, daß die Entschädigungskriterien überall dieselben sind. Vielmehr liegt der Gedanke greifbar nahe, daß die Grenzen zwischen entschädigungslos zulässigem A k t und entschädigungspflichtiger Maßnahme je nach dem unterschiedlich sind, ob es u m rechtswidrige oder rechtmäßige Eingriffe geht, ob es sich u m einen polizeilichen oder u m einen enteignungsrechtlichen Eingriff handelt. Theorie und Rechtsprechung sind aber gegenwärtig weith i n nicht i n der Lage, diese — i m Ergebnis durchaus anerkannten — Unterschiede zu erklären. Statt die unterschiedlichen Zulässigkeitsmerkmale verschiedener Eingriffsarten zum Ausgangspunkt unterschiedlicher Kriterien bei der Entschädigungsfrage zu machen, w i r d nach einem einzigen K r i t e r i u m oder auch nach mehreren, aber jedenfalls für alle Eingriffsarten gleichmäßig geltenden Kriterien für die Entschädigungsfrage gesucht. Das hier vorgeschlagene und verwendete Denkmodell des — formal — grundsätzlich vollkommenen Eigentümerbeliebens und des — formal — Ausnahmecharakter tragenden Eingriffs führt dagegen an zwei Stellen an die entscheidenden inhaltlichen Kriterien heran: Es ist erstens zu fragen nach den Kriterien für die Zulässigkeit gesetzgeberischer Schaffung von Eingriffsrechten überhaupt („Eingriffskriterien") und zweitens nach den Kriterien zur Unterscheidung zwischen den entschädigungslos und den nur gegen Entschädigung zulässigen Eingriffen („Entschädigungskriterien"). Was Entschädigungskriterien sind, ist hier schon gesagt. Unter Eingriff skriterien hat man sich folgendes vorzustellen: Es sind die von 42

So insbes. R. Schneider, V e r w A r c h 1967, 308; Kreft,

S. 16.

III. Die Bedeutung der „Kriterien"

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der Verfassung anerkannten Beweggründe des Gesetzgebers zur Schaffung von Eingriffsrechten. So ist anerkannt, daß für den Fall von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung Eingriffe i n Eigent u m für zulässig erklärt werden dürfen (polizeirechtliche Eingriffe), ebenso für den Fall strafrechtlicher Verfehlungen (Einziehung) wie auch für den Fall eines unabweisbaren unmittelbaren Bedürfnisses der Allgemeinheit für besondere, dem Gemeinwohl dienende Vorhaben („klassische" Enteignung) wie auch für den Fall „notwendiger Kollisionen" bei der privaten Raumnutzung (private, nachbarrechtliche Eingriffsrechte). Sind diese vier Gesichtspunkte unstreitig anerkannte Eingriffskriterien, so darf das nicht zu der Ansicht verführen, es gebe hier keine Probleme; i m Gegenteil: Höchst zweifelhaft ist, ob das Interesse der Allgemeinheit an wertschöpfender, unternehmerischer Initiative und Konzentration zu größeren Unternehmenseinheiten ein Grund zur Schaffung von Eingriffsrechten ist 4 3 . Streitig ist, ob das öffentliche Interesse am Wirken der Gewerkschaften Rechte auf Eingriffe i n Eigentum rechtfertigt. Und ins Weltanschauliche reichende Kontroversen entzünden sich auch an der Frage, ob der „Gedanke des Sozialen" 44 das heutige „soziale Mietrecht" m i t seinen oft als sehr weitgehend empfundenen außervertraglichen Befugnissen des Mieters gegenüber dem Eigentümer rechtfertigt. Dies zeigt, daß sich die für den materiellen Gehalt des Eigentums entscheidenden Diskussionen und Wertungen gerade i n diesen Kriterien widerspiegeln, daß diese Kriterien, indem sie anerkannt oder verworfen werden, den materiellen Gehalt des Eigentums konstituieren. Daran erweist sich wiederum der Wert des hier angewendeten Denkschemas: Es führt klarer als alle m i t den Begriffen Inhalt und Eingriff (im bisherigen Sinne) verknüpften Mutmaßungen zum Kern der Probleme. Erst diese Denkweise führt dahin, daß die Frage nach den konstitutiven Wertungen, nach den Kriterien, als das erkannt wird, was sie ist: Eine politische Frage i m besten Sinne dieses Wortes, eine Frage danach, was der Gemeinschaft, der Allgemeinheit, am besten nützt. Diese Denkweise entlarvt die ganze Eigentumsproblematik als einen Kampf der Meinungen (und Interessen) u m die Rolle der Sachgüter i n der Gesellschaft. Sie zwingt dazu, sich zu dieser Tatsache zu bekennen. Denn sie macht es aller rechtspolitischen Argumentation unmöglich, sich durch Verwendung der falsch verstandenen Begriffe „Inhalt" und „Eingriff" rechtsdogmatisch zu verkleiden. Damit sind die Eingriffskriterien als die entscheidenden konstituierenden Merkmale des Eigentums erwiesen. Sie erhalten zugleich not« „ F e l d m ü h l e " - F a l l ; dazu schon o., § 2 I V 4; vgl. ferner u., § 5 I I I . Dazu o., § 2 I V 3.

44

5 Schulte

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§ 3. „Eingriff" und „Inhaltsbestimmung" beim Eigentum

wendig eine rechtsdogmatisch überragend wichtige Bedeutung: Wenn es diese Kriterien sind, die das Eigentum inhaltlich konstituieren, so w i r d die Unterschiedlichkeit der einzelnen Eingriffskriterien zugleich zum Merkmal der Unterscheidung zwischen den einzelnen Arten der Eingriffe i n Eigentum: Polizeiliche, einziehungsrechtliche, enteignungsrechtliche, privatrechtliche Eingriffe i n Eigentum sind formal identische Erscheinungen (eben „Eingriffe"). Aber i m entscheidenden inhaltlichen, materiellen Punkt unterscheiden sie sich durch die A r t des Eingriffskriteriums. Schon hier läßt Einordnung aller Erscheinung kann keine belangvolle

sich also zumindest dies feststellen: Die gleichmäßige hoheitlichen Eingriffe in Eigentum als einheitliche nur formal richtig sein. Rechtsinhaltlich liegt darin Einsicht

Zugleich schafft die Erkenntnis der rechtsinhaltlich nach den jeweils unterschiedlichen Eingriffskriterien getrennten Arten von Eingriffsrechten den Raum für folgende Überlegung: Wenn die Eingriffsrechte inhaltlich nach Eingriffskriterien unterschieden werden, so spricht nichts dagegen, für jede A r t Eingriffsrecht auch spezifische Entschädigungskriterien anzunehmen. Vorsichtiger gesagt: Es ist ins Auge zu fassen, daß die Entschädigungskriterien, d.h. die Kriterien zur Unterscheidung zwischen entschädigungslosen und entschädigungspflichtigen Eingriffen, nicht etwa bei allen Arten von Eingriffsrechten stets dieselben sein müssen. Ein Blick auf das positive Recht erläutert und bestätigt diese Vermutung: Es sind z. B. die Entschädigungskriterien beim polizeirechtlichen Eingriff andere als beim enteignungsrechtlichen: Die „Schwere" des Eingriffs ist i m Polizeirecht kein Argument für Entschädigung, solange es u m Eingriffe i n die Rechte von „Störern" geht, wobei zur Störerhaftung auch die Zustandshaftung gehört. Auch die Einziehung ist trotz „Schwere" und „Sonderopfer"-Charakters des Eingriffs entschädigungslos. Auch diese Abhängigkeit der Entschädigungskriterien von den Eingriffskriterien spricht dafür, die Eingriffskriterien zum entscheidenden Bestimmungsmerkmal (und Unterscheidungsmerkmal) der Rechte auf Eingriff i n Eigentum zu machen 45 . 45

Es ließen sich i m m i t t e l b a r an dieses Ergebnis Überlegungen zu einem i n etwa neuartigen „System zu A r t . 14 G G " anschließen. Das Wesentliche daran wäre die Erkenntnis, daß m a n Eingriffe i n Eigentum durch Verwaltungsakt nicht an dem heutigen üblichen Schema Enteignung—Sozialbindung (sondern n u r an den „Entschädigungkriterien") messen kann, dieses Schema vielmehr n u r f ü r Eingriffe durch Gesetze (im materiellen Sinn) taugt u n d somit auch n u r dort der Theoriestreit u m dieses Schema Bedeutung hat, wobei dann der alten Einzelaktstheorie des RG der Vorzug zu geben ist. — Das Hauptziel der vorliegenden Untersuchung ist jedoch nicht dieses System. Deshalb führt der weitere Gang der Untersuchung i n andere Richtungen.

III. Die Bedeutung der „Kriterien"

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Eines dieser entscheidenden Eingriffskriterien ist der Gedanke der „ökonomisch sinnvollen Raumnutzung" bei „notwendigen Kollisionen" von Grundstücksnutzungen. Es fragt sich, ob und inwieweit dieses K r i terium derartige Eingriffsrechte von den enteignungsrechtlichen Eingriffskriterien unterscheidet. Diese Frage w i r d i n den wiederum notwendig weit ausholenden Erörterungen des folgenden Paragraphen zu beantworten versucht.

§ 4. Öffentliches Interesse I. Richtung der Untersuchung 1. Die Zahl der Aspekte, unter denen man den Begriff des öffentlichen Interesses erörtern kann, ist zu groß, als daß man eine zugleich kurze, aber trotzdem umfassende Darstellung geben könnte 1 . Es wäre z. B. zunächst der sprachliche Aspekt zu erörtern, also die Frage, ob „öffentliches Interesse", „ W o h l der Allgemeinheit" u n d viele andere ähnliche Ausdrücke dasselbe bedeuten 2 . (In der vorliegenden Untersuchung w e r den sie synonym verwendet 3 .) D a m i t wäre eine empirische Untersuchung über das Vorkommen u n d die Bedeutung dieser Ausdrücke i n der Literatur, Rechtsprechung u n d Gesetzen zu verbinden. Wesentlicher w ü r d e n Erörterungen über das Verhältnis zwischen Gemeinwohl u n d I n d i v i d u a l w o h l sein 4 . 1 Das Interesse der Juristen an den Begriffen öffentliches Interesse u n d Gemeinwohl scheint z. Zt. wieder zu wachsen, nachdem es lange den A n schein hatte, als bleibe dieses Thema der katholischen Soziallehre (insbesondere Messner) überlassen. Aus neuester Zeit sind insbesondere zu erwähnen die Vorträge u n d Diskussionsbeiträge der 36. Staatswissenschaftlichen F o r t bildungstagung der Hochschule Speyer (vgl. Bd. 39 der Schriftenreihe der Hochschule Speyer, B e r l i n 1968) u n d die Habilitationsschrift von Wolfgang Martens „öffentlich als Rechtsbegriff" (1969), besonders S. 169 ff. Umwerfend neue Gesichtspunkte sind bislang allerdings nicht zu finden. 2 Eine Untersuchung i n dieser Richtung, ausgehend v o m Wasserrecht, aber w o h l m i t Anspruch auf allgemeinere Bedeutung, hat Külz (Festschrift f ü r Gieseke, S. 187 ff.) versucht. Eine Untersuchung der Rechtsprechung i n dieser Hinsicht jetzt bei Ule, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, S. 128 ff. 3 Der Versuch, hier v o m Sprachlichen her Bedeutungsunterschiede zu erm i t t e l n (Külz, a.a.O.; ähnlich z. B. Schrödter, B B a u G § 87 A n m . 1; andeutungsweise auch Schack, B B 1961, 74 ff.), erscheint insofern als w i l l k ü r l i c h , als k e i n Erfahrungssatz dahin besteht, daß die Gesetze sich an einen bestimmten Sprachgebrauch halten. Es überwiegt daher die synonyme Verwendung dieser Begriffe i n L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung bei weitem, vgl. etwa W. Weber, S.383; v. Mangoldt-Klein, S. 445/446; Layer, S. 179/180, 276; Czermak, DöV 1966, 49; Dürig, J Z 1953, 536; Westermann, Festschrift f ü r Vits, S. 257; B G H N J W 1959, 479; BVerfGE 20, 159, 162; 14, 263 ff. A.A. z. B. Schnur, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, S. 62/63. 4 E i n insbes. i n der christlichen Soziallehre oft behandeltes Thema, vgl. etwa Welty, Festschrift f ü r Messner, S. 398 ff.; Gundlach, Staatslexikon, S. 738 f.; Beckel, Katholisches Soziallexikon, S. 304; Messner, Das Naturrecht, 4. Aufl., S. 183; speziell rechtswissenschaftlich etwa bei Hans J. Woiff, V e r waltungsrecht I , §29111, S. 134 f.; Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 766. I n der rechtswissenschaftlidien L i t e r a t u r finden sich meist jedoch n u r beiläufige Bemerkungen zu diesem Thema, vgl. etwa v. Kempski, Recht u n d Politik, 5. 91; Rudolph, Die Bindungen des Eigentums, S.41; Ryffel, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, S. 13 ff.; oder auch die Kelsensche Formulierung, wonach das geschütze Interesse stets das Individualinteresse ist, der Schutz dieses Interesses aber stets Kollektivinteresse (Kelsen, Allgem. Staatslehre,

I. Richtung der Untersuchung

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Wichtiger noch die Frage nach den Wegen zum Gemeinwohl, also nach Staatsform u n d Wirtschaftssystem u n d nach dem Verhältnis zwischen Staatszweck u n d Gemeinwohl, schließlich die Frage danach, w o die „Allgemeinheit" beginnt, u m deren W o h l es geht 5 . Ferner ergäben sich Fragen w i e diese: Ist „öffentliches Interesse" ein unbestimmter Rechtsbegriff oder eröffnet er Verwaltungsermessen 6 ? V o r allem aber wäre das Problem des I n halts des öffentlichen Interesses, der inhaltlichen K r i t e r i e n des Gemeinwohls zu erörtern 7 . Dabei wären zugleich die inhaltlichen Wandlungen des Gemeinwohls zu betrachten 8 ; w i e überhaupt die geschichtliche E n t w i c k l u n g des Begriffs des öffentlichen Interesses, insbesondere bei der Enteignung i m I n l a n d w i e i m Ausland eingehender Untersuchung bedürfte 9 . Nicht zuletzt lägen auch soziologische Fragestellungen nahe, etwa eine Untersuchung über die F u n k t i o n bestimmter Vorstellungen v o n öffentlichem Interesse f ü r bestimmte soziale Systeme, was insbesondere w o h l die F u n k t i o n ideologischer Rechtfertigung zutage treten lassen würde 10 »

2. Vorliegend geht es aber nur um folgende Frage:

S. 81). Das scheint m i r besser formuliert, als etwa der Satz „das Wesen aller Rechtsnormen besteht darin, daß sie zugleich dem Schutz v o n öffentlichen u n d privaten Interessen dienen" (so Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 23, unter Berufung auf E. Kaufmann); vgl. auch Bullinger, öffentliches Recht u n d Privatrecht, S. 115. Wenn m a n Gemeinwohl allerdings n u r als „ F o r m a l begriff" definiert, „der als rechtlich zureichender G r u n d f ü r die rechtliche Regelung des Soziallebens i m allgemeinen, daneben auch f ü r besondere E i n griffe i n die Individualsphäre dient" (so Bernsdorf-Bülow, Wörterbuch der Soziologie, 1954, S. 154), so liegt darin eine voreilige Kapitulation. 5 Diese Frage hat besonders i n der älteren rechtswissenschaftlichen L i t e r a t u r (Leuthold, öffentliches Interesse u n d öffentliche Klage i m Verwaltungsrecht, H i r t h s Annalen 1884, S. 321 ff.; Neumann, Das öffentliche Interesse m i t Bezug auf das Gebühren- u n d Steuerwesen, die Expropriation u n d die Scheidung von P r i v a t - u n d öffentlichem Recht, H i r t h s Annalen 1886, S. 357 ff.; Layer, S. 202 ff.) eine große Rolle gespielt, ohne daß sie überzeugend hätte gelöst werden können. 6 Eine Frage, zu der schon unendlich oft Stellung genommen worden ist; meist zugunsten der Annahme eines unbestimmten Rechtsbegriffs; am richtigsten m. E. B V e r w G E 3, 332 u n d 4, 185: Es sei zu unterscheiden zwischen der v o l l nachprüfbaren Auslegung des Begriffs u n d dem Ermessen bei der A b w ä g u n g der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte. Z u r verfassungsgerichtlichen Nachprüfbarkeit gesetzgeberischer Auslegung u n d A n w e n d u n g i m Bereich des A r t 14 Abs. 3, S. 1 jetzt bejahend B V e r f G E 24, 367 (403 f.). 7 Wobei m i t Schnur, a.a.O., S. 60 f., 70, festzustellen wäre, daß es hier n u r negative Aussagen gibt u n d dieser weitgehende Mangel inhaltlicher Maßstäbe dahin führt, daß das Problem zu einer Frage der Entscheidungskompetenz w i r d . I n diese Richtung auch Martens, öffentlich als Rechtsbegriff, S. 202 ff. 8 Die Wandelbarkeit des Inhalts des Gemeinwohls w i r d allgemein betont, so etwa, w e n n Forsthoff, S. 17 (§ 1 a. E.) sagt, der Begriff verweise auf p o l i t i sche Wertvorstellungen (ähnlich etwa Diester, S. 130; Giese, S. 28; Neufang, S. 24), w o m i t zugleich die Frage angesprochen ist, welche Instanzen ggf. entscheiden, was dem Gemeinwohl dient; dazu auch Meier-Hayoz i n Berner Kommentar I V 1, 1. Halbband, S. 150 (Rn. 222 c). 9 Wichtige Ansätze dazu insbes. bei Mann, S. 291 ff. 10 So Luhmannn, Der Staat 1962, S. 377. 11 Weitere wichtige Aspekte u n d Gesichtspunkte bei Streißler, passim; ferner wichtig: W o l f gang Hirsch-Weber, P o l i t i k als Interessenkonflikt, Stuttgart 1969, insbes. S. 98 ff.

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§ 4. öffentliches Interesse

Man spricht davon, es liege i m „öffentlichem Interesse", daß ein Gesetz dem Wachstum der Wirtschaft, der sinnvollen Nutzung von Grund und Boden, der optimalen Verwendung des Wasserschatzes, der Gewinnung von Bodenschätzen dient. Meint man aber dasselbe „öffentliche Interesse", wenn man davon spricht, eine Enteignung dürfe nur i m „öffentlichen Interesse" erfolgen? Das liegt vielleicht insofern nahe, als es jedenfalls nicht gegen Logik und Sprachgebrauch verstößt, wenn man Interessen an Wirtschaftswachstum, ökonomisch sinnvoller Raumnutzung, Gewinnung von Bodenschätzen usw. m i t öffentlichem Interesse (Gemeinwohl) identifiziert. Das BVerfG z. B. spricht häufig von öffentlichem Interesse, das die Entscheidungen des Gesetzgebers motiviere und rechtfertige 12 : „Auch der Gesetzgeber, der öffentlich-rechtliche Eigentumsbeschränkungen statuiert, ist i n seinen Handlungen nicht völlig frei; da sie m i t öffentlichem Interesse motiviert werden, müssen sie auch von dort her legitimiert sein"; ferner 1 3 : „Ist ein Genehmigungsverfahren zulässigerweise angeordnet, so müssen die Gründe, die eine Versagung der behördlichen Erlaubnis ermöglichen, durch legitime öffentliche Interessen gerechtfertigt sein"; sowie dort, wo „zwingende Gründe des Gemeinwohls" ausnahmsweise auch eine Rückwirkungsanordnung von Gesetzen rechtfertigen 14 ; schließlich auch von dem „den § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrdstVG rechtfertigenden öffentlichen Interesse" 15 . A m deutlichsten w i r d diese Legitimationsfunktion des öffentlichen Interesses für den Gesetzgeber i n der bekannten „Stufentheorie" des BVerfG zur Berufsfreiheit: je stärker und dringender das öffentliche Interesse, umso einschneidender darf der Gesetzgeber i n die Berufsfreiheit eingreifen 18 . Erneut ist zu fragen: Ist dieses „öffentliche Interesse" dasselbe „öffentliche Interesse" wie bei der Enteignung 17 ? Besagt die Tatsache, daß i n beiden Zusammenhängen von öffentlichem Interesse gesprochen wird, zugleich auch, daß für alles, was etwa dem Wachstum der W i r t schaft dient, Enteignung zulässig ist? Besagt das umgekehrt, daß alle Eingriffe zugunsten des Wachstums der Wirtschaft Enteignungen sind? Niemand w i r d bei einigem Uberdenken der Konsequenzen auch nur eine dieser Fragen bejahen wollen. Es fehlt aber eine hinreichend genaue Formulierung, die wiedergibt, w o r i n der Unterschied besteht zwischen dem, was öffentliches Interesse bei der Enteignung bedeutet und dem, was öffentliches Interesse i n den anderen genannten Zusam12

BVerfGE 8, 71 (80); vgl. auch BVerfGE25, 112 (117). BVerfGE 20, 150 (159). BVerfGE 13, 261 ff. 15 BVerfGE 21, 86. 16 BVerfGE 7, 377. 17 Das w i l l anscheinend Rupp, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 39, S. 71, sagen. 13

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II. Gesetzesbindung der Verwaltung und ö. I.

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menhängen meint. Zwar ist anerkannt, daß öffentliches Interesse bei der Enteignung etwas besonderes bedeutet, daß es ein spezifisches enteignungsrechtliches öffentliches Interesse gibt 1 8 . Es ist aber bis heute nicht gelungen, hinreichend exakt zu formulieren, worin die spezifische Eigenschaft des enteignungsrechtlichen öffentlichen Interesses besteht. Es muß jedoch versucht werden, das zu klären. Sonst fällt man Begriffsvertauschungen zum Opfer, die gerade bei den vorliegend untersuchten Problemen wesentlich zu den bestehenden dogmatischen Unklarheiten beigetragen haben (und zugleich auch herangezogen werden, u m die Schwierigkeiten, i n die sie führen, wieder auszuräumen). I I . Das Gebot der Gesetzesbindung der Verwaltung als Zwang zur Konkretisierung des öffentlichen Interesses Die Klärung der Frage, was das spezifische öffentliche Interesse bei der Enteignung ausmacht, kann nur schrittweise erfolgen. 1. Der wichtigste Schritt ist dabei die Klärung der Frage, warum man überhaupt gezwungen ist, unter dem öffentlichen Interesse bei der Enteignung etwas „Spezifisches" zu verstehen. Schon hier ist eine parallele Erscheinung i n die Betrachtung einzubeziehen: Warum sagt man i m Polizeirecht, der Gefahrbegriff i n § 14 PVG 1 9 sei ein anderer als i n den übrigen Vorschriften der Polizeigesetze; es sei hier eine spezifische Gefahr gemeint; die Polizei sei, wenn sie nur aufgrund der allgemeinen polizeirechtlichen Generalklausel handle („Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung"), nur zur Abwehr bestimmter Gefahren ermächtigt? Eine zunächst vielleicht überraschende Ubereinstimmung zwischen Polizeirecht und Enteignungsrecht besteht darin, daß man auf beiden Gebieten dahin kommt, das „Spezifische" als etwas „Konkretes" zu bezeichnen: Die Gefahr i m Sinne von § 14 PVG müsse eine „konkrete Gefahr" sein 20 , das öffentliche Interesse i n A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG ein „konkretes öffentliches Interesse" 21 . Es mag mehrere Gründe dafür geben, die dazu drängen, bei der Enteignung ein spezifisches, „konkretes" öffentliches Intresse zu verlangen und bei polizeilichem Einschreiten aufgrund von § 14 PVG eine spezifische, „konkrete" Gefahr. Zumindest folgender Grund ist dafür 18

Vgl. dazu die Nachweise u., S. 85 f. Bzw. i n den entsprechenden Vorschriften der heutigen Polizeigesetze der Länder; diese sind stets gemeint, w e n n hier pauschal v o n § 14 P V G gesprochen w i r d . 20 V ö l l i g einheitliche Meinung, vgl. Drews-Wacke, §18,6; Scheerbarth, §30; Hans J. Wolff, V e r w a l t u n g s r e c h t i l l , § 1 2 5 I I ; Scupin, Handbuch der K o m m u nalwissenschaft, Bd. 2, S. 616. 21 Vgl. die Nachweise u., S. 86 Fn. 54. 19

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§ 4. öffentliches Interesse

zwingend: d i e v o m G G v e r l a n g t e B i n d u n g der V e r w a l t u n g a n das Gesetz 2 2 . M a n frage sich, w i e es m i t dieser B i n d u n g stände, w e n n das H a n deln der V e r w a l t u n g n u r v o n den genannten Generalklauseln determ i n i e r t würde. Was wäre davon zu halten, w e n n die B i n d u n g der V e r w a l t u n g n u r d a r i n bestände, daß i h r e E n t s c h e i d u n g d e m W o h l d e r A l l g e m e i n h e i t , d e m öffentlichen Interesse o. ä. z u d i e n e n habe? W i e b e r e c h t i g t u n d a k t u e l l diese F r a g e ist, zeigt d i e E n t s c h e i d u n g des B V e r f G z u r A n w e n d u n g v o n § 9 des G r d s t V G 2 3 ' 2 4 . D a n a c h i s t das M e r k m a l „ u n g e s u n d e V e r t e i l u n g des G r u n d u n d B o d e n s " i n § 9 A b s . 1 N r . 1 G r d s t V G n i c h t a l l e i n geeignet, eine verfassungsgerechte B i n d u n g d e r V e r w a l t u n g z u erzeugen 2 5 . W e n n schon diese r e l a t i v enge F o r m e l n i c h t g e n ü g t , d a n n m u ß m a n fragen, w i e das d e n n d i e n o c h a l l g e m e i n e r e n F o r m e l n „ W o h l d e r A l l g e m e i n h e i t " b e i d e r E n t e i g n u n g oder „ G e f a h r f ü r d i e öffentliche Sicherh e i t oder O r d n u n g " b e i d e r p o l i z e i r e c h t l i c h e n G e n e r a l k l a u s e l k ö n n e n . Uberpointiert gefragt: W i e können „Leerformeln" die V e r w a l t u n g b i n den 2 6 ? Es b l e i b t n u r d i e E i n s i c h t , daß eine Gesetzesbindung d e r V e r w a l 22 Die Formulierung „Gesetzesbindung" der V e r w a l t u n g (statt „Gesetzesvorbehalt") soll andeuten, daß der Verfasser hier dem heutigen herrschenden Verständnis der Abhängigkeit der V e r w a l t u n g v o m Gesetz bei Eingriffen i n Freiheit u n d Eigentum folgt, also der Ansicht, daß sich das Gesetz nicht darauf beschränken darf, den U m f a n g v o n Eingriffsbefugnissen allgemein abzustecken, sondern daß der Gesetzgeber die Eingriffsbefugnisse — u n d damit den individuellen Freiheitsbereich — n o r m a t i v zu fixieren hat, vgl. dazu v o r allem Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, S. 222 ff., aber auch die Darstellung Forsthoffs, §4a.E. („Exkurs"), der die E n t w i c k l u n g zu dieser Ansicht zwar bedauert, aber doch resignierend anerkennt. Sehr kritisch gegenüber strengen Anforderungen an die Bestimmtheit v o n Eingriffsermächtigungen zugunsten der V e r w a l t u n g allerdings Hans J. Wolff , Verwaltungsrecht I, § 30 I I I a, 2. — Nicht ganz k l a r ist, auf welche Vorschrift des G G m a n sich zur Hechtfertigung des Prinzips der Gesetzesbindung der V e r w a l t u n g berufen soll. Es w i r d nicht genügen, sich dabei allein auf A r t . 20 Abs. 3 zu stützen, vielmehr w i r d man auch auf A r t . 19 Abs. 4,14 Abs. 1, Satz 2 u n d 80 Abs. 1, Satz 2 verweisen müssen; vgl. auch dazu Jesch, Gesetz u n d V e r w a l tung, S. 134 ff., 189 f., 220 f., 224. 23 BVerfGE 21, 73 ff. 24 Daß die Unbestimmtheit des Begriffs „ W o h l der Allgemeinheit" gerade wegen des Gebots der Gesetzesbindung der V e r w a l t u n g bei der Enteignung ernste Probleme a u f w i r f t , w i r d — soweit ersichtlich — n u r bei Bullinger (Der Staat 1962, S. 455) deutlich herausgestellt, allerdings w o h l überall dort gespürt, w o m a n sich u m Erläuterungen u n d Konkretisierungen dieses Begriffs bemüht. 25 Das B V e r f G sieht dieses M e r k m a l n u r deswegen als eine dem GG entsprechende Normierung an, w e i l es i n § 9 Abs. 2 GrdstVG näher umschrieben w i r d , nämlich dahin, daß es vorliegt, w e n n die Veräußerung Maßnahmen zur Verbesserung der A g r a r s t r u k t u r widerspricht u n d w e i l sich diese Maßnahmen aus dem „Grünen Plan" ergeben, vgl. BVerfGE 21, 80/81. 26 Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, S. 225 Fn. 235: Wenn die E x e k u t i v e ermächtigt würde, alles zu tun, was sie i m öffentlichen Interesse f ü r nützlich erachtete, so wäre das eine zu unbestimmt gefaßte Ermächtigungsnorm. Nachdrücklich weist v o r allem Streißler, S. 8 f. (unter Hinweis auf ö s t e r reichische Rechtsprechung, vgl. S. 33 Fn. 61), auf die mangelnde Bindungs-

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tung allein durch diese Begriffe nicht erzielt werden kann. Gäbe es tatsächlich nur diese Formel und keinerlei sonstige Grundsätze, die die k r a f t des Begriffs Gemeinwohl u n d synonymer Floskeln hin. Vgl. auch Kupp, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, B a n d 39, S. 116 f. Luhmann (Der Staat 1964, S. 135) erwähnt das Gemeinwohl unter den Organisationszwecken, die „oft n u r eine vage, vieldeutige Rechtfertigungsvorstell u n g (sind), die dem Handeln i m einzelnen große Freiheit läßt u n d mehr dazu bestimmt ist, es gegen Angriffe zu schützen, als es anzuleiten". I n dieselbe Richt u n g zielt Luhmanns Bemerkung (Grundrechte, S. 60 Fn. 18), Leerformeln v e r deckten zumeist Normbildungskompetenzen. Z u m Begriff des Gemeinwohls als Leerformel vgl. auch Weisser, S. 83 ff. Bullinger, W D S t R L 22, 292 nennt den „Begriff des Gemeinwohls u n d ähnliche Begriffe ein Blankett f ü r Maßstäbe". Anderenorts ist schon oft i n dieser Richtung noch w e i t Abfälligeres über die Begriffe öffentliches Interesse, Gemeinwohl usw. geäußert worden; so etwa bei Treichler (Zeitschr. f ü r deutsches Recht, Bd. 12, S. 135): öffentliches I n t e r esse sei eine „Phrase", deren Verwendung i n einer guten Gesetzgebung u n statthaft sei; man dürfe der Gewalttätigkeit einzelner herrschsüchtiger M e n schen m i t diesem Begriff keinen so weiten Spielraum lassen u n d nicht die Lösung wichtiger Fragen m i t einer allgemeinen Phrase beiseite schieben. Ferner (zitiert nach Dürig, Die konstanten Voraussetzungen des Begriffs „öffentliches Interesse", Diss. München 1949): Lief mann (Kartelle u n d Truste, Stuttgart 1927, S. 245): öffentliches Interesse sei eine „hohle Phrase", unter der jeder etwas anderes verstehe; Rosenstock (Über einige neue G r u n d begriffe des Privatrechts, M a r b u r g 1931): „hohl, dekadent, pathetisch". Nüchterner dagegen v. Laun, Das freie Ermessen u n d seine Grenzen, Leipzig 1910, S. 66, 70: Es handle sich u m eine Ermächtigung f ü r Behörden, aus eigener Machtvollkommenheit unbeeinflußt v o m Gesetz festzusetzen, w o r i n i n der konkreten Angelegenheit das öffentliche Interesse bestehe. Gerade w e i l es nicht faßbar sei, habe das Gesetz den Behörden Blankovollmacht erteilt. Was die Behörde für das öffentliche Interesse halte, sei dann auch das öffentliche Interesse i m Rechtssinn; etwa i n dieser Richtung auch H. Huber (in: Staat u n d Privateigentum, S. 88), w e n n er beklagt, der Begriff des öffentlichen Wohls habe i n der Schweiz i n den letzten 100 Jahren weniger auf einer Konzeption beruht, als daß er getreulich oder sogar sklavisch den faktischen Bodenbeschaffungsbedürfnissen des Gemeinwesens nachgefolgt sei; skeptisch auch Fleiner, Institutionen des deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl. S. 143 Fn. 3: Es werde nie gelingen, den Begriff öffentliches Interesse „ i n ein System zu bringen", man könne höchstens beschreiben, v o n welchem Begriff die E n t eignung, das Steuerrecht usw. ausgingen. Meist werden Behauptungen der angeblichen Inhaltsleere der genannten Begriffe aber f ü r unrichtig gehalten (auch v o n Dürig a.a.O. u n d i n J Z 53, 535 ff.), was überall dort zum Ausdruck kommt, w o angeführt w i r d , „öffentliches Interesse" usw. verweise auf p o l i t i sche Wertvorstellungen (vgl. dazu die Nachweise o., S. 69 Fn. 8). Die Gefahren einer Argumentation m i t dem Begriff „öffentliches Interesse" bleiben jedoch unübersehbar, vgl. etwa v. Kempski, Recht u n d Politik, S. 91: Das öffentliche Interesse dürfe nicht „zu einem Mythos gemacht werden, i n dessen Nebel es der öffentlichen H a n d möglich ist, auf Straßenraub an den Staatsbürgern auszugehen". A l l e n diesen Äußerungen gegenüber erscheint es mehr als gewagt, w e n n das B V e r w G die Gesetzesbindung der V e r w a l t u n g durch eine Floskel w i e „aus Gründen des Gemeinwohls" als ausreichend hergestellt ansieht u n d als Begründung angibt, „Gemeinwohl" sei zwar ein u n bestimmter Rechtsbegriff, solche w ü r d e n aber i m Verwaltungsrecht unangefochten häufig verwendet (vgl. B V e r w G E 7, 121). Ä h n l i c h jetzt aber auch BVerfGE 24, 367 (403, 404), das zunächst zwar sagt, der „abstrakte Rechtsbegriff des Gemeinwohls" decke vielfältige Sachverhalte u n d Zwecke" u n d bedürfe daher der „Konkretisierung i m einzelnen F a l l " , sodann aber meint A r t . 14 Abs. 3, S. 1 G G — also die Bindung der Zulässigkeit der Enteignung an das M e r k m a l „ W o h l der Allgemeinheit" — gebe einen „verbindlichen Maßstab".

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Verwaltung binden, so wäre die Verwaltung praktisch frei und allmächtig. Die Berufung auf das Gemeinwohl würde fast jede beliebige Handlung legitimieren. Die Normierung m i t Generalklauseln wie „öffentliches Interesse", „Gemeinwohl" oder „Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" als einziger Handlungsvoraussetzung würde lediglich eine Verweisungsfunktion haben. Die Generalklausel würde auf autoritäre Entscheidung der Behörde verweisen. Der Gesetzgeber hätte sich seiner Funktionen begeben und seine Macht auf die Verwaltung delegiert. Diese wäre damit legitimiert, die extremsten Dinge anzuordnen, etwa das Rauchen zu verbieten, w e i l einer Gefahr f ü r die Volksgesundheit begegnet werden muß; oder die Enteignungsbehörde könnte kleine L a n d w i r t e enteignen u n d das L a n d anderen Bauern zuschlagen, w e i l das dem öffentlichen Interesse an Verbesserung der A g r a r s t r u k t u r dient; die Polizei könnte jedem K r a f t f a h r e r die Benutzung seines Fahrzeuges verbieten, solange es nicht m i t einem Gerät zur Entgiftung der Auspuffgase versehen ist, w e i l damit einer Gefahr für die Öffentlichkeit begegnet w i r d ; oder: die Behörde könnte den Nachbarn einer F a b r i k f ü r „klingende Bierseidel" enteignen, w e i l sich die F a b r i k erweitern w i l l , was i m öffentlichen Interesse a m Wachstum der W i r t schaft (oder an der Schaffung v o n Arbeitsplätzen oder an der Verbesserung der Gemeindefinanzen) liegt.

2. Die Funktion des Gesetzgebers besteht darin, zu werten . Jede Gesetzesnorm berührt verschiedene Interessen und hat die Aufgabe, diese Interessen gegeneinander abzugrenzen. Die Gesichtspunkte, unter denen diese Abgrenzung vorgenommen wird, sind auf dem Gebiet des Eigentumsrechts nichts anderes als die oben (§ 3) beschriebenen Eingriffskriterien. Die Kriterien sind Bewertungsmaßstäbe des Gesetzgebers. Diejenigen Bewertungsmaßstäbe, die zur Schaffung von Eingriffsrechten führen, sind die „Eingriffskriterien". Dem Bewertungsvorgang und dem Ergebnis der Bewertung ist von der Verfassung zwar ein Rahmen gesetzt. Aber dieser Rahmen ist sehr weit. Zwar ist die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers beim Eigentum nicht schrankenlos 27 . Er hat vielmehr „die grundlegende Wertentscheidung der Verfassung zugunsten des Privateigentums i m herkömmlichen Sinne" zu beachten 28 , wie auch den Gleichheitssatz, das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, die Rechtsstaatlichkeit, das Sozialstaatsgebot 29 und schließlich die Erfordernisse des geeigneten und des erforderlichen Mittels 3 0 . Aber der Gesetzgeber hat dabei einen weiten Beurteilungsspielraum, gesetzgeberisches Ermessen 31 . Zu diesen von der Verfassung vorgeschriebenen „ideellen" Gesichtspunkten kom27 28 29 30 31

Vgl. BVerfGE 1,276; 4,240; 14,278; 21, 82; 25,117. BVerfGE a.a.O. Vgl. BVerfGE 14, 277, 278; 18, 132; 20, 355, 356; 21, 84; 25, 117. Vgl. BVerfGE 18,132; 21,86. Vgl. BVerfGE 8, 80; 14,282; 21,83.

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men i n einem Staat, dessen Aufgabe es auch ist, auf die materielle Wohlfahrt seiner Bürger zu achten, handfeste ökonomische Gesichtspunkte, z. B. Agrarstruktur 3 2 oder Unternehmenskonzentration 33 oder auch die „ökonomisch sinnvolle Raumnutzung". Das Ergebnis der A b wägung zwischen diesen Gesichtspunkten ist von der Verfassung weitgehend nicht determiniert. Das Abwägungsergebnis hat der Gesetzgeber i n weitem Rahmen selbst wertend zu ermitteln. Werten heißt, die einzelnen berührten Interessen gegeneinander abwägen, sie gewichten und entscheiden, wieviel Raum dem einzelnen berührten Interesse gegeben wird 3 4 . Das ist ein Vorgang, der sich nur i n seltenen Fällen v o l l rational vollziehen läßt. I n aller Regel läßt sich nicht ausrechnen, welche Lösung die beste ist. Das ist schon deshalb unmöglich, weil es für die Abwägung von immateriellen Gesichtspunkten keine v o l l rationalen Maßstäbe gibt. Werten, abwägen, entscheiden auf der Ebene des Gesetzgebers ist weitgehend politisches Handeln. Jede dieser politischen Entscheidungen, jedes dieser gesetzgeberischen Abwägungsergebnisse, jede Norm also, dient dem öffentlichen Interesse. A l l e Gesichtspunkte, die der Gesetzgeber positiv berücksichtigt, sind öffentliche Interessen. Das ist auch dann der Fall, wenn private Interessen berücksichtigt sind. Privates Interesse und öffentliches Interessse sind i n dem Augenblick kein Gegensatz, i n dem sich der Gesetzgeber des Privatinteresses annimmt und es fördert. Diese Förderung des Privatinteresses liegt dann i m öffentlichen Interesse. I n diesem Sinne dient alles, was der Gesetzgeber bestimmt, dem öffentlichen Interesse 35 . I n diesem Sinne ist Gesetzgebung geradezu als Verfolgung öffentlicher Interessen zu definieren (allerdings ist das eine völlig nichtssagende Definition). Wenn man daher die Verwaltung nur damit bindet, daß man ihr aufgibt, dem Gemeinwohl zu dienen, öffentliche Interessen zu verfolgen, 32

Vgl. BVerfGE 21, 73 ff. BVerfGE 14,263 ff., 280ff. 34 Das B V e r f G verschleiert den wahren Sachverhalt, w e n n es meint, A r t . 14 Abs. 2 gebe dem Gesetzgeber hierfür eine „verbindliche Richtschnur" (vgl. B V e r f G E 21,83; 25,117). 35 Das schließt eine verfassungsgerichtliche Nachprüfbarkeit nicht aus, n u r k a n n diese Nachprüfung ehrlicherweise nicht darin bestehen, daß die gesetzgeberische Lösung als falsche oder richtige A n w e n d u n g u n d Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Gemeinwohl" deklariert w i r d , sondern n u r darin, daß das Verfassungsgericht sein eigenes Ermessen schlicht an die Stelle des Ermessens des Gesetzgebers setzt. Das B V e r f G geht insofern von einer Kompromißlösung aus, als es einerseits den Begriff „Gemeinwohl" einen „verbindlichen Maßstab" nennt, sich andererseits aber über die W e r tungen u n d Erwägungen des Gesetzgebers n u r hinwegsetzen w i l l , w e n n diese „eindeutig widerlegbar oder offensichtlich fehlsam" sind, vgl. BVerfGE 24, 404, 406. 33

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wenn man diese Bindung nicht weit präziser beschreibt, als es die o. g. Verfassungsrechtsprechung für den Gesetzgeber tut, dann macht man die Verwaltung zum Gesetzgeber. Daher kann es nur Aufgabe der Gesetze und nicht Aufgabe der Verwaltung sein, bindend zu bestimmen, was i m öffentlichen Interesse liegt, was dem Gemeinwohl dient. Der Verwaltung darf — extrem gesprochen, für den hier allein interessierenden Bereich der Eingriffsverwaltung aber zumindest i m Prinzip richtig — nur überlassen bleiben, i m einzelnen zu entscheidenden Fall die Rechtsfolge aus dem zu deduzieren, was der Gesetzgeber als Ergebnis seiner wertenden Abwägung abstrakt generell i n der Norm angeordnet hat. Deshalb ist z.B. der Baupolizei i n den Bauordnungen i m Detail vorgeschrieben, w a n n ein Gebäude dem öffentlichen Interesse an Standsicherheit, an Feuerschutz, an Hygiene, an Volksgesundheit entspricht. Deshalb ist exakt u n d allgemein vorgeschrieben, w i e A r z n e i m i t t e l u n d Lebensmittel beschaffen sein müssen, w e n n sie verkauft werden sollen. Vielleicht deshalb haben die Schöpfer des Grundstücksverkehrsgesetzes es f ü r nötig gehalten, das M e r k m a l der „ungesunden Verteilung des G r u n d u n d Bodens" i m m e r h i n dahin zu präzisieren, daß es i n der Regel dann vorliegt, w e n n die zu genehmigende Veräußerung Maßnahmen zur „Verbesserung der A g r a r s t r u k t u r " w i d e r spricht 3 6 .

Es bleiben nun aber Fallgruppen übrig, i n denen eine derartige gesetzliche Festlegung der Handlungsvoraussetzungen der Verwaltung nicht vorgenommen worden ist und nicht vorgenommen werden konnte: § 14 PVG muß zumindest subsidiär überall dort gelten, wo keine speziellen Ermächtigungen vorliegen. I n A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG hat die Generalklausel gar Verfassungsrang erhalten. Das kann und darf nicht anders sein, w e i l kein Gesetzgeber voraussehen kann, welche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auftauchen werden, welche Erfordernisse des Gemeinwohls sich i m Laufe der Zeit ergeben werden. Es muß derartige Generalklauseln geben, damit auch unter veränderten, unvorhergesehenen Umständen die Polizei tätig werden und die Enteignungsbehörde eingreifen kann. Das Problem der Gesetzesbindung der nur durch diese Generalklauseln gebundenen Verwaltung aber ist damit nicht gelöst. Die Unabänderlichkeit der Situation, die Tatsache, daß es diese Generalklauseln geben muß, darf nicht zu der resignierenden Einsicht führen, daß hier eine dem A r t . 20 Abs. 3 GG entsprechende Gesetzesbindung eben nicht 36 A b e r auch das k a n n nicht genügen, solange nicht feststeht, welche A g r a r s t r u k t u r anzustreben ist; denn dann könnte jeder, der § 9 GrdstVG anwendet, die A g r a r s t r u k t u r anstreben, die er f ü r richtig hält. D a r u m stellt das B V e r f G (vgl. o., S. 72) darauf ab, daß die Maßnahmen zur Verbesserung der A g r a r s t r u k t u r i m „Grünen Plan" festgelegt sind.

III. Die parallele Problematik im Polizeirecht

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möglich sei, daß sich hier so etwas wie die „normative K r a f t des Faktischen" durchsetze. Man braucht sich aber andererseits auch nicht m i t Spekulationen darüber aufzuhalten, ob die Nachfolger von § 14 P V G und ob A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG gegen A r t . 20 Abs. 3 GG verstoßen. Vielmehr muß man fragen, ob nicht längst Maßstäbe, Konkretisierungen, Auslegungen gefunden sind und praktiziert werden, mittels derer diese Formeln jedenfalls insoweit operational gemacht worden sind, daß man wieder von einer Gesetzesbindung der Verwaltung sprechen kann. Zunächst w i r d dies weiter am Beispiel der polizeirechtlichen Generalklausel besprochen. Die Problematik ist hier einfacher und auch weitergehend geklärt. I I I . Die parallele Problematik im Polizeirecht 1. I n den meisten Fällen w i r d das Handeln der Polizei nicht durch die Generalklausel des § 14 PVG bestimmt, sondern durch Vorschriften, die tatbestandlich exakt vorschreiben, wann eingegriffen werden darf, d. h., es läßt sich durch einfache Subsumtion des Sachverhalts unter den Tatbestand die Normwidrigkeit des Sachverhalts feststellen und damit die Erforderlichkeit des Eingreifens. Es sind dies zum Beispiel die Fälle des Lebensmittelrechts, des Immissionsschutzrechts, der Bauordnungen. Hier ist tatbestandlich vorgeschrieben, was polizeiwidrig ist, etwa ein Haus ohne feuerbeständige Trennwände zwischen verschiedenen Wohnungen (§31 Abs. 1 Nr. 1 nwBauO), die Geräusche einer Baumaschine, die die i n § 2 der 4. DVO zum nwImmSchG festgelegte Phongrenze überschreiten oder die Beschäftigung an Tuberkulose erkrankter Personen i n Molkereien (§17 des Bundesseuchengesetzes). Eingriffe der Polizei zur Behebung des polizeiwidrigen Zustandes i n derartigen Fällen werden als unselbständige Polizeiverfügungen bezeichnet; unselbständig, weil die Polizeiverfügung v o l l i m Gesetz determiniert ist. Das Eingreifen der Polizei erfolgt hier also zur Abwehr einer abstrakten Gefahr. Was gefährlich ist für öffentliche Sicherheit und Ordnung, ist bereits i m Gesetz verbindlich festgelegt. Ob die Gefahr i m Einzelfall auch wirklich vorliegt, ist unerheblich. Die Polizeigefahr droht durch die Normwidrigkeit als solche; genauer gesagt: Die Gefährlichkeit w i r d unwiderlegbar vermutet. Der Beweis, daß i m Einzelfall keine Gefahr gegeben ist, ist ausgeschlossen. Alles dies ist gänzlich unstreitig und entspricht der insoweit seit langem unverändert feststehenden Ansicht i n Schrifttum und Rechtsprechung 37 . 37 Vgl. etwa Drews-Wacke, §18, 6 b, S. 292; Scheerbarth, §30; jew. m. w . N. Wiethaup, S. 149 (der zugleich allerdings v o n einer „ U m k e h r u n g " der Beweislast spricht, was unrichtig ist, w e i l die Gefährlichkeit überhaupt nicht widerlegt werden kann).

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§ 4. öffentliches Interesse

Was eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ist, ist also auf der Ebene des Gesetzgebers vorentschieden, und zwar m i t verbindlicher W i r k u n g für den Gesetzesanwender. Die „abstrakte" Gefahr, der die Polizei i n diesen Fällen begegnet, ist also sozusagen eine Gefahr auf der Ebene des Gesetzgebers, die Gefahr — i n ihrer Abstraktheit — ist Anlaß, ist gesetzgeberischer Grund für die betreffende Normierung. Man könnte übrigens i n diesen Fällen statt zu sagen, die Polizei greife bei abstrakter Gefahr ein, genauso gut sagen, es sei keine Gefahr erforderlich. „Abstrakte Gefahr" ist eben kein von der Polizei in diesen Fällen zu prüfendes Merkmal der Voraussetzung ihres Eingreifens. Deshalb ist es gleichgültig, ob man davon spricht, es bestehe eine abstrakte, i n den Tatbestandsmerkmalen der Eingriffsnorm eingefangene Gefahr, oder ob man sagt, das Vorliegen einer Gefahr sei nicht Eingriffsvoraussetzung. 2. Ganz anders ist die Situation bei den sogenannten „selbständigen Polizeiverfügungen": Hier ist das Handeln der Polizei nicht durch tatbestandliche Fixierung der Handlungsvoraussetzungen determiniert, sondern durch die polizeirechtliche Generalklausel des § 14 PVG 8 8 . Hier nun kommt es zu den beschriebenen Schwierigkeiten beim Problem der Gesetzesbindung der Verwaltung: Würde man bei der polizeirechtlichen Generalklausel unter „Gefahr" dasselbe wie bei den unselbständigen Polizeiverfügungen verstehen, so würde die Polizei an die Stelle des Gesetzgebers treten können, Spezialgesetze wären überflüssig und unwirksam. Die Polizei dürfte dann dieselben Erwägungen anstellen wie der Gesetzgeber, dürfte abstrakte Gefahren bekämpfen, wie es der Gesetzgeber tut, dürfte i n Hechte eingreifen, wann es ihr zweckmäßig erschiene. Sie dürfte also v o n sich aus bestimmen, w a n n ein Gebäude als standsicher zu gelten hat, sie dürfte Kraftfahrzeuge, die keine Entgiftungsanlage f ü r Auspuffgase haben, anhalten u n d nicht weiterfahren lassen, sie dürfte Rauchern die Zigaretten wegnehmen, u n d sie dürfte darauf achten, daß Eltern ihre K i n d e r i m W i n t e r w a r m anziehen.

Daran ändert sich auch nichts dadurch, daß es i n § 14 nwOBG heißt „ . . . i m Einzelfalle . . . " . Die Polizei w i r d immer nur i m Einzelfall tätig. Die Beschränkung auf „Einzelfälle" bedeutet nur, daß § 14 nwOBG keine Ermächtigung zum Erlaß allgemeiner Vorschriften, also von Polizeiverordnungen gibt. Nicht aber ist dies allein etwa schon eine Be38 „Die Polizeibehörden haben i m Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, u m v o n der Allgemeinheit oder den einzlnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht w i r d " ; oder, i n neuerer Formulierung (§14 n w O B G ) : „Die Ordnungsbehörden können i n Rechte natürlicher oder juristischer Personen eingreifen, u m eine i m einzelnen Falle bestehende Gefahr abzuwehren, die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht".

III. Die parallele Problematik im Polizeirecht

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schränkung auf bestimmte Erwägungen, die die Polizei nur anstellen dürfte. Auch die Beschränkung auf „notwendige" Maßnahmen i n § 14 PVG führt zu keinem anderen Ergebnis: wenn etwa die Polizei erkennt, daß Auspuffgase, Gebäude m i t dünnen Wänden, Nikotingenuß und nicht warm angezogene Kinder Gefahren für die Volksgesundheit, also für die öffentliche Sicherheit sind, so ist es „notwendig", i n jedem Einzelfalle dagegen anzugehen. Es ist auch nicht möglich, solche Ergebnisse allein durch die Anwendung des Übermaßverbotes zu verhindern, also durch den bei jedem Verwaltungshandeln zu berücksichtigenden rechtsstaatlichen Grundsatz der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Das zeigt folgende Überlegung: der Grundsatz des Übermaß Verbots bindet auch den Gesetzgeber. Dieser aber wäre durch das Ubermaßverbot gewiß nicht gehindert, die beschriebenen fraglichen Anordnungen (Standsicherheit von Gebäuden, Entgiftungsanlagen) zu treffen. Dann ist es aber auch nicht möglich anzunehmen, daß allein schon das Übermaßverbot die Verwaltung daran hindern würde, derart weitgehende A n ordnungen zu erlassen. Es muß also nach anderen Wegen gesucht werden, einer Allmacht der Polizei zu begegnen, eine Gesetzesbindung herzustellen. Es ist bekannt, m i t welcher Schranke das versucht w i r d 3 9 : M i t der Einschränkung des polizeilichen Handelns — soweit es aufgrund der allgemeinen Generalklausel des § 14 PVG erfolgt — auf die Bekämpfung einer „konkreten" Gefahr. I n Literatur und Rechtsprechung w i r d nur sehr knapp beschrieben, was unter diesem Begriff der „konkreten" Gefahr zu verstehen ist. Es w i r d gesagt, die Gefahr müsse — i m Augenblick des Eingreifens — „tatsächlich" bestehen (Gefahr „ i n concreto" oder „ i n actu") 4 0 . Was das bedeuten soll, läßt sich näher nur aus der Unterscheidung zur unselbständigen Polizeiverfügung bestimmen: Wenn bei dieser — wo es u m „abstrakte" Gefahr geht — i m Einzelfall von gesetzeswegen ausgeschlossen ist, den Gegenbeweis des NichtVorliegens einer Gefahr zu führen, dann muß das hier, bei der selbständigen Polizeiverfügung, erlaubt sein, d. h., das Vorliegen einer Gefahr muß beweisbar oder auch nachgewiesen sein, damit die Polizei eingreifen darf. 3. Auch diese Formel muß jedoch noch erläutert und verfeinert werden. A m anschaulichsten geschieht das an einem Beispiel: Es ist heute unstreitig, daß die Abgase der Kraftfahrzeuge die Gesundheit der 39 Damit soll nicht gesagt sein, daß allgemein erkannt würde, daß diese oder andere Schranken wegen des Gebotes der Gesetzesbindung der V e r w a l t u n g erforderlich sind. 40 So Drews-Wacke, § 18, 6 a, S. 291.

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A l l g e m e i n h e i t gefährden. F ü r d e n Gesetzgeber g i b t es m e h r e r e d e n k b a r e M i t t e l , dieser G e f a h r z u begegnen: 1. E r könnte jegliches Kraftfahrzeugfahren verbieten. Diese ebenso einfache w i e radikale, aber auch vollkommene Lösung ist sofort zu verwerfen, w e i l sie auf anderen Gebieten unabsehbare Nachteile hätte. Jeder heutige Gesetzgeber würde schon allein das Interesse a m Bestand der Automobilindustrie über das Interesse an einem vollkommenen Schutz der Gesundheit der A l l gemeinheit stellen. 2. E i n weiteres M i t t e l wäre, alle Innenstädte, w o bekanntlich die Gesundheitsgefahr durch Kfz-Abgase a m größten ist, f ü r den K f z - V e r k e h r zu sperren. Das hätte jedoch einen weitgehenden wirtschaftlichen Niedergang der Innenstädte zur Folge. Eine A b w ä g u n g zwischen diesen Interessen w i r d heute dazu führen, auch diese sehr wirksame Maßnahme zu verwerfen. 3. Ernstlich i n Betracht k o m m t dagegen die gesetzliche A n o r d n u n g von Entgiftungsanlagen f ü r jedes Kfz. Dabei muß allerdings entschieden werden, welchen Reinigungsgrad m a n f ü r solche Anlagen vorschreiben w i l l . Eine 100 %ige Reinigung w ü r d e die K f z so sehr verteuern, daß wiederum schon das Interesse am Bestand der Automobilindustrie eine solche Lösung v e r bieten würde. Die Grenzen der i m Interesse an der Volksgesundheit t r a g baren Verteuerung muß der Gesetzgeber festlegen. Diese Festlegung ist rational nicht exakt vorzunehmen. Sie muß politisch wertend entschieden werden. 4. Bereits praktiziert w i r d die Lösung, die Innenstädte bei bestimmten Wetterlagen f ü r den K f z - V e r k e h r zu sperren 4 1 , nämlich bei den sog. „Smog"Zuständen. H i e r mußte politisch wertend entschieden werden, was als gefährlicher Smog gelten soll. Auch hier wieder w a r zu entscheiden zwischen dem Interesse an wirtschaftlichem Gedeihen der Innenstädte, die auf den K f z - V e r k e h r angewiesen sind, u n d dem Interesse an der Gesundheit der Allgemeinheit. W i e m a n sieht, h a t d e r Gesetzgeber auch i m B e r e i c h d e r e r n s t h a f t i n B e t r a c h t k o m m e n d e n M i t t e l n o c h eine b r e i t e S k a l a v o n M ö g l i c h k e i ten. Z w i s c h e n diesen M ö g l i c h k e i t e n z u entscheiden, i s t stets eine F r a g e d e r W e r t u n g , d e r A b w ä g u n g z w i s c h e n verschiedenen b e r ü h r t e n I n t e r essen. Diese A b w ä g u n g ist p r i n z i p i e l l n i c h t i n v o l l r a t i o n a l e r Weise möglich. D e m s i n d n u n die M ö g l i c h k e i t e n d e r P o l i z e i gegenüber z u s t e l l e n : O h n e Z w e i f e l i s t diese auch i m R a h m e n d e r G e n e r a l k l a u s e l des § 14 P V G nicht gänzlich v o n der A b w e h r v o n Gesundheitsgefahren i m Z u s a m m e n h a n g m i t K f z - A b g a s e n ausgeschlossen. Es k o m m t f ü r sie aber a l l e n f a l l s das zu (4) beschriebene M i t t e l d e r S p e r r u n g b e i besonderen W e t t e r l a g e n i n B e t r a c h t u n d auch dies n u r d a n n , w e n n e t w a a k u t e V e r g i f t u n g s f ä l l e g e m e l d e t w e r d e n oder e r f a h r u n g s g e m ä ß z u e r w a r t e n sind. Es i s t z u fragen, w a r u m d i e P o l i z e i n i c h t auch schon u n t e r h a l b dieser S c h w e l l e e i n g r e i f e n d a r f . Das l i e g t n i c h t d a r a n , daß e t w a u n t e r h a l b 41 Vgl. die n w „ V O über Verkehrsbeschränkungen Wetterlagen" v o m 2. Dez. 1964, G V N W , S. 356.

bei

austauscharmen

IV. „Konditionale" Normierung und „Zweck"-Normierung

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der Schwelle der akuten Vergiftungsfälle keine Gefahr vorläge. Auch hier liegen Gefahren vor, zwar keine akuten Lebensgefahren, aber doch Gefahren für die Gesundheit. Die Polizei darf hier aber deswegen nicht eingreifen, w e i l die Frage, ob und bis zu welcher Grenze die offenkundig vorhandenen Gesundheitsgefahren i n Kauf genommen werden sollen, eine vom Gesetzgeber nicht entschiedene Wertungsfrage ist. Es ist eine Frage der Wertung, was als gefährlich gelten soll. Diese Frage darf die Verwaltung nicht entscheiden, weil das eine Entscheidung ohne Gesetzesbindung wäre. Daraus ergibt sich: Das polizeiliche Handeln i m Rahmen der polizeirechtlichen Generalklausel beschränkt sich auf das Eingreifen i n Situationen, i n denen sich der Eingriff rational (nicht wertend) aus der zu bekämpfenden Gefahr ableiten läßt; anders gesagt: Konkrete Gefahr i m Sinne der polizeirechtlichen Generalklausel ist nur eine Gefahr, die die rationale Ableitung der M i t t e l zu ihrer Bekämpfung erlaubt. Den Zweck so weit zu konkretisieren, ihn so zu bestimmen, daß die M i t t e l rational abgeleitet werden können, ist Sache des Gesetzgebers. Wo das nicht geschehen ist, darf die Verwaltung nicht handeln 42 . „Konkrete" Gefahr bedeutet also weniger eine inhaltliche Beschränkung des Gefahrbegriffs auf bestimmte Ausschnitte der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Es geht u m keine andere öffentliche Sicherheit und Ordnung als bei den unselbständigen Polizeiverfügungen. Vielmehr bedeutet „konkrete" Gefahr erstens, daß die Gefahr so weit konkretisiert werden muß, daß eine Bekämpfung daraus v o l l rational abgeleitet werden kann, und zweitens den Vorgang dieser rationalen A b leitung des Bekämpfungsmittels aus dem Zweck. I V . Abstrahierung der Problematik: „Konditionale" Normierung und „Zweck"-Normierung Noch genauer lassen sich diese Aussagen darstellen, wenn man das bisher Gesagte auf eine Stufe höherer Abstraktion transponiert. Eine Möglichkeit dazu w i r d i n den verwaltungswissenschaftlichen Untersuchungen Luhmanns aufgezeigt. 1. Wenn Verwaltungshandeln von Gesetzen determiniert werden soll, so kann das nur durch zwei Arten von Normen geschehen43: Die 42 H i e r ist erneut zu betonen, daß diese Bestimmung der konkreten Gefahr etwas anderes beinhaltet als das Prinzip der Erforderlichkeit der M i t t e l ; dazu schon o., S. 78 f. 43 Die Wiedergabe der Gedanken Luhmanns übernimmt hier n u r zum T e i l dessen Terminologie; so spricht Luhmann nicht v o n einer „Normierung" des Verwaltungshandelns, sondern von einer „Programmierung". Diese u n d ähnliche aus der automatischen Datenverarbeitung entlehnten Begriffe w ü r d e n vorliegend meist unnötig verwirren. — Luhmann entwickelt die hier wieder-

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Rechtsfolge kann vom Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale abhängig gemacht werden, die Verwaltung darf (und muß evtl.) dann eingreifen, sobald bestimmte Bedingungen („Konditionen", „Informationen", „Signale") vorliegen. Das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale ist Auslöser der Rechtsfolge (allgemein des Verwaltungshandelns). Die Rechtsfolge orientiert sich bei einer solchen „konditionalen" Normierung nicht an einer bezweckten Wirkung. Nicht ein beabsichtigter Erfolg löst das Verwaltungshandeln aus, sondern das Vorliegen bestimmter Daten, eben der Tatbestandsmerkmale. Selbstverständlich w i r d auch i n solchen Normen ein Zweck verfolgt, sonst hätte der Gesetzgeber die Normen nicht geschaffen. Aber die Erreichung des Zwecks w i r d nicht dadurch gesichert, daß man dem Normadressaten die Verfolgung dieses Zwecks unmittelbar aufgibt. Vielmehr versucht der Gesetzgeber, den verfolgten Zweck dadurch zu erreichen, daß er dem Normadressaten für bestimmte, tatbestandlich (abstrakt) umrissene Fälle ein Handeln gestattet und/oder befiehlt. Dieser konditionalen Normierung steht die „Zwecknormierung" gegenüber. I h r Merkmal ist der Verzicht auf tatbestandliche Fixierung der Handlungsvoraussetzungen. Statt dessen w i r d hier dem Normadressaten unmittelbar die Verfolgung eines Zweckes aufgegeben. Dieser Gegensatz läßt sich am Unterschied zwischen unselbständigen und selbständigen Polizeiverfügungen besonders deutlich zeigen: Bei der unselbständigen Verfügung sind Daten gesetzt, die das Handeln der Polizei auslösen (etwa die Schwefeldioxydkonzentration von 5mg/cbm oder mehr). Die „abstrakte Gefahr" ist i n diesen Daten eingefangen. Aber nicht die Gefahr löst das Handeln der Polizei aus, sondern das Vorliegen der Daten. Die abstrakte Gefahr ist nur das Moment, das die gesetzgeberische Tätigkeit ausgelöst hat, eben die Schaffung der Norm. Die konditionale Norm verfolgt zwar einen Zweck, aber dieser Zweck löst nicht das Handeln der Verwaltung (die Rechtsfolge) aus, sondern hat zu der spezifischen Kombination von auslösenden Daten i n der konditionalen Norm geführt. Wenn die Daten geschickt kombiniert sind, ist es eine gute Norm; sie erfüllt ihren Zweck, die abstrakte Gefahr ist — eine funktionsfähige gesetzesausführende Verwaltung vorausgesetzt — gebannt. U m eine typische Zwecknormierung dagegen handelt es sich bei der polizeirechtlichen Generalklausel. Die Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist ein Zweck, der das Handeln der Polizei auslösen soll. gegebenen Gedanken hauptsächlich i n folgenden Veröffentlichungen: Lob der Routine, V e r w A r c h 1964, l f f . ; Funktionen u n d Folgen formaler Organisation, B e r l i n 1964, S. 282 f.; öffentlich-rechtliche Entschädigung rechtspolitisch betrachtet, B e r l i n 1965, S. 30 ff.; Recht u n d Automation i n der öffentlichen V e r waltung, B e r l i n 1966, S. 35 ff.; am ausführlichsten i n dem zuerst genannten Aufsatz.

IV. „Konditionale" Normierung und „Zweck"-Normierung

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Das Kernproblem liegt nun i n folgender Frage: Wie kann bei einer Zwecknormierung dem Erfordernis der Gesetzesbindung der Verwaltung genügt werden? Hier beginnen die Schwierigkeiten: Während die konditionale Normierung eine feste Verknüpfung der Rechtsfolge m i t den auslösenden Daten herstellt, besteht eine ähnlich eindeutige Bindung der Rechtsfolge bei der Zwecknormierung nicht, „ w e i l der Zweck das Handeln typisch nicht eindeutig festlegt, sondern nur als Gesichtspunkt für den Vergleich und die Auswahl geeigneter M i t t e l fungiert; w e i l das Vorschreiben oder Verbieten von Zwecken kein zuverlässiges Urteil über das Handeln verspricht" 4 4 . Sicherheit und Ordnung zu wahren, ist ein sehr allgemeiner Zweck, der folglich der Verwaltung — werden nicht andere Schranken eingebaut — einen außerordentlich weiten Spielraum läßt 4 5 , falls nicht dieser Zweck sogar so allgemein ist, daß er für sich allein überhaupt keine Bindungswirkung mehr erzielt. Denn es ist — wiederum Luhmann46 folgend — festzustellen: „Zweckprogramme verbinden eine sachlich allgemein gehaltene Wirkungsvorstellung m i t einer bestimmten zeitlichen Situation. Fehlt jede Zeitvorstellung, so hat man nicht eigentlich Zwecke, sondern Zweckideen oder Wertungen vor sich, die nicht der Entscheidungsprogrammierung, sondern der Systemrechtfertigung dienen. Ohne jeden Situationsbezug ... sind Zwecke nicht instruktiv, also nicht geeignet, als Leitfaden für das Auffinden und Beurteilen von Mitteln zu dienen 47 ." M i t anderen Worten: Versteht man unter „Gefahr" jede „abstrakte Gefahr", so bedeutet die Bestimmung, daß die Polizei Gefahren abzuwehren hat, nur eine „Zweckidee" 48 , keine Gesetzesbindung für die polizeiliche Tätigkeit. Darin liegt zugleich die Lösung des Problems: Man muß, u m eine solche Bindung zu erzielen, einen „Situationsbezug" herstellen. Das geschieht durch die Beschränkung der Polizei auf die Abwehr von Gefahren i n Situationen, i n denen sich das Mittel, der polizeiliche Einzeleingriff, v o l l rational, d. h. ohne daß eine selbständige Wertung vorgenommen werden müßte, aus dem Zweck, der Gefahrenabwehr, ergibt. 2. Die Tatsache, daß es nur zwei Formen der Normierung gibt, die konditionale Normierung und die Zwecknormierung, besagt nicht, daß diese Formen stets i n „Reinkultur" vorkämen, daß ein Rechtsgebiet immer entweder voll konditional durchnormiert wäre oder nur von 44

Luhmann, Recht u n d Automation, S. 38. Auch Luhmann, öffentlich-rechtliche Entschädigung, S. 31, kennzeichnet Wahrung der Sicherheit u n d Ordnung als eine „sehr allgemeine Zweckkategorie", die Spielraum für die Verwaltungsentscheidung schaffe. 46 V e r w A r c h 1964, 8. 47 Hervorhebung v o m Verf. 48 Das erinnert auch deutlich an die „bloße Idee", an die „Gedankendinge" bei W. Jellinek, die keinen enteignungsrechtlichen Eingriff rechtfertigen k ö n nen, vgl. u., S. 86 Fn. 53. 45

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Zwecknormierungen beherrscht würde. Vielmehr gibt es Mischformen 49 : Es kommt vor, daß der Gesetzgeber ein Gebiet einerseits zwar zunächst v o l l konditional durchnormiert, gleichzeitig aber Bedenken hat, ob die gefundene Kombination der die Rechtsfolge auslösenden Daten i n allen Fällen zu dem gewünschten Ergebnis führt, zu dem Ergebnis also, das dem Normzweck, welcher zur Schaffung der konditionalen Norm geführt hat, entspricht. Wo derartige zweckwidrige Ergebnisse nach Lage der Dinge gelegentlich oder gar häufig zu erwarten sind, w i r d der Gesetzgeber i n die konditionale Normierung eine Zwecknorm einbauen. Er bestimmt, daß i n solchen Fällen von der Norm abgewichen werden darf — oder muß — und daß die Rechtsfolge sich nicht an den starren Festsetzungen der Norm auszurichten hat, sondern am Normzweck. Eine typische Regelung dieser A r t findet sich i m Baupolizeirecht: „Befreiung von zwingenden Vorschriften dieses Gesetzes . . . kann . . . erteilt werden, wenn . . . die Durchführung der Vorschrift i m Einzelfalle zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung m i t den öffentlichen Belangen vereinbar ist 5 0 ." Sowohl die „nicht beabsichtigte Härte" als auch die „öffentlichen Belange" i n dieser Vorschrift verweisen auf den Gesetzeszweck. Auch hier also — und das ist entscheidend wichtig — hat der Normanwender i m einzelnen Anwendungsfall nicht zu fragen, welche öffentlichen Interessen die Entscheidung überhaupt berührt und wie diese Interessen untereinander i m vorliegenden Fall nach seiner Meinung abzuwägen wären. Vielmehr hat er sich allein daran zu orientieren, wie das Gesetz, i n dessen Rahmen die Generalklausel eingebaut ist, diese Interessen bewertet hat. Wenn es also etwa u m die o. g. bauordnungsrechtliche Generalklausel geht, ist nicht zu 49 Darüber hinaus braucht eine konditionale N o r m nicht problemlos eindeutig zu sein. Die die Rechtsfolge auslösenden „Konditionen" können u n bestimmte Rechtsbegriffe sein (vgl. dazu Luhmann, V e r w A r c h 1964, 14). Dies zeigt übrigens, daß die getroffene Unterscheidung i n konditionale Normen u n d Zwecknormen eine neue Möglichkeit gibt, den Unterschied zwischen u n bestimmten Rechtsbegriffen u n d Ermessensnormen zu erfassen: Unbestimmte Rechtsbegriffe sind Tatbestandsmerkmale konditionaler Normen, Ermessensvorschriften sind stets Zwecknormierungen; das Ermessen besteht i n der W a h l der zweckerreichenden M i t t e l ; vgl. dazu auch Luhmann, Recht u n d Automation, S. 39/40, u n d V e r w A r c h 1964, S. 14/15. Wenn m a n Luhmann folgt, ergeben sich aus der h i e r m i t hergestellten Verbindung m i t den modernen allgemeinen Entscheidungstheorien neuartige Ansätze zur Lösung der E r messensproblematik (Luhmann , Recht u n d Automation, S. 39 Fn. 13). A l l e r dings ist ein Widerspruch zur bisherigen Ermessenslehre (vgl. etwa Menger , System, S. 31 ff., 128 ff.; Jesch, Gesetz u n d Verwaltung, S.224 Fn. 232; Hans J. Wolff, Verwaltungsrecht I, § 31 I I a) k a u m erkennbar, auch nach i h r w i r d Ermessen n u r durch eine Unbestimmtheit i n der Rechtsfolge eröffnet, nicht durch Unbestimmtheit i m Tatbestand einer N o r m ( = unbestimmter Rechtsbegriff). 50 So z. B. § 83 Abs. 2 Nr. 2 nwBauO (die andere Alternative, die diese Befreiungsvorschriften i m Baurecht typischerweise enthalten, interessiert hier noch nicht; eingehend zu ihrer Bedeutung jedoch u., S. 230 ff.).

V. Das öffentliche Interesse bei der Enteignung

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fragen, welche Interessen überhaupt i m Einzelfall berührt werden, und es ist nicht vom Normanwender zwischen diesen Interessen wertend zu entscheiden, vielmehr hat er allein zu fragen, welche öffentlichen Interessen die betreffende Bauordnung schützt und wie die Bauordnung die betreffenden Interessen bewertet hat. N u r ein solches Vorgehen entspricht den heutigen Vorstellungen von Gesetzesauslegung; und vor allem: N u r ein solches Vorgehen entspricht dem Gebot der Gesetzesbindung der Verwaltung. Es gibt also zwei Arten von Generalklauseln: Zunächst die „isolierte" Generalklausel. Sie ist eine isolierte Zwecknormierung wie die des § 14 PVG (und die des A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG); „isoliert" das w i l l sagen: nicht m i t Inhalt zu füllen durch Wertungen eines Gesetzes, i n dessen Zusammenhang die Norm gestellt wird. — Es gibt aber ferner die Generalklausel als Ausnahmevorschrift, die Zwecknormierung i m Zusammenhang m i t einer konditionalen Normierung, die Zwecknorm als Korrektur unvollkommener konditionaler Normierung. Der Zweck dieser „gebundenen" Generalklausel ist aus dem Zweck zu entnehmen, der hinter denjenigen konditionalen Normen steht, zu deren Korrektur sie dient. Bei der Ermittlung der i n solchen Generalklauseln angeordneten Hechtsfolgen helfen gesetzgeberische Wertungen i n anderen Normen. Der Zweck, auf den die „gebundene" Generalklausel verweist, ist kein konkreter Zweck, sondern der abstrakte gesetzgeberische Grund des Normenkomplexes, i n den sie eingebunden ist. Dagegen kann Zweck bei einer isolierten Generalklausel — wie dargestellt — immer nur ein „konkreter" Zweck sein. Die praktischen Konsequenzen dieser Erkenntnis werden sich i n der vorliegenden Untersuchung mehrfach zeigen, z. B. beim „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis", das eine „gebundene Generalklausel" i m Verband der konditionalen Normen des Nachbarrechts ist und ihren Zweck daher aus den Zwecken dieser Normen gewinnt 5 1 . V. Das öffentliche Interesse bei der Enteignung 1. Es besteht i m Schrifttum keine Kontroverse i n der Frage, was öffentliches Interesse (Wohl der Allgemeinheit) i n A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG meint. Alle sind sich darin einig, daß es etwas Spezifisches bedeutet 52 , daß das Wohl der Allgemeinheit i m konkreten Fall der 51 Vgl. i m einzelnen u., S. 115 ff. Den allgemeinen rechtsmethodischen K o n sequenzen dieser Erkenntnis f ü r eine generelle Theorie der Generalklauseln k a n n dagegen vorliegend nicht weiter nachgegangen werden. Z u m Thema „§ 242 B G B i m Nachbarrecht" jedoch eingehend u., § 5 I I , vgl. auch S. 306 f. 52 a. A . w o h l n u r Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., S. 764, der es anscheinend für unnötig hält, daß i n A r t . 14 Abs. 3, S. 1 G G die Enteignung ausdrücklich v o m Vorliegen öffentlichen Interesses abhängig gemacht ist; irreführend Lay er, S. 190: das öffentliche Interesse bei der Enteignung könne „prinzipiell kein anderes sein als überhaupt".

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§ 4. öffentliches Interesse

P o s i t i o n des E i g e n t ü m e r s ü b e r l e g e n sein m u ß , daß d e r N u t z e n f ü r die A l l g e m e i n h e i t über den durch die Hechtsentziehung erreichten V o r t e i l h i n a u s g e h e n m u ß u n d daß fiskalische u n d p r i v a t e Interessen die E n t e i g n u n g n i c h t r e c h t f e r t i g e n k ö n n e n 5 8 . D a b e i i n t e r e s s i e r t v o r l i e g e n d besonders, daß ü b e r e i n s t i m m e n d a n g e n o m m e n w i r d , es k o m m e a u f d e n konkreten F a l l an, das ö f f e n t l i c h e Interesse müsse i m konkreten Fall v o r l i e g e n u n d d a b e i d e m Interesse des z u e n t e i g n e n d e n E i g e n t ü m e r s ü b e r l e g e n sein 5 4 . Diese A n s i c h t w i r d seit j e h e r j e d e n f a l l s f ü r d i e „ k l a s sische" E n t e i g n u n g 5 5 v e r t r e t e n . H i e r s i n d n a c h a l l g e m e i n e r M e i n u n g m i t ö f f e n t l i c h e m Interesse b e s t i m m t e B e l a n g e eines k o n k r e t e n U n t e r n e h m e n s oder V o r h a b e n s g e m e i n t , das d e m A l l g e m e i n w o h l d i e n t u n d dazu i m k o n k r e t e n F a l l der zu enteignenden G ü t e r bedarf 56. M a r t i n Wolff sah i n dieser E r k e n n t n i s sogar die „ w i c h t i g s t e K l ä r u n g " des B e griffs W o h l d e r A l l g e m e i n h e i t i m E n t e i g n u n g s r e c h t 5 7 . 58 Vgl. v . Mangoldt-Klein, A r t . 14 A n m . V I I 6; Weber , S. 382; Abraham i n Bonner Kommentar, A r t . 14 A n m . I I 8; Huber I I , S. 5 3 1 ; Scheuner, V e r fassungsschutz des Eigentums, S. 94 f.; Wilhelm , DöV 1965, 400; BadStGH VerwRspr. 2, 411; RGZ139, 6ff.; 136, 123ff.; 103, 202; Hans J. Wolff, V e r w R I , § 6 2 I V a ; Meyer-Thiel-Frohberg, § 1 A n m . 2; Kimminich, Bonner Kommentar, A r t . 14 A n m . 120 ff. Tiefergehend — w e n n auch nicht präzise — als einige dieser Autoren bereits W. Jellinek, S. 404: Das öffentliche Interesse schlechth i n genüge nicht; es müßten „gewisse äußere Veranstaltungen" sein, denen das Grundstück dienen solle; eine „bloße Idee", „Gedankendinge" (wie etwa die „Stärkung des Deutschtums i n der Grenzmark") genügten nicht. — Nicht selten erschöpft sich die grundsätzliche Einsicht i n die Notwendigkeit einer näheren Umschreibung des Begriffs W o h l der Allgemeinheit allerdings i n Ausführungen darüber, daß „fiskalische Interessen" keine öffentlichen I n t e r essen i m Sinne v o n A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG seien, so insbes. bei Diester, S. 130; auch Forsthoff, S. 298, erläutert den Begriff des Wohls der Allgemeinheit i n A r t . 14 Abs. 3, S. 1 G G n u r dahin, daß die Enteignung nicht „fiskalischen oder sonstigen Zecken dienstbar gemacht werden" dürfe; oder auch Schack, B B 1961, 75: Der Ausdruck W o h l der Allgemeinheit i n A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG sei „ k l a r " , er bedeute, daß Enteignungen n u r zulässig seien, w e n n sie einen unzweifelhaft erheblichen Nutzen f ü r das gesamte V o l k bringen. A l l e i n auf diese zu undifferenzierte Formulierung läuft auch die Argumentation des v i e l zitierten — u n d dadurch zu Unrecht fast schon berühmten — Urteils des Bad. S t G H i n VerwRspr. 2,411 (416) hinaus. I m übrigen ist die Behauptung, „fiskalische" Interessen seien nicht zu berücksichtigen, i n dieser Allgemeinheit unrichtig, zumindest äußerst irreführend: Z. B. ist es bei einer Enteign u n g für Verkehrsbauten gewiß nicht zulässig, i n der Planung der L i n i e n führung auch das Gebot der sparsamen Verwendung der Haushaltsmittel zu beachten; vgl. dazu etwa Wilhelm, DöV 1965, 399; Häberle, DVB1 1967, 220 ff. u n d Martens, öffentlich als Rechtsbegriff, S. 199. 54 Vgl. insbes. v. Mangoldt-Klein a.a.O.; Weber, S. 383; Hans J. Wolff a.a.O. 55 Übertragung des Eigentums (im ganzen oder i n Teilen) auf den Begünstigten; i m Unterschied zur „Aufopferungsenteignung", w o es an einer solchen Übertragung fehlt. Erstmals w u r d e die Aufopferungsenteignung i m bekannten „Hamburger Denkmalsfall" der klassischen Enteignung gleichgestellt (RGZ 116,268); seitdem einheitliche Rechtsprechung (vom B G H übernommen seit B G H Z 6,270 ff.) u n d w e i t überwiegende Meinung i n der L i t e r a t u r ; anders n u r diejenigen, die eine Rückkehr zum klassischen Enteignungsbegriff fordern, so etwa Dürig, J Z 1954, 4ff.; Schack, N J W 1954, 577 ff.; für das schweizerische Recht, Meier-Hayoz! Rosenstock, S. 49.

V. Das öffentliche Interesse bei der Enteignung

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Man w i l l sich also nicht damit begnügen, daß an der Errichtung von Autobahnen, Truppenübungsplätzen, Elektrizitätsfernleitungen allgemein ein öffentliches Interesse besteht, oder noch allgemeiner, daß zügiger und sicherer Straßenverkehr, Landesverteidigung, billige und sichere Energieversorgung i m öffentlichen Interesse liegen. Vielmehr verlangt man, daß sich diese Interessen zu einem konkreten Projekt verdichtet haben, wenn sie eine Enteignung rechtfertigen sollen. Gerade aus dieser — i n den Ausdrücken Wohl der Allgemeinheit und öffentliches Interesse an sich nicht enthaltenen — Einschränkung spricht die Einsicht, daß öffentliches Interesse bei der Enteignung etwas „Spezifisches" sein muß. Deutlich ausgesprochen w i r d das allerdings nur selten 58 . Nach dem Grund, der dazu zwingt, derartige Einschränkungen zu suchen, w i r d nirgends gefragt. Das Gebot der Gesetzesbindung der Verwaltung w i r d — soweit ersichtlich — i n diesem Zusammenhang an keiner Stelle erwähnt 5 9 . 2. Vielleicht ist dies die Ursache dafür, daß man nicht bemerkt, wie unzulänglich selbst bei der klassischen Enteignung auch die Beschränkung auf die Notwendigkeiten eines konkreten Vorhabens noch ist. Unzulänglich ist diese Beschränkung aus folgendem Grund: Sie bedeutet keine Einschränkung darin, welche Vorhaben als dem Wohl der Allgemeinheit dienend anerkannt werden; sie schränkt Behörden und Private nicht darin ein, Vorhaben zu produzieren, für die sich irgend56

Besonders deutlich etwa: v. Mangoldt-Klein; Meyer-Thiel-Frohberg, jew. a.a.O.; Weber, 381 ff.; Schach, B B 1961,76, spricht v o n einem „bestimmten" Ziel, einem konkreten, zeitlich u n d örtlich genau bestimmten Zweck; Meier-Hayoz, S. 149 f., v o n „aktuellem" öffentlichem Interesse (sieht diese Forderung allerdings i n erster L i n i e als gegen den Gesetzgeber gerichtet an). 57 M a r t i n Woljf, Reichsverfassung u n d Eigentum, i n Festschrift f ü r K a h l , S. 14. 58 So aber bei v. Mangoldt-Klein a.a.O. u n d Weber, S. 382: Das Verständnis dafür, daß das W o h l der Allgemeinheit i n Enteignungstatbeständen etwas Spezifisches bedeute, sei dem R G entglitten, w e n n es schließlich schon jede vernünftige Erwägung des Gesetzgebers als durch das Gemeinwohl legitimiert angesehen habe. Vielleicht ist das allerdings ein Mißverständnis; das RG meinte hier w o h l n u r Enteignungen durch Gesetz. Bei solchen könnte man die Ansicht vertreten, daß k e i n konkretes öffentliches Interesse erforderlich ist; dazu neuestens aber auch B V e r f G E 24, 367 (399 ff., 404). 59 Auch hier ist zu betonen, daß die folgenden Erläuterungen zum Begriff des öffentlichen Interesses bei der Enteignung sich nicht etwa schon aus dem Übermaßverbot ergeben (dazu schon o., S. 78 f. hinsichtlich des Gefahrbegriffs i m Polizeirecht). Umgekehrt mag man allerdings sagen können, daß das Gebot der Eignung u n d der Verhältnismäßigkeit des Mittels daraus folge, daß ohne Vorliegen dieser Voraussetzungen auch k e i n öffentliches Interesse anerkannt werden könne (so B V e r w G B B a u B l 1967,444; i n dieser Richtung auch Streißler, S. 32 Fn. 60). Sonderlich gehaltvoll ist eine solche Aussage i n Anbetracht der Weite des dabei verwendeten Begriffs des öffentlichen Interesses allerdings nicht.

§ 4. öffentliches Interesse

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ein öffentliches Interesse geltend machen läßt. Sie engt folglich die Enteignungsbehörde nicht darin ein, solche Vorhaben als zur Enteignung berechtigend anzuerkennen. Konkret dargestellt bedeutet dies: Die Einschränkung der Enteignung auf die Notwendigkeit von „Vorhaben", die dem Wohl der Allgemeinheit dienen, klärt nicht, ob es ein Vorhaben i n diesem Sinne ist, wenn sich eine Gemeinde Vorratsland zur Bekämpfung der Bodenspekulation, zur Erleichterung der Bauleitplanung und zur evtl. Industrieansiedlung aneignen w i l l oder wenn etwa die Agrarstruktur durch Enteignung von Kleinlandwirten verbessert werden soll. Weder die Einschränkung auf „Vorhaben" noch W. Jellineks 60 Einschränkung, „Gedankendinge" rechtfertigten keine Enteignung, können derartige Fälle überzeugend lösen. Eine Lösung ist nur zu erwarten, wenn man die Problematik von dort her aufrollt, wo der eigentliche Grund für die Notwendigkeit von Einschränkungen liegt, vom Gebot der Gesetzesbindung der Verwaltung her. 3. Die Formel des A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG, das „Wohl der Allgemeinheit", oder, wie man ebensogut sagen kann, das „öffentliche Interesse" als Voraussetzung der Enteignung entspricht der „Gefahr" bei der Voraussetzung polizeilichen Eingreifens. Der polizeirechtlichen Generalklausel entspricht die enteignungsrechtliche Generalklausel; sie ist wie diese eine isolierte Zwecknormierung, eine isolierte Generalklausel. Daher ist es kein Zufall, daß man auch bei der enteignungsrechtlichen Generalklausel immer wieder dahin kommt, den enteignungsrechtlichen Eingriff auf „konkrete" Fälle zu beschränken, ganz analog dem polizeirechtlichen Eingriff. Es ist, wie die vorangegangenen Erörterungen zeigen sollten, zwingend geboten, auch hier derartige Einschränkungen vorzunehmen 61 . Daher liegt es greifbar nahe, das „konkrete Interesse" bei der enteignungsrechtlichen Generalklausel ebenso zu umschreiben wie bei der polizeirechtlichen Generalklausel die konkrete Gefahr: „Konkretes" öffentliches Interesse bedeutet weniger eine inhaltliche Beschränkung auf bestimmte Ausschnitte des Gemeinwohls. Es geht u m kein anderes Gemeinwohl als bei den Interessen, die auch auf der Ebene der Legislative vom Gesetzgeber verfolgt werden. Vielmehr deutet „konkretes" 60

S. 404. Deutlich w i r d dies auch dort, w o spezielle Enteignungsgesetze bestimmte Enteignungsgründe aufzählen, so i m — heute noch geltenden — bayerischen Enteignungsgesetz von 1837, w o es heißt, die Enteignung sei zulässig „ . . . f ü r öffentliche Zwecke . . . übrigens n u r i n folgenden F ä l l e n . . Schon hier geht man offenbar davon aus, daß die anerkannten Enteignungszwecke nicht jede Enteignung rechtfertigen, die diesem Zweck irgendwie zugute käme, daß vielmehr die Zwecke vorher noch konkretisiert werden müssen. Darauf macht bereits Layer, S. 179, aufmerksam. 61

V. Das öffentliche Interesse bei der Enteignung

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öffentliches Interesse auf zweierlei hin, nämlich erstens darauf, daß das Gemeinwohl soweit konkretisiert sein muß, daß eine Maßnahme — nämlich der einzelne Enteignungsakt — daraus v o l l rational abgeleitet werden kann und zweitens auf den Vorgang dieser rationalen Ableitung des Mittels (der Enteignungsmaßnahme) aus dem Zweck (der Förderung des Gemeinwohls). Es zeigt sich sogleich, daß diese Umschreibung tatsächlich i n einigen typischen Fällen eine — bislang vergebens gesuchte — Erklärung dafür geben kann, warum dort eine Enteignung nicht zulässig ist: Wollte man zur Erlangung von Vorratsland für eine Gemeinde enteignen, so würde das damit bekämpfte Problem allenfalls teilweise gelöst: Der Bodenmarkt wäre noch nicht i n wünschenswerter Weise reguliert, da er noch von vielen anderen Faktoren beeinflußt wird, vor allem durch den Bodenmarkt i n den jeweiligen Nachbargemeinden. Ob die möglicherweise erleichterte Industrieansiedlung erreicht wird, steht nicht fest. A r t und Ausmaß der Enteignungen würden sich aus dem Zweck der Regelung des Bodenmarktes nicht voll rational ableiten lassen. Es ließe sich nicht ermitteln, wieviel Vorratsland benötigt wird. Das ließe sich nur wertend, politisch, festlegen. Vorausgehen müßte eine regional-planerische Entscheidung 62 ; ohne diese ist das Bedürfnis nach Vorratsland nicht rational zu konkretisieren. Daher ist eine Enteignung für diesen Zweck mangels derartiger, i m Wesen gestaltender, politischer Entscheidungen nicht zulässig. — Ebenso ist die Agrarstruktur nicht m i t einzelnen Enteignungen nachhaltig zu verbessern (wie auch nicht das „Deutschtum i m Osten", eines der von W. Jellinek aus A n laß eines seinerzeit aktuellen Falles so bezeichneten „Gedankendinger 63 "). Noch weniger wäre eine allgemeine Arbeitslosigkeit durch die Enteignung eines bestimmten Patents 64 beendet. Die M i t t e l dafür lassen 62 Aus diesem Grunde müssen zur Zeit Bedenken gegen Enteignungen nach dem kürzlich erlassenen „Kohleanpassungsgesetz" erhoben werden; vgl. dazu u., S. 94. 63 W. Jellinek, S. 404: Eine „bloße Idee" könne f ü r sich allein die Enteignung nicht rechtfertigen; daher habe f ü r Enteignungen zugunsten der „Stärk u n g des Deutschtums i n der Ostmark" i n Preußen ein besonderes Gesetz erlassen werden müssen (Art. I, § 13 des Gesetzes v o m 20.3.08. GS 29). Diese interessante Vorschrift lautet: „ D e m Staate w i r d das Recht verliehen, i n den Bezirken, i n denen die Sicherung des gefährdeten Deutschtums nicht anders als durch Stärkung u n d A b r u n d u n g deutscher Niederlassungen mittels Ansiedlungen möglich erscheint, die hierzu erforderlichen G r u n d stücke i n einer Gesamtfläche v o n nicht mehr als 70 000 ha nötigenfalls i m Wege der Enteignung zu erwerben." Bemerkenswerterweise w i r d hier das M i t t e l bereits i m Gesetz durch Festlegung einer flächenmäßig beschriebenen Höchstgrenze zu konkretisieren versucht — eine Begrenzung, die v o n der V e r w a l t u n g nicht hätte rational ermittelt werden können. — Allerdings bliebe auch dann noch unmöglich, die zu enteignenden Flächen v o l l rational zu lokalisieren. Aus diesem G r u n d wäre ein derartiges Gesetz heute m. E. unwirksam. 64 Vgl. den F a l l i n RGZ 161,387 u n d 143,223. Allerdings mag etwas anderes

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§ 4. öffentliches Interesse

sich i n der Regel nicht voll rational konkretisieren. Sie zu finden und vorzuschreiben ist daher zunächst Aufgabe der Wirtschaftspolitik, aber nicht der Enteignungsbehörden. Die Formel von der Konkretisierung des öffentlichen Interesses i n einer Situation, die m i t rational begründbaren M i t t e l n des enteignungsrechtlichen Eingriffs gemeistert werden können muß (damit die Enteignung überhaupt zulässig ist), scheint danach einigen Erklärungswert zu besitzen und folglich rechtsdogmatisch brauchbar zu sein. 4. Allerdings bedarf diese Formel noch der Erläuterung und Verfeinerung. Während die Formel i n der soeben geschilderten Fassung ganz aus der Parallelität m i t dem Polizeirecht entwickelt worden ist, ist die Modifizierung nötig, u m auch den Unterschied zwischen enteignungsrechtlichen und polizeirechtlichen Eingriffen zu berücksichtigen: Bei der Enteignung wie bei der selbständigen Polizeiverfügung w i r d Verwirrung gestiftet durch die Tatsache, daß man ohne Verstoß gegen Logik und Sprachgebrauch auch privaten Rechtsgütern und Vorhaben öffentliches Interesse beimessen kann. I m Polizeirecht hat das dazu geführt, daß auch Eingriffe zugunsten Privater für zulässig gehalten werden und das man annimmt, auch eine Gefahr für private Güter, und zwar nicht nur für Leib und Leben, sondern auch für Sachgüter, sei u. U. eine Gefahr i m Sinne des Polizeirechts 65 . Hiervon zu unterscheiden ist die weitere Frage, ob auch ein Anspruch des Inhabers der bedrohten Güter auf polizeiliches Einschreiten anzunehmen ist. Dies w i r d heute zunehmend bejaht 6 6 . Schon bei Georg Jellinek 67 heißt es: „Alles staatliche Handeln ist Handeln i m Gemeininteresse. Das Gemeininteresse muß nicht, aber es kann m i t dem individuellen zusammenfallen. Insoweit das letztere stattfindet und diese Kongruenz vom Staat anerkannt wird, gewährt er dem Einzelnen Ansprüche an seine Tätigkeit". Läßt man dabei, was heute naheliegen mag, die Einschränkung weg, daß die Kongruenz vom Staat anerkannt sein muß, so ergibt sich eine fast unbegrenzte Möglichkeit — und Pflicht — für alle Träger hoheitlicher Gewalt, auch private Rechtsgüter zu schützen. Das braucht hier i m einzelnen nicht diskutiert zu werden. Bedeutungsvoll ist aber wiederum die enteignungsrechtliche Parallele: Ohne Verstoß gegen Logik und Sprachgebrauch kann man sagen, daß etwa gelten, w e n n ein bestimmter Betrieb v o n größerer Bedeutung v o r dem R u i n bewahrt werden soll, der eine lokale größere Arbeitslosigkeit zur Folge hätte. 65 Vgl. etwa Scheerbarth, §23; Drews-Wacke, § 4 Nr. 9; Baur, J Z 1962, 73 ff.; Hans J. Wolff, Verwaltungsrecht I I I , §125 I I I a 1; Scupin, Handbuch der Kommunalwissenschaft I I , 615. 66 Vgl. dazu etwa Menger/Erichsen, V e r w A r c h 1966, 180 ff. 87 System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., S. 114.

V. Das öffentliche Interesse bei der Enteignung eine sinnvolle Wertschöpfung durch private Tätigkeit i m öffentlichen (volkswirtschaftlichen) Interesse liegt. Darf aber deshalb zugunsten einer jeden solchen privaten Tätigkeit enteignungsrechtlich eingegriffen werden? Die Bedenken hiergegen sind wesentlich stärker als gegen polizeirechtliche Eingriffe zugunsten Privater: Die Polizei schützt nur vor der Vernichtung bestehender Werte, sie beschränkt sich auf abwehrende Tätigkeit, also auf einen Kreis naturgemäß seltener Fälle. Diese Beschränkung polizeilichen Handelns macht es leicht, Eingriffe zugunsten Privater zu befürworten. Anders i m Enteignungsrecht: Es ist kein M i t t e l der Abwehr, sondern der Gestaltung; es dient der Durchsetzung neuer, schöpferischer, Planungen und Projekte. Gerade dies ist aber auch i m privaten Bereich ein durchaus häufiges, normales Verhalten. Das legt die Einsicht nahe, daß unmöglich für jede dieser Tätigkeiten das Enteignungsrecht zur Verfügung gestellt sein kann. Auch dann, wenn, wie es meist der Fall sein wird, öffentliches Interesse an privatwirtschaftlicher Tätigkeit besteht, darf das noch nicht genügen. Zu der folglich nötigen weiteren Beschränkung führt die folgende Unterscheidung zwischen mittelbarem und unmittelbarem öffentlichen Interesse: Man kann den Vorteil der Allgemeinheit durch privates Wirtschaften insofern als mittelbar bezeichnen, als dieser Vorteil erst durch den Vorteil des Privaten vermittelt wird. Die Gewinnmaximierung des Einzelnen ist vorteilhaft für die Allgemeinheit. I n allen diesen Fällen darf die Enteignung nicht zulässig sein. Sie würde sonst zum M i t t e l der Privaten m i t der besten Gewinnmaximierung gegenüber den i n dieser Hinsicht Unterlegenen. Die Enteignung würde zum Zerstörer des Privateigentums als Institution. Nur unmittelbares öffentliches Interesse an privater Tätigkeit kann zur Enteignung, auch zur Enteignung zugunsten Privater, berechtigen 68 . 88 Diese an sich naheliegende Einschränkung w i r d fast nie e r w ä h n t W a h r scheinlich sieht man i n i h r einen Widerspruch dazu, daß bei der Enteignung zugunsten Privater das enteignete Objekt auf Private übertragen w i r d . A b e r das ist ein Scheinwiderspruch: Dies schließt nicht aus, daß u n m i t t e l b a r die Allgemeinheit begünstigt w i r d ; zwar nicht, indem die Substanz auf die A l l gemeinheit (in der F o r m der öffentlichen Hand) übertragen w i r d , w o h l aber, indem Private diese Substanz zum unmittelbaren V o r t e i l der Allgemeinheit nutzen.—Das Erfordernis unmittelbaren öffentlichen Interesses bei der Enteign u n g macht zum Abgrenzungsmerkmal gegenüber „verwandten" privatrechtlichen Erscheinungen: Kleindienst,S. 45; treffend auch die v o n Pleyer (JZ1961, 501) deutlich vorgenommene Gleichstellung v o n privatem Erwerbsinteresse eines Unternehmens m i t n u r mittelbarem öffentlichen Interesse. Bezeichnend ist vielleicht auch die Tatsache, daß die Rechtsprechung gerade i n Fällen dogmatisch schwieriger Grenzfälle zwischen Enteignungsrecht u n d Nachbarrecht dazu kommt, das M e r k m a l unmittelbaren öffentlichen Interesses heranzuziehen (vgl. B G H N J W 1960, 2335, unter ausdrücklichem Hinweis auf RGZ 159, 129 u n d 167,14 (25), w o es überall u m derartige Fälle geht). — Unrichtig

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§4. öffentliches Interesse

Sie ist nur zulässig, wo der Vorteil für die Allgemeinheit nicht erst durch den Vorteil Privater vermittelt w i r d : Ein Unternehmen zur Herstellung von Ansichtskarten ist für die Allgemeinheit n u r von Interesse, wenn es wirtschaftlich sinnvoll arbeitet, wenn es Gewinne erzielt, Steuern zahlt 8 9 , Arbeitsplätze schafft. Ein Gewinn der Allgemeinheit ist nur dann gegeben, wenn auch das Unternehmen Gewinn bringt. Anders dagegen bei einem privaten Unternehmen, das sich m i t dem Bau und dem Betrieb von Eisenbahnen oder — aktueller — m i t dem Bau und dem Betrieb von Energieversorgungseinrichtungen befaßt: Der Betrieb von Eisenbahnen und die Energieversorgung sind ein unmittelbarer Vorteil für die Allgemeinheit, ein unmittelbares öffentliches Interesse. Der Vorteil besteht auch dann, wenn das Unternehmen keinen Gewinn bringt. Der Vorteil für die Allgemeinheit w i r d nicht erst durch den Vorteil des Unternehmens vermittelt. Konkretes öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne ist also nur ein unmittelbares öffentliches Interesse. 5. E i n weiterer Unterschied zum polizeirechtlichen Eingriff liegt i n folgendem: Die rationale Ableitung des Mittels aus dem Zweck ist dort relativ einfach. Das liegt wiederum i n der n u r abwehrenden Funktion polizeilichen Handelns begründet. Es ist meist leicht zu erkennen, wann der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eine konkrete Gefahr droht und wie diese zu beseitigen ist. Die Polizei braucht nur abzuwägen, was ohne i h r Eingreifen geschehen würde, u m die Zulässigkeit ihres Handelns beurteilen zu können. Beim enteignungsrechtlichen Eingriff ist das weit schwieriger. Das hängt m i t der gestaltenden, schöpferischen Funktion der Enteignung zusammen. Es liegt auf der Hand, daß ein solches Projekt weit mehr Umstände, Widerstände, Interessen und Konsequenzen berücksichtigen muß als ein polizeirechtliches Eingreifen. Beim Bau einer Autobahn sind nicht etwa einfach nur das Interesse an Verbesserung der Verkehrsverhältnisse und das Interesse eines privaten Eigentümers gegeneinander abzuwägen. Es treten vielmehr eine Vielzahl anderer Faktoren auf, die berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden müssen, damit das richtige — optimale — Ergebnis gefunden w i r d : Die dagegen Seufert, Bayerisches Enteignungsrecht, S. 231: Bei Unternehmen, die n u r mittelbar dem Gemeinwohl dienten, müsse man m i t der Enteignung „zurückhaltend" sein; und: volkswirtschaftliche Interessen seien „ u n t e r U m ständen ausreichend". 69 Das Argument, ein Unternehmen sei ein wichtiges Realsteuerobjekt für eine Gemeinde, u n d daher sei eine Enteignung zugunsten dieses Unternehmens zulässig, w i r d v o m O V G Rheinland-Pfalz i n Z f B 100, S. 214 ff. f ü r u n genügend erachtet. — Die Ansicht, daß Schaffung v o n Arbeitsplätzen u n d „Steigerung des Sozialprodukts" Argumente für Enteignungen zugunsten privater industrieller Vorhaben sind, äußert v o r allem Hamann, B B 1957, 1258 f.

V. Das öffentliche Interesse bei der Enteignung

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technischen Voraussetzungen müssen beachtet werden (Steigungswinkel usw.), der Landschaftsschutz, Schutz wertvoller landwirtschaftlicher Böden, Schutz von Wohnvierteln, und auch das Gebot tunlichst sparsamer Verwendung der Haushaltsmittel spielt eine wichtige Rolle. Es fragt sich also, ob dies überhaupt Situationen sind, die eine v o l l rationale Ableitung des Mittels (z. B. Enteignung bestimmter Grundstücke) aus dem Zweck (z. B. Bau einer Autobahnlinie zwischen den Städten A und B) erlauben. I n Anbetracht der Vielfalt der berührten Interessen scheint das recht schwierig, wenn nicht unmöglich zu sein. Es gibt jedoch auch für solch schwierige Situationen eine besondere Technik rationalen Konkretisierens, und es scheint bezeichnend zu sein, daß gerade diese Technik bei der Enteignung schon lange bekannt ist. Gemeint ist das Instrument des Plans. Bei der klassischen Enteignung ist der Vorgang der Konkretisierung des Mittels aus dem Zweck typischerweise seit jeher i n dem Zwang formalisiert worden, für die Enteignung einen Plan aufzustellen 70 . Ein Projekt „planen" heißt, es rational zu gestalten, i m Plan die einzelnen Faktoren zu berücksichtigen, i m Planungsverfahren alle Träger berührter Interessen zu hören. Es soll nicht behauptet werden, es sei volle Rationalität i m Sinne mathematisch genauer Beweisbarkeit zu verlangen. Das wäre unmöglich, weil nicht alle zu berücksichtigenden Faktoren m i t gleichen Maßen zu messen sind; insbesondere entziehen sich immaterielle Faktoren — etwa Denkmalschutz beim Straßenbau — v o l l rationaler Beurteilung. Es ist dann aber zu fordern, daß die Zulässigkeit der Enteignung so weit wie praktisch möglich rational begründbar sein muß. Eine derartige „Entlastungsfunktion" des Plans f ü r das Verwaltungshandeln zeigt sich i n einer neueren Entscheidung des B G H zum B B a u G 7 1 : Danach ist der einer Enteignung zugrunde liegende Bauleitplan hinzunehmen. Nicht der Bauleitplan sei auf das Vorliegen v o n öffentlichem Interesse h i n zu p r ü fen, sondern allein das konkrete Vorhaben, das m i t H i l f e der Enteignung durchgesetzt werden soll.

Darüber hinaus lassen sich aus diesem Verhältnis von Plan und Enteignung einige Aussagen über die Zukunft des Enteignungsrechts ableiten: Je mehr geplant werden wird, umso mehr w i r d enteignet werden können. Planung ist rationale Bewältigung der Zukunft. M i t jedem 70 Meist w i r d angenommen, ein solcher Plan sei erstmals i m preußischen Eisenbahngesetz v o n 1838 vorgeschrieben worden. Friesecke, Z f W 1966, 56 weist jedoch darauf hin, daß schon das preußische „Vorflutedikt" v o m 15.11.1811 (GS 352) einen derartigen Plan kannte. 71 B B a u B l 1967, 484, v. 15. 6. 67.

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§4. öffentliches Interesse

weiteren Fortschreiten von einem Wirtschaftssystem des laissez-faire zu einer rationaleren Form, also m i t dem Fortschreiten zur Planung, ergeben sich neue Enteignungsmöglichkeiten, weil immer mehr konkrete Einzelvorhaben rational (also planerisch) konkretisiert werden können. Soweit die Wirtschaftswissenschaften i n der Lage sind, w i r t schaftspolitische Zielvorstellungen rational zu bestimmten Projekten zu verdichten, ist eine Enteignung zugunsten dieser Projekte zulässig. Auch hier w i r d sich ohne Änderung des Wortlauts der Verfassung ein Verfassungswandel vollziehen. Die Enteignung w i r d z. B. mehr und mehr zu einem Instrument derjenigen Tätigkeit werden, die man heute „Strukturverbesserung" nennt. Was heute mangels konkretisierender Planung noch nicht möglich ist, w i r d hier i n nicht ferner Zukunft zulässig sein. Ein erster und möglicherweise verfrühter Schritt i n dieser Richtung sind die Enteignungsvorschriften des Kohleanpassungsgesetzes. Dieses macht i n § 33 bei Enteignungen zugunsten strukturverbessernder Industrieansiedlungen i m Ruhrkohlengebiet die Enteignungen u. a. von der Ubereinstimmung der Vorhaben m i t den Zielen der Raumordnung und Landesplanung abhängig. Diese Ziele sind aber zur Zeit erst so unscharf formuliert, daß ihnen kaum eine Industrieansiedlung widersprechen könnte, sie i m Hinblick hierauf also noch fast als normative Leerformeln zu qualifizieren sind. Vor allem sind die derzeitigen landesplanerischen Fixierungen auch i m Geltungsgebiet des Kohleanpassungsgesetzes72 weit entfernt davon, konkrete Aktionen vorzuzeichnen. Erforderlich wäre vielmehr ein Strukturverbesserungsplan, i n dem ein Bündel sachlich, räumlich und zeitlich fest umrissener und aufeinander abgestimmter Maßnahmen auf politischer Ebene festgelegt wird. Unterläßt man dies, so würde — unzulässigerweise — die Enteignungsbehörde eine solche — nur politisch mögliche — Entscheidung treffen müssen; es käme m i t anderen Worten zu planlosen Strukturverbesserungen, zu Maßnahmen, deren Rationalität i n keiner Weise gesichert wäre. Enteignungen auf solcher Grundlage, sozusagen Enteignungen „auf gut Glück", sind, wie gezeigt, abzulehnen 73 . 6. Konkretes öffentliches Interesse i m Sinne des Enteignungsrechts läßt sich nach allem wie folgt umschreiben: Konkretisierung eines Zwecks, der unmittelbar dem Gemeinwohl dient, i n einer Situation, aus der das M i t t e l des enteignungsrechtlichen Einzeleingriffs rational abgeleitet werden kann. 72 Landesentwicklungsprogramm N R W , Gebietsentwicklungsplan f ü r das Gebiet des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk u n d das Entwicklungsprogramm R u h r der Landesregierung N R W v o n März 1968; Einzelheiten etwa bei Wagener , RuS 1968, S. 165 f., u n d Schmitz , RuS 1968, S. 167 ff. 73 Vgl. zur Problematik des Kohleanpassungsgesetzes auch S. 97 m i t Fn. 79.

V. Das öffentliche Interesse bei der Enteignung

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Die Ausgestaltung der klassischen Enteignung zeigt, daß der Gesetzgeber diese Problematik seit jeher gespürt und zu lösen versucht hat: Schon nach dem prEG kann die Verwaltungsbehörde nicht für beliebige Projekte öffentliches Interesse annehmen. Vielmehr ist der erste A k t eines Enteignungsverfahrens stets die „Verleihung" des Enteignungsrechts durch das „Staatsministerium" (heute Landesregierung), vgl. § 2 prEG. Es bedarf also für alle Enteignungen nach dem prEG zunächst einer Regierungsentscheidung darüber, ob das Vorhaben öffentliches Interesse für sich i n Anspruch nehmen kann. A u f dieser Ebene w i r d vorentschieden, d. h. nach politischen Gesichtspunkten zwischen den verschiedenen betroffenen partiellen öffentlichen Interessen abgewogen 74 . I m Normalfall liegt dabei nicht fest, welche Grundstücke für das Vorhaben beansprucht werden müssen. Es w i r d auch hier noch abstrakt über das öffentliche Interesse entschieden. Die Verleihung des Enteignungsrechts durch Beschluß der Landesregierung, also eine Entscheidung auf politischer Ebene, ersetzt somit das, was bei konditionaler Normierung i m Gesetz geschieht. Die Regierungsentscheidung nimmt der Verwaltung eine Arbeit ab, die diese unmöglich leisten kann, nimmt ihr die Last einer Entscheidung, die rational nicht v o l l begründbar (aus dem öffentlichen Interesse deduzierbar) ist und darum nicht ihre Sache sein kann 7 5 . A u f dieser Ebene w i r d zunächst der Enteignungszweck wertend konkretisiert, bis ein Grad der Konkretisierung erreicht ist, der es gestattet, ohne weitere Wertungen die M i t t e l zu finden. Für das eigentliche Enteignungsverfahren bleibt dann die A u f gabe, aus dem feststehenden konkreten öffentlichen Interesse die M i t t e l i m Detail planend festzulegen, d. h., die benötigten Grundstücke parzellenscharf zu bezeichnen 76 . 74

Rechtsstaatlich i m heutigen Sinne w a r das ursprünglich allerdings nicht, da die Exekutive m i t dem Monarchen an der Spitze i n der preußischen k o n stitutionellen Monarchie nicht dem Parlament verantwortlich u n d eine Gesetzesbindung der V e r w a l t u n g i m heutigen Sinne nicht gegeben w a r , so daß der Gesetzgeber m i t der Klausel, daß Enteignungen n u r i m öffentlichen Interesse zulässig seien, beliebiger Konkretisierung durch die V e r w a l t u n g das Feld bereitet hatte. 75 Bezeichnenderweise w i r d diese F u n k t i o n der Regierung denn auch gelegentlich v o m Gesetzgeber übernommen, nämlich dort, w o das Enteignungsrecht bereits i m Gesetz „verliehen" w i r d , so i m FStrG (§ 19 I , 1). 76 Nach allen einschlägigen Gesetzen muß jeder Enteignung ein Plan zugrunde liegen, vgl. z. B. § 15 prEG, § 19 Abs. 2 FStrG, § 85 Abs. 1 Nr. 1 BBauG. I n den anderen Enteignungsfällen der letzteren Vorschrift ist allerdings k e i n Plan erforderlich; i m F a l l des § 85 Abs. 1 Nr. 1 u n d 2 ist das ohne weiteres einleuchtend: Die Rationalität der Enteignungsentscheidung ist durch die dort angegebenen Merkmale i n Verbindung m i t § 34 B B a u G u n d § 24 B a u N V O sichergestellt. Nicht erkennbar ist allerdings, w i e die Rationalität der K o n kretisierung i n den Enteignungsfällen des § 85 Abs. 1 Nr. 3 u n d 4 sichergestellt sein soll, auch die §§ 90,91 B B a u G genügen hier w o h l nicht ganz. Sehr deutlich auch hier wieder die Sonderstellung der Enteignung nach dem Kohleanpassungsgesetz, die „planlos" erfolgt. — Das Erfordernis rationaler, i n komplizierten Verhältnissen i n der Regel also planerischer Konkretisie-

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§ 4. öffentliches Interesse

Wenn also zum Beispiel feststeht, daß billige und sichere Energieversorgung den Vorrang vor privater Grundstücksnutzung hat, so ist damit noch nicht gesagt, daß jedes Vorhaben eines Energieversorgungsunternehmens zur Enteignung berechtigt. Vielmehr ist i m Einzelfall zu prüfen, ob das konkrete Vorhaben die sichere und billige Energieversorgung fördert und ob ggf. dieses Interesse i m konkreten Fall so gewichtig ist, daß die berührten anderen Interessen zurücktreten müssen. Dabei w i r d auf politischer Ebene wertend entschieden, ob dieses Projekt allgemein i m öffentlichen Interesse liegt, etwa m i t energiepolitischen und raumordnungspolitischen Zielen und Plänen übereinstimmt oder nicht 7 7 und sodann das Projekt, der konkrete Zweck, i m Enteignungsplan von der Verwaltungsbehörde bis ins Detail, zum M i t t e l hin, weiter konkretisiert. Sehr deutlich kontrastiert m i t diesem Verfahren bei Zwecknormierung das Entscheiden aufgrund konditionaler Normierung: Wenn das Gesetz bestimmt, daß ein etwa für die Energieversorgung besonders wichtiges Unternehmen so stark Abgase und L ä r m emittieren darf, daß die Nachbarn zugrundegerichtet werden, dann ist i m Einzelfall nicht nochmals zu prüfen, ob die Interessen des Unternehmens unter dem Blickwinkel des Gemeinwohls die Interessen des benachbarten Eigentümers überwiegen, ob also die konkrete industrielle Nutzung i n irgendeinen Plan paßt, ob sie für das öffentliche Interesse wichtiger als das Nachbargrundstück ist. Dies kann die Entscheidung des Einzelfalles nicht beeinflussen. Ein weiteres Beispiel: Das Gesetz läßt zu, daß der Bergbau das Grundeigentum durch Bergschäden beeinträchtigt (u.U. bis zur völligen Unbenutzbarkeit der Grundstücke). Für diese gesetzgeberische Entscheidung war die Zweckidee maßgebend, daß Gewinnung von Bodenschätzen volkswirtschaftlich wesentlich wichtiger und wertvoller ist als die ungestörte Nutzung der dabei evtl. an der Oberfläche betroffenen Grundstücke. Diese Entscheidung kann i m konkreten Einzelfall nicht wieder i n Frage gestellt werden. Der Grundeigentümer kann nicht r u n g des öffentlichen Interesses, w e n n es Eingriffe i n Eigentum rechtfertigen soll, k o m m t i n der BGH-Entscheidung N J W 1960,2335 zum Ausdruck. Dort ging es u m Beeinträchtigung durch eine Bushaltestelle u n d die Prüfung, ob die Haltestelle aufgehoben werden könnte, ohne die Befriedigung des öffentlichen Verkehrsbedürfnisses zu beeinträchtigen. Bei dieser Prüfung sind nach Meinung des B G H „alle Aspekte f ü r eine sachgemäße u n d modernen Großstadtverhältnissen angepaßte Verkehrsplanung i n dem (betreffenden) Verkehrsraum i n Betracht zu ziehen" (Hervorhebung v o m Verf.). 77 Dies zeigt zugleich, was von derartigen Entscheidungen zu halten ist, w e n n die Regierung keine klaren energiepolitischen u n d raumordnungspolitischen Vorstellungen hat. — Die Frage, ob die Regierungsentscheidung raumordnungspolitische Belange zu berücksichtigen hat, ist i m übrigen streit i g ; vgl. dazu etwa Schulte, öffentliche u n d private Fachplanung, S. 119 ff.

VI. Enteignung und private Eingriffsrechte

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etwa den unter seinem Grundstück umgehenden, ihn beeinträchtigenden Bergbau m i t der Begründung untersagen, daß die bergbauliche Nutzung i n diesem Falle völlig unrentabel sei, daß die Grube besser stillgelegt würde, als daß der Abbau seine, des Grundeigentümers, wertvollere Grundstücksnutzung beeinträchtige. Diese Frage kann i m Einzelfall nicht mehr gestellt werden, — sie ist i m Gesetz verbindlich vorentschieden, vorausgesetzt, daß das Gesetz verfassungsmäßig ist, daß also ein anerkanntes „Eingriffskriterium" 7 8 vorliegt). VI. Enteignung und private Eingriffsrechte 1. Ein Punkt, i n dem sich enteignungsrechtliche und polizeirechtliche Eingriffe unterscheiden, bleibt danach noch zu behandeln: I m Polizeirecht w i r d zwischen selbständigen und unselbständigen Polizeiverfügungen unterschieden. Gibt es diesen Unterschied auch i m Enteignungsrecht? Die bisher behandelten Fälle der Enteignung entsprechen sämtlich der selbständigen Polizei Verfügung; sie sind Eingriffe aufgrund der Generalklausel, nicht aufgrund tatbestandlich determinierter Eingriffsbefugnisse. Das kann i m Enteignungsrecht auch gar nicht anders sein. Denn hier hat die Generalklausel Verfassungsrang, A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG. Auch ist schon den Aufgaben der Enteignung nach nichts anderes möglich, als hier m i t einer Generalklausel zu arbeiten: Gestaltung läßt sich nicht tatbestandlich abstrakt konditional determinieren. Es gibt daher keine Vorschriften, die eine Enteignung generell abstrakt aufgrund tatbestandlich fixierter Merkmale zuließen; es gibt keine Norm, die es ermöglichte, eine enteignungsrechtliche konkrete Eingriffsbefugnis allein durch Subsumtion unter einen gesetzlichen Tatbestand zu ermitteln. Es gibt also keinen Fall, i n dem bereits auf der Ebene des Gesetzgebers abstrakt über die Zulässigkeit einer konkreten Enteignung vorentschieden wäre; es gibt keinen Fall, i n dem der Gesetzgeber die Notwendigkeit des Beweises, daß i m konkreten Fall öffentliches Interesse vorliegt, bei der Enteignung ausgeschlossen hätte 79 . 78

Dazu v o r allem o., § 3 I 5 u n d § 3 I I I . Seit neuestem gibt es hier die bereits oben (S. 94) besprochene A u s nahme des Kohleanpassungsgesetzes. H i e r w i r d außer den i n § 35 Ziffer 1—4 aufgestellten Voraussetzungen f ü r Enteignungen nicht außerdem noch öffentliches Interesses verlangt. (Das ist absichtlich geschehen, w i e sich daraus ergibt, daß i m Verweisungskatalog des § 33 ausgerechnet die Verweisung auf § 87, Abs. 1 BBauG fehlt.) Der Gesetzgeber hat also gemeint, m i t diesen V o r aussetzungen das öffentliche Interesse i n der Weise konkretisiert zu haben, daß jede Enteignung, die diesen Merkmalen entspricht, i m öffentlichen I n t e r esse liegt. Das k a n n insoweit nicht richtig sein, als damit die Berücksichtigung aller anderen öffentlichen Belange (und das Interesse des betroffenen Grundeigentümers) ausgeschaltet w i r d . Es werden damit — zumindest theoretisch — Enteignungen zulässig, die bei einer rationalen Konkretisierung, die 79

7 Schulte

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§ 4. öffentliches Interesse

Wohl aber gibt es Fälle, die zwar nicht Enteignungen, so doch jedenfalls Eingriffe i n Eigentum sind, die nicht durch eine Generalklausel, sondern durch exakte tatbestandliche Fixierung konditional v o l l determiniert sind. Es sind dies die Fälle der i n der vorliegenden Untersuchung vorwiegend behandelten „privaten Eingriffsbefugnisse" 80 . A n dieser Stelle der Untersuchung ist es möglich, eine entscheidende Frage zu klären, nämlich die, wodurch sich private Eingriffsbefugnisse von der Befugnis zu enteignungsrechtlichen Eingriffen unterscheiden: Der entscheidende Unterschied braucht nicht darin gesehen zu werden, daß einmal Private eingreifen und i m anderen Fall hoheitlich eingegriffen wird. Wenn man dieses Merkmal als entscheidend ansieht, ist es kaum mehr möglich, die einleitend geschilderten Fälle anders denn als Enteignung anzusehen. Hätte man ein anderes entscheidendes Differenzierungsmerkmal, so brauchte diese oft als inadäquat empfundene Einordnung nicht mehr unausweichlich zu sein. Das Merkmal, das aus dem Dilemma herausführt, läßt sich aufgrund der bisherigen Ausführungen aufzeigen: Die Unterscheidung hat beim öffentlichen Interesse anzusetzen: Private Einwirkungsrechte setzen nicht, wie die enteignungsrechtlichen Einwirkungsrechte, konkretes öffentliches Interesse — i n dem beschriebenen Sinne — voraus. Als konditionale Normierungen verlangen sie vielmehr nur abstraktes öffentliches Interesse. Analog der „abstrakten Gefahr" bei Gesetzen, die Grundlage selbständiger Polizeiverfügungen sind, ist dieses „abstrakte (öffentliche) Interesse" wie folgt zu beschreiben: Es ist ein Interesse, über das bereits auf gesetzgeberischer Ebene vor-entschieden ist; es ist der gesetzgeberische Grund zur Schaffung der Norm, die den Eingriff gestattet. Es ist nichts anderes als die Zweckidee, die versucht, sich über den Weg einer geschickten Kombination von Daten i n der konditionalen Normierung Wirksamkeit zu verschaffen. Typisch ist, daß man hier

alle Faktoren berücksichtigt, nicht möglich wären; vgl. auch die folgende Fußnote. 80 E i n konditional v o l l determiniertes Eingriffsrecht zugunsten eines P r i vaten (evtl. unter Einschaltung einer gebundenen verwaltungsbehördlichen Entscheidung über das Vorliegen der tatbestandlichen Determinanten) ist daher v o n der K o n s t r u k t i o n her nie als Enteignung zu bezeichnen, sondern n u r als privater Anspruch. Würden daher die Voraussetzungen des § 33 Kohleanpassungsgesetz eine „Enteignung" v o l l determinieren, u n d würde außerdem dem Begünstigten ein Anspruch auf Erlaß des Enteignungsbeschlusses (bei Vorliegen der Voraussetzungen) eingeräumt, so w ü r d e damit „Enteignung" zu einem privaten Eingriffsrecht. (Es bliebe allenfalls das Unterscheidungsmerkmal des mittelbaren u n d des unmittelbaren öffentlichen Interesses — dazu oben, S. 91 f. —, das aber gerade bei den Fällen der E n t eignung nach dem Kohleanpassungsgesetz u . U . nicht zu eindeutigen E r gebnissen führen könnte). A l s solches wäre es, gemessen an den erst unten, § 5 I I I , zu erörternden Eingriffskriterien, verfassungswidrig.

VI. Enteignung und private Eingriffsrechte

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genau parallel zu der Problematik der Polizeiverfügungen, statt von abstrakter Gefahr zu sprechen, auch sagen kann, daß ein öffentliches Interesse i m Einzelfall überhaupt nicht vorzuliegen braucht. Nichts anderes ergibt sich, wenn man davon spricht, eine privatrechtliche Regelung oder eine Begünstigung Privater diene mittelbar dem öffentlichen Interesse 81 . Auch dann bleibt der Unterschied zu enteignungsrechtlichen Eingriffen deutlich, da diese unmittelbares öffentliches Interesse verlangen 82 . A u f die Frage, ob i m einzelnen Anwendungsfall der abstrakten Zweckidee gedient wird, kommt es prinzipiell nicht an. Konkretes Eingriffsinteresse ist nicht Voraussetzung. Damit ist nun zwar das Merkmal zur Unterscheidung zwischen enteignungsrechtlichen und privatrechtlichen Eingriffsrechten gefunden. Es ergibt sich jedoch gerade hieraus eine weitere wichtige Frage, nämlich die, ob der Gesetzgeber m i t diesen Merkmalen beliebig hantieren kann, d.h., ob es i n seinem Belieben steht, eine Materie enteignungsrechtlich zu regeln, d.h. Eingriffsrechte vom Vorliegen konkreten öffentlichen Interesses abhängig zu machen oder privatrechtlich zu regeln, d.h. Eingriffsrechte zugunsten Privater zu schaffen, die nur vom Vorliegen bestimmter Tatbestandsmerkmale (nicht von Zwecken) abhängig sind. Darf also das Gesetz bestimmen, daß ein Grundeigentümer seinen Nachbarn durch Immissionen beeinträchtigen darf? Darf das Gesetz auch bestimmen, daß jeder gut gehende Gewerbebetrieb seinen Nachbarn zum Zwecke der Betriebserweiterung Grund und Boden wegnehmen darf? Darf das Gesetz bestimmen, daß ein Privater Anspruch gegenüber den betroffenen Grundeigentümern darauf hat, zum Zwecke der Versorgung seiner Erdölraffinerie m i t Rohöl eine Pipeline i n den benötigten Grundstücken zu verlegen? Darf der Gesetzgeber dem Bergbautreibenden einen Anspruch gegen den Grundeigentümer auf Uberlassung von Grund und Boden zur Errichtung der oberirdischen Teile der Schachtanlage geben? Darf er dem Bergbautreibenden erlauben, durch Abbauhandlungen Erdbewegungen zu verursachen und dadurch Gebäude an der Oberfläche zu beschädigen und evtl. zu zerstören? Diese Fragen sind m i t den bisherigen Erörterungen der vorliegenden Untersuchungen durchaus noch nicht beantwortet. 2. Immerhin läßt sich bereits jetzt klarstellen: Es ist unrichtig, die i n den einleitend geschilderten Fällen vermeintlich vorliegenden Enteignungen m i t „öffentlichem Interesse" zu rechtfertigen. Wenn allein geltend gemacht wird, die gewerberechtliche Anlagegenehmigung des § 16 GewO, die Verleihung des Bergwerkseigentums, die Erteilung eines baurechtlichen Dispenses oder die Vor81 82

7*

E t w a Kleindienst, Dazu o., S. 91 f.

S. 45.

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§ 4. öffentliches Interesse

nähme einer wasserrechtlichen Ausgleichung erfolge i m öffentlichen Interesse, weil nämlich Wachstum der Wirtschaft, Abbau der Bodenschätze, sinnvolle Bodennutzung und Bewirtschaftung des Wasserschatzes öffentliche Interessen seien, so macht sich diese Argumentation eines Sprachmißbrauchs — logisch: einer Begriffsvertauschung — schuldig: Sie nennt zwar öffentliche Interessen, aber nicht konkrete, wie sie bei einer Enteignung erforderlich wären, sondern abstrakte, wie sie bei einer Enteignung gar nicht ausreichen. Einen deutlichen Fall einer derartigen Begriffsvertauschung findet man i n der bergrechtlichen Literatur 8 3 : Der Bergbau stehe i m öffentlichen Interesse, weil auf diese Weise Naturschätze der Volkswirtschaft nutzbar gemacht würden. Die Proklamierung der Bergbaufreiheit auf bestimmte Bodenschätze lasse die generelle Entscheidung des Gesetzgebers, daß Bergbau auf diese Bodenschätze i m öffentlichen Interesse liege, deutlich erkennen. Damit sei i n diesen Fällen dem Erfordernis des A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG Genüge getan 84 . — I n die Gefahr ähnlicher Fehler begibt man sich, wenn man die heute gesteigerte Bedeutung des Grundwassers für die Allgemeinheit zum Anlaß nimmt, das Grundwasser schlicht „zum Gegenstand des öffentlichen Interesses" zu erklären 85 . Das legt es nämlich nahe, auch für nachbarrechtlich gestattete Eingriffe i n Grundwasser öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne zu verlangen. Wichtig ist aber zunächst nur, daß ein gesteigertes Interesse der Allgemeinheit am Grundwasser unter Umständen zu neuen, detaillierten Regelungen führen kann. Ob diese dann enteignungsrechtlich sind, ob man Eingriffe vom Vorliegen öffentlichen Interesses i m enteignungsrechtlichen Sinne abhängig macht (und evtl. abhängig machen muß), ist eine ganz andere Frage. — Gefährlich unklar sind auch Formulierungen wie: „ A n Bestand und an der Verwirklichung der Privatrechtsordnung besteht ein eminentes öffentliches Interesse" 86 . N u r selten findet man hier differenziertere Aussagen 87 . 83

Vgl. Turner, Z f B 108 (1967), S. 45 ff., 61/62. Ä h n l i c h verfehlt die Ansicht Hamanns (BB 1957, 1258 f.), wonach Steiger u n g des Sozialprodukts u n d Schaffung v o n Arbeitsplätzen eine Enteignung zugunsten Privater rechtfertigen könne. Eine typische Begriffsvertauschung n i m m t Hamann (a.a.O.) auch m i t der Behauptung vor, privater K f z - V e r k e h r liege i m öffentlichen Interesse, w e i l sonst j a nicht M i l l i a r d e n f ü r den Straßenbau ausgegeben würden. Das f ü h r t Hamann zu der Schlußfolgerung, dann läge auch die Schaffung anderer privater Transportwege i m öffentlichen Interesse, folglich könne auch f ü r den Bau von Pipelines enteignet werden. 85 So Gieseke , Eigentum u n d Grundwasser, S. 8. 86 Liver, Festgabe f ü r Gutzwiller, S. 750; (Hervorhebung v o m Verf.). E i n ähnlich undifferenzierter Gebrauch der Worte „öffentliches Interesse" findet sich auch bei R. Schneider V e r w A r c h 1967, 325 ff., insbes. Fn. 158, wo das dahin führt, daß bei einer öffentlich-rechtlich konstruierten Durchsetzung privater Eingriffsrechte doch wieder die Enteignungsproblematik ins Spiel gebracht w i r d (a.a.O., 330/331). 87 E t w a Kleindienst (o., S. 91 Fn. 68); Natsch, Instrumente der Regionalplanung, Zürich 1964, S. 98, der zwischen dem „generellen" öffentlichen I n t e r 84

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Würde man diese Begriffsvertauschungen erkennen und die öffentlichen Interessen i m Einzelfall zu konkretisieren versuchen, so würde sich i n den oben erwähnten Fällen schnell zeigen, daß die derart als Enteignung behandelten Institute gänzlich unbrauchbar würden: Es ließe sich bei Anlegen enteignungsrechtlicher Maßstäbe kaum jemals konkretisieren, daß gerade der i m Einzelfall zur Debatte stehende Eingriff erforderlich wäre. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ergibt sich nur, wenn man die Eingriffe i n den angeführten Beispielen als privatrechtliche Befugnisse einordnet. Die theoretische Grundlage dafür ist m i t der vorstehend entwickelten Unterscheidung zwischen konkretem und abstraktem öffentlichen Interesse geschaffen. 3. Es läßt sich auch noch anders verdeutlichen, daß die Ansicht, nachbarrechtliche Eingriffsbefugnisse seien an enteignungsrechtlichen Maßstäben zu messen, zu eng ist und Gesichtspunkte übersieht, die i m Recht der hoheitlichen Eingriffe i n Eigentum i n anderen Zusammenhängen seit langem angewendet werden: Es ist falsch, jede Bestimmung, die das Eigentum betrifft, nur daraufhin zu prüfen, ob sie entweder eine Eigentumsbindung oder eine Enteignung ist. Es ist falsch anzunehmen, die Eigentumsproblematik erschöpfe sich i n diesem einen Gegensatz. Das w i r d deutlich, wenn man Erscheinungen wie Einziehung, Konfiskation und Besteuerung betrachtet. Diese sind sämtlich hoheitliche Eingriffe i n Eigentum, und wenn man sie allein an den Kriterien für die Abgrenzung zwischen Sozialbindung und Enteignung messen würde, läge wohl stets Enteignung vor. Gerade das t u t man aber nicht, und zwar m i t Recht. Täte man es, so würde man wieder nur einen „vulgären Begriff von Enteignung" benutzen, „ m i t dem wissenschaftlich und praktisch i n Wahrheit nichts anzufangen ist", der nur ein „polemisches Schlagwort gegen sehr verschiedenartige vermögensrechtliche Behelligungen des Bürgers durch den Staat" ist 88 . So, wie man die genannten Erscheinungen der Einziehung usw. nicht i n die Problematik Sozialbindung — Enteignung einbezieht, so verbietet sich das auch für die nachbarrechtlichen Eingriffe. Ein undifferenzierter Enteignungsbegriff, etwa eine Formulierung, die Enteignung m i t jedem hoheitlichen Eingriff gleichsetzt, der i n Vermögensrechte ungleich (oder unzumutbar schwer) eingreift, übersieht entscheidende Besonderheiten: Bei der Besteuerung weist man zu Recht darauf hin, daß sie kein Güterbeschaffungsvorgang für besondere staatliche Vorhaben ist, bei der Einziehung, daß sie Nebenfolge einer Strafe esse an einem Rechtsinstitut u n d dem „speziellen" öffentlichen Interesse an der Zulässigkeit der Rechtsausübung i m konkreten F a l l unterscheidet. 88 W. Weber, S. 347; unter Zustimmung v o n v. Mangoldt-Klein, A r t . 14 A n m . V I I 1 u n d Huber, I I , S. 15.

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§ 4. öffentliches Interesse

ist, beim Ablieferungszwang, daß er nur das Verfahren des Güterumsatzes ändert. Man weist also darauf hin, daß diese Erscheinungen materiell etwas anderes als Enteignung sind. Die Tatsache, daß hier, wie bei der Enteignung, Verwaltungsakte i n Eigentum eingreifen, ist nur die äußere, formelle, verfahrensrechtliche Seite dieser Maßnahmen. Wenn man die — klassische — Enteignung materiell definiert, etwa als das Recht des Staates, Rechte Privater zu übernehmen oder zu beschränken, u m sie unmittelbar bestimmten Vorhaben nutzbar zu machen oder anzupassen, dann sieht man, daß auch die Ausübung nachbarrechtlicher Einwirkungsbefugnisse damit nichts zu t u n hat. I m Nachbarrecht geht es stets darum, die Rechtssphären der einzelnen Grundeigentümer gegeneinander abzugrenzen. Eine solche Regelung ist notwendig, weil anderes Grundeigentum nicht ökonomisch sinnvoll genutzt werden könnte. Es ist dies eine Notwendigkeit einer jeden Rechtsordnung. Wenn diese Rechtsordnung darauf achtet, daß die Abgrenzung der Rechtssphären der einzelnen Grundeigentümer so vorgenommen wird, daß dabei auch ökonomisch gesehen (also i m Interesse der Allgemeinheit) ein vernünftiges Ergebnis erzielt wird, so hat das materiell nichts m i t den hoheitlichen Eingriffen gemein, die unter der Enteignung zusammengefaßt werden. Diese Überlegungen treffen sich m i t den oben i n § 3 entwickelten A n sichten über „Denkschema" und „materiellen Gehalt", über formale und inhaltliche Struktur des Eigentums. Es war dort versucht worden, Uberflüssigkeit (und Schädlichkeit) der materiellen Inhalts- und Eingriffs-Vorstellung nachzuweisen, u m dadurch den Bick zu öffnen für die allein entscheidende — weil allein das Eigentum materiell konstituierende — Bedeutung der „Eingriffskriterien" 8 9 . Dies gibt i m vorliegenden Zusammenhang eine weitere, tiefergehende Rechtfertigung dafür, zwischen verschiedenen A r t e n von „Eingriffen" i n Eigentum zu unterscheiden. Nicht auf die allen diesen Arten gemeinsame formale Eingriffsstruktur kommt es an. Vielmehr ist die entscheidende Unterschiedlichkeit i n den inhaltlich allein maßgebenden materiellen Kriterien der Zulässigkeit der Schaffung von Eingriffsnormen zu finden: Die Einziehung rechtfertigt sich aus der Notwendigkeit staatlichen Strafens, die Besteuerung aus dem Bedürfnis nach Beschaffung der öffentlichen Haushaltsmittel, die enteignungsrechtlichen Eingriffsbefugnisse aus öffentlichem Interesse an notwendigen Gestaltungen der Umwelt, die polizeirechtlichen Eingriffsbefugnisse aus öffentlichem Interesse an Gefahrenabwehr, die privatrechtlichen Eingriffsbefugnisse aus der Notwendigkeit, eine ökonomisch sinnvolle Raumnutzung zu schaffen. 89

Vgl. insbes. o., S. 52 if .

VI. Enteignung und private Eingriffsrechte

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Dies zeigt, warum es ein „vulgärer Begriff von Enteignung" ist, wenn man alle diese Erscheinungen i n einen Topf w i r f t : Weil man den formalen Eingriffscharakter als materiell mißversteht und darüber die wirklichen materiellen „Kriterien" vergißt. Zwar sind damit nicht alle verfassungsrechtlichen Probleme gelöst. Es bleibt die Frage, ob auch die Verfassung die genannten Kriterien als Rechtfertigung für Eingriffsbefugnisse anerkennt. Aber die hier angestellte Betrachtung setzt doch jedenfalls instand, die Fragen erst einmal auf dieses richtige Gleis zu schieben, aus der vermeintlich allumfassenden Enteignungsproblematik herauszukommen und dadurch die materiellen Probleme überhaupt erst unter den richtigen Aspekten diskutierbar zu machen. Eine wichtige Rechtfertigung erfährt diese Betrachtungsweise durch ein ihr völlig entsprechendes Vorgehen des BVerfG i n einem Beschluß vom 17.11.1966 90 : Hier ging es um die Frage, ob der gesetzliche Ausschluß einer Entschädigung für die rechtmäßige Tötung von t o l l w u t verdächtigen Hunden gegen das GG verstoße. Das BVerfG verneint das und begründet dies m i t dem seines Erachtens entscheidenden Gesichtspunkt, „daß die allgemeine Konstellation der Interessen, die A r t , wie hier das öffentliche Interesse dem Privatinteresse gegenübertritt, anders ist als i n den typischen Fällen der Enteignung. Bei diesen liegt es so, daß die öffentliche Gewalt aus eigenem Interesse aktiv, offensiv gegen den Privateigentümer vorgeht, weil sie sein Eigentum für einen öffentlichen Zweck braucht"; i m entschiedenen Fall dagegen handele es sich u m defensives Vorgehen gegen einen gefährlichen Zustand. M i t den Begriffen der vorliegenden Untersuchung ausgedrückt, heißt das nichts anderes als dies: Es liegt nicht das die Enteignung kennzeichnende Eingriffskriterium des sozialgestaltenden öffentlichen Interesses, sondern das den polizeirechtlichen Eingriff kennzeichnende Merkmal des öffentlichen Interesses an Gefahrenabwehr vor. Daher ist der Fall nicht an den Maßstäben des Enteignungsrechts zu messen91. A u f die dort maßgebenden Kriterien der Unterscheidung zwischen entschädigungslosen und entschädigungspflichtigen Eingriffen kommt es nicht an. Das ist also die auch vorliegend vertretene Auffassung, daß es bei Ermittlung materiellrechtlicher Aussagen nicht auf das rein formale „Eingriffs"Merkmal ankommt, sondern nur auf die materiellen Kriterien für die Zulässigkeit des Eingriffs 92 . 90

N J W 1967, 548 ff. = BVerfGE 20, 351, 359. Erstaunlich ähnlich auch der B G H bei der Prüfung der Frage, ob Maßnahmen der Zwangsvollstreckung an enteignungsrechtlichen Maßstäben zu messen seien. Die Vollziehung eines Steuerarrestes lasse sich „ i h r e m Wesen nach" nicht als enteignende Maßnahme verstehen, vgl. B G H Z 30, 125 f.; ähnlich B G H Z 32, 240. Noch deutlicher B G H DVB1 160, 101 — zur Rechtsnatur der Umlegung — : „Nicht die formelle Gestaltung, sondern der innere Gehalt einer Maßnahme ist für die Beurteilung entscheidend, ob ein enteignender Eingriff vorliegt oder nicht." 92 Zugleich sind hier zwei weitere Konsequenzen anzuführen, u m die w e i t 91

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§ 4. öffentliches Interesse

Dann ist es auch richtig, Enteignung und nachbarrechtliche Eingriffsrechte gemäß der Unterschiedlichkeit der Eingriffskriterien zu unterscheiden. reichenden Folgen u n d Möglichkeiten der vorliegend vertretenen Auffassung klarzustellen: 1. Sowohl nach der hier vertretenen Auffassung als auch nach den soeben besprochenen Entscheidungen des B V e r f G u n d nach den zuletzt genannten Entscheidungen des B G H gehört ein spezifisches öffentliches Interesse zum „Wesen" der Enteignung. Das macht auch den Enteignungsbegriff des B G H , der das i m allgemeinen ablehnt, u n d auch rechtswidrige schuldhafte Eingriffe zu den enteignungsrechtlichen Eingriffen zählt, — überspitzt gesagt — zu einem „vulgären Enteignungsbegriff, m i t dem i n Wahrheit wissenschaftlich nichts anzufangen ist". Das f ü h r t nicht „zurück zum klassischen Enteignungsbegriff", sondern zu der Forderung, rechtswidrige u n d schuldhafte Eingriffe als eine eigenständige, nicht zur Enteignung gehörende Gruppe anzuerkennen; der B G H ist übrigens gar nicht w e i t von einer solchen Trennung entfernt: Er nennt rechtswidrige u n d schuldhafte Eingriffe — n u r diese! — „enteignungsgleich" u n d behält die Kennzeichnung „enteignend" oder „ E n t eignung" den rechtmäßigen Eingriffen v o r ; ebenso Forsthoff, S. 338; Kröner, DVB1 1969, 157/158; (allerdings w i r d i n B G H N J W 1967, 1857 f. v o n einem „öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch aus rechtmäßigem oder (!) rechtswidrigem enteignenden Eingriff" gesprochen; noch deutlicher abweichend B G H Z 49, 343/344, 347, w o eindeutig rechtmäßige Maßnahmen zu Entschädigungsansprüchen aus „enteignungsgleichem Eingriff" führen). Diese nicht n u r terminologischen Feinheiten werden oft übersehen. Bezeichnend — u n d die vorliegende Auffassung bestätigend — erscheint dabei, daß der B G H für den enteignungsgleichen Eingriff andere Abgrenzungskriterien bezüglich der Entschädigungsfrage verwendet als beim enteignenden Eingriff: A n die Stelle des „Sonderopfers" beim enteignenden Eingriff t r i t t beim enteignungsgleichen Eingriff die Rechtswidrigkeit (jedenfalls insoweit, als es beim „enteignungsgleichen" Eingriff u m die Fälle der „öffentlich-rechtlichen Gefährdungshaftung" geht; dazu, daß auch beim „enteignungsgleichen" E i n griff noch wieder zwischen zwei verschiedenen A r t e n unterschieden werden muß, vgl. Wagner, N J W 1967, 2333 ff.). 2. Die vorliegend vertretene Auffassung u n d die soeben besprochene E n t scheidung des B V e r f G zeigen auch, daß sich die mehr u n d mehr wieder auflebende Diskussion über die Frage, ob bei polizeirechtlichen Eingriffen aufgrund Zustandshaftung nicht doch entschädigt werden sollte, unter falschen Aspekten abspielt. (Für Entschädigung treten ein oder stehen der v ö l l i g herrschenden Meinung v o m Ausschluß der Entschädigung i n diesen Fällen zumindest kritisch gegenüber: Menger, V e r w A r c h 1959, 85/86; Rupp, G r u n d fragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, S. 231 Fn. 405; Lerche, Übermaß u n d Verfassungsrecht, S. 118 ff., 134 ff.). Diese Frage w i r d stets m i t enteignungsrechtlichen Argumenten diskutiert. Das ist verfehlt, denn es fehlt schon am enteignungsrechtlichen Eingriffskriterium des aktiven sozialgestaltenden öffentlichen Interesses. Dann fehlt zunächst auch jeder Grund, die Entschädigungsfrage beim polizeirechtlichen Eingriff unter den Aspekten der enteignungsrechtlichen Entschädigungskriterien zu behandeln. Die entscheidende Frage, über die allein zu sprechen sinnvoll wäre, ist diese: Soll u n d muß m a n die enteignungsrechtlichen Entschädigungskriterien auch hier anwenden? Bezeichnend erscheint m i r , w i e die bisherige Diskussion auf dem falschen enteignungsrechtlichen Gleis ins Ausweglose f ü h r t : Machte man Ernst m i t den enteignungsrechtlichen Entschädigungskriterien bei der polizeilichen Z u standshaftung, so wäre i n aller Regel — schon der Schwere der Eingriffe wegen — Entschädigung zuzusprechen. Dem w i l l m a n meist entgehen u n d greift auf die „Bildersprache" v o m „ I n h a l t " zurück (wie z. B. Quaritsch, DVB1 1959, 455 ff.), statt auf den Unterschied zwischen den enteignungsrechtlichen

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Neben dem auch i m öffentlichen Recht für konditionale Normierungen geltend zu machenden Gründen der P r a k t i k a b i l i t ä t u n d der Gesetzesbindung spricht hier für das Privatrecht sehr gewichtig noch folgendes: Es muß dem Privatrecht i m konkreten Fall der Zwang fehlen, m i t der Rechtsdurchsetzung dem Gemeinwohl zu dienen. Es muß vielmehr dem einzelnen Eigentümer erlaubt sein, autonom Zwecke zu setzen u n d diese m i t den M i t t e l n des Privatrechts zu verfolgen, ohne i m Einzelfall über die Gemeinverträglichkeit oder gar die Gemeinnützigkeit seiner Handlungen Rechenschaft ablegen zu müssen. Deshalb muß das öffentliche Interesse bereits m i t Schaffung der N o r m befriedigt werden. Freies, privatautonomes Handeln wäre nicht mehr möglich, wo i m konkreten F a l l Gemeinverträglichkeit oder Gemeinnützigkeit nachgewiesen werden müßten 9 3 . F ü r die Handhabung des privaten Nachbarrechts des B G B u n d der Landesgesetze ergeben sich praktische Konsequenzen aus dieser E r kenntnis nicht. Insoweit ergibt sich n u r allgemein, daß dieses Nachbarrecht m i t Enteignung nichts zu t u n hat, daß allenfalls der Ausdruck „Sonderopfer" für die Beeinträchtigungen, die der Nachbar hinnehmen muß, irreführend ist. Folgenreich w i r d die Erkenntnis der wesentlichen Verschiedenheiten zwischen Enteignung u n d privatrechtlichen Eingriffen jedoch i n den schon einleitend genannten — u n d anderen — Fällen, i n denen Rechtsbeziehungen, die nach der Natur der Sache nachbarrechtlich sind (nämlich notwendige Kollisionsregelungen i m oben beschriebenen Sinne), i n ihrer Durchsetzung nicht privatrechtlich geregelt sind (d. h. als A n spruch des einen Nachbarn gegen den anderen), sondern öffentlich-rechtEingriffskriterien u n d den polizeirechtlichen Eingriffskriterien hinzuweisen. Wenn es eine Begründung für die unterschiedlichen Entschädigungsfolgen bei Enteignung und bei polizeirechtlicher Zustandshaftung gibt, dann liegt sie hier, nicht i n bildhaften Vorstellungen v o m Eigentumsinhalt. 93 Bei der allgemeinen Grundrechtekollision (vgl o., § 2 IV) u n d beim N o t stand (vgl. o., §2 I I I ) gilt dasselbe: I m Einzelfall kann die Eingriffsbefugnis hier ebensowenig v o m Vorliegen konkreten öffentlichen Interesses abhängig gemacht werden w i e bei nachbarrechtlichen Kollisionen. Wie dort erschöpft sich das öffentliche Interesse m i t der Schaffung der Eingriffsbefugnis. Auch hier zeigt sich das schon an einem argumentum ad absurdum: Würde man i m F a l l des politischen Mieters oder der gewerkschaftlichen Mitgliederwerbung i m Betrieb (in beiden Fällen vorausgesetzt die Eingriffsbefugnisse werden grundsätzlich anerkannt) konkretes öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne verlangen, so würde man das ganze Institut damit gleich wieder zur praktischen Bedeutungslosigkeit verdammen. Der einzelne Mieter, die einzelne Gewerkschaft können gewiß kein irgendwie konkretisiertes öffentliches Interesse dafür geltend machen, gerade an dieser Hauswand, gerade i n diesem Betrieb zu werben. Die Eingriffsbefugnis soll ihnen möglich machen, ihre individuellen, privaten, bei den Gewerkschaften jedenfalls autonom gesetzten Interessen u n d Zwecke zu verfolgen. I m Einzelfall der Interessenverfolgung besteht kein öffentliches Interesse. Das öffentliche Interesse besteht allein darin, den Interessen Raum zur Entfaltung zu geben.

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§ 4. öffentliches Interesse

lieh, also i n den Fällen, i n denen erst noch eine Behörde die Einwirkungsbefugnis gleichsam „verleihen" muß. Die Einwirkungsbefugnis kann durch die Zwischenschaltung dieser Behörde nicht zu einem Enteignungstatbestand werden. Es würde sonst die formale, rechtstechnische Konstruktion einer Befugnis ihren materiellen Charakter bestimmen. Uberall dort, so läßt sich zusammenfassend sagen, wo bei notwendigen Kollisionsregelungen der Gesetzgeber i m Interesse einer ökonomisch sinnvollen Raumnutzung Eingriffsbefugnisse geschaffen hat, sind diese Eingriffsbefugnisse nicht an den Maßstäben des Art. 14 Abs. 3 GG zu messen94. Das gilt auch dort, wo der Gesetzgeber die Durchsetzung der Eingriffsbefugnisse öffentlich-rechtlich gestaltet hat. öffentliches Interesse i m Nachbarrecht bedeutet kein konkretes Interesse auf der Ebene der Verwaltung, kein Interesse an der Durchführung eines konkreten Projektes, sondern nur abstraktes öffentliches Interesse auf der Ebene des Gesetzgebers.

94 O b w o h l fast selbstverständlich, sei dazu noch ausdrücklich klargestellt: Daß A r t . 14 Abs. 3 GG als Maßstab ausscheidet, bedeutet k e i n freies Belieben f ü r den Gesetzgeber. A n A r t . 14 Abs. 1 ist er nach w i e v o r auch hier gebunden; dazu eingehender u., § 5 I I I .

§ 5. Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung I. Ein neues Rechtsinstitut 1. Die Zusammenstellung der privatrechtlichen Eingriffsbefugnisse in § 2 der vorliegenden Untersuchung macht deutlich, daß es hier u m eine nicht seltene Erscheinung i m Privatrecht geht. Es handelt sich u m eine Gruppe von Fällen, die dogmatisch von anderen Rechtsinstituten deutlich unterschieden ist. Die Eigenarten dieser Gruppe sind: Es geht u m privatrechtliche Ansprüche, und zwar u m gesetzliche; es geht aber nicht u m deliktische Eingriffe, ebenso nicht u m Gefährdungshaftung 1 . Derartige Besonderheiten sind Grund genug, diese Gruppe der Eingriffsrechte als ein dogmatisch eigenständiges Rechtsinstitut anzusehen. Als einheitliche Bezeichnung bietet sich der Ausdruck „privatrechtliche Aufopferung" an. Es kann nicht behauptet werden, die „Entdeckung" dieses Instituts der privatrechtlichen Aufopferung sei das Verdienst der vorliegenden Untersuchung. Der Ausdruck „privatrechtliche Aufopferung" ist seit längerem fast allgemein i n Gebrauch (wobei die Ausdrücke „bürgerlich-rechtliche Aufopferung" und „zivilrechtliche Aufopferung" als gleichbedeutend zu berücksichtigen sind). Man w i r d trotzdem nicht sagen können, daß die privatrechtliche Aufopferung auch als Rechtsinstitut allgemein anerkannt sei. Wenn von ihr auch oft gesprochen w i r d — erstaunlicherweise allerdings erst seit etwa 10 Jahren — so w i r d doch ihr Rahmen stets enger gezogen, als i n der vorliegenden Untersuchung, gelegentlich sogar auf das Nachbarrecht beschränkt, was sich i n dem ebenfalls anzutreffenden Ausdruck „nachbarrechtliche Aufopferung" andeutet. Die vorliegende Untersuchung w i l l u. a. die bislang nicht bekannte Tragweite, die heute unausgeschöpfte praktische Bedeutung und die verfassungsrechtliche Problematik dieses Instituts beleuchten. 2. Zunächst ist ein Uberblick über die bisherige Behandlung der privatrechtlichen Aufopferung i n Literatur und Rechtsprechung zu geben: Weder dem Begriff noch der Sache nach (also als ein Erkennen der Gemeinsamkeiten der beschriebenen Fälle) findet sich das Institut der 1

Vgl. dazu noch eingehend u., S. 133 ff.

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§ 5. Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

privatrechtlichen Aufopferung bei Heck 2 und auch noch nicht bei WolffKaiser 3 . Immerhin sprechen letztere bei dem unter Geltung des § 906 a. F. BGB entwickelten Ausgleichsanspruch aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis von einem „Ausgleich für das besondere Opfer ähnlich wie beim Aufopferungsanspruch gegenüber hoheitlichen Eingriffen". Baur* spricht zweimal, bei § 906 Abs. 2, S. 2 BGB und bei § 26 GewO, kurz von „Aufopferungsgedanke" und von „Aufopferungsanspruch", ohne ihn als ein allgemeines privatrechtliches Institut zu qualifizieren. Von „Aufopferung" sprechen i m selben Zusammenhang auch Enneccerus-Lehmann 5 (§§16, 26 GewO als ein „eigentümlicher Fall einer Betriebshaftung ohne Verschulden") und RGRK-Prtisch 6, ohne jedoch einen Unterschied zwischen privatrechtlicher und öffentlichrechtlicher Aufopferung zu machen 7 . Glaser-Dröschel 6 begnügen sich damit, festzustellen, es sei umstritten, ob der Ersatzanspruch aus Entziehung der Abwehrklage gegenüber öffentlichen Unternehmen bürgerlich-rechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur sei und kennzeichnen diese Fälle dann als „eine A r t Gefährdungshaftung" 9 . Daneben kennen sie allerdings einen „Schadenersatzanspruch aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis" und behandeln jeweils selbständig daneben noch den „Ausgleichsanspruch" aus § 906 Abs. 2, S. 2 BGB und den „Ersatzanspruch" aus § 26 GewO 10 . Eher ablehnend stand der Annahme eines Instituts der privatrechtlichen Aufopferung lange Zeit Schack 11 gegenüber: Es handle sich nur u m einen auf bestimmte Arten von Schädigungen begrenzten Entschädigungsanspruch bei Immissionsschäden; nur der öffentlich-rechtliche Aufopferungsanspruch sei vom RG zu einem allgemeinen Rechts2 Grundriß des Sachenrechts, 1930; Giese konstatiert noch 1953 (JZ 1953, 469), „das Rechtsinstitut des Aufopferungsanspruches dürfte (abgesehen v o m Rechtsweg) t o t a l öffentlichen Rechtes sein". 3 Sachenrecht (1957). 4 Sachenrecht, § 25 I V 2 d u n d e bb. 6 § 229 V. 6 § 906 A n m . 33. 7 Ä h n l i c h Wagner, N J W 1967, 2336: Der „sog. zivilistische Aufopferungsanspruch" besage i n Analogie zu einigen gesetzlichen Regelungen, daß „Schadenersatz" bekommen solle, w e m aus öffentlich-rechtlichen (?) Gründen die Abwehrklage genommen sei. 8 S. 165 ff. 9 Ebenso Meisner-Stern-Hodes, § 43 D I I I ; u n d Forsthoff, S. 320; bes. krass Wannagat (NJW 1960, 1599), der sogar § 26 GewO ausdrücklich als Gefährdungshaftung begreift. Diese verfehlte Einordnung w i r d u., i n § 8 zu w i d e r legen versucht. 10 Kleindienst, Immissionsschutz, S. 54 f. u n d N J W 1968, 1954, unterscheidet zwischen dem „nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch nach § 906 I I , 2 B G B " u n d dem „zivilrechtlichen Aufopferungsanspruch (auf entsprechende A n w e n dung des § 26 GewO zu stützen)"; ähnlich MengerlErichsen, V e r w A r c h 1968, 385. 11 B B 1965, 341 ff.

I. Ein neues Rechtsinstitut

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grundsatz entwickelt worden 12 . Zurückhaltend äußert sich auch Westermann18: Von bürgerlich-rechtlicher Aufopferung könne man dort sprechen, wo die Kollision privater Interessen durch Schaffung privater Eingriffsrechte gelöst werde, so i n §§904, 906 BGB, 26Gew0 1 4 . — Larenz 15 sagt zwar, bei § 904 BGB handle es sich „der Sache nach um nichts anderes als u m einen zivilrechtlichen A u f opf erungsanspruch"; und: es habe sich für den analog §§ 904 BGB, 26 GewO entwickelten allgemeinen Ersatzanspruch bei ausnahmsweise versagtem Abwehranspruch neuerdings i n Anlehnung an den öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch die Bezeichnung „bürgerlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch" durchgesetzt. Eine ausdrückliche Stellungnahme zu A b grenzungsfragen und zur Anerkennung der privatrechtlichen A u f opferung als eines Rechtsinstituts findet sich aber auch hier nicht 1 6 . Nur referierend äußert sich Erman-Hefermehl 17: Bei dem i n Analogie zu §§26 GewO, 11 LuftVG, 904, 962 BGB, 74, 75 Einl.ALR entwickelten Entschädigungsanspruch für die Entziehung der Negatoria spreche man vom „zivilrechtlichen Aufopferungsanspruch"; ganz ähnlich SoergelBaur 1 8 . Deutlicher dagegen bezeichnet Palandt-Degenhart 19 die privatrechtliche Aufopferung ausdrücklich als ein neben der öffentlich-rechtlichen Aufopferung stehendes selbständiges Institut und die §§26 GewO, 11 LuftVG, 906 Abs. 2, S. 2 BGB als gesetzlich geregelte Fälle dieses Instituts. Eine deutliche Bejahung der privatrechtlichen A u f opferung als Institut findet sich auch bei Hans J. Wolff 20, ZinkahnBielenberg 21, Canaris 22' 23 u. a. 24 . 12 Janssen, S. 86 Fn. 347, leugnet überhaupt jeden Unterschied zwischen privatrechtlicher u n d öffentlich-rechtlicher Aufopferung. 13 Sachenrecht, § 28 I I I 2 b u n d § 63 I I 3. 14 Sehr deutlich bei Westermann (a.a.O. u n d auch i n Erman-Westermann, § 903 A n m . 2 a cc) jedoch die Abgrenzung zur öffentlich-rechtlichen Aufopferung, zu der er auch die E i n w i r k u n g e n durch Verkehr u n d Verkehrseinrichtungen zählt: Dort gehe es u m Kollisionen m i t öffentlichem Interesse, so daß dabei sachlich u n d terminologisch richtiger von Enteignung gesprochen werde; zu diesen Abgrenzungsfragen eingehend u., § 8. 15 Schuldrecht I I , § 72, 1 u n d 6. 16 Esser, § 10 I I , spricht von einem „System der zivilrechtlichen Eingriffs(Aufopferungs-)Haftung", ohne dieses System i m einzelnen zu entwickeln. 17 § 1004 A n m . 11 b ee. 18 V o r § 903 Rn. 64. 19 § 903 A n m . 3 c; § 906 A n m . 5 b. 20 V e r w R I, § 61 I c. 21 BBauG, vor §§ 40—44 Rn. 7—10. 22 N J W 1964, 1987, 1992/93. 23 D a m i t soll nicht gesagt sein, daß auch die Grenzen des Instituts zur öffentlich-rechtlichen Aufopferung bzw. zur Enteignung richtig gezogen w ä ren, vielmehr ist die Abgrenzungsfrage m.E. überall dort unrichtig behandelt, w o die Fälle der Beeinträchtigung durch Verkehr u n d Verkehrseinrichtungen privatrechtlich eingeordnet werden. Die meisten der vorgenannten Autoren

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§ 5. Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

Ausführlich hat sich zur privatrechtlichen Aufopferung i n jüngerer Zeit Hubmann 25 geäußert. Hier findet sich eine besonders starke Betonung der Selbständigkeit dieses Instituts gegenüber der öffentlichrechtlichen Aufopferung. Es finden sich Erörterungen über die Abgrenzung zur Gefährdungshaftung und eine K r i t i k an der Begründung von privatrechtlichen Aufopferungsansprüchen aus der „Versagung des an sich gegebenen Abwehranspruchs". Dieser Aufsatz und eine Dissertation von Hemsen 26 sind die frühesten dem Verfasser auffindbaren breiteren Darstellungen des Instituts der privatrechtlichen Aufopferung 2 7 . Diesen beiden Veröffentlichungen dürfte das Verdienst zukommen, daß das Institut der privatrechtlichen Aufopferung heute größere Beachtung findet. Auch die Rechtsprechung kennt das Institut erst seit kurzem: Das RG kannte es — entgegen einer weitverbreiteten Ansicht — dem Namen und auch der Sache nach nicht 28. Der B G H hat — soweit ersichtlich — das Bestehen eines Instituts der privatrechtlichen Aufopferung und dessen Unterschied zur öffentlichrechtlichen Aufopferung erstmals i n BGHZ 16, 367 („Bienenfall") deutlich ausgesprochen 29: Hier w i r d zunächst geprüft, ob ein Anspruch aus „bürgerlich-rechtlicher Aufopferung" besteht und erst dann — deutlich davon unterschieden — ein öffentlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch. Ein klarer Unterschied zwischen beiden w i r d allerdings auch hier nicht herausgearbeitet. Als Kennzeichnung des öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruchs w i r d genannt, daß er durch unmittelbare Eingriffe von hoher Hand i n die Rechtssphäre des Einzelnen verwirklicht werden kann 3 0 . Man w i r d das kaum als hinreichendes K r i t e r i u m der Unterscheidung zur privatrechtlichen Aufopferung ansehen können. Immerhin bleibt die prinzipielle Anerkennung der privatrechtlichen Aufopferung als Institut. Auch das OLG Oldenburg 3 1 und das B A G 3 2 t u n dies — vermutlich i m Anschluß an die Rechtsprechung des RG. Hierzu eingehend u. i n § 8. 24 Z. B. Diederichsen, S. 361; Giesen, N J W 1968, 1405 ff. 25 J Z 1958, 489 ff. 26 Hamburg, 1961. 27 Von späteren Veröffentlichungen ist die von Horst zu erwähnen, ferner der eigene Versuch des Verf. i n : Privatrechtliche Aufopferung u n d Enteignung, Diss. Münster 1964. Neuestens sehr beachtenswert: Konzen, Aufopferung i m Zivilrecht, B e r l i n 1969 (erst w ä h r e n d der Drucklegung der v o r liegenden Untersuchung erschienen): eine sehr klare u n d nüchterne Darstellung des Instituts m i t durchschlagenden Einwänden gegen gewisse A u s uferungstendenzen (dazu auch u., Fn. 34), w e n n auch ohne Abgrenzungen zur Enteignung. 28 Dazu eingehend u., § 811—3. 29 Andeutungsweise auch schon i n B G H Z 9, 209, 211. 30 a.a.O., S. 374 oben. 31 N J W 1958, 1066 ff. 32 N J W 1962, 413, r. Sp.

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erwähnen es als eigenständige Kategorie. Eine deutliche Anerkennung findet sich i n einer Entscheidung des B G H vom 15. 6.1967 33 . Hier w i r d für den Fall einer Beeinträchtigung durch Immissionen beim Autobahnbau gesagt, es kämen für einen Entschädigungsanspruch zwei verschiedene Anspruchsgrundlagen i n Betracht, und zwar einmal ein „sog. bürgerlichrechtlicher Aufopferungsanspruch (zutreffender wohl als nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch bezeichnet)" und zum anderen ein „öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch aus rechtmäßigem oder rechtswidrigem enteignendem Eingriff". Der bürgerlich-rechtliche A u f opferungsanspruch sei gegeben, wenn Immissionen zwar über das nach § 906 BGB erlaubte Maß hinausgingen, aber trotzdem aus besonderen Gründen geduldet werden müßten. Enteignender Eingriff sei i n diesen Fällen anzunehmen, wenn die Duldungspflicht sich daraus ergebe, daß der Eingriff von hoher Hand erfolge. Eigenartig ist dabei die Begrenzung der privatrechtlichen Aufopferung auf die nicht i m Gesetz geregelten, aber durch Analogie gelösten Fälle des aus besonderen Gründen genommenen Abwehranspruchs. Das liest sich so, als seien die gesetzlichen Vorschriften, von denen dieser Analogieschluß ausgeht, keine Fälle der privatrechtlichen Aufopferung. Insgesamt w i r d man sagen können, daß „privatrechtliche Aufopferung" (oder bürgerlich-rechtliche oder zivilrechtliche Aufopferung) als Ausdruck heute geläufig ist, daß damit aber meist nur die Fälle des praeter legem entwickelten Ausschlusses des Abwehranspruchs gemeint sind und daß man dies für eine recht singuläre Erscheinung hält, die größerer Beachtung nicht bedürfe 34 . 3. Das Institut der privatrechtlichen Aufopferung w i r d hier nicht aus purer Freude am Systematisieren dargestellt. Der Wert dieser Entdeckung erschöpft sich nicht hierin und auch nicht in etwaigen lerntechnischen Vorteilen eines solchen Systems. 33

N J W 1967, 1857 f., B G H Z 48, 98; bestätigt durch B G H Z 49, 148. Andererseits finden sich allerdings auch schon Versuche einer dogmatisch unrichtigen zu weiten Ausdehnung u n d A n w e n d u n g des Gedankens der privatrechtlichen Aufopferung, so, w e n n versucht w i r d , i h n m i t der Problem a t i k der Schadenshaftung des Warenherstellers i n Verbindung zu bringen (dazu unten, S. 136 Fn. 102), oder m i t i h m eine H a f t u n g des Arbeitgebers f ü r Sachschäden zu begründen, die dem Arbeitnehmer allseits unverschuldet entstehen, so Küchenhoff (bei Erman, § 611 A n m . 6 cB u n d i n Festschrift f ü r Nottarp, S. 167 ff.), der das „Wesen" des Aufopferungsanspruchs kennzeichnet als „Ausgleich von unvermeidbaren außergewöhnlichen Leistungen eines einzelnen zugunsten einer Gemeinschaft durch deren Rechts- u n d Organisationsträger". E i n derart weiter Aufopferungsbegriff w i r d sonst nirgends vertreten; m i t dem vorliegend vertretenen Begriff ist eine solche Kennzeichnung schon deswegen nicht zu vereinbaren, w e i l vorliegend Aufopferung stets m i t E i n griffsrecht korrespondiert. Weniger fern liegt es dagegen, m i t aufopferungsrechtlichen Gedanken zu arbeiten bei der Kollision von Zeichenrechten, Patenten, Namensrechten; dazu etwa B G H B B 1967, 93; N J W 1966, 343; Hubmann, Gewerblicher Rechtsschutz (1962), § 46 I I I u n d I V . 34

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§ 5. Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

Der wesentliche Wert, der bislang nicht i n seiner Tragweite erkannt wurde 3 5 , liegt vielmehr darin, daß hier einer der Ansatzpunkte liegt, von denen aus die Problematik der einleitend erwähnten Fälle gelöst werden muß. Bislang machte eine scheinbar unentwirrbare Verflechtung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Vorstellungen und Elemente eine klare dogmatische Betrachtung und Einordnung und damit eine Sicherung der Entscheidungsgrundlagen für eine kontinuierliche Rechtsprechung unmöglich. Konkret gesagt: Der praktische Wert der wissenschaftlichen Entdeckung des Instituts der privatrechtlichen Aufopferung liegt darin, daß diese systematisch-dogmatische Zusammenfassung erstmals eindringlich deutlich macht, daß es Fälle privater Eingriffsbefugnisse überhaupt i n breiter Fülle gibt und vor allem, daß diese Fälle m i t Enteignung nichts zu t u n haben und nichts mit konkretem öffentlichen Interesse i m Einzelfall. Zwar hat auch bislang niemand behauptet, die Ausübung der Immissionsbefugnisse sei nach enteignungsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen oder zur Ausübung des Notwegrechts sei öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne erforderlich oder ähnliches 36 . Diese Erkenntnis kann aber, da sie sich nun darauf stützt, daß sie allgemeines Kennzeichen des Instituts der privatrechtlichen Aufopferung ist, zu noch weiterreichenden Schlüssen führen, nämlich dazu, daß man jetzt Erscheinungen als Fälle privatrechtlicher Aufopferung einordnen kann, die man sich bislang mangels klarer dogmatischer Grundlagen nur als öffentlich-rechtliche Erscheinungen denken konnte und damit wohl oder übel i n die Nähe der Enteignung verweisen mußte. Das preußische Allgemeine Landrecht machte noch eine feine Unterscheidung: Die direkten Eingriffe i n Vermögenswerte Rechte einzelner zugunsten des Gemeinwohls wurden i n §§ 74, 75 Einl. A L R behandelt und verpflichteten den Staat selbst zur Entschädigung. Daneben aber bestimmten §§ 29—3218 A L R : „Der Staat k a n n das Privateigentum einschränken, w e n n der abzuwendende Schaden oder der zu verschaffende V o r t e i l des Staates selbst oder anderer Bürger desselben den aus der Einschränkung f ü r den Eigentümer entstehenden Nachteil beträchtlich überwiegt. Doch muß i n diesem Falle der Staat zugleich dafür sorgen, daß der einzuschränkende Eigentümer f ü r den dadurch erleidenden Verlust vollständig schadlos gehalten werde."

Das bedeutete also, daß nicht jede „Einschränkung" des Eigentums als Enteignung („Aufopferung") aufzufassen war, daß es vielmehr ge85 Diederichsen, S. 362, formuliert, Bedeutung u n d Umfang des „bürgerlichrechtlichen" Aufopferungsanspruchs seien noch nicht abschließend geklärt. 36 Vgl. i m m e r h i n o., S. 33 Fn. 38.

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setzliche Ausgestaltungen des Eigentums gab, bei denen der Staat zwar dafür „sorgen" (das heißt gesetzlich anordnen) mußte, daß der Eigentümer (vom Begünstigen) entschädigt wurde, daß aber diese Fälle m i t Enteignungsproblematik nichts zu t u n hatten. Zwar gibt es, wie noch zu zeigen sein wird, diese Unterscheidung auch heute, aber sie w i r d vielfach nicht erkannt, was sich einmal daran zeigt, daß alle Vorschriften, die das Eigentum berühren, schematisch i n den Kategorien des Enteignungsrechts behandelt werden und zum anderen daran, daß man die Möglichkeit übersieht, daß auch Einzelakte der Verwaltung i n ihrem materiellen Gehalt u. U. nur privatnachbarrechtliche Bedeutung haben können. Es zeigt sich darin eine Tendenz, die Bedeutung unglücklich weit gefaßter formaler Kategorien zugunsten des materiellen Gehalts der problematischen Erscheinungen überzubewerten. I n Anbetracht solcher i m Gebiet der Eigentumsproblematik immer noch unerkannt herrschender Begriffsjurisprudenz sollte es nicht überraschen, wenn eines Tages behauptet würde, auch die behördliche Anlagegenehmigung gem. §§16 ff. GewO sei eine Enteignung gegenüber dem Nachbarn. Eine völlig analoge, nur unter Mißbrauch eines formellen Begriffsrahmens mögliche Argumentation findet sich heute bereits bei einem bergrechtlichen Spezialproblem 37 . Es scheint also erforderlich zu sein, hier eine Klärung zu versuchen. Das Institut der privatrechtlichen Aufopferung muß also als Ausdruck der Erkenntnis verstanden und ausgewertet werden, daß bei Eingriffen Privater i n private Rechte u. U. gar keine Enteignungsproblematik auftaucht. A m besten sichtbar ist das dort, wo keine behördliche Entscheidung i m Spiele ist. Dort macht es das Fehlen der behördlichen Tätigkeit recht deutlich, daß die Fälle nichts m i t Enteignung zu t u n haben. Gerade diese Fälle sind daher besonders geeignet, ein eigenständiges Rechtsinstitut privatrechtlicher Aufopferung zu konstituieren, also i m Grundsatz zu klären, daß es solche Eingriffe außerhalb des Enteignungsrechts gibt. Keine behördliche Entscheidung bei Durchsetzung solcher Befugnisse kann hier den Blick für diese Erkenntnis des materiellen Hintergrundes trüben. Erst dies läßt die Frage sinnvoll werden, erst dies macht es überhaupt möglich, die Frage zu wagen, ob es nicht auch dort Fälle privatrechtlicher Aufopferung gibt, wo private Rechte mittels behördlicher Maßnahmen und Entscheidungen durchgesetzt werden, ob es nicht auch dort, wo Behörden etwas zugunsten Privater gegenüber Privaten durchsetzen, möglicherweise u m privatrechtliche Aufopferung, nicht u m Enteignung geht. 37 Bei der „subsidiären Staatshaftung f ü r Bergschäden"; dazu eingehend u., § 11 I I .

8 Schulte

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5. Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

A n einem Beispiel erklärt, bedeutet dies: Angenommen, der Notweg (§917 BGB) müßte durch eine Behörde eingeräumt werden, etwa so, daß die Behörde auf Antrag bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen die Befugnis zur Benutzung des Nachbargrundstücks konstitutiv festzusetzen hat. Dann könnte man leicht geneigt sein, dies als Enteignung anzusehen, weil durch hoheitlichen A k t dem Nachbarn ein Sonderopfer auferlegt werde. Auch das öffentliche Interesse wäre, wenn auch irrig, zu begründen: Es besteht ein öffentliches Interesse daran, daß auch Grundstücke ohne eigenen Zugang zu öffentlichen Wegen sinnvoll genutzt werden können. Es gäbe kaum eine Alternative zu dieser enteignungsrechtlichen Betrachtung, wenn nicht das Institut der privatrechtlichen Aufopferung zur Verfügung stände. Erst dies bietet eine dogmatisch gesicherte Alternative an. Das bedeutet, daß i m Einzelfall der beabsichtigten Rechtsausübung kein öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne vorzuliegen braucht. Dies zeigt, daß die Einordnung als privatrechtliche Aufopferung ein derart gestaltetes Notwegrecht überhaupt erst praktikabel machen würde: Wäre stets öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne zu verlangen, dann würden Notwege praktisch nie eingeräumt werden können — es sei denn, man nähme dazu Zuflucht, als öffentliches Interesse hier einfach das öffentliche Interesse an sinnvoller Nutzbarkeit aller Grundstücke zu erklären. Es ist sogar anzunehmen, daß man zu solcher Argumentation greifen würde, wenn man das Notwegrecht zunächst — fälschlich — als Enteignung eingeordnet hätte. Aber das wäre nur ein weiterer Fehler: Das Interesse an sinnvoller Nutzbarkeit aller Grundstücke ist kein öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinn, kein konkretes öffentliches Interesse, vielmehr typisch abstraktes öffentliches Interesse auf der Ebene des Gesetzgebers, öffentliches Interesse als gesetzgeberische Erwägung, das Interesse, das zur Schaffung der Norm überhaupt erst führte. So wäre man genötigt, den ersten Fehler — Einordnung des Notwegrechts als Enteignung — durch einen zweiten Fehler — Verwechslung abstrakten öffentlichen Interesses m i t konkretem öffentlichen Interesse — wieder gut zu machen, um überhaupt zu einer praktikablen Regelung zu gelangen. Diese Argumentation m i t Hilfe des geschilderten zweifachen Fehlers ist typisch für die dogmatisch unklare Behandlung einer ganzen Reihe von Fragen des Nachbarrechts i m Zwielicht zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht. Dieser doppelte Fehler w i r d hier noch mehrfach eine Rolle spielen. Denn er ist so sehr typisch (weil unausweichlich, wenn man nach fälschlich enteignungsrechtlicher Einordnung einer

II. Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis

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Frage trotzdem noch zu praktikablen Regelungen kommen will), daß sein Auftreten geradezu als ein Indiz dafür angesehen werden kann, daß ein Fall privatrechtlicher Aufopferung vorliegt. II. Nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis Nach dem bisher — insbes. oben i n § 3 zu „Eingriff" und „Inhalt" — Gesagten könnte der Eindruck entstehen, als sei das Institut der privaten Eingriffsrechte auf die positiv i m Gesetz geregelten Fälle beschränkt. Man könnte geneigt sein zu behaupten, private Eingriffsrechte seien eine Ausnahme zu dem in §903 BGB statuierten Grundsatz des freien Eigentümer-Beliebens und der totalen Ausschließungsbefugnis des Eigentümers und deshalb nur i n den gesetzlich ausdrücklich zugelassenen Fällen möglich. I n der Tat dürfte das der Standpunkt des BGB gewesen sein; § 903 BGB läßt keinen anderen Schluß zu. Es zeigt sich aber, wie schon angedeutet 88 , daß es nicht möglich ist, i m Denkmodell des totalen Eigentums und der davon statuierten Ausnahmen („Eingriffe") diese Ausnahmen so vollständig zu formulieren, daß sich der gewünschte lebensnahe Rechtszustand ergibt. Wenn die formale Struktur des Rechts m i t ihrem denknotwendigen Regel-Ausnahme-Schema auch dazu zwingt, Ausnahmen nur dort anzunehmen, wo sie ausdrücklich normiert sind, so bleibt eine solche Regelung doch jedenfalls insoweit unvollkommen, als die formellen Ausnahmetatbestände die Fülle der Lebenserscheinungen oft nur schematisch erfassen können. So gesehen liegt es nahe, dem Nachbarrecht die schon oben 89 erwähnte „gebundene" Generalklausel des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses einzufügen. Sie bedeutet, daß die das Eigentum i m Bereich des Nachbarrechts konstitutierenden Kriterien (insbesondere also das allgemeine öffentliche Interesse an ökonomisch sinnvoller Raumnutzung) dort korrigierend eingreifen können, wo die Anwendung der sonstigen Normen des Nachbarrechts wegen besonderer Gestaltung eines Einzelfalles zu einem Ergebnis führt, das den Wertungen des Nachbarrechts zuwiderläuft 4 0 . So ist der Grundsatz, daß es i m Nachbar38

Vgl. o., § 4 I V 2. S. 83 ff., zum nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis auch schon o., S. 29 ff., u n d u., S. 146 f. 40 Dabei k a n n es hier dahingestellt bleiben, ob m a n v o m nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis w i e von einem Rechtsinstitut sprechen kann, so z.B. Westermann, Sachenrecht, § 63 I 2; M ü h l , N J W 1960, 1133 ff. u n d [H. W.] Schulte, N J W 1954, 495, oder ob m a n mehr darauf Wert legen soll, v o n einem Anwendungsfall des § 242 i m Nachbarrecht zu sprechen (so etwa B G H Z 28, 114; RGZ 167, 14ff.; Kleindienst, S. 23 f.; R G R K - Pritsch, § 906 A n m . 28; Soergel-Mühl, §1004 Rn. 82; Mühl, N J W 1956, 1657 ff.; Eyermann-Fröhler, GewO, § 26 Rn. 12 u n d viele andere) oder ob man — w o h l übertrieben — den Gedanken des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses als eine „ideologische Übersteigerung" (Wölfl-Raiser, § 53 Fn. 1) oder als eine „politische 39

8*

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§ 5. Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

recht keine generelle Zustandshaftung des Eigentümers gibt 4 1 , i n der Rechtsprechung des BGH 4 2 durchbrochen worden, wie auch der Grundsatz, daß negative Einwirkungen nicht abgewehrt werden können 4 8 : Beide Durchbrechungen wurden m i t dem Gedanken des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses und m i t § 242 BGB begründet. I n Anbetracht dieser Entscheidungen ist es nicht mehr überraschend, daß die Rechtsprechung unter Berufung auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis auch einen i m Gesetz nicht vorgesehenen Fall eines privaten Einwirkungsrechtes „gefunden" hat: Obwohl §906 „grobkörperliche" Immissionen nicht gestattet, hat der BGH 4 4 sie ausnahmsweise für rechtmäßig erklärt, wo die Beeinträchtigung gegenüber dem durch sie erzielten Vorteil unverhältnismäßig gering war. Derartige Fälle müssen gewiß Ausnahmen bleiben 45 . Aber es w i r d m i t dem Gedanken des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses (oder mittels §242 BGB oder durch Analogie zu §§904, 906 BGB, 26 GewO usw.) dem Nachbarrecht doch deutlich eine Generalklausel imputiert. Sie läßt die Annahme einer unverrückbar feststehenden, jedenfalls allein aus den Tatbestandsmerkmalen des Gesetzes zu deduzierenden Eigentumsrechts als nicht mehr zulässig erscheinen. Damit ist es auch nicht ausgeschlossen, Fälle privater Einwirkungsrechte praeter legem oder contra legem zu entwickeln. Eine Bestätigung findet dies i n der oben 46 beschriebenen Entwicklung einer „allgemeinen Grundrechtekollision". Auch dort geht die Rechtsprechung — unter weitgehender Zustimmung der Literatur — von der Annahme eines eindeutig fixierten Eigentumsrechtes ab und n i m m t unter Berufung auf den Gemeinschaftsvorbehalt des § 14 Abs. 2 GG oder auf andere grundgesetzliche Vorschriften, jedenfalls also auch unter Einführung von Generalklauseln, einen „offenen" Eigentumsinhalt an. Pathosformel" (Wieacker, S. 524) u n d als eine „etwas schwammige F i g u r " (so Baur, Sachenrecht, § 25 I V 2 e ee, S. 215) bezeichnen k a n n u n d statt dessen eine Analogie zu §§ 904 BGB, 26 GewO u.a. annehmen sollte, vgl. WolffRaiser, §53 I I 2; Baur, §25 I V 2 e ee. Z u m Verhältnis des Gedankens des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zu A r t . 14 Abs. 2 GG vgl. u., S. 146 f. 41 Naturereignisse, Kriegsereignisse u n d natürliche Beschaffenheit eines Grundstücks können f ü r sich allein jedenfalls keine H a f t u n g des Eigentümers auslösen; allgemeine Meinung, vgl. insbes. Baur, Sachenrecht, §12 I I I 2; Pleyer, A c P 156, 291 ff. 42 Vgl. B G H Z 28, 110 („Mauerausbauchung"). 43 Vgl. B G H L M Nr. 2 zu § 903 BGB. 44 Vgl. B G H Z 28, 225 („Steinbruchfall"). 45 Vgl. B G H Z 28, 114 u n d L M Nr. 1 zu §903 B G B : „Der Ausgleich w i d e r streitender Interessen von Grundstücksnachbarn geschieht i n erster L i n i e durch die gesetzlichen Vorschriften; eine über sie hinausgehende Beschränk u n g an sich bestehender Eigentümerrechte aufgrund der Pflicht zur Rücksichtnahme, die dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis entspricht, muß daher eine durch zwingende Gründe erforderte Ausnahme bleiben". 46 § 2 I V .

III. Verfassungsrechtliche Grenzen

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Es ist aber wichtig, auch hier zu betonen, daß es sich u m eine „gebundene", nicht u m eine „isolierte" Generalklausel 47 handelt. Vielmehr steht die Generalklausel des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses i m Verband des gesetzlichen privaten Nachbarrechts und hat sich den dort sichtbar werdenden Entscheidungen und Wertungen des Gesetzes einzufügen. Genau dies tut die viel zitierte „Steinbruch"-Entscheidung des BGH 4 8 . Sie verhilft geradezu erst dem nachbarrechtlichen Prinzip der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung gegenüber der Regelung des § 906 BGB dort zur vollen Geltung, wo § 906 BGB dieses Prinzip nicht verwirklicht hat. Andererseits hat die Rechtsprechung m i t der Verwirklichung dieses Prinzips dort einzuhalten, wo das Gesetz i h m ein anderes erkennbar vorgezogen hat. Das ist etwa der Fall beim rechtswidrigen Uberbau. Dessen Beseitigung muß geduldet werden, auch wenn das zu einer — ökonomisch gesehen — sinnlosen Wertvernichtung führt. Die Berufung auf Treu und Glauben, auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis oder auch auf das Prinzip der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung h i l f t hier nichts, da das Gesetz dem Belieben des vom Uberbau betroffenen Eigentümers insoweit erkennbar den Vorrang eingeräumt hat 4 9 : Die „gebundene" Generalklausel findet ihre Grenzen an den Wertungen der Normen, i n deren Rahmen sie steht. Das zeigt auch, daß es ungenau ist, hier von einer „Anwendung des §242 BGB i m Nachbarrecht" zu sprechen (wie heute fast allgemein üblich). §242 BGB steht nicht i m Rahmen des Nachbarrechts; seine Heranziehung würde — hielte man sie für zulässig — nicht dazu verpflichten, die gesetzgeberischen Wertungen des Nachbarrechts einzuhalten. Der allgemein anerkannte Satz, § 242 B G B sei ein auf allen Rechtsgebieten anwendbarer Grundsatz, ist, so gesehen, bedenklich. Besser spräche man davon, daß heute auf allen Rechtsgebieten „gebundene" Generalklauseln nach A r t des § 242 B G B anzuerkennen seien. Diese Formulierung drückt besser die auch i m Rahmen v o n § 242 B G B bleibende B i n d u n g an das Gesetz aus.

I I I . Verfassungsrechtliche Grenzen I n Anbetracht der beschriebenen Bedeutung der privatrechtlichen Aufopferung ist es besonders wichtig, die verfassungsrechtliche Problematik des Instituts noch genauer als bisher herauszuarbeiten. Diese Problematik ist hier schon insoweit besprochen, als es u m die A b grenzung zur Enteignung geht. Die Ausführungen über öffentliches Interesse u n d die Feststellung, daß es die erwähnten Fälle von privaten Eingriffs47 48 49

Hierzu schon o., § 4 I V 2. Vgl. o., S. 116 Fn. 44, auch schon o., S. 29. Vgl. B G H Z 27, 204 (208).

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§ 5. Das echtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

befugnissen gibt, haben insoweit hinreichende K l a r h e i t geschaffen. Die trotz aller Unterschiedlichkeit bleibenden eigentümlichen Parallelen zwischen hoheitlichen u n d privaten Eingriffsbefugnissen werden unten i n § 6 besprochen.

Hier ist zunächst eine vorliegend schon mehrfach aufgeworfene Frage zu beantworten: Gibt es für den Gesetzgeber Beschränkungen, private Eingriffsbefugnisse zu schaffen und, ggf., wo liegen diese Grenzen? Der Nachweis, daß es für den Gesetzgeber solche Schranken geben muß, ist leicht zu führen: Den Fällen der privatrechtlichen Aufopferung auf nachbarrechtlichem Gebiet lag, wie gezeigt, der Gedanke zugrunde, daß für eine ökonomisch sinnvolle Raumnutzung gesorgt werden muß. Die Grundstücksgrenzen sollen nicht dazu führen, daß Wertschöpfung bei der Grundstücksnutzung verhindert wird. Erst recht sollen die künstlichen juristischen Grenzen keine unverhältnismäßigen Wertvernichtungen bewirken. Schrankenlos angewendet würde das jedoch dahin führen, daß stets diejenige Person Eingriffsrechte bekommt, die ein Grundstück einer besseren Verwendung zuführen kann als ein anderer. Es wäre dies das Ende des Privateigentums. Wo nur noch die wirtschaftlich optimale Nutzung als Maßstab für die Rechtmäßigkeit einer Nutzung gelten würde, gäbe es keine privatautonome selbstverantwortliche Eigentumsnutzung mehr. Vielleicht ist es denkbar, daß eine Rechtsordnung existiert, die aus diesem Prinzip heraus jedermann ein Recht gibt, auf fremde Rechte einzuwirken, wenn er sich dadurch Vorteile verschaffen kann, die die dem anderen zugefügten Nachteile überwiegen, so daß — gesamtwirtschaftlich gesehen — eine bessere Verwendung des beeinträchtigten Rechtsgutes herbeigeführt würde. Doch würde eine totale Verwirklichung dieses Prinzips zugleich bedeuten, daß das Eigent u m nicht mehr u m seiner selbst willen geschützt wäre, auch nicht u m des Eigentümers willen. Geschützt wäre überhaupt nur Eigentum, das optimal genutzt wird, und zwar optimal in einem allein ökonomischen Sinn. Es ist deutlich, womit eine derartige Rechtsgestaltung kollidieren würde: M i t der Institutsgarantie des Eigentums, A r t . 14 Abs. 1, S. 1 GG. Anders gesagt: Es darf dem einfachen Gesetzgeber nicht freigestellt sein, beliebige Fälle der privatrechtlichen Aufopferung zu schaffen. Wenn ihm das freistehen würde, wäre er i n der Lage, alle Fälle der Enteignung zugunsten Privater als privatrechtliche Aufopferung zu konstruieren. Die Enteignung wäre zu einem Anspruch zwischen Privaten denaturiert. Der Gesetzgeber könnte damit die Schutzfunktion umgehen, die A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG für das Eigentum hat 5 0 . Er könnte 50 Dieser Gedanke auch bei P. Schneider, i n : Fechner/Schneider, S. 85 u n d bei R. Schneider V e r w A r c h 1967, 328. Die Problematik w i r d zur Zeit beim Kohleanpassungsgesetz a k u t ; vgl. dazu o., S. 94 u n d S. 97 Fn. 79.

III. Verfassungsrechtliche Grenzen

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die Fälle der Enteignung zugunsten Privater derart manipulieren, daß i m Einzelfall des Eingriffs konkretes öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne nicht mehr Eingriffsvoraussetzung wäre. Es muß daher verfassungsrechtlich untersagt sein, den Schutz des Eigentums zu umgehen mittels einer (rechtstechnisch-konstruktiv unschwer möglichen) Ersetzung der Enteignung zugunsten Privater durch privatrechtliche Aufopferung. Die verfassungsrechtliche Schranke für solche Manipulationen ist nicht die Einzelrechtsgarantie der Enteignungsvorschriften des A r t . 14 Abs. 3 GG, sondern die Institutsgarantie 5 1 des A r t . 14 Abs. 1, S. 1 GG. Diese Überlegungen haben eine überraschende Aktualität und finden ihre Bestätigung, wenn man erneut das bekannte „Feldmühle-Urteil" des BVerfG betrachtet 52 . Auch dort ging es, wie gezeigt, nicht um Enteignung, also nicht u m die Einzelrechtsgarantie des A r t . 14 Abs. 3 GG, sondern u m die bei Schaffung von privaten Eingriffsbefugnissen angesprochene Institutsgarantie: „ . . . v e r n e i n t m i t Recht, daß § 1 5 U m w G eine Enteignung i m Sinne des A r t . 14 Abs. 3 GG selbst darstelle oder erlaube. Eine Enteignung muß stets vom Staat selbst oder doch von dem m i t staatlichen Zwangsrechten beliehenen Unternehmer ausgehen. Wenn der Gesetzgeber der Hauptversammlung generell die Befugnis gibt, eine Mehrheitsumwandlung zu beschließen, so verleiht er nicht eine Enteignungsbefugnis, sondern ermächtigt die Hauptversammlung zu einer Umgestaltung der privatrechtlichen Beziehungen zwischen den Aktionären" 5 3 . Aber, so müßte man konsequent fortfahren, kann man noch von Eigentum sprechen, wo dieses Eigentum weggenommen werden kann von Privaten, die damit privat „mehr anfangen" können? 50 eindeutig damit klargestellt sein dürfte, daß die Befugnisse des Gesetzgebers zur Schaffung privater Eingriffsbefugnisse Grenzen haben muß, so schwer ist es zu klären, wo diese Grenzen liegen. Es ist unmöglich, dafür eine einfache oder doch zumindest eine überall anwendbare Formel zu finden. Für die nachbarrechtlichen Fälle der privatrechtlichen Aufopferung kann man zunächst einige Aussagen aus dem oben erwähnten Gedan51 Die Annahme einer solchen doppelten Garantie des A r t . 14 GG (Einzelrechtsgarantie u n d Institutsgarantie) w i r d heute allgemein vertreten; vgl. etwa Huber I I , S. 9; m i t besonderem Nachdruck v. Mangoldt-Klein, A r t . 14 A n m . I I 6 m.w.N.; Reinhardt-Scheuner, S. 1, 68 f.; Weber, S. 355; R. Schneider, V e r w A r c h 1967, 201; Rüfner, Der Staat 1968, S. 50/51; BVerfGE 24, 389, 400. — Luhmann, Grundrechte S. 125 Fn. 4, kennzeichnet diese Annahme allerdings als „höchst problematisch". Das hängt zusammen m i t Luhmanns Ansicht, das Eigentum werde von A r t . 14 GG n u r als Geldwert geschützt. Gerade die Notwendigkeit, den Gesetzgeber an eigentumsfeindlichen Gestaltungen zu hindern u n d die Unmöglichkeit, dies mittels A r t . 14 Abs. 3 GG zu tun, zeigt jedoch, daß die Annahme einer Institutsgarantie unentbehrlich ist. 52 Vgl. hierzu schon o., § 2 I V 4. 53 BVerfGE 14, 277.

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5. Das echtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

ken der „notwendigen Kollisionsregelung" entwickeln. Notwendige Kollisionsregelung besagt, daß Eingriffsrechte geschaffen werden, dam i t Grundeigentum überhaupt wirtschaftlich nutzbar wird. Geht man davon aus, daß der Gesetzgeber das Eigentum möglichst frei und möglichst wenig eingeschränkt zu gestalten hat, daß also für Eigentumsbeschränkungen Gründe geltend gemacht werden können müssen 54 , dann ist jedenfalls das Erfordernis, die „notwendigen Kollisionen" zu regeln, ein zwingender Grund für Einschränkungen; denn eine Regelung i m Sinne des Ausschließungsprinzips würde zur weitgehenden Unmöglichkeit wirtschaftlicher Nutzung des Grundeigentums führen. Aber wo sind die Grenzen? Man w i r d sagen können, daß Eingriffsrechte nur den Sinn haben dürfen, einer auf dem „herrschenden" Grundstück ausgeübten Nutzung zu dienen. Das „dienende" Grundstück darf nur einer „abgeleiteten" Nutzung unterworfen werden. Nur insoweit dürfen Eingriffsrechte gewährt werden, als die Folgen einer Nutzung des herrschenden Grundstücks unmöglich (im wirtschaftlichen Sinne) auf dieses Grundstück beschränkt werden können. Eingriffsrechte dürfen also nicht dazu führen, daß das dienende Grundstück selbständig, originär, i n Dienst genommen wird, daß dort eine selbständige, neue Nutzung begonnen wird. Dieser Gedanke sei an zwei Beispielen verdeutlicht: Ein Hüttenwerk darf zwar die benachbarten Grundstücke bis zur Wertlosigkeit durch Immissionen beeinträchtigen. Aber das Hüttenwerk darf diese Grundstücke nicht zur Erweiterung der Betriebsanlagen i n Anspruch nehmen. Der Gesetzgeber könnte Hüttenwerken dieses Recht nicht ohne Verletzung des A r t . 14 Abs. 1 GG einräumen 55 . — Ein Grundeigentümer kann vom Nachbarn zwar u. U. einen Notweg verlangen, nicht aber darf er seine Garage oder einen Teil seines Hauses auf dem Nachbargrundstück errichten, u n d zwar selbst dann nicht, wenn sein Grundstück anders nicht wirtschaftlich nutzbar wäre und für den Nachbarn diese Grenzüberschreitung nur eine unbedeutende Beeinträchtigung darstellen würde. Das ist geltendes bürgerliches Nachbarrecht, aber das ist auch geltendes Verfassungsrecht: Der einfache Gesetzgeber dürfte private Eingriffsrechte zum Zwecke der Betriebserweiterung oder zum Zwecke des Garagenbaus nicht schaffen, weil er damit gegen die Institutsgarantie des Eigentums verstoßen würde. Nachbarrechtliche Eingriffsrechte dürfen keine selbständige Nutzungsbefugnis am Nachbargrundstück begründen. Das bedeutet nicht, daß nicht entsprechende Enteignungstat54 55

Vgl. dazu auch die o., S. 70, angeführte Rechtsprechung des BVerfG. Z u m Unterschied zur bergrechtlichen Grundabtretung vgl. u., § 11 I V 3.

III. Verfassungsrechtliche Grenzen

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bestände geschaffen werden könnten. N u r private Eingriffsbefugnisse dieser A r t sind unzulässig. Es ist durchaus denkbar, daß etwa i n Kriegszeiten einer Munitionsfabrik die Befugnis verliehen wird, zwecks Erweiterung die Nachbargrundstücke zu enteignen. Da sich aber das öffentliche Interesse i m Einzelfall konkretisieren muß, ist das etwas ganz anderes — und belastet das Grundeigentum generell auch wesentlich weniger —, als wenn Privaten allgemein derartige Befugnisse zugesprochen würden. Einfacher sind die Grenzen für den Gesetzgeber i n den Notstandsfällen zu ziehen: Auch hier laufen die verfassungsrechtlichen Grenzen m i t dem geltenden Recht parallel: Eingriffsrechte sind hier nur erlaubt unter Beschränkung auf Notfälle („gegenwärtige Gefahr") und zugunsten höherwertiger Güter. Die Aufweichung dieses Prinzips wäre verfassungswidrig, verstieße gegen die Institutsgarantie des A r t . 14 Abs. 1, S. 1 GG. Das wäre z. B. dann der Fall, wenn man als Gefahr nicht nur drohende Zerstörung einer Sache des Notstands-Berechtigten ansehen würde, sondern auch die Gefahr, daß sein Betrieb u n w i r t schaftlich würde, falls er ihn nicht auf Kosten seiner Nachbarn erweitern könnte. Weit schwieriger ist es, die Grenzen gesetzgeberischer Befugnisse zur Schaffung von privaten Eingriffsbefugnissen bei den „sonstigen Fällen" 5 6 anzugeben. Der kritische Fall ist wieder der des Feldmühleurteils des BVerfG 5 7 . Hiernach darf der Mehrheitsaktionär dem Minderheitsaktionär die A k t i e n „wegnehmen", wenn er sie besser („unternehmerisch") verwenden kann. Das erscheint als außerordentlich weitgehend. Hier ist ein Fall gegeben, i n dem ein privater Eingriff i n Eigentum allein vom K r i t e r i u m ökonomisch besserer Nutzung abhängig gemacht ist. Wenn man die soeben für das Nachbarrecht gefundene Abgrenzung zugrunde legen würde, erschiene das Ergebnis des BVerfG i m Feldmühle-Fall unrichtig: Die Nutzung der Aktienrechte der Minderheitsaktionäre wäre nicht Anhang der Ausübung der Mehrheitsrechte, nicht notwendige Beeinträchtigung, sondern eine originäre, selbständige „Indienststellung", also nach diesen Kriterien eine Verletzung der Institutsgarantie des Eigentums. Der Fall geht auch weit über das hinaus, was dem Eigentümer i n den Fällen der gewerkschaftlichen M i t gliederwerbung i m Betrieb 5 8 zugemutet w i r d und u. U. i m Fall des „politischen Mieters" 5 9 wie auch i m „sozialen Mietrecht" 6 0 . Wenn das BVerfG demgegenüber darauf hinweist, daß das Interesse des Mehrheitsaktionärs für die Gemeinschaft wichtiger sei, w e i l un56 67 58 50 60

Vgl. o., § 2 I V . BVerfGE 14, 263 ff., vgl. dazu schon o., § 2 I V 4, S.44f. u n d S. 131. Vgl. o., § 2 I V 2. Vgl. o., § 2 I V 1. Vgl. o., § 2 I V 3.

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§ 5. Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

ternehmerische, wertschöpferische Initiative und Konzentration zu größeren Unternehmenseinheiten das Gemeinwohl fördern 61 , hingegen das Interesse der Minderheitsaktionäre nur auf Kapitalanlage gehe (das sie mittels der zu gewährenden Entschädigung auch auf andere Weise befriedigen könnten), so zeigt gerade dies die Fragwürdigkeit der Entscheidung: Abgesehen davon, daß die Eigentumsgarantie zur reinen Geldwertgarantie denaturiert w i r d — noch dazu i m Verhältnis zwischen Privaten! —, w i r d die Eingriffsbefugnis hier gewährt, damit der Eingriffsberechtigte aus dem Eingriffsobjekt selbständig Werte schöpfen, Gewinn erzielen kann. Eingriffskriterium ist, wer bessere Wertschöpfung erzielen kann. Für Nachbarrecht und Notstand war gezeigt, daß ein solches K r i t e r i u m verfassungswidrig ist. Wie könnte es hier verfassungsmäßig sein? Das ist i n der Tat nicht ersichtlich 62 . Die vom BVerfG vorgenommene Interessenabwägung kommt dahin, daß der Schutz des Eigentums der Minderheitsaktionäre hinter dem Interesse der Allgemeinheit an einer freien Entfaltung der unternehmerischen Initiative i m Konzern zurücktreten müsse. Dies berücksichtigt nicht, daß das Institut des Eigentums überall dort mißachtet wird, wo Eigentum weggenommen werden kann, weil ein anderer damit besser wirtschaften kann. Würde man diese Entscheidung des BVerfG zur Maxime des gesamten Eigentumsrechts machen, so würde das Ende des privaten Eigentums gekommen sein. M. E. läßt sich danach auch für die allgemeine Grundrechtekollision der Satz aufstellen, daß Vorschriften, die einen Eingriff i n Eigentum erlauben, der der selbständigen Nutzung und Wertschöpfung dient, unzulässig sind. Es mag der Tag kommen, wo derartige Regelungen i m Interesse der Allgemeinheit unumgänglich sind. Dann mag man das Institut des Privateigentums aufgeben oder anders definieren als heute. Z. Zt. kann keine Rede davon sein, daß dies verfassungsmäßig wäre. Danach bleiben als anerkannte Fälle von privatrechtlicher Aufopferung bei allgemeiner Grundrechtekollision zunächst noch die des „politischen Mieters" und der der gewerkschaftlichen Mitgliederwerbung i m Betrieb übrig. Beiden ist gemeinsam, daß es sich u m wesentliche Beeinträchtigungen des Eigentums handelt. Der Eigentümer muß diese Beeinträchtigungen dulden, falls sein Abwehrbegehren nur ein „Pochen auf seine formellen Eigentümerbefugnisse" bedeuten würde. M. E. ist diese Verallgemeinerung auf alle Fälle von Grundrechtekollisionen zwischen Privaten auszuweiten: Eingriffsrechte sind möglich, wo es um unwesentliche Beeinträchtigungen geht. 61

BVerfGE 14, 280, 282. Gegen das „ F e l d m ü h l e " - U r t e i l m i t sehr ähnlichen Argumenten P. Schneider i n : Fechner/Schneider, S. 85 ff. 62

auch

III. Verfassungsrechtliche Grenzen

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Es bleibt ferner der Fall des „sozialen Mietrechts" (sei es i n der Form des Mieterschutzes und der Wohnraumbewirtschaftung, sei es in der Form des heutigen § 556 a BGB). Von nur unwesentlicher Beeinträchtigung des Eigentums kann man hier nicht mehr sprechen. W i l l man die Schaffung solcher Eingriffsrechte als verfassungsmäßig betrachten, wie es das BVerfG 6 3 und der BGH 6 4 tun, so muß man als weiteres K r i t e r i u m für die Schaffung privater Eingriffsrechte den Gedanken des „Sozialen" 65 annehmen. Man kann sich dabei auf A r t . 14 Abs. 2 GG stützen, darf aber nicht vergessen, daß auch dieses K r i t e r i u m Schranken haben muß i m Institut des Eigentums. Diese Schranken lassen sich am besten i n dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot formulieren. Die Einschränkung der Eigentümerbefugnisse muß überhaupt erforderlich sein, u m den Schutz der Mieter zu schaffen, und er darf nicht weiter gehen als nötig. I n diesem Rahmen hat der Gesetzgeber weites Ermessen 66 . Damit sind nunmehr auf allen drei Gebieten der privatrechtlichen Aufopferung verfassungsrechtliche Grenzen für die Schaffung von privaten Eingriffsbefugnissen abgesteckt: Bei den notrechtlichen Kollisionen dürfen Eingriffsrechte nur für den Fall „gegenwärtiger Gefahr" geschaffen werden; bei der allgemeinen Grundrechtekollision allenfalls Eingriffsrechte, die zu unwesentlichen Beeinträchtigungen berechtigen; wesentliche Eingriffe darüber hinaus aus dem Gedanken des „Sozialen" i m Rahmen des Übermaßverbots. Bei der nachbarrechtlichen Kollision hingegen gehen die Befugnisse des Gesetzgebers zur Schaffung privater Eingriffsrechte am weitesten: Es dürfen Befugnisse geschaffen werden, die zur Gewährleistung einer ökonomisch sinnvollen Raumnutzung erforderlich sind. Die Grenze ist hier: Es dürfen keine Eingriffsbefugnisse geschaffen werden, u m auf dem betroffenen Grundstück eine neue, originäre Nutzung zu ermöglichen. Die Notwendigkeit des Eingriffs muß sich daraus ergeben, daß die Beschränkung der Benutzung des eigenen Grundstücks auf dessen Grenzen nach der Natur der Sache sich nicht wirtschaftlich sinnvoll ermöglichen läßt 6 7 . 63

Vgl. BVerfGE 18, 121, insbes. 131 f. Vgl. v o r allem B G H Z 6, 270 ff. Dazu schon o., § 2 I V 3. 66 Es k a n n i h m z. B. nicht entgegengehalten werden, er könne die Mieter auch durch verstärkte Förderung des Wohnungsbaus schützen, indem damit ein Überangebot an Wohnraum produziert würde, so daß der Mieter dann durch den Marktmechanismus geschützt würde. Wollte man dieses Argument bei der Prüfung, ob Übermaß vorliegt, gelten lassen, so wäre das ein Eingriff i n die Etat-Hoheit des Parlaments. 67 H i e r zeigt sich, daß es w o h l nicht richtig ist, auch die nachbarrechtlichen Eingriffsbefugnisse aus A r t . 14 Abs. 2 GG abzuleiten, w i e das Kübler, A c P 159, 236 u n d Raiser, Grundgesetz u n d Privatrechtsordnung, S. 26, tun. Die nachbarrechtlichen Eingriffsbefugnisse beruhen nicht auf dem Gedanken des Sozialen („Rechte aus der Person als solcher"), sondern auf dem Gedanken einer wirtschaftlichen Praktikabilität. 64

65

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5. Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung IV. Entschädigung

1. Wer Güter privatrechtlich aufopfern muß, hat i n aller Regel einen Entschädigungsanspruch. Eine Ausnahme i m Rahmen der bislang besprochenen Fälle machen allein § 906 BGB für ortsübliche, zumutbare Immissionen sowie die Fälle typisch minimaler und wechselseitiger Beeinträchtigungen 88 . Man könnte sich bei der Suche nach dem Grund für diese Entschädigungspflicht m i t der Erklärung zufrieden geben, die Entschädigung für Aufopferungen sei eine selbstverständliche Forderung der Gerechtigkeit. Auch könnte man die Institutsgarantie des Eigentums heranziehen und argumentieren, Eigentum, i n das von Privaten entschädigungslos eingegriffen werden könnte, entspreche nicht mehr dem i n der Verfassung gewährleisteten Eigentum. Gegen beide Argumente w i r d sich kaum etwas einwenden lassen. Trotzdem lohnt es sich, die Dinge etwas genauer zu betrachten. Dann zeigt sich, daß die Entschädigungspflicht bei der privatrechtlichen Aufopferung eine spezifische Funktion hat: Sie bewirkt, daß sich der Zweck der betreffenden Eingriffsnorm (im Nachbarrecht also insbesondere die angestrebte ökonomisch sinnvolle Raumnutzung) ohne behördliche Korrektur von selbst, „automatisch" verwirklicht: Ist die Beeinträchtigung des Nachbarn oder des sonstigen Betroffenen so schwer und die daraus entstehende Ausgleichsforderung so hoch, daß der Beeinträchtigende sie nicht aufbringen kann, dann w i r d er sein Vorhaben einstellen oder gar nicht erst beginnen; dann stellt sein Vorhaben keine ökonomisch sinnvolle Raumnutzung dar, denn dann richtet er mehr Schaden an, als sein Eingriff an Werten schaffen kann. Ein Eingriff ist nur dort sinnvoll, wo die Vorteile unverhältnismäßig größer sind als die verursachten Schäden. Ist das der Fall, kann also das beabsichtigte Unternehmen die Entschädigung aufbringen, dann ist auch der Eingriff i n die Rechte des Betroffenen gerechtfertigt: Sie müssen der wertvolleren Güternutzung weichen. Die Entschädigungspflicht ist also die treibende Kraft, die die typisch privatrechtliche Automatik bei der Erreichung des Gesetzeszwecks ermöglicht. Eine Schwäche dieses Mechanismus ist allerdings unverkennbar: Er funktioniert nur unter wirtschaftlich vernünftig denkenden Rechtssubjekten. Er schließt nicht aus, daß es i m Einzelfall dahin kommt, daß sich der Gedanke der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung nicht verwirklicht, dann nämlich, wenn ein Unternehmer Schädigungen anderer und damit Ersatzpflichten i n Kauf nimmt, die zu seinem Vorteil 88

Vgl. o., § 2 I 4 h.

IV. Entschädigung

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i n keinem vernünftigen Verhältnis mehr stehen. Diese Gefahr ist indes nicht groß: I n den meisten dieser seltenen Fälle w i r d der unvernünftig handelnde Unternehmer sich selbst ruinieren und die Beeinträchtigung anderer infolgedessen bald aufgeben müssen. I m übrigen kommt es dem Privatrecht nicht darauf an, daß sich der Gesetzeszweck i n jedem Einzelfall exakt durchsetzt. Vielmehr ist der Zweck des Gesetzes schon erreicht, wenn i n der überwiegenden Vielzahl aller Fälle zweckentsprechend gehandelt wird. Das Privatrecht verzichtet auf Perfektionismus; es begnügt sich damit, daß m i t der Entschädigungspflicht ein höchst wirksamer Anreiz zu wirtschaftlich vernünftigem Handeln, zur Beachtung einer Kosten-Nutzen-Relation gegeben ist, die allein zu einer ökonomisch sinnvollen Raumnutzung führt 6 9 . Wo W i l l k ü r des Aufopferungs-Berechtigten besonders naheliegt, sind dagegen noch spezielle Vorsichtsmaßnahmen des Gesetzgebers getroffen. So schreibt § 917 B G B vor, daß der Notweg zur „ordnungsgemäßen" Benutzung des Grundstücks erforderlich sein muß. I m Wasserrecht ist die NutzenKosten-Relation oft ausdrücklich zur tatbestandlichen Voraussetzung der Eingriffsbefugnis gemacht 7 0 .

Es soll damit, wie schon angedeutet, nicht gesagt werden, die Entschädigungspflicht bei privatrechtlicher Aufopferung rechtfertige sich allein aus dieser Funktion. Sonst könnte sie dort entfallen, wo ihre Aufgabe durch äquivalente andere Regelungen übernommen wird, also insbesondere dort, wo das Erfordernis der Kosten-Nutzen-Relation ausdrücklich zum Tatbestandsmerkmal der Eingriffsnorm gemacht ist, etwa i n den gesetzlich geregelten Fällen des Leitungsnotwegs 71 . Gewiß muß auch hier die Entschädigungspflicht aus Gründen der Gerechtig69 Eingehend zur Bedeutung der Kosten-Nutzen-Relation bei der H a f t u n g aus erlaubtem Eingriff Reinhardt i n Verh. d. 41. dt. Juristentages, Bd. I , 1. Halbbd., S. 278 ff. Z u r Nutzen-Kosten-Relation beim Notweg B G H N J W 1964, 1321 f. 70 Dafür ein Beispiel: Die Entschädigungspflicht, die bei „ w i l d abfließendem Wasser" (vgl. o., S. 25) den „Oberlieger" gegenüber dem „Unterlieger" trifft, ist Gewähr dafür, daß die Zuführung w i r k l i c h auch n u r dann geschieht, w e n n dieses Wertverhältnis i m konkreten F a l l gegeben ist. Der Normzweck würde durch diesen typisch privatrechtlichen Mechanismus erreicht. Die Wassergesetze t u n ein übriges: Sie bestimmen ausdrücklich, daß das w i l d abfließende Wasser n u r aufgenommen zu werden braucht, w e n n der Oberlieger es nicht oder n u r m i t unverhältnismäßig hohen Kosten ableiten kann. Dabei muß der V o r t e i l f ü r den Oberlieger erheblich größer sein als der Schaden des Unterliegers. Das Gesetz hat hier also m i t der Aufnahme der typischen Kosten-Nutzen-Relation i n den Tatbestand der Eingriffsnorm n u r das perfektioniert, was v o n anderen nachbarrechtlichen Eingriffsnormen allein schon durch die Statuierung der Entschädigungspflicht erreicht w i r d . So überflüssig das sein mag, so sehr ist diese gesetzliche F i x i e r u n g des Gedankens der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung i n einer typisch nachbarrechtlichen N o r m eine deutliche Bestätigung der vorliegend vertretenen Thesen. 71 Vgl. o., S. 22 f.

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5. Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

keit und der Institutsgarantie des Eigentums vorhanden sein 72 . Immerh i n zeigt die Aufdeckung der Funktion der Entschädigungspflicht, daß der heute mehr und mehr übliche Perfektionismus der Normierungen, i n denen die Kosten-Nutzen-Relation zum Tatbestandsmerkmal erhoben wird, weitgehend überflüssig ist; die Kosten-Nutzen-Relation w i r d sich auch von allein durchsetzen, sofern nur eine Entschädigungspflicht gegeben ist. Perfekte Normierungen dieser A r t haben durchaus ihre Nachteile: Sie veranlassen leicht Streit, da die Kosten-Nutzen-Relation nicht immer klar zutage liegt 7 3 . Man sollte sie daher vermeiden, wo es geht, und sich allein auf die von der Entschädigungspflicht hinreichend i n Gang gehaltene privatrechtliche Automatik verlassen. 2. Wie aber rechtfertigt sich demgegenüber, daß § 906 BGB „Eingriffe" erlaubt, die entschädigungslos zu dulden sind, nämlich unwesentliche Immissionen sowie wesentliche Immissionen, sofern sie ortsüblich und zumutbar sind? Man kann versuchen, das damit abzutun, daß hier keine „Eingriffe" normiert seien, sondern nur der Inhalt des Eigentums bestimmt werde. Aber das führt nicht weiter, denn dann muß man Kriterien angeben, nach denen sich zwischen inhaltsbestimmenden und Eingriffe zulassenden Normen unterscheiden ließe 74 . Das legt dann wieder nahe, als K r i terium auf Entschädigungspflichten abzustellen, womit der Zirkel geschlossen wäre. Kleindienst 75 versucht dem, wie schon dargelegt 76 , zu entkommen, indem er einen „normalen Zuweisungsgehalt" des Eigentums annimmt. „Normal" sei alles, dem jeder Eigentümer ausgesetzt sei, was auch jeder Eigentümer verursachen könne. Einwirkungen dagegen, denen typischerweise nur wenige Eigentümer ausgesetzt werden, fielen aus diesem Rahmen des Normalen, so daß die Abwehr dieser Eingriffe zum „normalen Zuweisungsgehalt" gehöre. Wo solche Abwehr trotzdem durch Gesetz ausgeschlossen sei, müsse statt dessen entschädigt werden 77 . Zum normalen Zuweisungsgehalt zählt Kleindienst auch das „Privileg" des ortsüblich Emittierenden, der eine nicht ortsübliche an72 A b e r m a n könnte dort eher als i n den anderen Fällen statt vollen Schadenersatz n u r „angemessenen Ausgleich" gewähren; vgl. dazu u., S. 129 ff. 73 Auch die Frage, was „ordnungsgemäße Benutzung" i n §917 B G B ist, mag i m Einzelfall zu Streit Anlaß geben. 74 Wie schon o. i n § 3 erläutert. 75 S. 45 ff. 76 o „ S. 60 ff. 77 Kleindienst, a.a.O., S. 48 Fn. 101, erwähnt auch die Nähe dieses Gedankens zum K r i t e r i u m des „Sonderopfers" i n der Enteignungsrechtsprechung des BGH. Z u dieser u n d zu anderen Parallelen zwischen privatrechtlicher Aufopferung u n d Enteignung eingehend u., § 6.

IV. Entschädigung

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dere Nutzung ohne Einschränkungen und ohne eine ortsübliche andere Nutzung i m Rahmen des Zumutbaren (also über das Unwesentliche hinaus) entschädigungslos beeinträchtigen darf. Damit w i r d ein innerer Widerspruch dieser Konzeption deutlich: M i t einem „normalen Zuweisungsgehalt" w i l l sie anscheinend auf Maßstäbe verweisen, die dem Gesetz vorgegeben sind. Kleindienst bestätigt diese Vermutung indem er auf die aus der „Natur der Sache" gegebene Notwendigkeit hinweist, Einwirkungsmöglichkeiten zu gestatten. Zum anderen aber entnimmt er den Inhalt des normalen Zuweisungsgehalts aus dem geltenden Recht 78 , indem er die Maßstäbe des § 906 BGB zum K r i t e r i u m des „Normalen" macht. Man mag einwenden, Kleindienst wolle nur darlegen, daß das geltende Recht den „normalen Zuweisungsgehalt" zutreffend erkannt habe. Dann muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß sich der normale Zuweisungsgehalt keineswegs zwingend aus der herangezogenen „Natur der Sache" ergibt. Diese Natur der Sache ist nichts anderes als die hier so benannte „notwendige Kollision". Die Notwendigkeit, nachbarrechtliche Interessenkollisionen zu regeln, zwingt aber nicht etwa nur zur Zulassung entschädigungslos zu duldender Beeinträchtigungen. Sie ist vielmehr ebenso Grund für die Normierung derjenigen Tatbestände, i n denen nachbarliche Einwirkungen nur gegen Entschädigung gestattet sind. Danach kann man allenfalls noch sagen, daß das BGB einen „normalen Zuweisungsgehalt" annehme, i n den die Abwehr von E i n w i r kungen, die nach BGB entschädigungslos zu dulden sind, nicht eingeschlossen ist. Einen Erklärungswert hätte eine derartige Aussage aber nicht mehr; „normaler Zuweisungsgehalt" wäre nur eine Kurzformel für die positiv i n § 906 BGB getroffene Regelung. Trotzdem verbirgt sich hinter der unglücklichen Annahme eines „normalen Zuweisungsgehalts" doch eine belangvolle Aussage: Kleindienst sagt damit praktisch, daß die Tatsache, daß es u m Einwirkungen geht, denen normalerweise jedermann ausgesetzt ist, ein angemessenes K r i t e r i u m für die Unterscheidung zwischen entschädigungslos und entschädigungspflichtig zu duldenden Einwirkungen ist. I n dieser Formulierung ist der Gedanke richtig: Es geht darum, die Merkmale festzustellen, nach denen das Gesetz zwischen entschädigungslosen und entschädigungspflichtigen Einwirkungen unterscheidet. Ist das geschehen, kann darüber diskutiert werden, ob man diese Kriterien als sinnvoll, praktikabel und gerecht ansehen will. Eines dieser Kriterien ist — insoweit ist Kleindienst zu folgen — das des „Sonderopfers": Eine privatrechtliche Eingriffsbefugnis, die typisch dazu führt, daß nur einzelne 78

Vgl. o., S. 61 f.

1 2 8 § 5 .

Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

belastet werden, muß Entschädigung vorsehen. Hier, wie i m Enteignungsrecht, fordert dies der Gleichheitssatz 79 . Ein weiteres K r i t e r i u m ist das der „Ortsüblichkeit", ein K r i t e r i u m also, das darauf abstellt, wie sich ein Betrieb m i t seinen Emissionen i n den nachbarlichen Raum einfügt. Wenn er sich einfügt, genießt er Vorrechte, d. h., i h m stehen gegenüber den Nachbarn Eingriffsrechte zu, die nicht ortsübliche Emittenten nicht haben. Daß dieses K r i t e r i u m sinnvoll ist, war bereits angedeutet: Wer sich seiner Umwelt angepaßt hat, sich i m Rahmen des Üblichen bewegt, verdient mehr Schutz als jemand, der das nicht tut. Deutlicher w i r d dies noch auf der Seite des Beeinträchtigten: Ist die beeinträchtigte Nutzung ortsüblich, so genießt sie bei Uberschreiten der Grenze des Zumutbaren den Schutz des Entschädigungsanspruchs des § 906 Abs. 2 BGB, während der ortsunüblich nutzende Grundeigentümer auch unzumutbare Beeinträchtigungen entschädigungslos dulden muß. Diese Schlechterstellung der nicht ortsüblichen Nutzung rechtfertigt sich daraus, daß die Standortentscheidung, die zu dieser Nutzung geführt hat, verfehlt ist, daß sie keine ökonomisch sinnvolle Raumnutzung mehr darstellt. Genau genommen sind es also zwei Gedanken, die i m Merkmal der Ortsüblichkeit mitspielen: Die Privilegierung der ortsüblichen Nutzung rechtfertigt sich daraus, daß jeder Grundeigentümer gewärtig sein muß, daß i h m die Beeinträchtigungen zustoßen, die nach der vorliegenden Nutzungsart i n seiner Umgebung üblich sind. Gleichzeitig aber — das ist der zweite Gedanke — soll niemand, der sein Grundstück ortsüblich nutzt, unzumutbar entschädigungslos beeinträchtigt werden. I m Interesse einer ökonomisch sinnvollen Raumnutzung soll dieses Schicksal nur dem nicht ortsüblich nutzenden Grundeigentümer zuteil werden dürfen. Das dritte K r i t e r i u m für die Abgrenzung entschädigungsloser von entschädigungspflichtigen Beeinträchtigungen ist somit das der Zumutbarkeit. Zunächst spielt es i n § 906 Abs. 1 BGB eine Rolle: Unwesentliche Beeinträchtigungen sind generell für jeden zumutbar und daher entschädigungslos zu dulden. Kein Nachbar soll auf seine formale Eigentümerstellung pochen und sich über minimale Störungen beschweren dürfen. Das Verbot auch minimaler Störungen oder die Statuierung einer Entschädigungspflicht für sie wäre auch gänzlich unpraktikabel.

79 Oder die Institutsgarantie des Eigentums; oder der „Wesensgehalt" des Eigentums. Wie i m m e r m a n dieses K r i t e r i u m auch ableiten u n d benennen w i l l — es erscheint i n jedem Falle akzeptabel.

IV. Entschädigung

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Vor allem aber dient das K r i t e r i u m der Zumutbarkeit i n § 906 Abs. 2 BGB zur Abgrenzung der entschädigungslos von den entschädigungspflichtig zu duldenden Beeinträchtigungen ortsüblicher Nutzungen. I m Hinblick auf den Gedanken der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung ist die Einführung dieser Entschädigungspflicht durch das Gesetz vom 22. 12. 1959 zu begrüßen 80 : Die Entschädigungspflicht verhindert, daß Grundeigentum auf Kosten anderer genutzt werden kann, ohne daß diese Kosten den Verursacher treffen. Das führt zu gesamtwirtschaftlich gesehen sinnvolleren Standortentscheidungen emittierender Betriebe. Dies ist m. E. die einzig weiterführende Methode, über die Abgrenzung entschädigungsloser von entschädigungspflichtigen Beeinträchtigungen zu diskutieren. Man muß diskutieren, ob die Kriterien den A n forderungen der Gerechtigkeit, der Praktikabilität und der wirtschaftlichen Vernunft genügen. Dabei werden vor allem die beiden letzten Anforderungen — und besonders gewichtig die wirtschaftliche Vernunft, eben der Gedanke der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung — entscheidend sein, während die „Gerechtigkeit" allenfalls einen weiten Rahmen setzen kann 8 1 . Diese Methode der Diskussion vermeidet es, von „normalem Zuweisungsgehalt" des Eigentums zu sprechen oder von einem „an sich gegebenem Abwehranspruch". Solche Formeln führen nicht weiter, sondern sind — milde gesagt — nur ein Umweg, der letztlich doch wieder zu der Frage nach den maßgebenden Merkmalen für diese „Normalität" und für dieses „an sich" führen muß. Wichtig ist, daß sich alle drei genannten Kriterien auch i m Recht der Enteignung, bei der Abgrenzung zur entschädigungspflichtigen Eigentumsbindung wiederfinden: Der Gedanke der „typischen Beeinträchtigung Einzelner" i m „Sonderopfer" der BGH-Theorie, die „Zumutbarkeit" i n der „Schweretheorie" des BVerwG, die „Ortsüblichkeit" i n der „Situationsgebundenheit" der Rechtsprechung des BGH. Dazu eingehend unten 8 2 ; hier genügt dieser Hinweis als weiteres Anzeichen dafür, daß die vom Gesetz angezogenen Unterscheidungskriterien sinnvoll sind, während das Abstellen auf einen fiktiven „normalen Zuweisungsgehalt" oder auf einen „an sich" gegebenen Abwehranspruch ebensowenig weiterführen, wie i m Enteignungsrecht Wortstreitereien über „Eingriff" und „Inhaltsbestimmung". 3. Ein Ansatz, den Umfang des Entschädigungsanspruchs aus privatrechtlicher Aufopferung zu bestimmen, ist ein Vergleich der positiv geregelten und anderer, von der Rechtsprechung entschiedener Fälle: 80 Nach allgemeiner Meinung ist damit allerdings n u r die von RGZ154,161 begonnene Rechtsprechung kodifiziert worden; abweichend Kleindienst, S. 25 ff. I m einzelnen interessiert das vorliegend nicht. 81 Abgesehen davon, daß auch f ü r „Gerechtigkeit" erst wieder K r i t e r i e n angegeben werden müssen, damit dieser Aspekt diskutierbar w i r d . 82 §6.

9 Schulte

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§ 5. Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

Für „vollen Ersatz" spricht die Regelung des § 904, S. 2 BGB: Hier kann „Ersatz des entstandenen Schadens" verlangt werden. Es liegt nahe, darin eine Verweisung auf §§ 249 ff. BGB zu sehen. § 26 GewO spricht von „Schadloshaltung" 83 , § 917 BGB von einer „Notwegrente", §§ 1005, 867 BGB wiederum von „Ersatz des Schadens". Deutlich ist die Regelung des § 25 L u f t V G : Der aus der Ausübung des Notlanderechtes entstehende Schaden ist entsprechend §§ 33—43 L u f t V G zu ersetzen; dort aber ist der Schadenersatz aus der luftverkehrsrechtlichen Gefährdungshaftung behandelt, die zwar Höchstbeträge für die Haftung kennt, sonst aber eindeutig der Regelung der §§ 249 ff. BGB entspricht. Die einzige Vorschrift, die den Ersatzanspruch aus privatrechtlicher Aufopferung deutlich einschränkt, ist § 906 Abs. 2, S. 2 BGB. Bei anderen, gesetzlich nicht geregelten Fällen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses aber kommt der BGH 8 4 schon wieder zu vollem Ersatz. Die Regelung des Umfangs des Ausgleichsanspruchs für privatrechtliche Aufopferung ist also derart unterschiedlich, daß man keinen einheitlichen Maßstab entwickeln kann 8 5 . Das sollte allerdings nicht überraschen, denn der Gesetzgeber war sich bei Schaffung dieser Vorschriften ihrer wesentlichen Gemeinsamkeiten gewiß nicht bewußt. Wenn man aber aus dem gegebenen Überblick unbedingt Schlüsse ziehen w i l l , so w i r d man eher zum Prinzip des vollen Schadenersatzes als leitendem Prinzip bei privatrechtlicher Aufopferung kommen, als zum „angemessenen Ausgleich" 86 . Das gäbe einen sicheren Anhalt für eventuell notwendig werdende Analogien. Da es jedoch offenbar zu vordergründig ist, Grundsatz und Ausnahme nach einer bloßen Abzählmethode festzustellen, muß versucht werden, Gründe für die unterschiedliche Behandlung des Umfangs der Entschädigungspflicht zu finden. Der B G H begründet i n der Entscheidung zum „Steinbruchfall" 8 7 die Zuerkennung vollen Schadenersatzes damit, daß der „an sich" gegebene Abwehranspruch, der durch den Entschädigungsanspruch abgelöst 83 A l s „volle Entschädigung" deuten dies z.B. Schach, B B 1965, 343; Esser, Schuldrecht, § 59, 5; Hans J. Wolff, V e r w R I , § 61 I c u n d Engert, B B 1963, 660; u n k l a r dagegen Eyermann-Fröhler, GewO, §26 Rn. 29, w o einerseits gesagt w i r d , der Anspruch habe die gleiche N a t u r w i e der Anspruch auf E n t eignungsentschädigung, andererseits aber v o n „Schadenersatzanspruch" gegesprochen u n d §249 B G B erwähnt w i r d . Auch Westermann, Sachenrecht, § 63 I I 4 a, S. 311, spricht v o n „Schadenersatzanspruch". Kleindienst, S. 51, 54, formuliert: nach Enteignungsgrundsätzen zu bemessender voller Geldausgleich. 84 B G H Z 28, 232. 85 So auch Hemsen, S. 161. 86 Hemsen, S. 163, meint allerdings, eine Tendenz zu „angemessenem A u s gleich" erkennen zu können, während Michaelis, S. 105, meint, es gebe keinen rechtstheoretischen G r u n d f ü r eine Beschränkung des Ersatzanspruchs aus Aufopferung. 87 B G H Z 28, 232.

IV. Entschädigung

131

werde, vollen Umfang gehabt haben würde. Solches Argumentieren aus einem fiktiven Abwehranspruch ist hier schon abgelehnt worden; darauf kann verwiesen werden 88 . Zusätzlich ist zu bemerken, daß § 906 Abs. 2, S. 2 BGB den Ersatzanspruch auf „angemessenen Ausgleich" beschränkt, obwohl hier nicht zu erkennen ist, wie der fiktive Abwehranspruch nicht „vollen" Umfang gehabt haben könnte. Das zeigt abermals deutlich, daß solche Argumente zu nichts führen und durch die Diskussion über Kriterien ersetzt werden sollten. Mehr gibt die Begründung des BVerfG zum Feldmühle-Fall her 8 9 : „ W e n n A r t . 14 Abs. 3 G G f ü r die Enteignung durch den Hinweis auf die Abwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit u n d der Beteiligten eine geringere als die volle Entschädigung zuläßt, fehlt doch jeder G r u n d f ü r eine solche A b w ä g u n g i m Verhältnis zwischen Gleichstehenden, zumal w e n n der den Entschädigungsanspruch begründende Sachverhalt i m eigenen I n t e r esse des Großaktionärs liegt u n d v o n i h m herbeigeführt worden i s t "

Hier werden gleich zwei Gesichtspunkte angeführt: Die Gleichstellung der Beteiligten und das eigene Interesse (also der Vorteil) des Beeinträchtigten an der Beeinträchtigung. Dabei vermag das erste K r i terium weniger zu überzeugen: Warum der Staat allein wegen seiner „Überordnung" i n normalen Enteignungsfällen weniger als volle Entschädigung sollte zahlen dürfen, ist nicht einzusehen. Aber das zweite K r i t e r i u m führt i n den K e r n der Problematik: Das eigene Interesse des Beeinträchtigenden, die Tatsache, daß er aus der Beeinträchtigung Vorteil zieht, ist ein diskutabler Grund für vollen Ersatz aller Nachteile. Zusätzlich gewinnt er an Uberzeugungskraft, wenn man die oben erläuterte Funktion des Entschädigungsanspruchs beachtet, der bewirken soll, daß das Prinzip der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung sich automatisch durchsetzt. Diese Funktion kann der Entschädigungsanspruch aber nur dann erfüllen, wenn er auf Ausgleich aller Nachteile gerichtet ist. Brauchte der Berechtigte nicht alle Nachteile auszugleichen, so könnte es dahin kommen, daß er i m Ergebnis doch mehr Schaden anrichtet, als er aus der Ausübung seines Rechts an Nutzen zieht. Anders gesagt: Wenn die Vorteile, die der Berechtigte aus der Einwirkung auf das fremde Recht zieht, nicht so groß sind, daß sie alle zugefügten Nachteile überwiegen, stellt die Einwirkung keine ökonomisch sinnvolle Nutzung dar und muß unterbleiben. So sehr dies für volle Entschädigung sprechen mag, so einseitig wäre es, sich bei diesem Argument zu beruhigen. Vielmehr ist erforderlich, nach den Gründen zu suchen, aus denen § 906 Abs. 2, S. 2 BGB nur „angemessene Entschädigung" gewährt. 88 89

9*

o., § 3 I I . Vgl. BVerfGE 14, 284.

1 3 2 §

5. Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

Westermann 90 meint, die Tatsache, daß gem. §906 Abs. 2, S. 2 B G B nicht alle Nachteile dem Eigentümer des störenden Grundstücks auferlegt werden müßten, ergebe sich aus der Eigenart dieses Anspruchs. Die Eigenart bestehe darin, daß er ein Ausgleichsmittel der unvermeidbaren, aus dem Zusammenliegen der Grundstücke i m Raum sich ergebenden Kollision sei. Die o. g. Gründe f ü r vollen Ersatz werden damit aber m. E. nicht widerlegt, insbesondere nicht das Argument aus der F u n k t i o n des Entschädigungsanspruchs.

Z u überlegen bleibt jedoch, ob es nicht der Gedanke einer A r t von Vorteilsausgleichung (nicht i m strengen schuldrechtlichen Sinne verstanden) sein kann, der die Beschränkung des Anspruchs aus § 906 Abs. 2, S. 2 BGB rechtfertigt. Der Gedanke liegt nahe: Der ursprünglich vollständige Ausschluß von Entschädigungsansprüchen gegenüber ortsüblichen Emittenten i m Rahmen des § 906 BGB war damit begründet worden, daß etwa bei größeren Industrieanlagen zugleich m i t den Emissionen auch der Wert der betroffenen Nachbargrundstücke günstig beeinflußt werde 91 . Ähnlich w i l l Westermann 92 sogar die Zumutbarkeit der Beeinträchtigung daran messen, ob neben der schädigenden Immission auch Vorteile für das beeinträchtigte Grundstück verursacht worden seien. Nach allem scheint ein sinnvolles, i n ähnlichen Zusammenhängen bereits diskutiertes und auch dem Gesetz nicht fremdes K r i t e r i u m für die Statuierung „minderer" Entschädigungsansprüche der Umstand zu sein, daß eine schädigende Handlung für den Geschädigten typischerweise auch Vorteile bringt. Das oben besprochene Argument aus der Funktion der Entschädigungspflicht bei privatrechtlicher Aufopferung verliert hiernach an Uberzeugungskraft für solche Fälle, i n denen Vorteile des emittierenden Unternehmens typischerweise nicht nur dem Unternehmen, sondern auch der Nachbarschaft zugute kommen. Es erscheint danach als ausgeschlossen, „vollen Schadenersatz" als Prinzip und „angemessenen Ausgleich" als seine Durchbrechung ansehen zu können. Vielmehr w i r d man von solchem Regel-AusnahmeDenken auch hier abgehen und nach den jeweils sinnvollen Kriterien unvoreingenommen etwa i n folgender Weise differenzieren müssen: Wo das beeinträchtigende Unternehmen nicht auch typisch Vorteile für den Beeinträchtigten bringt, spricht alles für vollen Ersatz. Wo dagegen solche Vorteile typisch sind, spricht mehr für angemessenen Ausgleich. Dabei läßt die Formulierung „angemessen" offen, i m Einzelfall auch vollen Ersatz zuzusprechen, nämlich dort, wo derartige Vorteile nicht eingetreten sind 93 . 90

Sachenrecht, § 63 I I 3 d bb, S. 311. Planck-Achilles (1902), § 906 A n m . 3 b. Sachenrecht, § 63 I I 3 d bb, S. 310. 93 Hiernach spricht z. B. vieles dafür, den untechnischen Ausdruck „Schadloshaltung" i n § 26 GewO als „angemessenen Ausgleich" zu verstehen, was 91

92

. r t e i

Aufopferung

Gefährdungshaftung133

V. Privatrechtliche Aufopferung und Gefährdungshaftung Es gibt Fälle, i n denen zweifelhaft sein könnte, ob privatrechtliche Aufopferung nicht als Gefährdungshaftung einzuordnen ist, etwa i m folgenden: Die Auswirkungen eines neuen Hüttenwerks auf seine Umwelt können oft i m voraus nicht genau übersehen werden. Es mag unklar sein, welche Nachbarn gestört werden und wie stark sie gestört werden. Das kann unklar sein, weil die Intensität der Emissionen noch nicht exakt festzustellen ist. Das kann vor allem aber auch deshalb unklar sein, weil man nicht weiß, wie die nachbarliche Umwelt des Betriebes i m einzelnen von den Grundeigentümern genutzt werden wird. So mögen also die schädigenden Auswirkungen i n vieler Hinsicht unvorhersehbar sein; genauer: Es steht fest, daß es Schäden geben wird, es steht nicht fest, welche konkreten Schäden eintreten werden. Das aber ist offenbar eine Parallele zur Gefährdungshaftung: Die Lebenserfahrung sagt, daß Schäden entstehen werden, der Einzelfall ist trotzdem unvorhersehbar. Das ist typisch für Gefährdungshaftung. Statistisch gesicherte Häufigkeit und Schwere der Schäden sind der gesetzgeberische Grund für die Statuierung von Gefährdungshaftungen. I n beiden Fällen also, sowohl bei der Gefährdungshaftung wie bei der privatrechtlichen Aufopferung, kann man davon sprechen, daß die Haftung für angerichtete Schäden keine Verschuldenshaftung ist, vor allem aber auch keine Haftung für Handlungsunrecht 94 . Unrichtig ist jedoch die Kennzeichnung der Gefährdungshaftung bei Luhmann95. Wer voraussehbar und typisch gefährlich handle, handle auch schuldhaft. Die Rechtsordnung, die solches Handeln erlaube, müsse daher die Haftung künstlich wiederherstellen. Das bewirkten die Tatbestände der Gefährdungshaftung. Damit beschreibt Luhmann als Eigenart der Gefährdungshaftung, was gerade Charakteristikum der Aufopferungshaftung ist. Man muß unterscheiden: Wer konkret voraussehbar gefährlich handelt, handelt schuldhaft, nicht jedoch, wer aber der absolut herrschenden Meinung widerspricht; vgl. o., S. 130 Fn. 83. Allerdings besteht nach allgemeiner M e i n u n g bei § 26 GewO schon die E i n schränkung, daß n u r die Schäden zu ersetzen sind, die die ortsüblichen zumutbaren E i n w i r k u n g e n übersteigen, vgl. z. B. Westermann, Sachenrecht, § 63 I I 4 a; Kleindienst, S. 54/55. 94 Gefährdungshaftung k n ü p f t nicht an eine H a n d l u n g an, jedenfalls nicht an die Handlung, die unmittelbar zum Schaden geführt hat, sondern einfach an das Betreiben eines gefährlichen technischen Instruments. Es geht bei der Gefährdungshaftung nicht u m die Zurechnung rechtswidriger H a n d l u n gen, sondern u m die Zurechnung des typischen Schadenrisikos bestimmter A r t e n von Tätigkeiten. Heute allgem. Meinung, vgl. etwa Larenz, i n : V o m deutschen zum europäischen Recht (Festschrift f ü r Dölle), Bd. 1, S. 174/175; ders. Schuldrecht I I , § 71 I, S. 483; Enneccerus-Nipperdey, § 208 I I 1; B G H Z 2 4 , 26; 34, 361; grundlegend: Esser, Grundlagen u n d E n t w i c k l u n g der Gefährdungshaftung. 95 öffentlich-rechtliche Entschädigung, S. 139.

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§5. Das echtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

abstrakt voraussehbar gefährlich handelt. Dieses Handeln w i r d erst dann schuldhaft, wenn noch ein „Außerachtlassen der i m Verkehr gebotenen Sorgfalt" hinzukommt. Deshalb ist Gefährdungshaftung keine „Wiederherstellung" der Haftung für ausnahmsweise erlaubtes gefährliches Tun, sondern Neubegründung einer Haftung für ein als solches nicht schuldhaftes abstrakt gefährliches Tun 9 6 . Bei der Frage des Handlungsunrechts beginnen die Unterschiede zwischen privatrechtlicher Aufopferung und Gefährdungshaftung deutlich zu werden, nämlich dann, wenn man sich fragt, warum privatrechtliche Aufopferung und Gefährdungshaftung nicht Haftung für Handlungsunrecht sind: Gefährdungshaftung ist nicht Handlungrsunrecht, weil hier nicht Handlung, jedenfalls nicht die unmittelbar zum Erfolg führende Handlung, zugerechnet wird. Privatrechtliche Aufopferung dagegen ist Haftung für Handlung, aber nicht Haftung für Handlungsunrecht, sondern für rechtmäßiges Handeln. Die Unterschiede werden noch deutlicher bei der Betrachtung des Erfolgsunrechts: Bei der Gefährdungshaftung w i r d man den schädigenden Erfolg, etwa die Tötung eines Menschen, kaum als rechtmäßig bezeichnen können. Allenfalls mag man sagen, dieser Erfolg werde rechtlich nicht gewertet. Das kann dahingestellt bleiben, denn der Unterschied zur Aufopferungshaftung ist schon so deutlich: Hier darf geschädigt werden. Der i m Rahmen des § 906 BGB emittierende Grundeigentümer darf den Nachbarn beeinträchtigen, der Führer eines L u f t fahrzeuges darf notlanden, auch wenn er dabei erkennbar den Grundeigentümer schädigt. Von einem solchen Dürfen kann bei der Gefährdungshaftung keine Rede sein 97 . Letztlich führen diese Betrachtungen über die Rechtswidrigkeit also zurück auf die Handlung. Deren Bedeutung ist bei der Gefährdungshaftung jedenfalls zweifelhaft schillernd und mehrdeutig; weiter braucht das hier nicht geklärt zu werden. Für die Aufopferungshaftung dagegen steht fest, daß sie Handlungshaftung ist. Es geht hier u m Fälle, i n denen „ausnahmsweise" auch für Schäden aus rechtmäßigem Handeln gehaftet wird. 96 Zuzugeben ist allerdings, daß i n dem von Luhmann gebrachten Beispiel der Verkehrssicherungspflicht die Grenzen zwischen Gefährdungshaftung u n d Verschuldenshaftung verschwimmen. Aber dieses Beispiel ist nicht repräsentativ. Dieselbe K r i t i k ist an der Äußerung Reinhardts (Verh. d. 41. dt. Juristentages, Bd. I, 1. Halbbd., S. 276) zu üben, wonach allein die Tatsache der Erlaubnis der Gefährdung der G r u n d f ü r die Befreiung des Betriebsunternehmers v o m Schuldvorwurf sei u n d damit zugleich Anlaß zu einem neuen Zurechnungsbedürfnis. Auch das unterscheidet nicht zwischen abstrakter u n d konkreter Gefährlichkeit. 97 So auch Hemsen, S. 173: Bei der Gefährdungshaftung bleibe das V e r letzungsverbot bestehen. Hubmann, J Z 1958, 492, u n d Soergel-Baur, §903 Rn. 67, stellen darauf ab, daß bei der Aufopferung i m Gegensatz zur Gefährdungshaftung der Eingriff — zumindest bedingt — gewollt sei.

. r t e i

Aufopferung

Gefährdungshaftung

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Die Unterschiede lassen sich noch anders deutlich machen: Bei der Aufopferungshaftung sind auch bewußte Schädigungen rechtmäßig, solange die Schädigung nicht Selbstzweck (§ 226 BGB) ist. Die Schäden sind hier sogar i n aller Regel konkret vorhersehbar. Anders bei der Gefährdungshaftung: Daß Schäden entstehen können, ist zwar auch hier vorhersehbar, aber eben nie konkret, sondern nur statistisch. Bewußte Schädigung bei der Gefährdungshaftung gibt es nicht, sie schlägt dann sofort u m i n Verschuldenshaftung. E i n Tatbestand, der A u f opferungshaftung, d. h. ein Eingriff auf Grund eines Eingriffsrechts kann dagegen nie i n einen Tatbestand der Verschuldenshaftung u m schlagen; denn auch bei bewußter und gewollter Schädigung w i r d es immer an der Rechtswidrigkeit fehlen. Diese Überlegungen führen zu einer überraschend einfachen und praktikablen Formel zur Unterscheidung zwischen Gefährdungshaftung und privatrechtlicher A u f opferung. Diese Formel ist schon vor 25 Jahren von Michaelis 98 gefunden worden, obwohl sie heute fast unbekannt ist: Zu fragen ist, ob der, dessen Haftung i n Frage steht, auch hätte handeln dürfen, wenn er gewußt hätte, daß der konkrete Schaden, so wie er eingetreten ist, eintreten würde. Ist diese Frage zu bejahen, dann liegt privatrechtliche Aufopferung vor; ist die Frage zu verneinen, dann ist ein Fall der Gefährdungshaftung gegeben. Wendet man die Formel bei den Immissionen an, so zeigt sich, daß Aufopferungshaftung vorliegt: Es darf auch dann emittiert werden, wenn voraussehbar ist, daß bestimmte Grundstücke geschädigt werden, ja sogar dann, wenn sich voraussehen läßt, daß bestimmte Grundstücke i m Laufe der Zeit bis zur völligen Unbenutzbarkeit ruiniert werden. Für das Immissionsrecht mag diese Unterscheidung wenig praktische Bedeutung haben 99 . Hier ist bislang relativ selten behauptet worden, es handle sich u m Gefährdungshaftung 100 . Die entwickelte Unterscheidung 98

S. 93, 103 ff. Z u r Bedeutung der Unterscheidung i m Versicherungsrecht vgl. Esser, Karlsruher F o r u m 1959, 39 f. 100 I m m e r h i n können die dogmatisch unklaren Erörterungen v o n GlaserDröschel (52 e, S. 167) u n d Meisner-Stern-Hodes (§ 43 D I I I 2), die die Fälle der öffentlich-rechtlichen (von ihnen aber anscheinend f ü r privatrechtlich angesehenen) Aufopferung i m Nachbarrecht der öffentlichen Grundstücke (vgl. dazu eingehend u., § 8) als Gefährdungshaftung kennzeichnen, nicht übersehen werden. Auch die Ausführungen von Forsthoff, § 18, 1, u n d Schack (JZ 1956, 426 ff.) ließen es zu, § 26 GewO als F a l l der Gefährdungshaftung einzuordnen. Ausdrücklich f ü r eine solche Kennzeichnung Wannagat, N J W 1960, 1597 ff.; Palandt-Danckelmann, §276 A n m . 10b, f ü h r t §906 Abs. 2, S. 2, als einen F a l l der Gefährdungshaftung auf. Leisner, V V D S t R L 20, 191, meint, i n dem i n B G H Z 1 6 , 366 ff. („Bienenfall") entschiedenen F a l l zeige sich die Verbindung zur „reinen privatrechtlichen Gefährdungshaftung". Weitere Beispiele f ü r unzulängliche Unterscheidung zwischen Aufopferung u n d Gefährdungshaftung u., § 8 I I I 1. 99

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§5. Das Rechtsinstitut der privatrechtlichen Aufopferung

ist aber für andere, bislang noch nicht behandelte Fälle der privatrechtlichen Aufopferung bedeutsam 1 0 1 ' 1 0 2 .

101 Es ist also unrichtig, der Unterscheidung n u r theoretische Bedeutung zuzuschreiben, w i e das Horst, S. 81, tut. Dieser meint zudem, es gebe T a t bestände, i n denen Aufopferungshaftung u n d Gefährdungshaftung ununterscheidbar zusammenflössen, so bei § 904 B G B (a.a.O., S. 78). Bei richtiger A n wendung der Michaelisschen Formel (die Horst nicht kennt) zeigt sich, daß das unrichtig ist; so i m Beispiel Horsts v o n dem fremden Kahn, der bei einer Lebensrettungsaktion unvorhersehbar vernichtet w i r d : E r hätte auch benutzt werden dürfen, w e n n seine Vernichtung konkret vorhersehbar gewesen wäre. Allerdings dürfte zweifelhaft sein, ob der Retter i n einem solchen F a l l überhaupt haftet. Jedenfalls hat das aber nichts m i t Gefährdungshaftung zu tun. 102 Unrichtig ist es umgekehrt, das neuerdings v i e l erörterte Problem der H a f t u n g des Warenherstellers m i t dem Gedanken der privatrechtlichen A u f opferung zu lösen (wie das Rehbinder, Z H R 1967, 185, u n d Kötz, Die H a f t u n g des Warenherstellers, versuchen). Denn es k a n n keine Rede davon sein, daß etwa der Warenhersteller die eingetretenen Schäden auch dann verursachen darf, w e n n sie konkret vorherzusehen sind. (Dies ist m. E. so deutlich, daß es i n keiner Weise zu bemängeln ist, w e n n Canaris, J Z 1968, 494 ff., i n einem w o h l als vollständig gedachten Überblick über die Problematik aufopferungsrechtliche Gedanken überhaupt nicht erwähnt.) Es bedarf, u m zu diesem E r gebnis zu kommen, auch nicht eines Abstellens auf das notwendigerweise stets unscharfe Argument, bei der Aufopferungshaftung gehe es darum, das Interesse der einen Partei gegen das der anderen zurückzusetzen, u n d dies sei bei der Herstellerhaftung nicht gegeben. (So etwa Diederichsen, S. 362 f.; Giesen, N J W 1968, 1401 ff. m.w.N.; letzterer auch insoweit unrichtig, als er i n einer bestimmten Fallgruppe — a.a.O., Fn. 105 — doch die A n w e n d u n g aufopferungsrechtlicher Grundsätze f ü r richtig hält. Dieser I r r t u m bei Giesen resultiert daraus, daß Parallelen zum öffentlichen Recht gezogen werden, ohne dort zwischen Gefährdungshaftung u n d Aufopferungshaftung zu unterscheiden; vgl. dazu auch u., § 6 II.)

§ 6. Parallelen zwischen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Aufopferung (Enteignung) Der Nachdruck, m i t dem hier die Unterscheidung zwischen privatrechtlicher Aufopferung und öffentlich-rechtlicher Aufopferung (Enteignung) vertreten wird, darf nicht dazu verführen, die vielen Parallelen zwischen beiden Instituten zu übersehen. Vielmehr sind gerade diese Parallelen rechtsdogmatisch so bedeutsam, daß sie hier nicht übergangen werden können, selbst wenn dabei eine unmittelbare praktische Bedeutung der dogmatischen Erörterungen nicht immer aufgezeigt werden kann. Die Parallelität zeigt sich besonders i n vier Punkten: Bei der Problematik der Abgrenzung zwischen entschädigungslosen und entschädigungspflichtigen Eingriffen (I), bei der Abgrenzung beider Institute von der Gefährdungshaftung (II), beim „Übermaßverbot" (III) und schließlich bei der Frage der Generalklauseln i m Eigentumsrecht (IV). I. Entschädigungsfrage Für die Abgrenzung zwischen entschädigungslosen und entschädigungspflichtigen Eingriffen bei der privatrechtlichen Aufopferung war oben 1 gezeigt worden, daß das Gesetz m i t drei Kriterien arbeitet: M i t dem „Sonderopfer", m i t der „Zumutbarkeit" und m i t der „Ortsüblichkeit". Genau dieselben Kriterien werden zur Abgrenzung der zu Entschädigung verpflichtenden Enteignung von der entschädigungslos hinzunehmenden „Sozialbindung" verwendet: 1. Für das „Sonderopfer" w i r d die Parallelität schon aus dem Begriff selbst klar. Es ist seit der grundlegenden Entscheidung vom 10. Juni 19522 das Abgrenzungskriterium der Enteignungstheorie des BGH: „Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz kennzeichnet die Enteignung. Gerade u m i h n wieder auszugleichen, fordert die Enteignung eine diesen A u s gleich gewährleistende Entschädigung des Enteigneten, w ä h r e n d die alle gleich treffende allgemeine inhaltliche Begrenzung des Eigentums keine E n t schädigung fordert." 1 2

§ 5 I V 2. B G H Z 6, 270 ff.

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§ 6. Privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Aufopferung

Ebenso läßt sich aber auch begründen, warum Immissionen, denen i. d. R. alle Grundeigentümer augesetzt sind (normaler Lärmpegel einer Großstadt, normaler Rauch aus den Schornsteinen von Wohnhäusern), entschädigungslos bleiben und warum Einwirkungen, denen typisch immer nur einige einzelne Grundeigentümer ausgesetzt werden (Immissionen einzelner größerer Industriebetriebe), nur gegen Entschädigung geduldet werden müssen. 2. Aus dem Enteignungsrecht ist bekannt, daß der B G H m i t diesem K r i t e r i u m des Sonderopfers nicht auskam. Er sah sich gezwungen, neue Formeln zu entwickeln, die er selbst zwar nur als Differenzierungen qualifizierte, die aber i n Wahrheit wesentlich neues brachten. Zwingend wurden diese Differenzierungen, als Fälle zur Entscheidung standen, i n denen einerseits zwar viele Einzelne von einem Eingriff betroffen waren, andererseits aber typischerweise nicht alle, also i n den Fällen des „Gruppenopfers". Das K r i t e r i u m Sonderopfer reicht hier nicht aus oder drängt, wenn man es anwendet, eher zur Annahme einer Enteignung als zu einer „Sozialbindung", weil eben nicht jedes Grundeigentum betroffen wird. Beim Gruppenopfer liegt es also — w i l l man nicht i n jedem Fall Enteignung annehmen müssen — nahe, nach weiteren differenzierenden Kriterien zu suchen. Der B G H hat ein solches K r i t e r i u m in dem Merkmal der „Situationsgebundenheit" gefunden 3 : „Der Gleichheitssatz schützt gegen ungleiche Behandlung bei i m wesentlichen gleicher tatsächlicher Lage, so daß auch n u r die Personengruppen v e r glichen werden können, die sich i n der grundsätzlich gleichen Situation befinden. Deshalb sind der Gesetzgeber u n d die Verwaltungsbehörden nicht gehindert, verschiedene Personengruppen aus sachlichen Gründen, die sich aus der verschiedenen tatsächlichen Lage, aus der Situationsgebundenheit vernünftigerweise ergeben, differenziert zu behandeln."

Daher kann nach Meinung des B G H ein landwirtschaftliches Grundstück i n der Nähe einer Stadt und innerhalb eines dicht besiedelten und 3 Vgl. B G H Z 23, 30, 32 („Grünflächenurteil"). Dieses M e r k m a l ist allerdings i n der Enteignungsrechtsprechung längst v o r dem B G H bekannt gewesen. Schon das p r O T hatte i n einer Entscheidung v o m 15.11.1859 (amtl. Sammlung, Bd. 20, 101 ff.) die besondere Lage eines Grundstücks zum entscheidenden K r i t e r i u m f ü r den Ausschluß von Enteignungsentschädigung gemacht: I m Zuge der Erweiterung der Stettiner Festungswerke w u r d e n die G r u n d stücke einiger Eigentümer m i t größeren Einschränkungen hinsichtlich der Bebaubarkeit belegt. Das prOT argumentierte, dies folge aus der Lage der betroffenen Grundstücke v o r den Toren der Stadt. I h r e Lage trage also den K e i m der Beschränkung schon i n sich. Diese Argumente gleichen denen der Entscheidung B G H Z 23, 30 verblüffend. Es liegt also nahe anzunehmen, daß dieser Gedanke so fundamental ist, daß er sich i n einschlägigen Fällen i m m e r wieder aufdrängt. — Andere erstaunliche Beispiele übereinstimmender A r gumente i n der Enteignungsrechtsprechung des B G H u n d des prOT bringt Gehrmann, Stadtbauwelt 1967, 1020.

I. Entschädigungsfrage

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hochindustrialisierten Gebietes ohne Verletzung des Gleichheitssatzes und ohne Entschädigung m i t einem generellen Bauverbot belegt werden. Nichts anderes als diese Einbindung des Grundstücks i n die räumlichen Gegebenheiten seiner Umwelt ist auch m i t dem Merkmal der Ortsüblichkeit i n § 906 BGB angesprochen. Wer i m Industriegebiet lebt, muß mehr Lärm, Rauch und Geruch entschädigungslos dulden als jemand, der i n einem K u r o r t wohnt. Diese Parallele geht noch weiter. Es liegt auf der Hand, daß man m i t dem K r i t e r i u m „Situationsgebundenheit" oder „Ortsüblichkeit", wendete man es schrankenlos an, Mißbrauch treiben könnte 4 . Eine Enteignung von Vorgärten zum Zwecke der Straßenverbreiterung z. B. könnte als Sozialbindung deklariert werden m i t dem Argument, die Lage an einer verbreiterungsbedürftigen Straße sei eine besondere Situation; die Gruppe der Anlieger könne daher ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz entschädigungslos enteignet werden. Anscheinend um solchen Argumenten vorzubeugen, sagt der B G H unmittelbar i m Anschluß an die soeben zitierten Sätze: „Jedoch darf auch eine so zulässige allgemeine Eigentumsbeschränkung nicht den Wesenskern des Eigentums . . . antasten." Genauso ist die Rechtslage bei Immissionen: Wäre die Ortsüblichkeit alleiniges Kriterium, so würde das auch den totalen Ruin des Nachbarn entschädigungslos zulassen. Das ist i n der Tat unter der Herrschaft der bis zum 31. 5. 1960 geltenden Fassung des § 906 BGB der Fall gewesen, jedenfalls bis das RG i n der berühmten Entscheidung aus dem Jahre 19375 für ruinöse Beeinträchtigungen praktisch contra legem eine Entschädigungspflicht einführte. Die ab 1. 6. 1960 geltende Fassung des § 906 BGB hat dann das K r i t e r i u m der Zumutbarkeit auch „offiziell" Gesetz werden lassen und das K r i t e r i u m der Ortsüblichkeit damit 4 Außer der i m folgenden T e x t besprochenen Schwierigkeit hat sich beim M e r k m a l der Situationsgebundenheit noch eine weitere Unvollkommenheit gezeigt: Bei Verkehrslinien ist unklar, wonach sich deren „Situation" beurteilen läßt. Eine Verkehrslinie berührt i n i h r e m Verlauf die unterschiedlichsten Gebiete. Es fragt sich dann, ob sie überall ortsüblich ist oder n u r i n Gebieten, w o Verkehrslärm schon vorhanden ist, oder gar nirgends, w e i l sie eben neu ist. F ü r das Enteignungsrecht hat der B G H darauf abgestellt, ob die Verkehrslinie überörtliche Bedeutung hat — dann ist eine f ü r die Dauer der Planung erlassene Bausperre („Veränderungssperre") Enteignung — oder ob sie örtliche Bedeutung hat, also der Erschließung des von der Bausperre betroffenen Gebietes selbst dient — dann liegt entschädigungslose Eigentumsbindung v o r (vgl. B G H Z 15, 268 — „Stuttgarter Bausperrenu r t e i l " — u n d 30, 338 — „Freiburger Bausperrenurteil" —). Dieses M e r k m a l erscheint sachgerechter u n d praktikabler als der Satz, daß die Ortsüblichkeit von Straßen u n d v o n Bahnlinien nach der „Gesamtheit der berührten Bezirke" bestimmt w i r d (so aber RGZ133, 154, zustimmend Westermann, Sachenrecht, §63 I I 3 b); eingehender dazu u., § 8 I I 3. 5 RGZ 154, 161.

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§ 6. Privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Aufopferung

ebenso eingeschränkt, wie der B G H das K r i t e r i u m der Situationsgebundenheit durch das Merkmal „Substanzgarantie". Wie es scheint, fällt damit etwas Licht auf den so unklaren und umstrittenen Begriff der „Substanzgarantie": Jedenfalls dann, wenn er i m Zusammenhang m i t der Einzelrechtsgarantie (und nicht m i t der Institutsgarantie) des A r t . 14 GG gebraucht wird, meint er nichts anderes als „Zumutbarkeit". 3. Damit ist zugleich die Parallelität bezüglich des dritten Kriteriums aufgezeigt: Was i m Nachbarrecht unter „Zumutbarkeit" verstanden wird, taucht i m Enteignungsrecht i n der „Schwere-Theorie" des BVerwG wieder auf 6 , wonach nicht das formale K r i t e r i u m des gleichen oder ungleichen Eingriffs maßgebend ist, sondern das der materiellen Natur und der Schwere des Eingriffs. 4. Eine Lehre, die man aus dieser Parallelität ziehen kann, ist vor allem diese: Es ist nicht möglich, auf dem von § 906 BGB geregelten Gebiet die entschädigungslosen Eingriffe durch ein einziges K r i t e r i u m von dem entschädigungspflichtigen Eingriff abzugrenzen. Alle drei Kriterien müssen zusammenwirken. Dies läßt vermuten, daß das auch i m Enteignungsrecht nicht anders möglich ist. Damit rechtfertigt sich eine deutliche Tendenz i n der Rechtsprechung zum Enteignungsrecht, hier ebenfalls alle Kriterien zu berücksichtigen. So verbindet das BVerwG seine Schwere-Theorie seit kurzem m i t dem Gedanken der Situationsgebundenheit und argumentiert, ein Eingriff sei nicht von enteignender Schwere und Tragweite, wenn er aus der naturgegebenen Lage eines Grundstücks resultiere 7 . Auch der B G H zieht die Zumutbarkeit als Unterscheidungskriterium heran. Abgesehen davon, daß sie, wie gezeigt, bereits i m Gedanken der „Substanzgarantie" enthalten ist, w i r d sie i n der auch aus anderen Gründen erwähnenswerten Entscheidung zur Schädigung von Anliegern beim U-Bahn-Bau 8 ausdrücklich zum entscheidenden K r i t e r i u m gemacht. Dort heißt es: „Die Grenze zwischen entschädigungspflichtiger Enteignung und der entschädigungslos hinzunehmenden Sozialbindung des Eigentums ist dabei nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu ziehen." Auch hier wieder findet sich ein 6

Erstmals deutlich i n B V e r w G E 5, 143 ff. Vgl. B V e r w G E 15, 1 ff. Es scheint allerdings, als sei das B V e r w G i n dieser Entscheidung der oben geschilderten Gefahr des Argumentierens m i t dem Gedanken der Situationsgebundenheit erlegen. Das Ergebnis der Entscheidung w a r nämlich, daß ein Eigentümer 13% seines Grundstücks entschädigungslos f ü r die Verbreiterung eines Deiches zur Verfügung stellen mußte, ein Tatbestand, den m a n nach der Entscheidung B G H Z 6, 270 ff. w o h l als Verstoß gegen die „Substanzgarantie", m.a.W. also als „unzumutbar" bezeichnen müßte. A u f eine tragfähigere Begründung der Entscheidung deutet allerdings der v o m B V e r w G angezogene alte Satz „ w e r nicht w i l l deichen, muß weichen", was bedeutet, daß die Grenzen der Zumutbarkeit i n solchen Situationen seit jeher besonders w e i t gezogen werden. 8 N J W 1965, 1907 ff., „Buschkrugbrücke". 7

II. Abgrenzung Enteignung — Aufopferung — Gefährdungshaftung

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Zurückgreifen auf die Substanzgarantie: Der Wesenskern des Eigentums dürfe auch bei einer rechtmäßigen Maßnahme der Behörde nicht angetastet werden 9 . M. E. ist damit zugleich dargetan, daß es sich bei den Merkmalen der Zumutbarkeit, der Ortsüblichkeit (Situationsgebundenheit) und des Sonderopfers u m fundamentale Kriterien handelt. Wenn sie sich i m Privatrecht wie i m Enteignungsrecht gleichermaßen als sinnvoll und praktikabel erweisen, so gewinnen sie dadurch i n jedem dieser Gebiete an Uberzeugungskraft.

I I . Abgrenzung Enteignung — Aufopferung — Gefährdungshaftung 1. Es ist bekannt, daß i m öffentlichen Recht versucht wird, neben der Enteignung (im technischen Sinne) die „öffentlich-rechtliche Gefährdungshaftung" als ein selbständiges Rechtsinstitut anzuerkennen. Dazu drängen Fälle, i n denen ungleich belastende, schwere Schäden zwar bei Gelegenheit rechtmäßigen Handelns der Verwaltung entstehen, aber nicht den Tatbestand der Enteignung (oder bei Körperschäden der Aufopferung) erfüllen, weil kein wissentlicher und willentlicher, kein „gezielter" Eingriff vorliegt 1 0 . Falls man der Forsthoffschen Lehre folgt, ergeben sich hier dieselben Abgrenzungsschwierigkeiten wie sie oben 11 bei der Abgrenzung zwischen privatrechtlicher Aufopferung und privatrechtlicher Gefährdungshaftung besprochen worden sind. Die Versuchung, alle Fälle, i n denen nicht exakt vorauszusehende Schäden aus typisch „gefährlichem" Handeln eintreten, bequem als Gefährdungshaftung einzuordnen, ist groß. So überrascht es nicht, wenn vielfach auch Beeinträchtigungen typisch nachbarrechtlicher A r t generell als Fälle öffentlich-rechtlicher Gefährdungshaftung angesehen werden 12 . 9 Fast noch deutlicher ist die Übernahme v o n Gedanken der SchwereTheorie i n B G H W a r n 1964 Nr. 122 („Bärenbaude"). — W e i t h i n unbekannt ist, daß der B G H bereits i n der Entscheidung B G H Z 8, 273 ff. ausdrücklich i n der Schwere eines Eingriffs das entscheidende Abgrenzungskriterium gesehen hat (bei Beschränkungen des Anliegergebrauchs infolge straßenbaulicher Veränderungen). 10 Bekanntestes Beispiel: E i n unbeteiligter Passant w i r d bei polizeilichem Einschreiten zufällig v o n einem rechtmäßig abgefeuerten Geschoß getroffen: (BGHZ 20, 81 ff.). — Weitere Beispiele: Explosion eines Munitionsdepots der Bundeswehr; Waldbrand infolge Schießübung (BGHZ 37,44). V o r allem Forsthoff v e r t r i t t seit jeher die Anerkennung der öffentlich-rechtlichen Gefährdungshaftung als selbständiges Rechtsinstitut, vgl. jetzt V e r w R §18, 1; scharf gegen eine solche Annahme etwa Hans J. Wolff V e r w R I, § 66 I I c; ablehnend z. B. auch die Referate v o n Jaenicke u n d Leisner i n V V D S t R L 20, S. 135 ff., 185 ff. u n d Kriele DöV 1967, 536. 11 § 5 VI. 12 Dazu schon o., S. 135 Fn. 100.

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§ 6. Privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Aufopferung

Hier ist ein Fall gegeben, i n dem die Parallelität der entsprechenden Erscheinungen i m Privatrecht und i m öffentlichen Recht fruchtbar gemacht werden kann, nämlich dadurch, daß man die oben 13 als Abgrenzung zwischen privatrechtlicher Aufopferung und privatrechtlicher Gefährdungshaftung erwähnte Michaelissche Formel auch für die Abgrenzung zwischen Enteignung und öffentlich-rechtlicher Gefährdungshaftung verwendet 1 4 : Gefährdungshaftung liegt dann hier wie dort vor, wenn der Schaden nicht hätte verursacht werden dürfen, falls er konkret vorausgesehen worden wäre. Das führt i n den oben 15 genannten Beispielen nicht zu neuen Ergebnissen, sondern bestätigt nur deren Einordnung als Fälle der Gefährdungshaftung. Die Formel ermöglicht aber klarere Differenzierungen auf dem Gebiet der Beeinträchtigung von Grundeigentum durch hoheitliche Betätigung auf benachbarten Grundstücken. Diese Konsequenzen werden unten 1 6 eingehend behandelt. 2. Ein weiteres Abgrenzungsproblem auf dem Gebiet des öffentlichen Entschädigungsrechts für rechtmäßiges Handeln ist das der Unterscheidung zwischen der sogenannten klassischen Enteignung und der sogenannten Aufopferungsenteignung. Wenn beide heute auch vielfach i m Anschluß an Forsthoff 17 überwiegend i m „technischen Enteignungsbegriff" zusammengefaßt werden, so bleibt doch eine Reihe von Stimmen, die die Unterscheidung trotzdem für sinnvoll und eine „Rückkehr zum klassischen Enteignungsbegriff" für richtig halten 18 . Das maßgebende Unterscheidungskriterium liegt i n der Frage, ob der hoheitliche Eingriff auf einen Nutzungsübergang zielt oder nicht. Die Fälle der „klassischen Enteignung" zeichnen sich durch einen solchen Ubergang aus 19 . A u f opferungsenteignung liegt vor, wo nur ein Opfer des Betroffenen abverlangt wird, ohne daß der Vorteil für das Wohl der Allgemeinheit darin liegt, daß die aufgeopferten Befugnisse auf einen Begünstigten übergehen 20 . 13

S. 135. I n welchen Schwierigkeiten sich die Rechtsprechung bei dieser Abgrenzungsfrage befindet, schildert eindringlich Wagner, N J W 1967, 2333 ff. 15 S. 141 Fn. 10. 16 I n § 8. 17 VerwR, S. 313; dazu schon o., S. 50 Fn. 5. 18 Vgl. o., S. 86 Fn. 55. 19 Entgegen einer w e i t verbreiteten Ansicht gehört zur klassischen E n t eignung aber nicht unbedingt ein voller Eigentumsübergang, vielmehr genügt auch der Übergang einzelner Benutzungsarten auf die öffentliche H a n d oder einen begünstigten Unternehmer. Das beweist schon A r t . 9 der pr. Verfassung von 1850, wonach das Eigentum n u r aus Gründen des öffentlichen Wohls „entzogen oder beschränkt" werden konnte. 20 Vgl. dazu etwa Weber, S. 350 f., 371; Forsthoff, S. 313; Meyer-ThielFrohberg, Einl. A , A n m . V 4; Zinkahn-Bielenberg, BBauG, v o r §§40—44 Rn. 18. Gegenüber dieser einfachen Unterscheidung w i r k t der breit angelegte Versuch Janssens gequält. Janssen sieht das K r i t e r i u m der klassischen E n t eignung i n ihrer „finalen F u n k t i o n i m H i n b l i c k auf den (Enteignungs-)Ge14

I I . Abgrenzung Enteignung — Aufopferung — Gefährdungshaftung

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M a n k a n n dieselbe U n t e r s c h e i d u n g i m B e r e i c h d e r p r i v a t r e c h t l i c h e n A u f o p f e r u n g t r e f f e n . (Wesentlichen E r k e n n t n i s w e r t h a t das a l l e r d i n g s n i c h t ; es w i r d d a d u r c h n u r die n a h e V e r w a n d t s c h a f t b e i d e r Gebiete w e i t e r belegt.) E i n E i n g r i f f m i t d e m Z i e l des N u t z u n g s ü b e r g a n g s f i n d e t sich i m R a h m e n d e r b i s h e r besprochenen F ä l l e n u r b e i m N o t w e g u n d b e i m U b e r b a u . M a n k ö n n t e d o r t also a n a l o g z u d e n geschilderten ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n A b g r e n z u n g e n v o n „ p r i v a t r e c h t l i c h e r E n t e i g n u n g " sprechen, w ä h r e n d es i n a l l e n a n d e r e n F ä l l e n b e i d e r B e z e i c h n u n g „ p r i v a t rechtliche A u f o p f e r u n g " b l e i b e n m ü ß t e , w e n n m a n d i e A n a l o g i e auch terminologisch andeuten wollte. 3. Insgesamt gesehen m a g es z w e i f e l h a f t sein, ob es ü b e r h a u p t r i c h t i g ist, z w i s c h e n E n t e i g n u n g , A u f o p f e r u n g u n d G e f ä h r d u n g s h a f t u n g z u unterscheiden. D i e Rechtsprechung des B G H j e d e n f a l l s h a t n a c h d e r U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n klassischer E n t e i g n u n g u n d A u f o p f e r u n g s e n t e i g n u n g auch d e n U n t e r s c h i e d b e i d e r z u r ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n G e f ä h r d u n g s h a f t u n g n i v e l l i e r t : D e r B G H h a t t e zunächst n i c h t g e w o l l t e , „ z u f ä l l i g e " E i n g r i f f e als F o l g e h o h e i t l i c h e r T ä t i g k e i t n i c h t als E n t e i g n u n g angesehen 2 1 . Seit e i n e m U r t e i l v o m 15. 2. 1962 22 w i r d d a r a n n i c h t m e h r festgehalten. I n diesem U r t e i l w u r d e die Vernichtung v o n i m W a l d lagerndem Holz durch Schießübungen der Streitkräfte enteignungsrechtlich behandelt, denn zur Annahme eines Eingriffs i m enteignungsrechtlichen Sinne genüge i n jedem Falle, daß eine hoheitliche Maßnahme „ u n m i t t e l b a r " auf Eigentum einwirke. E i n „gezielter" Eingriff w i r d hier nicht mehr verlangt 2 3 .

genstand" (z. B. S. 160), während der Aufopferungsenteignung diese F u n k t i o n fehle; Enteignung liege also n u r vor, w e n n der Staat bewußt u n d gewollt einen Vermögensgegenstand i n Anspruch nehme; Aufopferungsschäden seien dagegen unbeabsichtigte Folge staatlichen Handelns (S. 161). Das ist z u m i n dest ungenau: „Bewußt", „gewollt", „beabsichtigt" sind oft auch Aufopferungsschäden, zumindest sind sie notwendig mit-gewollt. Das gilt aber i m Grunde auch von allen Nachteilen, die dem Betroffenen i n der klassischen Enteignung entstehen. I h r Zweck liegt nicht i n der Wegnahme; diese ist auch n u r notwendige Konsequenz eines „höheren Zwecks"; z. B.: Zweck einer Enteignung nach § 19 F S t r G ist nicht die Wegnahme von L a n d ; vielmehr ist diese Wegnahme n u r M i t t e l zur V e r w i r k l i c h u n g des Zwecks Straßenbau. Der Unterschied liegt lediglich darin, daß bei der klassischen Enteignung die Wegnahme oder Beschränkung erfolgt, u m das Enteignungsobjekt zu benutzen, während bei der Aufopferung keine Benutzung vorliegt, sondern eine andere, u. U. aber durchaus gewollte, Beeinträchtigung. 21 Vgl. B G H Z 12, 57 u n d 23, 240. 22 B G H Z 37, 44 ff. 23 I n einer späteren Entscheidung, DVB1 1965, 83 f., w i r d ausdrücklich bestätigt, daß damit das Erfordernis des gezielten Eingriffs aufgegeben ist; dabei ging es allerdings u m nicht beabsichtigte u n d nicht vorhergesehene Gebäudeschäden infolge v o n Kanalisationsarbeiten, nach der hier vertretenen Abgrenzung also u m einen Aufopferungs- (bzw. Enteignungs-)Fall: Die Schäden hätten auch dann verursacht werden dürfen, w e n n sie konkret v o r hersehbar (und nicht zu verhindern) gewesen wären.

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§ 6. Privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Aufopferung

Damit werden alle Gefährdungstatbestände i n die Enteignung einbezogen. Das ist konsequent, wenn man m i t Forsthoff 24, die Aufgabe des Enteignungsbegriffs nur noch darin sieht, zwischen entschädigungslosen und entschädigungspflichtigen Eingriffen zu unterscheiden 25 . Hier fragt sich jedoch, ob nicht doch Gründe vorliegen, die die Herausstellung der dogmatisch — wie gezeigt — deutlich möglichen Unterscheidungen fordern. A u f zivilrechtlichem Gebiet ist es vor allem die eventuell unterschiedliche Höhe der Entschädigung, die die Unterscheidung zur Gefährdungshaftung rechtfertigt: Ansprüche aus Gefährdungshaftung gehen gewiß auf vollen Schadenersatz gemäß § 249 BGB, Ansprüche aus privatrechtlicher Aufopferung u. U. nicht 2 6 ; und: privatrechtliche Aufopferung ist ein allgemeines Prinzip; wo sie vorliegt, muß entschädigt werden; Haftung aus Gefährdung ist — zumindest i m Privatrecht — nur gegeben, wo sie gesetzlich angeordnet ist. Die u. U. unterschiedliche Höhe des Ersatzanspruchs rechtfertigt aber die Aufrechterhaltung der Unterscheidung auch i m öffentlichen Recht. Es ist kaum anzunehmen, daß die Bestimmung des A r t . 14 Abs. 3, S. 3 GG über die angemessene Höhe der Entschädigung auch für die vom B G H i n die Enteignung einbezogenen Fälle der öffentlichen Gefährdungshaftung gelten soll. Denn bei Erlaß des GG war diese Einordnung der öffentlich-rechtlichen Gefährdungshaftung unbekannt. Die Unterscheidung bleibt zudem deswegen erforderlich, weil mittels der vom B G H vorgenommenen dogmatischen Nivellierung der öffentlich-rechtlichen Entschädigungstatbestände der Gesetzgeber auch bezüglich der Tatbestände der öffentlich-rechtlichen Gefährdungshaftung den Bindungen des A r t . 14 GG unterworfen würde. Das ist er aber gewiß nicht, da, wie gesagt, bei Erlaß des GG die öffentlich-rechtliche Gefährdungshaftung nicht zur Enteignung gehörte. Bei ihr ist der Gesetzgeber also wesentlich weniger verpflichtet, Entschädigungen vorzusehen als bei der Enteignung, jedenfalls kann diese Verpflichtung nicht aus A r t . 14 GG folgen, woraus sich erhebliche Differenzierungen ergeben könnten. Es dürfte sich also empfehlen, den Unterschied zwischen Gefährdungshaftung und Enteignung (Aufopferung) auch i m öffentlichen Recht völl i g analog zum Privatrecht beizubehalten 27 . Ebenso spricht einiges für 24

S. 313. Wobei Forsthoff, a.a.O., insofern inkonsequent ist, als er m i t diesem Argument zwar das Aufgehen der klassischen Enteignung u n d der Aufopferungsenteignung i n der einheitlichen „technischen Enteignung" befürwortet, andererseits aber m i t großem Nachdruck die öffentliche Gefährungshaftung als selbständiges Rechtsinstitut verficht. 26 Vgl. o., § 5 I V 3. 27 I n welche Schwierigkeiten u n d dogmatische Unklarheiten m a n gerät, w e n n m a n diese Differenzierung v e r w i r f t , zeigt sich etwa bei Kriele DöV 1967, 536 f.: Dieser lehnt das I n s t i t u t der öffentlich-rechtlichen Gefährdungs25

III. Übermaßverbot

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die Beibehaltung der Unterscheidung zwischen klassicher Enteignung und Aufopferungsenteignung. Daß diese Unterscheidung möglich und fundamental ist, zeigt die Parallele zum Privatrecht. Daß sie zumindest i m öffentlichen Recht auch praktisch wichtig ist, zeigt sich an den Konsequenzen i n bezug auf die Junctimklausel: Es läßt sich durchaus vertreten, daß A r t . 14 GG unter Enteignung zwar gewiß alle Fälle der klassischen Enteignung fassen w i l l , aber vielleicht nicht alle Fälle der Aufopferungsenteignung 28 , so daß diese Fälle zum Teil nicht unter die Junctimklausel des A r t . 14 Abs. 3, S. 2 GG fallen würden, was eine vielfach bedauerte, nicht sachgerechte Beschränkung des Gesetzgebers wegfallen lassen würde.

III. Ubermaßverbot Ein scheinbar rein öffentlich-rechtlicher Gedanke ist der des „Ubermaßverbots", also das insbesondere von der Enteignung her bekannte Prinzip, daß ein Eingriff nicht weiter gehen darf, als es sein Zweck verlangt, der Eingriff muß „erforderlich" und „verhältnismäßig" sein. Bezeichnenderweise ist es aber gerade das Institut der privatrechtlichen Aufopferung, i n dem sich eine privatrechtliche Parallelerscheinung aufzeigen läßt: Gemäß § 906 Abs. 2, S. 1 BGB sind wesentliche, ortsübliche Beeinträchtigungen nur dann zulässig, wenn sie nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden können. Auch Einwirkungen i m Rahmen von § 26 GewO, die durch solche Maßnahmen unterbunden werden könnten, sind rechtswidrig 29 , jedenfalls hat der Nachbar A n spruch darauf, daß solche „unnötigen" Beeinträchtigungen unterbleiben. Auch gemäß § 917 BGB darf nur derjenige Notweg verlangt werden, der erforderlich ist („notwendige Verbindung"), § 904 BGB beschränkt die Notstandshandlung auf „notwendige" Fälle. haftung ab, k a n n dann aber die entsprechenden Fälle nicht als Enteignung ansehen (auch nicht die Fälle, i n denen es u m Sachschäden geht), w e i l er der Junctim-Klausel entgehen w i l l ; vielmehr muß er sie i n die Kategorie „ A u f opferung" einordnen, ohne zeigen zu können, w o der Unterschied zwischen Aufopferung, Enteignung u n d öffentlich-rechtlicher Gefährdungshaftung liegt. Krieles Ausführungen erwecken den Eindruck, als sei „Aufopferung" n u r ein anderer Name f ü r öffentlich-rechtliche Gefährdungshaftung. I m ü b r i gen übersieht er, daß der B G H diese Fälle unter den „enteignungsgleichen Eingriff" einordnet, w o aber auch zwischen zwei verschiedenen Fallgruppen unterschieden werden muß; dazu schon o., S. 103 Fn. 92. 28 So spricht sogar der B G H noch i n B G H Z 8, 273 ff. i n einem Falle der Beeinträchtigung eines Grundeigentümers durch Beschränkungen des Z u gangs zu seinem Grundstück nicht von Enteignung, sondern allein von A u f opferung u n d zitiert nicht A r t . 14 GG, sondern ausschließlich § 75 Einl. A L R . Hierzu eingehend u., § 9 V 2 a. 29 Das ergibt sich zwar nicht deutlich aus dem Wortlaut der Vorschrift, entspricht aber dem analogen § 906 Abs. 2, S. 1 B G B ; so ausdrücklich Meisner-Stern-Hodes, S. 725 Fn. 48. 10 Schulte

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§ 6. Privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Aufopferung

Das alles ist nichts anderes als das Übermaßverbot i m Privatrecht 3 0 . Die Parallelität i n diesem P u n k t ermöglicht folgendes Argument: K r i t e r i u m dafür, was privatrechtlich übermäßig ist, ist ein wirtschaftlicher Maßstab: Die wirtschaftliche Zumutbarkeit, also etwa Fragen der Rentabilität des Betriebes, dessen Emissionen i n Frage stehen. Dann w i r d m a n die Parallele auch i m öffentlichen Recht so w e i t durchzeichnen dürfen: Auch hier werden dann wirtschaftliche Maßstäbe bei der Beurteilung dessen, was übermäßig ist, anzuwenden sein, also etwa bei der Frage, ob die öffentliche Hand bei einer Enteignung darauf verwiesen werden kann, ein eigenes Grundstück zu benutzen, statt zu enteignen. Uberhaupt deutet dieses Argument dahin, daß der generelle Satz, „fiskalische" Erwägungen seien bei der Enteignung unzulässig, falsch ist, jedenfalls insoweit, als man jede finanzielle Erwägung schon als eine derartige unzulässige „fiskalische" Erwägung qualifiziert 3 1 . TV. Generalklausel Eine weitere Parallele zwischen privatrechtlicher Aufopferung u n d dem Recht öffentlich-rechtlicher Eingriffe i n Eigentum ist schon angedeutet worden 3 2 : Sowohl i m privaten, als auch i m öffentlichen Eigentumsrecht findet sich heute eine Generalklausel, die den Eigentumsinhalt „aufgeweicht" hat: I m privaten Eigentumsrecht ist es das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, i m öffentlichen Eigentumsrecht A r t . 14 Abs. 2 GG. Diese Gemeinschaftsbezogenheit des Eigentums verbietet es auf beiden Gebieten, einen inhaltlich gesetzlich exakt festgelegten Eigentumsinhalt anzunehmen, w e i l es Fälle geben kann, i n denen die U m weltbezogenheit des Eigentums abweichende Entscheidungen fordert 8 3 . So ist es nicht überraschend, wenn Kühler 34 u n d jetzt andeutungsweise auch Raiser 35 den Gedanken des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses unmittelbar auf A r t . 14 Abs. 2 GG zurückführen. M a n mag das auch eine „ D r i t t w i r k u n g " der Grundrechte nennen oder von einer „privatrechtsgestaltenden W i r k u n g " der Grundrechte sprechen 36 , sofern 30

Es wäre daher unrichtig, die Rechtsausübung hier als n u r durch das Schikaneverbot des § 226 B G B begrenzt anzusehen. Gewiß kann man demgegenüber auch formulieren, das private subjektive Recht bestehe gar nicht, wo das Übermaßverbot eingreife; übermäßige Rechtsausübung sei daher keine „Rechts"-Ausübung. Aber das wäre eine Wortspielerei, die man dann ebenso bei den fraglichen öffentlich-rechtlichen Erscheinungen anwenden könnte, w o m i t die völlige Parallelität wiederhergestellt wäre. 31 Hierzu schon o., S. 86 Fn. 53. 32 o., § 5 I I . 33 Dazu auch schon o., § 5 I I . 34 AcP 159, 236. 35 Grundgesetz u n d Privatrechtsordnung, S. 26. 36 Raiser, a.a.O.; Baur, Sachenrecht, §24 I 4, spricht davon, i n „Grenzfällen" könne „das i n A r t . 14 Abs. 2, S. 1 enthaltene Werturteil eine unmittelbar

IV. Generalklausel

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man nur anerkennt, daß dieser Gedanke i m privaten Nachbarrecht längst vor Inkrafttreten des GG wirksam war. Allerdings dürfte die Erkenntnis der Identität des Prinzips des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses m i t dem Gedanken des A r t . 14 Abs. 2 GG dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis noch eine erhöhte Durchschlagskraft verleihen. Andererseits ist davor zu warnen, m i t der Heranziehung des A r t . 14 Abs. 2 GG i m Nachbarrecht nun auch wieder öffentlich-rechtliche Vorstellungen i m Nachbarrecht einzuführen. Vor allem wäre es verfehlt, hieraus irgendetwas dafür abzuleiten, daß private Eingriffsrechte auch etwas m i t A r t . 14 Abs. 3 GG zu t u n haben könnten. Auch sollte man sich darüber klar sein, daß die Zurückführung privatrechtlicher Erscheinungen, hier des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses, auf A r t . 14 Abs. 2 GG auch die Gefahr einer Verflachung rechtsdogmatischer Betrachtung m i t sich bringt. Die Rückführung privatrechtlicher Erscheinungen auf A r t . 14 Abs. 2 GG mag diesen Erscheinungen eine besondere „Weihe" geben und dadurch geeignet sein, sie gegenüber einseitigen „Herr-im-Haus"-Standpunkten von Eigentümern zu verteidigen und durchzusetzen. Aber wenn man die unterschiedlichsten Erscheinungen auf die wenig konkrete Aussage des A r t . 14 Abs. 2 GG zurückführt, so verführt das auch dazu, u. U. wichtige Unterschiede zu vergessen: Wenn man aus A r t . 14 Abs. 2 GG sowohl die Berechtigung herleitet, polizeiliche Eingriffe aufgrund der Zustandshaftung entschädigungslos vorzunehmen, als auch nachbarrechtliche Eingriffe hieraus rechtfertigt und schließlich noch das „soziale Mietrecht", so verbaut man sich leicht die Einsicht, daß es i m Grunde doch gänzlich unterschiedliche Kriterien sind, die diese Eingriffe rechtfertigen.

verbindliche Richtlinie f ü r die Entscheidung des Richters i m Rahmen der Generalklauseln sein", insbes. bei der Gestaltung nachbarrechtlicher V e r hältnisse. 10*

§ 7. Die gewerberechtliche Anlagegenehmigung I. Das Genehmigungsverfahren als Vorkontrolle privater Tätigkeit Wie schon gesagt, liegt die praktische Bedeutung des Hechtsinstituts der privatrechtlichen Aufopferung besonders dort, wo die Eingriffsbefugnisse Privater nicht „ u n m i t t e l b a r " gegeben sind, wo sie nicht als ein k r a f t Gesetzes ohne weiteres bestehender Anspruch zwischen P r i vaten gestaltet sind, sondern dort, wo erst eine behördliche Entscheidung diesen Anspruch begründet. Dort soll, so lautet die hier weiter zu belegende These, das I n s t i t u t der privatrechtlichen Aufopferung eine sinnvolle Alternative zu der sonst unausweichlich öffentlich-rechtlichen Einordnung darstellen. E i n erster Fall, an dem dies demonstriert werden kann, ist der der gewerberechtlich privilegierten Betriebe 1 . 1. Es k a n n nicht überraschen, daß bezüglich der dogmatischen Einordnung der Einwirkungsbefugnis gem. § 26 GewO — oder auch der m i t der Einwirkungsbefugnis korrespondierenden Entschädigungspflicht — Unsicherheit herrscht. So heißt es bei Westermann 2, der Entschädigungsanspruch aus § 26 GewO sei „ein besonders geregelter F a l l des allgemeinen Aufopferungsanspruchs". Dieser allgemeine Aufopferungsanspruch setzt aber einen Eingriff von hoher Hand voraus. Geradezu irreführend ist es, wenn es bei Palandt-Gramm 3 heißt, die Rechtsprechung habe i m Hinblick auf §§ 16, 26 GewO den Grundsatz entwickelt, es sei Entschädigung zu leisten, wenn dem Geschädigten durch Sondervorschriften die Abwehrbefugnis entzogen sei, u n d diese Ersatzpflicht sei früher aus entsprechender A n w e n d u n g von §§ 74, 75 E i n l . A L R abgeleitet worden, „während der B G H solche Eingriffe seit B G H Z 6, 270 als Enteignung behandelt". Hier w i r d jeder Unterschied zwischen privater Einwirkungsbefugnis u n d hoheitlichem Eingriff verwischt 4 . Es w i r d übersehen, daß der B G H i n der genannten Entscheidung stets n u r „Eingriffe von hoher Hand" u n d „enteignungsgleiche Eingriffe" behandelt, 1 D. h. Betriebe, die gem. § 16 Abs. 1 i.V.m. der i n § 16 Abs. 3 genannten RechtsVO genehmigt oder gem. § 24 Abs. 1 Nr. 2 erlaubt sind. 2 Maßnahmen, S. 18. 8 Einf. vor § 823 Anm. 4 a. 4 Ebenso bei Gehrmann, Gutachten, S. 93, der ohne weiteres behauptet: „Sachlich entspricht der Anspruch auf Schadloshaltung dem Anspruch auf Enteignungsentschädigung".

I. Das Genehmigungsverfahren als Vorkontrolle privater Tätigkeit

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also von privatrechtlichen Eingriffsbefugnissen gar nicht spricht. Darauf weist auch Schach 5 hin, der feststellt, es bleibe offen, w i e sich der B G H zu Schädigungen stellen würde, die nicht auf einem hoheitlichen Eingriff gegenüber dem Geschädigten beruhen. Schach 6 stellt heraus, daß es sich i m Immissionsrecht darum handelt, daß die E i n w i r k u n g e n des staatlichen Handelns n u r indirekt schädigen, daß das Staatshandeln sich rechtlich nicht gegen den Betroffenen richtet, w e n n es i h n auch schädigend i n Mitleidenschaft zieht.

2. Schon eine Gegenüberstellung der gewerberechtlichen Fälle m i t den Fällen des § 906 Abs. 2 BGB zeigt, wie unbefriedigend es wäre, der behördlichen Genehmigung die Bedeutung beizulegen, daß sie über die Einordnung der Fälle als privatrechtliche Aufopferung oder als Enteignung entscheiden könnte: I n beiden Fällen geht es gleichermaßen u m Einwirkungen, die den Nachbarn unzumutbar schädigen. I n beiden Fällen geht es aber vor allem darum, daß für die Einwirkung kein öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne geltend gemacht werden kann. Vielmehr ist i n beiden Fällen öffentliches Interesse stets nur auf der Ebene des Gesetzgebers, als Gesetzeszweck, zu erkennen: Gewerbebetriebe werden i m Einzelfall nicht deshalb genehmigt, w e i l etwa an dem konkreten Betrieb ein öffentliches Interesse bestände. Es kann keine Rede davon sein, daß nur die für das Gemeinwohl unentbehrlichen Betriebe genehmigt würden 7 . Wollte man hier öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne verlangen, dann müßte die Behörde Einfluß nehmen auf die Standortwahl (geringstmöglicher Eingriff) und auf das Produktionsprogramm. Vor allem könnte das öffentliche Interesse auch nachträglich wieder wegfallen, und damit würden die Einwirkungen der Betriebe wieder unzulässig werden. Das alles sind gänzlich unannehmbare Konsequenzen. I n § 906 Abs. 2 BGB aber sind ganz ähnliche Fälle geregelt, jedoch ohne Einschaltung einer behördlichen Genehmigung. Das führt immer wieder zu dem Schluß, daß eine unterschiedliche dogmatische Einordnung der Fälle des § 906 Abs. 2 BGB und der des § 26 GewO nicht richtig sein kann. Entweder sind beide Fälle enteignungsrechtlich zu behandeln, oder aber es geht in beiden Fällen u m privatrechtliche Aufopferung. Weil aber i n beiden Fällen i m einzelnen Anwendungsfall nicht zu prüfen ist, ob öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne vorliegt, scheidet die Einordnung als Enteignung aus, und es bleibt nur die Qualifizierung als privatrechtliche Aufopferung. 5

J Z 1956, 426, r. Sp. J Z 1956, S. 428. 7 Das w i r d i n § 22 a GewO anerkannt. Nach dieser Vorschrift bedarf es des Genehmigungsverfahrens der § 17 ff. GewO nicht, „sofern ein öffentliches Interesse an der Errichtung der Anlage besteht". Selten w i r d einmal schon i m Gesetz so deutlich, daß es zwei A r t e n v o n öffentlichem Interesse gibt: Das allgemeine öffentliche Interesse (hier der gesetzgeberische Zweck, der hinter allen Vorschriften der GewO steht) u n d das konkrete, i n § 22 a GewO 6

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§ 7. Die gewerberechtliche Anlagegenehmigung

3. T r o t z d e m m a g n a c h w i e v o r als b e f r e m d l i c h erscheinen, daß h i e r ein hoheitlicher A k t , der einem Grundeigentümer Abwehransprüche aus § 1004 B G B n i m m t , u n d z w a r m i t „ k o n s t i t u t i v e r " W i r k u n g , n i c h t w i e andere h o h e i t l i c h e E i n g r i f f e i n E i g e n t u m als e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h e r E i n g r i f f b e h a n d e l t w e r d e n soll. A b e r d e r a r t f o r m a l e B e t r a c h t u n g s w e i s e n sind, w i e h i e r schon m e h r f a c h e i n g e h e n d k r i t i s i e r t 8 , u n z u l ä n g lich. a) I n d e r T a t l ä ß t sich die n a c h § 16 G e w O e r f o r d e r l i c h e G e n e h m i g u n g auch anders verstehen, n ä m l i c h als eine Präventivmaßnahme, als e i n V e r f a h r e n , das e i n e r p r i v a t e n R e c h t s a u s ü b u n g vorgeschaltet w i r d , d a m i t b e i e r f a h r u n g s g e m ä ß besonders s t a r k e m i t t i e r e n d e n B e t r i e b e n schon v o r i h r e r E r r i c h t u n g d a r a u f geachtet w e r d e n k a n n , daß sich i h r e E m i s s i o n e n i m R a h m e n des u n b e d i n g t N o t w e n d i g e n h a l t e n , daß also S c h u t z m a ß n a h m e n z u g u n s t e n der N a c h b a r n — u n d d e r A l l g e m e i n h e i t — eingebaut werden. Rechtsdogmatisch bestände k e i n U n t e r s c h i e d , w e n n schon das B G B — ohne S t a t u i e r u n g eines G e n e h m i g u n g s v e r f a h r e n s — b e s t i m m e n w ü r d e , daß die h e u t e i n d e r R e c h t s v e r o r d n u n g z u § 16 A b s . 3 G e w O beschriebenen B e t r i e b e auch z u d u l d e n seien, w e n n sie n i c h t o r t s ü b l i c h 9 sind, daß sie aber die w i r t s c h a f t l i c h z u m u t b a r e n S c h u t z m a ß n a h m e n z u treffen hätten. besonders angesprochene öffentliche Interesse an einer bestimmten Anlage. H i e r w i r d dieser Unterschied auch i n der L i t e r a t u r erkannt; so heißt es bei Reuß-Janssen (§22a A n m . I I 2) u n d bei Eyermann-Fröhler (GewO, § 2 2 a Rn. 3), das öffentliche Interesse i n § 22 a GewO sei ein „spezifisches" öffentliches Interesse, es genüge nicht, daß der Betrieb der Anlage i m v o l k s w i r t schaftlichen Interesse liege, denn das sei praktisch bei jeder Anlage der Fall. 8 Vgl. insbes. o., § 3. 9 Baur (Lehrbuch, § 2 5 I V 2 e aa) meint allerdings, Gewerbebetriebe dürften nicht genehmigt werden, w e n n sicher sei, daß die nach § 906 B G B zulässigen Immissionen überschritten werden. Das liefe aber darauf hinaus, daß nicht ortsübliche Betriebe nicht genehmigt werden könnten, w e n n von ihnen „ w e sentliche" Immissionen zu erwarten sind, was i n der Regel gerade dann der F a l l ist, w e n n sie nicht ortsüblich sind. §§ 16, 26 GewO hätten dann n u r i n den Fällen Sinn, i n denen zunächst wesentliche Immissionen ortsunüblicher Betriebe nicht vorherzusehen waren, später aber w i d e r E r w a r t e n doch auftreten, sowie i n den Fällen, i n denen ein zunächst ortsüblicher Betrieb später — infolge Veränderungen i n der Nachbarschaft — ortsunüblich w i r d . Eine derartige Beschränkung ist aber aus W o r t l a u t u n d Sinn der §§ 16, 26 GewO nicht zu erkennen. Der W o r t l a u t spricht eher gegen die Ansicht Baurs, vgl. § 16 GewO: „ Z u r Errichtung der Anlagen, welche durch die örtliche Lage ... erhebliche Nachteile herbeiführen können, ist die Genehmigung . . . erforderlich". Dem Sinn der Vorschrift nach k a n n die von Baur vertretene Beschränk u n g nicht richtig sein. M a n denke an die Erweiterung einer — früher genehmigten, inzwischen ortsunüblich gewordenen — Anlage. Die Genehmigung f ü r die Erweiterung müßte versagt werden. Damit w ü r d e u. U. die Modernisierung eines Betriebes verhindert m i t der Folge erheblicher Verluste. M . E. liegt nachbarrechtlich die wesentliche Bedeutung der §§ 16, 26 GewO gerade darin, daß auch Betriebe genehmigt werden können, die v o n Anfang an nicht ortsüblich sind u n d erkennbar wesentlich beeinträchtigen.

I. Das Genehmigungsverfahren als Vorkontrolle privater Tätigkeit

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Wenn demgegenüber die GewO ein vorgängiges Genehmigungsverfahren einschaltet, so braucht dies keinen rechtsdogmatischen Unterschied zu bedeuten, sondern kann auch als eine Maßnahme allein aus Gründen der Praktikabilität verstanden werden, als eine Maßnahme, die nachträglichen Streit verhindert und damit sogar den Betrieben selbst dient, die nach der Erteilung der Genehmigung die Gewißheit haben, rechtmäßige Einrichtungen zu betreiben und rechtmäßig zu emittieren. Ohne Genehmigungsverfahren bestände gleiche Sicherheit nicht 1 0 . Auch würde die Frage, ob Sicherungsmaßnahmen hinreichend und wirtschaftlich zumutbar sind, der Beantwortung durch die Gerichte anheimgegeben, während bei Einschaltung eines Genehmigungsverfahrens hierüber eine sachkundige Behörde zu befinden hat. b) Bei dieser Betrachtungsweise w i r d deutlich, daß die Ausübung der — gesteigerten — Imissionsbefugnis nichts m i t Enteignung zu t u n hat. Eine private Einwirkungsbefugnis ändert ihren rechtlichen Charakter nicht dadurch, daß sie einem behördlichen Genehmigungsverfahren unterworfen wird. Und die behördliche Genehmigung hat dann deutlich nicht mehr Eingriffscharakter gegenüber den Nachbarn, sondern nur die Funktion einer Vorkontrolle privater Tätigkeit. Nur formal geht es hier um eine behördliche Gestaltung des nachbarlichen Verhältnisses. Materiell gesehen ist dieses Verhältnis bereits durch das Gesetz abstrakt determiniert. Von einer behördlichen Gestaltung und einem behördlichen Eingriff sollte man nur dann sprechen, wenn es sich u m Gestaltungen und Eingriffe handelt, die nicht schon i m Gesetz voll determiniert sind. Bei der Genehmigung gem. §§ 16 ff. GewO ist das aber der Fall: Die Genehmigung schafft nicht erst das Einwirkungsrecht, sondern stellt nur fest, daß die Einwirkungen rechtmäßig sind. Sie ist also nur in einem formalen Sinne konstitutiv. c) Diese Erkenntnis deckt sich damit, daß auf die Erteilung der Genehmigung, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, ein Anspruch besteht 11 . Die Behörde, die m i t der Anlagegenehmigung die private Immissionsbefugnis freigibt, hat also zwar infolge dieser Funktion auch gegenüber dem Nachbarn Entscheidungen von erheblicher Tragweite zu treffen. Die vorliegend bestrittene Nähe gewerberechtlicher Anlagegenehmigungen zu enteignungsrechtlichen Entscheidungen läßt sich jedoch trotzdem verneinen, weil die Behörde hier nicht — wie typisch bei der Enteignung — selbständig gestaltend öffentliche Interessen zu konkretisieren hat. Die behördliche Entscheidung ist hier viel10 Den vorbeugenden Charakter der Genehmigung betont B V e r w G N J W 1967, 2326. I n diesem Sinne auch Baur, allerdings von einem anderen Ausgangspunkt her, vgl. die vorige Fußnote. 11 So auch Baur, Sachenrecht, §25 I V 2 e aa; Reuß-Janssen, §18 GewO, A n m . I I I ; B V e r w G N J W 1956, 482; 1967, 2325 f.

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§ 7. Die gewerberechtliche Anlagegenehmigung

mehr — typisch privatrechtlich — durch konditionale Normierung abstrakt generell determiniert 1 2 . Die gesetzliche Regelung, d. h. die gesetzliche Determinierung der behördlichen Entscheidung erfolgt nicht durch eine „isolierte Generalklausel" 13 . Offensichtlich „konditionale Normierungen" 1 4 enthalten die RechtsVO zu § 17 Abs. 2 GewO (nämlich die Bestimmung der privilegierten Betriebsarten) sowie die Bestimmungen der §§16 und 18 GewO. Damit ist die behördliche Entscheidung bereits i m Gesetz vorbestimmt. Auch die Formulierung „erhebliche Gefahren, Nachteile oder Belästigungen" (für das i n § 18 erwähnte „Publikum" und die schon i n § 16 genannten Nachbarn) gibt der Behörde keine Befugnisse zu selbständigen Konkretisierungen, so daß die gewerberechtliche Genehmigung tatsächlich nur die behauptete kontrollierende Funktion hat, nicht aber darüber hinaus eine materiell gestaltende Funktion. d) Nicht selten w i r d gesagt, in § 26 GewO komme der Gedanke eines Vertrauensschutzes für den Betriebsinhaber zum Ausdruck. Dem Unternehmer müsse gewährleistet sein, daß er den genehmigten Betrieb auch tatsächlich betreiben kann 1 5 . Diese Behauptung ist nicht ganz unrichtig, sie setzt aber die Akzente falsch und führt daher i n die Irre 1 6 : Sie klingt so, als sage man, wenn die Behörde den Betrieb schon genehmige, dann sei sie es dem Betriebsinhaber schuldig, daß er den Betrieb auch tatsächlich betreiben kann. Dies würde aber bedeuten, daß die Rechtsfolgeanordnungen des § 26 GewO i m Grunde nur sekundär wären, daß Zweck des Genehmigungsverfahrens etwas anderes wäre als die Privilegierung des Betriebes und nur wohl oder übel auch die Folgen des § 26 GewO haben müsse 17 . Die Dinge liegen aber anders: Die Privilegierung ortsunüblicher Gewerbebetriebe w i r d i n §§ 16, 26 GewO vorausgesetzt. Wegen der u. U. gewichtigen Folgen machen diese Vorschriften die Ausübung der besonderen Immissionsbefugnisse jedoch von einem vor gängigen Genehmigungsverfahren abhängig. Die Situation ist dieselbe, als wäre dem § 906 Abs. 2 BGB ein Satz angefügt, der etwa lautete: „Sämtliche Einwirkungen von Gewerbebetrieben (näher beschriebener Art) sind jedoch auch dann zu dulden, wenn der Betrieb nicht ortsüblich ist; solche Einwirkungen dürfen jedoch erst dann stattfinden, wenn ein behördliches Genehmigungsverfahren vorausgegangen 12

Jedenfalls insoweit, als sie für den Nachbarn relevant ist. Vgl. dazu o., § 4 I V 2. Dazu ebenfalls o., § 4 I V . 15 Vgl. etwa Eyermann-Fröhler, GewO, §26 Rn. 3; Kleindienst, S. 44/45; Wolfg. Schulte, S. 36, 78 f. 16 Dagegen auch Baur, a.a.O. 17 Es wäre dasselbe als w e n n man sagte, Verträge müßten erfüllt werden, u m das Vertrauen des Vertragspartners auf den Bestand des Vertrages nicht zu enttäuschen. 18

14

II. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage im Gewerberecht

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ist, i n dem zu prüfen ist, ob die Anlagen m i t wirtschaftlich zumutbaren Vorkehrungen zum Schutz der Nachbarn versehen sind". e) Rechtsdogmatisch wie verfassungsrechtlich können also keine Bedenken dagegen bestehen, i m gegenwärtigen System dem Genehmigungsverfahren der §§ 16 ff. GewO nur die Funktion einer Vorkontrolle der Ausübung privater Rechtsausübung beizumessen. Es ist ein heute mehr und mehr zu beobachtender Vorgang, daß private Tätigkeit einer behördlichen Vorkontrolle unterworfen wird. Dadurch werden aber weder die private Rechtsausübung noch die behördliche Genehmigung zu hoheitlichen Betätigungen gegenüber denen, die von der privaten Betätigung eventuell betroffen werden 18 . Man mag sagen, diese Genehmigungen dienten öffentlichen Interessen. Das würde aber nicht bedeuten, daß hier konkrete, enteignungsrechtliche öffentliche Interessen durchgesetzt würden. Die öffentliche Kontrolle privater Rechtsausübung ist nichts anderes, als wenn ein Gesetz die Betätigung Privater normiert, also limitiert. Nur w i r d hier, bei §§ 16 ff. GewO, wegen der eventuell schweren Folgen für den Betroffenen — wie auch für den Handelnden (Ersatzpflichtigen) — die Beurteilung der Frage, ob normgerechtes Handeln vorliegt, nicht einem nachträglichen Prozeß zwischen den Beteiligten überlassen — wenn das K i n d schon i n den Brunnen gefallen ist —, vielmehr w i r d zwecks Verhinderung derart „unnötiger" Schäden das Handeln behördlich vorkontrolliert. Dieses Vorziehen des Rechtsschutzes mag den Eindruck erwecken, es liege ein hoheitlicher Eingriff vor. Die Situation ist aber keine andere wie bei einem Gestaltungsurteil, wenn ein Anspruch auf die Gestaltung besteht: Das Urteil ist kein hoheitlicher Eingriff i n die Rechte des verurteilten Beklagten, sondern nur eine prozeßrechtliche „Beschwer". Dieser Befund dürfte es denn auch sein, der dazu geführt hat, daß die gewerberechtliche Einwirkungsbefugnis heute überall als eine privatrechtliche Angelegenheit behandelt wird. Allerdings ist dabei zu betonen, daß erst die Entdeckung des Rechtsinstituts der privatrechtlichen Aufopferung ein dogmatisch tragfähiges Fundament dafür liefert 1 9 . II. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage im Gewerberecht 1. §§ 16, 26 GewO geben Anlaß, auf ein weiteres Problem hinzuweisen, das schon i n diesem Zusammenhang auftaucht, auf die Frage 18 M a n denke an die Genehmigung zum Betrieb eines Kraftfahrzeuges; vgl. auch BVerfGE 20, 150 (Sammlungsgesetz): E i n Erlaubnisvorbehalt besage nicht, daß die erlaubnispflichtige Tätigkeit als solche verboten sei, sondern nur, daß m i t der Rechtsausübung erst nach einer Vorprüfung begonnen w e r den dürfe. 19 Ausdrücklich f ü r die Einordnung der Einwirkungsbefugnis des § 26 GewO bzw. der korrespondierenden Entschädigungspflicht als privatrechtliche Aufopferung: Hans J. Wolf, V e r w R I , § 61 I c ; jetzt auch Schach, B B 1965, 343.

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§ 7. Die gewerberechtliche Anlagegenehmigung

nämlich, ob eine „öffentlich-rechtliche Nachbarklage" zulässig ist: Angenommen, eine Entscheidung der Genehmigungsbehörde berücksichtigt nicht, wie i n § 16 GewO vorgeschrieben, die Belange der Nachbarn; können die Nachbarn dann gegen die Behörde klagen? Eine solche Klage wäre sinnvoll, denn nur sie könnte, anders als die Rechtsbehelfe des § 26 GewO, dazu führen, daß der Betrieb ganz eingestellt wird, bzw. gar nicht erst aufgenommen wird. Die Zulässigkeit einer derartigen gewerberechtlichen öffentlich-rechtlichen Nachbarklage w i r d nirgends bestritten 20 . Dieses Ergebnis ist aus zwei Gründen richtig: Die Genehmigung gemäß § 16 GewO belastet den Nachbarn u. U., weil sie i h m möglicherweise zustehende Abwehransprüche nimmt; außerdem nennt § 16 Abs. 1 GewO die Nachbarn ausdrücklich als Schutzobjekte. Ob dieser zweite Grund für sich allein genügen würde, eine öffentlich-rechtliche Nachbarklage zu begründen, kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls schlägt folgendes Argument durch: Wenn es die Funktion des gewerberechtlichen Genehmigungsverfahrens ist, Streit vorweg auszuschließen, dann muß dieser Streit hier ausgetragen werden können. Die Tatsache, daß die Zulässigkeit einer öffentlichen Nachbarklage i m Gewerberecht unstreitig ist, gibt eine gute Gelegenheit, einige Betrachtungen über die Eigenarten dieser Klagemöglichkeit anzustellen, ohne daß man damit, wie bei der baurechtlichen öffentlich-rechtlichen Nachbarklage, gleich eine breite Skala von ungeklärten Streitfragen anrühren müßte. 2. Es liegt nach den vorstehenden Erläuterungen auf der Hand, daß es sich dann, wenn die Klage gegen die Anlagegenehmigung erhoben wird, materiell nur noch u m einen rein privatrechtlichen, nachbarrechtlichen Streit handelt. Es geht hier nur noch darum, ob der Betrieb auch i m Verhältnis zum beeinträchtigten Nachbarn überhaupt oder i n der vorgesehenen Form betrieben werden darf. Das ist i m Grunde ein Streit zwischen gleichgeordneten privaten Grundeigentümern. Die Aufgabe der Behörde ist es dann, diesen Streit zu entscheiden, also die Frage, ob der Betrieb den klagenden Nachbarn i n der beabsichtigten Weise beeinträchtigen darf oder nicht. Die A n t w o r t darauf mag sich zwar 2 ® Ausdrücklich für diese Möglichkeit: B V e r w G N J W 1967, 2325 DVB1 1968, 35; B G H N J W 1959, 2014; Menger, V e r w A r c h 1961, 103; Menger/Erichsen, V e r w A r c h 1968, 175 ff.; Baur, Sachenrecht, §25 I V 2 e aa; Reuss-Janssen, § 19 A n m . V 2; Eyermann-Fröhler, GewO, § 17 A n m . I V ; Fuhr, § 18 A n m . 4. Auch die Entscheidung B V e r w G E 11, 331 ff. k a n n hierfür angeführt werden, auch w e n n sie einen F a l l aus dem Gaststättenrecht betrifft. Die K r i t i k an dieser Entscheidung bei Bettermann, N J W 1964, 1545, besagt nichts gegen die Nachbarklage i m Falle des § 16 GewO. A l s Vertreter einer Gegenmeinung ist allerdings Seilmann, N J W 1964, 1545 ff. u n d DVB1 1963, 273 ff. zu nennen, der die öffentlich-rechtliche Nachbarklage prinzipiell auf allen Gebieten ablehnt.

II. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage im Gewerberecht

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nach K r i t e r i e n richten, die weder i m Einflußbereich der beteiligten Grundeigentümer liegen, noch von ihrem W i l l e n abhängen, sondern von den spezifischen Eigenarten des nachbarlichen Raumes, i n dem sie beide liegen. Die A n t w o r t mag auch von K r i t e r i e n abhängig sein, die i n öffentlich-rechtlichen Normen festgelegt sind, etwa i n Vorschriften über zulässige Phon-Stärken oder über Entgiftungsanlagen, (allgemein von den Festlegungen der aufgrund von § 16 Abs. 3, S. 2 GewO zu erlassenden „technischen Anleitung"). Aber das ist auch i n der ohne Zweifel rein privatrechtlichen Vorschrift des § 906 B G B nicht anders: Auch dort spielt i m M e r k m a l der „Ortsüblichkeit" die spezifische Situation des nachbarlichen Raums eine entscheidende Rolle, auch dort sind — bei den Fragen der Wesentlichkeit und der Zumutbarkeit — Richtmaße über Emissionsintensität (z. B. Phonstärken) entscheidende Faktoren. Die einzige Besonderheit bei § 26 GewO liegt also darin, daß erstens über die stittigen Fragen zunächst eine Behörde entscheidet und daß zweitens über diese Fragen vor Auftreten der Immissionen entschieden wird. Das kann nichts daran ändern, daß die Fragen, über die entschieden w i r d , privatrechtlicher A r t sind. 3. Ohne Zweifel ist das für einen Verwaltungsakt eine ungewöhnliche Funktion. Ein Verwaltungsakt gilt i n erster Linie als ein spezifisches M i t t e l zur Ordnung öffentlich-rechtlicher Beziehungen. Sein Modellfall, seine klassische Form ist die Polizeiverfügung. Seit langem kennt aber das Verwaltungsrecht daneben auch gestaltende, insbesondere privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte: So hat Huber für das Wirtschaftsverwaltungsrecht den privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt geradezu als eines der wichtigsten verwaltungstechnischen M i t t e l herausgestellt 21 . Begriff und Institution des privatrechtsgestaltenden Verwaltungsaktes erkennt auch Hans J. Wolff 22 an; ebenso Forsthoff 23, der m i t Recht sagt, diese Verwaltungsakte seien zu einem festen Begriff geworden. Eine privatrechtsgestaltende Funktion speziell der gewerberechtlichen Anlagegenehmigung w i r d auch vom B G H 2 4 anerkannt. Widerspruch gegen diese Begriffsbildung findet sich, soweit ersichtlich, nirgends. Aber es geht hier nicht u m Gestaltung privater Rechte, sondern u m Entscheidung von Streit zwischen zwei Privaten. Dieser Streit geht nicht darum, wie Rechtsbeziehungen zu gestalten sind, sondern darum, wie sie i m Gesetz schon gestaltet sind. Wie gezeigt, hat die behördliche Genehmigung allenfalls formal eine gestaltende Funktion. Materiell gesehen geht es darum, daß die Behörde feststellt, was nach dem Gesetz rechtens ist. Der äußere Eindruck einer Gestaltung entsteht nur da21 22

23 24

a.a.O., S. 78. V e r w R I, § 47 I b, S. 272. § 13, 2 d, S. 260 f. N J W 1959, 2014.

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§7. Die gewerberechtliche Anlagegenehmigung

durch, daß die R e c h t s a u s ü b u n g f o r m a l v o n d e r E r t e i l u n g d e r G e n e h m i g u n g a b h ä n g i g gemacht ist. E i n e m V e r w a l t u n g s a k t streitentscheidende F u n k t i o n beizulegen, ist s y s t e m w i d r i g . D e r „ s t r e i t e n t s c h e i d e n d e V e r w a l t u n g s a k t " ist i n d e r v e r w a l t u n g s r e c h t l i c h e n T h e o r i e aber t r o t z d e m n i c h t u n b e k a n n t . Z u m erstenmal w i r d der Begriff dem Sinn u n d dem Ausdruck nach i n dem „ E n t w u r f einer Verwaltungsrechtsordnung f ü r Württemberg" erwähnt, der zwar nie Gesetz geworden ist, nach allgemeiner Ansicht 2 5 aber eine wissenschaftlich wertvolle Leistung darstellt. Dort findet sich i n A r t . 86 das Verbot, „streitentscheidende" Verwaltungsakte zurückzunehmen oder zu ändern. Die Begründung sagt dazu, ihre Funktion, über die Ungewißheit des Bestehens eines Rechtsverhältnisses zu entscheiden, schließe die Widerruflichkeit wegen des „urteilsmäßigen Charakters" dieser A k t e aus 26 . Der Terminus „entscheidender Verwaltungsakt" taucht i m Schrifttum erstmals i n der 6. Auflage des Lehrbuchs v o n Forsthoff 27 auf. Dieser stellt i h n i n eine Reihe neben befehlende, gestaltende, festzustellende u n d beurkundende Verwaltungsakte u n d kennzeichnet i h n schon dadurch als neue, selbständige Kategorie. Dasselbe gilt von der Einteilung Hans J. Wolffs 28. Eine ausführliche A b h a n d l u n g über den streitentscheidenden Verwaltungsakt findet sich bislang n u r bei Schule 29. Dieser k o m m t nach ausführlicher Untersuchung v o n Schrifttum, Rechtsprechung u n d Gesetzesmaterial zu dem Ergebnis 3 0 , daß dem streitentscheidenden Verwaltungsakt eine „dogmatische Eigenständigkeit" zuerkannt werden muß. Nach den zitierten Beispielen k a n n das i n der T a t heute k a u m noch bezweifelt werden u n d w i r d auch nirgends angegriffen. Bezeichnend ist, m i t welcher Selbstverständlichkeit i n der neueren Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r der „streitentscheidende Verwaltungsakt" als selbständige Kategorie genannt wird31. S y s t e m w i d r i g ist also w e n i g e r die E x i s t e n z s t r e i t e n t s c h e i d e n d e r V e r w a l t u n g s a k t e i m a l l g e m e i n e n , als v i e l m e h r d i e Tatsache, daß d i e gewerberechtliche Anlagegenehmigung einen priuatrechtlichen Streit entscheidet. D e n n b e i fast a l l e n a n d e r e n a u f f i n d b a r e n B e i s p i e l e n h a n d e l t es sich u m S t r e i t i g k e i t e n ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e r N a t u r . Es g i b t aber tatsächlich auch F ä l l e , i n d e n e n der v o n d e r B e h ö r d e entschiedene S t r e i t p r i v a t r e c h t l i c h e r N a t u r ist. Das e r k e n n t Schule 32 a u s d r ü c k l i c h an, w e n n er auch — u n z w e i f e l h a f t r i c h t i g — a u s f ü h r t , daß dies seltene A u s n a h m e n sind. 25 Vgl. z . B . Schule. S.280; Forsthoff, S. 52 Fn. 2; Hans J. Wolff, V e r w R I, § 13 I I b 2, S. 55. 26 Ergänzungsband, S. 76/77. 27 Vgl. dort S. 187 f.; i m übrigen w i r d hier stets die 9. Aufl. zitiert; die entspr. Stelle findet sich dort auf S. 204 f. 28 V e r w R I, § 47 I d, S. 273. 29 S. 277 ff. 30 S. 297. 31 Vgl. z. B. Arnolds, DVB1 61, 170; V G H Kassel DVB1 61, 559; von TureggKraus, S. 132 f. 32 S. 289.

II. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage im Gewerberecht

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Forsthoff erkennt das ebenfalls an, indem er auf den v o m V G H S t u t t g a r t 3 3 entschiedenen F a l l verweist; das gleiche g i l t v o n H a n s J . Wolff wegen der weiten Fassung seines oben 8 4 zitierten Begriffs u n d w e i l er auf den i n §35 BJagdG geregelten F a l l verweist, w o von privatrechtlichen Beziehungen die Rede ist.

Danach widerspricht es nicht der heutigen verwaltungsrechtlichen Dogmatik, auch in der gewerberechtlichen Anlagegenehmigung einen privatrechts-streitentscheidenden Verwaltungsakt zu sehen. Daß diese Annahme dem Wesen der Sache entspricht, war bereits dargelegt. Privatrechtlich gesprochen läßt sich nach allem die Möglichkeit des Nachbarn, eine behördliche Anlagegenehmigung i m Gewerberecht anzufechten, als ein vorbeugender Unterlassungsschutz ansehen. Die A b wehransprüche, die § 26 GewO versagt, werden hier vorab behandelt, können hier noch geltend gemacht werden. Allerdings modifizieren §§ 16 ff., 26 GewO das materielle Recht dahin, daß auch i n diesem Stadium des Verfahrens ein Abwehranspruch gegen ortsunübliche, wesentlich emittierende Betriebe nicht gegeben ist. 4. Die prozessuale Besonderheit des zur Geltendmachung dieser A n sprüche gewählten Verfahrens darf demgegenüber nicht irritieren: Es ist zwar — vom Zivilprozeß her gesehen — abnorm: Wer sich gegen eine Entscheidung i m nachbarrechtlichen Streit wehren w i l l , muß bei der gewerberechtlichen öffentlich-rechtlichen Nachbarklage prozessual nicht etwa gegen den Nachbarn vorgehen. Partei ist vielmehr die entscheidende Behörde. Die Parallele i m Zivilprozeß wäre die, daß man das Gericht verklagen müßte, wenn man seine Entscheidung anfechten will. Aber das sind formale, prozeßrechtliche Eigenarten, die zu Rückschlüssen auf die materielle Natur des zugrundeliegenden Streits nicht berechtigen. Vor allem bedeutet diese Eigenart des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keine Verschlechterung des Rechtsschutzes für den Beteiligten, der i m Prozeß nicht Partei ist. Diejenige der Streitparteien, die nicht Prozeßpartei ist — weil sie den Verwaltungsakt nicht angefochten hat — w i r d „Beigeladene", vgl. §§ 63, 65, 66 VwGO; es liegt ein Fall der notwendigen Beiladung gem. § 65 Abs. 2 VwGO vor, denn die Entscheidung des Gerichts w i r k t notwendig auch für den anderen am streitigen Rechtsverhältnis Beteiligten 35 . Der als Beigeladener am Prozeß Beteiligte aber kann wie eine Partei selbständig Angriffsmittel und Verteidigungsmittel geltend machen, § 66, S. 1 VwGO, als notwendiger Beigeladener auch Anträge stellen, die von denen der Parteien abweichen, § 66, S. 2 VwGO. Die Rechtsmittel stehen gem. §§ 124 Abs. 1, 132 38

VerwRspr. 3,411 f. S. 155 Fn. 22. I n diesem Sinne auch Eyermann-Fröhler, § 23 I I 1, S. 64. 34

35

V w G O , §65 Rn. 27;

Ule,

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§ 7. Die gewerberechtliche Anlagegenehmigung

Abs. 1 VwGO jedem Beteiligten, also auch dem Beigeladenen zu. Dieser hat somit gegen eine Verschlechterung der behördlichen Entscheidung zu seinen Ungunsten vollen gerichtlichen Schutz. Die formale Verschiebung der Parteistellung i m Verwaltungsprozeß hindert daher nicht, daß beide privaten Beteiligten — der eine als Partei, der andere als notwendiger Beigeladener — wie „echte" Parteien agieren können. I I I . Vorteile der vorliegend angewandten Betrachtungsweise Diese gewiß befremdliche, jedenfalls unübliche, auch wohl neuartige dogmatische Behandlung und Einordnung der gewerberechtlichen A n lagegenehmigung würde mißverstanden, wenn man unterstellte, sie erhöbe den Anspruch, die einzig mögliche, die einzig richtige zu sein. Es gibt oft — und so vielleicht auch hier — mehrere „mögliche", „richtige" dogmatische Einordnungen rechtlicher Erscheinungen, Gebilde, Institute. Nicht die Merkmale „einzig möglich" und „richtig" können daher Kriterien für rechtsdogmatische Ergebnisse sein. K r i t e r i u m sind hier vielmehr „Erklärungswert", „innere Folgerichtigkeit" und „Praktikabilität". Diesen Ansprüchen genügt die hier vorgetragene Ansicht m. E. besser als die bisherige dogmatische Behandlung der gewerberechtlichen A n lagegenehmigung. Das zeigt sich in folgenden Punkten: Die bisher einhellige Meinung ist genötigt, zur Erklärung der Befugnis des Nachbarn, gegen die Anlagegenehmigung zu klagen, ein besonderes subjektives öffentliches Recht des Nachbarn gegen die Behörde anzunehmen, ein subjektiv öffentliches Recht auf fehlerfreie Berücksichtigung der nachbarlichen Interessen. Das führt zu Schwierigkeiten bei der Frage, wie dieses subjektive öffentliche Recht entsteht. Man ist gezwungen, es aus § 16 GewO zu entnehmen, wo zwar die Nachbarn erwähnt sind, aber nicht i m geringsten dargetan wird, daß sich für sie aus dieser Erwähnung ein Klagerecht ergibt. Es findet sich auch die Formulierung, das klagbare subjektive öffentliche Recht des Nachbarn ergebe sich daraus, daß er i n seinen Rechten oder i n seinen Interessen betroffen sei. Auch die Rechtschutzgarantie des A r t . 19 Abs. 4 GG w i r d i n diesem Zusammenhang ins Spiel gebracht, was aber die Probleme nicht löst, w e i l eben nicht klar ist, wie und wann ein klagbares subjektives öffentliches Recht entsteht. Selbst wenn man aber einmal diese Schwierigkeiten als gelöst betrachten würde, so bliebe doch folgende Merkwürdigkeit: Das genannte subjektive öffentliche Recht wäre eine Befugnis eines jeden Grundeigentümers, eine Befugnis zudem, die nicht an die Person des Grundeigentümers gebunden wäre, sondern an das Grundstück, ein subjektiv dingliches öffentliches Recht also. Dieses subjektiv dingliche öffentliche

III. Vorteile der vorliegend angewandten Betrachtungsweise

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Recht stände jedem Grundeigentümer neben seinem subjektiven privaten Eigentumsrecht zu. M. E. ist dies eine willkürliche, gewaltsame und vor allem überflüssige Annahme 3 6 . Denn was liegt näher, als auch die Schutzrechte gegenüber der Behörde, also die Befugnis, gegen die Anlagegenehmigung zu klagen, einfach auch als einen Ausfluß des Eigentums anzusehen, also als gemeinsame Quelle aller privatrechtlichen wie aller öffentlich-rechtlichen Abwehransprüche des Eigentümers das Eigentum anzunehmen? Eine solche Auffassung ist hier um so eher möglich, als sie zu der vorliegend vertretenen Auffassung paßt, daß sich die m i t der Klage gegen die Anlagegenehmigung verfolgten Ansprüche gar nicht gegen die Genehmigungsbehörde richten, sondern gegen den Nachbarn, der die Anlage betreiben w i l l . Dies wiederum paßt zu der behaupteten nur streitentscheidenden Funktion der Behörde. Die Ansichten sind also i n sich konsequent. Zugleich haben sie wesentlichen Erklärungswert, den eine öffentlich-rechtliche Auffassung insoweit nicht hat, nämlich bei der Frage, warum die behördliche A n lagegenehmigung gegenüber dem beeinträchtigten Nachbarn keine Enteignung ist, warum für diese Beeinträchtigung kein konkretes enteignungsrechtliches öffentliches Interesse vorzuliegen braucht: Weil es sich u m einen privat-nachbarrechtlichen Streit, um einen Fall der privatrechtlichen Aufopferung handelt 37 . Dies alles mag allerdings für die praktische Anwendung der §§ 16, 26 GewO wenig Bedeutung haben. Es gibt i n der Praxis keine Streitfragen, die die hier vertretene Theorie — man könnte sie eine „extrem privatrechtliche" Theorie nennen — besser als die vordergründig näherliegende öffentlich-rechtliche Theorie lösen könnte. Sie liefert zwar ein tragfähigeres dogmatisches Fundament. Das allein würde aber den Aufwand kaum lohnen. Die hier vertretene Auffassung hat aber eminent praktische Bedeutung bei der baurechtlichen öffentlich-rechtlichen Nachbarklage. Die vorstehenden Ausführungen zu §§ 16, 26 GewO haben also den Zweck, bereits hier ein Fundament für die Behandlung der dort anstehenden Probleme zu legen. 36 Allerdings w i r d diese Annahme von Bullinger, öffentliches Recht u n d Privatrecht, S. 99, anscheinend als die heute herrschende hingestellt. Bullinger kritisiert diese Auffassung sehr zu Recht dahin, daß die Vorstellung eines Eigentums, das als solches n u r gegen Private, nicht aber gegen den Staat w i r k e , vielmehr einen Schutz v o r staatlichen Eingriffen n u r durch besonders gewährte Zusatzrechte erlange, die Konservierung einer überwundenen Staatsauffassung darstelle. 37 Die Tatsache, daß dies keinen Einfluß auf die Frage des Rechtsweges hat, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Die Frage des Rechtsweges muß nach formalen K r i t e r i e n entschieden werden, sie muß i m Interesse der Rechtsklarheit die äußere F o r m der behördlichen Genehmigung entscheidend sein lassen. E i n Zivilgericht k a n n nicht einen Verwaltungsakt aufheben. Der vorliegend entscheidende materielle H i n t e r g r u n d spielt dabei keine Rolle.

§ 8. Zum Nachbarrecht der öffentlichen Sachen Anlagen des öffentlichen Verkehrs wirken i n vielfältiger Weise auf die anliegenden und sonst benachbarten Grundstücke ein. Lärm, Funkenflug und Qualm bei Eisenbahnen, heute vor allem bei Straßenund bei Autobahnen, sind bekannt. Aber nicht nur der Verkehr auf den fertiggestellten Anlagen schafft erhebliche Störungen. Oft führt schon der Bau (evtl. auch Unterhaltung und Veränderung) dieser Einrichtungen zu schwerwiegenden Kollisionen m i t den Interessen der Nachbarn. Lärm, Staub, Geruch beim Straßenbau verursachen nicht selten Schäden für private Gewerbetreibende, wenn sich deren Kunden durch die Baumaßnahmen am ungehinderten Zugang zu Geschäftslokalen gehindert sehen. — Auch andere Grundstücksnutzungen aus Anlaß hoheitlicher Tätigkeit können u. U. nachteilig auf privat genutzte Nachbargrundstücke einwirken: Truppenübungsplätze, Flughäfen, Schulen, Kirmesplätze und Kasernen sind Störungsquellen i m nachbarlichen Raum. — Die Vorschriften über Fälle dieser A r t bilden das Nachbarrecht der öffentlichen Sachen. Lehre und Rechtsprechung haben sich bei der Beurteilung dieser Fälle seit jeher dogmatischen Schwierigkeiten gegenübergesehen. Es sind diese Fälle i m Ergebnis gewiß meist zutreffend gelöst worden. Aber noch heute zeigen diesbezügliche Entscheidungen i n ihren dogmatischen Ausgangspunkten Uneinheitlichkeit und Unsicherheit, so daß auch die Einheitlichkeit i m Ergebnis des Entscheidens als nicht gesichert erscheint. Die Wissenschaft ist auf diesem Gebiet des Nachbarrechts der öffentlichen Sachen noch nicht zu sicheren Grundlagen gekommen. Sie löst die Fälle zwar überwiegend einheitlich privat-nachbarrechtlich. Sie beruft sich dabei jedoch zu Unrecht auf die Rechtsprechung des RG, die das bei genauer Betrachtung nicht voll stützt und auf die Rechtsprechung des BGH, die i n diesen Fragen überraschend uneinheitlich ist. Das soll hier zunächst i m Detail nachgewiesen werden.

I. Enteignungsrechtliche oder nachbarrechtliche Lösung? 1. Als ein Kernsatz der Rechtsprechung des RG mag die Äußerung angesehen werden, auch der Grundbesitz der öffentlichen Hand liege „ i m Bereich des privaten Eigentums" und sei „ m i t diesem den rechtlichen Regeln des bürgerlichen Rechts, insbesondere denen des Nachbar-

I. Enteignungsrechtliche oder nachbarrechtliche Lösung

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rechts, unterworfen, soweit das nicht seinen öffentlich-rechtlichen Aufgaben widerstreite und soweit nicht Sonderbestimmungen eingreifen" 1 . Daraus ergab sich für das RG die Folge, daß die Kollision der Eigentümerinteressen nach privatem Nachbarrecht zu beurteilen sei, obwohl der Eigentümer eines der beteiligten Grundstücke die „öffentliche Hand" war und hoheitlich tätig wurde, nämlich eine Autobahn errichtete und unterhielt. I m einzelnen ging es i n diesem Urteil u m ein Hausgrundstück, das durch den Verkehr auf einer neuen Autobahn beeinträchtigt wurde (infolge Erschütterungen, Lärm, Staub, Motorabgasen, greller Lichtscheine). Die öffentliche Zweckbestimmung des beeinträchtigenden Grundstücks hatte nach Meinung des RG nur die eine öffentlich-rechtliche Folge, daß dem Nachbarn die Abwehrklage gegen nachbarrechtlich „an sich" verbotene Einwirkungen genommen wurde. A n ihre Stelle trete dann ein vom Verschulden unabhängiger „Aufopferungsanspruch aus dem i n §§ 75 Einl.ALR, 26 GewO enthaltenen Rechtsgedanken". I m übrigen sei der Fall nach privatem Nachbarrecht zu beurteilen, insbes. also die Frage, ob überhaupt eine Rechtsüberschreitung vorliege. So kommt es dahin, daß die genannten Einwirkungen des Autobahnbetriebs anhand von § 906 BGB geprüft werden. Die Rechtmäßigkeit (und damit auch die Pflicht zu entschädigungsloser Duldung) w i r d vom RG bejaht, weil i n Gegenden m i t starker Verkehrsentwicklung die Benutzung von Gelände zur Anlage eines notwendigen Verkehrsweges ortsüblich sei2. Als nicht mehr ortsüblich könne allenfalls eine existenzvernichtende oder dem nahekommende Einwirkung angesehen werden 8 ; davon könne bei einer VerkehrswertMinderung von nahezu 50 °/o nicht die Rede sein 4 . Ganz ähnlich war schon die Entscheidung RGZ133, 342 ff. vorgegangen: Eine Eisenbahnlinie war elektrifiziert worden und beeinträchtigte dadurch einen Betrieb, der sich mit feinsten magnetischen Messungen beschäftigte. Das RG erklärte die Benutzung der Eisenbahngrundstücke für nach wie vor ortsüblich und schon deswegen die Beeinträchtigung des Nachbarn als nicht entschädigungspflichtig. Dieselben Grundsätze wurden angewendet bei O-Bus-Linien 5 , Lokomotivschuppen der Reichsbahn 6 und Straßenbahndepots 7 . I n RGZ 167, 14 ff. (26) ging es u m Schäden an der Gründung eines Hauses infolge von Grundwasserabsenkungen bei öffentlichen Bauvor1

RGZ 159,131. a.a.O., S. 138/139. a.a.O., S. 140. 4 a.a.O., S. 141; das ist eine deutliche Anspielung auf den „Gute Hoffnungsh ü t t e " - F a l l i n RGZ 154, 161. 5 RGZ 133, 152. 6 RGZ 70, 150 ff. 7 RGZ 57, 224. 2

3

11 Schulte

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§ 8. Z u m Nachbarrecht der öffentlichen Sachen

h a b e n ( U - B a h n , Reichsbahn, Reichsbank). D i e Z u l ä s s i g k e i t d e r B e e i n t r ä c h t i g u n g w u r d e auch h i e r zunächst n a c h b a r r e c h t l i c h b e u r t e i l t u n d als a n sich n i c h t gegeben angesehen, w e i l § 909 B G B ( i n ausdehnender A n w e n d u n g ) 8 auch d e r a r t i g e F o l g e n v o n T i e f b a u a r b e i t e n v e r b i e t e . D i e E i n w i r k u n g e n seien n u r deshalb h i n z u n e h m e n , w e i l es sich u m F o l g e n gemeinnütziger A r b e i t e n handle9. E i n weiterer, bislang nicht bekannter Fall, i n dem m a n — i n völliger A n a l o g i e z u dieser Rechtsprechung des R G — v o n e i n e m Ausschluß eines a n sich gegebenen A b w e h r a n s p r u c h s d u r c h öffentliches Interesse sprechen k ö n n t e , ist f o l g e n d e r : E i n H e i m f ü r g e i s t i g b e h i n d e r t e K i n d e r — sei es staatlich, sei es v o n e i n e r k a r i t a t i v e n O r g a n i s a t i o n g e t r a g e n — w i r d i n f o l g e g r o b e r F a h r l ä s s i g k e i t des A r c h i t e k t e n a u f e i n N a c h b a r g r u n d s t ü c k ü b e r g e b a u t . „ A n sich" k a n n d e r N a c h b a r gemäß §§ 1004, 912 B G B B e s e i t i g u n g des U b e r b a u s v e r l a n g e n 1 0 . W i e b e i „ g e m e i n n ü t z i g e n " V o r h a b e n , die „ a n sich" n i c h t n a c h §§906 oder 909 B G B g e r e c h t f e r t i g t sind, gegenüber A b w e h r a n s p r ü c h e n aus § 1004 B G B t r o t z d e m öffentliches Interesse e i n g e w e n d e t w e r d e n k a n n , so auch h i e r bez ü g l i c h des A n s p r u c h s a u f B e s e i t i g u n g des U b e r b a u s 1 1 . 8 Nicht etwa unter Verwendung des Gedankens des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses. Das zeigt die i n Bezug genommene Entscheidung RGZ 155, 389 ff., w o es u m einen sehr ähnlichen F a l l ging. 9 RGZ 167, 25. 10 Vgl. die Rechtsprechung des BGH, insbesondere B G H Z 41, 157; 27, 199; w i e Hodes, N J W 1964, 2386 Fn. 20, richtig bemerkt, ergibt sich bei v ö l l i g k o n sequenter A n w e n d u n g dieser Rechtsprechung allerdings kein Beseitigungs-, sondern ein Herausgabeanspruch f ü r den betroffenen Nachbarn hinsichtlich der überbauten Gebäudeteile, da der B G H zwischen betroffenen u n d überbauendem Grundeigentümer ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis a n n i m m t ; dieses kennt einen Beseitigungsanspruch nicht. Es dürfte jedoch interessengerechter u n d gesetzesnäher sein, den Beseitigungsanspruch beim Überbau als nicht durch die Eigentümer-Besitzer-Regelungen ausgeschlossen zu betrachten. — Dazu, daß der Bauherr beim Uberbau grobe Fahrlässigkeit des Architekten zu vertreten hat, vgl. B G H Z 42, 69 — w o das m i t § 166 B G B begründet w i r d — u n d Westermann, Sachenrecht, § 64 I I 3, der dasselbe Ergebnis aus § 278 B G B i n Verbindung m i t dem Gedanken des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses begründet. 11 Z w a r ist die Situation gegenüber den v o m RG entschiedenen Fallgruppen insofern eine andere, als man bei den Immissionen u n d den Vertiefungen davon ausgehen kann, daß die Schädigungen auch dann hätten verursacht werden dürfen, w e n n sie vorhergesehen worden wären, daß also ein E i n griff srecht bestand. Das k a n n man bei dem Überbaufall gewiß nicht sagen; auch das öffentliche Interesse an dem H e i m könnte nie dahin führen, daß ein Recht zur Benutzung des Nachbargrundstücks entstände. Dieser Unterschied k a n n trotzdem nicht dahin führen, i m Überbaufall den Beseitigungsanspruch doch zu geben. Denn der Unterschied zu den Immissions- u n d Vertiefungsfällen folgt nicht etwa aus einer anderen Bedeutung, Stärke oder F u n k t i o n des infrage stehenden öffentlichen Interesses, sondern bereits aus der V e r schiedenheit der gesetzlichen K o n s t r u k t i o n des Uberbaurechts gegenüber §§906 u n d 909 B G B : Überbauen ist auch sonst niemandem positiv gestattet (dazu schon oben, S. 23), n u r der Fortbestand eines einmal — schuldlos — oder leicht fahrlässig errichteten Überbaues ist rechtmäßig. Wenn dieses subjektive Rechtfertigungsmerkmal nicht vorliegt, i m oben genannten F a l l

I. Enteignungsrechtliche oder nachbarrechtliche Lösung

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2. Angesichts der soeben geschilderten Rechtsprechung des R G ü b e r rascht es nicht, daß die L i t e r a t u r u n t e r B e r u f u n g auf das R G den a l l gemeinen Satz aufstellt, G r u n d s t ü c k e der öffentichen H a n d seien w i e alle anderen i n die r ä u m l i c h e Gemeinschaft eingefügt 1 2 . D a b e i w i r d , ganz w i e i n der Rechtsprechung des RG, die öffentlich-rechtliche K o m ponente der F ä l l e gewiß n i c h t übersehen. A b e r diese spielt eine R o l l e n u r b e i m Ausschluß des A b w e h r a n s p r u c h s . D i e Entscheidung a l l e r w e i t e r e n F r a g e n w i r d d e m p r i v a t e n Nachbarrecht e n t n o m m e n . So ü b e r rascht es ebenfalls nicht, w e n n a l l g e m e i n gesagt w i r d , das R G habe i n der oben wiedergegebenen Rechtsprechung den p r i v a t r e c h t l i c h e n A u f opferungsanspruch e n t w i c k e l t 1 3 . 3. Gegen diese dogmatische B e h a n d l u n g des Nachbarrechts h o h e i t l i c h genutzter Grundstücke, also gegen die r e i n p r i v a t - r e c h t l i c h e B e h a n d l u n g der h i e r entstehenden K o l l i s i o n e n l ä ß t sich jedoch folgendes sagen: Zunächst f ä l l t auf, daß das R G selbst i n den z i t i e r t e n Entscheidungen — u n d , soweit ersichtlich, auch sonst — n i r g e n d s v o n „privatrechtlicher A u f o p f e r u n g " o. ä. spricht. Das R G spricht stets schlicht v o n „ A u f opferung" 14. jedoch durch öffentliches Interesse ersetzt werden soll, so bedeutet das nicht, daß damit der öffentlichen Hand und privaten Trägern des öffentlichen Interesses zugunsten von Vorhaben, die i m öffentlichen Interesse liegen, beliebige Überbaubefugnisse zugestanden würden; es w i r d auch hier genau wie beim „normalen" gerechtfertigten Überbau n u r gesagt, daß, wenn der Bau nun schon einmal steht, und das besondere Rechtfertigungsmerkmal vorliegt, er auch stehenbleiben soll. — M. E. besteht hier also kein Beseitigungsanspruch des Nachbarn; a.A. O L G Hamm, U r t e i l vom 11. J u l i 1968, 5 U 156/67. 12 So wörtlich Westermann, Sachenrecht, §63 I I 4 b; sehr ähnlich Wolfg. Schulte, S. 72/73; E. Schneider, M D R 1965, 441; Wiethaup, S. 93; Kleindienst, NJW 1968, 1954. 13 So etwa Soergel-Baur, vor § 903 Rn. 64, 65; Schack, B B 1965, 341 ff.; Palandt-Degenhart, §903 Anm. 3 c; §906 Anm. 5 b d d ; Enneccerus-Nipperdey, §218 I 3, S. 1346; Hubmann, JZ 1958, 489; Faber, NJW 1968, 47; vorsichtiger dagegen RGRK-Pritsch, § 903 Anm. 3, der hier nur von „Aufopferung" spricht, sowie Glaser-Dröschel, S. 167/168, die es als umstritten bezeichnen, ob es sich u m einen öffentlich-rechtlichen oder u m einen bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch handele (und zudem meinen, es handele sich u m „eine A r t Gefährdungshaftung"; ebenso m i t einem eingehenden Begründungsversuch Meisner-Stern-Hodes, S. 782 ff.; zur Abgrenzung zur Gefährdungshaftung vgl. schon o., § 5 V I , sowie nochmals ausführlich m i t Bezug auf die hier behandelten Fälle u., II). Wirklich kritisch jedoch Westermann, Sachenrecht, § 28 I I 2 b, S. 123/124, wo zwar auch behauptet w i r d , das RG habe den bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch entwickelt, jedoch vor allem darauf hingewiesen wird, daß es sich u m Enteignungsfälle handele, da privates Interesse m i t öffentlichem Interesse kollidiere; allerdings zeigt sich hier ein Widerspruch zu der i n der vorigen Fn. zitierten Äußerung Westermanns. Eine — wenn auch sehr kurze, so doch — klare Herausstellung des dogmatischen Problems (und zudem ein m. E. richtiger Lösungsvorschlag) findet sich bei Baur, vgl. u., S. 166 Fn. 24. Für enteignungsrechtliche Betrachtungsweise auch RGRK-JoJiannsen, § 1004 Anm. 45. 14 N u r i n RGZ 137, 183 (189) w i r d einmal davon gesprochen, der Anspruch Ii*

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§ 8. Zum Nachbarrecht der öffentlichen Sachen

Zur Verdeutlichung dessen, wie das RG rechtsdogmatisch vorgegangen ist, muß man zwei Dinge unterscheiden: Einmal die Vorschriften, die es herangezogen hat, u m i n einer Analogie den Entschädigungsanspruch zu begründen und zum anderen die Kriterien, die es verwendet, um zwischen entschädigungslosen und entschädigungspflichtigen Eingriffen zu unterscheiden: Die Unterscheidungskriterien werden i n den genannten Entscheidungen i n der Tat stets dem privaten Nachbarrecht entnommen, nämlich dem § 906 BGB („Ortsüblichkeit") und — i n einem Fall 1 5 — dem § 909 BGB. Der ggf. entstehende Ersatzanspruch w i r d jedoch nicht i n gleich deutlicher Weise als privat-nachbarrechtlicher Anspruch gekennzeichnet. Es werden zur Begründung der erforderlichen Analogie zwar auch §§ 26 GewO u n d 904 BGB herangezogen; es w i r d immer wieder aber auch auf § 75 Einl.ALR verwiesen. I n RGZ 167, 14 ff. w i r d sogar ausschließlich diese Vorschrift zitiert. Wörtlich heißt es dort: „ein sich an den Rechtsgedanken des § 75 Einl.ALR (Entschädigung bei Aufopferung besonderer Rechte und Vorteile zum Wohl der Allgemeinheit) anlehnender Aufopferungsanspruch". Gewiß w i r d man hieraus nicht m i t aller Sicherheit folgern dürfen, das RG habe den zuerkannten Aufopferungsanspruch als öffentlich-rechtlich angesehen. Aber auch das Gegenteil w i r d man hieraus nicht ableiten können. Jedenfalls scheint die Rechtsprechung des RG hiernach nicht mehr eine derart starke Stütze für die herrschende, rein privatrechtliche Auffassung vom Nachbarrecht der hoheitlich genutzten Grundstücke zu sein, wie man bislang annahm. Beachtenswert erscheint auch, daß das RG i n einigen älteren Entscheidungen bei Fällen der vorliegend besprochenen A r t sogar offen von Enteignung sprach 16»17. 4. Vor allem aber ist es heute die Rechtsprechung des BGH, die an der Richtigkeit der herrschenden privatrechtlichen Lösung der Kollision hoheitlicher Grundstücksnutzungen m i t Nachbarn zweifeln lassen muß. aus § 75 E i n l . A L R sei „bürgerlich-rechtlich"; dies jedoch i m Zusammenhang m i t Rechtswegfragen. 15 RGZ 167, 14. 16 Vgl. RGZ 17, 162; besonders deutlich RGZ 59, 70, w o von der einer E n t eignung gleichstehenden Rechtsminderung gesprochen w i r d , die durch die Genehmigung einer Hochbahn zugefügt werde. RGZ 58, 134 zitiert neben §§ 904 BGB, 26 GewO auch den A r t . 9 der preußischen Verfassung v o n 1850 („Das Eigentum ist u n v e r l e t z l i c h . Es k a n n n u r aus Gründen des öffentlichen Wohls gegen . . . Entschädigung nach Maßgabe des Gesetzes entzogen oder beschränkt werden"). 17 Z u r Abgrenzung zwischen Enteignung u n d Aufopferung bei Fällen des Nachbarrechts der öffentlichen Sachen i n der Rechtsprechung des R G u n d zur Bedeutung dieser Rechtsprechung f ü r die Interpretation des A r t . 14 I I I GG eingehender u., § 9 V 2.

I. Enteignungsrechtliche oder nachbarrechtliche Lösung

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Erstaunlich ist, daß i n der Literatur bislang kaum Notiz davon genommen worden ist, daß der B G H die Rechtsprechung des RG nicht übernommen hat. Der B G H verfolgt vielmehr i n einer Reihe von Entscheidungen eine Linie, die den i n der vorliegenden Untersuchung verfochtenen Abgrenzungen nahekommt 18 . So heißt es i n BGHZ 30, 241 ff. (243) schlicht: „ . . . der Bau und die Veränderung derartiger Straßen gehören dem Bereich hoheitlicher Betätigung der Staatsgewalt an. Eingriffe von hoher Hand i n fremdes Eigentum sind geeignet, Ansprüche auf Entschädigung i n Geld auszulösen, sofern damit dem Betroffenen ein Opfer auferlegt wird, das i h n ungleich trifft (BGHZ 6, 270, 280)". Damit ist die Aufopferungsterminologie durch die Enteignungsterminologie ersetzt. Der B G H zitiert statt § 75 Einl.ALR den A r t . 14 Abs. 3 GG. Hierüberhinaus gehen aber einige andere Entscheidungen, wo es u m die Beeinträchtigung von Straßenanliegern durch Straßenarbeiten ging, zunächst die bekannte U-Bahn-Entscheidung vom 5. 7.1965 19 . Hier argumentiert der B G H auch insoweit enteignungsrechtlich — und nicht nachbarrechtlich — als es u m den Umfang entschädigungslos zu duldender Beeinträchtigungen geht, also u m das Abgrenzungskriterium zwischen entschädigungslosen und entschädigungspflichtigen Maßnahmen. Die Beeinträchtigungen durch Rauch, Lärm und Erschütterungen werden nicht an § 906 BGB gemessen, sondern allein an den Kriterien für die Abgrenzung zwischen Enteignung und Eigentumsbindung 20 . Nirgends w i r d — wie es noch das RG tat — gefragt, was der Anlieger schon aufgrund von § 906 BGB zu dulden hat. Zwar wären die Entscheidungen vermutlich nicht anders ausgefallen, wenn der B G H das getan hätte, denn i n diesen Fällen w i r d es nicht viel ausmachen, ob man (enteignungsrechtlich) nach den Auswirkungen der „Situationsgebundenheit" oder (privatrechtlich) nach der „Ortsüblichkeit" fragt. Immerhin bleibt der Unterschied i m grundsätzlichen Ansatz wegen der möglichen Folgen i n anderen Fällen bedeutsam. 18 Allerdings hat der B G H nie ausdrücklich darauf hingewiesen, daß er hier die Rechtsprechung des RG verlassen hat. 19 DVB1 1965, 908 = N J W 1965, 1907; i n die amtliche Sammlung nicht aufgenommen; vgl. ferner B G H W a r n 1964 Nr. 122 = M D R 1964, 656 = L M A r t . 14 GG Cf Nr. 24; außerdem auch schon B G H Z 8, 273. 20 Die Entscheidungen des B G H i n N J W 1965, 1907; W a r n 1964 Nr. 122 u n d B G H Z 8, 273 sind darüber hinaus auch insoweit bemerkenswert, als sie als Abgrenzungskriterium nicht das Sonderopfer heranziehen, sondern die Schwere des Eingriffs. Die Entscheidung B G H Z 8, 273 ist ferner deswegen wichtig, w e i l sie nicht von Enteignung, sondern von — öffentlich-rechtlicher — Aufopferung spricht. Allerdings hat der I I I . Zivilsenat des B G H , der die Entscheidung fällte, später (in B G H Z 23, 157, 161) diese Terminologie unter Hinweis auf die andere — enteignungsrechtliche — Terminologie des GSZ (vgl. B G H Z 6, 270 u n d hier insbes. B G H Z 13, 88, 91) ausdrücklich aufgegeben.

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§ 8. Zum Nachbarrecht der öffentlichen Sachen

Dieser Unterschied k a n n auch nicht dadurch erklärt werden, daß der B G H nicht von Beeinträchtigungen des benachbarten Grundstücks als solchem ausgeht, sondern von Eingriffen i n den Gewerbebetrieb, i n das Anliegerrecht oder i n den Gemeingebrauch der Betroffenen spricht. Würde der B G H eine rein privatnachbarrechtliche Betrachtungsweise f ü r zulässig halten, so könnte z. B. der Gesichtspunkt des Eingriffs i n den Gewerbebetrieb eine nach § 906 B G B gegenüber dem Grundstück erlaubte E i n w i r k u n g nicht gegenüber dem Gewerbebetrieb unrechtmäßig machen. Wenn § 906 B G B eine Beeinträchtigung erlaubt, sei sie „unwesentlich", sei sie „ortsüblich", dann w i r d sie nicht deshalb wieder unrechtmäßig, w e i l es sich bei dem betroffenen Grundeigent u m nicht n u r u m das nackte Grundstück oder ein reines Wohngrundstück handelt, sondern w e i l auf dem Grundstück auch noch die Ausübung eines Gewerbes beeinträchtigt w i r d 2 1 . Hätte der B G H also § 906 B G B i n diesen Fällen f ü r anwendbar gehalten, so wäre dies auch i m H i n b l i c k auf die Beeinträchtigung v o n Gewerbebetrieben durchgeschlagen, u n d es hätte enteignungsrechtlicher Kategorien nicht bedurft. F e r n e r i s t d i e E n t s c h e i d u n g des B G H i n D V B 1 1965, 83 a n z u f ü h r e n : K a n a l i s a t i o n s a r b e i t e n h a t t e n S e n k u n g e n u n d Risse a n b e n a c h b a r t e n G e b ä u d e n v e r u r s a c h t . Das R G 2 2 h ä t t e v e r m u t l i c h a r g u m e n t i e r t , d i e B e schädigungen h ä t t e n w e g e n des h o h e i t l i c h e n C h a r a k t e r s d e r K a n a l i s a t i o n s a r b e i t e n n i c h t a b g e w e h r t w e r d e n k ö n n e n ; da § 909 B G B d e r a r t i g e s V e r h a l t e n aber „ a n sich" v e r b i e t e , sei e i n E r s a t z a n s p r u c h gegeben. D e r B G H a r g u m e n t i e r t d e m g e g e n ü b e r (ohne d i e Rechtsprechung des R G ü b e r h a u p t z u e r w ä h n e n ) r e i n e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h : Es liege e i n Sond e r o p f e r v o r , das nach E n t e i g n u n g s r e c h t zu entschädigen sei 2 3 . Das zeigt besonders d e u t l i c h die i n d e r L i t e r a t u r b i s l a n g w e n i g beachtete E n t w i c k l u n g d e r Rechtsprechung 2 4 . W e i t e B e a c h t u n g d ü r f t e n u n m e h r jedoch eine E n t s c h e i d u n g des B G H v o m 15. 6.1967 2 5 f i n d e n : D u r c h S t a u b e n t w i c k l u n g b e i m B a u e i n e r A u t o 21

Auch Baur, Sachenrecht, § 25 I V 1 a sagt, daß die Beschränkungen des § 906 B G B auch dann gelten, w e n n sich der Beeinträchtigte nicht auf Eigentum, sondern auf Gewerbebetrieb beruft. 22 Vgl. insbes. die Argumentation i n RGZ 167, 14. 23 Diese Entscheidung ist auch deswegen erwähnenswert, w e i l sie f ü r die Enteignung keinen „gezielten" Eingriff mehr verlangt. 24 Vgl. die Literaturzusammenstellung o., S. 163 Fn. 13; ferner ist Baur, Sachenrecht, § 26 V pr. zu nennen: I n den Entscheidungen B G H Z 8, 273 u n d N J W 1965, 1907 sei es u m den „Aufopferungsanspruch" (!) bei der E i n schränkung des Gemeingebrauchs gegangen. „ P r i m ä r handelt es sich hier offensichtlich (!) u m öffentlich-rechtliche Fragen, aber die Nahtstellen zum bürgerlichen Recht sind deutlich sichtbar"; u n d ferner: „daß die Rechtsprechung die Abwehrklage ausschließt, dann aber doch § 906 unmittelbar heranzieht, ist widerspruchsvoll; es k o m m t allenfalls eine entsprechende A n w e n dung . . . infrage, u m eine Abgrenzung zwischen entschädigungsfreier Eigentumsbeschränkung u n d zu entschädigender Aufopferung zu ermöglichen". Das ist m. W. die einzige Stelle i m Schrifttum, die das dogmatische Problem sieht (und zutreffend löst, vgl. dazu sogleich u., S. 170 f., 173 ff.). 25 B G H Z 48, 96; abgedruckt auch i n fast allen Fachzeitschriften, am ausführlichsten jedoch i n der amtl. Sammlung; knappe Besprechungen dazu: Schack, DVB1 1967, 886; Faber, N J W 1968, 47 f.; Hubmann, J Z 1968, 66 f.

I. Enteignungsrechtliche oder nachbarrechtliche Lösung

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bahn wurde ein benachbarter landwirtschaftlicher Betrieb wesentlich beeinträchtigt 26 . Nach Meinung des B G H kommen zwei verschiedene Anspruchsgrundlagen i n Betracht: „ . . . und zwar einmal ein sog. bürgerlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch (zutreffender wohl als nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch bezeichnet) und zum anderen ein — öffentlich-rechtlicher — Entschädigungsanspruch aus rechtmäßigem oder rechtswidrigem enteignenden Eingriff" 2 7 . Zur Unterscheidung beider Ansprüche w i r d gesagt: „Der wesentliche — und insoweit den jeweils anderen Anspruch ausschließende — Unterschied beider A n sprüche liegt darin, daß von dem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch (bürgerlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch) nur da gesprochen werden kann, wo die Einwirkungen durch privatwirtschaftliche Benutzung (einschließlich nicht hoheitlicher Tätigkeit der öffentlichen Hand) des Grundstücks verursacht sind, während dieser Anspruch bei Eingriffen von hoher Hand . . . nicht gegeben ist, vielmehr i n diesen Fällen nur der Anspruch auf Entschädigung wegen enteignenden oder enteignungsgleichen Eingriffs . . ." 2 8 . Das ist eine deutliche Bestätigung der vorliegend vertretenen A n sicht 29 . Man kann allerdings nicht behaupten, daß der B G H die enteignungsrechtliche Betrachtungsweise stets angewandt hätte: I n einem Fall 3 0 , wo es u m einen Wasserrückstau und dadurch verursachte Versumpfung und Versauerung von Grundstücken infolge Autobahnbaus ging, wendet auch er deutlich eine rein privatrechtliche Betrachtungsweise an, nämlich insofern, als die Zulässigkeit der Beeinträchtigung durch den Wasserstau allein nach dem — privaten — preußischen Wasserrecht beurteilt wird 3 1 . Dies zeigt sich nochmals deutlich i n den weiteren Ausführungen des BGH: Nachdem er fesgestellt hat, daß den geschädigten Grundeigentümern privatrechtlich ein Abwehranspruch zustehen würde und dieser allein durch die öffentlich-rechtliche Stellung der Autobahn ausgeschlossen ist, nimmt der B G H an, die Eigentümer könnten „ i n entsprechender Anwendung des § 26 GewO und des § 50 prWG" vom 28

E i n gleichliegender F a l l : O L G H a m m B B 1964, 1271. a.a.O., 100/101. B G H , a.a.O., S. 102. 29 Diese Ansicht des I I I . Zivilsenats ist auch i n dem inzwischen w e i t h i n bekannten U r t e i l des V. Zivilsenats v o m 22.12. 67 (BGHZ 49, 148, Entschädigung f ü r infolge Lärms auf einer Bundesstraße notwendigen Umbaus eines Wohnhauses) zugrunde gelegt. — Die i n beiden Urteilen problematische u n d m. E. unrichtig vorgenommene Abgrenzung zwischen hoheitlichen u n d privatrechtlichen Eingriffen ist später zu besprechen, vgl. u., S. 171 f. Sie spielt f ü r die prinzipielle Anerkennung, daß hoheitliche Eingriffe i m Nachbarrecht der öffentlichen Sachen enteignungsrechtliche Eingriffe sind, keine Rolle. 30 B G H Z 29, 314 ff. 31 a.a.O., S. 316. 27

28

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§ 8. Zum Nachbarrecht der öffentlichen Sachen

Störer verlangen, daß er Schutzmaßnahmen treffe 32 . Bei enteignungsrechtlicher Betrachtungsweise hätte der Grundeigentümer dagegen Entschädigung oder nach § 17 Abs. 5 FStrG bestimmte Maßnahmen verlangen können. Auch i n zwei weiteren Entscheidungen hat der B G H i n Fällen der vorliegend besprochenen A r t nicht enteignungsrechtlich, sondern privatnachbarrechtlich argumentiert: Ein Nachbar klagte auf Entschädigung wegen hinzunehmender Störungen aus dem Betrieb eines Clubs der Alliierten Stationierungsstreitkräfte 33 . Der B G H sah zwar den Abwehranspruch gegen diese Beeinträchtigung als wegen der hoheitlichen Befugnisse der Alliierten (also wegen entgegenstehenden öffentlichen Interesses) ausgeschlossen an. Die Kriterien zur Abgrenzung zu entschädigungslos zu duldenden Beeinträchtigungen aber werden § 906 BGB entnommen (Ortsüblichkeit und Wesentlichkeit), und der Entschädigungsanspruch w i r d unter Hinweis auf BGHZ 16, 366, 369, 370 begründet, wo eindeutig und ausdrücklich von „bürgerlich-rechtlicher Aufopferung" i m Sinne einer Rechtsbeziehung zwischen Privaten gesprochen wird. Auch i n den Hinweisen auf die Entscheidungen BGHZ 29, 314 und 30, 380 zeigt sich die hier angewendete privatrechtliche Auffassung des BGH. Ebenfalls rein privat-nachbarrechtlich werden Einwirkungen beurteilt, denen ein privater Straßenanlieger durch eine O-Bus-Haltestelle ausgesetzt war 3 4 . Der Anlieger habe zwar keinen Abwehranspruch, weil die Bus-Linie „unmittelbar öffentlichen Interessen und dem gemeinen Wohl" diene, jedoch „könnte ein Entschädigungsanspruch i n Frage kommen (vgl. BGHZ 28, 225, 232)". Die i n Bezug genommene Entscheidung jedoch, es handelt sich u m den bekannten „Steinbruchfall" 3 5 , behandelt eindeutig das privatrechtliche Verhältnis zwischen privaten Grundeigentümern. Auch drei Entscheidungen des V. Zivilsenats aus jüngster Zeit 3 6 gehen i n dieser Weise vor. Damit erschöpft sich die Aufzählung der Fälle, i n denen der B G H das Nachbarrecht hoheitlicher Grundstücksnutzung privatrechtlich beurteilt 3 7 . Sie halten sich der Zahl nach etwa die Waage m i t den Fällen, i n denen rein enteignungsrechtlich argumentiert wird. 32

a.a.O., S. 317. Vgl. B G H N J W 1963, 2020. Vgl. B G H N J W 1960, 2335. 35 B G H Z 28, 225. 36 L M Nr. 22 zu § 906 B G B („Moselstaustufe"); L M Nr. 25 zu § 906 B G B = DVB1 1968, 148 („Fontänenanlage") u n d B G H Z 49, 148 (Umbau wegen Straßenlärms). 37 Die Fälle B G H Z 41, 264 (Beeinträchtigung der Anlieger durch L ä r m v o m Kirmesplatz; ablehnende Besprechung dazu Ule/Fittschen, J Z 1965, 315 ff.) u n d B G H Z 38, 61 = N J W 1962, 2341 (Beeinträchtigung der Nachbarn durch L ä r m von einem Schulhof) sind hier nicht anzuführen: I m „ K i r m e s f a l l " ging 33

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I. Enteignungsrechtliche oder nachbarrechtliche Lösung

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5. Es g i b t eine naheliegende, w e n n auch n i c h t s t r e n g b e w e i s b a r e E r k l ä r u n g dafür, w a r u m i n der L i t e r a t u r überwiegend an der r e i n p r i v a t rechtlichen Lösung der nachbarrechtlichen Kollisionen bei hoheitlicher G r u n d s t ü c k s n u t z u n g f e s t g e h a l t e n w i r d . W a h r s c h e i n l i c h l i e g t dieser A u f fassung n i c h t selten — a l l e r d i n g s m e i s t unausgesprochen — d i e A n s i c h t z u g r u n d e , sie folge aus der a l l g e m e i n a n e r k a n n t e n Tatsache, daß das geltende Recht k e i n „öffentliches E i g e n t u m " k e n n t . E x a k t b e w e i s b a r ist dieser Schluß b e i Kodal 38: „ A n d e n G r u n d s t ü c k e n der d e m öffentlichen G e b r a u c h g e w i d m e t e n S t r a ß e n besteht E i g e n t u m i m S i n n e d e r b ü r g e r l i c h e n R e c h t s o r d n u n g . . . Es s i n d a u f S t r a ß e n g r u n d s t ü c k e d a h e r (!) auch d i e b ü r g e r l i c h - r e c h t l i c h e n V o r s c h r i f t e n ü b e r das n a c h b a r l i c h e V e r h ä l t n i s anzuwenden"39. N u r scheinbar argumentiert auch Forsthoff 40 i n dieser Richtung: Würde man das I n s t i t u t des öffentlichen Eigentums anerkennen, so fänden i m V e r hältnis der öffentlichen Sache zu den Anliegern die Vorschriften des B G B (§§ 906 ff.) keine Anwendung. I n Ermangelung geeigneter Vorschriften des öffentlichen Rechts seien die Normen des B G B aber insoweit unentbehrlich. Das ist aber nicht dasselbe w i e bei Kodal: Forsthoff sagt nur, w e n n m a n öffentliches Eigentum anerkennen würde, wäre privates Nachbarrecht u n anwendbar; aber nicht: w e i l öffentliches Eigentum nicht anerkannt werde, müsse privates Nachbarrecht angewendet werden. Es bedeutet i m Grunde also ganz etwas anderes, w e n n Forsthoff meint, daß §§ 906 ff. B G B angewenes n u r u m die Rechtswegfrage, die nach Meinung des B G H nichts m i t der öffentlich-rechtlichen Privilegierung des Marktes zu t u n hat; i m „Schulfall" ging es u m eine Privatschule u n d damit — nach Ansicht des B G H — u m private Grundstücksnutzung. Allerdings erscheint es zweifelhaft, ob ein G r u n d dafür besteht, eine — m i t hoheitlicher Genehmigung betriebene — Privatschule anders zu behandeln als eine staatliche oder städtische Schule. Der B G H w i l l anscheinend i n dieser Weise differenzieren, vgl. N J W 1962, 2343 1. Sp., m i t t e (in der amtlichen Sammlung insoweit nicht abgedruckt): Der Ausschluß des Abwehranspruchs gegen störende Immissionen sei ebenfalls denkbar, w e n n der Schulbetrieb i n Ausübung hoheitlicher Tätigkeit erfolge. Eine solche Differenzierung ist m. E. überall dort unmöglich, w o f ü r die formal private Tätigkeit öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne vorliegt (dazu eingehender noch u., S. 171 f.). Das wäre f ü r eine P r i v a t schule (wie für private Kindergärten, Krankenhäuser usw.) u. U. zu bejahen u n d träte dann deutlich i n Erscheinung, w e n n eine solche Privatschule w e gen Raummangels vergrößert werden müßte u n d Nachbargrundstücke nicht auf freiwilliger Basis erwerben könnte. Das würde i m B G H - F a l l u. U. zu einem anderen Ergebnis führen, da die Abwehransprüche dann versagen würden, w e n n sie eine Einschränkung des Schulbetriebs zur Folge hätten. Gerade diese Konsequenz w i r d v o m B G H i m Schulfall jedoch ausdrücklich gebilligt (vgl. N J W 1962, 2344 1. Sp. oben), w e i l § 906 B G B keine Handhabe biete, den Nachbarn wegen solcher Konsequenzen ihre Abwehransprüche zu nehmen. 38 Ebenso bei Kleindienst, N J W 1968, 1953: Es gebe i n unserer Rechtsordn u n g k e i n öffentliches Eigentum; deshalb (!) werde auch das öffentlichen A u f gaben dienende Eigentum, soweit es u m die Immissionen gehe, dem § 906 B G B unterstellt. 39 Auch der Verf. ist diesem I r r t u m ursprünglich zum Opfer gefallen, vgl. Privatrechtliche Aufopferung u n d Enteignung, S. 50, 40 § 19, S. 329 ff., insbes. S. 331.

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§ 8. Zum Nachbarrecht der öffentlichen Sachen

det werden müssen: E r befürwortet dies, w e i l er hier sachgerechte Maßstäbe sieht. E r w ü r d e dies aber w o h l w e i t weniger befürworten, w e n n er beachtet hätte, daß — w i e die BGH-Rechtsprechung beweist u n d i m einzelnen nochmals zu zeigen sein w i r d — auch das Enteignungsrecht solche Maßstäbe bietet.

Gewiß ist es richtig, daß Grundstücke der öffentlichen Hand dem privaten Nachbarrecht dann unterliegen, wenn die öffentliche Hand sich auf ihnen „fiskalisch", nicht hoheitlich, betätigt. Aber es ist durchaus nicht zwingend, dies auch bei hoheitlicher Tätigkeit anzunehmen. Viel eher ließe sich sagen, daß hoheitliche Tätigkeit auch dann hoheitlich bleibt, wenn sie sich auf dem privaten Eigentum der öffentlichen Hand abspielt. Die unterschiedliche Rechtsnatur der auf dem Grundstück ausgeübten Tätigkeiten scheint ein entschieden wichtigeres Unterscheidungskriterium zu sein als das i n allen Fällen gleich private Eigent u m am Grundstück, auf dem die Tätigkeit ausgeübt wird. Schließlich sind es ja nicht das Grundstück oder das Eigentum als solche, die zur Kollision führen, sondern die auf dem Grundstück ausgeübten Tätigkeiten. Genauso wie man sagt, daß gegen das private Eigentum an öffentlichen Sachen wegen der öffentlichen Zweckbestimmung, wegen des öffentlichen Interesses, u. U. keine Abwehransprüche geltend gemacht werden können, so kann man m. E. sagen, daß die öffentlichen Sachen nicht dem privaten Nachbarrecht unterliegen (was nicht ausschließt, dieses private Nachbarrecht i n seinen Wertungen auch hier zu berücksichtigen 41 ). Wenn schon die Qualifizierung des Eigentums an öffentlichen Sachen als privates Eigentum nicht dazu zwingt, auch die nachbarrechtlichen Abwehransprüche als gegeben anzusehen, so ist nicht zu begründen, wie es dazu zwingen könnte, das Verhältnis zwischen hoheitlicher Nutzung öffentlicher Sachen und privaten Nachbarn als eine privatrechtliche Beziehung anzusehen, statt der klaren Einsicht des B G H zu folgen, wonach Bau und Veränderung öffentlicher Straßen (und damit doch wohl jede hoheitliche Grundstücksnutzung) i n den Bereich hoheitlicher Betätigung der Staatsgewalt gehören und somit geeignet sind, hoheitliche Eingriffe und damit korrespondierende Ansprüche auf Enteignungsentschädigung auszulösen 42 . Damit ist zugleich die vorliegend vertretene Ansicht angesprochen: Es handelt sich i n allen behandelten Fällen der Kollision hoheitlicher Sachnutzung m i t privaten Nachbarn bei dogmatisch genauer Betrachtung u m Fälle des Enteignungsrechts. Die Kriterien für die Abgrenzung zwischen entschädigungspflichtigen und entschädigungslosen Eingriffen sind 41 42

Vgl. dazu u., S. 172 ff. B G H Z 30, 241 (243).

I. Enteignungsrechtliche oder nachbarrechtliche Lösung

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dem Enteignungsrecht zu entnehmen. Danach ggf. bestehende Entschädigungsansprüche folgen aus A r t . 14 Abs. 3 GG 43 . 6. Die jüngste Rechtsprechung des BGH 4 4 vermeidet nun zwar deutlich den Fehler, hoheitliche Eingriffe prinzipiell privat-nachbarrechtlich zu beurteilen. Sie kommt aber aus dem Grunde zu privatrechtlicher Betrachtungsweise, weil sie verneint, daß Beeinträchtigungen der vorliegend besprochenen A r t überhaupt hoheitliche Eingriffe seien 45 . Ein m. E. entscheidender I r r t u m dieser Ansicht und der Ansicht der Literatur liegt letztlich wiederum i n einer zu undifferenzierten Behandlung des öffentlichen Interesses: Das öffentliche Interesse, das bei den reichsgerichtlichen Fällen der „privatrechtlichen" Aufopferung vorliegt, entspricht genau dem öffentlichen Interesse, wie es auch bei der Enteignung verlangt wird, dem öffentlichen Interesse i n dem strengen Sinn, wie es schon zur Zulässigkeit der „klassischen Enteignung" gehört, nämlich dem Interesse an einem konkreten Projekt (Vorhaben, „Unternehmen"). Das zeigt sich darin, wer Begünstigter der Einwirkungsrechte ist, nämlich Vorhaben der Reichbahn, U-Bahn-Bau, Reichsbank, Autobahn usw. Das sind sämtlich konkrete Vorhaben, für die auch Enteignungen i m klassischen Sinne zulässig wären, und es ist genau dasselbe öffentliche Interesse, das zur Beschränkung der Rechte der Nachbarn führt, zum Wegfall des Abwehranspruchs. Es kollidiert das Interesse der Grundstücksnachbarn nicht m i t dem privaten Interesse anderer Nachbarn, sondern mit dem öffentlichen Interesse. Es ist nicht, wie bei den Fällen der wirklich pri43 I n diesem Sinne auch Martens, Hamburger Festschrift f ü r Schack, S. 92 ff.; Konow, S. 69 Fn. 121. 44 B G H Z 48, 96 u n d 49, 148; (zu B G H Z 48, 96 eine F l u t v o n Besprechungen: Schack, DVB1 1967, 886 u n d N J W 1968, 1914; Faber, N J W 1968, 47; Hubmann, JZ 1968, 66; Döbereiner, N J W 1968, 1916; Kleindienst, N J W 1968, 1953, Menger-Erichsen, V e r w A r c h 1968, 383 ff.) 45 Sehr deutlich i n B G H Z 49, 148: I n Fällen v o n L ä r m u n d ähnlichen Beeinträchtigungen sei i n der bisherigen Rechtsprechung dann, w e n n sie nicht unmittelbar durch Eingriffe von hoher H a n d ausgelöst waren, eine Herbeif ü h r u n g durch hoheitliche Maßnahmen verneint worden, u n d die daraus abgeleiteten Ansprüche seien i n diesen Fällen dem privaten Nachbarrecht u n terstellt worden (ähnlich auch B V e r w G DVB1 1967, 854, 856). Daraus entn i m m t diese Entscheidung ohne weiteres, daß Beeinträchtigungen durch Verkehrslärm auf einer Bundesstraße nicht als hoheitliche Beeinträchtigung zu qualifizieren seien. Wesentlich differenzierter u n d zurückhaltender jedoch B G H Z 48, 96, 103: Die Beauftragung einer privaten F i r m a m i t dem A u t o bahnbau spreche f ü r A n w e n d u n g privater M i t t e l zur E r f ü l l u n g öffentlicher Aufgaben u n d damit f ü r die A n w e n d u n g privaten Nachbarrechts. Dagegen könne allerdings sprechen, daß die aufsichtführende Stelle weitgehend auf die Durchführung der Arbeiten Einfluß nahm, so daß die Baufirma zum Werkzeug der öffentlichen Behörde bei Durchführung ihrer hoheitlichen Aufgabe werde. Es erscheint also zumindest als zu unkritisch, w e n n sich die Entscheidung B G H Z 49, 148 auf B G H Z 48, 96 beruft; dazu auch die folgende Fn.

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§ 8. Zum Nachbarrecht der öffentlichen Sachen

vaten Kollisionen, das „allgemeine öffentliche Interesse", das öffentliche Interesse auf der Ebene des Gesetzgebers, das zur Einschränkung von Abwehransprüchen führt. Es ist nicht das Interesse an ungestörter industrieller Entwicklung wie i n § 26 GewO, nicht das Interesse an ökonomisch sinnvoller Grundstücksnutzung wie i n § 917 BGB, das die Einwirkungsrechte schafft. Es ist vielmehr das typisch enteignungsrechtliche konkrete öffentliche Interesse an einem bestimmten Projekt, das die Nachbarn zur Duldung von Beeinträchtigungen nötigt. Es sind also typisch enteignungsrechtliche Kollisionen. Das zwingt zu einer i m Ansatz enteignungsrechtlichen Behandlung dieser Fälle. Es ist also zu bestreiten, daß die Differenzierung des BGH, je nachdem ob die öffentliche Hand selbst „unmittelbar" einwirkt, oder ob sie sich eines Unternehmers bedient, richtig ist, d. h., daß man hoheitliche Eingriffe nach diesem K r i t e r i u m i n Fällen der vorliegenden A r t von nicht-hoheitlichen Eingriffen unterscheiden darf. Die Eingriffe sind i n beiden Fällen, gleichviel ob sie von der öffentlichen Hand selbst vorgenommen werden oder durch einen Unternehmer, jedenfalls doch durch die zu erfüllende hoheitliche konkrete Maßnahme privilegiert; auch die beeinträchtigende private Tätigkeit des eingeschalteten Bauunternehmers ist allein durch diese Privilegierung vor Unterlassungsklagen des Nachbarn geschützt. Das öffentliche Interesse an dem auszuführenden Projekt gestattet i h m also den Eingriff i n die Rechte der Nachbarn. Und weil es sich um ein konkretes, enteignungsrechtliches öffentliches Interesse handelt, muß man den Eingriff als enteignungsrechtlich behandeln 46 . Daher ist es auch nicht richtig, für diese Fälle den Terminus privatrechtliche (oder zivilrechtliche oder bürgerlich-rechtliche oder nachbarrechtliche) Aufopferung zu verwenden. Was zur privatrechtlichen Aufopferung gehört, ist oben i n § 2 dargestellt. Auch die Fälle des Nachbarrechts der öffentlichen Sachen dazuzurechnen, würde schon i n der Terminologie den wesentlichen dogmatischen Unterschied verschleiern. I I . Konsequenzen und Einzelheiten der enteignungsrechtlichen Lösung 1. Die Folgen der unrichtigen Einordnung der besprochenen Fälle als privatrechtliche Aufopferung statt als Enteignung sind: Hätte das 48 Gänzlich untauglich — u n d trotzdem v o n B G H Z 49, 148 übernommen — w i r d die hier bekämpfte Abgrenzung dann, w e n n es u m Beeinträchtigungen durch Verkehrslärm geht. M a n w i r d k a u m sagen können, solche Immissionen seien privatrechtlich, w e i l die den L ä r m erzeugenden Fahrzeuge P r i v a t f a h r zeuge sind. Die hoheitliche Beeinträchtigung liegt i n der Zulassung dieses Verkehrs u n d seinem hoheitlichen Schutz gegen Abwehransprüche der Nachbarn. Dasselbe gilt aber auch v o n der hoheitlichen Zulassung — u n d v o r allem: Ingangsetzung — der Beeinträchtigungen durch Bauarbeiten beim Straßenbau; i n diesem Sinne auch Menger-Erichsen, V e r w A r c h 1968, 386.

II. Konsequenzen der enteignungsrechtlichen Lösung

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RG die Fälle als Enteignungen angesehen, so hätte es dort, wo es jede Entschädigung versagte, zu hohen Ausgleichszahlungen kommen müssen, besonders also i n den Fällen, i n denen es u m die Anwendbarkeit von § 906 BGB geht. Es hätte ohne Anwendung des § 906 BGB i m Falle der Schädigung durch Autobahnlärm 4 7 die gesamte Verkehrswertminderung, die dort annähernd 50°/o betrug, ausgleichen müssen. (Falls man nicht wegen der Besonderheiten des Falles — zumindest nach der heutigen Enteignungslehre des B G H — sagen müßte, daß die Schädigungen „situationsbedingt" und daher kein „Sonderopfer" seien 48 , was aber kaum zutreffen dürfte.) 2. Dies alles soll keineswegs bedeuten, daß i n den Fällen des Nachbarrechts der öffentlichen Sachen jedes Argument nachbarrechtlicher A r t auszuscheiden hätte. Wenn auch, wie gezeigt, die Lösung dieser Fälle i m Ansatz enteignungsrechtlich sein muß, so bleibt trotzdem folgendes Argument für die Einschaltung nachbarrechtlicher Erwägungen: Wenn, so könnte man sagen, ein Grundeigentümer nach privatem Nachbarrecht bestimmte Einwirkungen entschädigungslos dulden muß, dann ist nicht einzusehen, warum er für Einwirkungen gleicher A r t und Stärke nur deshalb entschädigt werden müßte, weil diese Einwirkungen von öffentlichen Sachen ausgehen. Anders gesagt: Man könnte behaupten, daß das private Nachbarrecht eine „Opfergrenze" zeige, die auch i m Enteignungsrecht zu beachten sei. Noch anders ausgedrückt: Der Entschädigungsanspruch ergebe sich in diesen Fällen zwar aus A r t . 14 Abs. 3 GG, die Kriterien der Abgrenzung zwischen entschädigungspflichtigen und entschädigungslosen Eingriffen aber liefere das private Nachbarrecht. Das ist jedenfalls eine weit stärkere Argumentation als diejenige, die verneint, daß es sich überhaupt u m Enteignungsfälle handelt. Dies ist seit neuestem auch der Standpunkt des BGH 4 9 : Auch der Anspruch auf Enteignungsentschädigung habe zur Voraussetzung, „daß die Immissionen nach A r t und Ausmaß über die Grenzen dessen hinausgehen, was dem Eigentümer gemäß § 906 BGB entschädigungslos zugemutet w i r d " . 3. Aber auch diese Ansicht ist nicht ganz stichhaltig: Indem sie behauptet, der Nachbar müsse auch i n Enteignungsfällen zunächst diejenigen Einwirkungen entschädigungslos dulden, die er jedem Nachbarn gegenüber dulden müsse, unterstellt sie, daß ähnliche Vorhaben auch von privaten Nachbarn durchgeführt werden könnten. Es w i r d 47

RGZ 159, 129. Z u den sich hier andeutenden Parallelen zwischen der „Ortsüblichkeit" i n § 906 B G B u n d dem M e r k m a l der „Situationsgebundenheit" i n der E n t eignungsrechtsprechung des B G H eingehend schon o., § 6 I, u n d speziell f ü r das Nachbarrecht der öffentlichen Sachen sogleich unter Ziff. 3. 49 B G H Z 48, 96, 101. 48

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§ 8. Zum Nachbarrecht der öffentlichen Sachen

unterstellt, daß die Einwirkungen der materiell enteignungsrechtlichen Vorhaben nichts m i t dem enteignungsrechtlichen Wesen dieser Vorhaben zu t u n haben, für sie nicht kennzeichnend sind. Gerade das ist unrichtig: Es kann kein privater Eigentümer eine Autobahn oder eine Eisenbahnlinie bauen. Es kann kein privater Eigentümer generell Einwirkungen produzieren, die den Einwirkungen dieser Vorhaben gleichkommen. Es ist daher diesen Einwirkungen nicht adäquat, sie m i t den Maßstäben des privaten Nachbarrechts zu messen. Das zeigt sich deutlich daran, welche Schwierigkeiten das RG hatte, hier das Merkmal der „Ortsüblichkeit" anzuwenden: Das RG sagte, i n einem dichtbesiedelten Gebiet seien Belästigungen durch Straßenlärm u. a. „ortsüblich". Das übersieht zumindest, daß es auch i n dichtbesiedelten Gebieten ausgesprochen ruhige Wohnlagen gibt. Das RG 5 0 w i l l die Ortsüblichkeit von Verkehrslinien nach der durchschnittlichen Beschaffenheit der Gesamtheit der berührten Stadtbezirke bestimmen 51 . M. E. muß aber einleuchten, daß diese Bestimmung der Ortsüblichkeit m i t dem Sinn dieses Merkmals nicht mehr viel gemeinsam hat: „Ortsüblichkeit" soll gerade Besonderheiten eines bestimmten Raumes rechtlich relevant machen. Sieht man i n „Ortsüblichkeit" aber eine Durchschnittsgröße für die verschiedenartigsten Räume, so gehen die Besonderheiten der Einzelräume i n dieser Größe gerade unter 5 2 . Dies zeigt, daß das privat-nachbarrechtliche Merkmal der Ortsüblichkeit nicht geeignet ist, Beeinträchtigungen durch derartige Sondervorhaben der öffentlichen Hand — zumindest die Beeinträchtigung durch Verkehrslinien — zu beurteilen. Das Merkmal dient der Regelung der Kollision privater Grundstücksnutzungen untereinander. A u f Vorhaben wie Autobahn und Eisenbahn angewendet, führt es zu willkürlichen Entscheidungen. Die Linienführung solcher Vorhaben folgt anderen Gesetzen als es private Bauvorhaben tun: Private Vorhaben richten sich nach der Gunst des Standorts, also den Eigenschaften der örtlichkeit, i n der sie errichtet werden. Verkehrswege dagegen — insbesondere Fernverkehrswege — haben oft zu der örtlichkeit, die sie berühren, keinerlei Bezug; Autobahnen und Eisenbahnen haben allein durch Auffahrten und Bahnhöfe Bezug zu ihrer Umgebung. I m übrigen durchschneiden sie die Gegend, und ihr einziger Bezug zur Umwelt sind ihre 50

Vgl. RGZ 133, 154. Ebenso Westermann, Sachenrecht, § 63 I I 3 b ; w ä h r e n d E.Schneider, M D R 1965, 441, sogar meint, jede dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße sei an jedem Ort ortsüblich. 52 Geradezu abwegig daher E. Schneider, M D R 1965, S. 441: Jede dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße habe an jedem Ort die Bestimmung, begangen u n d befahren zu werden. Auch das starke u n d ununterbrochene Befahren durch K f z rechne zur ortsüblichen Benutzung. Ä h n l i c h auch Kleindienst, N J W 1968, 1953: Außer bei „ganz unsachgemäßer Trassierung" halte sich selbst der stärkste Verkehr auf einer Bundesstraße noch i m Rahmen ortsüblicher Benutzung des Straßengrundstücks. 51

II. Konsequenzen der enteignungsrechtlichen Lösung

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Beeinträchtigungen. Für diese Umwelt sind sie zufällig; ihre Umgebung ist nicht ihr „Standort", sie durchschneiden eine Gegend nicht, weil diese für sie besondere Standortqualitäten hätte, sondern allein deswegen, weil die betroffenen Grundstücke zufällig zwischen den Punkten liegen, u m deren Verkehrserschließung es geht. 4. Eine wichtige Stellungnahme zu dem hier behandelten Problem findet sich i n BGHZ 16, 366 ff. (374). Dort w i r d terminologisch deutlich zwischen einem privatrechtlichen Aufopferungsanspruch und einem öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch unterschieden 53 . Zum öffentlich-rechtlichen Aufopferungsanspruch (der deutlich enteignenden Eingriffen gleichgestellt wird) sagt der BGH, eine Entschädigung für derartige Eingriffe komme dort nicht i n Betracht, „wo es sich bei dem Eingriff von hoher Hand u m eine Maßnahme handelt, die i n gleicher Weise und mit derselben Wirkung von Privatpersonen hätte rechtmäßig getroffen werden können und die der Geschädigte alsdann hätte hinnehmen müssen, ohne dafür eine Entschädigung verlangen zu können" 5 4 . Das kann man gegen, aber auch für die hier vertretene Ansicht anführen. Die genannte BGH-Entscheidung spricht gegen diese Ansicht, wenn man das Merkmal „Maßnahmen, die auch von Privaten i n gleicher Weise und mit derselben Wirkung rechtmäßig hätten getroffen werden können" fiktiv auffaßt, d. h., nicht danach fragt, ob die Maßnahme Privaten praktisch möglich wäre, vielmehr diese Möglichkeit unterstellt (und zwar selbst dann, wenn sie praktisch nicht besteht) und nach dem Ergebnis dieser Unterstellung urteilt. Dann käme man auch nach diesem Urteil des B G H i n den oben erörterten Beispielen aus der Rechtsprechung des RG zu denselben Ergebnissen wie das RG: Wenn ein privater Grundeigentümer eine Autobahn baute oder eine Eisenbahnlinie betriebe, dann wären die Einwirkungen evtl. zu dulden. 53 Vgl. B G H a.a.O., S. 373/374: „Sonach sind die Voraussetzungen für einen bürgerlich-rechtlichen Ersatzanspruch, w i e er i n Ausdehnung der grundsätzlich Rechtswidrigkeit u n d Verschulden voraussetzenden Haftungstatbestände k r a f t Gewohnheitsrecht unter gewissen Voraussetzungen auch bei Fehlen von Verschulden zu gewähren ist, nicht gegeben. D a m i t ist aber noch nicht ohne weiteres auch ein — öffentlich-rechtlicher — Aufopferungstatbestand v e r neint." Bei aller Ungenauigkeit der Formulierung (der B G H scheint die p r i vatrechtliche Aufopferungshaftung hier als H a f t u n g für rechtswidriges — aber schuldloses — Handeln anzusehen; privatrechtliche Aufopferung ist nicht Gewohnheitsrecht, sondern — i n ihren meisten Fällen — positivrechtlich norm i e r t ; auch w i r d m a n i n i h r k a u m eine „Ausdehnung" der üblichen deliktischen H a f t u n g sehen können) muß man hierin eine Gegenüberstellung von privatrechtlicher u n d öffentlichrechtlicher Aufopferung sehen. 54 Es ging i n dem genannten F a l l u m die Vernichtung von ausschwärmenden Bienen durch Schädlingsbekämpfungsmittel. Der B G H stellt fest, daß der Eigentümer der Bienen solche Schäden, w e n n sie von privaten Grundeigent ü m e r n verursacht werden, entschädigungslos hinnehmen muß. Dann könne er auch gegenüber einer öffentlichen A k t i o n zur Schädlingsbekämpfung nicht besser gestellt sein.

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§ 8. Zum Nachbarrecht der öffentlichen Sachen

Man kann aber das genannte Urteil auch so verstehen, daß es nicht auf eine unterstellte oder fingierte Möglichkeit privater Grundeigentümer abstellen w i l l , sondern auf deren praktische Möglichkeit. Der Wortlaut dürfte mehr für diese Auslegung sprechen. Letztlich bleibt er unklar. Immerhin ist hier die entscheidende Frage einmal angesprochen. Wie sie nach Meinung des Verfassers zu beantworten ist, wurde schon oben gesagt und kann hier m i t anderen Worten wiederholt werden: Nicht die abstrakte, fingierte Möglichkeit für private Personen, gleiche Beeinträchtigungen vorzunehmen, ist entscheidend, sondern allein eine praktische Möglichkeit. Das private Nachbarrecht ist nicht geschaffen, u m fiktive Beeinträchtigungen zu beurteilen, sondern für Beeinträchtigungen, wie sie bei privater Grundstücksnutzung praktisch auftreten können. Es ist ein Mißbrauch des privaten Nachbarrechts, wenn man es auch zur Beurteilung nur fiktiv privat möglicher Beeinträchtigungen heranzieht und damit der öffentlichen Hand entschädigungslose Beeinträchtigungen erlaubt, die ein privater Grundeigentümer praktisch niemals verursachen könnte 5 5 . Hiernach war es i m Ergebnis richtig, wenn der B G H der Beurteilung eines Falles, i n dem Geräusch-Belästigungen von einem Club alliierter Stationierungsstreitkräfte ausgingen, die wegen der hoheitlichen Stellung der Streitkräfte nicht verboten werden konnten, die Maßstäbe des § 906 BGB zugrundelegte 56 . Das heißt, der B G H prüfte, ob die Belästigungen gemäß dieser Vorschrift ortsüblich waren. Da das nicht der Fall war, gab er einen Entschädigungsanspruch. Es ist also Eingriffskriterium zwar das öffentliche Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinn. Als Entschädigungskriterien können hier aber die privatrechtlichen Maßstäbe herangezogen werden 57 . Die Prüfung des § 906 BGB ist deshalb richtig, weil Störungen dieser A r t von jedem Nachtlokal ausgehen können, so daß kein Grund bestanden hätte, die Nachbarn gegenüber dem hoheitlich betriebenen Lokal eventuell besser zu stellen, als sie nach § 906 BGB gegenüber Privaten gestanden hätten. Unrichtig ist bei dieser Entscheidung nur der rechtsdogmatische Ansatz, der auch das Eingriffskriterium schon privatrechtlich auffaßt, also davon ausgeht, daß es sich u m einen Nachbarrechtsfall mit öffentlich-rechtlicher Komponente (Ausschluß des Abwehranspruchs) handle. Richtiger wäre es gewesen, von einem Enteignungsfall („enteignender Eingriff"; i m Sinne der Terminologie des RG: „öffentlich-rechtliche Aufopferung") m i t nachbarrechtlicher Komponente zu sprechen. A u f das Ergebnis hat das hier allerdings keinen Einfluß gehabt. 55 Ganz ähnlich Jaenicke, W D S t R L 20, 169/70. Ebenfalls i n diesem Sinne Martens, Hamburger Festschrift f ü r Schack, S. 93, u n d w o h l auch Brohm, S. 91. 66 Vgl. B G H N J W 1963, 2020 f. 57 Z u den Ausdrücken „Eingriffskriterium" u n d „Entschädigungskriterium" vgl. o., § 3 I I I .

II. Konsequenzen der enteignungsrechtlichen Lösung

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Zusammenfassend ist zu wiederholen: I n allen Fällen, i n denen nachbarrechtliche Abwehransprüche wegen hoheitlicher Funktion des Störers ausgeschlossen sind, geht es u m Kollisionen der privaten Grundeigentümerinteressen m i t öffentlichem Interesse (im konkreten Sinne), also um Enteignung. Diese Störungen sind daher i n bezug auf Hechtmäßigkeit und Entschädigungspflicht nach Enteignungsrecht zu beurteilen. Nachbarrechtliche Maßstäbe sind nur insoweit anzuwenden, als die Störungen auch von privater Betätigung eines Grundeigentümers ausgehen könnten. Dabei ist auf die praktische, nicht auf eine fiktive Möglichkeit solcher Tätigkeit abzustellen. Es muß sich u m Störungen handeln, die nach A r t und Ausmaß typischerweise auch bei privater Betätigung auf Grundstücken auftreten können. I n jedem Fall handelt es sich u m öffentlich-rechtliche Aufopferung (enteignende Eingriffe), nicht u m privatrechtliche Aufopferung. Der Satz, Grundstücke der öffentlichen Hand seien wie alle anderen i n die räumliche Gemeinschaft eingefügt, ist irreführend, weil er besagen könnte, daß bei Kollision privater Grundeigentümerinteressen m i t öffentlichen Interessen prinzipiell privates Nachbarrecht angewendet werden solle. Bei aller K r i t i k darf nicht übersehen werden, daß die Rechtsprechung des RG heute zu anderen Ergebnissen führen würde. Das liegt an der Änderung des § 906 BGB. Dessen Abs. 2, S. 2 schreibt heute eine Entschädigungspflicht („Ausgleich") auch dann vor, wenn die Beeinträchtigungen zwar ortsüblich, aber „unzumutbar" sind. I m „Autobahnfall" 5 8 wäre die Beeinträchtigung, die zu einer fast 50°/oigen Verkehrswertminderung führte, gewiß „unzumutbar" gewesen. Das RG hätte eine Entschädigung zuerkennen müssen. 5. Insgesamt dürfte deutlich sein, daß die hier vorgenommene enteignungsrechtliche Einordnung des Nachbarrechts der öffentlichen Sachen nicht so weitgehende Folgen hat, wie man zunächst vermuten könnte. Es liegt dies an den oben 59 beschriebenen parallelen Wertungen i m Nachbarrecht und i m Enteignungsrecht, insbesondere bei den Kriterien der Abgrenzung zwischen entschädigungslosen und entschädigungspflichtigen Eingriffen. Trotzdem bleiben Unterschiede, oder genauer gesagt: Der enteignungsrechtliche Lösungsansatz erlaubt sachgerechte Argumente, die bei einem nachbarrechtlichen Ansatz zumindest wesentlich schwieriger zu gewinnen sein würden. Dies zeigt sich insbesondere i n folgenden Punkten: 58

59

RGZ 159, 131.

§ 6.

12 Schulte

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§8 Zum Nachbarrecht der öffentlichen Sachen

Bei Verkehrslinien ist die „Ortsüblichkeit" kein adäquates Beurteilungskriterium. Nichts anderes gilt allerdings oft von dem parallelen K r i t e r i u m der Situationsgebundenheit: Sobald man es zur Beurteilung großer Räume, die kleinere Räume unterschiedlichster A r t umfassen, heranzieht, führt es zu Durchschnittsergebnissen, die alle Besonderheiten außer Acht lassen. Der B G H hat aber i n seiner Enteignungsrechtsprechung ein neues K r i t e r i u m entwickelt, wo er m i t dem Merkmal der Situationsgebundenheit nicht weiterkam: I m „Freiburger Bausperrenurteil" 6 0 sagt er zum Merkmal der Situationsgebundenheit zunächst: „Die Sonderlage eines Grundstücks, seine Situationsgebundenheit, . . . ergibt sich aus der konkreten örtlichkeit, aus dem Zusammenhang des Grundstücks m i t seiner unmittelbaren Umgebung. Wo i m Einzelfall die Grenze dieser örtlichkeit, i n die das einzelne Grundstück hineingehört, verläuft, ist unter dem Gesichtspunkt zu ermitteln, was an benachbarten Grundstücken zu einer untersten Einheit zusammengefaßt werden muß, damit eine sinnvolle, vernünftige . . . Bebauung dieser Einheit einschließlich ihrer verkehrsmäßigen Erschließung möglich w i r d " 0 1 . M. E. bestätigt dies deutlich die These, daß die Merkmale der Situationsgebundenheit und der Ortsüblichkeit zur Beurteilung eines i n sich uneinheitlichen größeren Raumes untauglich sind 62 . Der B G H findet ein feinfühligeres K r i t e r i u m daher in der Unterscheidung, ob die Verkehrslinie auch der Erschließung des i n Frage stehenden kleineren Raumes dient oder nicht. Dient sie dem, so sind auch wesentliche Beeinträchtigungen des Grundeigentums entschädigungslos hinzunehmen, t u t sie das nicht, müssen wesentliche Beeinträchtigungen entschädigt werden. Wendet man dieses i n einem bauplanungsrechtlichen Fall gewonnene K r i t e r i u m i m Nachbarrecht der Verkehrslinien an, so ergibt sich die Möglichkeit einer neuartigen Differenzierung: Wesentliche Beeinträchtigungen i n Gebieten, die von der Linie nur durchschnitten, nicht aber erschlossen werden, sind zu entschädigen. Bei der Beurteilung von Verkehrsanlagen, die keine Verkehrslinien, sondern Anlagen darstellen, die nur einen engen Raum berühren, also bei Straßenbahndepots, Bahnhöfen und Flughäfen, kann dagegen das K r i t e r i u m der Ortsüblichkeit beibehalten werden. Straßenbahndepot, Bahnhof und Flughafen bestimmen dort, wo sie seit langem bestehen, den Charakter kleiner, einheitlicher Räume 63 . 60

B G H Z 30, 338. a.a.O., S. 345/346; die ersten drei Hervorhebungen v o m Verf., die übrigen auch i m Original. 62 H i e r zeigt sich also ein weiterer Fall, i n dem die aufgezeigte Parallelität zwischen Enteignungsrecht u n d Nachbarrecht fruchtbar gemacht werden k a n n ; es k a n n hier eine Erkenntnis der Enteignungsrechtsprechung auch i m privaten Nachbarrecht angewendet werden. 63 Insofern gilt praktisch auch der allgemein abgelehnte Grundsatz der Priorität: Die den Charakter des Raumes prägende K r a f t solcher Anlagen 61

II. Konsequenzen der enteignungsrechtlichen Lösung

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Ein weiterer Fall, i n dem die enteignungsrechtliche Betrachtungsweise gegenüber der nachbarrechtlichen Vorzüge hat, ist der der sog. negativen Einwirkungen. Solche Einwirkungen, auch Abhaltungen und ideelle Einwirkungen genannt (Entzug von Licht und Sonne, auch von Grundwasser; Geschäftsschädigung durch Beeinträchtigung des Zugangs für Kunden), werden nachbarrechtlich nach der absolut herrschenden Meinung gar nicht als Einwirkungen angesehen, so daß sich hier die Frage der Rechtmäßigkeit, der Abwehrbarkeit oder einer nur ausnahmsweisen Duldungspflicht gar nicht erst stellt 6 4 . Diese Konsequenzen seien an zwei Fällen verdeutlicht: Hätte i m Fall „Buschkrugbrücke" (Schädigung eines Kinobetriebes während der Bauzeit einer U-Bahn) 6 5 der B G H privates Nachbarrecht angewandt, so wäre die Geschäftsschädigung nur eine „Abhaltung", eine negative Beeinträchtigung. Fragen der Ortsüblichkeit und der Zumutbarkeit wären gar nicht aufgetaucht. M i t der Qualifizierung „negative Einwirkung" wäre die Diskussion bereits am Ende (mit einer, sogleich zu erörternden, Einschränkung). Enteignungsrechtlich dagegen stehen gerade diese Fragen i m Mittelpunkt des Interesses. Hier mußte darüber entschieden werden, ob die Beeinträchtigung unzumutbar schwer war und ob nicht die vorgegebene Lage (des Kinos an einer Hauptverkehrsstraße) besondere, entschädigungslos hinzunehmende Eingriffe rechtfertigte. Es darf allerdings nicht übersehen werden, daß auch eine privatnachbarrechtliche Betrachtungsweise den Weg zu diesen Fragen nicht unbedingt völlig hätte abschneiden müssen: Es wäre auch hier der Gedanke des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zu prüfen gewesen. Dabei hätte sich dann ergeben können, daß ausnahmsweise auch hält f ü r die Dauer ihrer Existenz an. Dadurch haben solche Anlagen gegenüber späterer, andersartiger Bebauung praktisch doch Vorteile, die aus ihrer Priorität folgen. Die Entscheidung B G H Z 49, 148 hält eine „Berücksichtigung der geschichtlichen E n t w i c k l u n g bei dem Tatbestand der Ortsüblichkeit nicht für schlechthin ausgeschlossen". 64 Vgl. Palandt-Degenhart, § 906 A n m . 2 b ; Erman-Hefermehl, § 1004 A n m . 3 d ; Kodal, S. 356; Meisner-Stern-Hodes, § 38 I 1 e, m.w.N. Es muß allerdings gefragt werden, ob diese Ansicht nicht schon i m Ansatz unrichtig ist. Gewiß ist es abwegig, daraus Schlüsse zu ziehen, daß i n § 906 B G B von „ E i n w i r k u n g e n " u n d „zuführen" die Rede ist. Es erscheint richtiger, hier nicht ein Problem des § 906, sondern der §§ 903, 1004 B G B zu sehen; so auch Baur, Sachenrecht, § 25 I V 2 b cc u n d neuestens Forkel, Immissionsschutz u n d Persönlichkeitsrecht (1968), S. 44 f. N i m m t man, w i e o., § 3, vorgeschlagen, ein v ö l l i g schrankenloses Eigentum als „Denkmodell" (ohne normative Kraft) an, so sind auch „Abhaltungen", „ideelle E i n w i r k u n g e n " u n d „negative Beeinträchtigungen" Eingriffe i n Eigentum. Z u fragen ist dann nur, i n w i e w e i t die Rechtsordnung sie zulassen w i l l . M i r scheint dieser Ansatz anschaulicher u n d einfacher zu sein, also „denkökonomischer", als die Annahme, es handele sich gar nicht u m Einwirkungen. 65 B G H N J W 1965, 1907. 12*

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für „negative Beeinträchtigungen" hätte entschädigt werden müssen 66 . Aber auch dann, wenn man dies berücksichtigt, erfolgt die Prüfung der entscheidenden Fragen doch m i t unterschiedlicher Akzentuierung: „Der Ausgleich widerstreitender Interessen von Grundstücksnachbarn geschieht i n erster Linie durch die nachbarrechtlichen Gesetzesvorschriften; eine über sie hinausgehende Beschränkung an sich bestehender Eigentümerrechte aufgrund der Pflicht zur Rücksichtnahme, die dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis entspricht, muß daher eine durch zwingende Gründe erforderte Ausnahme bleiben." Dieser vom BGH 6 7 aufgestellte und i n der Literatur 6 8 überall zustimmend wiedergegebene Satz schiebt gleichsam die Argumentationslast dem Beeinträchtigten zu. Die Beschränkung auf „zwingende Gründe", i n denen nur von den Grundsätzen des Nachbarrechts abgewichen werden könne, gibt den Argumenten der Unzumutbarkeit, dem Verlangen auf Entschädigung hier von Anfang an etwas Irreguläres, eigentlich Abzulehnendes. Ganz anders, wenn man denselben Fall enteignungsrechtlich diskutiert: Die Fragen der Situationsgebundenheit und der Zumutbarkeit gehören hier zu den normalerweise zu erörternden Punkten, die Entscheidung w i r d nicht von vornherein i n eine bestimmte Richtung gedrängt. Damit ist m. E. deutlich, daß die unterschiedliche Akzentuierung der Fragestellung zwar nicht i n jedem Einzelfall notwendig zu unterschiedlichen Ergebnissen führt, wohl aber i m Durchschnitt aller entschiedenen Fälle eine unterschiedliche Tendenz und damit eine zumindest i n Grenzfällen andere Entscheidung verursachen wird. Das läßt sich an folgendem Fall demonstrieren: A m Fuße eines Weinbergs w i r d eine neue Bundesstraße gebaut. Z u diesem Zweck muß ein hoher Damm aufgeschüttet werden. Das hat zur Folge, daß aus den Weinbergen i n kalten Nächten die K a l t l u f t nicht mehr abfließen kann. Deshalb werden die Ernten nunmehr durch Frostschäden so sehr beeinträchtigt, daß die Hälfte des Weinbergs wertlos wird. Nachbarrechtlich ist der Fall zunächst schnell gelöst: Derartige Veränderungen des Kleinklimas sind keine Zuführungen, sondern negative Beeinträchtigungen, so daß Abwehransprüche und damit Entschädigungsansprüche nicht denkbar sind. Wenn es zu besonderen Härten für die Betroffenen kommt (etwa die Existenz einiger Weinbauern vernichtet wird), w i r d man prüfen müssen, ob das nicht zwingender Grund für die Annahme eines Ausnahmefalles i m Sinne des nachbarlichen Ge86 Vgl. dazu eingehend o., S. 115 ff. Kerst, N J W 1964, 182 u n d das dort zitierte O L G F r a n k f u r t versuchen, m i t einer Analogie zu § 906 B G B zu helfen, was aber wiederum nichts anderes bedeutet als die A n w e n d u n g des Gedankens des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses. 67 L M § 903 Nr. 1; B G H Z 28, 114. 68 Vgl. z. B. Palandt-Degenhart, v o r § 903 A n m . 2 d aa; Kodal, S. 356/357.

III. Abgrenzung zur Gefährdungshaftung

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meinschaftsverhältnisses ist. Aber i n jedem Fall w i r d man die Opfergrenze, die Grenze, oberhalb derer ein solcher Ausnahmefall vorliegt, recht hoch ansetzen. Man w i r d sie jedenfalls höher ansetzen, als wenn man versucht, den Fall enteignungsrechtlich zu betrachten. Negative Einwirkungen sind dann Einwirkungen wie alle anderen, so daß nichts i m Wege steht, sofort — und ohne die Akzentuierung als irregulär — die Fragen der Ortsüblichkeit (Situationsgebundenheit) und der Zumutbarkeit zu prüfen. Die Opfergrenze, von der an man Enteignung annimmt, w i r d wesentlich niedriger liegen. Allerdings greift dann der schon oben erläuterte Gedanke ein, daß der Nachbar auch gegenüber öffentlichen Grundstücken die Einwirkungen dulden muß, die er gegenüber privaten Nachbarn entschädigungslos hinnehmen müßte. Dabei ist jedoch wieder zu beachten, daß man hierbei nicht m i t Fiktionen arbeiten darf. Man darf nicht sofort fragen, wie der Fall nachbarrechtlich zu beurteilen wäre. Das würde nur eine Rückkehr zu der abgelehnten rein nachbarrechtlichen Betrachtungsweise bedeuten. Vielmehr ist zunächst zu fragen, ob der Fall typischerweise auch zwischen Nachbarn vorkommen kann. Erst wenn das bejaht wird, ist auf die Entschädigungskriterien des Nachbarrechts zurückzugreifen. I m Weinbergfall w i r d man m. E. dazu kommen müssen, daß die Beeinträchtigung i m Verhältnis zwischen privaten Nachbarn nicht vorkommen kann. Allerdings ist das eine Frage der konkreten örtlichkeit, die nicht generell entschieden werden kann. Immerhin spricht vieles dafür, die theoretische Möglichkeit, daß auch ein Nachbar durch eine mehrere 100 m lange und einige Meter hohe Mauer oder durch ein ganz extrem langes Fabrikgebäude die kleinklimatischen Verhältnisse derart nachhaltig und schwerwiegend verändert, als so irreal anzusehen, daß sie keine Grundlage für die Heranziehung der Grundsätze des privaten Nachbarrechts bietet. Was i n jedem Falle bleibt, ist auch hier die Akzentverschiebung, die Verlagerung der Argumentationslast. I m Durchschnitt aller Fälle w i r d das zu Abweichungen i n den Ergebnissen führen. I I I . Abgrenzung zur Gefährdungshaftung 1. I m Privatrecht wie i m öffentlichen Recht besteht keine völlige Klarheit über die rechtsdogmatischen Probleme der Gefärdungshaftung. I m Privatrecht w i r d immer wieder die bekannte Frage „Erfolgsunrecht oder Handlungsunrecht" behandelt, also die Frage, ob und inwieweit die Gefährdungshaftung Haftung für Rechtswidrigkeit ist 6 9 . I m öffent69

Vgl. dazu schon o., § 5 V.

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§ 8. Zum Nachbarrecht der öffentlichen Sachen

liehen Recht ist stark umstritten, ob man ein Institut „öffentlich-rechtliche Gefährdungshaftung" überhaupt anerkennen soll und wie man es von Tatbeständen der Enteignung abgrenzen kann 7 0 . Die Abgrenzungsfragen werden auch an dieser Stelle der Untersuchung akut, weil sich Fälle, i n denen sie eine Rolle spielen, oftmals gerade i m Zusammenhang m i t dem Nachbarrecht der öffentlichen Sachen ergeben. Bekanntestes Beispiel sind dafür die vom RG entschiedenen Fälle der Schädigungen von Nachbarn durch Funkenflug beim Eisenbahnbetrieb 71 . Wenn man die gängige Formel benutzt, Gefährdungshaftung sei „Zurechnung des typischen Schadenrisikos bestimmter Arten von Tätigkeiten 7 2 , so fällt es leicht, die Funkenflug-Fälle hier einzuordnen. Aber die genannte Formel ist gefährlich. Sie verführt dazu, noch eine Reihe anderer Fälle als Gefährdungshaftung einzuordnen, Fälle jedoch, die hier offenbar falsch eingeordnet wären. Dieser Gefahr sind insbesondere Meisner-Stern-Hodes 78 erlegen. Diese meinen, das allgemeine Prinzip, auf das die Rechtsprechung des RG zum Nachbarrecht der öffentlichen Sachen zurückzuführen sei, sei das der Gefährdungshaftung, „wenn auch das RG das K i n d nicht beim Namen genannt" habe 74 . Es werden 7 5 u. a. auch die Entscheidungen RGZ 170, 40 und 167, 14 als Beispiele für dieses Prinzip angeführt, die hier schon besprochen 76 und als Aufopferungsfälle gekennzeichnet wurden. Ferner werden angeführt: RGZ 159, 68, wo es u m Schäden an Bienen und Bienenvölkern durch Abgase eines Hüttenwerkes ging, und RGZ 155, 154, wo Erdaufschüttungen Privater bei Nachbarn einen schädlichen Anstieg des Grundwassers verursachten. Es werden also Fälle als Gefährdungshaftung bezeichnet, die bislang nach Aufopferungsgrundsätzen behandelt wurden. Allerdings sagen Meisner-Stern-Hodes an anderer Stelle 77 , i n denjenigen Fällen, i n denen es u m „fortdauernde Beeinträchtigungen" gegangen sei, treffe auch die reichsgerichtliche Begründung zu. Trotzdem wollen sie aber anscheinend nunmehr auch diese Fälle als Gefährdungshaftung erklären, wie sich aus ihrer Behauptung ergibt, es sei folgender gewohnheitsrechtlicher Satz anerkannt: „Der Unternehmer eines gemeingefährlichen Betriebes haftet auch ohne Verschulden auf Schadenersatz für die Schädigungen des Eigentums, die durch Auswirkung der m i t seinem Betrieb verbundenen, diesem Betrieb 70

Vgl. o., § 6 I I 1. Vgl. RGZ 17, 103; 58, 134; 97, 291; 98, 347. So etwa Larenz, Festschrift f ü r Dölle, B a n d I , S. 174/175; ders. Schuldrecht I I , § 7 1 I ; Enneccerus-Nipperdey, §208 I I 1; Esser, Grundlagen u n d E n t w i c k l u n g der Gefährdungshaftung (1941); B G H Z 24, 26; 34, 361. 73 Vgl. insbes. § 43 D I I I ; Glaser-Dröschel, S. 167, schließen sich dem an. 74 Meisner-Stern-Hodes, S. 782/783. 75 I n Fn. 96 auf S. 782. 76 Oben, § 8 I 1. 77 S. 787, 2. Abs. 71

72

III. Abgrenzung zur Gefährdungshaftung

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eigentümlichen Gefahren verursacht sind". Dieser Satz w i r d von Meisner-Stern-Hodes dann als „Gefährdungsprinzip" bezeichnet, ohne die oben als Ausfluß des Aufopferungsprinzips gekennzeichneten Fälle auszunehmen 78 . Es überrascht dann nur, daß später 79 der Anspruch aus § 26 GewO unter Berufung auf RGZ 159, 69 als „eine A r t gesetzlicher A u f opferungsanspruch" gekennzeichnet wird. — Nicht weniger unklar ist die Argumentation bei Glaser-Dröschel 80: Unter der Überschrift „Der Ausgleichsanspruch aus Aufopferung" bezeichnen sie i n Fällen, i n denen eine „an sich" unzulässige Immission wegen hoheitlicher Funktion des Emittenten geduldet werden muß, den entstehenden Ausgleichsanspruch ebenfalls als „eine A r t Gefährdungshaftung" 81 . — Nicht weniger Unklarheit herrscht i m öffentlich-rechtlichen Schrifttum über die Abgrenzungsprobleme der öffentlich-rechtlichen Gefährdungshaftung 82 . Forsthoff behandelt zwar die immissionsrechtlichen Fälle nicht ausdrücklich bei der öffentlich-rechtlichen Gefährdungshaftung 83 . Er meint aber 84 , i n dem vom B G H entschiedenen „Bienenfall" 8 5 sei es nicht u m Aufopferung, sondern u m Gefährdungshaftung gegangen. A n anderer Stelle 86 verweist er die „Einwirkungen nachbarrechtlicher A r t , die von Anlagen und Veranstaltungen der öffentlichen Verwaltung auf Nachbargrundstücke ausgehen", i n die öffentlich-rechtliche Gefährdungshaftung, indem er sagt, Eingriff (im Sinne des Enteignungs- und Aufopferungsrechts) sei nur, „was eingreifen soll, nicht was zufällig oder wenigstens ungewollt geschieht". Wiederum an anderer Stelle 87 werden allerdings die Fälle der Anliegerschädigung durch U-Bahn-Bau enteignungsrechtlich behandelt. — Schack 88 wollte die Immissionsfälle generell der öffentlichen Gefährdungshaftung zurechnen, jetzt stimmt er allerdings der aufopferungsrechtlichen Auffassung des B G H zu 89 . 2. M. E. sind diese Meinungen nicht selten von einem unkontrollierten Umgang m i t den Wörtern „Gefahr" und „gefährlich" beeinflußt. 78

Vgl. S. 789/790. S. 795. S. 167. 81 Unter Berufung auf Meisner-Stern-Hodes, a.a.O., die aber f ü r diese dogmatische Behandlung nichts hergeben, w i e auch auf B G H Z 9, 83, w o es u m Impfschäden geht; zu den übrigen Autoren, auf die Glaser-Dröschel sich hier berufen (Schack, Forsthoff, Staudinger-Seufert) vgl. i m folgenden T e x t ; v o r wegnehmend ist hier zu sagen, daß sie sämtlich die bei Glaser-Dröschel und Meisner-Stern-Hodes vorgenommene Einordnung nicht v o l l rechtfertigen. 82 Soweit sie überhaupt als I n s t i t u t anerkannt w i r d ; scharf ablehnend etwa Hans J. Wolff, V e r w R I , §66 I I c; Jaenicke, W D S t R L 20, S. 135 ff. 79

80

88

84 85 86 87 88 89

§ 18, 1.

S. 336 Fn. 3. B G H Z 16, 366; dazu schon o., S. 175. § 17, S. 320. S. 377 f. D J T 1955, S. 26. DVB1 1967, 886.

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§ 8. Zum Nachbarrecht der öffentlichen Sachen

Sie gehen möglicherweise zu sehr vom allgemeinen Sprachgebrauch aus. Es ist nach dem vor-juristischen Sprachgebrauch gewiß möglich, alle Haftung für schädigendes Verhalten, das man gefährlich nennen kann, als Gefährdungshaftung zu bezeichnen. N i m m t man dann noch hinzu, daß Folgen von Tätigkeiten, die zivilrechtlicher Gefährdungshaftung unterworfen sind, typischerweise unbestimmt, nicht genau vorhersehbar sind, so liegt es nahe, alle Haftungen aus typisch gefährlichem Tun, bei dem die Folgen unbestimmt sind, als Gefährdungshaftung zu bezeichnen. Dann ist das ganze Immissionsrecht Gefährdungshaftung. Abgase und L ä r m sind nach allgemeinem Sprachgebrauch gewiß „gefährlich" und i n ihren Folgen meist nicht genau vorherzusehen. Aber dieser Begriff des Gefährlichen ist gänzlich untechnisch, unjuristisch. Sicher sind die Tatbestände der zivilrechtlichen Gefährdungshaftung geschaffen worden, u m nicht ein breites Publikum gegenüber typisch gefährlichen Tätigkeiten ohne Ersatzanspruch zu lassen. Das bedeutet aber keineswegs, daß Gefährlichkeit i n diesem Sinne auch schon das rechtsdogmatische Abgrenzungskriterium zu anderen Haftungsarten sein müßte. 3. Es war bereits oben 90 gezeigt, wo i m Privatrecht die Grenze zwischen Aufopferung und Gefährdungshaftung liegt. Insbesondere legten es die vielen i n der vorliegenden Untersuchung aufgezeigten Parallelen zwischen privatrechtlicher Aufopferung und öffentlich-rechtlicher Aufopferung (Enteignung) nahe, die für das Privatrecht gefundene Abgrenzung zwischen Aufopferung und Gefährdungshaftung nun ebenfalls ins öffentliche Recht zu übernehmen 91 . Auch hier ist es also zunächst irreführend, irgendetwas aus dem allgemeinen Sprachgebrauch abzuleiten. Gewiß ist z. B. Straßenbau auch für die Nachbarn u. U. „gefährlich". Aber deshalb hat das Verhältnis zwischen Straßenbaulastträger und Nachbarn noch nichts m i t Gefährdungshaftung zu tun. Zu fragen ist vielmehr auch hier, ob der Erfolg auch dann, wenn er konkret vorhergesehen worden wäre, hätte verursacht werden dürfen oder nicht. Dann ergibt sich, daß i n vielen Fällen, die bislang zur (öffentlich-rechtlichen) Gefährdungshaftung gerechnet wurden, Aufopferung (Enteignung) vorliegt. Vor allen Dingen gilt das von den vom RG entschiedenen Funkenflug-Fällen 92. Der Zugbetrieb hätte auch dann aufrecht erhalten werden dürfen, wenn die Vernichtung der benachbarten Scheune o. ä. als sicher vorhergesehen worden wäre. Es liegt nahe, dagegen noch m i t dem Unfallcharakter solcher Ereignisse zu argumentieren, also zu sagen, Gefährdungshaftung sei Unfall90 91 92

S. 133 ff. Vgl. o., § 6 I I 1 („Michaelis'sche Formel"). Vgl. o., S. 182 Fn. 71.

III. Abgrenzung zur Gefährdungshaftung

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Haftung, die Funkenflugschäden seien Unfälle und daher Gefährdungshaftung. Darin lägen zwei Fehler: Zunächst wieder der Fehler, den allgemeinen Sprachgebrauch als rechtsdogmatisch relevant anzusehen, also von hierher alles, was man als Unfall bezeichnen kann, auch gleich als Gefährdungshaftung einzuordnen. Zum andern haben solche Schäden gar nicht eindeutig Unfall-Charakter. M i t Schack 98 w i r d man vielmehr sagen müssen, daß auch eine sich i n mehr oder weniger großen Pausen wiederholende Gefährdung eine dauernde Beeinträchtigung der benachbarten Grundstücke bildet. Und ferner w i r d man m i t Schack 94 i m Anschluß an Hemsen 95 sagen müssen, daß man einen Unterschied zwischen „plötzlicher" und „ständiger" Einwirkung i n solchen Fällen überhaupt nicht machen kann, da der Beginn und jede einzelne Phase einer über einen längeren Zeitraum andauernden, ständigen Einwirkung ein „plötzlicher" Schaden sein kann. Ein weiteres Argument für die aufopferungsrechtliche Natur solcher Fälle ist dieses: Bei stationären Einrichtungen, die dauernd Funken sprühen, handelt es sich gewiß u m eine nachbarrechtliche, aufopferungsrechtliche Frage. Dann ist nicht einzusehen, warum etwas anderes gelten sollte, nur weil sich die funkensprühenden Lokomotiven auf den ortsfesten Schienen bewegen 96 . Als echte Unglücksfälle, als Gefährdungshaftung, bleiben dann nur Schäden wie die bei Explosionsunglücken 97 , Schießunglücken oder i n dem berühmten Fall der bei einer Verbrecherjagd abirrenden Kugel. Die theoretische und praktische Bedeutung der hier gefundenen A b grenzung zwischen öffentlich-rechtlicher Gefährdungshaftung und öffentlich-rechtlicher Aufopferung darf nicht überschätzt werden. Insbesondere w i r d damit das Wölpsche 9 8 Argument, es fehle für eine öffentlichrechtliche Gefährdungshaftung die Grundlage i m geltenden Recht, nicht ausgeräumt. Immerhin könnte die hier gezeigte Möglichkeit einer scharfen Abgrenzung zur Aufopferung (Enteignung) den Tendenzen zur Anerkennung eines Instituts der öffentlich-rechtlichen Gefährdungshaftung weiteren Auftrieb geben 99 . 93

N J W 1965, 1702. a.a.O. S. 91. 96 So auch Schack, a.a.O. 97 A b e r auch diese nicht i m m e r : Wenn eine Munitionsfabrik, deren E x p l o sion so sicher ist, daß der Abwehranspruch des § 907 B G B besteht, wegen öffentlichen Interesses geduldet werden muß — so der F a l l i n RGZ 101,102 — u n d dann explodiert, liegt ein Aufopferungs-Fall vor. 98 Hans J. Wolf, VerwR, I, § 66 I I c. 99 Nicht zu folgen ist jedoch der Forsthoffschen Annahme einer „öffentlichrechtlichen Vorteilsausgleichung" (Forsthoff, § 18, 2, S. 337 ff.). M i t Hans J. Wolff, Verwaltungsrecht I , § 61 I c, sind die v o n Forsthoff dort angeführten Fälle vielmehr der privatrechtlichen Aufopferung zuzuordnen. 94

95

§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage I. Das bisherige System und seine Schwierigkeiten 1. Das BBauG, die BauNVO und die Bauordnungen der Länder schreiben sachlich übereinstimmend vor, daß von ihren Vorschriften unter bestimmten Voraussetzungen „Befreiung" („Dispens") erteilt werden kann. Es ist allgemein bekannt, daß derartige Abweichungen von — zwingenden — Vorschriften des öffentlichen Baurechts nicht nur den jeweiligen Bauherrn und die Baubehörde angehen, sondern auch die Interessen des Nachbarn berühren können. Und es ist heute i m Prinzip so gut wie unstreitig, daß sich ein Grundeigentümer gegen eine dem Nachbarn 1 erteilte Baugenehmigung wenden kann, nämlich i m Verwaltungsreciitsweg gegen die Behörde auf Rücknahme der Baugenehmigung klagen kann, wenn diese Genehmigung unter Abweichung von „nachbarschützenden" Normen des öffentlichen Baurechts erteilt worden ist 2 . Eine unter dieser Voraussetzung zulässige „öffentlich-rechtliche Nachbarklage" ist allerdings nur begründet, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Abweichung nicht vorliegen. Es scheint zunächst, als sei dies ein klares und praktikables System. Die Frage der Abgrenzung zwischen nachbarschützenden Normen und Normen, gegen deren Verletzung keine öffentlich-rechtliche Nachbarklage zulässig ist, ist in der Rechtsprechung kasuistisch weitgehend geklärt 3 . Die Anwendung der tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Dispens scheint kaum Schwierigkeiten zu bereiten. 2. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, daß die rechtsdogmatischen Grundlagen und Probleme der öffentlich-rechtlichen Nachbar1 Nachbar ist auch hier nicht n u r der, der unmittelbar angrenzt, sondern jeder Grundeigentümer i m Einwirkungsbereich eines störenden Baus; so auch O V G Münster DöV 1963, 842 v. 22.4. 63. 2 Ernstliche Zweifel daran äußern n u r Sellmann, DVB1 1963, 273, 283 ff. u n d R. Schneider, V e r w A r c h 1967, 305. Gegen die Zulassung der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage i n der Rechtsprechung allein das O V G H a m b u r g (DVB1 1959, 822). Die ältere Rechtsprechung w a r uneinheitlich. Das p r O V G hat die Zulässigkeit einer öffentlich-rechtlichen Nachbarklage i n ständiger Rechtsprechung verneint, während sie z.B. v o m sächsischen O V G bejaht w u r d e ; zu dieser älteren Rechtsprechung ausführlich Sellmann, a.a.O. u n d Laubinger, S. 34 ff. Die Schwierigkeiten bei einer Zulassung der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage waren damals w i e heute dieselben; das zeigt z. B. ein Aufsatz von Brachmann, Fischers Zeitschrift Bd. 42 (1913), 213 ff. 3 Dazu auch u., V I , S. 1.

I. Das bisherige System und seine Schwierigkeiten

187

klage bis heute nicht gelöst sind 4 . A l l e bisherigen Versuche haben Lösungen erbracht, die sich i n Widersprüche verwickeln und zu einer Handhabung des öffentlichen Baurechts führen, die den praktischen Bedürfnissen nicht gerecht wird. a) Nach wie vor gibt es keine überzeugende Begründung dafür, warum ein Nachbar gegen Verletzung der nachbarschützend wirkenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts klagen kann. Selbstverständlich ist ein Klagerecht gegen Verletzung solcher Normen nur dann, wenn dieser Nachbarschutz privatrechtlich, etwa i m BGB, normiert ist. Wenn ein Grundeigentümer gegen i m BGB ausdrücklich angeordnete Einschränkungen seines Eigentümerbeliebens verstößt, dann kann der beeinträchtigte Nachbar gemäß § 1004 BGB Unterlassung und Beseitigung verlangen. Verletzung der Normen des privaten Nachbarrechts ist Eigentumsverletzung. Bei einem durch Vorschriften des öffentlichen Baurechts vermittelten Nachbarschutz ist das weit weniger eindeutig. Denn es ist keineswegs sicher, ob diese Vorschriften, auch wenn sie nachhaltig nachbarliche Interessen berühren, private Rechtspositionen vermitteln oder ob sie nur Reflexwirkungen für die Nachbarn zeitigen. Das ist deswegen fraglich, weil, wie man sagt, alle Vorschriften des öffentlichen Baurechts in erster Linie i m öffentlichen Interesse erlassen sind, nicht i m privaten Interesse von Nachbarn. Wenn heute trotzdem allgemein anerkannt wird, daß Vorschriften des öffentlichen Baurechts auch subjektive Rechte oder „rechtlich geschützte Positionen" schaffen können (und daher bei Verletzung dieser Positionen Rechtsschutz gewährt sein muß), so beruht dies anscheinend mehr auf einer intuitiven Einsicht 5 , als auf einer klaren dogmatischen Begründung 6 . b) Wenn auch kasuistisch weitgehend geklärt ist, welche Normen des öffentlichen Baurechts nachbarschützend sind, so bleiben doch in einzelnen wichtigen Punkten Streitfragen bestehen7. 4

Trotz der Fülle des Schrifttums u n d der zahllosen Gerichtsentscheidungen kritisiert Erichsen, DVB1 1967, 269, w o h l zu Recht, daß man sich u m ein „Gesamtverständnis" bislang n u r wenig intensiv bemüht habe. Wenn allerdings Redeker, N J W 1959, 751 f., von „verwirrenden Schwierigkeiten" u n d einem „heillosen Durcheinander" spricht (unter B i l l i g u n g v o n Sellmann, DVB1 1963, 278 ff.), so dürfte das auch schon nach dem damaligen Stand der Diskussion übertrieben gewesen sein; abgesehen davon sind einige Streitfragen inzwischen geklärt. 5 Sellmann, DVB1 1963, 279, spricht gar von einer „emotionalen" Meinung. 6 Gerade die rechtsdogmatischen Unklarheiten führen i m m e r wieder zu neuen Streitigkeiten i n Detailfragen; so auch Redeker, DVB1 1968, 7. 7 Insbes. bei der Frage, ob planungsrechtliche Festsetzungen generell nachbarschützend sind; dafür: O V G Münster N J W 1964, 1738 (v. 25.2.64) u n d Geizer, Bauplanungsrecht § 146; dagegen: bremOVG DöV 1965, 461 (v.

188

§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

c) Sehr schwierig gestaltet sich die Beantwortung der Frage, inwieweit es rechtens ist, daß der Nachbar durch den Dispens beeinträchtigt w i r d (wenn dessen Voraussetzungen i m übrigen vorliegen). Von der Ansicht, schon die geringste Abweichung von nachbarschützenden Normen des öffentlichen Baurechts sei eine unzumutbare Beeinträchtigung, die der Nachbar abwehren könne 8 , bis zu der Behauptung, u. U. müsse der Nachbar auch wesentliche Beeinträchtigungen dulden 9 , findet sich eine breite Skala unterschiedlicher Meinungen. Es hat allerdings den Anschein, als stimmten heute alle jedenfalls darin überein, daß ein Dispens gegenüber dem Nachbarn nie die Grenzen der Enteignung überschreiten dürfe. Meist w i r d daraus gefolgert, ein Dispens dürfe den Nachbarn nicht wesentlich beeinträchtigen 10 . Gelegentlich w i r d allerdings auch bei diesem Ausgangspunkt eine wesentliche Beeinträchtigung zugelassen, und zwar m i t der Begründung, das Eigentum des Nachbarn schließe i n Sonderfällen die Abwehr wesentlicher Beeinträchtigungen nicht ein 11 . d) Besondere Schwierigkeiten bereiten der Praxis öffentlich-rechtliche Nachbarklagen, die erst nach Beginn oder gar erst nach Fertigstellung des beanstandeten Baus erhoben werden. Prozeßrechtlich ist das dort möglich, wo die angegriffene Baugenehmigung dem Nachbarn nicht bekanntgemacht ist und daher i h m gegenüber nicht bestandskräftig werden kann. A l l e bisherigen Versuche, unbefriedigende Ergebnisse zu vermeiden, etwa indem man prozeßrechtlich die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO auch für die Klage des Nachbarn anwendet, oder indem man materiellrechtlich m i t Gedanken der V e r w i r kung oder der Interessenabwägung zwischen den beteiligten Grundeigentümern oder zwischen Bauherrn und öffentlichem Interesse operiert 1 2 , — alle Versuche führen oft zu wenig billigenswerten Ergebnissen, bei denen ein i m guten Glauben an die Richtigkeit der Baugenehmigung errichtetes Gebäude wieder abgerissen werden muß oder ein Nachbar sich seine Zustimmung zum Fortbestand des Gebäudes teuer abkaufen lassen kann. 15.2.65); b w V G H DöV 1965, 531 (v. 14.4.65); B V e r w G E 28, 268 (v. 6.12.67), Gelegentlich sind sich gar verschiedene Senate desselben Gerichts nicht einig, so i n der Frage des nachbarschützenden Charakters der Grundflächenzahl (Hofraumgröße), vgl. b w V G H DöV 1965, 531 (v. 13. 4. 65) u n d DöV 1964, 388 (v. 20.1.64). Recht aktuell z. B. auch die Frage der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage beim Bauen i m Außenbereich; dazu etwa Böhm, B1GBW 1966, 69ff.; B V e r w G E 28, 268ff. (v. 6. 12. 67); Bartelsperger, V e r w A r c h 1969, 35ff.; Zinkahn-Bielenberg, BBauG, § 35 Rn. 132, 133; Schrödter, § 31 Rn. 11; vgl. i m übrigen die Zusammenstellung bei Laubinger, S. 59 ff. 8 So OVG Lüneburg DVB1 1962, 419/420 (v. 22. 3. 62). 9 Erichsen, DVB1 1967,272. 10 Rüfner, DVB1 1963,613. 11 Erichsen, a.a.O. 12 Vgl. i m einzelnen u., S. 216 f.

I. Das bisherige System und seine Schwierigkeiten

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e) Unklar ist auch das Verhältnis zwischen Baugenehmigung und verwaltungsgerichtlichem Vorgehen einerseits und zivilgerichtlichem Rechtsschutz andererseits. Muß bei jedem zivilrechtlichen Vorgehen zu^nächst die Baugenehmigung beseitigt sein oder genügt es, wenn ein an sich erforderlicher Dispens nicht erteilt worden ist? Oder kann — oder muß — umgekehrt sogar noch nach Aufhebung der Baugenehmigung verwaltungsgerichtlich vorgegangen werden? Einigkeit besteht hier immerhin darin, daß, wenn man schon nachbarschützende Normen und öffentlich rechtliche Nachbarklagen anerkennt, es einen Bereich geben muß, i n dem diese Klageart den Vorrang vor zivilrechtlichem und zivilprozeßualem Vorgehen hat und i n dem die Baugenehmigung eine Tatbestandswirkung entfaltet 1 8 : Wenn nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts Rechtspositionen auch für den Nachbarn begründen, so kann dies i n der Regel nicht dahin führen, daß der Nachbar nunmehr gem. § 1004 BGB vorgehen kann. Wenn zwar auch die Baugenehmigung stets „unter Vorbehalt der Rechte Dritter" erteilt wird, so können trotzdem m i t diesen Rechten Dritter nicht auch die i m öffentlichen Baurecht begründeten Rechtspositionen der Nachbarn gemeint sein. Denn es ist gerade A u f gabe der Baubehörde, über die Ubereinstimmung eines Bauvorhabens m i t dem öffentlichen Baurecht und damit auch m i t dessen nachbarschützenden Normen zu befinden. M i t der Baugenehmigung w i r d gesagt, daß diese Übereinstimmung gewahrt ist. Dann geht es nicht an, diese Feststellung dadurch hinfällig zu machen, daß der Nachbar, weil die Feststellung unrichtig ist, gegen den nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften rechtswidrigen Bau m i t dem M i t t e l zivilrechtlicher Abwehrklage vorgeht. Dasselbe gilt erst recht dann, wenn die Baubehörde dem Bauherrn ausdrücklich eine Befreiung von der Einhaltung nachbarschützender Normen erteilt hat 1 4 . I n beiden Fällen muß an die Stelle des zivilen Rechtsschutzes des § 1004 BGB ein Vorgehen gegen die Baugenehmigung treten. Diese muß zunächst beseitigt werden, wenn der Nachbar einen normgemäßen Bauzustand erzwingen w i l l . 13

Anders w o h l n u r O L G München N J W 1959, 1184. A . A. n u r Redeker, N J W 1959, 749 ff., 752, der meint, m a n solle sich zu der Auffassung bekennen, die Baugenehmigungsbehörde prüfe n u r die öffentlichen Belange, lasse aber die privaten Belange auch insoweit u n beachtet, als sie i n den Normen des öffentlichen Baurechts geschützt sind. Redeker w i l l dem Nachbarn auch dann einen zivilrechtlichen A b w e h r anspruch unmittelbar gegen den Bauherrn wegen Verletzung öffentlichrechtlicher nachbarschützender Vorschriften zuerkennen, w e n n die Baugenehmigung (mit oder ohne Dispens) i n der Welt ist. Das ist schon deswegen abzulehnen, w e i l es bei dieser unpraktikablen Auffassung m i t Sicherheit zu der vielfach befürchteten Erstarrung des öffentlichen Baurechts kommen müßte. E i n Dispens v o n nachbarschützenden Normen wäre dann praktisch n u r noch m i t Zustimmung des Nachbarn möglich, was allerdings heute auch i n der auf öffentlich-rechtlichen Auffassungen basierenden Praxis w e i t gehend der F a l l ist. 14

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

Die Anerkennung nachbarschützender Normen des öffentlichen Baurechts führt also nicht zur Klagemöglichkeit des § 1004 BGB, vielmehr zur Klage des Nachbarn gegen die Baugenehmigung, eben zur öffentlich-rechtlichen Nachbarklage. So einhellig dies heute auch i m Ergebnis anerkannt wird, so sehr ist auf einen trotzdem verbleibenden Widerspruch hinzuweisen: Einerseits läßt man bei Verletzung des öffentlichen Baurechts nur die Klage gegen die Baugenehmigung zu. Nach deren eventuellem Erfolg, wenn also die Baugenehmigung beseitigt ist, läßt man dennoch gegen ein schon begonnenes Bauvorhaben vielfach immer noch nicht die Beseitigungsklage aus § 1004 BGB zu, sondern nur einen Anspruch gegen die Behörde auf Einschreiten gegen den Bau 15 . Man nimmt hier also oft deutlich eine nur gegen die Behörde geltend zu machende Position an, ein rein öffentliches subjektives Hecht, nicht auch ein privates subjektives Recht 16 . Andererseits aber w i r d allgemein angenommen, daß eine zivilrechtliche Abwehrklage dann gegeben sei, wenn ohne jede Baugenehmigung unter Verletzung von Vorschriften des öffentlichen Baurechts gebaut ist. Hier äußern diese Vorschriften also plötzlich doch rein privatrechtliche Wirkungen 1 7 . f) Schwierigkeiten bereitet der Praxis schließlich die Frage des vorläufigen Rechtsschutzes nach erhobener öffentlich-rechtlicher Nachbarklage, nämlich, ob hier Widerspruch und Klage des Nachbarn aufschiebende W i r k u n g gem. § 80 Abs. 1 VwGO haben (und eine sofortige Vollziehung besonders angeordnet werden muß) oder ob die Einstellung des Baus vor Ende des Prozesses um die Baugenehmigung nur 15 So etwa Kemnade, S. 3 ff., allerdings m i t dem Argument, die Verletzung von Vorschriften des öffentlichen Baurechts führe i n aller Regel n u r zu „negativen Beeinträchtigungen", gegen die § 1004 B G B keinen Schutz biete. Das ist höchst fraglich. Z w a r fallen unter § 906 B G B n u r positive E i n w i r kungen, nicht auch „Abhaltungen". § 1004 B G B aber spricht von „beeinträchtigen", was keine Beschränkung auf positive E i n w i r k u n g e n bedeutet. Die Verletzung eines n u r privatrechtlich vorgeschriebenen Grenzabstandes w ü r d e gewiß n u r eine negative Beeinträchtigung bedeuten, wäre aber ebenso gewiß m i t der Abwehrklage aus § 1004 B G B zu verhindern u n d ggf. wieder zu beseitigen. Allerdings ist diese Frage praktisch nicht besonders wichtig, w e n n man die nachbarschützenden Normen als Schutzgesetz i. S. v. § 823 Abs. 2 B G B ansieht. Dann ergibt sich bei Verletzung der einhellig anerkannte (vgl. z. B. B G H Z 3, 270; 30, 7) Unterlassungsanspruch i n Analogie zu § 1004 BGB. Kemnade geht den sich daraus ergebenden Konsequenzen nicht weiter nach. 16 Deutlich anders jedoch B V e r w G E 22, 129 ff. (v. 5. 10. 65), wonach z i v i l gerichtlich i m m e r dann vorgegangen werden kann, w e n n keine Baugenehmigung vorliegt, sei es, daß sie nie vorlag, sei es, daß sie durch Anfechtungsklage des Nachbarn beseitigt worden ist (a.a.O., S. 132/133). 17 Abwegig Schröer, DöV 1966, 231: Die Vorschriften des öffentlichen B a u rechts begründeten zwischen Bauherrn u n d Nachbarn ein öffentlich (!)rechtliches Verhältnis; nach Beseitigung der Baugenehmigung sei der A n spruch auf Beseitigung des rechtswidrigen Bauwerks durch Klage — z w i schen diesen Parteien — v o r dem Verwaltungsgericht (!) durchzusetzen.

I. Das bisherige System und seine Schwierigkeiten

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nach § 123 VwGO (einstweilige Anordnung) angestrebt werden kann. Oft fällt bei dieser prozeßrechtlichen Frage die Entscheidung über das gesamte künftige Rechtsverhältnis zwischen den beteiligten Grundeigentümern, denn wer weiterbauen darf, schafft vollendete Tatsachen, über die später kein Gericht so leicht hinweggehen wird. 3. Alle diese Unstimmigkeiten und Schwierigkeiten sind letztlich darauf zurückzuführen, daß die zur Klage berechtigende Position des Nachbarn viel zu häufig nur als ein öffentliches, gegen die Behörde gerichtetes subjektives Recht angesehen wird, daß also die gesamte Problematik meist nur unter öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkten betrachtet wird, nur als die Frage, wie der beeinträchtigte Nachbar gegenüber der Behörde zu seinem Recht kommen kann. Die vorliegende Untersuchung w i r d zu dem Vorschlag führen, von dieser bislang kaum i n Frage gestellten Grundauffassung abzugehen. Die bisherigen Ergebnisse der Untersuchung drängen dazu, einen solchen Vorschlag zu durchdenken und zeigen die Alternative, die der bisherigen Auffassung entgegengesetzt werden könnte, nämlich eine „extrem" privatrechtliche Auffassung, die davon augeht, daß auch das öffentliche Baurecht privates Nachbarrecht schafft. Das führt nicht etwa zur privaten Nachbarklage. Wohl aber führt das zur Annahme einer privatrechts-streitentscheidenden Funktion der Baugenehmigung, also zu einer deutlichen Parallele zu der gewerberechtlichen Anlagegenehmigung, die gerade dieser Parallele wegen besprochen worden ist 1 8 Die folgenden Ausführungen versuchen zu zeigen, daß eine solche Annahme rechtsdogmatisch möglich und daß sie der öffentlich-rechtlichen vorzuziehen ist, weil sie praktikabler ist als diese. Das liegt i m wesentlichen darin begründet, daß die privatrechtliche Auffassung es auch hier ermöglicht, Erscheinungen, die bislang nicht anders als enteignungsrechtlich verstanden werden konnten, privatrechtlich einzuordnen und damit von den dem Nachbarrecht gänzlich inadäquaten Fesseln des A r t . 14 Abs. 3 GG zu befreien. Gerade hieran sind auch die wenigen gescheitert, die bisher schon versucht haben, den Problemen mit einer zivilrechtlichen Betrachtungsweise beizukommen. Sie lassen keine Dispense zu, die den Nachbarn wesentlich beeinträchtigen und kommen damit zu Ergebnissen, die insoweit von denen der öffentlich-rechtlichen Auffassung kaum abweichen und ebenso unpraktikabel sind wie diese 19 .

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Vgl. o., § 7. Vgl. Redeker, N J W 1959, 749 ff. (dazu schon o., S. 189 Fn. 14); Rüfner, DVB1 1963, 609 ff., 613; Kniestedt, DöV 1962, 89 ff. 19

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

I I . Bisherige Versuche der prinzipiellen Rechtfertigung des Instituts 1. Bei der Frage der grundsätzlichen Rechtfertigung des Instituts der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage darf man sich nicht der Illusion hingeben, der Gesetzgeber habe inzwischen irgendwie i m Sinne einer prinzipiellen Zulässigkeit der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage entschieden. Vielmehr wäre es wohl realistischer, anzunehmen, daß mancher der hier zuständigen Gesetzgeber das Institut lieber heute als morgen ausdrücklich abschaffen würde, wenn dagegen nicht verfassungsrechtliche Bedenken beständen. Das materielle öffentliche Baurecht hat dem Nachbarn nirgends ausdrücklich ein Klagerecht eingeräumt, und gewiß ist eine derartige Nachbarklage auch dem Verwaltungsprozeßrecht fremd, da sich keine ausdrücklichen prozeßrechtlichen Vorschriften für diese Klageart finden. Von einem Willen des Gesetzgebers, dem Nachbarn ein klagbares Recht einzuräumen, kann keine Rede sein 20 . I m Grunde w i r d dies wohl überall dort erkannt, wo versucht wird, die Existenz einer klagbaren Position des Nachbarn mittelbar zu beweisen, nämlich dadurch, daß man zu begründen versucht, daß nach dem Willen des Gesetzgebers eine Reihe von Normen des öffentlichen Baurechts auch den Nachbarn schützen sollen. Das ist für sich allein noch nicht schlüssig, denn es müßte noch der weitere Beweis geführt werden, daß schon wegen dieses gesetzgeberischen Willens auch ein klagbares Recht anzunehmen ist. Dazu w i r d noch einiges zu sagen sein. Hier genügt zunächst die Feststellung, daß es gerade diese Versuche eines mittelbaren Beweises sind, die zeigen, daß ein Wille des Gesetzgebers, dem Nachbarn eine klagbare Position einzuräumen, i m Grunde nicht erkennbar ist. 2. Für die Annahme einer klagbaren Position des Nachbarn reicht — jedenfalls nach fast einhelliger verwaltungsrechtlicher Meinung 2 1 — nicht aus, daß sich eine faktische Auswirkung einer Norm auf nachbarliche Interessen ermitteln läßt. I n keinem Falle folgt hiernach allein 20 So v o r allem m i t Nachdruck u n d Nachweisen Sellmann, DVB1 1963, 284 f. Das O V G B e r l i n N J W 1967, 2279 (v. 27. 1. 67), meint, die Bauordnungen überließen die Frage der Entscheidung durch L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung; Peters, DöV 1965, 749, meint, die „vorsichtige Formulierung" des § 31 Abs. 2 B B a u G spreche dafür, daß der E n t w i c k l u n g von Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r zu dieser Frage nicht vorgegriffen werden sollte. Gewiß ist es andererseits nicht ganz unrichtig, daß, w i e Rü/ner, DVB1 1963, 611, betont, den neueren Bauordnungen anzumerken sei, daß sie m i t der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage rechnen. Es scheint aber nicht überzeugend, daraus — w i e Rüfner, a.a.O. — zu folgern, daß diese Bauordnungen subjektive öffentliche Rechte der Nachbarn anerkennen. Insgesamt dürfte Redeker, DVB1 1968, 7, zuzustimmen sein: die heutige Auslegung der einschlägigen V o r schriften sei „ m e h r das Ergebnis juristischer Interpretationskunst als i h r e m wirklichen I n h a l t entspricht". 21 Vgl. jedoch u., V I , S. 238 ff.

II. Bisherige Lösungsversuche

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aus faktischem Betroffensein auch ein rechtliches Betroffensein 22 . Andernfalls würde man die Unterscheidung zwischen Recht und Rechtsreflex illusorisch machen. Nach fast allgemeiner Meinung ist selbst durch die ausdrückliche Statuierung eines Anhörungsrechts der Nachbarn bezüglich bestimmter Punkte des Baugenehmigungsverfahrens noch nichts für die Annahme eines klagbaren Rechts der Nachbarn entschieden23. Gelegentlich w i r d versucht, aus den Worten „ . . . auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen..." (in §§ 31 Abs. 2 BBauG, 24 Abs. 3 BauNVO u. a.) unmittelbar darauf zu schließen, daß der einzelne Grundeigentümer einen klagbaren Anspruch auf Einhaltung von baurechtlichen Festsetzungen haben könne 24 . Oder es w i r d gar behauptet, aus den genannten Vorschriften ergebe sich generell ein klagbares Recht des Nachbarn auf Einhaltung aller planungsrechtlichen Normen 25 . Derartige Schlüsse sind sämtlich voreilig: I n den §§ 31 Abs. 2 BBauG, 24 Abs. 3 BauNVO w i r d der dispensierenden Behörde vorgeschrieben, bei der Dispenserteilung auch auf die Interessen der Nachbarn zu achten. Damit w i r d zwar anerkannt, daß solche Dispense die Interessen der Nachbarn berühren können. Darin mag man auch noch den gesetzgeberischen Willen erkennen, daß diese nachbarlichen Interessen tunlichst gewahrt werden sollen. Der Schluß hiervon auf einen Anspruch des Nachbarn auf Berücksichtigung ist aber nicht ohne weiteres zulässig. Er ist ebenso unzulässig wie der Schluß von der faktischen Beeinträchtigung auf einen derartigen Anspruch. Man könnte die Gegenfrage aufwerfen, warum denn der Gesetzgeber die Behörde zwingt, auch nachbarschützende Erwägungen anzustellen, und ob es dann noch sinnvoll und konsequent sei, einen eigenen A n spruch des Nachbarn zu verneinen. Aber das wäre tatsächlich sinnvoll und konsequent: Das öffentliche Interesse i m öffentlichen Baurecht geht zwar durchaus dahin, dem einzelnen Grundeigentümer eine sinnvolle Nutzung seines Grundstücks zu ermöglichen. Das öffentliche Interesse geht also zwar auch dahin, daß nicht dem einen Grundeigentümer ein Dispens gewährt w i r d u m geringer Vorteile willen, wenn diese Vorteile beim Nachbarn einen weit größeren Nachteil verursachen. Es ist aber sehr wohl denkbar und als gesetzgeberischer Wille keineswegs 22

So z. B. Seilmann, DVB1 1963, 279. Vgl. etwa Seilmann, DVB1 1963, 279; Menger, V e r w A r c h 1964, 83; O V G Münster N J W 1964, 74 (v. 5. 3. 63); O V G Lüneburg N J W 1967, 2326 (v. 21.10. 66, zur gleichliegenden Problematik bei der Fachplanung). A . A . MaunzDürig, A r t . 19 Abs. 4 Rn. 34, wonach die Gewährung eines Anhörungsrechtes die „ k a u m widerlegbare V e r m u t u n g " f ü r die Existenz eines Klagerechts beinhalten soll. 24 So b w V G H DöV 1964, 388 (v. 20. 1. 64); Brügelmann-Grauvogel, § 31 Anm. 6 b. 25 So Geizer, Bauplanungsrecht, § 146 u n d O V G Münster N J W 1964, 1738 (v. 25. 2. 64). Dagegen B V e r w G DöV 1966, 571 (v. 4. 2. 66). 23

13 Schulte

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

fremdartig, wenn ein Gesetz zwar einerseits diese ökonomisch sinnvolle Raumnutzung anstrebt, ihre Verwirklichung aber allein den Behörden überantwortet und dem einzelnen Grundeigentümer nur die Hoffnung läßt, daß sich dies auch zu seinem Vorteil auswirkt. Eine solche Regelung wäre theoretisch vielleicht sogar effektiver als eine Schaffung privater Ansprüche auf Einhaltung der Normen des öffentlichen Baurechts. Der Einzelfall wäre u.U. elastischer zu handhaben, wenn der Grundeigentümer der Behörde nicht dazwischenreden könnte 26 . 3. Trotz der — unterschiedlich deutlich ausgesprochenen — Erkenntnis, daß alle diese Versuche, das Institut der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage zu rechtfertigen, untauglich sind, ist man heute allgemein zu der Formulierung gekommen, eine öffentlich-rechtliche Nachbarklage sei (von der hier noch nicht interessierenden Voraussetzung der wesentlichen oder spürbaren Beeinträchtigung abgesehen) dann zulässig, wenn von einer Norm des öffentlichen Baurechts abgewichen ist, die „auch dem privaten Interesse des Nachbarn zu dienen bestimmt" ist 2 7 . Man unterscheidet also zwischen Normen, die ausschließlich i m öffentlichen Interesse und Normen, die auch i m Privatinteresse erlassen sind. Wenn man dies ermittelt hat, steht nach dieser Ansicht fest, ob ein Nachbar gegen Verletzung einer Norm klagen kann oder nicht 2 8 . Die Aussage, daß Normen des öffentlichen Baurechts um des öffentlichen Interesses willen erlassen seien, ist jedoch banal. Es gibt i n der gesamten Rechtsordnung keine einzige Norm, die nicht u m des öffentlichen Interesses willen erlassen wäre. Anstoß für eine gesetzliche Regelung ist immer ein öffentliches Interesse daran, daß die betreffende Materie geregelt w i r d und meist auch daran, daß sie i n einem bestimmten Sinne geregelt wird. Für die vorliegend behandelte Materie, das Nachbarrecht, ist das schon oben 29 eingehend dargestellt: Auch alle Vorschriften des privaten Nachbarrechts sind i m öffentlichen Interesse er26 Ablehnend gegenüber schematischer A b l e i t u n g klagbarer nachbarlicher Rechte aus Vorschriften, die generell die Berücksichtigung nachbarlicher Belange i m Baugenehmigungsverfahren anordnen, denn auch die absolut herrschende Meinung; vgl. etwa Meyer-Stich-Tittel, § 31 Rn 7; b w V G H DöV 1965, 531 (v. 13. 4. 65); Peters, DöV 1965, 749. 27 So praktisch die gesamte L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung, vgl. z. B. B V e r w G E 1, 83; 10, 122; 11, 95; 28, 34; B B a u B l 1966, 75 f.; O V G Münster DVB1 1966, 279 (v. 18.2.65); Hans J. Wolff, V e r w R I , §43 I b 2; Bachof, Rechtsprechung Bd. I, T e i l 1 D Nr. 7; Laubinger, S. 24, 56 (m.w.N.). Gegenansichten vgl. u., V I , S. 238 ff. 28 Vgl. B V e r w G E 1, 83; bremOVG DöV 1965, 461 f.; b w V G H DöV 1965,531 m.w.N. E i n Beispiel: Nach einer i n der Rechtsprechung mehrfach geäußerten Meinung dienen Festsetzungen von Grundflächenzahlen (Hofraumgrößen) „allgemeinen städtebaulichen Interessen" u n d begründen daher keine klagbaren Rechte f ü r die Nachbarn. 29 § 2 I 3 u. 4.

I I . Bisherige Lösungsversuche lassen,

nämlich

im

Interesse

einer

ökonomisch

195 sinnvollen

Raum-

nutzung30. D i e U n t e r s c h e i d u n g zwischen N o r m e n des öffentlichen Baurechts, die ausschließlich i m öffentlichen Interesse erlassen sind, u n d solchen, d i e auch i m P r i v a t i n t e r e s s e bestehen, u n t e r s t e l l t also i r r i g , daß m a n v o n d e m geschützten Interesse h e r u n t e r s c h e i d e n k ö n n e , ob d e m N a c h b a r n eine k l a g b a r e P o s i t i o n e i n g e r ä u m t ist oder n i c h t 3 1 . H i e r l i e g t m . E. auch e i n entscheidender I r r t u m i m A u s g a n g s p u n k t a l l e r Ü b e r l e g u n g e n d e r U n t e r s u c h u n g v o n Henke ü b e r das s u b j e k t i v e öffentliche Recht. F ü r Henke ( u n d h i e r i s t er w o h l r e p r ä s e n t a t i v f ü r fast die gesamte h e u t i g e V e r w a l t u n g s r e c h t s l e h r e ) l i e g t d e r U n t e r s c h i e d zwischen P r i v a t r e c h t u n d ö f f e n t l i c h e m Recht d a r i n , daß i m P r i v a t r e c h t a l l e Gesetze d e m i n d i v i d u e l l e n Interesse des E i n z e l n e n als e i n e m P r i v a t e n d i e n t e n , w ä h r e n d v e r w a l t u n g s r e c h t l i c h e Gesetze d e n S i n n v e r f o l g t e n , die B e l a n g e d e r A l l g e m e i n h e i t m i t denen des E i n z e l n e n i n e i n e r h ö h e r e n O r d n u n g z u v e r s ö h n e n 3 3 . N a c h der v o r l i e g e n d v e r t r e t e n e n u n d b e l e g t e n A n s i c h t ist diese G e g e n ü b e r s t e l l u n g z u m i n d e s t i n dieser A l l g e m e i n h e i t falsch: A u c h p r i v a t r e c h t l i c h e Gesetze d i e n e n d e m G e m e i n w o h l . D e r U n t e r s c h i e d l i e g t a l l e i n d a r i n , daß sie e i n e n 30 Diese Verschränkung privater Interessen m i t öffentlichen Interessen zeigt sich z. B. deutlich i n einer Entscheidung des B G H zur RGaO (BGHZ, 40, 306ff.): § 45 Abs. 3 RGaO verbietet das Einstellen von L k w über 3,5 t i n reinen Wohngebieten; bei der Prüfung, ob das ein Schutzgesetz i m Sinne v. § 823 Abs. 2 B G B ist, k o m m t der B G H (a.a.O., S. 310) zu der merkwürdigen Formulierung: „ A n der Durchführung dieses dem allgemeinen Zweck der RGaO entgegengesetzten Verbots besteht k e i n anderes Interesse der A l l gemeinheit als eben das Interesse jedes einzelnen an der dadurch gewährleisteten Ruhe auf seinem Wohngrundstück". Genauer hätte gesagt werden müssen, daß ein öffentliches Interesse daran besteht, daß das Privatinteresse auf Ruhe i m Wohngebiet geschützt w i r d . Evers, JuS 1962, 89, meint — gew i ß nicht unrichtig — das B B a u G löse die Frontstellung zwischen I n d i v i dualinteresse u n d öffentlichem Interesse i n einem Allgemeininteresse auf, das seine spezifische Prägung durch die betonte Einfügung des I n d i v i d u a l interesses i n dieses Allgemeininteresse erhalte. Die Bauleitplanung habe dem I n d i v i d u u m zu dienen, aber n u r mittelbar durch Einordnung i n den Plan, der dem spezifischen Allgemeininteresse diene. Auch die Interessen der Nachbarn seien i n diesen übergeordneten Zusammenhang des Plans einbezogen. D a m i t werden aber von Evers Dinge als Eigenart des öffentlichen Planungsrechts (also auch der Pläne) beschrieben, die ebenso f ü r das gesamte private Nachbarrecht zutreffen. E i n Unterschied liegt n u r darin, daß die durch Plan aufgestellten Normen einen engeren räumlichen Geltungsbereich haben u n d daher wesentlich weniger abstrakt sind als die Normen des privaten Nachbarrechts. Dies ist auch gegenüber der Charakterisierung des Bebauungsplans bei Brohm, S. 96 ff., zu bemerken. 31 Diese unrichtige Auffassung der Bedeutung des öffentlichen Interesses w i r d besonders dort sichtbar, w o unterstellt w i r d , daß es auch Normen des öffentlichen Baurechts gibt, die ausschließlich i m Privatinteresse erlassen sind (so B V e r w G E 1, 83). Diese k a n n es, w i e hier schon mehrfach gesagt, nicht geben. Rechtssätze werden i m m e r n u r aufgestellt, w e n n dafür ein öffentliches Interesse besteht. 33 Vgl. Henke, z. B. S. 29.

13*

196

§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

anderen Weg gehen wollen, nämlich den des Ingangsetzens automatisch wirkender — und damit typisch privatrechtlicher — Mechanismen, während die als öffentlich-rechtlich bezeichneten Gesetze ein unmittelbares regulatives Eingreifen der Behörden als M i t t e l zur Erreichung der Gemeinwohlvorstellungen vorsehen. Wenn damit die von Henke (u. a.) gebrachten Merkmale der Unterscheidung zwischen Privatrecht und öffentlichem Hecht entfallen, dann ist damit auch seinen Ableitungen eines subjektiven öffentlichen Rechts der Boden entzogen, die zwar nicht auf einen Willen des Gesetzgebers rekurrieren, wohl aber auf die genannte unrichtige Interessentheorie. Damit ist allerdings zunächst nur gesagt, daß aus dem — stets gegebenen — öffentichen Interesse an einer Norm nicht geschlossen werden darf, daß sie nicht zum Schutze Privater erlassen ist. Damit w i r d nicht zugleich auch die Feststellung unzulässig oder banal, daß eine Norm neben öffentlichen Interessen auch privaten Interessen zu dienen bestimmt ist 84 . Aber auch die so präzisierte Frage nach dem Schutzzweck der Normen des öffentlichen Baurechts führt nicht weiter. Sie führt immer nur bis zu der Feststellung, daß eine Norm auch Interessen der Nachbarn berücksichtigen will. Sie führt nicht dahin, daß der Nachbar auch Rechtsschutz genießen soll. Die Tatsache, daß Normen des öffentlichen Baurechts auch Nachbarn schützen sollen, also die Tatsache, daß Behörden die Auswirkungen ihres Handelns auf die Nachbarn beachten sollen, zwingt nicht zu der Annahme, daß die an diesen Wirkungen Interessierten Anspruch auf Abwehr solcher Wirkungen hätten. Der Wille, den Nachbarn zu schützen, ist weder identisch m i t dem Willen, dem Nachbarn ein klagbares Recht zuzuerkennen, noch folgt der eine Wille zwingend aus dem anderen 85 . Das ist der schwache Punkt der heutigen 34 Auch hier läßt sich allerdings m i t Sellmann, DVB1 1963, 279 sagen: Jede Ordnungsvorschrift k o m m t i m konkreten F a l l einem I n d i v i d u u m zugute, ist also insofern auch diesem zu dienen bestimmt. 35 Der Unterschied zwischen dem gesetzgeberischen Willen, den Nachbarn zu schützen u n d dem Willen, den Nachbarn einen eigenen Anspruch auf V e r w i r k l i c h u n g des Schutzes zu geben, w i r d n u r selten gesehen. I n B G H Z 40, 306 ff. w i r d der Unterschied zwar zunächst deutlich herausgestellt; die Begründung dieser Entscheidung geht dann jedoch insofern inkonsequent vor, als doch wieder aus dem Schutzcharakter u n m i t t e l b a r darauf geschlossen w i r d , daß dem jeweiligen Betroffenen „sein Rechtsschutz selbst i n die H a n d gegeben" sei, ohne daß auch n u r andeutungsweise versucht worden wäre, zu beweisen, daß der gesetzgeberische W i l l e sich außer auf den Schutzcharakter auch auf die Schaffung v o n Ansprüchen f ü r den Nachbarn bezog (vgl. insbes. a.a.O., S. 310). Wenn man m i t dieser Prüfung ernst machen wollte, würde sich allerdings w o h l i n allen Fällen ergeben, daß k e i n A n spruch geschaffen werden sollte. Ä h n l i c h inkonsequent auch O V G B e r l i n N J W 1967, 2279 (v. 27. 1. 67). Deutlich i m vorliegend vertretenen Sinne n u r Rüfner, DVB1 1963, 611; Sellmann, DVB1 1963, 285 sowie Menger/Erichsen, V e r w A r c h 1966, 181: Eine öffentlich-rechtliche Vorschrift komme n u r dann

II. Bisherige Lösungsversuche

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Lehre von der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage: Die Frage, ob der Nachbar ein klagbares Hecht hat, ergibt sich nicht aus dem Schutzzweck der Norm. Aus dem öffentlichen Baurecht selbst ließe sich ein klagbares Recht für Nachbarn also nur ableiten, wenn sich ein unmittelbar auf Schaffung solcher Rechte gerichteter Wille des Gesetzgebers feststellen ließe. Das ist aber nicht der Fall. 4. Es überrascht daher nicht, wenn versucht wird, die öffentlichrechtliche Nachbarklage mit Argumenten zu rechtfertigen, die außerhalb des öffentlichen Baurechts stehen: Es ist unternommen worden, die Zulässigkeit damit zu begründen, daß die Normen des öffentlichen Baurechts Vertrauenstatbestände schaffen und daher der Grundeigentümer Gewähr dafür haben müsse, daß die einmal geschaffene Ordnung nicht durch Dispense zu seinem Nachteil wieder geändert werden kann. Daher müsse i h m ermöglicht werden, sich zu wehren 36 . Das ist ein Zirkelschluß: Wenn jedem Grundeigentümer gesagt wird, daß er keinen Anspruch auf Einhaltung der geschaffenen Ordnung hat, ist auch kein Vertrauenstatbestand gegeben, und er w i r d in keinem gerechtfertigten Vertrauen enttäuscht, wenn es zu einer ungünstigen Änderung kommt. Ähnlich verhält es sich m i t dem oft benutzten Argument, durch die Bauleitplanung würden die Grundeigentümer eines Gebiets i n eine „Schicksalsgemeinschaft" eingefügt 37 , i n der Vorteile und Nachteile des Plans gleichmäßig verteilt seien. Niemand dürfe auf Kosten des anderen dann noch bevorzugt werden. Auch dies ist, genau genommen, ein Scheinargument. Denn eine Schicksalsgemeinschaft i n diesem Sinne besteht eben nur, wenn man die heutige Handhabung der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage für richtig hält. Tut man das nicht, besteht auch keine Schicksalsgemeinschaft. Ein weiteres Argument lautet: Die Bauleitplanung bringe für das einzelne Grundstück durch die Beschränkung auf eine bestimmte Nutzungsart so starke Nachteile m i t sich, daß dem Grundeigentümer wenigstens dieser Besitzstand garantiert sein müsse. Die Vorteile, die er für

als Grundlage eines Anspruchs des einzelnen gegen den Staat i n Betracht, „ w e n n sie jedenfalls auch das Interesse der einzelnen schützen u n d (!) i h m die Willensmacht zur Durchsetzung seiner Interessen verleihen w i l l ; (weniger deutlich allerdings Menger/Erichsen, V e r w A r c h 1967, 180: Es komme darauf an, ob die N o r m den Anspruch „einräumt, ob die N o r m jedenfalls auch dem Interesse des einzelnen zu dienen bestimmt ist"). 36 So etwa OVG Lüneburg (v. 22. 3. 63) DVB1 1962, 418, 419; DVB1 1966, 278 (v. 25. 11. 65); Ipsen, V V D S t R L 18, 182. 37 z. B. Schrödter, § 31 Rn. 4 (m.w.N.); Redeker, DVB1 1968; dagegen Hoppe, DVB1 1969, 248.

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§9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

diese Nachteile erhalte, nämlich die gesicherte Ordnung, dürfe ihm nicht wieder entzogen werden, weil sonst die i h m aufgelasteten Nachteile nicht mehr gerechtfertigt seien 38 . Dieses Argument ist deshalb nicht stichhaltig, w e i l es ohne weiteres unterstellt, daß dem Grundeigentümer der Nachteil der Unterwerfung unter die Festsetzungen des Plans nur i m Austausch gegen Vorteile zugemutet werden könne. Nicht zwingend ist daran, daß ausgerechnet hier die Grenze des Zumutbaren liegen soll, daß nicht auch noch von Fall zu Fall Abweichungen i n Kauf zu nehmen sind. Vor allem aber ist nicht zwingend, daß jedem Grundeigentümer auch ein Anspruch auf Fernhaltung der Nachteile gegeben sein müßte. Es könnte doch dem Gedanken, daß Nachteil und Vorteil miteinander korrespondieren, ebensogut damit Genüge getan sein, daß der Behörde aufgegeben wird, Nachteile durch Dispense tunlichst zu vermeiden. Vom Zweck des öffentlichen Baurechts her gesehen wäre das jedenfalls eine völlig äquivalente Lösung. Es läßt sich also auch m i t solchen Argumenten nicht beweisen, daß es Zweck und Wille des öffentlichen Baurechts sei, die öffentlich-rechtliche Nachbarklage zu begründen. 5. Es ist m. E. recht deutlich, daß sich die öffentlich-rechtliche Nachbarklage auch nicht allein aus A r t . 19 Abs. 4 GG ableiten läßt 3 9 . Denn A r t . 19 Abs. 4 GG setzt schon voraus, daß jemand „ i n seinen Rechten" verletzt ist. Die Frage, ob das öffentliche Baurecht auch dem einzelnen Grundeigentümer Rechte gibt, ist daraus nicht zu beantworten. Geht man aber wieder auf die Bauordnungen zurück, so w i r d man dort, wie gezeigt, eher die Ansicht ausgedrückt finden, daß dem einzelnen Grundeigentümer keine Rechte zustehen sollen, daß vielmehr eine i h m günstige Regelung nur Rechtsreflex sein soll. Vielfach behilft man sich auch m i t dem Ausdruck „rechtlich geschütztes Interesse", ohne jedoch einen Unterschied zu einem „Recht" darlegen zu können 40 . Das w i r d auch kaum möglich sein. Denn wenn subjektives Recht — wie allgemein üblich — als eine i m Interesse ihres Inhabers eingeräumte Willensmacht definiert wird, dann sind eben „rechtlich geschütztes Interesse" und subjektives Recht identisch, sofern man unter „rechtlichem Schutz" 38

So etwa Evers, JuS 1962, 90; Brohm, S. 97/98. So jedoch B V e r w G E 22, 129 ff. (v. 5. 10. 65): die generelle Zulässigkeit der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage sei „ n u r unter Verletzung von A r t . 19 Abs. 4 GG zu verneinen"; ablehnend dazu schon Fromm, Der Städtetag 1966, 637. Eingehend gegen die w e i t verbreiteten Zirkelschlüsse i m Zusammenhang m i t A r t . 19 I V GG, insbes. Henke, S. 2 ff. 40 Peters, DöV 1965, 745 bezeichnet diese Unterscheidung als „ r e i n akademisch"; Bachof, Rechtsprechung, Bd. I, T e i l 2 B Nr. 97, berichtet zustimmend, es sei offenbar einhellige Meinung aller Senate des B V e r w G , daß unter „Rechten" auch alle „rechtlich geschützten Interessen" u n d der „rechtlich geschützte Lebenskreis" zu verstehen seien, so daß es eines besonderen Nachweises, ob diese geschützten Interessen zu „subjektiven Rechten" erstarkt sind, nicht mehr bedürfe. 39

II. Bisherige Lösungsversuche

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gerade die Einräumung einer Klagemöglichkeit versteht 41 . Es findet sich auch die Formulierung, Art. 19 Abs. 4 GG gebiete, „ i m Zweifel" ein subjektives öffentliches Recht anzunehmen 42 , womit man aber i m Grunde doch nur wieder an dem unbefriedigenden Ausgangspunkt angelangt ist. Unbefriedigend ist bei dieser Diskussion aber auch dies: Soll etwa das subjektive öffentliche Recht des Nachbarn auf Einhaltung der nachbarschützenden Normen des öffentlichen Baurechts ein Recht sein, das selbständig neben dem Grundeigentum des Nachbarn besteht? Anscheinend ist man vielfach bereit, dies anzunehmen 43 . Das zeigt sich auch dort, wo man fragt, ob die Normen des öffentlichen Baurechts auch Schutzgesetze i m Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sind 44 . M. E. wäre dies eine höchst merkwürdige Annahme. Viel näher liegt es, nicht ein Recht des Grundeigentümers anzunehmen, das neben seinem Grundeigentum besteht (und trotzdem m i t diesem Grundeigentum unlösbar verbunden ist), sondern die Nachbarrechte des öffentlichen Baurechts als Ausfluß dieses Grundeigentums selbst anzusehen, bei Verletzung der nachbarschützenden Normen also eine Eigentumsverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB anzunehmen und die öffentlich-rechtliche Nachbarklage nicht als Ausfluß eines besonderen subjektiven öffentlichen Rechts, sondern als eine Klage aus dem Grundeigentum zu verstehen 45 . 41 Geradezu unverständlich demgegenüber das O V G B e r l i n N J W 1967, 2279 (v. 27. 1. 67): Dort heißt es einerseits, das subjektive öffentliche Recht unterscheide sich v o m „ n u r " rechtlich geschützten Interesse dadurch, daß es dem Einzelnen die Rechtsmacht verleihe, Beachtung der fraglichen N o r m zu verlangen. Einige Zeilen weiter w i r d gesagt, sowohl die „Rechtsfigur des subjektiven öffentlichen Rechts" als auch das „rechtlich geschützte Interesse" könnten „als nachbarschützende N o r m qualifiziert" werden. 42 So etwa Rüfner, DVB1 1963, 610; Bachof, DVB1 1961, 131. Kniestedt, DöV 1962, 89 meint, man solle „ i m Interesse eines umfassenden Rechtsschutzes gem. A r t 19 Abs. 4 GG keine allzu strengen Anforderungen an das V o r liegen eines subjektiven öffentlichen Rechts" stellen. 43 Deutlich i n dieser Richtung etwa Taegen, DVB1 1968, 32; Bartelsperger, V e r w A r c h 1969, 61; besonders deutlich bei Henke, S. 98 f., w o die angeblichen Unterschiede zwischen subjektiv-öffentlichem Recht u n d subjekt i v e m Privatrecht gegenübergestellt werden. I n der gleichen Richtung Kühling, DVB1 1969, 214: Bei dem auf dem Wege der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage zu realisierenden Abwehrrecht handle es sich nicht u m einen A n n e x des Eigentums i m privatrechtlichen Sinne, sondern u m ein subjektives öffentliches Recht. A l l e berufen sich hierbei auf Bachof, DVB1 1961, 131, zu I I I . Ganz anders Bullinger, öffentliches Recht u n d Privatrecht, S. 99, der die Vorstellung eines Eigentums, das als solches n u r gegen Private, nicht aber gegen den Staat w i r k e , vielmehr einen Schutz v o r staatlichen E i n griffen n u r durch besonders gewährte Zusatzrechte erlange, als die K o n servierung einer überwundenen Staatsauffassung kritisiert. 44 Vgl. etwa Evers, JuS 1962, 91; Dorffler, N J W 1963, 18; Mühl, N J W 1958, 770; Kniestedt, DöV 1962, 89; O L G München N J W 1959, 341. 45 M i t dieser Ansicht t r i f f t es sich, w e n n Redeker, DVB1 1968, 7, sagt, die öffentlich-rechtliche Nachbarklage sei heute eine „ n u r mühsam versteckte privatrechtliche Streitigkeit zwischen Nachbarn i m öffentlich-rechtlichen Gewand".

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage I I I . Begründung des Instituts aus Art. 14 Abs. 1 GG

1. I n vielen der bisher behandelten Argumente spielt unausgesprochen wahrscheinlich ein bislang nicht erörterter Gedanke mit, nämlich der, daß u. U. die Verfassung doch eine bestimmte Lösung vorschreibt, daß zwar nicht A r t . 19 Abs. 4 GG, aber möglicherweise die Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG einen Nachbarschutz i m öffentlichen Baurecht vorschreibt, den dann der einfache Gesetzgeber nicht versagen kann. Anders gesagt: Zwar ist zuzugeben, daß sich aus dem öffentlichen Baurecht kein irgendwie zwingender Schluß darauf ergibt, daß der Gesetzgeber dem Nachbarn ein klagbares Recht einräumen wollte und daß damit alle bisherigen Versuche, die Zulässigkeit der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage aus dem öffentlichen Baurecht oder aus A r t . 19 Abs. 4 GG herzuleiten, gescheitert sind. Es bleibt dann aber noch die Frage, ob nicht andere Bestimmungen der Verfassung, insbesondere A r t . 14 GG, dazu zwingen, die öffentlich-rechtliche Nachbarklage für zulässig zu halten und das öffentliche Baurecht damit verfassungskonform so zu verstehen, als habe der Gesetzgeber dem Nachbarn klagbare Positionen einräumen wollen. Es kommt also nicht nur darauf an, ob der Gesetzgeber dies wollte, sondern auch darauf, ob er dies vielleicht aus verfassungsrechtichen Gründen wollen muß 4 6 . Überlegungen zu A r t . 14 GG finden sich bislang fast nur zu der Frage, ob ein Dispens auch unzumutbar schwer i n die nachbarlichen Belange eingreifen dürfe. Diese Erörterungen setzen entweder voraus, daß der Dispens u. U. i n Eigentum eingreift — und schränken entsprechend die Dispensmöglichkeiten ein —, oder der Eingriff w i r d verneint, weil die Normen des öffentlichen Baurechts vermeintlich kein Eigentum schaffen und deshalb keine für den Grundeigentümer enteignungsrechtlich geschützte Position hervorbringen können. Das ist ganz die gleiche Situation wie bei der Frage, ob das öffentliche Baurecht klagbare Rechtspositionen des Nachbarn schafft. Man streitet dort darum, ob das Gesetz dies w i l l und vergißt darüber die Frage, ob das Gesetz dies vielleicht wollen muß. Genauso hier: Man fragt, ob das öffentliche Baurecht den Eigentumsinhalt 4 7 bestimmt und 46 Diese Fragestellung auch bei Bartelsperger, V e r w A r c h 1969, 47 f. Auch Henke, z. B. S. 57 ff., 81 ff., versucht, eine v o m W i l l e n des Gesetzgebers unabhängige Konzeption zu entwickeln. I m selben Sinne w o h l auch Rupp, Grundfragen, S. 221 ff., 246 f., der zwar auch von der Fragestellung ausgeht, ob ein Gesetz als Schutz eines Einzelinteresses aufzufassen ist, die Maßstäbe dafür jedoch i n erster L i n i e dem Verfassungsrecht entnehmen w i l l . A l l e r dings nähert sich Rupp dann doch wieder sehr den herkömmlichen Formulierungen (S. 247, 249. V e r m u t u n g f ü r einen subjektiven „Status", Anhörungsrechte als Indiz) u n d läßt die Frage schließlich auch ausdrücklich als ungelöst hinter sich (S. 249). 47 E i g e n t u m s - „ I n h a l t " w i r d hier u n d i m folgenden, u m die Erörterungen nicht m i t einer fremdartigen Terminologie zu belasten, i m herkömmlichen

III. Begründung des Instituts aus Art. 14 Abs. 1 GG

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geht nicht zu der Frage über, ob das Gesetz vielleicht aus verfassungsrechtlichen Gründen eigentums-inhaltsbestimmend aufgefaßt werden muß.

Geht man von dieser Fragestellung aus, so sieht man, daß beide Probleme (klagbare Rechtsposition und eigentums-inhaltsbestimmend) identisch sind. Sie laufen beide i n der einen entscheidenden Grundfrage zusammen, ob es dem Gesetzgeber freisteht, m i t den nachbarschützenden Normen des öffentlichen Baurechts nur nicht gesicherte Positionen zu schaffen. Dies muß deshalb die entscheidende Frage sein, weil je nach A n t w o r t das ganze System der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage durch einen Federstrich des Gesetzgebers beseitigt werden könnte, nämlich dann, wenn es dem Gesetzgeber freistände, i m öffentlichen Baurecht nur enteignungsrechtlich nicht geschützte Positionen zu schaffen. I n diesem Falle würde zugleich kein Zweifel daran möglich sein, daß diese Positionen nicht als „Rechte" gestaltet werden müssen, bei deren Verletzung A r t . 19 Abs. 4 GG eingreifen würde. Die eigentumsrechtlichen Fragen des A r t . 14 GG sind daher für den gesamten Problemkreis der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage logisch vorrangig. Von diesen Fragen (und nicht vom Willen des Gesetzgebers und nicht von A r t . 19 Abs. 4 GG) hängt alles weitere ab. Wenn nicht A r t . 14 GG dazu zwingt, die öffentlich-rechtliche Nachbarklage anzunehmen, dann auch nicht A r t . 19 Abs. 4 GG und auch nicht der hier n i r gends klare Wille des Gesetzgebers. Aber auch i n Bezug auf die danach allein entscheidende Eigentumsproblematik ist die Fragestellung nicht ohne weiteres deutlich. Die Grundfrage läßt sich nämlich nicht etwa so stellen, daß man versuchte, hier m i t der herkömmlichen Unterscheidung zwischen Inhaltsbestimmung (Sozialbindung) und Enteignung zu operieren 48 . Denn das sind Sinne verstanden, also als materielle Aussage. I m Sinne der Ausführungen 0., i n § 3, wäre es genauer, danach zu fragen, ob die Normen des öffentlichen Baurechts das Eigentum „konstituieren". Das ist hier noch nicht wichtig, w i r d vielmehr erst bei Betrachtung der Dispens-Normen erheblich. Dort wäre es unrichtig, von „Eingriffen" als einem Gegensatz zu den „ i n h a l t s " bestimmenden „allgemeinen" Normen des öffentlichen Baurechts zu sprechen. 48 Daher w i r d hier nicht versucht, die vorliegend vertretene Ansicht darauf zu stützen, daß auch i n L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung vielfach davon gesprochen w i r d , das öffentliche Baurecht bestimme den I n h a l t des Eigentums (so v o r allem das B V e r w G , vgl. B V e r w G E 20, 126 (v. 17. 12. 64); 16, 129 (v. 28. 5. 63) — zum Bauverbot nach § 9 Abs. 3 FStrG — ; 3, 28 (v. 8.12. 55); B V e r w G N J W 1955, 725 (v. 13. 1. 55); Rüfner, DVB1 1963, 611/612; zweifelnd Bender, N J W 1966, 1996 Fn. 49; ablehnend Evers, JuS 1962, 91). Das ist aus zwei Gründen keine Stütze f ü r die vorliegend vertretene Ansicht: 1. Häufig w i r d von Inhaltsbestimmung n u r gesprochen i n Bezug auf den „unmittelbaren" Adressaten der Normen des öffentlichen Baurechts, d. h. i n Bezug auf den jeweiligen Bauherrn, nicht i n Bezug auf den Nachbarn (so B V e r w G E 20, 126; 3, 28; N J W 1955, 725); 2. I. d. R. spricht m a n hier v o n I n -

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

Fragen der Einzelrechtsgarantie des A r t . 14 Abs. 3 GG. Auch sie setzen schon voraus, daß eine geschützte Rechtsposition bereits besteht. Hier aber geht es, wie mehrfach gezeigt, um die Frage, ob der Gesetzgeber bei Regelung des öffentlichen Baurechts aus verfassungsrechtlichen Gründen Positionen schaffen muß, die dann, wenn man diese Frage bejaht, unter den Schutz der Einzelrechtsgarantie fallen. Es geht also nicht etwa u m Fragen der Enteignung, sondern allein u m Fragen der Institutsgarantie des A r t . 14 GG. Nur dies ist daher die richtige Frage: Muß der Gesetzgeber eine Materie, die die nachbarlichen Interessen der Grundeigentümer betrifft, die die Nutzung des privaten Grundeigentums regelt, so gestalten, daß das private Grundeigentum inhaltlich gestaltet w i r d m i t der Folge, daß die Verwirklichung der nachbarlichen Ordnung auch dem Willen der Grundeigentümer unterliegt und i n diesem Willen Grenzen findet, oder darf der Gesetzgeber diese Materie auch so regeln, daß den privaten Grundeigentümern nur Rechtsreflexe zugute kommen, daß die Verwaltung vom Grundeigentümer unkontrolliert die Nutzung des Grundeigentums regulieren darf? Diese Frage läßt sich nicht m i t Hilfe einer einfachen Deduktion aus der Verfassung beantworten. Was „Institutsgarantie" bedeutet, ist tatbestandlich nicht so festgelegt, daß man Sachverhalte darunter subsumieren und das Ergebnis ablesen könnte. „Institutsgarantie" bedeutet allenfalls ein Leitbild, eine Idee, die Idee nämlich, daß Privateigentum Grundlage der Wirtschaftsverfassung sein und dazu beizutragen soll, Freiheit und Würde des Menschen zu wahren. Die Frage nach den hierdurch dem einfachen Gesetzgeber gezogenen Grenzen kann man nur beantworten, wenn man ermittelt, ob die gesetzliche Regelung einer Materie zu einem Rechtszustand führt, der sich i n dem weiten Rahmen dieses Leitbildes hält. 2. Unter diesem Aspekt muß man sich vor allem vergegenwärtigen, welchen Umfang das öffentliche Baurecht, das die nachbarlichen Interessen berührt, inzwischen angenommen hat. Die wichtigsten Vorschriften des Nachbarrechts — mit der Ausnahme des § 906 BGB — finden sich heute i m öffentlichen Recht 49 . Die Grenzabstände sowie A r t und Maß der baulichen Nutzung, diese für den Nachbarn wichtigsten Faktoren, regelt das öffentliche Baurecht, öffentlich-rechtlich geregelt sind haltsbestimmung als v o n einem Gegensatz zu Enteignung (so B V e r w G E 3, 28; B V e r w G N J W 1955, 725; Rüfner, a.a.O.). Diese Gegenüberstellung ist terminologisch u n d sachlich irreführend (vgl. dazu o., § 3). 49 Darauf hat v o r allem Rüfner, DVB1 1963, 609 ff., 612, eindringlich h i n gewiesen u n d daraus — bislang als einziger — ähnlich w i e i m folgenden Schlüsse auf eine eingeschränkte Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers gezogen. Redeker, N J W 1959, 749 ff., 751 meint, ihrer geschichtlichen H e r k u n f t nach seien viele Normen des öffentlichen Baurechts (privat-)nachbarrechtlich. Diese H e r k u n f t sei m i t der Übernahme i n das öffentliche Baurecht u n d m i t der Isolierung des Verwaltungsrechts v o m Zivilrecht untergegangen.

III. Begründung des Instituts aus Art. 14 Abs. 1 GG

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auch die Voraussetzungen des § 26 GewO, also die besonders einschneidenden Fälle des Immissionsrechts. Aber auch das bis vor kurzem noch rein privatrechtlich normierte Gebiet der übrigen Immissionen ist inzwischen öfentlich-rechtlich überlagert, nämlich durch das Bundesgesetz zum Schutz gegen Baulärm 5 0 und durch Landesgesetze51, durch Lärmbekämpfungsverordnungen 52 oder auch hier durch die Bauordnungen, z. B. durch § 56 nwBauO m i t den Vorschriften über Einrichtung und Grenzabstand von Dunggruben und Kläranlagen, wie auch durch § 19 Abs. 2 nwBauO, wonach Erschütterungen, Schwingungen und Geräusche, die von ortsfesten Einrichtungen i n baulichen Anlagen oder auf Baugrundstücken ausgehen, so zu dämmen sind, daß Gefahren oder unzumutbare Belästigungen nicht entstehen. A l l e typischen Emissionen sind somit auch öffentlich-rechtlich geregelt. Es muß beachtet werden, daß gerade die bauliche Nutzung des Grundeigentums heute die wichtigste ist. Und es muß beachtet werden, daß gerade hier die öffentlich-rechtliche Regelung fast vollständig ist. Man kann nicht sagen, daß dem Eigentümer durch diese Regelungen nichts genommen würde, da ja das bisherige private Nachbarrecht durch das öffentliche Planungsrecht und das öffentliche Bauordnungsrecht nicht i m geringsten geändert wurde. Das wäre nur formal richtig. Praktisch liegen die Dinge anders: Das bauliche Nachbarrecht des BGB und des Landesrechts ist seit 1900 (und i m Grunde schon seit Zeiten des A L R und anderer Kodifikationen dieser Epoche) auf einem Stande geblieben, wie er einer i m wesentlichen landwirtschaftlichen, vor-industriellen Zeit entspricht. Das private bauliche Nachbarrecht hat sich der Veränderung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und technischen Verhältnisse nicht angepaßt. Daß eine solche Anpassung erforderlich gewesen wäre, zeigt deutlich die Entwicklung des öffentlichen Baurechts m i t seinen vielen, nachbarliche Belange berührenden Vorschriften. Die Entwicklung hat Probleme und Fragen, die vor 100 Jahren aktuell waren, bedeutungslos werden lassen und dafür andere Probleme erzeugt. Dieser Probleme hat sich stets nur das öffentliche bauliche Nachbarrecht bemächtigt, so daß heute dort und nicht i m privaten Nachbarrecht die meisten praktisch relevanten Fragen geregelt sind 53 . Dies allein könnte 50

V. 9. Sept. 1965, B G B l I, S. 1214. So durch das nwImmSchGes v. 30. 4. 1962, G V N W S. 225. Z. B. V O des n w Innenministers über die Lärmbekämpfung v. 30. Nov. 1964, G V N W S. 348. 53 Anders als beim baulichen Nachbarrecht hat i m Immissions-Nachbarrecht (das sich m i t dem baulichen Nachbarrecht allerdings überschneidet) das Privatrecht noch erhebliche Bedeutung, nämlich durch § 906 BGB. Dies ist allerdings i m wesentlichen n u r deshalb der Fall, w e i l der B G H die „Ortsüblichkeit" i. S. v. § 906 nicht nach den Festlegungen der Bebauungspläne festgestellt wissen w i l l , sondern nach den tatsächlichen Verhältnissen; ständige Rechtsprechung, vgl. B G H N J W 1958, 1776; 1959, 1632, 2013. 51

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

allerdings die Institutsgarantie des A r t . 14 GG nicht verletzen. Denn es macht für das Grundeigentum keinen Unterschied, ob sein Inhalt i n einem Gesetz bestimmt wird, das man öffentlich-rechtlich nennt oder i n einer als privatrechtlich zu qualifizierenden Normierung. Und es macht ebenso keinen materiellen Unterschied, ob ein Grundeigentümer von diesen Normen i m Rahmen tatbestandlich fixierter Sonderfälle m i t oder ohne behördlichen Dispens abweichen darf. Entscheidend aber ist, ob diese öffentlich-rechtliche Normierung einen Eigentumsinhalt überhaupt fixiert. Man stelle sich vor, sie bestimmte den Inhalt des Grundeigentums nicht. Alle Arten von Immissionen, der Bau auf der Grenze, die Wegnahme von Licht und Sonne und alle Belange, die heute i n Baugebieten zu beachten sind, damit ein Zusammenleben möglich wird, hätten m i t dem Inhalt des Grundeigentums nichts zu tun. Was aber soll den Inhalt des Eigentums ausmachen, wenn nicht gerade die Regelung dieser Belange? Die Nutzung des Grund und Bodens ist seine entscheidende Funktion für den Eigentümer. Gerade u m dieser Funktion w i l l e n w i r d Eigentum gewährleistet 54 . Dann kann die Regelung der Nutzung, gleichviel ob sie i n öffentlichrechtlichen oder i n privatrechtlichen Normierungen erfolgt, nur den Rahmen dieser Gewährleistung, also den Inhalt des Eigentums bestimmen. Wenn diese Regelungen der Nutzung nicht den Inhalt des Eigentums bestimmen würden, dann gäbe es kein Eigentum i m heutigen Sinne mehr, es wäre ein inhaltlich völlig unbestimmtes, amorphes Gebilde, oder aber das gesamte öffentliche Baurecht wäre — materiell gesehen — ein einziger vernichtender Eingriff i n das Grundeigentum. U m das zu erkennen, braucht man sich nur vorzustellen, daß das gesamte öffentliche Baurecht (also das BBauG, die Bauordnungen und alle Bauleitpläne) ersatzlos gestrichen würden. Dann wäre, griffe man auf das Denkmodell des unbeschränkten Eigentums als materielle Norm zurück 55 , das Eigentum ein nur durch die wenigen verbleibenden privatrechtlichen Vorschriften wenig umgrenztes, sehr weitgehendes Recht, das aber unter heutigen Verhältnissen gerade dadurch praktisch unbrauchbar würde, weil dann alle fast alles dürften; oder aber, es wäre, 54 Damit ist zugleich etwas zu dem alten Streit gesagt, ob der negative oder der positive Kern, die Abwehransprüche oder die Nutzungsmoglichkeiten das „Wesen" des Eigentums ausmachen: Das ist ein Streit u m gänzlich inadäquate Kategorien. Bucher, S. 151 ff., hat darauf aufmerksam gemacht, daß hier schon die Frage falsch gestellt ist: Es k a n n nicht darum gehen, ob negativer oder positiver K e r n das „Primäre" sei; denn beide stehen i n einer unlösbaren Mittel-Zweck-Relation zueinander: Die A b w e h r ansprüche werden gewährleistet, u m die Nutzung zu sichern. A l l e weiteren Diskussionen, die das nicht beachten, bewegen sich i m Bereich des Sinnlosen. Es ist sinnlos, eine Mittel-Zweck-Relation daraufhin zu untersuchen, ob das M i t t e l oder ob der Zweck „das Primäre" sei, das „Wesen" dieser Relation ausmache. 56 Dazu eingehend o., § 3.

III. Begründung des Instituts aus Art. 14 Abs. GG

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wenn man auf die genannte Norm verzichtete, über den Inhalt des Eigentums eben i n den wichtigsten Fragen nichts gesagt und niemand wüßte, was er zu t u n hätte. Nach allem ist nicht zu sehen, wie man die Normen des öffentlichen Baurechts anders als eigentums-inhaltsbestimmend auffassen könnte. Damit ist gesagt, daß jede Norm des öffentlichen Baurechts für jedes Grundstück i n seinem Geltungsbereich eigentums-inhaltsbestimmend wirkt. Vielleicht genügt aber diese — m. E. völlig banale — Feststellung noch nicht, u m zugleich davon zu überzeugen, daß hiermit zugleich die entscheidende Feststellung über die Zulässigkeit der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage getroffen ist. Möglicherweise w i r d man einwenden, damit sei nur etwas über den Inhalt des Eigentums gegenüber der Baubehörde gesagt, nichts jedoch über den Inhalt des Eigentums gegenüber dem Nachbarn; es sei vielmehr nur gesagt, daß die Behörde nicht von den Normen des öffentlichen Baurechts abweichen dürfe, nicht auch, daß der Nachbar nicht abweichen dürfe. A n diesem Argument wäre aber zunächst schon die Unterscheidung zwischen einem Eigentumsinhalt gegenüber der Behörde und einem Eigentumsinhalt gegenüber dem Nachbarn unbefriedigend und unerklärlich. Erst die praktischen Konsequenzen zeigen allerdings, daß dieser Einwand wirklich unhaltbar wäre: Er würde bedeuten, daß der Grundeigentümer keinen Abwehranspruch hätte, wenn sein Nachbar unter Verletzung der Normen des öffentlichen Baurechts und ohne Baugenehmigung bauen würde, so sehr er dadurch auch beeinträchtigt würde. Und i m Falle des Bauens m i t Genehmigung wäre der Nachbar immer nur deshalb faktisch geschützt, weil die Norm, die zu seinem Schutz führt, eben zufällig existiert, w e i l an ihrer Schaffung ein öffentliches, baupolizeiliches oder städtebauliches Interesse bestand. Gerade dies zeigt, warum es unhaltbar wäre, das öffentliche Baurecht als in keinem Falle nachbarschützend anzusehen: Weil dann Eigentum nicht mehr u m seines Eigentümers w i l l e n geschützt wäre, weil es nicht mehr u m der Freiheit willen, sondern u m des Städtebaus und der polizeilichen Notwendigkeiten w i l l e n geschützt wäre. Das auch i n der Eigentumsgarantie ausgedrückte Verhältnis von Staat und Individuum wäre auf den Kopf gestellt: Das Eigentum wäre für den Städtebau und die polizeilichen Notwendigkeiten da, nicht umgekehrt Städtebau und Polizei für das Individuum. Das wäre kein Eigentum i. S. v. A r t . 14 GG mehr. Folglich ergibt sich aus A r t . 14 Abs. 1, S. 1 GG, daß der Gesetzgeber die nachbarschützende Wirkung der Normen des öffentlichen Baurechts wollen muß; anders gesagt: Diese Vorschriften sind bei verfassungsgerechter Auslegung nur so zu verstehen, daß sie den Schutz des Nach-

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

barn wollen, daß sie den Inhalt des Eigentums auch i m Verhältnis zwischen Nachbarn bestimmen. Daraus folgt dann, daß Verletzung dieser Normen, sofern sie einen Grundeigentümer beeinträchtigt, Eigentumsverletzung ist, daß folglich Rechtsschutz gewährt werden muß 56 . 3. Dies führt zugleich zwingend zu einer Gesamtkonzeption der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage, die man als extrem privatrechtlich bezeichnen kann. Diese Ansicht ist nicht i n allen Punkten gänzlich neu. So hat Redeker 57 erkannt, daß es sich bei der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage „ i m Grunde u m eine zivilrechtliche Auseinandersetzung zwischen Bauherr und Nachbarn" handle, um einen „Unterfall der Eigentumsabwehrklage". Rüfner 58 sieht die Parallele des Dispenses zur behördlichen Entscheidung über die gewerberechtliche Anlagegenehmigung gemäß §§ 16 ff. GewO 59 . Auch er sieht in den Vorschriften des öffentlichen Baurechts Bestimmungen des Eigentumsinhalts zwischen den Nachbarn und erkennt, daß das öffentliche Baurecht weitgehend Funktionen des privaten Nachbarrechts übernommen hat 6 0 . Kniestedt 61 spricht davon, das öffentliche Baurecht konkretisiere das „nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis" und folgert daraus 62 Möglichkeiten zivilrechtlichen Vorgehens 68 . Aber diese Autoren verstellen sich den Weg, daraus praktikable Lösungen zu entwickeln, indem sie beim Dispens das Enteignungsrecht ins Spiel bringen und damit erhebliche Einschränkungen der Dispensmöglichkeiten i n Kauf nehmen, obwohl es doch eigentlich inkonsequent ist, auf der Grundlage einer privat-nachbarrechtlichen Auffassung dem Dispens enteignende Wirkungen beizulegen, statt ihn i n eine Reihe m i t den aus dem privaten Nachbarrecht bekannten privaten Eingriffsrechten zu stellen. 56 Eine zumindest i m Ausgangspunkt sehr ähnliche Argumentation bringt Bartelsperger, V e r w A r c h 1969, 47 ff: Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage lasse sich nicht aus dem W i l l e n u n d dem Wortlaut der einschlägigen Gesetze ableiten, sondern n u r aus der Verfassung. Allerdings stellt Bartelsperger (S. 49) dann den heute w o h l noch als r a d i k a l zu empfindenden Satz auf, alle v o n der Rechtsordnung objektiv eingeräumten Individualbegünstigungen gegenüber der öffentlichen Gewalt stellten sich nach der W e r t ordnung des GG als subjektive öffentliche Rechte dar. Dann w ü r d e allerdings jeder Rechtsreflex ein subjektives Recht sein, das dann auch gemäß A r t . 19 Abs. 4 GG klagbar wäre. Ä h n l i c h auch die Konzeption v o n Henke. Die vorliegend vertretene Auffassung geht zunächst nicht so weit. 57 N J W 1959, 749 ff., 751. 53 DVB1 1963, 609 ff. 59 a.a.O., 609; zur privatrechtlichen Bedeutung dieser Genehmigung eingehend o., § 7. 60 a.a.O., S. 612. 61 DöV 1962, 89 ff., 91. 62 Allerdings zu Unrecht, vgl. o., S. 189 f. 63 Das B V e r w G N J W 1968, 69, erkennt an, daß es bei der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage „ i n erster L i n i e u m den Ausgleich zweier I n d i v i d u a l interessen" geht.

V. Der n r e c h t l i c h e Dispens

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Die restriktive Anwendung der Dispensmöglichkeiten ist eine Konsequenz der privatrechtlichen Auffassungen, gegen die man sich vielfach deshalb wehrt, weil man glaubt, daß durch eine solche Annahme die Aufgabe des öffentlichen Baurechts gefährdet werde; nämlich die A u f gabe, die Grundstücksnutzungen der einzelnen Grundeigentümer flexibel und ausgleichend untereinander und i m Verhältnis zu öffentlichen Interessen zu gestalten. Es muß daher geprüft werden, wie sich das hier gefundene Ergebnis auf das System der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage auswirkt, welche Konsequenzen sich für die unbestreitbar wichtigen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung ergeben. Sollten diese Konsequenzen untragbar sein, so wäre das ein Grund, die gefundenen Ergebnisse anzuzweifeln. Es w i r d sich jedoch zeigen, daß die Konsequenzen der hier vertretenen Ansicht praktikabler sind, als die der heute weit überwiegend vertretenen öffentlich-rechtlichen Auffassung. IV. Der nachbarrechtliche Dispens 1. Alle Dispensvorschriften des öffentlichen Baurechts kennen zwei verschiedene Alternativen: Der Dispens kann erteilt werden (1) zur Vermeidung einer durch die Norm, von der befreit werden soll, „offenbar nicht beabsichtigten Härte", sofern die Abweichung m i t „den öffentlichen Belangen" vereinbar ist 6 4 oder (2) wenn Gründe des Wohls der Allgemeinheit fordern 65 .

die Befreiung

er-

Dies macht deutlich, daß es sich beim Dispens zur Vermeidung „offenbar nicht beabsichtigter Härten" u m einen Dispens zugunsten der privaten Interessen des Bauherrn handelt, mag auch an dieser Begünstigung ein öffentliches Interesse betehen, das zur Schaffung dieser Dispensmöglichkeit geführt hat, denn der Dispens i m öffentlichen Interesse („aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit") w i r d ausdrücklich i n der anderen Alternative behandelt. Der Dispens zur Abwehr nicht 84 So § 86 Abs. 2 n w B a u O ; § 86 Abs. 2 blnBauO; § 90 Abs. 2 shBauO; i n anderen Baugesetzen ist eingefügt: „auch unter W ü r d i g u n g nachbarlicher Interessen m i t den öffentlichen Belangen vereinbar", so § 31 Abs. 2 BBauG, § 24 Abs. 3 B a u N V O ; § 86 Abs. 2 rhpfBauO; § 94 Abs. 2 b w B a u O ; A r t . 88 Abs. 2 bayBauO. Gelegentlich w i r d auch von der W ü r d i g u n g „öffentlich-rechtlich geschützter nachbarlicher Interessen" gesprochen, so § 95 Abs. 1 saBauO. 65 A l l e i n der vorigen Fn. zitierten Vorschriften insoweit gleichlautend (wenn man davon absieht, daß einige von „allgemeinem W o h l " statt von „ W o h l der Allgemeinheit" sprechen).

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

beabsichtigter Härten w i r d vorliegend „nachbarrechtlicher Dispens" genannt, die zweite Alternative „enteignungsrechtlicher Dispens". Zunächst ist der nachbarrechtliche Dispens zu behandeln. 2. Wenn das öffentliche Baurecht den Inhalt des Grundeigentums bestimmt, dann, so könnte man unter Zugrundelegung privatrechtlicher Anschauungen meinen, muß bei Überschreitung dieser Normen der Nachbar auch einen Abwehranspruch gem. § 1004 BGB haben, und zwar auch dann, wenn ein Dispens erteilt ist. Da diese Abwehrbefugnis aus dem Inhalt des verletzten nachbarlichen Eigentums fließt, also privatrechtlichen Charakter hat, würde sie auch unter die „Rechte Dritter" fallen, unbeschadet derer jede Baugenehmigung ergeht. Diese Konsequenz wäre unerträglich 86 . Jeder nachbarrechtliche Dispens könnte vom Nachbarn illusorisch gemacht werden. Die Dispensvorschriften wären insoweit sinnlos. Dieses naheliegende Ergebnis scheint ein Grund dafür zu sein, daß privatrechtliche Auffassungen bei der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage nur vereinzelt vertreten werden. Diese Folgen sind aber nicht zwingend. Vielmehr kann man die Dispensbestimmungen auch auf privatrechtlicher Basis anders auffassen und anwenden. Es ist möglich, die Dinge so aufzufassen, daß zwar einerseits die nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts auch privates Nachbarrecht setzen, daß aber trotzdem zugleich die Baubehörde i n diesem System eine sinnvolle Funktion zuerkannt bekommt: Die unter Abweichung von diesen Normen des öffentlichen Baurechts ergehende Baugenehmigung entscheidet — auch — über private nachbarrechtliche Ansprüche. Anders gesagt: Die allgemeinen Vorschriften des öffentlichen Baurechts „konstituieren" den materiellen Gehalt des Grundeigentums. Die Sondernormen des Dispenses schaffen für bestimmte Sonderfälle private „Eingriffs"-befugnisse. Diese Eingriffsbefugnisse dürfen aber erst ausgeübt werden, wenn eine Baugenehmigung erteilt ist. Die Baugenehmigung entscheidet vorab zwischen den Nachbarn über Bestehen oder Nichtbestehen der Eingriffsbefugnisse anhand der Tatbestandsmerkmale der Dispensvorschriften. Diese Auffassung mag auf den ersten Blick befremdlich, wenn nicht abwegig erscheinen. Hier zeigt sich jedoch die Bedeutung der Darstellung der parallelen Probleme bei der gewerberechtlichen Anlagegenehmigung der §§ 16 ff GewO (oben i n § 7). Die Betrachtung der dort erörterten dogmatischen Fragen führte zu genau derselben Auffassung, wie sie hier für die öffentlich-rechtliche Nachbarklage vertreten werden 66 Sie w i r d n u r von Redeker, N J W 1959, 749 ff. u n d Kniestedt, DöV 1962, 89, vertreten; andeutungsweise auch bei R. Schneider, V e r w A r c h 1967, 305.

V. Der n r e c h t l i c h e Dispens

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soll: Auch die Vorschriften der §§16ff., 26GewO enthielten — z.T. allerdings unausgesprochen — materiell privates, vom BGB abweichendes Nachbarrecht. Das zeigte sich insbesondere daran, daß §§ 16, 26 GewO davon ausgehen, daß auch nicht ortsübliche und wesentlich beeinträchtigende Betriebe genehmigt werden können 67 . Auch dort aber hat allein die Genehmigungsbehörde über Bestehen oder Nichtbestehen dieser Einwirkungsrechte zu entscheiden. Wenn die Einwirkungsrechte bestehen, so können sie nur ausgeübt werden, wenn das behördliche Vorprüfungsverfahren dies m i t der Genehmigung bestätigt hat. Diese Parallele zur gewerberechtlichen Anlagegenehmigung 68 macht die hier vertretene privatrechtliche Auffassung von der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage zumindest diskutabel, läßt es als nicht abwegig erscheinen, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Als Konsequenz einer solchen Auffassung ist schon hier zu erkennen: Sie hindert die bisherige Praxis nicht. Sie bedeutet gewiß keine weitere Einschränkung der Anwendbarkeit von Dispensvorschriften, als sie heute beim nachbarrechtlichen Dispens schon praktiziert wird. Das durch die Vorschriften des öffentlichen Baurechts inhaltlich bestimmte Grundeigentum des Nachbarn w i r d nicht zu einem unüberwindlichen Hindernis für den Dispens. Vielmehr ergibt sich aus der hier vertretenen Ansicht, daß m i t einem Dispens wegen seiner den Abwehranspruch vernichtenden Wirkung i n das Eigentum des Nachbarn geradezu eingegriffen werden darf. Und weil es sich u m einen privatrechtlichen Eingriff handelt, wie die Parallele der §§16 ff. GewO zeigt, kommt das Enteignungsrecht m i t seinen Zulässigkeitsvoraussetzungen (konkretes öffentliches Interesse, Junctimklausel) gar nicht erst ins Spiel. Es handelt sich vielmehr u m Fälle der privatrechtlichen Aufopferung. Hiernach sind die nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts privates Nachbarrecht, ganz wie die nachbarschützende Norm des §906 BGB. Zugleich aber eröffnet die Dispensmöglichkeit genau wie die gewerberechtliche Anlagegenehmigung den Weg zu privatrechtlichen „Eingriffen" i n dieses so umrissene Eigentum. Tatbestandliche Voraussetzung für einen derartigen Eingriff ist eine „nicht beabsichtigte Härte". Das ist zwar eine andere tatbestandliche Voraussetzung als i n §§ 16 ff. GewO, aber noch viel deutlicher als diese — wie unten 6 9 i m einzelnen erläutert — ein typisch nachbarrechtliches Merkmal (nämlich nichts anderes als eine gesetzliche Ausformung des Gedankens des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses). Das behörd67 68 69

Vgl. o., S. 150 Fn. 9. Sie w i r d bislang n u r v o n Rüfner, S. 224 ff.

14 Schulte

DVB1 1963, 609, gesehen.

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

liehe Verfahren auf Einräumung der Eingriffsbefugnis, das Dispensverfahren, dient dann dazu, unnötige Aufwendungen, Schädigungen und Prozesse durch eine zwingende rechtzeitige Vorprüfung i n einem frühen Stadium, nämlich vor Baubeginn, zu vermeiden. Diese Reger lung ist — ganz wie bei §§ 16,26 GewO — fast zwingend notwendige Folge aus der technischen Kompliziertheit der vorkommenden Fälle, die die Einschaltung einer fachkundigen Behörde als dringend angeraten erscheinen läßt, zumal diese Behörde — ganz wie i m Verfahren nach §§ 16, 26 GewO — den Fall so oder so schon aus polizeilichen Gründen vorprüfen muß, so daß es gewiß praktisch ist, ihr auch gleich die Prüfung der nachbarlichen Belange mit zu übertragen und diese Prüfung eine zivilgerichtliche Auseinandersetzung ausschließen zu lassen. Das ändert nichts an der rein privatrechtlichen Natur der i n Rede stehenden Eingriffsbefugnisse zwischen den Nachbarn. Allerdings zwingt die hier vertretene Ansicht dazu, der Behörde bei V o r liegen der Dispensvoraussetzungen jedes Ermessen abzusprechen u n d dem Antragsteller entgegen der überwiegend vertretenen Ansicht einen A n spruch a u i die Dispenserteilung einzuräumen 7 0 .

3. Entscheidend wichtig ist bei allem, daß i m Rahmen der privatrechtlichen Aufopferung ein Entschädigungsanspruch für den betroffenen Nachbarn entstehen kann. a) Diese Möglichkeit ist bisher auch von den Vertretern privatrechtlicher Auffassungen nicht gesehen worden 71 . Erst dieser Entschädigungsanspruch aber führt die privatrechtliche Auffassung zu praktikablen Lösungen: Jeder Dispens von der Einhaltung nachbarschützender Vorschriften des öffentlichen Baurechts führt zu einem „Eingriff" i n das Eigentumsrecht des Nachbarn. Er nimmt einen „an sich gegebenen Abwehranspruch". A n dessen Stelle muß u. U. ein Entschädigungsanspruch treten 7 2 . 70

Dazu i m einzelnen u., S. 229 f. Ohne nähere dogmatische Begründung u n d Einordnung w i r d ein solcher Anspruch von Meyer, D W W 1962, 137 befürwortet. Ausführlicher i n dieser Richtung bislang allein Timmermann, Der baurechtliche Nachbarschutz, Diss. Münster 1968, S. 130 ff., w o — w i e auch vorliegend — versucht w i r d , diesen Anspruch als Anspruch aus privatrechtlicher Aufopferung zu qualifizieren. 72 Präziser, w e n n auch ungewohnt, wäre allerdings folgende Darstellung: Die Qualifizierung der allgemeinen Normen des öffentlichen Baurechts als inhaltsbestimmend, also als den „normalen Zuweisungsgehalt" des Eigentums umreißend, der Dispensvorschriften dagegen als ausnahmsweise „ E i n griffe" i n den „an sich" geschützten Bereich zulassend, ist rein formal u n d sagt für sich allein noch nichts über Entschädigungspflichten. Die Dispensvorschriften konstituieren den I n h a l t des Eigentums nicht weniger als die allgemeinen Vorschriften des öffentlichen Baurechts. Daher ist ein genereller Entschädigungsanspruch, der schematisch Folge eines jeden Dispenses wäre, abzulehnen. Die Frage der entschädigungspflichtigen Fälle muß vielmehr anhand der „Entschädigungskriterien" diskutiert werden. 71

IV. Der nachbarrechtliche Dispens

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Das ist deswegen unausweichlich, weil alle anderen privat-nachbarrechtlichen Vorschriften, i n denen schädigende Eingriffe zugelassen werden, ebenfalls Entschädigung vorsehen 73 und eine solche Entschädigung auch verfassungsrechtlich geboten ist, obwohl es sich nicht u m Enteignungsfälle handelt 74 . Der Entschädigungsanspruch bei nachbarrechtlichem Dispens ist also zwar gesetzlich nicht vorgesehen. M i t der Einordnung des nachbarrechtlichen Dispenses i n das Institut der privatrechtlichen Aufopferung ist jedoch zugleich die Möglichkeit geschaffen, diesen Entschädigungsanspruch zu begründen: Der Grund dafür liegt einmal i n der immer wieder zu betonenden Parallele zu den anderen nachbarrechtlichen Eingriffsnormen, insbesondere aber i n der besonders deutlichen Verwandtschaft zu §§ 16, 26 GewO. Zum andern ist auf die oben 75 erwähnten Fälle privatrechtlicher Aufopferung hinzuweisen, i n denen die Rechtsprechung ebenfalls ohne gesetzliche Normierung einen Ersatzanspruch angenommen hat. Daraus entwickelte sich der heute allgemein anerkannte Satz, daß überall dort, wo ein „an sich" gegebener Abwehranspruch aus besonderen Gründen ausnahmsweise ausgeschlossen sei, an seine Stelle ein Ersatzanspruch trete. Oben 76 war gezeigt worden, daß dies eine sehr ungenaue und leicht irreführende Ausdrucksweise ist. Richtiger ist es, auf die Kriterien zur Abgrenzung zwischen entschädigungslosen und entschädigungspflichtigen Eingriffen zurückzugehen. Wie man hier aber auch vorgehen und argumentieren mag, die Erkenntnis, daß der nachbarrechtliche Dispens ein Fall privatrechtlicher Aufopferung ist, zwingt dazu, auch hier einen Ausgleichsanspruch für den „an sich gegebenen" A b wehranspruch zuzuerkennen bzw. genauer anhand der beschriebenen Entschädigungskriterien zu fragen, wann die Grenze zum entschädigungspflichtigen Eingriff überschritten ist und nach dem Ergebnis dieser Prüfung eine Entschädigungspflicht zu bejahen. Schließlich zwingen auch die oben 77 besprochenen verfassungsrechtlichen Gründe zur Begründung eines derartigen Ersatzanspruchs contra legem. b) Wenn danach gezeigt ist, daß ein privatrechtlicher Entschädigungsanspruch des Nachbarn wegen eines ihn nachteilig treffenden nachbar73

Vgl. dazu o., § 2 I 6; § 5 I V . Dazu, daß es auch zweckmäßig ist, solche Entschädigungen vorzusehen, vgl. insbes. u., S. 214 f. Allgemein dazu, daß Entschädigungsansprüche bei privatrechtlicher Aufopferung aus Gründen zweckmäßiger W i r k u n g der E i n griff snormen unentbehrlich sind, o., § 5 I V 1 . 75 § 2 I 4 j. 76 Vgl. § 3. 77 S. 124 ff. 74

1*

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

rechtlichen Dispenses rechtsdogmatisch möglich ist, so bedeutet dies nicht, daß bei jedem nachbarrechtlichen Dispens ein solcher Entschädigungsanspruch entstehen würde. Über praktisches Vorkommen, Umfang und Grenzen dieses Anspruchs w i r d vielmehr erst i m folgenden gesprochen. aa) Zunächst muß festgehalten werden, daß auch außerhalb des Gebietes des öffentlichen Baurechts „Eingriffe" i n das Eigentum des Nachbarn nicht immer auch zu Schäden führen. So kann zwar etwa das einfache Betreten eines fremden Grundstücks von dessen Eigentümer abgewehrt werden. Ein Schadenersatzanspruch jedoch scheitert i n aller Regel am Fehlen eines Schadens. Als abwehrbare „Beeinträchtigung" meint § 1004 BGB also auch eine nicht schädigende Beeinträchtigung. Das offenbart eine Doppeldeutigkeit des Begriffs der Beeinträchtigung. Sie ergibt sich daraus, daß man von einer Beeinträchtigung des subjektiven Eigentums-Rechts sprechen kann, aber auch von einer Beeinträchtigung der dem subjektiven Eigentumsrecht unterliegenden Sache. Die Beeinträchtigung des Eigentums rechts meint §1004 BGB; die Beeinträchtigung der Sache meint z. B. § 906 BGB (Beeinträchtigungen der „Benutzung des Grundstücks"). Somit sind zwar alle nachbarrechtlichen Dispense Beeinträchtigungen des Eigentumsrechts („Eingriffe") aber damit nicht schon zugleich Beeinträchtigungen der Sache (Schäden), also braucht auch nicht jeder „Eingriff" aufgrund eines Dispenses zu einem Schadenersatzanspruch des Nachbarn zu führen. Vielmehr w i r d ein solcher Anspruch i m Einzelfall mangels Schaden häufig verneint werden müssen. Das w i r d noch deutlicher, wenn man beachtet, daß die nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts meist nicht vor positiven Beeinträchtigungen schützen, sondern vor negativen, vor sog. Abhaltungen. Sie schützen i. d. R. vor Entzug von Licht, Sonne und Aussicht (allerdings auch vor Lärm, Abgasen usw., nämlich etwa dann, wenn ein Bebauungsplan reines Wohngebiet vorsieht, also vor der Errichtung von Gewerbebetrieben schützt). Bei solchen negativen Beeinträchtigungen aber, also sogar bei rechtswidriger Verletzung von Normen, die vor negativen Einwirkungen schützen, kommt es besonders oft vor, daß sie keinen Schaden verursachen, man denke an geringfügige Überschreitungen des Grenzabstandes. Für diese nicht seltenen Fälle führt die vorstehend vertretene Ansicht daher keineswegs schon allein wegen des „Eingriffs"-Charakters des Dispenses zu Entschädigungsansprüchen. bb) Weiter ist zu beachten, daß auch Beeinträchtigungen der Sache durchaus nicht immer zu Entschädigungen führen müssen; nämlich dann nicht, wenn das Gesetz eine solche Beeinträchtigung erlaubt und

V. Der n r e c h t l i c h e Dispens

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trotzdem keinen Entschädigungsanspruch dafür gibt. Das deutlichste Beispiel dafür ist § 906 BGB. Danach sind unwesentliche Immissionen stets entschädigungslos zu dulden. Darüberhinaus sind auch wesentliche Beeinträchtigungen zu dulden, wenn sie von ortsüblichen Betrieben ausgehen, sofern nicht eine ortsübliche Grundstücksnutzung dadurch „über das zumutbare Maß hinaus" betroffen wird. Nicht ortsübliche Nutzungen aber dürfen durch ortsübliche Nutzung schon wieder bis zum Ruin entschädigungslos beeinträchtigt werden. Daran zeigt sich, daß noch nicht einmal m i t der Beeinträchtigung der Sache das letzte Wort über eine evtl. Entschädigungspflicht gesprochen ist. cc) Deshalb w i r d man auch beim nachbarrechtlichen Dispens zunächst einmal die Kriterien zu ermitteln haben, mittels derer zwischen entschädigungspflichtigen und entschädigungslosen Dispensen zu unterscheiden ist. Dabei w i r d man aus § 906 BGB gewiß eine Wertung, ein Kriterium, übernehmen müssen: Den Ausschluß jeder Entschädigung bei „unwesentlichen" Schäden. Für minimale Beeinträchtigungen eine Entschädigungspflicht einzuführen, würde schwierige Prozesse hervorrufen, Querulantentum fördern, den nachbarlichen Frieden gefährden. Den Gesichtspunkt der Ortsüblichkeit w i r d man bei der Entschädigungsfrage i m Dispensrecht ebenfalls — aber nur teilweise — fruchtbar machen können. Das kommt zunächst dem betroffenen Nachbarn zugute: Dieser hält sich i m Rahmen des durch Plan und Bauordnung bestimmten Normalen. Abweichen w i l l der den Dispens begehrende Bauherr. Daher w i r d man diesem nie ein Privileg zu besonders weitgehenden entschädigungslosen Beeinträchtigungen zubilligen können. Das führt dazu, die i n § 906 Abs. 2, S. 2 BGB gezogene Grenze des „über das zumutbare Maß hinaus" i m Dispensrecht nie gelten zu lassen. Vielmehr w i r d man hier dazu kommen müssen, jede „wesentliche" Beeinträchtigung zum entschädigungspflichtigen Tatbestand zu erklären. Es scheint dies, wenn man sich an gesetzlichen Wertungen orientieren will, die richtige Abgrenzung zu sein. Dabei ist „wesentlich" gewiß ein schwer zu handhabender unbestimmter Rechtsbegriff. Wenn aber dem Gesetz i n § 906 BGB i n Anbetracht der Vielfalt wechselnder Fallgestaltungen nichts anderes übrig blieb, als zu einer solchen, auf richterliches „Ermessen" verweisenden Formel zu greifen, dann w i r d man auch i m Dispensrecht nichts genaueres verlangen dürfen. c) Viele Autoren 7 8 meinen, wenn ein Dispens erhebliche Interessen des Nachbarn beeinträchtige und somit zu einem Eingriff i n dessen ver78 Brügelmann-Grauvogel, § 31 A n m . 3a cc; Mang-Simon, A r t . 88 Anm. 17; Rüfner, DVB1 1963, 613; Gierth, N J W 1966, 2425; Erichsen, DVB1 1967, 273.

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§ 9 Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

mögenswerte Rechte führe, liege eine Enteignung vor. Da die Dispensvorschriften keine der Junctimklausel des A r t . 14 Abs. 3, S. 2 GG entsprechende Entschädigungsregelung enthielten, könnten sie verfassungskonform nur so verstanden werden, daß sie erheblich eingreifende Dispense überhaupt nicht zuließen 79 . Für den nachbarrechtlichen Dispens ist das leicht zu widerlegen: Er ist eine rein privatrechtliche Angelegenheit, die m i t Enteignung nicht verwechselt werden darf. Er ist die behördliche Bestätigung eines gesetzlich vorgesehenen privaten Eingriffsrechtes unter Nachbarn. Die Dispensmöglichkeit ist Regelung der privat-nachbarrechtlichen Ordnung. Der Dispens ist kein hoheitlicher Eingriff i n Grundeigentum, sondern verfahrensmäßige Voraussetzung für die Ausübung bestimmter privat-nachbarrechtlicher Befugnisse. Die Junctimklausel des Art. 14 Abs. 2, S. 2 GG ist daher bei dem nachbarrechtlichen Dispens schon aus diesem Grunde nicht einschlägig. d) Man könnte voreilig mutmaßen, die Zuerkennung von — privatrechtlichen — Entschädigungsansprüchen bei nachbarrechtlichem Dispens führe zu einer Komplizierung und vor allem zu einer Erstarrung der Verhältnisse, weil dann niemand an einem Dispens interessiert sei, der den Nachbarn wesentlich beeinträchtige. Hiergegen wäre vor allem geltend zu machen, daß nach der heute herrschenden Meinung solche Dispense überhaupt nicht zulässig sind, jedenfalls nicht ohne Zustimmung des Nachbarn. Trotzdem w i r d die hier vertretene Zuerkennung von Entschädigungsansprüchen auf einige Abneigung stoßen, ähnlich wie bei der nicht selten beklagten Ausuferung von Entschädigungsansprüchen aus Enteignung. aa) Eine solche Abneigung ließe sich aber m i t denjenigen Gründen ausräumen, die i n der vorliegenden Untersuchung schon mehrfach dazu geführt haben, den Entschädigungsanspruch aus privatrechtlicher Aufopferung als sinnvoll, sogar als unentbehrlich zu kennzeichnen: Man darf beim nachbarrechtlichen Dispens nicht übersehen, daß es sinnw i d r i g wäre, einen Dispens zu erteilen, der für den Bauherrn weniger Nutzen bringt als für den Nachbarn an Schaden. Auch hier muß die aus dem Gedanken der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung abzuleitende Kosten-Nutzen-Relation beachtet werden. Wenn das aber geschieht, zeigt sich, daß die Entschädigung immer nur aus dem Vorteil 79 Noch einschneidender w i r d diese Praxis, w e n n m a n w i e das O V G L ü n e b u r g DVB1 1962, 419/420 (v. 22. 3. 62) argumentiert: Da der Bauabstand der Größe nach durch die N o r m eindeutig festgelegt sei, sei es auch nicht möglich, i m Falle geringfügiger Überbauung i n Bezug auf den Nachbarn einen Eingriff als zumutbar anzusehen.

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des Bauherrn gezahlt wird, daß sie nur ein Teil dieses Vorteils ist. Die durch den Dispens erzielte Wertschöpfung w i r d geteilt: Der Nachbar bekommt — falls er überhaupt wesentlich beeinträchtigt ist — seine Nachteile ersetzt; der Rest — i. d. R. also der größte Teil — bleibt dem Bauherrn. Bei dieser Sachlage ist nicht einzusehen, wie die Erteilung eines nachbarrechtlichen Dispenses durch die Statuierung eines Entschädigungsanspruchs behindert werden können sollte. Da für den Bauherrn immer noch ein Vorteil übrig bleibt, w i r d er sich trotzdem u m den Dispens bemühen. Darüber hinaus hat die Statuierung eines Entschädigungsanspruchs den Vorteil, daß sinnwidrige Dispense, nämlich solche, die keinen Wert schöpfen, wegen der entstehenden Entschädigungsansprüche gar nicht erst beantragt werden. Es macht sich dann der automatische Wirkungsmechanismus privatrechtlicher Vorschriften geltend: Die Dinge regeln sich gerade infolge der Existenz des Entschädigungsanspruchs zumindest teilweise — und gewiß weitergehend als nach der bisherigen Praxis — von selbst. Insoweit w i r d die regulierende Funktion der Behörden gar nicht erst i n Anspruch genommen. bb) Gegenwärtig geht die Praxis der Baugenehmigungsbehörden dahin, bei nachbarrechtlichen Dispensen die Beteiligten zu einer Vereinbarung zu bringen, i. d. R. also dahin, daß der beeinträchtigte Nachbar seine Zustimmung zum Dispens gibt und der Bauherr ihn dafür u. U. sogar entschädigt. Nach der vorliegend vertretenen Ansicht ist das durchaus legitim. Diese Praxis rechtfertigt sich daraus, daß ein Entschädigungsanspruch ja tatsächlich besteht. Darüber hinaus ist eine rechtzeitige Einigung über diesen Anspruch wünschenswert, damit der Bauherr weiß, was ihn der Dispens kostet. Dabei ist allerdings daran festzuhalten, daß die Behörde den Dispens auch ohne Einigung über den Entschädigungsanspruch erteilen muß, ihre Entscheidung also nicht vom Abschluß einer derartigen Vereinbarung abhängig machen darf. Legitim ist allein, daß die Behörde die Beteiligten auf die eventuelle Existenz von Entschädigungsansprüchen hinweist und ihnen eine Einigung als wünschenswert darstellt. Eine Zuständigkeit der Baugenehmigungsbehörde zur Entscheidung über Existenz und Höhe von Entschädigungsansprüchen bei nachbarrechtlichem Dispens kann nicht bestehen. Derartige Zuständigkeiten können angesichts § 13 GVG nicht durch irgendwelche Zweckmäßigkeitserwägungen begründet werden. Der Entschädigungsanspruch aus nachbarrechtlichem Dispens ist nach der hier vertretenen Ansicht folgerichtig nur als ein rein privatrechtlicher Anspruch aufzufassen. Streitigkeiten über seine Höhe oder auch über seine Existenz sind bürgerlichrechtliche Streitigkeiten i. S. v. § 13 GVG und gehören vor die Z i v i l gerichte.

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

cc) Die bisherige Praxis, die einen nachbarrechtlichen Dispens, der den Nachbarn wesentlich schädigt, nicht bzw. nur m i t Zustimmung des Nachbarn zuläßt, leidet darunter, daß der Nachbar sich seine Zustimmung abkaufen lassen kann. Er hat, weil er zur Zustimmung nicht gezwungen werden kann, eine außerordentlich starke Position. Er kann den auf den Dispens angewiesenen Bauherrn praktisch „erpressen". Er kann i n jedem Fall weit mehr erzielen, als i n Anbetracht seiner Nachteile eigentlich gerechtfertigt ist. Die Wertschöpfung durch den Dispens geht zu einem unbillig großen Teil auf ihn über. Dieses wenig billigenswerte Verhalten ist unmöglich, wenn man der hier vertretenen Ansicht folgt: Da die Erteilung des Dispenses nicht vom Vorliegen einer Einigung abhängig gemacht werden kann, kann der Bauherr bei übermäßigen Forderungen des Nachbarn zunächst einmal i n aller Ruhe bauen und die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung notfalls einem Prozeß überlassen. I n diesem Prozeß kann der Nachbar dann nicht mehr bekommen, als er an Schaden nachweist. e) Besonders deutlich zeigen sich bislang unbekannte privatrechtliche Lösungsmöglichkeiten bei dem Problem der erst nach Baubeginn erhobenen öffentlich-rechtlichen Nachbarklage: aa) Es kommt vor, daß sich ein Nachbar gegen eine Baugenehmigung erst dann wehrt, wenn m i t dem Bau längst begonnen worden ist. War die Baugenehmigung rechtswidrig, w i r d die Klage auch zu diesem Zeitpunkt noch Erfolg haben. Nach Verwaltungsprozeßrecht ist das möglich, wenn die Baugenehmigung — entsprechend verbreiteter Praxis — dem Nachbarn nicht amtlich mitgeteilt ist und ihm gegenüber folglich nicht bestandskräftig werden kann 8 0 . Nach Aufhebung der Baugenehmigung und damit des Dispenses aber w i r d dieser Bau dann rechtswidrig und müßte folgerichtig beseitigt werden. Für manche ist dies Anlaß, das Institut der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage überhaupt abzulehnen 81 . Andere argumentieren m i t dem Gesichtspunkt der Verwirkung 8 2 . Die Nachbarklage soll danach eventuell ausgeschlossen sein, wenn z. B. innerhalb Jahresfrist (analog § 58 Abs. 2 VwGO) nach Baubeginn der Nachbar noch nicht widersprochen hat 8 8 . Es w i r d ferner versucht, dem Bauherrn zu helfen durch A n 80 Besonders deutlich Schröer, DöV 1966, 228: Der Baubeginn durch den Bauherrn sei keine Bekanntgabe der Baugenehmigung an den Nachbarn, so daß dieser auch noch nach Fertigstellung des Baus gegen die Genehmigung vorgehen könne. 81 Seilmann, DVB1 1963, 273 ff. 82 Vgl. Geizer, B B a u B l 1966, 268 f. 88 So etwa V G H München DVB1 1965, 93; Stich, DVB1 1957, 646; ablehnend: Ule, §§ 69 bis 73 Anm. I I ; Haueisen, N J W 1964, 2039; Fromm, V e r w A r c h 1965, 49; Peters, DöV 1965, 753 Fn. 102 a; Bender, N J W 1966, 1995/1996; u n entschieden O V G Münster DöV 1966, 248 f. (v. 24. 8. 65), diese Entscheidung

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wendung der i n Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze für den Widerruf begünstigender Verwaltungsakte. Danach hätte eine Interessenabwägung stattzufinden zwischen dem Interesse des Bauherrn am Weiterbestand seines Bauwerks und dem öffentlichen Interesse an der Aufhebung der Baugenehmigung 84 . Dann wäre die Baugenehmigung in aller Regel aufrechtzuerhalten, da öffentliches Interesse (faßt man es „konkret" auf und als die privaten Belange des Nachbarn nicht umfassend) die Aufhebung kaum jemals fordern wird. Dem hier i n Wirklichkeit vorliegenden privat-nachbarrechtlichen Konflikt entspricht es daher weit besser, wenn man eine Abwägung zwichen den Interessen der beiden beteiligten Grundeigentümer befürwortet 8 5 . I n aller Regel w i r d dabei das Interesse des Bauherrn bevorzugt werden, und zwar schon wegen der immensen Wertvernichtung beim eventuellen Abriß eines Neubaus. Ferner w i r d vertreten, daß dem Nachbarn gegen die Baugenehmigungsbehörde ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff oder aus Amtshaftung 8 6 zustehen könne. I m Grunde wäre das ein kaum erträglicher Rechtszustand: Verwaltungsakte, die nie bestandskräftig werden, Bauten, die jahrelang rechtswidrig bleiben, ein Nachbar, der m i t der Abrißdrohung Erpressung treiben kann und eine Baugenehmigungsbehörde, die für Vorteile entschädigen muß, die nicht sie, sondern der begünstigte Bauherr hat. Das sind i n der Tat Fakten, die einer radikalen Ablehnung des ganzen Instituts der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage Anlaß geben könnten. bb) Alle Mißhelligkeiten können jedoch vermieden werden, wenn man anerkennt, daß es sich beim nachbarrechtlichen Dispens u m privatnachbarrechtliche Fragen handelt. Dann nämlich bietet sich eine Analogie zu einer i m Nachbarrecht des BGB längst bekannten Lösung eines i m Wesen ganz ähnlichen Konfliktes an. Es ist dies die Regelung des Überbaus i n §§912 ff. BGB. zeigt deutlich, daß es recht schwierig wäre, den Beginn der Jahresfrist praktikabel festzulegen. 84 M. E. dürfen aber nicht getrennt werden die Frage der Aufhebung der Baugenehmigung u n d der Beseitigung des nach dieser Aufhebung illegalen Bauwerks; so jedoch anscheinend Geizer, DöV 1965, 794, der erst nach A u f hebung der Baugenehmigung die Frage prüfen w i l l , ob abgerissen werden muß u n d erst hierbei zwischen den Interessen der beteiligten Grundeigentümer abwägen w i l l . Das würde zu der unannehmbaren — u n d vermeidbaren — Konsequenz führen, daß zwar die Baugenehmigung auf Betreiben des Nachbarn zurückgenommen w i r d , der danach den Nachbarn beeinträchtigende materiell w i e formell unheilbar rechtswidrige Zustand aber trotzdem v o m Nachbarn zu dulden wäre. 85 Dafür Bender, N J W 1966, 1996; Peters, DöV 1965, 753. 86 Vgl. Bender, N J W 1966, 1996; Schütz-Frohberg, S. 152; Evers, JuS 1962, 91.

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§9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

Hiernach darf derjenige, der über die Grenze zum Nachbarn gebaut hat, seinen Bau stehen lassen, wenn er dabei ohne Vorsatz u n d ohne grobe Fahrlässigkeit gehandelt hat u n d w e n n der Nachbar nicht „sofort" nach der Grenzüberschreitung widersprochen hat. Es leuchtet ein, daß eine Analogie zu §§ 912 ff. B G B eine wesentliche Verbesserung der Praxis des öffentlichen Baurechts bewirken würde. Verspätete Widersprüche des Nachbarn, also praktisch Widersprüche nach Baubeginn 8 7 , wären wirkungslos, der Bau bliebe rechtmäßig. Fragen grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Hechtsverletzungen würden zumindest bei den Fällen des Bauens m i t — rechtswidrigem — Dispens nicht akut. Beim Bauen i m Rahmen des Dispenses w i r d man dem Bauherrn V o r satz oder grobe Fahrlässigkeit i.d.R. nicht begründet vorwerfen können.

Z u beachten ist besonders folgendes: Es ist i m Überbaurecht des B G B gleichgültig, ob der zum Widerspruch berechtigte Grundeigentümer die Grenzüberschreitung etwa schuldlos nicht kannte. Wenn nicht widersprochen ist, ist der Überbau rechtmäßig, gleichviel aus welchen Gründen der Widerspruch unterblieb. Das ist unwidersprochen ganz allgemeine Meinung 8 8 . Auch ist das Unterlassen des Widerspruchs — w e i l kein Rechtsgeschäft — unanfechtbar 8 9 . Das zeigt, wie sehr eine Analogie zu dieser rigorosen Regelung der §§ 912 ff. B G B für Rechtsfrieden u n d Rechtssicherheit sorgen würde, wie sehr die Unzuträglichkeiten u n d Schwierigkeiten bei verspäteten öffentlich-rechtlichen Nachbarklagen abgebaut werden könnten 9 0 . Der Nachbar hätte dabei keinen Schaden. I n Analogie zu § 912 Abs. 2 B G B hätte er einen Entschädigungsanspruch 91 . Die Möglichkeiten einer Analogie zu §§ 912 ff. B G B i m öffentlichen Nachbarrecht werden i n L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung zur öffentlich87 Die genaue Bestimmung der Rechtzeitigkeit des Widerspruchs ist diese: „Rechtzeitig ist der Widerspruch, wenn seine Beachtung den Bau u n d damit die Gefahr sinnwidriger Zerstörungen verhindert hätte", Westermann, Sachenrecht, § 64 I I I 4 (ebenso RGZ 109, 108). Diese Abgrenzung ist deshalb sinngemäß, w e i l sie dem Prinzip entspricht, unverhältnismäßige Wertvernichtungen zu verhindern, das §§ 912 ff. B G B zugrunde liegt. 88 Palandt-Degenhart, § 912 Anm. 2d; RGZ 83, 147; Meisner-Stern-Hodes, S. 417. 89 Auch das ist unwidersprochen allgemeine Meinung, vgl. Palandt-Degenhart, a.a.O. 90 Dabei ist allerdings zu bemerken, daß die Analogie vielleicht auch schon auf der Grundlage der herrschenden Auffassungen von der öffentlichrechtlichen Nachbarklage helfen könnte. Sie würde bedeuten, daß der k l a gende Nachbar verlangt, dem Bauherrn eine Bauweise zu verbieten, die er — der Nachbar —, wenn es sich u m privatrechtliche Vorschriften handeln würde, zu dulden verpflichtet wäre. Die hier i m Folgenden begründete Analogie bekommt volle Überzeugungskraft allerdings erst auf dem Boden und i m Rahmen der „extrem"-privatrechtlichen Auffassung. 91 Dazu i m einzelnen u., S. 223 f.

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rechtlichen Nachbarklage nicht gesehen92. I m privatrechtlichen Schriftt u m ist sie dagegen bereits erörtert worden, und zwar bei der Frage der Überschreitung eines Bauwichs. Weit überwiegend w i r d dabei vertreten, daß hier Überbaurecht analog angewendet werden muß 93 . Die Rechtsprechung hat zu der Frage — soweit ersichtlich — noch nicht Stellung genommen 94 . Immerhin hat der B G H einmal entschieden, Uberbaurecht sei analog anzuwenden, wenn ein Bau ein Wegerecht auf dem Grundstück des Bauherrn beeinträchtigt 95 . Die Begründung ist im wesentlichen folgende 98 : „Die Regelung des § 912 B G B . . . trägt der durch einen (entschuldigten) Überbau geschaffenen tatsächlichen Situation i n angemessener Weise Rechnung. Sie w i l l verhindern, daß bereits vorhandene Bauwerke, an deren E r haltung ein berechtigtes Allgemeininteresse besteht, nachträglich mindestens teilweise wieder abgerissen werden müssen. Das entspricht vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtungsweise. Es handelt sich u m einen allgemeinen Grundsatz, der über den u n m i t t e l b a r i m Gesetz geregelten F a l l hinaus zur Ausdehnung auch auf Tatbestände (anderer) A r t geeignet erscheint."

Besonders wichtig i n dieser Begründung ist, daß der B G H sich auf das „Allgemeininteresse" beruft und zu erkennen gibt, daß dies gleichbedeutend, wenn nicht identisch ist mit „vernünftiger wirtschaftlicher Betrachtungsweise". Das bedeutet, daß „berechtigtes Allgemeininteresse" hier wieder nichts anderes ist als ein öffentliches Interesse auf der Ebene des Gesetzgebers, nämlich das für das Nachbarrecht typische Interesse an ökonomisch sinnvoller Raumnutzung, und daß gerade dies die Analogie rechtfertigt. cc) Eine ausdehnende Anwendung des § 912 BGB ist übrigens auch schon i n einer Reihe anderer Fälle befürwortet worden: 92 Soweit ersichtlich, findet sich n u r i n einem U r t e i l des B V e r w G v o m 9. 9. 65 (DVB1 1966, 272) ein kurzer, undeutlicher Hinweis: Die Vorinstanz habe bei der Prüfung der Zulässigkeit der Klage „richtig erkannt, daß §§ 912 ff. B G B dem nicht entgegenständen". Ausführlich zur Frage der A n wendung des § 912 B G B bei Überschreiten des Bauwichs jetzt aber O V G Rheinland-Pfalz v. 4. 1. 68, i n : Der Städtetag 1968, 261 ff. (ablehnend); dazu u., S. 221 Fn. 111. 93 Vgl. Meisner-Stern-Hodes, § 24 V I I 3, S. 439 (m.w.N. i n Fn. 161), die v o n Analogie bei Überschreitung des „landesgesetzlich vorgesehenen Bauabstandes" sprechen u n d damit nicht etwa n u r alte partikularrechtliche Grenzabstände meinen, sondern auch den Bauwich nach den neuen Landesbauordnungen, w i e sich aus der Verweisung a.a.O. Fn. 160 ergibt; vgl. ferner Palandt-Degenhart, Überblick v o r § 903 A n m . 2 d b b ; Wolff-Raiser , § 55 Fn. 7. 94 Vgl. aber o., Fn. 92. 95 B G H N J W 1963, 807 = B G H Z 39, 5; i m Anschluß an die schon bisher überwiegende Meinung, vgl. i m einzelnen die Nachweise i n B G H Z 39, 9 f. Dieser F a l l darf nicht verwechselt werden m i t dem i n § 916 B G B geregelten F a l l der Beeinträchtigung eines Wegerechts auf dem Grundstück des Nachbarn. 96 a.a.O., S. 11.

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

(1) B e i m sog. Eigengrenzüberbau. Dieser liegt vor, w e n n ein Grundeigentümer auf sein eigenes benachbartes Grundstück überbaut, dieses G r u n d stück aber später, etwa infolge Zwangsversteigerung i n andere Hände übergeht. Wenn §912 B G B hier nicht analog angewendet würde, könnte der neue Eigentümer Beseitigung des Überbaus verlangen. Nach längerem Schwanken hat das R G 9 7 sich f ü r eine Analogie entschieden. Die Begründung dafür lautete u. a.: Es sei nicht angängig, daß die strenge Durchführung des Eigentumsrechts zu einer Trennung v o n Sachverbindungen führe, an deren Aufrechterhaltung die Allgemeinheit aus volkswirtschaftlichen Gründen ein hohes Interesse habe. — Die Analogie w i r d seitdem allgemein f ü r richtig gehalten 9 8 . Auch hier macht sich also deutlich wieder das gesetzgeberische Interesse an ökonomisch sinnvoller Raumnutzung geltend u n d begründet die Analogie. (2) E i n Überbau k a n n durch Verschiebung eines Gebäudes durch E r d bewegungen entstehen (Einwirkungen v o n Untertage-Bergbau). Wenn man einen wirtschaftlich nicht vertretbaren A b r i ß des Gebäudes oder des grenzüberschreitenden Gebäudeteiles vermeiden w i l l , muß m a n §§ 912 ff. B G B analog anwenden. Das w i r d i n der T a t befürwortet 9 9 . Eine Analogie zu §§ 912 ff. B G B w i r d ferner angenommen i n Fällen v o n (3) „ K a t a s t e r r a u b " 1 0 0 u n d (4) Erweiterung eines bereits bestehenden Überbaus 1 0 1 .

Für die vorliegend zu behandelnden Probleme wichtiger ist der Fall des (5) Anbaus an eine auf dem Nachbargrundstück stehende Giebelmauer aufgrund bauordnungsbehördlicher Auflage. Die behördliche Auflage b e w i r k t zunächst, daß der Bauherr gutgläubig i m Sinne v o n § 912 B G B i s t 1 0 2 . Trotzdem müßte der Überbauende auf Verlangen des Nachbarn weichen, d. h., sein Gebäude v o n der Giebelwand des Nachbarn trennen u n d damit sein Haus der Standfestigkeit berauben, was i n jedem F a l l unsinnige Kosten verursachen würde. Dem k a n n man entgehen, w e n n m a n §§ 912 ff. B G B auch hier analog anwendet. Das w i r d i n der T a t befürwortet 1 0 3 . (6) E i n „kritischer" F a l l ist der der sog. „Mauerausbauchung": Die Ausw ö l b u n g einer Mauer über die Grenze hinaus ist nach allgemeiner Meinung dann unmittelbar nach §§ 912 ff. B G B zu beurteilen, w e n n sie sich schon bei Errichtung des Bauwerks e r g i b t 1 0 4 oder zwar später auftritt, aber auf U r sachen beruht, die schon bei Errichtung des Baus gesetzt sind 1 0 5 . Zweifelhaft w i r d die Rechtslage, w e n n eine nachträgliche Mauerausbauchung infolge anderer, erst später eintretender Ursachen entsteht (Kriegs97

RGZ 160,166. Auch v o m B G H , vgl. B B 1961, 653; i m einzelnen vgl. die Darstellung des Problems bei Meisner-Stern-Hodes, § 24 V I I 1. 99 Staudinger-Seufert, § 912 Rn. 28; Westermann, Sachenrecht, § 64, 2, S. 319; Meisner-Stern-Hodes, §24 V I I 4 . loo, loi v g i # z u beiden Fällen i m einzelnen Meisner-Stern-Hodes, § 24 V I I 6 u n d 7 m.w.N. 102 So auch Meisner-Stern-Hodes, §24 V I I 8, S. 443; L G Duisburg N J W 1962, 1251. 103 Meisner-Stern-Hodes, a.a.O. 104 So RGZ 88, 39; Meisner-Stern-Hodes, §24 V I I 5. 105 Meisner-Stern-Hodes, a.a.O. 98

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einwirkungen). Die herrschende Meinung wendet auch hier §§ 912 ff. B G B analog an 1 0 6 . Das ist deshalb unrichtig, w e i l eine solche Grenzüberschreitung von A n f a n g an nicht rechtswidrig ist. Eine privatrechtliche Zustandshaftung des Eigentümers gibt es nicht 1 0 7 . Daher ist eine derartige Mauerausbauchung auch bei Widerspruch des Nachbarn zu dulden. Der Nachbar müßte sie sogar entschädigungslos hinnehmen. W e i l man das als ungerecht empfinden mag, könnte versucht werden, wenigstens die Entschädigungsvorschrift des § 912 Abs. 2 B G B entsprechend anzuwenden. Der B G H 1 0 8 läßt das dahingestellt, w e i l diese Vorschrift ohneh i n nicht ausreichte, die gesamten Folgen der Mauerausbauchung i m konkreten F a l l zutreffend zu behandeln. Die Lösung findet der B G H vielmehr, w i e schon oben 1 0 9 dargestellt, i m Gedanken des „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses" : Die hieraus entspringende Pflicht zur Rücksichtnahme fordere i m konkreten F a l l eine Entschädigung f ü r die Verteuerung des Neubaus des Nachbarn. — Diese Entscheidung macht, auch w e n n sie die A n w e n d u n g v o n Überbau-Recht ablehnt, jedenfalls eines deutlich: den engen Zusammenhang zwischen den gesetzlichen Überbauvorschriften u n d dem Gedanken des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses 110 . Daran zeigt sich wiederum, daß gerade i n den Überbau-Vorschriften i n besonders deutlicher Weise die G r u n d prinzipien allen Nachbarrechts ausgedrückt sind: die Pflicht zu gegenseitiger Rücksichtnahme m i t dem Z i e l einer ökonomisch sinnvollen Nutzung des nachbarlichen Raumes. D a n a c h k a n n das E r g e b n i s dieses Ü b e r b l i c k s n u r sein, daß d i e §§ 912 ff. B G B auch a u f F ä l l e des öffentlichen Baurechts, das h i e r als i n W a h r h e i t p r i v a t - n a c h b a r r e c h t l i c h c h a r a k t e r i s i e r t w o r d e n ist, a n w e n d b a r s i n d 1 1 1 . dd) A l l e r d i n g s w i r d m a n das n i c h t ohne w e i t e r e P r ü f u n g u n d pauschal f ü r j e d e V e r l e t z u n g e i n e r N o r m des öffentlichen Baurechts a n n e h m e n dürfen. A l s Ergebnis k a n n bislang v i e l m e h r n u r festgehalten werden, daß d i e analoge A n w e n d u n g des Ü b e r b a u r e c h t s n i c h t p r i n z i p i e l l v e r n e i n t w e r d e n k a n n . Es b l e i b t die A u f g a b e , i n d e n e i n z e l n e n F a l l g r u p p e n zu p r ü f e n , ob G l e i c h h e i t oder z u m i n d e s t w e s e n t l i c h e Ä h n l i c h k e i t d e r Interessenlage v o r l i e g e n . 106 Westermann, Sachenrecht, §64 I I 2, S. 319; Staudinger-Seufert, §912 Rn. 8; Meisner-Stern-Hodes, §24 V I I 5. 107 So auch B G H Z 28, 110; dieser Entscheidung ist allgemein zugestimmt worden, vgl. etwa Westermann, Sachenrecht, § 63 I 2. 108 B G H Z 28,110,116. 109 Vgl. o., S. 115 f. 110 Westermann, Sachenrecht, § 64 I, S. 318, sagt sogar, das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis sei die Grundlage des Überbaurechts. 111 Die Gegenmeinung des O V G Koblenz (Der Städtetag 1968, 261 f., v. 4. 1. 68) geht entgegen der vorliegend vertretenen Ansicht davon aus, daß die öffentlich-rechtlichen Bauwich-Bestimmungen Ansprüche des betroffenen Nachbarn n u r gegenüber der Bauaufsichtsbehöde begründen. Ferner w i r d dort argumentiert, die A n w e n d u n g des § 912 B G B w ü r d e zu einer Aushöhl u n g des Nachbarschutzes führen, so daß eine Analogie abzulehnen sei. Das ist schon i m methodischen Ausgangspunkt verfehlt: Auch i m privaten Nachbarrecht könnte man gut davon sprechen, daß § 912 B G B die Rechte des Nachbarn aushöhlt. Dann k a n n m a n daran nicht die Übertragung dieser rigorosen Wertung des Gesetzgebers i n das öffentliche Recht scheitern lassen.

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

Sehr nahe liegt es m. E., die §§ 912 ff. BGB analog anzuwenden, wenn der Bauwich (ohne Dispens oder aufgrund rechtswidrigen Dispenses) verletzt ist. Hier liegt die Parallele zur Überbauung einer vereinbarten Dienstbarkeit so nahe, daß die Analogie fast zwingend wird. Dem formalen Eingriff i n das Eigentum des Nachbarn m i t den in aller Regel nicht so schwerwiegenden Nachteilen für diesen steht das Interesse des Bauherrn an Erhaltung seines Baus gegenüber. Es käme zu einer unverhältnismäßigen Wertvernichtung, wenn er dem Abwehranspruch des Nachbarn ausgesetzt wäre. Diesem ist der Eingriff — u. U. gegen Entschädigung — zuzumuten. Seine Rechte sind gewahrt worden. Er hätte bis zum Baubeginn (genauer: bis zum Beginn der Errichtung der den Bauwich überschreitenden Gebäudeteile) widersprechen, also gegen die Baugenehmigung vorgehen können. Ohne Zweifel kann es dabei zu Härten kommen. So etwa, wenn der Nachbar von dem den Bauwich überschreitenden Bau nichts wußte 1 1 2 . Aber gerade das ist eine Härte, die das BGB bewußt i n Kauf genommen hat. Gerade dies ist Gegenstand der gesetzgeberischen Interessenbewertung. Die möglichen Härten sind also nicht etwa ein Argument gegen die hier vorgeschlagene Analogie, sondern für sie: Wenn man der hier verfolgten extrem privatrechtlichen Konzeption folgt, so ist es folgerichtig, auch derart rigorose Wertungen aus dem privaten Nachbarrecht zu übernehmen. Schwieriger w i r d es bei planungsrechtlichen nachbarschützenden Festsetzungen, die Analogie zum Überbaurecht zu begründen. Das liegt daran, daß dabei selten (nur bei Baulinien und Baugrenzen) von der Uberschreitung von „Grenzen" gesprochen werden kann. Bei der Überschreitung der Grundstücksgrenze und bei Überschreitung des Bauwichs handelt es sich u m Überschreitung von Größen, die i n der Regel deutlich festliegen, so daß der betroffene Eigentümer bei gehöriger Aufmerksamkeit leicht feststellen kann, ob ein Verstoß vorliegt. Das ist aber nicht i n gleicher Weise der Fall, wenn etwa die Grundflächenzahl (Hofraumgröße) überschritten wird. U m das feststellen zu können, müßte der Nachbar u. U. genaue Messungen vornehmen. Das ist aber kein entscheidender Grund, die Analogie abzulehnen: Der Nachbar braucht nicht selbst zu messen, er kann zum Bauamt gehen und dort die Bauunterlagen einsehen, worauf er Anspruch hat. Daraus ergibt sich, ob der Bauherr die planungsrechtlichen Festsetzungen überschreitet. Diese Möglichkeit muß genügen, zumal es auch beim „echten" Grenzüberbau vorkommen kann, daß bei nicht ganz klarem Grenzverlauf Katasterunterlagen zu Hilfe genommen werden müssen, 112 Auch unverschuldetes Unterlassen des Widerspruchs macht den Überbau rechtmäßig, vgl. o., S. 218.

V. Der n r e c h t l i c h e Dispens

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der Widerspruch also zunächst auf gut Glück und auf die Gefahr einer negativen Feststellungsklage seitens des Bauherrn hin erhoben werden muß. Es geht dies noch nicht über die vom Gesetz dem Nachbarn angesonnenen möglichen Härten hinaus. I m übrigen w i r d ein Nachbar immer i n der Lage sein, erhebliche und für ihn wirklich bedrohliche Überschreitungen der planungsrechtlichen Festsetzungen rechtzeitig zu bemerken und ihnen zu widersprechen. Er kann sofort erkennen, wenn entgegen den planerischen Festsetzungen i m Wohngebiet ein Gewerbebetrieb errichtet werden soll oder statt der vorgesehenen Einfamilienhaus-Bauweise ein Hochhaus. Auch für diese Fälle erscheint daher eine Analogie zum Überbau-Recht als angezeigt. Zuzugeben bleibt, daß damit nicht alle Fälle unzweckmäßig späten Widerspruchs erfaßt werden. Es bleiben die Fälle, i n denen die Verletzung der Vorschriften des öffentlichen Baurechts zwar objektiv vorlag, aber für den Nachbarn nicht erkennbar war. Diese Erkennbarkeit setzt auch § 912 BGB voraus. A n diese Wertung muß man sich daher auch i m öffentlichen Baurecht gebunden fühlen. Das bedeutet aber nicht, daß man deshalb die hier vorgeschlagene Analogie i n Bausch und Bogen verwerfen dürfte. Diese gibt vielmehr i n der überwiegenden Mehrzahl der denkbaren Fälle eine auch den Zwecken des öffentlichen Baurechts entsprechende Lösung. Die Zahl der Fälle, i n denen es nach der bisherigen Praxis zu untragbaren Ergebnissen kommen und für die bislang keine überzeugende Lösung gefunden werden konnte, w i r d durch Anwendung der §§ 912 ff. BGB wesentlich vermindert. Das sollte Grund genug sein, diese Analogie ernsthaft i n Betracht zu ziehen. ee) Die Folge dieser Analogie wäre ein Anspruch des Nachbarn auf Überbau-Rente gem. § 912 Abs. 2 BGB. Diese Verrentung des Ersatzanspruchs erscheint allerdings aus zwei Gründen als äußerst unangemessen: Einmal dürfte es sich i n aller Regel u m recht geringe Beträge handeln, die sich bei einer jährlich zu zahlenden Rente ergäben. Zum anderen geht ein Entschädigungsanspruch aus privatrechtlicher A u f opferung prinzipiell auf sofortige Zahlung des vollen Ausgleichs, nicht auf eine Verrentung. Es wäre merkwürdig, wenn der Nachbar demgegenüber bei Eingriff auf der Grundlage eines Dispenses nur einen Anspruch auf eine Rente hätte. Wenn man sich darauf besinnt, daß das Überbaurecht seinerseits nur eine Ausgestaltung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses ist 1 1 3 , dann kann es nicht schwerfallen, sich i m Rahmen der hier vorgeschlagenen analogen Anwendung der §§ 912 ff. BGB die Freiheit zu nehmen, den Entschädigungsanspruch anders als i n § 912 Abs. 2 BGB auszugestalten. Das fällt um so leichter, als die besondere A r t der Entschädigung beim Überbau nichts m i t dem Grund113

Dazu o., S. 221.

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

gedanken des Überbaurechts und des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zu t u n hat. Wenn diese Grundgedanken somit zwar zur Übernahme des Überbaurechts zwingen, so nicht auch zur gleichzeitigen Übernahme aller, von ihnen nicht gedeckten Details dieser Regelung. Es kann auch hier bei dem allgemeinen Entschädigungsanspruch aus privatrechtlicher Aufopferung bleiben. 4. a) Die bisherige Praxis ist m i t der Annahme „nicht beabsichtigter Härten" als Voraussetzung für den nachbarrechtlichen Dispens sehr zurückhaltend. Allgemein w i r d angenommen, daß ein Dispens wegen nicht beabsichtigter Härte nur dann zulässig ist, wenn das Bauen entsprechend den Vorschriften der jeweils geltenden Bauordnungen und Pläne zu einem nicht sinnvollen Ergebnis führen würde, zu einem Ergebnis, das bei Schaffung der Bauordnung bzw. des Planes nicht gewollt worden ist 1 1 4 . Damit w i r d ausgeschlossen, daß die persönlichen Verhältnisse des Grundeigentümers für den Dispens erheblich werden 1 1 5 . Es kommt allein auf die „Eigenschaften" (tatsächlicher und rechtlicher Art) des Grundstücks an. Aus diesen Eigenschaften muß sich die „Härte" ergeben. Es geht also nicht u m eine Härte für den Grundeigentümer, sondern sozusagen u m eine Härte für das Grundstück. Es läßt sich zeigen, daß dies ein typisch nachbarrechtlicher Gedanke ist: Für das vom öffentlichen Weg abgeschnittene Grundstück bedeutet es eine Härte, nur des mangelnden Zugangs wegen nicht genutzt werden zu können. Deshalb hat das Gesetz u m der Nutzbarkeit auch dieses Grundstüdes w i l l e n die Notwegbefugnis geschaffen. Dasselbe gilt beim Leitungsnotweg: Es sollen i m Interesse der besseren Nutzung eines Grundstücks die Nachbarn dulden müssen, daß Versorgungsleitungen und Abwasserleitungen auf ihrem Grundstück verlegt werden. Erst recht eine Härte wäre es, wenn ein Gewerbebetrieb nicht i m Rahmen des Unvermeidbaren sollte emittieren dürfen. Deshalb hat das Gesetz i n §§ 906 BGB, 26 GewO weitere Eingriffsbefugnisse geschaffen. Eine „Härte" wäre es, wenn ein Steinbruchbesitzer seinen Betrieb stillegen müßte, weil gelegentlich Steinbrocken auf das Dach einer benachbarten Fabrik fallen, obwohl Schäden und Gefahren durch relativ geringfügige Sicherungsvorkehrungen seitens der Fabrik verhindert werden könnten. Deshalb hat die Rechtsprechung auch hier eine Einwirkungsbefugnis bejaht 1 1 6 . 114 So etwa Geizer, Bauplanungsrecht, § 143, S. 157; Scheerbarth, Bauordnungsrecht, § 135, S. 341. 115 Allgemeine Meinung; vgl. Pietzonka, N J W 1957, 1583; Schrödter, §31 Rn. 3; Glaser-Dröschel, S. 303; anders Geizer, Bauplanungsrecht, §143, der n u r meint, es komme nicht allein darauf an, ob dem Grundeigentümer ein Bauen aus wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen unzumutbar erscheine. 116 Vgl. B G H Z 28, 225. Diese Entscheidung ist i m einzelnen o., S. 29, 130 f., besprochen.

V. Der n r e c h t l i c h e Dispens

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Es zeigt sich also, daß „Härte" i n den Dispensvorschriften des öffentlichen Baurechts nichts anderes andeutet als den typisch nachbarrechtlichen Gedanken der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung. Die Nachbarn müssen sich Einschränkungen ihrer Rechte, d. h. Eingriffe, gefallen lassen, wenn das zur sinnvollen Nutzung eines anderen Grundstücks unabweisbar notwendig ist. I n Anlehnung an privat-nachbarrechtliche Vorstellungen kann man also beim nachbarrechtlichen Dispens formulieren: Eine „Härte" liegt vor, wenn ein Grundstück ohne Dispens nicht oder nur unter wirtschaftlich unvertretbaren Mehraufwendungen i m Rahmen des planungsrechtlich und bauordnungsrechtlich Zulässigen bebaubar wäre. Dieses Ergebnis bestätigt i n vielen Punkten die heutige Praxis 1 1 7 . Ein wesentlicher Unterschied liegt allerdings darin, daß nach der vorliegend vertretenen Ansicht der nachbarrechtliche Dispens auch dann erteilt werden kann, wenn das zu wesentlichen Beeinträchtigungen für den Nachbarn führt 1 1 8 , während es i n diesen Fällen nach der gegenwärtigen Praxis dabei bleibt, daß der Grundeigentümer die nicht beabsichtigte Härte hinnehmen muß. Dieser Unterschied zeigt sich z. B. i n einem von Geizer 119 gebrachten Beispiel: Ein Grundstück ist i m Rahmen der vorgeschriebenen Bebauung zwar bebaubar, bei Einhaltung der vorgesehenen Grenzabstände und Bebauungstiefen jedoch nur i n wirtschaftlich unsinniger Weise. Geizer meint, hier gäben die Beeinträchtigungen, die sich auf das Nachbargrundstück auswirken können, den Ausschlag, ob Befreiung erteilt werden kann. Von der vorliegend bezogenen Position aus ergibt sich teilweise ein anderes Ergebnis: Gewiß gebietet die Rücksicht auf den Nachbarn, die schonendste A r t der Dispensierung zu wählen. Eine trotzdem verbleibende deutliche Beeinträchtigung des Nachbarn kann aber die Erteilung des Dispenses nicht verhindern. Das Maß der Beeinträchtigung des Nachbarn w i r d nur dann entscheidend, wenn diese Beeinträchtigung so schwer wird, daß die Vorteile für den Bauherrn dadurch aufgezehrt werden, denn dann ist die bei privatrechtlicher Aufopferung zu beachtende Kosten-Nutzen-Relation nicht gewahrt. b) Dies alles öffnet schließlich fast zwingend den Blick für eine überraschende Parallele, die das Wesen des nachbarrechtlichen Dispenses 117

Vgl. Geizer, Bauplanungsrecht, § 143, S. 157 f., m. w . N. Es besteht Anlaß zu betonen, daß der Dispens aber nicht etwa u n bedenklich i m m e r dann erteilt werden kann, w e n n k e i n Nachbar beeinträchtigt w i r d . Auch dann bleibt Voraussetzung, daß f ü r den B a u w i l l i g e n die A b lehnung des Baugesuchs eine nicht beabsichtigte Härte darstellen w ü r d e ; so auch O V G Münster N J W 1964, 1738 (v. 25. 2. 64). 119 Bauplanungsrecht, § 143, S. 158 o. 118

15 Schlüte

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

beleuchtet und seine privatrechtliche Natur bestätigt: Alles, was bisher zum Begriff der „nicht beabsichtigten Härte" i n den Dispensvorschriften des öffentlichen Baurechts gesagt ist, ist schon aus der Rechtsprechung des B G H zum nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis 120 bekannt: „Der Ausgleich widerstreitender Interessen von Grundstücksnachbarn geschieht i n erster Linie durch die nachbarrechtlichen Gesetzesvorschriften" 121 . Das gilt genauso für das Nachbarrecht i m öffentlichen Baurecht: Auch hier sind die Rechtsverhältnisse zwischen Nachbarn i n erster Linie durch die allgemeinen nachbarschützenden Normen geregelt. Aber auch hier gilt, daß diese Regeln dann nicht m i t rigoroser Konsequenz angewandt werden dürfen, wenn sie zu einer Härte führen. Die Rechtsprechung zum nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ist insoweit zwar recht zurückhaltend: „Eine über sie (die nachbarrechtlichen Gesetzesvorschriften) hinausgehende Beschränkung an sich bestehender Eigentümerrechte aufgrund der Pflicht zur Rücksichtnahme, die dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis entspricht, muß daher eine durch zwingende Gründe erforderte Ausnahme bleiben" 1 2 2 . Das fordert also praktisch einen hohen Grad von Härte, wenn eine Abweichung von den allgemeinen Vorschriften des Nachbarrechts rechtens sein soll. Wenn sich die Vorschriften über den nachbarrechtlichen Dispens demgegenüber m i t „nicht beabsichtigter Härte" begnügen, so mag darin ein Unterschied liegen. Aber dieser Unterschied ist nur quantitativer Natur. Qualitativ ist m i t dem Härteausgleich derselbe Gedanke angesprochen. Der somit zulässige Vergleich des nachbarrechtlichen Dispenses mit dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ist damit zugleich ein weiterer Beleg dafür, daß die härteausgleichende Abweichung von den allgemeinen Normen auch wesentlich beeinträchtigen darf. Das zeigt beim nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis gerade der vom B G H entschiedene „Steinbruchfall" 1 2 3 . 120 Eingehend dazu o., S. 115 ff. Anklänge an diesen Gedanken finden sich übrigens i m Schrifttum zur öffentlich-rechtlichen Nachbarklage nicht selten, so w e n n Bender, N J W 1966, 1996; Lorenz, DöV 1964, 480/481, u n d Peters, DöV 1965, 753, befürworten; die Frage des Widerrufs einer rechtswidrigen Baugenehmigung danach zu entscheiden, was sich aus „ T r e u u n d Glauben" bei einer A b w ä g u n g zwischen den Interessen der Nachbarn ergebe. Sogar der Ausdruck „nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis" selbst taucht i n E r örterungen über die öffentlich-rechtliche Nachbarklage auf, am deutlichsten bei Redeker, N J W 1959, 749; w e n n jedoch dort weiter (S. 751 u. 752) gesagt w i r d , die unmittelbar nachbarschützenden Normen des öffentlichen Nachbarrechts seien eine „Ausgestaltung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses", so hat das m i t dem spezifischen Gehalt des Terminus „nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis" nichts mehr zu tun. Dies auch gegen Rüfner, DVB1 1963, 609; Kniestedt, DöV 1962, 89; Seilmann, DVB1 1963, 281; OVG Lüneburg DVB1 1966, 276 (v. 25.11. 65). 121 B G H L M § 903 B G B Nr. 1; B G H Z 2 8 , 114. 122 B G H a.a.O. 123 B G H Z 28, 225, dazu eingehend o., S. 26, 130 f., 224.

IV. Der nachbarrechtliche Dispens

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M i t großer Selbstverständlichkeit hat der B G H hier übrigens auch eine Entschädigung f ü r den wesentlich betroffenen Nachbarn zuerkannt, ohne daß dieser Anspruch irgendwo normiert gewesen wäre.

c) Dies schafft schließlich auch die Grundlage für ein Verständnis dessen, was die Bestimmungen über den nachbarrechtlichen Dispens m i t den Worten „sofern öffentliche Belange nicht entgegenstehen" meinen: Es liegt auf der Hand, daß eine „Härte" trotz allem vorstehend Gesagten nicht i n jedem Fall zu einer Dispensierung führen kann, auch dann nicht immer, wenn der Nachbar nicht oder nur wenig, jedenfalls i n den oben erläuterten Grenzen des entschädigungslos Zulässigen beeinträchtigt würde. Wäre das der Fall, so könnten Bebauungsplan und vor allem die Bauordnungen auf den Kopf gestellt werden. Es ist daher dem Satz zuzustimmen, daß es „nicht-dispensable Normen" gibt 1 2 4 , und es ist daher ungenau, wenn gesagt wird, an den „öffentlichen Belangen" scheiterten die Dispensanträge weniger 1 2 5 . Von den Verunstaltungsvorschriften z. B., von den statischen Anforderungen und von den Bestimmungen über Abwasserbeseitigung w i r d nie dispensiert werden können 1 2 6 . Hier ist das öffentliche Interesse an der Beachtung der Normen des öffentlichen Baurechts so stark, daß auch eine „Härte" nicht zu einer Befreiung führen kann. A l l e Härten sind i n diesen Fällen „beabsichtigt". I m allgemeinen aber bleibt es dabei, daß es zu Härten kommen kann, die vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sind. Das bedeutet m i t anderen Worten: Die Vorschriften des öffentlichen Baurechts sind „konditionale Normierungen" 1 2 7 . Der Gesetzgeber hat aber gespürt, daß diese konditionale Normierung i n Ausnahmefällen zu Ergebnissen führen kann, die dem gesetzgeberischen Zweck nicht entsprechen 128 . Nichts anderes als diesen gesetzgeberischen Zweck meint der Ausdruck „öffentliche Belange" i n den Dispensvorschriften. Daher ist m i t „nicht beabsichtigt" und m i t „öffentliche Belange" derselbe Gedanke ausgedrückt. Anders gesagt: Wenn eine Härte von der Norm nicht beabsichtigt ist, sprechen auch keine öffentlichen Belange gegen den Dispens. Daher ist es auch kein hoheitlicher Eingriff, wenn der Dispens wegen der so verstandenen öffentlichen Belange versagt wird. Das bedeutet 124

Scheerbarth, Bauordnungsrecht, § 135, S. 341. Geizer, Bauplanungsrecht, § 144, S. 159. So auch Scheerbarth, Bauordnungsrecht, § 135, S. 341. 127 Z u diesem Ausdruck u n d zur „Zwecknormierung" eingehend o., § 4 I V , S. 81 ff. 128 Dieser G r u n d f ü r die Schaffung der Dispensmöglichkeiten ist n u r selten deutlich ausgesprochen worden, z.B. v o n Pietzonka, N J W 1957, 1582, u n d v o n Erichsen, DVB1 1967, 270; letzterer k o m m t allerdings (a.a.O., S. 272) trotzdem zu dem Ergebnis, es dürfe m i t dem Dispens nicht i n die durch die fragliche N o r m geschützten Interessen des Nachbarn eingegriffen werden. 125

126

15*

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbrklage

nur, daß der Dispens versagt wird, weil er dem Zweck der Norm widersprechen würde und daß es deshalb bei den konditional normierten Anordnungen der betreffenden Vorschrift bleiben muß. Die Dispensvorschriften sind also ein Fall generalklauselartiger Zwecknormierungen 120 i m Rahmen einer i m übrigen konditionalen Kodifizierung. Das zeigt wiederum die bemerkenswerte Nähe der Dispensvorschriften zu dem Gedanken des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses, der ebenfalls eine Zweck-„Norm" i m Rahmen des sonst rein konditionalen privaten Nachbarrechts ist. Nur macht es die ausdrückliche gesetzliche Zulassung der Berücksichtigung normzweckwidriger Härten i m öffentlichen Baurecht leichter, diesen Gesichtspunkt zu berücksichtigen, als i m übrigen privaten Nachbarrecht, wo der B G H die Anwendung des Gedankens des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses aus Gründen der Rechtssicherheit auf seltene Ausnahmefälle bei besonders deutlichen Härten beschränken w i l l . Allerdings könnte die Tatsache, daß die Dispensvorschriften nunmehr als eine gesetzlich anerkannte Möglichkeit entdeckt sind, von konditionalen Normierungen i m Nachbarrecht generell bei normzweck-widriger Härte abzuweichen, dazu führen, auch i m übrigen privaten Nachbarrecht mit der Anwendung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses zur Beseitigung von Härten großzügiger zu sein, wenn damit dem Zweck der Normen, nämlich einer ökonomisch sinnvollen Raumnutzung, gedient wird 1 8 0 . d) Der Begriff der „öffentlichen Belange" w i r d gelegentlich allerdings auch anders verstanden, als vorliegend vertreten, etwa i n folgendem Fall: Ein Dispens w i r d trotz vorliegender Härte versagt, weil der Baubehörde entgegen den Festsetzungen des Bebauungsplans daran gelegen ist, daß das betroffene Grundstück unbebaut bleibt, etwa w e i l i n Aussicht genommen ist, dieses Grundstück wegen gesteigerten Verkehrsbedürfnisses für die Erweiterung einer Straßenkreuzung i n Anspruch zu nehmen. Man könnte meinen, die Versagung des Dispenses und damit der Baugenehmigung aus entgegenstehenden öffentlichen Belangen sei auch i n diesem Falle gerechtfertigt. Die Versagung sei sinnvoll, damit nicht ein Gebäude errichtet werde, das nach einiger Zeit wieder abgerissen werden müsse. — Es mag sein, daß die Versagung des Dispenses hier sinnvoll wäre. Aber sie wäre nicht der richtige Weg, derartige öffentliche Belange durchzusetzen. Wenn i n dem geschilderten Fall der Bebauungsplan die Nicht-Bebaubarkeit des Grundstücks zwar zur Folge, aber „nicht beabsichtigt" hat, dann muß eben, u m die Bebauung des Grundstücks zu verhindern, der Bebauungsplan geändert werden. Die 129

Vgl. o., § 4 I V 2. Auch die oben, § 2 I V , aufgezeigte Problematik u n d Tendenz der Rechtsprechung des B V e r f G („allgemeine Grundrechtekollision") dürfte i n diese Richtung deuten. 130

V. Der n r e c h t l i c h e Dispens

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Dispensvorschriften sind nicht dazu da, die Behörden von diesem Erfordernis zu befreien. Das zeigt gerade das besprochene Beispiel deshalb besonders deutlich, weil die Änderung des Bebauungsplans eine enteignende Herabzonung wäre. E r w i r k t e man dieselbe Konsequenz durch Versagung des Dispenses, so könnte auch das nur Enteignung sein. Dann fehlt es aber mangels Entschädigungsregelung i n den Dispensvorschriften schon an der Zulässigkeit der Versagung des Dispenses (Junctimklausel). „öffentliche Belange" i n den Vorschriften über den nachbarrechtlichen Dispens meint also Gesetzeszweck, abstrakte öffentliche Belange, abstraktes öffentliches Interesse auf der Ebene des Gesetzgebers, nicht aber konkretes, enteignungsrechtliches öffentliches Interesse. Das öffentliche Interesse an der Erweiterung der Straßenkreuzung ist ein konkretes öffentliches Interesse, das Interesse an einem konkreten Projekt, das öffentliche Interesse auf der Ebene der Verwaltung. Das ist typisch enteignungsrechtliches Interesse. Wo es die Rechte einzelner einschränkt, geht es u m Enteignung. Das Interesse an der Standsicherheit von Gebäuden, an Hygiene und „anständiger" Baugestaltung dagegen ist ein allgemeines öffentliches Interesse, ein Interesse auf der Ebene des Gesetzgebers (die Verwaltung hat nur Kontroll-, nicht Gestaltungsfunktionen), so daß es nicht zu Enteignungsfällen kommen kann, auch wenn i m Einzelfall Härten verursacht werden, weil die Baubehörde auf der Einhaltung dieser Vorschriften besteht. 5. Nach allgemeiner Meinung hat der Bauherr keinen Anspruch auf die Erteilung eines Dispenses, und zwar selbst dann nicht, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für seine Erteilung i m konkreten Fall gegeben sind 1 3 1 . Diese Ansicht ist m i t den vorliegend vertretenen A u f fassungen unvereinbar. A u f der Grundlage der „extrem" privatrechtlichen Theorie kann es bei Vorliegen der Dispensvoraussetzungen weder Ermessen geben, noch dem Bauherrn der Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung m i t Dispens bestritten werden. Dazu zwingt folgende Überlegung: Die nachbarschützenden Normen des öffentlichen Baurechts waren hier als eigentumsinhaltsbestimmend qualifiziert worden 1 8 2 . Ebenso aber bestimmen die Dispensvorschriften den Eigentumsinhalt. Es handelt sich, wie dargestellt, u m private Eingriffsrechte unter Nachbarn. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für diese Eingriffsrechte umschreibt das Gesetz m i t „unbeabsichtigte Härte" und „öffentliche Belange nicht entgegenstehen". Liegen diese Merkmale vor, besteht das Eingriffsrecht. Die vorgeschaltete Kontrollfunktion der Baugenehmi131 Schrödter, § 31 Rn. 3. Sehr einschränkend allerdings schon Geizer, B a u planungsrecht, § 153; prinzipiell anderer Ansicht aber allein Franzen, BBauG, § 31 A n m . I I 3. 132 Vgl. o., § 9 I I I .

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gungsbehörde und der Dispensbehörde darf nicht dazu führen, daß dieses Eingriffsrecht trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen nicht entsteht oder jedenfalls nicht ausgeübt werden kann. Die Behörden haben hier nur zu subsumieren, nicht zu gestalten, denn dam i t würden sie den Eigentumsinhalt gestalten. Das ist nicht ihre Aufgabe; den Eigentumsinhalt bestimmen die Gesetze 183 . Dies bedeutet allerdings nicht, daß hierdurch der bisherigen Praxis tiefgreifende Neuerungen angesonnen würden. Geizer 134 führt kein Beispiel an, wo trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen der Dispens doch noch verweigert werden könnte. Er meint nur, theoretisch möge es besonders liegende Fälle geben, i n denen sich das rechtfertigen lasse. 6. Zusammenfassend läßt sich sagen: Es w i r d behauptet, daß eine Auffassung, nach der die nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts auch als privates Nachbarrecht aufzufassen sind, zu einer sinnwidrigen Erstarrung dieser Vorschriften führen würde. Der Gestaltungsaufgabe der Behörden würden zu enge Grenzen gesetzt 135 . Nach der hier vertretenen „extrem" privatrechtlichcn Auffassung, die annimmt, daß sogar die Dispensvorschriften privates Nachbarrecht sind, den Eigentumsinhalt bestimmen, ist das Gegenteil der Fall. Sie führt zu einer Erweiterung der Dispensmöglichkeiten. Die gegenteilige Annahme und die oft zu spürende Abneigung gegen eine privatrechtliche Betrachtungsweise verkennt — neben den verfassungsrechtlichen Gegebenheiten — vor allem die erstaunlich flexiblen Möglichkeiten des privaten Nachbarrechts.

V. Der enteignungsrechtliche Dispens Während beim nachbarrechtlichen Dispens die „Härte" i m Sinne des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses die Rechtfertigung für den Eingriff i n das Eigentum des Nachbarn ist, ist beim enteignungsrechtlichen Dispens diese Rechtfertigung das öffentliche Interesse. Nur dies verlangt nach allen einschlägigen Vorschriften 136 die zweite Alternative. Es w i r d hier keine „Härte" verlangt, und es w i r d nicht verlangt, daß der Dispens m i t den „öffentlichen Belangen" vereinbar sein solle. Der 133 A r t . 14 Abs. 1, S. 2 G G ; so auch B V e r w G E 18, 247 ff. v. 29.4.64 (zu §35 BBauG). 134 Bauplanungsrecht, § 153, S. 175. 135 So z. B. Evers, JuS 1962, 89, der allerdings hinzufügt, daß diese Betrachtungsweise A r t . 14 GG außer acht lasse. iss V g l . i m einzelnen o., S. 207.

V. Der enteignungsrechtliche Dispens

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Grundeigentümer bekommt den Dispens nach dieser Alternative also auch dann, wenn dadurch der Normzweck verletzt w i r d 1 3 7 . 1. Schwierigkeiten bereitet — wie nicht anders zu erwarten — festzustellen, was hier m i t dem öffentlichen Interesse (Wohl der Allgemeinheit) gemeint ist. Das läßt sich an folgendem — vom OVG Münster entschiedenen — Fall erläutern 1 3 8 : Ein Grundeigentümer begehrte Dispens für die Erstellung eines Hebekrans (stationär, daher Bauwerk i. S. der Bauordnungen) zwecks Modernisierung seines alten — legalen — Schmiede- und Schlosserei-Betriebs i m reinen Wohngebiet. Der Hebekran war geeignet, die bisherigen Lärmbelästigungen der Nachbarn zu mindern, da seine Benutzung weniger L ä r m verursachte, als wenn die entsprechenden Arbeiten weiterhin von Hand verrichtet worden wären. Das OVG meinte, für den Dispens sei öffentliches Interesse i m Sinne der Dispensvorschriften gegeben, da es i m öffentlichen Interesse liege, L ä r m i m reinen Wohngebiet zu vermeiden. Diese Begründung ist nach der hier vertretenen Ansicht unrichtig. Das öffentliche Interesse an Ruhe i m Wohngebiet ist ein typisches abstraktes öffentliches Interesse, ein öffentliches Interesse auf der Ebene des Gesetzgebers, kein konkretes, enteignungsrechtliches öffentliches Interesse an einem konkreten Projekt der Verwaltung. Es läßt sich zeigen, daß die Ansicht des OVG zu einer völligen Verwischung der Unterschiede zwischen den beiden Dispensarten und zu einer sinnwidrigen Anwendung des nachbarrechtlichen Dispenses führen würde: Wenn Ruhe i m Wohngebiet öffentliches Interesse ist, dann auch i m konkreten Fall das Bauen auf der Grenze, weil anders ein wertvolles Grundstück nicht genutzt werden könnte und ähnliches. Dann bestände bei „nicht beabsichtigter Härte" i m Sinne der einen Alternative der Dispensvorschriften auch stets ein öffentliches Interesse an der Abwendung dieser Härte i m Sinne der anderen Alternative. Die erste Alternative wäre sinnlos und überflüssig. Ihre Einschränkung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Dispenses auf „nicht beabsichtigte Härte" und „Vereinbarkeit m i t den öffentlichen Belangen" würde umgangen und aufgehoben, wenn der Begriff des öffentlichen Interesses i n der zweiten Alternative so zu verstehen wäre, wie es das OVG Münster tut. Die Dispensvorschriften sind nur dann sinnvoll zu praktizieren, wenn das öffentliche Interesse (Wohl der Allgemeinheit) i n der zweiten Alternative rein enteignungsrechtlich verstanden wird. Dazu 137 Z u r Identität der „öffentlichen Belange" m i t S. 227 ff. 138 O V G Münster N J W 1966, 1833 (v. 28.1. 66).

„Normzweck"

vgl. o.,

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

z w i n g t , w i e o b e n 1 3 9 e r l ä u t e r t , das G e b o t der Gesetzesbindung d e r V e r w a l t u n g : D e r B e g r i f f öffentliches Interesse ( W o h l d e r A l l g e m e i n h e i t ) h a t n u r d a n n eine das V e r w a l t u n g s h a n d e l n i n d e r verfassungsrechtlich gebotenen Weise d e t e r m i n i e r e n d e K r a f t , w e n n er i n d e m engen, e n t eignungsrechtlichen Sinne verstanden w i r d 1 4 0 . I n der genannten Entscheidung des O V G Münster ergibt sich zusätzlich eine deutliche Inkonsequenz i m Zusammenhang damit, daß das Gericht ann i m m t , der Bauherr habe Anspruch auf Dispens, w e n n dieser v o m öffentlichen Interesse gefordert werde. Wäre das richtig, dann könnte der Bauherr bei jedem nachbarrechtlichen Dispens, w e i l gleichzeitig öffentliches Interesse (nämlich an der Vermeidung einer nicht beabsichtigten Härte) vorliegt, einen Anspruch auf den Dispens geltend machen, der aber gerade nach Meinung des O V G Münster beim nachbarrechtlichen Dispens nicht gegeben i s t 1 4 1 . A u f eine andere Inkonsequenz macht Gierth 142 i n einer A n m e r k u n g zu der hier besprochenen Entscheidung aufmerksam: Wenn der Bauherr auf den enteignungsrechtlichen Dispens Anspruch hätte, könnte er die Interessen der Nachb a r n überspielen, da er dann notwendig auch Anspruch auf Eingriff i n deren Rechte habe, was nach herrschender Meinung verfassungsrechtlich aber gerade nicht möglich sei. Dieses verfassungsrechtliche Argument ist zwar, w i e oben 1 4 3 gezeigt, unrichtig. Da aber auch das O V G Münster diesem u n richtigen A r g u m e n t sonst folgt, ist seine i m hier besprochenen U r t e i l geäußerte Ansicht tatsächlich nicht folgerichtig. Z u l ä s s i g ist s o m i t a l l e i n das genaue A u s e i n a n d e r h a l t e n v o n n a c h b a r rechtlichen u n d enteignungsrechtlichen Elementen i n den Dispensv o r s c h r i f t e n 1 4 4 . Das f ü h r t auch i n d e m h i e r besprochenen F a l l z u e i n e r ü b e r z e u g e n d e n B e g r ü n d u n g des v o m O V G g e f u n d e n e n r i c h t i g e n E r g e b nisses: Es l a g eine „ H ä r t e " v o r , d e n n das G r u n d s t ü c k k o n n t e ohne H e b e k r a n , also ohne Dispens, n i c h t m e h r r a t i o n e l l , i n e i n e r d e n technischen M ö g l i c h k e i t e n entsprechenden Weise g e n u t z t w e r d e n . Diese 139 § 4 I L Aus diesem Grunde ist bedenklich, w e n n Geizer, Bauplanungsrecht, § 147 (Beispiel d), es als dem W o h l der Allgemeinheit dienend erachtet, w e n n ein Dispens von Festsetzungen eines — veralteten — Bebauungsplans erteilt w i r d , w e i l bereits beabsichtigt (aber noch nicht förmlich beschlossen) ist, einen neuen Bebauungsplan aufzustellen. Dann schaffen unkontrollierbare Absichten einer V e r w a l t u n g bereits entscheidende Gründe des Wohls der Allgemeinheit, d. h. das Handeln der V e r w a l t u n g w i r d nicht durch normative Festlegungen determiniert, sondern durch ihre eigenen Absichten, also gar nicht. Alles, was sie beabsichtigt, dient dann automatisch dem W o h l der A l l gemeinheit. 141 Z u r Frage, ob Anspruch auf Dispens besteht, vgl. bzgl. des nachbarrechtlichen Dispenses o., S. 229 f. u n d bzgl. des enteignungsrechtlichen u., S. 237 f. 142 N J W 1966, 2424. 143 S. 207 ff. 144 Das bedeutet nicht, dies sei eine Patentlösung, die i n jedem F a l l eine v ö l l i g eindeutige, unproblematisch einfache Einordnung u n d Entscheidung ermöglichte. Aber diese Lösung ermöglicht stets, das Problem zunächst einm a l der K l ä r u n g dadurch näherzuführen, daß es i n den dogmatisch richtigen Zusammenhang gestellt w i r d , so daß die i h m adäquaten Entscheidungskriterien herangezogen werden können. 140

V. Der enteignungsrechtliche Dispens

233

Härte war unbeabsichtigt, weil, wenn schon der Gewerbebetrieb durch den neuen Bebauungsplan oder i m Rahmen von § 34 BBauG nicht illegal war — davon geht das OVG aus —, die Einschränkung der Nutzung auf technisch überholte, unrationelle Möglichkeiten nicht gewollt sein kann, da sich hier die neue Nutzungsweise sogar zum Wohl der Nachbarn auswirken würde. Es handelt sich i n Wahrheit also u m einen nachbarrechtlichen Dispens. A u f diesen besteht nach der vorliegend vertretenen Ansicht Anspruch 145 . E i n weiteres Beispiel f ü r eine i m Ergebnis richtige, aber i n der Begründung unrichtige A n w e n d u n g der Dispensvorschriften ist folgendes: E i n Eckgrundstück i m Gebiet m i t geschlossener Bauweise ist so klein, daß bei einem A n b a u an die auf den Nachbargrundstücken bereits stehenden B r a n d wände die vorgeschriebene Hofraumgröße nicht eingehalten werden könnte. Geizer 146 meint, das W o h l der Allgemeinheit fordere den Dispens v o n der Grundflächenzahl, damit die Vorschriften über A n b a u an Brandwände u n d geschlossene Bauweise eingehalten werden. „ W o h l der Allgemeinheit" w i r d hier also verstanden als Interesse an der Beachtung von Normen. Das v e r wischt jedoch wiederum alle Unterschiede zwischen den beiden A l t e r n a t i v e n der Dispensvorschriften. Richtig wäre m.E. folgende Argumentation: Die A n w e n d u n g der einschlägigen Normen führt i m beschriebenen F a l l zu einem Normwiderspruch: Die eine N o r m verbietet das Bauen, die andere gebietet es geradezu. Da die verbietende N o r m dieses Ergebnis aber gar nicht beabsichtigt, braucht sie nicht angewendet zu werden. Da ihre A n w e n d u n g auch zu einer Härte f ü r den Grundeigentümer führen würde, ist Dispens zu erteilen, aber nicht aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit, sondern w e i l die tatbestandlichen Voraussetzungen der anderen Alternative vorliegen 1 4 7 . Z u r enteignungsrechtlichen Alternative der Dispensvorschriften w i r d folgendes vertreten: „ B e i öffentlichen Vorhaben muß scharf beachtet werden, daß es nicht darauf ankommt, ob das Vorhaben selbst dem W o h l der A l l g e meinheit dient, sondern ob die Abweichung von einer zwingenden Festsetzung oder Bestimmung des Bebauungsplans sich m i t Gründen des öffentlichen Wohls vertreten l ä ß t " 1 4 8 . Das k a n n nicht richtig sein. Denn w e n n das Vorhaben nicht dem W o h l der Allgemeinheit dient, dann k a n n eine A b w e i chung v o m öffentlichen Baurecht nicht vertretbar sein. Gemeint sein k a n n hier n u r folgendes 1 4 9 : Es genügt nicht, daß f ü r das öffentliche Vorhaben Gründe des öffentlichen Interesses sprechen, diese Gründe müssen vielmehr so stark sein, daß sie die Abweichung fordern, u.U. also auch die Zurückstellung privater Belange hinter die öffentlichen Interessen. Ferner sind alle anderen enteignungsrechtlichen Grundsätze zu beachten, also das Gebot der Verhältnismäßigkeit der M i t t e l u n d der Erforderlichkeit. Besonders ist darauf zu achten, daß das öffentliche Interesse ein enteignungsrechtliches ist, nicht etwa das Interesse einer Gemeinde an Geldeinnahmen. So ist es denn 145

Vgl. o., S. 229 f. Bauplanungsrecht, § 148, Beispiel b. Dieselbe K r i t i k ist an der von Geizer f ü r Beispiel a i n § 145 gegebenen Begründung zu üben, während i n Beispiel c zutreffend „ W o h l der Allgemeinheit" angenommen w i r d ; dort handelt es sich u m typisch konkretes öffentliches Interesse, w i e es auch i n Fällen der Enteignung zugunsten Privater vorliegt. 148 Geizer, Bauplanungsrecht, § 148, S. 166. 149 U n d wahrscheinlich meint auch Geizer das so. 148

147

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

begrüßenswert, w e n n Geizer das Vorliegen durchschlagender öffentlicher Interessen als selten darstellt 1 5 0 . Richtig ist es auch, i n folgendem F a l l eine Dispensmöglichkeit anzunehmen: V o n den Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung k a n n abgewichen werden, w e n n das Rathaus einer Stadt nicht anders i n der angemessenen Innenstadt-Lage errichtet werden kann. Gerade dieses Beispiel zeigt den Unterschied zum nachbarrechtlichen Dispens: E i n privater Bauherr bekäme einen derartigen Dispens nie, w e i l er eine nicht beabsichtigte Härte nicht geltend machen könnte. Die Gemeinde jedoch k a n n konkretes öffentliches Interesse geltend machen.

2. Wesentliche Schwierigkeiten bereitet der Praxis beim enteignungsrechtlichen Dispens die Junctimklausel des A r t . 14 Abs. 2, S. 2 GG: Diese verbiete, so w i r d überwiegend argumentiert 1 5 1 , einen enteignungsrechtlichen Dispens dann, wenn er wesentlich und ungleich schädigend i n das Eigentum eines Nachbarn eingreifen würde. Dann liege Enteignung vor, diese sei aber deshalb aufgrund der Dispensvorschriften des geltenden Rechts nicht zulässig, weil diese Vorschriften entgegen A r t . 14 Abs. 3, S. 2 GG nicht zugleich eine Entschädigung vorschreiben 152 . Die Dispensvorschriften müßten daher verfassungskonform dahin ausgelegt werden, daß sie solche Eingriffe gar nicht zulassen. Für den nachbarrechtlichen Dispens war die Frage oben 153 leicht zu lösen gewesen: Da er nichts m i t Enteignung zu t u n hat, kann er auch nicht an A r t . 14 Abs. 3, S. 2 GG gemessen werden. Für den enteignungsrechtlichen Dispens kann so natürlich nicht argumentiert werden. Es ist aber aus anderen Gründen auch hier unrichtig, die Dispensvorschriften an die Junctimklausel zu binden. Gegen ihre Anwendbarkeit sprechen zumindest drei Argumente: a) Es handelt sich u m solche Fälle der Enteignung, die noch vom RG und der früher herrschenden Meinung als (öffentlich-rechtliche) „ A u f opferung" bezeichnet wurden. Das RG hat zwar, wie man allgemein sagt, den Enteignungsbegriff ausgeweitet 154 . Es hat i h n aber nicht auf alle Fälle der Aufopferung (von Vermögenswerten) ausgedehnt, wie dann später der BGH. Es ist i n der RG-Rechtsprechung seit dem „Ham150

Geizer Bauplanungsrecht, § 148. Vgl. die Nachweise o., S. 213 Fn. 78. Wahrscheinlich liegt diese Überlegung auch der interessanten Entscheidung des h e V G H DVB1 1962, 724 f. (v. 3.11.61) zugrunde: I m Dispenswege w u r d e eine besonders hohe Mauer zur Einfriedigung eines Krankenhauses genehmigt. Dadurch w u r d e der Betrieb einer Tankstelle infolge Sichtbehinder u n g u n d Erschwerung der E i n - u n d Ausfahrt beeinträchtigt. Es hat den A n schein, als w ü r d e der V G H den Dispens f ü r rechtswidrig erklärt haben, falls die Tankstelle unzumutbar schwer u n d ungleich getroffen worden wäre. Diese Begründung ist unrichtig, der Dispens hätte auch dann erteilt werden können. (Daß die Junctimklausel nicht entgegensteht, ist i m folgenden zu zeigen.) N u r hätte entschädigt werden müssen. 153 Vgl. S. 213 f. 154 H i e r ist zu unterscheiden zwischen Ausweitung des Enteignungsbegriffs u n d Ausweitung des Eigentumsbegriffs. Der Eigentumsbegriff w u r d e ausgeweitet durch Erstreckung über das Sacheigentum hinaus. U m Ausweitung des Enteignungsbegriffs dagegen geht es i n den Fällen des folgenden Textes. 151

152

V. Der enteignungsrechtliche Dispens

235

burger Denkmalsurteil" 1 5 5 stets nur eine Gruppe der Aufopferung als Enteignung bezeichnet worden. Eine andere Gruppe ist immer ausgeklammert und weiterhin als Aufopferung bezeichnet worden. Und zwar handelt es sich dabei u m die oben 156 behandelten Fälle des Nachbarrechts der öffentlichen Sachen. Noch i n dem letzten einschlägigen Urteil hat das RG ausschließlich von Aufopferung gesprochen. A u f der Grundlage dieser Terminologie wurde das GG geschaffen. Man kann daher nicht annehmen, daß das GG m i t „Enteignung" auch die vom RG unter „Aufopferung" erfaßten Fälle bezeichnen wollte. Es kann allerdings nicht bestritten werden, daß dann später der B G H auch sie als Enteignungen bezeichnete. Es ist aber zu bemerken, daß nicht etwa schon die berühmte Entscheidung des B G H vom 10. Juni 1952157 die neue Terminologie auch für diese Aufopferungsfälle einführte. Vielmehr spricht noch eine Entscheidung vom 22. 12. 1952158 bei einer Beeinträchtigung von Anliegern durch Straßenbauarbeiten von einem „Ersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt der Aufopferung" 1 5 9 . Erst eine Entscheidung vom 28. Januar 1957100 setzte dann endgültig auch für die genannten Fälle der Aufopferung die Enteignungsterminologie durch 161 . Es kann danach festgehalten werden: Zur Zeit des Erlasses des GG und auch i n den ersten Jahren danach, ja sogar noch nach den ersten grundlegenden enteignungsrechtlichen Entscheidungen des B G H hätte man diese Fälle der Aufopferungs-Enteignung nicht an die Junctimklausel gebunden! Es kann ferner festgestellt werden, daß sich nach diesem Zeitpunkt die Rechtsprechung materiell nicht geändert hat. Zwar ist sie i n den entscheidenden Fragen der Abgrenzung zwischen Sonderopfer und

155

156 157

RGZ 116, 268.

§ 8.

B G H Z 6, 270 ff. B G H Z 8, 273 ff. 159 A u f S. 275 a.a.O. w i r d von einem „Aufopferungsanspruch" unter Z u grundelegung der Grundsätze der Entscheidung B G H Z 6, 270 ff. gesprochen, wobei aber auf diese Entscheidung n u r bezüglich der Abgrenzung zwischen entschädigungslosem u n d entschädigungspflichtigem Eingriff verwiesen w i r d . (Entgegen der „Sonderopfertheorie" i n B G H Z 6, 270 ff. stellt aber B G H Z 8,276 auf die „Schwere" ab, eine Tatsache, die bislang k a u m bekannt ist.) Wichtig erscheint auch, daß die amtliche Sammlung i m Eingang der Entscheidung B G H Z 8, 273 ff. nicht etwa A r t . 14 GG als Entscheidungsgrundlage anführt — so aber B G H Z 6, 270 —, sondern bezeichnenderweise allein § 75 Einl. A L R . 160 B G H Z 23, 157 ff. 161 H i e r w i r d auch nicht mehr §75 Einl. A L R , sondern A r t . 14 GG als E n t scheidungsgrundlage angegeben. 158

236

§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

Sozialpflichtigkeit viele gewundene Wege gegangen. Nie aber ist i m geringsten streitig gewesen, wie die öffentlich-rechtliche Aufopferung prinzipiell zu behandeln sei, nämlich als hoheitlicher Eingriff, der nach Überschreitung gewisser — i m Einzelfall oft schwer bestimmbarer — Grenzen zur Entschädigung verpflichtet. Was sich geändert hat, ist nicht diese materielle Rechtslage, sondern allein die Terminologie. Nur eine Änderung der Terminologie wäre es also, die heute dazu führen würde, die Junctimklausel auch i n den vorliegend fraglichen Fällen anzuwenden. Das ist m. E. nicht haltbar 1 6 2 . b) Die Folgen einer Anwendung der Junctimklausel auf die vorliegend besprochenen Fälle der Aufopferungs-Enteignung wären nicht tragbar: Man denke an die vielen Fälle, i n denen etwa nachbarliche Abwehransprüche i m konkreten Fall deswegen ausgeschlossen sind, weil damit öffentliche Interessen beeinträchtigt würden. Überall, wo das der Fall ist, gilt (in der herrschenden, hier bekämpften Terminologie gesprochen) der Satz, daß an die Stelle des „an sich" gegebenen Abwehranspruchs ein Ersatzanspruch t r i t t 1 6 3 . Wenn auch hier die Junctimklausel gelten sollte, wäre die Einschränkung des Rechts des Nachbarn unzulässig (jedenfalls soweit es sich um nach-konstitutionelles Recht handelt). Denn es gibt für diese Fälle kein Gesetz, das „ A r t und Ausmaß der Entschädigung" regelt. Es hat aber noch niemand so argumentiert. Hier w i r d also eine Durchbrechung der Junctimklausel allgemein hingenommen 164 . c) Es läßt sich leicht zeigen, daß sich auch der B G H i n Fällen der von i h m Enteignung genannten Aufopferung (und zwar i n nach-konstitutionell geregelten Fällen dieser Art) nicht an die Junctimklausel gebunden fühlt. Er hat nämlich i n zwei neueren Entscheidungen 166 deutlich anerkannt, daß es bei Beeinträchtigung von Anliegern durch Straßenbauarbeiten nicht nur Entschädigungsansprüche aus „enteignungsgleichem" (d. h. rechtswidrigem) Eingriff geben kann, sondern auch aus „enteignendem" (d.h. rechtmäßigem) Eingriff, nämlich dann, wenn es trotz aller gebotenen zügig schnellen Durchführung der Bauarbeiten zu un162 Es ist also ungenau, w e n n es bei Palandt-Degenhart, § 903 A n m . 3 c cc, heißt, die unterschiedliche Terminologie habe w o h l keine praktische Bedeutung. Genauer müßte m a n sagen: Sie darf keine praktische Bedeutung haben. Das Verkennen dieser historischen E n t w i c k l u n g entwertet auch die von Konow, S. 42 ff., unter Rückgriff auf die Junctim-Klausel an der Rechtsprechung des B G H z u m enteignenden Eingriff (vgl. u. zu c) geäußerte scharfe K r i t i k . 163 Dazu eingehend o., § 8. 164 M a n könnte die Junctimklausel v o r dieser Durchbrechung allenfalls retten, indem m a n argumentierte, der Satz v o m Ausschluß des A b w e h r anspruchs u n d v o n dem an seine Stelle tretenden Ersatzanspruch sei Gewohnheitsrecht u n d damit „Gesetz" i m Sinne von A r t 14 Abs. 3, S. 2 GG. 165 N J W 1965, 1907 („Buschkrugbrücke") u n d W a r n 1964, Nr. 122 („Bärenbaude").

V. Der enteignungsrechtliche Dispens

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zumutbar schweren Beeinträchtigungen der Anlieger kommt. Das bedeutet folgendes: Der Abwehranspruch gegen die Beeinträchtigungen ist den Anliegern aufgrund der §§ 17 Abs. 6 FStrG oder 29 Abs. 4 PBefG durch Gesetz ausdrücklich genommen. Diese Bestimmungen enthalten aber keine Entschädigungsregelung! Also müßten sie, wenn man die Junctimklausel anwenden wollte, entweder nichtig sein oder verfassungskonform dahin verstanden werden, daß sie unzumutbar schwere Eingriffe gar nicht zulassen, d. h. für diese Fälle den Abwehranspruch aufrecht erhalten. I n keinem Fall wären dann enteignende, d. h. rechtmäßige, unzumutbar schwere Eingriffe denkbar. Alle Eingriffe dieser Intensität wären rechtswidrig 1 6 6 ! Wenn der B G H trotzdem ausdrücklich mehrfach rechtmäßige Eingriffe dieser A r t für möglich hält, so fühlt er sich an die Junctimklausel hier nicht gebunden (oder man müßte schon annehmen, er habe sie übersehen). Nach allem erscheint die Junctimklausel jedenfalls bei der Aufopferungsenteignung i m Zusammenhang mit dem Nachbarrecht der öffentlichen Sachen als nicht anwendbar. Dann kann sie auch beim enteignungsrechtlichen Dispens nicht gelten, denn hier handelt es sich gerade u m Fälle der Kollision hoheitlicher Vorhaben m i t privaten Nachbarn. Die restriktive Auffassung dieser Vorschriften ist danach unrichtig. Die Behörden können auch unzumutbar schwer beeinträchtigende enteignungsrechtliche Dispense erteilen (sofern die übrigen enteignungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen). Dabei ergeben sich selbstverständlich wegen der Schwere der Eingriffe für die Nachbarn Entschädigungsansprüche. 3. Beim nachbarrechtlichen Dispens war gezeigt worden 1 6 7 , daß A n spruch auf seine Erteilung besteht. Verfassungsrechtliche Gründe zwangen auf der Grundlage der hier vertretenen privatrechtlichen Auffassung zu dieser Konsequenz. Der enteignungsrechtliche Dispens hat damit nichts zu tun. Er erweitert nicht das Eigentum des Begünstigten, so daß sich daraus nicht ein Anspruch auf den Dispens ergeben kann. Vielmehr muß folgendes gelten: I m Grunde werden die Interessen eines privaten Bauherrn, dem ein enteignungsrechtlicher Dispens versagt wird, gar nicht berührt, jedenfalls w i r d kein Privatinteresse geschützt: Die Vorschriften über die Enteignung und damit auch über den enteignungsrechtlichen Dispens dienen konkreten öffentlichen Interessen. Sie sind gerade nicht 186 I n diesem Sinne auch Konow, S. 42 ff. Die Konsequenz eines A b w e h r anspruchs des Nachbarn wäre jedoch gänzlich untragbar, was Konow entweder übersieht oder rigoros i n K a u f nehmen w i l l . Z u r grundsätzlichen Widerlegung dieser Ansicht aufgrund der historischen E n t w i c k l u n g bereits o., zu a. 167 Vgl. o., S. 229 f.

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

zum Schutz privater Interessen erlassen. Die Begünstigung eines Privaten durch einen enteignungsrechtlichen Dispens ist daher ein zufälliger Reflex der Vorschriften zugunsten konkreter öffentlicher Interessen ebenso wie bei der Enteignung zugunsten Privater. Daher fehlt es für einen privaten Bauherrn, dem ein enteignungsrechtlicher Dispens mit der Begründung, es liege kein öffentliches Interesse vor, verweigert wird, an der Denkbarkeit einer Rechtsbeeinträchtigung, also an der Voraussetzung der Klagebefugnis gem. § 42 Abs. 2 VwGO und am A n spruch auf diesen Dispens 168 . Ein solches Klagerecht und damit praktisch der Anspruch ließe sich nur rein verfahrensrechtlich begründen, und zwar m i t dem vielfach anerkannten Satz, daß jeder, der eine Antragsbefugnis hat, auch eine Klagebefugnis habe 169 . Man kann das zusätzlich damit begründen, daß es sinnvoll sei, hier der privaten Initiative die Funktion beizulegen, darauf zu dringen, daß das öffentliche Interesse richtig gehandhabt werde. Zwingend sind diese Argumente nicht. Der Gesetzgeber hat nicht beabsichtigt, Ansprüche auf Dispens einzuräumen 170 . Beim privatrechtlichen Dispens war dieser Wille, wie dargestellt 171 , irrelevant. Beim enteignungsrechtlichen Dispens zwingt nichts zu dieser Annahme. V I . Nachbarschützende Normen und Rechtsweg 1. Es ist schon oben 172 dargestellt, daß alle bisherigen Versuche, zu begründen, daß die öffentlich-rechtliche Nachbarklage prinzipiell zugelassen werden muß, nicht überzeugen, und daß dabei praktikable Kriterien zur Feststellung eines nachbarschützenden Charakters einer Norm des öffentlichen Baurechts nicht gefunden wurden. Als eine neue Begründung dafür, daß die öffentlich-rechtliche Nachbarklage i m Grundsatz anerkannt werden muß, war vorliegend 1 7 8 vorgeschlagen worden: Sie muß anerkannt werden i m Interesse der Wahrung des freiheitlichen Charakters des i m GG verbürgten Eigentums. Es bleibt danach noch die Aufgabe, nach Kriterien für die Anerkennung nachbarschützenden Charakters von Baurechtsnormen zu suchen. Die vorliegende Untersuchung ist aber auch nicht i n der Lage, dafür ein Patentrezept zu geben. Die verfassungsrechtliche Argumentation ergab zwar, daß die öffentlich-rechtliche Nachbarklage prinzipiell anerkannt werden muß. Aber daraus ergibt sich nur für die den Nachbarn 168

So auch Menger/Erichsen, V e r w A r c h 1967, 178 ff. Eyermann-Fröhler, V w G O , §42 Rn. 92; Ule Verwaltungsprozeßrecht, § 33 I V . 170 Dazu schon o., S. 192. 171 Vgl. o., S. 229 f. 172 § 9 II. 178 § 9 III. 189

VI. Nachbarschützende Normen und Rechtsweg

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am eindringlichsten angehenden Vorschriften zwingend ihr nachbarschützender Charakter. Für andere Fälle mag das durchaus zweifelhaft bleiben. Immerhin zwingt das verfassungsrechtliche Argument wenigstens zu einer tendenziell „großzügigen" Handhabung. Das Gespenst der „Popularklage" 1 7 4 ist dabei ungefährlich. Wenn etwa eine öffentlichrechtliche Nachbarklage stets dann zulässig wäre, wenn der klagende Nachbar behauptet, er werde durch die genehmigte Bauausführung beeinträchtigt, so zeigt ein Blick auf die Situation i m Z i v i l - und i m Zivilprozeßrecht, daß das nicht zur Popularklage und auch nicht zu einer Flut von Prozessen führt. Wenn man sich für die Zulässigkeit der Klage m i t der Behauptung der Beeinträchtigung begnügt, so w i r d damit eben doch aufrechterhalten, daß erfolgreich nur klagen kann, wer auch wirklich (und rechtswidrig) betroffen ist, und praktisch zeigt die Situation i m privaten Nachbarrecht, daß noch lange nicht deswegen geklagt wird, weil eine Klage zulässig ist, sondern daß man sich darauf verlassen kann, daß der präsumtive Kläger zunächst auch einmal über die Begründetheit nachdenkt. Gegenüber der bisherigen Handhabung wäre es danach m. E. richtiger, zumindest darauf abzustellen, ob eine Norm des öffentlichen Baurechts generell geeignet ist, i m Einzelfall ihrer Anwendung Interessen eines Nachbarn zu berühren 1 7 5 . Vielleicht kann man noch weiter gehen und sogar gestatten, daß jedes Abweichen von einer Vorschrift des öffentlichen Baurechts, sofern denkbar ist, daß es zu einer Beeinträchtigung von Nachbarn führen kann, zur Klage gegen die Baugenehmigung berechtigt. Damit würde zwar der Kreis der zulässigen öffentlichen Nachbarklagen erweitert, nur wenig aber der Kreis der Klagen, die dann auch begründet sind. Selbst wenn das aber so wäre, würde das nicht zu bedauern sein, da sich dadurch nur die Zahl der materiell rechtswidrigen Bauten vermindern könnte. Es soll also nicht bestritten werden, daß diese Ansicht i n einigen Fällen zu anderen Ergebnissen kommt; dafür zwei Beipiele: (1) Das OVG Lüneburg 1 7 6 wies eine Klage als unzulässig ab, m i t der sich ein Grundeigentümer gegen eine dem Nachbarn erteilte Genehmi174 H i e r m i t w i r d oft gegen eine großzügigere Handhabung der Zulässigkeitsfrage argumentiert, vgl. etwa Bernhardt, J Z 1963, 307. 175 Sehr weitgehend jetzt auch Redeker, DVB1 1968, 7 ff. (bei „jeder erkennbaren Beeinträchtigung vermögenswerter Rechte"); beachtliche E i n wände gegen Redekers Formulierung bei Hoppe, DVB1 1969, 246 ff. Hoppes Ausführungen sind allerdings i n der Rupp*sehen Lehre v o m subjektiven öffentlichen Recht fundiert, so daß sie die vorliegend vertretene Auffassung, die die Grundlagen der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage privatrechtlich einordnet, nicht ohne weiteres treffen. 176 DÖV 1964, 428 f.

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§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

gung für den Einbau von Heizöltanks wandte. Die Klage war damit begründet, daß die Tanks einen Brunnen des Klägers gefährdeten. Nach der vorliegend vertretenen Ansicht ist die Klage zulässig, da die Gefährdung behauptet wird. Die Klage ist begründet, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Genehmigung nicht vorlagen, etwa wenn zwingende Vorschriften über die Absicherung von Heizöltanks nicht beachtet sind und die Gefährdung des Klägers tatsächlich besteht. (2) Das OVG Münster 1 7 7 wies eine Klage als unzulässig ab, m i t der sich ein Grundeigentümer gegen die Dispensierung von den Vorschriften über Abstandsflächen vor notwendigen Fenstern wandte. Nach der vorliegend vertretenen Ansicht wäre die Klage zulässig. So gewiß diese Urteile vom bisherigen System der öffentlichen Nachbarklage aus gesehen überzeugend begründet sind, so wenig wäre m. E. sachlich zu bedauern, wenn diese Prozesse anders entschieden worden wären, also die Klage zulässig und damit der Weg zur Prüfung ihrer Begründetheit geöffnet wäre. Wären nämlich w i r k l i c h die Vorschriften des öffentlichen Baurechts — sei es mit, sei es ohne Dispens — verletzt und den Klägern dadurch wirklich wesentliche Nachteile entstanden, so wäre nicht einzusehen, warum man bedauern sollte, daß die Baugenehmigungen rückgängig gemacht werden müßten. Auch die andere mögliche Konsequenz der vorliegend vertretenen Ansicht wäre m. E. zu begrüßen: Wären die Genehmigungen unter rechtmäßiger Dispensierung von öffentlichen Baurechtsnormen ergangen, so blieben sie zwar auch auf Klage hin bestehen, die Klage wäre unbegründet. Aber der wesentlich beeinträchtigte Nachbar hätte einen Entschädigungsanspruch. M. E. wäre das weder als ungerecht zu bezeichnen noch als unpraktikabel, vielmehr würde i m Gegenteil der Entschädigungsanspruch auch hier automatisch in Richtung einer ökonomisch sinnvollen Raumnutzung wirken 1 7 8 . M. E. sollte also erwogen werden, ob man nicht einfach gegen jede Baugenehmigung die Nachbarklage zuläßt (wobei der Kläger Beeinträchtigungen nur behaupten muß) 179 . Diese Klagen wären nach wie vor stets abzuweisen, wenn keine über das Maß des Unwesentlichen 177

N J W 1964, 74 (v. 5. 3.1963). Dazu eingehend o., § 5 I V 1 u n d § 9 I V 3 d aa. I n diese Richtung scheint die Entscheidung B V e r w G DöV 1966, 571 (v. 4.2. 66) zu deuten. Dort w i r d verneint, daß eine Klage, die unter Behaupt u n g von Beeinträchtigungen durch die Dispensierung v o n Vorschriften über Freiflächen v o r notwendigen Fenstern erhoben wurde, unzulässig sein könne. Eine solche Klage sei vielmehr (mangels Rechtsverletzung durch den Dispens) unbegründet. Z u derselben Konsequenz f ü h r t die Ansicht Henkes, der (z. B. S. 60, 86 ff.) es genügen läßt, daß ein Nachbar „ i n seinen Angelegenheiten betroffen" ist (kritisch dazu Rupp, DVB1 1969, 221). 178

179

V I . Nachbarschützende Normen und Rechtsweg

241

hinausgehende B e e i n t r ä c h t i g u n g nachgewiesen w ü r d e , n u r w ä r e n sie n i c h t als unzulässig, s o n d e r n als u n b e g r ü n d e t a b z u w e i s e n 1 8 0 . 2. K l a r z u s t e l l e n ist n o c h das Verhältnis zwischen den und den öffentlich-rechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten.

zivilrechtlichen

A u s g a n g s p u n k t m u ß d a b e i sein, daß eine Ü b e r s c h r e i t u n g d e r N o r m e n des öffentlichen B a u r e c h t s z i v i l r e c h t l i c h n i c h t g e r ü g t w e r d e n k a n n , sow e i t sie d u r c h die B a u g e n e h m i g u n g gedeckt ist. A u c h w e n n e i n a n sich e r f o r d e r l i c h e r Dispens n i c h t e i n g e h o l t w o r d e n ist, besteht z i v i l r e c h t l i c h Bestandsschutz, solange die B a u g e n e h m i g u n g besteht. Z i v i l g e r i c h t l i c h k a n n d e r N a c h b a r also n u r — aber auch i m m e r d a n n — v o r g e h e n , w e n n d e r B a u , d e r i h n b e e i n t r ä c h t i g t , die B a u g e n e h m i g u n g verletzt, oder w e n n gar keine Baugenehmigung vorliegt. I m ü b r i g e n m u ß d e r N a c h b a r erst die B a u g e n e h m i g u n g z u v e r n i c h t e n v e r s u c h e n 1 8 1 . B e s e i t i g u n g des B a u w e r k s k a n n d e r N a c h b a r — n a c h V e r n i c h t u n g d e r B a u g e n e h m i g u n g — p r i n z i p i e l l n u r z i v i l r e c h t l i c h durchsetzen. E i n A n s p r u c h a u f E i n s c h r e i t e n d e r B a u b e h ö r d e besteht a l l e n f a l l s s u b s i d i ä r i m R a h m e n d e r G r u n d s ä t z e ü b e r d e n A n s p r u c h a u f polizeiliches E i n g r e i f e n z u g u n s t e n p r i v a t e r B e l a n g e ü b e r h a u p t , i m B a u r e c h t also p r a k t i s c h n i e 1 8 2 . 180 Rein ideelle Beeinträchtigungen wären hier w i e i m privaten Nachbarrecht allenfalls m i t größter Zurückhaltung als Beeinträchtigung i m Rechtssinne anzuerkennen. 181 Sehr deutlich i n diesem Sinne B V e r w G E 22, 129, 132/133 (v. 5.10. 65). Anders anscheinend O V G Lüneburg DVB1 1962, 418 ff. (v. 22. 3. 62). E i n m e r k würdiger F a l l ist i n B V e r w G E 20, 124 ff. (v. 17.12. 64) entschieden: Der B a u herr beantragte eine Baugenehmigung, obwohl zivilrechtlich rechtskräftig festgestellt war, daß er nicht bauen durfte (wegen einer entsprechenden Belastung m i t einer Dienstbarkeit). Das B V e r w G meint, die Baugenehmigung dürfe ohne Prüfung der öffentlich-rechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens abgelehnt werden, w e n n rechtskräftig entschieden sei, daß aus zivilrechtlichen Gründen das Grundstück nicht bebaut werden dürfe. Das w i r d damit begründet, daß der I n h a l t des Eigentums an dem betreffenden Grundstück wegen der Dienstbarkeit keine Befugnis zum Bauen enthalte. — Dies ist aber noch nie G r u n d gewesen, eine Baugenehmigung zu versagen, da sie „unbeschadet der Rechte D r i t t e r " ergeht, w o m i t gerade auch derartige Dienstbarkeiten gemeint sind. Daran ändert sich nichts, w e n n Bestand u n d I n h a l t dieser Dienstbarkeit durch rechtskräftiges U r t e i l festgestellt ist: Die z i v i l rechtliche Situation ist nicht „Streitgegenstand" des Baugenehmigungsverfahrens u n d des daran anschließenden Prozesses. So k a n n es also n u r eine Praktikabilitätserwägung sein, w e n n das B V e r w G das rechtskräftige Z i v i l u r t e i l berücksichtigen w i l l . Gerade diese Erwägung geht jedoch i n die I r r e : Die Beteiligten können zivilrechtlich jederzeit etwas von der Dienstbarkeit Abweichendes vereinbaren, u n d zwar v ö l l i g unabhängig v o n dem Ergebnis des Zivilprozesses zwischen ihnen. Dann ist es sinnlos u n d falsch, auf die derzeitige zivilrechtliche Situation abzustellen. 182 Sehr zurückhaltend i n dieser Richtung auch B V e r w G E 11, 95 ff. (v. 18. 8. 60), wonach k e i n „ v o l l ausgebildeter" Anspruch des Nachbarn auf baupolizeiliches Einschreiten bestehe, vielmehr die Polizei n u r nach Opportunitätsgrundsätzen zum Einschreiten verpflichtet sei. Es k a n n hiernach zwar zu einer „Ermessensreduzierung auf N u l l " kommen, also praktisch zu einem Anspruch auf Einschreiten. Wenn aber die Möglichkeit der — zivilprozeß-

16 schulte

242

§ 9. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage

Vorläufiger Rechtsschutz 183 ist, solange die Baugenehmigung nicht rechtskräftig vernichtet ist, von den Verwaltungsgerichten zu gewähren, und zwar gem. § 123 VwGO. Die hier vertretene privat-nachbarrechtliche Auffassung verbietet es, §80 VwGO anzuwenden und die Baugenehmigung bereits m i t Erhebung der Anfechtungsklage 184 automatisch einstweilen außer Kraft zu setzen. Nach rechtskräftiger Beseitigung der Baugenehmigung kann vorläufiger Rechtsschutz nur durch einstweilige Verfügung des Zivilgerichts gewährt werden. 3. Die öffentlich-rechtliche Nachbarklage ist nicht nur ein i m Baurecht akutes Problem, sie w i r d — allerdings seltener — auch auf anderen Gebieten akut: a) Bei der gewerberechtlichen Anlagegenehmigung. Das ist hier schon ausführlich behandelt und bedarf keiner weiteren Erörterungen 185 . b) Der vom BVerwG 1 8 6 behandelte Fall einer Nachbarklage gegen die Genehmigung einer Sperrstundenüberschreitung eines Gaststättenbetriebes ist unrichtig entschieden: Eine solche Genehmigung ändert die Rechtslage zwischen den Nachbarn nicht. Wenn der L ä r m der Gaststätte das nach §906 BGB zulässige Maß übersteigt, w i r d dieses Ubermaß auch durch die Sperrstundengenehmigung nicht rechtmäßig. Der zivilgerichtliche Rechtsschutz ist folglich das gegebene M i t t e l der Abwehr 1 8 7 . rechtlichen — einstweiligen Verfügung besteht, dürfte das k a u m infrage kommen. Das B V e r w G stellt die Subsidiarität des polizeilichen Nachbarschutzes hier nicht i n Frage; ebenso nicht Bachof, Rechtsprechung Bd. I , T e i l 2 D Nr. 7 i n einer Besprechung dieses Urteils; besonders deutlich f ü r die Subsidiarität eines Anspruchs auf polizeiliches Einschreiten gegenüber z i v i l prozessualen Möglichkeiten Sellmann, DVB1 1963, 281; ausdrücklich gegen eine solche Subsidiarität Gehrmann, Gutachten, S. 58 (ohne Begründung). 183 Z u diesem Problemkreis i m gegenwärtig praktizierten System v e r gleiche etwa Fromm, DVB1 1966, 241 ff. m i t weiteren ausführlichen Nachweisen. 184 Seit B V e r w G E 22, 129 (v. 5.10.1965) dürfte der Streit, ob gegen die B a u genehmigung die Anfechtungsklage oder die Verpflichtungsklage zu erheben ist, endlich ausgestanden sein. 185 M i t Recht macht Gehrmann, Gutachten, S. 32, darauf aufmerksam, daß gegen eine Gewerbegenehmigung u. U. auch baurechtlich vorgegangen w e r den kann, nämlich dann, w e n n ein Gewerbebetrieb i m reinen Wohngebiet zugelassen w i r d . Einen interessanten Sonderfall behandelt B V e r w G DVB1 1968, 35 (v. 24.10. 67), nämlich die Nachbarklage eines Bergwerkseigentümers gegen die Genehmigung der Anlage einer Erdölraffinerie. 186 I n DVB1 1961, 408 (v. 13.1.61); zustimmend Demme, DVB1 1967, 758 ff. 187 Kritisch zu der o. g. Entscheidung des B V e r w G auch Peters, DöV 1965, 747; aus anderen Gründen ablehnend Bettermann, N J W 1961, 1097 f.; zustimmend jedoch Menger, DVB1 1961, 410: Das Rechtsschutzbedürfnis f ü r die Verwaltungsklage sei trotz zivilprozessualer Möglichkeiten gegeben, w e i l es i m Zivilprozeß n u r u m die Folgen des Verwaltungsaktes gehe, i m V e r w a l tungsprozeß jedoch u m die Rechtmäßigkeit; m. E. ist dieses Argument nicht stichhaltig: Der Unterschied i m Streitgegenstand ist i n bezug auf das Rechtsschutzbedürfnis ein rein formaler u n d somit irrelevant, w e i l beim Rechts-

VI. Nachbarschützende Normen und Hechtsweg

243

c) Noch nicht erwähnt wurde vorliegend die nachbarrechtliche Problematik der Fachplanungsgesetze: § 17 Abs. 4 FStrG 1 8 8 schreibt vor, daß i m Planfeststellungsbeschluß dem Bauherrn (dem „Träger der Straßenbaulast") die Errichtung und die Unterhaltung der Anlagen aufzuerlegen ist, die zur Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren und Nachteile notwendig sind. Die gegen den Planfeststellungsbeschluß zulässige Anfechtungsklage ist, wenn es u m derartigen Nachbarschutz geht, ein typischer Fall der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage. Sie muß hier schon deswegen zulässig sein, w e i l nach § 17 Abs. 6 FStrG alle Ansprüche entfallen, wenn der Planfeststellungsbeschluß rechtskräftig ist 1 8 9 . Das Planfeststellungsverfahren ist also wie das Verfahren bei der gewerberechtlichen Anlagegenehmigung und beim baurechtlichen Dispens in dem Umfang, i n dem es sich m i t nachbarlichen Belangen befaßt, eine vorgezogene Prüfung der nachbarrechtlichen Ansprüche, über die vorab entschieden wird, damit es nicht bei einem nachträglichen Streit zu unsinnigen Wertvernichtungen kommt. Zu beachten bleibt allerdings, daß die Einwirkungsrechte, die dem Träger der Straßenbaulast gegenüber dem Nachbarn i m Planfeststellungsbeschluß zuerkannt werden, nicht privatrechtlich sind. Vielmehr handelt es sich, wie oben 190 eingehend erörtert, u m enteignungsrechtliche Einwirkungsbefugnisse. d) Die wasserrechtliche und die bergrechtliche Nachbarklage schließlich werden i n den folgenden Teilen der Untersuchung eine Rolle spielen. schutzbedürfnis nach dem praktischen Erfolg der beiden Möglichkeiten gefragt werden muß. Dieser praktische Erfolg aber ist i n beiden Fällen derselbe. 188 H i e r als Beispiel f ü r alle Fachplanungsgesetze behandelt. Z u r Nachbarklage gegen Flughafenerweiterungen vgl. B V e r w G N J W 1969, 340 ff. (v.

11.10. 68).

189 Eine w o h l n u r mißverständlich weitgehend formulierte Einschränkung der Klagebefugnis der Nachbarn gegen die Planfeststellung v e r t r i t t das B V e r w G i n einem U r t e i l v o m 29.6.67 (DVB1 1967, 917): Die Nachteile, die von den Eigentümern benachbarter Grundstücke hinzunehmen sind, seien n u r mittelbare Auswirkungen der Planfeststellung. Eine Beeinträchtigung sei n u r insoweit anzunehmen, als die Planfeststellung eine Inanspruchnahme von Grundbesitz vorbereite,. Das k a n n nicht richtig sein: Ausweislich § 17 Abs. 4 FStrG dient die Planfeststellung auch der Auseinandersetzung m i t den Interessen der Nachbarn, u n d § 17 Abs. 6 FStrG n i m m t ihnen alle A b w e h r ansprüche. Dann muß eine Klage, i n der u m den Umfang der Beeinträchtigung nachbarlicher Interessen und/oder Rechte gestritten werden soll, zulässig sein. Es scheint fraglich, ob das U r t e i l w i r k l i c h so gemeint ist, w i e sich das aus dem an o. g. Fundstelle veröffentlichten T e i l ergibt. — Ohne weitere Erörterungen für zulässig gehalten w i r d eine öffentlich-rechtliche Nachbarklage gegen eine Planfeststellung dagegen v o m O V G Lüneburg N J W 1967, 2325 (v. 21.10. 66). i»o § 8 #

16*

§ 10. Die Zuordnung der Gewässer und die nachbarrechtlichen Kollisionen im Wasserrecht I . Bisherige Konstruktionen und Auffassungen der Zuordnung der Gewässer Es ist seit j e h e r s c h w i e r i g , die a l l g e m e i n e n V o r s t e l l u n g e n d a r ü b e r , w a s E i g e n t u m , insbesondere G r u n d e i g e n t u m ist, welche Rechte u n d P f l i c h t e n d e r E i g e n t ü m e r h a t , k u r z : d i e V o r s t e l l u n g e n ü b e r das „ W e s e n " des E i g e n t u m s , a u f das E i g e n t u m a n Gewässern z u ü b e r t r a g e n . Viele dieser Schwierigkeiten ergeben sich aus der N a t u r der Sache, etwa bei der Frage, ob es bei fließenden Gewässern Eigentum an der „fließenden Welle" gebe. Die Vorstellung, fließendes Wasser ändere fortlaufend seinen Eigentümer, ist so eigenartig, daß der Streit u m sie f ü r das p r W G nie entschieden worden ist 1 . Spezifisch wasserrechtliche Probleme ergeben sich z. B. ferner, w e n n ein Flußlauf sein Bett verändert, w e n n er austrocknet, w e n n Inseln oder Anschwemmungen entstehen. A l l e diese Probleme sind dem Recht des Grundeigentums fremd u n d müssen zu spezifischen Sonderregelungen u n d Schwierigkeiten führen 2 . Damit ist es nicht getan. Große Schwierigkeiten entstehen aus dem gesteigerten Interesse der Öffentlichkeit an den Gewässern. Viele Flüsse sind Verkehrswege. Folglich muß das Interesse der Allgemeinheit dahin gehen, daß ein Eigentümer k e i n Recht hat, diesen Verkehr zu verbieten oder zu verhindern. Wasserläufe haben darüber hinaus die Aufgabe der Entwässerung; sie dienen ferner vielfach der Brauch- u n d Trinkwassergewinnung. Dies z w i n g t seit j e h e r z u e i n e r besonders e i n g e h e n d e n R e g e l u n g d e r N u t z u n g d e r Gewässer. G e h t m a n d a b e i d a v o n aus, daß Gewässere i g e n t u m nichts anderes ist als G r u n d e i g e n t u m , d a n n m u ß das d a z u f ü h r e n , dieses E i g e n t u m noch w e i t s t ä r k e r e n „ E i n s c h r ä n k u n g e n " z u u n t e r w e r f e n als das G r u n d e i g e n t u m . 1 Eigentum an der fließenden Welle nehmen z.B. an: Holtz-Kreutz-Schlegelberger, § 7 Vorbem. A a ; Gierke, Deutsches Privatrecht I I , S. 29 f.; dagegen: Wulff-Herold, S. 7; Kloeß, Das Deutsche Wasserrecht, 1908, S. 175 ff. Das RG — vgl. RGZ17, 179; 53, 98 — neigte zu der Auffassung, Eigentum an der fließenden Welle sei unmöglich, wendete aber § 905 B G B f ü r den Raum über dem Flußbett, also f ü r den Raum, den das Flußwasser ausfüllt, an u n d k a m damit praktisch zu denselben Ergebnissen w i e die Lehre, die Eigentum an der fließenden Welle annahm. Genauso geht heute der B G H vor, vgl. B G H Z 28, 34, 37 f. 2 Bezeichnenderweise ist besonders i m wasserrechtlichen Schrifttum seit langem anerkannt, daß der I n h a l t des Eigentums auch durch die Beschaffenheit des Eigentumsobjekts bestimmt w i r d , vgl. etwa Gieseke, Festschrift für Lehmann, S. 314; Holtz-Kreutz-Schlegelberger, § 7 Vorbem. A a ; Nieberding, S. 2 5 1

I. Bisherige Konstruktionen

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I n der Tat hat man unter der Geltung des p r W G überwiegend daran festgehalten, das Eigentum an Wasserläufen sei dem Grundeigentum gleichzustellen 8 , wenn auch das Verfügungs- und Benutzungsrecht des Gewässereigentümers besonders starken Beschränkungen unterliege 4 . Aber auch heute findet sich für den Hechtszustand nach dem neuen Wasserrecht weit überwiegend die Meinung, das Gewässereigentum sei „Eigentum i. S. d. BGB" 5 . Hieran w i r d deutlich, daß man für die Qualifizierung des Gewässereigentums als Eigentum i m Sinne des BGB nicht den materiellen Gehalt des Eigentums maßgebend sein läßt; andernfalls hätte man nicht zu dieser Gleichbenennung kommen können. Entscheidend für die Einordnung muß vielmehr der Begriff des Eigentums gewesen sein. Das aber ist ein Begriff allein i m Sinne einer rein formalen Umschreibung. Es ist der Begriff des zunächst als unbeschränkt gedachten Eigentums, das aber Einschränkungen unterliegt 6 . Derartige Formulierungen sind „Leerformeln", d. h., sie schließen keine denkbare konkrete Ausgestaltung des Eigentums aus. Sie bieten nur ein Denkschema. Bei einer solchen Betrachtungsweise ist es i n der Tat ohne weiteres möglich und sogar folgerichtig, auch das Gewässereigentum als Eigent u m i m Sinne des § 903 BGB anzusehen. Dagegen ist nicht viel einzuwenden, wenn man sich gleichzeitig darüber klar ist, was diese Gleichstellung aussagt, nämlich gar nichts. Sie sagt allein, daß auch hier i n den Kategorien von Grundsatz und Ausnahme gedacht wird. Welches materielle Gewicht aber Grundsatz und Ausnahme haben, bleibt offen. Der Streit u m die Frage, ob Gewässereigentum „Eigentum" sei, beruht also auf einem Mißverständnis. Alle waren und sind sich darüber klar, daß der Gewässereigentümer materiell eine weit schwächere Position hat und immer hatte als der Grundeigentümer. Die einen nehmen dies, den konkreten Inhalt des Gewässereigentums, zum Anlaß, zu behaupten, das Gewässereigentum sei kein Eigentum i m Sinne des bürgerlichen Rechts7. Die anderen nehmen die äußere Denkform zum Anlaß, das Gegenteil zu behaupten. Also ist dieser ganze Streit nichts als eine Uneinigkeit über die Terminologie, ein Streit u m Worte. Bedeutsam ist, daß die Anwendung des formalen Eigentumsbegriffs des BGB auf das Wasserrecht i m prWG zu keinerlei Schwierigkeiten führte. Rein formal spielt es keine Rolle, wenn die Ausnahmen den s Die schärfste Stellungnahme gegen diese Annahme findet sich bei Hofacker , V e r w A r c h 30, 161 ff. 4 Vgl. etwa Holtz-Kreutz-Schlegelberger , § 7 A n m . Aa. 5 Vgl. Burghartz, § 3 n w W G , A n m . 1, S. 220; Sieder-Zeitler, §24 Rn. 1,5; Feldt, § 5 Rn. 1. 6 Dazu bereits o., § 3. 7 So insbes. schon Hofacker, a.a.O.

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§ 10. Zuordnung der Gewässer und nachbarrechtliche Kollisionen

Grundsatz nach Anzahl und materieller Bedeutung i n den Schatten stellen. Formallogisch ist das möglich 8 . Hervorragende Kenner des Wasserrechts haben diesen Unterschied zwischen dem Inhalt des Gewässereigentums und dem des Grundeigentums als Gegensatz zur Einheitlichkeit des Eigentumsbegriffs stets gesehen. Gieseke 9 hat darüber hinaus erklärt, i n Anbetracht der verschiedenen Beschaffenheit und sozialen Funktion der beherrschten Sache könne der Eigentumsinhalt nicht nur unterschiedlich sein, sondern müsse das sogar. Das steht zur Begriffsbildung des BGB nicht i n Widerspruch. „Von diesem Standpunkt aus kann man ein Eigentum an Wasserläufen bejahen". A n einer derart klaren Auffassung ist nichts auszusetzen; hier haben der Eigentumsbegriff und die Subsumtion des Gewässereigentums unter diesen Eigentumsbegriff keine normative Kraft. I m einzelnen läßt sich sich leicht zeigen, wie dieses System durchgeführt werden kann: I n § 40 prWG war die Rede von dem Recht des Eigentümers, den Wasserlauf zu nutzen. § 40 Abs. 1 prWG verwies auf zwei Gruppen von Vorschriften, die dieses Recht beschränkten: Die §§ 19—23 prWG bestimmten, welche Handlungen jedem, also auch dem Eigentümer, bezüglich eines Wasserlaufs verboten waren (Einbringung bestimmter Stoffe, Genehmigungsvorbehalte bezüglich Veränderung des Wasserlaufs und bestimmter Einleitungen). Die §§ 41—45 prWG legten den Benutzern weitere Unterlassungspflichten auf, z. B. das Verbot der Veränderung der Vorflut und des Wasserstandes und das Verbot des Rückstaus. Zu diesen beiden Gruppen von „Beschränkungen" des ursprünglich umfassend gedachten Eigentums lassen sich leicht die entsprechenden Parallelen beim Grundeigentum zeigen: Den §§19—23prWG entsprechen die polizeilichen Beschränkungen des Grundeigentums etwa i n der Hinsicht, daß verboten ist, an beliebigen Stellen M ü l l abzulagern sowie das Verbot, ohne Genehmigung Bauten zu errichten. Es handelt sich i n allen Fällen darum, durch hoheitliche Aufsicht die Gemeinverträglichkeit der Nutzung des Eigentums sicherzustellen. Die Parallele zu den „Beschränkungen" der §§ 41—45 prWG dagegen findet sich beim Grundeigentum i m Nachbarrecht, etwa beim Verbot von Vertiefungen (§ 909 BGB) und übermäßigen Immissionen (§ 906 BGB). Auch eine dritte Gruppe von „Beschränkungen" i m prWG findet eine Parallele i m Recht des Grundeigentums: Wenn der Gewässereigentümer 8 Ganz i n diesem Sinne stellt Salzwedel, RdWWi, Heft 12, S. 53 fest: „Das Gewässereigentum w a r der logische Ausgangspunkt des ganzen Systems von subjektiven Berechtigungen." 9 Festschrift f ü r Lehmann, S. 308 (314/315).

I. Bisherige Konstruktionen

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durch eine Verleihung beeinträchtigt wurde, so konnte er nicht widersprechen, sondern nur Schadenersatz verlangen, §§50, 51 prWG. A u f die Paralle zu §§ 16, 26 GewO ist oft hingewiesen worden 10 . Nichts zwingt also dazu, beim Gewässereigentum das Denken i n den Kategorien von grundsätzlicher Eigentumsfreiheit und ausnahmsweisen Beschränkungen aufzugeben. Dem Gewässereigentümer w i r d die volle Breite des Eigentümerbeliebens erst dann entzogen, wenn andere Rechte am Gewässer begründet werden. Vorher ist er nicht beschränkt. So kann man sich das i m Denkmodell jedenfalls vorstellen, wenn auch andere Denkweisen möglich sind, nämlich die, daß das Gewässereigentum von vornherein nur unter dem Vorbehalt besteht, daß es später nachträglich eingeschränkt werden kann. Allerdings bestanden nach prWG dann immer die Entschädigungspflichten gemäß § 51. Diese kann man sich am besten als Ausfluß des Gewässereigentums vorstellen; sie sind Ausgleich für nachträgliche Einschränkung der ursprünglich umfassenderen Befugnis; das p r W G sah Nachteile für den Gewässereigentümer infolge neuer Verleihungen auch materiell als „Eingriff" an. Hier setzen nun die Neuerungen des W H G und der Landeswassergesetze ein: Der „Gewässereigentümer" bekommt keine Entschädigung mehr, wenn Erlaubnis und Bewilligung an andere erteilt werden. Darüber hinaus bedarf der „Eigentümer" selbst der Erlaubnis oder Bewilligung, wenn er sein Gewässer über die engen Grenzen des i h m i n § 24 W H G vorbehaltenen Eigentümergebrauchs hinaus nutzen w i l l . Der Unterschied zum Gewässereigentum nach prWG liegt also i m folgenden: Der „Gewässereigentümer" nach neuem Wasserrecht kann „sein" Gewässer auch dann nicht umfassend nutzen, wenn keine Bewilligungen und Erlaubnisse an andere erteilt sind. Das heißt: Diese Nutzungen sind von Anfang an materiell nicht Inhalt seines „Eigentums". Konsequenterweise hat er dann auch keinen Entschädigungsanspruch, wenn später solche Erlaubnisse oder Bewilligungen erteilt werden 11 . Erstaunlicherweise läßt sich allerdings auch bei diesem Rechtszustand das Denkmodell vom „an sich" unbeschränkten Eigentum und den formal als Ausnahme angesehenen Beschränkungen immer noch anwenden. Ob es dem Gesetz zugrunde liegt, ist dabei bedeutungslos, da es sich nicht u m eine materiell-normative Betrachtungsweise handelt, sondern u m eine formal-systematische. Man braucht also i m Grunde 10 Vgl. etwa Holtz-Kreutz-Schlegelberger, § 50 Vorbem.; Salzwedel , RdWWi, Heft 12, S. 63. 11 N u r nach A r t . 4 Abs. 2 b a y W G besteht noch ein solcher Entschädigungsanspruch. Das überschreitet w o h l den v o m W H G gesetzten Rahmen.

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§ 10. Zuordnung der Gewässer und nachbarrechtliche Kollisionen

nur festzusetzen, daß auch das Gewässereigentum nach W H G „an sich" unbeschränkt sei. Jedoch kommt man i n Schwierigkeiten m i t der Enteignungsproblematik, wenn man, wie es geschieht, dieses formale Denkschema m i t materiellem Gehalt verwechselt. Die Ausnahmen, die „Beschränkungen" würden so weit gehen, daß vom Eigentum nichts übrig bleibt. Man kann allerdings sagen, auch der Eigentümer könne ja eine Erlaubnis oder Bewilligung erwerben; die Ausnutzung seines Eigentums stehe nur unter dem Vorbehalt eines Hoheitsaktes. Und die entschädigungslos hinzunehmenden Erlaubnisse und Bewilligungen an andere könnte man m i t einer besonders weitgehend durchgeführten „Sozialbindung" des Gewässereigentums erklären. Gerade dieses Operieren m i t dem Begriff der Sozialbindung 12 zeigt übrigens, daß man auch das Gewässereigentum nach heutigem Recht tatsächlich noch als grundsätzlich umfassend ansieht. Wenn es das nicht wäre, brauchte es nicht sozial gebunden zu werden. Sievers 18 dagegen hat immer wieder versucht, Gewässereigentum zwar nicht grundsätzlich zu leugnen, aber zu erklären, es sei für die Regelungen des W H G bedeutungslos, es werde von der „öffentlichen Nutzungsordnung" des WHG, an die die L W G gebunden seien, völlig überlagert und verdrängt. Es gebe kein privates Wasser-Nachbarrecht mehr; wo die L W G solches statuierten, widerspreche das dem WHG 1 4 . Vor allem leugnet Sievers den privatrechtlichen Charakter der aufgrund von Erlaubnissen und Bewilligungen erlangten Positionen 15 ; das W H G (und das GG) beruhten auf einer „von Grund auf durchgeführten Trennung von Nutzung und Eigentum" 1 6 ; Sievers verneint sogar, daß Erlaubnis und Bewilligung Positionen schaffen, die nach A r t . 14 Abs. 3 GG geschützt sind 17 . Befriedigen kann auch diese allen bisherigen Anschauungen radikal entgegengesetzte und schwer zugängliche Auffassung nicht. Hier w i r d praktisch unterstellt, es gebe keine privaten Berechtigungen am Wasser, die irgendwie Bedeutung hätten, sondern nur ein öffentlich-rechtliches System, das allein die Ordnung des Wasserhaushalts garantiere.

11 Bes. i n den Veröffentlichungen v o n Gieseke, vgl. z. B. Festschrift f ü r Lehmann, S. 308ff.; Gieseke-Wiedemann, Einleitung V I I I ; R d W W i H e f t 12, S. 15. 13 Wasserrecht, Einl. 14 Einl. I I I , S. 12. 15 So ausdrücklich: Einl. I I , S. 7. 18 a.a.O., Einl. I , S. 5. 17 a.a.O., S. 8/9.

II. Vorschlag einer neuen Auffassung

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I I . Vorschlag einer neuen Auffassung 1. Die Vorstellung Giesekes (und anderer) von der „Sozialbindung" kommt trotz ihrer formalen Richtigkeit i n Schwierigkeiten: Das Wort Sozialbindung macht, wie gesagt, deutlich, daß auch diese Vorstellung noch von einem „an sich" umfassenden Eigentum ausgeht. Denn wenn die als Sozialbindung qualifizierte Erscheinung das Eigentum „bindet", dann ist gerade doch etwas, nämlich ein „an sich" umfassenderer Inhalt, vorhanden, der gebunden wurde. Beachtet man aber, wie weit diese Bindungen gerade i m Wasserrecht gehen, so muß man zweifeln, ob sie sich noch i m Rahmen dessen halten, was man heute unter Sozialbindung — dem Gegenbegriff zu Enteignung! — für zulässig hält. Wenn man das Gewässereigentum als ein „an sich" umfassendes Recht ansieht und beachtet, wie anderenorts die Grenzen zwischen Enteignung und Sozialbindung gezogen werden, dann könnte man hier i m Wasserrecht bei der „Bindung" durch Erlaubnisse und Bewilligungen doch wohl nur von Enteignung sprechen. Wollte man diese wasserrechtlichen Besonderheiten erklären, ohne sie als Enteignungen qualifizieren zu müssen, wäre es vielleicht schon richtiger, von einer „Inhaltsbestimmung" zu sprechen. Das Gewässereigentum erschiene dann als ein Recht, das „von Anfang an beschränkt" wäre; die Erteilung von Erlaubnissen und Genehmigungen tangierten das Eigentum gar nicht mehr. Von einer „Bindung" dieses Eigentums zu sprechen, würde überflüssig sein, weil es keinen Inhalt hätte, der zu binden wäre. Sobald man hier von einer Inhaltsbestimmung spricht, taucht aber eine andere Schwierigkeit auf: Wenn man den Inhalt des Eigentums am Gewässer auf das M i n i m u m der nach neuem Wasserrecht bestehenden Befugnisse begrenzt, so kommt es dahin, daß am Gewässer nach Erteilung von Erlaubnissen und Bewilligungen mehrere voneinander unabhängige gleichrangige Rechte bestehen, nämlich das Gewässereigentum und die Rechte aus den verliehenen Positionen. Das hieße aber: Das Gewässer wäre mehreren Rechtssubjekten gleichzeitig zugeordnet, und zwar i n der Weise, daß mehrere Rechte „an eigener Sache" beständen. Daß es etwas derartiges gibt, erscheint nach heutigen Vorstellungen unmöglich. Und doch scheint gerade dies eine dem heutigen Wasserrecht adäquate Vorstellung zu sein. Das ist i m folgenden weiter darzulegen. 2. Jede Gemeinschaft, jede Rechtsordnung, muß die Güter — soweit sie nicht i m Überfluß vorhanden sind — zuordnen. Das heißt, es muß für alle Güter Rechtssubjekte geben, die für sie zuständig sind. Es kann i n einer Rechtsordnung nicht zugelassen werden, daß unbestimmt ist, wer von den Gütern Gebrauch machen darf, wer sie nutzen und ver-

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§ 10. Zuordnung der Gewässer und nachbarrechtliche Kollisionen

zehren darf. Es muß vielmehr bestimmt werden, wer die Vielfalt der denkbaren Verhaltensweisen in bezug auf die Güter ausüben darf. Alles andere wäre Anarchie und nicht Rechtsordnung 18 . Diese Notwendigkeit einer Zuordnung sagt aber nichts über A r t und Inhalt der zugeordneten Positionen aus 19 . Eine solche Frage kann nur das jeweils geltende Gesetz beantworten, in mancher Hinsicht auch die Verfassung. So bestimmt das GG, daß es Privateigentum geben soll. Die Güter müssen also an Private zugeordnet werden. Diese Zuordnung, die Privatnützigkeit, muß gegenüber dem Staat und gegenüber anderen Privaten geschützt werden. I n einem anderen Punkt besteht weder eine Bindung von der grundsätzlichen Notwendigkeit der Zuordnung noch von der Verfassung her, nämlich bei der Frage, ob die Zuständigkeit für ein Objekt i n der Weise zwischen mehreren Subjekten geteilt werden kann, daß jedes dieser Subjekte am selben Objekt ein Recht an „eigener Sache" hat. Eine solche Vorstellung ist nur heute sehr fremd. Jede Sache kann nur einen Eigentümer haben, meint man. Das meint man i n dem Sinne, daß es nur ein Eigentums recht an ein und derselben Sache geben könne (wenn auch sein Inhaber eine Personenmehrheit, etwa eine Gesellschaft sein kann). Alle Befugnisse Dritter müssen sich dann entweder von diesem einen Eigentumsrecht ableiten, sind Rechte an fremder Sache, oder diese Rechte beruhen auf einem „Eingriff" i n das umfassende Eigentumsrecht oder auf dessen „Sozialbindung". Es ist aber evident, daß man die Erscheinungen des staatlichen Eingriffs und der Sozialbindung systematisch auch anders erfassen kann, indem man nämlich Eigentum und Abspaltungen von Anfang an als gleichberechtigt nebeneinander stehend auffaßt, als eine Aufspaltung der Zuordnung an verschiedene Subjekte. Es gibt heute — und hat es früher gegeben — mancherlei Arten von Aufspaltungen der Befugnisse bezüglich einer Sache auf mehrere Personen. Aus Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung ist die Aufspaltung der denkbaren Befugnisse i n Obereigentum und Untereigentum bekannt. Sobald das Untereigentum vom Obereigentum unabhängig w i r d — indem es unentziehbar und vererblich w i r d — hat man es m i t einer Aufspaltung zu tun, bei der eine Sache zweifach zugeordnet ist. Es bestehen originär mehrere selbständige Rechte an einem Zuordnungsobjekt 20 . Ein weiteres Beispiel 18 Das ist unstreitig, vgl. etwa Leonard Nelson, System der philosophischen Rechtslehre u n d Politik, §§22, 122; Radbruch, Rechtsphilosophie, §18. 19 Die soeben zitierten A u t o r e n erkennen vielmehr an, daß die Notwendigkeit einer Zuordnung nichts darüber aussagt, w e r Subjekt dieser Zuordnung ist u n d welchen I n h a l t die zugeordneten Positionen haben. Das sei vielmehr jeweils Sache des positiven Rechts. 20 Das ist etwas wesentlich anderes als etwa die Belastung des Eigentums m i t beschränkten dinglichen Rechten. H i e r k a n n das Eigentum jederzeit — bei Wegfall der dinglichen Rechte — wieder umfassend werden. B e i der A u f -

I I . Vorschlag einer neuen Auffassung

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f ü r d i e M ö g l i c h k e i t e n v o n Z u o r d n u n g e n , d i e d e m g e g e n w ä r t i g e n Rechtss y s t e m f r e m d a r t i g a n m u t e n , i s t gegeben, w e n n d i e Z u o r d n u n g n i c h t sachlich, s o n d e r n z e i t l i c h a u f g e s p a l t e n ist. Aus Zypern w i r d v o n einer eigenartigen Aufspaltung der Nutzungsrechte an Quellen berichtet 2 1 : Dort hat jede Quelle mehrere „Eigentümer" i n der Weise, daß die Befugnis zur Entnahme v o n Wasser auf mehrere G r u n d eigentümer nach Tageszeiten aufgeteilt ist. Das ist k e i n gemeinschaftliches Eigentum m i t einer Nutzungsordnung, das sind vielmehr verschiedene originäre gleichberechtigt nebeneinanderstehende Befugnisse am selben Objekt. Diese Auffassung mag fremdartig erscheinen, es k a n n aber k a u m bestritten werden, daß sie möglich ist, daß sie rechtstechnisch v e r w i r k l i c h t werden kann. Eine weitere A r t der Aufspaltung der denkbaren Befugnisse an einem Zuordnungsobjekt ist die Aufspaltung durch Aufstellung besonderer Sachbegriffe: Wenn n u r § 905 B G B gelten würde, wäre der Grundeigentümer auch Eigentümer der unter der Oberfläche liegenden Bodenschätze. Die Berggesetze haben aber fast alle wirtschaftlich interessanten Bodenschätze aus dem Grundeigentum „herausgenommen" u n d sie zum Gegenstand eines besonders zu verleihenden Bergwerkseigentums gemacht. H i e r handelt es sich also u m eine dritte Möglichkeit der rechtstechnischen K o n s t r u k t i o n des Eigentums. Die gesetzliche F i x i e r u n g des Zuordnungsobjektes zeigt besonders deutlich, daß solche Konstruktionen weitreichende Folgen haben: Wären die Bodenschätze Gegenstand des Oberflächeneigentums, so w ü r d e jede V e r leihung der Bodenschätze unzulässig sein oder eine Enteignung bedeuten 2 2 . Schließlich ist hinzuweisen auf die Eigenarten des Wohnungseigentums: Auch hier w i r d die natürliche Sacheinheit des Hauses mehreren Eigentümern zugeordnet 2 3 . D i e s alles z e i g t : D i e S u m m e d e r b e z ü g l i c h eines O b j e k t e s d e n k b a r e n Befugnisse b r a u c h t rechtstechnisch n i c h t i n der Weise z u g e o r d n e t z u w e r d e n , daß zunächst e i n p r i n z i p i e l l B e r e c h t i g t e r eingesetzt w i r d u n d d a n n a n seinem Recht E i n s c h r ä n k u n g e n , A b s p a l t u n g e n , S o z i a l b i n d u n g e n o d e r E i n g r i f f e v o r g e n o m m e n w e r d e n . Es ist v i e l m e h r rechtstechnisch ebenso m ö g l i c h , v o n A n f a n g a n d i e Befugnisse a n verschiedene S u b j e k t e , die g l e i c h b e r e c h t i g t n e b e n e i n a n d e r stehen u n d i h r e Rechte n i c h t voneinander ableiten, aufzuteilen. Das b e d a r f a l l e r d i n g s e i n e r E i n s c h r ä n k u n g : D i e m ö g l i c h e n u n d d e n k baren Verhaltensweisen i n bezug auf ein der Z u o r d n u n g bedürftiges O b j e k t s i n d u n a u f z ä h l b a r v i e l f ä l t i g . A n dieser Tatsache w ü r d e d e r V e r such scheitern, d i e Befugnisse restlos a u f z u t e i l e n . B e i j e d e r A u f z ä h l u n g teilung i n Ober- u n d Untereigentum i m beschriebenen Sinne ist das nicht möglich. 21 V o n Laurence D u r e l l i n der Reisebeschreibung „Bittere Limonen". 22 M a n könnte freilich auch konstruieren: Bodenschätze gehören zum Grundeigentum; das Grundeigentum ist jedoch der Sozialbindung u n t e r w o r fen, jederzeit ihre Verleihung u n d ihre Ausbeutung durch andere hinnehmen zu müssen. 23 Dazu schon o., S. 26 ff.

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würde stets ein unberücksichtigter, unbenennbarer Rest bleiben. Eine totale Aufteilung ist also nur möglich, indem man diesen Rest pauschal zuordnet, indem man jemanden bestimmt, der „ i m Zweifel" zuständig ist, dem alle nicht ausdrücklich anderen zugeteilten oder der Gemeinschaft vorbehaltenen Befugnisse zugeordnet sind 24 . Denkbar wäre allerdings auch, den „unbenennbaren Rest" überhaupt nicht zuzuordnen. Das würde bedeuten, daß nur ausdrücklich zugeordnete Verhaltensweisen erlaubt wären. Praktisch wäre das jedoch wohl kaum. Daher w i r d jede Rechtsordnung, die die private Zuordnung, also Privateigentum, kennt, i n der Weise zuordnen, daß ein privates Rechtssubjekt bestimmt wird, dem der „unbenannte Rest" zugeordnet wird. Man könnte einwenden, daß die hier aufgezeigte Möglichkeit von den heutigen Vorstellungen über die Konstruktion der Zuordnung abweiche und sogar den Vorstellungen der Verfassung widerspreche. Das GG kenne nur ein Eigentum als umfassendes Recht, als grundsätzlich unbeschränktes Recht. Das GG kenne zwar die Sozialbindung, nicht aber die Aufspaltung der Befugnisse an mehrere Eigentümer. Daran wäre gewiß richtig, daß das GG von einer solchen Vorstellung der einheitlichen Zuordnung ausgeht. Es fragt sich nur, ob damit auch diese Vorstellung zur Norm erhoben ist, ob Schutzzweck von A r t . 14 GG ist, diese Konstruktion zu schützen. Das muß entschieden verneint werden. Das GG sagt, daß es Eigentum geben soll und daß das einzelne Eigentumsrecht geschützt werden soll. Das GG sagt nichts über die Konstruktion dieser Zuordnung i m Einzelnen, es legt niemanden darauf fest, wie die Zuordnung rechtstechnisch zu bewältigen ist. Das ergibt sich übrigens auch schon daraus, daß Eigentum i m Sinne von A r t . 14 GG nicht nur das ist, was man vom BGB her als Eigentum bezeichnet, sondern jedes Vermögenswerte subjektive Recht 25 . I m übrigen 24 Auch Radbruch , Rechtsphilosophie, S. 234, meint, aus der Unmöglichkeit, alle Verhaltensweisen aufzuzählen, folge notwendig das Bedürfnis nach einem subjektiven Recht, das einem Berechtigten die Sache ohne Beschränk u n g auf bestimmte Verhaltensweisen unterwerfe, i h m ein Recht zum „letzten W o r t " über die Sache gebe. Daraus zieht Radbruch aber w e i t e r den Schluß, inhaltlich begrenzte Rechte könnten nicht als Rechte an eigener, sondern n u r als Rechte an fremder Sache i n Betracht kommen. Insofern sei Eigentum eine i n jeder Rechtsordnung notwendige Denkform — über den I n h a l t des Eigentums w i l l auch Radbruch damit nichts sagen —, eine „apriorische Kategorie". Aus den obigen Beispielen aber ergibt sich m. E., daß die Folgerung Radbruchs nicht richtig ist. Richtig ist nur, daß der unbenennbare Rest pauschal einem Subjekt zugeordnet werden muß; i m übrigen können vorher eine ganze Reihe nebeneinanderstehender Rechte an „eigener" Sache begründet sein. 25 M i t gewissen Einschränkungen hinsichtlich öffentlich-rechtlicher Positionen aus staatlichen Fürsorgeleistungen, vgl. etwa BVerfGE 1, 264; 11, 64, 221; 12, 264, 273; 14, 288, 293; 16, 94, 111.

II. Vorschlag einer neuen Auffassung

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hat die Verfassung nicht bestimmte Konstruktionen vorzuschreiben oder zu verbieten, sondern materielle, inhaltlich bestimmte Normierungen zu geben. Solange die rechtstechnische Konstruktion nicht ausnahmsweise m i t diesen Normierungen kollidiert — etwa w e i l eine bestimmte Konstruktion die von der Verfassung intendierte inhaltliche Zielsetzung nicht verwirklichen kann —, ist sie verfassungsrechtlich irrelevant. 3. Bevor auf die speziellen Fragen des Eigentums an Gewässern eingegangen werden kann, muß noch ein anderer Punkt allgemeiner A r t erörtert werden: Es ist dem Gesetzgeber unbenommen, Hechtsgüter zunächst gar nicht zuzuordnen und die Zuordnung einem von Fall zu Fall vorzunehmenden A k t vorzubehalten. Auch diese Vorstellung mutet zunächst etwas eigenartig an; das liegt daran, daß man vom Grundeigentum und von den meisten anderen Eigentumsarten her daran gewöhnt ist, daß alle vorhandenen Güter tatsächlich zugeordnet sind. Alle Grundstücke stehen i n irgendjemandes Eigentum. A l l e beweglichen Sachen haben einen Eigentümer. Vor allem bedarf hier die erste Entstehung eines Eigentumsrechtes keiner staatlichen Mithilfe, beim Grundeigentum schon deshalb nicht, weil praktisch aller Grund und Boden an Eigentümer vergeben und nicht vermehrbar ist. Bei beweglichen Sachen vollzieht sich der erste Eigentumserwerb automatisch, durch Verbindung, Verarbeitung, Schatzfund, Aneignung, jedenfalls auch ohne staatliche Mithilfe. Dieses System der „originär privaten Zuordnung" hat die Vorstellungen so sehr geprägt, daß man unwillkürlich geneigt ist, es als das allein mögliche anzusehen. Selten zeigt sich deutlicher als hier, daß solche unwillkürlichen Vorstellungen falsch sein können: Es gibt i n weitem Umfang auch „originär öffentliche Zuordnungenalso Fälle, i n denen Eigentum erst durch staatlichen Verleihungsakt entsteht. Meist handelt es sich dabei allerdings nur u m Rechtspositionen aus Konzessionen und ähnlichem, jedenfalls nur u m Eigentum i n dem weiten Sinne von Art. 14 GG. Ein Eigentum, das dem Grundeigentum jedenfalls sehr nahesteht, jedoch nicht originär privat, sondern originär öffentlich zugeordnet wird, ist das BergwerkseigentumIm Normalfall sind die Bodenschätze nicht Gegenstand des Grundeigentums. Sie sind aber auch sonst niemandem originär privat zugeordnet. Die Zuordnung erfolgt vielmehr erst durch die Verleihung des Bergwerkseigentums. Nach heutiger gesetzlicher Konstruktion w i r d der Bergwerkseigentümer m i t der Verleihung seines Bergwerkseigentums allerdings nicht automatisch Eigentümer der Bodenschätze; das w i r d er erst beim Abbau. Er hat zu24 Z u den wesentlichen Gemeinsamkeiten von Grundeigentum u n d Bergwerkseigentum v o r allem Westermann, Z f B 106, 122, 129 ff.

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nächst also nur ein Aneignungsrecht. Es ist aber leicht einzusehen, daß das Gesetz auch ohne weiteres bestimmen könnte, der Bergwerkseigentümer sei von Anfang an Eigentümer der Bodenschätze. Ein praktischer Unterschied bestände nicht. Schließlich ist ja auch der Grundeigentümer gemäß § 905, S. 1 BGB Eigentümer derjenigen Mineralien, die dem Bergrecht nicht vorbehalten sind, auch wenn sie dem Grundeigentümer nicht ohne weiteres zugänglich sind. Ebenso deutlich liegt eine derartige originär öffentliche Zuordnung i m heutigen System der wasserrechtlichen Bewilligung vor: Das bewilligte Recht entsteht durch einen hoheitlichen Kreationsakt. Es kann also festgestellt werden: Die Zuordnung der Güter ist nicht an bestimmte rechtstechnische Konstruktionen gebunden, weder logisch, noch von der Natur der Sache her, noch verfassungsrechtlich. Der Gesetzgeber ist i n der Wahl der Konstruktion frei. Wie das Gesetz ein Gut nicht nur einem Eigentümer zuzuordnen braucht, so braucht es auch nicht originär privat zuzuordnen, sondern kann die Zuordnung einem behördlichen A k t vorbehalten. Diese A r t der originär öffentlichen Zuordnung nun bringt besondere Probleme enteignungsrechtlicher A r t m i t sich. Es liegt nämlich nahe, eine spätere hoheitliche Entziehung derart zugeordneter Positionen dam i t zu rechtfertigen, daß die Position überhaupt nur unter dem Vorbehalt späterer Entziehung zugeordnet worden sei, daß ein Schutz gegen hoheitliche Entziehungen nicht zu ihrem Inhalt gehöre. M i t derartigen Argumentationen wäre jedenfalls ein Weg geebnet, den oft unbequemen Voraussetzungen eines enteignungsrechtlichen Eingriffs auszuweichen. So werden denn i n der Tat i m Wasserrecht wie i m Bergrecht einige Probleme m i t Hilfe dieser Argumentation zu lösen versucht 27 . Schon hier ist dagegen jedoch folgendes einzuwenden: Die Argumentation m i t der i n dieser Weise „von Anfang an beschränkten" Zuordnung erfüllt offenbar dieselbe Funktion wie sonst das Argument von der allgemeinen Sozialpflichtigkeit, die sich i m konkreten Fall zur Pflicht verdichten kann und dann das Vorliegen einer Enteignung vorweg ausschließt. Hier wie dort ist dieses Argument fadenscheinig: Es führt konsequenterweise dahin, daß letzten Endes überhaupt kein Eingriff i n Eigentum mehr als Enteignung angesehen zu werden braucht, denn schließlich beruht ja jeder derartige Eingriff auf einem allgemeinen, für jedes Eigentum geltenden Gesetz, das jedes Eigentum vorweg der Sozialpflichtigkeit, später weggenommen zu werden, unterwirft 2 8 . 27 Nämlich bei der Rechtsnatur der wasserrechtlichen Ausgleichung, dazu u., § 10 V 1; hier einschlägig auch das Problem der Kollision zwischen Bergbau u n d öffentlichen Verkehrsanstalten, das i n der Untersuchung allerdings nicht behandelt w i r d . 28 Dazu auch schon o., S. 138 f.

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Wie sich, wohl u m dieser Konsequenz zu entgehen, der B G H bei seiner Enteignungstheorie die zusätzliche Einschränkung auferlegt hat, daß die Enteignung i n keinem Fall i n den „Wesensgehalt" des Eigentums eingreifen darf 2 9 , so muß auch die funktional gleichwertige Argumentation aus der von Anfang an beschränkten (originär öffentlichen) Zuordnung eingeschränkt werden. Andernfalls könnte es dahin kommen, daß nachträglich i n diesen Zuordnungsakt Einschränkungen hinein interpretiert werden, die jede beliebige Entziehung rechtfertigen, ihr zumindest den Enteignungscharakter nehmen. Grundsätzlich muß also gelten, daß die originär öffentlich zugeordneten Positionen hinsichtlich des Schutzes durch die Eigentumsgarantie nicht schlechter stehen dürfen, als die originär privat zugeordneten Positionen. Die rechtstechnisch andere A r t der Zuordnung darf nicht zu einer Manipulation des Inhalts der Position führen, insbesondere nicht dazu, eine besondere „Schwäche gegenüber der öffentlichen Hand" anzunehmen. Darauf w i r d zurückzukommen sein 30 . 4. Zu prüfen ist, welche Möglichkeiten sich für diese Theorie der aufgespalteten Zuordnung bei der Gewässerzuordnung nach dem W H G und nach den Landeswassergesetzen ergibt. Es w i r d vielfach behauptet 31 , das W H G habe sich m i t dem Eigentum an Gewässern nicht befaßt. Es habe das Eigentum so bestehen lassen, wie es bisher bestand. Das W H G schließe ein Eigentum an Gewässern nicht aus, überlasse es aber den Ländern, hierüber Bestimmungen zu treffen. Das ist nicht ganz richtig. Das W H G ist für Fragen des Eigentums an Gewässern nicht bedeutungslos. Das beweisen schon §§ 3, 24 WHG. Daraus ergibt sich, daß der „Eigentümer" das Gewässer nur sehr eingeschränkt nutzen darf; denn er bedarf zur Ausübung der wesentlichen Nutzungen wie jeder andere der Erlaubnis oder der Bewilligung. Gleichzeitig ergibt sich, daß er nicht entschädigt zu werden braucht, wenn Erlaubnis oder Bewilligung einem anderen erteilt werden. Dieser wesentliche Grundtatbestand ergibt sich also bereits aus dem WHG. Er zeigt, daß das „Eigentum" von Anfang an einen sehr beschränkten Inhalt hat. Und zwar ist der positive Kern dieses „Eigentums" so weit reduziert, daß dem „Eigentümer" nur ein geringer Teil der bezüglich des Gewässers denkbaren Befugnisse zugeordnet ist. Da das Gesetz bei der Wichtigkeit der Materie nicht unklar lassen kann, wer für die übrigen, — weit wichtigeren — Befugnisse zuständig ist, 29

Auch dazu schon o., S. 139. Vgl. u., Fn. 46. Vgl. z. B. Gieseke-Wiedemann, Einl. V I I I ; Sievers, Einl. I, I V ; sämtlich i m Anschluß an die amtliche Begründung zum E n t w u r f des W H G (Bundestagsdrucksache Nr. 2072, 2. Wahlperiode, 1953, S. 20). 30

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taucht sofort die Frage auf, wem diese Befugnisse zugeordnet sind. Darauf ist nur die A n t w o r t möglich, daß sie vor Erteilung einer Erlaubnis oder einer Bewilligung noch niemandem zugeordnet sind. Der Staat hat sich diese Zuordnung noch vorbehalten. Dieser „Staatsvorbehalt" besteht nicht i n dem Sinne, daß die Ausübung dem Staat vorbehalten wäre 8 2 , sondern i n der Weise, daß die Zuordnung überhaupt noch nicht erfolgt ist, daß der Staat sich vorbehalten hat, sie erst noch vorzunehmen. Schon hier w i r d deutlich, daß von einer umfassenden Zuordnung an den „Eigentümer" nicht entfernt die Rede sein kann. Dieser Rechtszustand legt es nahe, von einer von Anfang an nur partiellen Zuordnung zu sprechen. Gedanklich führt das zu einer wesentlichen Vereinfachung des Systems (wenn man das natürliche Befremden über eine neue Betrachtungsweise einmal überwunden hat). Bei der Vorstellung einer von Anfang an nur partiellen Zuordnung entfällt die Notwendigkeit, m i t der Vorstellung der Sozialbindung des Gewässereigentums zu arbeiten. Das wäre ein wesentlicher Fortschritt, denn diese Vorstellung der Sozialbindung w i r d i m Wasserrecht heute doch wohl überzogen. Der Gedanke der partiellen Zuordnung läßt sich viel einfacher durchführen. Man muß nur den Schritt wagen, auch die durch Bewilligung erlangte Position (von Erlaubnis soll hier nicht die Rede sein) als eine solche partielle Zuordnung zu verstehen. Daß diese Vorstellung möglich ist, wurde bereits oben i n den allgemeinen Erörterungen über Zuordnung darzustellen versucht. Hier ist nur noch hinzuzufügen, daß eine solche Vorstellung eigentlich die viel „natürlichere" Betrachtungsweise ist. Sich einen „Eigentümer" vorzustellen, dem die Sache zwar umfassend zugeordnet ist, der aber trotzdem entschädigungslos dulden muß, daß sein Gewässer umfassend durch andere genutzt wird, erfordert einen erheblichen Aufwand an abstrahierender Verleugnung der tatsächlichen Verhältnisse. Der „Eigentümer" darf noch Schilf schneiden und Sand ausbaggern — aber auch das nur, wenn dies auf den „Zustand des Gewässers oder auf den Wasserabfluß" nicht einwirken kann, vgl. § 3 WHG. Er darf Wasser entnehmen für den eigenen Bedarf, aber nur, wenn dadurch „keine nachteiligen Veränderungen der Eigenschaft des Wassers, keine wesentliche Verminderung der Wasserführung und keine anderen Beeinträchtigungen des Wasserhaushalts zu erwarten sind". Andere aber dürfen aufstauen, einleiten und alle diese Handlungen vornehmen, und zudem noch ohne die Einschränkungen, denen ausgerechnet der „Eigentümer" gem. § 24 W H G unterliegt. Die wahren Eigentümer des Gewässers sind bei diesem Rechtszustand die Inhaber der Bewilligungen, jedenfalls sind sie ebenso partieller M

Diese A r t „Staatsvorbehalt" kennt das Bergrecht.

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Eigentümer wie derjenige, der nach dem Gesetz Eigentümer genannt wird. Sie haben Rechte am Gewässer ebenso wie dieser, aber sie leiten ihre Rechte nicht von i h m ab. I h m w i r d nichts genommen, wenn ihnen ihre Rechte verliehen werden. Der Unterschied liegt allein i n der Entstehungsweise der verschiedenen partiellen Berechtigungen: Der Gewässereigentümer ist schon immer „Eigentümer". Sein Recht entsteht nicht durch Hoheitsakt, es besteht seit unvordenklicher Zeit. Die Rechte aus der Bewilligung dagegen sind „originär öffentlich". Aber das heißt nicht, daß sie mittels dieses Entstehungsaktes erst dem Eigentümer entrissen würden. Sie sind vielmehr dem Eigentümer nie zugeordnet gewesen. Daher gibt es für den Eigentümer nichts zu dulden, wenn sie entstehen. Das Gewässer mag zwar eine einheitliche Sache i m natürlichen Sinne sein, aber die Bewilligung schafft ebenso ein Recht an eigener Sache, wie es das Gewässereigentum ist. Das Recht aus der Bewilligung gibt kein Recht an fremder Sache. Das Gewässer gehört auch den Inhabern von Bewilligungen, nur eben jeweils i n bezug auf andere Nutzungsarten. Die hier vorgeschlagene Konstruktion der partiellen Zuordnung muß sich auch i n folgender Beziehung bewähren: Oben war dargestellt worden, daß auch nach prWG der Eigentümer sein Gewässer vor Erteilung von Bewilligungen oder Erlaubnissen umfassend nutzen konnte, d.h., daß i h m diese Nutzungen erst durch Erlaubnis oder Bewilligung an andere entzogen wurden. Daraus ergab sich für das prWG, daß der Eigentümer Benutzungen anderer, die sich für diese Benutzung nicht die erforderliche Verleihung beschafft hatten, verbieten konnte. Für das W H G ergibt sich eine andere Rechtslage: Wenn der Eigentümer selbst nicht ohne Bewilligung oder Erlaubnis nutzen darf und wenn man das i m Sinne einer nur partiellen Zuordnung auffaßt, •dann hat der Eigentümer bei einer an sich verbotenen Benutzung (etwa aufgrund einer nichtigen Verleihung) folgerichtig keine Abwehrbefugnisse 33 . Denn sein Recht w i r d nicht beeinträchtigt. Das, was i h m partiell zugeordnet ist, der Eigentümergebrauch, bleibt unberührt. Erst, wenn 33 a. A . Salzwedel, R d W W i Heft 12 (1962), S. 59. Er geht dabei v o n der V o r stellung aus, daß die negative Sachherrschaft des Eigentümers erst durch die — gültige — Erteilung einer Erlaubnis oder B e w i l l i g u n g beschränkt werde, eine Vorstellung, die k a u m damit vereinbart werden kann, daß Erteilung von B e w i l l i g u n g oder Erlaubnis keine Enteignungen sind. Unbestreitbar richt i g wäre allerdings die Behauptung, der Gesetzgeber habe das Gewässereigentum so konstruieren können, daß dem „Eigentümer" i m Rahmen der „Benutzung" zwar nie eine positive, bis zur Erteilung einer Erlaubnis oder B e w i l l i g u n g jedoch eine negative Sachherrschaft zustehe. Allerdings w ü r d e eine solche Vorstellung dahin führen, daß der Eigentümer insoweit nichts wäre, als der Wächter über den Wasserhaushalt. Eigenes Interesse an dieser negativen Sachherrschaft könnte er mangels positiver Sachherrschaft gar nicht haben. Daher w i r d m a n die Ansicht Salzwedels insoweit ablehnen müssen.

17 schulte

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auch dieser betroffen wird, hat der Eigentümer Abwehrbefugnisse. I m übrigen kann nur die Wasserbehörde eine Benutzung untersagen, für die keine Bewilligung erteilt ist (es sei denn, es würde auch ein Inhaber einer anderen Bewilligung beeinträchtigt; dann könnte auch dieser widersprechen). Dafür ein Beispiel: Der Oberlieger A staut ohne Bewilligung; infolgedessen sinkt zumindest zeitweise der Wasserstand beim Unterlieger B. B kann gegen diesen Wasserentzug nichts unternehmen. Denn sein Gewässereigentum gibt i h m kein Recht auf unbeschränkten Wasserzufluß. Seine Rechte sind nicht betroffen. Dieser Fall t r i t t erst dann ein, wenn auch sein Eigentümergebrauch beeinträchtigt wird. Ist das der Fall — etwa w e i l A ohne Bewilligung auch noch ableitet —, dann greift seine Abwehrklage durch. Das ist nichts besonderes, denn durchaus folgerichtig w i r k t dieser Eigentümergebrauch auch gegenüber dem bewilligten Recht: Zwar nicht als Abwehranspruch, wohl aber als Entschädigungsanspruch, § 8 Abs. 3 WHG. I I I . Die Rechtsnatur der zugeordneten Positionen Sievers wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, daß das Recht aus der Bewilligung ein subjektives öffentliches Recht sei und daß das WHG eine „öffentliche Nutzungsordnung" des Wasserhaushaltes darstelle. Er hat daraus weitreichende Schlußfolgerungen gezogen, hauptsächlich zwar bezüglich des Rechtsweges bei Streitigkeiten zwischen den am Gewässer berechtigten Personen; darüber hinaus legt aber die starke Betonung des öffentlich-rechtlichen Charakters des bewilligten Rechts Schlüsse auf das öffentliche Interesse am Bestände der bewilligten Rechte nahe, die — wie noch darzustellen — auch wichtige materielle Konsequenzen bei Kollisionen zwischen den Berechtigten haben könnten. 1. Es kann nicht bestritten werden, daß das bewilligte Recht ein subjektives öffentliches Recht ist. Aber was folgt daraus? Hans J. Wolff 34 definiert das subjektive öffentliche Recht als „die perfekte Berechtigung einer Zivilperson, der eine unausweichliche — rechtlich notwendige — Leistungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflicht der Subjekte öffentlicher Verwaltung entspricht". Das subjektive öffentliche Recht ist damit deutlich als eine Position gekennzeichnet, die sich gegen den Staat richtet, die dem Einzelnen eine auch hoheitlichen Eingriffen gegenüber geschützte Position gibt. Der Begriff des subjektiven öffentlichen Rechts ist gedacht als ein Gegenstück zum Begriff des Reflexrechtes, das dem Einzelnen nur eine Chance auf ein i h n begünstigendes Handeln der öffentlichen Verwaltung gibt, 84

V e r w R I , § 43 I I I d.

III. Die Rechtsnatur der zugeordneten Positionen

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nicht aber einen durchsetzbaren Anspruch. Nur insoweit sagt also die Bezeichnung des bewilligten Rechtes als subjektives öffentliches Recht etwas aus. Man könnte bei Betrachtung der Ausführungen Sievers' oft versucht sein, zu meinen, er halte das bewilligte Recht überhaupt nicht für eine private Berechtigung, sie sei vielmehr irgend etwas wie ein öffentliches Eigentum, aus dem ein Privater gelegentlich Nutzen ziehe 35 . Die Einordnung des bewilligten Rechtes als subjektives öffentliches Recht spricht aber überhaupt nicht dagegen, es gleichzeitig als eine private Berechtigung anzusehen: Es w i r d nirgends bestritten, daß das subjektive öffentliche Recht gegenüber Privaten den Schutz der §§ 823, 1004 BGB genießt 36 . Darüber hinaus dürfte die Abwehrklage analog § 1004 BGB auch bei unerlaubten Eingriffen der öffentlichen Hand gegeben sein, während Schadenersatz wegen verbotener Eingriffe der Verwaltung sich nach Amtshaftungsrecht oder nach den Grundsätzen des enteignungsgleichen Eingriffs richtet. Aber gerade das gilt auch für alle privaten Rechte. Wie wenig eine Einordnung als subjektiv öffentliches Recht i m Grunde auszusagen vermag, zeigt die Tatsache, daß auch jedes Eigentum i m Sinne von § 903 BGB als subjektives öffentliches Recht bezeichnet werden könnte, denn auch jedem solchen Eigent u m „entsprechen unausweichlich Leistungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten der Subjekte öffentlicher Verwaltung" 3 7 . Die Tatsache, daß die Bewilligung durch Hoheitsakt entsteht (daß sie entgegen dem originär privat zugeordneten Eigentum originär öffentlich ist), ist für die Rechtsnatur des einmal entstandenen Rechtes ohne Bedeutung. Auch das Bergwerkseigentum ist originär öffentlich. So sagt zwar § 50 Abs. 1 A B G : „Das Bergwerkseigentum w i r d durch Verleihung b e g r ü n d e t . . Trotzdem ist noch nie bestritten worden, daß es sich u m ein privates Recht handelt 3 8 .

2. Sievers kam immer wieder darauf zu sprechen, daß das W H G — für die L W G verbindlich — das Wasserrecht nicht auf der Grundlage des Eigentums regele, sondern „eine öffentliche Nutzungsordnung" statuiere 39 . Damit w i r d praktisch unterstellt, daß Eigentum und öffentliche Nutzungsordnung i n einem Widerspruch zueinander ständen, daß dort, wo 36

Vgl. dazu etwa Sievers, A n m . zu § 18 W H G . Vgl. Hans J. Wolff, Verwaltungsrecht I , § 43 V I I c 3. Vgl. die zitierte Wolff'sche Definition. 38 Vielmehr ist gelegentlich als neuer Gedanke herausgestellt worden, daß das Bergwerkseigentum auch ein subjektives öffentliches Recht ist; vgl. Vogelsang, Das Bergwerkseigentum u n d sein Verhältnis zum bürgerlichrechtlichen Eigentum u n d zum Staatsvorbehalt, Diss. Münster 1963, S. 46 ff. 39 Vgl. Sievers, Einl. 36

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§ 10. Zuordnung der Gewässer und nachbarrechtliche Kollisionen

eine öffentliche Nutzungsordnung besteht, das Eigentum zwar theoretisch nicht völlig verdrängt werde, wohl aber zu einer nebensächlichen Erscheinung werde, die keiner weiteren Beachtung bedürfe. Als Modell hat Sievers dabei wohl das Straßen- und Wegerecht vor Augen gestanden. Dort w i r d i n der Tat das private Eigentum zu einer Fiktion degradiert. Nach der Widmung hat der Eigentümer keinerlei Nutzung und Abwehrrecht mehr, von i h m spricht, wenn es u m die wesentlichen Fragen der Wegenutzung, -Verwaltung und -Unterhaltung geht, niemand. Die Parallele zum Wasserrecht liegt scheinbar nahe. Auch dort ist das Eigentum — wenn auch vielleicht nicht ganz so stark — i n die Rolle eines minderen Rechts zurückgedrängt; die wesentlichen Nutzungen werden von Nichteigentümern ausgeübt, gegenüber denen der Eigentümer kein Abwehrrecht hat. Und doch ist i m Wasserrecht die Rechtslage materiell und nach der Konstruktion eine ganz andere: Die Benutzungen der Wege und Straßen erfolgen fast ausschließlich auf der Grundlage des Gemeingebrauchs. öffentliche Nutzungsordnung heißt hier: Regelung dieses Gemeingebrauchs und der Unterhaltungspflichten. Ganz anders i m Wasserrecht: Der Gemeingebrauch nimmt — jedenfalls bei den nicht schiffbaren Gewässern — nur einen kleinen Teil der Benutzungen i n Anspruch. Die wesentlichen und entscheidenden Befugnisse dagegen werden mittels Erlaubnis und Bewilligung einigen wenigen Berechtigten zugeordnet. Es werden, wie schon gezeigt, einzelne private Berechtigungen geschaffen. Bei Straßen und bei Wegen kann man sagen, daß die denkbaren Nutzungen überhaupt nicht zugeordnet werden. Alles, was nicht dem Verkehr dient, w i r d dem Eigentümer und gleichzeitig auch jedem anderen verboten, und die danach übrig bleibenden Benutzungsmöglichkeiten, eben der öffentliche Straßenverkehr, werden jedermann gestattet. Diese Gestattung schafft kein subjektives öffentliches Recht, jedenfalls keins i m eigentlichen, engeren Sinne. Dagegen werden i m Wasserrecht nur wenige schädliche Handlungsweisen jedem (ohne Erlaubnis- oder Bewilligungsmöglichkeit) verboten. Die meisten der denkbaren Befugnisse aber werden konkret, bestimmten Rechtssubjekten zugeordnet. Private Rechtssubjekte werden praktisch i n vollem Umfang zu Trägern aller denkbaren Befugnisse. Nur geschieht das eben m i t der Besonderheit, daß nicht nur ein Rechtssubjekt Rechtsträger wird, sondern daß die Befugnisse aufgespaltet werden auf mehrere nebeneinanderstehende Berechtigte. Das „volle Eigentum", d.h. die Summe der erlaubten Handlungsweisen, w i r d aufgeteilt. Das alles ändert aber nichts daran, daß die Befugnisse privat — und nicht

III. Die Rechtsnatur der zugeordneten Positionen

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an die Allgemeinheit oder an den Staat — zugeordnet werden. Das ist keine öffentliche Nutzungsordnung. Das w i r d auch dadurch keine öffentliche Nutzungsordnung, daß die wesentlichen Befugnisse erst durch Hoheitsakt zugeordnet werden, denn die Benutzung der Gewässer durch die hierdurch begünstigten Berechtigten ist eine private Benutzung wie jede andere erlaubte Sachnutzung durch private Rechtssubjekte. Das entspricht ganz dem schon oben dargelegten Sachverhalt, daß nämlich der Unterschied zwischen originär privaten und originär öffentlichen Berechtigungen nichts über einen unterschiedlichen Inhalt dieser Berechtigungen aussagt. Der unterschiedliche Entstehungstatbestand führt nicht zu einem unterschiedlichen Inhalt. Das ergibt sich auch daraus, daß die Verleihungsbehörde keinen Einfluß darauf hat, welchen Inhalt das verliehene Recht bekommt. Dieser Inhalt w i r d vorher vom Gesetz festgelegt 40 . Die Verwaltung bestimmt nur das Rechtssubjekt. Das Gesetz aber ist frei, dieser Berechtigung den Inhalt eines mehr oder weniger umfassenden Rechtes zu geben. Es kann bestimmen, daß durch Verwaltungsakt Eigentum entsteht, sowie das Verhältnis dieses Eigentums i n der Kollision zum öffentlichen Interesse und zu anderen Eigentumsrechten festlegen. Ein Unterschied zu den originär privaten Rechten ist, nachdem das originär öffentliche Recht mit dem gesetzlich fixierten Inhalt einmal entstanden ist, nicht mehr vorhanden. Eines der ältesten Institute dieser A r t ist das Bergwerkseigentum: I n der Entstehung öffentlich, richtet sich das weitere Schicksal des einmal entstandenen — unstreitig privaten — einzelnen Bergwerkseigentumsrechts i n der Kollision m i t Nachbarn u n d m i t dem öffentlichen Interesse allein nach den i n den Berggesetzen enthaltenen Kollisionsnormen. Der Verleihungsakt k a n n das nicht modifizieren.

Von einer „öffentlichen Nutzungsordnung" kann man also nicht etwa immer dann sprechen, wenn Rechte an Sachen originär öffentlich zugeordnet sind. Diese A r t der Zuordnung hat mit einer öffentlichen Nutzungsordnung nichts zu tun. Die privaten Rechte werden hier — so könnte man sogar sagen — durch eine öffentlich-rechtliche Ordnung nicht nur nicht zurückgedrängt, sondern sogar überhaupt erst geschaffen. N i m m t man das Straßen- und Wegerecht als den typischen Fall einer öffentlichen Nutzungsordnung, dann muß man als das wesentliche Merkmal einer öffentlichen Nutzungsordnung folgendes ansehen: Die privaten Rechte an den der öffentlichen Nutzungsordnung unterworfenen Gegenständen werden bedeutungslos. Das zeigt sich insbesondere daran, daß diese privaten Rechte i m Zustand der Verdrängung keinerlei Kollisionen mehr ausgesetzt sind. Nachbarliche Interessen können vom 40 M a n könnte von einer Typenbeschränkung der von der V e r w a l t u n g zu begründenden subjektiven öffentlichen Rechte sprechen.

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§ 10. Zuordnung der Gewässer und nachbarrechtliche Kollisionen

Eigentum her nicht mehr tangiert werden, w e i l dieses Eigentum gar nicht mehr ausgeübt wird. Es ist ein totes Recht. Ganz anders bei den Rechten an Gewässern (und beim Bergwerkseigentum): Diese können durchaus noch m i t anderen Rechten kollidieren: Einmal m i t dem Grundeigentum, zum anderen aber auch untereinander. Die Interessen der am Gewässer und an Bodenschätzen berechtigten privaten Eigentümer müssen geordnet werden, es müssen Kollisionsnormen geschaffen werden. Solche Kollisionsnormen gibt es auch i m W H G und i n den Landeswassergesetzen: Es handelt sich u m alle die Normen, die bestimmen, was ein am Gewässer Berechtigter an Beeinträchtigungen durch andere Berechtigte dulden muß, was er abwehren kann, wann er Ersatzansprüche hat. Die Existenz solcher Kollisionsnormen allein zeigt also schon, daß nicht von einer öffentlichen Nutzungsordnung die Rede sein kann. Die einzelnen privaten Berechtigungen am Gewässer sind keine toten Rechte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß die Rechte an Gewässern mancherlei Einschränkungen nicht nur i m Interesse der anderen Berechtigungen unterliegen, sondern auch i m öffentlichen Interesse, daß sie also Gemeingebrauch dulden müssen, daß sie bei überwiegendem (konkretem) öffentlichen Interesse entzogen werden können oder sich Beschränkungen durch „Zwangsrechte" gefallen lassen müssen. Solchen Einschränkungen unterliegt jedes private Recht. Das ist kein Grund, von einer öffentlichen Nutzungsordnung zu sprechen. Vor allem kann man das nicht wegen der Unterwerfung der privaten Berechtigungen unter die Gewässeraufsicht. Jedes private Recht ist polizeipflichtig. K e i n privates Recht darf so ausgeübt werden, daß öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet werden. Von einer öffentlichen Nutzungsordnung kann man deswegen noch nicht sprechen. Man tut das auch nicht beim Bergwerkseigentum, obwohl dieses sehr weitgehend ordnungsbehördlicher Aufsicht unterworfen ist, nämlich mittels des Betriebsplanverfahrens und der Bergaufsicht der §§ 196 ff. ABG. Wenn man dies öffentliche Nutzungsordnung nennen wollte, dann müßte man davon auch bei jeglichem Grundeigentum sprechen: Auch dieses ist seit jeher weitgehend der Polizeiaufsicht unterworfen. Das Bauordnungsrecht stellt sehr umfangreiche und konkrete Anforderungen an die Gestaltung des einzelnen Bauwerks. IV. Ergebnis I m Ergebnis kann festgehalten werden: 1. Es gibt kein Gewässereigentum i m Sinne eines Grundeigentums. 2. Trotzdem sind alle denkbaren Nutzungen — soweit sie nicht völlig verboten sind — Privaten zugeordnet.

V. Die nachbarrechtlichen Kollisionen im neuen Wasserrecht

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3. Die Besonderheit der gewässerrechtlichen Zuordnung besteht darin, daß sie nicht umfassend zugunsten eines Rechtssubjekts erfolgt, sondern zugunsten mehrerer gleichberechtigt nebeneinander stehender („partielle Zuordnung", „aufgespaltete Zuordnung"). 4. Diese einzelnen Rechte sind private Rechte. Dem steht nicht entgegen, daß sie auch als subjektive öffentliche Rechte eingeordnet werden können. Dem steht ferner nicht entgegen, daß sie durch Hoheitsakt entstehen („originär öffentliche Rechte"). 5. Die Bezeichnung „öffentliche Nutzungsordnung" für das System des heutigen Wasserrechts ist zumindest irreführend. Eine wesentliche Ähnlichkeit m i t den Regelungen des Wege- und Straßenrechts besteht nur dort, wo die Gewässer Wasserstraßen sind. Das berechtigt nicht dazu, davon zu sprechen, daß alle Gewässer einer öffentlichen Nutzungsordnung i n diesem Sinne unterworfen seien. 6. Es zeigen sich sehr deutliche Parallelen zwischen diesem System der wasserrechtlichen Zuordnung und der Zuordnung der Bodenschätze i m Bergrecht. V. Die nachbarrechtlichen Kollisionen im neuen Wasserrecht A u f der Grundlage der vorstehend entwickelten Überlegungen lassen sich nun die nachbarlichen Kollisionen nach neuem Wasserrecht i m einzelnen erfassen. Es ergeben sich fünf Gruppen von Kollisionen. 1. I n der ersten Gruppe geht es um die Kollision der wasserrechtlichen Berechtigungen untereinander. Regelungen derartiger Kollisionen sind erforderlich. Hier zeigt sich nämlich eine Schwäche des Systems der originär öffentlichen Zuordnung wasserrechtlicher Positionen, also eine — unabänderliche — Unvollkommenheit des wasserrechtlichen Bewilligungsverfahrens: Die Bewilligung kann immer nur von den i m Zeitpunkt der Zuordnung gegebenen tatsächlichen Verhältnissen des betreffenden Gewässers ausgehen. Diese Verhältnisse können sich dann aber i m Laufe der Zeit ändern. Die neuen Verhältnisse können dazu führen, daß die bei der ersten Zuordnung, also i m Bewilligungsverfahren, vorweggenommene Kollisionsregelung (genauer: Kollisionsverhinderung) nicht mehr w i r k t , daß also doch wieder K o l l i sionen auftreten. I n Voraussicht derartiger Situationen hat § 18 W H G bestimmt, daß ein „Ausgleichsverfahren" stattfinden muß, wenn etwa „das Wasser nach Menge und Beschaffenheit nicht für alle Benutzungen ausreicht oder diese sich beeinträchtigen". Vom Gesetz w i r d die Ausgleichung als hoheitlicher Eingriff verstanden: Sie ist nach § 18 W H G nur zulässig, wenn „das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die öffentliche Wasserversorgung es erfordert".

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§ 10. Zuordnung der Gewässer und nachbarrechtliche Kollisionen

Dem entsprechen auch die Kommentierungen, die die Ausgleichung bisher i n der Literatur erfahren hat 4 1 . Diese Auffassung führt zu den typischen, i m Nachbarrecht auf der Grenze zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht immer wieder auftauchenden unauflöslichen dogmatischen Widersprüchen, nämlich dann, wenn zwar einerseits eine Veränderung der Wasserverhältnisse einen Zustand herbeiführt, der eine Neuregelung der Berechtigungen als wünschenswert erscheinen läßt, wenn andererseits aber für eine solche Neuregelung kein konkretes öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne erkennbar ist. Nach der Meinung aller oben zitierten Autoren müßte die Ausgleichung i n solchen Fällen unterbleiben. Diese Konsequenz w i r d aber nirgends gezogen42. Einen Ausweg aus dieser unbefriedigenden Situation sucht allein Witzel 43. Er meint, eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit könne auch darin liegen, daß bestehende Wasserbenutzungen sich untereinander behindern und dadurch eine zweckdienliche, m i t h i n volkswirtschaftlich richtige Ausnutzung des Wasserschatzes beeinträchtigt wird 4 4 . M i t dieser Argumentation kann man i n allen Fällen, i n denen eine Ausgleichung wünschenswert erscheint, zum gewünschten Erfolg, zum Ausgleichsverfahren, kommen. Es bleibt aber zu prüfen, ob diese Interpretation richtig ist. Sie wäre falsch, wenn die Ausgleichung nicht nur formell, sondern auch materiell ein hoheitlicher Eingriff sein würde. Dann nämlich müßte für diesen 41 Sievers (§18 W H G A n m . 6) meint zwar, es liege i n der Ausgleichung keine Enteignung. A b e r er begründet das damit, daß die Rechtsstellungen i m neuen Wasserrecht n u r unter dem allgemeinen immanenten Vorbehalt der Möglichkeit späterer K o r r e k t u r eingeräumt seien. Sievers hat also n u r die Einordnung der Ausgleichung als einen hoheitlichen Eingriff i m Auge, denn die von i h m angezogene Unterscheidung zwischen Enteignung u n d Sozialbindung ist eine Unterscheidung i m Rahmen hoheitlicher Eingriffe. Deutlicher andere Äußerungen: Gieseke-Wiedemann (§ 18 Rdn. 5), Burghartz (§ 18 W H G A n m . 5) u n d Kolb (§ 18 A n m . I I ) meinen, private Interessen genügten nicht zur Vornahme einer Ausgleichung. Sie sehen hier also eine Kollision m i t dem öffentlichen Interesse. Das gilt auch von Feldt (§ 22 A n m . 3), der die Ausgleichszahlungen einer öffentlich-rechtlichen Entschädigung gleichstellt; ebenso Hundertmark, S. 128, der die Ausgleichszahlung offen als Enteignungsentschädigung bezeichnet. 42 Eine Ausnahme machen hier Sieder-Zeitler, § 18 Rn. 4, die ebenfalls von einer enteignungsrechtlichen Auffassung ausgehen, aber konsequent bleiben u n d die Ausgleichung dort f ü r unzulässig erklären, w o n u r private Interessen berührt werden. 43 § 18 Rdn. 1. 44 I n einem allgemeineren Zusammenhang hat sich auch Külz, Festschrift für Gieseke, S. 205, i n diesem Sinne geäußert: I m Gebiete des Wasserrechts werde das W o h l der Allgemeinheit ausnahmsweise auch schon durch den Widerstreit privater Interessen berührt, w e n n dadurch eine zweckdienliche volkswirtschaftlich richtige Ausnutzung des Wasserschatzes beeinträchtigt werde. Dem schließt sich Hundertmark (S. 112) an. Die vorliegend vertretene Auffassung braucht nicht zu derart gewaltsamen Annahmen zu greifen..

V. Die nachbarrechtlichen Kollisionen im neuen W a s s e r r e c h t 2 6 5 Eingriff ein konkretes öffentliches Interesse i m Einzelfall vorliegen, und das Interesse an einer „zweckdienlichen" Lösung ist kein konkretes öffentliches Interesse. Es handelt sich nur u m das allgemeine Interesse des Gesetzgebers an einer zweckmäßigen Rechtsordnung 45 . Ließe man ein solches Interesse i n jedem Einzelfall genügen, würde die Eigentumsgarantie des A r t . 14 GG i n einer Flut von Enteignungsfällen untergehen 46 . Die Argumentation Witzeis zeigt aber schon sehr deutlich eine andere mögliche Betrachtungsweise. Von den Worten „zweckdienliche", „volkswirtschaftlich richtige Ausnutzung des Wasserschatzes" ist es nicht weit zu dem Gedanken der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung, der i n der vorliegenden Untersuchung eine entscheidende Bedeutung hat. Witzel erkennt richtig den gesetzgeberischen Grund für die Ausgleichung. „Volkswirtschaftlich richtige" und „zweckdienliche" Nutzung des Wasserschatzes aber ist nichts anderes als ökonomisch sinnvolle Raumnutzung. Damit ist wieder der Weg offen für eine neue Betrachtungsweise, nämlich für die Einordnung auch der Ausgleichung als nachbarrechtliches Institut 4 7 . Dazu ist nur noch nachzuweisen, daß es sich auch bei der Ausgleichung u m Fälle handelt, die sich aus einer „notwendigen Kollision" i m obigen Sinne 48 ergeben. Dieser Nachweis ist leicht zu führen: Die Berechtigungen am Gewässer können nicht ausgeübt werden, ohne daß es zu Kollisionen zwischen ihnen kommt. Zwar ist das Bewilligungsverfahren darauf angelegt, solche Kollisionen vorweg unmöglich zu machen. Das ist aber stets nur denkbar auf der Grundlage der z. Zt. der Verleihung bestehenden Gewässerverhältnisse. Eine Änderung dieser Verhältnisse führt notwendig zur Kollision zwischen den einzelnen Berechtigungen. 45

Vgl. dazu o., § 4 V I . E i n anderer, ebenfalls nicht schlüssiger Versuch, über die dogmatischen Widersprüche hinwegzukommen, findet sich bei Sieder-Zeitler, § 18 Rn. 3: Den bewilligten Rechten sei die Möglichkeit eines Eingriffs i m Wege des Ausgleichsverfahrens „ v o n Anfang an inhärent" ebenso w i e sie den Altrechten schon generell durch § 18 W H G „aufgeprägt" sei. Die Ausnutzung dieser Möglichkeiten sei daher k e i n Enteignungstatbestand.— Diese Argumentation ist deutlich ein Mißbrauch der K o n s t r u k t i o n der originär öffentlichen Zuordnung zu enteignungsrechtlichen Konstruktionen; dazu eingehender o., § 10 I I 3. Besonders deutlich w i r d hier, daß derartige Argumente sich decken m i t Begründungen aus der „Sozialpflichtigkeit" eines Rechts, denn u m eine solche Begründung handelt es sich bei dem Hinweis auf § 18 W H G , der den A l t rechten die Eingriffsmöglichkeit „aufpräge". 47 Auch Hundertmark (S. 124) bezeichnet die Ausgleichung als eine Gestaltungsform des wasserrechtlichen (öffentlichen) Nachbarrechts. Allerdings sagt Hundertmark an anderer Stelle (S. 95), das wasserrechtliche Nachbarrecht bilde eine Sonderregelung, die m i t dem Nachbarrecht des Grundstücksrechts n u r den Namen gemeinsam habe. Gerade dies w i r d i n der vorliegenden Untersuchung bestritten. 48 Vgl. o., §2 I 1. 40

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§ 10. Zuordnung der Gewässer und nachbarrechtliche Kollisionen

Das charakterisiert auch die Ausgleichung als ein Rechtsinstitut zur Regelung notwendiger Raumkollisionen mit dem Zweck einer sinnvollen Nutzung. Auch die Ausgleichung ist daher ein nachbarrechtliches Institut. Es war nicht erforderlich, daß das Gesetz ein konkretes öffentliches Interesse i m Einzelfall zur Voraussetzung der Ausgleichung gemacht hat 4 9 . 2. Eine zweite Gruppe spezifisch wasserrechtlicher Kollisionen ergibt sich dort, wo wasserrechtliche Berechtigungen m i t den Interessen der Eigentümer von anliegenden Ufergrundstücken kollidieren. Die Wassergesetze regeln diese Kollision m i t Hilfe von „Zwangsrechten". So kann z. B. durch behördliche Einräumung eines entsprechenden Zwangsrechts einem Grundeigentümer auferlegt werden, auf seinem Eigentum den Anschluß einer Stauanlage zu dulden 50 . Es liegt scheinbar auf der Hand, daß dies ein Fall von Enteignung ist, denn die Wasserbehörde ordnet an, daß der Eigentümer Eingriffe i n die Substanz seines Grundstücks hinnehmen muß. Aber auch hier ist erforderlich, von der rechtstechnischen Konstruktion des Eingriffs abzusehen. Es kann nur darauf ankommen, welche A r t von Kollision vorliegt, ob das Grundeigentum m i t anderen privaten Interessen kollidiert oder m i t dem öffentlichen Interesse. Dabei ist auch hier zu beachten: öffentliches Interesse bei der Enteignung darf nur i m Sinne eines konkreten öffentlichen Interesses verstanden werden, als Interesse des verwaltenden Staates an einem konkreten Projekt, nicht als das allgemeine öffentliche Interesse auf der Ebene des Gesetzgebers an einer ökonomisch sinnvollen Raumnutzung. Hiervon ausgehend ist auch die Regelung des Anschlusses von Stauanlagen der Natur der Sache nach eine nachbarrechtliche Regelung. Es handelt sich u m eine Regelung m i t dem Ziel einer ökonomisch sinnvollen Nutzung der Gewässer. Diese ist nur dann möglich, wenn eine Benutzung von Grundstücken, hier der Anschluß von Stauanlagen, möglich gemacht wird. Das ist keine Kollision m i t konkretem öffentlichen Interesse i m oben beschriebenen Sinne, öffentliches Interesse besteht hier nur auf der Ebene des Gesetzgebers. Das ist typisches Nachbarrecht 51 . Daher ist der Gesetzgeber aus verfassungsrechtlichen 49 Ausführlicher u n d m i t weiteren Konsequenzen (keine Einschränkung der Ausgleichung aufgrund der vorliegend vertretenen Auffassung) w i r d das v o m Verf. i n Z f W 1966, 72 ff., dargestellt 60 Diese Festsetzung eines „Normaltyps" erfolgt n u r aus Gründen der D a r stellung u n d hat keine materiell-rechtliche Bedeutung. 61 Diese Auffassung steht i n deutlichem Gegensatz zu solchen Auffassungen, die stark auf die öffentlich-rechtliche Seite des Wasserrechts abstellen, w i e etwa Sievers, K o m m . Einl. zum W H G , aber auch Scheuner, Festschrift f ü r Gieseke, S. 73 ff. Insbesondere Scheuner stellt, a.a.O., S. 78, die Regelungen des neuen Wasserrechts unter das Motto „Regelung der Gemeinverträglichkeit", w o r i n er eine öffentlich-rechtliche Regelung sieht. Demgegenüber

V. Die nachbarrechtlichen Kollisionen im neuen Wasserrecht

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Gründen auch hier nicht gezwungen, die Duldungspflicht des Grundeigentümers i m Einzelfall vom Vorliegen eines öffentlichen Interesses abhängig zu machen. 3. Von besonders exemplarischer Bedeutung ist die Anwendung der vorliegend vertretenen Ansichten bei einer dritten Gruppe von Fällen. Hier handelt es sich u m Kollisionen der Interessen von Grundeigentümern untereinander, also eigentlich u m Grundstücksnachbarrecht m i t der einzigen Besonderheit, daß es u m Wasserfragen geht. Als — besonders wichtiges — Beispiel braucht hier nur die Rechtsnatur der sog. „Durchleitungsrechte" behandelt zu werden 53 . Es geht u m die Frage, ob ein Grundeigentümer dulden muß, daß auf seinem Grundstück Abwasser- und/oder Wasserversorgungsleitungen für andere Grundstücke verlegt werden. Zum nachbarrechtlichen Tatbestand w i r d das, wenn das Durchleitungsrecht einem Nachbarn zustehen soll. Das Interesse einer Rechtsordnung muß dahin gehen, solche Rechte bzw. Duldungspflichten zu begründen. Denn damit können jedem Grundeigentümer Umwege für seine Leitungen erspart werden. Demgegenüber ist die — zu entschädigende — Benachteiligung des Duldungspflichtigen vergleichsweise gering. Auch dies ist ein Fall, i n dem der Gedanke der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung fruchtbar gemacht wurde. Die Parallele zum Leitungsnotweg ist überaus deutlich 54 . Gerade i n dieser Parallelität spitzen sich die vorliegend behandelten Probleme extrem zu; besonders hier zeigt sich daher die ausweglose Widersprüchlichkeit der bisherigen dogmatischen Behandlung nachbarrechtlicher Fragen i m Zwielicht zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht. Denn die Durchleitungsrechte der Landeswassergesetze sind nicht als nachbarrechtlicher Tatbestand formuliert. Es könnte sogar zweifelhaft sein, ob sie überhaupt i m Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn anzuwenden sind, zumindest, ob sie bei jeder A r t nachbarlichen Verhältnisses einschlägig sind. Diese Zweifel ergeben sich aus der eigenartigen Formulierung einer Reihe von Paragraphen der Landeswassergesetze. So formuliert § 89 nwWG 5 5 . muß aber festgehalten werden, daß m a n v o n „Regelung der Gemeinverträglichkeit", w e n n man diesen Begriff so w e i t faßt w i e Scheuner, auch bei jedem privaten Nachbarrecht sprechen muß. Bemerkenswert erscheint, daß v. Kempski , vgl. z. B. i n Recht u n d Politik, S. 38, das Verträglichkeitsprinzip als f u n damentales strukturelles Prinzip der Privatrechtsordnung ansieht. 53 Diese sind fast allen Landeswassergesetzen als Zwangsrechte bekannt. Vgl. §§ 77 bin, 75 sh, 70 hmb, 87 sa, 83 he, 125 nds, 93 rhpf, 124 brem, 28 bw, 8 9 n w W G ; lediglich f ü r Bayern fehlt auch dieses Zwangsrecht; dort muß n o t falls enteignungsrechtlich vorgegangen werden. Das muß zu Schwierigkeiten führen, w o es u m die Durchleitung i n rein nachbarlichen Verhältnissen geht, die das öffentliche Interesse nicht berühren. Vgl. dazu i m Text. 54 Vgl. o., §2 1 4 b u n d §2113. 55 Praktisch gleichlautend: §§93 rhpf, 87 sa, 77blnWG.

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§ 10. Zuordnung der Gewässer und nachbarrechtliche Kollisionen

„Zugunsten eines Unternehmens der Entwässerung oder Bewässerung von Grundstücken, der Fortleitung von Wasser oder Abwasser... können die Eigentümer der zur Durchführung des Unternehmens erforderlichen Grundstücke und Gewässer verpflichtet werden, d a s . . . Durchleiten... zu dulden." Die Formulierung „zugunsten eines Unternehmens" scheint darauf hinzudeuten, daß es sich u m ein Unternehmen handeln muß, dessen Gegenstand die genannten Tätigkeiten sind. Das Wort „Unternehmen" wäre also i m heute geläufigen Sinne gemeint. Dann wäre nicht jeder einzelne Grundeigentümer begünstigt. Denn er w i r d nicht dadurch zum „Entwässerungsunternehmen", daß bei der Bebauung seines Grundstücks auch Abwässerleitungen verlegt werden müssen. Durch das Zwangsrecht würden nur Unternehmen wie Stadtwerke usw. begünstigt 56 . Die Herkunft dieser Formulierungen läßt jedoch eine andere Deutung zu: I n §§ 331, 332 und 48 prWG war „Unternehmen" schlicht i m Sinne von „Vorhaben" benutzt 57 . Da die Landeswassergesetze gerade die Zwangsrechte sehr stark i n Anlehnung an das prWG formuliert haben — hier bestand vom W H G her keinerlei Bindung —, kann angenommen werden, daß der Ausdruck „Unternehmen" i n § 89 n w W G usw. auch heute als „Vorhaben" zu verstehen ist. Die Landeswassergesetze scheinen sich hier wenig Gedanken gemacht zu haben, da sie sonst wohl, um Mißverständnissen vorzubeugen, die antiquierte Formel durch eine heute verständlichere ersetzt haben würden 5 8 » 5 9 . Damit ist der Weg offen zu einer Anwendung der §§ 89 n w W G usw. auf alle nachbarlichen Verhältnisse. 4. Allerdings darf man nun nicht i n das andere Extrem fallen und diesen Vorschriften eine ausschließlich nachbarrechtliche Bedeutung zuschreiben 60 . I n diesem Falle könnte das Durchleitungsrecht nämlich 56 Das meint anscheinend tatsächlich Hodes, Hessisches Nachbarrecht, E i n führung v o r § 30, S. 113. E r schreibt, §§ 83 ff. heWG — die das Durchleitungszwangsrecht behandeln — verfolgten ausschließlich die öffentlichen Zwecke der allgemeinen Wasserwirtschaft u n d sollten n u r gelten f ü r die öffentlichen Wasserversorgungs-, Abwasser- u n d Bewässerungsleitungen i m Rahmen der öffentlich-rechtlichen Erlaubnis- u n d Bewilligungsverfahren; sie ließen das privatrechtliche Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn unberührt. 57 So erläutern Holtz-Kreuz-Schlegelberger (HKS), § 48 A n m . 1, der Begriff des Unternehmens sei i m weitesten Sinne zu verstehen. Es könne der Haus- oder der Landwirtschaft, j a selbst bloßen Verschönerungszwecken dienen, w i e etwa der Herstellung eines Springbrunnens i m Garten. 58 Das ist n u r i m h m b W G geschehen; dieses spricht statt von „Unternehmen" von „Anlagen". I n diesem Sinne mehr oder weniger deutlich auch Burghariz, § 8 6 n w W G A n m . 1; Feldt, A n m . v o r § 80; Hammer, M D R 1965, 11. 59 Das heWG spricht i n §81 von dem Unternehmer, zugunsten dessen ein Zwangsrecht eingeräumt werden könne. Das ist dann derjenige, der ein bestimmtes Vorhaben plant. 60 Wie das getan w i r d , w e n n der einzige Unterschied zum Notwegrecht n u r noch darin gesehen w i r d , daß es i m Wasserrecht eines besonderen Begründungsaktes f ü r das Entstehen des Durchleitungsrechtes bedarf, so Rehder, § 125 Anm. 1; vgl. Burghartz, § 89 Anm. 1

V. Die nachbarrechtlichen Kollisionen im neuen W a s s e r r e c h t 2 6 9 nur Grundeigentümern zustehen. Darauf deutet i n der Formulierung von §§ 89 nwWG usw. nichts hin. Zum entscheidenden, das Zwangsrecht praktisch begründenden Tatbestandsmerkmal ist nämlich nicht das Eigentum an einem Grundstück gemacht, sondern ein bestimmtes Vorhaben. Wer eines der i n § 89 n w W G genannten Vorhaben plant, kann ein Zwangsrecht beanspruchen. Auch wer nicht Grundeigentümer ist, kann aber ein solches Vorhaben planen, etwa ein Wasserverband oder ein Stadtwerk. Diese werden zwar auch Grundeigentümer sein, aber nicht dies ist das anspruchsbegündende Merkmal, sondern eben ihr Vorhaben. Sie werden nicht ihres Grundeigentums wegen begünstigt, sondern wegen ihres Vorhabens. I n diesen Fällen kann man der Einordnung des Durchleitungszwangsrechtes als Enteignung also nicht entkommen: Diese Einordnung ist vielmehr nach den i n der vorliegenden Untersuchung vorgenommenen Unterscheidungen nur dort unrichtig, wo man von einer „notwendigen Kollisionsregelung" sprechen kann. Das ist aber offenbar unmöglich i n den Fällen, i n denen das Zwangsrecht gar nicht eine solche Kollision regelt. Das ist immer dann nicht der Fall, wenn es zugunsten einer der o. g. Institutionen begründet wird. I n diesen Fällen dient es nicht der besseren Nutzbarkeit eines Grundstücks des Berechtigten, sondern der einfacheren und billigeren Erledigung einer konkreten Aufgabe, deren Erfüllung i m öffentlichen Interesse liegt. Insofern hat man es hier also m i t einer vierten Gruppe wasserrechtlicher Kollisionen zu tun: m i t enteignungsrechtlichen K o l l i sionen. Das führt unausweichlich dazu, den Zwangsrechten eine Doppelnatur beizulegen: Soweit sie i m nachbarlichen Verhältnis wirken, sind sie typisches Nachbarrecht, dienen der ökonomisch sinnvollen Nutzung des nachbarlichen Raumes und sind folglich keine Enteignung. Wenn die Zwangsrechte aber zugunsten der o. g. Institutionen begründet werden, liegt keine Kollision zwischen den Interessen von Grundeigentümern vor, sondern eine Kollision der Interessen eines Grundeigentümers m i t konkretem öffentlichen Interesse. Das Zwangsrecht gibt dann dem öffentlichen Interesse den Vorrang, das öffentliche Interesse führt zu einem Eingriff i n das Grundeigentum. Das ist Enteignung. Dieses Ergebnis gilt für die Durchleitungs-Zwangsrechte aller Landeswassergesetze 61. I m einzelnen ist dabei nur auf folgendes hinzuweisen: §87shWG 6 2 formuliert (abgekürzt): „Der Unternehmer kann zugunsten seines Unternehmens von den Eigentümern verlangen, daß sie die Durchleitung dulden". Das nwWG u. a. formulieren dagegen: 61 Unterschiede bestehen i n der Formulierung. Eine Ausnahme bildet allein das b w W G , dazu Verf. i n Z f W 1966, 80 f. 62 Praktisch gleichlautend: §§125nds, 124bremWG.

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§ 10. Zuordnung der Gewässer und nachbarrechtliche Kollisionen

„Die Eigentümer können zur Duldung der Durchleitung verpflichtet werden." Das shWG kleidet das Zwangsrecht also i n die Form eines privatrechtlichen Anspruchs, das n w W G dagegen i n die äußere Form eines hoheitlichen Eingriffs. Sachlich liegt darin kein Unterschied. Die hoheitliche Begründung des Zwangsrechts ist die Form der Durchsetzung des Duldungsanspruchs. Beide Formulierungen erfassen jeweils nur einen Teil dieses vollen Sachverhalts, meinen aber dasselbe. Gleichermaßen fehlt beiden die oben vorgenommene Differenzierung dahin, ob es sich u m Kollision m i t privaten Interessen handelt oder um Kollision m i t dem öffentlichen Interesse. Dabei könnte nur überraschen, daß nach dem shWG auch die enteignungsrechtliche Seite des Tatbestandes als ein „Anspruch" erscheint. 5. Sehr spezielle und vom neuen Wasserrecht nicht hinreichend geregelte rechtliche Probleme ergeben sich i m Zusammenhang m i t dem Grundwasser. Dieses ist zwar i n § 1 W H G schlicht den übrigen Gewässern gleichgestellt worden. Aber die sachgesetzlichen Unterschiede zwischen Grundwasser und Oberflächengewässern sträuben sich gegen die Nivellierung, und auch die §§ 3, 33—35 WHG, die Vorschriften über Grundwasser enthalten, ändern an dieser Situation wenig. Sachgesetzlichkeiten beim Grundwasser spielen insbesondere i n den vorliegend interessierenden Nachbarverhältnissen eine Rolle. Das Grundwasser ist stets zumindest faktisch Bestandteil von Grundstücken, und diese unterliegen „gewöhnlichem" Eigentum. Ohne damit diese Tatsache unter dem Aspekt der §§ 93, 94 BGB betrachten zu wollen, muß gesagt werden, daß es zumindest rechtsdogmatisch befremdlich erscheint, das Grundwasser völlig aus der Herrschaft des Grundeigentümers zu entlassen und jede Benutzung wie auch jede sonstige Einwirkung auf Grundwasser, vom sehr eingeschränkten Eigentümergebrauch i n §33 W H G abgesehen, dem Bewilligungsvorbehalt des § 3 W H G zu unterwerfen. a) Diese Regelung ist einerseits zum Teil illusorisch. Die Erteilung der Bewilligung an einen Interessenten, der nicht Grundeigentümer ist, nützt diesem solange nichts, als der Grundeigentümer nicht zustimmt. Wer auf fremden Grundstück einen Brunnen bohren w i l l , muß das Grundstück betreten und i n die Bodensubstanz eingreifen. Die Bewilligung dazu kann nur der Eigentümer geben. Einen Notweg zum bewilligten Brunnen gibt es nicht. Zwar wäre eine derartige Rechtsfigur keineswegs absurd; sie ließe sich aus mancherlei Analogien zum allgemeinen Nachbarrecht wie auch zum Bergrecht entwickeln. Aber die Konsequenzen wären faktisch wie rechtlich derart weitgehend, daß sich die Annahme eines solchen Rechtes mangels jedes direkten Anhalts i m Gesetz deutlich verbietet.

V. Die nachbarrechtlichen Kollisionen im neuen W a s s e r r e c h t 2 7 1 Andererseits ist die Regelung des W H G über das Grundwasser für den Grundeigentümer und seine Nachbarn auch besonders einschneidend. Denn es gibt eine Reihe von wichtigen Bodennutzungen, die zwar nicht auf die Gewinnung von Grundwasser angelegt sind, aber das Grundwasser trotzdem notwendigerweise beeinflussen. So gewinnt das Wasserrecht Einfluß auf die gesamte Bodennutzung: Die Gewinnung von Kies, der unter dem Grundwasserspiegel liegt, die Errichtung eines Gebäudes mit Tiefgeschossen, die zu vorübergehendem oder dauerndem Abpumpen von Grundwasser führt, wie auch bergbauliche Tätigkeiten werden durch das W H G wasserrechtlich relevant; die Wasserbehörde bestimmt — neben anderen Behörden — über die Zulässigkeit derartiger Vorhaben. b) Gerade dieser Einfluß der Behörde nun läßt eine Reihe nachbarrechtlicher Probleme auftauchen. Es fragt sich, ob auch der Nachbar durch das neue Wasserrecht neue Rechtspositionen erlangt. Die Frage w i r d dann akut, wenn eine bewilligte Grundwassernutzung auf sein Grundstück einwirkt. Diese Problematik w i r d deutlicher, wenn man sich den Rechtszustand vor Inkrafttreten des W H G vergegenwärtigt: Nach § 200 prWG war der Schutz des Grundeigentums gegen Beeinträchtigungen durch grundwasserrelevante Maßnahmen des Nachbarn eng begrenzt: Der Grundeigentümer durfte Grundwasser nur dann nicht über Haus- und Hofgebrauch hinaus fördern, wenn dadurch die Quelle des Nachbarn geschmälert oder die bisherige Nutzung des Nachbargrundstücks erheblich beeinträchtigt wurden. A u f den ersten Blick war das ein recht umfassender Schutz. Er ist aber i n § 200 prWG so formuliert, daß Grundwasserförderung zu anderen als Verbrauchszwecken überhaupt nicht durch Nachbarrechte eingeschränkt war, also nicht Abpumpen zu Zwecken der Trockenlegung. Auch Beeinträchtigung des Nachbarn durch andere Einwirkungen auf Grundwasser verbot das prWG nicht (abgesehen vom Einbringungsverbot des § 202 prWG). Rechtsprechung und Schrifttum zeigen heute deutlich die Tendenz, eine nachbarschützende Wirkung der auf das Grundwasser bezüglichen Vorschriften des W H G anzunehmen 68 . Das entspricht ganz den i n der vorliegenden Untersuchung geschilderten Tendenzen auf anderen Gebieten, insbesondere i m Baurecht. Fragwürdig ist auch hier nur wieder die überall anzutreffende starke Betonung eines subjektiv öffentlichrechtlichen Charakters der vom Gesetz verbürgten Positionen. Es liegt — parallel zu den Ausführungen dieser Untersuchung zum baulichen 63 Vgl. v o r allem die inzwischen w e i t h i n bekannte Entscheidung des B V e r w G betreffend Thermalbad Füssing, etwa i n D Ö V 1967, 759; ferner Dellian, N J W 1967, 520, 570; DVB1 1968, 33; Freuding, N J W 1967, 1451; Wiedemann, DVB1 1966, 474; O L G München N J W 1967, 570.

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§ 10. Zuordnung der Gewässer und nachbarrechtliche Kollisionen

Nachbarrecht — näher, von privatem (Nachbar-) Recht m i t verfahrensrechtlichen Besonderheiten zu sprechen. A u f erneute Behandlung dieser Problematik kann an dieser Stelle verzichtet werden. c) Besonderer Erwähnung bedarf allerdings folgendes: Die Zuerkennung von Nachbarschutz i n der inzwischen wohl als absolut herrschend zu bezeichnenden Meinung betraf stets wasserrechtlich besonders gesicherte Positionen, also entweder alte Rechte gem. § 15 WHG oder nach neuem Recht bewilligte Rechte. Es erhebt sich die Frage, ob nur derart „titulierte" Rechte Schutz genießen oder auch untitulierte, anders gefragt, ob zu den Rechten, die gem. § 8 Abs. 3 W H G bei Erteilung einer Bewilligung zu berücksichtigen sind, auch das Grundeigentum mit seinen auf das Grundwasser bezüglichen Belangen gehört, und zwar auch ohne daß eine Bewilligung existiert. Müssen also etwa i m Bewilligungsverfahren zugunsten eines Wasserwerks die Interessen eines Nachbarn berücksichtigt werden, der infolge Grundwasserentzug durch die seitens des Wasserwerks beabsichtigte Nutzung beeintächtigt würde? Es ist keineswegs selbstverständlich, daß der betroffene Eigentümer gem. § 8 Abs. 3 WHG geschützt ist 6 4 . Denn wenn die Nutzung von Grundwasser — bis auf den gem. § 33 W H G verbleibenden Rest — nicht mehr zum Eigentum gehört, so könnte man argumentieren, daß zum Grundeigentum auch kein Abwehrrecht gegen Grundwasserentzug gehört. Zudem würde das dem geschilderten Rechtszustand vor Inkrafttreten des W H G entsprechen, und §§ 903, 1004, 906 BGB helfen gegen Grundwasserentzug nicht. Hier stellt sich also unausweichlich die Frage, ob das W H G das Grundeigentum „erweitert" hat, indem es den negativen Kern, die Abwehrbefugnisse, generell auf die Verhinderung von Grundwasserentzug ausgedehnt hat. Wenn man bereit ist, diese Konsequenz i n der Sache anzunehmen, d. h., dem Nachbarn eine Stellung gem. § 8 Abs. 3 W H G zuzubilligen, so w i r d man nicht umhin können, von einer Inhaltsbestimmung des Eigentums zu sprechen, also auf der einen Seite von Abstrichen an der Eigentümerbefugnis, Grundwasser beliebig zu fördern, und auf der änderen Seite von einer damit korrespondierenden Abwehrbefugnis des Nachbarn. Wenn man sagt, diese Abwehrbefugnis sei allein eine subjektiv öffentlich-rechtliche Position, so ist das nur ein anderes Etikett für dieselbe Sache, — allerdings wieder ein insofern irreführendes Etikett, als die Abwehrbefugnis unlösbar m i t jedem Privateigentum verbunden wäre. 64

So aber anscheinend Sieder-Zeitler,

§ 8 Rn. 26.

V. Die nachbarrechtlichen Kollisionen im neuen W a s s e r r e c h t 2 7 3 Wenn danach eine bewilligte Benutzung zu einem „Eingriff" i n das Grundeigentum des Nachbarn führt, so ist wiederum zu fragen, ob es sich u m einen privatrechtlichen oder um einen enteignungsrechtlichen Eingriff handelt. I n Anlehnung an die bisherigen Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung kann dies sehr kurz beantwortet werden: Die Tatsache, daß der Eingriff durch die behördliche Bewilligung erlaubt worden ist, also „an sich bestehende" — durch das WHG geschaffene — Eigentümerrechte i m Einzelfall durch Hoheitsakt ausgeschlossen werden (Entzug des Abwehrrechts gem. §11 WHG), spricht nicht für das Vorliegen eines enteignungsrechtlichen Tatbestands. Es kann sich auch u m ein m i t behördlicher Hilfe und nach behördlicher Vorprüfung durchgesetztes privates Eingriffsrecht handeln. Auch hier darf nicht auf die verfahrensmäßige Seite gesehen werden, sondern allein auf den „materiellen Kern". Danach ist zu sagen: Handelt es sich bei der beeinträchtigenden Grundwasserförderung u m private Grundstücksnutzung, so liegt eine privatrechtliche Kollision vor. Der Eingriff darf (vorbehaltlich der Möglichkeit wirtschaftlich tragbarer Auflagen) erlaubt werden, wenn er i m Interesse einer „ökonomisch sinnvollen Raumnutzung" liegt, öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne ist nicht Voraussetzung. „Wohl der Allgemeinheit" i n § 8 Abs. 3, S. 2 WHG ist bei privatrechtlichen Kollisionen i n diesem Sinne zu interpretieren. Eine enteignungsrechtlich zu beurteilende Kollision dagegen liegt vor, wenn die Grundwasserförderung nicht der privaten Grundstücksnutzung dient, sondern einem Vorhaben öffentlicher Wasserversorgung. Die sich daran anknüpfenden Einschränkungen sind bekannt. Allerdings ergibt sich dann die M e r k w ü r d i g k e i t , daß zugunsten privater Vorhaben unter geringeren Voraussetzungen eingegriffen werden kann, als zugunsten sehr ähnlicher hoheitlicher Vorhaben. Wenn z. B. eine Brauerei eine eigene Wassergewinnung hat, so k a n n sie ohne weiteres eingreifen, sofern sie gewillt ist, die evtl. entstehenden Entschädigungsansprüche zu befriedigen. E i n hoheitliches Vorhaben müßte sich etwa gefallen lassen, auf ein anderes Wassergewinnungsgelände verwiesen zu werden.

d) Ein weiteres Problem i m vorliegenden Zusammenhang ist folgendes: Durch eine Bewilligung entstehen gegenüber der bewilligten Benutzung erhöhte Schutzpflichten zu Lasten der Nachbarn. Können sich die Nachbarn aus diesem Grunde gegen die Bewilligung wehren? Die Frage w i r d etwa dort akut, wo die Wassergewinnung eines Wasserwerks bewilligt werden soll und dadurch eine benachbarte Kiesgewinnung i n die Gefahr kommt, eingestellt werden zu müssen, w e i l weiteres Ausbaggern von Kies das Grundwasser verunreinigen würde oder den Grundwasserzufluß hindern könnte. M. a. W.: Kann ein Grundeigentümer sich dagegen wehren, daß dem Nachbarn eine Grundwasser18 Schulte

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§ 10. Zuordnung der Gewässer und nachbarrechtliche Kollisionen

nutzung bewilligt wird, die zu seinen, des Grundeigentümers, Lasten neue Schutzpflichten entstehen läßt? Die vorliegende Untersuchung drängt zur Lösung dieser Frage zwei Überlegungen auf: Erstens darf es keine Rolle spielen, daß i n derartigen Fällen nicht von einem „Eingriff" i n das Eigentum des m i t neuen Schutzpflichten belasteten Grundeigentümers gesprochen werden kann. Solche Eingriffsvorstellungen sind insofern willkürlich, als sie von den i m gesamten Nachbarrecht durchgehend nachzuweisenden wirtschaftlichen Überlegungen absehen. Daher erscheint es zweitens als sachgerecht, auch hier mit dem Gedanken der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung zu argumentieren. Das führt dahin, daß dem von neuen Schutzpflichten bedrohten Grundeigentümer eine Rechtsposition einzuräumen ist, deren Vernichtung entweder zu unterbleiben hat, wenn sie wertvoller als die geschützte Nutzung ist oder die andernfalls privatrechtlich oder enteignungsrechtlich entschädigt werden muß.

§ 11. Bergrecht und öffentliches Interesse I. Die Zuordnung der Bodenschätze und die Kollisionen der zugeordneten Positionen Die Gewinnung von Bodenschätzen schafft Probleme, die m i t den Mitteln des allgemeinen Bodenrechts nicht zu lösen sind. Die Eigenarten bergmännischer Tätigkeit verlangen spezielle Regelungen. W i l l man also eine wirtschaftliche Gewinnung der Bodenschätze ermöglichen, so muß man das Recht zur Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen vom Grundeigentum trennen und das Gewinnungsrecht für größere Teile von Lagerstätten einem einzigen Bergwerksunternehmer zuteilen. Dieser Weg ist i n Deutschland bezüglich der wichtigsten Bodenschätze seit jeher beschritten worden, sei es mittels des Bergregals, sei es m i t tels der Bergbaufreiheit. Daher sind heute — m i t verwirrenden landesrechtlichen Unterschieden — die volkswirtschaftlich bedeutsamen Bodenschätze fast überall nicht Gegenstand des Grundeigentums; A r t . 67 Abs. 1 EGBGB bewirkt, daß § 905 BGB für sie nicht gilt. Das ist eine „gegenständliche Aufspaltung" der Zuordnung. Die Bodenschätze und das Recht auf ihre Gewinnung sind zunächst niemandem zugeordnet. Sie werden erst durch die Verleihung zugeordnet. Die Eigenarten einer solchen Zuordnung sind oben auch schon unter Berücksichtigung des Bergrechts besprochen 1. Die Verselbständigung des Abbaurechts führt — wie i m Wasserrecht — zu tatsächlichen und damit auch rechtlichen Eigenarten: Es müssen Regeln für das Verhältnis zwischen Grundeigentum und dem nach Bodenschätzen Suchenden, dem Schürfer, geschaffen werden. Es muß Vorschriften darüber geben, ob und inwieweit der Grundeigentümer dem Abbauberechtigten gestatten muß, Ubertageanlagen zu errichten; es müssen die Probleme des Bergschadens geregelt werden. Weitere regelungsbedürftige Kollisionen entstehen zwischen den einzelnen Abbauberechtigungen, insbesondere durch Bergschäden am Bergwerk. Es fällt auf, daß diese Kollisionen — m i t Ausnahme der Kollision zwischen Schürfer und Grundeigentümer — eine wesentliche Ähnlichkeit m i t den nachbarlichen Kollisionen i m Grundstücksrecht haben: 1 I n § 10 I I . Auch an anderen Stellen des obigen wasserrechtlichen § 10 sind bereits bergrechtliche Erörterungen eingeflochten, vgl. S. 251, 253 f., 259, 261 f.; ferner z. B. S. 24 f., 33 f., 94, 97, 99 ff.

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§11. Bergrecht und öffentliches Interesse

Hier wie dort handelt es sich um „notwendige Kollisionen" 2 : Bergmännische Tätigkeit kann ebensowenig ohne Beeinträchtigung des Grundeigentums ausgeübt werden wie sinnvolle Grundstücksnutzung ohne Beeinträchtigung des Nachbarn. Das Gebot ökonomisch sinnvoller Raumnutzung führt dazu, daß der Grundeigentümer bergmännische Tätigkeit auch dann nicht verbieten können darf, wenn sie ihn schädigt, ebenso wie der Grundeigentümer notwendige nachbarliche Einwirkungen nicht abwehren darf, wenn ökonomisch sinnvolle Nutzung der Oberfläche möglich sein soll. Die Gewinnung von Bodenschätzen ist volkswirtschaftlich erwünscht. Sie ist daher oft die wertvollere Raumnutzung gegenüber der Nutzung der Oberfläche, so daß dem Bergbau ein gewisser Vorrang eingeräumt werden und das Grundeigentum sich m i t einer Entschädigung zufriedengeben muß. Die Parallelen zum Grundstücks-Nachbarrecht sind also unübersehbar deutlich. Es handelt sich nicht nur u m zufällige Parallelen, vielmehr liegt eine Identität der wesentlichen Grundgedanken beider Rechtsgebiete vor: Lösung einer notwendigen Kollision unter dem Gesichtspunkt der ökonomisch sinnvollen Raumnutzung. Kurz gesagt: Auch beim Verhältnis zwischen Gewinnungsberechtigten und zum Grundeigentum geht es u m Nachbarrecht. Natürlich kann man sagen, Nachbarrecht sei nur die Kollisionsregelung zwischen Grundeigentumsrechten. Solche Behauptungen kann man nicht widerlegen; sie sind rein terminologisch, letztlich also W i l l k ü r wie jede Namensgebung. Wenn aber Begriffe mehr sein sollen als Willkür, dann muß man sie sachgerecht fassen; nur dann sind sie für wissenschaftliche Erörterungen brauchbar. Das Wesen nachbarrechtlicher Regelungen i m BGB ist die Lösung einer Raumkollision zum Zwecke einer ökonomisch sinnvollen Nutzung des Raumes. Genau dies trifft auch auf die Regelung des Verhältnisses Bergwerkseigentümer — Grundeigentümer zu. Deshalb ist es W i l l k ü r , nur die §§ 906 ff. BGB als Nachbarrecht zu bezeichnen. Sinnvoll ist allein, auch die Vorschriften des Bergrechts über das Verhältnis Grundeigentum — Bergwerkseigentum so zu bezeichnen3.

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Vgl. zu diesem Begriff schon o., § 2 1 1 . Ä h n l i c h Westermann , Z f B 106, 131 f.; andeutungsweise auch bei H . W . Schulte , Z f B 106, 173 f. Schon das RG, vgl. Z f B 78, 448 (457), hat gesagt, daß zwischen Grundeigentum u n d dem darunter umgehenden Bergbau ein „nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis" bestehe (zustimmend Boldt , Glückauf 1939, S. 920 ff. u n d Z f B 79, 339 ff.). Der B G H hat sogar davon gesprochen, daß zwischen dem Eigentümer einer i n einem Straßenkörper verlegten V e r sorgungsleitung u n d dem Eigentümer dieses Straßenkörpers „durch das räumlich enge Nebeneinander ... ein dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis vergleichbarer Zustand herbeigeführt" worden sei, vgl. B G H N J W 1962, 1817 (1818). 3

II. „Subsidiäre Staatshaftung für Bergschäden"?

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I n Anbetracht der wesentlichen Ähnlichkeit überrascht es nicht, wenn i n der bergrechtlichen Diskussion oft der typische Fehler auftaucht, daß man abstraktes und konkretes öffentliches Interesse nicht auseinanderhält. Das abstrakte öffentliche Interesse am Bergbau, also das volkswirtschaftliche Interesse an der Gewinnung von Bodenschätzen, w i r d mißverstanden als ein Interesse, das einen Einzeleingriff rechtfertigen kann 4 . Bezeichnenderweise taucht dieser I r r t u m überall dort auf, wo (berg-)behördliche Entscheidungen bei den Kollisionsregelungen eine Holle spielen. A u f der Grundlage der bisherigen Ausführungen fällt es nicht schwer, nun auch i m Bergrecht die Dinge bei ihrem — weitgehend — nachbarrechtlichen Namen zu nennen. Es w i r d sich wiederum zeigen, daß diese Betrachtungsweise der — auch hier heute vorherrschenden — enteignungsrechtlichen insofern überlegen ist, als sie zu sachgerechteren und dogmatisch nicht widersprüchlichen Ergebnissen führt. I I . „Subsidiäre Staatshaftung für Bergschäden"? 1. Wie die wasserrechtlichen Berechtigungen, so sind auch die bergrechtlichen Berechtigungen keine „ewigen" Rechte. Sie werden wie diese von der positiven Rechtsordnung nicht — wie das Grundeigentum zumindest i n groben Zügen — „vorgefunden"; es handelt sich nicht u m „originär private", sondern u m „originär öffentliche" 5 Rechte. Sie werden dem Rechtsträger durch besonderen hoheitlichen A k t zugeordnet. I m Wasserrecht war gezeigt worden, daß dies nichts daran ändert, daß die Kollisionen der so entstandenen Berechtigungen untereinander oder mit Grundeigentum i m K e r n als privates Nachbarrecht angesehen werden können 8 . Nichts anderes gilt i m Bergrecht: Wenn die Zuordnung auch öffentlich-rechtlich vorgenommen wird, so bleibt sie doch eine Zuordnung an private Rechtsträger. Die zugeordneten Positionen kollidieren notwendig miteinander und m i t dem Grundeigentum, also typisch nachbarrechtlich. Besonders i m Bergrecht hat hier aber eine Frage zu einer gerade heute aktuellen Diskussion geführt, nämlich die, ob nicht zumindest der öffentlich-rechtliche A k t der Verleihung der Abbauberechtigung gegenüber dem Grundeigentum ein hoheitlicher Eingriff ist. Diese Frage w i r d dort akut, wo ein durch Bergschäden beeinträchtigter Grundeigentümer seinen Ersatzanspruch aus § 148 A B G deshalb nicht mehr geltend 4 5 6

E i n Beispiel aus dem Bergrecht dafür bereits o., § 4 V I 2. Z u diesen T e r m i n i vgl. o., § 10 I I 2. Z u m Wasserrecht vgl. diesbezügl. o., § 10 V.

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§11. Bergrecht und öffentliches Interesse

machen kann, weil der Bergwerkseigentümer infolge Aufgabe des Bergwerkseigentums nicht mehr existiert oder weil er vermögenslos ist. Dann, so meinen einige Autoren 7 , könne der geschädigte Grundeigentümer subsidiär auf den verleihenden Staat zurückgreifen. Die m i t der Verleihung des Bergwerkseigentums verbundene Entziehung des A b wehranspruchs des Grundeigentümers stelle einen „nicht geringen Eingriff" i n das Grundeigentum dar, der nicht etwa m i t dem Verleihungsakt abgeschlossen sei, sich vielmehr erst i n den späteren Bergschadensfolgen v o l l verwirkliche. Da dies ein i m öffentlichen Interesse an der Gewinnung von Bodenschätzen abverlangtes Sonderopfer sei, müsse der Staat den Grundeigentümer notfalls nach enteignungsrechtlichen Grundsätzen entschädigen 8 . 2. Es ist jedoch unrichtig, i n der Verleihung des Bergwerkseigentums eine Enteignung gegenüber dem Grundeigentümer zu sehen. Diese Einordnung beruht auf einem typischen, hier i n anderen Zusammenhängen schon mehrfach besprochenen Fehler, nämlich auf der unzulässigen Gleichsetzung allgemeiner gesetzgeberischer Erwägungen m i t dem öffentlichen Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne. Dadurch, daß die Gewinnung von Bodenschätzen i m öffentlichen Interesse liegt, können weder die bergmännische Tätigkeit noch die Verleihung des Bergwerkseigentums zu einer Enteignung werden. Die Verleihung des Bergwerkseigentums ist eine Entscheidung, bei der die Prüfung des öffentlichen Interesses nicht die geringste Rolle spielt. Nach § 22 A B G ist vielmehr das Oberbergamt verpflichtet, dem fündig gewordenen Muter das Bergwerkseigentum zu verleihen 9 ; und fündig werden kann jeder, da gem. § 3 Abs. 1 A B G jedermann schürfen darf 10 . Danach bestände also, wenn man die Verleihung von Bergwerkseigentum als Enteignung ge7 Vgl. P. Heinemann, N J W 1967, 1306; Nordalm, DVB1 1965, 70; Stossberg, Z f B 106, 194 (197); ders., D W W 1965, 185, 276; Turner, Berechtsamswesen, S. 290. Ablehnend Ebel-Weiler, § 160 A n m . 3; Wolfg. Schulte, S. 109 ff. Turner v e r t r i t t i n N J W 1968, 85 ff. eine vermittelnde Ansicht. 8 So insbesondere P. Heinemann, a.a.O., der allerdings schon terminologisch unrichtig v o n „enteignungsgleichem" Eingriff spricht. — Die Formulierung, die Verleihung des Bergwerkseigentums sei gegenüber dem Grundeigentum wegen der Entziehung des Abwehranspruchs „ein nicht geringer Eingriff", stammt v o m B G H (BGHZ27, 149, 155), der dies aber i n einem anderen Z u sammenhang äußerte. Z u allem jetzt B G H N J W 1970, 747. 9 Heute gilt zwar weitgehend etwas anderes, da insbes. bei Steinkohlen nicht mehr frei geschürft u n d gemutet werden kann, vielmehr gilt „unechter Staatsvorbehalt", wonach das Bergwerkseigentum n u r an den Staat verliehen werden kann. Das hat i m vorliegenden Zusammenhang aber noch keine Bedeutung: Die Steinkohlenfelder, durch deren A b b a u die vorliegend behandelten Probleme entstehen, sind sämtlich noch vor E i n f ü h r u n g des unechten Staatsvorbehalts f ü r Steinkohle (im Jahre 1907) verliehen worden. 10 M i t den — vorliegend unerheblichen — Einschränkungen des §4, der das Schürfen auf öffentlichen Plätzen, i m Umkreis v o n Gebäuden u n d aus besonderen Gründen des öffentlichen Interesses verbietet.

II. „Subsidiäre Staatshaftung für Bergschäden"?

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genüber dem Grundeigentum ansieht, ein Anspruch Privater darauf, daß die Bergbehörde eine Enteignung ausspricht, eine Enteignung zudem, bei der das Vorliegen von öffentlichem Interesse i m konkreten, enteignungsrechtlichen Sinne nicht zu prüfen wäre 1 1 . Daß man — vielleicht — allgemein sagen kann, die Förderung von Bodenschätzen sei volkswirtschaftlich wertvoll, diene also dem Gemeinwohl, ist dafür kein Ersatz, denn dies kann nicht jede beliebige bergbauliche Tätigkeit i m voraus zu einer enteignungsrechtlich zulässigen Maßnahme machen. Das beweist allerdings noch nicht, daß die Verleihung keine Enteignung ist. Bewiesen ist vielmehr nur, daß das Gesetz für die Verleihung kein enteignungsrechtliches öffentliches Interesse vorgesehen hat. Es könnte also sein, daß die Verleihung zwar materiell Enteignung ist, aber die Vorschriften des A B G insoweit nichtig sind, da sie die Zulässigkeit des Enteignungsaktes entgegen A r t . 14 Abs. 3, S. 1 GG nicht vom Vorliegen konkreten öffentlichen Interesses abhängig machen. Oder es könnte sein, daß das A B G verfassungskonform so anzuwenden wäre, daß Verleihungen nur bei Vorliegen konkreter öffentlicher Interessen zulässig sind. Diese Konsequenz wäre allerdings absurd. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die bisher erfolgten Verleihungen von Bergwerkseigentum rechtmäßig waren, daß die verliehenen Abbauberechtigungen rechtsgültig entstanden sind und so auch heute noch bestehen. Es sind zwar nicht diese unmöglichen Konsequenzen, auf die die Theorie von der subsidiären Bergschadenshaftung des Staates hinausw i l l . Sie müssen aber aufgezeigt werden, w e i l sie diese Theorie ad absurdum führen: Die Theorie von der subsidiären Bergschadenshaftung 11 Das übersehen die o., S. 278 Fn. 7, genannten Autoren sämtlich. Dieser Fehler ist, w i e bereits mehrfach deutlich geworden, typisch f ü r Ansichten, die jede vermögensrechtliche Behelligung des Bürgers, die irgendwie durch den Staat mitverursacht ist, gleich als Enteignung ansehen wollen, w i e er auch typisch ist f ü r die hier bekämpfte w e i t verbreitete Ansicht, daß alles, was Abstriche v o m totalen Eigentümerbelieben macht, gleich an dem Gegensatzpaar der Kategorien Inhaltsbestimmung—Enteignung gemessen werden muß. I n diesen zu engen Kategorien argumentiert z. B. Turner (Berechtsamswesen, 290): E r meint, w e n n nicht nach den berggesetzlichen Besonderheiten die Schädigung des Grundeigentums erlaubt wäre, so würde der Grundeigentümer Beeinträchtigungen n u r nach den Regeln des allgemeinen Nachbarrechts zu dulden brauchen. Wenn i h m n u n i m öffentlichen Interesse eine erweiterte Duldungspflicht auferlegt werde, so liege es nahe, i h n f ü r diese A u f opferung zu entschädigen. D a r i n stecken drei Fehler: 1. Auch das allgemeine Nachbarrecht kennt bereits Entschädigungstatbestände, so daß § 148 A B G insofern nichts Besonderes ist. 2. Es ist w i l l k ü r l i c h , die Rechte des Nachbarn gem. dem allgemeinen Nachbarrecht als N o r m a l f a l l anzusehen: Das A r g u ment entfiele sofort, w e n n etwa §§ 54, 148 A B G , als § 907 i m B G B ständen. 3. Das öffentliche Interesse ist, w i e mehrfach dargestellt, hier nichts Besonderes, vielmehr bei allen Normen anzutreffen, rechtfertigt hier f ü r sich allein also ebensowenig w i e sonst i m Nachbarrecht die Zuerkennung eines Entschädigungsanspruch gegen den Staat. — Ähnliche Gedanken w i e hier bislang n u r bei Bähr, A r t . 206 A n m . 9.

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§ 11. Bergrecht und öffentliches Interesse

des Staates, also der enteignungsrechtlichen Theorie der Verleihung des Bergwerkseigentums, müßte konsequenterweise heute das gesetzliche Schürf- und Mutungsrecht i m Bereich der Bergbaufreiheit wie auch den unechten und den echten Staatsvorbehalt auf eine enteignungsrechtliche Basis umstellen: Verleihung des Bergwerkseigentums an Private oder an den Staat wie auch Ausübung der dem Staat aufgrund echten Staatsvorbehalts zustehenden Abbauberechtigungen wäre nur möglich, wo ein konkretes, enteignungsrechtliches öffentliches Interesse bestehen würde. Das wäre i n den seltensten Fällen gegeben. A m Bergbau besteht nicht mehr und nicht weniger öffentliches Interesse als an Hüttenwerken, Maschinenfabriken und Textilbetrieben. Stahlerzeugung, Maschinenproduktion, Textilfertigung dienen dem Gemeinwohl nicht weniger als die Förderung von Bodenschätzen 12 . Trotzdem ist für sie dar u m noch keine Enteignung zulässig. Dann kann auch die volkswirtliche Bedeutung der Bodenschätze allein noch keine Enteignung zulässig machen, also gewiß nicht jede Verleihung von Bergwerkseigent u m und nicht jede Ausübung einer Abbauberechtigung. Schon diese Konsequenzen lassen es also als unmöglich erscheinen, daß die enteignungsrechtliche Auffassung der Verleihung des Bergwerkseigentums richtig ist. Die Verfassung kann nicht i n einer Weise konzipiert sein, die sinnvolle wirtschaftliche Tätigkeit weitgehend verhindert. 3. Der rechtsdogmatische I r r t u m der enteignungsrechtlichen Auffassung von der Verleihung des Bergwerkseigentums muß schon i n ihrem Ansatz gesucht werden. Dieser lautet: Die Verleihung von Bergwerkseigentum ist hoheitlicher Eingriff i n Grundeigentum, w e i l dem Grundeigentümer der Abwehranspruch aus § 1004 BGB genommen wird. Wie hier schon mehrfach gezeigt, ist nicht jeder Hoheitsakt, der zu nachteiligen Folgen für Private führt, als ein „Eingriff" anzusehen 13 . Die Zulassung von Immissionen durch die gewerberechtliche Anlagegenehmigung gem. § 16 GewO und die Erteilung eines nachbarrechtlichen Dispenses sind formale Voraussetzungen, die der Ausübung bestimmter privater Tätigkeiten vorgeschaltet worden sind. Damit werden diese hoheitlichen Akte nicht zu Enteignungen. Genauso läßt sich die Verleihung von Bergwerkseigentum einordnen. A m einfachsten macht man das an einigen Fällen deutlich: Als ersten Fall stelle man sich vor, die Steinkohle gehörte zu den Grundeigentümermineralien und das Gesetz würde bestimmen, daß die Nachbarn gegen schädigenden Abbau keine Abwehrmöglichkeit — je12 Einige Bemerkungen zur Enteignung zugunsten Privater auch o., 8 4 V 6 u n d V I 1. 13 Vgl. etwa o., 8 7.

II. „Subsidiäre Staatshaftung für Bergschäden"?

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doch einen Ersatzanspruch — hätten, kurz, es wären auf diesen Grundeigentümerbergbau die §§ 54, 148 A B G anzuwenden (wie es bei den der SylvesterVO unterliegenden Bodenschätzen auch der Fall ist 14 ). Dann gäbe es keinen hoheitlichen A k t , der die Abbautätigkeit erlaubte, und folglich gäbe es auch nicht den geringsten Ansatz für eine enteignungsrechtliche Betrachtungsweise (es sei denn, man sähe das Gesetz, das dem Grundeigentümer den Abbau ihm gehörender Mineralien gestattet, als Enteignung gegenüber den Nachbarn an). Als zweiten Fall stelle man sich vor, Abbau seitens des Grundeigentümers wäre nur zulässig, wenn zuvor eine behördliche Abbaugenehmigung eingeholt ist, also eine A r t gewerberechtlicher Genehmigung. Gegen den Abbau ohne solche Genehmigung aber bestehe ein Abwehranspruch der Nachbarn, sobald Schädigungen zu befürchten sind. Dann könnte man ebenso wie bei §§ 16, 26 GewO sagen, es sei diese behördliche Genehmigung, die dem Nachbarn den Abwehranspruch nehme. Aber daraus auf einen enteignungsrechtlichen Charakter der Genehmigung zu schließen, wäre hier ebenso unrichtig wie dort: Ob man ein „unmittelbares" Einwirkungsrecht gibt, oder ob man es vom Vorliegen einer behördlichen Genehmigung abhängig macht, ist eine Frage der Praktikabilität, nicht eine Frage der Rechtsnatur der Einwirkungsbefugnis. Wenn der Gesetzgeber meint, er müsse den Betrieb eines Gewerbes oder eines Bergwerkes davon abhängig machen, daß Belange der Betriebssicherheit, des Feuerschutzes, der Raumordnung oder auch Belange der Nachbarn gewahrt sind, so ist es eben praktisch, den Betrieb des Bergwerks und des Gewerbes so lange für rechtswidrig zu erklären, bis eine Behörde geprüft und m i t der Genehmigungsurkunde bestätigt hat, daß diese Belange gewahrt sind. Als dritter hypothetischer Fall wäre zu erörtern: Die volkswirtschaftlich bedeutsamen Bodenschätze gehören nicht zum Grundeigentum. Jedermann darf — auch gegen den Willen des Grundeigentümers — überall nach Bodenschätzen suchen („schürfen"). Der erste, der fündig wird, darf i n einem bestimmten Umkreis um den Fundort herum unterirdischen Abbau betreiben. Das wäre gewiß eine unpraktische Regelung. Es käme zu Prozessen zwischen Findern, die u m die Priorität streiten. Dem können nur ein geordnetes Verleihungsverfahren und die Bestimmung, daß erst nach Verleihung des Bergwerkseigentums Bergbau getrieben werden darf, steuern. Wenn somit auch aus praktischen Gründen nicht empfehlenswert, so hätte ein derartiger Rechtszustand aber jedenfalls nichts m i t Enteignung gegenüber dem Grundeigentum zu tun. Es wäre kein behördlicher A k t vorhanden, den man derart einordnen könnte. Es gäbe nur private Einwirkungsbefugnisse gegenüber Privaten, also reines Privatrecht. 14

Vgl. § 6 SylvVO.

11. Bergrecht und öffentliches Interesse

282

Das zeigt, warum i m vierten Fall, nämlich dem des geltenden Rechts, die Existenz des Verleihungsverfahrens und die Ausübung der Verleihungstätigkeit nicht Enteignung bedeuten können: Sie regulieren nur private Tätigkeit, die auch ohne behördliches Verfahren rein privatrechtlich zulässig wäre. 4. Hier könnte man nun allerdings noch einen letzten Zweifel anmelden und die Frage stellen, die i m Grunde erst auf den K e r n des Problems stößt: Ist es w i r k l i c h zulässig, daß das Gesetz so weitgehende Befugnisse zu privaten Eingriffen schafft? Oder ist schon die Grenze dahin überschritten, wo solche Eingriffe nur enteignungsrechtlich gestattet, d. h., vom Gesetz nur für den Fall konkreten, enteignungsrechtlichen öffentlichen Interesses zugelassen werden dürfen? Diese Frage ist allgemein bereits oben 15 für das gesamte Institut der privat-rechtlichen Aufopferung abgehandelt worden. Es handelt sich, wie gezeigt, nicht u m eine Frage des Enteignungsrechts, der Einzelrechtsgarantie des A r t . 14 Abs. 3 GG, sondern um eine Frage der Institutsgarantie beim Eigentum. Unter diesem Aspekt fällt es aber leicht, die Frage nach der Zulässigkeit der Schaffung und Verleihung von Bergwerkseigentum m i t allen seinen schädigenden Folgen für das Grundeigentum zu bejahen: Schon der allgemein anerkannte Satz, daß A r t . 14 GG das Eigentum i n seinem historisch überkommenen Umfang bestätigt und schützt, trägt dies: Die Bodenschätze haben praktisch seit unvordenklichen Zeiten nicht zum Grundeigentum gehört. Seit jeher also stand dem Grundeigentümer der Bergwerkseigentümer gegenüber, der abbauend und schädigend auf das Grundstück einwirken durfte, und vor allem: der das ohne Bindung an konkrete, enteignungsrechtliche öffentliche Interessen t u n durfte. Das Bergwerkseigentum und die Einwirkungsbefugnis des Bergwerkseigentümers sind alter Bestandteil des deutschen Bodenrechts. Dann kann dieses Rechtsinstitut nicht heute plötzlich die Institutsgarantie des A r t . 14 GG verletzen. Vielmehr hat das GG das Grundeigentum bereits i n diesem durch das Bergwerkseigentum begrenzten Umfang übernommen. Es hat nie einen Abwehranspruch des Grundeigentümers gegen bergbauliche Tätigkeit gegeben; dann kann er auch nicht durch A r t . 14 GG geschaffen worden sein und von Fall zu Fall durch die Verleihung von Bergwerkseigentum genommen werden; oder genauer gesagt: der Abwehranspruch des Grundeigentümers gegen bergbauliche Tätigkeit hat seit jeher nur unter dem Vorbehalt seines Wegfalls bei behördlicher Genehmigung des Bergbaus, also bei der Verleihung, existiert. Die enteignungsrechtliche Theorie der Verleihung des Bergwerkseigentums ist dadurch widerlegt. 15

8 5IV.

I I . „Subsidiäre Staatshaftung für Bergschäden"?

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5. N o c h n i c h t v o l l w i d e r l e g t ist d a m i t a l l e r d i n g s die T h e o r i e d e r s u b s i d i ä r e n B e r g s c h a d e n s h a f t u n g des Staates. D i e h i e r versuchte W i d e r l e g u n g der e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h e n T h e o r i e d e r V e r l e i h u n g des B e r g w e r k s e i g e n t u m s e r ö f f n e t n ä m l i c h eine neue M ö g l i c h k e i t , z u g u n s t e n dieser H a f t u n g z u a r g u m e n t i e r e n : N a c h d e n o b i g e n A u s f ü h r u n g e n z u m Entschädigungsanspruch bei privatrechtlicher A u f o p f e r u n g 1 8 erlaubt die I n s t i t u t s g a r a n t i e des A r t . 14 G G z w a r p r i v a t e E i n g r i f f s b e f u g n i s s e , aber dieser I n s t i t u t s g a r a n t i e ist n u r d o r t g e n ü g t , w o f ü r E i n g r i f f e v o n erheblichem U m f a n g Entschädigungsverbindlichkeiten begründet w e r den. So k ö n n t e m a n also v i e l l e i c h t a r g u m e n t i e r e n , d e r Gesetzgeber sei auch v e r p f l i c h t e t , diese Entschädigungsansprüche so z u gestalten, daß sie r e a l i s i e r t w e r d e n k ö n n e n , daß also d e r V e r p f l i c h t e t e i h n e n n i c h t e n t z o g e n w i r d , w e n n e r sein B e r g w e r k s e i g e n t u m a u f g i b t oder e r v e r mögenslos w i r d . Zunächst ist dazu zu sagen, daß eine m i t diesem Argument evtl. zu begründende subsidiäre H a f t u n g des Staates f ü r Bergschäden i n keinem F a l l so w e i t gehen kann, w i e das teilweise 1 7 befürwortet w i r d , sie nämlich i n allen Fällen anzunehmen, i n denen der Ersatzanspruch gegen den Bergwerkseigentümer nicht realisierbar ist, ohne Rücksicht darauf, w a r u m die Realisierung scheitert. Das wäre eine erstaunliche Annahme: Der Staat müßte subsidiär haften, w e n n ein Bergwerkseigentümer i n Konkurs fällt u n d die Bergschadensgläubiger leer — oder teilweise leer — ausgehen würden. Das gleiche müßte dann i n sämtlichen Fällen v o n H a f t u n g aus privatrechtlicher Aufopferung gelten, i n denen die Aufopferungspflicht formal erst aufgrund eines behördlichen Aktes entsteht, v o r allem also auch bei dem Ersatzanspruch aus § 26 GewO. M a n mag eine solche Regelung f ü r ein zukünftiges Berggesetz befürworten. Darüber ist hier nicht zu urteilen. Keinesfalls aber ist eine solche Regelung nach heutigem Verfassungsrecht geboten: Es existiert k e i n Satz des Inhalts, daß der Gesetzgeber den Einzelnen davor schützen muß, daß die Realisierung gesetzlicher Ersatzansprüche nicht an der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners scheitert. Weder der Gleichheitssatz noch die I n s t i t u t i o n des sozialen Rechtsstaates gebieten derartiges. Gewiß k o m m t es zu Ungleichheiten u n d „unsozialen" Härten, w e n n der eine Grundeigentümer seinen E r satzanspruch realisieren kann, der andere nicht. Gleichheitssatz u n d sozialer Rechtsstaat bedeuten aber nicht, daß der Gesetzgeber die Rechtsordnung so zu gestalten hätte, daß derartige Ungleichheiten nicht vorkommen können, d. h., f ü r alle derartigen Fälle eine subsidiäre Staatshaftung einzuführen. Der soziale Rechtsstaat ist nicht i n dieser Weise „total". Nicht jede u n gleiche Härte, zu der gesetzliche Regelungen führen können, muß vermieden werden. Allenfalls mag m a n sagen, daß dort, w o bessere, zu weniger Ungleichheit führende Regelungen möglich sind, der Gesetzgeber diese Regelung treffen muß. A b e r gegen Zahlungsunfähigkeit v o n Schuldnern h i l f t keine gesetzliche Regelung. Deshalb f ü r solche Fälle eine subsidiäre Staats16 17

Vgl. o., § 5 I V . P. Heinemann. N J W 1967, 1306.

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11. Bergrecht und öffentliches Interesse

haftung einzuführen, besteht k e i n Anlaß, auch nicht i n Fällen gesetzlicher Schadenshaftung u n d auch dort nicht, w o Schadenszufügung durch Private rechtlich sanktioniert ist. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, dem I n d i v i d u u m jegliches Risiko abzunehmen.

Es ist ferner folgendes zu bedenken: Die Pflicht des Gesetzgebers, für Bergschäden einen Ersatzanspruch vorzusehen, ist, wie gezeigt, nicht aus enteignungsrechtlichen Grundsätzen abzuleiten, sondern aus der Institutsgarantie des A r t . 14 GG. Dieser Entschädigungsanspruch muß gegeben sein, w e i l anders die Position des Grundeigentümers kaum noch als Eigentum i m Sinne des GG angesprochen werden könnte. Privateigentum, das von Privaten ersatzlos wesentlich geschädigt werden kann, ist kein Eigentum mehr. Es liegt aber auf der Hand, daß dieses Argument aus der Institutsgarantie des Eigentums nichts hergibt für einen allgemeinen Satz des Inhalts, wonach bei nicht gegebener Realisierbarkeit des Anspruchs der Staat subsidiär haften würde. Es kann keine Rede davon sein, daß es gegen die Institutsgarantie des Eigentums verstoße, wenn das Gesetz Fälle ermöglicht, i n denen der Grundeigentümer etwa infolge Konkurses des Bergwerkseigentümers leer ausgeht. Diese i n seltenen Fällen immer mögliche Folge beeinträchtigt nicht das Eigentum als Institut. Der Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung des Eigentums als Institut eben freier als bei der Regelung von Enteignungsfällen. Z u erinnern ist i n diesem Zusammenhang ferner an die Rechtsprechung des BVerfG, wonach es keine übergesetzliche 18 Norm gibt, nach der es dem Gesetzgeber schlechthin verwehrt wäre, eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende Enteignung auch ohne Entschädigung anzuordnen oder zuzulassen 19 . Damit ist gemeint, daß heute eine Enteignung nur deswegen zur Entschädigung verpflichtet, weil A r t . 14 Abs. 3 GG dies ausdrücklich anordnet, daß aber etwa die Regelung des A r t . 153 WRV, der entschädigungslose Enteignung zuließ, nicht wegen Verstoßes gegen eine höhere, naturrechtliche Norm nichtig war. Zugleich ist damit gesagt, daß i n Fällen, die nicht Enteignung sind, eine Pflicht des Gesetzgebers, Entschädigungsansprüche zu statuieren, nicht ohne weiteres gegeben ist. Man mag an der Richtigkeit dieser Rechtsprechung des BVerfG i m Hinblick auf die Institutsgarantie des Eigentums zweifeln, immerhin zeigt sich hier jedoch eine wichtige Tendenz, die bestätigt, daß es unrichtig ist, aus Gleichheitssatz und Sozialstaatsgebot m i t leichter Hand die Pflicht zu Entschädigungsregelungen — oder eine subsidiäre Staatshaftung — abzuleiten. Man könnte zu vertreten versuchen, daß danach zu differenzieren sei, ob es sich u m Bergbau nach § 1 A B G handelt oder u m Bergbau auf18 19

Gemeint ist: überverfassungsgesetzliche Norm. BVerfGE 15, 144; 2, 253.

III. Die Kollision zwischen Schürfer und Grundeigentümer

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grund des unechten oder des echten Staatsvorbehalts. Man könnte meinen, daß zwar beim Bergbau gem. § 1 A B G eine solche Staatshaftung nicht i n Betracht komme, wohl aber beim Bergbau aufgrund Staatsvorbehalts 20 , da bei diesem der Staat i m allgemeinen durch Förderzinse wirtschaftlich interessiert ist, an der Ausbeute direkt (und nicht etwa nur über Steuern) partizipiert 2 1 . So sehr man besonders hier eine subsidiäre Staatshaftung i n einem zukünftigen Berggesetz begrüßen könnte, so wenig sind doch Gründe ersichtlich, aus denen eine solche Haftung schon jetzt allein wegen des unmittelbaren finanziellen Interesses des Staates verfassungsrechtlich geboten sein sollte, wenn dies beim Bergbau gem. § 1 A B G nicht der Fall ist. Anders gesagt: Es ist nicht ersichtlich, wie ausgerechnet das finanzielle Interesse des Staates an dem unter Staatsvorbehalt ausgeübten Bergbau das verfassungsrechtlich entscheidende K r i t e r i u m sein könnte. Das durch die Einführung des Staatsvorbehalts geschaffene Lenkungsmonopol des Staates 22 macht den Bergbau i m Verhältnis zum Grundeigentum nicht zu einer materiell anderen Rechtsausübung. Die Wirtschaftslenkung dieser A r t ist nur dazu bestimmt, Einfluß zu nehmen auf die Auswahl der bergbautreibenden Personen. Für das Grundeigentum ist diese Lenkung ohne Bedeutung. Das gilt auch dann, wenn der Staat unter Mißachtung der Funktion des Staatsvorbehalts diesen einem Finanzmonopol annähert und sich Förderzinse usw. versprechen läßt. Das ist i m Verhältnis zum Grundeigentum unerheblich und berührt nur die Interessen des A b bauberechtigten.

I I I . Die Kollision zwischen Schürfer und Grundeigentümer Nach § 3 A B G ist das Aufsuchen der i n § 1 A B G genannten Bodenschätze i n ihren Lagerstätten, das „Schürfen", jedermann gestattet. Gem. § 5 Abs. 1 A B G bedarf der Schürfer dazu zwar der Erlaubnis des Grundeigentümers. Aber gemäß § 5 Abs. 2 A B G muß sie erteilt werden. Dieser Fall ist ein gutes Demonstrationsobjekt für die i n der vorliegenden Untersuchung vertretenen Theorien: 20 Sofern der Staat den Bergbau nicht selbst betreibt, t r i f f t nach den einschlägigen Gesetzen die Bergschadenshaftung allein den, dem das G e w i n nungsrecht übertragen ist, sei es gemäß § 38 c A B G (vgl. insbes. Abs. 2 dieser Bestimmung) oder, w i e auch üblich, durch Übertragung des Bergwerkseigentums oder — bei echtem Staatsvorbehalt — infolge der Bestimmungen der §§ 2 I Nr. 6 Erdölges., 3 Nr. 6 Phosphoritges. 21 Praktische Bedeutung hätte diese Überlegung z. Z. nicht, da dort, w o die Fragen heute akut sind, nämlich beim Steinkohlenbergbau, zwar seit 1907 unechter Staatsvorbehalt besteht, die heute ausgebeuteten Felder aber sämtlich schon vorher verliehen sind. 22 Diese Einordnung folgt Badura, Das Verwaltungsmonopol, B e r l i n 1963, S. 109 f., 129 ff., 146 ff.

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§11. Bergrecht und öffentliches Interesse

Das Gesetz hat das Schürfrecht als ein rein privatrechtliches Verhältnis zwischen Schürfer und Grundeigentümer konstruiert. Die Behörde hat damit, wenn der Grundeigentümer die Genehmigung erteilt, nichts zu tun. Eine behördliche Genehmigung zum Schürfen ist nicht erforderlich. Es handelt sich also deutlich um einen Fall der privatrechtlichen Aufopferung: Der Grundeigentümer muß die Einwirkungen des Schürfers — gegen Entschädigung, vgl. § 6 A B G — dulden. Der Schürfer darf auf fremdes Eigentum einwirken 2 3 . Da es sich nicht u m eine nachbarrechtliche und auch nicht u m eine notstandsrechtliche Kollision handelt, liegt ein „sonstiger" Fall vor 2 4 . Eine solche Rechtsausübung kann nicht Enteignung sein, da kein hoheitlicher A k t vorliegt, den man derart qualifizieren könnte. Die verfassungsrechtliche Beurteilung des Falles kann daher auch hier nicht bei der Einzelrechtsgarantie ansetzen, sondern nur bei der Institutsgarantie des A r t . 14 GG. Dabei kann kein Zweifel daran bestehen, daß das Schürfrecht dieser Garantie nicht widerspricht. Das läßt sich hier schon aus dem Satz rechtfertigen, daß das GG das Eigentum nur i n seinem historisch überkommenen Gehalt schützt. Das Schürfrecht hat es seit jeher gegeben. Darüber hinaus wäre aber auch von der Institutsgarantie her gesehen nichts dagegen einzuwenden, wenn etwa das Schürfrecht heute erst neu eingeführt würde. Die Aufsuchung von Bodenschätzen ist als Voraussetzung ihrer Gewinnung wie diese selbst von solch grundlegender Bedeutung, daß das Institut des Eigentums nicht so ausgestaltet sein kann, daß es diesen elementaren Bedürfnissen der Wirtschaft und damit der Allgemeinheit hindernd gegenüberstehen könnte. Das Schürfrecht durfte und darf daher als privatrechtliche Aufopferung konstruiert werden. Eine enteignungsrechtliche Konstruktion wäre demgegenüber gänzlich unangebracht gewesen. E i n konkretes öffentliches Interesse i m enteignungsrechtlichen Sinne, das dann erforderlich wäre, würde nur i n den seltensten Fällen nachzuweisen sein. U m eine enteignungsrechtliche Konstruktion des Schürfrechts überhaupt praktikabel handhaben zu können, müßte man also wieder den Fehler machen, allgemeines öffentliches Interesse (an der Gewinnung von Bodenschätzen) für eine Enteignung genügen zu lassen. Es ergeben sich hieraus einige Konsequenzen, die bei einer eventuellen Reform des Bergrechts zu beachten wären: 23 Die Entscheidung des Oberbergamtes i m evtl. Streit zwischen Schürfer u n d Grundeigentümer, § 8 A B G , hat demgegenüber keine materielle Bedeutung. § 8 Abs. 2 A B G bringt das dadurch zum Ausdruck, daß das Oberbergamt die Ermächtigung zum Schürfen n u r dann versagen darf, w e n n die V o r aussetzungen der gesetzlichen Schürfverbote des § 4 A B G vorliegen. 24 Andere „sonstige" Fälle o. i n § 2 I V .

IV. Bergschaden und bergrechtliche Grundabtretung

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Vermutlich würde man dazu neigen, eine behördliche Schürfgenehmigung einzuführen m i t der Wirkung, daß der Grundeigentümer das Schürfen bis zur Erteilung dieser Genehmigung verbieten könnte. Die dann vermutlich auftauchenden enteignungsrechtlichen Diskussionen können aufgrund der vorliegend erarbeiteten Ergebnisse bereits i m voraus geklärt werden: Auch die Einführung eines behördlichen Genehmigungsverfahrens könnte das Schürfen nicht zur Enteignung machen. I n der Genehmigung wäre keine Enteignung zu erblicken, auch wenn sie bei rein formaler Betrachtung ein hoheitlicher A k t ist, der dem Grundeigentümer Abwehrrechte aus § 1004 BGB „entzieht". Denn das behördliche Genehmigungsverfahren wäre nichts anderes als eine Vorprüfung der Zulässigkeit privater Rechtsausübung, ganz wie bei § 26 GewO 2 5 und i n den übrigen hier besprochenen Fällen. IV. Bergschaden und bergrechtliche Grundabtretung 1. Bislang war von bergrechtlichen Fällen der privatrechtlichen A u f opferung die Rede, die keinen nachbarrechtlichen Charakter tragen. Bezeichnenderweise handelte es sich dabei u m Vorgänge vor oder bei Entstehung des Bergwerkseigentums. Hier kann noch kein Nachbarrecht vorliegen, w e i l keine „notwendige Kollision" i m nachbarrechtlichen Sinne entstehen kann; es besteht zwischen Schürfer und Grundeigentümer und zwischen Muter und Grundeigentümer noch keine Nachbarlage. Nach Entstehung des Bergwerkseigentums dagegen kommt es zu der typischen notwendigen Kollision zwischen Raumnutzungen und damit zu den typischen Einwirkungsrechten i m Interesse einer ökonomisch sinnvollen Raumnutzung: Der Bergbau braucht an der Oberfläche einen Zugang zu den Bodenschätzen, also Platz für die Anlage der oberirdischen Förderanlagen, für die sonstigen notwendig ortsgebundenen Betriebsgebäude und -anlagen. Er benötigt also gegenüber dem Grundeigentümer ein notwegartiges Recht. Dieses w i r d ihm m i t dem Grundabtretungsrecht der §§ 135 ff. A B G zuerkannt. Da unterirdischer Abbau notwendig zu Senkungen der Oberfläche führt und damit zu Schäden an der Oberfläche, benötigt der Bergbau die Befugnis, diese Schäden anrichten zu dürfen. Daher statuieren §§ 54, 148 A B G eine Duldungspflicht des Grundeigentümers und eine damit korrespondierende Entschädigungspflicht des Bergwerkseigentümers. 2. Daß Bergschadensverursachung nichts m i t Enteignung zu t u n haben kann, liegt auf der Hand. Es handelt sich u m ein privates Einwirkungsrecht. Die Befugnis des Gesetzgebers, dieses Recht zu schaffen, « Vgl. o., § 7.

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§11. Bergrecht und öffentliches Interesse

ergibt sich — wie bei allen nachbarrechtlichen Einwirkungen — aus dem Gebot ökonomisch sinnvoller Raumnutzung. Das ist unproblematisch. Schwieriger ist folgende Frage: Eine heute wohl noch herrschende Meinung behauptet, es handle sich bei der Bergschadenshaftung um Gefährdungshaftung 26 . Nur wenige Autoren benutzen Formulierungen, die erkennen lassen, daß sie dieser Qualifizierung nicht folgen wollen. Sie können jedoch keine klare dogmatische Alternative aufzeigen 27 . Die vorliegend erarbeiteten Grundlagen zeigen eine solche Alternative, nämlich die Einordnung der Bergschadenshaftung als Fall privatrechtlicher A u f Opferung 28. Nach der oben 29 erwähnten Michaelis'sehen Formel ist zu fragen, ob der Handelnde auch handeln darf, wenn der damit verursachte Schaden konkret vorauszusehen ist. Wendet man diese Formel beim Bergschaden an, so zeigt sich, daß privatrechtliche Aufopferung vorliegt: Es darf auch abgebaut werden, wenn genau vorhersehbar ist, daß bestimmte Bodenbewegungen mit bestimmten schädigenden Folgen für bestimmte Gebäude eintreten werden. 3. Ebenso wie bei der Bergschädenhaftung bietet das Institut der privatrechtlichen Aufopferung eine Alternative zu den bisherigen Diskussionsergebnissen bei der Frage der Rechtsnatur der bergrechtlichen Grundabtretung. Bei der Bergschadenshaftung war es die zu enge A l ternative zwischen Verschuldenshaftung und Gefährdungshaftung, die die Diskussion behinderte. Bei der bergrechtlichen Grundabtretung dagegen ist es das Gegensatzpaar Sozialbindung und Enteignung, das allein i m Blickfeld steht. Bei diesem Gegensatzpaar geht es aber allein u m die Qualifizierung hoheitlicher Eingriffe i n Eigentum. Sieht man nur diesen Gegensatz, ist es selbstverständlich, daß man die Grundabtretung als Enteignung qualifizieren muß. Das t u t denn auch die heute völlig vorherrschend gewordene Meinung 3 0 . Nach allem hier Gesagten ist es aber voreilig, die Grundabtretung i n das Feld dieser Abgrenzungsproblematik zu stellen. Vielmehr muß logisch vorrangig gefragt werden, ob überhaupt ein hoheitlicher Eingriff i n Eigentum vorliegt. Gewiß ist der Grundabtretungsbeschluß der 26

Vgl. die Nachweise i n Z f B 107, 188 Fn. 2—4. Z f B 107, 119 Fn. 13. Der Verfasser hat diese Einordnung bereits i n Z f B 107, 188 ff., vorgenommen u n d begründet. Die Darstellung faßt sich hier daher kurz. Der M e i n u n g des Verf. haben sich inzwischen P. Heinemann, N J W 1967, 1306, u n d Wolfg. Schulte, S. 117, angeschlossen; ferner Bähr, A r t . 206 A n m . 8 a. 29 Vgl. § 5 V. 30 Vgl. die Nachweise i n dem Aufsatz des Verf. i n Z f B 106, 161 ff. Fn. 1—9. Auch alle späteren Veröffentlichungen zu diesem Thema sprechen sich f ü r den enteignungsrechtlichen Charakter der Grundabtretung aus, vgl. Gerecht, Z f B 107, 264ff.; Nordalm, N J W 1965, 2098; R. Schneider, V e r w A r c h 1967, 330; Turner, Berechtsamswesen, S. 140ff.; P. Heinemann, N J W 1967, 1306; u n k l a r Bähr, A r t . 178 A n m . 1. 27

28

IV. Bergschaden und bergrechtliche Grundabtretung

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Behörde ein Hoheitsakt. Aber es ist hier schon vielfach gezeigt, daß dies nur eine vordergründige Betrachtungsweise ist, die zu formal und schematisch den entscheidenden materiellen Hintergrund eines Instituts außer Acht läßt. Die dabei übersehene Alternative ist wiederum die der privatrechtlichen Aufopferung. Die Einordnung der Grundabtretung als privatrechtliche Aufopferung liegt sogar besonders nahe, denn die Grundabtretung ist ein Institut, das eine notwendige Kollision i m Interesse ökonomisch sinnvoller Raumnutzung regelt. Es liegt dieselbe Situation vor wie beim Notwegrecht des § 917 BGB. Auch folgender Grund spricht dafür, die Grundabtretung als privatrechtliche Aufopferung einzuordnen: Wenn die Befugnis, das Grundeigentum durch Bergschäden zu beeinträchtigen, ein Fall von privatrechtlicher Aufopferung ist, wäre es inkonsequent, die Grundabtretung anders aufzufassen. Denn der Unterschied zwischen Bergschäden und Grundabtretung liegt allein darin, daß die Einwirkung auf die Erdoberfläche i m einen Fall ohne Zustimmung des Grundeigentümers zulässig ist, i m anderen nur m i t dieser Zustimmung. Da die Zustimmung des Grundeigentümers bei der Grundabtretung aber vom Bergwerkseigentümer erzwungen werden kann, darf man i m Zustimmungserfordernis nur eine verfahrensmäßige, formal-rechtliche Besonderheit sehen, nicht aber einen grundsätzlichen, materiellen Unterschied. Aus diesem Grunde ist der Gesetzgeber befugt, das — ohne Zweifel ungewöhnlich weitgehende — Eingriffsrecht auf Grundabtretung privatrechtlich zu gestalten. Der Gesetzgeber hat i n diesem Institut zwar allem Anschein nach selbst eine Enteignung gesehen. Darauf deuten manche Einzelheiten des Grundabtretungsverfahrens hin. Der typische Fehler ist dann der, daß die herrschende Meinung, die Enteignung annimmt, das öffentliche Interesse wiederum m i t allgemeinen Erwägungen (wie der volkswirtschaftlichen Bedeutung des Bergbaus) zu rechtfertigen versucht 31 . Die hier vertretene Ansicht vermeidet diesen Fehler und läßt die Grundabtretung ohne Berufung auf öffentliches Interesse immer schon dann zu, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. Das bedeutet allerdings nicht, daß alle Fälle der Grundabtretung nachbarrechtlich zu betrachten und keine Enteignung sind. Vielmehr liegt i n allen denjenigen Fällen Enteignung vor (genauer: der Gesetzgeber bzw. der verfassungskonforme Gesetzesanwender muß alle diejenigen Fälle als Enteignung gestalten, nämlich konkretes öffentliches Interesse i m Einzelfall verlangen), i n denen keine „notwendige K o l l i sion" vorliegt, i n denen also die bergbaulichen Anlagen, für deren Er31

Besonders deutlich etwa P. Heinemann,

19 S c h u l t e

N J W 1967, 1306.

290

§11. Bergrecht und öffentliches Interesse

richtung Grund und Boden benötigt wird, nicht streng ortsgebunden sind. So sind typisch für die Gewinnung von Bodenschätzen erforderliche Tätigkeiten das Wegräumen der Erdoberfläche, die Schaffung von Verlade- und Transporteinrichtungen, Ableitung von Grubenwässern und Lagerung von Gesteinsmassen (Halden). Dagegen sind der Bau von Arbeiterwohnungen, aber auch von Kokereien und Braunkohlefabriken nicht mehr typische Abbautätigkeit und Abtransport, sondern Tätigkeiten, wie sie jeder andere Unternehmer auch vornehmen kann. Das zeigt sich deutlich daran, daß Kokereien und Brikettfabriken, für die eine Grundabtretung nach dem A B G ebenfalls zulässig ist 3 2 , bei weitem nicht so standortgebunden sind wie Schachtanlagen und Nebengebäude. Das Institut der bergrechtlichen Grundabtretung enthält also sowohl nachbarrechtliche als auch enteignungsrechtliche Fälle. Diese Vermischung ist erklärlich, wenn man bedenkt, daß die dogmatische Unterscheidung zwischen Enteignung und privatrechtlicher Aufopferung zur Zeit des Erlasses des A B G weder bekannt war noch — vor allem — die heutige verfassungsrechtliche Bedeutung hatte. Es soll damit nicht gesagt werden, daß der Gesetzgeber nicht auch die nachbarrechtlichen Fälle der Grundabtretung enteignungsrechtlich konstruieren dürfte. Noch i n keinem der hier behandelten Fälle bestanden dagegen verfassungsrechtliche Bedenken. Diese Bedenken folgten vielmehr stets daraus, daß eine enteignungsrechtliche Regelung nachbarrechtlicher Kollision gänzlich unpraktikabel ist, w e i l dann i m Einzelfall konkretes öffentliches Interesse verlangt werden müßte. Die bergrechtliche Grundabtretung dagegen bliebe vielleicht auch dann ein praktikables Institut, wenn es enteignungsrechtlich konstruiert werden würde, wenn also etwa nach dem Vorbild des § 11 EnWG nur die Erfordernisse einer billigen und sicheren Energie-Versorgung den konkreten Grundabtretungsfall erzwingen (mit entsprechenden anderen Voraussetzungen i n den Fällen, i n denen es beim Bergbau nicht u m Energieversorgung geht). Die Kohle, die erforderlich wäre, würde dann immer noch erschlossen und gefördert werden können. Zugleich aber wäre mit der enteignungsrechtlichen Konstruktion der Grundabtretung ein Instrument geschaffen, das helfen könnte, einen Zwang zu gesamtwirtschaftlich rationalem, planvollem Vorgehen beim Erschließen von Bodenschätzen auszuüben 33 . Das könnte gelegentlich eine Hilfe bei einer rationalen Energiepolitik bedeuten. 4. Bergschadensrechtlich dürfte ein evtl. neues Bundesberggesetz bestrebt sein, die bisherige Aufopferungshaftung durch eine Gefähr32 Einheitliche Meinung, vgl. z . B . Ebel-Weiler, § 1 8 5 A n m . 2 ; das ergibt sich aus §§ 135 i.V.m. 58 A B G . 33 Z u m Plan als Instrument rationalen Entscheidens bei der Enteignung schon o., § 4 V 5.

IV. Bergschaden und bergrechtliche Grundabtretung

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dungshaftung abzulösen. Aus der vorliegenden Untersuchung ergeben sich dagegen Bedenken. Die rechtsdogmatische Einordnung der heutigen Bergschadenshaftung als privatrechtliche Aufopferung besagt zwar nichts dafür, daß sich der Gesetzgeber nicht für eine Gefährdungshaftung entscheiden könnte. Bedenken gegen eine Ausgestaltung des Bergschadensrechts als Gefährdungshaftung bestehen auch nicht i n erster Linie i m Hinblick darauf, daß dadurch etwa eine unzumutbare Mehrbelastung des Bergbaues entstände. Die Einführung einer Gefährdungshaftung w ü r d e zwar eine Ausweitung der Bergschadenshaftung bedeuten. Sie würde bewirken, daß sich die H a f t u n g nicht mehr n u r auf Schäden an Grundstücken u n d an Grundstückszubehör beschränkt, sondern auf alle v o m Bergbau irgendwie verursachten Schäden erstreckt. I n Anbetracht dessen, daß das Bergschadensrisiko f ü r den Bergbau auch heute schon nicht exakt k a l k u l i e r b a r ist, mag man das vielleicht hinnehmen.

Jedoch ist darauf hinzuweisen, daß die Bergschadenshaftung gewiß ein Element der privatrechtlichen Aufopferung beibehalten müßte: Die Schädigung an Grundstücken müßten auch dann — anders als bei den übrigen heutigen Fällen der Gefährdungshaftung — weiterhin erlaubt sein, wenn sie konkret vorauszusehen sind. Dieses aufopferungsrechtliche Element w i r d unausweichlich erhalten bleiben. Anders würde man dem Grundeigentum einen Abwehranspruch gegen bergbauliche Beeinträchtigungen geben und den Bergbau damit stillegen. I n jedem Falle also wäre eine derartige Regelung des Bergschadensrechts eine Mischform zwischen Aufopferungshaftung und Gefährdungshaftung. Eine solche zu schaffen, kann der Gesetzgeber allerdings nicht gehindert sein. 5. E i n weiteres Anliegen einer Bergrechtsreform dürfte es sein, das bisherige System des Bergwerkseigentums durch ein Konzessionssystem zu ersetzen, d. h., kein Bergwerkseigentum i m heutigen Sinne mehr zu verleihen, sondern nur noch zeitlich begrenzte Konzessionen. Ein solches, dem heutigen Wasserrecht angenähertes System würde für die vorliegend behandelten dogmatischen Fragen nichts entscheidend Neues bringen. I m Hinblick auf diese Fragen hätte die durch Konzession erlangte Position keine andere Bedeutung als heute das Bergwerkseigentum. Genau wie i m Wasserrecht würden diese Positionen m i t dem Grundeigentum (und evtl. untereinander) nachbarrechtlich kollidieren. M i t Enteignungsproblematik hätte das ebensowenig zu tun, wie die Kollisionen des heutigen Bergwerkseigentums. Der Gesetzgeber könnte also ohne die i m neuen Wasserrecht vielfach zum Ausdruck gelangte Angst vor A r t . 14 GG 34 , die i h m praktikabel erscheinenden Regelungen 84

19»

Vgl. dazu etwa o., § 10 V.

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§11. Bergrecht und öffentliches Interesse

i n Bergschadensrecht und Grundabtretungsrecht auch bei einem Konzessionssystem privat-nachbarrechtlich treffen. Auch die etwa notwendig werdende Einschaltung behördlicher Entscheidungen i n Grundabtretungsrecht und Bergschadensrecht, etwa eine noch verstärkte Position der Bergbehörde i n bezug auf bergschadenträchtige Abbauhandlungen, würde daran nichts ändern.

V. Zulegung Die Verordnung über die Zulegung von Bergwerksfeldern vom 25. März 193835 bestimmt i n § 1: „Wenn allgemeinwirtschaftliche Gründe es erfordern, daß ein bergmännisch richtig geführter A b b a u aus dem Felde einer Bergbauberechtigung (Hauptfeld) i n das Feld einer angrenzenden fremden Bergbauberechtigung gleicher oder anderer A r t fortschreitet, so w i r d deren Feld ganz oder t e i l weise dem Hauptfeld zugelegt."

Uber die Zulegung entscheidet gemäß § 7 der ZulegVO die Bergbehörde. Der Erwerber hat gemäß §6 ZulegVO „angemessene Entschädigung" zu leisten. Nach den vorliegend vertretenen Ansichten genügt die Existenz des behördlichen Verfahrens, i n dem die Zulegung ausgesprochen wird, nicht, u m die Zulegung als Enteignung zu qualifizieren. Es könnte sich trotzdem u m privatrechtliche Aufopferung handeln, und zwar, da es um benachbarte Bergwerksfelder geht, sogar u m die nachbarrechtliche Variante dieses Instituts. Z u fragen ist aber, ob der Gesetzgeber die Zulegung als privates Einwirkungsrecht hätte konstruieren dürfen. Nach den oben 36 gefundenen Grundsätzen ist das nicht der Fall: Es geht bei der Zulegung nicht darum, daß der Erwerbswillige durch die Zulegung i m Zulagefeld nur eine „abgeleitete Nutzung" i m o. g. Sinne ausüben w i l l , eine Nutzung, die der Nutzung des eigenen Feldes dient, diese erst ermöglicht oder zumindest wesentlich erleichtert. Vielmehr soll i m Zulagefeld eine neue selbständige Nutzung begründet werden. Eine solche Regelung ist nachbarrechtlich nicht zulässig. Auch andere der für die Schaffung von Fällen privatrechtlicher Aufopferung 3 7 angeführten „Rechtfertigungen" für den Gesetzgeber sind nicht ersichtlich. Eine nicht enteignungsrechtlich konstruierte Zulegung würde daher gegen die Institutsgarantie des Eigentums verstoßen. Darum ist bei der Zulegung i m Einzelfall kon35 36 37

R G B l I, S. 345. §5111. § 5 III.

V I . Hilfsbaurecht

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k r e t e s öffentliches Interesse i m e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h e n S i n n e z u f o r dern. D i e Z u l e g u n g ist E n t e i g n u n g 8 8 . D a h e r w ä r e es u n r i c h t i g , z u b e h a u p t e n , Z u l e g u n g sei ü b e r a l l d o r t z u lässig, w o der zunächst B e r e c h t i g t e a n e i n e r A u f n a h m e des B e t r i e b s i n absehbarer Z e i t v e r h i n d e r t oder n i c h t b e r e i t ist, d e r Feldesnachbar aber z u m A b b a u g e w i l l t u n d i n d e r L a g e i s t 3 9 . V i e l m e h r ist d a z u stets auch noch öffentliches Interesse i m e n t e i g n u n g s r e c h t l i c h e n Sinne, also k o n k r e t e s öffentliches Interesse i m E i n z e l f a l l e r f o r d e r l i c h . M i t a l l g e meinen volkswirtschaftlichen Erwägungen, w i e der v o n der Wichtigkeit der F ö r d e r u n g v o n Bodenschätzen ist es n i c h t getan. Es ist auch n i c h t d a m i t g e t a n nachzuweisen, daß d u r c h die Z u l e g u n g e i n besonders b i l l i g e r , r a t i o n e l l e r A b b a u e r m ö g l i c h t w i r d . Das r e c h t f e r t i g t eine E n t e i g n u n g e b e n s o w e n i g w i e das A r g u m e n t eines b e l i e b i g e n F a b r i k b e triebes, die W e g n a h m e eines N a c h b a r g r u n d s t ü c k s w ü r d e eine besonders r a t i o n e l l e B e t r i e b s e r w e i t e r u n g e r m ö g l i c h e n . Es k o m m t v i e l m e h r h i e r w i e d o r t w e d e r a u f die Z w e c k e u n d V e r h ä l t n i s s e des e i n z e l n e n B e triebes, noch d a r a u f an, daß w i r t s c h a f t l i c h e s W a c h s t u m a l l g e m e i n w ü n schenswert ist. W i e o b e n 4 0 geschildert, s i n d das a l l e i n noch k e i n e G r ü n d e , die z u r S c h a f f u n g v o n p r i v a t e n E i n g r i f f s b e f u g n i s s e n i n E i g e n t u m berechtigen. Einige Entscheidungen von Verwaltungsbehörden scheinen die Zulegung i n dieser Weise begrenzen zu wollen. Nach Beschlüssen des Oberbergamtes Bonn (ZfB 99,227) u n d des Wirtschaftsministers Rheinland-Pfalz (ZfB 95, 469) k o m m t bei Bodenschätzen, deren Gewinnung für die Gesamtwirtschaft unter Berücksichtigung der jeweiligen Wirtschaftslage keine besondere Wichtigkeit besitzt, eine Zulegung i n der Regel nicht i n Betracht. D a r i n k o m m t zumindest zum Ausdruck, daß nicht jedes allgemeine wirtschaftliche A r g u ment („Wachstum" oder ähnliches) anerkannt w i r d . I m Abstellen auf die „jeweilige Wirtschaftslage" liegt eine Tendenz zur Berücksichtigung von E r fordernissen, die konkreter sind als das allgemeine Wachstumsziel. Gewiß gehen aber auch diese Entscheidungen 4 1 m i t dem Erfordernis der K o n k r e tisierung des öffentlichen Interesses noch nicht w e i t genug. — Deutlich u n richtig ist nach der vorliegend vertretenen Ansicht dagegen ein Beschwerdebescheid des Reichswirtschaftsministers i n Z f B 82/83, 440. H i e r w i r d als ausreichend f ü r die Zulässigkeit einer Zulegung angesehen, daß durch sie die Lebensdauer einer neuzeitlich eingerichteten Steinkohlenzeche wesentlich verlängert w i r d . Das genügt nicht, da es sich n u r u m allgemeines öffentliches Interesse handelt; ein konkretes öffentliches Interesse an der K o h l e n förderung auf dieser Schachtanlage ist nicht dargetan. Wenn man Enteig38

So z. B. auch Ebel-Weiler, § 1 ZulegVO A n m . 2; Samel, Z f B 106, 249. So Ebel-Weller, § 1 ZulegVO A n m . 1, w o dies als der Grundgedanke der ZulegVO geschildert w i r d ; das ist insofern irreführend, als, w i e EbelWeller, a.a.O., A n m . 2, sebst erläutern, außerdem noch öffentliches I n t e r esse erforderlich ist, was durchaus nicht i m m e r der F a l l ist, w o der genannte Grundgedanke an sich zutreffen würde. 40 § 5 III. 41 Wie auch Samel, Z f B 106, 250, der sich auf diese Entscheidungen beruft; stärker einschränkend jedoch a.a.O., S. 252. 39

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11. Bergrecht und öffentliches Interesse

nungen m i t dieser Begründung zulassen würde, wäre das nichts anderes als der — bereits oben 4 2 abgelehnte — unbeschränkte Vorrang jeder ökonomisch wertvolleren Raumnutzung v o r der weniger wertvollen u n d damit zugleich eine Leugnung des Privateigentums i n seiner heute garantierten Form. — Ebenso geht es zu weit, w e n n Ebel-Weller 43 es genügen lassen, w e n n durch die Zulegung i n einem bestimmten Raum eine größere Arbeitslosigkeit verhindert werden würde. Solche Erwägungen rechtfertigen erst dann E n t eignungen, w e n n notstandsähnliche Situationen bekämpft werden sollen 4 4 . I n allen anderen Fällen, w e n n nämlich andere staatliche Maßnahmen ausreichen, w i e Arbeitslosenunterstützung, Wirtschaftsförderung i n dem betroffenen Gebiet usw., ist eine Inanspruchnahme von Eigentum nicht zulässig.

V I . Hilfsbaurecht Ein deutlich zur privatrechtlichen Aufopferung gehörendes Institut ist dagegen das Hilfsbaurecht . Hilfsbaue sind Stollen, Schächte, Strecken und ähnliche bergbauliche Anlagen untertage außerhalb des eigenen Grubenfeldes. Sie können für den Abbau i m eigenen Feld u. U. erforderlich oder zumindest nützlich sein, etwa zur unterirdischen Verbindung zweier nicht benachbarter Felder desselben Bergwerkseigentümers. Es handelt sich also u m eine A r t Notweg 45 . 1. Das A B G läßt den Hilfsbau i m freien Felde (wo also keinerlei A b bauberechtigungen bestehen) unbeschränkt zu, § 60 Abs. 1 ABG. Damit w i r d die Kollision m i t dem Grundeigentümer geregelt, der wegen drohender Bergschäden sonst u. U. widersprechen könnte. Eine besondere Entschädigungsregelung für den Hilfsbau i m freien Felde besteht nicht; sie war nicht erforderlich, da § 148 A B G eingreift. Es handelt sich danach u m einen Fall privatrechtlicher Aufopferung nachbarrechtlicher Art. 2. Den Hilfsbau i m fremden Felde, also i m Gebiet einer fremden Abbauberechtigung 46 , läßt § 60 Abs. 2 A B G nur zu, wo er die „Wasseroder die Wetterlösung" oder den „vorteilhafteren Betrieb" des Bergbaus, dem der Hilfsbau dienen soll, ermöglicht und wo der Bergbau, durch dessen Feld der Hilfsbau führt, weder gestört noch gefährdet wird. Trotzdem entstehender Schaden ist gem. § 62 A B G zu ersetzen. 42

8 5 III. 8 1 ZulegVO A n m . 2. I n diesem Sinne auch Samel, ZfB 106, 251/252. 45 Dieser Vergleich liegt näher als die bei Isay, 8 60 A n m . 9, MiesbachEngelhardt, 8 60 A B G A n m . 1 e, u n d Turner, Berechtsamswesen, S. 175, behauptete Ähnlichkeit m i t der Grunddienstbarkeit. 46 Somit auch i m Bereich des Grundeigentümerbergbaues, vgl. heVGH, Z f B 98, 453. 43 44

VII. Mitgewinnungsrecht

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Die dogmatische Einordnung dieses Instituts des Hilfsbaus i m fremden Felde ist ebenso problematisch wie die Einwirkungsbefugnis auf der Grundlage des § 905, S. 2 BGB 4 7 : Einerseits ist der Hilfsbau nicht zulässig, wo Schäden konkret vorhersehbar sind. Das spricht gegen eine Einordnung als privatrechtliche Aufopferung. Auch eine Verschuldenshaftung kann nicht angenommen werden: Man mag zwar sagen können, daß das Anlegen von Hilfsbauen abstrakt gefährlich ist, d. h., daß daraus auch bei größter Vorsicht Schäden entstehen können. Es wäre aber unrichtig, deshalb bei Eintritt eines Schadens dann stets Verschulden anzunehmen. Rechtlich zurechenbares Verschulden liegt nicht generell i n jeder abstrakt gefährlichen Handlung. Danach bleibt nur übrig, die Haftung für Schäden durch Hilfsbaue als Gefährdungshaftung einzuordnen. Der Unterschied zur dogmatischen Einordnung der allgemeinen Bergschadenshaftung mag überraschen. Er liegt aber deutlich darin begründet, daß Bergbau allgemein auch bei offensichtlich schädigenden Folgen erlaubt ist, die Anlage von Hilfsbauen dagegen nicht. V I I . Mitgewinnungsrecht Nach § 5 6 A B G ist der Bergwerkseigentümer berechtigt, die einem anderen Bergwerkseigentümer verliehenen Bodenschätze mitzugewinnen. A u f Verlangen sind die mitgewonnenen Bodenschätze dem A n eignungsberechtigten gegen Kostenerstattung herauszugeben, § 56 Abs. 2 ABG. Grundeigentümermineralien dagegen darf der Bergwerkseigentümer sogar — i n den Grenzen eines auf den Abbau der i h m verliehenen Bodenschätze gerichteten Bergbaus — mitgewinnen und, soweit zu Betriebszwecken erforderlich, selbst verbrauchen, ohne dafür den Grundeigentümer entschädigen zu müssen. Nur nicht benötigte mitgewonnene Grundeigentümer-Mineralien sind auf Verlangen gegen Kostenerstattung herauszugeben, § 57 ABG. Ohne Zweifel sind dies Rechte zur Einwirkung auf fremdes Eigentum. Gäbe es die Vorschriften der §§56,57 A B G nicht, könnten der 47 Die Annahme einer Enteignung scheidet von vornherein aus, obwohl gem. §61 A B G auch hier das Oberbergamt entscheidet, w e n n zwischen den Beteiligten Streit darüber entsteht, ob der Hilfsbau zulässig ist. Daß die Behörde n u r die F u n k t i o n hat, über privatrechtliche Streitigkeiten zu entscheiden, ist hier ebenso deutlich w i e etwa beim Schürfen, vgl. o., S. 285 ff. Nach Turner, Berechtsamswesen, S. 175/176, dagegen ist Enteignung nicht gegeben, w e i l das Hilfsbaurecht „nicht als ungerechtfertigte Beschränkung des Eigentums" anzusehen sei. Ob Turner sich m i t dieser Formulierung den vorliegend vertretenen Ansichten nähert, läßt sich nicht sagen, da es höchst ungewöhnlich ist, das Vorliegen einer Enteignung m i t diesen Worten abzulehnen.

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§11. Bergrecht und öffentliches Interesse

andere Bergwerkseigentümer bzw. der Grundeigentümer der Mitgewinnung widersprechen, sie wäre eine Verletzung des Grundeigentums bzw. des i m Bergwerkseigentum enthaltenen Aneignungsrechts. 1. Das Mitgewinnungsrecht gegenüber dem Grundeigentümer ist offen als privates Einwirkungsrecht konstruiert. Die Mitgewinnungsbefugnis besteht unmittelbar, d. h. ohne besondere behördliche Genehmigung 48 . Die Einräumung ist verfassungsrechtlich unbedenklich, da es sich um eine sachgerechte Lösung der notwendig auftauchenden nachbarrechtlichen Kollision handelt. Es liegt also ein Fall privatrechtlicher Aufopferung vor. Recht fraglich dagegen erscheint es, ob dem Bergwerkseigentümer gestattet werden durfte, die mitgewonnenen Mineralien für Zwecke des eigenen Betriebs zu verwenden, ohne den Grundeigentümer dafür entschädigen zu müssen. Nach den oben 49 gefundenen Grundsätzen ist es verfassungsrechtlich auch bei der privatrechtlichen Aufopferung nicht zulässig, entschädigungslose Eingriffe zuzulassen, wenn sie erheblich schädigende Wirkung haben. Da derartige Wirkungen denkbar sind, ist der Entschädigungsausschluß i n § 57 Abs. 1 A B G heute als verfassungsw i d r i g und damit als wirkungslos anzusehen. Es ist sogar schon das Verwertungsrecht als verfassungswidrig zu betrachten. Der Zweck des Mitgewinnungsrechts deckt diese Konsequenz nicht. Der Zweck liegt darin, Bergbau nicht dadurch zu behindern, daß i h m nicht verliehene Mineralien i m Wege stehen. Dieses Hindernis ist allein schon durch die Statuierung des Mitgewinnungsrechts beseitigt. Die weitere Bevorzugung des Bergwerkseigentümers durch Einräumung eines unentgeltlichen Verbrauchsrechts dient nicht mehr der Regelung dieser notwendigen Kollision 5 0 . Diese Bevorzugung ist daher verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. 48 Es ist daher unrichtig, w e n n Turner , Berechtsamswesen, S. 167/168, die Frage, ob die M i t g e w i n n u n g v o n Grundeigentümer-Mineralien gegenüber den Grundeigentümern Enteignung ist, danach entscheiden w i l l , w i e man zwischen Inhaltsbestimmung u n d Enteignung unterscheidet. Substanzeingriff sei i m m e r Enteignung, folglich „ a n sich" auch das Mitgewinnungsrecht gegenüber dem Grundeigentümer. Turner übersieht dabei, daß als Enteignung n u r hoheitliche Eingriffe qualifiziert werden können, daß die M i t g e w i n n u n g gegenüber dem Grundeigentümer aber kein hoheitlicher Eingriff ist. — Gekünstelte Argumentationen, die die Schaffung des Mitgewinnungsrechts a majore ad minus f ü r zulässig halten, w e i l das Gesetz auch die übrigen Grundeigentümer-Mineralien dem Grundeigentümer hätte entziehen können (so Miesbach-Engelhardt, § 56 A B G A n m . 6 b), werden überflüssig, w e n n man die Alternative der privatrechtlichen Aufopferung sieht. 49 § 5 V. 50 Z u beachten ist, daß das Mitgewinnungsrecht sich m i t „Mineralien", „Bodenschätzen" beschäftigt, nicht etwa m i t jedem tauben Gestein. Daß der Bergwerkseigentümer dieses taube Gestein „ m i t g e w i n n t " u n d entschädigungslos zu Betriebszwecken benutzen darf (nämlich als Versatzmaterial), w i r d i m A B G w o h l als selbstverständlich vorausgesetzt. I n Anbetracht dessen, daß

VII. Mitgewinnungsrecht

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2. Diese Frage taucht beim Mitgewinnungsrecht gegenüber einem anderen Bergwerkseigentümer nicht auf. Die Herausgabepflicht gegen Kostenerstattung ist hier eine sachgerechte Entschädigungsregelung. Bei diesem Mitgewinnungsrecht taucht allerdings wieder die Frage auf, ob privatrechtliche Aufopferung oder Enteignung vorliegt. Das liegt daran, daß die Mitgewinnung gegenüber dem Bergwerkseigentümer erst zulässig ist, wenn das Oberbergamt entschieden hat, daß der Abbau ohne Mitgewinnung fremder Bodenschätze nicht möglich ist. Aber dies hindert auch hier die Einordnung als privatrechtliche A u f opferung nicht: Das Gesetz hätte auch hier anders konstruieren können, wie sich besonders daran zeigt, daß diese andere Konstruktion beim Mitgewinnungsrecht gegenüber dem Grundeigentümer vom Gesetz selbst verwendet worden ist. Das Gesetz hätte formulieren können, Mitgewinnung sei zulässig, wo Abbau aus bergtechnischen, bergpolizeilichen oder betrieblichen Gründen nicht anders möglich ist. Dann wäre ein unmittelbares, ohne Zweifel privates Einwirkungsrecht gegeben. Daran würde sich nichts ändern, wenn über eventuellen Streit das Oberbergamt entscheiden müßte. Ebenso wenig ändert sich daran etwas, wenn, wie nach geltendem Recht, diese Entscheidung des Oberbergamtes vorgezogen und praktisch i n eine Genehmigung umgewandelt ist. Selten kann so gut verdeutlicht werden wie hier, daß die formale Konstruktion des Einwirkungsrechts für den materiellen K e r n der Institution ohne Bedeutung ist. Die unterschiedliche Konstruktion zweier Fälle derselben Institution macht diese Folgerung hier unabweisbar, wenn man nicht dem Gesetzgeber m i t den unterschiedlichen Konstruktionsmöglichkeiten zugleich die Möglichkeit zu verfassungsrechtlich dann nicht mehr faßbaren Manipulationen geben w i l l . Für das Mitgewinnungsrecht ist das Ergebnis deutlich zu erkennen: Das allgemeine öffentliche Interesse an ökonomisch sinnvoller Raumnutzung, hier am ökonomischen Abbau der Bodenschätze, muß genügen. Es handelt sich u m die Regelung einer notwendig auftauchenden Kollision aus dem Nebeneinander zweier Bergbauberechtigungen. Die zur wirtschaftlich sinnvollen Regelung dieser Kollision erforderlichen Einwirkungsrechte können — gegen Entschädigung — als private Rechte statuiert werden. Auch das Mitgewinnungsrecht gegenüber dem Bergwerkseigentümer ist danach ein Fall der privatrechtlichen Aufopferung 51 . dieses Material f ü r den Grundeigentümer wertlos ist, ist die Frage aber auch bedeutungslos. 51 Es ist also nicht erforderlich, w i e Miesbach-Engelhardt (§ 56 A B G A n m . 6a) u n d Turner (Berechtsamswesen, S. 158) zu argumentieren, dem Bergwerkseigentümer sei die Beschränkung durch das Mitgewinnungsrecht „ v o n Anfang an immanent". Derartige Argumente sind schon deswegen stets unbefriedigend, w e i l sie keine Grenze für die Schaffung derartiger „von A n -

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§11. Bergrecht und öffentliches Interesse V I I I . Zum „echten" Bergnachbarrecht

1. Ein gesetzlich fixiertes Recht der nachbarlichen Beziehungen der bergrechtlichen Abbauberechtigungen untereinander gibt es nicht (abgesehen von dem oben behandelten Sonderfall des Hilfsbaurechts). Das ist umso überraschender, als der Abbau von Bodenschätzen recht oft nicht ohne Störung und Schädigung fremder Abbautätigkeit vor sich gehen kann. Risse und Einstürze bei Unter- und Ubertageanlagen, vor allem aber Wassereinbrüche i n Grubenbauen sind bekannte Einwirkungen des einen Bergwerkseigentums auf das andere. Das Fehlen jeder ausdrücklichen gesetzlichen Regelung 52 dieser Fälle führt zu der folgenden paradoxen Situation 5 3 : Einerseits genießt jedes Bergwerkseigentum als absolutes Recht den vollen Eigentumsschutz, insbesondere ist nicht ersichtlich, wie die entsprechende Geltung des § 1004 BGB ausgeschlossen werden könnte. Das würde Abwehrbarkeit jeder Beeinträchtigung bedeuten, da eben Vorschriften, die, wie z.B. § 906 BGB Einwirkungen erlauben, i m „echten" Bergnachbarrecht (d. h. i m Nachbarrecht zwischen Bergwerken) fehlen. Andererseits ist Bergbau eine durch das A B G erlaubte Tätigkeit. Der Bergwerkseigentümer handelt bei seiner Abbautätigkeit i m Rahmen des i h m durch Verleihung des Bergwerkseigentums Erlaubten. Wie sollte dann der Nachbar dieses erlaubte T u n verbieten können? 54 Das A B G tut nichts, um dieses Paradox ausdrücklich aufzulösen. fang an immanenter" Beschränkungen aufzeigen können, vielmehr i n die Lage versetzen, nachträglich solche Beschränkungen i n das Gesetz je nach Bedarf hineinzuprojizieren. Offen an den K e r n des Problems f ü h r t allein die Frage, ob der Gesetzgeber das Bergwerkseigentum i n dieser Weise ausstatten durfte. Das w i r d insbes. i n der bergrechtlichen Diskussion bei vielen Fragen (so z. B. auch bei der Grundabtretung, vgL dazu o., S. 288 ff.) i m m e r wieder übersehen. 52 N u r ein mittelbares Argument läßt sich aus dem T e x t des A B G gewinnen: I n den §§ 211 b Abs. 1 Nr. 6 u n d 214 c Nr. 4 A B G w i r d das Bergschadensrecht des A B G auf einige Fälle des Grundeigentümerbergbaus f ü r anwendbar erklärt (ebenso § 6 Abs. 2 [c] SylvVO); dabei w i r d ausdrücklich eine H a f t u n g f ü r Schäden an Lagerstätten, die dem Gewinnungsrecht des Grundeigentümers unterliegen, ausgeschlossen (allgemeiner noch die S y l v V O : kein Ersatzanspruch zugunsten jeglicher anderer Gewinnungsberechtigung). M a n w i r d daraus schließen können daß das A B G einen Schutz verliehener Lagerstätten gegen Bergschäden allgemein nicht kennt. — Z u m Sonderproblem des Bergschadens an Grundeigentümer-Lagerstätten vgl. i m übrigen Turner, Z f B 106, 325. 53 Die rechtsdogmatisch schwierige Problematik ist bislang n u r selten ausführlich behandelt worden, erstmals von Lantzke, Z f B 101, 78 ff., ferner i n den Dissertationen von Schröder u n d Tschäpe, sowie v o n Turner, Z f B 106, 321 ff. 64 Unrichtig ist es jedoch, w i e Turner, Z f B 106, 321, v o n dieser zweiten Betrachtungsweise als der einzig möglichen auszugehen u n d einfach zu fragen, „ob u n d i n w i e w e i t das Recht des Bergbautreibenden, das verliehene M i n e r a l aufzusuchen u n d zu gewinnen, i m Interesse von Bergnachbarn eingeschränkt

VIII. Zum „echten" Bergnachbarrecht

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Geht man i n dieser Situation von der herkömmlichen Vorstellung des BGB aus, so ergibt sich die Lösung, daß jede Verletzung eines absoluten Rechtes rechtswidrig ist. Ohne ausdrückliche Normierung ist das fremde Recht als solches Schranke der Rechtsausübung für andere Rechtsinhaber. Die Rechtswidrigkeit entfällt nur bei ausdrücklichen Rechtfertigungsgründen. Das BGB geht vom negativen K e r n des Eigentums — und aller absoluten Rechte — aus, von der totalen Ausschließungsbefugnis. Von dorther formuliert es dann als Ausnahme besondere Eingriffsbefugnisse (Notwehr, Notstand, § 906 BGB usw.). Das BGB geht nicht von einem dem Inhaber eines absoluten Rechts kraft dieses Rechtes erlaubten Kreis von Tätigkeiten aus, nicht vom positiven Kern des Eigentums. Zwar formuliert § 903 BGB, daß der Eigentümer m i t seinem Eigentum t u n und lassen kann, was er w i l l , aber die Grenze ist stets: „ . . . sofern n i c h t . . . Rechte Dritter entgegenstehen". Mangels besonderer Rechtfertigungsgründe würde bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe also auch i m echten Bergnachbarrecht der Grundsatz der totalen Ausschließlichkeit gelten. Die Innehabung des Bergwerkseigentums allein würde ebensowenig eine Rechtfertigung der Eingriffe abgeben wie die Innehabung des Eigentums nach § 903 BGB 5 5 . Wie aber i m Grundeigentumsrecht eine totale Verwirklichung des Ausschließungsrechts des Eigentümers eine sinnvolle Grundstücksnutzung unmöglich machen würde 5 6 , so würde auch i m Bergrecht die entsprechende Regelung jeden Bergbau lahmlegen. Da nicht anzunehmen ist, daß dies das Ziel des A B G war, vielmehr diese Konsequenzen gänzlich unannehmbar sind, überrascht es nicht, daß i n Literatur und Rechtsprechung das genannte Ausschließlichkeitsprinzip für das Verhältnis zwischen Bergwerkseigentum und Bergwerkseigentum nirgends vertreten wird. ist". Das Paradoxe liegt hier — u n d bei jeder nachbarrechtlichen Situation — darin, daß f ü r jeden Nachbarn eine Einschränkung (gegenüber den anderen Nachbarn), also eine Beschränkung der Abwehrbefugnisse, eben zugleich auch eine Erweiterung seiner Befugnisse ist (wegen der auch bei den Nachbarn erfolgenden Einschränkungen der Abwehrbefugnisse). Was Turner „Einschränkung" nennt, ist also zugleich auch notwendig „Erweiterung". Daher ist es hier w i e i m gesamten Nachbarrecht irreführend u n d falsch, die Normen des Nachbarrechts allein als „Einschränkung" zu bezeichnen. Ob sie Einschränkungen oder Erweiterungen sind, ist allein eine Frage des B l i c k winkels. 55 Entsprechend seinem i n der vorigen Fußnote geschilderten unrichtigen Ausgangspunkt k o m m t Turner, a.a.O., hier zu dem unrichtigen Ergebnis, daß mangels besonderer Vorschrift jeder Bergwerkseigentümer seinen A b b a u ohne Rücksicht auf benachbartes Bergwerkseigentum vornehmen darf. Diese Begründung genügt aber nicht, w i e der Vergleich m i t § 903 B G B zeigt; vgl. auch u., Fn. 58. 5« Dazu o., § 2 1 3 .

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§11. Bergrecht und öffentliches Interesse

Dabei w i r d i n unterschiedlicher Weise argumentiert. Vor allem liegt der Gedanke der Rechtfertigung aus „verkehrsrichtigem Verhalten" nahe, der das Wesen der Rechtswidrigkeit i m Handlungsunrecht, i n der Normwidrigkeit der Handlung, nicht aber i m Unrecht des Erfolgs der Handlung sieht 57 . So könnte man auch i m Bergrecht sagen, daß der entsprechend den Normen des Bergrechts und entsprechend dem Betriebsplan und den Anweisungen der Bergbehörde betriebene Bergbau rechtmäßig sei und daß damit auch alle Folgen für das benachbarte Bergwerk gerechtfertigt seien. Es ist jedoch nicht erforderlich, der Theorie dieses Rechtfertigungsgrundes i m einzelnen nachzugehen. Denn dabei geht es jedenfalls nicht u m die Qualifizierung von schädigenden Erfolgen, die schon bei der verursachenden Handlung konkret vorauszusehen sind. Auch diese Theorie w i l l solche Erfolge nicht als rechtmäßig qualifizieren 58 . Gerade u m die Rechtmäßigkeit konkret vorhersehbarer Erfolge aber geht es i m echten Bergnachbarrecht 59 . Es geht hier darum, ob auch dann abgebaut werden darf, wenn feststeht, daß dadurch dem Bergnachbarn bestimmte Schäden entstehen werden. Bejaht man diese Frage, so kann man sich dabei also keinesfalls auf den „Rechtfertigungsgrund" verkehrsrichtigen Verhaltens stützen. Vielmehr muß es sich u m einen „echten" Rechtfertigungsgrund handeln, u m eine Einwirkungsbefugnis, wie sie etwa § 906 BGB gibt 6 0 . Es geht darum, einen i m Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehenen Fall privatrechtlicher Aufopferung „einzuführen". Es kommt also darauf an, ob man dem A B G nicht doch derartige Eingriffsrechte entnehmen kann. Dabei wäre es auch unter diesem Aspekt unrichtig, als rechtmäßig, d. h. vom Nachbarn nicht abwehrbar, alle die Handlungen anzusehen, die der Bergwerkseigentümer i n Ubereinstimmung m i t den Normen 57 So i m Anschluß an die grundlegende Entscheidung B G H Z 24,21 die w o h l herrschende Meinung i n der inzwischen unübersehbar gewordenen Literatur, angeführt von Nipperdey, N J W 1957, 1777 ff. 58 Sie bietet daher i m Grunde auch nicht, w i e oft gesagt w i r d , einen neuen „Rechtfertigungsgrund". Auch w e r sich „verkehrsrichtig" verhält, darf nicht weiterfahren, w e n n er damit einen konkret vorhersehbaren Schaden v e r ursacht, etwa einen auf der Fahrbahn liegenden Verletzten überfährt. „Sozialadäquates", „verkehrsrichtiges" Verhalten schafft also keine Eingriffsberechtigung, sondern schützt lediglich u. U. v o r der Zurechnung verursachter Eingriffe. 59 A u f diesen fundamentalen Unterschied hat bislang allein Tschäpe, a.a.O., insbes. S. 54/55, aufmerksam gemacht. 60 Wenn man das sieht, ist es n u r irreführend, aber nicht falsch, w e n n man w i e Tschäpe, a.a.O., S. 51, v o n dem „Rechtfertigungsgrund normgemäßen A b baus" spricht.

VIII. Zum „echten" Bergnachbarrecht

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des A B G unter Beachtung bergpolizeilicher Vorschriften vornimmt 6 1 . Denn damit wäre nach wie vor unbewiesen, ob nicht diese Vorschriften nur „unbeschadet der Rechte Dritter" bestehen. Es ist auch auf diese Weise nicht daran vorbeizukommen, daß zur Begründung einer Eingriffsbefugnis nicht die Handlung, sondern vor allem der schädigende Erfolg gestattet sein muß. Darüber hinaus wäre es sogar falsch, allein aus einer Normwidrigkeit der Handlung oder aus einem Verstoß der Handlung gegen bergpolizeiliche Einzelanordnungen oder gegen den Betriebsplan schon auf eine Rechtswidrigkeit des schädigenden Erfolgs gegenüber dem Nachbarn zu schließen 62 . Es geht hier u m dieselbe Problematik wie etwa i m öffentlichen Baurecht: Der Grundeigentümer kann sich nicht gegen alles wehren, was sein Nachbar polizeiwidrig tut, denn — jedenfalls nach der herrschenden Meinung — nicht alle Vorschriften des Bauordnungsrechts sind nachbarschützend. Nichts anderes kann dann i m Bergrecht gelten: Durch nichts ist bewiesen, daß alle bergpolizeilichen Vorschriften nachbarschützenden Charakter haben. Es könnte sein, daß die Sicherheit der Grubenbaue nur i m Interesse der untertage beschäftigten Arbeiter geschützt ist usw. Es müßte also von Fall zu Fall der nachbarschützende Charakter auch hier festgestellt werden, bevor man davon sprechen könnte, daß normwidriger Abbau auch gegenüber dem Nachbarn rechtswidrig sei. Es ist aber nicht erforderlich, dem weiter nachzugehen, da sich eine andere, dogmatisch klarere Lösung anbietet. Die knappste, zugleich aber klarste Begründung für eine generelle Eingriffsbefugnis i m echten Berg-Nachbarrecht hat Schröder 63 gegeben: Ein grundsätzliches Verbietungsrecht wie bei § 1004 BGB wäre hier nur dann sinnvoll zu handhaben, wenn gleichzeitig bestimmte Duldungspflichten normiert wären (wie etwa § 906 BGB und § 26 GewO i m Grundstücksnachbarrecht). Da das A B G dies aber unterlassen hat, ist daraus zu schließen, daß es eine dem § 1004 BGB entsprechende Abwehrbefugnis i m echten Bergnachbarrecht überhaupt nicht geben soll. Dies ist das einzig „ehrliche", ungekünstelte Argument 6 4 . Dem A B G kann nicht unterstellt werden, daß es sinnvollen Bergbau lahmlegen wollte. Dann kann es nur so verstanden werden, daß es i m Verhältnis 61 So aber Tschäpe, S. 51; auch dies jedoch n u r irreführend, nicht falsch, da S. 51 ff. die wirkliche Begründung f ü r die Eingriffsbefugnis nachgeschoben wird. 62 Diesem I r r t u m unterliegt Tschäpe, S. 44 ff.; ähnlich Schröder, S. 14, u n d Lantzke, Z f B 101, 83. 63 a.a.O., S. 13. 64 Es handelt sich aber nicht u m das Argument Turners, der das Fehlen der Abwehrbefugnis einfach daraus entnimmt, daß sie i m Gesetz nicht ausdrücklich eingeräumt ist.

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§ 11. Bergrecht und öffentliches Interesse

zwischen Bergnachbarn eine umfassende Eingriffsbefugnis geben wollte, daß es hier nicht vom Schema des umfassenden Eigentums ausgeht, daß als Prinzip hier nicht die Abwehrbefugnis gilt, sondern die Eingriffsbefugnis. Nur dieses Argument, nicht aber eine konstruktivbegriffliche Deduktion, kann überzeugen. So überrascht es nicht, daß dieses Argument aus den faktischen Notwendigkeiten des Bergbaus auch bei anderen Autoren anklingt 6 5 . Hat man damit einen klaren Ausgangspunkt gewonnen, so lösen sich manche bislang als verworren erscheinende Probleme leichter. Vor allem w i r d es möglich, nunmehr die Funktion der bergbehördlichen Entscheidungen, einschließlich der Zulassung des Betriebsplans, einzuordnen und damit zu verstehen: Gem. § 67 Abs. 1 A B G darf der Betrieb des Bergwerks nur aufgrund eines Betriebsplans geführt werden. Gem. § 67 Abs. 2 i. V. m. § 196 A B G hat die Behörde bei Prüfung des Betriebsplans u. a. folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen: „Die Sicherheit der Baue, die Sicherheit des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter, den Schutz aller Lagerstätten, soweit er i m allgemeinwirtschaftlichen Interesse liegt, den Schutz der Oberfläche i m I n teresse der persönlichen Sicherheit und des öffentlichen Verkehrs, die Sicherung und Ordnung der Oberflächenbenutzung und Gestaltung der Landschaft während des Bergwerksbetriebes und nach dem Abbau 6 6 , den Schutz gegen gemeinschädliche Einwirkungen des Bergbaus". Nur wenn diese Gesichtspunkte hinreichend berücksichtigt sind, darf der Betrieb aufgenommen werden 67 . Es liegt nahe, der Zulassung des Betriebsplans dieselbe Bedeutung beizulegen wie der gewerberechtlichen Anlagegenehmigung des § 16 GewO. Sie würde dann die Ausübung des Einwirkungsrechtes des Bergwerkseigentümers von einer Vorprüfung abhängig machen. Wenn hier auch — anders als i m § 16 GewO — die Belange der „Nachbarn" nicht als solche benannt werden, so ergibt sich ihre Berücksichtigung doch aus §§ 67 Abs. 4 i. V. m. 196 Abs. 2, 4. Alternative A B G („Schutz aller Lagerstätten", also auch — oder gerade — der benachbarten Lagerstätten). Aber hier zeigt sich zugleich ein wesentlicher Unterschied zu § 16 GewO: Während dort die Interessen der Nachbarn auch u m ihrer selbst w i l l e n geschützt werden, ist auf den Schutz von Lager65

Vgl. Tschäpe, S. 52/53; Lantzke, S. 82/83. Dieser P u n k t n u r i n der i n N W geltenden Fassung. 67 Dabei ist das Betriebsplanverfahren der Bergbehörde formal nicht als ein Genehmigungsverfahren ausgestaltet. Vielmehr muß die Bergbehörde gem. § 68 Abs. 1 A B G innerhalb von 14 Tagen Einspruch gegen die Ausführ u n g erheben, w e n n sie diese verhindern w i l l . Wenn die Bedenken der Bergbehörde berechtigt u n d nicht durch Änderung des Betriebsplans zu beseitigen sind, muß die Behörde seine Ausführung endgültig untersagen, § 68 Abs. 6 A B G . Materiell ist dieses Verfahren einem Genehmigungsverfahren gleichzustellen. Die Genehmigung liegt i m Unterlassen des Einspruchs. 66

VIII. Zum „echten" Bergnachbarrecht

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stätten nur Bedacht zu nehmen „soweit er i m allgemeinwirtschaftlichen Interesse liegt". Die Lagerstätten sind also ausschließlich i m öffentlichen Interesse geschützt, nicht zugleich auch i m Interesse der benachbarten Abbauberechtigungen. Diese Tendenz der bergpolizeilichen Befugnisse und damit des Betriebsplans w i r d auch i n den übrigen Gesichtspunkten des § 196 Abs. 2 A B G deutlich (Schutz gegen „gemeinschädliche" Einwirkungen; „Sicherung und Ordnung" der Oberflächennutzung, „Gestaltung der Landschaft" usw.) 88 . Eine nachbarschützende und damit die nachbarlichen Interessen ausgleichende Funktion hat das Betriebsplanverfahren daher nicht. Aus diesem Grunde ist es unrichtig, hier von öffentlichem Nachbarrecht zu sprechen und davon, das A B G habe die Bergpolizei beauftragt, den Ausgleich der nachbarlichen Interessen herbeizuführen 89 . Deshalb ist es auch nicht möglich, hier eine öffentlich-rechtliche Nachbarklage anzunehmen. Der Nachbar kann gegen den Betriebsplan nicht klagen 70 . Aus den dargelegten Gründen ist es auch unrichtig, dem Bergnachbarn solange eine Abwehrmöglichkeit gegen schädigenden Bergbau zu geben, wie nicht der Betriebsplan genehmigt ist 7 1 . Wenn das Betriebsplanverfahren nicht u m nachbarlicher Interessen w i l l e n besteht und durchgeführt wird, dann kann es auch keinen unmittelbaren Einfluß auf die privaten Rechtsbeziehungen zwischen den Nachbarn haben. Polizeiwidrigkeit oder Ordnungsmäßigkeit des Abbaus haben für die Rechte der Nachbarn untereinander keine Bedeutung 72 . Danach bleibt es dabei, daß der Bergwerkseigentümer gegenüber dem benachbarten Bergwerkseigentümer ein nachbarrechtlich völlig uneingeschränktes Einwirkungsrecht hat. Er kann — soweit i h m nicht die Bergbehörde i m öffentlichen Interesse Beschränkungen auferlegt, ohne Rücksicht auf den Nachbarn t u n und lassen, was er w i l l . 2. Dieser Fall privatrechtlicher Aufopferung geht i m Vergleich zu anderen bisher behandelten Fällen insofern außerordentlich weit, als 68 Daß Bergaufsicht u n d Betriebsplan ausschließlich öffentliche Interessen zu berücksichtigen haben, ist i n der L i t e r a t u r auch überwiegend anerkannt. Vgl. etwa Ebel-Weller, §196 A n m . 3 e; Tschäpe, S. 26; Schröder, S. 36; Turner, Z f B 106, 322. 69 So aber Lantzke, ZfB 101, 82/83. 70 So auch Ebel-Weller, §68 A n m . 6; L V G Gelsenkirchen Z f B 95, 468. 71 So aber auch Lantzke, S. 83; Tschäpe, S. 44—50; Schröder, S. 14. Bei beiden letzteren ist diese Ansicht inkonsequent, da sie an anderen Stellen den nachbarschützenden Charakter des § 196 A B G ausdrücklich ablehnen, vgl. o., Fn. 68. 72 Daß trotzdem ein mittelbarer Einfluß des Betriebsplans auf dieses V e r hältnis besteht, ist selbstverständlich u n d keineswegs ungewöhnlich: Wenn einem Bergwerkseigentümer Auflagen zum Schutze der allgemeinwirtschaftlich besonders bedeutsamen benachbarten Lagerstätten gemacht werden, so hat der Nachbar davon natürlich Vorteile. Das ist aber keine nachbarrechtliche W i r k u n g , sondern eine der bekannten „Reflex-Wirkungen".

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§ 11. Bergrecht und öffentliches Interesse

der Aufopferung kein Anspruch auf Entschädigung gegenübersteht. Der Entschädigungstatbestand des § 148 A B G gilt ausdrücklich nur für Schäden an Grundeigentum 73 . I n Anbetracht dessen, daß die durch Einwirkungen benachbarter Bergwerke entstehenden Schäden sehr erheblich sein können, überrascht das zunächst und gibt Anlaß zu prüfen, ob dies nicht den oben gefundenen verfassungsrechtlichen Maßstäben für die Entschädigung bei privatrechtlicher Aufopferung widerspricht 74 . Es widerspricht, so war dort gefunden worden, der Institutsgarantie des Eigentums, einem Privaten entschädigungslos Opfer zugunsten eines anderen Privaten aufzuerlegen, wenn es sich um wesentliche Opfer handelt, die typischerweise nur einzelne treffen und nicht situationsbedingt sind. A u f der Grundlage dieser Kriterien ergibt sich aber keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit, dem Bergnachbarn einen Entschädigungsanspruch zuzubilligen: Anders als i m Verhältnis des Bergwerkseigentums zum Grundeigentum, wo die Schädigungen stets einseitig und nur vom Bergwerkseigentümer ausgehen, kommt es i m Verhältnis zwischen Bergwerkseigentümern zu gegenseitigen Störungen. Das ist dasselbe wie bei Grundstücksnachbarn. Diese haben gemäß § 906 BGB wesentliche Einwirkungen entschädigungslos hinzunehmen, sofern die Einwirkungen ortsüblich sind und nicht die Grenze des Zumutbaren überschreiten. Der Grund dafür liegt darin, daß derartige Einwirkungen von jedem Grundstück ausgehen und auf jedes Grundstück einwirken können. Diese Gegenseitigkeit der Gefährdung und Schädigung ist i m Bergnachbarrecht sogar noch viel deutlicher und typischer als i m Grundstücksnachbarrecht. Während die verschiedenen Grundeigentümer ihre Grundstücke unterschiedlich nutzen und dadurch die gegenseitigen Störungen unterschiedlich (wenn auch sämtlich noch ortsüblich) sein können, nicht selten sogar einseitig — und trotzdem nicht zu Entschädigung verpflichtend — sein werden, nutzen die Bergwerkseigentümer „ihren" Raum i n jeweils genau gleicher Weise, so daß die Gegenseitigkeit der Störung hier praktisch noch viel häufiger als bei der Grundstücksnutzung ist, ja sogar den Normalfall darstellen dürfte. Umso mehr besteht Grund, die gegenseitigen Störungen entschädigungslos zu gestatten und sogar noch die Grenzen dessen, was als „zumutbar" anzusehen ist, heraufzusetzen. Zu demselben Ergebnis kommt 73 Eine A n w e n d u n g des § 148 A B G i m echten Bergnachbarrecht w i r d denn auch überall abgelehnt; vgl. Ebel-Weiler, 8 148 A n m . 7 d; Lantzke, Z f B 101,84; Tschäpe, S. 11 ff.; Schröder, S. 7; Boldt, 8 148 Anm. l b ; Miesbach-Engelhardt, 8 148 A B G A n m . 3 c; G. Heinemann, Nr. 163; Turner, Z f B 106, 323, 324; RGZ72, 303; RG Z f B 56, 403, u n d RGZ161, 203 = Z f B 80, 145; Isay, 8 50 A n m . 27 u n d Vorbem. zu 8 148 Anm.2. 74 Vgl. o., 8 5 V.

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man bei Beachtung des Abgrenzungskriteriums der „Ortsüblichkeit" (bzw. der „Situationsgebundenheit"). Selten w i r d man m i t so großer Berechtigung wie hier davon sprechen können, daß die Beeinträchtigungen durch den (Berg-)Nachbarn m i t der besonderen Situation des Bergwerks, mit den Eigenarten der (bergbaulichen) Nachbarlage zusammenhängen. Auch dies berechtigt dazu, die Grenze für entschädigungslos hinzunehmende Opfer sehr hoch anzunehmen, etwa i n der Nähe des völligen Ruins. Aus allem ergibt sich immerhin, daß i n besonders krassen Fällen ein Entschädigungsanspruch theoretisch nicht versagt werden kann. Aber es ist zu bezweifeln, daß solche Fälle überhaupt eintreten können: Risse und Brüche i n den Untertage-Anlagen werden niemals die völlige (wirtschaftliche) Vernichtung eines Bergwerks verursachen können. 3. Die Fälle, i n denen heute das Bergnachbarrecht diskutiert wird, sind denn auch nicht diese, sondern die der Schädigung durch Wasser. Derartige Fälle treten insbesondere dann auf, wenn Steinkohlenzechen stillgelegt werden. Die natürlich zufließenden Wasser werden i m stillgelegten Betrieb dann nicht mehr abgepumpt, die Grube „säuft ab". Dadurch kann i n benachbarten Gruben eine verstärkte Wasserhaltung erforderlich werden. Wenn mehrere umliegende Zechen stillgelegt werden, mag es dann dahin kommen, daß für die einzige Zeche i n diesem Raum, die weiter betrieben werden soll, die Wasserhaltungsprobleme nicht mehr wirtschaftlich zu lösen sind und daß sie deshalb — obwohl an sich rentabel — ebenfalls schließen muß. A u f die hier anstehenden Probleme können die vorstehend entwikkelten Grundsätze nicht ohne weiteres angewendet werden. Bei den erwähnten Wasserhaltungsproblemen kommt es vielmehr zunächst auch darauf an, ob man überhaupt noch von „Einwirkungen" sprechen kann. Bei den Fragen der Wasserhaltung geht es immerhin u m typisches Unterlassen. Zudem kann keine Rede davon sein, daß generell das i n der beeinträchtigten Grube steigende Wasser von den stillgelegten Bauen aus zugeführt wird. Vielmehr ist durchaus möglich, daß nur der Abfluß — infolge steigenden Wassers i n den benachbarten Feldern — verhindert wird. I n Anbetracht dieser Situation ist es nicht ohne weiteres gerechtfertigt, davon zu sprechen, die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit der Wasserhaltung i n diesen Fällen sei Folge einer Einwirkung, sei Folge der Verwirklichung eines Einwirkungsrechtes. Derartige Folgen sind Auswirkungen der natürlichen Gegebenheiten. Es handelt sich praktisch u m eine A r t Naturkatastrophe. I m Grundstücksrecht kann es auch nicht als Einwirkung des Nachbarn angesehen werden, wenn über dessen Grundstück her eine Überschwemmung auf die anderen Nachbarn 20 S c h l ü t e

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11. Bergrecht und öffentliches Interesse

übergreift. Eine E i n w i r k u n g liegt dann auch nicht darin, daß dieser Nachbar keine Mauer zur A b h a l t u n g des Hochwassers baut oder daß er eine ursprünglich bestehende Mauer auf seinem Grundstück abreißt. Ebenso wenig ist es eine E i n w i r k u n g , w e n n ein Grundeigentümer auf seinem Grundstück einen W a l d abholzt u n d dadurch windempfindliche K u l t u r e n des Nachbarn schädigenden Einflüssen des n u n verstärkten Windes unterliegen. Verallgemeinert m a n diese Beispiele, so k a n n m a n sagen, daß niemand gehalten ist, seinen Nachbarn vor der A u s w i r k u n g der Naturgewalten zu schützen. U n d wendet m a n diesen Satz auf die geschilderten Wasserhaltungsfragen bei bergbaulichen Stillegungsaktionen an, so w i r d m a n sagen müssen, daß v o n hierher betrachtet niemand Anspruch darauf hat, daß i h m nicht durch Stillegung des Nachbarbergwerks auch die eigene Grube „absäuft". Es gibt n u r noch einen Gesichtspunkt, unter dem m a n gegen dieses Ergebnis argumentieren kann: Selten w i r d so deutlich wie bei der Nachbarschaft v o n Bergwerken, daß Nachbarschaft Gemeinschaft bedeutet, Gemeinschaft i n der N u t zung des einen, n u r durch künstliche, juristische Grenzen geteilten natürlichen Raumes. Bei der Wasserhaltung v o n benachbarten Bergwerken ist das eine Bergwerk auf das andere angewiesen; die natürlichen Wasserverhältnisse nehmen keine Rücksicht auf die Grenzen der Bergwerksfelder. Benachbarte Bergwerke betreiben insofern gemeinsam Abbau (Raumnutzung), als sie sich — oft vielleicht ohne jede A b sprache — aufeinander verlassen. Da alle Nachbarn Wasserhaltung i n ihren Gruben betreiben, ist dieses Problem f ü r jeden einzelnen leichter — billiger — zu lösen. Jeder macht sich so die Leistung des anderen zunutze, einer profitiert v o m anderen, ob er w i l l oder nicht. Selten dürfte es so angebracht sein wie hier, dieses Gegenseitigkeitsverhältnis als nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis zu bezeichnen. Wer demgegenüber das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis als eine „ideologische Uber Steigerung" 75 bezeichnet, übersieht den Sachzwang, der hinter dieser Annahme steht. Wer das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis einfach als einen Anwendungsfall des § 242 B G B i m Sachenrecht ansieht, ist i n der Gefahr, leeren Abstraktionen zuviel Gewicht zu geben, denn er übersieht, daß m i t dem Hinweis auf § 242 B G B allenfalls gesagt ist, daß es m i t der gesetzlichen Regelung nicht getan ist, daß Abweichungen möglich sind. Die Richtung dieser Abweichungen aber, die entscheidende Konkretisierung der Generalklausel des § 242 BGB, gibt erst der Gedanke des nachbarlichen Gemeinschaftsverhält75

Vgl. o., S. 115 En. 40.

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nisses als Hinweis auf den aus den Besonderheiten der jeweiligen Nachbarlage folgenden Sachzwang. Dieser Gedanke legt es also nahe, die Stillegung nicht m i t letzter Konsequenz allein dem Willen des Bergwerkseigentümers zu überlassen, sondern i n Fällen, i n denen extreme Folgen für den nicht stilllegungswilligen Nachbarn zu erwarten sind, Rücksichtnahme auf den Nachbarn zu verlangen, oder — wo das nicht tunlich ist — diesem einen Ausgleichsanspruch zu gewähren 76 . Es ist jedoch nicht möglich, zu Voraussetzungen und Folgen dieser Pflicht zur Rücksichtnahme, evtl. zum Ausgleich, hier näheres zu sagen. Das liegt einmal daran, daß konkretere Aussagen zu Fragen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses immer nur anhand der Eigenarten des Einzelfalles gemacht werden können. Z u m anderen aber fehlt jede rechts-praktische Erfahrung m i t Fällen dieser A r t . I m Steinkohlenbergbau an der Ruhr, wo diese Probleme akut wurden, hat man sie mit Hilfe der Gründung einer „Pumpengemeinschaft Ruhr" gelöst 77 . 4. Für eine Bergrechtsreform würde sich eine Regelung nach der A r t des öffentlichen Nachbarrechts i m Baurecht empfehlen. Die Normen des öffentlichen Bergrechts (insbes. also § 196 ABG) müßten demgemäß nachbarschützenden Charakter erhalten. Das Verfahren zur Genehmigung des Betriebsplans müßte entsprechend auch die Interessen der Bergnachbarn berücksichtigen. Die Genehmigung des Betriebsplans würde dann die Einwirkungsbefugnis aktualisieren. Der Prozeß über den Umfang der nachbarlichen Befugnisse, gleichbedeutend also m i t der Frage nach der Rechtmäßigkeit des Betriebsplans, wäre wieder Verwaltungsprozeß mit der sich aus der VwGO ergebenden Eigenart der Parteistellung 7 8 . Z u denken wäre auch an ein Ausgleichsverfahren nach dem Beispiel des Wasserrechts 79 . Die Stillegungsprobleme wären dadurch allein nicht zu lösen. Es müßte also zusätzlich zumindest ein Ausgleichsanspruch für extreme Fälle geschaffen werden 80 . 76 Ä h n l i c h sowohl i n Voraussetzungen w i e Folgen der Anwendbarkeit des Gedankens des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses: Tschäpe, S. 89 ff.; Schröder, S. 23 ff.; (Beide auf Anregung Westermanns hin, vgl. Tschäpe, S. 89 Fn. 1; Schröder, S. 23 Fn. 2). 77 Vgl. dazu i m einzelnen Schröder, insbes. S. 79 ff., aber auch schon die Ausführungen über den Rationalisierungsverband Ruhrbergbau, S. 38 ff., m. w. N. 78 Vgl. dazu o., § 7 I I 4. 79 Dazu o., § 10 V 1 . 80 Falls man nicht f ü r jede größere Stillegungsaktion besondere Stillegungsgemeinschaften schaffen w i l l , wozu u. U. besondere Vorschriften erlassen werden müßten. Bei den heutigen Problemen des Ruhrbergbaus sind allerdings nicht solche Lösungen, sondern allein die Einheitsgesellschaft der institutionelle Rahmen, der rationales Entscheiden m i t den volkswirtschaftlich besten Lösungen ermöglichen kann.

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§ 12. Zusammenfassung I.

1. Die Nutzung des bodenrechtlichen Eigentums (Grundeigentum, Gewässereigentum, Bergwerkseigentum) hat sich seit jeher m i t dem Problem der Nachbarlage auseinanderzusetzen. Die Gemeinschaftsbezogenheit des Eigentums ist hier als Sachzwang stets bewußt gewesen und hat Gesetze geschaffen, die dem Rechnung tragen. A r t . 14 Abs. 2 GG ist i n diesem Rahmen nichts neues. Die treibende Kraft bei der Schaffung nachbarrechtlicher Regelungen ist nicht etwa die Idee der Gerechtigkeit. Der zu diesen Regelungen führende und Gerechtigkeitsvorstellungen erst die entscheidende konkrete Form gebende Grund liegt vielmehr i n einem handfesten „materialistischen" Sachzwang. Solange jedenfalls materielle Wohlfahrt der A l l gemeinheit ein anerkanntes Ziel ist, muß gerade die Nutzung des Bodeneigentums hierauf ausgerichtet werden. Wo Interessen von Grundeigentümern unausweichlich („notwendig") miteinander kollidiren, muß die Regelung der Nutzungskollisionen dahin gehen, daß ein „ökonomisch sinnvolles" Ergebnis erzielt wird. Es dient dem „Gemeinwohl", dem „öffentlichen Interesse", wenn das Nachbarrecht i n dieser Weise gestaltet wird. 2. Es ist keine Besonderheit des Nachbarrechts, daß private Rechte i n dieser Weise durch „öffentliches Interesse" gesetzlich ausgestaltet werden. Das öffentliche Interesse an ökonomisch sinnvoller Raumnutzung ist ebenso „Bewertungsmaßstab" wie Gerechtigkeit, Praktikabilität oder wirtschaftliche Erwägungen auf anderen Rechtsgebieten. Und es ist hier wie dort Anlaß zum Tätigwerden des Gesetzgebers überhaupt. Es gibt keine Norm, an deren Existenz kein öffentliches Interesse besteht. 3. Eine Besonderheit des Nachbarrechts, die außerhalb dieses Gebietes nur selten anzutreffen ist, sind die nachbarlichen „Eingriffsrechte". Das Gesetz gibt Nachbarn das Recht, unter bestimmten tatbestandlich fixierten Voraussetzungen (ergänzt durch den generalklauselhaften Eingriffstatbestand des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses) i n fremdes Eigentum einzugreifen. Das ist aber kein Anlaß, nun auch dem öffentlichen Interesse i m Nachbarrecht eine besondere Bedeutung zu geben. Auch der Schaffung dieser Eingriffsrechte liegt das allgemeine gesetzgeberische öffentliche

§ 12. Zusammenfassung

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Interesse zugrunde, wie bei jeder Norm. Dieses öffentliche Interesse erschöpft sich m i t Schaffung der Eingriffsnorm. Der Gesetzgeber nimmt kein Interesse an der Wirkung i m Einzelfall. Gibt es viele Einzelfälle, i n denen die tatbestandlich determinierten Eingriffsfolgen nicht den Intentionen des Gesetzgebers entsprechen, so ist das Gesetz schlecht und muß geändert werden. Nicht aber w i r d der Eingriff unerlaubt, w e i l er nicht vom öffentlichen Interesse gedeckt wäre. Er ist vom Tatbestand der Eingriffsnorm gedeckt; das genügt. 4. Verwirrende Unklarheit w i r d i n diesen Sachverhalt getragen, wo sich das private Nachbarrecht m i t öffentlich-rechtlichen Regelungen überschneidet. a) Das ist heute i m gesamten Bodenrecht der Fall, nämlich überall, wo die Ausübung von Nutzungsbefugnissen von einer vorgängigen behördlichen Genehmigung abhängig gemacht ist, sei es i n Form der gewerberechtlichen Anlagegenehmigung oder der Dispensierung von zwingenden Vorschriften des öffentlichen Baurechts oder der Erteilung wasserrechtlicher Zwangsrechte oder der Einräumung von Nutzungsbefugnissen gegenüber dem Grundeigentümer zugunsten des Bergwerkseigentümers. b) Das führt nachbarrechtlich deshalb zu rechtsdogmatischen Unklarheiten, weil eine derartige behördliche Genehmigung rein formal betrachtet ein hoheitlicher Einzelakt ist, der dem Nachbarn „an sich" bestehende Abwehransprüche nimmt und i h n damit zwingt, evtl. weitgehende Beeinträchtigungen widerspruchslos geschehen zu lassen. Das erfüllt bei oberflächlicher Betrachtung die Merkmale des Enteignungsbegriffs. Dies würde aber i n einem merkwürdigen Gegensatz zu der Beobachtung stehen, daß dieselben Regelungen rechtstechnisch leicht auch ohne Einschaltung eines Hoheitsaktes hätten konstruiert werden können. Dann würde es i n diesen Fällen keinen A k t geben, der als Enteignung qualifiziert werden könnte. Also wäre es eine Frage der rechtstechnischen Konstruktion, ob eine Regelung an A r t . 14 Abs. 3 GG zu messen ist oder nicht. Das kann nicht richtig sein, weil sonst der einfache Gesetzgeber die Verfassung m i t rechtstechnischen Manipulationen unterlaufen könnte. 5. Die richtige Frage kann daher nur lauten: Muß der Gesetzgeber Fälle dieser A r t als Enteignung konstruieren und sich damit den Kautelen des A r t . 14 Abs. 3 GG unterstellen oder nicht? Das ist aus drei Gründen zu verneinen, — aus einem praktischen Grund: Die einschlägigen Regelungen w ü r den sämtlich unpraktikabel, weil Eingriffsvoraussetzung bei enteig-

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§12. Zusammenfassung

nungsrechtlicher Betrachtungsweise stets öffentliches Interesse i n einem enteignungsrechtlichen Sinne wäre; — aus einem systematisch-methodischen Grund: private, nachbarrechtliche Eingriffsbefugnisse, die ohne Einschaltung von Hoheitsakten durchgesetzt werden können, sind bisher nie als verfassungswidrig angesehen worden. Es wäre inkonsequent und begriffsjuristisch, materiell gleiche Befugnisse nur ihrer formal anderen Durchsetzbarkeit wegen anders einzuordnen; — aus einem verfassungsrechtlich-dogmatischen Grund: Solange es Privateigentum gibt, ist die Regelung der Kollision zwischen Privateigentum Privatrecht. Das bedeutet privatautonome Nutzung. Dann kann eine behördliche Genehmigung dieser Nutzung nur Vorkontrolle der Tatbestandsmäßigkeit der Nutzung sein. Nicht aber kann der Eigentümer dann auf eine gemeinnützige Verwendung seines Eigentums i m Einzelfall festgelegt sein. 6. Die i n § 1 (Ziff. 1—4) genannten Fälle sind daher nicht enteignungsrechtlich zu behandeln. II. Dieser relativ einfache Gedankenweg ist verzahnt m i t einer Reihe von Problemen, m i t deren Lösung er einerseits harmonieren muß, zu deren Lösung er andererseits aber zugleich auch einiges beiträgt. 1. Enteignung ist nur zulässig, wenn öffentliches Interesse vorliegt. Dieses öffentliche Interesse muß etwas anderes sein, als das öffentliche Interesse auf der Ebene des Gesetzgebers. Sonst würde — w e i l öffentliche Interessen auf der Ebene des Gesetzgebers Anlaß zu gesetzgeberischer A k t i v i t ä t und zugleich gesetzgeberische Bewertungskriterien sind — die Verwaltung zum Gesetzgeber. Sie wäre wegen der Weite des Begriffs öffentliches Interesse nicht mehr gesetzesgebunden. Die Enteignung durch Verwaltungsakt muß daher auf Fälle beschränkt sein, i n denen eine rationale Konkretisierung des öffentlichen Interesses möglich ist. Das öffentliche Interesse muß sich i n einer Situation verdichten, die m i t den M i t t e l n des enteignungsrechtlichen Eingriffs durch Verwaltungsakt v o l l gemeistert werden kann. Das Instrument rationaler Konkretisierung öffentlichen Interesses ist der Plan. öffentliches Interesse i n diesem engen, spezifisch enteignungsrechtlichen Sinne ist nicht erforderlich bei der Durchsetzung privater Eingriffsrechte. 2. Die privaten Eingriffsrechte werden hier zusammengefaßt i n dem Institut der privatrechtlichen Aufopferung. Dem Namen nach ist dieses Institut seit einigen Jahren allgemein bekannt. Umfang, Abgrenzung

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und rechtsdogmatische Bedeutung des Instituts sind bis jetzt jedoch nicht v o l l erschlossen. Seine wichtigste Bedeutung liegt darin, daß es i n vielen Fällen öffentlich-rechtlich konstruierter nachbarrechtlicher Kollisionsregelungen eine sinnvolle Alternative zu der sonst unausweichlichen enteignungsrechtlichen Auffassung anbietet. 3. Zugleich ist privatrechtliche Aufopferung eine sinnvolle dogmatische Alternative zur Gefährdungshaftung. Aufopferung und Gefährdungshaftung unterscheiden sich (privatrechtlich wie öffentlich-rechtlich) dadurch, daß bei der privatrechtlichen Aufopferung das heute viel diskutierte Hechtswidrigkeitsproblem der Gefährdungshaftung nicht auftaucht. Bei privatrechtlicher Aufopferung sind Handlung wie Handlungserfolg eindeutig rechtmäßig. Der Erfolg darf verursacht werden. Bei der Gefährdungshaftung kann davon keine Rede sein. 4. Nicht nur i n der Abgrenzung zwischen Aufopferung und Gefährdungshaftung zeigen sich Parallelen zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht. Uberraschende Ähnlichkeiten finden sich vielmehr auch i n der Frage der Abgrenzung entschädigungspflichtiger von entschädigungslosen Eingriffen. Sowohl § 906 BGB als auch die Enteignungslehre kennt hier dieselben Kriterien: Ortsüblichkeit (Situationsgebundenheit), Wesentlichkeit (Schwere) und Sonderopfer. 5. Die Erörterung dieser Abgrenzungsprobleme w i r d i m Privatrecht wie i m öffentlichen Recht oft durch die Terminologie eines falsch verstandenen Eingriffs- und Schranken-Denkens erschwert. Wo man von einem „an sich zugewiesenen" Eigentumsinhalt spricht und ausgeht, verbaut man sich den Zugang zu der Frage, wie der Umfang dieses „an sich" zugewiesenen Bereichs zu ermitteln ist. Es ist hier besonders wichtig, formale Kategorien und materiale K r i terien auseinander zu halten. Diese werden aber vermischt, wo die Bilder von „ I n h a l t " und „Eingriff" rechtsinhaltliche Bedeutung erlangen. Dem w i r d hier als Ausgangspunkt eines rein formalen Denkschemas das völlig unbegrenzte Eigentümerbelieben als — formale — Regel und der Eingriff als — formale — Ausnahme gegenübergestellt. Die entscheidenden materiellen Gesichtspunkte können dann klarer und deutlicher angesprochen werden. Sie werden auf zwei Ebenen eingeführt: erstens bei der Frage, welche Rechtfertigungsgründe es für „Eingriffe" gibt, und zweitens bei der Frage, nach welchen Kriterien zwischen entschädigungspflichtigen und entschädigungslosen „Eingriffen" zu unterscheiden ist. 6. Die vorliegend erarbeiteten Gesichtspunkte und Ergebnisse geben einige Ansatzpunkte zu einem teilweise veränderten System zu A r t . 14 GG, das hier nur i n Umrissen angedeutet werden soll.

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a) Zu unterscheiden ist zwischen Enteignung unmittelbar durch Gesetz und Enteignung durch gesetzesgebundenen Verwaltungsakt. Gesetz i n diesem Sinne ist jede Norm. Enteignung durch Gesetz bedarf — wie jedes Gesetz — nur allgemeiner gesetzgeberischer öffentlicher Interessen, Enteignung durch Verwaltungsakt jedoch konkreter, spezifisch enteignungsrechtlicher öffentlicher Interessen. b) Die Unterscheidung Enteignung—„Sozialbindung" ist sinnvoll nur bei Enteignungen unmittelbar durch Gesetz. Sie würde besser i n der Frage formuliert, ob ein Gesetz ein Einzeleingriff ist oder nicht 1 . c) Unrichtig ist, die Eingriffe durch Verwaltungsakt anhand des Schemas Enteignung—„Sozialbindung" zu prüfen. Die richtige Frage ist hier vielmehr die nach dem „materiellen Hintergrund". Nur m i t Hilfe dieser Fragestellung kann unterschieden werden zwischen enteignungsrechtlichen, polizeirechtlichen, konfiskatorischen, einziehungsrechtlichen und schließlich auch privatrechtlichen „Eingriffen". Für die Schaffung dieser Eingriffe gelten verschiedene „Rechtfertigungen", und für jede Eingriffsart gelten unterschiedliche Kriterien bei der Abgrenzung zwischen entschädigungslosen und entschädigungspflichtigen Eingriffen.

in. Die Untersuchung legt Wert auf die Herausstellung der praktischen Relevanz ihrer grundsätzlichen Erörterungen. Dies geschieht i n folgenden Punkten: 1. Das „Nachbarrecht der öffentlichen Sachen", bisher fälschlich als „privatrechtliche Aufopferung" bezeichnet, w i r d als Fall öffentlichrechtlicher Aufopferung erwiesen, d. h. heute als enteignungsrechtliches Institut. Denn das öffentliche Interesse, das hier zur Einschränkung der nachbarrechtlichen Abwehransprüche führt, ist ein typisch enteignungsrechtliches öffentliches Interesse. Es ist dasselbe öffentliche Interesse, das Enteignungen zugunsten der mit den privaten Nachbarn kollidierenden öffentlichen Vorhaben zuläßt bzw. zulassen würde. 2. Die nachbarrechtliche Problematik des öffentlichen Baurechts (also die der „öffentlich-rechtlichen Nachbarklage") kann dadurch weitgehend geklärt werden, daß man ihren nach wie vor privatrechtlichen K e r n erkennt. Das Institut der privatrechtlichen Aufopferung führt dann wiederum aus der sonst unentrinnbaren enteignungsrechtlichen Betrachtungsweise und zu praktikablen Ergebnissen. 3. Die Regelungen des neuen Wasserrechts sind weitgehend von einer Angst vor A r t . 14 Abs. 3 GG beherrscht. Es w i r d vorliegend — auf 1 I n dieser Richtung jetzt BVerfGE 24, 401: Legalenteignung sei wesensmäßig V e r w a l t u n g durch Gesetz.

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der Grundlage einer neuartigen wasserrechtlichen Zuordnungstheorie — jedoch gezeigt, daß diese Kollisionen i m Wesen privat-nachbarrechtlich sind. Damit w i r d auch hier der Weg zu praktikablerer A n wendung dieser Vorschriften eröffnet. 4. I n gleicher Weise w i r d bei der Untersuchung einer Reihe bergrechtlicher Institute — auch i m Hinblick auf eine evtl. Bergrechtsreform — vorgegangen. IV. Stillschweigend, aber wohl deutlich genug, steht hinter den meisten Erörterungen dieser Untersuchung die Frage nach der Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht. M i t Absicht wurde dieses Problem nicht ausdrücklich i n den Mittelpunkt gestellt. Das hätte vorzeitig zu abstrahierend theoretischen Erörterungen geführt. Wichtiger erschien die Arbeit an der Fülle des Materials. Die gefundenen Ergebnisse drängen zu der Erkenntnis, daß jedenfalls die heute vorherrschenden Abgrenzungen zwischen subjektivem öffentlichen Recht und subjektivem Privatrecht insofern auf unsicherem Boden stehen, als sie zum entscheidenden Abgrenzungskriterium formale, rechtstechnischkonstruktive Momente machen, nämlich die A r t der Durchsetzung von Befugnissen. Handelt es sich aber darum, daß Behörden — ohne einen Ermessensspielraum zu haben — auf Antrag von Privaten gegenüber anderen Privaten zum Schutze der Antragsteller vorgehen müssen, dann ist die materielle Funktion solcher behördlicher Akte keine andere als die der Mithilfe bei der Durchsetzung privater Rechte. I n Fällen dieser A r t von subjektiven öffentlichen Rechten — als einem Gegensatz zu subjektiven Privatrechten — zu sprechen, w i r d damit fragwürdig. Das zielt auch gegen die herrschende Tendenz, mehr und mehr einen Anspruch Privater auf Tätigwerden der „Polizei" gegenüber anderen Privaten zu bejahen. M. E. führt auch dies rechtsdogmatisch nicht zur Annahme neuer subjektiver öffentlicher Rechte, sondern allein zu neuen Formen der Durchsetzung privater Rechte. Praktisch ist es allerdings gänzlich irrelevant, ob man hier von subjektiven privaten Rechten oder subjektiven öffentlichen Rechten spricht. Solange aber Rechtsdogmatik ernst genommen w i r d — und gerade die Dogmatik des subjektiven öffentlichen Rechts w i r d heute m i t besonderem Eifer betrieben — sollte sie davor zurückschrecken, derart fragliche Schranken zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht aufzurichten. Jedermann weiß, daß behördliche Beteiligung am Streit zwischen Privaten eine sich immer weiter verbreitende Erscheinung ist. Niemand sollte das bedauern. Niemand sollte das aber auch zum Anlaß nehmen, neue Gräben zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht aufzuwerfen.

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