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German Pages 188 [185] Year 1984
Du musst nur Deinen Kopf abgeben!
Jugendsekten und totalitäre religiöse Gemeinschaften in der Schweiz
Rosmarie Gerber Artur K. Vogel Unionsverlag
Inhalt I. Fünf Portraits 1. Ohne Christus zur Hölle: Die Evangelisationsunternehmen Die Bibel in jeder Hinsicht verbindlich Gebete für Diktatoren Vom Evangelium her helfen Nur eine Wahrheit 2. »Aufwärts mit heiliger Unverschämtheit« Das Opus Dei Von Kirche und Staat geschätzt Gottes Kassen Der Geist von Diktaturen Ein Generalstab Christi Liaison mit Muttergottes 3. Ein Guru für Kapitalisten Der Bhagwan-Kult Vollkommenheit leicht gemacht 84 Stunden meditierend arbeiten Karriere, Erfolg, Konkurs » Wir sind Kapitalisten « »Die Erlösung vom Rattenrennen« Der lustige Gott 4. Rezept für die Rettung der Welt Die Transzendentale Meditation (TM) Die sogenannte Wissenschaftlichkeit »All-Einheit im Ganzheitsbewusstsein« »Es gibt nur ein Gesetz « Zeitalter der Erleuchtung »TM kann krank machen« 5. Ein Heiland fürs Atomzeitalter Die Scientology-Kirche
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Ein Angebot für jede Krisensituation Beförderung - ins Abseits Übermensch werden für 50.000 Franken Ein kurioses Kauderwelsch »Nur Kriminelle kritisieren Scientology« Wer ist Hubbard? Ein Imperium zerfällt
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II. Erscheinungen und Ursachen 1. Mythen und Riten für rationale Zeiten Die Sehnsucht nach dem Irrationalen Die Unsterblichkeit 2. Potenz zur Veränderung der Welt Die absoluten Wahrheiten Die heiligen Väter Die verschworenen Gemeinschaften 3. Religion als Konsumgut Der käufliche Glaube Die austauschbaren Religionen Die Marketing- Strategien 4. Ideologie mit dem Kinderbrei Die Programmierung des Nachwuchses Der Griff nach den Schülern 5. Dem Cäsar, was des Cäsars ist Die oft bemühte Religionsfreiheit D ie lega le Dienst Verweigerung Die Steuern zahlen andere Die Meinungsfreiheit ausgeschöpft
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III. Verzweifeln am Fortschritt Die Zerstörung der Lebensräume
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Anhang: Ausgewählte Literaturhinweise
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Man speist die Hungrigen mit fetten Lettern Das heisst mal Volk mal Vaterland mal Gott Ach Gott! Errette uns vor unsern Rettern Walter Mehring
I. F Ü N F PORTRAITS
1. Ohne Christus zur Hölle Die Evangelisationsunternehmen Ein Jüngling im dunkelblauen Anzug preist den Star des Abends an: Patrick Johnstone aus England, Prediger, der »von der Strategie Gottes aus genau weiss, was auf der Welt geschieht«. Dann steht er selber auf der Bühne des Zürcher Hotels »Limmathaus«, der Mann im mittleren Alter, schlank, im gut geschnittenen, grauen Anzug, angenehm sonnengebräunt. Weniger angenehm klingt, was Johnstone an diesem milden Herbstabend mit sparsamen Gesten und modulierter Stimme verkündet: »Wir befinden uns in der Endphase der Weltevangelisation. Millionen werden ohne Christus zur Hölle gehen.« Nicht so natürlich die mehreren hundert, meist jüngeren, ordentlichen Zuhörerinnen und Zuhörer; sie sind schon bekehrt: »Jesus ist der absolute Herrscher, und wir stehen auf der richtigen Seite.« Organisiert ist die »Missionskonferenz« in Zürich von drei Evangelisationsunternehmen. Und die wissen genau, worum es geht: Das Weltenende ist nicht mehr weit, wer sich nicht bekehren lässt, wird eingehen in die Verdammnis. »Entscheide dich heute, bald ist es zu spät!«, singt der Chor der Bibelschule Walzenhausen AR. Martialischer noch tönt es aus Büchern des Evangelisten Willem Malgo (genannt Wim) vom Missionswerk »Mitternachtsruf« in Pfäffikon ZH, Titel: »Was sagt die Bibel über das Ende der Welt?« Der Welt »stehen noch düsterste Zeiten bevor«. Untrügliche Zeichen dafür sind nicht nur die Atomwaffenarsenale. Das »asiatische Einflussgebiet und sein hoher Blutzoll« machen sich in Europa breit; »der Antichrist ist unterwegs«. »Abfall vom Glauben und Unmoral kenn-
zeichnen diese Welt«: »Man versucht heute, die Homosexualität und andere Perversitäten aller Art als etwas ganz Normales hinzustellen. Demgegenüber wird das gesunde Familienleben immer mehr bedrängt. Warum das? Weil die Bibel nicht mehr Richtschnur für das Tun und Lassen der Menschen ist. Ob Gott solch abscheulichem Treiben wohl noch lange zusieht? Nein, das Verderben wird ganz plötzlich hereinbrechen, so wie es Christus vorausgesagt hat.« Fürchterlich wird sie enden, diese Welt: »Diesem vernichtenden Gericht - der Verdammnis in den Feuersee - fallen alle gewaltigen wider- bzw. antichristlichen Bestrebungen anheim, nämlich: all das viele falsche Prophetentum, von dem der Sohn Gottes einst vorhersagte, dass es kommen werde; (...) alle menschlichen Selbsterlösungsbotschaften und -lehren, alle selbsterdichteten Religionen; nicht zuletzt auch der Islam, dessen Stifter Mohammed nicht mit Unrecht der 'falsche Prophet' genannt oder auch als der 'Antichrist des Ostens' bezeichnet wird.« Kein falscher Prophet ist natürlich Wim Malgo. Er bezieht aus der »Bibel im Urtext das unfehlbare, inspirierte Wort des lebendigen Gottes«. Die Katastrophenbotschaften der diversen Evangelisten stossen nicht etwa ab, im Gegenteil: Wie kaum eine andere religiöse Gruppierung - ausser vielleicht dem Bhagwan-Kult haben die insgesamt Dutzende von Evangelisationsbewegungen in der Schweiz Zulauf von jungen Leuten; ihr Erfolg ist grösser als jener der Jugendreligionen und-sekten wieScientology, Transzendentale Meditation, Krishna-Gesellschaft oder Kinder Gottes, die in der Öffentlichkeit viel heftiger diskutiert werden. Auf der Gemüsebrücke, mitten im Zentrum Zürichs, sitzen Rentner und Jugendliche in der herbstlichen Nachmittagssonne. Eine Gruppe junger Leute hantiert geschäftig mit Tüchern und tragbaren Lautsprechern; englische Jesus-Songs scheppern über den Platz. Hinter einem aufgespannten Tuch
werden züchtig Pluderhosen über die Jeans gezogen und Gesichter weiss angemalt: In Zürichs Geschäftszentrum befinden sich junge Christen auf dem Verkündigungspfad. Sie geben das Stück vom »Herrn Jedermann«, dessen Leben angefüllt ist mit billigem Vergnügen, Arbeit und Ehrgeiz. Nach einer halben Stunde wird Herr Jedermann tot vom Platz getragen; seine Fussohle ist schwarz wie seine Seele, und das am grossen Zeh baumelnde Schild »zu spät« soll die Zuschauer aufrütteln. Für jene, die immer noch nicht gemerkt haben, worum es geht, posiert nun ein junger Mann vor dem aufgespannten Tuch, sagt warnend: »Über jedem von uns schwebt das Todesurteil«, und tröstend: »Warten Sie, wir werden zu Ihnen kommen!« Gleich darauf schwärmen 33 Schüler der »Jüngerschaftsschule« Biel aus, um verdatterten Zürchern das Evangelium zu bringen. »Die Kirche«, sagt Vreni, 24jährig und ehemalige Lehrerin, »ist zu einer toten Sache geworden.« Was sie dort nicht finden konnte, gibt ihr nun die Evangelisation: »Ich lebe mein Christ-Sein aus.« Die Tuchfühlung mit Gott finanziert sie sich vorerst vom Ersparten; den Beruf hat sie vor kurzem aufgegeben. Früher sei sie vergnügungssüchtig gewesen, und ausserdem stamme sie - ein bedauernder Unterton schwingt m i t aus einem »humanistischen Elternhaus«, in welchem keine klaren Direktiven ausgegeben worden seien, sondern man »über alles diskutiert« habe, in welchem nur geredet, nie gehandelt worden sei. Mit Diskussionen wird sie jetzt nicht mehr belastet. Peter Stolz, ebenfalls 24jährig und einer der Leiter der »Jüngerschaftsschule«, vermerkt froh: »Wir entscheiden nicht demokratisch. Es gibt nur eine Meinung, diejenige Gottes.« Solche Weisheiten werden in der »Jüngerschaftsschule« beigebracht, die von der weltweit tätigen Organisation »Jugend mit einer Mission« - anfänglich mit Beteiligung des lokalen »Jahu Biel« - betrieben wird. »Die Kosten für den dreimonati-
gen Schulteil«, so ist dem Schulprospekt zu entnehmen, »beinhalten Vollpension und Unterrichtsauslagen.« Doch »Zeuge für Jesus sein kostet mehr als nur Geld. Deine Freunde und Deine Arbeitsstelle mögen im Preis inbegriffen sein. Manche werden ihr Auto verkaufen oder unbezahlten Urlaub nehmen müssen. Freundschaft mit Gott verlangt Glaubensschritte und Opfer.« Mit den 2500 Franken für den dreimonatigen Kurs ist es offensichtlich nicht getan. »Jahu Biel« und »Jugend mit einer Mission« sind nur zwei der zahlreichen Gruppierungen. In Basel beispielsweise widmet sich die Alban-Arbeit der Drogenrehabilitation und anderen sozialen Aufgaben, betreibt ein Jugendhaus und garantiert eine volle Kirche. In Walzenhausen, Kanton AppenzellAusserrhoden, unterhält Newlife (»Neues Leben«) eine Bibelschule und will in verschiedenen Schweizer Städten die Jugend zu Gott zurückführen. In sogenannten Hauskreisen ordnen die Glieder der schweizerischen Missionsgemeinde ihr Leben mit Gott. Und allenthalben wird zum fundamentalistischen Grossangriff gerüstet. Mit Massenveranstaltungen wie den »Christus-Fest-Wochen« im Hallenstadion von Zürich-Oerlikon (16. April bis 1. Mai 1983) wollen die evangelische Missionsgemeinde, die Gemeinschaft evangelisch Taufgesinnter, die Chrischona-Gemeinde, die Freie Missionsgemeinde, die Action Biblique, der Ländli-DiakonieVerband, MEOS Svizzera, Newlife und die Freie Evangelische Gemeinde »auf möglichst einfache und klare Art auf Gott hinweisen«. Der »Hunger nach kristallklaren Antworten«, wie sich Pfarrer Werner Tobler ausdrückt, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Evangelisation, gepaart mit der VerdammnisDrohung und dem Versprechen, das ewige Heil verteilen zu können, treibt Tausende in solche Veranstaltungen.
Die Bibel in jeder Hinsicht verbindlich Allen Evangelisationsvereinigungen gemeinsam ist das fundamentalistische Bibelverständnis. Der evangelische deutsche Theologe Hans-Diether Reimer erklärt Herkunft und Inhalt des Fundamentalismus so: »Das Wort Fundamentalismus kommt in einer um 1910 in den Vereinigten Staaten erschienenen zwölfbändigen Schriftenreihe T h e Fundamentals - A Testimony of the Truth' ('Die Fundamente - ein Zeugnis der Wahrheit'), die eine Auflage von nahezu drei Millionen erreichte. Sie wurde herausgegeben von streng bibelgläubigen Kreisen, die den 'modernistischen und liberalistischen Tendenzen in Kirche und Theologie' entgegentraten mit der kompromisslosen Behauptung von fünf fundamentalen Wahrheiten. Die schwerwiegendste von ihnen war die These von der 'Verbalinspiration' der Heiligen Schrift. Danach ist die Bibel wortwörtlich unter dem Diktat des Geistes geschrieben worden und ist deshalb in jeder Hinsicht verbindlich.« »Die liberale Theologie lässtja allesoffen«, meint dazu Pfarrer Tobler; »die haben keine klaren Ziele und Werte mehr.« Klare Ziele und Werte, konkrete Weisungen für das tägliche Leben, auch wenn die Bibel noch so widersprüchlich sein mag: Man nimmt sich eben heraus, was man braucht, Wim Malgo seine Weltuntergangsphilosophie und seinen fanatischen Hass auf Homosexuelle und Moslems, und alle anderen ihre strikten Moralvorstellungen: Sie distanzieren sich vom ausserehelichen Zusammenleben, von Scheidung und Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Viele lehnen moderne Naturwissenschaften ab, besonders jene Theorien von der Entstehung der Welt und des Menschen, die von der Genesis abweichen. Von amerikanischen Fundamentalisten wurden öffentlich Bücher von Sigmund Freud, Heinrich Heine, Karl Marx und Henry Miller verbrannt.
Gebete für Diktatoren
Zwar betonen Exponenten der Evangelisationsunternehmen immer wieder, mit Politik hätten sie gar nichts zu schaffen. Schon die Sekretärin der Schweizerischen Missionsgemeinde, Vreni Wüthrich, relativiert diese Aussage aber umgehend: »Bei Fragen wie dem neuen Eherecht, Schwangerschaftsabbruch oder dem Sex-Unterricht in der Schule, da unternehmen wir schon etwas.« Und Pfarrer Werner Tobler, der zuerst sagt: »Wir sind keine politische Gruppe, wir betrachten das Evangelium als einzige Lösung unserer Probleme hier«, meint wenig später: »Wir weisen Abtreibung, Konkubinat etc. absolut zurück. Auf moralischem Gebiet machen wir keine Kompromisse. Da sind wir so strikte wie Mao! Da wollen wir durch die Parteien Einfluss nehmen.« Andrea-Giorgio Xandry, Evangelist und Prediger bei der Schweizerischen Missionsgemeinde, gab dem »Tages-Anzeiger-Magazin« zu Protokoll, er verfasse Gebete, die »an den politischen Tagesfragen orientiert« seien. »Eher im konservativen Spektrum natürlich« sieht Pfarrer Tobler seine Anhänger; »rechtsgerichtete Leute sind eben noch an einer Verbreitung des Glaubens interessiert«, hat Xandry vermerkt. Deshalb würden seine Texte vorwiegend in kleinen, konservativen Zeitungen abgedruckt. Schamhaft wird allerdings verschwiegen, dass die rechtsgewickelten Evangelisationsunternehmen seit einiger Zeit über eine eigene politische Partei verfügen, die Eidgenössische Demokratische Union (EDU), die - bisher meist erfolglos - in diversen Kantonen für kantonale Parlamente und den Nationalrat kandidiert hat (In Bern wurde der einzige EDUKantonsrat, Werner Scherrer, 1978 mit seinem Kampf gegen barbusiges Baden im Berner Marziiibad zum landesweiten Gespött). Die EDU ist ein Sammelbecken dissidenter Republikaner und ehemaliger Anhänger der Nationalen Aktion
sowie diverser Protestantenkreise, die zum Beispiel gegen die Aufhebung des Jesuitenverbotes in der Bundesverfassung waren. Dass diese Partei politisch immer noch am selben Ort steht, beweist die Listenverbindung, die sie im Kanton Zürich bei den Nationalratswahlen 1983 eingegangen ist: mit der Nationalen Aktion nämlich. Auf der Zürcher Liste war übrigens ein interessanter Name zu finden: Eva Xandry, Hausfrau, Gattin des so unpolitischen Andrea-Giorgio. Johannes Czwalina, Prediger der Alban-Arbeit, schreibt in deren »Chronik«: »Letzthin analysierte irgendein Theologe das 'wissenschaftliche Werk' der Alban-Zeitung und kam dann nach langem Erarbeiten zum Schluss, dass die geistigen Vorbilder der Alban-Arbeit Richard Wurmbrand, Graf Zinzendorf, Martin Luther und Johannes Czwalina seien . . . Wir mussten alle schallend lachen.« Wer Pastor Wurmbrand schon in Aktion gesehen hat, dem könnte das Lachen allerdings auf der Stelle vergehen: Hinter jeder halbwegs fortschrittlichen Regung sieht Wurmbrand die kommunistischen Drahtzieher im Osten. Als General Pinochet in Chile mit blutigem Putsch an die Macht kam, gratulierte der Pastor; als Rhodesien noch von einer brutalen weissen Minderheitsregierung beherrscht wurde, die alle Bemühungen der schwarzen Mehrheit um mehr Rechte und Freiheit mit Waffengewalt unterdrückte, war Wurmbrand regelmässiger Gast am staatlichen Fernsehen und paukte dort den Weissen ein, sie seien von Gott ausersehen, gegen den Kommunismus anzukämpfen. Christian Meier von der Alban-Arbeit mochte sich im Gespräch nicht von Wurmbrand distanzieren, meinte vielmehr, dieser habe »höchst interessante Bibelarbeit« geleistet. »Das Christentum schliesst Gewalt aus«, meinte Meier allerdings fast im gleichen Atemzug. Und Vreni Wüthrich sagte: »Wenn jemand im Namen Gottes Kriege führt oder Leute foltert, dann stimmt doch einfach etwas nicht mit dem Herz dieser Leute.«
Anders sieht das offenbar Pfarrer Markus Jakob, der Leiter der evangelischen Gruppierung Jahu in Biel. »Das Gedankengut von Rios Montt freut mich«, sagte er in einem Interview mit dem »Bieler Tagblatt«. Auf das Konto des solcherart Verehrten, des Evangelisten Efrain Rios Montt, ehemaliger faschistischer Diktator von Guatemala, gehen Tausende von Morden an politischen Gegnern. Von einer einzelnen Mordaktion von Montts Regierungstruppen schrieb der deutsche Schriftstellerund Bundestagsabgeordnete Freimut Duve: »An diesem Tag (dem 17. Juli 1982) wurden zwischen zwölf und siebzehn Uhr genau 302 Menschen von 600 Soldaten ihrer eigenen Regierung umgebracht. Das älteste Opfer war neunzig Jahre, das jüngste einen Monat und zwei Tage alt. Kinder wurden mit Steinen und Stöcken erschlagen, Frauen mit Messern und Gewehren getötet. Die Kinder hatten mitansehen müssen, wie ihre Mütter vergewaltigt und dann umgebracht wurden; die Männer waren im Gerichtsgeäude eingepfercht, als ihre Kinder erschlagen wurden. Vier Männer kamen mit dem Leben davon, zwei verbargen sich im blutigen Leichenberg. Das Massaker geschah in San Francisco, einem Dorf an der Nordgrenze von Guatemala. Die Mordopfer waren Indios.« Das sind Fakten, welche die Absolventen der »Jüngerschaftsschule« allerdings noch heute als »kommunistische Desinformation« abtun. Die Gebete aus Biel haben offensichtlich nichts gefruchtet: Rios Montt ist inzwischen von anderen Offizieren abgesetzt worden. Doch seine Schweizer Jünger halten noch immer zu ihm: Nach seinem Sturz waren erstaunliche Worte auf einer Tonband-»Gebetskassette« von »Jugend mit einer Mission« zu hören. Gott habe Guatemala »während anderthalb Jahren einen gläubigen Regierungspräsidenten gegeben, der die Nation so richtig zu Christus hat zurückführen dürfen. Es ist ein von Gott gesegnetes Land.« Leider sei, meinte Clemens Eisenhut, Angestellter der Gemeindeverwaltung Zug, nach einem missionarischen Kurzeinsatz in
Guatemala, leider sei der Präsident, ein »gläubiger, engagierter Christ«, durch einen Militärputsch aus dem Amt gehoben worden. »Wir wollen für den neuen Präsidenten beten, dass er die Linie von Rios Montt weiterführt.« Daran besteht kein Zweifel, wenn man neuere Berichte aus Guatemala hört und sieht.
Vom Evangelium her helfen
Freilich wäre es ungerecht, die Evangelikaien, wie sie sich selber nennen, nur an Sympathien für faschistische Militärdiktatoren, weisse Minderheitsregimes oder die fremdenfeindliche Nationale Aktion zu messen. Doch diese Aspekte werden gerne vergessen, wenn sich reformierte Pfarrherren über die eifrigen jungen Missionare freuen, die ihnen endlich wieder Volk in die Kirchen bringen, wenn die jungen Christen gelobt werden, weil sie zwar auf die Strasse gehen, aber gesittet und wohlerzogen, und dort nicht protestieren, sondern den furchtbaren Untergang der Welt und die wunderbare Errettung davon predigen. Das Lob fällt umso leichter, als einige Evangelisationsunternehmen sich auch konkret um die Probleme Jugendlicher kümmern. Die Alban-Arbeit zum Beispiel leitet aus ihrem christlichen Selbstverständnis den Auftrag zur Drogenrehabilitation ab, zur Jugendarbeit ganz allgemein. Unter dem Namen »Weizenkorn« führt sie eine Motorrad- und Velowerkstätte, eine Schreinerei, eine Spielzeugproduktion. Die Erzeugnisse werden nicht nur in einer eigenen kleinen Boutique, sondern unter anderem auch im »Heimatwerk« und einer Reihe anderer Läden verkauft Sozial Schwache bekommen in diesen Werkstätten die Möglichkeit, ohne Erwerbs-
druck zu arbeiten. Die praktischen Aktivitäten sind es vermutlich, die der Alban-Arbeit viel Sympathien von Behörden und Kirche einbringen, trotz des seltsamen religiösen Selbstverständnisses. So wird die Alban-Arbeit von der evangelischreformierten Landeskirche unterstützt (und gegen kritische Zeitungsartikel vehement verteidigt). Und aus dem baselstädtischen Lotteriefonds, über dessen Verwendung der Gesamtregierungsrat entscheiden muss, hat die Alban-Arbeit zweimal je 100.000 Franken erhalten. Auch die drei multinationalen Basler Chemiekonzerne haben sich grosszügig am Erwerb und Umbau des »Christlichen Jugendzentrums« (CJZ) an der Eulerstrasse beteiligt. Das Zentrum soll eine sinnvolle Nutzung der Freizeit ermöglichen, Billardtische und Werkzeuge ermuntern zu Spiel und Beschäftigung. Nicht zuletzt mit Hinweis auf dieses CJZ ist vor einiger Zeit das Basler Autonome Jugendzentrum (AJZ) liquidiert worden. Obdachlose zum Beispiel hoffen allerdings vergeblich: Abends um halb zwölf werden die CJZ-Tore strikt geschlossen. Ähnliches wie in Basel will Newlife in Bern realisieren: Unter dem Namen »Gefährdetenhilfe Bern« will man Strafentlassenen und Drogensüchtigen unter die Arme greifen. Doch die Hilfe soll nicht jedem zugute kommen. Nur wer sich bekehren lässt, wird auch unterstützt: »Wir helfen nur Leuten, die sich auch vom Evangelium her helfen lassen wollen«, sagt Kurt Kammermann, gelernter Automechaniker, Jahrgang 1955, Mitglied des »Ältestenrates« von Newlife. »Oft wird doch mit blossen Taten, ohne Gott, Hilfe geleistet«, sagt er, »das dürfte kaum nützen.« Auch in Basel ist die Hilfe nicht ganz selbstlos: Man erwartet, dass Leute, denen man hilft, den dort verkündeten Glauben übernehmen. Allerorten herrschen ausserdem dezidierte Vorstellungen von Disziplin, Hierarchie und Unterwerfung, und auch die Aufgaben der Geschlechter sind klar definiert. »Ohne die Frau und ihre Treue und ihren Einsatz«, sagte Christian Meier
von der Alban-Arbeit in einem »Interview«, das er mit sich selber gemacht hatte, »könnte man wohl die Alban-Arbeit, naja... fast vergessen.« Meier, der im Alban-Leitungsteam sitzt, präzisierte in einem Gespräch, es sei zwar ganz richtig, dass die Frau zu Hause sitze und Haushalt und Kinder betreue. Die Erziehung übernehme er allerdings selber: »Die Frauen sind einfach unterstützungsbedürftig.« Zu diesem Bild passt exakt, dass es zwar viel mehr weibliche als männliche Evangelikaie gibt, in Flugblättern sogar gejammert wird, dass sich wenig männlicher Nachwuchs für die Missionstätigkeit finde, aber andererseits in den Führungsgremien kaum Frauen anzutreffen sind, unter den wortgewaltigen Evangelisten und Predigern überhaupt keine. Wie die Alban-Arbeit geniesst auch Newlife beträchtliches Wohlwollen von Seiten der Behörden und der evangelischreformierten Kirche: Eduard Gerber, Sektenspezialist und bis 1983 Pfarrer in Bern, zeigte sich höchst erfreut über die Eröffnung des Newlife-Gemeindezentrums Anfang März 1983 in Bern. »Die Eröffnung des neuen Gemeindezentrums an der Eigerstrasse in Bern verlief verheissungsvoll«, schrieb er in einem Rundbrief. »Newlife sollte unbedingt als Freikirche, ja nicht als Sekte behandelt werden - es sei denn, dass uns die Entwicklung eines Schlechteren belehrt.« Die Berner Stadtratspräsidentin Maria Schär war von der offenen und herzlichen Atmosphäre im umgebauten Lagerhaus sehr angetan. »Hätten wir nur solche Leute«, meinte die Politikerin der Evangelischen Volkspartei, »dann hätten wir weniger Probleme«. Dass es »nur noch solche Leute« geben werde, ist das erklärte Ziel der zum Teil fanatischen Missionierer. Für die Verbreitung der fundamentalistischen Weltanschauung und für die Erlösung der Welt von Schuld und Sünde sind nur die modernsten Kommunikationsmittel gut genug, und der finanzielle Aufwand ist beträchtlich. So weit wie in den USA, wo Prediger und Evangelisationskonzerne
ganze Radio- und Fernsehketten besitzen, sind die Evangelikaien zwar hierzulande noch nicht. Aber sie bemühen sich intensiv um die Massenmedien, beklagen sich wortreich darüber, dass ihnen Leo Schürmann, Generaldirektor der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG), mehr Sendezeit verwehrt hat. Roger Schawinski hat sein »Radio 24« nicht zuletzt mit den heilbringenden Spots finanziert. Frühmorgens war täglich eine evangelistische Werbeviertelstunde zu hören, sonntags wurden die Hörer des Popsenders gar mit einer einstündigen Betrachtung beglückt. Bis 15.000 Franken wöchentlich habe das »Gospel-Radio« Schawinski eingebracht, sagt Kurt Kammermann von Newlife. Doch mit den teuren Werbeminuten waren die frommen Programmgestalter nicht zufrieden: Als das Gerangel um private Lokalsender in der Schweiz losging, reichten sie nicht weniger als sieben Gesuche ein unter so unverbindlichen Namen wie »Radio Mitenang« in Bern, »Eulachwelle« in Winterthur, »Radio Leuchtenstadt« in Luzern. Allen gemeinsam ist, dass sie abgelehnt worden sind, allen gemeinsam auch, dass sie »positive Nachrichten« und »gute Stimmung« verbreiten wollten, dazu natürlich auch »das Wort«. (Apropos »gute Nachrichten«: Radio-24-Chef Schawinski staunte nach eigener Aussage nicht schlecht, als er eines Morgens aus seinem eigenen Radio eine Lobeshymne auf den guatemaltekischen Diktator Rios Montt hörte.) Mit einem Fuss sind die Evangelikaien allerdings trotzdem im Radiogeschäft: Mit zehn Prozent sind sie z.B. am Zürcher Lokalradio Z beteiligt, und bei »Radio Zürisee« mischen sie eifrig mit. Einige Radioprojekte sind aber bereits realisiert: Deutschsprachigen im Tessin vermittelt Radio Turistica Gottes Wort, so wie es angeblich direkt der Bibel zu entnehmen ist. »Gott lenkte den Blick nach Italien, wo es möglich ist, private Lokalsender zu errichten«, heisst es dazu in einem Prospekt; Schwierigkeiten mit Schweizer Behörden hat es dem Verneh-
men nach bisher keine gegeben, obwohl Radio Turistica im Prinzip genau dasselbe macht wie weiland Roger Schawinski, dessen Blick ebenfalls nach Italien gelenkt worden war, als er beschlossen hatte, die Schweiz mit einem privaten Sender zu berieseln. Seit 1982 verkündet Radio Belsace aus dem Elsass den Baslern Gottes Wort aus dem Mund der Evangelikaien; die Trans-World-Radiostation in Wetzlar deckt Deutschland ab; aus Monaco wird die ganze Welt versorgt. In der Evangelisation steckt ein beträchtliches wirtschaftliches Potential, und so machen diese Gemeinschaften auch Grossumsätze, ohne dass sie deswegen eigene Firmen bräuchten. Das - gemeinnützige und damit steuerfreie - Missionswerk Mitternachtsruf von Wim Malgo in Pfäffikon/ZH beispielsweise beschäftigt dort und in Lotstetten in der BRD, nahe der Schweizer Grenze, insgesamt etwa 50 Angestellte und hat Niederlassungen in Frankreich, Österreich, den Niederlanden, den USA in Kanada und Brasilien. Die Monatszeitschrift »Mitternachtsruf« soll eine Auflage von etwa 100.000 haben (laut Hans-Diether Reimer und Oswald Eggenberger). »Bis heute sind über 100.000 Schallplatten und über 50.000 Tonbandkassetten mit seinen (Malgos) Botschaften verbreitet worden«, dazu mindestens 15 Bücher in grossen Auflagen. Die Ton- und Schriftflut Malgos dient nicht nur der Verbreitung seiner düsteren Endzeit-Philosophie sondern gleichzeitig, »neben den vielen freiwilligen Gaben der Anhänger, zur Finanzierung der grossen Auslagen«.
Nur eine Wahrheit
Mit den Radiostationen und Kassetten ist es selbstverständlich nicht getan: Schweizer Evangelikaie werden in die ganze Welt ausgesandt, um ihren »einzig wahren Glauben« zu verbreiten.
Und sie arbeiten mit weltweit operierenden Unternehmen zusammen, etwa der Operation Mobilisation (OM). Diese unterhält zwei Hochseeschiffe und hat, wie in Prospekten vermerkt wird, schon alle Erdteile mehrmals angelaufen, nicht immer zur Freude der lokalen Kirchen. Besonders abgesehen haben es die OM-Leute mit ihrer »Mobilmachung« für Christus auf die Moslems. Die Türkei etwa sei, ist der OMBroschüre »Auftrag und Entstehung« zu entnehmen, »geistlich gesehen eines der bedürftigsten Länder der Welt, mit kaum einer Handvoll Christen moslemischer Herkunft und wenig evangelistischer Missionsarbeit«. (Wir haben uns gefragt, wie wohl westeuropäische Gesellschaften reagierten, wenn plötzlich Dutzende von Moslems aus dem Nahen Osten die westeuropäischen Länder überfluteten um den »ungläubigen Christen die Lehre von Mohammed, dem Propheten, aufzunötigen.) Auf der 2319 Bruttoregistertonnen grossen »Logos« (griechisch: »das Wort«) und der dreimal grösseren »Doulos« (»Knecht, Sklave«) arbeiten etwa 500 Menschen; Tausende von Büchern werden mitgeführt. Stolz werden in der Broschüre die Missionserfolge hervorgestrichen: 15.000 Besucher in Madras, Indien, an einem einzigen Tag; 1974: »'Logos' (. ..) legt durch ein Wunder im Herzen von Saigon, Vietnam, an. Dies war nur Monate vor der kommunistischen Machtübernahme! Hunderte von Menschen haben sich für Christus entschieden«; an anderen Orten hiessen »Präsidenten, Scheichs und andere hohe Persönlichkeiten das Schiff offiziell willkommen. Radio und Fernsehen übertrugen oft Zeugnisse, Lieder und Botschaften, und in Grossveranstaltungen hörten viele Menschen das Wort Gottes«. Newlife ist indirekt aus der Operation Mobilisation hervorgegangen: Massgeblich an der Newlife-Gründung mitbeteiligt war ein Gärtner aus Weinfelden, Heinz Strupler (Jahrgang 1945). Er soll in Vevey seine Bekehrung erlebt haben, wandte sich nach Kontakten mit der Heilsarmee und der Chrischona-
gemeinde schliesslich der OM zu, wie die Evangelische Orientierungsstelle schreibt. Newlife hat im März 1983 sein Gemeindezentrum an der Eigerstrasse 12 in Bern eröffnet: Grosszügige Räume, zurückhaltende Farben und viel Holz, eine grosse Küche und ein schallisolierter Raum, in welchem kleine Kinder während der Gottesdienste spielen können, sind in unzähligen Fronarbeitsstunden und mit dem Einsatz von nur 65.000 Franken entstanden. An das Anschlagbrett im grossen Raum haben Mitglieder - 1983 waren es in Bern etwa 150 - Zettel mit ihren Gebetsanliegen geheftet. Die gleichen Mitglieder sowie grosszügige Geschäftsleute haben den Ausbau möglich gemacht; Geld fliesst ebenfalls in mehrere missionarische Projekte im Ausland, und über Kollekten werden die hauptamtlichen Mitarbeiter der Gemeinde entlöhnt. Rundum Idylle also, könnte man meinen. Doch in Wirklichkeit ist das Verhältnis zur evangelisch-reformierten Landeskirche, die ihrerseits Newlife viel Sympathie entgegenbringt, erheblich gestört: »Wir verstehen uns als freie evangelische Gemeinde im freikirchlichen Raum Bern«, meinte »Ältestenrat«-Mitglied Kurt Kammermann. »Unser Verhältnis zur Landeskirche basiert nicht auf irgendwelchen Sympathien, sondern auf einer theologischen Ebene. Ich vertrete eine fundamentale Theologie und könnte mit einem Anhänger der liberalen Lehre nicht zusammenarbeiten.« Kammermann verneinte entschieden irgendeine Aussicht auf eine konstruktive Mitwirkung in der Landeskirche. Ihn stört, dass dort »statt der Wahrheit viele Überzeugungen aufeinanderprallen«. Die Auseinandersetzung mit anderen Überzeugungen aber »würde zuviel Kraft kosten«. Und was sollte man sich mit anderen Meinungen beschäftigen, da man doch selber im Besitz der alleinigen und absoluten Wahrheit ist?
2. »Aufwärts mit heiliger Unverschämtheit« Das Opus Dei »Die Ehe ist für das Fussvolk, nicht für den Generalstab Christi. Sehnsucht nach Kindern? Ja, Kinder, viele Kinder hinterlassen wir und eine untilgbare Lichtspur, wenn wir den Egoismus des Fleisches opfern. Mir gefällt soviel Anpassungsfähigkeit nicht, eure Feigheit tauft ihr Klugheit. Und diese eure Klugheit ist Anlass für die Gottesfeinde, mit ihren ideenleeren Hirnen sich als Weise aufzuspielen und Einfluss zu gewinnen, den sie nicht hätten erlangen dürfen. Aufwärts mit heiliger Unverschämtheit! Sei ein Mann! Deinem Charakter fehlt es an Festigkeit! Schweige, sei nicht kindisch! Mein Lieber, sei doch etwas weniger naiv! Du bist ein Sandsack, raffe dich auf! Caudillo, stähle deinen Willen, damit Gott dich zum Führer macht! (...) Viel Gehorsam ist nötig. Ein Laie, der sich zum Lehrer der Moral aufwirft, wird oft fehlgreifen; Laien können nur Schüler sein. Der Priester, wer er auch sei, ist immer ein zweiter Christus.« »Im Durchblättern der 999 Aphorismen, Sentenzen und Parolen«, die Opus-Dei-Gründer Josemaria Escrivä de Balaguer in seinem Buch »Der Weg« versammelt hat, »erschrecken wir«, schrieb der Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar 1963. »Der Weg« sei ein »Handbüchlein für höhere Pfadfinder«, ein brisantes Handbüchlein allerdings, geprägt von politischen Anschauungen aus dem Spanien des faschistischen Diktators Franco. Das Opus Dei, gegründet 1928 in Spanien, ist eine der politisch, wirtschaftlich und im ethischen Bereich mächtigsten Organisationen innerhalb des Katholizismus und erlebt gegenwärtig, dank unverhohlener Sympathien von Papst
Johannes Paul II., einen kräftigen Aufschwung. In seinen Methoden, jugendlichen Nachwuchs zu rekrutieren und auf die bedingungslose Nachfolge Escriväs zu programmieren, unterscheidet sich das Opus Dei (»Werk Gottes«) oft nicht von sogenannten Jugendsekten: Schon zwölf-, dreizehnjährige Kinder werden subtil auf den »Weg Gottes« geführt; der Eintritt ins Opus und damit die Verpflichtung zur Ehelosigkeit, zu absolutem Gehorsam gegenüber den Werk-internen »Vorgesetzten« erfolgt nicht selten vor der - in der Bundesverfassung festgehaltenen - religiösen Mündigkeit mit 16 Jahren. »Aufs schärfste« verurteilen die Eltern einer mittlerweile erwachsenen Zürcherin, die mit knapp 13 auf das Opus eingeschworen worden ist, die »Beeinflussung Minderjähriger« und das »Versteckspiel gegenüber den Eltern«. Ihr Bericht über die allmähliche Integration der Tocher in das Opus könnte durchaus auch ein Bericht von Eltern sein, deren Kind in die Fänge von Scientology, der Kinder Gottes oder einer anderen, üblen Jugendreligion geraten ist: Im April 1972 trat Claudia (Name geändert) mit zwölfeinhalb Jahren ins Gymnasium ein. Schon bald verkehrte sie beinahe täglich im »Goldbrunnen«, einem Schülerinnenclub des Opus Dei, was die Eltern allerdings nicht wussten und was auch in den Prospekten für den Club geflissentlich verschwiegen wird. Wenig später besuchte Claudia den ersten Kurs im Studentinnenheim »Sonnegg« in Zürich, das ebenfalls vom Opus geleitet wird (und ebenfalls höchst diskret). Den Eltern wurde gesagt, es handle sich um eine katholische Jugendgruppe, was sie zuerst beruhigte. Dann verbrachte Claudia Ferien in Urio und auf den Flumserbergen in Opus-Ferienlagern; sie kam den Eltern zunehmend »verändert« vor, und diese bemängelten, dass sie zu wenig über die Hintergründe wüssten. Erst 1975 erfahren sie, dass Claudia in den Sog des Opus Dei geraten ist. Die Tochter verschweigt allerdings, dass sie im
September 1975, als Sechzehnjährige also, bereits Mitglied geworden ist. Vielmehr beteuert sie auch später noch, dass sie gar nichts unterschrieben, sich nicht definitiv entschieden habe. Erkundigungen der Eltern bei Priestern über das Opus Dei ergeben »nichts Konkretes. Nur hören wir oft, wir sollten vorsichtig sein, dass sie nicht fanatisch werde. (Und genau das ist sie geworden!)« Claudia besucht monatlich oder noch öfter Einkehrtage über die Wochenenden, wirbt aktiv für den Schülerinnenclub, »verbringt sozusagen jede freie Minute im Opus«. Sie wendet sich zusehends von den Eltern ab, gibt frühere Freundschaften auf und »übernachtet immer häufiger im Opus Dei, seit Herbst 1978 zweimal wöchentlich«. Auf ihren »Fanatismus« angesprochen, antwortet sie gereizt: »Papst und Bischof lieben das Opus Dei. Lasst mich, ich will mein Leben leben!« »Sie bestätigte uns nun auch, dass sie Abtötung betreibt (Bussband, Geissein)« und dass sie nie heiraten wolle. »Dies ist nicht mehr unsere Tochter«, resümieren die Eltern resigniert. »Ihre Äusserungen erfolgen wie in einem Bann. Sie ist überhaupt nicht mehr ansprechbar. Wir fühlen uns von der Leitung des Opus Dei hintergangen. Warum erfahren die Eltern nichts? Ist es richtig, Kinder ohne Wissen der Eltern so zu manipulieren, dass sie sich schon mit 16,17 Jahren füretwas verpflichten?« Bezeichnend fanden die Eltern auch die Reaktion der »Sonnegg«-Leiterin: In einer Diskussion meinte diese, »dass wir uns versündigen, wenn wir versuchen, sie (die Tochter) von der Berufung zur Heiligkeit abzuhalten«. Hintergangen fühlten sie sich auch von Opus-Priester Hansruedi Freitag. Dieser »erwähnte, dass unsere Tochter nie ins Studentinnenheim ziehen dürfte, solange wir nicht ja' sagen könnten und solange sie noch in der Ausbildung sei«. Als Claudia dann, zwanzigjährig geworden, von zuhause weg und ins »Sonnegg« zog, mit der Ausbildung noch längst nicht fertig, meinte der gleiche
Freitag, »wir sollten beten; unsere Tochter müsse selbst entscheiden«. Zuvor hatte der Bischof von Chur in einer persönlichen Unterredung mit Eltern und Tochter dieser empfohlen, »sich zwei Jahre komplett vom Opus Dei zu trennen«. Die Tochter wollte jedoch Bedenkzeit für diesen Entscheid, und die Opus-Priester Freitag und August Lopez-Kindler waren nicht bereit, auf den bischöflichen Wunsch einzugehen. »Freitag erklärte auf eine Frage sogar, es stimme, dass sie Leute brauchten und dass ihnen unsere Tochter von der Ausbildung her sehr nütze«. Jahrelang konnte das Opus Dei in Zürich im stillen seinen Nachwuchs rekrutieren, in Studentenheimen und Jugendclubs, denen von aussen nicht anzusehen war, dass sie vom Opus geführt wurden, und mit Hilfe von eigenen Religionslehrern. Ein ausführlicher Bericht in der »Neuen Zürcher Zeitung« bereitete dann am 13. Januar 1979 dem diskreten Wirken ein abruptes Ende: Der Autor konstatierte einen »gezielt und konzentriert durchgeführten Zugriff auf die Mittel- und Hochschulen«, berichtete von jahrelangen erbitterten Auseinandersetzungen an verschiedenen Mittelschulen zwischen den »gewöhnlichen« katholischen Religionslehrern und jenen vier, später drei, die dem Opus angehörten. Rektorate und Erziehungsbehörden hätten sich zurückgehalten, hiess es in dem Artikel, weil »der katholische Religionsunterricht und die Mittelschulseelsorge in die Kompetenz des römischkatholischen Generalvikariats fallen«. Dass das Generalvikariat selber nichts unternommen habe, schrieb die NZZ der Tatsache zu, dass das Opus Dei »ebenso mächtig und geheimnisumwoben wie im Vatikan wohlgelitten« sei. Im NZZ-Artikel bezeichnete ein nicht dem Opus zugehöriger katholischer Religionslehrer die Methoden der Laienorganisation als »psychischen Terror«; an den Kantonsschulen Wiedikon und Oerlikon und im Gymnasium Rämibühl würden den Schülern »schwere Sünden- und Schuldkom-
plexe« eingehämmert. Ausserdem wurde das Opus bezichtigt, sich in die Belange der Lernmethodik einzumischen und unter dem »Deckmantel« von sogenannten »Studientechniktreffen« (verbreitet nicht auch Scientology seine Propaganda unter dem Kennwort »Lerntechnologie«?) »vehemente religiöse Beeinflussung« zu üben. Ein Klassenlehrer berichtete der NZZ, einige Mittelschüler müssten tägliche »religiöse Monsterprogramme« absolvieren, mit sogenannten »Lebensplänen«, die einen von halb sechs Uhr morgens bis Mitternacht praktisch unaufhörlich auf Trab halten. »Die massive Beinflussung von Schülern kantonaler Mittelschulen, die mit der Tätigkeit von Opus-Dei-Religionslehrern oft zumindest an den Schulen selbst ihren Ausgang nimmt, wird von den Kritikern übereinstimmend mit derTätigkeit der sogenannten Jugendsekten verglichen, denen gewiss niemand staatliche Schulräume zur Verfügung stellen oder gar die Kinder anvertrauen wollte«, schrieb die NZZ. Das Opus Dei, aus seinem direkten Wirken urplötzlich an die Öffentlichkeit gezerrt, reagierte durch den Opus-Priester Hansruedi Freitag. In einem Brief an die NZZ warf er dieser vor: »Was im Artikel letztlich angegriffen wird, ist die Lehre der katholischen Kirche, wenn auch am Beispiel einer Institution (des Opus Dei), die dieser Lehre treu sein will.« Und selbstverständlich, so Freitag, habe das Opus und habe er als Religionslehrer - entgegen der Darstellung in der NZZ - keinen »psychischen Terror« ausgeübt. »Meinem Auftrag gemäss habe ich im Religionsunterricht die Lehre der katholischen Kirche erklärt, nicht mehr und nicht weniger.« Die Anwerbung Minderjähriger für eine totalitäre Kaderorganisation ist demnach Teil der »Lehre der katholischen Kirche« - so müsste man wohl Freitags Aussagen interpretieren. Berichte ehemaliger Schüler von Opus-Religionslehrern klingen bedeutend weniger harmlos als die Aussagen von Hansruedi Freitag: »Bereits in der ersten Gymnasialklasse
wurden wir in die Studentenheime des Opus Dei eingeladen; angeblich sollte uns bei Schularbeiten und arbeitstechnischen Problemen geholfen werden. Aber von dieser Hilfe spürten wir sein wenig; vielmehr bekamen wir alle einen Studenten zugeteilt, der unsere Lebensziele aufstellen sollte und über unsere Moral wachte.« Die einzige Rettung, so habe man den Jugendlichen eingeredet, bestehe darin, schrieb dieser ehemalige Mittelschüler weiter, »die ganze Opus-Dei-Weltanschauung zu übernehmen.« Luthers und Zwinglis reformatorische Taten seien als »Irrlehren« bezeichnet worden, die evangelischen Kirchen müssten »bekehrt« werden. »In meiner ehemaligen Klasse«, schrieb eine Mittelschülerin, »waren rund die Hälfte der Schülerinnen bei der Organisation des Opus Dei aktiv tätig. Sobald eine Schülerin dort dazugehörte, hörte der nähere Kontakt zu den anderen Mitschülerinnen auf, missionarische Tätigkeit ausgenommen. Diese Absonderung geschah nicht immer aus innerer Überzeugung und freiem Willen, auf den sich das Opus Dei so gern beruft, sondern auf Anweisung der Organisation. Im Fall der Schülerin W. (...) war der Organisation sogar der Kontakt zur leiblichen Schwester unerwünscht und wurde verboten.« Probleme hätten die Opus-Schülerinnen nicht mit Freundinnen besprechen dürfen; »ein Vorgesetzter in der Hierarchie des Opus Dei musste gefragt werden.« Und wenn Opus-Mitglieder in einer Diskussion unsicher wurden, wurde diese »sofort unterbrochen und vertagt, bis man den Fall an, wie es hiess, 'kompetenter Stelle gelöst hatte«. »Das Opus Dei nennt sich christlich«, schloss die junge Frau ihren Leserbrief. »Seinen Anhängern, die wir kennen, brachte es die Kontaktlosigkeit zu allen Menschen ausserhalb des Opus Dei und eine fast totale Abhängigkeit von der Organisation.« Die Diskussion um das Wirken des Opus Dei in Zürich zog sich in der Folge über längere Zeit durch mehrere Zeitungen hindurch; mit Leserbriefaktionen versuchte das »Werk«, die
Kritiker mundtot zu machen, ihre Argumente zu entkräften. Doch schliesslich musste das Generalvikariat die vier OpusDei-Religionslehrer aus den Schulen entfernen. Es schrieb dazu: »Da die zur Erteilung katholischen Religionsunterrichtes an den Zürcher Mittelschulen beauftragten drei Mitglieder des Opus Dei trotz wiederholter Aufforderung nicht bereit waren, die in der Öffentlichkeit gegen sie erhobenen Vorwürfe mit den zuständigen Stellen zu besprechen, und weil sich eine Zusammenarbeit der Opus-Dei-Mitglieder mit den übrigen 15 Religionslehrern als unmöglich erwiesen hat, sehen sich das Generalvikariat und die Zentralkommission gezwungen, die Religionslehrer aus dem Opus Dei auf Ende Schuljahr 1978/79 in ihrer Tätigkeit einzustellen.« In einem redaktionellen Kommentar erklärte die NZZ den »klaren und raschen Entscheid« zutreffend damit, dass die katholischen Instanzen wohl befürchtet hätten, die »öffentlich-rechtliche Anerkennung der römisch-katholischen Kirche im Kanton Zürich, ein noch keineswegs abgeschlossener Prozess«, wäre durch das Beharren auf den Opus-Religionslehrern gefährdet gewesen. Mit der Absetzung der drei Opus-Religionslehrer nahm das Generalvikariat auch dem Zürcher Regierungsrat eine Entscheidung ab, die zu fällen ihm wohl schwergefallen wäre. In völliger Verkennung der Situation hatte er auf eine kleine Anfrage im Kantonsparlament geantwortet: »Von den insgesamt 18 katholischen Religionslehrern an den Mittelschulen gehören drei dem Laienorden Opus Dei an. Für die Arbeit an den Hochschulen hat der Orden keinen kirchlichen Auftrag.« Seine Tätigkeit interessiert die zuständigen Instanzen deshalb nicht? - »Von einem 'konzentriert durchgeführten Zugriff auf die Zürcher Mittelschulen und die Universität'« könne somit, im Gegensatz zu den Ausführungen in der NZZ, »kaum die Rede sein«. Immerhin habe die Erziehungsdirektion »entsprechende Untersuchungen eingeleitet«, die durch den Entscheid der kirchlichen Instanzen »hinfällig
geworden« seien. Die Jugendclubs, Studenten- und Studentinnenheime existieren freilich weiterhin; nur der Zugriff auf die Schüler dürfte etwas schwieriger geworden sein.
Von Kirche und Staat geschätzt
Das Opus Dei, mit vielen Attributen von Jugendsekten ausgestattet, erfreut sich trotzdem einiger Wertschätzung von Kirche und Staat. 1956 in der Schweiz gegründet, konnte es hierzulande bis 1979 weitgehend unbehelligt agieren, mit einer Ausnahme: 1966 versuchte sich die Opus-eigene, aber nicht als Opus-Organisation erkennbare »Kulturgemeinschaft Arbor« in Fribourg zu etablieren. Die Bürgergemeinde wollte ihr 6000 Quadratmeter Land zu einem Vorzugspreis verkaufen und damit den Bau eines »Studentenfoyers« ermöglichen. In der Zeitung »La Liberte« erschienen einige sehr positive Artikel. Doch kritische Studenten recherchierten und fragten schliesslich in der Studentenzeitschrift »Spectrum«: »Brauchen wir diese religiös-militärische Organisation, um bei uns den Geist des Konzils zu verwirklichen?« Das Projekt musste aufgegeben werden. Ebenfalls unter einem anderen, unverfänglichen Namen versuchte das Opus 1979 im luzernischen Bauerndorf Schongau einen grösseren Komplex für Bildungsveranstaltungen zu errichten. Dort bediente sich das Opus vorerst seiner »Limmatstiftung«, wie Behördenvertreter der Gemeinde bestätigen, später eines »Vereins Internationales Tagungszentrum« (VIT), dessen Gründungsmitglieder und Geldgeber allesamt OpusDei-Mitglieder waren. Nach einer Fernsehsendung und mehreren Zeitungsartikeln, die auf den engen Zusammenhang zwischen Opus und VIT hinwiesen, nach Berichten Jugendlicher und ihrer Eltern von Methoden der »Abtötung« in den
Opus-Zentren Zürichs erwuchs dem Projekt im Bauerndorf Opposition; die Abstimmung über eine Änderung des Zonenplans, die den Bau ermöglicht hätte, fiel Anfang 1980 deutlich gegen das Zentrum aus. (Die Abstimmung war erst zustande gekommen, nachdem zahlreiche Einwohner sie gefordert hatten; ursprünglich hätte das Zentrum ohne Zonenplanänderung gebaut, diese erst zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden sollen.) Inzwischen hat der VIT das Land in Schongau laut Informationen aus dem Dorf wieder verkauft. Stattdessen soll nun an der Alienmoosstrasse in ZürichOerlikon ein Zentrum entstehen; mitten im Wohnquartier will das »Werk« ein Haus abreissen, das der »Kulturgemeinschaft Arbor« gehört - auch dies eine Institution, deren Zugehörigkeit zum Opus Dei nicht unbedingt ersichtlich ist. Bemerkenswert an der Geschichte ist, dass das Opus-DeiProjekt vom Erziehungsdirektor des Kantons Luzern und weiteren Behördenvertretern massiv unterstützt wurde, eine Tatsache, die zum Beispiel vom damaligen Schongauer Gemeindepräsidenten Hans Kretz unterstrichen wird. Erziehungsdirektor Walter Gut selber erklärte in einem Interview mit den »Luzerner Neuesten Nachrichten« am 24. August 1979 wörtlich: »Ich habe das Problem aus meinem Wissen über innerkirchliche Vorgänge heraus geprüft und weiss daher, dass es sich um eine Bewegung handelt, die von der Kirche anerkannt ist, und dass sie in den Grundzügen den Vorstellungen der Kirche entspricht. Daraus ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine negative Beurteilung.« Anders wäre es, meinte der Erziehungsdirektor, wenn zum Beispiel die »Yogi-Bewegung der Transzendentalen Meditation« beurteilt werden müsste: »Hier müsste man das ganze noch näher untersuchen, wenn Anhaltspunkte vorhanden wären, dass (...) ein unangemessener Einfluss auf junge Leute ausgeübt werden könnte.« Das zeigt klar die zwei Ellen, mit denen in Luzern gemessen
wird: Einerseits vehemente Ablehnung von Jugendsekten wie Scientology, Skepsis gegenüber der Transzendentalen Meditalion; andererseits Offenheit für konservativste Vereinigungen katholischer Prägung, deren »unangemessener Einfluss auf junge Leute« nachgerade erwiesen ist. Trotz des Eclats in Zürich im Jahr 1979 gibt das Opus auch dort selbstverständlich nicht auf, ganz im Gegenteil. 1983 ist von der Stadt das Projekt für ein Opus-Dei-Heim »Alienmoos« in Oerlikon bewilligt worden. Und für ein »Studentinnenheim Oberstrass« beantragte das »Werk« - wiederum, ohne seinen umstrittenen Namen zu nennen - sogar Subventionen bei Stadt und Kanton. Ohne zu wissen, dass sie das Opus Dei unterstützten, hatten Behörden schon früher Subventionen an Institutionen des rechtskatholischen »Werks« entrichtet: 265.000 Franken für das »Studentenheim Fluntern«, 400.000 Franken an das »Studentinnenheim Sonnegg«.
Gottes Kassen Das Opus Dei gibt sich gelassen, was das Geld betrifft. Escrivä Hess gerne folgendes Gleichnis verbreiten: »Nehmen wir an, eine vielköpfige italienische Familie habe einen Sohn, der bei 'Montecatini' arbeitet, einen andern, der bei 'Fiat' angestellt ist, und einen dritten, der eben einen leitenden Posten in der 'Banca Commerciale k angetreten hat. Der Vater und einige weitere Söhne arbeiten in anderen Firmen. Wollen Sie nun behaupten, diese Leute seien Eigentümer jener Grossunternehmen und Banken?« Ebenso wie die Familie eines kleinen Angestellten nicht Besitzer der Fabrik sei, in der jener arbeite, so habe auch das »Werk« nichts zu tun mit den Firmen, in denen die »Söhne« und »Töchter« von Escrivä tätig seien. Das Opus Dei habe nichts zu sagen bei der Betätigung seiner Mit-
glieder im Bereich von Arbeit, Politik, Wirtschaft, Kultur, lassen die Opus-Propagandisten allenthalben verlauten. Es gehe dem Opus Dei ausschliesslich um die religiöse Formung seiner Mitglieder. Das ist nun tatsächlich eine krasse Verniedlichung, wenn man bedenkt, wie total der Anspruch des »Werkes« ist, wie sehr es das Verhalten seiner Mitglieder bis in kleinste Einzelheiten bestimmt und wie straff diese von ihren Opusinternen »Vorgesetzten« geführt werden. Die Jesuitenzeitschrift »Choisir« zitiert denn auch einen Passus der geheimen Opus-Verfassung, der besagt, dass sich jedes Mitglied »für alle Fragen beruflicher, sozialer oder politischer Natur« an seinen Vorgesetzten wenden solle, an seinen geistlichen Leiter. Unwahrscheinlich ist deshalb, dass sich Opus-Dei-Mitglieder in ihren Berufen nicht nach den Anweisungen des »Werkes« richten sollten: Priester in 500 Diözesen, 600 Journalisten in Zeitungen und Zeitschriften und 50 in Radio- und Fernsehgesellschaften, Mitarbeiter von 40 Werbe- und Presseagenturen und einem guten Dutzend Filmgesellschaften. So hat das Opus einen treuen Geldgeber und Exekutor von Escriväs Lehre verloren, als im Februar 1983 der spanische »Rumasa«-Grosskonzern verstaatlicht wurde, der grösste Arbeitgeber auf der iberischen Halbinsel. Sein Besitzer Jose Maria Ruiz-Matcos ist Opus-Mitglied. Und als der Zürcher Rechtsanwalt Arthur Wiederkehr (geboren 1910) am 13. März 1972 die »Limmat-Stiftung« gründete und mit 100.000 Franken dotierte, dabei den Stiftungsund Aufsichtsrat vorwiegend mit Opus-Mitgliedern bestückte, sind diese bestimmt nicht als »Privatpersonen« beigetreten. Antonio Zweifel jedenfalls, Mitglied des Aufsichtsrates und Geschäftsführer, agierte später in Schongau/LU für den »Verein Internationales Tagungszentrum« (VIT). Und Edwin Zobel, Geldgeber des VIT, war 1961 Mitbegründer der »Kulturgemeinschaft Arbor«. die wiederum zum Opus gehört.
Peter Rutz, Leiter des Studentenheims Fluntern, wo die »Kulturgemeinschaft Arbor« ihren Sitz hat, war früher Leiter des »Club Alpha« in Freiburg. Und der »Jugendklub Allenmoos« in Zürich-Oerlikon, an dessen Stelle das Opus Dei ein neues Zentrum bauen will, war im Telefonbuch - obwohl der »Kulturgemeinschaft« gehörend - unter dem Privatnamen eines Peter Kopa eingetragen, der wiederum Kantonsschullehrer in Winterthur war (und 1979 wie die anderen OpusReligionslehrer im Kanton Zürich seinen Hut nehmen musste). Der »Verein Internationales Tagungszentrum« wurde ausschliesslich von Opus-Mitgliedern geführt, seine Exponenten behaupteten jedoch stets, als »Privatleute«, nicht als Opus-Dei-Mitglieder zu handeln. In einem Prozess gegen die Autoren dieses Buches hat sich der Verein dann allerdings wieder einen Mann aus dergleichen Gemeinschaft geholt, den Zürcher Rechtsanwalt Emil Rusch, seinerseits Vizepräsident der »Kulturgemeinschaft«. Und so weiter. Die Behauptung, Opus-Mitglieder wüssten ihr »privates Apostolat« und ihre Tätigkeit im Beruf strikt zu trennen, ist angesichts dieser totalen Vernetzung mehr als unglaubwürdig - und Beispiele für Zusammenhänge Hessen sich beliebig anfügen. Über die »Limmat-Stiftung« und ihren Präsidenten Arthur Wiederkehr sowie dessen Sohn Alfred, ebenfalls Mitglied des Aufsichtsratcs, hat das Opus Dei auch in der Schweiz exzellente Beziehungen zur Wirtschaft: Alfred Wiederkehr sitzt (laut Verzeichnis der Verwaltungsräte 1984) in mehr als fünf Dutzend Verwaltungsräten, darunter jenem der Fluggesellschaft Crossair- dort ist er Präsident -, der Anker Bank, Genf, der Bank Louis Dreyfus, Zürich, und mehrerer Firmen der schwedischen Möbel-Gruppe Ikea, von denen er eine präsidiert. 76 Verwaltungsratssitze besetzt Arthur Wiederkehr. Er präsidiert unter anderem die Nordfinanz-Bank in Zürich (Aktienkapital: 65 Millionen Franken), die Finanzgesellschaft Banatlantico und das Möbelhaus Ikea in Spreitenbach.
Die »Limmat-Stiftung«, gemeinnützig und von den Steuern befreit, ist die Finanzierungsgesellschaft des Opus Dei in der Schweiz. Und sie wird derart tabuisiert, dass Geschäftsführer Zweifel bei einer richterlichen Einvernahme im Herbst 1983 in Zürich auf entsprechende Fragen schlicht meinte, dazu gebe er keine Auskunft.
Der Geist von Diktaturen
Mit der Unterstützung des Opus Dei unterstützen demokratische Gemeinwesen nun allerdings eine Organisation, die mit Demokratie gar nichts gemein hat. In Spanien konnte sich das Opus Dei nach 1939 so richtig ausbreiten - damals errichtete Generalissimus Franco seine Terrorherrschaft. Nachdem in den späten Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren die FrancoDiktatur zunehmend auf innere Opposition gestossen war und Bewegungen des Ungehorsams, etwa Streiks, sogar von Teilendes katholischen Klerus unterstützt wurden, dieser sich zum Sprecher benachteiligter Minderheiten machte, kam Franco die Loyalität des Säkularinstitutes Opus Dei gerade recht. Mitglieder des Opus besetzten zu jener Zeit wichtige Ministerien in Spanien, waren unter anderem zuständig für Wirtschaft und Finanzen; auch der Generalsekretär der Staatskanzlei kam aus dem Opus. Zehn Jahre später hatten Opus-Mitglieder und -Sympathisanten sogar zehn Ressorts in Francos Kabinett inne, unter ihnen Aussenminister Lopez Bravo. Der Kölner Historiker Peter Berglar, Opus-Mitglied und Verfasser einer hymnischen Escrivä-Biographie, verleugnet die Unterstützung Francos keineswegs: »Die Nachfolge Christi, die Treue zur Kirche, der Geist des Werkes verboten keinesfalls, dem spanischen Staat jener Zeit zu dienen.« Im Gegenteil: Das Opus selbst ist vom franquistischen Geist
jener Zeit zutiefst geprägt: »Ohne Zweifel ist Escriv'ás'Camino "der Weg" - eines der bemerkenswertesten Produkte der neuzeitlichen Erbauungsliteratur«, schrieb Wolfgang Dern schon 1963 in den »Frankfurter Heften«. »Doch ebensowenig ist daran zu zweifeln, dass in diesem kleinen Bändchen suggestiv vorgetragener religiöser Ermahnungen der Versuch gemacht wird, eine fanatisch-dynamische Alltags-Ethik mit Elementen des in den dreissiger Jahren gängigen autoritärfaschistischen Gedankengutes zu verschmelzen.« »Du bist zur Führunggeboren. Führender Kopf bist du nur dann, wenn du den Ehrgeiz hast, alle Menschen zu retten.« - Escriväs Sammlung von Weisheiten strotzt nur so von Elitebewusstsein und dem Appell an die Führernatur; und sie passte exakt in die Zeit der Führer Franco, Mussolini, Hitler. Die »besondere Gründungsgnade«, die Biograph Berglar Escrivä attestiert, war geschickt plaziert in einerzur Anerkennung von »Führern« bereiten Zeit. »Caudillo« nannte Escrivä seine Anhänger; »Caudillo« nannte sich auch Franco; der Befehl, sich dem »Führer« Escrivä bedingungslos zu unterwerfen, war gepaart mit dem Versprechen, dafür über die »grosse Masse« der Christen hinauszuragen, selber zum Führer zu werden, eine Mischung aus Unterwürfigkeit und Anmassung. Der »Geist des Opus Dei« hat es diesem später auch nicht verwehrt, in anderen Diktaturen mitzumischen: Als 1966 das Militär in Argentinien putschte, wurden wichtige Positionen an Opus-Leute übertragen. Und die katholische deutsche Zeitschrift »Publik-Forum« warf dem »Werk« erst kürzlich wieder vor, am blutigen Militärputsch von General Pinochet gegen den gewählten chilenischen Präsidenten Allende 1973 die Hände im Spiel gehabt zu haben. Opus-Mitglied Jaime Guzman wurde von Pinochet wenige Tage nach dem Putsch mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung beauftragt, an der auch weitere Opus-Männer mitwirkten. »Keineswegs beschränkt sich sein Interesse«, schrieb Wolf-
gang Dern, »an Bildung, an Arbeit und Wirtschaft auf deren allgemeine Beförderung; vielmehr ist seine Aktivität eindeutig darauf gerichtet, eine straff organisierte, parteiähnliche Gruppe zu schaffen, deren Ziel der Ausbau zentraler Stellungen in jenen Bereichen, der Gewinn von Macht und wirksamen Kontrollfunktionen im öffentlichen Leben (...) bildet.« Um aber diese Stellungen zu erreichen, ist das »Werk« wiederum auf schlagkräftige Institutionen im Erziehungs-, Bildungs- und Informationsbereich angewiesen. In Pamplona unterhält das Opus die Universität von Navarra, die auf für das »Werk« bezeichnende Art entstanden ist: Das Opus Dei propagierte sie nämlich lautstark über Tageszeitungen und Zeitschriften, die es über eine der grössten spanischen Werbeagenturen wirtschaftlich unter Kontrolle hatte, über eine eigene Nachrichtenagentur und mit Hilfe der eigenen Minister in Francos Kabinett. Als schliesslich 1962 der Vertrag über die Errichtung der »Universität der Kirche« in Pamplona abgeschlossen wurde, »war kaum noch etwas zu verrichten«, wie Dern schrieb: »Der grösste Teil der notwendigen Baulichkeiten stand fertiggestellt, der Lehrkörper war fast vollzählig, der Unterricht seit Jahren in Gang. (...) Die Universität des Opus Dei war nicht mehr wegzuschaffen.«
Ein Generalstab Christi
Aber nicht nur das geschlossene und entschlossene Auftreten gegen aussen machen das Opus zu einer schlagkräftigen und durchsetzungsfähigen Organisation; dazu gehört auch die straffe interne Hierarchie, an deren Spitze der Generalpräsident (seit 1975 der Spanier Alvaro dei Portillo, ein OpusPriester der ersten Stunde) und sein Generalrat stehen. Dem weiblichen Zweig steht ein Zentralrat vor, der ebenfalls dem
Generalpräsidenten direkt unterstellt ist. In den einzelnen Ländern befehligt ein sogenannter Consiliarius die Vereinigung; er muss, ebenso wie der Generalpräsident, Priester sein. Untereinander sind die Mitglieder wiederum hierarchisiert: Zuoberst stehen die Priester der »Priesterlichen Gesellschaft vom Heiligen Kreuz« und die sogenannten Numerarier. Diese müssen ein philosophisch-theologisches Studium abgeschlossen haben und ausserdem über einen »weltlichen« Beruf mit Staatsexamen oder Promotion verfügen. Sie sind die intellektuelle Elite, verpflichten sich, ob nun Priester oder nicht, auf Keuschheit, Armut und Gehorsam und leben gewöhnlich in einer (nach Geschlechtern strikte getrennten) Wohngemeinschaft des Opus Dei. Unter ihnen rangieren die »Oblati«, die ebenfalls ehelos leben, jedoch aufgrund ihrer Bildung nicht zur intellektuellen »Numerarier«-Elite stossen können. Die »Supernumerarier« sind Mitglieder, die ein Familienleben führen dürfen und in ihrem Beruf arbeiten, sich jedoch trotzdem dem »Apostolat« unterwerfen. Freunde und Sympathisanten werden »Cooperatores« genannt, das Bedienungspersonal in den Opus-Institutionen »Auxiliarii«. Nach den Erfolgen auf dem politischen Parkett Spaniens stellten sich ab 1950 endlich auch innerkirchliche Erfolge ein: Am 16. Mai 1950 erhielt das Opus von Papst Pius XII. die Approbation als »Säkularinstitut«. Diese kirchenrechtliche Neuschöpfung war eigens für das Opus konstruiert worden, ist umschrieben als »apostolische Konstitution Provida Mater Ecclesia über die kirchenrechtlichen Stände und die Weltlichen Institute zur Erlangung der christlichen Vollkommenheit«. Doch Escrivä begnügte sich nicht damit, denn durch die neue Konstruktion unterstand das Opus Dei der Kongregation für die Ordensleute, von denen viele - vor allem die Jesuiten, deren Gründer Ignatius von Loyola Escrivä stets nacheiferte-, dem »Werk« gegenüber kritisch eingestellt sind. Mit kluger Intrige und geschickten Machtspielen schaffte es
das Opus Dei dann doch noch: Gegen den Willen der spanischen Bischöfe und der römischen Bischofskongregation ernannte Johannes Paul II. im November 1982 das »Werk« zur »Personalprälatur« und entzog es damit der Kontrolle der jeweils zuständigen Bischöfe. Das Werk Gottes ist somit vom Papst zu einer Art eigenem Bistum aufgewertet worden, einem selbständigen Teil der Kirche, dessen Oberhaupt - der Generalpräsident in Rom - selber eine Art Bischof ist, ein geistlicher Führer von 72.000 besonders fanatischen, eingeschworenen, durchorganisierten und straff hierarchisierten Mitgliedern in 85 Ländern. Der Papst hat anstelle der Jesuiten, die ihm zu intellektuell-fortschrittlich und damit zu unberechenbar sind, eine neue, ergebene Hausmacht gefunden, die sich zutiefst undemokratisch, gelegentlich geheimbündlerisch, autoritär und elitär gebärdet. 1981 ist der »Selig-und Heiligsprechungsprozess« für Escrivä angelaufen.
Liaison mit Muttergottes
Ebenso wie Escrivä de Balaguer am 2. Oktober 1928 laut seinem Biographen Berglar »durch einen gnadenhaft-übernatürlichen Akt« jene Botschaft des Himmels mitgeteilt erhielt, die ihn zur Gründung des Opus veranlasste, sind in diesem Jahrhundert auch weitere Institutionen der katholischen Reaktion auf reformerische Tendenzen entstanden: Die Schönstatt-Bewegung etwa, die sich in der Innerschweiz etwelcher Beliebtheit erfreut, wurde vom Pallotiner-Pater Joseph Kentenich (geboren 1885) am 18. Oktober 1914 als »Bündnis mit der Gottesmutter« in die Welt gesetzt. Kentenich fühlte sich berufen, Menschen nach Mariens Vorbild zu formen. »Jeder Schönstätter muss das Bestreben nach Heiligkeit besitzen«, Hess Kentenich verlauten; sein Kampf galt den
»modernen Häresien«. Das »Liebesbündnis mit der Dreimal wunderbaren Mutter und Königin« erfordert die aktive Mitgliedschaft in einer Schönstattgruppe, die »Selbsterziehung« (»man unterstellt sich der Muttergottes, um sich zu vervollkommnen«), und man »zahlt Liebesdienst in das Gnadenkapital der Muttergottes ein« - »Maria schüttet jeden Liebesdienst mehrfach zurück«. Joseph Kentenich gewinnt eine etwas grössere Glaubwürdigkeit als Escrivä dadurch, dass er für seine Gemeinschaft gegen Politik und Kirche kämpfen musste. Zur gleichen Zeit, da Escriväs Anhänger mit dem faschistischen Diktator Spaniens gemeinsame Sache machten, sass Kentenich (von 1941 bis 1945) im Konzentrationslager Dachau. Später wurde er vom Vatikan, der seinem Wirken misstraute, für 14 Jahre in die USA versetzt, von wo er erst 1965 zurückkehren durfte. Die Schönstatt-Bewegung - viel weniger hierarchisiert als das Opus und weniger intellektualistisch - ist auch missionarisch weniger präsent als das dynamischere »Werk«. Mit ihm gemeinsam hat es die Ablehnung sämtlicher neuzeitlicher Strömungen im Sektor Moral, der Befreiung der Sexualität, der Lockerung des Schwangerschaftsabbruchs, dem unverheirateten Zusammenleben: Es ist eine organisierte Aktion gegen »die Greuel der Gottlosigkeit« (Kentenich).
3. Ein Guru für Kapitalisten Der Bhagwan-Kult Die »Talwiese« anderBirmensdorferstrasse 113 in Zürich verdankt ihre Transformation von einer eher schmuddeligen Quartierkneipe in ein gediegenes vegetarisches Restaurant im Frühling 1983 einem Ereignis, das angeblich am 21. März 1953 irgendwo in Indien stattgefunden hat. Damals nämlich hatte nach eigenem Bekunden der 2ljährige Rajneesh Chandra Mohan, Student der Philosophie und Abkömmling einer Sippe, die einer fanatischen Hindusekte angehört, eine Erleuchtung. »In jener Nacht öffnete sich mir die Tür zu einer andern Wirklichkeit, eine neue Dimension tat sich mir auf«, schrieb er später über das Erlebnis, das nicht nur sein eigenes, sondern das Leben von Tausenden radikal verändert h a t - und letztlich auch die Innenarchitektur der »Talwiese«, die seit dem 1. März 1983 »Zorba the Buddha« heisst. Nach seiner Erleuchtung zog Rajneesh - neben seinem Studium und der späteren Tätigkeit als Philosophiedozent an der Universität von Jabalpur - durch ganz Indien, hielt Vorträge, berichtete von seiner Erfahrung mit Gott. 1966 wurde Rajneesh, inzwischen in seinem Selbstverständnis selber zum Gott (Bhagwan) geworden, von der Universität entlassen. In einem Appartement in Bombay gründete Bhagwan Shree Rajneesh, dererleuchtete Gottgleiche, 1969 seinen ersten Ashram, eine Art klösterliche Gemeinschaft; schon im folgenden Jahr stiessen die ersten Zivilisationsmüden aus dem Westen zu ihm. Hals über Kopf mussten der Göttliche und seine Anhänger 1973 die Millionenstadt Bombay verlassen: Die im Ashram
praktizierten sexuellen Riten und das unkonventionelle Auftreten der Bhagwan-Jünger hatten das Missfallen der Öffentlichkeit erregt. Am 21. März 1974, exakt 21 Jahre nach der »Erleuchtung«, ging der zweite Ashram auf, diesmal in Poona, 200 Kilometer von Bombay entfernt. »Poona« wurde zum Synonym für den Bhagwan-Kult, aufgeputscht durch westliche Illustrierte, die sich in aufsehenerregenden, voyeuristischen Farbreportagen aus dem Zentrum des Göttlichen zu überbieten versuchten, und PR-mässig vermarktet durch allerlei Prominenz, die von ihrer Erfahrung zu Füssen des Meisters berichtet. Ein Strom von Suchern, Zweiflern und der westlichen Lebensart Überdrüssigen ergoss sich nach Poona. In einer Wohnung in Hombrechtikon ZH wurde 1977 die erste Zürcher Niederlassung der Bhagwan-Anhänger eingerichtet. 1979 dislozierte man in drei Zimmer an der Seefeldstrasse 94 in Zürich. Im Februar jenes Jahres gründeten Jünger des zärtlich »Bhagi« genannten die Genossenschaft Gyandip, als deren Zweck im Handelsregister unter anderem die »Schaffung billigen Wohnraumes« eingetragen wurde. Im Frühling 1981 bezog die dazugehörige Kommune vorerst eine, dann vier Wohnungen an der Limmatstrasse. Ohne Wissen seiner Jünger-Hundertschaften bestieg Bhagwan am l.Juni 1981 in Bombay eine Maschine der »PanAm«. Begleitet nur von seinen engsten Vertrauten, setzte er sich in jene Richtung ab, aus dem Tausende zu ihm gekommen waren: Zuerst in Montclair, westlich von New York City, dann im Landwirtschaftsstaat Oregon liess er sich nieder und gründete dort ein neues Zentrum. Im November 1981 hat die Gyandip-Genossenschaftsich in zwei Stockwerke der Post an der Baumackerstrasse 42 in Zürich-Oerlikon eingemietet. Die Gyandip-Mitglieder wohnen seit 1. März 1982 in 14 teuren Neubauwohnungen der Escher-Wyss-Pensionskasse an der Geeringstrasse in Zürich-
Höngg. Seit Frühjahr 1982 preist sich ein Handwerkerteam der Genossenschaft für alle möglichen Arbeiten an. Gyandip will absolut autonom werden: Am 20. September 1982 hat die Genossenschaft bei der Zürcher Erziehungsdirektion das Bewilligungsgesuch für eine private Primarschule eingereicht. Über einen Buchversand schliesslich, den Gyandip samt Kundenkartei und Lagerbestand übernommen hat, werden seit dem 1. November 1982 nicht nur Bhagwans gesammelte Weisheiten, sondern auch Untergrund-Comics, Sammelbände von »Emma« und der satirischen Zeitschrift »Titanic« sowie Produkte aus dem deutschen 2001-Verlag vertrieben.
Vollkommenheit - leicht gemacht
Die Lehre des Göttlichen, seine verordnete Seligkeit auf Erden ist so einlullend, dass sie kaum Widerstand aufkommen lässt; zu geschickt hat er westliche Psychologie mit östlicher Tradition und östlichen Techniken gemixt, etwa Tai Chi Chuan, Joga und tantrische Übungen. Rajneesh macht Zivilisationsmüde munter und lässt sie dafür fraglos zu seinen Füssen kauern. An einer Demonstration auf dem Zürcher Bürkliplatz am 15. Januar 1983 gegen die bevorstehende Ausweisung des Meisters aus den USA, aber auch bei unseren verschiedenen Besuchen in den Gyandip-Zentren von Höngg und Oerlikon hat sich rundum Idylle präsentiert: Vor den Neubaufassaden an derGeeringstrasse sind an den sonnigen Tagen rötlich gewandete, spinnende und strickende Mütter und ihre Kinder anzutreffen. Denn der Meister hat die Farbe der aufgehenden Sonne in all ihren Nuancen zur obligatorischen Uniform der Sannyasins (Jünger) erklärt. Eigentlich wären die Ansprüche Bhagwans an seine Jünger
sehr hoch; seine klassische Form des Joga in drei Stufen müsste zur Vollkommenheit führen. Anfänglich ist im Meditierenden der göttliche Wesenskern durch Sinneserfahrung, Erlebnisse und Wünsche noch verschüttet. Wer diesen Kern mit dem »göttlichen Seinsgrund des Kosmos vereinen« will, übt zuerst sittliche Zucht: Ehrfurcht vor dem Leben (deshalb vegetarische Kost), Keuschheit, Wahrhaftigkeit und Hingabe an Gott. Sind diese Ziele nach mehrjähriger Übung erreicht, wird die Körperlichkeit durch gymnastische »Turn«- und Atemübungen überwunden. Erst dann kann durch Meditation und Konzentration der Zustand des »reinen Bewusstseins« (Samadhi) erreicht werden; »das Ich und das Objekt verschmelzen«. In diesem Zustand wäre man, befreit von allen Bindungen und losgelöst von der menschlichen Gesellschaft, zum »Sannyasin« geworden. In der Realität der Bhagwan-Anhänger allerdings ist die Hingabe auf ein erträgliches und von jedermann ohne grössere Anstrengung erreichbares Mass geschrumpft; »Bhagi« hat die ursprünglichen Lehren konsumierbar gemacht. Zwar fehlt bei Bhagwans Sannyasins das Fleisch auf dem Teller, aber gegen fleischliche Gelüste hat der Meister wenig einzuwenden, und Tabak und Alkohol, jedem echten Sannyasin ein Greuel, verschönen das Sein im Hier und Jetzt.
84 Stunden meditierend arbeiten Wenn Bhagwan spirituell nicht allzuviel fordert, so nimmt er doch von den Lebenden, was er kann. Um die krasse Diskrepanz zwischen des Göttlichen überschwappendem Luxus in Oregon und der eigenen, eher miserablen Existenz zu überwinden, muss einer schon ziemlich erleuchtet (oder verblen-
det) sein. Bhagwans ehemaliger Leibwächter jedenfalls findet die Zeit zu Füssen des Meisters in der Retrospektive nicht mehr sehr lustig: »Mit einer speziell dafür entwickelten Sprache werden Sannyasins allmählich in einen Zustand extremer Abhängigkeit gebracht. Die gesteckten Ziele sind hoch und kaum erreichbar: frei zu sein von Eifersucht, in jungen Jahren den Zölibat erreichen, 84 Stunden in der Woche zu arbeiten und nicht krank zu werden, nicht deprimiert zu sein oder das System in Frage zu stellen«, schrieb er in einem Leserbrief an den »Stern«. Bei unseren verschiedenen Besuchen in Oerlikon und Höngg haben wir nicht den Eindruck gewonnen, dass irgend ein Sannyasin das System in Frage stellen würde. Totale Hingabe vielmehr ist das Kennzeichen, Euphorie, Fraglosigkeit. Gearbeitet wird in der Genossenschaft für ein Taschengeld von 300 bis 400 Franken, wie Geschäftsleiter Urs Birnstiel alias Swami Dhyan Dipo erklärte; Kost, Unterkunft und Bekleidung sind frei. Fast schüchtern bietet uns nach dem Kauf einiger BhagwanBücher im Oerlikoner Gyandip-Zentrum die Sannyasin hinter der Kasse eine Besichtigung an. Vorbei an geschlossenen Glasschränken mit Büchern und Schmuck führt sie uns durch die Cafeteria, zeigt den blau gekachelten Duschraum, die Sauna und die Zimmer für Einzeltherapie. Im grossen Meditationsraum wird gerade der Teppich shampooniert, wir dürfen ihn nicht betreten, nur durchs Balkonfenster auf den schaumgekrönten Moosgrund blicken, auf den grünen Bodenbelag, auf welchem sich die Sannyasins jeweils, meditierend, von den giftigen Abfällen westlicher Industrieseelen entsorgen. Über allem lächelt Bhagwan verschmitzt von einem Podest an der Wand. »Kommt wieder, wenn ihr Lust habt«, sagt unsere Führerin. Wir gehen wieder, einige Tage später, diesmal zur Teilnahme an einer Meditationsstunde der Gyandip-Genossen
mit dem erklärten Ziel, darüber Bericht zu erstatten. Vor dem Eingang im Parterre lehnt ein rot gekleideter, grossgewachsener Mann mit gebräuntem, kantigem Gesicht und dunklem Haar und sieht aus, als wäre er gerade für einen Werbespot für »Irish-Moos«-Rasierwasseroder»Marlboro«-Zigaretten über wilde Bergbäche gesprungen. In den Gängen und Räumen liegen sich Sannyasins in den Armen; wir sehen rot, soweit das Auge reicht, fallen auf in unseren Normalbürger-Kleidern, spüren die Beklemmung der Aussenseiter. Statt in den Meditationsraum werden wir von Geschäftsführer Birnstiel/Dipo durch die Geschäftsräume gelotst, haben den Buchhaltungscomputer, die fototechnischen Apparate der Gyandip-Design-Abteilung, das Lager des Buchversandes zu bewundern, dann den Duschraum, der immer noch blau gekachelt ist, und die bereits vertraute Sauna. Nur ein kurzer Blick in den Meditationsraum wird gestattet; vermutlich strahlen wir negative Energie aus; wir bleiben draussen vor der Tür. Harzig das Gespräch mit der Leiterin des Gyandip-Zentrums: Mit einer Handbewegung scheucht Ma Anand Chandrika, bürgerlich Ursula Banerij, 29jährige frühere Psychologiestudentin, eine Handvoll Sannyasins aus dem Büro. Sie streicht das Jäckchen ihres Twinsets glatt, setzt sich ordentlich auf ihrem Fauteuil zurecht. Chandrika hat die Sprache Bhagwans angenommen; Chandrika versteht unsere Fragen nicht; Chandrika lässt uns die Fragen wieder und wieder repetieren; Chandrika gibt Antworten, die wiederum wir nicht verstehen. Sie ist verantwortlich für die drei Therapeuten, die hauptamtlich im Gyandip-Zentrum arbeiten, und für die weiteren, die für einzelne Kurse herangezogen werden. Im Gang sind deren Bilder ordentlich auf Karton aufgezogen und mit den jeweiligen Sannyasin-Namen versehen. Nur zwei geben dazu, in Klammern, auch ihre bürgerlichen Namen an: ein Dr. med. H. Klaus, der ein Gesundheitszentrum in Holland leitet, und
Dr. Fritz Tanner, früherer Landesring-Nationalrat, ehemaliger Besitzer eines Partnerwahl-Institutes und wegen seiner Sexualtherapien umstrittener Psychotherapeut. Ma Anand Chandrika kann sich nicht vorstellen, dass einer ihrer Therapeuten die Kontrolle über sich oder eine der grossen Gruppen verlöre; schliesslich lebe man miteinander, und sie kontrolliere die Gruppen zusätzlich. Endlich begleitet sie uns zur Türe des Meditationsraumes, blickt dort kühl auf die Uhr, teilt mit, dass nun die Zeit der Stille angebrochen sei, wir jetzt nicht stören könnten: keine Meditation mit negativer Energie. - Wir sind und bleiben draussen.
Karriere, Erfolg, Konkurs Zwischen den beiden Besuchen in Oerlikon haben wir uns mit Urs Birnstiel getroffen. Pünktlich sitzt Swami Dhyan Dipo, Geschäftsführer der Gyandip-Genossenschaft, im knitterfreien dunkelroten Anzug im Büffet erster Klasse des Zürcher Hauptbahnhofs. Unter dem rosaroten Hemd wölbt sich ein runder Bauch, die Krawatte darüber, dezent schräg gestreift, ist perfekt assortiert. Am kleinen Finger funkelt ein massiver Ring in Regen bogen färben, auf dem Tisch liegt eine blaue Packung »Dunhill«, daneben ein goldenes Feuerzeug. Das Diplomatenköfferchen neben dem Stuhl hat die dunkelrote Lieblingsfarbe Bhagwans. Ausschweifend erzählt Dipo, wie er als Unternehmensberater Urs Birnstiel bis zum dreissigsten Altersjahr eine steile Karriere hinter sich gebracht habe. Er sei nur noch von Termin zu Termin gehetzt, habe als Präsident des Landesrings Dietikon ZH Politik gemacht, als Hauptmann in der Schweizer Armee gedient und als stellvertretender Präsident der Zürcher Kirchensynode geamtet. (Der zweite Sekretär der
evangelisch-reformierten Synode des Kantons Zürich, später von uns angefragt, attestierte Birnstiel Effizienz und Tüchtigkeit. Dass 1981 nicht nur er, sondern gleichzeitig ein zweiter Synodaler zu Bhagwan abgesprungen ist, freut die Verbleibenden naturgemäss nicht. Ehemalige Offizierskollegen Birnstiels meinen ihrerseits nicht ohne Bewunderung: »Er war ein flotter Typ.«) Überall habe er Erfolg gehabt, insistiert Dipo, und habe sich doch plötzlich gefragt: »Was hat mir denn das Leben zu bieten?« Im Dezember 1980 sei er nach Poona gereist und habe dort die Antwort auf diese und alle andern Fragen gefunden: »Was Bhagwan sagte, verstand ich.« Am 18. Februar 1981 eröffnete das Notariat Fluntern, wie ein Mitarbeiter bestätigt hat, den Konkurs über den Karrieremacher Birnstiel; im Mai des gleichen Jahres wurde das Verfahren mit einem Verlust von rund 50.000 Franken abgeschlossen. In den angeblich so erfolgreichen Jahren 1979 und 1980 hatte der Unternehmensberater Birnstiel nach Auskunft des Steueramtes Zürich jährliche Einkommen von 20.000 Franken versteuert; derGyandipGenossenschafter Dipo steigerte das steuerbare Einkommen auf 25.000 Franken. 400 Sannyasins sollen allein in Zürich leben, 60 davon in der Kommune in Höngg wohnen und in der Genossenschaft in Oerlikon arbeiten. Anfang Mai 1983 bezifferte Dipo in der deutschen »Rajneesh Times« allein den Umsatz des kurz zuvor eröffneten Vegetarieretablissements »Zorba the Buddha« auf drei Millionen Franken im Jahr. Da sei ihm ein kleiner Irrtum unterlaufen, präzisierte er in unserem Gespräch: Drei bis vier Millionen Umsatz werde die Genossenschaft im Jahr 1983 insgesamt machen. Beim Steueramt Zürich waren im August 1983 Ertrag und Kapital der Genossenschaft mit je null Franken verzeichnet. »Der Abschluss des letzten Jahres ist noch nicht eingereicht«, sagte Dipo dazu. »Seit der Gründung und der Aufnahme der geschäftlichen Aktivitäten haben wir
eben eine enorm expansive Entwicklung zu verzeichnen.« Dieser Ansicht war offenbar auch das Zürcher Steueramt: Kurze Zeit später rückte ein Steuerkommissär der Genossenschaft auf den Pelz.
» Wir sind Kapitalisten«
Getreu dem Motto, dass die Arbeit für den grossen Meister in Oregon, allgegenwärtig in Bildern an den Wänden, nicht Mühsal, sondern Vergnügen und Meditation in einem sei, arbeiten die meisten Sannyasins vom harten Gyandip-Kern mehr als 60 Stunden pro Woche. »Unsere Leute«, sagte Dipo dazu, »empfinden Arbeit eben nicht als Last.« Zu sagen haben sie allerdings wenig; Entscheidungen werden nicht nach dem in anderen Kommunen üblichen Prinzip gefällt. »Es wäre zu schwerfällig«, meint Dipo, wenn Vollversammlungen oder ähnliche Gremien einberufen werden müssten, »das wäre gegen das Geschäft«. Hingegen sei er nicht daran interessiert, »etwas zu tun, was nicht von allen getragen wird. Alles passiert auf einer Basis gegenseitigen Vertrauens. Und schliesslich habe ich ja einige Erfahrung im Umgang mit Finanzen.« Er rede den Küchenbrigaden im »Zorba the Buddha« auch nicht drein, wie sie die Champignons zubereiten müssten. Theoretisch kann jeder in der Genossenschaft arbeiten, was er will und was ihm Spass macht; das Lustprinzip hat aber seine Grenzen: »Wir können es uns schliesslich nicht leisten, irgendwelchen Leuten eine therapeutische Beschäftigung zu geben.« Den entrückten Bhagwan-Jüngern nämlich ist jeder karitative Gedanke fremd, lachend verkündet Dhyan Dipo: »Wir sind Kapitalisten.« Nur in einem kapitalistischen System könne man so leben, wie man gerne möchte, »so geschäften, wie man Lust hat«. Ähnlich wie Scientology haben auch die
Sannyasins die Werbung für ihre geschäftlichen Zwecke entdeckt (während sie, im Gegensatz zu den fanatischen Jüngern des amerikanischen Sektengründers L. Ron Hubbard, das Missionieren tunlichst lassen. Auch dafür hat Dipo eine Begründung: »Wir Putzen keine Klinken und missionieren nicht - das wäre nur schlecht fürs Geschäft.«): Für die zwei gegenwärtig grössten Renner im Gyandip-Angebot, das Restaurant »Zorba the Buddha« und den sogenannten Isolations- oder Samadhi-Tank, werden professionelle Inserate publiziert, den Tank preisen die Genossenschafter im »TagesAnzeiger« und im Wirtschaftsmagazin »Bilanz« an. Im Isolationstank, einem verschlossenen, sargähnlichen Gehäuse, in welchem man in einer körperwarmen Salzwasserlösung schwimmt, soll man in einen anderen Bewusstseinszustand hinübergleiten, ähnlich wie er auch bei Meditationen erreicht werden kann. Die einen Fachleute warnen vor dem »Schwimmen im Mutterleib« (so lautet der Titel einer einschlägigen Reportage im »Tages-Anzeiger-Magazin« Nr 29/1982); andere preisen ihn als Segen unseres gestressten, lärmigen und hektischen Zeitalters. Der Aufenthalt im Tank könne kaum psychischen Schaden verursachen, meinte Adolf Dittrich von der Psychiatrischen Universitätsklinik »Burghölzli« in Zürich; er wisse von einer Testreihe mit 3.000 Leuten, von denen lediglich zwei im einlullenden Salzwasser Wahnvorstellungen entwickelt hätten. Ähnliche Erfahrungen, wie man sie im Tank mache, erlebten vermutlich auch die Mönche in der Abgeschiedenheit des Berges Athos; prosaischer könnte man die Wirkung im warmen Gewölbe auch mit der eines guten Joints vergleichen. Anders sieht es Franz Caspar vom Psychologischen Institut der Universität Bern: Ohne Gesamttherapie sei die Benützung des Tanks sehr fragwürdig, der Aufenthalt in der abgedunkelten Abgeschlossenheit, isoliert von jedem äusseren Sinnesreiz während einer Stunde oder mehr, sei problematisch.
Von andern Psychologen und Psychiatern wird nicht nur der Tank, sondern das gesamte therapeutische Angebot in Bhagwans Ashrams in Frage gestellt. Hermann Lang, Arzt an der Psychiatrischen Klinik in Heidelberg, berichtete von einer Frau, die nach einem Bhagwan-Weekend mit SensitivityTraining einen schweren Rückfall in eine längst ausgeheilt geglaubte Psychose erlitten habe, wie das ohne fachgerechte Indikation durchaus möglich sei. »An entsprechender therapeutischer Verantwortlichkeit scheint es den Bhagwan-Therapeuten zu fehlen«, schrieb der Psychiater dazu.
»Die Erlösung vom Rattenrennen«
Mit allerhand Prominenz, die nach erfolgreicher bürgerlicher Karriere zum Bhagwan gefunden hat, dokumentiert der Göttliche, dass auch bei Intellektuellen auf fruchtbaren Boden fallen kann, was er verbreitet: Jörg-Andrees Elten zum Beispiel, früher hochbezahlter »Stern«-Reporter, wird auf Vortragsreisen auf eine aufgeklärte, intellektuelle Elite angesetzt. Der ehemalige Nationalrat und Psychotherapeut Fritz Tanner zieht jene Kreise an, die zumindest in der Schweiz den Hauptharst der Bhagi-Jünger ausmachen: Erzieher, Psychologen, Sozialarbeiter, Lehrer, Kindergärtnerinnen. Die Schauspielerin Eva Renzi, Ex-Frau von Paul Hubschmid, beklagte in Boulevardzeitungen Prügelorgien und sexuelle Nötigung in Poona, dieweil Elten die »Erlösung vom Rattenrennen um Erfolg und Ansehen« in Buchform dokumentierte, wie es sich überhaupt fast jeder grössere deutschsprachige Verlag, von S. Fischer, Frankfurt, bis Heyne, München, zur Pflicht gemacht hat, mindestens ein Werk aus dem Bhagwan-Dunstkreis ins Programm zu nehmen. Neuerdings hat sich Rudolf Bahro, ehemals sozialistischer Theoretiker, dann Chefideologe der
deutschen Grünen, in Oregon gezeigt und die transzendenten Dimensionen des Bhagwan-Kultes sehr eingehend belobigt. So hat sich in aller Öffentlichkeit, vorerst in Poona, verstärkt nun in Oregon, im Mittelwest-Kaff Antelope, der multinationale Meditations-Mischkonzern von Bhagwans Gnaden entwickelt. Längst sind die störrischen Kleinbürger von Antelope ausgebootet; Bhagis Leute haben Politik, Polizei und Post fest in ihrer Hand. Mehrere Sannyasins haben die Polizeiakademie des Staates Oregon absolviert und amten nun als »Friedenshüter«. Die ehemalige Ranch »Muddy Creek« (»Schmutziger« oder »Sumpfiger Bach«), um die 30000 Hektar gross, hat ihren Namen geändert und heisst nun »Rajneeshpuram« (»Stadt des Rajneesh«); sie wird grosszügig zum Weltzentrum des Göttlichen ausgebaut, ungeachtet der immer noch drohenden Gefahr einer Ausweisung des Meisters aus den USA. 50 Millionen Dollar sollen Anhänger aus der ganzen Welt bereits in den Ausbau investiert haben; auch die 30 Luxuslimousinen von Rolls-Royce, jede einzelne um die 200000 oder mehr Franken wert, kamen als Geschenke von besonders anhänglichen (und betuchten) Jüngern nach Oregon. An den weltlichen Luxus des Göttlichen hätten die Zürcher Jünger nur wenig beigetragen, eine institutionelle Überweisung von Geldmitteln nach Oregon gebe es überhaupt nicht, beteuert Swami Dhyan Dipo. Der amerikanische Ashram biete jedoch einzelnen Mitgliedern »interessante Investitionsmöglichkeiten«, man könne der Rajneesh International Foundation in Rajneeshpuram Darlehen gewähren, Hypotheken und vieles mehr. Doch, doch, beantwortet Dipo die entsprechende Frage, die Gelder würden zum normalen Bankansatz verzinst, und er kenne sogar Leute, deren Darlehen bereits zurückbezahlt worden seien. Natürlich habe dann und wann jeder auch das Bedürfnis, dem geliebten Meister, »der uns ja so viel gibt«, ein Geschenk zu machen. Dass dieses durchaus grosszügig sein darf, hatten
wir schon 1982 von einem entnervten Vater erfahren, der uns anrief und erzählte, dass sein Sohn die Eigentumswohnung von ihm, dem Vater, mitfinanziert - verkauft und Frau und Tochter sitzen lassen habe, um dem Ruf des Erleuchteten mit genügend Barschaft in der Tasche zu folgen. Er habe von weiteren Liegenschaftengeschäften gehört, abgewickelt von Bhagwan-Anhängern in Zürich, sagte der Vater. In den neun Zürcher Grundbuchämtern stiessen wir bei unseren Nachforschungen auf eisiges Schweigen und entrüstete Berufung auf das Amtsgeheimnis. Über ein Inserat im »Tages-Anzeiger« stiessen wir dann per Zufall doch noch auf zwei Liegenschaftengeschäfte der Gyandip-Genossenschaft: Unter Chiffre waren zwei Mehrfamilienhäuser in Zürich für zusammen rund drei Millionen Franken angeboten. Auf entsprechende Rückfrage meldete sich die Genossenschaft und offerierte die Häuser Manessestrasse 102 (Stadtkreis 2) und Zweierstrasse55(Stadtkreis4). Im Januar 1983 registrierten die zuständigen Grundbuchämter den erfolgten Handwechsel; den Geschäftsabschluss als Verkäufer tätigte, mit notariell beglaubigten Vollmachten, Urs Birnstiel alias Dhyan Dipo. Die beiden Liegenschaften hatten einer Gertrud Gabriel gehört, wohnhaft am Katharinenweg im Stadtkreis 2. Frau Gabriel sei mit unbekanntem Ziel nach Amerika abgemeldet, gab die Einwohnerkontrolle auf Anfrage bekannt; tatsächlich sei sie nach Rajneeshpuram gezogen, bestätigte Dipo später in dem Interview. »Geht der Erlös aus dem Verkauf nun an Ihre Genossenschaft, oder geht er an Bhagwan?«, wollten wir von Dipo/Birnstiel wissen. »Er geht sicher nicht an meine Genossenschaft. Unsere Genossenschaft lebt nicht von Geschenken. Wir verdienen unseren Lebensunterhalt. Was Frau Gabriel mit ihrem Geld gemacht hat, ist ihre Privatsache. Mir steht es nicht an, Ihnen darüber Auskunft zu geben. In einem gewissen Sinn habe ich für Frau Gabriel treuhänderisch einige Dinge erledigt, sie ist eine Sannyasin.« Die Übernahme von Geschäf-
ten für Sannyasins sei allerdings nicht seine übliche Tätigkeit, betonte Dipo, der Liegenschaftenhandel eher eine Ausnahme. Immerhin konnte man dem Brief, den Gyandip an Interessenten für die zwei Liegenschaften versandte, entnehmen, dass es sich offenbar nicht um eine einmalige Transaktion handelte: »Im Moment können wir Ihnen folgende Liegenschaften in der Stadt Zürich anbieten...«, hiess es da. Überhaupt läuft ohne kommerzielle Unternehmungen offensichtlich keine neuzeitliche Religion mehr: Die Bhagis betreiben ihre Gyandip-Genossenschaft; ihr »Orange-Express« wird auch von Leuten beansprucht, die nichts mit dem Weisen im Wollmützchen gemein haben. Im »Zorba the Buddha« verkehren nicht nur die rotgewandeten Sannyasins, sondern »tout Zürich«, wennks vegetarisch, gediegen und teuer zu und her gehen soll. Und im »Samadhi-Tank« lassen sich gestresste Manager, Journalisten und Künstler im körperwarmen Salzwasser gehen, Erleben das »Schwimmen im Mutterleib«, die Entspannung in totaler Dunkelheit, auch wenn sie sonst keine Zeit oder Lust für die Anbetung des göttlichen Inders haben. Vergleichsweise bescheiden zu anderen Sekten macht sich aber die geschäftliche Aktivität der Bhagwan-Genossenschafter aus - trotz des erklärten Hangs zum Kapitalismus, den Gyandip-Geschäftsführer Birnstiel frank verkündet. Für den »Rolls-Royce-Stil für jeden«, den Birnstiel in der »Rajneesh Times« vom 11. Mai 1983 propagierte, würde der Genossenschafts-Gewinn aus dem geschätzten Jahresumsatz von drei Millionen Franken noch kaum reichen, geschweige denn für die Anschaffung eines Gyandip-eigenen Gefährts der entsprechenden, göttlichen Marke. Immerhin, so Birnstiel: »In erster Linie wollen wir etwas Schönes und Qualitätsvolles machen und lassen uns dabei nicht nur von Zahlen leiten. Unsere Kunden merken das, und deshalb kommen die
schwarzen Zahlen dann von selbst. Vielleicht sind wir deshalb so erfolgreich, weil bei uns die Leute endlich einmal nicht das Gefühl haben, übers Ohr gehauen zu werden.« Sollte wirtschaftlich etwas schieflaufen, wäre das Risiko abgesichert; mit Ciyandip müsste Birnstiel auch bei schlechtem Geschäftsgang kaum Konkurs gehen wie weiland als Privatperson: »Wir können finanzielle Risiken eingehen, da wir(...) Teil einer positiven Gemeinschaft sind, die das Risiko mitträgt.« - »Bhagwan, der Rolls Royce fährt, ist das sichtbare Zeichen für die Versöhnung von Liebe und Geld, von Geist und Materie«, sinniert dazu die »Rajneesh Times«.
Der lustige Gott
Shree Rajneesh ist von allen heiligen Vätern derjenige, über den seine Anhänger am meisten Sprüche klopfen. »Bhagi«, wie er in der Schweiz liebevoll genannt wird, ist nicht der kalte Dogmatiker, seine Lehre, in Dutzenden von Büchern niedergeschrieben, steckt voller Widersprüche und ist alles andere als ein logisches Gedankengebäude. Das wiederum macht wohl den ganz besonderen Reiz aus, den der »Gott« auf seine Anhängerschaft ausübt. »Mir geht es nur um mich«, meinte Urs Birnstiel in einem Interview mit uns, »und wenn er noch so crazy (verrückt) ist für Aussenstehende - ich will etwas für mich, und er gibt mir ja so viel.« Bhagwan sei, sagte Birnstiel, »immer irgendwie widersprüchlich. Für mich ist Bhagwan mit Buddha oder Jesus gleichzusetzen - alle diese Leute waren widersprüchlich.« Ursula Banerij, früher Psychologiestudentin und jetzt als Ma Anand Chandrika Leiterein des Gyandip-Zentrums, umschrieb die Wirkung des Widersprüchlichen so: »Du kannst
einen Erleuchteten erkennen, das kann wie ein Flash sein, den du hast, dass plötzlich dein Meister in dir drinnen angetüpft wird, dass es etwas wie eine simultane Bewegung gibt. Das passiert auf einer Energie-Ebene, es ist eine Art Seins-Ebene, losgelöst von unserem Kopf, sogar von unseren Gefühlen. Das war auch mein Erlebnis.« Dass der Meister selbst, dessen Anhänger für ein Taschengeld schuften, sich mittlerweile (Stand Ende November 1983) 30 Karossen der Nobelmarke Rolls-Royce hält, spricht ebenfalls nicht gegen ihn. Vielmehr werden die Luxuslimousinen in der hauseigenen »Rajneesh Times« stolz vorgezeigt, und Urs Birnstiel meint dazu: »Die gehören gar nicht Bhagwan, die werden ihm lediglich von Sannyasins zur Verfügung gestellt. Das ist ein Ausdruck der Dankbarkeit Bhagwan gegenüber. Diese Dankbarkeit ist sehr gross, auch von meiner Seite. Ich verstehe also gut, dass jemand aus Dankbarkeit, weil Bhagwan an einem Rolls Freude hat, ihm eben einen Rolls gibt. Die neue Art zu leben, durch die Vision Bhagwans, ist so immens, dass ich das verstehe. Es geht ja nur um Geld, nur um eine Maschine, an der Bhagwan eben Freude hat.« Mit Humor haben es die Jünger aufgenommen, dass sie gelegentlich von ihrem »Gott« kalt im Stich gelassen worden sind: Als der Erleuchtete 1981 Hals über Kopf, mit RollsRoyce, Sack und Pack nach Amerika entschwand und im indischen Poona - das zuvor als Synonym für seine Bewegung durch die ganze westliche Presse gegeistert war - 5000 Anhänger zum Teil in bitterster Armut sowie umgerechnet fünf Millionen Franken Steuerschulden hinterliess, reagierten die Sannyasins vorerst verstört. Ein deutscher Psychologe und Ashramit gab der Illustrierten »Stern« zu Protokoll: »Er lügt wie gedruckt, betrügt alle, ist boshaft und herzlos.« Doch schon in diesem Statement schwang, neben Enttäuschung, auch eine gehörige Portion Begeisterung mit. Heute finden Bhagis Anhänger seinen Exodus nach den USA einen tollen
Coup; seine Widersprüchlichkeiten werden lachend zur Kenntnis genommen. Statt dass, nach der Umsiedlung von Poona nach Oregon, die Bewegung zerfallen wäre, wie Kritiker prophezeiten, ist sie aktiver denn je. Als die amerikanischen Einwanderungsbehörden am 21. Dezember 1982 entschieden, dass Rajneesh die Voraussetzungen für eine dauernde Aufenthaltsbewilligung als religiöser Lehrer in den USA nicht erfülle, machten die Anhänger mobil: Am 15. Januar 1983 gingen in Zürich Hunderte auf die Strasse, wiegten sich zu Popmusik, locker und entspannt, und Hessen unter den Augen entgeisterter Ordnungshüter, die in Krawallmontur offenbar eine ganz andere Art von Demo erwartet hatten, herzförmige rote Ballons gen Himmel steigen. 1981 ist Bhagwan ins grosse Schweigen eingegangen, das er dem Vernehmen nach nur noch für die Gespräche mit den amerikanischen Einwanderungsbehörden kurz unterbrochen hat. Bevor er verstummte, hatte er umsichtig Weisheit und Humor seiner täglichen Vorträge zuhanden der Jüngerschaft auf Tonband und Video aufzeichnen lassen. Besonders gerne verpackt der Meister seine Weisheit in Witze; diese sind von einer herzerfrischenden Einfachheit und Direktheit, wie man sie sonst nur an verrauchten Stammtischen nach dem Konsum erheblicher Quantitäten von Bier erfahren darf. Eine Kostprobe (aus dem Bhagwan-Buch »Homosexualität und Frauenbewegung«): »Donna Marias Geschäfte gehen nicht gut. Als Hure in Rom gibt siesich alle Mühe, aber aus irgendeinem Grund klappt's nicht. Eines nachts hat sie eine grossartige Idee. 'Ich kaufe mir ein paar Knallfrösche, und wenn ich mit nem Typen im Bett bin, lass ich jedesmal einen knallen und schreie dann laut, er hätte in mir etwas kaputt gemacht und nun müsse er extra zahlen.' In der Nacht läuft ihr tatsächlich ein Mann über den Weg, und sie nimmt ihn mit auf ihr Zimmer. Sie verschwinden schnell im Bett. Sie lässt eine Hand
unter das Bett gleiten und zündet einen Knaller. Unglücklicherweise geht die ganze Schachtel mit Feuerwerkskörpern los und es gibt einen Höllenspektakel. 'Ah, Au, Auweh!' schreit sie. 'Du hast mir innen weh getan! Zehn Dollars extra!' Der Mann stiert sie an und stöhnt: 'Du kriegst hundert, wenn du meine Eier wiederfindest.'« Gelegentlich nehmen des witzigen Meisters Sprüche allerdings makabre Dimensionen an. Die Präsidentin der Rajneesh Foundation International in Oregon erzählte am Fernsehen einen Bhagwan-Witz, der die ganze jüdische Gemeinde in den USA gegen den Erleuchteten aufbrachte: »Wie kriegt man hundert Juden in einen VW? Vorn hinein zwei Deutsche und die Juden in den Aschenbecher.« Kaum hatten sich jüdische Organisationen in den USA gegen solche Äusserungen verwahrt, titelte die deutschsprachige »Rajneesh Times«: »Jüdische Organisationen verlangen Bhagwans Deportation.« Im gleichen Blatt bejubelte ein ehemaliger KZInsasse seine Erlösung vom »chassidisch-jüdischen Elend« durch Bhagwan. Und ebenfalls in der »Rajneesh Times« dankte Elisabeth Göring, angeheiratete Nichte des ehemaligen Reichsmarschalls, für ihr neues Leben und die Reinwaschung ihres schicksalbeladenen Namens durch den Meister. Dieser nämlich hat den Namen Göring insofern rehabilitiert, als die Deutsche fürderhin als Ma Elisabeth Göring durchs Leben gehen darf, wohingegen fast alle anderen Jünger einen völlig neuen Namen annehmen.
4. Rezept für die Rettung der Welt Die Transzendentale Meditation »Die Weltregierung des Zeitalters der Erleuchtung erklärt ihre Bereitschaft, die Probleme jeder Regierung zu lösen, ungeachtet der Grösse und der Natur des Problems - ob politisch, ökonomisch, sozial oder religiös - und unabhängig von dem jeweiligen System: Kapitalismus, Kommunismus, Sozialismus, Demokratie, Diktatur.« »Seine Heiligkeit Maharishi Mahesh Yogi, Begründer der Wissenschaft der Kreativen Intelligenz und der Technologie des Vereinheitlichten Feldes (1971 bis 1982); Gründer der MERU, Maharishi European Research University, Schweiz (1975) und Deutschland (1982); Gründer der Maharishi University of Natural Law, England (1982); Gründer der Maharishi International University, USA (1971); Gründer der Maharishi Academy of Vedic Science, Indien (1980); Gründer der Weltregierung des Zeitalters der Erleuchtung (1976)« bietet ein umfassendes Rezept zur Errettung der Welt. Mit seiner »Technologie« können nicht nur die Regierungen aller Länder sämtliche Probleme lösen (und die zahlreichen Zeitungen, in denen obiger Text als Inserat doppel-, ganz- oder zumindest halbseitig im Herbst 1983 abgedruckt worden ist, ihr Inseratenbudget verbessern). Die Technik der Transzendentalen Meditation (TM) löst vielmehr alle, aber wirklich alle Probleme, die sich einer nur vorstellen kann: TM löst das Drogenproblem: »Am Stanford Forschungsinstitut in Los Angeles wurde anhand einer Fragebogenaktion bei 620 Teilnehmern eines einmonatigen Fortgeschrittenenkurses festgestellt, dass fast 400 vor Beginn der Transzen-
dentalen Meditation regelmässig Drogen genommen hatten. Von ihnen hatten nach mehr als einem halben Jahr Meditation 84 Prozent den Konsum ganz aufgegeben, darunter42 von 49 Opiatsüehtigen. Diese Untersuchungen bestätigen, dass durch die Technik der Transzendentalen Meditation das Drogenproblem praktisch gelöst werden kann.« (Aus einem Artikel »Was Transzendentale Meditation wirklich ist«, verfasst von der Maharishi European Research University |MERU| in Seelisbcrg/Uri.) TM verjüngt: »Ein standardisierter Test (...) zur Bestimmung des biologischen Alters (...) ergab bei einer Gruppe von 47 TM- und TM-Sidhi-Ausübenden (Durchschnittsalter: 52,8 Jahre) eine signifikante Korrelation zwischen der Dauer der regelmässigen TM-Praxis und dem Grad an biologischer Verjüngung. Es zeigte sich z.B., dass Versuchspersonen mit fünf oder mehr Jahren TM-Praxis bei diesem Test eine Verjüngung um etwa 15 Jahre aufwiesen.« (Mitteilungen der deutschen MERU-Gesellschaft Nr. 1/1979.) TM verhilft zu »vollkommener Gesundheit«: »Dies ist eine Zeit der Erfüllung der medizinischen Wissenschaften. Im Programm der Transzendentalen Meditation und derTM-Sidhis besitzen wir nun die Formel für eine perfekte Präventivmedizin, die dem Bereich der Gesundheit neue Perspektiven bis hin zur Unsterblichkeit verleiht.« (»Memorandum deutscher Ärzte zum Programm der Transzendentalen Meditation, der deutschen Bundesregierung überreicht in Bonn am 23. August 1978.«) TM macht müde Schüler munter: »Durch die Technik der Transzendentalen Meditation erfährt der Schüler tagtäglich die Quelle von Intelligenz, Energie und Freude. (...) Deshalb sollte jede Schule jedem Schüler die Technik der Transzendentalen Meditation zugänglich machen, 'damit die Unterrichtsmethode vollkommen mit den unveränderlichen Gesetzen der Natur übereinstimmt', wie das Pestalozzi schon vor
mehr als 150 Jahren von der Schule gefordert hat.« (Mitteilung der MERU, Seelisberg.) TM beseitigt die Kriminalität: »Verbrechen ist eine Revolte gegen die Unfähigkeit, sich seine Wünsche zu erfüllen. Solange die Gesellschaft nicht das Mittel zur Verfügung stellt, das jedem die Erfüllung seiner Wünsche und ein erfolgreiches Leben ermöglicht, wird Kriminalität niemals aufhören zu bestehen. Das TM- und TM-Sidhi-Programm beseitigt Kriminalität, indem es den Menschen zu einem echten Mitglied der Gesellschaft macht - zu einer Persönlichkeit, die in der Lage ist. seine eigenen Interessen wahrzunehmen, und die gleichzeitig maximal dazu beiträgt, die Ziele der Gesellschaft zu erfüllen.« (Maharishi Mahesh Yogi, zitiert aus derTM-Broschüre »Die Schule des Bewusstseins in der Jurisprudenz«.) IM ist das Allheilmittel gegen alle Übel dieser Welt Milder simplen Mantra-Meditation nach Maharishi, zweimal täglich während einer Viertelstunde oder zwanzig Minuten ausgeübt, lassen sich selbst die komplexesten Probleme innert weniger Jahre restlos beseitigen. Dies dank dem »Maharishi-Effekt«. Dieser n ä m 1 i c h besagt, dass ga r n ich t d i e ga nze M ensch hei t z u meditieren braucht; es genügt, wenn ein Prozent die TMlechnik praktiziert: »Dieses Phänomen lässt sich dadurch erklären, dass durch die regelmässige Ausübung der Transzendentalen Meditation (...) jeder Mensch befähigt wird, spontan im Einklang mit den Naturgesetzen zu leben; oder mit anderen Worten: dassjedermann die Möglichkeit gegeben wird, die Ebene seines Bewusstseins anzuheben. Und wenn nur ein Prozent der Bevölkerung eines Landes in Harmonie mit den Naturgesetzen lebt und so spontan keine Fehler macht, genügt dies bereits, dass dadurch das kollektive Bewusstsein der ganzen Nation angehoben wird und dass die Grundlage füreine ideale Gesellschaft geschaffen wird.« (Aus einer, nicht publizierten, Gegendarstellung der MERU an die »Berner Zeitung« vom Frühjahr 1983.)
Die sogenannte
Wissenschaftlichkeit
TM-Exponenten wehren sich mit allen Mitteln dagegen, als Vertreter einer Religion oder gar einer »Jugendsekte« dargestellt zu werden; sie bezeichnen diese Einordnung - z. B. in einer Strafklage gegen die Autorin des vorliegenden Buches gar als »ehrverletzend«. Im Gegensatz zu andern religiösen Gemeinschaften verbreite die »Weltregierung«, ansässig hoch über dem Vicrwaldstättersee im ehemals pompösen Hotel »Sonnenberg«, keine Glaubenssätze, wird gesagt, sondern »wissenschaftliche Erkenntnisse«. »Über 700 wissenschaftliche Untersuchungen, welche die positiven Auswirkungen der TM nachweisen« sollen bisher vorliegen, davon zehn »zum Thema Ein-Prozent-Effekt«. Doch die »Wissenschaftlichkeit« von TM ist nicht über jeden Zweifel erhaben. Schon die Bezeichnung »Universität« für ihre Forschungsinstitute klingt reichlich hochgestochen angesichts einiger bescheidener - allerdings mit modernsten Apparaturen ausgerüsteten - Räumlichkeiten, welche die MERU im Hotel »Sonnenberg« belegt. (Dass die MERU laut Auskunft der schweizerischen Zentralstelle für Hochschulwesen in Zürich als Hochschule nicht anerkannt ist, braucht nur am Rand erwähnt zu werden.) Als »Beweis« für den Maharishi-Effekt wird, auch in aktuellen TM-Publikationen, eine Studie aus den frühen siebziger Jahren angeführt. Laut dieser Studie soll in 24 amerikanischen Städten »mit mehrals 10.000 Einwohnern, in denen 1972 mehr als ein Prozent der Stadtbevölkerung in die TMTechnik eingewiesen war«, eine »sofortige signifikante Verringerung der Kriminalitätsrate« festzustellen gewesen sein. Dies im Gegensatz zu 24 vergleichbaren Kontrollstädten, in denen zum selben Zeitpunkt weniger als 0,7 Prozent meditierten. Die statistische Auswertung der Untersuchung zeigt nun - falls die
Zahlen stimmen sollten, was wir nicht überprüfen können und deshalb hier nicht bezweifeln wollen - tatsächlich eine Abnahme der Kriminalitätsrate in den TM-Städten. In den anderen Städten nahm die Kriminalität gleichzeitig zu. (Zitiert aus »Mitteilungsblätter der deutschen MERU-Gesellschaft«, Nr. 4/1981.) Trotzdem wird niemand die Untersuchung als »wissenschaftlich« bezeichnen können, der nicht im Sold Maharishis steht: Statistiken können allenfalls materielle Veränderungen zeigen, lassen jedoch in keinem Fall einen Rückschluss auf eine transzendente Ursache zu. Oder anders ausgedrückt: Die Studie belegt zwar, falls sie statistisch korrekt ist, eine quantifizierbare Veränderung; es gelingt ihr aber nicht, einen kausalen Zusammenhang mit einer bestimmten Ursache herzustellen. Das heisst: Es besteht kein wissenschaftlicher Nachweis dafür, dass sich dank TM die Verbrechensrate gesenkt hätte. Von Kritikern wird den TM-Propagandisten vorgeworfen, dass das ganze wissenschaftliche Getue »fast eine Persiflage auf die Wissenschaft« (NZZ vom 9. April 1977) sei, in Wirklichkeit »über die Grenzen der von der westlichen Wissenschaft akzeptierten Bedeutung dieses Begriffes weit hinaus« gehe (die amerikanische Psychologieprofessorin Patricia Carrington). Professor Manfred Müller-Küppers, Direktor der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Heidelberg, reiht TM in den Bereich der »religiösen Subkultur« ein. Im von Müller-Küppers herausgegebenen Buch »Neue Jugendreligionen« meint der Theologe Hans Löffelmann: »Die zahlreichen Statistiken über TM-Erfolge im medizinisch-psychologischen Bercich weisen erhebliche wissenschaftliche Mängel auf.« Behauptungen über ausgedehnte »wissenschaftliche« Untersuchungen an zahlreichen Universitäten hielten »einer näheren Überprüfung nicht stand«: Einige der über 100 Universitäten, an denen angeblich TMForschung betrieben wird, »antworteten auf Anfrage: "For-
schlingen über TM werden und wurden nicht betrieben.' Ein Professor kommentierte das 'Privatgutachten' eines seiner Angestellten (auf Universitätspapier erstellt): 'Ein solcher Unsinn würde niemals offizielle Lehrmeinung sein können."« Auch ein zweites Beispiel für die heilsame Wirkung des Maharishi-Effekts hielt einer näheren Überprüfung nicht stand. Im »Stern«-Buch »Die himmlischen Verführer« berichteten zwei Journalisten über ihre entsprechenden Recherchen: »Des weiteren wird von der Schweizer TM-Zentrale hartnäckig behauptet, in Wellington/Neuseeland seien Kriminalität, Unfälle und tödliche Krankheiten signifikant zurückgegangen, weil über ein Prozent der Einwohner TM ausübe. Ich bin dieser Behauptung nachgegangen und erhielt einen Brief, den der Premierminister von Neuseeland, Robert D. Muldon, unterzeichnet hat. Darin heisstes: 'In den Bereichen Kriminalität, Unfälle und tödliche Krankheiten gab es in der fraglichen Zeit keine signifikanten Veränderungen.' Dazu der Kommentaraus der Schweizer TM-Zentrale: Der Premierminister müsse ein 'dummer Mensch' sein. In Wirklichkeit habe sich das spirituelle Klima so gebessert, dass nun sogardie Hurricans einen Bogen um Wellington machten.« Das Motiv, das TM dazu antreibt, seit etlichen Jahren nur noch in »wissenschaftlichen« Terminologien zu operieren, hat der Sektenexperte Friedrich-Wilhelm Haack in seinem Buch »Jugendreligionen« aufgezeigt. Er zitierte dort einen massgeblichen Exponenten der TM-Bewegung: »Mister Lutes berichtete seinen Zuhörern, dass Maharishi gesagt habe, viele Menschen im Westen seien jetzt noch nicht reif für geistlichreligiöse Begriffe. Deshalb sei es notwendig, durch die wissenschaftlichen Kanäle und auf anderen Wegen vorzugehen, um für die westliche Gesellschaft leichter annehmbar zu sein.(...) Lutes erklärte, dass die Verbreitung der Bewegung in nichtreligiösen Begriffen zu dem Zweck erfolge, um die Auf-
merksamkeit von Leuten zu erringen, die der Bewegung viel weniger Beachtung geschenkt hätten, wenn sie in religiösspirituellen Begriffen gefasst gewesen wäre.« Fast sämtlichen »wissenschaftlichen« Abhandlungen zu TM haftet schliesslich ein wesentlicher Makel an: Sie sind als absolute Grössen, nicht als Vergleich angelegt. Professor Carrington, TM gegenüber sehr wohlwollend eingestellt, schreibt in ihrem »Grossen Buch der Meditation«, wissenschaftliche Untersuchungen der TM im Vergleich zu anderen Meditationstechniken würden von der Internationalen Meditationsgesellschaft (einem TM-Ableger) nicht gestattet. »Dies bedeutet, dass vergleichende Studien - das 'Herzblut' der wissenschaftlichen Forschung - mit der TM nicht ohne weiteres gemacht werden können.« Dabei wird nicht bestritten, dass die sehr einfache Meditationstechnik von Maharishi im individuellen Bereich richtig angewendet - gewisse Verbesserungen bewirken kann. »All diese Techniken können zu einem Zustand tiefer und wohltuender Ruhe führen.« Jedoch: »Das können auch Gebete oder sogar ein Tag am Strand.« (»Psychologie heute«, Nr. 2/1974) TM neige dazu, die sogenannten Forschungsdaten »so zu präsentieren, als ob TM der einzig vernünftige Weg ist, um die erwähnten systematischen, wohltuenden Bewusstseinsveränderungen zu erreichen. Das ist kaum der I all.«
»All-Einheil
im
Ganzheitsbewusstsein«
Wenn TM ausschliesslich - wie das seine Protagonisten bei Gelegenheit behaupten - eine einfache Meditationstechnik wäre, »religiös neutral«, erschiene sie bestimmt nicht in diesem Buch. Selbst der »kommerzialisierte Vertrieb der ein-
fachen Grundtechnik« (Reinhart Hummel in »Christus und die Gurus«) genügte dafür nicht. Auch andere Methoden zur Entspannung, Konzentration und Leistungssteigerung, etwa das sogenannte Alpha-Training, werden kommerziell verbreitet. Doch TM ist in Wirklichkeit auch eine Gesellschaft mit eindeutig religiösem Hintergrund, eine weitverzweigte Religionsgesellschaft mit allen dazu nötigen Attributen; sobald man unterscheidet zwischen den Benutzern der TM-Technik - die sich oftmals sogar kritisch zum ganzen MaharishiFührerkult und zum weit-rettenden Brimborium äussern und dem harten Kern der Bewegung, den Gouverneuren, Ministern, TM-Sidhis und TM-Lehrern, nimmt zumindest dieser harte Kern ganz klare Konturen einer Religion an. Für die Religiosität von TM spricht allein schon die Titulierung des Protagonisten: Maharishi Mahesh Yogi, bürgerlich Mahesh Prasad Warma, wird konsequent als »His Holiness« oder »Seine Heiligkeit« angeredet, ein Titel, der ausschliesslich in religiösem Kontext existiert. Mahesh wurzelt, wie er selber immer wieder bestätigt, in der hinduistischen religiösen Tradition: Er will - geboren vermutlich um 1911 - jahrelang bei einem göttlichen Meister, bei Swami Brahmananda Sarasvati, genannt »Guru Dev« (»göttlicher Lehrer«) zur Schule gegangen sein. Dort erlernte Mahesh die verschiedenen Formen der Meditation und des Yoga, wurde zu einem »Mönch«, wie die TM-Funktionäre unumwunden schreiben - eine eindeutig religiöse Funktion auch dies. Nach weiteren Jahren der Lehre und Wanderschaft deklarierte sich Mahesh selbst zum »Maharishi« (»grosser Weiser«), und begann Ende der fünfziger Jahre seinen Siegeszug durch die USA und Europa. Weltberühmt wurde die damals bereits entwickelte TM-Technik, als sich die Beatles kurzfristig - im Jahre 1967 - dem Meister anschlössen, allerdings für nicht allzu lange Zeit. In den TM-Publikationen tauchen weiter immer auch Stellen auf, die weit über eine »Technik« und die Beschreibung
ihrer angeblichen Wirkungen hinausgehen: »Die geistige Entwicklung verläuft nach Maharishi Mahesh Yogi« - so schreibt dessen Epigon Bernhard Müller-Elmau im Buch »Kräfte aus der Stille« - »von der Einheit im Innern zur Einheit mit dem Äusseren, bis zur All-Einheit im Ganzheitsbewusstsein, wo Absolutes und Relatives wertgleich als eine gegensatzfreie, absolute Einheit 'gewusst', gelebt und verwirklicht werden.« »Das ist deutlich die hinduistische Lehre von der All-Einheit«, schreibt Friedrich Wilhelm Haack in »Jugendreligionen«. Mahesh habe diese Lehre lediglich »bis zur äussersten Grenze primitiviert und vermarktet«. Haack kommt zu dem Schluss: »Was den Bereich Religion anbetrifft, so ist TM derzeit in ganz besonderer Weise der Vorwurf der Täuschung zu machen. TM ist Religion. Sie gehört dem Bereich hinduistischer Religion an. Sie kann als hinduistische Missionsbewegung betrachtet werden, wenn auch keineswegs konstatiert werden kann, dass ein TM-Meditierender dadurch 'Hindu' würde.« Der bereits zitierte Charles F. Lutes, führendes Mitglied des Spiritual Regeneration Movement, der ersten MaharishiGründung im Westen, schrieb im Vorwort zu Maharishis Buch »Die Wissenschaft vom Sein und die Kunst des Lebens«: »Maharishi zu kennen und in seiner Gegenwart zusein, heisst sogleich erkennen, dass hier ein Mensch ist, der andere überragt; einer, der wahrhaft Gott kennt und die irdische Verwirklichung des Höchsten, was dem Menschen erreichbar ist, lebt. Darin ist er der unmittelbare Erbe der Tradition von Indiens grossen Meistern.« Tatsächlich mutet es seltsam an, wenn der Meditierende, der sich angeblich einer einfachen Technik bedient, die ihm persönliches Wohlergehen ermöglichen soll, gleichzeitig mit einem »Heiligen Meister«, einer »Weltregierung«, »Weltplancenters« - von denen es im Westen in fast jeder grösseren Stadt eines gibt - und anderen Institutionen einer ausgeprägt
hierarchischen Organisation abgeben soll. Und wenn der Schüler nach absolviertem Kurs sein »persönliches« Mantra eingeflüstert erhält - jenes Wort, das er künftig beim Meditieren vor sich hin sagen soll -. dann findet diese Übergabe im Rahmen einer eindeutig religiösen Zeremonie statt: Altar, Kerzen, Räucherstäbchen, feierliche Gesänge, deren Sinn er vielleicht nicht verstehen wird, die aber nichts anderes sind als die Anrufung hinduistischer Gottheiten und heiliger Lehrer. Und die »Karmas«. »Veden« und die »Reinkarnation«, von denen in TM-Schriften wiederkehrend die Rede ist, sind die wesentlichen Bestandteile der hinduistischen Religion. Wer immer noch am religiösen Hintergrund von TM zweifelt, dem können wir Maharishis eigene Worte vorlesen (aus seinem Buch »Die Wissenschaft vom Sein und die Kunst des Lebens«): »Wenn die Religion das Massenbewusstsein beherrscht, sollte die TM in religiösen Begriffen gelehrt werden. Wenn das metaphysische Denken im Bewusstsein der Gesellschaft dominiert, sollte sie metaphysisch definiert werden (...) Wenn die Politik das Bewusstsein der Massen beherrscht, sollte die TM in politischen Begriffen gelehrt werden (...) Die Lehre der TM sollte sich auf jene Strömung beziehen, die das Massenbewusstsein zu einer bestimmten Zeit lenkt« - und das ist nun gegenwärtig in der westlichen Zivilisation die Wissenschaftsgläubigkeit, das Vertrauen zu Zahlen und »Untersuchungen«. Im Zeitalterder Marktforschung hat sich TM die Ergebnisse dieser Forschung zunutze gemacht, um seine Lehre möglichst effizient unter die Leute zu bringen.
»Es gibt nur ein Gesetz «
Im Gegensatz zur mönchischen Bescheidenheit und Armut, die seine Anhänger dem »Weisen Lehrer« attestieren, steht
nicht nur der Wagenpark vor dem Hotel »Sonnenberg«, sondern auch das Hotel selbst, Residenz der »Weltregierung des Zeitalters der Erleuchtung«. Durch die pompöse Hotelhalle wird der Besucher in einen riesigen Saal geführt, der teilweise in teurem Tuch ausgeschlagen ist, dessen halbrund angeordnete Bankreihen auf einen Thron-ähnlichen, mit Blumen ausgeschmückten Stuhl ausgerichtet sind. Dem Besucher ist zuvor eine Krawatte in die Hand gedrückt worden, und mit seiner Frisur - die durchaus kurz genug gewesen wäre zur Absolvierung eines militärischen Wiederholungskurses - kommt er sich inmitten der perfekt auf Kurzhaarschnitt frisierten Gouverneure, TM-Lehrer und all der andern herumschwirrcnden Helfer leicht vergammelt vor. Hinge nicht der schwere, betäubende Duft orientalischer Räuchereien im ganzen Haus, wäre nicht alles in Gold und Weiss drapiert, - er könnte sich durchaus eine Jahresversammlung der Prokuristen einer Grossbank vorstellen. Plötzlich legt sich absolute Stille über die Szenerie. Wer noch steht, faltet die Hände, verneigt sich leicht: Der Meister kommt. Maharishi wirkt gebrechlich, seine Stimme zittert beim Reden, er verbreitet eine weihevolle Aura um sich. Sein Händedruck ist schwach; Maharishi, der seinen Jüngern Unsterblichkeit verspricht, wirkt durchaus sterblich. Fast tut er einem leid, dieser kleine Mann im weissen Bart, abgeschirmt von einer Leibwache von sehr stämmigen, grossgewachsenen Prätorianern, die offenbar alle aus den USA kommen und durchaus weltlich-rüde werden können, wie der Besucher später erfährt. Doch die Sympathie für den väterlichen Yogi schwindet bald, wenn man sich näher mit seinen Theorien und Ansprüchen auseinandersetzt, die nun den letzten Rest von Bescheidenheit vermissen lassen und die gut auch von faschistischen Diktatoren stammen könnten: »Es gibt nur ein Gesetz«, meint der Meister, nämlich jenes, »das die Wissenschaft der Kreativen Intelligenz vorschreibt.« Mit
diesem Gesetz werde »der Zweck aller Gesetze voll erfüllt« sein. Gewöhnliche Stimmbürger haben da nichts mehr zu sagen, auch Regierungen nicht. Denn die »Weltregicrung« in Seelisberg nimmt »gegenüber allen andern Regierungen gleichsam die Rolle von Eltern ein«, ist »allen andern Regierungen weit voraus«. Die Weisheiten des Erleuchteten sind ganz einfach zu erwerben: »Konsultationen, Diskussionen. Delegationen und Durchführbarkeitsstudien sollten nicht notwendig sein, denn jede Regierung weiss bereits, was erreicht werden muss, und die Weltregierung hat bereits Techniken entwickelt, die alle Anforderungen erfüllen.« »Die Maharishi-Technologie des Vereinheitlichten Feldes, auf das tagtägliche Leben angewandt, wird die evolutionäre Kraft des Naturgesetzes beleben, um das Leben in allen positiven Werten zu festigen: Der einzelne wird sich eines Lebens frei von Problemen und Leiden erfreuen; jede Nation wird ein integriertes nationales Bewusstsein, kulturelle Integrität, Eigenständigkeit und Unbesiegbarkeit gemessen, und die ganze Völkerfamilie wird sich an dauerhaftem Weltfrieden erfreuen.« Dies verspricht Maharishi allen Regierungen, die jetzt einen Vertrag - »von einem beiderseits akzeptierten internationalen Rechtsanwaltsbüro in Zusammenarbeit mit einer internationalen Bank entworfen« - mit seiner »Weltregierung« abschliessen. - »Vollkommene Vertraulichkeit ist zugesichert«. die »Kostenrückerstattung nach Erreichen des Ziels« fällig.
Zeitalter der Erleuchtung
Maharishi hat »die Morgendämmerung des Zeitalters der Erleuchtung« schon am 12.Januarl911 -seinem Geburtstag a u f d e m Vierwaldstättersee-Schiff »Gotthard« »eingeweiht«.
wie es heisst, und prophezeite damals etwas vorschnell, dass innert kürzester Zeit sämtliche nationalen und internationalen Streitigkeiten beigelegt seien. Exakt ein Jahr später folgte die Gründung der »Wellregierung« als Exekutive für die weltweite Glückseligkeit. DasJahr 1977 wurde zum »Jahrderidealen Gesellschaft« deklariert. Doch diese ist, wie jeder allabendlich den Fernsehnachrichten entnehmen kann, bei weitem noch nicht erreicht. Trotz gegen 2.000 Weltplanzentren in aller Welt und schätzungsweise 20.000 Mitarbeitern ist die ideale Gesellschaft noch nicht heranmeditiert worden, Krankheit, Krieg und Naturkatastrophen haben nicht abgenommen; und nicht einmal der Föhn, die grosse Plage Uris, konnte im Hotel »Sonnenberg« eliminiert werden, obwohl TM auch das versprochen hatte. Die NZZ zweifelte schon vor mehreren Jahren »am gesunden Menschenverstand dieser Leute«. Eine zentrale Frage immerhin hat TM 1983 gelöst, die Frage nach den Ursachen für die zunehmende Spannung zwischen den USA und der Sowjetunion. TM bekennt sich indirekt schuldig für diese Eskalation des kalten Krieges: »Auf der einen Seite wird das kollektive Bewusstsein in den USA immer kohärenter und stärker, da täglich mehr als 2.000 Sidhas am gemeinsamen Superradiance-Programm an der MIU (Maharishi International University, d. Verf.) und in Washington teilnehmen. Auf der anderen Seite, in der UdSSR, ist ein solches Programm noch nicht verfügbar. Dadurch wird im Augenblick die Kluft zwischen beiden Nationen immer grösser.« Doch keine Bange, die Lösung zeichnet sich auch hier ab: Wenn die »Kohärenz im gesamten Weltbewusstsein genügend angewachsen ist, um auch im kollektiven Bewusstsein des Ostens das volle Potential des Naturgesetzes zu beleben«, wird sich die Spannung von selbst erledigen. »Wir. die Gouverneure und Sidhas des Zeitalters der Erleuchtung, sind die einzigen, d i e - durch die AnwendungderMaharishi-Technologie des Vereinheitlichten Feldes (Transzendentale Meditation
und TM-Sidhi-Programm) - dieses kohärente und harmonische kollektive Bewusstsein (...) schaffen können.« »TM ist einer der Krisengewinnler der abendländischen Unsicherheit«, schreibt Haack dazu. TM ist auf jeden Fall ein umsatzstarkes Unternehmen. Natürlich liegen keine Zahlen vor, und Schätzungen umfassen eine grosse Spanne: »Der Jahresumsatz des Weltzentrums beläuft sich auf rund 80 Millionen Franken«, schrieb die NZZ 1977. Andere Quellen sprechen von einem weltweiten Umsatz von 500 Millionen, wieder andere von 800 Millionen. Tatsache ist, dass TM in etwa 110 Ländern operiert und über zwei Millionen Anhänger für sich reklamiert. Gleichwohl findet keine Versöhnung von Liebe und Geld in Seelisberg statt. Wenn TM-Funktionäre das Wort »Geld« hören, wird ihnen übel. Denn TM hat. selbstverständlich, mit Materiellem gar nichts im Sinn. Deshalb ist es - laut einer Strafklage gegen die Autorin dieses Buches - verleumderisch und chrverletzend, wenn die Technik von Maharishi nur schon als »mit westlichen Marketingmethoden unter die Leute gebrachte und mit westlicher Wissenschaft verbrämte Heilslehre« charakterisiert wird. (Besonders ehrenrührig sei. entnehmen wir der Klageschrift, die »Unterstellung gewinnstrebigen Verhaltens« - die wir gar nie geäussert haben.) Doch so ganz von einer anderen Welt sind auch die Transzendental Meditierenden nicht. Ein kurzer Blick in das urnerische und das luzernische Handelsregister fördert Erstaunliches zutage: ein paarganz ordinäre Aktiengesellschaften, die offensichtlich zum TM-Imperium gehören: Eine Age of Enlightenment Holding AG mit Sitz in Seelisberg, zu deutsch »Zeitalter der Erleuchtung Aktiengesellschaft«, bezweckt laut dem Handelsregistereintrag »Erwerb, Verwaltung und Verwertung von Beteiligungen an anderen Unternehmen aller Art und deren Finanzierung«. Verwaltungsratspräsident ist Marco Stiefel, der gleichzeitig als
Präsident des Vereins der TM-Lehrer fungiert - und als solcher die Klageschrift mitverantwortet, in welcher TM jede kommerzielle Absicht entrüstet zurückweist. Stiefel präsidiert weiter die Sidha Co. ACi mit Sitz in Luzern. Diese bezweckt »Import und Export von sowie Handel mit Waren aller Art; Tätigung von Kommissionsgeschäften sowie Übernahme von Vertretungen aller Art; Beteiligungen; Finanzierungen; Erwerb, Belastung oder Veräusserung von Liegenschaften«. Weiter hat die Age of Enlightenment Travel Service AG - zu deutsch »Zeitalter der Erleuchtung Reisebüro Aktiengesellschaft« - ihren Sitz in Seelisberg. Verwaltungsratsmitglied ist unter anderem Beat Odermatt, der gleichzeitig Vizepräsident der »Stiftung für das Hauptzentrum des Zeitalters der Erleuchtung« und Pressechef der »Weltregierung« ist. »Beratung beim Kauf von Grundstücken, Erstellung von Rentabilitätsberechnungen und Finanzierungsplänen« gab die Age of Enlightenment Trust Association unter anderem als Zweck an. Natürlich ist TM kein auf Rentabilität ausgerichtetes Unternehmen; der Trust, 1983 im Handelsregister gelöscht, hat die Rentabilitätsberechnungen vermutlich aus purem Spass angestellt.
»TM kann krank machen«
TM - angebliches Allheilmittel gegen alle Übel dieser Welt kann zu erheblichem Realitätsverlust und sogar zu psychischen Krankheiten führen. Dieser Ansicht jedenfalls sind mehrere Schweizer Ärzte, die sich eingehender mit TMAusübenden beschäftigt haben. »Die Transzendentale Meditation kann krank machen« behauptet schlicht der Arzt Peter Heusser. Die »aufgewärmte östliche Methode«, die dem
»westlichen Menschen im amerikanischen' Stil präsentiert wird«, könne zu »funktionellen Störungen und Persönlichkeitsschäden bis zu schwerstem Grad« führen. »Meine eigenen Beobachtungen an Einzelfällen ergaben: eine Tendenz zu sprunghaftem nervösem Gedankenlaufen, Empfindlichkeit und Schlaffheit, soziale Isolierung, Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, eine monatelang andauernde therapieresistente Schlaflosigkeit verbunden mit Angstzuständen religiöser Natur sowie grosser Ermüdbarkeit und Überempfindlichkeit im Alltag, Depression, Dysasthesien im unteren Wirbelsäulenbereich, Kreislauflabilität, unwillkürliche Zukkungen in Gesicht oder Extremitäten.« Heusser reagierte mit diesen Aussagen auf einen Jubelartikel in der »Schweizerischen Ärztezeitung«, verfasst von einem TM-»Wissenschaftler«. »Es kann zu Persönlichkeitskrisen kommen, in denen der intensiv Meditierende nicht mehr weiss, was er mit seinem Ich auf sinnvolle Weise beginnen soll.« Krass drückte sich - ebenfalls in der »Ärztezeitung« - der Zürcher Arzt Jürg Wunderli aus: »Ich habe einige einstmals fortgeschrittene TM-Jünger kennengelernt, die durch die TM in immer schlimmere psychophysische Zustände gerieten. Es gibt TM-Meditierende, die sich schliesslich in psychiatrische Behandlung begeben müssen.« Der inzwischen verstorbene Psychiatrieprofessor D. Langen, früher Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychotherapie der Universität Mainz, diagnostizierte die »wesentlichen Gefahren der Transzendentalen Meditation« mit diesen Stichworten: »Entstehen meist irreparabler paranoider Zustandsbilder; eine nicht mehr kompensierbare Wahnentwicklung; ausgeprägte vegetative Regulationsstörungen.« Und in einer Analyse der »Wirkungen der Transzendentalen Meditation« kam das bundesdeutsche Institut für Jugend und Gesellschaft zu ähnlichen Ergebnissen: Von 51 untersuchten TM-Anhängern hätten 13 Nervenzusammenbrüche erlitten.
bei 16 hätten sich Wahnvorstellungen eingestellt, 27 hätten an Angstzuständen, 20 an Zwangsvorstellungen, 23 unter Depressionen gelitten. »Vor der TM-Zeit befanden sich sechs Personen in therapeutischer Behandlung; während oder nach der Ausübung der TM stieg die Zahl derer, die wegen seelischer Störungen einen Arzt oder Psychiater aufsuchen müssten, auf 29. Der Prozentsatz der sich wegen seelischer Störungen einer Therapie unterziehenden Personen ist also während der Zugehörigkeit zu TM von neun aul43 Prozent gestiegen.« Gar nicht berücksichtigt seien jene Meditierenden, »die sich aufgrund derTM-Idcologie weigerten, einen Psychiater bzw. eine therapeutische Einrichtung aufzusuchen oder die in anderer Weise die aufgetretenen Störungen zu heilen versuchten«. »Die Meditation an sich«, befand Professor Langen, sei »ein sehr differenter Weg zu tieferen Schichten der eigenen Persönlichkeit einer der Wege zum 'Selbst'. Als solcher bedarf sie aber, gerade weil es sich hier um einen derartigen differenten Vorgang handelt, einer sachkundigen Führung.« Gerade an der fehle es aber bei TM entschieden, meinte dazu der Psychiater Hermann Lang von der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg: »Der indische Psychoanalytiker Sudhir Kakar weist zum Beispiel darauf hin, dass dann, sobald die meditative Versenkung in tiefere Bereiche geht, auch in Indien die Anwesenheit eines erfahrenen Guru unbedingt erforderlich ist, um der Gefahr eines psychotischen Zusammenbruchs vorzubeugen.« Die Methoden würden hierzulande jedoch oft mit »erschreckendem Dilettantismus«, »hemdsärmelig und oft ohne jede ärztliche Kontrolle praktiziert«. Das treffe vor allem für jene Gemeinschaften zu, die explizit »mit einem therapeutischen Anspruch« aufträten, also neben TM zum Beispiel auch die BhagwanBewegung. Demgegenüber beharren TM-Funktionäre stets auf der heilsamen Wirkung ihrer »Technik«. Und Aussagen vieler
TM-Mcditierendcr widersprechen dieser Behauptung nicht. Auch Kritiker wie Lang wissen die Wirkung durchaus zu würdigen; ihre Befunde wollen sie keineswegs generalisieren. »In eine psychiatrische Klinik kommen offensichtlich vor allem solche Mitglieder, die psychotisch entgleist sind und deshalb für die Sekten selbst nicht mehr interessant waren«, schrieb Lang. Sein Befund: Die Zugehörigkeit zu Kulten, die meditative Methoden anbieten, könne »bei entsprechenden Vorbedingungen zu einer mitverursachenden Situation für eine Psychose werden«. Oder anders gesagt: Wer sowieso gesund ist, dem schadet unter Umständen die Zugehörigkeit zu einer religiösen Splittergruppe nichts. Wer aber angeschlagen ist und vielfach ist diese Angeschlagenheit ja gerade eine der Ursachen für den Beitritt zu einer derartigen Gemeinschaft-, der muss damit rechnen, daß er nicht geheilt wird, sondern noch kaputter daraus hervorkommt.
5. Ein Heiland fürs Atomzeitalter Die Seientology-Kirehe »Finden Sie Ihre Leiter zum Erfolg in diesem Buch!« Ein winziges Flugblatt steckte im Dezember 1983 in zahlreichen Briefkästen der Stadt Luzern. Die Vorderseite zierte eine Zeichnung, die einen munteren jungen Mann zeigt, der sich mit einer Hand an einer Leiter hält, sonst fröhlich im Raum flattert, beschienen von einem Scheinwerfer. »Lesen Sie dieses Buch, 'Die Probleme der Arbeit' von L. Ron Hubbard! Hier befinden sich die Antworten, nach denen Sie vielleicht schon lange gesucht haben. Einige der Kapitel: Wie man eine Anstellung bekommt und behält. Wie man Verwirrung bei der Arbeit löst. Wie man Freude an der Arbeit findet. Wie man mit Arbeitskollegen auskommt. Der Mann, der Erfolg h a t . . . und viel mehr!« Der angefügte Talon ist zu senden an ein »Zentrum für angewandte Philosophie«, Gütschstrasse 2, 6003 Luzern. Nur wer eine sehr gute Lesebrille benützt, kann im winzig klein Gedruckten erkennen, womit er sich hier einliesse, wenn er das Buch bestellte: »Die angewandte religiöse Philosophie Scientology ist die Lehre vom geistigen Wesen und die Förderung des geistigen Wesens in seiner Beziehung zu sich selbst, zu Universen und zu anderem Leben.« Wer das Kleinstgedruckte nicht zur Kenntnis nimmt und das Buch bestellt, der ist schon drin in der Maschinerie einer der übelsten, totalitärsten und auch raffiniertesten Organisationen, die hierzulande ungestört auf Menschenfang gehen dürfen. Falls jemand keine Probleme mit seiner Arbeit haben sollte, dann fühlt er sich vielleicht von jenem Inserat angesprochen:
Mit faltigem Gesicht blickt Albert Einstein ernst aus einem Zeitungsfoto. Darunter wird ein Satz von ihm zitiert: »Wir nutzen nur zehn Prozent unseres geistigen Potentials.« L. Ron Hubbards »Entdeckungen auf dem Gebiet des Geistes beweisen heute, dass Einstein recht hatte«. »In seinem Buch "Dianetik' geht Hubbard aber noch einen Schritt weiter. Er zeigt neben seinen Entdeckungen, wie jeder selbst mehr und mehr seines brachliegenden Potentials freisetzen kann.« Wer auch für Einstein nichts übrig hat, den animiert allenfalls das Bild eines weinenden Mädchens: »Mami, warum hast Du mir nicht geholfen, als ich neun Monate in deinem Bauch war?« »Auch wenn Ihr Kind diese Frage nicht stellen wird, so hat doch die vorgeburtliche Lebensphase den entscheidenden Einfluss auf die Zukunft Ihres Kindes.« Und wer hat wohl diese »revolutionäre Entdeckung« gemacht? - Der geniale L. Ron Hubbard natürlich. Er beschreibt - wiederum in seinem Buch »Dianetik« - »nicht nur, wie Sie sich während der Schwangerschaft verhalten sollten, sondern gibt Ihnen auch das Wissen, Ihr Kind wirklich zu verstehen und glücklich zu erziehen.« Neigen Sic eher zu spiritistischen Experimenten? An einem Vortrag im »Dianetik«-Informationszentrum in Bern »werden Sie Zeuge einer Video-Aufzeichnung sein, wie es einer Person möglich ist, sich bewusst an vergangene Leben zu erinnern«. Eintritt sieben Franken siebzig, AHV und Studenten fünf fün zig. Oder suchen Sie einen Job? »Kirche stellt neue Mitarbeiter ein! Niedrige Bezahlung. Glänzende Zukunft.« »Warum liebst Du mich nicht mehr?«, fragt weinend eine junge Frau. Aber da ist, Gott sei Dank, einer, der »hat schon Tausenden von Ehen zu neuer Blüte verholfen. Er beschreibt in seinem Buch 'Dianetik', wo das Problem wirklich liegt und zeigt den Weg zu neuer Harmonie. Dieses Buch kann bei Dianetik Beratung, Uraniastrasse 24/26.8001 Zürich, bestellt wer-
den.« Der Tausendsassa, der da auch noch als Eheberater fungiert, ist - wie könnte es anders sein - L. Ron Hubbard. Doch es braucht nicht unbedingt ein Inserat zu sein. Eines Tages wird man vielleicht von einem gepflegten jüngeren Mann oder einer Frau auf der Strasse angesprochen, darauf aufmerksam gemacht, dass man viel mehr Fähigkeiten habe, als man ahnt, dass man lernen könne, diese Fähigkeiten zu benutzen, sich selber und andere besser zu verstehen, Zufriedenheit und Glück zu erreichen. Ein Fragebogen wird einem in die Hand gedrückt mit 200 Funkten, ein »kostenloser Persönlichkeitstest«, dessen Überschrift »Oxford Capacity Analyse« den Anschein erweckt, als stecke eine renommierte Universität dahinter. Oder man erhält ein Flugblatt mit der Einladung zu einem Vortrag über »die Macht des Unterbewusstseins«: »Erfahren Sie mehr über den Zusammenhang von Körper, Verstand und Seele; Ursache von Schwierigkeiten, Ängsten und Unfähigkeit; wissenschaftliche Methoden, um Intelligenz und Fähigkeit zu steigern.«
Ein Angebot für jede Krisensituation
Jeder hat irgendwann eine Krise, und für all diese Krisen hat Scientology das attraktive Angebot: für Liebesbekümmerte, für Arbeitslose, für Kleinbürger, die den Aufstieg noch nicht geschafft haben, für werdende Mütter mit ihren Problemen, für Verzweifelte, für Orientierungslose, fürSuchende. Oder für Engagierte: Wer vermutete schon hinter einer »Kommission zum Schutz vor Verstössen der Psychiatrie gegen die Menschenrechte« oder hinter »Citizens Commission for Human Rights« (»Bürgerkommission für Menschenrechte« CCHR) die Scientologen, hinter der Nachhilfeorganisation ZIEL in
Luzern und Zürich, hinter angeblichen Drogenhilfekonzepten namens »Rchab« und »Narconon«, hinter einem »Zentrum für angewandte Philosophie« oder einem »Institut für Organisation und Taktik« (I-OT) in Luzern? Scientology ist gegenwärtig die religiöse Institution, die am eifrigsten missioniert - und am wenigsten lauter: Oft ist ihrer Werbung nicht anzusehen, dass sie nichts anderes bezweckt, als möglichst viele Unwissende in die Lange dieser »Kirche« zu treiben; und nie besagt sie, dass es mit der Lektüre eines Buches oder mit einem Vortrag nicht getan ist, sondern ein Programm absolviert werden muss, das schliesslich Zehntausende von Franken kostet. Was Scientology propagiert und verspricht, kommt Leuten entgegen, die - zum Beispiel - von ihrer Herkunft her in der Ausbildung und Berufswahl eingeschränkt sind, von ihrer Arbeit intellektuell unterfordert werden, sich gesellschaftlich nicht akzeptiert oder nicht eingebettet fühlen. Wer - weit davon entfernt, das gesellschaftliche System in Frage zu stellen, sondern höchstens sich selber - auf der Suche ist, dem garantiert Scientology Erfolg, Aufstieg und Aufwertung. Die ersten Kontakte mit der »angewandten religiösen Philosophie« werden fast immer aus ähnlichen Gründen und in ähnlichen Situationen geknüpft: Am liebsten lasA., ein gut 20jähriger aus einem Dorf in der Ostschweiz, nach seiner Arbeit in der Metzgerei Bücher; doch auch Werke wie »Die Kraft des positiven Denkens« brachten den gewünschten Erfolg nicht, befreiten ihn nicht von seinen Hemmungen und Selbstzweifeln. Nachdem es ihm in Zürich auf einem Flugblatt angepriesen worden war, kaufte sich A. »Dianetik« von Hubbard, fühlte sich angesprochen, fand einige Erklärungen für seine Probleme und buchte den ersten Scientology-Kurs, dann weitere, und liess sich schliesslich zu einer professionellen Laufbahn innerhalb der »Kirche« überreden.
B. aus Basel, überkorrekt in seiner Arbeit im Gastgewerbe, aber mit dieser nicht zufrieden, von der Chefin sehr geschätzt, von den Kollegen entsprechend weniger, ein sensibler, eher einsamer Typ. der sich in der Freizeit mit religiösen Fragen beschäftigte, wurde auf der Strasse von einem ScientologyWerber angesprochen. Er füllte den Fragebogen aus - der so geschickt konzipiert ist, dass jedermann anschliessend als problembeladenes Wesen dasteht - und fand genau das bestätigt, was er als seine hauptsächlichsten Schwierigkeiten betrachtete. Er buchte den ersten Kurs. Obwohl er zu Hause, am Familientisch des öftern mit Plänen auftrumpfte, wie er seine Arbeitgeberfirma reorganisieren werde und wie wichtig seine Funktion sei, schaffte C., ebenfalls aus Basel, ein Mann in den Fünfzigern, die erhoffte Beförderung nicht. Mit diesem Problem stand er allein, die Frau war ihm intellektuell und von der Ausbildung her ohnehin überlegen. Im Zeitpunkt der grössten Krise erhielt er die Einladung zu einem Vortrag, ging hin und wurde mitgerissen. Der Beruf als Lehrerin war D. aus der Innerschweiz zur Routine geworden; entgegen ihren klaren Vorstellungen von Ehe und Familie hatte sie keinen Partner gefunden, der diesen Wunsch hätte erfüllen können. D., um die 40, wurde von einer Kollegin bei Scientology eingeführt und fand dort den erhofften Freundeskreis. Das Ehepaar E., der Mann Absolvent des Abendtechnikums und unter permanentem Druck, seine Leistungsfähigkeit beweisen zu müssen, wurde von einem Verwandten zu Scientology geholt. Die zwei hatten sehr jung geheiratet, hatten schon ein Kind, und in der Ehe kriselte es. Aus familiären Gründen konnte F. aus Luzern nur eine Lehre statt der Mittelschule absolvieren, an die es ihn eigentlich gezogen hätte. Als ihmein Kurs für Lern technologie angeboten wurde, griff er zu.
Die anfänglichen Erfahrungen mit Scientology brauchen nicht unbedingt negativ zu sein: »Es dürfte eine grosse Zahl von Menschen geben, die durch die Hubbardschen Trainings ein Stück Selbstbewusstsein gewonnen haben. Sie sagen mit einem gewissen Recht: 'Aber wir haben doch erlebt, dass Scientology funktioniert'«, schreibt Friedrich-Wilhelm Haack in seinem Buch über Scientology. »Auch Auditing kann in einer Welt ohne Beichte zuerst einmal unerhört befreiend wirken.« Von einem, der begeistert ist von Anfangserfolgen, könne man nicht verlangen, dass er die »möglichen negativen Folgen und Schäden einer solchen Hingabe und seelischen Öffnung gegenüber einer solchen Organisation« kenne. Krasse Erfahrungen mit Scientology werden von praktizierenden Scientologen und vor allem auch von Funktionären der »Kirche« deshalb stets als Einzelfälle abgetan, die »ausgeschlossen werden müssten«, die die Lehre nicht richtig anwandten odersich sonstwie falsch verhielten.
Beförderung - ins Abseits
Die »Einzelfälle« haben sich freilich in letzter Zeit gehäuft. Nach einer Serie über Jugendreligionen in der »Berner Zeitung« im Frühjahr 1983 hielten sich die organisierten Erfolgsberichte von Scientology und die Briefe von Leuten, die an Scientology zerbrochen waren, etwa die Waage. Alle Leute, deren Beitritt zu Scientology wir oben geschildert haben - und Dutzende mehr, die uns persönlich bekannt sind - haben statt der erhofften Erfolge, statt Verbcsserungen, statt Beförderung nur die Beförderung ins Abseits erzielt: A. brach während eines sogenannten »Auditings«, eines inquisitorischen Gesprächs, wie es als eine der Hauptmethoden bei Scientology praktiziert wird, zusammen und wurde.
ohne dass ihm die Verantwortlichen geholfen hätten, nach Hause verfrachtet. Er war so verwirrt, dass ihn sein Vermieter in eine psychiatrische Beobachtungsstation bringen musste, nachdem er einen Tag lang ohne Erfolg versucht hatte, ihn zu beruhigen. Dann war A. mehrere Monate lang nicht arbeitsfähig und musste sich psychiatrisch behandeln lasse. Kurskosten von etwa 20.000 Franken, die er aus Erspartem und einer kleinen Erbschaft für Scientology-Kurse im voraus bezahlt hatte, wurden ihm von der »Kirche« erst nach einer Betreibung ratenweise zurückerstattet. Weitere 20.000 Franken hatte A. bereits verbraucht. B. wurde, nachdem er den Beitritt gegeben hatte, von einem Scientologen als erstes auf eine Kleinkreditbank geschleppt, nahm dort 12.000 Franken auf, legte selber weitere 2.000 drauf und übergab alles postwendend der »Kirche«. Seinen Austritt gab B.. nachdem er einen kritischen Artikel über die Praktiken von Scientology gelesen hatte. Wenig später brach auch er zusammen, nachdem ihm Scientologen ein bisschen zugesetzt hatten, gab seine Stelle auf und litt fortan unter Verfolgungsängsten. In diesem Fall zahlte Scientology die Kursgelder sofort zurück, nachdem sich der »Schweizerische Beobachter« eingeschaltet hatte. B.s Stressituation dokumentierte sich in einem Schreiben, das er der Arbeitgeberin h interliess, bevor er für Monate von Ort zu Ort irrte: »Wenn mir irgend etwas passieren sollte, sei es Drogen oder sogar Ableben, so bitte untersucht alles genau!« C. ist immer noch dabei, hat inzwischen nach Schätzung seiner Frau 130.000 bis 140.000 Franken ausgegeben. Doch die erhoffte Karriere hat höchstens bei Scientology stattgefunden, und mittlerweile ist auch seine Ehe auseinandergebrochen. An einem Weihnachtstag kreuzte D.. die ebenfalls immer noch dabei ist, in Begleitung eines weiteren Scientologen zu Hause auf und forderte von ihrem Vater ultimativ die Herausgabe eines sehr grossen Geldbetrages. Als dieser sich weigerte.
erhielt ü. - damals ohne feste Anstellung - die gewünschte Summe von weit über 20.000 Franken problemlos von einer Kleinkreditbank. Im Sommer 1981 stürzte sich Frau F., soeben zum zweitenmal Mutter geworden, aus dem Fenster ihrer Wohnung. Sie kam mit dem Leben davon, lag jedoch mehrere Wochen mit einem Beckenbruch im Spital. Sie und ihr Mann waren wegen Scientology massiv verschuldet und hatten zu jener Zeit versucht, sich von der Sekte zu lösen. Die Scientology-Chefs verlangten nun von ihrem Mann, in einem Schreiben zu erklären, »dass Scientology oder Scientologen nicht der Hauptgrund waren, dass meine Ehefrau einen Selbstmordversuch beging«. Als »Zeuge« unterschrieb »Reverend« Zanetti. F. gewann während des ihm verabfolgten Kurses den Eindruck, nicht gefördert, sondern unter Druck gesetzt zu werden, und ausserdem hatte er als Lehrling Mühe, die Kosten zu erbringen. Als er austrat, musste er sich einen Anwalt nehmen und gegen Scientology prozessieren, bis ihm das Geld, das er einbezahlt hatte, zurückerstattet wurde. K, ein ehemals führender Scientologe in Bern, wusste in einem Interview von weiteren, wenn möglich noch erschreckenderen Vorkommnissen zu berichten: A. K. machte einen Selbstmordversuch, nachdem man ihm gewisse Kurse und Übungen verboten hatte. »Ein weiterer Scientologe hat sich vor einem guten Jahr erschossen (das Interview fand im Februar 1983 statt). Kaum wussten wir davon, suchten Bucheli ('Reverend') und Zanetti (damals Leiter von Scientology Schweiz) die Mutler dieses Mannes auf und unterbreiteten ihr eine Erklärung, dass Scientology mit diesem Tod nichts zu tun habe.« »S. I. von der Luzerner Mission arbeitete als Kursaufreisser auf der Strasse und drehte an einem Meeting völlig durch. Plötzlich schrie er: 'Ich bin das Feuer, das Leben!' und lag wie ein Brett am Boden. Sofort brachten ihn P. V. und Ruedi Jungi
(führender Berner Scientologe) ins Ethics Office. Nachts wurde er dann aus dem Haus transportiert, und wir sahen ihn nie mehr. In Org(der »Organisation«) sagte man später, der sei keine Gefahr, der sei so 'nuts' (verrückt), dass er gar nichts mehr wisse von dieser Zeit.« »A. M„ ein Pfleger im Inselspital, drehte hei einem Praktikum fürs Auditieren durch. Man brachte ihn dann auf einen Bauernhof in Sonceboz. (...) Eines Tages telefonierte ein Polizist aus dem Jura und sagte, sie hätten einen gewissen M. nackt im Wald aufgegriffen. Ich habe dieses Telefon selber entgegengenommen.« »Ein weiterer Scientologe, homosexuell, hatte ein Kleidergeschäft in Bern und massive Schwierigkeiten mit seinem Freund. Eingestiegen ist dieser Mann mit einem Scheck über 20.000 Franken. Sein Freund war dagegen, dass er sich bei Scientology engagierte, seine Mutter, die wir massiv beackcrt hatten, dafür. Zuletzt wurde sein Geschäft mit einer Bombe in die Luft gesprengt; dieser Typ und sein Freund waren dort, nur der Freund konnte gerettet werden. Die Ursache wurde nie geklärt. Auch in diesem Fall rannten wir sofort mit einer entsprechenden Erklärung der Mutter hintennach.« Scientology-Bosse, auf solche Ereignisse angesprochen, reagieren ausgesprochen cool: »Nach meiner Meinung macht ein echter Scientolog keine Schulden«, meinte »Reverend« Marco Zanetti. Und auf die Frage, was man denn mit Leuten mache, die grosse persönliche Probleme hätten, antwortete dieser Repräsentant einer »Kirche«, die in ihrer Werbung gerade die Lösung sämtlicher Schwierigkeiten anbietet: »Wir sind nicht an Leuten interessiert, die im Leben wahnsinnige Probleme haben.« Selbstmordversuche und psychische Zusammenbrüche. von denen uns eine grössere Zahl bekannt geworden sind, existieren laut Scientology-Propaganda schlicht nicht, sind Hirngespinste übelwollender Kritiker, Auswüchse von »Gossenjournalismus«: »Scientologen sind erfolgreich tätig
in vielen Gebieten, und ihr physischcs Wohlergehen ist unumstritten, desgleichen auch ihre psychische Verfassung. Dies wird durch zahlreiche Studien belegt«, ist einer »Dokumentation« des »Presse- und Informationsamtes« von Scientology zu entnehmen.
Übermensch werden für 50. 000 Franken
Lafayette Ronald Hubbard, früher Autor von Groschenkrimis und Science-Fiction-Geschichten, veröffentlichte 1950 in einem Science-Fiction-Magazin seine »revolutionären Erkenntnisse« unter dem Titel »Dianetics«, noch im selben Jahr ein Buch, das auf deutsch unter dem Titel »Dianetik - Die moderne Wissenschaft von der geistigen Gesundheit« erhältlich ist. Die prahlerischen Auflagenzahlen, die von Scientology veröffentlicht werden, reichen von zwei bis zehn Millionen. Mit »Dianetics« wurde aus dem Schriftsteller Hubbard der Religionsgründer Hubbard mit heute weltweit-je nach unterschiedlicher Scientology-Darstellung - drei bis 20 Millionen Anhängern. Für die Schweiz werden sie mit 10.000 angegeben; ein ehemaliger führender Scientologe meinte jedoch, es seien allenfalls 400 bis 800. Je nachdem bezeichnen ScientologyFunktionäre die neue Lehre als »angewandte religiöse Philosophie« oder aber - wenn es um Steuern oder Militärdienst geht - schlicht als »Religion« oder »Kirche«. Die Lehre von Hubbard besagt, dass in jedem Menschen ein unsterblicher Geist stecke. Thetan genannt, der über Raum und Zeit stehe. Zu diesem Thetan gelte es zurückzufinden, und dieser Thetan ist es auch, der Hubbard (falls er noch leben sollte, was niemand so genau weiss) ans grosse Geld gebracht hat - Geld und Geist auf Scientologisch: Denn um zum Thetan zu finden, müssen Scientologen Kurse absolvieren, die
in die Zehntausende von Franken gehen. Zwei Begriffe tauchen immer wieder auf, wenn es um die ScientologyMethoden geht: »Auditing« und »Training«. »Auditing«. dessen Zweck von Scientology damit angegeben wird, es bringe »einen Menschen zu einem höheren Bewusstseinsnivcau über sich selbst und über seine Beziehung zu seinen Mitmenschen und seiner Umwelt«, ist eine rigorose Art des Abfragens, eher schon ein Verhör. Es wird mit Hilfe eines sogenannten EMeters absolviert, das angeblich die Menschen zu totaler Freiheit führen, ein »religiöses Hilfsmittel« sein soll. In Wirklichkeit ist das E-Meter nichts anderes als ein primitives Gerät zur Messung von Hautwiderständen, eine Vorstufe des Lügendetektors. Die Stuttgarter »Aktion Bildungsinformation«, die sich kritisch mit allen möglichen Bildungsangeboten - und deshalb auch mit Scientology - auseinandersetzt, hat dieses angeblich allmächtige E-Meter einer technischen Prüfung unterzogen, durchgeführt von Wissenschaftlern der Universität Tübingen. Deren Urteil war ziemlich vernichtend: »Das E-Meter entspricht in der Technologie bei weitem nicht den heute üblichen wissenschaftlichen Geräten zur Messung von Hautwiderständen.« Es sei ein »technisch mangelhaftes Gerät«. Der beigezogene Psychologieprofessor Birnbaumer meinte hingegen, dass es unter dem Eindruck des geheimnisvollen Gerätes und mit raffinierter Fragestellung sicher möglich sei, Personen zur Preisgabe von Informationen zu bewegen, die sie eigentlich für sich behalten möchten. Die Super-Deluxe Ausführung des E-Meters »Mark VI« stand im Januar 1983 mit dem stolzen Preis von 5.615 Franken zu Buch. Zwölfeinhalb Stunden »Auditing« waren zum gleichen Zeitpunkt mit 5.182 Franken veranschlagt, wie einer Beilage der Scientology-Publikation »Theta« zu entnehmen war; im Juni desselben Jahres stand das gleiche Angebot schon auf 6.300 Franken, was einen Stundensatz von stattlichen 504 Franken ergibt.
Die »Dianetik«-Lchre und die Scientology-»PhiIosophie« sind vom manisch-workoholischen Schreiber L. Ron Hubbard und seinen Epigonen in unzähligen Büchern und unüberblickbaren Stössen von Broschüren, Anweisungen, Briefen, Direktiven niedergelegt worden und präsentieren sich als ein kurioses Gemisch aus zusammengekratzter Mythologie, der Technik entliehenen Wort-Neuschöpfungen und Psychologie mit dem unverkennbaren Science-Fiction-Stammbaum. Ziel jedes Scientologen ist es, »clear«. das heisst »geklärt« zu werden. Die Definition von »clear« ist laut Haack und Christopher Evans (in »Kulte des Irrationalen«) in der Geschichte von Scientology mehrmals geändert worden: »Clear - ein Thetan, der wissentlich und willentlich Ursache über geistige Energie, geistigen Raum und geistige Zeit sein kann im Hinblick auf die 1. Dynamik (Überleben für einen selbst). Der Zustand des Clear steht über den Befreiungsgraden (die alle Vorbedingungen für das Clearing sind). Er wird durch den Abschluss des Clearingkurses an einer Advanced Organization erreicht«, heisst es in einem Scientology-Wörterbuch von 1977. Der Clear ist beispielsweise laut Scientology weitgehend i m m u n gegen nukleare Vcrstrahlung. Die höchste Stufe, die ein Scientologe erreichen kann, ist die Stufe OT VIII. OT bedeutet »Operating Thetan« und meint einen »Clear. der mit seiner Umgebung so vertraut gemacht worden ist. dass er den Punkt erreicht hat, völlige Ursache über Materie, Energie. Raum, Zeit und Denken zu sein«. Dem OT VIII ist nichts mehr unmöglich, er ist ein Übermensch, ein gottgleiches, über Raum und Zeit stehendes Wesen, das sogar befähigt ist, Materie zu erschaffen. Diesen göttlichen Zustand erreicht derScientologe unter dem Einsatz von weltlichen 50.000 Franken, nicht eingerechnet allerdings alle begleitenden Investitionen.
Ein kurioses Kauderwelsch
Unerlässlich für den Scientologen ist es, dieses ganze Kauderwelsch zu erlernen, und zwar so intensiv, dass er nach einiger Zeit kaum mehr in der Lage ist, ein normales Gespräch zu führen. Spezielle Wörterbücher, Copyright Hubbard, helfen beim Übersetzen. Allein die broschierte »Fachwortsammlung für Dianetics und Scientology« hat 131 Seiten, ein Dictionnaire für Management und Technologie deren 686 - um nur zwei Beispiele zu nennen. Ein simpler Brief aus der Berner Zentrale belegt, dass sich die »Kirche« einer für Aussenstehende nicht verständlichen Sprache bedient; die Konsultation zweier Wörterbücher ist nötig, um drei Sätze der handgeschriebenen, von »Reverend« Gianni Zanetti unterzeichneten Nachricht zu übersetzen: »Du bist gemäss meiner Daten mit einem PTP auf dem OEC/FEBC gewesen, und Du weisst, dass PTPs Fallgewinne verhindern. Du wirst ein CommEV kriegen, da alle andern Gradierten Deine Ethics nicht reinbrachten. Du wirst Bescheid kriegen und den Bill of Particulars zugestellt erhalten.« Zu deutsch würde dies ungefähr folgendes heissen: Trotz persönlicher Probleme (PTP) hat der Empfänger an wichtigen Kursen teilgenommen, obwohl er weiss, dass diese Probleme eine Verbesserung der Situation der Person (»Fallgewinn«) verhindern. Auch andere höhergradige Scientology-Mitglieder können dem Briefempfänger keine scientologische Verbesserung (Ethics) attestieren; er hat deshalb mit einem internen Beweisaufnahme- und Gerichtsverfahren (CommEV, d. h. Committec of Evidence) zu rechnen und wird die Klageschri ft( Bill of Particulars) zugestellt erhalten. Der Brief ist freilich nicht nur ein Beleg für die krude Scientologensprache, sondern auch für die - lange Zeit abgestrittene - Tatsache, dass innerhalb der »Kirche« Geriehtsvcr-
hancilungen abgehalten werden. Eine Klageschrift für ein Scientology-intcrnes Gerichtsverfahren ist uns in die Hände geraten. Sie bezichtigt ein weibliches Mitglied nicht nur diverser Bagatellen, sondern auch verschiedener »Vergehen, Verbrechen und schwerer Verbrechen«. Angeklagt war die Frau dafür, dass sie sich angeblich an »böswilliger Gcrüchtemacherei zur Zerstörung der Autorität und des Ansehens« von Scientologen und Scientology beteiligt und sich »sexuell zerstörerisch« verhalten habe. Ein ehemaliges leitendes Mitglied der Scientology-Kirche Bern sagte uns, mit welchen Strafen Scientologen zu rechnen haben, die vor solche internen Gerichte geschleppt werden: »Jemand wird zum Feind erklärt. In so einem Fall müssen neben der normalen Arbeitszeit pro Woche 20 Arbeitsstunden zugelegt werden. Mit Vorliebe wird so einer Person Putzarbeil verordnet oder Handwerkliches wie das Abschaben von Wänden. Erst die Unterschrift einer Vielzahl von Mitgliedern befreit von solchen Strafarbeiten, und auch das erst nach einiger Zeit.«
»Nur Kriminelle kritisieren Scientology«
Seit 1966 hat Scientology eine »kirchen«-interne Polizei, das sogenannte Guardian Office (»Wächterbüro«), eine Spitzelorganisation, die jedem totalitären Staat gut anstünde. Das Guardian Office geht nicht nur gegen Scientology-interne »Verbrecher« vor. sondern erst recht gegen aussenstehende Kritiker. Diese sind - laut dem Artikel »Die Kritiker der Scientology« von Hubbard-ausschliesslich Kriminelle: »Der Kriminelle scheutdas Licht, und wir sind das Licht(...). Wann immer wir den Hintergrund einer Kritik an der Scientology untersucht haben, fanden wir strafbare Handlungen, für die die Person oder Gruppe - gemäss den existierenden Gesetzen
- hätte ins Gefängnis kommen können. Wir fanden niemals Kritiker der Scientology, die keine kriminelle Vergangenheit hatten.« Und Scientology, zwar »keine Vollzugsbehörde«, rächt sofort und unerbittlich: »Wenn sie sich der Scientology in den Weg stellen, werden wir sofort nach ihren strafbaren Handlungen schauen - und werden sie finden undblosslegen. (...) Diejenigen, die versuchen, uns das Leben zu erschweren, setzen sich augenblicklich einem Risiko aus.« »Zum Ausbildungsprogramm des GO (Guardian Office) gehörte, wie man anonyme Morddrohungen gegen Journalisten richtete, Rufmordkampagnen gegen unfreundliche Geistliche inszenierte, Zeitungsausschnitte fälschte und Einbrüche plante und durchführte«, schrieb das Magazin »Das Beste aus Readers Digest« in seiner Maiausgabe 1980. »Pressesprecher wurden darauf gedrillt, die Presse zu belügen. Wichtigste Ziele waren Organisationen und Medien, die sich mit der Scientology-Kirche befassten oder kritische Berichte über sie veröffentlichten.« Besonders übel erging es - laut »Das Beste« 1971 der Schriftstellerin Paulette Cooper, die ein Buch unter dem Titel »The Scandal of Scientology« (»Der ScientologySkandal«) veröffentlicht hatte: »Die Sekte reagierte mit einer bis ins letzte ausgetüftelten Kampagne aus Prozessen, Diebstahl, Rufmord und falschen Beschuldigungen. Die Autorin bekam telefonische Morddrohungen. Das Ziel der Kampagne war nach später aufgefundenen Unterlagen der Sekte, 'P. C. in ein Irrenhaus oder ins Gefängnis zu bringen'. Das wäre ihr fast gelungen. Paulette Cooper und ihr Verleger wurden an mehreren amerikanischen und ausländischen Gerichten verklagt. Um dem Paragraphenkrieg mit der Sekte zu entgehen, zog ihr Verleger das Buch zurück. Am schlimmsten war, sagt Paulette Cooper, dass ein Agent der Scientology Briefpapier von ihr stahl und damit Bombendrohungen fälschte, die er ihr unterschob. Sie wurde von einem Bundesgericht angeklagt. Zwei Jahre lang machte sie die Hölle durch, bis das Verfahren schliesslich eingestellt wurde.«
Auch Friedrich-Wilhelm Haack war, wie er in seinem Buch »Scientology - Magie des 20. Jahrhunderts« schreibt, »lange Jahre Gegenstand von aggressiven und dümmlichen Attacken der Hubbardistischen Bewegung. Pamphlete, spionenhafte Verhaltensweisen, Verleumdungen, Klagen und Dienstaufsichtsbeschwerden gehörten zum Repertoire dieser Verfolgung. Dass zeitgleich erhebliche anonyme Drohungen und der als anonyme Anzeige vorgetragene Versuch der Bestechung (mit tatsächlicher Geldüberweisung) mit diesen Angriffen zusammenfielen, legte den Verdacht derselben Urheberschaft nahe.« In der Schweiz sind Angriffe auf Gegner demgegenüber harmlos: Scientologen gehen gegen Kritiker - bisher freilich mit wenig Erfolg - eher mit dem Mittel der subtilen Diffamierung vor, versuchen, diese mit zum Teil abstrusen Anschuldigungen - der unzutreffenden Behauptung zum Beispiel, die Autorin dieses Buches sei vom früheren Arbeitgeber in Unehren gefeuert worden - bei ihren Chefredaktoren und Verlegern anzuschwärzen. Als der Zürcher Journalist Hugo Stamm, Autor des Buches »Seele im Würgegriff«, einen Buch-Vorabdruck für das »Tages-Anzeiger-Magazin« vorbereitete, stahl ein Scientologe aus der technischen Abteilung des »Tages-Anzeigers« die Druckfahnen; Scientology versuchte darauf ohne Erfolg, den Vorabdruck zu verhindern. Zeitraubend allerdings ist die Auseinandersetzung mit Scientology alleweil: Telefongespräche werden in einem mehrseitigen Brief »bestätigt«, und zwar so unzutreffend, dass umgehend eine Korrektur fällig ist, eingeschrieben verschickt selbstverständlich, damit nicht plötzlich »Abmachungen« oder »Versprechen«, die so nie gemacht worden sind, unwidersprochen bestehen bleiben. Und Fluten von Leserbriefen von immer etwa den gleichen zwei Dutzend Absendern überschwemmen die Redaktionen; umfangreiche »Dokumentationen« mit unüberprüfbaren Behauptungen, Ausschnitten aus irgend-
welchen Provinzzeitungen (die als »Zeugen« aufgeführt werden, nachdem sie unbesehen PR-Meldungen von Scientology abgedruckt haben), »eidesstattlichen Aussagen« von nicht näher vorgestellten, unbekannten Personen müssen verarbeitet und widerlegt werden; diskrete Drohungen - »ich werde mich in aller Ruhe und Sachlichkeit über Ihre Person informieren« - gehören zum üblichen Umgangston. Getreu der Hubbardschen Devise gegen Kritiker - »Fahr die Retourkutsche, indem Du sagst wir begrüssen es, dass der Angreifer untersucht wird« - wenden sich Scientology-Funktionäre, denen man eine Frage zu stellen versucht, jeweils unmittelbar gegen den Fragesteller, ohne auf dessen Anliegen einzugehen: »Wie kommt es, dass Sie an Scientology zweifeln? Haben Sie persönliche Probleme? Wir sollten uns zusammensetzen, um einmal über Sie zu diskutieren« (Ähnlich klingt es bei Bhagwan-Anhängern: »Findest Du es nicht schade, Dich mit uns anzulegen, statt Dein Leben zu gemessen?«). Auffällig dabei ist, mit welchem Selbstbewusstsein kaum volljährige »Reverends« gestandene Verlagsleiter und Chefredaktoren abkanzeln und Gegner pauschal in Grund und Boden stampfen. In einer Scientology-»Dokumentation« war beispielsweise über den Leiter der römisch-katholischen Sektenberatungsstelle Luzern zu lesen: »Der zitierte 'Kenner, welcher übrigens erst kürzlich harter Kritik an seiner Ideologie und Praxis der Informationsverfälschung ausgesetzt war, Reiner Krieger aus Luzern, scheint mit seiner Meinung allein auf weiter Flur zu sein.« Vikar Krieger sei ein »verängstigter und unkompetenter Fanatiker«. Und der Luzerner Erziehungsrat, der sich kritisch zur Scientology-Nachhilfeorganisation ZIEL geäussert hatte, »war leider anlässlich einer persönlichen Unterredung nicht in der Lage, die von ihm erhobenen Vorwürfe zu beweisen«. Die Zeitungen, welche die Stellungnahme der Erziehungsbehörde trotzdem veröffentlichten, hätten es sich »zum erklärten Ziel gemacht, Minderheiten skrupellos zu diffamieren«. Und so weiter.
Wer ist Hubbard?
Wer ist nun dieser begnadete Religionsstifter, der der Welt einen solch gottfreien, kalten Glauben geschenkt hat? Hubbards Herkunft und Entwicklung kann nur nach aufwendigen Recherchen dargestellt werden, da die Scientology-Funktionäre ihren Boss in der Propaganda mit allen positiven Fähigkeiten und Eigenschaften ausgestattet haben, die man sich denken kann. Nachforschungen von Journalisten, Sektenspezialisten und anderen skeptischen Zeitgenossen haben das Phänomen L. Ron Hubbard freilich auf seine wahren Dimensionen reduziert, auf die eines unermüdlichen Schreibers, wortgewandten Sektenführers und blendenden Organisators mit ausschweifender Phantasie. Nur einige Kostproben: Laut Scientology war Hubbards Vater einmal »Commander«, einmal »Fregattenkapitän der US-Marine«. In Wirklichkeit - Haack und Christopher Evans, Autor des Buches » Kulte des Irrationalen«, können hier exakte Quellen aus den Unterlagen der US-Navy zitieren - war er Zahlmeister im Rang eines Leutnants. »Da der Dienst des Vaters in der Armee die Familie nach dem fernen Osten führte, war L. Ron Hubbard mit 14 Jahren in China und verbrachte seine nächsten Jahre mit Reisen durch ganz Asien. Im nördlichen China und in Indien wurde in ihm die brennende Neugier auf Herkunft und Bestimmung des Menschen wach. Er studierte einerseits bei den Lama-Priestern und war anderseits bei den kriegsliebenden Männern wegen seiner Reitkünste geschätzt«, heisst es in einem einführenden Scientology-Kurs. In Wirklichkeit war Hubbards Vater lediglich während zweienhalb Jahren auf Guam stationiert, sonst ausschliesslich in den USA, wie aus den gleichen Navy-Akten hervorgeht.
In einem Brief seines Vaters, in welchem dieser seinen Sohn Ron dem Dekan einer Universität des Christlichen Vereins Junger Männer in Washington empfiehlt, sind denn auch keinerlei Hinweise auf die frühen Forscheijahre des Sprösslings in China und Indien vermerkt. Vielmehr wird dort (ebenfalls bei Haack zitiert) erläutert, dass der junge Mann sich an verschiedenen Schulen in den USA tummelte, sich dazwischen zweimal auf Guam aufhielt, »weil mich das Navy-Departement zwischenzeitlich hierher beordert hatte«. »Mit 19 Jahren kehrte er nach Amerika zurück, um in Washington D. C. an der George Washington University zu studieren. Am Columbia College graduierte er in Mathematik und in technischen Wissenschaften. Anschliessend besuchte er Amerikas erstes Seminar über Kernforschung. Ausserdem studierte Hubbard an der Princeton University, und er promovierte an der Sequoia University zum Doktor der Philosophie«, heisst es in »Scientology - Die Grundlagen des Denkens«. Tatsächlich hat Hubbard einen Kurs in »Molecular and Atomic Phys.« besucht und mit der Note F. (failure, das heisst durchgefallen) beendet. Die George Washington University hat er ohne Abschluss verlassen. Und der Doktortitel der Sequoia University ist nicht über jeden Zweifel erhaben: Diese Universität ist eine reine Titelverkaufsgesell Schaft. Während des Krieges soll L. Ron Hubbard laut ScientologyDarstellungen als Korvettenkapitän und gar als Kommandant eines Flottengeschwaders gedient und sich durch zahlreiche Heldentaten hervorgetan haben, wie zum Beispiel in »Die Grundlagen des Denkens« nachzulesen ist. Aus den NavyAkten, die Haack zitiert, geht hervor, dass Hubbard nie höher als bis zum Rang eines Leutnants aufstieg. »Die beiden Schiffe, auf denen er diente..., verdienten sich keinen Kampf-Stern, während er an Bord war«, heisst es da weiter. »Am Ende des Krieges war er gelähmt und erblindet. Mit Hilfe seiner eigenen Entdeckungen gewann er seine frühere
Gesundheit so vollkommen zurück, dass ihm im Jahre 1949 wieder die volle Einsatzfähigkeit bescheinigt wurde. Er ist ein medizinisches Wunder: Zweimal wurde er für tot erklärt, und dennoch gab man ihm im Jahre 1950 die höchstmögliche Punktzahl für die Bescheinigung körperlicher und geistiger Gesundheit«, zitiert Haack einen Scientology-Einführungstext. Laut Christopher Evans haben die - eigentlich tödlichen »Kriegsverletzungen« Hubbards, die ihn für insgesamt drei Monate ins Spital brachten, in folgendem bestanden: »Geschwür am Zwölffingerdarm, Schleimbeutelentzündung (rechte Schulter), Arthritis, Bindehautentzündung.« Natürlich gibt es neben dem vermythologisierten Hubbard auch den realen, fassbaren Hubbard - oder es hat ihn zumindest gegeben. Seiner Nachwelt hat er sich als fleissiger Schriftsteller erhalten von vorerst Wildwest- und Science-FictionRomanen, aus denen direkt seine späteren »wissenschaftlichen« Werke hervorgegangen sind. In persönlichen Zeugnissen (zum Beispiel ehemaliger Ehefrauen) wird er, wie Evans und Haack zitieren, als jähzorniger Despot, Ordnungsfanatiker und Workoholic geschildert. Über seine literarischen Qualitäten schreibt Christopher Evans: »Hubbard ist ein professioneller Schreiber von grossem Geschick, der in der Lage ist, eine beachtliche Skala von Themen und Stilen schriftstellerisch zu handhaben. Seine ersten Erfolge auf dem literarischen Sektor konnte er, lange bevor die Dianetik auf eine nichtsahnende Welt losgelassen wurde, in den dreissiger Jahren für sich verbuchen, als er damit begann (unter dem ziemlich plumpen Pseudonym Winchester Remington Colt), eine lange Reihe Groschenhefttexte einschliesslich Western-Stories, Abenteuergeschichten dieser und jener Art und selbt Romane der Spezies 'Liebe und Leid' zu verzapfen.« Gegen Ende der dreissiger Jahre habe Hubbard als »literarische Gestalt mittleren Kalibers« gegolten, ging dann dazu über, unter anderen Pseudonymen, aber auch
seinem richtigen Namen »eine Serie von flotten ScienceFiction-Stories zu produzieren, die ihm den Ruf einbrachten, zu den führenden Autoren dieses expandierenden Genres zu gehören«. In solchen Texten tauchte »das Thema paranormaler menschlicher Kräfte wie der Überwindung von Raum und Zeit und der Fähigkeit des Geistes, aus der Dinstanz auf andere Menschen einzuwirken« auf, Vorstellungen, um die später auch Scientology kreisen sollte. Laut Evans hat sich Hubbard durch ein exorbitantes Schreibtempo ausgezeichnet, habe sich einen oder zwei Tage eingeschlossen, um dann mit einem druckreifen Manuskript wieder aufzutauchen. So sei auch »Dianetics« entstanden, das grundlegende Standardwerk der Scientology. »Bezeichnenderweise fand die Dianetik ihre erste Plattform in 'Astounding Science Fiction', dem führenden Science-Fiction-Magazin jener Zeit« Aus einem produktiven Schriftsteller wurde mit der Maiausgabe 1950 von »Astounding Science Fiction« der Begründer einer Kirche, von dem zum Beispiel die Scientologin Ruth Minshull schreibt, er sei »der einzige Mann, der den Mut besass, weiter zu suchen, bis er die Wahrheit über den Menschen erfuhr.« Die Wahrheit »unseres Ron« klingt gelegentlich auch so absurd, dass man zweimal hinschauen muss, um sich zu versichern, dass tatsächlich schwarz auf weiss zum Beispiel in einem Bulletin vom 11. Mai 1963 steht, Ron sei zweimal im Himmel gewesen, einmal »43.891.832.611.177 Jahre, 344 Tage, 10 Stunden, 20 Minuten und 40 Sekunden« am 9. Mai 1963. Dass aus solchen »Wahrheiten« eine Religion entstehen kann, ist da schon nicht mehr so lustig. »Wie die Dynamik und der oft irrational begründete Durchsetzungswahn von Kranken der Menschheit Megalomanien und Zwangsmissionierungen beschert haben, zeigt die politische und religiöse Geschichte gerade des 19. und 20. Jahrhunderts«, schreibt Friedrich-Wilhelm Haack. »Dass dabei die eigene Masslosig-
keit und die Person des Gründers zur Ursache eines neuen ethischen Systems und einer neuen Moral werden, haben Hubbard und Hitler ebenso gemeinsam wie den Glauben, dass sie eigentlich nur ein immerwährendes, über allem stehendes Gesetz repräsentieren, als dessen Vermittler sie sich verstehen.«
Ein Imperium zerfällt
Tröstlich ist es angesichts des Gebahrens von ScientologyFunktionären, dass L. Ron Hubbards Imperium offenbar auf wackeligem Fundament steht. Seit Jahren wird immer wieder von zerstörerischen Machtkämpfen innerhalb der »Guardian-Organisation und der SeaOrg (»Meeres-Organisation«, eine Scientology-Bruderschaft, die so heisst, weil sie ursprünglich von Schiffen aus operierte) berichtet; die zwei Elitevereinigungen von Scientology sind offenbar am Zerfallen. Seit Hubbard verschwunden ist, hat eine blutjunge Garde von Scientologen der zweiten Generation, ausgebildet nur nach den Regeln von »Vater« Ron, die Macht an sich gerissen. Neuerdings tauchen auch in Schweizer Scientologenkreisen Briefe auf, in denen Mitglieder den Untergang der Kirche bejammern. Einer von ihnen, Dave Taps aus Los Angeles, nach eigener Darstellung ein »hochtrainierter OT und Staffmember«, berichtete in einem 32-seitigen Schreiben, verbreitet im Herbst 1983, von schwersten Übergriffen auf bestandene Scientologen (»John Mac Masters wurde über Bord des Flag Schiffes geworfen, eine Praktik, die normalerweise bei Auditoren der Fall war, die Fehler machten. John brach sich während des Falles seinen Arm und musste damit drei Stunden im Wasser herumpaddeln«), von Gewalt, Unterdrückung, Säuberungsaktionen, denen reihenweise Leute zum Opfer fielen, so al-
lein im März 1982 Hunderte von Führern, Missionsleitern und fast das ganze Guardian Office. In den USA gebe es schon über 20 Splitterorganisationen, schrieb Taps, und »etliche Dutzend formieren sich gerade«. Allerdings herrscht in diesen Splittergruppen keine grundsätzliche Kritik an Scientology; vielmehr wollen sie die »alten Zeiten« neu beleben und die Organisation auf die ursprünglichen Ziele zurückführen. Taps berichtete weiter von horrenden Bussen, die gewissen Leuten aufgebrummt wurden; und wenn die »SeaOrg« es für nötig erachte, eine Mission zu kontrollieren, koste das 15.000 Dollar am Tag. Besuch von der »SeaOrg« erhielt in letzter Zeit auch die Mission in Bern: Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Buches war nicht mehr klar, wer dort das Sagen hatte; Funktionäre wurden ausgewechselt, zum Teil plötzlich nach Kopenhagen ins europäische Hauptquartier abgezogen. Eine schwere Schlappe erlitten die Schweizer Scientologen, als Anfang 1983 K., ein Spitzenfunktionär, absprang und seither ebenso verbissen gegen die »Kirche« missioniert, wie er vordem für sie geworben hatte. Der Satz »Scientology expandiert momentan in der Schweiz wie nie zuvor«, geäussert in einem Brief des »Expansions Office Schweiz« in Basel vom 15. Juni 1982, dürfte so, L. Ron Hubbard sei Dank, nicht mehr zutreffen. »Der 23jährige David Miscaviage ist im Augenblick das sichtbare Haupt der Kirche«, schrieb Taps und zerstörte auch gleich noch die Hoffnung vieler Scientologen, L. Ron Hubbard sei noch funktionsfähig: Briefe, angeblich von Hubbard, seien von andern verfasst und mit einem Stempel »unterschrieben« worden, und es würden auch Anweisungen herausgegeben in Hubbards Namen, die nicht von ihm stammten. Und dann bestätigt der überzeugte Scientologe Dave Taps, dem es nur um die Rettung und Verbreitung der reinen Scientology-Lehre geht, Vorgänge innerhalb der »Kirche«, die von Scientologen immer wieder radikal dementiert werden: Er
schreibtvon »Gewalt, Angsttaktiken und physischem Zwang«, von »Gehirnwäsche, Drohungen und Bestrafungsmechanismen«. Ein Sohn von L. Ron Hubbard ging noch einen Schritt weiter: Er klagte vor einem Gericht in Los Angeles wegen Betrugs gegen Mitglieder der Kirchenlcitung und teilte mit, sein Vater sei entweder tot oder werde von der jungen Scientology-Garde gefangengeh alten. Der von Scientology verbreitete Lebenslauf, der Hubbard als Seehelden des zweiten Weltkrieges, genialen Forscher in allen möglichen Wissensgebieten und als praktisch unverletzlichen Supermenschen darstelle, sei mehr oder weniger zusammengelogen. »Mein Vater leidet an schwerer Schizophrenie und an Wahnvorstellungen.«
I I . ERSCHEINUNGEN U N D URSACHEN
1. Mythen und Riten für rationale Zeiten Die Sehnsucht nach dem Irrationalen »Eine Welt, die sich - wenn auch mit schlechten Gründen deuten und rechtfertigen lässt, ist immer noch eine vertraute Welt. Aber in einem Universum, das plötzlich der Illusion und des Lichts beraubt ist, fühlt der Mensch sich fremd. Aus diesem Verstossen-sein gibt es für ihn kein Entrinnen, weil er der Erinnerung an eine verlorene Heimat oder der Hoffnung auf ein gelobtes Land beraubt ist.« Aus dieser Behauptung zieht Albert Camus den Schluss, dass es nur zwei Möglichkeiten des Entrinnens gebe: Die Weiterexistenz als absurder Mensch oder den Selbstmord. Keine befriedigenden Alternativen also. Jean-Paul Sartre als Gegenpol - oder Kompensation - von Camus sieht demgegenüber den philosophischen »freien Daseinsentwurf« als Ausweg aus dem »Ekel«. Ihnen gemeinsam ist die Anforderung, die sie an den Menschen stellen: zu einer willentlichen Entscheidung fähig zu sein, ihr Leben in die Hand zu nehmen, sich zu entscheiden, und sei es für den selbst herbeigeführten Abgang. Die Tendenz allerdings, die heutzutage weitherum spürbar ist, geht nicht in Richtung Entscheidung in Freiheit, sondern in Richtung der sehnsuchtsvollen Suche nach der Irrationalität. Dem »Labyrinth der Sackgasse« (Arthur Koestler) versuchen wir im Rückzug zu entkommen, indem wir verlorene Heimaten wiedergewinnen und Hoffnungen wieder herbeireden wollen. Die Mythen der neuen (und teilweise auch der alten) Religionen können hiereine willkommene Krücke sein, auf die wir uns auf unserer Flucht vor der nicht mehr verstandenen und
nicht mehr erklärbaren Realität stützen. Dem ohnmächtigen Gefühl des Zerfliessens von Kindheit und Erwachsensein setzen wir neue Initiationsriten entgegen, dem Alltag neue Illusion und neues Licht. Der Verlust der Riten und die Demontage der Mythen haben für den desorientierten Zeitgenossen schmerzliche Lücken hinterlassen. Seit in katholischen Kirchen nicht mehr ein Priester in wallenden Gewändern, meist mit dem Rücken zur versammelten Gemeinde, am Altar steht und, den meisten unverständlich, lateinische Zauberformeln murmelt, seit stattdessen ein Mann dasteht und schweizerdeutschen Klartext spricht, seit kaum mehr Weihrauchfässer geschwungen werden, hat die sogenannte Rationalität auch in katholischen Kirchen Einzug gehalten, und genau die Rationalität ist es doch, an der mancher zerbricht. Die Flucht in die Irrationalität muss also ausserhalb der Kirchen oder zumindest ausserhalb ihrer offiziellen Darbietungen gesucht werden Spiritualität und Transzendenz, zwei der am meisten gebrauchten Modewörter (neben der »Frustration«), finden sich nicht mehr dort, wo sie jahrhundertelang kultiviert worden sind. In der Tat hat jeder der neuen »heiligen Meister« viel Energie auf die Kreation neuer Riten, neuer Mythen und neuer Transzendenz verwendet. Ja, jeder von ihnen stellt sich selber als eine Art inkarnierter, zu Fleisch gewordener Mythos dar. In ihren Riten und Mythen heben sich die neuen Religionen am meisten ab von den alten, etablierten. Sie setzen dort neue Zäsuren, wo Firmung und Konfirmation ihre Bedeutung verloren haben - etwa das Opus Dei mit seinem Gelübde. Oder die Transzendentale Meditations-Bewegung mit einer feierlichen Einflüsterung des Mantras, jenes geheimen Wortes, mit dem der TM-Anhänger die tägliche Meditation absolviert. Die Einflüsterung des Mantras durch den TM-Lehrer ist begleitet von einer weihevollen Zeremonie mit Blumen, einem Altar, Räucherstäbchen und hinduistischen Gebetsgesängen. Die
Entgegennahme der Mala, jener Kette mit dem Bildchen von Bhagwan, ist ebenfalls eine Art feierlicher Initiationsritus: Dem neuen Sannyasin wird das »dritte Auge« auf die Stirn gemalt, er ist jetzt, wie der grosse Meister selbst ein »Sehender«. Nur Scientology, diese kalte Ausgeburt eines hypertechnisierten Zeitalters, kennt keine Riten in diesem Sinn - obwohl in ihren Reihen zum Beispiel Leute getraut werden. Nicht nur die Initiation, sondern jeder Tag soll ritualisiert werden. Das mag in christlichen Familien früher das Gebet vor dem Essen gewesen sein als Zeichen dafür, dass jetzt der Alltag ein Ende habe und man sich zum gemeinsamen Verweilen zusammensetze. Die Juden kennen die Scheidezeremonie als Zäsur zwischen der Arbeitswoche und dem arbeitsfreien Sabbat, Moslems die vorgeschriebenen täglichen Gebetsrituale. Ähnlich die TM, die den Anhängern zwei Meditationen im Tag von jeweils 15 bis 20 Minuten vorschreibt. Das Opus Dei hat seine Rituale eher am katholischen BussSakrament orientiert: tägliche Abtötungen, die bis hin zu masochistischer Selbstquälung mit einschneidenden Bussgürteln an den Beinen und Geisselungen gehen können, dazu Gebete und Andachten. Solche vorgeschriebenen Riten - bei TM steht der Ritus sogar im Mittelpunkt der Lehre, um ihn ranken sich all die Mythen vom Maharishi-Effekt und vom »vereinheitlichten Feld« - können durchaus ihre angenehme, entspannende Wirkung haben: »Die Ruhe von der Arbeit (am Sabbat) gibt Gelegenheit zur geistigen und seelischen Selbstaktivierung«, schrieb Jakob Teichmann, früherer Rabbiner der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich, im Buch »Juden in der Schweiz«. In der römisch-katholischen Kirche gibt es als meditationsähnliche Methode das etwas aus der Mode gekommene Rosenkranzgebet: Mechanisch repetierte Texte und das automatisierte Spiel mit den Holz- oder Glasperlen zwischen den Fingern können einer sehr beruhigenden Effekt haben; Gedan-
ken werden ausgeschaltet, der Körper verfällt in einen zwar wachen, aber ruhigen Zustand. Den gleichen Zustand, den Rückzug von gedanklicher Arbeit, die kontemplative Müsse erreichen andere durch simples Faulenzen am Strand, unter einem Baum, in einer Hängematte. Blätter, die sich sanft im Wind bewegen, das Plätschern von Wellen sind einem mechanischen Gebet, dem rituellen Aufsagen eines Mantras durchaus vergleichbar. Auch moderne Entspannungspraktiken wie das Autogene Training, eine Methode der Selbsthypnose, sind auf das exakt gleiche Ziel gerichtet. Nur: Wo finden sich in unseren Städten noch Orte, wo man sich hinlegen kann, ohne vom Lärm terrorisiert zu werden? Und wer bringt noch Zeit auf für scheinbar unproduktive Müsse? Viel eher finden Zeitgenossen Gefallen an sogenanntem »körperlichem Ausgleich«: Auch Gymnastik, Dauerlauf, Schwimmen sind Möglichkeiten, um gezielt die Gedankenarbeit auszuschalten. Nur werden sie oft als Ausdruck neuen Leistungszwanges betrieben, nicht als Besinnung auf sich selbst und seinen Körper, und verlieren so ihre meditative Wirkung.
Die
Unsterblichkeit
Eine Meditation ist so lange nur eine wohltuende Technik, als sie ohne mythologische Verbrämung betrieben wird. Erst durch eine transzendente, das heisst eine mit den Sinnen nicht mehr erfassbare und nicht auf Erfahrung beruhende Dimension wird die Meditation zur transzendentalen Meditation ein Ausdruck übrigens, der so nur existiert, weil er falsch aus dem Englischen übersetzt worden ist; eigentlich müsste Maharishis Methode mit der zusätzlichen Komponente des Übersinnlichen »transzendente Meditation« heissen.
Jede Religion hat ihre Mythen; Mythen machen sie erst zur Religion. Im Katholizismus ist es - ganz abgesehen von der zentralen Mythologie der Bibel - beispielsweise die »unbefleckte« Zeugung von Jesus. Andere Religionen haben ganze Heerscharen von Göttern kreiert, die untereinander Kriege führen und Liebe vollziehen. Welten von Geistern und Engeln bevölkern die Vorstellung. Mythen sind bis zur Unkenntlichkeit abgewandelte, über Jahrhunderte oder Jahrtausende tradierte Erfahrungen, Erzählungen, Sagen, die sich im Lauf der Zeit immer mehr vom realen Ursprung abgehoben haben und zu - oft kollektiv erlebten religiösen Fundamenten geworden sind. Neue »heilige Meister« sehen sich gerne als Träger von Mythologie. Sie rechtfertigen ihre Neuschöpfungen damit, einen besonderen Zugang zur jeweiligen Mythologie gefunden zu haben; die katholischen Fundamentalisten Escrivä und Kentenich leiten ihren Anspruch auf Neugestaltung des Katholizismus von »göttlicher Eingebung« und »direktem Eingreifen durch die Muttergottes« ab, protestantische Fundamentalisten von der »direkten Inspiration« durch die Bibel«. »Der Mensch als solcher ist eine Lüge; Gott ist die Wahrheit«, hat Bhagwan Shree Rajneesh in einem Vortrag gesagt. »Wie soll man die beiden in Verbindung bringen? Es ist schier unmöglich - es geht nur über den Mythos, mit Hilfe eines Märchens, ja, einer spirituellen Legende. Alle Religionen sind Legenden, aber sie sind ungeheuer hilfreich. Ein paar Elemente der Wahrheit sind immer im Mythos enthalten (...) und immer ein paar Elemente der Lüge. Durch ein Leben im Mythos kannst du dich auf den Weg zur Wahrheit machen.« Eine der wenigen Glaubens»wahrheiten«, die in beinahe allen Religionen enthalten ist, ist der Mythos von der Unsterblichkeit. Unsterblichkeit, ein Leben nach dem Tod - und allenfalls auch vor der Zeugung - ist der zentrale »Sinn«, den jede Religion proklamiert, die Überwindung des als Sinn-los emp-
fundenen Lebens in der Welt. Die Unsterblichkeit ist das »Opium des (religiösen) Volkes«, die wesentliche Hoffnung, die gleichzeitig jahrtausendelang den jeweils herrschenden Religionen die Rechtfertigung für ein Leben in der Entmündigung, der Ohnmacht, der Unsicherheit und Unterwerfung gab. Mit der Unsterblichkeit sind Jahrtausende lang die Herrschaftssysteme zementiert worden; sie ist das Fundament fast aller Religionen, auch der neuen, im 20. Jahrhundert geschaffenen. L. Ron Hubbard schickt seine Jünger auf eine »Zeitspur«, deren Anfang er ziemlich exakt definiert: »Dies ist ein kaltblütiger Tatsachenbericht über die vergangenen 60 Billionen Jahre«, so beginnt sein Buch »Die Geschichte der Menschheit«. An ihrem Anfang standen die allmächtigen, unzerstörbaren Thetanen. »Im Laufe der zahllosen Jahrmillionen werden sie langsam, aber sicher von den Reizen des Universums, das sie aus Materie, Energie, Raum und Zeit geschaffen haben, mehr und mehr gefesselt Sie verstricken sich immer mehr in ihr Spiel und machen sich immer weniger Gedanken über ihren wahren Status als Thetanen. Langsam, wie Fliegen, die im Honig versinken, erliegen sie hoffnungslos der Verführung durch das materielle Universum, bis sie - viele Millionen Jahre vor unserer Zeit - den Zustand der fast totalen Verstrickung erreicht haben. Seither geht es ständig weiter bergab mit ihnen. Und heute haben die Thetanen vergessen, was sie in Wirklichkeit sind. Sie gehen umher und halten sich für Körper. Ja, sie haben sogar vergessen, dass sie ein Spiel spielen. Aber etwas ist geschehen. Ein Mann namens Lafayette Ronald Hubbard ist dem Geheimnis durch Zufall auf die Spur gekommen, hat sich erinnert, was los ist und wird uns zurückführen, bis wir aufhören, Marionetten zu sein, und zu unserem Erbe als Spieler zurückzukehren. Das ist der grosse Plan hinter all unseren Leben, wie ihn die Scientology offenbart Eine phantastische Angelegenheit zumindest die rundherum nach Science
Fiction bester Sorte riecht.« - Despektierlich, aber zutreffend hat Christopher Evans die Unsterblichkeits-»Philosophie« von Scientology geschildert; die wahre Tragödie allerdings ist, dass Stories von Hubbard nicht nur äussert komisch klingen, sondern immerhin ein paar hunderttausend oder Millionen Menschen zu einer Neudisposition ihres Lebens bewegt haben. Denn um die totale Freiheit des unsterblichen Thetans wieder zu erlangen, muss ebenso totale Disziplin geübt werden - eine Disziplin natürlich, die einem Scientology vorschreibt. Scientology, die Science-Fiction-Religion, aber auch die TM Maharishis gehen dann noch einen Schritt weiter, dehnen den Mythos weiter aus: Nicht nur Unsterblichkeit nach dem Tod, auch Unbesiegbarkeit im Hier und Jetzt sind geboten: Als »Operating Thetan«, das heisst nach der Absolvierung von Kursen im G e s a m t w e r t « von etwa 100.000 Franken, kann dem Scientologen praktisch nichts mehr geschehen. Und auch der TM-Sidhi-Kurs, viel, viel günstiger zu haben, hat laut Maharishi denselben Effekt. Weshalb sollte irgend jemand hienieden noch die geringsten politischen, gesellschaftlichen, sozialen Anstrengungen unternehmen, wenn doch mit ein paar - zugegebenermassen kostspieligen - Kursen alle scientologischen »Engramme« - die Widersacher der Thetanen beseitigt beziehungsweise alles Elend hinwegmeditiert werden kann?
2. Potenz zur Veränderung der Welt Die absoluten Wahrheiten Wer an der »blutigen Mathematik, die über uns herrscht« (Albert Camus im »Mythos von Sisyphos«), verzweifelt, der sucht vorerst nach einem Sinn. Dieser Sinn kann gegen innen gerichtet sein, auf eine persönliche Veränderung hin, oder gegen aussen; das heisst, der Mensch versucht, seine Umgebung, die Welt so zu verändern, dass sie ihm sinnvoll erscheint. Möglich ist auch, dass er sich selber verändert, eine »Erleuchtung« erlebt, die »grosse Wende«, sich - zum Beispiel »für Gott entscheidet« und dann, als Erretteter, Erleuchteter, den Rest der Menschheit bekehren will. Denn der Mensch ist — wie Erich Fromm in »Die Seele des Menschen« formuliert nicht nur »ein Objekt der jeweiligen Umstände«, sondern besitzt zumindest theoretisch »den Willen, die Fähigkeit und die Freiheit, die Welt zu verändern und zu verwandeln«, ja, er wird geradezu getrieben, »der Welt seinen Stempel aufzudrücken«. Wenn er aber »aus Schwäche, Angst, Inkompetenz oder dergleichen nicht fähig ist zu handeln, wenn er impotent ist, so leidet er. Dieses Leiden aus Impotenz ist eben darauf zurückzuführen, dass das innere Gleichgewicht gestört ist, dass der Mensch den Zustand völliger Ohnmacht nicht hinnehmen kann ohne zu versuchen, seine Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. Kann er das aber, und wie? Eine Möglichkeit ist, sich einer Person oder einer Gruppe, die über Macht verfügt, zu unterwerfen und sich mit ihr zu identifizieren.« Damit ist im Grunde genommen genau der Mechanismus umschrieben, der junge Leute - ohnmächtig angesichts der
Tatsache, dass sich die Welt in einer anderen Richtung verändert, als sie wünschen - in die Fänge von Sekten und Kulten treibt. Denn dort erwartet sie jene Potenz zur Veränderung der Welt, die sie an sich selbst nicht erfahren haben, jenes Ziel, auf das hinzuarbeiten es sich lohnt, jene Handlungsfähigkeit. Und vorallem erwartet sie ein allumfassender Anspruch,jener auf absolute Wahrheit, der sich angeblich auf Dauer niemand entziehen kann. Statt als impotente Getriebene können sie sich als potente Avantgarde einer gesellschaftlichen Entwicklung fühlen. Die absolute Wahrheit, die unumstössliche, ewig gültige Lehre - und mag sie noch so absurd sein - ist deshalb das wichtigste Fundament jeder religiösen oder pseudo-religiösen Gruppe und wird mit totalitärer Vehemenz vertreten. In kritischen Kirchengeschichten kann nachgelesen werden, wie aus gleichrangigen Gemeinschaften von Christen im Lauf der Jahrhunderte eine hochmütige Herrschaftsapparatur mit einem »Pontifex maximus« an der Spitze entstand, dessen Lehrworte nicht fehlgehen können. Auch hier perpetuieren also die neuen Messiasse genau das, was ihnen die katholische Kirche jahrhundertelang vorgemacht hat, mit dem einen Unterschied, dass diese heute radikal in Frage gestellt ist aus den eigenen Reihen. Auch bei etablierten Freikirchen und Sekten findet sich der Anspruch auf Alleinbesitz der Wahrheit: -
Die Neuapostolische Kirche zum Beispiel nennt sich die »alleinige Kirche Christi«. - Die Mormonen glauben, ihre Anhänger würden im kommenden Reich Gottes eine Vormachtstellung einnehmen. - Nur die »Neue Welt-Gesellschaft« der Zeugen Jehovas werde »in Gottes neuer Welt mit ihren paradiesischen Zuständen mit dabei sein«, fasst der Berner Pfarrer und Sektenkenner Eduard Gerber den Anspruch der Zeugen
Jehovas zusammen. »Mit Ausnahme der Zeugen Jehovas werden alle Völker und Kirchen vernichtet werden«, umschreibt der Berner Kirchenhistoriker Kurt Guggisberg den gleichen absoluten Lehrsatz. Wenn möglich noch radikaler vertreten gewisse der neueren Bewegungen den Anspruch auf Besitz der alleinigen Wahrheit: »Scientology ist die Wahrheit«, verkündet »Reverend« Marco Zanetti, bis vor kurzem führendes Scientology-Mitglied in Bern, schlicht. »Vor Scientology kannte der Mensch sein Verhältnis zum Universum nicht und hatte die Wahrheit noch nicht gefunden. Bisher hatte man nur an diesen Wahrheiten herumgeraten«, ist im Buch »Scientology - Die Grundlagen des Denkens« zu lesen. Scientology ist die Erklärung für alles, »die Wissenschaft vom Leben. Sie lehrt die Grundlagen des Lebens, die Gesetze und grundlegenden Dinge des am Leben Seins. Unsere Technologie kann zur Handhabung jedes Zustandes benutzt werden.« Mit Scientology, dieser »angewandten religiösen Philosophie«, stellt der Mensch um auf Erich Fromm zurückzugreifen - jene »Handlungsfähigkeit« wieder her, die es ihm ermöglicht, die Welt zu verändern. Die Kinder Gottes/Familie der Liebe, eine Jugendsekte, die hierzulande weniger vertreten ist, »sind die einzig wahren Nachfolger Christi«. David Berg, ihr Gründer und Führer, bezeichnet seine Anhänger als »Revolutionäre von Jesus Christus«: »Das ist die wirkliche, alleinige und einzige, echte Revolution, die je überleben wird, weil dies das revolutionäre Königreich Gottes und Jesu Christi ist!« Eckankar, die »höchste aller Bewegungen, die älteste aller religiösen Offenbarungen«, 1964 durch den Amerikaner Paul Twitchell »wiederbelebt«, ist die einzige Religion, mit der man ins Reich Gottes eintreten kann.
Die Vereinigungskirche des koreanischen Grosskapitalisten San Myung Mun ist »die Bewegung, um die Welt zu retten«. In den »Göttlichen Prinzipien« Muns ist zu lesen: »Alle Religionen der Gegenwart haben sich bisher als unfähig erwiesen, die heutige Generation aus dem dunklen Tal des Todes in das strahlende Licht des Lebens zu führen. Es muss also eine neue Wahrheit erscheinen, die ein neues Licht verbreitet« Und San Myung Mun und seine Frau, »die wahren Eltern« und künftigen Beherrscher des Menschengeschlechtes, sind ausgezogen, diese einzige Wahrheit, dieses neue Licht zu verbreiten. Wer sich jetzt der Vereinigungskirche anschliesst, der ist einfach ein bisschcn weiter als alle andern, ist mitbeteiligt an avantgardistischer Welterneuerung, denn »am Ende werden alle zur Vereinigungskirche gehören«. Absolute Ansprüche erhebt auch Maharishi Mahesh Yogi mit seiner »Weltregierung des Zeitalters der Erleuchtung« in Seelisberg/Uri. Bei seinerTranszendentalen Meditation (TM) steht zwar nicht die Lehre im Vordergrund; die einfache Grundtechnik der Mantra-Meditation kann von jedermann in kurzer Zeit erlernt werden, ohne dass er unbedingt den übrigen TM-Kult mitmachen muss. Aber immerhin behauptet auch Maharishi, das Rezept zur Errettung der Welt anzubieten: TM »wird allen Menschen zu verschiedenen Zeiten dazu verhelfen, das Leiden zu lindern und Beschränkungen und Unwissenheit aufzulösen, sie wird die Entwicklung der Menschheit in eine neue Ära hineinführen, in der alle Werte des Lebens enthalten sind - physische und mentale, materielle und spirituelle, (...) Frieden und Wohlstand der Menschen werden überall gesichert sein«, verspricht der Maharishi in seinem Buch »Die Wissenschaft vom Leben und die Kunst des Seins«. Er selber beansprucht für sich, eine »absolute Theorie der Ordnung« entwickelt zu haben. Ganz anders als bei den bisher beleuchteten Gemeinschaften, seien es nun etablierte Sekten oder Freikirchen, seien
es sogenannte Jugendreligionen, Jugendsekten oder religiöse Sondergruppen - ganz anders präsentiert sich der Absolutheitsanspruch beim Opus Dei, einer katholischen Laienorganisation, die wir hier betrachten, weil sie ebenfalls besondere Bemühungen auf die Rekrutierung jugendlichen Nachwuchses verwendet. Der absolute Anspruch des Opus richtet sich nicht auf eine besondere Lehre - hier betont das »Werk« immer wieder Papsttreue und feste Verankerung im Katholizismus -, sondern auf das »Apostolat« seiner Mitglieder. »Die Mitglieder des Opus Dei sind Menschen, die mitten in der Welt leben und dort ihrem Beruf nachgehen. Sie schliessen sich dem Opus Dei an, nicht weil sie diese Arbeit verlassen möchten, sondern weil sie geistlichen Rückhalt suchen, um ihre gewöhnliche Arbeit heiligen zu können und sie zugleich in ein Mittel der eigenen Heiligung und in eine Hilfe für die Heiligung anderer zu verwandeln.« So nachzulesen in der Broschüre »Zwanzig Fragen an Msgr. Escrivä de Balaguer« (Gründer und erster Generalpräsident des Opus Dei). An anderer Stelle, in Escriväs Buch »Der Weg«, einer Sammlung von 999 Aphorismen, werden die Ansprüche an die OpusMitglieder verdeutlicht. Da heisst es: »Dutzendmensch werden? Du - zum grossen Haufen gehören? Du bist zur Führung geboren« (Aphorismus Nummer 16). Und anderseits in Aphorismus 941: »Gehorchen-sicherer Weg. Den Vorgesetzten mit rückhaltlosem Vertrauen gehorchen - Weg der Heiligkeit.« Ftihrungsbewusstsein, Elitedenken auf der einen, bedingungsloser Gehorsam auf der andern Seite: In seinen eigenen Schriften präsentiert sich das Opus als das, was es immer wieder bestreitet zu sein, als ein autoritärer und elitärer Machtapparat mit dem Anspruch der Auserwähltheit. Der ehemalige Opus-Dei-Angehörige und katholische Theologe Klaus Steigleder verdeutlicht diesen spezifischen Absolutheitsanspruch: »Die Vereinigung, die sich jeder Kritik entzogen wähnt, beansprucht für sich selbst, letztlich alles und jedes kritisieren zu
können und zwar anhand jenes Massstabes, in deren Besitz sie sich nahezu uneingeschränkt glaubt: das Wissen um den Willen Gottes im Konkreten. Von der Kritik durch die Vereinigung ist im Grunde nichts ausgenommen: auch bischöfliche und päpstliche Entscheidungen nicht. Die Kritik an solchen Entscheidungen hat ihren Grund aber beispielsweise nicht in einem um Verantwortung bemühten Gewissensentscheid, durch den jemand sich mithin zu gegenteiliger Auffassung genötigt sieht, sondern eben in einer vermeintlichen Kenntnis des Willens Gottes, in dem mögliche Lehrentscheide der Kirche gleichsam schon vorweggenommen seien.« Besondere Auserwähltheit reklamiert auch das ebenfalls katholische Schönstattwerk für sich, ein »grosses, organisches Gesamtgefüge des katholischen Denkens, Handelns und Lebens als ausgeprägte Gegenaktion zur inneren Überwindung der modernen anthropologischen Häresien«, wie es SchönstattGründer Pater Joseph Kentenich formuliert hat. (»Texte zum Verständnis Schönstatts«). Doch während beim Opus die besondere Auserwähltheit des einzelnen Mitgliedes, die »Aufopferung und Heiligung der Arbeit« im Zentrum steht, ist es bei Schönstatt die Auserwähltheit des Werkes: »Die Gottesmutter hat ein bedeutsames Liebesbündnis mit Schönstatt und allen Schönstattkindern geschlossen«, schreibt Pater Kentenich in »Das Lebensgeheimnis Schönstatts«. An anderer Stelle findet der Schönstatt-Gründer die Erklärung für »aussergewöhnliche Erfolge« seiner Vereinigung »im Liebesbündnis mit der Dreimal Wunderbaren Mutter und Königin von Schönstatt und in der Tatsache, dass es nach Gottes Plan und Wunsch an der Stätte ihrer besonderen Wirksamkeit, in ihrem Heiligtum geschlossen wird«. Die Kenntnis des »Willens Gottes«, das »Bündnis mit der Mutter Gottes« - wer könnte an der absoluten Wahrheit solcher Offenbarungen zweifeln? Wer würde nicht »handlungsfähig« mit einer solchen Macht im Rücken, der man sich
bedingungslos unterwerfen, mit der man sich blind identifizieren kann? Ähnlich absolute Töne erklingen bei den Evangelisationsunternehmungen, jenen neueren religiösen Gemeinschaften, denen gegenwärtig hierzulande vermutlich am meisten Jugendliche zuströmen. »Die Frage nach dem Woher und Wohin« ist zum Beispiel für Vreni Wüthrich, Sekretärin der Schweizer Missionsgemeinde in Zürich, »gelöst. Ich weiss jetzt, dass mein Dasein einen Sinn hat. Ich bete beispielsweise morgens, dass mich Gott den ganzen Tag leiten soll, und ich vertraue darauf, dass ich von ihm gehört werde.« Bei den Evangelisten ist es die Bibel, aus der direkt - ohne dass sie interpretiert werden müsste - die unverbrüchliche Wahrheit fliesst. »Es gibt nur eine Meinung, diejenige Gottes«, sagte Peter Stolz, einer der Leiter der »Jüngerschaftsschule« Biel, in einem Interview mit uns. Und diese »Meinung Gottes« ist direkt der Bibel zu entnehmen. »Wir nehmen die Bibel einfach wörtlich«, meint Vreni Wüthrich. Das ist zwar nicht ganz unproblematisch, erzeugt »ziemliche Spannungsfelder. Einmal heisst es 'Aug um Aug, einmal wird man aufgefordert, auch die andere Wange hinzuhalten.« Aber dank der »Anleitung Gottes« lösen sich solche Widersprüche; es lässt sich mit ihnen leben; sie geben nicht etwa Anlass zu kritischer Reflexion, im Gegenteil: Die ganze Welt soll profitieren von den absoluten Wahrheiten, welche die Evangelisten verbreiten. »Wir wollen, dass alle Leute in Ordnung, innerhalb der Prinzipien Gottes, an die man sich halten muss, leben.« Dass die Bibel spätestens seit Nikolaus Kopernikus (14731543) naturwissenschaftlich, spätestens seit Spinoza (16341677) auch philosophisch nicht mehr ohne Interpretation genügen kann, spielt bei den Evangelisten kaum eine Rolle: Statt sich ein neues Weltbild zu schaffen wie andere religiöse Bewegungen, entnehmen sie ihr festgezimmertes der Bibel, indem sie 2.000 Jahre Theologie und Philosophie, Naturwissen-
schaft und gesellschaftliche Entwicklung negieren. (Womit nicht behauptet werden soll, dass sie nicht alle andern Segnungen dieser Entwicklungen zunutzen machten und beispielsweise auf das Auto, die Medizin oder den Wohnungsbau verzichteten.) Hauptsache also auch hier: dass man sich »einbringen« kann, dass man »Wärme und Tuchfühlung« verspürt, dass man sich identifizieren, sich unterordnen und die Verantwortung an eine höhere Macht abtreten kann, gleichzeitig das Rezept zur Rettung der Menschheit besitzt, das man allen andern, die »noch nicht so weit sind«, möglichst aktiv näherbringen will.
Die heiligen Väter
Allein, die absolute Wahrheit genügt nicht, es braucht noch die Vaterfigur, die diese verkörpert, durchpeitscht, und der man sich so weit unterwerfen kann, dass man die Erklärungen akzeptiert, die diese abgibt, wenn sie sich selbst nicht an die eigenen Lehren hält. An der Spitze der Jugendreligionen steht eine mit unumschränkter Autorität ausgestattete Führerfigur. Ob es sich dabei um einen »spirituellen« Eiferer handelt wie Pater Joseph Kentenich bei der Schönstattbewegung, um einen klugen Strategen wie den Opus-Dei-Gründer Josemaria Escrivä de Balaguer, einen zynischen Diktator wie Lafayette Ronald Hubbard, den Erfinder von Scientology, um einen vergnügten Geniesser wie Bhagwan Shree Rajneesh, einen machtgierigen Ausbeuter wie San Myung Mun, einen sexbesessenen Scharlatan wie David Berg alias Moses David von der »Familie der Liebe« oder einen geschäftstüchtigen Entrückten wie Maharishi Mahesh Yogi: Jede der attraktiven neureligiösen Bewegungen hat ihren charismatischen Führer, ihren heiligen Vater. Nur bei den Evangelisationsbewegungen ist die-
ser Ubervater in zahllose Väterchen parzelliert, leistet sich manche Gruppierung ihren eigenen wortgewaltigen Verkünder. Ihren Anspruch auf absolute Autorität leiten die meisten dieser Führer (weibliche Oberhäupter von neuen religiösen Gemeinschaften gibt es kaum) ab von direkten Offenbarungen, die ihnen von Gott zuteil geworden seien. Entsprechend lassen sie sich titulieren: Shree Rajneesh, bürgerlicher Name Rajneesh Chandra Mohan, nennt sich schlicht »Bhagwan«, das heisst »Gott«; Maharishi Mahesh Yogi (Mahesh Prasad Warma) wird in den TM-Publikationen als »Seine Heiligkeit« aufgeführt, »Maharishi« bedeutet »grosser Seher«; der ehemalige kaufmännische Angestellte Abhay Charan De, Gründer der »Internationalen Gesellschaft für KrishnaBewusstsein«, wurde als »Seine Göttliche Gnade Swami Prabhupada« verehrt; San Myung Mun hält sich für den Messias und lässt sich »Herr der Wiederkunft« nennen; David Berg, lichtscheuer Boss der Kinder Gottes/Familie der Liebe, wird als »Prophet und König« verherrlicht, als »Stellvertreter Jesu auf Erden«. Allesamt sind sie zugleich »Vater«, und »Vater« nannte sich auch Escrivä de Balaguer, dessen Anhänger wohl entrüstet jeden Vergleich mit sogenannten Jugendsekten von sich weisen würden. Aber nicht nur das: Escrivä verstarb »im Ruf der Heiligkeit«; »mit dergleichen Einfachheit, die sein ganzes Leben kennzeichnete, gab der Vater am 26. Juni 1975 in seinem Arbeitszimmer in Rom heiligmässig seine Seele in die Hände Gottes zurück«, ist Publikationen des Opus Dei zu entnehmen. »Gott, Du gewährst Deinem Diener und Priester Josemaria zahllose Gnaden. Du erwähltest ihn als treues Werkzeug, um das Opus Dei zu gründen, das ein Weg der Heiligung in der beruflichen Arbeit und in der Erfüllung der gewöhnlichen Pflichten des christlichen Alltags ist«, heisst es in einem »Gebet zum privaten Gebrauch«. Wichtig ist die zumindest geistige Allgegenwart des heiligen Meisters. Ihren Bhagwan zum Beispiel tragen alle Sannyasins
(Jünger) auf einem Bildchen an einer Holzkette um den Hals. Im Haus der »Gyandip«-Genossenschaft, des wirtschaftlichen Bhagwan-Ablegers an der Baumackerstrasse in ZürichOerlikon, lächelt der 1932 geborene Weise im Wollmützchen von allen Wänden, ebenso in den Wohnungen der Kommune an der Geeringstrasse in Zürich-Höngg und im Restaurant »Zorba the Buddha«. Bhagwan ist ein Gott zum Anfassen; seine Jünger schwärmen von persönlichen Zusammentreffen mit ihm in Poona oder Oregon, bekommen feuchte Augen, wenn sie seinen Namen nennen. Allgegenwärtig ist auch Lafayette Ronald Hubbard, Erfinder von »Dianetics« und Scientology: Sein Bild - bevorzugt mit Kapitänsmütze, denn die Scientologen verehren ihn fälschlicherweise als US-Seeheld des Zweiten Weltkrieges - hängt in allen Missionen und Kirchen von Scientology. In der Berner Mission an der Effingerstrasse 25 halten die Scientologen ihrem Chef sogar einen Arbeitsplatz frei, abgetrennt mit einer Kordel von den übrigen Räumen, auf dem Pult ein Namensschild, ein Globus, ein Aschenbecher und darin ein Paket mit Zigaretten der von Hubbard bevorzugten Marke. Doch anders als bei den Bhagwan-Anhängern kann keiner der Schweizer Scientologen von persönlichen Begegnungen berichten. Denn seit 1975 ist der ehemalige Science-Fiction-Autor mit Jahrgang 1911 nicht mehr in der Öffentlichkeit erschienen; Kenner der Szene vermuten, dass er längst tot sei oder zumindest in einem Zustand, der seine Präsentation in der Öffentlichkeit nicht mehr ratsam erscheinen lässt. Anders als Bhagwan, Maharishi, Prabhupada, die sich als legitime Lehrer hinduistischer Tradition verstehen, anders als David Berg und San Myung Mun mit ihrem pervertierten Christentum, anders als die bibeltreuen Evangelisten und die erzkatholischen Leute von Schönstatt und vom Opus Dei beruft sich Hubbard bei seiner kuriosen »angewandten reli-
giösen Philosophie« auf keinerlei bestehende Religionen. Vielmehr lässt sich Scientology ausschliesslich aus der persönlichen Vita ihres Begründers verstehen, aus einem Lebenslauf, der von den Hubbard-Anhängern oder von ihm selbst allerdings derart verfälscht worden ist, dass er zuerst entschlackt werden muss, um auch nur annähernd an die reale Biographie heranzukommen. Friedrich-Wilhelm Haack schildert in »Scientology - Magie des 20. Jahrhunderts« die umfassenden, an Wunder grenzenden Qualitäten, die Scientologen ihrem Meister zuschreiben: »Der Gründer als Übervater seiner Anhänger, der neben seiner unermüdlichen Tätigkeit als Forscher und Organisator allgegenwärtig für die Sorgen der Anhänger da ist. Dass dieser Übermann auch als waghalsiger Pilot, Seeheld und Kriegsgenie gesehen wird, als grosser Nuklearphysiker, Philosoph und Pädagoge, das sind nur noch abrundende Zutaten zum Leben des Heros, dessen Züge sich mehr und mehr in einen Mythos verwandeln, so dass am letzten Ende ihm vermutlich sein eigenes Leiden, Kranksein und Sterben genommen werden muss - und wahrscheinlich schon worden ist.« Fast alle andern der neuen Kulte und religiösen Strömungen, die heute so aktiv und so attraktiv erscheinen, lassen sich ebenfalls aus den Biographien ihrer Gründer, Väter und Überväter erklären. So entstammt der Bhagwan einer Familie, die einer strengen Hindusekte angehörte. David Berg, als »Moses David« oder »Vater MO« Boss der (oft mit den Jesus People verwechselten) Kinder Gottes/Familie der Liebe, kommt ebenfalls aus einer Umgebung mit starker religiöserTradition: Sein Vater und sein Grossvater waren Prediger bei der »Christian Church«; Berg, geboren 1919 in Oakland/Kalifornien, verweist überdies auf seine ursprünglich jüdische Abstammung. Die Mutter Bergs soll laut Haack eine »Visionärin« und »freie Evangelistin« gewesen sein, von der Berg schreibt: »Schon vor meiner Geburt widmete sich meine Mutter dem Herrn und
erwählte meinen Namen. Viele Propheten prophezeiten über mich, dass ich schon vom Mutterleib an mit dem Heiligen Geist gefüllt sei, wie Johannes der Täufer. Es war vorausgesehen worden, dass ich viele grossartige Dinge tun würde.« Seine Sexbesessenheit könnte erklärt werden mit einer übertriebenen sexualfeindlich-puritanischen Jugend. »Die Gleichung Sexualität = Sünde dürfte für David Bergs Kinderzeit gegolten haben«, meint Haack. Wenn Reporter des »Stern« David Berg wieder einmal in einem seiner Verstecke aufstöbern, ist er regelmässig umgeben von »bildhübschen 'KinderGottes'-Jüngerinnen«. Doch seine ungezügelte sexuelle Luster selber schreibt, dass er ein »grosser Sexfanatiker« sei - ist ihm auch zum Verhängnis geworden: 1975 veröffentlichte der New Yorker Staatsanwalt Louis J. Lefkowitz nach anderthalb Jahren Ermittlungen seine Anklage gegen Berg: Unzucht mit Minderjährigen, Vergewaltigung, Erpressung. David Berg floh, bevor das Strafverfahren begann, und hält sich seitdem mit Vorliebe in stetig wechselnden, noblen Ferienorten auf, alimentiert von getreuen Anhängern, die für ihn betteln und sich prostituieren, und begleitet von jungen Damen, die er nicht nur religiös unterweist. Das pure Gegenteil vom leicht schmuddelig wirkenden David Berg mit seinen weissen Haaren und dem Bart, vom lächelnden Bhagwan mit Wollmützchen oder vom vergeistigten Maharishi in seinen wallenden Gewändern sind die Evangelisten, die berufsmässigen Verkünder biblischer Wahrheiten. In ihren gutgeschnittenen, aber nicht allzu modischen Businessanzügen wirken sie wie wahre Vorbilder strebsamer Kleinbürger, wie Prokuristen von mittelgrossen Bankinstituten, Oberinspektoren von Versicherungsgesellschaften, die nicht mehr die kleinen Haushaltpolicen, sondern die einträglichen Industrieversicherungen verkaufen, wie Vertreter, die keine Staubsauger an hilflose Hausfrauen oder Lexika an überrumpelte kaufmännische Angestellte verhökern, sondern
die - ausgestattet mit sämtlichen Tricks der Massenbeeinflussung - das Produkt »wahrer Glaube« an verunsicherte Angehörige des unteren Mittelstandes absetzen. Andrea-Giorgio Xandry, Jahrgang 1944, hat sich den Habitus des smarten Werbetexters bewahrt, der er »vor der grossen Wende« tatsächlich war. Wilhelm Pähls, den Star der Christus-Fest-Wochen im Zürcher Hallenstadion, könnte man sich ebensogut als Sprecher in einem Fernseh-Werbespot denken, der Tausende von Hausfrauen mit überzeugender Argumentation dazu verleitet, dieses oder jenes Waschmittel zu kaufen, weil es schlicht das beste ist. »Wie man berühmte Sportler für Jesus benutzt« hiess eines der Kolloquien an einem internationalen Evangelistenkongress in Amsterdam. Genausogut hätte es heissen können: »Wie man Filmstars für 'Lux'«, oder »wie man Fernsehsternchen f ü r ' D i n e r s Club' einsetzt«. Aber nicht nur das: Nicht nur das Produkt ist das absolut beste, auch seine Aussendienstmitarbeiter sind besonders auserwählt. Sie legitimieren, durch ihre besondere Beziehung zu Gott, nochmals das, was ohnehin schon absolut herausragend, über alles andere erhaben ist: Sie sind die einzig tauglichen Handelsvertreter für die einzig wahren Staubsauger. Und sie scheuen sich nicht - wie etwa Wim Malgo im Vorwort zu seinem Buch »Was sagt die Bibel über das Ende der Welt?« -, sich von andern als absolute Autoritäten hinstellen zu lassen: »Wir sind dankbar, dass der ewige Gott auch Wim Malgo Verständnis gegeben hat, tief in die göttliche Prophetie zu sehen. Es war schon früher so: Immer wieder hat Gott Männer beauftragt (die Frauen eignen sich fürden Beruf des göttlichen Vertreters nicht, d. Verf.), die Menschen zu warnen und sie mit Seinem Plan bekanntzumachen. So wie Noah vor der Sintflut ausgelacht und verspottet wurde, so werden die heutigen Männer Gottes vielfach als Phantasten bezeichnet, die man nicht ernst zu nehmen brauche. Aber so, wie damals die geschichtlich nachgewiesene Sintflut auch tatsächlich eintraf, so wer-
den auch in Bälde die in der Bibel vorausgesagten göttlichen Gerichte über die Menschheit hereinbrechen.« Also doch ein Versicherungsvertreter, Wim Malgo, der die grösste aller möglichen Policen anbietet, jene gegen den Weltuntergang, die Arche zum Überleben der nächsten Sintflut. Weh dem, der jetzt sein Ticket ins Himmelreich nicht erwirbt, sich nicht durch Scientology immun gegen den Atomtod machen lässt, sich nicht der Vereinigungskirche anschliesst, sich nicht durch Transzendentale Meditation in einen höheren Bewusstseinszustand versetzt, jetzt nicht dem Bhagwan, dem Maharishi, den Evangelisten, den Spiritualisten, Moses David, San Myung Mun, Escrivä de Balaguer, Wilhelm Pähls hintennachläuft! Wehe ihm, »denn wenn Himmel und Erde vor dem Angesicht des Thronenden fliehen werden, so wird das (...) unvorstellbar sein« (Wim Malgo)!
Die verschworenen Gemeinschaften
Die absolute, ewige, unverrückbare Wahrheit und der auserwählte Meister zusammen haben noch nicht die Potenz zur Errettung der Welt. Erst ein harter Kern von Jüngern, eine »gerettete Familie«, wie es Haack nennt, erst die verschworenen Gemeinschaften, die ihr ganzes Handeln auf den Meister und seine Wahrheit ausrichten, geben ihm das Fundament zur Ausübung seiner Macht, zur Durchsetzung seiner Wahrheiten (und verschaffen ihm, nebenbei bemerkt, auch die notwendigen finanziellen Mittel). Diese Gemeinschaften die oft auch zusammen leben und arbeiten - sind gleichzeitig das stärkste Argument zur Anwerbung von Neumitgliedern. Hier können diese vorgeblich finden, was andernorts verloren gegangen ist: Geborgenheit in der Grossfamilie, Zuwendung,
Gemeinschaft, können sich ausrichten auf ein gemeinsames Ziel, finden einen Lebenssinn. In unserer Gesellschaft, wo schon die Kinder ihrer Spiel- und Freiräume verloren haben, sich nicht mehr austoben dürfen, sondern getrimmt werden auf vernünftiges Handeln - aus purer Überlebensnotwendigkeit, damit sie nicht vom erstbesten Auto zu Tode gekarrt werden -, getrimmt werden auf Karriere und gesellschaftliches Funktionieren. Was früher als Lausbubenstreich allenfalls mit einer Ohrfeige geahndet worden ist, figuriert heute schon unter der Rubrik »Jugendkriminalität«. In einer Gesellschaft, die ihre Kinder um die Jugendzeit betrügt, kann es kaum ein attraktiveres Angebot geben als die spätere Kompensation dieser Zeit in einer Gemeinschaft, in die man sich »einbringen« darf und in der man »aufgehoben« ist. Bekenntnisse von Leuten, die sich beispielsweise den evangelikalen Bewegungen angeschlossen haben, klingen nicht selten wie die glücklichen Seufzer verschupfter Kinder, die endlich in die familiäre Geborgenheit zurückgefunden haben: »Es ist jetzt acht Monate her, seit ich im 'Weizenkorn' (der Werkstatt der Basler Alban-Arbeit, d. Verf.) angefangen habe. Ich hatte mein Leben gerade erst Jesus Christus übergeben, und nach mehrjähriger Drogensucht war es sehr wichtig für mich, auch tagsüber in einer Gemeinschaft geborgen zu sein (...). Meine lieben Schwestern von der Grienstrasse (Wohngemeinschaft) arbeiten auch, und ich war schon sehr froh, im 'Weizeli' sein zu dürfen, da ich mir doch bewusst war, nicht allein bleiben zu dürfen und können. Die gute, reine Atmosphäre und die regelmässige Gebetsgemeinschaft halfen mir sehr, mich für meine Mitmenschen zu öffnen und vor allem meine Beziehung zum Herrn zu festigen«, schrieb eine Martha Baernthaler im dritten Teil der »Chronik« der AlbanArbeit. Gleicherorts meinte Christian Meyer vom Leitungsteam: »Wir fühlen üns oft ganz wunderbar getragen vom
ganzen Leib Christi.« Unverständlich wird es da, wie angesichts solch »wunderbarer« Erlebnisse irgend jemand noch skeptisch bleiben kann: »Es ist ja immer wieder unbegreiflich, wie widerborstig Menschen auf die schönste Botschaft reagieren, die's überhaupt gibt!« Die Wohngemeinschaften und die gemeinsamen Arbeitsstätten der evangelikalen Basler Alban-Arbeiter - und nicht nur ihre - werden in Selbstdarstellungen gerne als etwas fast schon Übernatürliches hingestellt; und es mutet tatsächlich kindlich an, wenn eine christliche Wohngemeinschaft nicht einfach so eine günstige Bleibe findet, sondern durch »Gebetserhörung«, und nicht etwa dem Hauseigentümer für sein Entgegenkommen dankt, sondern »dem Herrn für seine grosse Güte und Gnade«. Neue Mitglieder der WG's werden von »Gott ins Haus geschickt«, sie stehen nicht einfach da, weil sie ein Dach über dem Kopf brauchen, sondern weil »Gott so gross ist«. Nicht nur für die Evangelikaien, sondern für alle Gemeinschaften religiöser Prägung gilt, dass sie sich erhaben fühlen über alle andern, denen die Wohltat des jeweiligen Glaubens nicht oder noch nicht zuteil geworden ist: »Ganz neu wurde mir klar, welch grosses Vorrecht es ist, gerettet zu sein«, schreibt ein weibliches Newlife-Mitglied aus Lindau am Bodensee; ein Mann aus dem Südtirol meint: »Für mich war es ein Erlebnis zu sehen, wie Gott uns gebraucht.« Die auserwählte Familie wie in der Bibel, die Gemeinschaft, welche errettet ist, befreit von Schuld und Sünde, ausgesandt, die anderen Sünder zu bekehren: »In vielen Dingen erlebte ich ein apostelgemeindeähnliches Gemeindeleben« (Newlife-Mitglied Cornelia Knöferl aus Rorschach). Getragen von der Grundwelle gemeinschaftlicher Gefühle sind auch die Jünger Bhagwans, die - ihrer rund 60 - die Wohngemeinschaft in Zürich-Höngg belegen und gemeinsam arbeiten, sei es in der Gyandip-Genossenschaft, sei es im »Zorba the Buddha«. Ritualisierte Zärtlichkeit, die oft etwas
aufgesetzt wirkt, Umarmungen aller durch alle, Uniformierung in den Farben der aufgehenden Sonne geben hier das wohlige Gefühl, im Fruchtwasser einer alles umfassenden Mutter zu schwimmen. »Geliebter Bhagwan! Wir sind nicht allein, unsere Herzen sind dein...«,»We love you, Bhagwan«, wir sind deine Kinder, die - wie du es befohlen hast - den Kopf abgegeben haben und unseren Gefühlen ihren freien Lauf lassen. Wir tanken unsere »Energy« aus der Weltseele, die du verkörperst; wir räumen den Zivilisationsschutt in unseren Köpfen weg mit »Rebirthing«, »Encounter«, Sufi-Tanz und drei Dutzend verschiedenen Methoden der Meditation. Trotz dieser höchst intensiven Gemeinschaftserlebnisse im innersten Kreis einer religiösen Bewegung trifft nicht absolut zu, was immer behauptet wird, dass nämlich diese neuen religiösen und pseudoreligiösen Bewegungen »das ganze Leben umspannen, den Anhänger völlig in die neue Gemeinschaft aufnehmen, seinen Beruf ändern, seine bisherigen Familienbande lösen, ihm eine neue Familie schenken und ihm ein ausgefülltes Tages- und Wochenprogramm bieten«, wie sich Georg Schmid, Privatdozent für Religionsgeschichte an der Univesität Zürich, an einer Unesco-Tagung ausgedrückt hat. Diese Charakterisierung stimmt so nur für die radikalsten aller Religionen: für die Krishna-Gesellschaft, deren »Mönche« strengster Zucht unterworfen sind, deren Tagesablauf von frühmorgens vier bis spätabends 22 Uhr strikte reglementiert ist und nicht den geringsten Freiraum für irgendwelche persönlichen Bedürfnisse lässt; für die Kinder Gottes/Familie der Liebe, die allesamt in Wohngemeinschaften unter immerwährender Kontrolle stehen. Ansonsten beobachtet man - sei es bei Scientology, im Opus Dei, bei den Evangelikaien, TM oder bei wem auch immer-, dass sich zwar ein harter Kern von Jüngern bedingungslos um einen Meisterschart und seine Lehre strikt befolgt, der weitaus grösste Teil der Anhänger und Sympathisanten jedoch eine gewisse Distanz zu den ver-
schworenen Kerngruppen bewahrt. So kann einer durchaus nach der Methode von Maharishi meditieren, ohne den übrigen Führerkult voll mitzumachen; es kann sich einer mit tausendfränkigen scientologischen Auditings »klären« lassen, ohne seinen Beruf aufzugeben - allenfalls wird er die ganze Freizeit dafür opfern; ein anderer kann eingeschworener Verfechter der elitären Theorien Escrivä de Balaguers sein und trotzdem ein normales Familienleben führen; aus Bhagwans »Weltseele« kann man schlürfen, ohne gleich für ein Taschengeld in der Gyandip-Genossenschaft arbeiten zu müssen. Die Kerngruppen sind vielmehr die Eliten, die Stosstrupps des Meisters, besonders auserwählte Cliquen innerhalb der ohnehin schon auserwählten Gemeinschaften, Avantgarde der Avantgarde. Dies manifestiert sich oft in sehr straff hierarchisierten Führungsgremien, etwa innerhalb der »Weltregierung« von Maharishi in Scclisberg/Uri mit ihren Ministern und Gouverneuren, im Generalrat des Opus Dei mit einem Generalpräsidenten, der »den Willen Gottes vermittelt« und deshalb »höchste Verbindlichkeit« hat und absoluten Gehorsam fordert, in den Gyandip-Zentren, wo Bhagwan totale Autoritätsgläubigkeit findet, oder in der ScientologyKirche, die einen Herrschafts- und Überwachungsapparat aufgebaut hat, wie ihn George Orwell hätte erfunden haben können. Wenn Scientology nun behauptet, in der Schweiz hätten über 10.000 Menschen einen Kurs absolviert, wenn TM von 30 Neuzuzügern in der Woche spricht, so ist es klar - selbst wenn diese Zahlen weit übertrieben sein sollten -, dass nicht jedem dieser Neuen eine »Karriere« innerhalb der verschworenen Gemeinschaft, im harten Kern angeboten, dass nicht jeder in die Kern-»Familie« aufgenommen werden kann. So wie es bei den Katholiken und erst recht bei den reformierten jene »Taufe-Heirat-Beerdigungs-Christen« gibt, die trotzdem ein Leben lang Kirchensteuer bezahlen, gibt es jene peripheren
Scientologen, Bhagwan-Anhänger,TM-Praktizierenden, Evangelisten-Bewegten, Schönstatt-Spiritualisten. Die Frage stellt sich deshalb: Was wird geboten, damit auch die nicht total integrierten Mitglieder bei der Stange bleiben? Bei den etablierten, grossen Religionsgemeinschaften ist diese Frage relativ leicht zu beantworten: Es ist die Familientradition, die Stellung in Gesellschaft, Politik, Militär, die Protestanten protestantisch und die Katholiken katholisch bleiben lässt, auch wenn sie sich längst von den Glaubensinhalten entfernt und aus den Gemeinschaften wegbegeben haben; die Meinung auch, es könne einem nicht schaden, katholisch bzw. reformiert zu sein, vielleicht sei doch etwa Wahres daran; die Tatsache, dass die religiöse Erziehung natürlich sehr prägend wirkt, dass keiner ganz loskommt von seinem Katholizismus oder Protestantismus aus der Kinderzeit. Mit dieser durch Tradition und gesellschaftliche Rücksichtnahme geprägten, aber eigentlich sehr lauen Religiosität lassen sich freilich keine neuen Kulte begründen. Voraussetzung für diese ist vielmehr gerade das weit verbreitete Missbehagen über die etablierte pragmatische Religiosität der Kirchen: Die neuen Religionen bieten statt der »relativen Bedeutungslosigkeit des Kirchenglaubens« eine »Sinnähe und Sinnorientierung hier und jetzt und morgen und übermorgen«, sie bieten Transzendenz und Mythen anstelle nüchterner, auf praktische Gelegenheiten reduzierter ritueller Veranstaltungen, sie befehlen, wenn nicht den Tagesablauf, so doch einige Fixpunkte am Tag, denen man sich nicht verwehren darf, wenn man nicht der Errettung verlustig gehen will: Escrivä de Balaguer propagiert die »tägliche kleine Abtötung«, die - und das ist kein Scherz! - zum Beispiel darin bestehen kann, dass man keine Butter aufs Brot streicht oder etwas weniger schöpft, als man essen möchte; TM-Anhänger sollen zweimal am Tag je 20 Minuten nach der Methode von Maharishi meditieren; Scientologen müssen regelmässig ihre »Auditings« absolvie-
ren, die Unmengen kosten, Bhagwans Jünger streben ins Gyandip-Zentrum. Zusammengehörigkeitsgefühl wird auch geweckt, indem Mitglieder uniformiert werden wie bei Bhagwan und in der Krishna-Gesellschaft und sich dann - als Reaktion auf ablehnendes Verhalten der Umwelt - von selbst näher zusammenschliessen; indem ihnen mit der Zeit eine neue Sprache beigebracht wird, welche die Kommunikation mit den »anderen« erschwert - ganz extrem bei Scientology -, indem ihnen ein ausgeprägtes Dualismusprinzip eingehämmert wird: Wir sind die Guten, die einzig Guten auf dieser Welt, alle anderen, alle Aussenstehenden, alle Ungläubigen sind schlecht, verdorben, sündig, dem Untergang geweiht - oder schlicht blöd, unverständig und uneinsichtig. Die Ablehnung dieser anderen kann sich in relativ milder Form ausdrücken: Bhagwan-Jünger fragen zum Beispiel, weshalb man sich mit unwesentlichen Problemen abmühe, seine Tage mit unnützer Arbeit ausfülle, statt das Leben im »Hier und Jetzt« (Bhagwan) zu geniessen. Andernorts äussert sich die Ablehnung in aggressiven Drohungen mit ewiger Verdammnis - bei gewissen Evangelisten und besonders fanatischen Opus-Dei-Anhängern - oder in zynischer Verachtung bei Scientologen. So schriebt L. Ron Hubbard über die »Kritiker von Scientology«: »Diejenigen, die keine Scientologen sind, befinden sich in einem Zustand völliger Unkenntnis (...) und haben keine Chancen in bezug auf ihre Unsterblichkeit. Diejenigen, die Scientology kritisieren oder abfällige Bemerkungen darüber machen, können einer eingehenden Überprüfung ihrer vergangenen Taten oder Absichten nicht standhalten. (...) Diejenigen, die sich uns in den Weg stellen, haben strafbare Handlungen begangen, die sie verstecken müssen.« Kurz: »In Wirklichkeit ist es vollkommen hoffnungslos und verhängnisvoll, kein Scientologe zu sein.«
3. Religionen als Konsumgut Der käufliche Glaube Geld ist Macht; mit dem Nachweis unbeschränkt fliessender Geldmittel erbringt man den Nachweis gesellschaftlicher Stellung; wenn die Mittel beschränkt sind, versucht man, mit möglichst exzessivem Konsum zumindest den Anschein dieser Stellung zu erwecken: Als eine der üblen Folgen unserer brüchig gewordenen Zivilisation wird von ihren Kritikern eine eigentliche Konsumhaltung diagnostiziert, eine Existenz, die zu ihrem zentralen Streben den Gelderwerb erkoren hat und das Geldausgeben. Arbeiten, um konsumieren zu können und so einen gesellschaftlichen Stellenwert zu suggerieren: ein Kreis, der sich immer rascher dreht und abrupt enden kann, im Herzinfarkt, im psychischen Zusammenbruch oder im bodenlosen sozialen Abstieg - dann nämlich, wenn einer die Leistung nicht mehr erbringt, die von ihm verlangt wird, damit er »verdient«; oder wenn ersieh gesellschaftliches Fehlverhalten zuschulden kommen lässt. Fluchtbewegungen werden je nachdem enthusiastisch oder skeptisch geschildert: Bio-Bauernhof in abgelegener Gegend, selbstversorgende Wohngemeinschaft, Webstuhl und Holzbackofen, Schafzucht und Handwerkerkollektiv, innere Emigration, totale Verweigerung und Stadtindianertum. Als Fluchtbewegungen gelten gemeinhin auch Drogen und Sekten, deshalb in einem Atemzuggenannt, weil »Organisationen wie Scientology durchaus mit Händlern von halluzinogenen Drogen vergleichbar sind«, wie der Berner Psychologe Franz M. Caspar meint. Drogen und Religionen allerdings bieten keinen Fluchtweg aus der Konsumgesellschaft, ganz im
Gegenteil: Sie sind zwei ihrer dramatischsten Auswüchse: Das Drogennirwana kann nur erkauft werden; es bedingt viel höhere Investitionen als jede sogenannt normale bürgerliche Existenz innerhalb der Konsumgesellschaft. Ebenso kommt auch die Zugehörigkeit zu einer religiösen Splittergruppe mit totalem Anspruch sehr teuer zu stehen, nicht nur in Geldwerten. Für die absoluten Wahrheiten, für den schützenden Windschatten eines Gurus, Messias oder anderen Führers, für das Gefühl der Zusammengehörigkeit und das Erlebnis einer eingeschworenen Gemeinschaft muss bezahlt werden, und zwar nicht wie für etablierte Kirchen, die von jedem so viel Steuern verlangen, wie er meist leichthin zu bezahlen imstande ist, sondern generell in exorbitanter Höhe. - Religion wird zum Konsumgut, zu einem sehr luxuriösen obendrein. Die etablierten Kirchen gemahnen gelegentlich an wohlorganisierte Dienstleistungsunternehmungen: Man bezahlt seine Kirchensteuern und macht dafür Gebrauch vom Angebot einer gediegenen Heiratszeremonie, einer Taufe in festlichem Rahmen und am Ende einer erhebenden Beerdigung. Die Beichte in der katholischen Kirche hingegen, kostenlose Möglichkeit, für Sorgen und Nöte ein offenes und - im besten Fall verständiges Ohr zu finden, wird kaum mehr genutzt. Eher geht der Verwirrte und Ratlose zum Psychologen, bezahlt dort teuer für eine Dienstleistung, die er ähnlich in der Kirche haben könnte, nur unentgeltlich. Was gratis ist, hat keinen Wert: Dieser Glaubenssatz der Konsumideologie, den uns clevere Verkäufer seit Jahrzehnten gepredigt haben, ist jetzt zum Tragen gekommen, und die modernen angeblichen Seelsorger, die in Wirklichkeit Verkäufer von luxuriösen Ideologien sind für Zeitgenossen, die auch Religion nurmehr konsumieren können, haben sich ihn flugs zur Maxime gemacht. Die PR-Abteilungen der modernen Religions-Grossunternehmen vergleichen ihre jeweiligen Bewegungen gerne mit der urchristlichen Kirche: mit der »Apostelgemeinde«, und verwei-
sen darauf, dass diese verfolgt worden, auf Kritik gestossen sei. Parallelen sind tatsächlich nicht zu leugnen: Am Beginn der christlichen Kirchen stand der Verkünder, der einer kleinen Zahl von Menschen einen Glauben anzubieten hatte. Er veranlasste einige von ihnen, alles aufzugeben - Familie, gesellschaftliche Bindungen, Vermögen - und ihm »nachzufolgen«. Gegen eine feindlich gesinnte Umwelt schlössen sich die ersten Christen zu einer Schutzgemeinschaft zusammen im Glauben, »nicht mit einer jahrhundertelangen Kirchengeschichte, sondern mit dem unmittelbar bevorstehenden Ende der Welt« (Karlheinz Deschner) rechnen zu können. »Von Tag zu Tag erwarteten sie die Wiederkunft ihres gekreuzigten Herrn und die Errichtung des von ihm verheissenen Gottesreiches auf Erden.« Was sich jetzt in barockem Pomp im Vatikan als steingewordener Machtanspruch manifestiert, hat - so schwierig das heute zu verstehen sein mag - seinen Ursprung in einer kleinen Gemeinschaft Gleichgesinnter, die ihren neuen Glauben verteidigten im Bewusstsein auf ihre baldige Erlösung. Ähnlich sehen auch die Anfänge etablierter Sekten aus: Die Mormonen, in Amerika wegen ihres neuen, aus christlicher Sicht äusserst seltsamen Glaubens verfolgt, zogen im vergangenen Jahrhundert gemeinsam in äusserst strapaziöser Reise in die unwirtliche Gegend von Utah und begannen dort, ihre Festung Salt Lake City auszubauen, die in der Zwischenzeit ebenfalls zum schwer reichen Zentrum eines Machtapparates degeneriert ist. Wie auch immer die Imperien strukturiert sind - es fällt schwer, hier noch von »Gemeinschaften« zu reden -: Ihre Anfänge nahmen sie in einem Glaubensbekenntnis eines Kerns von Leuten, die diesem Glauben alles gaben, alles für diesen Glauben auf sich nahmen, oft auch soziale Veränderungen anstrebten, ihr Leben auf das Bewusstsein ausrichteten, gerettet zu werden und in ein Gottesreich einzugehen. Eines aber waren jene Religionen zumindest in ihren Ur-
Sprüngen nicht, und dies ist der grosse Unterschied zu den Religionen, die im 20. Jahrhundert entstanden sind: Sie waren nicht konsumierbar. Ihre Anhänger konnten nicht ein paar teure Kurse belegen, ein wenig meditieren, um dazu zu gehören. Im Mittelpunkt der alten Religionen stand nicht der kommerzielle Vertrieb einer Ideologie; diese Komponente kam in der katholischen Kirche erst viel später hinzu und führte schliesslich - zusammen mit zahllosen anderen Gründen zur Reformation. (»Wenn das Geld im Kasten klingt - die Seele in den Himmel springt« kalauerte Matin Luther und charakterisierte so den grassierenden Ablasshandel der Kirche seiner Zeit.) Die modernen Konsumreligionen sind ganz anders entstanden: entweder als auf westliche Bedürfnisse zugeschnittene und konsumierbare Ableger östlicher, traditioneller Religionen; oder als Ableger christlichen Glaubens mit kommerziellem Aspekt; oder schlicht im Hinblick auf den »grossen Deal«. Von L. Ron Hubbard wird der Satz kolportiert (der, sollte er so nie gesagt worden sein, doch die Realität trefflich widergibt): »Es wäre töricht, für einen Penny auch nur ein Wort zu schreiben. Wollte man wirklich eine Million Dollar verdienen, so wäre der beste Weg, seine eigene Religion zu gründen.« Bei Scientology wird man nach unseren Erfahrungen das Geld tatsächlich am schnellsten und am radikalsten los: Wer sich »klären« lassen will, zahlt Zehntausende von Franken. Uns sind mehrere Fälle von Leuten bekannt, die weit über 100.000 Franken für Techniken ausgegeben haben, die ihnen angeblich ermöglichen sollen, einen Atomkrieg zu überleben, über Raum und Zeit zu stehen oder gar Materie zu erschaffen. Auf jedem Papier, das Scientology verteilt, noch auf dem allerletzten Wisch ist als Inhaber des Copyrights L. Ron Hubbard vermerkt, und aus mehreren Zeugenaussagen, vor allem vor deutschen Gerichten, geht hervor, dass zehn Prozent aller
Bruttoeinnahmen an L. Ron Hubbard abgeliefert werden müssen - oder allenfalls an jene, die sich in sein warmes Nest gesetzt haben. Von Scientology-Funktionären wird diese Tatsache allerdings heftig dementiert: »Diese Behauptung ist eine glatte Verdrehung der Tatsachen. Hubbard hat der Kirche 1968 13 Millionen Dollar erlassen. (...) Hubbards Einkommen setzt sich aus Autorenrechten und zu einem Viertel aus persönlichen Investitionen zusammen. Er braucht kein Geld von der Kirche, hat nie welches erhalten und weigert sich auch, welches anzunehmen, wenn man es ihm aus Dankbarkeit aufdrängen will«, schrieb »Reverend« Guido Bucheli in einer »Korrektur und Berichtigung« vom Juli 1981. Leider beantwortete er die Frage nicht, wie denn Hubbard einer Institution 13 Millionen Dollar »erlassen« könne, von der er doch angeblich gar nichts zugute hat. Egal, wie viele Millionen Hubbard direkt oder indirekt kassiert hat: Scientology ist ein lukratives Geschäft, das überdies mit raffinierten Methoden abgewickelt wird: Allmonatliche Preissteigerungen sollen die Leute zu möglichst grossen Vorauszahlungen animieren, denn die Kurspreise werden zum Tarif jenes Zeitpunktes berechnet, da da Geld einbezahlt worden ist, nicht zu jenem, da der Kurs effektiv absolviert wird. »Reverend« Marco Zanetti behauptete zwar 1981, seine Organisation habe die monatliche Preiserhöhung inzwischen aufgegeben; er sagte damit allerdings nicht die Wahrheit, wie Scientology-eigene Publikationen belegen: »Die Inflation ist immer noch mit uns«, stand auf einer, dem Magazin »Theta« vom Januar 1983 beigehefteten Preisliste: »Deshalb werden am 15. Januar 1983 um Mitternacht die Spendenbeiträge 5% über die am 1. Januar bestehenden Beiträge erhöht werden. Am 31. Januar um Mitternacht werden alle Beiträge um 5% über die bestehenden Beiträge des Monats Januar ansteigen. Daraufhin wird die 5%ige Erhöhung der Beiträge am Ende jeden Monats weitergeführt werden. Planen Sie im voraus,
welche Dienstleistungen Sie in Zukunft nehmen werden und machen Sie Ihre Beiträge JETZT!« - Die Scientology-interne Inflation hat demnach, umgerechnet aufs ganze Jahr 1983, fast hundert Prozent erreicht; in der Schweiz betrug die Teuerung im gleichen Zeitraum exakt 2,1 Prozent. Der »Clearing-Kurs« war im Januar 1983 für bescheidene 2.063 Franken zu haben; eine Sauna-Vitamin-Auditing-Entschlackungskur mit dem schönen Namen »Reinigungs Rundown« stand im Juni 1983 mit 5.092 Franken zu Buch. »Das Wort Therapie bedeutet: das, was heilt. Und was heilt? Liebe heilt. Liebe ist Therapie. Heilen ist eine Funktion von Liebe. Und Liebe erweitert Dein Bewusstsein. Sie erlaubt Dir, immer höher zu steigen, bis Du die Sterne berührst« (Bhagwan Shree Rajneesh). Für die Weltraumflüge im Bhagwan-Zentrum zu Oerlikon werden ungleich tiefere Preise verlangt als für die scientologischen Ausflüge ins Hubbardsche Zeit- und Raumsystem: Bei Gyandip entsprechen sie etwa dem, was man bei nicht-bhagwanischen Psychologen ebenfalls auslegen müsste, liegen zum Teil eher sogar noch drunter. Drei Tage »Sanfter Sturm« - »Neo-reichianische Körperarbeit«, die »alte Erstarrungen einschmilzt« - waren im Frühling 1983 für 270 Franken zu haben, vier Tage »Tiefen-Encounter« »führt dich zu deinem Kern, wo du dir und andern begegnen kannst« - für 395 Franken. Teuer wird es freilich, wenn man sich am Sitz des Erleuchteten selbst, in Oregon, weiterentwickeln will: Zwei Wochen »Rajneesh Tanz-Theater-Kurs«: 1.120 Dollar. Zwei Wochen »Rajneesh Energiearbeit«: 1.400 Dollar. Zwei Wochen »Insight Intensive«: 2.750 Dollar. Ein Monat »Rajneesh Atemtherapie«: 2.000 Dollar. Drei Monate »Rajneesh Counselor Kurs« (für Therapeuten, Lehrer und andere, »die mit Menschen arbeiten«): 4.500 Dollar. Dreieinhalb Monate »Rajneesh Rebalancing Kurs« (»Anatomie, Techniken zur Lösung von Emotionen und Energie, Bewegungsschulung, Körperbewusstheit«): 5.250 Dollar. Wer in
Poona im innersten Kreis um den Göttlichen leben wollte, musste 50.000 Dollar hinblättern; viel billiger wird es der Meister auch in Oregon nicht machen. Vergleichsweise günstig sind die Einführungskurse in die Transzendentale Meditation (TM), ein paar hundert Franken. Dann wird es aber auch dort rapide teurer. Ein ehemaliger TM-Anhänger hat uns ungefähre Zahlen genannt; 5.000 Franken für den »Sidhi«-Kurs. (Mit diesem Programm können angeblich »kosmische Bewusstseinszustände« erreicht werden; übersinnliche Fähigkeiten sollen sich einstellen, so die Aufhebung der Schwerkraft, die Entmaterialisierung und - im Endeffekt - die Unsterblichkeit.) Für 6.000 bis 8.000 Franken kann man sich den »Unbesiegbarkeitskurs« angedeihen lassen; die Ausbildung zum TM-Lehrer steht mit über 10.000 Franken zu Buch, und mit 70.000 bis 100.000 Franken ist man auf dem besten Weg zum »Gouverneur«. Von der TMZentrale in Seelisberg sind diese Zahlen als viel zu hoch bezeichnet worden; die konkrete Frage nach den aktuellen Kurspreisen wurde jedoch nicht beantwortet. Besonders krass ist dass Finanzgebahren der Kinder Gottes/ Familie der Liebe von Moses David alias David Berg und der Vereinigungskirche von San Myung Mun, zwei angeblich christlichen Jugendsekten: Wer dort dazugehören will, muss alles abliefern, was er besitzt und was er einnimmt; Mitglieder werden zum Betteln und - bei den Kindern Gottes - zur Prostitution angehalten und in minuziösen Anleitungen im trivialen Comics-Stil von »Vater MO« darauf vorbereitet; in der Vereinigungskirche muss gegen ein Taschengeld für die Firmen des »Messias« Mun gearbeitet werden. Kinder Gottes und Vereinigungskirche haben den Sprung in die Schweiz jedoch nie richtig geschafft; es sind nur wenige Gemeinschaften mit wenigen Mitgliedern bekannt. Selbst das reine Evangelium nach dem Selbstverständnis der Evangelikaien hat unter anderem mit Geld zu tun, wenn-
gleich eigentliche Auswüchse dort nicht vermerkt werden müssen: Viele Gruppen verlangen von ihren Anhängern den »Zehnten«, das heisst die Abgabe eines Zehntels ihrer Einkünfte. Missionsreisen - ausgenommen jene der professionellen Prediger, die meist nicht den Eindruck ärmlicher JesusNachfolger machen - müssen oft selbst berappt werden: »Spesenvergütung« ist für viele Strassenbekehrer ein Fremdwort. Doch der Finanzfluss - alles andere als spärlich - wird mehr oder weniger freiwillig gespiesen; die ewige Seligkeit muss nicht erkauft werden wie bei Scientology, TM und anderen. Das Opus Dei lebt vorwiegend von reichen Gönnern, deren es offensichtlich etliche in seinen Reihen weiss. Das Tagungszentrum in Schongau im luzernischen Seetal etwa wäre laut dem Opus-Dei-Numerarier und Sekretär des »Vereins Internationales Tagungszentrum«, Antonio Zweifel, Zürich, vom betagten Multimillionär und Opus-Mitglied Edwin Zobel finanziert worden - immerhin eine Investion von mehreren Millionen. Geld spielt also in jeder der religiösen Splittergruppen eine eminente Rolle, wobei jene Gruppierungen, die sich enger an etablierte Kirchen anlehnen - die Evangelisten etwa -, und erst recht solche wie das Opus Dei, die einer Kirche immanent sind, naturgemäss weniger Schwierigkeiten haben und deshalb auch weniger auf ausbeuterisches Finanzgebaren angewiesen sind. Bei insistierenden Nachfragen nach den Finanzen stösst man entweder auf eisiges Schweigen wie beim Opus Dei oder auf emsige Beteuerungen, was alles nicht bezahlt werde: Maharishi erhält nichts von TM. Es treffe nicht zu, dass er in teuren Limousinen chauffiert werde und im Helikopter fliege. Dass mehrere grössere Limousinen deutscher, amerikanischer und britischer Provenienz die Parkplätze vor dem TMeigenen Hotel »Sonnenberg« in Seelisberg verstellen, eingetragen auf TM-Institutionen, kümmert die Profi-Dementierer
nicht Die Aussage des Seelisberger Gemeindepräsidenten, wonach TM die Lizenz für den eigenen Helikopter verloren habe, weil laufend Luftfahrtbestimmungen verletzt worden seien, trifft selbstverständlich ebenfalls nicht zu. Und dass der Maharishi schon mehrmals in einer Staatskarosse der Marke Daimler gesichtet worden ist wie sie auch die Queen für Ausfahrten benutzt, beruht vermutlich auf einer optischen Täuschung. Maharishi trägt Kleider ohne Taschen, um zu dokumentieren, dass ihn Materielles nicht interessiert; die Autos gehören ihm nicht; an TM verdient er nichts; ihm gehört überhaupt nichts, er ist ein mittelloser hinduistischer Mönch mit Wohnsitz in Asien, der sich jeweils nur mit einem Touristenvisum am Hauptsitz seiner »Weltregierung« aufhält.
Die austauschbaren Religionen
Die Konsumierbarkeit der neuen Religionen manifestiert sich in einem weiteren Phänomen: Sie sind fast beliebig austauschbar. Ebenso wie der Konsumbürger den Kleiderladen wechselt, wenn ihm das Angebot im bisherigen nicht mehr zusagt, die Automarke, wenn ein neues Modell auf den Markt geworfen wird, den Wohnort wenn man ihm einen Job mit fünfhundert Franken mehr Lohn anbietet ebenso wechseln viele Konsumenten der neuen Religionen ihren Guru und ihre Gemeinschaft, wenn ihnen eine Heilsversprechen plausibel genug erscheint. John G. Clark, ein amerikanischer Psychiater, der während vier Jahren zahlreiche Sektenmitglieder klinisch untersucht hatte - das Ergebnis wurde unter anderem in Professor MüllerKüppers' »Neue Jugendreligionen« publiziert - kam zu folgendem Ergebnis: »Im Verlauf dieser Untersuchung wurde langsam erdrückend deutlich, dass nicht so sehr der Inhalt, sondern
die Eigenart der Erlebnisse der entscheidende Faktor war.« Ähnliche Beobachtungen machte die Psychologin Margaret Singer, Professorin an der Universität von Kalifornien in Berkley. Auf der Rückseite eines der primitiven Comics-Heftchen von David Berg alias Moses David hatten wir eine Postfachadresse in Zürich entdeckt und via Postdirektion herausgefunden, wer das Fach gemietet hatte. Wir stiessen so auf eine der wenigen Kommunen der Kinder Gottes/Familie der Liebe in der Schweiz, in einem Aussenquartier der Stadt Zürich. Nach einem Gespräch mit einem weiblichen Mitglied der Wohngemeinschaft publizierten wir das Ergebnis im Rahmen einer Serie über Jugendreligionen in der »Berner Zeitung«, einige Wochen nach der Recherche. Grösste Empörung aus der Zürcher Kommune war die Reaktion: Die Frau, mit der wir geredet hatte, beklagte sich, sie erhalte laufend Anrufe von Männern, die sich mit unsittlichen Anträgen zu nähern versuchten, weil doch bei den Kinder-Gottes-Jüngerinnen besonders einfach zu Sex zu kommen sei. Dabei mache sie inzwischen bei den Evangelikaien mit - und dort ist nun die Keuschheit eines der obersten Gebote. Ein Mann und eine Frau, die sich beide von Scientology gelöst hatten und denen wir halfen, vorausbezahlte Kursgelder wieder einzutreiben, äusserten beinahe dasselbe Anliegen: »Nennen Sie uns eine gute Organisation, in der wir mitmachen, in die wir uns einbringen können. Wir müssen doch irgend etwas machen, jetzt, da wir bei der Scientology nicht mehr dabei sind.« Für beide wäre es abolut undenkbar gewesen, nirgends »dabei« zu sein. »Viele dieser jungen Leute wollen nach dem Austritt aus der Sekte Wege finden, Nächstenliebe zu praktizieren (...) Aber die Wahl fällt schwer angesichts der vielen sozialen, religiösen, philantropischen 'dem Volke' oder 'dem Menschen dienen'-wollenden Organisationen, die auch noch untereinander kokurrieren« (Margaret Singer). Da ist der einfachste Weg offensichtlich nicht selten jener direkt in einen neuen Kult, in eine neue konsumierbare Religion. Die Evangelisten-
Bewegungen scheinen auf Sektenaussteiger eine besondere Anziehungskraft auszuüben: Neben der jungen Frau aus der Kinder-Gottes-Kommune sind uns weitere Leute bekannt, die - aus Jugendsekten kommend - den Weg zum einzig wahren Evangelium fanden. Und die kaum erwachsenen Bekenner, die unter den Berner Lauben oder auf Zürichs Bahnhofstrasse freudig und öffentlich beichten, wie sie aus sexuellem Sumpf, aus Drogen und einem sündigen Lebenswandel zu Gott gefunden hätten, bezichtigen sich nicht selten, früher einem »falschen Propheten« nachgelaufen zu sein.
Die Marketing- Strategien
Hier spricht Ihr Kapitän: »Wir sind die einzigen Menschen und die einzige Religion auf der Erde, die die Technologie und den Ehrgeiz haben, eine Klärung von Situationen zu versuchen, die in den Händen anderer als völlig aus der Kontrolle geraten angesehen werden - nämlich die Atombombe und der Verfall und die Verwirrung der Gesellschaften. (...) Wir haben mit der Dianetik und der Scientology das Wissen dazu, und wir können es tun. Es liegt an uns. Es liegt an Ihnen.« L. Ron Hubbards Pamphlete präsentieren sich wie militärische Befehle oder Business-Orders, werden zum Teil »Exekutive Directive« genannt, »Führungsanordnung«. Nur: Den Scientology-Flugblättern, die an Aussenstehende verteilt werden, sieht man meist nicht an, dass sie von der umstrittenen »Kirche« stammen. Am 10. Januar 1984 beispielsweise war der vielzitierte Scientology»Persönlichkeitstest« ganzseitig im Inseratenteil des »TagesAnzeigers« abgedruckt(dersich bisher, trotz mehrerer Interventionen, geweigert hat, Scientology-Inserate künftig zurückzuweisen). Mit Einstein-Foto, seinem Satz »Wir nutzen nur 10% unseres geistigen Potentials« und der Aufforderung, sämtliche
200 Fragen zu beantworten und den ausgefüllten Bogen - mit Name und Adresse versehen selbstverständlich - an die »Dianetik Beratung, Uraniastrasse 24/26, 8001 Zürich« zu senden. »Dianetik ist die Technologie der geistigen Heilung«, war am unteren Rand zu lesen, dazu zwei Copyright-Vermerke und die folgende Mitteilung: »Damit Sie den grössten Nutzen von diesem Test haben, erläutern wir Ihnen die Resultate in einem persönlichen Gespräch. Dies erlaubt Ihnen auch, noch offene Fragen abzuklären und sich über weitere Möglichkeiten der besseren Ausschöpfung Ihres geistigen Potentials zu informieren.« Was dann geschieht, beschreibt ein Berner, der »auf eines der schlagkräftigen und perfiden Inserate hereingefallen« ist: »Sofort holte man mich in eines der vielen Büros, wo ein junger Typ mich wie in einem schlechten Krimi auszuquetschen begann. Es lief darauf hinaus, dass ich mich für einen Auditingkurs hätte einschreiben müssen und gleich 200 Franken bar auf den Tisch legen sollte. Ich habe das Buch 'Dianetik' von dem gewissen L. Ron Hubbard bis zur Hälfte gelesen, dann weggeworfen infolge des Unfugs, den der ehemalige Science-Fiction-Scheiberling von sich Hess.« Mit dem Wegwerfen ist das allerdings meist nicht getan: »Mein Chef, ein aktiver Scientologe, überredete mich, doch einmal diesen Test zu machen. Das Ergebnis war natürlich katastrophal«, schrieb uns ein Mann aus Thun. »In der darauffolgenden Besprechung unter vier Augen versuchte man mir klarzumachen, dass ich auf jeden Fall Dianetik brauche. Ich solle einen 'unverbindlichen' Anfängerkurs besuchen. Sie versuchten mir klarzumachen, was ich sonst für ein armseliges Würstchen bleiben würde. Ich Hess mich daraufhin nie wieder blicken, was zur Folge hatte, dass ich im Monat drei bis vier Briefe bekomme und auch telefonisch belästigt werde.« Die Zeiten sind vorbei, da Zeugen Jehovas mühsam von Tür zu Tür ziehen und diese meist vor die Nase geknallt bekommen, bevor sie den zweiten Satz zu Ende gesprochen haben. Die Zeiten auch, da Heilsarmee-Soldaten schlotternd in der
Winterkälte stehen und Spenden einsammeln: Moderne Konsumreligionen gehen professionell vor, bedienen sich moderner Verkaufsstrategien. Nur die Flugblätter der Evangelikanen sehen gelegentlich noch aus wie die unbeholfenen Ankündigungen politischer Splittergruppen; ansonsten wird gestylt und getextet und gelayoutet, wird das Zielpublikum mit gezieltem Marketing angepeilt. Hubbard ködert mit den Ängsten verstörter Kleinbürger: »Ich will, dass Scientologen den 3. Weltkrieg überleben. (...) Die Entdeckungen, die ich in den 50er Jahren machte, begannen mit einer offensichtlichen Wirkung auf Leute, die Strahlungen ausgesetzt waren. (...) Ganz abgesehen von dem körperlichen Wiederaufleben, das man auf dem ReinigungsRundown erlebt, wenn er vorschriftsgemäss und vollständig gemacht wird, gibt es den Nebeneffekt, dass er die Folgen zukünftiger Strahleneinwirkung vermindert. (...) Und dies zeigt die interessante Möglichkeit auf, dass in Gebieten, die in einem Atomkrieg schwerem radioaktivem Niederschlag ausgesetzt sind, nur Scientologen ihrer Tätigkeit nachgehen werden.« Ängste sprechen auch die Evangelikaien an: Angst vor der Hölle, dem Weltuntergang; statt des teuren »ReinigungsRundowns« ist dort freilich »nur« die Bekehrung vonnöten. Und diese wird schmackhaft gemacht mit enthusiastischer Schilderung von Gemeinschaftsleben: Jedem Suchenden die lang ersehnte Geborgenheit, wenn er nur genug betet und sich fraglos unterordnet. Von ganz anderer Währung sind die Publikationen von TM: Goldrähmchen, Goldschrift und goldene Phantasiewappen verbreiten den Hauch herrschaftlicher Wohlhabenheit mit einem Hang zur Exzentrik; die Regierungserklärung eines Balkanfürsten (oder eines Maharadschas) könnte man sich in ähnlicher Aufmachung vorstellen. Im Innern dann Tabellen, Tabellen, Tabellen: »wissenschaftliche« Auswertungen »wis-
senschaftlicher« Erhebungen über - zum Beispiel - »Einfiuss der TM-Technik auf die visuelle Wahrnehmung und verbales Problemlösen«, »Effekte der TM-Technik auf parodontales Gewebe«, »Einflüsse der TM und der TM-Sidhi-Technik für verfeinertes Hören auf Hirnstammfunktionen«, »grösserer Überblick und verbesserte Fähigkeit zu zielgerichteter Aufmerksamkeit«, »heilende Wirkung auf Bronchialasthma« oder »Korrelationen zwischen Gehirnwellenkohärenz, Kreativität, neurologischer Effizienz und Transzendentalem Bewusstsein«. Und über all der Wissenschaft lächelt der indische Guru in Golddruck: eine wahrhaft himmlische Melange aus Diagrammen und Mythologie. Statistik-Freaks mit einem Hang zum Irrationalen und Übersinnlichen müssen ihre wahre Freude haben. Üppige Farbmagazine verbreiten die Krisha-Jünger, berichten enthusiastisch von ihrem Bio-Bauernhof »Neu Imlital« in Düdingen bei Freiburg. Glückliche Frauen, Kinder und Kühe stehen inmitten leuchtend gelber Tagetes. Die Kuh »Bhumi« hat gerade ein Kalb geworfen, und Guru Gauranga Dasa, Leiter der Schweizerischen Stiftung für Krishna-Bewusstsein, sinniert darüber, wie die Kuh »durch Krishnas vollkommene Arrangierung Gras frisst und in Milch umwandelt«, dieweil der fünfjährige Fritzli Hürlimann die Kühe hütet, »wie es auch schon Krishna vor 5.000 Jahren tat«. »Neu Imlital« ist ein wahrer Garten Eden, abhängig nur »von der Freigiebigkeit Gottes«, so jedenfalls nachzulesen im Magazin »Back to Godhead« (»Zurück zur Göttlichkeit«). Die Realität präsentiert sich ein bisschen nüchterner: Beim Treibhaus, das nach 1980 gebaut worden ist, sind die Scheiben eingeschlagen. Das Land wird nach Aussagen der Nachbarn kaum bebaut. Nach vielversprechenden Anfängen sei die Arbeit fast eingestellt worden, sagt ein Beamter der Gemeinde. Dem Gedeih von Krishnas Farm stehe vor allem ein ständiger Wechsel in der Belegschaft im Weg. »Zu einem kostenlosen indischen Festessen in dem
Ihnen am nächsten gelegenen Hare-Krishna-Zentrum« lädt die Krishna-Gesellschaft ein. Die Speisen, die allfällige Anhänger biologisch-vegetarischer Nahrung vorgesetzt bekommen, dürften wohl kaum von »Neu-Imlital« stammen. Vegetarisch geht es auch in Bhagwans »Zorba the Buddha« an Zürichs Birmensdorferstrasse zu, einem gediegenen Treffpunkt nicht nur der Bhagwan-Anhänger. Ansonsten gibt sich die Gyandip-Werbung betont fröhlich. Von jeder zweiten Seite lächelt der Bhagi, nicht gequält wie sein Gegenspieler Maharishi, sondern entspannt und witzig, als nähme er all die Zitate, die unter seinen Bildern kleben, nicht so ganz ernst: »Was ich gesehen habe, ist so gewaltig und so lieblich, so unermesslich und so schön, dass ich es mit so vielen Menschen wie möglich teilen möchte, bevor diese Blume dahinwelkt. Hier wirst du dich selbst finden, nicht einen Guru.« Bhagwan bringt den kopfschmerzgeplagten Intellektuellen Erlösung, nimmt ihnen konfliktgeladene Gedanken und Gefühle: »Du brauchst nichts abzugeben ausser deinem Kopf!« »Plötzlich beginnst du dich von deinen sich bekämpfenden Gefühlen getrennt zu fühlen: das ist der Anfang von deiner Ganzheit. Du hast ein Zentrum gefunden, das nicht im Konflikt steht, du hast einen kühlen Ort gefunden, einen Platz in dir, der unbetroffen, losgelöst bleibt.« Endlich: Nicht mehr Betroffenheit, kein Engagement mehr, das doch nur frustriert, keine gesellschaftlichen Bemühungen mehr, nur noch »ganz entspannt im Hier und Jetzt«, glückselig vor sich hin taumeln. - Kein Wunder, dass sich in den Gyandip-Zentren viele ehemalige Linke finden, ehedem engagierte Politiker und Journalisten. Nicht mehr der eigene Antrieb ist gefragt; hier ist ein »Energiefeld« bereit - »komm trinke daraus, und dein Durst wird für immer gestillt sein!« »Wenn du nicht mehr versuchst, jemand anders zu werden, und dich einfach entspannst, ereignet sich das Wunder: du bist voller Grösse, Schönheit und Harmonie, weil es keinen Konflikt mehr gibt.« Keinen Kampf um raren
Wohnraum, keinen Kampf um Freiraum, keinen Kampf um gesellschaftliche Veränderungen: »I feel compassion for you and deep down I also giggle, because you don't need compassion, your suffering is bogus, ecstasy is your very naturc.« Vom giggelnden Bhagwan ein riesiger Bogen bis ans andere Ende: »Die Aufgabe des 'Clubs für Schülerinnen Goldbrunnen' besteht darin, den Schülerinnen in einer ungezwungenen Atmosphäre ausserhalb der Schule eine auf christlichen Werten beruhende menschliche Bildung zu vermitteln und ihnen dadurch eine harmonische Entwicklung zu erleichtern. Vom pädagogischen Gesichtspunkt aus bestätigt sich, dass die Jugendlichen sich für ausserschulische Tätigkeiten interessieren, vor allem für Sport und Spiele (wie Tennis, Korbball, Schwimmen) sowie für verschiedene Hobbies. Der »Club«, der da »methodische Erfüllung von Arbeit und Studium« ermöglicht, ist eine Institution des Opus Dei an der Birmensdorferstrasse 190 in Zürich. Dem Prospekt, verteilt an Schülerinnen und ihre Eltern, sieht man das freilich nicht an; Opus Dei wird nirgends erwähnt. Auch einem Prospekt der »Limmat-Stiftung«, die an der Rosenbühlstrasse am Zürichberg in einer vornehmen Villa domiziliert ist kann niemand entnehmen, dass sie zum weitverzweigten Opus-Netz gehört. Das gleiche gilt für das Studentenheim Fluntern, ebenfalls am Zürichberg gelegen, und für das Studentinnenheim Sonnegg an der Scheuchzerstrasse in Zürich. »Jeder findet sich schnell in einer Familie, die geprägt ist von einer christlichen Atmosphäre« - und wird härtester Zucht unterworfen, schliesslich wenn möglich zum Beitritt ins Opus überredet, wie Klaus Steigleder geschildert hat, aber das steht natürlich nicht in dem Hochglanzprospekt. Dieser vermerkt für das Studentenheim Fluntern lediglich: »Die geistliche Leitung ist dem Opus Dei anvertraut.«
4. Ideologie mit dem Kinderbrei Die Programmierung des Nachwuches Bisher haben wir von Leuten geschrieben, die mehr oder weniger freiwillig, bei mehr oder weniger arbeitendem Verstand wenn auch oft in Notsituationen - in die Fänge von Sekten, totalitären religiösen Gemeinschaften, kirchlichen Sondergruppen mit absolutem Anspruch geraten sind; von Erwachsenen, welchen die Möglichkeit gegeben gewesen wäre, sich vorab zu informieren, worauf sie sich einlassen. Dementsprechend schwer haben es die Strassenmissionare, die Prediger, Heilsverkäufer und Seelenfänger: Bevor sie auf einen Bekehrungswilligen stossen, ihn in der richtigen Disposition antreffen, ihm das Angebot machen können, nach dem er am dringendsten sucht, blitzen sie bei tausend Unwilligen ab. Was liegt da näher als der Griff nach denen, die noch keinen kritischen Verstand besitzen, die noch zurechtgebogen werden können, nach den Kindern; weshalb sollten ausgerechnet Scientologen, Bhagwan-Anhänger, Opus Dei und Schönstatt auf das am leichtesten zu gewinnende Reservoir verzichten; weshalb sollte irgendeine Institution, die eine radikale Ideologie zu verkaufen trachtet, nicht nachahmen, was seit Jahrtausenden jede jeweils herrschende Religion vorzelebriert hat und auch heute noch zelebriert, sogar in den Staatsschulen der freien Schweiz? »Gesellschaften, in denen Menschen über Menschen herrschen, und das waren bisher alle, werden immer vorab die machtloseste Schicht unterdrücken: die Kinder, und diese werden sich, für die erlittene Gewalt, an ihren Kindern wieder schadlos halten«, schrieb der Basler Philosoph Hans Saner in seiner Schrift »Geburt und Phantasie«. Den »Ver-
such, freiere Menschen in die Welt zu setzen, als wir es sind, und durch sie eine freiere Gesellschaft zu ermöglichen«, werden diese Gemeinschaften sicher nicht unternehmen, die doch selber Ausdruck höchster Unfreiheit sind. Kinder, die das Pech haben, als Nachwuchs von Scientologen geboren zu sein, kommen schon unmittelbar nach der Geburt in den zweifelhaften Genuss Hubbardscher Handhabung. »Als alter Fachmann auf diesem Gebiet«, prahlt der Scientology-Vater, »habe ich mehr Babies wieder in Ordnung gebracht, (...) als man sich leicht merken kann.« (Zitiert aus »Das Handbuch des ehrenamtlichen Geistlichen«.) Besonders abträglich ist dem Säugling laut L. Ron Hubbard neben der Fertignahrung, diesem »pulverisierten Mischmasch«, die Muttermilch: »Das Baby zu stillen hat vielleicht einen nostalgischen Hintergrund, vor allem für einen an Freud orientierten Arzt, aber auch die Muttermilch ist gewöhnlich eine armselige Ration. (...) Es gibt nur wenige moderne Mütter, die einer Art Milchkuh gleichkommen.« Stattdessen propagiert Hubbard ein »altes römisches Rezept; römische Truppen marschierten mit Gerste.« Die Mutter solle also Gerste auskochen, aus dem Gerstenwasser, pasteurisierter Milch und Mais-Sirup ein Getränk brauen und dieses dem Säugling verabfolgen. Wir haben das exakte Rezept von Hubbard der Universitäts-Kinderklinik in Zürich vorgelegt und folgenden Bescheid erhalten: »Diese Nahrung ist ungenügend.« Dem Kind werde mit Hubbards Kinderbrei unter anderem sechsmal zu wenig Vitamin A zuteil, fünfzigmal zu wenig Vitamin D, fast zehnmal zu wenig Vitamin E, siebenmal zu wenig Vitamin C. Es bekommt ausserdem zu wenig Protein - Hubbard lobt gerade den »besonders hohen Prozentsatz an Protein« in seiner Kindernahrung. Wenn ein Scientology-Kind die Nahrung des Ernährungsberaters L. Ron Hubbard verkraftet hat, wird es als nächstes in den Scientology-eigenen Kinderhort gesteckt. In einem Pavil-
Ion an der Mädergutstrasse in Bern etwa wurde der Nachwuchs - selbstverständlich ebenfalls nach den Lehren von Hubbard - herangezogen. Ein im nachhinein erschreckter Vater hatte uns darauf hingewiesen. Umfangreiche Recherchen bezüglich dieses Kinderhortes endeten schliesslich bei der stadtbernischen Fürsorgedirektion. Diese teilte mit, die Räumlichkeiten seien einer »Kinderspielgruppe Bern« vermietet worden; Vertragspartnerin sei eine gewisse Theres Berther. - Ein neuer Tarnname also für eine ScientologyInstitution, denn der Name von Frau Berther war uns aus diversen Schreiben von Scientology bekannt; ihr Mann war damals Chef der Scientology-Niederlassung in Bern. Die Fürsorgedirektion, mit dieser Tatsache konfrontiert, fiel aus allen Wolken; in der Zwischenzeit ist der Mietvertrag mit dem Kinderhort gekündigt worden. Natürlich kümmern sich auch andere Gemeinschaften um Kinder im Vorschulalter. Mit »jeden Tag ein Kinderfest« lockten im Frühjahr 1983 die Veranstalter der Monster-Evangelisation im Zürcher Hallenstadion und bemühten sich, ihrem minderjährigen Publikum die Reise zu ihrer Art von Glauben mit einer »Kinder-Rallye« schmackhaft zu machen. Missfallen erregten der Evangelist Wilhelm Pähls und die Schweizer Zeltmission in Lachen SZ, als sie beim Gang von Tür zu Tür den Kindern ihre Bckchrungsnachmittage und damit ihre Version von Christentum aufdrängen wollten. Man werbe um die Kinder, meinte der katholische Ortspfarrer, als ob diese »entchristlicht« wären. Etwas diskreter bemühen sich andere Gruppen um die Evangelikaien von morgen. Man trifft sich beim Gemeindebrunch oder macht gemeinsame Ausflüge. Im Haus der Alban-Arbeit in Basel kümmert sich an zwei Nachmittagen eine Kindergärtnerin gratis um die Kleinen. Die Newlife»Jungschar« schlug im Sommer 1983 ihren Wigwam bei Laax auf; in einem Prospekt wurde anschliessend triumphierend
vermerkt: »Einige der kleinen Herz ganz neu auf Jesus aus.«
Indianer
richteten
ihr
Der Griff nach den Schülern
Die Vorschulstufe nimmt in der internen Konzeption von Indoktrination indes einen vergleichsweise bescheidenen Raum ein und ist im Sinn der von uns betrachteten Gemeinschaften von eher untergeordneter Bedeutung: Das Kind verbringt diese Zeit ohnehin mehrheitlich im Verband der Familie; ein Scientology-Kind wird demnach zuerst einmal scientologisches Selbstverständnis entwickeln, ein Kind evangelikaler Eltern evangelikales, ebenso wie ein römisch-katholisch getauftes Kind in römisch-katholischer Umgebung zuerst einmal selbstverständlich römisch-katholisch ist. In dieser Zeit passt sich das Kind passiv den bestehenden Verhältnissen an, wie Alexander Mitscherlich es formuliert (in »Auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft«): »Dieser Vorgang ist augenfällig mit Lernen verknüpft, mit Erlernen von Regeln, Vermeidungen, Symbolen vorsprachlicher und sprachlicher Art.« Erst die Schulstufe wird entscheidend, jene Zeit, da das Kind erstmals mit familienfremden Anschauungen, Ideen und Verhaltensweisen konfrontiert wird. »Die Bildbarkeit ist offen für die unterschiedlichsten Inhalte, welche die Mitwelt anbietet« (Mitscherlich). Hier also kommt es auf den Inhalt an, auf die Gestaltung der Umwelt; hier muss die Gemeinschaft ihre Inhalte in den Vordergrund rücken können. Eine Bhagwan-eigene Schule sei dringend nötig, sagte uns Swami Dhyan Dipo alias Urs Birnstiel, Geschäftsleiter der Gyandip-Genossenschaft in Zürich-Oerlikon, weil Kinder von Sannyasin in Volksschulen diskriminiert würden. »Manch-
mal dürfen unsere Kinder in der Schule nicht einmal die Mala tragen« (die Holzperlenkette mit dem Bild Bhagwans, die aus einem Anhänger erst einen veritablen Sannyasin macht). Die Gyandip-Genossenschaft hat deshalb am 20. September 1982 ein Gesuch für eine private Primarschule an die Zürcher Erziehungsdirektion gerichtet. Der Lehrplan sei so konzipiert, ist dem Gesuch zu entnehmen, dass die Schule »dem zürcherischen Volksschulunterricht entspricht«, sich aber gleichzeitig »an den von Bhagwan Shree Rajneesh über die Kinder und die Erziehung gemachten Äusserungen orientiert.« An dem Gesuch hat sich eine alte Uneinigkeit zwischen dem Schulamt der Stadt Zürich und der kantonalen Erziehungsdirektion neu entzündet, wenn auch mit verschobenen Fronten: Das Schulamt ist normalerweise für eine eher restriktive Bewilligungspraxis, die Erziehungsdirektion für eine liberalere. In der kantonalen Direktion wollte man diese Haltung auch gegenüber den Sannyasins von Höngg und Oerlikon bewahren und eine provisorische Bewilligung erteilen, die aber vorerst daran scheiterte, dass Erziehungsdirektor Alfred Gilgen - sonst Vertreter der grosszügigen Haltung - sein Veto einlegte. Die Schule ist Anfang 1984 nicht bewilligt worden. Dass die Kinder - durch die religiöse Haltung ihrer Eltern, das Leben unter Gleichgesinnten in der Wohngemeinschaft und durch die rote Uniformierung ohnehin schon ins Getto gedrängt - in einer eigenen Schule, total von der Aussenwelt isoliert, endgültig zu Aussenseitern werden könnten, wollte Birnstiel nicht gelten lassen: »Wir denken an eine Schule, die für jedermann offen sein soll.« Über Details wollte der GyandipGeschäftsführer nicht diskutieren: »Wir greifen nicht in ein hängiges Verfahren ein.« Der dem Gesuch beigelegte Lehrplan entspricht durchaus jenem füröffentliche Schulen des Kantons Zürich, mit zwei Ausnahmen: Schon Erstklässler sollen mit Englischstunden auf den Besuch beim Erleuchteten in Oregon vorbereitet werden. Und unter der Rubrik »Religion/Le-
benskunde« ist zu lesen: »Der Unterricht richtet sich nach dem Gedankengut von Bhagwan Shree Rajneesh.« Natürlich hat auch Lafayette Ronald Hubbard als Resultat seiner »unermüdlichen Forschertätigkeit« herausgefunden, wie die Schüler erzogen werden müssen. Die Scientologen hegen Pläne für eine eigene Schule in Bern, dürften aber, im Gegensatz zu den Bhagis in Zürich, auf grosse Widerstände stossen. Denn durch ihr Versteckspiel mit Institutionen, die sich an Schüler und ihre Eltern wenden, haben sich die Anhänger Hubbards in Luzern, Zürich und Bern einflussreiche Feinde geschaffen: Unter dem vielsagenden Kürzel ZIEL (»Zentrum für individuelles und effektives Lernen«) existiert in Luzern schon seit 1976 eine Institution, die Schülern Nachhilfeunterricht bietet. Bevor die Verbindungen zu Scientology offenkundig wurden, bekam ZIEL Luzern (und später auch ZIEL Zürich) einige wohlwollende Besprechungen in diversen Zeitungen, so dem »Tages-Anzeiger« und dem katholischen Luzerner »Vaterland«. (Wer weiss, wie die meisten solchen Zeitungsartikel zustande kommen, wundert sich kaum: Ein Journalist geht hin, lässt sich Informationsmaterial in die Hand drücken, diskutiert mit einem, zwei Repräsentanten, ist beeindruckt von ihrer Eloquenz und ihren progressiven Ideen - und schon steckt das Loblied gedruckt in den Briefkästen der Abonnenten.) Gelegentlich produzieren die Scientologen ihre gute Presse gleich selbst: In der (mittlerweile nicht mehr existierenden) Zeitschrift »Frau« verbreitete am 1. Juli 1979 eine Ruth Hefti ein mehrseitiges Loblied auf ZIEL. »Die Studiertechnik ist so einfach, dass man sich fragt, warum nicht schon längst einer auf die Idee gekommen sei.« Frau Hefti kolportierte dann Hubbardsche Plattitüden wie: »Der einzige Grund dafür, dass man ein Studium aufgibt, verwirrt wird oder unfähig ist zu lernen, ist der, dass über ein Wort hinweggelesen wurde, welches nicht verstanden wurde. Wenn der Text verwirrend wird oder
wenn Sie anscheinend nicht verstehen können, dann gibt es unmittelbar vorher ein Wort, das Sie nicht verstanden haben. Lesen Sie nicht weiter, sondern gehen Sie zurück zu der Stelle, bevor Sie in Schwierigkeiten gerieten. Finden Sie das missverständliche Wort und definieren Sie es, indem Sie irgendein gutes Wörterbuch oder ein Fachwörterbuch benützen.« So einfach ist das; Lernschwierigkeiten nur als Folge nicht beherrschter Terminologie. Da müssten all die geplagten Schüler aus kaputten Familien, kaputten Quartieren, schon im Stubenwagen zum Konsum erzogen, von gestressten Lehrern überfordert, vom Strassenverkehr gehetzt, vom Lärm gemartet, unmittelbar aufatmen. Ruth Hefti zitierte weiter einen sehr wohlwollenden Artikel aus der »Schweizerischen Lehrerzeitung (vom 27. April 1978). Interessant allerdings ist nicht, was sie schrieb, sondern was sie verschwieg: Die zwei Gründer von ZIEL, Felix Koella und Gerhart Volkart, sind Scientologen. Die »Studiertechnologie des amerikanischen Erziehers und Humanisten L. Ron Hubbard«, die sie »unabhängig voneinander in England und Dänemark« entdeckt haben, ist ihnen in Wirklichkeit im Scientology-Weltzentrum von Saint Hill Manor, Grafschaft Sussex, und im Europacenter von Scientology in Kopenhagen eingepaukt worden. Der Autor des Beitrags in der »Lehrerzeitung«, Hans-Peter Tschupp aus Horgen/ZH, ist ebenfalls Scientologe. Und Scientologin ist auch Ruth Hefti selbst: In einer nach dem »Frau«-Beitrag veröffentlichten ScientologySelbstdarstellung hat sie sich als eifrige Epigonin von L. Ron Hubbard vorgestellt und geschwärmt, wie sehr ihr Scientology auf all ihren Wegen geholfen habe. Ein raffinierter Zirkel also: Da verfasst man Werbetexte unter dem Etikett seriöser Berichterstattung, bringt diese in Zeitschriften unter, legt diese Zeitschriften dann den »Dokumentationen« bei, mit denen man Kritikern »beweisen« will, dass auch »unabhängige Publikationen« sich sehr lobend über ZIEL geäussert hätten. Den
gleichen »Dokumentationen« liegen jeweils auch Leserbriefe von Scientologen bei, die in Zeitungen abgedruckt worden sind. Allerdings sieht man ihnen das nicht mehr an, sondern bekommt den Eindruck, es seien Eigenleistungen der jeweiligen Zeitung: Deren Kopf prangt gross auf der Fotokopie, darunter der Text; ein Hinweis auf die Leserbriefspalte, in der er erschienen ist, fehlt hingegen. Dieses Vorgehen passt bestens ins Bild scientologischer Desinformation. (Auch das Opus Dei verfährt gelegentlich ähnlich: Es verschickt Ausschnitte aus Zeitungen mit positiven Berichten und verschweigt, dass deren Verfasser Opus-Mitglieder sind.) Im Dezember 1980 ging dann jedoch eine Lehrerin in Wikon/Luzern zu weit: Als eingeschworene Scientologin liess sie einen Vertreter von ZIEL, Gerhard Bürkli, an einem Elternabend Propaganda verbreiten; die Sache wurde öffentlich, die Erziehungsbehörden schalteten sich ein. Der Luzerner Erziehungsdirektor Walter Gut erklärte, das Angebot von ZIEL sei »nicht nötig und unerwünscht«. Er vermutete, die Kurse hätten Köderfunktion. Dieselbe Befürchtung äusserte später Ueli Habeggervon der städtischen Erziehungsdirektion in Luzern. Dass solche Angebote überhaupt Beachtung fänden, meinte Habegger, sei »der Lethargie der staatlichen Schulen« zuzuschreiben. Diese fungiere als »Wegbereiter für private Pauker«. Im ZIEL wird angeblich die Lernfähigkeit der Schüler gesteigert, und Scientology legt ihrem Werbematerial jeweils ein paar Briefe dankbarer Eltern bei. (Obwohl die »Kirche« sonst behauptet, ZIEL sei von Scientology unabhängig und stütze sich nur - wie Scientology - auf die Lehren des grossen Erziehers, Forschers und Philosophen Hubbard.) Reiner Krieger jedoch hat aus verschiedenen Fällen den Eindruck gewonnen, dass die ZIEL-Kurse mehr schadeten als nützten: Das Verhalten von ZIEL-Schülern habe sich auffällig negativ verändert, ihre Lernfähigkeitsich keineswegs verbessert, eher im Gegenteil.
In Bern stiess Scientology mit ihrem Ansinnen auf dezidierte Ablehnung. Urs Marc Eberhard von der städtischen Erziehungsdirektion warnte, nachdem er von den ZIELVertretern Ruedi Jungi (Bern) und Felix Koella (Luzern), dem schweizerischen ZIEL-Chef, kontaktiert worden war, in verschiedenen Briefen Ende 1982 und Anfang 1983 andere Behörden, Gemeinden und Kirchenvertreter: »Wir wurden kürzlich mit einer Tarnorganisation von Scientology konfrontiert. Eine Organisation namens ZIEL bemüht sich darum, Fernkurse, Nachhilfe- und Förderkurse für Kinder und privaten Unterricht anzubieten, Lehrmittel und Unterrichtsunterlagen an Eltern, Schüler und Lehrer zu bringen.« Die Initianten beriefen sich, schrieb Eberhard, »auf Lehrer, die offenbar bereits mitmachen. Für Reklame und Werbung scheinen erkleckliche finanzielle Mittel verfügbar zu sein. Die Eröffnung einer Privatschule steht zur Diskussion. Im weiteren häufen sich Anfragen und Klagen von Eltern, wonach sie auf der Strasse angehauen und zu Besprechungen und Intelligenztests eingeladen waren.« ZIEL beklagte sich über den »Schuss in den Rücken« und gab sich in einem Schreiben direkt an die Berner Schulen biedermännisch: »In einer Zeit, in der die Jugendkriminalität auch in unserem Land zunimmt, Krawalle und Demonstrationen zur Tagesordnung gehören, immer mehr Jugendliche 'aussteigen', der Drogenkonsum zu einem stetig wachsenden Problem wird, scheint es uns besonders wichtig, dass alle auf dem Erziehungs- und Ausbildungssektor tätigen Institutionen, Behörden und Einzelpersonen zusammenarbeiten.« ZIEL habe mit Scientology nur den »Vater« und gewisse Mitglieder gemeinsam. Die deutsche »Aktion Bildungsinformation« (ABI) in Stuttgart hat in einer Broschüre »Aus der Schule in die Sekte« jedoch nachgewiesen, dass durchaus Scientology-Werbung unter den Schülern betrieben wird: So wird die Hubbardtypische Terminologie eingeführt; Worte werden scientolo-
gisch »geklärt«. Und gelegentlich werde, so die ABI, direkt dazu aufgefordert, die Eltern zu veranlassen, sich Bücher über Scientology zu kaufen. »Weil diese Verbindung (zwischen dem 'Humanisten' Hubbard als ZIEL-Vater und dem 'Philosophen Hubbard als Scientology-Begründer, d. Verf.) verschwiegen wird«, so die ABI, »und weil sich (...) zahlreiche Berührungspunkte zwischen dem ZIEL-Verein und der Sekte ergeben, kann der ZIEL-Verein als eine Tarnorganisation der Scientology-Sekte angesehen werden.« Tatsächlich gibt es keinen einzigen uns bekannten ZIEL-Repräsentanten, der nicht gleichzeitig Scientologe wäre. Die private Scientology-Unterstufenschule in Bern, deren Eröffnung für 1984 vorgesehen gewesen wäre, wird nun wohl kaum so bald zustande kommen. »In den 15 Jahren«, sagte Urs Marc Eberhard, » in denen ich in der Berner Schuldirektion arbeite, ist es das erstemal, dass jemand in so aggressiver Art und mit raffinierter Tarnung versucht, an unsere Schulen zu kommen.« Im Vergleich zu den insgesamt eher plump wirkenden Versuchen von Scientology, die Schulen zu infiltrieren, sind die Bemühungen des Opus Dei um den minderjährigen Nachwuchs äusserst subtil. Das Opus, als anerkannte Institution innerhalb der katholischen Kirche, hat es naturgemäss auch sehr viel einfacher als die doch eher mit Skepsis betrachteten Sekten wie Scientology und Rajneesh-Foundation. Auch das Opus allerdings spielt nicht immer mit offenen Karten: »Es fiel mir auf, dass es üblich ist, dass das Opus Dei andere Organisationen vorschiebt«, sagte zum Beispiel Pfarrer Franz Stampfli vom bischöflichen Generalvikariat in Zürich. Es treffe zu, dass weder die Opus-Angehörigen noch seine Werke gegen aussen als dem Opus Dei zugehörig erkennbar seien. In seinem Buch »Das Opus Dei - eine Innenansicht« beschreibt Klaus Steigleder ausführlich die diskreten, aber intensiven Bemühungen um die Minderjährigen: Vorerst ver-
kehrte er in einem Jugendklub, ohne zunächst zu wissen, dass dieser vom Opus geleitet wurde. Ein »älterer Freund«, der ihn indirekt dort eingeführt hatte, wurde mehr und mehr zu seinem »geistlichen Leiter«, mit dem der Autorsich intensiv über »Gott und die Welt« unterhielt. Dieser gab ihm schliesslich Anweisungen für tägliche Übungen und drückte ihm Literatur von Escrivä de Balaguer in die Hand. Begriffe wie »Todsünde«, »schwere Sünde« usw. tauchten nun immer häufiger auf; Steigleder wurde ein schlechtes Gewissen geradezu eingeredet. Die Indoktrination wurde zunehmend intensiver: ein wöchentlicher »Bildungskreis«, »Besinnungstage«, »Winterfahrten«. Sein »geistlicher Leiter« beschwatzte ihn in stundenlangen Gesprächen endlich, dass er eine »Berufung zum Opus Dei« verspüre; im Alter von 15 Jahren wurde Steigleder Mitglied. Die österlichen Romfahrten des Opus, abgehalten unter einem anderen Namen allerdings, sind die fruchtbarsten Tage im Opus-Jahr: »Immer wieder gelingt es während der Tage in Rom, auch solche zu einer Mitgliedschaft im Opus Dei zu bewegen, die sich bislang beharrlich dagegen gewehrt hatten. Auch bei den Romfahrten sind es vornehmlich wieder Jugendliche, die sich, in vielfältiger Weise bedrängt und bisweilen regelrecht 'bearbeitet 1 , schliesslich zu einer 'Lebensentscheidung durchringen, die ihr Leben in einem Mass verändern wird, wie es für sie im Augenblick der 'Entscheidung oft nicht im geringsten absehbar ist.« Ein anderer schrieb an die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«: Es fänden laufend intensivste Gespräche statt, denen man sich kaum entziehen könne, Messen, Vorträge. »Ausserdem hat man natürlich dort, fern der Heimat, kaum Gelegenheit, mit einer 'neutralen Person', etwa den Eltern, zu sprechen. Den ungeheuren psychischen Druck, der dadurch erzeugt wird, konnte ich selbst 1978 auf einer solchen Fahrt erleben. Von einer Entscheidung, die in einer solchen Situation gefällt wird, kann ich unmöglich sagen, dass sie frei und unbeeindruckt gefällt wird.«
Auch die Schönstatt-Bewegung ist in der Schweiz bestens vertreten, und zwar im Luzernischen, ihr Gedankengut von der Unterwerfung, dem Kampf gegen »moderne Häresien« und damit gegen jede Form der Sexualität, gegen Aufklärung, gegen Konkubinat, gegen liberale Strömungen innerhalb der katholischen Kirche ist in Luzerner Lehrerbildungskreisen fest verankert: Der Rektor des Lehrerseminars Hitzkirch gleichzeitig hat die kantonale Lehrerfortbildung dort ihr Domizil - steht der Schönstatt-Bewegung zumindest nahe; Rektor Lothar Kaiser wurde unter anderem dadurch bekannt, dass er einen Freizeitraum im Seminar kurzerhand in eine Andachtsstätte umwandeln Hess. Der Einfluss Schönstatts und anderer katholischer Rückwärtsbewegungen auf das luzernische Erziehungssystem ist allerdings nicht so klar auszumachen wie weiland jener des Opus Dei auf den zürcherischen Religionsunterricht. Andere Vereinbarungen sind nicht so hermetisch abgeschlossen, nicht so straff geführt und so streng hierarchisiert wie das Opus. Hingegen sind die Auswirkungen ihrer Ideologie doch spürbar: Walter Gut selbst sprach sich vor einigen Jahren gegen Lehrer aus, die im Konkubinat leben - dies, obwohl im Kanton Luzern damals das Konkubinatsverbot bereits abgeschafft war. Und ein Gymnasiallehrer an der Kantonsschule Reussbühl/LU, jahrelang Prorektor und aussichtsreicher Kandidat für den Rektorenposten, wurde nach eigenem Bekunden bei der Wahl übergangen, weil er sich für den katholischen Theologen Hans Küng eingesetzt hatte, als diesem vom Vatikan die Lehrerlaubnis entzogen worden war. Eine Integrationsfigur für konservative Katholiken im Luzernbiet gibt es allerdings, und zwar ironischerweise eine evangelisch-reformierte: die deutsche Publizistin und Psychologin Christa Meves. Frau Meves, fanatische Verteuflerin jeder sexuellen Regung (ausser Zeugung der Kinder), strikte
Gegnerin der Frauenemanzipation (obwohl selbst, als Autorin unzähliger Bücher und Pamphlete und als Herausgeberin des »Rheinischen Merkur/Christ und Welt«, in hohem Mass emanzipiert) ist gerngesehene und viel engagierte Rednerin vor Frauenvereinen, an kantonalen Erziehungstagungen, in der Lehrerfortbildung, in Kirchgemeinden. Als ihr der Journalist Jürg Frischknecht in den »Luzerner Neusten Nachrichten« Kontakte zu deutschen Neonazi-Kreisen nachwies, sprach nicht nur Erziehungsdirektor Gut von einer »Hexenjagd«. In der Märzausgabe 1983 der rechtskonservativen Zeitung »Abendland« (Untertitel: »Die Stimme der schweigenden Mehrheit«, Auflage angeblich 26.000 Exemplare pro Monat) wurden Frischknecht und ein weiterer Journalist äusserst heftig angegriffen, und zwar von Pirmin Meier, Kantonsschullehrer in Beromünster/LU, und von Armin Binotto, Seminarlehrer in Hitzkirch/LU. Ausserdem wurde ein Kommentaraus der katholischen »Ostschweiz« nachgedruckt, verfasst von »Ostschweiz«-Redaktor Klaus Ammann. Ammann und Christa Meves waren im November 1979 am gleichen Kongress des Opus Dei in Zürich als Referenten aufgetreten und auch diesen Kongress hatte das Opus bezeichnenderweise nicht unter seinem eigenen, sondern unter dem wenig aussagekräftigen Namen »4. Internationaler Kongress für die Familie« veranstaltet. Es erstaunt nicht, wenn Scientology und Bhagwan-Bewegung nachzuahmen versuchen, was andere fragwürdige Vereinigungen nicht nur mit behördlichem Segen, sondern von Behörden geradezu favorisiert, im Schüleralltag praktizieren. Oder andersherum: Wenn das Opus Dei nach den Schülern greift, Schönstatt seine Ideologie in den Schulen, in Jugendorganisationen und eigenen Ferienlagern vermittelt, wird es verständlich, wenn auch die Kinder der Evangelikaien, der Scientologen, der Bhagwan-Anhänger rechtzeitig in den ideologischen Griff genommen werden.
5. Dem Cäsar, was des Cäsars ist Die oft bemühte Religionsfreiheit Die »Rajneesh Times«, deutschsprachiges Mitteilungsblatt der Bhagwan-Bewegung, spricht von »Hexenjagd«, wenn sich Politiker, Theologen oder Journalisten kritisch mit dem indischen Freudenspender Shree Rajneesh und seiner Gefolgschaft befassen. »Sozialistische Abgeordnete greifen Grundrecht der Religionsfreiheit an«, titelte die »Rajneesh Times« etwa auf der Frontseite ihrer Ausgabe vom 19. April 1983. Was war geschehen? Die Gruppe der SPD-Abgeordneten in der sozialistischen Fraktion des europäischen Parlaments hatte für den EG-Raum »abgestimmte Massnahmen zum Schutz der Individuen« vor Jugendsekten verlangt und unter dem Begriff »Jugendsekte« auch die Bhagwan-Bewegung aufgeführt. Dass Bhagwan eine Zeitlang hätte aus den USA ausgewiesen werden sollen, betrachteten seine Jünger ebenfalls als religiöse Verfolgung: Im Frühling 1983 gingen weltweit Tausende von ihnen auf die Strasse, um »für Religionsfreiheit« und »gegen Diskriminierung als religiöse Minderheit« zu protestieren. Noch schärfer pflegen Scientologen auf die Religionsfreiheit zu pochen: »In einem Brief, der an alle Schweizer Ständeund Nationalrätinnen und -räte versandt wurde, forderte der Präsident der Schweizer Scientology-Kirche, Rev. Hans Peter Christener, einen konsequenten Einsatz der Parlamentarier für die Religionsfreiheit«, ist einer Pressemeldung vom 5. Februar 1981 zu entnehmen. »Antireligiöse Bestrebungen sollten andererseits genauestens und kritisch auf ihre Verfassungsmässigkeit untersucht werden.« In Angriffen gegen ihre
Kritiker greifen Scientologen zu gröbstem Geschütz. Eine Tagung über Sektenfragen im Jahr 1979 bezeichneten sie auf einem Flugblatt als »Endlösungskonferenz« und stellten sich damit in die Reihen von sechs Millionen Juden, die im nationalsozialistischen Deutschland ermordet worden sind. Eine andere Informationstagung titulierten sie als »volksgerichtartige Inquisitionsveranstaltung über unsere Kirche« auch dies ein Begriff aus Nazideutschland. »Für den Fall, dass es durch die im Zuge solcher Veranstaltungen gewöhnlich stattfindende Pogromhetze zu tätlichen Ausschreitungen oder aber zu unsittlichen und faschistoiden Beschimpfungen gegen evtl. anwesende Mitglieder unserer Religionsgemeinschaft kommt, bitten wir um Bereitstellung von entsprechendem Polizeieinsatz«, dies alles »im Sinne der Wahrung unserer Verfassung, der Aufrechterhaltung humanitärer und religiöser Werte und somit der freiheitlich demokratischen Grundordnung«. Tatsächlich garantiert der Staat die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Artikel 49 der Bundesverfassung vermerkt, dass niemand »zur Teilnahme einer religiösen Handlung gezwungen oder wegen Glaubensansichten mit Strafen irgendwelcher Art belegt« werden dürfe. Vergeblich haben wir in der Verfassung jedoch nach einer Bestimmung gesucht, welche es verböte, Glaubens- oder Religionsgemeinschaften und ihr öffentliches oder verborgenes Gebaren zu kritisieren. Und erst recht gibt es keine Bestimmungen, die es religiösen Gemeinschaften erlaubte, sich über staatliche Rechtsnormen hinwegzusetzen, ganz im Gegenteil: »Die Glaubensansichten entbinden nicht von der Erfüllung der bürgerlichen Pflichten.« Die Zeugen Jehovas beispielsweise, eine der grösseren etablierten Sekten in der Schweiz, bekommen diese Maxime immer wieder schmerzlich zu spüren: Sie verweigern konsequent den Militärdienst. »Vor etwa 20 oder 30 Jahren stellten wir noch die Mehrheit der Dienstverweigerer und waren ein
rotes Tuch für die Militärgerichte«, sagte dazu Fred Borys von der »Wachturm-Gesellschaft« in Thun. »Seit aber immer mehr politische Dienstverweigerer auf dem Plan sind, hat sich die Stimmung zu unseren Gunsten gewandelt« Jehovas Zeugen sind »keine Weltreformer, Rebellen oder Anarchisten.« Hingegen leben sie nach der biblischen Maxime »dem Cäsar, was des Cäsars ist und Gott, was Gottes ist.« Und sie setzen eine klare Priorität, die immer wieder einige von ihnen ins Gefängnis bringt: »Wenn das Gesetz des Staates dem Gesetz Gottes widerspricht gilt der biblische Grundsatz 'man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen .«In ihrer Ablehnung des Militärdienstes berufen sich die »Zeugen« nicht auf das sechste Gebot »du sollst nicht töten«, sondern auf ihren Glaubenssatz, dass »die Welt ein gewaltsames Ende nehmen wird« und sie sich »völlig neutral in den Streitigkeiten dieser Welt« verhalten wollen. Ein ziviler Ersatzdienst käme deshalb ebenfalls nicht in Frage: »Wir würden auch diesen verweigern«, meinte Fred Borys. Auch die strafrechtlichen Bestimmungen gelten für alle: Paul Baumann, Leiter der Sekte »Methernita« im Kanton Bern, musste vor einigen Jahren ins Gefängnis, nachdem er sich an minderjährigen Mädchen vergriffen hatte. Unzucht mit Minderjährigen, selbst wenn sie von »Boten aus dem Jenseits« verordnet worden sein sollte, ist nun einmal nach weltlichen, schweizerischen Massstäben strafbar. Ins Gefängnis musste auch Jean-Michel Cravanzola, weissgekleideter Meister von »Jean-Michel et sonequipe«. Ihm nützte der Verweis auf die Religionsfreiheit ebenfalls nichts; Betrug ist in der Bundesverfassung als Privileg für Sektenführer nicht erwähnt.
Die legale Dienstverweigerung Ein anderes Privileg allerdings machen sich ScientologyFunktionäre weidlich zunutze: Sie leisten keinen Militärdienst, und zwar legal. Eine Verordnung vom 7. Juli 1953 macht es möglich: Danach sind »Angehörige einer fest organisierten Religionsgemeinschaft, denen von dieser Religionsgemeinschaft das Amt eines Seelsorgers übertragen worden ist«, vom Militärdienst befreit. »Nach unserer Aktenlage gilt die Scientology-Kirche als fest organisierte Religionsgemeinschaft im Sinn der Verordnung des Bundesrates. Sie hat Gesuche um Dienstbefreiung gestellt, und den Gesuchen musste entsprochen werden«, antwortete das Bundesamt für Adjutantur auf eine entsprechende Anfrage. Die Verordnung befinde sich zur Zeit in Revision, meinte dazu der Chef der Sektion Wehrpflicht/Mutationen, wollte (oder konnte) jedoch nicht sagen, ob Scientology weiterhin vom Privileg profitieren werde. »Als Vollamt im Sinne dieser Verordnung« gilt allerdings nur »die ausschliessliche Ausübung der betreffenden Tätigkeit von wenigstens sieben Stunden im Tag während des Jahres.« Streng genommen wäre demnach ein Teil der Scientology-» Reverends« gar nicht berechtigt, sich vom Dienst suspendieren zu lassen. Denn sie verdienen in der »Kirche« so wenig, dass sie daneben noch einem ordinären Teilzeit-Job nachgehen müssen, einer von ihnen zum Beispiel als Kellner in einem Berner »Mövenpick«-Restaurant. Auch sonst nehmen es die Scientologen, die lauthals auf ihr verfassungsmässiges Religionsrecht pochen, ihrerseits mit der Bundesverfassung nicht so ernst. In Artikel 58 etwa heisst es: »Die geistliche Gerichtsbarkeit ist abgeschafft.« Die bernische Kirchenordnung zum Beispiel vermerkt präzisierend dazu, diese dürfe als innere Kirchenangelegenheit zwar weiterbestehen, jedoch »keine wirtschaftlichen oder politischen
Konsequenzen irgendwelcher Art« haben, wie der - 1972 verstorbene - Theologieprofessor und bernische Kirchenhistoriker Kurt Guggisberg schrieb. Exakt diese Bestimmung allerdings verletzt die angeblich so verfassungstreue Scientology-»Kirche«: Sie kennt ein internes Strafverfahren, welches Mitglieder, die sich missliebig verhalten haben, zu härtester Fronarbeit zwingen kann (womit, nebenbei bemerkt, auch die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt wäre). Der Artikel 49 der Bundesverfassung macht es allerdings Behörden schwierig, gegen Sekten und andere religiöse Gemeinschaften vorzugehen. »Es ist nicht ganz leicht, die Grenzen der Religionsfreiheit zu ziehen«, schrieb 1982 der ehemalige Präsident der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren, der St. Galler Regierungsrat Ernst Rüesch. Bereits 1979 hatte das Bundesamt für Wissenschaft und Forschung bewiesen, dass Scietology seine Nachhilfeorganisation ZIEL trotz erwiesener »Köderfunktion« unbehelligt betreiben darf: »Sie vermuten«, schrieb der Direktor einem Fragesteller, »dass hinter dem Ganzen die berüchtigte Scientology-Sekte steckt und nehmen an, dass die Organisation ZIEL in Luzern, die in der Schweiz für die Verbreitung der genannten Lehr- und Lernmethoden eintritt, lediglich eine Tarnorganisation der erwähnten Sekte ist. (...) Einleitend möchten wir feststellen, dass eine Untersuchung oder gar ein Einschreiten gegen eine in der Schweiz tätige Organisation durch die zuständigen Behörden nur aufgrund der geltenden Rechtsnormen möglich ist. Solange sich solche Organisationen im Rahmen unserer Rechtsordnung bewegen, besteht dazu keine Veranlassung. Dies gilt selbstverständlich auch für das ZIEL; dies selbst dann, wenn diese Organisation tatsächlich eine Tarnorganisation der Scientology-Sekte - die im übrigen bei uns nicht verboten ist - wäre. (...) Etwas anders wäre die Ausgangslage vermutlich, wenn mit verkürzten und aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten für die Hubbard-
Methode Reklame gemacht würde. (...) Es müsste dann allenfalls geprüft werden, ob u.a. nicht eine Verletzung der Bestimmungen über den unlauteren Wettbewerb vorliegt.« Einer »Kirche«, welche sich die Unerfahrenheit, Leichtgläubigkeit, Labilität und psychische Probleme zunutze macht, um zehntausendfränkige Kurse zu verkaufen, welche weiter den direkten Zugriff auf die Schulkinder versucht, will man allenfalls mit Wettbewerbsbestimmungen zu Leibe rücken wenn das nicht angeblich gefährdete Religionsfreiheit ist! Allsamstäglich wird der Flanierer auf der Zürcher Bahnhofstrasse zu bekehren versucht: Einmal ist es Eckankar, die »höchste aller Bewegungen, die älteste aller Offenbarungen«, die ihre Traktätchen verteilt; dann sind es singende und bekennende Evangelikaie; das nächstemal vielleicht Scientologen mit ihrem »Oxford Capacity Test«. In Luzern wird der Passant vor dem Stadttheater oder auf dem Kornmarkt angehauen, in Bern unter den Lauben zur Umkehr bewegt. »Konstanter Praxis gemäss werden Informationsstände bewilligt, wenn sie nicht kommerziellen Zwecken dienen«, schreibt das Tiefbauamt Basel-Stadt. »Im Rahmen der Meinungsäusserungsfreiheit haben wir indessen keine grundsätzliche Handhabe und Veranlassung, Begehren abzulehnen, mit denen ausschliesslich gemeinnützige, wohltätige, wissenschaftliche, politische oder religiöse Zwecke verfolgt werden.« Die Scientology-»Kirche« dürfe demnach ihre Stände unter den Basler Globus-Arkaden aufstellen. Öffentlicher Grund für die Verbreitung einer obskuren Religion: Die Religionsfreiheit ist wahrhaftig gewährleistet. Allerdings: wie gemeinnützig, wohltätig und nicht-kommerziell Scientology ist, darüber kann man getrost geteilter Meinung sein. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hat mit Urteil vom 11. August 1980 festgehalten, worum es bei den »Test«-Angeboten der »Kirche« tatsächlich geht: Zwar habe die Scientology-Mission Bern ausgeführt, »zwischen der
Durchführung der Tests und der Aufnahme von Kurs- und Literaturbestellungen« bestehe »kein Zusammenhang«. Diese Argumentation treffe jedoch nicht zu: »Ein Mitarbeiter der Scientology-Mission wertet den Fragebogen aus und bespricht das Ergebnis mit der Testperson, d.h. er macht diese auf die angeblichen Schwächen aufmerksam und bietet die Hilfe der Scientology-Mission an, mittels der Techniken der Dianetik' die persönlichen Hindernisse ('Aberrationen') zu beseitigen mit dem Ziel, den Zustand der 'Entlastung' oder gar der 'Klärung' zu erreichen. (...) Zu diesem Zweck soll die Testperson Literatur der Scientology-Mission erwerben und studieren, gegen Entgelt Kurse besuchen oder - ebenfalls gegen Bezahlung - an Therapiesitzungen teilnehmen. Entsprechende Angebote werden unterbreitet. Kursverträge können sogleich unterzeichnet und Schriften sofort gekauft werden. Das Anbieten des Gedankengutes der Scientology-Mission in Buch- oder Kursform bildet daher mit dem Ausfüllen und Auswerten der Fragebogen einen zusammenhängenden Vorgang. (...) Aus der Sicht der Beschwerdeführerin (also Scientology, d. Verf.) bleibtdie Durchführung der Testssinnlos, wenn nichtim Rahmen der Auswertung auf das Gedankengut der ScientologyBewegung hingewiesen und versucht wird, dieTestperson zum Erwerb von Büchern über Scientology und zum Abschluss von Kursverträgen zu bewegen. (...) Der Verkaufserlös und die Provisionen tragen zur Finanzierung der Vereinsaufwendungen und des Lebensunterhaltes der Mitarbeiter bei. (...) Die Beschwerdeführerin verfolgt mit der umstrittenen Tätigkeit somit (auch) Erwerbszwecke. Durchführung und Auswertung der Tests haben unter anderem - viel persönlicher und intensiver als Schaufensterauslagen - Werbecharakter. Damit qualifiziert sich das hier interessierende Vorgehen als (bewilligungspflichtige) Werbeveranstaltung zum Zwecke der Bestellungsaufnahme und des Verkaufs.«
Die Steuern zahlen andere
Scientology ist demnach nach Ansicht der bernischen Verwaltungsrichter ein klassisches kommerzielles Unternehmen mit Erwerbszweck. Trotzdem bezahlt die sogenannte Kirche selbstverständlich keine Steuern, ebenso wie keine andere der von uns behandelten Gemeinschaften Steuern entrichtet. Selbst die TM-Aktiengesellschaften in Seelisberg kommen gratis weg, allerdings, weil sie - nach Ansicht des Gemeindepräsidenten - keinen Gewinn erwirtschaften. Ansonsten liegt das Dorf mit TM-Organisationen seit Jahren im Streit: Die Behörden möchten Steuern abkassieren, die Yogi-Anhänger pochen auf ihre Gemeinnützigkeit. Eine gerichtliche Auseinandersetzung war bei Drucklegung dieses Buches noch hängigDie Gyandip-Genossenschaft, die 1983 einen Umsatz von etwa drei Millionen Franken gemacht haben soll, ist laut Steuerauskunft mausarm: null Einkommen, null Vermögen. Steuerbefreit sind die Stiftungen und Vereine des Opus Dei die »Limmat-Stiftung«, der »Verein Internationales Tagungszentrum«. Kaum Steuern bezahlen die Anhänger Krishnas in Zürich und Düdingen; die verdienten ohnehin nichts, meinte ein Düdinger Behördenmitglied. Steuerbefreit ist Wim Malgos Missionswerk »Mitternachtsruf« in Pfäffikon/ZH. Steuerbefreit sind selbstverständlich alle andern evangelikalen Gemeinschaften. - Die Religionsfreiheit ist also, auch auf finanziellem Gebiet, voll gewährleistet.
Die Meinungsfreiheit ausgeschöpft Von einem Staat, an den sie nichts beitragen, weder materiell noch ideell, verlangen die religiösen Gruppen also Gewährleistung, uneingeschränkte, ihrer religiösen Freiheiten. Und sie nehmen sich ihrerseits auch Grundrechte extensiv heraus, das Recht auf freie Meinungsäusserung zum Beispiel. Scientology, die einerseits eine »genaue und kritische Begutachtung antireligiöser Bestrebungen« verlangt, die ihre Kritiker mit Hilfe der Verfassung mundtot machen will, geht andererseits unter voller Ausschöpfung der Meinungsfreiheit gegen diese Kritikter vor. Verfasser von Scientology-kritischen Artikeln werden mit Beschimpfungen überhäuft: »organisierte Rufmordkampagne«; »Irreführungen, Unwahrheiten und Falschmeldungen«; »tragische Figuren«; »hitlerische Judenverfolgung«; »traurige Gestalten«; »Zerstörung und Diskriminierung religiöser Minderheiten«; »glatte Verdrehung der Tatsachen«; »bösartige Irreführung der Leser«; »Gossenjournalismus«. Kirchlichen Scientology-Kritikern wird vorgehalten, sie »übertreiben geradezu grössenwahnsinnig, zerstören fahrlässig das Zusammenleben von Familien und widmen sich unsachlicher Polemik«, seien »verängstigte und unkompetente Fanatiker«. Und gelegentlich wird der Ausspruch auf Schutz der Religionsfreiheit geradezu pervers: Hubbard-Anhänger fordern zwar umfassenden staatlichen Schutz, ihr Meister aber verhöhnt gleichzeitig diese Staaten, die seiner »Kirche« die Existenz garantieren: Demokratie habe dem Menschen nichts gebracht, schreibt der »grosse Philosoph und Humanist«, ausser »Inflation und Einkommenssteuer« - die seine Institutionen nicht bezahlen müssen, wie beizufügen bleibt.
I I I . VERZWEIFELN A M FORTSCHRITT
Die Zerstörung der Lebensräume »Beton« und »Packeis« sind zwei der Stichworte, unter denen in jüngster Vergangenheit ein Teil der Jugend Zürichs seine Ohnmacht zu artikulieren versucht hat: Rebellion in einem Land, das Wirtschaftsmiseren kaum kennt, das angeblich bestens regiert und verwaltet, von den Niederungen bis zu den Gipfeln der Alpen gepflegt und gesäubert ist. Die »typisch schweizerischen« Tugenden - Arbeitsfleiss, Selbstgenügsamkeit, Sparsamkeit - haben einen glänzenden Lack über das Land gelegt, unter dem gelegentlich das Atmen unmöglich wird. »Auch hierzulande herrscht das Geld« schrieb Max Frisch in seinem »Stiller«, und damit ist eine wesentliche Voraussetzung für diesen Zustand bereits benannt: Wo das Geld herrscht, da schwindet der geistige Freiraum, da werden - ganz prosaisch und im Wortsinn - geografische Freiräume zubetoniert. Wo sich das rauhe Klima der Profitmaximierung übers Land legt, da sterben nicht nur die Bäume, da verkümmern auch die Menschen. Schon 1965 hat Alexander Mitscherlich die »Unwirtlichkeit unserer Städte« beklagt - der deutschen Städte zwar, die sich gegenüber den schweizerischen insofern unterscheiden, als sie im vorläufig letzten Weltkrieg zum Teil zerstört worden sind, die sich insofern aber kaum von den unsrigen abheben, als sie anschliessend in dergleichen plan- und rücksichtslosen Art wieder aufgebaut worden sind, in der auch hierzulande gewütet worden ist Man werde ihm vorwerfen, dass seine Schilderung der »grossen Stadtverwüstung und Landzerstörung« einer sarkastischen oder depressiven Stimmung entspringe, schrieb Mitscherlich. »Aber machen nicht unsere Städte (...), wenn man nicht in ihnen zwischen Büro, Selbstbedienungsladen, Friseur und Wohnung funktioniert, sondern wenn man
sie betrachtet, als spaziere man in der Fremde umher und sehe sie zum ersten Mal - machen sie dann nicht depressiv?« Heute ist die Ausrottung der Nischen, der Ruheplätze, der Orte für Kommunikation und Kontemplation in zunehmendem Tempo fortgeschritten, und zwar radikaler denn je; die Citys sind von Abgasen verpestet, vom Lärm erschüttert und von ehrbaren Besitzenden, die den Ausdruck Spekulanten entrüstet von sich weisen, in Betonwüsten verwandelt, sind unbewohnbar geworden. »Der Mensch wird so, wie die Stadt ihn macht, und umgekehrt; mit fortschreitender Urbanisierung trifft das auf immer mehr Menschen zu«, hat Mitscherlich erkannt. Weil die Innenstädte nicht mehr bewohnbar sind - nicht nur als Folge von Lärm und Abgasen, sondern auch der von normal verdienenden Individuen nicht mehr bezahlbaren Mietpreise wegen -, wuchern die Schlafstädte in die Landschaft hinaus, ziehen die Menschen ins Grüne, dorthin, wo früher ihre nahen Erholungsräume waren, und vermeinen, sich dort in der Freizeit vom Stadtgrauen erholen zu können. Sie erwartet in Wirklichkeit nur trostlose Einsamkeit, oder Konsum von Fernsehprogrammen oder - bestenfalls - Ablenkung von den täglich aufs Neue erfahrenen Behinderungen ihrer persönlichen Entfaltung, Rädchen in einer Maschinerie, von der sie schon lange nicht mehr wissen, nicht mehr wissen können, wie sie in ihrer Gesamtheit funktioniert. Ob es nun die Situation der Vermassung ist, die zu selbstzerstörerischem Verhalten führt, oder ob die Öde davon stammt, dass uns der Überfluss abgestumpft und korrumpiert hat, ist an sich unerheblich: Real ist das Unbehagen, das sich nicht nur in gesprayten Inschriften an Häuserwänden, sondern neuerdings in einer geradezu grassierenden Unlust äussert, die wiederum ihren konkreten Ausdruck zum Beispiel in einer erschreckend ansteigenden Selbstmordrate findet. Mit der Zerstörung des Lebensraums allein - so gravierend
sie sein mag - und mit dem Rückzug in eine »PseudoPrivatheit« als Flucht vor der entmenschlichten Umgebung, wie es Mitscherlich ausdrückt, wäre der Erfolg der neuen religiösen Gemeinschaften kaum zu begründen. Vielmehr sind es nicht nur die Bäume, die sterben, und die Hinterhöfe, die zubetoniert und in Parkplätze verwandelt werden. Einher mit der Zerstörung unserer äusseren Lebensräume geht eine Zerstörung unserer gesellschaftlichen Bewegungsräume. Wir werden zusehends entmündigt: Der Mensch wird nicht mehr als ganzheitliches Einzelwesen und vollwertiges Mitglied einer Gesellschaft angesehen, sondern - je nach Interesse des Beschauers - als Angehöriger zum Beispiel einer bestimmten Kaufkraftklasse, oder aber als ein mehr oder weniger zufälliges Konglomerat mehr oder weniger anfälliger Körperteile-je ein Teil für Orthopäden, Proctologen, Neurologen, Psychopathologen, wie jenes Rind auf dem Bild über dem Ladentisch altertümlicher Metzgereien, dem man Hüft, Haxen, Hohrücken und die anderen konsumrelevanten Teile feinsäuberlich eingezeichnet hat. Angefeuert von den Predigern des Fortschritts, hat sich der Mensch in seine Segmente zerteilen, hat sich in Stücke reissen lassen von den profitgierigen Wölfen, hat seine eigenen Zähne in das Fleisch der andern gehauen. »Diese Prediger - was haben sie uns nicht alles vorgegaukelt. Und was hat sich davon tatsächlich erfüllt? Haben sie uns glücklicher gemacht mit den Automaten? Hat uns die modernste Medizin aller Zeiten von unseren Leiden geheilt? Leben wir besser, weil wir mehr wissen? Haben wir durch mehr Wissenschaft und Bildung mehr aus den Fehlern gelernt als frühere Generationen?«, fragt Joseph Kirschner und gibt gleich die fatale, wenn auch zutreffende Antwort: »Nichts haben wir gelernt.« Natürlich haben wir gelernt: Noch nie sind so viele junge Mediziner von den Hochschulen abgegangen wie heute, so viele Juristen, Psychologen, Soziologen. Noch nie hat es so viele spezialisierte
Berufe gegeben: Computerfachleute, Steuerrechtsexperten, Gentechnologen. Heerscharen von Wissenschaftern richten vollautomatisierte Fabriken ein, experimentieren im All, laborieren am geklonten Menschen, der je nach Bedarf auf Intellekt oder stumpfe Roboterarbeit programmiert werden kann. Heere von Experten - jeder auf seinem Gebiet ein Fachmann, jeder erhaben über jeden andern, aber ohne Sinn für das, was jenseits von seinem Büro- oder Labortisch geschieht. Entmündigt werden wir auch dort, wo wir uns noch immer ein weitestgehendes Mitspracherecht einbilden: in der Politik. Hans Tschäni hat in seinem Buch »Wer regiert die Schweiz?« geschildert, wo die Macht sitzt und wo die Entscheidungen getroffen werden: nicht an den Urnen, nicht in den Parlamenten, nicht auf Gemeindeversammlungen und nicht an Landsgemeinden. Kaum jemals ist- und damit wären wir wieder bei der Zerstörung der Umwelt - über die Umwandlung ganzer Quartiere in tote Büroplantagen abgestimmt worden, über die Zubetonierung mit Autobahnen, über die Verwandlung intakter Landschaften in Waffenplätze. Wenn ein Atomkraftwerk gebaut werden soll nach dem Willen derer, die dereinst davon profitieren, dann wird es gebaut gegen den Willen der betroffenen Nachbarn. Hunderte neuer Gesetze werden jährlich aus den Schubladen von Amtsstuben gezogen, Verordnungen, Weisungen, Reglemente. Die Schweiz wird von einer Filzokratie beherrscht, deren höchste Maximen die Zementierung ihrer Macht und die Mehrung von Einfluss und Vermögen sind. Und wenn, wie 1980/81 in Zürich, sich die Ohnmacht von Minderheiten auf der Strasse entlädt, wird der klebrige Schleim ordnungspolitischer Vollzugsorgane über das Geschehen gebreitet, werden Probleme nicht gelöst, werden nicht phantasievoll die Möglichkeiten erwogen, sondern wird geschossen und kriminalisiert. Schaufensterscheiben haben den Vorrang
vor Freiräumen, saubere Strassen vor menschlichen Bedürfnissen. Die Liebe zum Leben, schrieb Erich Fromm, könne sich unter drei Voraussetzungen entwickeln: »Sicherheit in dem Sinn, dass die materiellen Grundlagen für ein menschenwürdiges Dasein nicht bedroht sind, Gerechtigkeit in dem Sinn, dass niemand als Mittel zum Zweck für andere ausgenutzt werden kann, und Freiheit in dem Sinn, dass jedermann die Möglichkeit hat, ein aktives und verantwortungsbewusstes Mitglied der Gesellschaft zu sein. Der letzte Punkt ist besonders wichtig.« Wenn Fromm recht hat, dann ist die zunehmende Unlust am Leben mehr als erklärbar: Die Möglichkeit, ein aktives und verantwortungsbewusstes Mitglied der Gesellschaft zu sein, ist dem Einzelnen zusehends genommen, er wird entmündigt durch Experten, erdrückt durch die Bürokratie, ausgenutzt durch Profitmaximierer. Und selbst die Sicherheit, bis vor kurzem das Markenzeichen schweizerischen Alltags, geht allmählich verloren. Die Bedrohung von aussen steigt das Bewusstsein nimmt SS-20 und Pershings zur Kenntnis, begrenzte, aber eigentlich unbegrenzbare Atomkriege, Erst- und Präventivschläge, Gefechtsfelder und atomare Holocausts werden möglich. Auch die Bedrohung von innen wächst wenn auch eine Bedrohung ganz anderer Art: die Bedrohung, mit 50 zum alten Eisen zu gehören, dem kategorischen Jugendlichkeits-Imperativ nicht mehr zu genügen: die Bedrohung, seine Stelle zu verlieren: die Bedrohung, kriminalisiert zu werden dank immer schärferer Strafgesetze und Polizeiverordnungen; die Bedrohung, eines Tages im eigenen Schmutz zu ersticken, weil er nicht mehr »entsorgt« werden kann; die Bedrohung, keine erschwingliche Wohnung mehr zu finden; die Bedrohung, mit 40 einem Herzinfarkt zu erliegen. Auf unserer Flucht in den Wohlstand, unserem besinnungslosen Abtauchen in einen überversicherten Wohlstandstüm-
pel haben wir hinter uns abgebrochen, was uns Sicherheit geben könnte: Wir haben Beziehungsnetze geschlissen, haben die alten Autoritäten enthauptet, haben Gemeinschaften aufgegeben, Heimat gegen entwurzeltes Arbeitsnomadentum eingewechselt und stehen jetzt da, schlotternd in der Kälte, die Taschen vollgestopft mit Monatslöhnen und Versicherungspolicen und Verträgen mit Kleinkreditbanken, die unseren Wohlstand vorfinanzieren. Die negative Grundstimmung unserer Zeit ist keine Erfindung des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Und doch unterscheidet sie sich wesentlich von jenen früheren Zeiten, weil »das Tempo des Wandels heute wie eine immer steilere Exponentialkurve verläuft und die Geschichte sich beschleunigt wie die Moleküle in einer Flüssigkeit kurz vor dem Siedepunkt. Es dürfte sich erübrigen, die Bevölkerungsexplosion, die urbane Explosion, die Explosion der Explosionskraft anzuführen: wir leben mitten darin, im Auge des Hurrikans.« Arthur Koestler schrieb das 1965: abgekühlt hat sich die Flüssigkeit seither nicht. Zu verdanken haben wir die drohende Explosion einem pervertierten Rationalismus, einer Fehlentwicklung jenes einst hoffnungsfrohen Aufbruchs im 18. Jahrhundert, der Aufklärung. Aus dem Rationalismus jener Zeit- dem Aufbruch in eine bürgerliche Kultur als Auflehnung gegen die höfische, dem Ausbruch der Kunst aus der Konvention, dem Aufschwung selbstbewusster Denker aus der Knechtung durch Kirche und Könige -, aus dem Rationalismus ist die spiessbürgerliche Rationalisierung heutiger Prägung geworden. Zweifel an dem, was heute als »Vernunft« deklariert wird die radikale Abkehr von jeder zukunftsgerichteten Idee, die Verspottung jeder Utopie -, sind mehr als erlaubt; was sich selbst als »vernünftig« bezeichnet, erweist sich beim näheren Besehen nicht selten als irrational im höchsten Grad: »Vernünftige« Entscheide - etwa der, keine Frau in den Bundesrat
zu wählen - entspringen nicht selten der ungezügelten Gier nach Macht. Gerade diese »Vernunft« und das daraus resultierende Irrationale führen auch zu den neuen Predigern: Jedem Verunsicherten die massgeschneiderte Religion, jedem Verzweifelten Geborgenheit und Halt. Die neuen Religionen, die Sekten und Sondergruppen - ob sie sich nun aus Indien importiert haben, kranken Gehirnen ehemaliger ScienceFiction-Autoren oder dem nicht mehr so mütterlichen Schoss der katholischen oder evangelischen Kirchen entsprungen sind sie alle bieten an, was dringlich gesucht wird: Festgefügte Gemeinschaft, straffe Führung für Orientierungslose, Anweisungen für alle Lebenslagen und Lebenslügen, Sicherheit - die mitunter so weit versprochen wird, als etwa Scientology behauptet, wer gewisse ihrer Programme absolviert habe, sei gefeit gegen den Strahlentod - und eine transzendente Dimension für eindimensionale Menschen. Wenn nur ein Bruchteil der Menschheit nach seiner (simplen) Methode meditiere, verkündet Maharishi Mahesh Yogi in Seelisberg/ Uri, werde unweigerlich die »ideale Gesellschaft« hereinbrechen. Das schiere Glück auf Erden verspricht Bhagwan Shree Rajneesh seinen Jüngern. Evangelisten und die Erzkatholiken vom Opus Dei drohen eher mit der schnellen Höllenfahrt für alle Ungläubigen. - Und die Angebote stossen auf zunehmendes Interesse: der Markt für das Seelenheil ist in heilloser Zeit eine Wachstumsbranche. Das gilt allerdings nicht für die Amtskirchen: Diese entleeren sich zusehends; noch jeder dritte, in Städten jeder fünfte Katholik besucht die Messen; die evangelischen Pfarrer predigen immer öfter vor leeren Reihen. Die Kälte in der Kirche, sagt etwa eine 24jährige Primarlehrerin, die heute bei einem Evangelisationsunternehmen mitwirkt, habe sie abgestossen, und damit meint sie nicht etwa die fehlende Zentralheizung. Eine »tote Sache« sei die Kirche, in die sich nicht einbringen
könne, wer sich einbringen wolle. Echte Gemeinschaft fehle, ebenso die Religiosität. Ähnliches hört man von Katholiken, die sich zum Beispiel der Bewegung von Schönstatt angeschlossen haben und dort jene »Spiritualität« finden, die sie in der Pfarrkirche vermisst haben. Andere haben das Gezänk der Theologen um die wahre Lehre satt, oder die Auftritte des Papstes als internationaler Showstar. Wieder andere bemängeln seinen Absolutheitsanspruch und - je nachdem - seinen bornierten Konservativismus oder seine fehlende Demut. Kräftige Worte findet der katholische Pfarrer und Schriftsteller Rudolf Schermann in seinem Buch »Woran die Kirche krankt« für die »hierokratische Verknöcherung« der Kirche: Der Vatikan biete »die typische Szenerie einer hochmütigen Herrschaftsapparatur«. »Das von Jesus grundsätzlich überwundene Herr-Knecht-Denken feiert fröhliche Urständ.« Am Sitz des Papstes in Rom habe sich »eitle Bombastik« breitgemacht, »für die Jesus zeit seines Erdenwandels eine ausgesprochene Abneigung bekundet hatte«. Und in den Pfarreien konstatiert Schermann »Ängstlichkeit, kleinkariertes Denken, wehrhafte Ghettomentalität« und »autoritäres Gehabe«. Das offenbar grösste Problem jedoch, mit dem die römischkatholische Kirche gegenwärtig zu kämpfen hat, ist »die ständige Kollision zwischen den bestehenden Kirchenvorschriften und der anderslautenden inneren Überzeugung und Lebenspraxis der Menschen« vor allem im sogenannten ethischen Bereich, die eine »tiefgreifende Verlogenheit« habe entstehen lassen. So sei der »zynische Imperativ« geboren worden: »Sündige ruhig, doch lass Dich nicht dabei erwischen!« Diese Doppelmoral treibt gelegentlich seltsame Blüten, wie Schermann bemerkt, und verursacht bei »ungläubigen Zeitgenossen zwiespältige Gefühle« oder gelassenes Amüsement, im »Kirchenvolk« hingegen »andauernde Spannungen«. An einem Beispiel illustriert Pfarrer Schermann die auf die Dauer
kaum zu bewältigende Divergenz zwischen hohem moralischem Anspruch und der weniger anspruchsvollen Realität: Der Kurienkardinal und Kirchenhistoriker Jean Danielou »wurde am 20. Mai 1974 unglücklicherweise ausgerechnet in der Wohnung einer vierundzwanzigjährigen Pariser Nachtlokal-Tänzerin namens Mimi vom Tode ereilt. Zum Zeitpunkt der Affäre weilte der Lebensgefährte der Frau, ein Zuhälter, im Gefängnis... Fatalerweise gehörte Danielou zu den eifrigsten Verteidigern des Zölibatsgesetzes«. Der in Tübingen lehrende Schweizer Reformtheologe Hans Küng fürchtet, dass die katholische Kirche zu einer »unwahrhaftigen Kirche« werden könnte, in welcher »den entscheidenden Fragen der Menschen ausgewichen wird, in welcher man gar nicht merkt..., wie weit man überkommene Meinungen und traditionelle Begriffshülsen als Wahrheit weitertradiert und wie weit man sich in Lehre und Leben von der ursprünglichen Botschaft entfernt hat«. Und Rudolf Schermann spricht gar von »klerikalen Herrschaftsinteressen«, die »den christlichen Globus unter der Fuchtel der Moralisten in eine Art riesiges Konzentrationslager verwandelt« hätten. Die Amtskirchen mit ihrem »hoheitlichen, fast staatlichen Charakter« (der Freiburger Staatsrechtsprofessor Thomas Fleiner) haben den Zivilisationsgeschädigten, verunsicherten, nach Halt und Sinn suchenden Zeitgenossen des ausgehenden 20. Jahrhunderts also nicht mehr sehr viel zu bieten: Geborgenheit, Sicherheit, Utopie und ein Weltbild, das diese mit ihren spezifischen Problemen nicht allein lässt, die Erfahrung schützender Gemeinschaft sind in den etablierten Kirchen kaum mehr zu finden. So paradox das klingen mag: Gerade dadurch, dass heute in den Kirchen vehement diskutiert wird, dass Dogmen allmählich zerbröckeln, dass Aufbruch und Konservativismus (der gegenwärtig wieder Oberwasser gewinnt) miteinander ringen, steigert sich die Unsicherheit, werden die Amtskirchen unattraktiv.
Das Angebot der neuen Kulte ist hier - immer vorausgesetzt, dass jemand am pervertierten Rationalismus verzweifelt sehr attraktiv: Ein intaktes Weltbild, klare Antworten, an denen man sich bedingungslos orientieren kann: das Bewusstsein, durch Befolgung der jeweiligen Lehre - und ausschliesslich durch sie - das Übel auf der Welt beseitigen und vernichten zu können, als Mitglied des jeweiligen Kultes, also besonders auserwählt zur Rettung der Menschheit zu sein; ein Gefühl von Geborgenheit in einer verschworenen, auserwählten Gemeinschaft; eine Führergestalt, zu der man bewundernd aufblicken kann, die all das verkörpert, was man selber erreichen will (und der man andererseits Schwächen und Doppelmoral gerne verzeiht, die man sich selber niemals gestatten würde). Im Prinzip also sind die Ansprüche gar nicht so weit von denen entfernt, welche zum Beispiel die römischkatholische Kirche noch vor kurzem erhoben hat und mit Einschränkungen heute noch erhebt. Der Unterschied ist im konkreten Bezug der neuen Kulte auf die Bedürfnisse im Hier und Jetzt zu finden und in der Absolutheit, mit der diese Bezüge hergestellt werden. Die grosse Tragödie allerdings liegt wiederum im totalen oder totalitären Anspruch dieser jeweiligen Verkünder der »absoluten Wahrheit«: Wie nirgendwo sonst werden gewöhnliche Mitglieder von Sekten und Sondergruppen entmündigt, in die geistige und gesellschaftliche Isolation geführt, unter derartigen moralischen Druck gesetzt, dass viele von ihnen zerbrechen, dazu finanziell ausgebeutet und psychisch versklavt. Die Flucht in eine Sekte oder eine andere religiöse Gemeinschaft mit totalem Anspruch gerät so nicht selten zu einer Selbstaufgabe, wie man sie sich radikaler kaum vorstellen könnte, zu einer bedingungslosen Kapitulation vor sich selber, vor der eigenen Fähigkeit zu denken, zu fühlen, zu leiden, zu trauern und zu lieben, und vor allem auch zu einem Rückzug aus jeder gesellschaftlichen Verantwortung. So werden gewisse Reli-
gionsgemeinschaften zum Inbegriff dessen, was sie eigentlich zu bekämpfen vorgeben: zum Inbegriff von Entmündigung, Isolation, Selbstaufgabe, kurz, zum Inbegriff von Unheil. Die Ansatzpunkte für Kritik an den totalitären Religionen sind zahlreich und berechtigt: Vom politischen Standpunkt aus wäre anzumerken, dass sie ihre Mitglieder zu einem Rückzug aus gesellschaftlicher Aktivität veranlassen - ausser dort, wo es um ganz konkrete Anliegen (Verhinderung einer liberalen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, Kampf gegen Sexualerziehung etc.) geht, und dort, wo sie gezielt eigene Interessen verfechten, etwa im Schulwesen. Mit dem Rückzug aus der Politik, mit der Verweigerung von Mitsprache tragen diese neuen Religionen gleichzeitig zu einer Zementierung bestehender, unbefriedigender Verhältnisse bei, von denen sie umgekehrt bei der Rekrutierung ihrer Mitglieder wiederum profitieren. Politische Abstinenz als Reaktion auf politische Ohnmacht ist ein sehr weit verbreitetes Phänomen, allerdings eine untaugliche Haltung, wenn es darum gehen soll, unbefriedigende Zustände zu verändern. Auch ökonomische Kritik ist in vielen der von uns abgehandelten Fälle am Platz: Mit nicht einlösbaren Versprechen wie Unbesiegbarkeit, Unsterblichkeit, Glück, Wohlergehen, Erfolg - werden Methoden verkauft, die untauglich sind zur Erfüllung dieser Versprechen. Der Preis für den Erwerb dieser Methoden oder für die Absolvierung von Kursen, die diese Methode vermitteln, ist überdies in zahlreichen Fällen - am krassesten wahrscheinlich bei Scientology - viel zu hoch, selbst wenn die Methoden und Kurse etwas taugen sollten, was gerade im Falle von Scientology höchst unwahrscheinlich ist. Vom pädagogischen Standpunkt her wäre die Manipulation von Jugendlichen zu kritisieren, die sanfte, aber sehr bestimmte Verführung hin zu einer Lebensweise, für die sich ein Heranwachsender gar nicht freiwillig entscheiden kann,
da er noch nicht in der Lage ist, alle Konsequenzen zu übersehen. Der schärfste Vorwurf müsste hier vermutlich dem Opus Dei gemacht werden. Aber auch Scientology mit seiner Institution ZIEL ist es bisher nicht gelungen, jene Bedenken zu entkräften, die vermuten, dass die Nachhilfeorganisation in erster Linie der Rekrutierung von Nachwuchs dient. Der Hauptteil der Kritik an den totalitären Religionen allerdings kommt nicht von Politikern, Ökonomen, Pädagogen; auch nicht von Psychiatern und Psychologen, von denen sich einige allerdings sehr engagiert und auf mögliche - den Aussagen von Funktionären der neuen Gemeinschaften diametral entgegenlaufende - psychische und psychosoziale Schädigungen in zahlreichen Publikationen hingewiesen haben. Das weitaus grösste Potential an Kritikern bieten die Konkurrenzorganisationen auf: die etablierten Kirchen. So ist dem bayerischen lutheranischen Pfarrer Friedrich-Wilhelm Haack eine Fülle von Informationen über alle möglichen »Jugendreligionen« zu verdanken - ein Ausdruck, den er selbst geprägt hat. Weitere Standardwerke stammen von Exponenten der Kirchen, in der Schweiz etwa vom Theologieprofessor Otto Bischofberger und vom Zürcher Pfarrer Oswald Eggenberger. Die einzige taugliche Beratungsstelle in diesem Bereich in der Schweiz befindet sich im katholischen Pfarramt St. Anton in Luzern; ihr Leiter, Vikar Reiner Krieger, und sein Mitarbeiter sind total überlastet, was beweist, dass das Problem brisant und aktuell ist. (Kritiker von Sektenkritikern werfen diesen gerne vor, sie bauschten die Thematik masslos auf.) Kritik von kirchlicher Seite allerdings ist immerauch parteigebundene, interessenabhängige Kritik: »Sekten«, das sind immer die anderen. Der eigene theologische Standpunkt wird insofern zum Massstab, als man andere Gemeinschaften an diesem misst und - je nachdem - als akzeptabel oder verwerflich einstuft So gibt es unter den katholischen Kritikern tota-
litärer Religionen kaum einen, der es wagen würde, das Opus Dei anzugreifen - abgesehen von vereinzelten Jesuiten, die dann allerdings zu kräftigen Ausdrücken greifen. Die Evangelikaien wiederum finden in den evangelisch-reformierten Kirchen ein breites Verständnis, teilweise unumwundene Sympathie und Anerkennung, obwohl viele ihrerseits die »Lauheit« und Kompromissfähigkeit der etablierten Kirche verachten und bekämpfen. Aber selbst dort, wo sie Kritik üben, ist den grossen Kirchen ein zentraler Vorwurf nicht zu ersparen: Sie bekämpfen zwar einzelne Symptome einer aus den Fugen geratenen Zeit, sind aber nicht bereit oder nicht fähig oder nicht offen genug, um zu Veränderungen beizutragen - und das könnten nur tiefgreifende Veränderungen sein -, welche die Ursachen beheben oder zumindest relativieren würden. Die Kirchen stehen dem Verlust der Sicherheit, der Entmündigung des Individuums, der Zerstörung der Lebensräume relativ hilflos gegenüber, wo sie nicht sogar daran beteiligt sind. Sie erkennen kaum, dass die neuen, totalitären Religionen in erster Linie kein theologisches, sondern ein politisches Phänomen sind - ebenso wie Drogen, Fluchtbewegungen, Abstinenz von der Mitsprache in der Gesellschaft, Konsumtrip. Und wo Teile der Kirche diese politische Dimension erkannt haben und danach handeln wollen, werden sie wiederum gebremst von jenen, denen nichts an der Veränderung bestehender Zustände gelegen ist.
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b)
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c)
Zeitungsartikel
Basler Zeitung: Alban-Arbeit: 2,5 Millionen für ein christliches Jugendzentrum; 16.6.1981 Bertschi, Hannes: Komm schwimmen im Mutterleib; Tages-Anzeiger-Magazin (TAM), 1.2.1982 Bösch, Paul: Hare Krishna - Totale Abkehr von der Welt; Der Bund, 5.8.1982 Brüning, Fred: The Age of Cults; Newsweek, 23.4.1979 Bruppacher, Balz: Zürcher Poona-Filiale »Gyandip« erlebt Grossandrang; Luzerner Neuste Nachrichten (LNN), 16.9.1981 Bucheli, G u i d o (Scientology-»Reverend«): Postulate der »Kommission zum Schutz vor Verstössen der Psychiatrie gegen die Menschenrechte; LNN, 12.12.1980 Bühler, Martin: Jahu-Kontroverse: Klärende Gespräche sind überfällig; Bieler Tagblatt, 4.8.1983 ders. Kirchenzwist um fremden General, Bieler Tagblatt, 3.8.1983 ders. »Wer soll mich hindern, für Rios Montt zu beten?«; Bieler Tagblatt, 4.8.1983 Däpp, Heinz: Neue religiöse Strömungen - Seelenheil in heilloser Zeit; Basler Zeitung (BaZ), 26.7.1982 Der Schweizerische Beobachter: Christliche Jugendarbeit in Basel - Gottergebenheit statt Selbstverantwortung?; 30.6.1981 Die Woche: Das Geschäft der Frommen; Nr. 26/1982 EglofT, Peter: Ein Tag im Leben von Andrea-Giorgio Xandry; TAM, 9.1.1982 Fabian, Reiner: Die letzten Tage von Poona; Stern-Magazin, 6.8.1981 Freed, Josh: In den Fängen der Mun-Sekte; Das Beste aus Reader's Digest, Nr. 9/Sept. 1983 Gerber, Eduard: Es ist nicht alles »Sekte« . . . ; Vaterland, 28.8.1982 Gerber, Rosmarie: »Aggressiver Vorstoss in die Berner Schulen«; Berner Zeitung (BZ), 30.3.1983 dies. Bhagwan: »Du musst nur Deinen Kopf abgeben!«; BZ, 5.4.1983 dies. Die Christus-Offensive; Voilä, Nr. 10/1983 dies. »Erschreckender Dilettantismus bei der Anwendung suggestiver Methoden«; BZ. 8.4.1983 dies. Erster Schritt zum seelischen und finanziellen Debakel; BZ, 31.3.1983 dies. Geschäfte aller Art; Bilanz, Nr. 10/1983 dies. Jugendsekten - Davids himmlische Töchter; Der Schweizerische Beobachter, Nr. 13/1981 dies. Jugendsekten - Vertuschte Vaterschaft; Der Schweizerische Beobachter, Nr. 15/ 1982 dies. Licht hinter die Jugendsekten-Fassade; Bündner Zeitung, 12.9.1980 dies. Moses David schickt seine Jüngerinnen zur Geldbeschaffung auf den Strich; BZ, 7.4.1983 dies. Neues von Scientology - Mit Hokuspokus gegen den Atomtod; Der Schweizerische Beobachter. Nr. 2/1982 dies. Religionsfreiheit - keine heilige Kuh; BZ, 9.4.1983 dies. Scientologen bieten Seelenheil im Techno-Look; BZ, 30.3.1983 dies. Scientology-Kirche- »Versklavte Seelen«; Der Schweizerische Beobachter, Nr. 14/1981 dies. Über Scientologen, die durchdrehten; BZ, 31.3.1983
dies. »Wir sind im Besitz der absoluten Wahrheit« - Die Landeskirchen leeren sich, die Sekten verzeichnen einen ungebrochenen Aufwärtstrend; BZ, 9.4.1983 Gerber, Rosmarie und Artur K Vogel; Ein Dorf im Sog des O p u s Dei; Tages-Anzeiger (TA), 28.2.1980 H a l d i m a n n , Ueli: Opus Dei agiert weiter mit fragwürdigen Methoden; TA 11.1.1980 ders. Opus Dei plant Zentrum in einem Wohnquartier; TA. 10.11.1982 H a r t m a n n , Stefan und Urs Zwicky: Die christliche Offensive; Die Wochenzeitung, 22.4.1983 Hasler, Peter. »Verstand ist Selbstmord«; Basler Magazin, 26.9.1981 Hennis, Wilhelm: Stoppt endlich Scientology!: Die Zeit, 14.12.1979 Hermann, Georg: Palastrevolution in der Scientology-Kirche - Die Kinder haben die Macht ergriffen; Die Weltwoche, 11.5.1983 Herzog, W e r n e r Spanien: Neue Dispute um Opus Dei entbrannt; TA. 21.11.1979 Heusser, Peter »Die Transzendentale Meditation kann krank machen«; LNN, 16.8.1978 Höpli. Gottlieb F.: Das Wirken des O p u s Dei in Zürich; Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 13./14.1.1979 Hörler, Elisabeth: Die Bibel in der Chefetage; Bilanz, Nr. 8/1980 Jachertz, Norbert: Der Multi im Meditationsgeschäft; Sonderdruck aus Medizin heute, Köln 1980 Kägi, Ulrich: Das katholische Opus Dei schreckt viele Katholiken; Die Weltwochc. Nr. 35/1983 ders. Unter ungeheurem Zwang: Die Weltwoche, Nr. 36/1983 Kästli, Tobias: Gespräch mit Kurt Marti - Drogen. Bhagwan und Scientology sind keine Alternative; Zytglogge Zytig, Nr. 62/1982 K a u f m a n n , Ludwig: Weltbistum O p u s Dei? Orientierung, Nr. 22/1979 Kortina, Liv: Der Christ und die Export-Gurus Indiens; Vaterland, 31.7.1982 Krieger, R e i n e r Die Scientologen verschleiern die Information: LNN, 20.6.1979 ders. Scientology: Eine gefährliche »Jugendsekte«; Luzerner Landbote, 16.5.1980 Kuner, Wolfgang: Jugendsekten: Ein Sammelbecken für Verrückte?; Psychologie heute, Sept. 1981 Lang, H e r m a n n : Zur Frage der Attraktivität und Pathogenität von Jugendsekten; Der Nervenarzt, Nr. 51/1981 Methwin, Eugene H.: Die erschreckenden Praktiken der Scientology-Kirche; Das Beste. Sept. 1981 Mrcschar, Renate I.: Jugendsekten: Ursache auch bei den Eltern?; LNN, 16.9.1983 Neue Zürcher Zeitung (NZZ): Christliche Verkündigung auf neuen Wegen; 28.4.1953 NZZ: Der Jogi und sein Physiker; 9./10.4.1977 NZZ: »Einfach leben - anspruchsvoll denken« - Die Internationale Gesellschaft für Krischna-Bewusstsein; 8./9.8.1981 NZZ: Ein »Opus-Dei-Tagungszentrum« im Kanton Luzern?; 5.2.1980 NZZ: Scientology - Die Wissenschaft des Überlebens: 27.7.1981 NZZ: Sun Myung Moon - der »neue Messias«; 31.7.1981 Nyander. Svante: Socialstyrelsen fick bakläxa; Dagens Nyheter. 5.6.1981 Prisi, Jürg: Irreführende Fassaden - Die Scientology-Kirche versucht, die Bedingungen für geistig Kranke zu verbessern: SZP-Info (Schweiz. Zentralstelle für praktische Psychiatrie). 31.8.1981 Reber, Andreas: Wenn Religion zum Geschäft wird - Scientology-Kirche Bern sucht Arbeiter; Berner Tagwacht, 5.7.1981
Remmel, Edeltraut: Der Maharishi Mahesh Jogi von Seelisberg und sein »Zeitalter der Erleuchtung«; Berner Tagwacht, 20.12.1980 Roland, Heinz: G a n z Seelisberg aufkaufen; Bilanz. Nr. 4/1981 Rumler, Fritz: U n d morgen die ganze Welt? Der Spiegel, Nr. 41/1981 Schaller. Fritz P.: Die Jünger Hubbards drängen in die Schweizer Schulen; LNN, 14.5.1983 ders. Kirche: Zeichen von Zerfall; Die Woche, 24.12.1981 Schultz, Hansjörg N.: Kaputt durch Scientology; Die Zeit, 30.11.1979 Sonderegger, Alfons: Christus-Fest-Wochen: »Das Problem aller Probleme ist die Sünde«; TA, 23.4.1983 Sprecher, Margrit: Rette sich, wer kann; Weltwoche-Magazin, Nr. 31/1983 Stamm. Hugo: Die T a r n m e t h o d e n von ZIEL; TA. 12.2.1983 ders. Erfahrungen mit der Scientology-Kirche: Den seelischen Würgegriff auch noch teuer bezahlt; TA, 9.7.1982 ders. Krishna-Guru: »Von Angesicht zu Angesicht mit Gott«; TA, 30.12.1981 ders. Scientology steckt weltweit in einer Krise; TA, 9.11.1983 ders. Sektenexperte wegen Ehrverletzung und Beschimpfung vor Gericht - KrishnaMönche klagten; TA 18.3.1982 Stamm, Hugo und Denise Marquard: Seefeldstrasse 94 - Poona in Zürich; TA, 17.8.1981 Stampfli, Franz: Die katholische Kirche Zürichs 1979; Neue Zürcher Nachrichten, 29.12.1979 Stosstrupp Gottes oder Heilige Mafia? Der unaufhaltsame Aufstieg des O p u s Dei; Der Spiegel, Nr. 36/1983 The Guardian: Founder gave 13 Million Dollars to Scientology: 7.8.1968 Time: Mystery of the Vanished R u l e r - The Fate of L. Ron Hubbard underlies Scientology's Turmoil; 31.1.1983 Tribüne le Matin: Un groupe suisse veut demasquer les sectes; 11.2.1983 Tschupp, Hanspeter: Präzisionstechnologie des Lehrens und Lernens; Schweizerische Lchrerzeitung, 27.4.1978 Vaterland: »Opus Dei« kann Tagungszentrum nicht bauen; 3.3.1980 Vogel, Artur K: Ein Zentrum des Opus Dei in Schongau?; TA 28.1.1980 ders. Zu passivem Widerstand gegen das Fernsehen aufgerufen; TA, 5.11.1979 Wespe, Rolf: Für »verlorene« Söhne und »verlassene« Eltern; TA, 18.3.1982 Widmer, Sigmund: Ungewöhnliche Festwochen; Züri Woche, 21.1.1983 Wiedergut, Lotte: Bei Hare Krishna wird Zuneigung zu den Eltern in Hass umfunktioniert; TA 12.1.1983 Wunderli, Jürg: Die andere Seite der Transzendentalen Meditation; Schweizerische Ärztezeitung, Nr. 42/1978 Wüthrich, Andy: Jesus erobert Basel; TAM, 22.1.1983 Wüthrich, Beat: Kniefall vor dem Rolls-Royce; Weltwoche, 15.9.1983 Zimmermann, Kurt; Offensive für den Herrn; Schweizer Illustrierte, 25.4.1983
Was steckt hinter Gruppen wie den Bhagwan-Anhängern, der Transzendentalen Meditation, der Scientology Church des Ron Hubbard, den verschiedenen Evangelisten-Gruppierungen, dem erzkatholischen Opus Dei oder bei den Herren und Frauen von Schönstatt? Rosmarie Gerber und Artur K. Vogel untersuchten die Machtstrukturen innerhalb dieser Gemeinschaften, die Mechanismen der Werbung neuer Mitglieder bis zur lückenlosen Kontrolle durch die Führung. Sie forschten nach den Ursachen und nach den finanziellen Quellen dieser Gruppierungen. Und sie stellen die Frage, welche Bedürfnisse diese religiösen Organisationen zufriedenstellen und warum sich junge Menschen von diesen Gruppierungen vereinnahmen lassen.
Rosmarie Gerber, geb. 1953 in Luzern, arbeitet seit sechs Jahren als Journalistin. Nach zwei Jahren als Redaktorin beim «Schweizerischen Beobachter» ist sie gegenwärtig als freie Wirtschaftsjournalistin im Zürcher Pressebüro «Index» tätig. Artur K. Vogel, geb. 1953 in Luzern, Studium der Rechtswissenschaft in Zürich, danach mehrere ausgedehnte Reisen durch Nordamerika und Afrika, seit 1978 Redaktor am Zürcher « Tages- Anzeiger ».