Droit local: Deutsches Recht in Frankreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozessrecht [1 ed.] 9783428588855, 9783428188857

Die französisch-deutsche Grenzregion war stets eine hybride Region, die als ein Laboratorium für die Erprobung neuer Mod

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Droit local: Deutsches Recht in Frankreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozessrecht [1 ed.]
 9783428588855, 9783428188857

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Schriften zur Rechtsgeschichte Band 213

Droit local Deutsches Recht in Frankreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozessrecht

Von

Martin Löhnig

Duncker & Humblot · Berlin

MARTIN LÖHNIG

Droit local

Schriften zur Rechtsgeschichte Band 213

Droit local Deutsches Recht in Frankreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozessrecht

Von

Martin Löhnig

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-18885-7 (Print) ISBN 978-3-428-58885-7 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die französisch-deutsche Grenzregion war, unabhängig davon, wo die Grenze gerade verlief, stets eine hybride Region, in der rechtskultureller Austausch und Rechtspluralität herrschten und die als ein Laboratorium für die Erprobung neuer Modelle diente. Napoleon hatte cinq codes im Gepäck, als er ostwärts zog, die auch nach seiner Niederlage als Badisches oder Rheinisches Recht in mehreren Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes ganz oder teilweise fortgalten, weil sich erheblicher Widerstand gegen ihre Beseitigung erhoben hatte. Ihr Einfluss auf die Rechtsentwicklung in diesen Staaten wie in Deutschland insgesamt kann kaum überschätzt werden. Umgekehrt wurde die Auseinandersetzung der deutschen Zivilrechtswissenschaft mit dem Code Civil in Frankreich rezipiert. Über das französische Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozessrecht im Deutschland des 19. Jahrhunderts sind wir, ausgehend von der Monographie Werner Schuberts, inzwischen gut informiert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand eine ganz ähnliche Situation: Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 hatte Deutschland einige ostfranzösische Departements annektiert und zum „Reichsland Elsaß-Lothringen“ gemacht. Bis 1918 wurde dort in vielen Bereichen deutsches Recht eingeführt, insbesondere die im Zuge der inneren Reichseinigung entstandenen fünf deutschen Gesetzbücher. Sie galten auch nach der deutschen Niederlage 1918 und dem Rückfall der Departements an Frankreich zunächst vollständig und später teilweise fort, weil sich erheblicher Widerstand gegen die Beseitigung zahlreicher Rechtsinstitute erhoben hatte. Ihre Beibehaltung sollte einen Anstoß zu Reformen des gesamtfranzösischen Rechts geben. Einige Elemente der Rechtsordnung des „Reichslandes“ finden sich bis heute im droit local alsacien-mosellan; andere Regelungen sind von der französischen Gesamtrechtsordnung rezipiert worden. Über dieses deutsche Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozessrecht im Frankreich des 20. Jahrhunderts handelt vorliegende Monographie. Sie kann gleichsam als ein Supplement zum Werk Schuberts und den anschließend entstandenen zahlreichen Untersuchungen zum französischen Recht im Deutschland des 19. Jahrhunderts gelesen werden. Die vorliegende Darstellung steht auf den Schultern zahlreicher thematisch abgegrenzter Einzeluntersuchungen zur Entwicklung verschiedener Rechtsbereiche und Rechtsinstitute im 19./20. Jahrhundert in Frankreich und Deutschland, ohne die die Entwicklung des droit local nicht dargestellt werden hätte können. Umgekehrt ist es auch nicht das Anliegen dieses Buches, die Entwicklung dieser Rechtsinstitute im französischen und deutschen Recht und die zugehörige Literatur auch nur annähernd vollständig und auch bis in die Gegenwart reichend darzustellen; vielmehr sollen

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Vorwort

allein die aufgrund der besonderen Situation Elsaß-Lothringens erfolgten Wechselwirkungen und Überlagerungen dargestellt werden. Dankbar bin ich der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG), die mein Projekt zur „Rechtsgeschichte des Reichslandes Elsaß-Lothringen“ großzügig gefördert hat. Die Mitarbeiter:innen von Archiven, insbesondere des Bundesarchives Berlin, und Bibliotheken, insbesondere der Bayerischen Staatsbibliothek und der Universitätsbibliothek Regensburg, haben durch ihre große Hilfsbereitschaft die Durchführung des Projekts überhaupt erst ermöglicht. Nicht zuletzt haben mich die Mitarbeiter:innen meines Lehrstuhls, insbesondere Miriam Bonnenberg und Eray Gündüz, die das Manuskript betreut haben, auch unter erschwerten Coronaumständen bei der wissenschaftlichen Arbeit stets hervorragend unterstützt. Auch dafür bin ich sehr dankbar. Regensburg, im Dezember 2022

Martin Löhnig

Inhaltsverzeichnis A. Zur Entstehung des droit local alsacien-mosellan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I.

Fortgeltung französischen Rechts nach 1870/71 in den Departements HautRhin, Bas-Rhin und Moselle als Teil des Deutschen Reiches („Reichsland Elsaß-Lothringen“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II.

Deutsche Gesetzgebungstätigkeit im Reichsland Elsaß-Lothringen . . . . . . . . . . 10 1. Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

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2. Einführung von Provinzialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3. Einführung deutschen Reichsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 III. Folgen der „Desannexion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1. Vorübergehende Fortgeltung deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Wiedereinführung französischen Rechts und Entstehung eines dauerhaften droit local . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 I. Grundbuchrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 II.

Güterrechtsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

III. Vormundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 IV. Sondererbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 V.

Erbschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

VI. Testamentsvollstreckerzeugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 VII. Versicherungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 C. Handelsrechtliche Regelungen des droit local . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 I. Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 II.

Prokura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

III. Gesellschaft mit beschränkter Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 D. Gerichtsverfassungsrechtliche und zivilprozessuale Regelungen des droit local 84 I. Handelsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 II.

Zivilverfahren (Streitiges Erkenntnisverfahren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

III. Immobiliarzwangsvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 IV. Teilungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

A. Zur Entstehung des droit local alsacien-mosellan Mit dem Begriff droit local alsacien-mosellan werden heute unterschiedlichste Rechtsnormen bezeichnet, die in den französischen Departements Haut-Rhin, BasRhin und Moselle gelten, insgesamt etwa fünf Prozent des gesamten in den drei Departements geltenden Rechts.1 Bereits 1920 hatte René Morel in einer Vorlesung an der Universität Nancy den Topos geprägt, indem er für diese nach dem Ersten Weltkrieg von Frankreich zurückgewonnen Gebiete die Geltung eines „droit local“ konstatierte.2 Es handelt sich um Normen aus den unterschiedlichsten Rechtsgebieten, etwa dem Religionsverfassungsrecht, dem Sozialversicherungsrecht, dem Arbeitsrecht, dem Handelsrecht, dem Erbrecht, dem Grundbuchrecht oder dem Zivilverfahrensrecht, um nur einige zu nennen. Die drei Departements verfügen nicht über die Befugnis, diese Rechtsnormen zu verändern; hierzu ist allein das französische Parlament befugt.3 Es handelt es sich also nicht um „Landesrecht“ nach deutschem Verständnis, sondern um französisches Recht, das jedoch nur in einem Teil des Landes gilt.

I. Fortgeltung französischen Rechts nach 1870/71 in den Departements Haut-Rhin, Bas-Rhin und Moselle als Teil des Deutschen Reiches („Reichsland Elsaß-Lothringen“) Die Entstehung des droit local hat ihre Ursache darin, dass die genannten Departements zwischen 1870/714 und 1918/195 als Reichsland Elsaß-Lothringen Teil 1

Sander, Guide du droit local, S. 6. Morel, Leçon d’introduction, S. 173. 3 Woehrling, Le droit local, S. 9. 4 Der zwischen der Französischen Republik und dem Deutschen Reich geschlossene Friede von Frankfurt vom 10. Mai 1871 (Friedens-Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich, RGBl. 1871, S. 223 ff.) beendete formell den Deutsch-Französischen Krieg. Er ergänzte und bestätigte den Vorfrieden von Versailles vom 26. Februar 1871 (Friedens-Präliminarien zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich, RGBl. 1871, S. 215 ff.), in dessen Art. 1 Abs. 1 Frankreich zugunsten des Deutschen Reichs „auf alle seine Rechte und Ansprüche auf diejenigen Gebiete, welche östlich von der nachstehend verzeichneten Grenze belegen sind“, verzichtete. Dabei handelte es sich um weite Teile der Départements HautRhin, Bas-Rhin und Moselle sowie zwei Arrondissements des Départements Meurthe. 2

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A. Zur Entstehung des droit local alsacien-mosellan

des deutschen Kaiserreichs waren.6 Nach der Annexion der Departements durch das Kaiserreich galt zunächst das französische Recht unverändert fort, insbesondere die zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstandenen cinq codes, also Code civil (1804), Code de procédure civile (1806), Code de commerce (1807), Code d’instruction criminelle (1808) und Code pénal (1810). Gleichzeitig wurde das fortgeltende Recht auf diesem Stand eingefroren, denn es nahm nicht mehr an der Weiterentwicklung des französischen Rechts durch den französischen Gesetzgeber teil. Diese Fortgeltung entsprach dem föderalen Charakter des neugegründeten Reiches, dessen innerer Ausbau durch (unter anderem) Schaffung einer einheitlichen Rechtsordnung in wichtigen Bereichen noch zu leisten war, genauso wie der von den Notablenversammlungen des neuen Reichslandes geäußerten Erwartung.7 Das Reichsland Elsaß-Lothringen war nicht das einzige Gebiet des Deutschen Reiches, in dem französisches Recht galt. Die französisch-deutsche Grenzregion8 war (und ist) vielmehr eine hybride Region, gekennzeichnet nicht nur durch Mehrsprachigkeit, Polykonfessionalität sowie multiple Loyalitäten und Identitäten,9 sondern auch durch rechtskulturellen Austausch und Rechtspluralität, unabhängig davon, wo Staatgrenzen jeweils verliefen. Nach 1815 galt französisches Recht in Baden (Badisches Landrecht) sowie in den Rheinprovinzen Preußens, in der bayerischen Rheinpfalz und in Rheinhessen (Rheinisches Recht) über Jahrzehnte hinweg bis zum 31. Dezember 1899 fort,10 während umgekehrt die deutsche Zivilrechtswissenschaft in Frankreich breit rezipiert wurde.11

II. Deutsche Gesetzgebungstätigkeit im Reichsland Elsaß-Lothringen 1. Gesetzgebungsverfahren Eine Veränderung des im Reichsland geltenden Rechts konnte seit 1871 nur durch deutsche Gesetzgebungstätigkeit erfolgen. Die Staatsgewalt über das Reichsland 5 Art. 51 Frieden von Versailles vom 28. Juni 1919 (Friedensvertrag zwischen Deutschland und den alliierten und assoziierten Mächten, RGBl. 1919, S. 687 ff.). 6 „Produit de l’histoire mouvementée des départements de la Moselle, du Bas-Rhin et du Haut-Rhin, le droit local alsacien-mosellan s’est construit par strates successives depuis 1870 et la création du Reichsland Elsass-Lothringen“, Sander, Guide du droit local, S. 5. 7 Carrol, The Return, S. 5. 8 Vgl. hierzu insgesamt Demangeon/Febvre, Le Rhin. 9 Conrad/Osterhammel, Das Kaiserreich transnational, S. 8. 10 Vgl. nur Schubert, Die deutsche Gerichtsverfassung; Schulze (Hrsg.), Französisches Zivilrecht; Schulze/Schulte-Nölke, Rheinisches Recht; Kleinbreuer, Das Rheinische Strafgesetzbuch; Seynsche, Rheinischer Revisionshof; Schubert/Schmoeckel (Hrsg.), 200 Jahre Code Civil; Geyer, Den Code civil „richtiger“ auslegen; Peters, Der „germanische“ Code. 11 Dazu Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, S. 187 ff.

II. Deutsche Gesetzgebungstätigkeit im Reichsland Elsaß-Lothringen

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Elsaß-Lothringen lag beim Reich; anders als in den Bundesstaaten – Elsaß-Lothringen war kein Bundesstaat – existierte also keine elsaß-lothringische Staatsgewalt, sondern ausschließlich die vom Kaiser ausgeübte Reichsgewalt auf dem annektierten Gebiet. Die Reichsverfassung galt zunächst nicht. Der Kaiser war nach § 3 des Vereinigungsgesetzes vom 9. Juni 187112 bei der Gesetzgebung allein an die Zustimmung des Bundesrats gebunden. Am Gesetzgebungsverfahren waren also weder Organe des Reichslandes selbst noch der Reichstag beteiligt, dem lediglich jährlich Mitteilung über den Stand der Gesetzgebung zu machen war. Die bereits seit 1870 bestehende Militärverwaltung wurde zum 9. Juni 1871 also durch eine Zivildiktatur des Kaisers abgelöst; ein Blick auf die einige Jahre später von diesem Vorbild inspirierten Regelungen des Schutzgebietsgesetzes13 zu den deutschen Kolonien bestätigen das eindrücklich: Das Reichsland startete als Kolonie. Mit dem Inkrafttreten der Reichsverfassung14 in Elsaß-Lothringen zum 1. Januar 1874 endete die Zivildiktatur im Reichsland und es galt die normale verfassungsrechtliche Ordnung, ohne dass Elsaß-Lothringen jedoch dadurch zu einem Bundesstaat geworden wäre.15 Deshalb bestand die Besonderheit, dass die von der Verfassung vorausgesetzten landesgesetzgeberischen Befugnisse des folglich nicht vorhandenen Landtages vom Reichstag übernommen wurden, wo seit den Wahlen 1874 auch Abgeordnete aus dem Reichsland vertreten waren. Zudem wurde durch kaiserliche Verordnung vom 29. Oktober 187416 ein sogenannter Landesausschuss geschaffen, der allerdings nur beratende Funktion bei der Landesgesetzgebung hatte – er musste also faktisches Gewicht entwickeln. Durch Gesetz vom 2. Mai 187717 wurde der Ausschuss aufgewertet und erhielt konstitutive Mitwirkungsrechte18 bei der Gesetzgebung (§ 1): Landesgesetze konnten vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrats erlassen werden, wenn der Landesausschuss (und nicht der Reichstag) zugestimmt hatte. Der Ausschuss hatte damit parlamentsartige Funktion, ohne Landtag zu sein, auch wenn er sich bis 1911 immer weiter in Richtung eines Landtages entwickelte.19 So konnte der Ausschuss zwar im Wege der Reichsgesetzgebung beiseite geschoben werden (§ 2), die Gesetzgebung nach § 1 etablierte

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Gesetz, betreffend die Vereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem Deutschen Reich vom 9. Juni 1871, SIgEL Nr. 22. 13 Gesetz, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, RGBl. 1886, S. 75 ff. 14 Gesetz, betreffend die Einführung der Verfassung des Deutschen Reichs in Elsaß-Lothringen vom 25. Juni 1873, SIgEL Nr. 236. 15 Zur verfassungsrechtlichen Entwicklung vgl. insgesamt eingehend Preibusch, Verfassungsentwicklungen. 16 Verordnung, betreffend die Einrichtung eines berathenden Landesausschusses für ElsaßLothringen, SIgEL Nr. 364. 17 Gesetz, betreffend die Landesgesetzgebung von Elsaß-Lothringen, SIgEL Nr. 674. 18 Vgl. Fischbach, Reichsland Elsaß-Lothringen, S. 10. 19 Vgl. Zorn, Deutsche Reichsverfassung, S. 99.

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A. Zur Entstehung des droit local alsacien-mosellan

sich aber als Standardmodell.20 Im Zuge der Neuordnung der Verwaltung des Reichslandes durch Gesetz vom 4. Juli 187921 (Statthalterverfassung) erhielt der Landesausschuss außerdem innerhalb des von der Reichsverfassung vorgesehenen Bereichs der Landesgesetzgebung das Gesetzesinitiativrecht (§ 21). Ein „neues Stadium“22 auf der Verfassungsebene brachte die erst 1911 in Kraft tretende Verfassung.23 Auch sie machte jedoch – was die Erwartungen der Bevölkerung massiv enttäuschte24 – das Reichsland nicht zu einem Bundesstaat,25 sondern regelte in § 1 weiterhin, dass die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen vom Kaiser ausgeübt wird; die Verfassung konnte folgerichtig auch nur durch den Reichsgesetzgeber, nicht durch einen elsaß-lothringischen Landesgesetzgeber geändert werden. Landesgesetze für Elsaß-Lothringen wurden vom Kaiser mit Zustimmung des neuen, aus zwei Kammern bestehenden Landtags erlassen (§ 5 der Verfassung). Dieser Landtag stellte jedoch „kein Organ eines [nicht existierenden] Staates EL […], sondern ein Staatsorgan des Reichs für die Provinz Elsaß-Lothringen dar“.26 Daher waren alle Gesetze, die nach § 5 ergingen, weiterhin keine Landesgesetze, sondern Provinzialreichsgesetze,27 also Reichsgesetze, die nur in einem bestimmten Teilgebiet des Reiches galten. 2. Einführung von Provinzialrecht Gerade in den Jahren vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind im Bereich des Zivilrechts verschiedene Gesetze ergangen, die Teile des Code Civil aufgehoben und diese Bereiche neu geregelt haben. Dadurch wurden zum einen vielfach anerkannte Reformpostulate des französischen Diskurses erfüllt, zum anderen aber auch die Rechtsangleichung im Deutschen Reich vorbereitet. Beispiele sind etwa das Grundbuch-, Vormundschafts- oder Erbscheinsrecht.28 Diese Gesetze beruhen vielfach auf preußischen Vorbildern, denn in Preußen galt neben dem Allgemeinen Landrecht, weiteren Partikularrechten und gemeinem Recht auch französisches Zivilrecht (Rheinisches Recht) und Preußen war bestrebt, das Rheinische Recht zu reformieren und für Rechtsvereinheitlichung in Preußen zu sorgen. Die Gesetzentwürfe wurden im Reichsjustizministerium in Berlin vorbereitet, anschließend in den Landesausschuss eingebracht, der durchaus in Lage war, Ver20

Ebd. Gesetz, betreffend die Verfassung und Verwaltung von Elsaß-Lothringen, SIgEL Nr. 865. 22 Nelte, Das neue Verfassungsgesetz, S. 45. 23 Gesetz über die Verfassung Elsaß-Lothringens, SIgEL Nr. 5624. 24 Wehler, Krisenherde, S. 46 ff. 25 Dazu Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte, Rn. 2148 ff. 26 Meyer/Anschütz, Staatsrecht, S. 552. 27 Fischbach, Reichsland Elsaß-Lothringen, S. 135 f. 28 Vgl. dazu die Abschnitte B. I., B. III., B. V. in diesem Buch. 21

II. Deutsche Gesetzgebungstätigkeit im Reichsland Elsaß-Lothringen

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änderungen zu erreichen und zum Teil Entwürfe auch komplett abgelehnt hat, und bedurften zuletzt auch der Zustimmung des Bundesrates. Vor Einbringung in den Landesausschuss holte das Ministerium jeweils eine Stellungnahme des Reichsjustizamtes ein, die jedoch in aller Regel kurz und zustimmend war, vermutlich, weil die Vorschläge vielfach dem preußischen Muster folgten.29 Diese elsaß-lothringischen Gesetze zur Modernisierung französischen Zivilrechts sind deshalb von großer Bedeutung, weil sie auf die französische Rechtslage abgestimmt waren und daher, nachdem 1924 wieder französisches Zivilrecht in Ostfrankreich in Kraft getreten war, den Kern des droit local bildeten. 3. Einführung deutschen Reichsrechts Soweit bereits nationales Einheitsrecht existierte, wurde dieses zügig auch im Reichsland Elsaß-Lothringen eingeführt. Das gilt zuvorderst für das materielle Strafrecht in Form des Reichsstrafgesetzbuches,30 in Kraft gesetzt zum 1. Oktober 1871, während französisches Nebenstrafrecht in weiten Teilen fort galt. Art. 2 Abs. 2 des Einführungsgesetzes für das Reichsland nennt hier Regelungen „namentlich über strafbare Verletzungen der Preßpolizei-, Post-, Steuer-, Zoll-, Fischerei-, Jagd-, Forst- und Feldpolizei-Gesetze, über den Mißbrauch des Vereins- und Versammlungsrechts, über den Holz-(Forst-)Diebstahl und über Schulversäumnisse“. Gerade das Strafrecht, das zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Repression genutzt werden kann, ist oftmals das erste gesetzgeberische Spielfeld nach der Eroberung eines Gebietes. Es folgten jedoch alsbald auch die Allgemeine Deutsche Wechselordnung und das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch,31 die ab 1. Oktober 1872 in Elsaß-Lothringen galten. In Kraft blieben lediglich der fünfte Titel des französischen Gesetzes über die Gesellschaften vom 24. Juli 1867 (des Tontines et des Sociétés d’Assurances) und der zweite Titel des Kaiserlichen Dekrets vom 22. Januar 1868, betreffend die Versicherungsgesellschaften (§ 1 Abs. 3 des Einführungsgesetzes). Ein Gesetz vom 12. Juli 1872 erweiterte den Anwendungsbereich des Reichsgesetzes vom 4. Juli 1868 über Genossenschaften mit Wirkung ab dem 1. Oktober 1872 auf Elsaß-Lothringen. In der Folgezeit traten sukzessive die zur Rechtsvereinheitlichung im Deutschen Reich32 geschaffenen Gesetzbücher in Kraft, das Personenstandsgesetz (1875), die 29

Überliefert in den Akten BA Berlin-Lichterfelde R 3001/1551 ff. Gesetz, betreffend die Einführung des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich in Elsaß-Lothringen vom 30. August 1871, SIgEL Nr. 37. 31 Gesetz, betreffend die Einführung der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung und des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs in Elsaß-Lothringen von 19. Juni 1872, SIgEL Nr. 121. 32 Das Gesetz vom 16. April 1871 über die Verfassung des Deutschen Reiches übernahm die Bestimmung der Verfassung von 1848, die dem Reich die ausschließliche Zuständigkeit für alle Gesetze im Bereich des Vertrags-, Straf- und Handelsrechts sowie der Gerichtsorganisation zuweist (Art. 4 Nr. 13). Diese Bestimmung wurde durch das Gesetz vom 20. De30

14

A. Zur Entstehung des droit local alsacien-mosellan

Reichsjustizgesetze (1877/79), das Bürgerliche Gesetzbuch, das adaptierte Handelsgesetzbuch, das FGG, das ZVG und die GBO (1896/1900) oder das Versicherungsvertragsgesetz (1908), um nur die wichtigsten zu nennen. Die Rechtsreform als eines der wichtigen Instrumente der zweifelsohne betriebenen „Germanisierung“ des Reichslandes zu beschreiben,33 dürfte allerdings fehlgehen, denn es ging um den inneren Ausbau des Reiches insgesamt, in dem bislang eine ganz erhebliche Uneinheitlichkeit des Rechts bestanden hatte. Nicht nur das Reichsland verlor hierdurch sein bisher geltendes Recht, sondern es traten – gerade im Bereich des Zivilrechts – zum 1. Januar 1900 unzählige Partikularrechte zugunsten des Bürgerlichen Gesetzbuchs außer Kraft; zutreffender könnte man von einer fortschreitenden Borussifizierung des Reiches sprechen, die in den süddeutschen Bundesstaaten ebenso spürbar wurde wie im Reichsland Elsaß-Lothringen. Ab dem Inkrafttreten der Reichsverfassung im Reichsland zum 1. Januar 1874 trat also schlicht Reichsrecht auch im Reichsland in Kraft – wobei verschiedene Ausnahmen durch Einführungsoder Ausführungsgesetze für Elsaß-Lothringen geregelt wurden. Allerdings erfolgte, wie Sander34 betont, insbesondere die Veränderung des Bürgerlichen Rechts nicht schockartig zum 1. Januar 1900. Das fortgeltende französische Zivilrecht war vielmehr über dreißig Jahre hinweg durch zahlreiche Einzelgesetzgebungen Stück für Stück verändert worden. Oftmals dienten hierfür, wie erwähnt, preußische Gesetze als Vorbild, die etwa im Bereich des Erbscheins, der Vormundschaft oder des Grundbuchs für Preußen eine Rechtsvereinheitlichung und -modernisierung angesichts der dort geltenden verschiedenen Rechtsmassen erreicht und dabei stets auch die Abstimmung mit dem im Rheinland geltenden französischen Recht gesucht hatten. Nicht zuletzt hat der Landesausschuss durch das Gesetz vom 17. April 1899 über die Anwendung des Bürgerlichen Gesetzbuchs im Reichsland35 das Entstehen von Friktionen verhindert.

zember 1873 geändert, in dem festgelegt wurde, dass über das Vertragsrecht hinaus das gesamte Zivilrecht in die Gesetzgebungskompetenz des Reichs und nicht der Bundesstaaten fiel. 33 Zuletzt etwa Igersheim, L’Alsace politique 1870 – 1914, S. 111; Rhinn, La formalisation, S. 115 oder auch S. 100: Ausbildung der Juristen an der Universität Straßburg im Hinblick auf eine „germanisation totale“, was die innovative Funktion dieser Universität ebenso verkennt wie die damals noch führende Rolle der deutschen Rechtswissenschaft. 34 „À l’analyse, la mise en application du Code civil allemand n’a pas généré de bouleversements dans la société locale pour trois raisons. Tout d’abord, le Code Napoléon s’est acclimaté par strates législatives successives au droit allemand grâce aux réformes ambitieuses opérées de 1871 à 1900. Ensuite, les Codes civils français et allemand disposent d’un fond commun […]. Enfin, soucieux de tenir compte des spécificités juridiques et des traditions judiciaires locales, le Landesausschuss a adopté la loi du 17 avril 1899 relative à l’application du Code civil allemand en Alsace-Moselle dont les dispositions intègrent harmonieusement les règles locales […].“, Sander, Le droit local, S. 121 f. 35 Gesetz, betreffend die Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuches in Elsaß-Lothringen, SIgEL Nr. 3991.

III. Folgen der „Desannexion“

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III. Folgen der „Desannexion“ Als die Departements 1918/19 an Frankreich zurückfielen, galt dort eine ganz eigene, hybride Rechtsordnung, die sich aus deutschem Reichsrecht, reichsländischem Recht sowie noch immer fortgeltendem französisches Recht (das überdies zum Teil in Frankreich selbst bereits außer Kraft getreten oder novelliert worden war) zusammensetzte. Die Geschichtswissenschaft spricht teilweise recht pauschal und abwertend von einer „kuriosen deutsch-französischen Mischung aus Vorgaben und Gesetzen“,36 was einem einseitig national grundierten Blick auf das Recht geschuldet sein dürfte. Dass die teilweise diagnostizierte „Rechtsgermanisierung“ jedenfalls auch Rechtsmodernisierung war, zeigt der Kampf der Bevölkerung um die Beibehaltung verschiedener in der Zeit des Reichslandes eingeführter Regelungen. Man mag diesen Vorgang in Anlehnung an den „Kampf um das Rheinische Recht“ nach 1815 als „Kampf um das droit local“ titulieren. Er betraf zum einen altes französisches Recht, nämlich Regelungen, die die religiösen Bindungen der Bevölkerung betrafen – die Loi de séparation des Églises et de l’État vom 9. Dezember 190537 galt im Reichsland nicht, sodass die mit dem französischen Konkordat von 1801 begründete Ordnung weiterhin galt (und bis heute in den drei ostfranzösischen Departements gilt). Zum anderen betraf dieser Kampf aber auch zahlreiche weitere, vom deutschen Gesetzgeber geschaffene Elemente der reichsländischen Rechtsordnung, die als „moderne, socialement et techniquement très élaboré, adapté aux besoins de l’époque“38 empfunden wurde: „Alsace-Lorraine thus returned to France after World War I with a body of private law much more modern than that of France.“39 Das rheinländische Bürgertum dürfte hundert Jahre zuvor nicht wesentlich anders über das mit Hilfe von Napoléons Armeen etablierte französische Recht gedacht haben. Hinzukommt, dass viele Bewohner des Reichslandes dieses aus französischer Perspektive „fremde“ Recht inzwischen längst als „ihr“ Recht angesehen haben dürften, schon weil sie nach den Jahrzehnten der Annexionszeit kein anderes Recht kannten. 1. Vorübergehende Fortgeltung deutschen Rechts Die Geltung eines Partikularrechts passt freilich nicht zum Modell eines zentralistisch strukturierten Staates mit einer einheitlichen Rechtsordnung, wie es Frankreich war, genausowenig zum Stolz des Siegers, so dass verbreitet die Erwartung bestand, über kurz oder lang werde in den zurückgewonnenen Departements ganz selbstverständlich wieder das gleiche Recht gelten wie im Rest Frankreichs,

36

König/Julien, Deutsch-Französische Geschichte, S. 72. JORF du 11 décembre 1905. 38 Ganghofer, Droit local, in: Dictionnaire de la culture juridique, S. 504. 39 Glenn, The Local Law of Alsace-Lorraine, S. 769, 770. 37

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A. Zur Entstehung des droit local alsacien-mosellan

auch wenn durch Präsidentendekret vom 6. Dezember 191840 freilich zunächst die Fortgeltung des bestehenden Rechtszustandes angeordnet worden war (Art. 1 Abs. 1: „Dans les territoires d’Alsace et de Lorraine, les lois civiles et pénales antérieurement en vigueur continueront d’être observées la période d’occupation. Les jurisdictions qui y existaient fonctionneront dans les limites de leur compétence et siuvant les règles de procédure qui leur sont propres, sous réserve des exceptions et modalités ci-après, commandées par les circonstances“). Dass das bunte Rechtsgemisch eine eigene Rechtskultur erzeugt und längst Wurzeln geschlagen hatte, bemerkten die französischen Sieger allerdings recht schnell und versprachen, die Institutionen, Traditionen und religiösen Gefühle zu respektieren.41 Bereits 1919, während der Amtszeit des commissaire général de la République à Strasbourg, Alexandre Millerand42 (der 1920 zunächst französischer Ministerpräsident und alsbald französischer Präsident wurde), entschied man, dass die französische Gesetzgebung in den drei Departements nicht sofort und auch nicht im Ganzen wieder eingeführt werden sollte. Millerand wollte Auseinandersetzungen, wie sie vor allem im Bereich der Religions- und Schulgesetzgebung drohten, vermeiden und verfolgte außerdem das Ziel der wechselseitigen Durchdringung beider Rechtsordnungen, um zu einer Verbesserung des geltenden französischen Rechts insgesamt zu gelangen.43 Denselben Standpunkt vertrat auch die Revue Juridique d’Alsace et de Lorraine in ihrem Geleitwort: „il est juste d’admettre que dans la législation locale, édictée à une époque presque immédiatement contemporaine, maintes institutions ne devront pas disparaître, mais bien au contraire s’étendre à l’ancienne France pour le plus grand profit de la législation nationale.“44 Am 29. Juli 1919 legte die Regierung der Kammer den Entwurf einer Übergangsregelung vor.45 Mit Ausnahme der französischen Verfassungs- und Wahlgesetze sollten die geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften fortgelten, bis die Einführung der französischen Gesetze vollzogen war. Es bleibt zu ergänzen, dass dies – wie schon 1871 – nicht für das Strafrecht galt. Durch ein Dekret vom 25. November 1919 wurden die französischen Strafgesetze und das französische Strafverfahren in den zurückgewonnenen Departements in Kraft gesetzt, wobei wiederum das Nebenstrafrecht des droit local beibehalten wurde. Das Übergangsgesetz vom 17. Oktober 191946 stellt ein Programm auf, das mit dem Programm der deutschen Regierung nach 1871 vergleichbar ist: Eine langsame 40 JORF du 7 décembre 1918, S. 10545: Décret relatif à l’organisation provisoire de la justice en Alsace et en Lorraine = BOAL 1918/19, S. 17 ff. 41 Eingehend Béhé, Heures inoubliables, etwa S. 3 f., 126, 391. 42 Im Amt auf Grundlage des Décret chargeant un député des fonctions de commissaire général de la République à Strasbourg du 21 mars 1919, BOAF 1918/19, S. 307. 43 Vgl. Rhinn, La formalisation, S. 194 f. 44 Niboyet, Avant-propos, Revue juridique d’Alsace et de Lorraine 1920, S. 1. 45 JORF du 29 juillet 1919, Doc. parl. Chambre, S. 2270 ff. 46 JORF du 18 octobre 1919, S. 11522.

III. Folgen der „Desannexion“

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Veränderung des Rechts unter Rücksichtnahme auf rechtskulturelle Eigenheiten. „Les territoires d’Alsace et de Lorraine continuent, jusqu’à ce qu’il ait été procédé à l’introduction des lois françaises, à être régis par les dispositions législatives et réglementaires qui y sont actuellement en vigueur“ (Art. 3 des Gesetzes). Gleichzeitig wurden Kommissionen eingerichtet,47 welche die Art und Weise der Wiedereinführung des französischen Zivilrechts,48 Handelsrechts49 und Zivilverfahrensrechts50 vorschlagen sollten. Damit war das erste von zwei Gesetzen ergangen, die rückblickend das Entstehen eines langfristig geltenden droit local überhaupt erst ermöglicht haben. Denn das Gesetz verlängerte nicht nur den Zeitraum der Geltung des inzwischen gewohnten deutschen Rechts, sondern sorgte überdies dafür, dass diese Fortgeltung nun nicht mehr auf dem Willen des Feindes, sondern auf einer Entscheidung des französischen Gesetzgebers beruhte. Mit dieser Regelung wurde zwar das Modell eines langsamen Übergangs verfolgt, zugleich aber auch das Ziel der Rechtsvereinheitlichung festgelegt, die für Frankreich – anders als für das Deutsche Reich nach 1871 – ansonsten ja längst geleistet war; das Gesetz wollte also nicht etwa ein langfristig geltendes droit local schaffen. So ergingen in den fünf Jahren bis 1924 zahlreiche Gesetze und Dekrete, die punktuell Teile des gesamtfranzösischen Rechts in den drei Departements in Geltung setzten und damit den drei Rechtsschichten des alten französischen Rechts, des deutschen Reichsrechts und des reichsländischen Partikularrechts noch einer vierte Schicht hinzufügten. Allerdings bestand, wie erwähnt, zugleich die Erwartung, dass der französische Gesetzgeber zur Modernisierung der französischen Gesamtrechtsordnung Anregungen aus dem lokalen Recht bei der Herstellung der Rechtseinheit berücksichtigen würde. Alsbald wurden auch Kollisionsregeln erforderlich, die nach langer Vorbereitung51 schließlich durch ein Gesetz vom 24. Juli 192152 zur Vermeidung und Re47 Arrêté relatif à l’étude et à la préparation de l’introduction en Alsace et en Lorraine des lois pénales, des lois civiles et des lois commerciales françaises, BOAL 1918/19, S. 2417; Arrêté relatif à l’étude et à la préparation des Réformes à apporter à l’organisation judiciaire en Alsace et en Lorraine, BOAL 1920, S. 147. 48 Vorsitzender war Siben, Präsident des Obersten Gerichts von Colmar, hinzukamen Capitant, Professor für vergleichende Zivilgesetzgebung an der Pariser Rechtsfakultät, Gaudemet, Professor für Zivilrecht an der Straßburger Rechtsfakultät, Juillot de la Morandiere, Professor für Zivilrecht an derselben Fakultät, Schissele, Rechtsanwalt in Saverne, und Dereux, Richter am Straßburger Gericht, vgl. Struss/Fehner, Introduction, S. 17. 49 Vorsitzender war Bourcart, Professor für Handelsrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Straßburg, hinzukamen Percerou, Professor für Handelsrecht an der Pariser Rechtsfakultät, Fleurent, Vorsitzender der Kammer für Handelssachen in Straßburg, und Eccard, Rechtsanwalt in Straßburg, vgl. Struss/Fehner, Introduction, S. 17 f. 50 Vorsitzender war Helmer, Präsident der Anwaltskammer von Elsaß und Lothringen, hinzukamen Tissier, Ratsmitglied am Kassationsgerichtshof, Muhleisen, Vizepräsident des Straßburger Gerichts, und Cheron, Professor für Zivilprozessrecht an der Straßburger Rechtsfakultät, vgl. Struss/Fehner, Introduction, S. 24. 51 Vgl. JORF du 12 mars 1920, Doc. parl., Chambre, annexe n8 517, S. 350. 52 Loi du 24 juillet 1921 prévenant et réglant les conflits entre la loi française et la loi locale d’Alsace et Lorraine en matière de droit privé, JORF du 26 juillet 1921.

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gelung von Konflikten zwischen dem französischen Recht und dem lokalen Recht Elsaß-Lothringens im Bereich des Privatrechts (LConfl) geschaffen wurden.53 Dieses Gesetz sollte nicht sämtliche möglichen Regelungskonflikte lösen, sondern lediglich einige wichtige, abschließend aufgezählte Fälle, nämlich den Personenstand und die Geschäftsfähigkeit von Personen, die Erbfolge und den Konkurs. Im Übrigen verweist es auf die überkommenen Grundsätze des Internationalen Privatrechts. Außerdem ermöglicht das Gesetz den Beteiligten zur Vermeidung von Konflikten die Rechtswahl durch „une simple déclaration de volonté des parties intéressées“ (Art. 11), allerdings nur die Wahl französischen Rechts, nicht lokalen Rechts, sodass die Stoßrichtung dieser Regelung – Zurückdrängung des droit local – eindeutig ist.

2. Wiedereinführung französischen Rechts und Entstehung eines dauerhaften droit local Am 9. März 1922 legte Justizminister Louis Barthou der Kammer einen Gesetzentwurf54 vor, mit dem das französische Zivilrecht in den Departements BasRhin, Haut-Rhin und Moselle in Kraft gesetzt werden sollte, jedoch unter Beibehaltung bestimmter Rechtsinstitute des droit local für zehn Jahre.55 Damit orientierte er sich inhaltlich weitreichend an den Empfehlungen Henri Capitants.56 Ein vergleichbarer Entwurf57 zum Handelsrecht wurde ebenfalls vorgelegt. Die schrittweise Wiedereinführung der französischen materiell-rechtlichen Zivilund Handelsgesetzgebung endete schließlich mit der Verabschiedung der beiden Gesetzentwürfe zur Einführung des französischen Zivilrechts (LCiv)58 und des französischen Handelsrechts (LComm)59 in den Gebieten des ehemaligen Reichslandes60 am 1. Juni 1924, die jeweils am 1. Januar 1925 in Kraft traten. Doch sie 53

Hierzu: Niboyet, Conflits entre les lois françaises. JORF du 9 mars 1922, Doc. parl., Chambre des députés, S. 577 ff. 55 „Si, au bout de ces dix années, le législateur français n’a pas cru devoir les faire entrer dans le droit civil, il faudra en conclure que leur supériorité ne s’est pas imposée à ses yeux ou qu’il a estimé qu’elle ne pouvait cadrer avec l’ensemble de la vie juridique française. Il n’y aura pas alors de raison de les conserver dans nos trois départements, et elles devront faire place à l’application du droit français dans la mesure et avec les modalités que la loi déterminera […] à moins, bien entendu, que le Parlement n’estime nécessaire une prorogation du délai d’expérience“, JORF du 9 mars 1922, Doc. parl., Chambre des députés, S. 580. 56 Capitant, L’introduction, S. 173 ff. – zur Person: Demogue, Henri Capitant (1865 – 1937), RTD civ., 1937, S. 727 ff. 57 JORF du 6 avril 1922, Doc. parl., Chambre des députés, S. 1426 ff. 58 Loi du 1er juin 1924 mettant en vigueur la législation civile française dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle, JORF du 3 juin 1924 = BOAL 1924, S. 587 ff. bzw. 661 ff. (deutsche Fassung). 59 Loi du 1er juin 1924 portant introduction des lois commerciales françaises dans les départements du Haut-Rhin, du Bas-Rhin et de la Moselle, JORF du 3 juin 1924 = BOAL 1924, S. 743 ff. bzw. 759 ff. (deutsche Fassung). 60 Zu Fragen des Übergangsrechts vgl. eingehend Schlange, Conflits dans le temps. 54

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regelten, wie vorgeschlagen, den Fortbestand zahlreicher Regelungen des bisher geltenden Zivilrechts zunächst für zehn Jahre (Art. 14). „Ce délai permettra au Gouvernement et au Parlement de les étudier, de les voir fonctionner et de décider, le cas échéant, dans quelles mesures elles peuvent être étendues au reste du territoire.“61 Nach mehrfacher Verlängerung dieser Frist62 gelten die Regelungen des droit local seit 195163 zwar weiterhin „provisoirement“, aber nunmehr unbefristet. Zur Gruppe der nach Art. 14 zunächst nur befristet fortgeltenden Regelungen gehören zum Beispiel Normen aus folgenden Bereichen: Etat et capacité des personnes, Art. 15 ff., Du registre matrimonial, Art. 29 ff., Droits sur les immeubles; livre foncier, Art. 36 ff., Contrat d’assurance, Art. 66 ff., Succession; certificat d’héritier, Art. 73 ff. Nicht selten handelt es sich also um Regelungen, die dem Interesse des Rechtsverkehrs an einer reibungslosen Güterzirkulation dienten, das vom deutschen Zivilrecht bis ins Familien- und Erbrecht hinein geschützt wird, und die die Figur des unbedingt schutzwürdigen gutgläubigen Dritten ins Zentrum stellten; aus verfahrensrechtlicher Perspektive handelt es sich vor allem um den Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit ihrer Fürsorge- und Sicherungsfunktion für private Interessen durch staatliche Organe bei gleichzeitigem Bestehen auch öffentlicher Interessen. Die Fortgeltung einiger anderer Regelungen, etwa zu Genossenschaften, Vereinen oder Stiftungen, Art. 7 des Gesetzes, aber auch des Teilungs- und Immobiliarvollstreckungsverfahrens, Teile V und VI LCiv, war von vornherein unbefristet angeordnet worden. In Handelssachen sollte die Einführung des französischen Rechts dem gleichen Modell folgen, wie bereits der entsprechende Entwurf64 und später Art. 12 und 17 des verabschiedeten Gesetzes zeigten; hier spielten insbesondere die GmbH, die Organisation der Handelsgerichtsbarkeit oder die Prokura als fortgeltende Rechtsinstitute eine wichtige Rolle. Auch wenn in diesem Gesetz von vornherein keine Zehnjahresfrist für die vorläufige Weitergeltung angeordnet worden war, ging man von einem absehbaren Außerkrafttreten nach der jeweiligen Reform des gesamtfranzösischen Rechts aus. Besondere Probleme ergaben sich im Bereich des Zivil61

JORF du 9 mars 1922, Doc. parl., Chambre, annexe n8 4038, S. 580. Gesetz vom 22. Dezember 1934 zur Änderung des Gesetzes vom 1. Juni 1924 zur Durchführung der französischen Zivilgesetzgebung in den Departements Bas-Rhin, HautRhin und Moselle, Artikel 1; Verordnung vom 15. September 1944 zur Wiederherstellung der republikanischen Gesetzgebung in den Departements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle, Artikel 6; Gesetz Nr. 46-2912 vom 22. Dezember 1946 zur Erweiterung der Gesetzgebung in den Departements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle, einziger Artikel; Gesetz Nr. 47-2398 vom 30. Dezember 1947 zur Verlängerung der in den Departements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle geltenden Rechtsvorschriften, einziger Artikel; Gesetz Nr. 49-847 vom 29. Juni 1949 zur Verlängerung der in den Departements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle geltenden Rechtsvorschriften, einziger Artikel; Gesetz Nr. 51-677 vom 24. Mai 1951 zur Änderung von Artikel 14 des Gesetzes vom 1. Juni 1924 zur Einführung der französischen Zivilgesetzgebung in den Departements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle, einziger Artikel. 63 Loi n851-677 du 24 mai 1951, JORF du 1 juin 1951. 64 JORF du 6 avril 1922, Doc. parl., Chambre des députés, S. 1426 ff. 62

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verfahrensrechts, wo der neue deutsche Zivilprozess als vorzugswürdig angesehen wurde, das französische Recht hingegen als dringend und grundlegend reformbedürftig.65 Deshalb wurde nach massivem Widerstand der betroffenen Berufsgruppen66 die Einführung französischen Rechts bis zu einer Gesamtreform des französischen Zivilverfahrensrechts aufgeschoben. Trotzdem sollte aber auch hier kein Zweifel bestehen: Es war der Weg zur Rechtseinheit zu beschreiten, sei es durch die Ausdehnung französischen Rechts auf die drei Departements oder durch zügige Reformen des französischen Rechts, die – vom droit local inspiriert – eine neue oder reformierte gesamtfranzösische Gesetzgebung die französische Rechtseinheit herstellen. Rückblickend sind die Gesetze vom 1. Juni 1924 der zweite wichtige Rechtsakt für die Entstehung des droit local, weil sie nun eine Verstetigung einiger Rechtsinstitute auf weitere zehn Jahre oder sogar auf unbestimmte Zeit brachten und das droit local, soweit es nach Wiedereinführung französischen Rechts noch bestand, von einem Übergangsrecht der Nachkriegszeit (wegen allzu optimistischer Erwartungen an Reformen der französischen Gesamtrechtsordnung) zu einer dauerhaften Einrichtung gemacht haben. Freilich, wie erwähnt, zu einer – bedingt durch die zentralistische französische Verfassungsstruktur – recht statischen Einrichtung, weil Veränderungen des droit local nur durch das französische Parlament vorgenommen werden konnten (und können), was stets die Grundfrage nach der Notwendigkeit dieses Rechts überhaupt aufwarf. Vermutlich steht dahinter auch der Gedanke einer kalten Beseitigung des droit local durch Zeitablauf: „dans une telle conception, le droit local est condamné à rétrécir de plus en plus, à présenter des archaïsmes croissants et à disparaître à terme plus ou moins rapproché“.67 In den letzten Jahren zeichnet sich jedoch eher eine Entwicklung in die Gegenrichtung ab. Juristen aus den drei Departements haben die Existenz eines Code du droit local alsacien-mosellan postuliert und eine entsprechend titulierte Textsammlung68 bei LexisNexis herausgegeben, nachdem die französische Verfassungsgerichtsbarkeit dem droit local Verfassungsrang bescheinigt69 hatte. Zumal nach der Eingliederung des Elsaß und Lothringens in die neue französische Großregion „Grand Est“ (2016) scheint das droit local zu einer Projektionsfläche kultureller Eigenständigkeit geworden zu sein. Auch hier sind Parallelen zum Rheinischen Recht unverkennbar. Das preußische, bayerische oder hessische droit local in den Rheinprovinzen war fast über ein ganzes Jahrhundert hinweg in Geltung, hat immer wieder Reformimpulse gegeben und wurde erst nach und nach zugunsten einer Rechtsvereinheitlichung auf der Ebene des Deutschen Bundes (ADHGB), Preußens (zum Beispiel Vormundschaftsrecht, Erbscheinsrecht) oder des Deutschen Reiches (insbesondere Reichsjustizgesetze, BGB) 65

Vgl. Tissier, L’introduction de la procédure, S. 180 ff. Dazu Rhinn, La formalisation, S. 251 ff. 67 Woehrling, Le droit local, S. 13. 68 Woehrling, Code du droit local. 69 Vgl. dazu Décision n8 2011-157 QPC du 5 août 2011. 66

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abgelöst. Wie ein Blick auf die Tätigkeit der Immediatjustizkommission Preußens zeigt, sollte das Rheinische Recht nur vorübergehend weitergelten, bis zu einer gesamtstaatlichen Reform: Das „Gute [sollte] überall, wo es sich findet, benutzt“ werden, also weitergelten, und „nur in eine solche Richtung gebracht werden als sie der Zusammenhang mit dem Ganzen verträgt“.70 Die geplante preußische Rechtsreform allerdings scheiterte. Ähnlich schleppend ging, wie wir sehen werden, der für Frankreich mit der Fortgeltung des droit local angestoßene Reformprozess im 20. Jahrhundert voran, sodass die Rechtsnormen deutschen Ursprungs als droit local ebensolange in Kraft blieben (und zum Teil noch in Kraft sind) wie die Rechtsnormen französischen Ursprungs als dauerhaftes Provisorium des Rheinischen Rechts. Der Blick in die Literatur und Rechtsprechung zum droit local zeigt allerdings auch einen großen Unterschied zum Rheinischen Recht: Die Naturalisierung des droit local erfolgte unter Durchtrennung des Bandes zur Mutterrechtsordnung, denn es finden sich praktisch keine Zitate deutscher Rechtsprechung und Literatur: „The isolation of the local law from its German source is also strengthened by the refusal of the French courts to make reference to German jurisprudence and doctrine, even to that which existed prior to 1918.“71 Die deutsche Literatur zum Rheinischen Recht bzw. dem französischen Landesrecht Elsaß-Lothringens befasste sich hingegen ebenso wie deutsche Gerichte bei seiner Anwendung sehr häufig mit der französischen Doktrin und Rechtsprechung und folgten dieser auch ganz regelmäßig.72

70 Order zur Einsetzung einer Immediat-Justiz-Kommission in Köln, Lottner, Sammlung der für die Rheinprovinz u. s. f. ergangenen Gesetze, Bd. 1, S. 414. 71 Glenn, The Local Law of Alsace-Lorraine, S. 769, 770. 72 Für das Ende des 19. Jahrhunderts vgl. etwa Geyer, Code civil „richtiger“ auslegen.

B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local I. Grundbuchrecht 1. Zum Nachweis des Grundeigentums oder seiner nach französischem Recht bereits mit Vertragsschluss erfolgenden Übertragung, Art. 1138 Abs. 2 und 1583 CC, regelte der Code Civil keine zwingende Eintragung in ein Register; folglich bestand auch keine Publizität, an die sich der Schutz guten Glaubens des Rechtsverkehrs hätte knüpfen können. Bei der Belastung eines Grundstücks unterschied das französische Recht zwischen Legalhypotheken und zwingend in ein Register einzutragenden, Art. 2134 CC, rechtsgeschäftlich begründeten Hypotheken; auch an diese Eintragung knüpfte sich jedoch nicht der Schutz guten Glaubens. Napoléon hatte die Ansicht vertreten, dass Publizität im Grundstücksbereich, da sie darauf abzielt, „à rendre les mutations rapide et faciles […] n’a rien d’avantageux pour l’État, lequel trouve au contraire sa garantie dans la fixité des propriétés dans les mêmes familles“.1 Die Loi sur la transcription en matière hypothécaire vom 23. März 18552 brachte einige grundlegende Reformen. Nach Art. 1 „Sont transcrits au bureau des hypothèques de la situation des biens: 1. Tout acte entre vifs, translatif de propriété immobilière ou de droits réels susceptibles d’hypothèque; 2. Tout acte portant renonciation à ces mêmes droits; 3. Tout jugement qui déclare l’existence d’une convention verbale de la nature ci-dessus exprimée; Tout jugement d’adjudication, autre que celui rendu sur licitation au profit d’un cohéritier ou d’un copartageant.“

Art. 2 ergänzte: „Sont également transcrits: 1. Tout acte constitutif d’antichrèse, de servitude, d’usage et d’habitation; 2. Tout acte portant renonciation à ces mêmes droits; 3. Tout jugement qui en déclare l’existence en vertu d’une convention verbale; 4. Les baux d’une durée de plus de dix-huit années; 5. Tout acte ou jugement constatant, même pour bail de moindre durée, quittance ou cession d’une somme équivalente à trois années de loyers ou fermages non échus.“

Ohne die Einschreibung der Rechtspositionen sollten die aus diesen Transaktionen entstehenden Rechte Dritten gegenüber nicht geltend gemacht werden können, Art. 3 („ne puvent être opposés aux tiers“). 2. Für Deutschland nahm die Rechtsentwicklung ihren Ausgangspunkt bei der preußischen Allgemeinen Hypotheken-Ordnung für die gesamten Königlichen 1 2

Fenet, Travaux, Bd. XV, S. 315. Recueil Duvergier 1855, S. 55.

I. Grundbuchrecht

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Staaten von 1783, die mit ihrer obligatorischen Eintragungspflicht für Grundeigentum und Hypotheken einen wichtigen Impuls für die gesamte deutsche und europäische Rechtsentwicklung auf dem Gebiet des Grundbuchrechts gab. Jedoch war nur für die Hypothek die Eintragung zweifelsfrei auch konstitutiv ausgestaltet. Die richterliche Prüfungspflicht des Erwerbsgeschäfts allerdings gestaltete sich mangels Trennung von obligatorischem und dinglichem Geschäft schwierig.3 Das sächsische Gesetz von 18434 kannte dann ein Grundbuch, das auch für das Grundeigentum eine konstitutive Eintragung vorsah.5 Mit dem preußischen Gesetz über den Eigenthumserwerb und die dingliche Belastung von Grundstücken, Bergwerken und selbständigen Gerechtigkeiten von 1872 (Eigentumserwerbsgesetz) und der preußischen Grundbuchordnung aus dem gleichen Jahr erfolgte der Abschluss eines jahrzehntelangen Reformdiskurses6 und zugleich ein Ausblick auf ein gesamtdeutsches Grundstücksrecht.7 Das Eigentumserwerbsgesetz unterschied nun – vorbildgebend für das Bürgerliche Gesetzbuch – bei Grundstücksgeschäften schuldrechtliche und dingliche Ebene und regelte die Auflassung als Eigentumserwerbsvorgang mit Einigung und obligatorisch-konstitutiver Eintragung, §§ 1 f. prEEG; hinzukam die materielle Publizität des Grundbuchs mit einer etwas versteckten Regelung zum Gutglaubensschutz, § 9 Abs. 2 prEEG („Es bleiben jedoch die in der Zwischenzeit [bis zur Berichtigung des Grundbuchs] von dritten Personen gegen Entgelt und im redlichen Glauben an die Richtigkeit des Grundbuchs erworbenen Rechte in Kraft“). Hypotheken und Grundschulden konnten ebenfalls nur aufgrund einer Eintragung in das Grundbuch erworben werben, § 18 prEEG. Die Grundbuchordnung sah ein Verfahren vor, in dem das neugeschaffene Grundbuchamt die Eintragungsbewilligung des Voreingetragenen und die Auflassung prüfte, nicht aber das zugrundeliegende Kausalgeschäft, § 46 prGBO. 3. In Elsaß-Lothringen erging 1884 das Gesetz, betreffend die Bereinigung des Katasters, die Ausgleichung der Grundsteuer und die Fortführung des Katasters.8 Dieses Gesetz verfolgte zwei Ziele: Zum einen sollte es eine sachgerechte Bemessungsgrundlage für die Erhebung der Grundsteuer schaffen, was hier keine Rolle spielen soll, zum anderen als Grundlage „der etwaigen Einführung des Grundbuchsystems“9 dienen. Im Rahmen der ersten Lesung im Landesausschuss war es vor allem der zweite Punkt, auf den Albert Leoni als Vertreter der Regierung besonders eingegangen ist. Er erläuterte das Grundbuchsystem preußischer Prägung und schloss: 3

Eingehend zur AHO Nossek, Grundbuch, S. 237 ff. SächsGVBl. 1843, S. 189 ff. 5 Nossek, Grundbuch, S. 267 ff. 6 Nossek, Grundbuch, S. 277 ff. 7 Vgl. Schubert, Sachenrecht I, Einleitung. 8 Gesetz, betreffend die Bereinigung des Katasters, die Ausgleichung der Grundsteuer und die Fortführung des Katasters vom 31. März 1884, SIgEL Nr. 1642. 9 Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 21), XI. Session 1883/84, 1. Bd.: Vorlagen, Nr. 5, S. 15. 4

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local „Hieraus, meine Herren, mögen Sie auch entnehmen, daß, um das Grundbuch einzuführen, es nothwendig ist, daß gefestete Eigenthumsverhältnisse im Lande sind, daß es nothwendig ist, daß das Eigenthum an den einzelnen Grundstücken klar festgestellt und in einfacher Weise nachweisbar ist. Dies aber ist in Elsaß-Lothringen nicht in wünschenswerther Weise der Fall“,10

was er dann eingehend begründete. Wenn das Grundbuch seinen vollen Wert haben solle, sei es wünschenswert, dass jedes Grundstück mit Hilfe seiner Bezeichnung und des Katasterplans auf der Erdoberfläche gefunden werden kann. Die Kataster in Elsaß-Lothringen waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts angelegt und mit der Zeit sehr fehlerhaft geworden; die Angabe der Eigentümer und die Bezeichnung der Grundstücke selbst entsprachen oftmals nicht mehr der Realität, was auf Veränderungen aller Art zurückzuführen war, die nicht berücksichtigt worden waren. Das Gesetz von 1884 entschied sich gegen die Anlegung neuer Kataster und für die Fortführung und Ergänzung der bislang schon bestehenden Kataster französischen Rechts11 unter Einsetzung von Feldgeschworenen, denen die Aufsicht über Grundstücksgrenzen und das Setzen von Grenzsteinen oblag,12 sowie davon zu unterscheidenden Feldmessern.13 Die langwierigen und personalintensiven Instandsetzungsarbeiten wurden sofort in Angriff genommen, waren aber – wie Schissele noch 1935 feststellen musste – noch lange nicht abgeschlossen.14 Zwei weitere Gesetze veränderten über das Gesetz von 1884 hinausgehend bislang in Elsaß-Lothringen geltendes französische Immobilienrecht und näherten es dem Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches an, damit dieses „demnächst ohne Verwirrung und Störungen, ohne zu großen Kostenaufwand sowie eine unerträgliche Verzögerung“15 eingeführt werden konnte; dies erfolgte analog zu entsprechenden Gesetzgebungen in den Geltungsgebieten französischen Rechts in Preußen und Bayern. 4. Das Gesetz vom 24. Juli 1889 über das Grundeigentum, das Hypothekensystem und die Honorare der Notare,16 schrieb die öffentliche Beurkundung für jede Veräußerung einer Immobilie durch Rechtsgeschäft unter Lebenden vor. Nach § 1 Abs. 1 und 3 dieses Gesetzes konnte also die Übertragung von Eigentum an Liegenschaften nur noch unter Hinzuziehung eines elsaß-lothringischen Notars, der das Rechtsgeschäft beurkundet, oder auf Grundlage gerichtlicher Beurkundung erfolgen. Au10 Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 32), XVI. Session 1889, 2. Bd.: Sitzungsberichte, 4. Sitzung am 12. Februar 1889, S. 62. 11 Vgl. hierzu die Ausführungsbestimmungen vom 3. Juli 1886, betreffend die Fortführung der bereinigten Kataster, SIgEL Nr. 2038, in denen (§§ 14 ff.) insbesondere auch die Mitwirkungspflichten der Grundeigentümer geregelt waren. 12 Vgl. Feldgeschworenenordnung vom 3. Juli 1886, SIgEL Nr. 2040. 13 Feldmesserordnung vom 3. Juli 1886, SIgEL Nr. 2041. 14 Vgl. Niboyet/Schissele, Répertoire pratique de droit, Stichwort Immeubles, Nr. 2. 15 Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 16), XVI. Session 1889, 1. Teilbd.: Vorlagen, Nr. 5, S. 12. 16 SIgEL Nr. 2528.

I. Grundbuchrecht

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ßerdem waren die Formalien des französischen Gesetzes von 1855 einzuhalten, § 7 Abs. 1, wofür der Notar von Amts wegen zu sorgen hatte.17 Wurde die Form nicht eingehalten, so blieb der Vertrag zwischen den Beteiligten wirksam, es erfolgte lediglich kein Eigentumsübergang (der ja nach dem Code Civil eigentlich bereits durch den Vertragsschluss bewirkt wird), sondern der Vertrag „begründet die Verpflichtung, das Rechtsgeschäft in der bezeichneten Weise beurkunden zu lassen“ (§ 1 Abs. 2), während seine „obligatorische Wirkung […] durch das Gesetz im allgemeinen nicht berührt“ wird.18 Letztlich handelt es sich hierbei um einen ersten Schritt auf dem Weg zu einer Trennung von obligatorischem und dinglichem Rechtsgeschäft. Zugleich brachte dieses Gesetz die erste grundlegende Veränderung der Prinzipien des geltenden französischen Immobiliarsachenrechts, weil nunmehr eine formfreie Einigung für die Übertragung des Eigentums nicht mehr ausreichte. Mit diesen Bestimmungen wollte der Gesetzgeber die Publizität von Grundstücksübertragungen wirksamer gewährleisten und gleichzeitig die seit 1884 betriebene Instandsetzung des Katasters erleichtern.19 Zudem wurde das Hypothekensystem reformiert, indem Vorrechte sowie gesetzliche und gerichtliche Hypotheken des französischen Rechts so weit wie möglich den Grundsätzen der Publizität und der Spezialität unterworfen wurden. „Alle Hypotheken“ sollten fortan nach § 9 Abs. 1 des Gesetzes erst mit ihrer Einschreibung in die Hypothekenregister „Wirksamkeit und Rang“ erlangen; nicht eingetragene stillschweigende oder allgemeine Hypotheken waren damit abgeschafft, denn zusätzlich zum Entstehungstatbestand, der sich weiter nach dem Code Civil richtete, waren sie nun mit konstitutiver Wirkung einzutragen: Dem „Publizitätsprinzip [wird] durchgreifende Wirksamkeit gegeben“.20 Gleichzeitig konnten Hypotheken „nur für einen bestimmten […] Betrag […] und nur auf einzelne, bestimmt zu bezeichnende Grundstücke genommen werden“ (§ 9 Abs. 2). Auch hier traten also Veränderungen ein, denn „die bisherige allgemeine Wirkung der gesetzlichen und gerichtlichen Hypotheken (etwa Mündelhypotheken, §§ 11 ff.) auf alle gegenwärtigen und künftigen Grundstücke des Schuldners [ist] ausgeschlossen“.21 Die „Mängel des jetzigen Rechtlebens“ und die Vorbereitung des Grundbuchsystems brachten also nun die „strenge Durchführung der Grundprinzipien des Hypothekenrechts, jenes Systems des unbedingten Einschreibungszwanges und der Bestimmtheit der Einschreibungen hinsichtlich des Betrages und des Gegenstands“22 in Elsaß-Lothringen zur Geltung. 17 Landesausschus Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 16), XVI. Session 1889, 1. Teilbd.: Vorlagen, Nr. 5, S. 18. 18 Leoni, Die Elsaß-Lothringischen Gesetze, S. 2. 19 Niboyet/Schissele, Répertoire pratique de droit, Stichwort Immeubles, Nr. 3. 20 Leoni, Die Elsaß-Lothringischen Gesetze, S. 15. 21 Leoni, Die Elsaß-Lothringischen Gesetze, S. 16. 22 Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 16), XVI. Session 1889, 1. Bd.: Vorlagen, Nr. 5, S. 21.

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

5. Zwei Jahre später folgte das Gesetz vom 22. Juni 1891 über die Einrichtung von Grundbüchern.23 Vorangegangen war eine kontroverse Diskussion im Landesausschuss,24 welcher einige Jahre zuvor die Übertragung der preußischen Gesetze von 1872 nach Elsaß-Lothringen25 aufgrund ihrer weitreichenden materiell-rechtlichen Wirkungen (etwa Grundstückserwerb durch Auflassung und Eintragung) abgelehnt hatte, nun aber die bis dahin auf Grundlage des französischem Gesetzes von 1855 erfolgte Eintragung im Hypothekenregister durch Grundbücher ersetzte, die denjenigen entsprachen, die das Bürgerliches Gesetzbuch einige Jahre später ohnedies in Elsaß-Lothringen einführen würde. In Gemeinden, „in welchen das Kataster erneuert ist“, war von Amts wegen nach Anordnung des Ministeriums26 ein Grundbuch anzulegen (§ 1 Abs. 1). Einzutragen waren Grundstückseigentum, Grunddienstbarkeiten, persönliche Dienstbarkeiten, Erbbaurecht und Erbpacht, langfristige Miet- und Pachtverträge, langfristige Vorauszahlungen von Miete oder Pacht, Hypotheken und Vorzugsrechte sowie Verfügungsbeschränkungen (§ 3 Ziff. 1 – 6), wobei sich all diese Rechtspositionen materiell-rechtlich auf den Code Civil stützten. Auch was die Eintragung betrifft, brachte dieses Gesetz keine wesentlichen Änderungen, denn es hatte zwar die Art. 1 bis 6 und 8 des Gesetzes vom 23. März 1855 aufgehoben, aber zugleich die wichtigsten Bestimmungen daraus aufgenommen.27 Neu war lediglich die „Form, welche seiner [des Grundstücksrechts] Veröffentlichung dient“,28 also Ersetzung des Hypothekenregisters durch das Grundbuch, was zahlreiche ergänzende Verfahrensbestimmungen notwendig machte, die das Gesetz nach dem Vorbild der preußischen Grundbuchordnung von 1872 ebenfalls enthielt. Folglich hatte die Eintragung im Grundbuch auf Grundlage dieses Gesetzes auch keinen anderen Zweck und keine andere Wirkung, als das eingetragene Recht gegenüber Dritten durchsetzbar zu machen, die selbst ein Recht an der Immobilie erworben hatten. Die Eintragung eines rechtsgeschäftlich erworbenen Rechts im Sinne des § 3 war also zwar nicht konstitutiv für den Rechtserwerb, wohl aber für die Wirkung gegenüber Dritten, die ein ebensolches Recht erworben und eintragen lassen haben (§ 4 Abs. 1); es setzte sich also bei einander widersprechenden Ver23 Gesetz, betreffend die Einrichtung von Grundbüchern, vom 22. Juni 1891, SIgEL Nr. 2807. 24 Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 36), XVIII. Session 1891, 2. Bd.: Sitzungsberichte, 4. Sitzung am 28. Januar 1891 und 18. Sitzung am 14. April 1891, S. 44 ff. und 456 ff. 25 Vgl. die Vorlagen in Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 23), XII. Session 1885, 1. Bd.: Vorlagen, Nr. 4 A – C. 26 Vgl. § 1 der Ministerialverordnung vom 20. September 1891, betreffend die Anlegung von Grundbüchern, SIgEL Nr. 2834; abgelöst durch die Grundbuchordnung vom 22. Juni 1893, SIgEL Nr. 3191. 27 Niboyet/Schissele, Répertoire pratique de droit, Stichwort Immeubles, Nr. 3. 28 Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 35), XVIII. Session 1891, 1. Bd.: Vorlagen, Nr. 1, S. 12.

I. Grundbuchrecht

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fügungen über ein Grundstück der Ersteingetragene durch.29 Ererbte Rechte waren „im Interesse des Realkredits“30 nach dem Entwurf innerhalb einer Jahresfrist einzutragen (§ 6 Entwurf), was im Vergleich zu 1855 eine Neuerung gewesen wäre; in der Endfassung des Gesetzes findet sich diese Regelung nicht mehr, weil sie in den Beratungen der Spezialkommission des Landesausschusses gestrichen wurde.31 Das gesamtfranzösische Recht nahm diese Ausweitung übrigens 1935 vor.32 Nicht hingegen wurden die Regelungen des materiellen preußischen Rechts übernommen, also weder die Regelungen über den vom obligatorischen Geschäft getrennten Eigentumserwerb, noch die Regelungen zum öffentlichen Glauben des Grundbuchs, auch nicht jene des Entwurfs zum Bürgerlichen Gesetzbuch, denn „noch ist es zweifelhaft, welches die endgültige Regelung sein wird“;33 außerdem werde auf diese Weise eine Rechtsspaltung vermieden, weil noch nicht alle Grundbücher den dafür erforderlichen katastermäßigen Voraussetzungen genügen. Es galt also weiterhin das materielle Grundstücksrecht des Code Civil. 6. Zum 1. Januar 1900 traten auch in Elsaß-Lothringen das Bürgerliche Gesetzbuch mit seinem Grundstücksrecht sowie die Grundbuchordnung als korrespondierende verfahrensrechtliche Regelung34 in Kraft, die bis heute weitgehend unverändert in Deutschland gelten. Die damit geschaffene Bodenordnung beruhte auf dem Grundbuchsystem, das Publizität allein durch Grundbücher herstellt, keine verborgenen (kraft Gesetzes entstehenden) Belastungen von Grundstücken kennt, den Schutz des guten Glaubens an den Inhalt des Grundbuchs durch die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs von Grundstücksrechten vermittelt und für die Begründung, Übertragung und Erlöschen von dinglichen Rechten an Immobilien durch Rechtsgeschäft eine rechtskonstitutive Eintragung erfordert. Diese Regelungen beruhten weitreichend auf dem Vorbild des preußischen materiellen Grundstücksrechts mit seiner Unterscheidung zwischen obligatorischen Vertrag und Auflassung ebenso wie des preußischen Grundbuchrechts. Damit ein Grundbuch die genannten Funktionen erfüllen konnte, bedurfte es korrespondierend des in der Grundbuchordnung geregelten, die Richtigkeit des Grundbuchs gewährleistenden Verfahrens. Grundlage dieses Modells ist das flächendeckende Bestehen von Grundbüchern, in denen sämtliche Grundstücke klar definiert sind und ihr Rechtszustand vollständig ausgewiesen ist. Trotz der seit 1884 laufenden Vorarbeiten war diese Voraussetzung 29

Leoni, Die Elsaß-Lothringischen Gesetze, S. 123. Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 35), XVIII. Session 1891, 1. Bd.: Vorlagen, Nr. 1, S. 16. 31 Vgl. Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 36), XVIII. Session 1891, 2. Bd.: Sitzungsberichte, 18. Sitzung am 14. April 1891, S. 470. 32 Décret-loi du 30 octobre 1935 modifiant le régime de la transcription, JORF du 31 octobre 1935. 33 Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 35), XVIII. Session 1891, 1. Bd.: Vorlagen, Nr. 1, S. 13. 34 Hierzu auch Gesetz vom 6. November 1899, betreffend die Ausführung der Grundbuchordnung vom 24. März 1897, SIgEL Nr. 4060. 30

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

im Reichsland nicht erfüllt, sodass das Grundstücksrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches in Elsaß-Lothringen nicht ohne weiteres zum 1. Januar 1900 eingeführt werden konnte. „Or, on ne pouvait pas, par un coup de baguette magique, créer instantanément, pour l’ensemble des trois départements, des livres fonciers complets quant aux immeubles et quant aux charges.“35 Nur einige hundert Gemeinden hatten ein vollständig überarbeitetes Kataster und verfügten über ein Grundbuch, das nach dem Gesetz vom 22. Juni 1891 angelegt worden war. Zwar waren von Amts wegen in den revidierten Katastern alle Grundstücke mit ihren Eigentümern eingetragen worden, aber die Eintragung anderer dinglicher Rechte war nur auf Antrag der Parteien und in dem Umfang erfolgt, in dem die Umschreibung nach dem Gesetz vom 23. März 1855 zulässig war. Die Bücher waren daher in Bezug auf andere dingliche Rechte als das Eigentum nicht vollständig.36 In Art. 189 Abs. 1 EGBGB war deshalb geregelt, dass die bislang geltenden Vorschriften solange unberührt bleiben, bis in der jeweiligen Gemeinde ein Grundbuch als angelegt zu betrachten ist. Hiernach wäre Elsaß-Lothringen zu einem sachenrechtlichen Flickenteppich geworden: In den wenigen, überall im Land verteilten Gemeinden, in denen ein Grundbuch bereits vorlag, hätte das Grundstücksrecht des BGB gegolten, während in den anderen, unmittelbar angrenzenden Gemeinden das Grundstücksrecht des Code Civil anwendbar geblieben wäre. Der Landesausschuss von Elsaß-Lothringen erarbeitete deshalb eine andere Lösung: Die klügeren Sonderbestimmungen fanden sich im Gesetz betreffend die Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuches in Elsaß-Lothringen.37 In § 87 AGBGB wurde auch für diejenigen Gebiete, in denen das Grundbuch noch nicht als angelegt gilt, das Grundstücksrecht der BGB zum 1. Januar 1900 in Kraft gesetzt, jedoch ohne die Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb, also insbesondere §§ 892, 893 BGB. Das neue Recht trat also in Kraft, soweit dies mit den überwiegend noch unvollständigen Grundbüchern vereinbar war. In den Gemeinden, in denen es noch kein Grundbuch gab, wurde ein sogenanntes Eigentumsbuch geschaffen, das am 1. Januar 1900 nur aus leeren Blättern bestand und sich durch die Anwendung der neuen materiell-rechtlichen Vorschriften und des grundbuchrechtlichen Verfahrensrechts38 nach und nach füllen39 und zu einem Grundbuch werden sollte.40 Damit gab es seit dem 1. Januar 1900 in Elsaß-Lothringen drei Arten von Grundbüchern und damit auch drei, von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedliche Rechtsregime, die sich allerdings inhaltlich bei weitem nicht so stark voneinander unterschieden, wie dies bei der Schaffung von CC- und BGB-Rechtszonen auf 35

Lotz/Weill, Droit civil alsacien-lorrain, Nr. 81. Niboyet/Schissele, Répertoire pratique de droit, Stichwort Immeubles, Nr. 4. 37 Gesetz, betreffend die Ausführung des Bürgerlichen Gesetzbuches in Elsaß-Lothringen vom 17. April 1899, SIgEL Nr. 3991. 38 Molitor, § 103 AGBGB Nr. 1. 39 Molitor, § 73 AGBGB Nr. III 1. 40 Niboyet/Schissele, Répertoire pratique de droit, Stichwort Immeubles, Nr. 4. 36

I. Grundbuchrecht

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Grundlage von Art. 189 Abs. 1 EGBGB der Fall gewesen wäre: 1. In Gemeinden, deren Grundbuch auf Grundlage des Gesetzes von 1891 vollständig angelegt war (vgl. § 73 Abs. 1 AGBGB), galt das Immobiliarsachenrecht des BGB ausnahmslos. 2. In Gemeinden, in denen das Grundbuch auf Grundlage des Gesetzes von 1891 zwar angelegt, aber noch nicht vollständig fertiggestellt worden war (vorläufiges Grundbuch, § 73 Abs. 2 AGBGB), galt das Zwischenrecht des AGBGB, welches das deutsche Recht nur modifiziert zur Anwendung kommen ließ. 3. In Gemeinden, in denen erst im Jahr 1900 ein Grundbuch eingerichtet worden war (Eigentumsbuch, § 103 AGBGB), galt ebenfalls das Zwischenrecht. Dieses suspendierte, wie erwähnt, vor allem die Regelungen zum Schutz des guten Glaubens, weil noch keine weitreichende Gewähr für die Richtigkeit des Inhalts der Grundbücher bestand, an die sich der gute Glaube eines Erwerbers knüpfen konnte.41 Nach der letzten Statistik des Reichslandes Elsaß-Lothringen existierten zuletzt 370 vollständige Grundbücher (die Vollständigkeit weiterer Grundbücher mit der Folge der vollständigen Anwendung des BGB-Grundstücksrechts wurde allmonatlich jeweils in der Sammlung von Gesetzen, Verordnungen, Erlassen und Verfügungen betreffend die Justizverwaltung in Elsaß-Lothringen bekanntgegeben42), 157 vorläufige Grundbücher und 1.247 Eigentumsbücher,43 die jeweils nach der Grundbuchanlegungsordnung von 190544 in endgültige Grundbücher umzuwandeln waren (bzw. gewesen wären). 7. Schissele sah im Grundbuchsystem deutschen Rechts ganz erhebliche Vorteile im Vergleich zum französischen Recht, was er bei seiner Mitarbeit am Zivilgesetz 1924 eingehend begründet hat.45 Deshalb regeln Art. 36 bis 65 LCiv weitgehend die Rechtslage, wie sie zwischen 1891 und 1899 auf Grundlage der Gesetze von 1889 und 1891 als Verbindung des materiellen französischen Sachenrechts und des deutschen Grundbuchrechts bestanden hatte. „Cette législation locale nouvelle est inspirée pour une grande part des lois alsaciennes et lorraines du 24 juillet 1889 concernant la propriété foncière, le régime hypothécaire et les honoraires des notaires et du 22 juin 1891 sur l’établissement des livres fonciers, toutes deux élaborées au temps où le Code civil français était encore en vigueur dans les deux provinces.“46 41

Niboyet/Schissele, Répertoire pratique de droit, Stichwort Immeubles, Nr. 10. Erstmals mit der Verordnung des Ministeriums vom 1. November 1891, betreffend die Grundbücher der Gemeinden Runzenheim und Schäffersheim, SIgEL Nr. 2855, die als Beispiel dienen soll, wo in Ausführung des § 44 des Gesetzes von 1891 verordnet war, dass für diese Gemeinden „das Grundbuch vom 15. November l. J. [des laufenden Jahres] ab als angelegt“ gilt. 43 Niboyet/Schissele, Répertoire pratique de droit, Stichwort Immeubles, Nr. 12; Lotz/ Weill, Droit civil alsacien-lorrain, Nr. 82: 1919 gab es 15 % endgültige Grundbücher. 44 Grundbuchanlegungsordnung vom 28. Januar 1905, SIgEL Nr. 4080. 45 Vgl. nur Schissele, Communication à la Société, S. 157 ff.; Rapport à la Section de législation du service central d’Alsace-Lorraine sur le droit réel immobilier en Als.-Lorr., Paris 1918. 46 Mischlich, Le Régime des Hypothèques, S. 3; genauso Struss/Fehner, Anm. zu Art. 36, S. 98. 42

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

Und bereits 1935 wurde betont: „L’étude du Zwischenrecht ou droit de la période qui s’étend du Traité de Francfort au 1er janvier 1900 est extrêmement intéressante car toute l’économie du régime foncier et hypothécaire de la Loi du 1er juin 1924 y est déjà contenue.“47 Art. 36 Abs. 2 und 3 LCiv ordnen an: „Les seuls droits réels immobiliers sont ceux que prévoit la loi française. […] Les règles concernant l’organisation, la constitution, la transmission et l’extinction des droits réels immobiliers et autres droits et actes soumis à publicité sont celles du code civil et de la loi du 23 mars 1855 sur la transcription en matière hypothécaire, sauf les modifications ci-après.“

Allerdings stimmt das nicht ganz, denn es bestanden die Reallast (prestation foncière mit §§ 1105, 1107, 1008 BGB, vgl. Art. 36 Abs. 2 LCiv a. E.) ebenso fort wie die Zwangshypothek (hypothèque d’exécution forcée) nach §§ 866 ff. der fortgeltenden ZPO,48 die dem gesamtfranzösischen Recht jeweils unbekannt sind.49 Die Übereignung von Immobilien erfolgt – wie bis 1899 – nicht durch ein gesondertes dingliches Rechtsgeschäft,50 die Eintragung im Grundbuch hat folglich auch nicht mehr konstitutive Funktion, sondern dient allein der Publizität. „Le texte fondamental est l’article 37. L’idée essentielle de ce texte est d’assurer la continuité du régime nouveau et du régime local antérieurement pratiqué.“51 Art. 37 LCiv ergänzt nämlich: „Les trois livres fonciers (livre foncier définitif, livre foncier provisoire et livre de propriété) sont maintenus comme registres de publicité. Toute différence entre ces trois livres est supprimée; ils portent la même désignation de ,livre foncier‘ et sont tenus au tribunal d’instance de la situation des biens, selon les règles qui seront fixées par décret.“

Mit „différence“ ist der rechtliche Unterschied gemeint. „L’article 37 n’a pas pu, en effet, par sa seule existence, compléter les livres de propriété.“52 Auch wenn damit die rechtsbegründende Funktion der Eintragung entfällt, sollten andere, vom gesamtfranzösischen Recht abweichende Vorteile des Grundbuchsystems beibehalten werden.53 Alsbald finden sich auch wieder Arrêtés zu fertiggestellten Grundbüchern.54 47

Mischlich, Le Régime des Hypothèques, S. 4. Dazu Abschnitt D. II. in diesem Buch. 49 Lotz/Weill, Droit civil alsacien-lorrain, Nr. 84. 50 Die neuen Regelungen „supprime […] le contrat réel du droit allemand, et reduit l’inscription à être un simple procéde de publicité“, Circulaire ministérielle, BOAL 1924, 995, 1031. 51 Struss/Fehner, Anm. zu Art. 37, S. 103. 52 Lotz/Weill, Droit civil alsacien-lorrain, Nr. 86. 53 Zuständigkeiten und Verfahren richteten sich nach dem Wegfall der Grundbuchordnung nach dem Décret relatif à la tenue du livre foncier dans les départements du Haut-Rhin, du Bas-Rhin et de la Moselle du 18 novembre 1924, BOAL 1924, S. 1148 ff. 54 Erstmals wohl Arrêté portant établissement du Livre foncier de Goersdorf, arrondissement de Wissembourg du 17 février 1922, BOAL 1922, S. 202, mit folgendem musterhaften 48

II. Güterrechtsregister

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8. Die Art. 36 ff. LCiv waren eine Inspirationsquelle für den französischen Gesetzgeber bei seiner bis heute zentralen55 Reform des gesamtfranzösischen Rechts der Publizität im Grundstücksrecht56 im Jahre 1955.57 Diese Reform führte dazu, dass nebeneinander das registre des inscriptions für Hypotheken und Immobiliarprivilegien (Art. 2146 ff. CC), das registre des publications für alle anderen grundstücksbezogenen Rechtsvorgänge (Art. 28 ff.; Art. 939, 1069 CC) und das registre des saisies immobilières für Grundstückspfändungen bestehen. Die Eintragung in eines dieser Register ist jedoch auch auf Grundlage dieser Reform nicht konstitutiv für die Wirksamkeit von Verfügungen über dingliche Rechte. Publikationspflichtige Vorgänge können Dritten jedoch erst nach Eintragung entgegengehalten werden (opposabilité, Art. 30 Nr. 1), die Nichteintragung unterliegt zudem Sanktionen. Im Unterschied zum Grundbuchsystem werden im französischen Registerrecht nicht Rechte verlautbart, sondern Vorgänge, aus denen sich Rechte ergeben können; öffentlicher Glaube und gutgläubiger Erwerb von Rechten können sich deshalb nicht an den Inhalt der Register knüpfen. Die Art. 36 ff. LCiv bestehen (obschon ihre Gültigkeit ursprünglich auf zehn Jahre befristet war) nach dieser (vgl. Art. 52) und weiteren Reformen des gesamtfranzösischen Rechts, verändert und erweitert durch zahlreiche Reformen vor allem im 21. Jahrhundert,58 bis heute fort und werden als „la partie la plus importante du droit civil local“59 oder sogar „joyau du droit local alsacien-mosellan“60 bezeichnet.

II. Güterrechtsregister 1. Wer mit einer anderen Person in rechtsgeschäftlichen Kontakt treten möchte, kann ein Interesse daran haben zu wissen, ob diese Person verheiratet ist und in welchem Güterstand die Eheleute gegebenenfalls leben. Denn sowohl die Ehe als solche als auch der eheliche Güterstand können nicht nur Auswirkungen auf die rechtlichen Beziehungen der Ehegatten untereinander, sondern auch auf die rechtlichen Beziehungen eines Ehegatten zu Dritten haben. Dies gilt für die Befugnis zum Vertragsschluss ebenso wie für die Reichweite der Verpflichtungswirkung eines Vertrages oder die dingliche Zuordnung von Gütern und die Befugnis, hierüber zu verfügen. Wortlaut: „Le livre foncier pour la commune de Goersdorf sera consideré comme établi le 1er mai 1922“. 55 Vgl. nur Commission de réforme de la publicité foncière (Hrsg.), Modernisation, S. 7. 56 Vgl. Pfister, The transfer, S. 180 ff. 57 Décret No 55-22 du 4 janvier 1955 portant réforme de la publicité foncière; Décret No 55-1350 du 14 octobre 1955 pour l’application du décret No 55-22 du 4 janvier 1955 portant réforme de la publicité foncière. 58 Vgl. dazu etwa Sénat, Session ordinaire de 2001 – 2002, Rapport No 109. 59 Lotz/Weill, Droit civil alsacien-lorrain, Nr. 76. 60 Sander, Guide du droit local, S. 264.

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

Der Code Civil enthielt zunächst keine Regelungen, die auf eine Publizität von Eheverträgen zielten. Ein Gesetz vom 10. Juli 185061 über die Bekanntmachung von Eheverträgen62 regelte die Verpflichtung des Standesbeamten, in der Heiratsurkunde zu vermerken, ob ein Ehevertrag existiert oder nicht, indem Art. 1 dieses Gesetzes den Art. 76 CC, der den Inhalt der Heiratsurkunde regelte, um folgende Ziffer 10 ergänzte. „La déclaration faite sur l’interpellation prescrite par l’article précédent, qu’il a été ou qu’il n’a pas été fait de contrat de mariage, et, autant que possible, de la date du contrat, s’il existe, ainsi que les noms et lieu de résidence du notaire qui l’aura reçu […].“ Veränderungen des Güterstandes während bestehender Ehe gestattete der Code Civil bis weit ins 20. Jahrhundert hinein nicht. 2. In einigen deutschen Staaten galten demgegenüber Regelungen zur Publizität von Eheverträgen.63 Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten setzte für die Drittwirkung güterrechtlicher Vereinbarungen voraus (II 1 § 422 ALR), dass diese „gerichtlich verlautbart, und in den Zeitungen oder Intelligenzblättern der Provinz, zu dreymalen innerhalb vier Wochen, bekannt gemacht werden“. Hinzu kam für Kaufleute das Erfordernis der Bekanntmachung auf der Börse oder durch die Kaufmannsältesten (II 1 § 423 ALR; 1861 ersetzt durch Art. 10 ADHGB64). Nicht zuletzt war ein Vermerk im Hypothekenbuch erforderlich (II 1 § 424 ALR; bedeutungslos geworden durch die PreußGBO65). Wirkungen gegenüber Dritten traten erst nach Ablauf der vierwöchigen Frist ein, es sei denn, der Dritte hätte bereits zuvor positive Kenntnis von den Änderungen des Güterstandes gehabt (II 1 § 428 ALR).66 Demgegenüber erachtete insbesondere das gemeine Recht Eheverträge ohne jede Veröffentlichung Dritten gegenüber für wirksam,67 so dass in großen Teilen Deutschlands überhaupt kein Schutz des Rechtsverkehrs vor den Rechtswirkungen ehevertraglicher Vereinbarungen bestand. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begegneten vor dem Hintergrund des wegen der Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse gestiegenen Bedürfnisses nach Sicherheit im Rechtsverkehr sowohl die Position des gemeinen Rechts als auch die Regelung des preußischen Landrechts erheblicher Kritik. Aushänge oder öffentliche Bekanntmachungen nur an bestimmten Orten und nur innerhalb bestimmter Fristen wurden aufgrund der gestiegenen Mobilität von Gütern und Menschen nicht mehr für ausreichend erachtet. 3. Im Rahmen der Beratungen zum Bürgerlichen Gesetzbuch fiel deshalb die Entscheidung, dass Dritten grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet sein müsse, sich über vom gesetzlichen Güterstand abweichende güterrechtliche Verhältnisse von 61

Bulletin des lois de la République française 1850, S. 71 f. Hierzu und auch zur Kritik vgl. Folleville, De la Publicité. 63 HKK-BGB/Bayerle, §§ 1558 ff. Rn. 10 ff. 64 Vgl. Art. 20 des Preußischen EG. 65 Rehbein/Reincke, ALR III, S. 74; dazu auch Abschnitt B. I. in diesem Buch. 66 Förster, Preußisches Privatrecht III, § 209 D (S. 532). 67 Cohen, Das Güterrechtsregister, S. 2. 62

II. Güterrechtsregister

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Ehegatten mit Relevanz für Dritte zu informieren.68 Deshalb führte man bei den Amtsgerichten ein entsprechendes Güterrechtsregister nach dem Vorbild des Handelsregisters69 ein, das jedermann ohne besondere Schwierigkeiten einsehen konnte. Das formelle Handelsregisterrecht (seit 1900 in §§ 8 ff. HGB) war Vorbild für den Abschnitt über das formelle Güterrechtsregisterrecht der §§ 1558 – 1563 BGB. Die Rechtswirkungen von Eintragungen im Güterrechtsregister waren in § 1435 BGB (später § 1412 BGB) geregelt. „Haben die Ehegatten den gesetzlichen Güterstand ausgeschlossen oder geändert, so können sie hieraus einem Dritten gegenüber Einwendungen gegen ein Rechtsgeschäft, das zwischen einem von ihnen und dem Dritten vorgenommen worden ist, nur herleiten, wenn der Ehevertrag im Güterrechtsregister des zuständigen Amtsgerichts eingetragen wurde oder dem Dritten bekannt war, als das Rechtsgeschäft vorgenommen wurde. […] Das Gleiche gilt, wenn die Ehegatten eine im Güterrechtsregister eingetragene Regelung der güterrechtlichen Verhältnisse durch Ehevertrag aufheben oder ändern.“

§ 1435 BGB schützte also das Vertrauen des Rechtsverkehrs darauf, dass Ehegatten im gesetzlichen Güterstand miteinander verheiratet sind und auch ansonsten keine vertraglichen Modifikationen bestehen, wenn nichts anderes im Güterrechtsregister eingetragen war. Diese Regelung ist zum 1. Januar 1900 im gesamten Deutschen Reich, also auch in Elsaß-Lothringen, in Kraft getreten. 4. In Frankreich wurde mit einem Gesetz vom 6. Februar 189370 – das freilich in Elsaß-Lothringen nicht in Kraft trat, wo zudem die Trennung von Tisch und Bett bereits 1875 abgeschafft worden war (§ 77 Abs. 1 RPStG) – der Ehefrau nach der Trennung von Tisch und Bett (welche eine Vermögenstrennung zur Folge hatte) durch eine Neufassung des Art. 311 CC die volle Geschäftsfähigkeit zuerkannt.71 Eine Versöhnung der Ehegatten musste deshalb Dritten zur Kenntnis gelangen, falls die infolge der Trennung von Tisch und Bett geschäftsfähig gewordene Ehefrau damit einverstanden war, ihre Geschäftsfähigkeit infolge der Wiederaufnahme des ehelichen Lebens erneut zu verlieren. Bei der Versöhnung hatte die Ehefrau nämlich die Wahl zwischen drei Lösungen: (1.) Eine rein faktische Versöhnung änderte nichts an der Geschäftsfähigkeit der Frau und der Vermögenstrennung. (2.) Die Ehegatten konnten sich durch Notariatsurkunde gemäß Art. 311 Abs. 4 Ziff. 1 CC versöhnen, ohne jedoch den bisherigen Güterstand wiederherzustellen, so dass die Frau weiterhin ihr Vermögen selbständig verwaltete. (3.) Zuletzt konnten die Ehegatten ihren ursprünglichen Güterstand wiederherstellen, so dass die Ehefrau in den Zustand der Geschäftsunfähigkeit zurückfiel. Für diesen Fall regelte die Neufassung des Art. 311 Abs. 4 Ziff. 3 CC, dass ein Auszug aus der notariellen Versöhnungsurkunde „dans les 68

Mugdan, Materialien IV, S. 296 f. HKK-BGB/Bayerle, §§ 1558 ff. Rn. 20 ff. 70 Loi du 6 février 1893 portant modification au régime de la Séparation de corps, JORF du 8 février 1893. 71 Hierzu und zum folgenden Geoffroy, De la Publicité, S. 46 ff.; vgl. auch Bertet, Essai sur la loi; Santerne, De la situation de la femme séparée de corps depuis la Loi du 6 février 1893. 69

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

journaux du département recevant les publications légales“ veröffentlicht werden muss. 5. Als die annektierten Departements an Frankreich zurückfielen, bestanden dort seit geraumer Zeit funktionierende Güterrechtsregister. In den anderen Teilen Frankreichs gab es hingegen über die Regelungen aus den Jahren 1850 und 1893 hinaus weiterhin kein dem Güterrechtsregister äquivalentes Rechtsinstitut.72 Bei den Beratungen, die zur Grundlage der Loi du 1er juin 1924 mettant en vigueur la législation civile française dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle73 wurden, schlug Schissele74 deshalb vor, diese Regelungen (mit den zugehörigen Verfahrensvorschriften in §§ 161 f. FGG) beizubehalten. Sie sollten – mit ihrer „efficacité particulière“75 – eine Reform des französischen Publizitätsrechts inspirieren. Dies überrascht, beruhte doch das französische Güterrecht weiterhin auf dem Grundsatz der Unveränderlichkeit des Güterstandes während bestehender Ehe. Trotzdem erschien ein Register offenbar auch unter dieser Prämisse sinnvoll, weil ein einziges Register76 Dritten zuverlässiger Kenntnis über die güterrechtlichen Verhältnisse eines potentiellen Vertragspartners geben konnte als die unterschiedlichen Formen der Publikation solcher Informationen auf Grundlage des französischen Rechts. Darüber hinaus hätte die Einrichtung eines solchen Registers umgekehrt eine Abschwächung der Unveränderlichkeit von Eheverträgen ermöglichen können, weil es – wie Capitant bemerkte – unpraktikabel erscheinen kann „de fixer à l’avance, d’une façon immuable, pour toute la durée de la vie conjugale, sans tenir compte des événements et des besoins futurs, la charte matrimoniale des époux“.77 Die lokalen Regelungen galten deshalb (und zwar mit Blick auf die Mobilität der Bevölkerung von und nach Elsaß-Lothringen bzw. andere Teile Frankreichs78) neben den erwähnten Vorschriften des französischen Rechts über die Veröffentlichung des Ehevertrags und die Veröffentlichung von Änderungen des Güterstands (Art. 29 LCiv) fort.79 Dies allerdings mit einigen Modifikationen, die für die Anpassung an das französische Zivilrecht erforderlich waren. Vor allem galten weiterhin die bisherigen Rechtswirkungen (Art. 34 LCiv). „Tant qu’ils restent domiciliés dans les départements du Haut-Rhin, du Bas-Rhin et de la Moselle, les époux qui n’ont pas satisfait à l’obligation d’inscrire un extrait de leur contrat de 72

Molitor/Stieve, Das Gesetz, S. 506. Loi du 1er juin 1924 mettant en vigueur la législation civile française dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle, JORF du 3 juin 1924 = BOAL 1924, S. 587 ff. bzw. 661 ff. (deutsche Fassung). 74 Schissele, Bulletin, S. 170 ff. 75 Niboyet/Degand, Stichwort Régime Matrimonial, Répertoire pratique de droit, Nr. 56. 76 Zur Situation der Publizität von Güterrechtsverträgen in Frankreich im 19. Jahrhundert vgl. Bouché, La publicité, S. 23 ff. 77 Capitant, Les obligations, S. 162. 78 Niboyet/Degand, Stichwort Régime Matrimonial, Répertoire pratique, Nr. 57. 79 Vgl. auch Circulaire ministérielle, BOAL 1924, 995, 1023. 73

II. Güterrechtsregister

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mariage sont, à l’égard des tiers de bonne foi, réputés mariés sous le régime de la communauté légale, nonobstant toute mention faite dans l’acte de mariage de l’existence d’un contrat de mariage. Toute mention, prévue à l’article 30, paragraphes 2 à 7, qui n’a pas fait l’objet d’une inscription, est, dans les mêmes conditions, inopposable aux tiers de bonne foi.“

Durch den letzten Halbsatz des Art. 34 Abs. 1 LCiv wird der Ausweg einer Anwendung des allgemeinen französischen Zivilrechts verschlossen,80 während der umgekehrte Fall einer Einhaltung der lokalen Publizitätsregelungen, nicht aber der allgemeinen französischen Publizitätsreglungen ungeregelt bleibt.81 6. Im französischen Recht erfolgte bereits 1919 die Einführung eines Handelsregisters,82 das auch eine güterrechtliche Komponente hat. Das Gesetz vom 18. März 191983 schrieb vor, dass sich jede Person, die ein Geschäft betreibt, innerhalb eines Monats nach Eröffnung des Geschäfts oder nach dessen Erwerb in ein Register eintragen lassen muss, das vom Greffier des Handelsgerichts geführt wird (Art. 1 und 4). Zu den Angaben, die in dieses Register eingetragen werden müssen, gehört in bestimmten Fällen (Art 67 und 69 CdC) auch der eheliche Güterstand des Kaufmanns (Art. 4 Ziff. 7). Die Nichteintragung einer eintragungspflichtigen Tatsache konnte mit Geldstrafe geahndet werden (Art. 18), bewirkte jedoch keine negative Publizität. Die Literatur war kritisch: „On se demande quelle peut bien être, dans ces conditions, l’utilité du registre du commerce, car les tiers ne sont pas à l’abri des surprises qui peuvent résulter du contrat de mariage d’un commerçant.“84 Außerdem war der Widerspruch des Ehemanns gegen eine kaufmännische Tätigkeit seiner Ehefrau im Handelsregister (und nicht im Güterrechtsregister) einzutragen (Art. 14 CdC), nicht hingegen (anders als nach französischem Recht) die Genehmigung hierzu, die im droit local vermutet wurde (Art. 14 LComm). Erst ein Gesetz aus dem Jahre 196785 führte die Publizitätswirkung ein. „Les personnes assujetties à l’immatriculation au registre du commerce et des sociétés ne peuvent, dans l’exercice de leur activité, opposer ni aux tiers ni aux administrations publiques, qui peuvent toutefois s’en prévaloir, les faits et actes sujets à mention que si ces derniers ont été publiés au registre.“86 80

Niboyet/Degand, Stichwort Régime Matrimonial, Répertoire pratique, Nr. 71. Für eine Pflicht zur Einhaltung beider Regelungen im Wege einer Verallgemeinerung des Rechtsgedankens aus dem letzten Halbsatz des Art. 34 Abs. 1 LCiv, Struss/Fehner, Anm. zu Art. 34 S. 96. 82 Vgl. hierzu auch Abschnitt C. I. dieses Buches. 83 Loi du 18 mars 1919 portant création du registre du commerce, JORF du 19 mars 1919. 84 Geoffroy, De la Publicité, S. 55. 85 Art. 43 Satz 1 des Décret No 67-237 du 23 mars 1967 relatif au registre du commerce et des sociétés, JORF du 24 mars 1967. 86 Ein Ehevertrag, eine Urkunde zur Änderung des Güterstandes oder eine Gerichtsentscheidung, die eine Änderung des Güterstandes mit sich bringt, können möglicherweise der Grundbuchpublizität unterworfen werden, wenn sie in die Kategorie der in Art. 28 ff. des Décret No 55-22 du 4 janvier 1955 portant réforme de la publicité foncière, JORF du 7 janvier 1955, genannten Urkunden fallen. Hier geht es nur um die Grundbuchpublizität von Ehever81

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

Für das Ehegüterrecht in Gesamtfrankreich hatte bereits ein Gesetz vom 4. Januar 193087 eine einschneidende Veränderung bewirkt. In seiner Urfassung hatte Art. 295 CC gelautet: „Les époux qui divorceront pour quelque cause que ce soit, ne pourront plus se réunir.“ Seit 1884 war eine erneute Verheiratung derselben Ehegatten möglich, wobei derselbe Güterstand gewählt werden musste wie bei der Erstehe. Diese Einschränkung entfiel nun, was eine erste Einschränkung des Grundsatzes der Unwandelbarkeit des Güterstandes bedeutete – man musste allerdings den Umweg über die Ehescheidung nehmen. Umso dringlicher wäre deshalb eine Reform der güterrechtlichen Publizität gewesen. Für das ehemalige Reichsland, wo jetzt wieder französisches Ehegüterrecht galt, war dies freilich keine einschneidende Veränderung, sondern nur ein kleiner Schritt zurück zur Wandelbarkeit des ehelichen Güterstands, wie sie auf Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestanden hatte. Die beabsichtigte Vereinheitlichung des französischen Rechts und des droit local erfolgte auch weiterhin nicht. 1946 lag ein Gesetzentwurf zur Schaffung eines einheitlichen Güterrechtsregisters für Frankreich vor, der nur deshalb nicht Verordnung wurde, weil die französische Übergangsregierung ihre Ausnahmebefugnisse verloren hatte.88 Die französische Güterrechtsreform des Jahres 196589 brachte mit der Neufassung des Art. 1397 CC schließlich die Abschaffung des Unwandelbarkeitsgrundsatzes mit gleichzeitiger Einführung besonderer Publizitätsvorschriften:90 Die Eintragung in das Personenstandsregister und Erwähnung des Antrags in der Geburtsurkunde, sowie die Mitteilung der Homologationsentscheidung an den Standesbeamten zur Beischreibung am Rande der beiden Eheurkunden, wobei die Änderung des Güterstandes erst drei Monate nach der letzten Beischreibung am Rande der beiden Eheurkunden Dritten entgegengehalten werden kann. Für Gewerbetreibende besteht darüber hinaus (weiterhin) das handelsrechtliche Publizitätssystem, das die Eintragung des Güterstandes und bestimmter späterer güterrechtsrelevanter Handlungen und Tatsachen in das Handelsregister vorschreibt. 7. Das allgemeine Zivilrecht Frankreichs machte also zunehmend Gebrauch von Publizitätsregelugen, ohne jedoch das Vorbild eines eigenständigen Güterrechtsregisters zu übernehmen. Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass die gel-

trägen und Urkunden zur Änderung des Güterstandes, nicht aber um die Grundbuchpublizität von Urteilen, die nicht direkt in den Bereich der notariellen Praxis fällt. Die Vereinbarungen, um die es hier geht, werden in der Regel in zwei Fällen öffentlich bekannt gemacht: wenn sie eine Mutation oder Gründung von dinglichen Rechten an Immobilien mit sich bringen, die keine Vorrechte und Hypotheken sind, oder wenn sie separat eine Beschränkung des Verfügungsrechts feststellen, Rieg/Lotz, Droit civil, Nr. 222. 87 Loi du 4 janvier 1930 modifiant l’article 295 du Code civil (époux divorcés), JORF du 7 janvier 1930. 88 Lotz/Weill, Droit civil alsacien-lorrain, Nr. 387. 89 Loi No 65-570 du 13 juillet 1965 portant réforme des régimes matrimoniaux, JORF du 14 juillet 1965. 90 Vgl. Rieg/Lotz, Droit civil, Nr. 216.

II. Güterrechtsregister

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tenden Regelungen des lokalen Güterrechtsregisters, das weiterhin existierte, stets auch berechtigter Kritik begegneten. „Il y a trente-deux ans qu’il en est ainsi, et l’indifférence dans laquelle est tenu le registre matrimonial est aussi complète aujourd’hui qu’au premier jour. On peut y voir un exemple particulièrement typique d’une de ces créations, nombreuses dans le Code Civil allemand, inspirée avant tout par la recherche d’un idéal théorique, plutôt que par le désir de satisfaire à une nécessité pratique. Œuvre soignée de technique juridique, l’institution échoue dans la pratique et ne remplit pas la tâche qui lui était assignée. S’il en est ainsi, et puisqu’on en connaît les raisons, dont les principales sont: indifférence du public, ignorance des époux chargés de faire inscrire, il semble qu’on puisse trouver facilement à corriger ces vices que le système porte en soi. Les hommes de loi, les praticiens que nous avons consultés en Alsace, après nous avoir fait la critique du système, n’ont pas manqué de nous donner leur avis sur les moyens d’y remédier. Ils se résument à deux principaux: rendre l’inscription obligatoire; décharger les époux du soin de la réaliser. A ces deux conditions, pensent-ils, le registre matrimonial peut fonctionner et rendre des services.“91

Kritisch äußerten sich auch Lotz/Weill in ihrem Handbuch:92 Die Befreiung, die Personen gewährt werde, die ihren ersten ehelichen Wohnsitz nicht in den drei Departements begründet haben, verpflichte zur Ermittlung der aufeinanderfolgenden Wohnsitze der Ehegatten, denn eine in Alsace-Moselle lebende Person, die nicht im Eheregister eingetragen ist, sei nicht zwangsläufig im gesetzlichen Güterstand verheiratet. Das hatte der Gesetzgeber mit folgenden Erwägungen bewusst auf diese Weise geregelt: „Ils ont déjà satisfait aux exigences de la loi française; les obliger à inscrire leurs conventions matrimoniales sous peine d’inopposabilité serait les exposer à des surprises fâcheuses.“93 In der Tat beschränkt sich der Anwendungsbereich des Registers auf seine negative Publizität, weil Eheverträge nur selten geschlossen und zudem sehr selten eingetragen werden, denn die Eintragung ist nicht vorgeschrieben. Damit ist dieses Register in der bestehenden Fassung letztlich gescheitert, eine Abschaffung wurde längst auch in Deutschland diskutiert94 und ist zum 1. Januar 2023 eingetreten. Im ehemaligen Reichsland ist sie bereits 199095 erfolgt. Möglicherweise kann das Modell eines solchen Registers – in digitaler Form – aber auch eine Renaissance erleben mit Blick auf die zunehmende Verbreitung ausländischer Güterstände.96

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Bouché, La publicité, S. 122. Lotz/Weill, Droit civil alsacien-lorrain, Nr. 405. 93 Struss/Fehner, Anm. zu Art. 31 S. 92. 94 Vgl. MünchKomm-BGB/Münch, Vor §§ 1558 ff. Rn. 4 f. 95 Art. 29 – 34 des Gesetzes vom 1. Juni 1924 wurden aufgehoben durch Art. 5 Loi No 901248 du 29 décembre 1990 portant diverses mesures d’harmonisation entre le droit applicable dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle et le droit applicable dans les autres départements, JORF du 3 janvier 1991. 96 In diese Richtung Soergel/Gaul/Althammer, Vor § 1558 BGB Rn. 5. 92

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

III. Vormundschaft 1. Der Code Civil sah die elterliche Gewalt ebenso als Grundlage einer Sorgepflicht wie die Bestellung zum Vormund (vgl. Titre X Chapitre II Séction I: „De la Tutelle des Père et Mère“, Art. 389 ff. CC). Ein Vormund war zu bestellen, wenn beide rechtlichen Eltern eines Kindes verstorben oder erziehungsunfähig waren; nach dem Tode eines Elternteils hatte der überlebende Elternteil das Recht der Benennung eines Vormundes für den Fall auch seines Versterbens (Art. 397 CC). Andernfalls stand die Vormundschaft von Gesetzes wegen seinem aieul paternel zu, wenn ein solcher nicht vorhanden war, seinem aieul maternel (Art. 402 CC). War keine (geeignete, vgl. Art. 427 ff. und 442 ff. CC) Person vorhanden, ernannte der Familienrat einen Vormund (Art. 405 CC). Dieser Familienrat bestand, den ihm vorsitzenden Friedensrichter nicht eingeschlossen, aus sechs Verwandten oder Verschwägerten, zur Hälfte väterlicherseits, zur Hälfte mütterlicherseits und in der Reihenfolge der verwandtschaftlichen Nähe zum Kind in jeder Linie (Art. 407 CC). Dieser Rat war zudem in allen Fällen die Obervormundschaftsbehörde, ausgestattet mit zahlreichen Kontroll- und Mitwirkungsrechten (Art. 450 ff. CC). Werner Schubert97 zeigt, dass das französische Vormundschaftsrecht und insbesondere die Institution des Familienrates bei den deutschen Juristen am Anfang des 19. Jahrhundert hohes Ansehen genossen und gerade der obrigkeitsfern und selbstverantwortlich handelnde Familienrat im Kampf um die Erhaltung des französischen Rechts zu den Institutionen gehört habe, die man am stärksten verteidigte. Außerhalb der Gebiete französischen Rechts setzte sich dieses Modell demgegenüber nicht durch und die Vormundschaft wurde als ein unter staatlicher Aufsicht geführtes Amt geregelt. Für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts repräsentativ ist die preußische Vormundschaftsordnung von 1875,98 die ab 1. Januar 1876 für alle preußischen Länder eine Rechtsvereinheitlichung brachte und dabei insbesondere im Rheinland die Vormundschaft französischen Rechts ablöste. Der Erlass dieser Ordnung wurde angestoßen durch die preußische Annexion zahlreicher deutscher Staaten in den 1860er Jahren, die eine weitere Rechtszersplitterung in Preußen brachte und so den seit Jahrzehnten bestehenden Reformbemühungen in Preußen den letzten Schub gab. Die Vormundschaftsordnung sollte mit der Regelung einer unter Aufsicht (§§ 51 und 54 ff.) des Vormundschaftsrichters (§§ 1 ff.) stehenden Vormundschaft zudem „einen tüchtigen Baustein zum Gebäude deutscher Rechtseinheit“ liefern.99 Auch dieser Vormund preußischer Prägung handelte allerdings selbstverantwortlich und war – anders als noch der Vormund nach Preußischem Landrecht (II 18 §§ 235 ff. ALR) – nicht etwa weisungspflichtiger Bevollmächtigter des Staates; er hatte also eine selbständige, eher dem Vormund französischen Rechts vergleichbare Stellung.100 Der nach französischem Muster101 zusammengesetzte 97

Schubert, Französisches Zivilrecht, S. 489. GS 1875, S. 431 ff. 99 Anton, PrVO, S. 1. 100 Vgl. auch Anton, PrVO, § 51 Nr. 140 (S. 132).

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III. Vormundschaft

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(§ 72) Familienrat war jedoch nur unter engen Voraussetzungen (§ 71) einzuberufen und an die Stelle des Vormundschaftsrichters zu setzen (§ 75); diese Regelung verdankt sich den Beschlüssen des Herrenhauses,102 dessen Mitglieder wohl die sachlich anspruchsvolle Verwaltung von familiären Gütern oder Industriebetrieben vor Augen hatten. Hinzukam der gemeindliche Waisenrat (§§ 52 ff., eine Vorform des Jugendamtes), der insbesondere erforderlichenfalls zur Auswahl des Vormunds berufen war und die Aufsicht über das persönliche Wohl und die Erziehung des Mündels führte (§ 53); charakterisiert wurde er als Hilfsorgan des Vormundschaftsgerichts und „bleibender Gegenvormund“.103 2. In Elsaß-Lothringen galt mit dem Code Civil auch das französische Vormundschaftsrecht fort. Eine erste Veränderung erfolgte durch das Gesetz vom 22. Oktober 1873, betreffend die Beaufsichtigung der Vormundschaftsverwaltung,104 das insbesondere unter bestimmten Voraussetzungen die Siegelung von Nachlässen, an denen Minderjährige beteiligt sind, anordnete beziehungsweise bei einem Wert von unter 1000 Fr. die Anlegung von Privatvermögensverzeichnissen105 vorschrieb (§§ 1 ff.). Die Anzahl der familiären Mitglieder des Familienrats wurde auf vier herabgesetzt (§ 4) und zugleich dem Friedensrichter die Befugnis eingeräumt, „zum Zwecke der Aufsicht gegen den Vormund und Gegenvormund Ordnungsstrafen bis zu dreihundert Franks“ auszusprechen (§ 6 Abs. 1).106 Ergänzend wurde die „unverzügliche Anlegung vormundschaftlicher Register bei den Friedensgerichten” angeordnet.107 Eine umfassende Reform des Vormundschaftsrechts in Elsaß-Lothringen erfolgte durch das Gesetz, betreffend die Vormundschaften vom 16. Juni 1887,108 welches Art. 455, 456, 470, 448 Abs. 3 CC und Art. 882 ff. CPC außer Kraft setzte und sich zum Teil an das Vorbild der preußischen Vormundschaftsordnung anlehnte. Das Gesetz strebte – so die Entwurfsbegründung109 – die „Schaffung vermehrter Garantien für die Erhaltung des Vermögens Bevormundeter“ an, weil der Code Civil vor dem Hintergrund seiner Entstehungszeit „dem beweglichen Vermögen eine weit 101

Otte, PrVO, vor §§ 71 ff. (S. 84). Otte, PrVO, vor §§ 71 ff. (S. 84). 103 Anton, PrVO, § 52 Nr. 142 (S. 136). 104 Gesetz, betreffend die Beaufsichtigung der Vormundschaftsverwaltung vom 22. Oktober 1873, SlgEL Nr. 206. 105 Hierzu auch Verfügung des General-Prokurators zu Colmar vom 15. März 1874, betreffend die Auslegung des § 3 des Vormundschaftsgesetzes vom 22. Oktober 1873, SIgEL Nr. 314. 106 Hierzu auch Verfügung des Generalprokurators zu Colmar vom 7. Juni 1877, betreffend Form und vollzug der Strafverfügungen gegen Vormünder, SIgEL Nr. 685. 107 Verfügung des Generalprokurators zu Colmar vom 3. November 1873, betreffend die Führung der Vormundschaftsregister und Privatvermögensverzeichnisse, SIgEL Nr. 270. 108 Gesetz, betreffend die Vormundschaften vom 16. Juni 1887, SlgEL 2164. 109 Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 27), XIV. Session 1887, 1. Teilbd.: Vorlagen, Nr. 8, S. 6 ff. 102

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

geringere Bedeutung beilegt als dem Immobiliarvermögen“. Deshalb bestand eine Pflicht zur Rechnungslegung über das Mobiliarvermögen des Mündels nur gegenüber dem Gegenvormund und dies auch nur auf ausdrückliches Verlangen des Familienrates.110 Der Vormund wurde deshalb nunmehr zu bestimmten Anlageformen (§§ 1 ff.) ebenso verpflichtet wie zur jährlichen Einreichung eines Vermögensverzeichnisses beim Vormundschaftsgericht (§ 5); er wurde zudem in der Vornahme von Rechtsgeschäften für das Mündel beschränkt (§ 6 f.) und unter „wirksame Beaufsichtigung“ gestellt. In den Beratungen des Landesausschusses war insbesondere kritisiert worden, dass der Entwurf nach dem Tode eines Elternteils „den Vater oder die Mutter dem Dativvormunde gleich[stellt]“,111 wogegen Unterstaatssekretär v. Puttkamer einwandte, dies entspreche der Lösung des französischen Reformgesetzes aus dem Jahre 1880, die dort nach eingehender Diskussion gewählt worden sei, weil ein Unterschied zwischen Eltern und Dativvormund „in voller Übereinstimmung mit den Prinzipien des französischen Rechts sich nicht befinden würde“;112 es fehle nämlich nach dem Tode eines Elternteils an der wechselseitigen Kontrolle der Eltern. Hier wurden im Rahmen der Kommissionsberatungen zwischen erster und zweiter Lesung dann einige Ausnahmen zugunsten des überlebenden Elternteils geschaffen und damit der Weg des französischen Rechts verlassen. Um die Ziele des Gesetzes erreichen zu können, war jedem Vormund oder Gegenvormund eine „Anweisung für die Vormünder“113 auszuhändigen,114 die die Amtspflichten eines Vormunds laienverständlich beschrieb. Hierin wurde die Vormundschaft als „wichtiges und verantwortungsvolles Ehrenamt“ mit „Fürsorge für das persönliche Wohl und für das Vermögen“ des Mündels beschrieben; ihm sei der „Schutz und Schirm [zu] gewähren, den ihnen die eigenen Eltern gewähren würden“ (§ 1). Der Mündel sei „zu einem tüchtigen und brauchbaren Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu machen“, wozu der regelmäßige Schulbesuch ebenso gehöre wie der Besuch der Kirche und die „Warnung und Belehrung“, der Wehrpflicht nachzukommen (§ 2). Sehr ausführliche Regelungen finden sich für die Vermögensverwaltung, die der Vormund „als ehrlicher Mann und verständiger Hausvater“ zu leisten habe (§ 5). Überdies wurde „von der Pflichttreue der Amtsrichter erwartet, 110

Vgl. Schroeder, Vormundschaftsrecht, S. 1. Abgeordneter Raeis, Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 28), XIV. Session 1887, 2. Teilbd.: Sitzungsberichte, 8. Sitzung am 1. März 1887, S. 172. 112 Unterstaatssekretär v. Puttkamer, Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 28), XIV. Session 1887, 2. Teilbd.: Sitzungsberichte, 8. Sitzung am 1. März 1887, S. 173. 113 Abgedruckt in der Bekanntmachung des Ministeriums, betreffend den Erlaß einer Anweisung für die Vormünder vom 22. Juni 1887, SIgEL Nr. 2173, Anlage; verändert nach Inkrafttreten des Teilungsgesetzes (vgl. dazu Abschnitt D. III. dieses Buches) durch die Bekanntmachung des Ministeriums vom 20. Juni 1888, betreffend Abänderung der Anweisung für die Vormünder, SIgEL Nr. 2365, Anlage; verändert durch die Bekanntmachung des Ministeriums vom 18. September 1889, betreffend Abänderung der Anweisung für die Vormünder, SIgEL Nr. 2541, Anlage. 114 Ministerialverfügungen vom 22. Juni 1887, betreffend die Ausführung des Gesetzes vom 16. Juni 1887 über die Vormundschaften, SIgEL Nr. 2172, Anlage. 111

III. Vormundschaft

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daß sie dem Vormundschaftswesen fortan ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden und […] die Vormünder zu einer größeren Selbstthätigkeit in der Verwaltung des Mündelvermögens anregen und nöthigenfalls zur Sicherstellung des letzteren die durch das Vorerwähnte Gesetz [vom 16. Juni 1887] zugelassenen Maßregeln herbeiführen werden“.115 Zur Anlage der Barmittel sei vor allem der Erwerb der elsaßlothringischen Staatsrente zu empfehlen. Das Gesetz vom 24. Juli 1889 über das Grundeigentum, das Hypothekensystem und die Honorare der Notare116 brachte Veränderungen für die Mündelhypotheken französischen Rechts mit sich, die „an die Thätigkeit des Vormundschaftsrichters in mehrfacher Hinsicht erhöhte Anforderungen“117 stellten, weswegen entsprechende Anweisungen118 ergingen. Für neu eröffnete Vormundschaften oblag die Entscheidung über die Einschreibung der Mündelhypothek dem Familienrat, wobei empfohlen wurde, die Beschlussfassung mit der Ernennung des Vormundes zu verbinden (Ziff. 1); die Einschreibung war vom Familienrat zu beschließen, wenn ein entsprechendes Sicherungsbedürfnis bestand (§ 13 Abs. 1 G 1889), in dringenden Fällen konnte die Bestimmung der Einschreibung einstweilig vom Amtsrichter selbst getroffen werden (Ziff. 5). In Altfällen war die Einschreibung der Mündelhypothek zur Rangwahrung (vgl. Art. 2135 Ziff. 1 CC) innerhalb bestimmter Fristen vorzunehmen oder zu erneuern (Ziff. 8); der Amtsrichter hatte nach eingehender Prüfung sämtlicher Vormundschaftakten (Ziff. 9) und erforderlichenfalls weiterer Sachverhaltsaufklärung119 zu entscheiden, ob er von Amts wegen eine entsprechende Beschlussfassung des Familienrats herbeiführte. Zum 1. Januar 1900 trat das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft und vereinheitlichte reichsweit das Vormundschaftsrecht, §§ 1773 ff. BGB.120 Grundlage dieser Regelung ist im Wesentlichen das erwähnte preußische Gesetz,121 so dass auch hier ein selbständig handelnder Vormund unter vormundschaftsgerichtlicher Aufsicht tätig wurde (und wird).122 Bereits in Preußen hatte man sich der Aufgabe unterzogen, preußischem Landrecht, französischem Recht und gemeinem Recht gleichermaßen mit einer Neuregelung Rechnung zu tragen und eine gewinnbringende Synthese aus diesem Baukasten herzustellen, so dass sich ein Rückgriff auf die preußische Ge115 Ministerialverfügungen vom 22. Juni 1887, betreffend die Ausführung des Gesetzes vom 16. Juni 1887 über die Vormundschaften, SIgEL Nr. 2172, Anlage. 116 Vgl. dazu auch Abschnitt B. I. dieses Buches. 117 So die Ministerialverfügung vom 5. Januar 1890, betreffend die Ausführung der aus die Mündelhypothek bezüglichen Vorschriften des Gesetzes vom 24. Juli 1889, SIgEL Nr. 2571. 118 Ministerialverfügung vom 5. Januar 1890, betreffend die Ausführung der aus die Mündelhypothek bezüglichen Vorschriften des Gesetzes vom 24. Juli 1889, SIgEL Nr. 2571. 119 Hierzu erging die Verfügung des Oberlandesgerichtspräsidenten zu Colmar vom 22. Januar 1890, betreffend die Einschreibung von Mündelhypotheken, SIgEL Nr. 2573. 120 Hierzu erging wiederum eine Ministerialverfügung vom 15. Dezember 1900, betreffend Anweisung für die Vormünder, Gegenvormünder, Pfleger und Beistände, SIgEL Nr. 4295, die die bisherige Anweisung, die auf Grundlage des Gesetzes von 1887 ergangen war, ersetzte. 121 Mot. IV, S. 1008; Planck, BGB, Vor §§ 1773 ff. Anm. 3 (S. 645); vgl. HKK-BGB/ Repgen, §§ 1773 ff. Rn. 184. 122 Vgl. nur Enneccerus/Kipp, Familienrecht, § 100 V, VI.

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

setzgebung anbot. Der Familienrat scheint in Elsaß-Lothringen nur noch eine geringe Rolle gespielt zu haben, auch nach 1918: „Ce conseil est facultatif; on ne le réunit que si son existence se justifie, particulièrement lorsque le mineur se trouve à la tète d’une industrie importante. […] Mais quand ce conseil existe, il intervient beaucoup plus souvent que chez nous, même pour la gestion de la fortune mobilière, et ses membres sont responsables pécuniairement, au même titre que le juge des tutelles, de leurs manquements préjudiciables au mineur.“123

3. Nach 1918 bestanden in Elsaß-Lothringen starke Vorbehalte gegen eine Rückkehr zum französischen Vormundschaftsrecht. Die Bestimmungen des französischen Rechts seien zu kompliziert und brächten für Minderjährige zu hohe Kosten. Demgegenüber gewährleisteten die Regeln des lokalen Rechts eine einfachere, kostengünstigere sowie bessere, weil unparteiliche und qualifizierte Kontrolle.124 Die wichtige Rolle, die im französischen Recht die Familie des Minderjährigen spielt, werde auf ein Minimum reduziert, ohne sie jedoch völlig abzuschaffen.125 Der entscheidende Unterschied bestehe nämlich darin, dass der Familienrat durch das Vormundschaftsgericht ersetzt wurde.126 Die Erfahrungen hätten gezeigt, dass der Familienrat als Gremium zum Schutz der Interessen von Minderjährigen unzureichend ist. Der Familienrat könne nämlich unter den gegebenen Verhältnissen allenfalls in sehr großen Abständen einberufen werden und deshalb keine Kontrolle über die Führung des Vormunds ausüben. Somit genieße der Vormund fast völlige Unabhängigkeit, und seine Autorität werde noch dadurch gestärkt, dass er in der Praxis nicht selten gleichzeitig Mitglied des Familienrats sei.127 Im lokalen Recht übe demgegenüber das Vormundschaftsgericht eine ständige Aufsicht über die Führung der Vormundschaft aus, ernenne den Vormund, kontrolliere seine Verwaltung, ordne alle Maßnahmen an, die sinnvoll erscheinen, und könne ihn entlassen.128 Deshalb erscheine es sinnvoll, das lokale Recht vorläufig unverändert beizubehalten, denn es sei zwar sicher, dass das französische Vormundschaftssystem in naher Zukunft geändert und verbessert werde, aber niemand wisse, wie das neue Gesetz aussehen wird.129 Eccard130 vertrat die Auffassung, dass die Gesetzgebung für 123

Janvier, Le conseil, S. 113 f. Niboyet/Blas, Capacité, Rn. 7; Barre, Comparaisons des deux Codes civils, Nr. 151. 125 Schiselé, Communication a la Société, S. 160 ff. 126 Eingehend dazu auch Schnepp, La protection, der auf S. 195 schreibt: „Ce que l’on critique généralement dans le système français, c’est que la haute tutelle de l’État sur le fonctionnement des tutelles n’est pas assez développée. Cette défectuosité a été compensée heureusement dans nos trois départements recouvrés. Nous disons heureusement, parce que tous ceux qui ont à s’occuper de ces questions reconnaîtront volontiers que la solution trouvée par le législateur a le grand avantage que les tutelles y sont organisées et gérées d’une façon efficace et doivent, par conséquent, rester organisées comme auparavant, contrairement à ce qui se produit dans le reste de la France, où en réalité la loi concernant les tutelles n’a pas trouvé et ne trouve pas, très souvent, d’exécution réelle.“ 127 Capitant, L’introduction, S. 161. 128 Capitant, L’introduction, S. 162; Eccard, Les Régles. S. 86 ff. 129 Schiselé, Communication à la Société, S. 160 ff. 124

III. Vormundschaft

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ganz Frankreich vom droit local inspiriert werden könne, um die seit langem als dringend notwendig erachteten Reformen in der Organisation des Schutzes von geschäftsunfähigen Personen zu verwirklichen. Ähnlich Struss/Fehner: „Ajoutons qu’en législation, la plupart d’entre elles seraient faciles à concilier avec le principe traditionnel français, qui cherche l’organe de protection de l’incapable dans la famille, et non dans les Institutions d’Etat. C’est sur cette base que pourra se faire, peut-être assez rapidement, l’unification des deux droits, dont l’antinomie subsiste provisoirement.“131

Art. 15 LCiv legte fest, dass „concernant la filiation, la puissance paternelle, la minorité, la tutelle, l’émancipation, la majorité et la condition des incapables majeurs“ die französischen Gesetze in Kraft treten. Alle Angelegenheiten im Zusammenhang mit der persönlichen Betreuung, sowohl von Minderjährigen als auch von Erwachsenen, unterlagen damit also ab 1. Januar 1925 dem französischen Recht, das künftig bestimmte, wie sich die Abstammung regelte, wie die väterliche Gewalt von Vater und Mutter gegenüber dem Kind ausgeübt wird und welche Erziehungs- und Zwangsrechte der Vormund gegenüber seinem Mündel hat. Für das Abstammungsrecht war dies keineswegs unumstritten. Dazu muss man sich die unterschiedlichen Regelungen vor Augen halten. Unabhängig von einer Anerkennung erzeugte das deutsche Recht zwischen der Mutter und ihrem leiblichen Kind eine verwandtschaftliche Beziehung und folglich ein Erbrecht, das ebenso weitreichend war wie das eines ehelichen Kindes, während das französische Recht der Mutter und dem Kind wechselseitig nur dann Rechte einräumte, wenn die Mutter ihr Kind ausdrücklich in der Geburtsurkunde oder durch öffentliche Urkunde anerkannt hatte.132 Seit dem 1. Januar 1925 richtete sich die Mutterschaft eines unehelichen Kindes trotzdem nach französischem Recht.133 Im französischen Recht galten damals noch die Art. 335 und 342 CC, welche die Anerkennung von Kindern verboten, die aus Ehebruch oder Inzest hervorgegangen sind, und die Ermittlung ihrer Abstammung verhinderten (Art. 342 CC: „Un enfant ne sera jamais admis à la recherche soit de la paternité, soit de la maternité […]“). Capitant hielt diese Regelung für unbillig, weshalb es zur Entstehung eines droit local in diesem Bereich kam: Das Gesetz „sacrifie l’interet de l’enfant au respect de la moralité“:134 Die Loi Civile vom 1. Juni 1924 behielt insoweit das lokale Recht bei, als sie in Art. 16 LCiv erklärte, dass die Art. 335, 342 CC nicht anwendbar seien und verweist allein für diese Fälle auf die Rechtswirkungen der damit beschränkt fortgeltenden §§ 1708 ff. BGB, auch wenn ansonsten „la reconnaissance des enfants naturels, la preuve de leur filiation, leur situation dans la famille, sont régies par le drot français“.135 130

Eccard, Les Régles, S. 87 f. Ähnlich Struss/Fehner, Anm. zu Art. 15, S. 65. 132 Zum Übergangsrecht vgl. Art. 124 ff. LCiv. 133 Kritisch Eccard, Les régles, S. 91. 134 Capitant, L’introduction, S. 159; Kritik auch bei Niboyet/Blas, Capacité, Rn. 4. 135 Circulaire ministérielle, BOAL 1924, 995, 1008. 131

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

Allerdings hatte das französische Recht seine Strenge bereits teilweise zurückgenommen; Art. 331 CC in der Fassung einiger Änderungsgesetze aus dem frühen 20. Jahrhundert ließ immerhin unter bestimmten Voraussetzungen die Legitimierung ehebrecherischer Kinder zu. Überdies betonte Eccard, dass das französische Gesetz vom 16. November 1912 auf den engen Grundsatz des Art. 340 CC („La recherche de la paternité est interdit“) verzichtet habe und in manchen Fällen die gerichtliche Feststellung der nichtehelichen Vaterschaft ermögliche. Anerkennung oder gerichtliche Feststellung hätten zur Folge, dass zwischen dem leiblichen Kind und seinem Vater das Erbrecht im Sinne des Gesetzes vom 25. März 1896 zur Änderung der Artikel 756 ff. des Zivilgesetzbuches entstehe.136 Nach deutschem Recht war die Ermittlung der Vaterschaft allerdings jederzeit zulässig, was im Erfolgsfall zwar nicht zur Herstellung eines Verwandtschaftsverhältnisses führen konnte und damit auch nicht zu einer erbrechtlichen Begünstigung des Kindes, wohl aber zu Unterhaltsverpflichtungen des Vaters, §§ 1708 ff. BGB, die überdies im Rang vor der Unterhaltspflicht anderer Personen standen.137 Capitant sprach sich deshalb – vergeblich – insgesamt für das in Elsaß-Lothringen geltende deutsche Abstammungsrecht aus. „La loi locale se montre plus humaine et l’on a jugé bon d’en maintenir les dispositions.“138 In der Literatur wird die Einführung französischen Rechts später als „conformisme français“ kritisiert. „Le législateur préserve la paix des familles et, comme en matière de capacité de la femme mariée, le mariage et la filiation légitime. […] Face aux intérêts de l’enfant, le système français préfère la protection de la famille légitime.“139 Zurück zur Vomundschaft: Die wichtigste Ausnahme vom Grundsatz des Inkrafttretens französischen Rechts „concernant la filiation, la puissance paternelle, la minorité, la tutelle, l’émancipation, la majorité et la condition des incapables majeurs“, Art. 15 LCiv, betrifft die tutelle, Art. 19 ff. LCiv. Die §§ 1626 ff. BGB blieben deshalb also insoweit anwendbar, als sie die Verwaltung des Kindesvermögens betrafen (Art. 19 LCiv); ebenso bestanden die Vormundschaftsgerichte140 und Waisenräte141 fort. Nach dem Tod eines Elternteils verwaltete der überlebende Elternteil das Kindesvermögen also – anders als vom Code Civil vorgesehen – nicht als Vormund, sondern als Inhaber der elterlichen Gewalt142 und war dabei dem Vor136

Eccard, Les régles, S. 91. Diesen Vorteil betont Niboyet/Blas, Capacité, Nr. 12 besonders. 138 Capitant, L’introduction, S. 159. 139 Coutant, Alsace, S. 141 Fn. 576. 140 Vgl. hierzu Loi du 25 juillet 1923 sur l’organisation judiciaire dans les départements d’Asace-Lorraine, JORF du 26 juillet 1923. 141 Die Zusammensetzung der Waisenräte richtete sich weiterhin nach den Artikeln 128 – 135 des Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch in Elsaß-Lothringen vom 17. April 1899; er besteht aus ehrenamtlichen Mitgliedern, die vom Gemeinderat mit vormundschaftsgerichtlicher Zustimmung ernannt werden, und steht unter der ständigen Aufsicht des Gerichts (Art. 131), vgl. Struss/Fehner, Anm. zu Art. 20, S. 74. 142 Vgl. Struss/Fehner, Anm. zu Art. 19, S. 71. 137

III. Vormundschaft

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mundschaftsgericht unterstellt; ein Familienrat unterstützte die überlebende Mutter in bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Fällen. Waren Mutter und Vater verstorben, bestellte das Vormundschaftsgericht einen Vormund nach lokalem Recht, denn Errichtung, Organisation und Durchführung der Vormundschaft für eheliche, minderjährige Kinder unterfielen dem droit local (Art. 20 Abs. 1 LCiv mit §§ 1773 ff. BGB). „Ce que l’on a voulu uniquement, c’est substituer au conseil de famille français le tribunal des tutelles.“143 Von besonderer Bedeutung waren dabei die in Art. 20 Abs. 2 LCiv genannten Sicherheiten und die Veräußerung von Grundstücken Minderjähriger oder entmündigter Personen.144 Nach § 1844 BGB oblag es dem Vormundschaftsgericht, Art und Umfang der Sicherheiten zu bestimmen, die der Vormund zu leisten hat. Art. 2121 CC räumt Minderjährigen ein gesetzliches Pfandrecht am gesamten Vermögen des Vormunds ein. Art. 20 Abs. 2 LCiv schützte das Mündel besonders stark, indem er ihm sowohl die Sicherheiten des lokalen Rechts als auch die Hypothek des französischen Rechts gewährte. Diese wiederum war, mit Rücksicht auf das Grundbuch,145 bis 2002146 in Art. 57 ff. LCiv geregelt. Ist das Mündel Miteigentümer eines Grundstücks, so kann dieses bei Einverständnis aller Miteigentümer unter bestimmten Voraussetzungen ohne Durchführung des Teilungsverfahrens147 (und damit unter Ersparnis der hierfür anfallenden Kosten) veräußert werden (Art. 257 LCiv). Hinzukommen Regelungen über die Emanzipation (Art. 22 LCiv), die Rechte des Vormunds in Bezug auf Inhaberpapiere (Art. 24 LCiv) und über den Wechsel der Staatsangehörigkeit (Art. 25 LCiv). Bei unehelichen Kindern waren französisches und deutsches Recht nebeneinander anwendbar. Das deutsche Recht schrieb die elterliche Gewalt weder dem leiblichen Vater noch der leiblichen Mutter zu. Das französische Gesetz vom 2. Juli 1907148 übertrug sie in Art. 1 hingegen dem Elternteil, der das Kind zuerst anerkannt hatte; hier wurde kritisiert, dass diese Regelung den Vater bevorzuge, denn er sei „libre de son allure, alors que l’autre, la mère, est forcément immobilisée“.149 Werde das Kind später wohlhabend, könne es zu einem Anerkennungsrennen um den gesetzlichen Nießbrauch des Kindesvermögens kommen. Bei gleichzeitiger Anerkennung durch Vater und Mutter übte nur der Vater die mit der väterlichen Gewalt verbundene Autorität aus. Im Falle des Vorversterbens des Elternteils, dem die väterliche Gewalt zusteht, wurde diese von Gesetzes wegen auf den überlebenden Elternteil übertragen. Gleichzeitig war in Art. 3 bestimmt, dass dieser Elternteil die 143

Exposé des motifs (zur LCiv), S. 21. Vgl. Lotz, Incapables, Fasc. B Nr. 96 f.; Struss/Fehner, Anm. zu Art. 20, S. 73 ff. 145 Dazu im Abschnitt B. I. dieses Buches. 146 Aufgehoben durch Art. 1 Loi No 2002-306 du 4 mars 2002, JORF du 5 mars 2002. 147 Dazu Abschnitt D. III. dieses Buches. 148 Loi relative à la protection et à la tutelle des enfants naturels du 2 juillet 1907, JORF du 4 juillet 1907. 149 Rouffiac, L’organisation, S. 92. 144

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

Verwaltung des Kindesvermögens in der Funktion eines gesetzlichen Vormunds auszuüben habe. Dies galt seit 1. Januar 1925 auch in Elsaß-Lothringen, allerdings unterfiel diese Vormundschaft den Regeln des droit local, §§ 1773 ff. BGB. Die gleichen Regeln galten für Kinder, die nicht der väterlichen Gewalt unterliegen, weil sie nicht anerkannt wurden (Art. 21 LCiv).150 Diese Vormundschaft diente als fremdnütziges Amt dazu, die Persönlichkeitsentfaltung des Mündels zu ermöglichen, was in der freien (und weisungsfreien) Stellung des Vormunds, die der Elternschaft nachempfunden war, zum Ausdruck kam.151 Der Vormund unterlag folgerichtig lediglich gerichtlicher Rechtsaufsicht. Nicht übersehen werden darf allerdings, dass das französische Gesetz von 1907 inzwischen auch in Frankreich dem Gericht eine stärkere Position in der Vormundschaftsverwaltung zugewiesen und den Familienrat zurückgedrängt hatte – was jedoch zum Teil auf Kritik stieß, weil die überlasteten Gerichte nicht zu sachgemäßen Entscheidungen in der Lage seien.152 Ähnlich wirkten französisches und deutsches Recht bei der Vormundschaft über erwachsene Menschen zusammen. Über den Antrag auf Entmündigung war nach Maßgabe der Vorschriften des französischen Rechts zu entscheiden; gleiches galt für Art und des Umfangs der Geschäftsunfähigkeit und der Nichtigkeit von rechtserheblichen Handlungen des Betroffenen (Art. 23 Abs. 3 LCiv). Zu führen war die Vormundschaft aber dann nach §§ 1896 ff. BGB (Art. 23 Abs. 1 LCiv).153 Hingegen wurde die Vormundschaft für gebrechliche Personen (§ 1910 BGB) durch die Vormundschaft nach Art. 936 CC und die Vormundschaft für ein noch nicht geborenes Kind (§ 1912 BGB) durch die Vormundschaft nach Art. 393 CC ersetzt (Art. 28 LCiv). Weiterhin anzuwenden waren hiernach hingegen §§ 1909, 1911 BGB, also die Ergänzungspflegschaft und die Abwesenheitspflegschaft. Dies alles galt freilich nur für Personen, die in den Anwendungsbereich des droit local fielen. Die Abgrenzung von gesamtfranzösischem Recht und droit local konnte zu willkürlichen Ergebnissen führen. Ein nichteheliches Kind war hiernach ElsaßLothringer, wenn der Urheber der ersten Anerkennungserklärung Elsaß-Lothringer war, was sich nach dem Gesetz vom 24. Juli 1921 richtete:154 Bei gleichzeitiger Anerkennung entschied die Einordnung des Vaters. Das konnte insbesondere bei der Erstanerkennung des Kindes durch einen elsässischen Elternteil weitreichende Folgen für den anderen Elternteil, häufig den nichtehelichen Vater, haben, auch wenn dieser nicht Elsässer war. Denn die Art. 335, 342 CC waren nicht anwendbar. Dies verstieß nicht gegen den französischen ordre public, weil die deutschen Normen durch französisches Gesetz aufrechterhalten worden waren.155 Umgekehrt war bei 150

Zum ganzen Eccard, Les règles, S. 92. HKK-BGB/Repgen, §§ 1773 ff. Rn. 263 ff. 152 Rouffiac, L’organisation, S. 94. 153 Dazu Niboyet/Hamel, Incapables Majeurs, Nr. 10 ff. 154 Loi du 24 juillet 1921 prévenant et réglant les conflits entre la loi française et la loi locale d’Alsace et Lorraine en matière de droit privé, JORF du 26 juillet 1921. 155 Rouffiac, L’organisation, S. 100. 151

III. Vormundschaft

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Erstanerkennung durch einen Nichtelsässer die Ermittlung des anderen Elternteils verboten, selbst wenn dieser Elsässer sein sollte. 4. Diese Fragen erledigten sich erst 1955156 mit der Aufhebung von Art. 16 LCiv nach einer Reform der Art. 340 ff. CC. Im Jahre 1972157 erfolgte – ähnlich wie in Deutschland 1969 – eine teilweise Gleichstellung ehelicher und nichtehelicher Kinder im Erbrecht.158 Bereits in den 1930er Jahren war Bewegung in die französische Reformdebatte zum Vormundschaftsrecht gekommen.159 Eine umfassende Reform erfolgte dann 1964160 durch eine Neufassung der Art. 389 – 475 CC, denn „malgré diverses modifications apportées aux textes primitifs du Code civil, le système de gestion des biens des mineurs était depuis longtemps fortement critiqué.“161 Denn die geltenden Regeln zum Schutz des Vermögens Minderjähriger „paralysaient la gestion de leurs biens, alors que les conditions de vie actuelles requièrent rapidité et efficacité. On pouvait aussi reprocher au Code civil d’avoir trop compté sur la famille pour assurer la protection de la fortune du mineur.“162 Das Gesetz vom 14. Dezember 1964163 erweiterte den Bereich der gesetzlichen Verwaltung (administration légale) des Vermögens Minderjähriger als Bestandteil der elterlichen Gewalt auf Kosten der Vormundschaft: Die gesetzliche Verwaltung blieb nun bestehen, solange ein Elternteil lebte und in der Lage war, die väterliche Gewalt auszuüben; es wurde also nicht mehr die Vormundschaft über ein eheliches Kind mit dem Tod eines Elternteils eröffnet. Zudem galt seither auch für nichteheliche Kinder, die von einem oder beiden Elternteilen freiwillig anerkannt wurden, die administration légale, allerdings nicht „pure et simple“, wie zu Lebzeiten beider miteinander verheirateter Eltern, sondern „sous contrôle judiciaire“ und damit gleichsam zwischen der unbeaufsichtigten Verwaltung und der Vormundschaft stehend. Die Kontrolle im Rahmen der administration légale sous contrôle und der tutelle nahm nun ein neues Kontrollorgan wahr, der juge des tutelles, der zugleich befugt war, die Genehmigung für genehmigungsbedürftige Verwaltungshandlungen auszusprechen. Damit hat sich das ge-

156 Loi No 55-934 du 15 juillet 1955 Reconnaisance des enfants naturels, JORF du 16 juillet 1955. 157 Loi No 72-3 du 3 janvier 1972 sur la filiation, JORF du 5 janvier 1972. 158 Vgl. dazu Weill/Lotz, La loi de 3 janvier 1972. 159 Vgl. dazu nur die Werke von Janvier, Le conseil; Michel, La réforme. 160 Loi No 64-1230 du 14 décembre 1964 portant modification des dispositions du Code civil relatives à la tutelle et à l’emancipation, JORF du 15 décembre 1964; eine Reform der Regelungen zur protection des majeurs incapables folgte mit der Loi n8 68-5 du 3 janvier 1968 portant réforme du droit des incapables majeurs, JORF du 4 janvier 1968, hierzu Kohler, La protection juridique, S. 22 ff. 161 Lotz/Weill, Lehrbuch, Nr. 768. 162 Lotz/Weill, Lehrbuch, Nr. 768. 163 Loi No 64-1230 du 14 décembre 1964 portant modification des dispositions du Code civil relatives à la tutelle et à l’emancipation, JORF du 15 décembre 1964.

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

samtfranzösische Recht an die Konzeption des droit local angenähert,164 ohne jedoch seine eigene Konzeption aufzugeben, denn der Familienrat wurde nicht etwa abgeschafft, sondern der Gesetzgeber hat sich bemüht, seine Arbeitsweise zu verbessern, und hat seine Befugnisse erweitert. Damit wurden vierzig Jahre nach Inkrafttreten der Loi du 1er juin 1924 mettant en vigueur la législation civile française dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle165 tatsächlich beide vormundschaftsrechtlichen Konzeptionen miteinander in Einklang gebracht. Das lokale Vormundschaftsrecht wurde schließlich 1990166 aufgehoben, weil sich aufgrund der Mobilität der Gesellschaft seine Anwendung immer komplizierter gestaltete: Wenn ein Elsässer-Lothringer in einen anderen Teil Frankreichs umgezogen war, mussten die dortigen Behörden und Gerichte trotzdem das ihnen nicht vertraute lokale Recht anwenden und es bestand das Risiko der Vornahme rechtsunwirksamer Verwaltungsmaßnahmen.167

IV. Sondererbrecht 1. Die Bestimmungen des Code Civil über Erbteilungen gehörten zu den umstrittensten Rechtsinstituten im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Das Gesetzbuch begnügte sich nicht damit, die Teilung von Intestaterbschaften in „égales portions“ (Art. 745 CC) vorzuschreiben, sondern enthielt überdies zahlreiche Vorschriften, die eine Umgehung dieser Regel erschweren sollten. „Il existait, enfin, toute une gamme de procédés plus ou moins frauduleux pour transmettre l’essentiel du patrimoine à un seul héritier: donations déguisées, quittances passées au nom du fils aîné, sousévaluation volontaire des biens fonciers, indivision maintenue par divers moyens de pression.“168 Vor allem aber sah (und sieht) das französische Erbrecht Beschränkungen des Grundsatzes der freien Verfügung über das Vermögen von Todes wegen vor. Der Erblasser kann bei Vorhandensein von pflichtteilsberechtigten Erben nur über einen Teil seines Vermögens von Todes wegen verfügen. Der unantastbare Teil seines Vermögens, der als réserve bezeichnet wird, ist definiert als „la part des biens et droits successoraux dont la loi assure la dévolution libre de charges à certains héritiers dits réservataires, s’ils sont appelés à la succession et s’ils l’acceptent“ (Art. 912 CC); 164

Mischler, Guide, S. 356. „Ces lois innovaient en droit général et force est de constater que sur certains points elles s’inspiraient du droit local.“ 165 Loi du 1er juin 1924 mettant en vigueur la législation civile française dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle, JORF du 3 juin 1924 = BOAL 1924, S. 587 ff. bzw. 661 ff. (deutsche Fassung). 166 Art. 1 Loi No 90-1248 du 29 décembre 1990 portant diverses mesures d’harmonisation entre le droit applicable dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle et le droit applicable dans les autres départements, JORF du 3 janvier 1991. 167 Mischler, Guide, S. 357. 168 Halpérin, Histoire du droit privé francais, Nr. 66.

IV. Sondererbrecht

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seine Höhe bemisst sich nach dem Vorhandensein nahe Verwandter bzw. eines überlebenden Ehegatten. Der Wert von Gegenständen, über die durch eine Schenkung unter Lebenden verfügt wurde, wird bei der Ermittlung des Umfangs der réserve dem Nachlass hinzugerechnet. Anders als heute mussten, wenn die réserve betroffen war, Geschenke in Natur an den Nachlass herausgegeben werden (rapport en nature, Art. 866 CC); eine Ausgleichung durch Geldzahlung kam – anders als dies in der Regel heute möglich ist (Art. 921 ff. CC) – nicht in Betracht.169 2. Im Jahr 1923 sprachen sich deshalb elsässisch-lothringische Parlamentarier, die das insoweit deutlich flexiblere deutsche Erbrecht schätzten, massiv gegen die Wiedereinführung der französischen auf „allzupeinlicher tatsächlicher Gleichstellung“170 der Abkömmlinge beruhenden Pflichtteilsgrundsätze in den drei Departements aus, der zu einer Zerstückelung und damit einer Vernichtung von Werten führe.171 Ein Gegenentwurf zur beabsichtigten Wiedereinführung des französischen Erbrechts wurde vorgelegt, der zwar erfolglos blieb, aber zum Kompromiss des Art. 73 LCiv führte, der im ursprünglichen Entwurf der Loi du 1er juin 1924 mettant en vigueur la législation civile française dans les départements du Bas-Rhin, du HautRhin et de la Moselle172 nicht enthalten war und somit das Ergebnis dieses Widerstands darstellt:173 „L’article 73 est le résultat d’une série d’amendements proposés par M. Jäger au cours de l’année 1923, et qui tendaient à une modification radicale des principes francais de la réserve héréditaire, des droit du con joint survivant et du partage. Le texte définitivement ajouté au projet du gouvernement a une portée beaucoup plus modeste.“174

Diese Regelung setzte zwar die Prinzipien des französischen Erbrechts nicht außer Kraft, derogierte jedoch Art. 866 CC mit seiner Regel des „rapport en nature“, ohne allerdings seinerseits auf eine Regelung des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches zu verweisen, die stattdessen gelten sollte. Vielmehr lehnt sich diese Ausnahmeregelung ihrem Inhalt nach an deutsche Partikularrechte175 an, die auch nach 1900 in Kraft geblieben sind (vgl. Art. 64 und 137 EGBGB), um die Zersplitterung landwirtschaftlicher Einheiten im Erbgang zu vermeiden.176 Blas stellt dieses Modell in eine lange Tradition: „le droit germanique ne considérait pas la terre comme une

169

Vgl. Kleffer/Rapp, Das tägliche Recht, S. 135. Kueny/Andrès, Das neue Erbrecht, S. 375. 171 Struss, Les lois locales, S. 202. 172 Loi du 1er juin 1924 mettant en vigueur la législation civile française dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle, JORF du 3 juin 1924 = BOAL 1924, S. 587 ff. bzw. 661 ff. (deutsche Fassung). 173 Sirey, Lois annotées 1924, S. 1487, Nr. 227. 174 Circulaire ministérielle, BOAL 1924, S. 995, 1066. 175 Vgl. hierzu Planck, BGB, Auflistung zu Art. 64 EGBGB. 176 Niboyet/Blas, Stichwort Successions, Répertoire pratique de droit, Nr. 17. 170

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marchandise, mais voyait dans sa détention une sorte de fonction (Amt), qui, comme telle, indivisible, ne se transmettait qu’à un seul des enfants.“177 Auf diese Weise wurde die ungeteilte Übertragung eines Betriebs, der unter die Begriffe „agricole, industrielle ou commerciale“ zu fassen war, möglich, indem der Erblasser zu Lebzeiten einen künftigen Erben beschenkte (don) oder einem Erben ein Vermächtnis (legs) zuwies, dessen Wert den Wert seines ihm eigentlich zustehenden Erbteils und der quotité disponible überstieg. Zum ersten Mal wurde damit in Frankreich der Grundsatz der „égalité en nature“ hinter die wirtschaftlichen Notwendigkeiten der Aufrechterhaltung eines Betriebs oder Unternehmens zurückgesetzt.178 Zugleich ging das droit local damit über die erwähnten deutschen Partikularrechte hinaus, die lediglich Sonderregelungen für den Übergang von Höfen vorsahen. Dieses Ziel wurde auf folgende Weise erreicht, Art. 73 LCiv: Wenn die Schenkung oder das Vermächtnis an einen in gerader Linie Verwandten oder den überlebenden Ehepartner einen landwirtschaftlichen, industriellen oder kommerziellen Betrieb zum Gegenstand hat, kann der Beschenkte oder Vermächtnisnehmer abweichend von Art. 866 CC den Gegenstand der Zuwendung vollständig behalten. Allerdings muss er die Miterben entschädigen, in der Regel durch Zahlung eines Ausgleichsbetrages (Abs. 1). Die Beträge, welche die Empfänger von Zuwendungen, die den verfügbaren Anteil überschreiten, den Pflichtteilsberechtigten schulden, sind echte Teilungssummen nach französischem Recht (nicht etwa bloße obligatorische Pflichtteilsansprüche wie zuvor im deutschen Recht), die durch das Vorrecht des Teilhabers gesichert sind.179 Dasselbe gilt übrigens, wenn die Schenkung oder das Vermächtnis an den überlebenden Ehegatten bewegliche Gegenstände betrifft, die im gemeinsamen Haushalt der Ehegatten gedient haben (Art. 73 Abs. 2 LCiv). Hier beruft sich der Gesetzgeber auf das Vorbild des Voraus in § 1932 BGB,180 sieht also auch den ehelichen Haushalt als eine derartige unteilbare Einheit an, die zum Schutz des überlebenden Ehegatten nicht gegen dessen Willen auseinandergerissen werden soll. Wird ein landwirtschaftlicher Betrieb übertragen, so gelten weitere Besonderheiten: Der Betrieb wird nicht nach dem Marktwert, sondern – für den Zuwendungsempfänger günstiger – nach der Ertragswertmethode bewertet (Abs. 3).181 Dem Hoferben können zudem Stundungsfristen für die Ausgleichszahlung an die Miterben eingeräumt werden (Abs. 4). Dieser Vorteil zählt nicht als Zuwendung, selbst wenn die geschuldeten Beträge unverzinslich sind.182 Bei einer Veräußerung des 177

Niboyet/Blas, Stichwort Successions, Répertoire pratique de droit, Nr. 18. Halpérin, Histoire du droit privé français, Nr. 159. 179 Struss/Fehner, Anm. zu Art. 73, S. 169. 180 Vgl. Sirey, Lois annotées 1924, S. 1487, Nr. 227. 181 Niboyet/Blas, Stichwort Successions, Répertoire pratique de droit, Nr. 22. 182 Hamel, Les obligations, S. 116 f.

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IV. Sondererbrecht

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landwirtschaftlichen Betriebes während der Stundungsfrist werden die Zahlungen allerdings sofort fällig.183 Art. 73 Abs. 1 LCiv, der „exceptionnel et d’interprétation stricte“ sein sollte,184 hat damit vier Anwendungsvoraussetzungen:185 (1.) Es muss sich um den Nachlass eines Elsaß-Lothringers handeln. Hier gilt das Gesetz über Rechtsanwendungskonflikte vom 24. Juli 1921,186 das vorsieht, dass Erbschaften den Gesetzen unterliegen, die den Stand und die Geschäftsfähigkeit der Personen bestimmen (Art. 4 LConfl). Folglich gilt Art. 73 LCiv unabhängig vom Ort des letzten Wohnsitzes eines Elsaß-Lothringers und auch unabhängig vom Ort der Belegenheit der Güter. (2.) Die Schenkung oder das Vermächtnis muss einem Erben in gerader Linie oder dem überlebenden Ehegatten zugewendet worden sein. (3.) Die Schenkung oder das Vermächtnis muss sich auf eine exploitation agricole, industrielle ou commerciale unique (also „économiquement indivisible ou difficilement divisible“187) beziehen, die auch aus mehreren Betriebsstätten bestehen kann.188 (4.) Schließlich muss die Schenkung oder das Vermächtnis unter Befreiung von der in Art. 866 CC angeordneten Sachleistungspflicht erfolgen. 3. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts schuf der französische Gesetzgeber verschiedene vom Grundsatz des „rapport en nature“ abweichende Regelungen für besondere Kategorien von Vermögenswerten189 und begann auf diese Weise, den „absolutisme du droit au partage“ aufzuweichen. Jedenfalls die erste Neufassung des Art. 866 CC190 durch das Dekret vom 17. Juni 1938191 war offensichtlich von der „innovation juridique remarquable“192 des Art. 73 LCiv inspiriert193 und sollte 183

Kueny/Andrès, Das neue Erbrecht, S. 379. Circulaire ministérielle, BOAL 1924, S. 995, 1066. 185 Lotz, Successions, Nr. 59 ff. 186 Loi du 24 juillet 1921 prévenant et réglant les conflits entre la loi française et la loi locale d’Alsace et Lorraine en matière de droit privé, JORF du 26 juillet 1921. 187 JORF 1923, Doc. Parl., Annexe 6696, S. 7. 188 Struss/Fehner, Anm. zu Art. 73, S. 167. 189 Halpérin, Histoire du droit privé français, Nr. 159. 190 Art. 866 CC in der Fassung von 1938 lautete: „Lorsque le don ou legs d’un immeuble ou d’une exploitation agricole, fait sans obligation de rapport en nature, à un successible, excède la portion disponible, le donataire ou légataire peut, quel que soit cet excédent, retenir en totalité l’objet de la libéralité, sauf récompenser les cohéritiers en argent ou autrement. Il en est de même lorsque le don ou legs fait au conjoint concerne au ménage commun des époux. Les avantages résultant des délais accordés pour le payement des sommes dues aux héritiers ne constituent pas une libéralité imputable sur la portion disponible et sur la réserve légale même si les sommes sont stipulées non productives d’intérêts, pourvu toutefois que le payement ne soit pas retardé au-delà de cinq ans à partir de l’ouverture de la succession du disposant. En cas de vente totale ou partielle des immeubles légués ou donnés, les sommes encore dues deviennent immédiatement exigibles.“ 191 Décret-loi du 17 Juin 1938 tendant à assurer la protection du commerce français, JORF du 26 juin 1938. 192 Sander, Guide du droit local, S. 426. 184

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

„conséquences désastreuses“ im landwirtschaftlichen Bereich, die sich aus dem geltenden Erbrecht ergaben, auch für die anderen Gebiete Frankreichs verhindern. Beide Normen galten in den drei östlichen Departements damit jetzt nebeneinander: Art. 866 CC bezog sich allerdings nur auf Immobilien und landwirtschaftliche Betriebe, während Art. 73 LCiv auf Industrie-, Handels- und Landwirtschaftsbetriebe Anwendung fand. So konnte in Elsaß-Lothringen Art. 73 LCiv für Schenkungen oder Vermächtnisse geltend gemacht werden, die sich auf Industrie-, Handels- oder Landwirtschaftsbetriebe bezogen, und Art. 866 CC für andere Immobilien als die, die von einem solchen Betrieb abhingen. Art. 73 LCiv galt nur für Abkömmlinge und den überlebenden Ehegatten, während Art. 866 CC auf alle Beschenkte bzw. letztwillig Begünstigte anwendbar war. Im Jahr 1961194 wurde Art. 866 CC des Zivilgesetzbuches erneut geändert und der Anwendungsbereich der Ausnahme vom Grundsatz des rapport en nature erweitert. Das Recht, den Gegenstand einer Zuwendung, die den verfügbaren Anteil übersteigt, in natura zu behalten, erstreckte sich nun nicht nur auf Immobilien und landwirtschaftliche Betriebe, sondern auch auf mehrere Immobilien, die eine Einheit bilden, sowie auf Handels-, Industrie- und Handwerksbetriebe. Außerdem konnten sich mehrere Erben, die von einer gemeinsamen Zuwendung profitiert haben, ebenfalls auf Art. 866 CC berufen. Schließlich konnte Mobiliar, das dem gemeinsamen Gebrauch des Erblassers und des Begünstigten diente, unabhängig davon, wer der Begünstigte ist, behalten werden. Weitere Ausnahmen vom Grundsatz der Naturalteilung folgten 2006.195 Art. 73 LCiv, den der Conseil Constitutionnel196 2012 als verfassungsgemäß angesehen hat, ist damit nur noch für die Bewertung landwirtschaftlicher Betriebe (Art. 73 Abs. 3 LCiv) von Interesse197 (und konnte zeitweise umgekehrt für Erbschaften in Elsaß-Lothringen teilweise im Vergleich zu Art. 866 CC nachteilige Rechtsfolgen hervorrufen198): Die Berechnungsmethode des droit local, die auf dem Einkommen aus dem Betrieb und nicht auf dem Verkehrswert beruht, kann dem Beschenkten einen großen Vorteil verschaffen, da er nicht nur den Betrieb behalten 193

Lotz, Successions, Nr. 64. Loi No 61-1378 du 19 décembre 1961 modifiant les articles 815, 832, 866, 2103 (38) et 2109 du code civil, les articles 790, 807, 808 et 831 du code rural, et certaines dispositions fiscales, JORF du 20 décembre 1961. 195 Loi No 2006-728 du 23 juin 2006 portant réforme des successions et libéralités, JORF du 24 juin 2006. Mit dem Gesetz vom 19. Dezember 1961 war der Anwendungsbereich auf alle Arten von Unternehmen ausgeweitet worden, unabhängig davon, ob es sich um landwirtschaftliche Betriebe größerer Art oder um andere Unternehmen handelt, solange sie einen familiären Charakter behalten. Das Gesetz vom 23. Juni 2006 erweiterte den Anwendungsbereich noch weiter, indem es den Familiencharakter des Betriebs als Kriterium für die Anwendbarkeit des Instituts abschafft, vgl. insgesamt Cazajus, L’Anticipation, S. 61 ff. 196 Conseil Constitutionnel, Décision No 2012-274 QPC du 28 septembre 2012. 197 Sander, Droit des successions, Nr. 224; Sander, Revue du Droit Local, S. 25. 198 Lotz, Successions, Nr. 65 f. 194

V. Erbschein

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kann, sondern vor allem nur eine Entschädigung zahlen muss, die im Vergleich zum Verkehrswert der Güter, die er erhalten hat und die den landwirtschaftlichen Betrieb bilden, in aller Regel deutlich geringer ist.

V. Erbschein 1. Das französische Recht sieht die Ausstellung einer gerichtlichen Erbbescheinigung nicht vor. Allerdings kennt das französische Recht das certificat de propriéte und den acte de notoriété, die von einem Notar ausgestellt werden und eine Art Ausweisfunktion haben, indem sie das Eigentum des Erben an bestimmten Nachlassgegenständen bestätigen (certificat de propriéte) bzw. feststellen, wer die Erben sind (acte de notoriété), ohne dass hierdurch jedoch der Rechtsverkehr in seinem Vertrauen auf die Eigentümer- oder Erbenstellung des Inhabers umfassend geschützt würde. Ohne vorzugreifen, sei hier aus einer 1911 in Paris entstandenen Dissertation zitiert: „En France, la question de savoir si la bonne foi existe ou non est une question de fait qui dépend de circonstances multiples; leur examen est laissé à la libre appréciation des tribunaux; ils jugent souverainement.Cette manière deprocéder donne aux solutions une variabilité extrême, et il n’est pas étonnant qu’il ne soit guère possible de trouver un guide certain dans les arrêts souvent contradictoires. En Allemagne, au contraire, les juges n’ont qu’à rechercher une chose: y avait-il ou n’v avait-il pas de certificat. S il n’y en a pas, les tiers sont de mauvaise foi; si un certificat a été délivré, ils sont de bonne foi. à moins que le véritable héritier fasse la preuve de certaines circonstances limitativement énumérées par le Code.“199

2. In Deutschland kannte im 19. Jahrhundert lediglich Preußen und auch dies nur im Geltungsbereich des Allgemeinen Landrechts ein Erbeslegitimationsverfahren (I 9 §§ 482 ff. ALR), das jedoch nur unvollständig geregelt war und von der Rechtspraxis fortgebildet wurde. Ein Legitimationsattest konnten allerdings nur die Intestaterben erhalten, vermutlich weil letztwillige Verfügungen beurkundungspflichtig waren und in diesen Fällen eine Ausfertigung erteilt werden konnte, die als Attest diente.200 In den anderen Teilen Preußens wurde das Fehlen einer solchen Bescheinigung als Mangel angesehen, zum Teil betrieb die Rechtsprechung deshalb Rechtsfortbildung in Anlehnung an die Praxis zum Allgemeinen Landrecht.201 Am 12. März 1869 erging in Preußen das Gesetz betreffend die Ausstellung gerichtlicher Erbbescheinigungen,202 das einheitliche und die bisherige Praxis aufgreifende Regelungen für das gesamte preußische Staatsgebiet enthielt. Hiernach kann „[j]eder gesetzliche Erbe (Intestaterbe) […] [die] Ausstellung einer Erbbe199

Levy, Certificat, S. 169. Hirsch, Erbbescheinigung, S. 30. 201 Wachler, Gesetz, S. 6 ff. 202 GS 1869, S. 473 ff. 200

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

scheinigung“ beantragen, § 1. Gewillkürte Erben konnten hingegen lediglich eine die letztwillige Verfügung ergänzende Bescheinigung beantragen, falls die letztwillige Verfügung die Erben nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit (sondern beispielsweise unter Gattungsbezeichnungen wie „meine Kinder“) benannte, § 9 Abs. 1. Sollte eine Bescheinigung unrichtigen Inhalts ausgestellt worden sein, musste der wahre Erbe „die von dritten Personen redlicher Weise mit dem in der Erbbescheinigung benannten Erben über den Nachlass vorgenommenen Rechtsgeschäfte, insbesondere auch die demselben von Nachlassschuldnern geleisteten Zahlungen, gegen sich gelten lassen“, § 5 Abs. 1. Die Stoßrichtung der Regelungen ist klar; Wachler,203 der den ersten umfassenden Kommentar zu dem Gesetz herausgegeben hat, zitiert hierzu den Abgeordneten Bähr, der als Berichterstatter im Preußischen Abgeordnetenhaus ausgeführt hat. „Der vorliegende Gesetzentwurf gehört in die Kategorie derjenigen Gesetze, welche der in dem allgemeinen Zuge der Neuzeit liegenden Tendenz Folge geben, Formen zu schaffen, innerhalb deren sich der Verkehr frei und sicher bewegen kann, indem er von den Gefahren befreit wird, welche die Rechtsunsicherheit bisher ihm gebracht hat. Der Entwurf geht in dieser Beziehung parallel mit dem uns gleichzeitig vorliegenden Entwurf über den Eigenthumserwerb. Wie es dort heißt: der als Eigenthümer Eingetragene ist Eigenthümer insofern, als der Dritten Rechte an dem Eigenthum überträgt, so heißt es in diesem Entwurfe: der als Erbe bescheinigte ist Erbe insofern, als er Dispositionen über den Nachlass oder Theile desselben vornimmt. In dieser Bestimmung liegt der Schwerpunkt des ganzen Gesetzes.“

3. Im Reichsland Elsaß-Lothringen galt nach 1871 zunächst der Code Civil fort. Allerdings wurde 1886204 die Ausstellung gerichtlicher Erbbescheinigungen eingeführt. Das Gesetz lehnt sich eng an das preußische Gesetz an, das sich auch in den preußischen Geltungsgebieten französischen Rechts bewährt zu haben scheint; hinzukommen verfahrensrechtliche Regelungen. Der Gesetzgeber knüpft in seiner Entwurfsbegründung205 ausdrücklich an das Legitimationsbedürfnis von Erben und Dritten und die hierzu nach französischem Recht bestehenden Instrumente an. „So bedarf der Erbe nach Art. 6 des Gesetzes vom 28. Floréal VII, um im Staatsschuldbuche die Umschreibung eines ererbten Titels zu erlangen, eines certificat de propriété, welches nach näherer Vorschrift des Gesetzes vom Notar oder Friedensrichter auszustellen ist. Eines gleichen Zeugnisses bedarf der Erbe nach dem Dekrete vom 18. September 1806 zur Erhebung der vom Erblasser bestellten Amtskaution sowie nach Art. 3 des Gesetzes vom 7. Mai 1853 zur Zurückziehung von Sparkasseneinlagen des Erblassers.“

203

Wachler, Gesetz, S. 12 f. Gesetz vom 10. Mai 1886, betreffend die Ausstellung gerichtlicher Erbbescheinigungen und die Zuständigkeit der Amtsgerichte, SlgEL 2010; ergänzt durch die Verfügung zur Ausführung des Gesetzes vom 10. Mai 1886, betreffend die Ausstellung gerichtlicher Erbbescheinigungen und die Zuständigkeit der Amtsgerichte, SlgEL 2033. 205 Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 25), XIII. Session 1886, 1. Bd.: Vorlagen, Nr. 1 C, S. 4 f. 204

V. Erbschein

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Daneben treten für andere Fälle die actes de notoriété. „Es fehlt jedoch diesen Urkunden die gesetzliche Grundlage und es bestehen weder Vorschriften über Verfahren und Zuständigkeit noch, was das Wichtigste, über ihre rechtliche Bedeutung. […] Der Dritte, welcher einem solchen Akt Glauben schenkt, thut dies auf eigene Gefahr“. Das Gesetz wolle weitergehende Forderungen des modernen Verkehrs an den Gesetzgeber befriedigen, indem es Formen schaffe, „in denen er sich frei und sicher bewegen kann“. Die Begründung stützt sich hingegen nicht vorrangig auf die Notwendigkeit der Vorlage eines Erbscheins im Grundbuchverfahren und damit auf den originären Anwendungsbereich dieses Rechtsinstituts, denn der Landesausschuss für Elsaß-Lothringen hatte den zeitgleich eingebrachten Gesetzentwurf einer Grundbuchordnung für das Reichsland (zunächst) abgelehnt.206 Nach dem Gesetz konnte (nicht musste207) „jeder gesetzliche Erbe“ (§ 1) – also die Erben nach Maßgabe der Art. 745 ff. CC – am Gerichtsstand des Nachlasses unter Erbringung der entsprechenden Nachweise (§ 2) die Erteilung einer solchen Bescheinigung beantragen. Gleiches galt für Erbvermächtnisnehmer (§ 9); hier spiegelt sich das geltende materielle französische Erbrecht mit den als Vindikationslegaten konstruierten Figuren der légataires universels et à titre universel. Für testamentarische Erben bestand auch in diesem Gesetz nur die Möglichkeit, eine Unklarheiten des Testaments ausräumende ergänzende Bescheinigung zu erhalten, § 8 Abs. 1; der Richter sei im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit außerstande, über die rechtliche Wirksamkeit eines Testaments zu entscheiden.208 War der Nachweis geführt und erforderlichenfalls ein Aufgebotsverfahren zur Ermittlung weiterer Berechtigter durchgeführt (§ 3), war die Erbbescheinigung auszustellen (§ 4 Abs. 1); für in Elsaß-Lothringen belegene Grundstücke konnte eine gegenständlich beschränkte Erbbescheinigung erteilt werden (§ 7 Abs. 1). Die Bescheinigung ersetzte die Eigentumsnachweise nach französischem Recht (§ 10). Bei Ablehnung des Antrags standen die Beschwerde zum Landgericht und die weitere Beschwerde zum Oberlandesgericht offen (§ 14), letztere konnte nur auf die Behauptung einer Gesetzesverletzung gestützt werden (§ 15 Abs. 1). Auch die Wirkungen gleichen jenen der Erbbescheinigung nach preußischem Recht. „Die Rechte des wahren Erben werden durch die Erbbescheinigung nur darin beschränkt, daß er die von dritten Personen redlicher Weise mit dem in der Erbbescheinigung benannten Erben über den Nachlass vorgenommenen Rechtsgeschäfte, insbesondere auch die demselben von Nachlassschuldnern geleisteten Zahlungen gegen sich gelten lassen muß. Derselbe hat jedoch, wenn eine freigebige Verfügung unter Lebenden oder von Todeswegen den Gegenstand des Rechtsgeschäfts bildet, insoweit einen Anspruch gegen den Erwerber, als dieser sich noch im Besitze des Erworbenen oder daraus bereichert findet“ (§ 5).

206

Vgl. zum Grundbuch Abschnitt B. I. in diesem Buch. Das betont Hock, Gesetz, S. 10. 208 Hock, Gesetz, S. 12.

207

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

Auch in Elsaß-Lothringen wurde – wie in Preußen – eine enge Verbindung zwischen Grundbuchgesetzgebung und Erbschein hergestellt, wie die Begründung des Gesetzentwurfes zeigt. Der Erbe benötige jedenfalls eine Erbbescheinigung, um im Grundbuch Umschreibungen vornehmen lassen zu können. Aber der Entwurf gehe noch weiter, indem er den Erbbescheinigungen über den Grundbuchbereich hinaus eine umfassende Legitimationswirkung, zuschreibt.209 Das neuartige, der sicheren Ermittlung der erbrechtlichen Lage dienende Verfahren bei der Ausstellung von Erbbescheinigungen scheint in der Gerichtspraxis nur langsam angekommen zu sein. In einigen Verfügungen musste der Präsident des OLG Colmar die Einhaltung des Verfahrens anmahnen, beispielsweise die in § 2 des Gesetzes von 1886 erwähnten Zeugen „in den gesetzlich vorgeschriebenen Formen zu vernehmen“ und die Vernehmung nicht durch die Vorlage notarieller Offenkundigkeitsakte zu ersetzen, die nicht geeignet seien, „für das Gericht die nur durch unmittelbare eigene Wahrnehmung zu gewinnende Offenkundigkeit über nachzuweisende Thatsachen herbeizuführen“.210 Häufig scheinen die Gerichte bei der Ermittlung der Tatsachen eher nachlässig gewesen zu sein, „selbst die Sterbeurkunde des Erblassers [wird] nicht immer verlangt, Zeugen nur selten vernommen“. Häufig beschränke sich das Beweismaterial auf eine eidesstattliche Versicherung und „in mehreren Fällen ist diese Versicherung nicht einmal von den den Antrag stellenden Erben selbst, sondern von der Wittwe des Verstorbenen, welche statt der erbberechtigten Kinder auftritt, oder von dem Bevollmächtigten des Antragstellers abgegeben“.211 4. Zum 1. Januar 1900 traten im gesamten Deutschen Reich die §§ 2353 ff. BGB in Kraft, die den Erbschein für ganz Deutschland einführten und Verfahren der Erteilung wie Wirkungen eines Erbscheins regelten. Hierdurch änderte sich die Rechtslage in Elsaß-Lothringen nicht wesentlich. Allerdings konnte nunmehr – mit § 322 des Vorentwurfs212 und entgegen der noch im ersten Entwurf nach preußischem Muster vorgesehenen Regelung213 – auch testamentarischen Erben ein Erbschein erteilt werden,214 weil es „zweifelsohne vom Standpunkt des Verkehrs außerordentlich wünschenswerth [sei], daß den Privatpersonen, welche mit einem Erben, der sein Erbrecht auf eine Verfügung von Todeswegen stütze, in Verkehr treten, die Prüfung der vielfach schwierigen Frage, ob das 209 Vgl. Landesausschuss Elsaß-Lothringen, Verhandlungen (Bd. 23), XII. Session 1885, 1. Bd.: Vorlagen, Nr. 4 C, S. 4. 210 Alles in Verfügung des Oberlandesgerichtspräsidenten zu Colmar vom 9. März 1893, betreffend das Verfahren bei Ausstellung gerichtlicher Erbbescheinigungen, SlgEL Nr. 3117. 211 Verfügung des Oberlandesgerichtspräsidenten zu Colmar vom 9. März 1893, betreffend das Verfahren bei Ausstellung gerichtlicher Erbbescheinigungen, SlgEL Nr. 3117, Anlage II. 212 Redaktor Schmitt sah den Erbschein bereits als allgemeines Verkehrserleichterungsmittel, Schubert, Vorlagen: Erbrecht 2, S. 176. 213 Vgl. dazu Mot. V, S. 558. 214 Krug, Le certificat d’héritier, S. 13.

V. Erbschein

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Erbrecht begründet sei, durch eine provisorische Entscheidung des Nachlassgerichts abgenommen werde“.215

Dagegen wurde ein in der zweiten Kommission gestellter Antrag auf Einführung eines öffentlichen Erbschaftsregisters als nicht praktikabel abgelehnt.216 5. Das Rechtsinstitut des Erbscheins (certificat d’heritier), wie es in den §§ 2353 ff. BGB geregelt war, blieb auf Grundlage der Art. 74 ff. LCiv217 auch über den 1. Januar 1925 hinaus (und bis heute) in Elsaß-Lothringen bestehen, nachdem sich eine starke Opposition gegen die Wiedereinführung des französischen Erbrechts überhaupt gezeigt hatte.218 Das französische Recht kannte einen Nachweis der Erbenstellung mit derartig weitreichenden Rechtswirkungen, die auf der Richtigkeitsund Vollständigkeitsvermutung des § 2365 BGB und den daran geknüpften öffentlichen Glauben beruhen, nämlich auch weiterhin nicht. Der Erbschein gehörte zum Feld der Publizität, auf dem das vor hundertzwanzig Jahren kodifizierte französische Recht reformbedürftig und das fortgeltende droit local als Inspirationsquelle nützlich erschien, weil das Modell des Erbscheins Erleichterungen sowohl für den Rechtsverkehr als auch für den (in aller Regel ja zutreffend ausgewiesenen) Erben bewirken konnte.219 Überdies war er „en connexion pratique avec l’orgaisation du livre foncier“,220 so dass seine Übernahme schon allein deshalb als folgerichtig und selbstverständlich erschien.221 Zudem wurden dem Erbschein „avantages indiscutables“ bescheinigt. „La protection des tiers de bonne foi concorde avec les idées modernes de commerce et de circulation des richesses […]. Le certificat d’héritier n’engage que la responsabilité du juge et, pour cette raison, n’a été établi qu’après une enquête minutieuse […]. En dernier lieu, le certificat vaut comme preuve authentique et cela, une fois pour toutes.“222

Art. 74 LCiv ordnete deshalb die Fortgeltung der §§ 2353 – 2367 BGB an, soweit der Erblasser seinen letzten Wohnsitz in Elsaß-Lothringen hatte. Zuständig für die Erteilung war nunmehr der „juge cantonal du lieu de l’ouverture de la succession“ (Art. 75 LCiv). Das Gesetz hob damit zugleich die Regelungen zum gegenständlich beschränkten Erbschein (§ 2369 BGB) und zum Erbschein bei irriger Todeserklärung (§ 2370 BGB) auf. Umgekehrt wurde der Erbschein an das seit 1. Januar 1925 wieder geltende materielle französische Erbrecht angepasst: Die Erb- und Erbteilvermächtnisnehmer (légataires universels et à titre uinversel) waren als Erben im Sinne der §§ 2353 ff. BGB anzusehen, sodass den Begünstigten ein entsprechender 215

Prot. V, S. 671. Prot. V, S. 672. 217 Loi du 1er juin 1924 mettant en vigueur la législation civile française dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle, JORF du 3 juin 1924. 218 Niboyet/Blas, Successions, Nr. 1. 219 Vgl. nur Levy, Le Certificat d’Héritier, S. 167 ff. 220 Circulaire ministérielle vom 1. Dezember 1924, BOAL 1924, S. 1069. 221 Vgl. Capitant, Les obligations, S. 163. 222 Niboyet/Blas, Successions, Nr. 4. 216

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

Erbschein zu erteilen war. Insoweit kehrt die Loi du 1er juin 1924 mettant en vigueur la législation civile française dans les dé-partements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle in Art. 76 LCiv also wieder zur Regelung aus § 9 des Gesetzes von 1886 zurück. Hinzukommt, dass nunmehr auch Stückvermächtnisse (legs à titre particulier), die sich auf im ehemaligen Reichsland belegene Grundstücke beziehen, in den Erbschein aufzunehmen sind (Art. 76 LCiv). Hier erfolgte eine echte Weiterentwicklung des Rechtsinstituts, denn der Erbschein sollte nach der Intention des deutschen Gesetzgebers lediglich die Erbenstellung, nicht aber den Nachlassbestand ausweisen. Der Vermächtnisnehmer erhält nach französischem Erbrecht jedoch nicht nur einen schulrechtlichen Anspruch gegen den Erben auf Übereignung, sondern wird mit dem Erbfall ex lege Eigentümer, auch an Immobilien,223 der Eigentumsübergang erfolgt also außerhalb des Grundbuchs. Warum also sollte diese Eigentümerstellung nicht im Erbschein ausgewiesen werden können.224 Die in § 2363 BGB geregelte Einsetzung eines Nacherben, die dem französischen Erbrecht unbekannt ist, wird im Sinne eines double legs conditionnel ou de legs de eo quod supererit verstanden.225 Art. 77 LCiv regelt schließlich, dass (abgesehen vom Bereich des Grundbuchrechts226) Bescheinigungen des französischen Rechts (certificat de notorieté ou de proprieté) und Erbscheine wechselseitig als gleichwertig anzusehen sind, wenngleich erstere freilich „ne possèdent qu’une force probante très incertaine“.227 Die Wechselseitigkeit der Regelung (Anerkennung des Erbscheins in ganz Frankreich) wurde erst in einem späten Stadium des Gesetzgebungsverfahrens geschaffen.228 An der Regelung der Art. 74 ff. LCiv wurde kritisiert, dass im Erbschein nicht auch ehevertragliche Regelungen aufgenommen werden müssen. Bei Vorliegen einer Gesamthandsgemeinschaft könne das gesamte Vermögen dem überlebenden Ehegatten zustehen, auch wenn die Kinder im Erbschein als Erben ausgewiesen sind.229 Dieser Kritikpunkt wurde 1990 ausgeräumt, indem der französische Gesetzgeber Art. 76 LCiv um einen dritten Absatz ergänzte:230 „Doivent également figurer au certificat d’héritier le régime matrimonial s’il s’agit d’un régime de communauté ainsi que les clauses de partage inégal de la communauté.“ Auch an diesem Punkt erscheint das Erbscheinsrecht des droit local also als entwicklungsfähige Materie.

223

Vgl. Struss/Fehner, Textes introductifs, S. 176. Krug, Le certificat d’héritier, S. 165; Kueny/Andrès, Das neue Erbrecht, S. 387. 225 Struss/Fehner, Textes introductifs, S. 177. 226 Lotz, Successions, Nr. 4. 227 Lotz, Successions, Nr. 1. 228 Vgl. Struss/Fehner, Textes introductifs, S. 526: Rapport de 4. décembre 1923. 229 Lotz/Weill, Droit civil alsacien-lorrain, Nr. 498. 230 Art. 17 du Loi No 90-1248 du 29 décembre 1990 portant diverses mesures d’harmonisation entre le droit applicable dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle et le droit applicable dans les autres départements, JORF du 3 janvier 1991. 224

VI. Testamentsvollstreckerzeugnis

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6. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat das französische Recht im Rahmen einer Erbrechtsreform zusätzlich zu den bisher existierenden Nachweismöglichkeiten (Art. 730 CC) eine gesetzlichen Regelung des acte de notoriété geschaffen.231 Gemäß Art. 730 – 3 und 730-4 CC begründet die notarielle Urkunde eine einfache Vermutung der Erbenstellung und es wird davon ausgegangen, dass die in der Urkunde genannten Erben oder ihr gemeinsamer Bevollmächtigter gegenüber Dritten, die Nachlassgüter besitzen, über diese frei verfügen können. Die Formulierung „à l’égard des tiers détenteurs de biens de la successions“ (Art. 730-4 CC) begegnet Kritik, da sie nur einige Fälle erfasst, etwa Kreditinstitute, die sich nicht weigern können, einen Auftrag auszuführen, der von dem im acte de notoriété genannten Erben stammt. In der Literatur wird diese inhaltlich beschränkte Regelung kritisiert. Der im acte de notoriété genannte Erbe solle gegenüber jedermann die Befugnis haben, über das Erbgut und die Nachlassgelder zu verfügen.232 An der Geltung des lokalen Erbscheinsrechts hat sich schon deshalb nichts geändert. „Ce n’est finalement que cette dernière loi qui aura rattrapé, encore que de façon incomplète, le retard du droit général sur le droit local, en la matière, au travers des articles 730-1 à 730-5 du code civil puisque la force probante dudit acte notoriéte du droit général par rapport au droit local n’est pas encore la même, notamment en matière de publicité foncière.“233

VI. Testamentsvollstreckerzeugnis 1. Der Code Civil kennt das Rechtsinstitut des Testamentsvollstreckerzeugnisses nicht. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat dieses Zeugnis – anders als den Erbschein234 – nicht aus dem preußischen Partikularrecht entlehnt, das ein derartiges Zeugnis ebenfalls nicht kannte. In den Beratungen der ersten BGB-Kommission wurde die Einführung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses oder die Erteilung eines Erbscheins an den Testamentsvollstrecker erwogen, man sah jedoch kein genügendes Bedürfnis für ein derartiges Rechtsinstitut. Ein Testamentsvollstreckerzeugnis sei sinnvoll nur als Legitimationspapier, was aber nicht angängig sei.235 Die zweite Kommission hat demgegenüber in einem Testamentsvollstreckerzeugnis ein zweckdienliches Mittel für den Vollstrecker sich auszuweisen, gesehen, was durch Vorlage des Testaments nicht immer geschehen könne.236 Aufgrund der dogmatischen Bauweise des Testa231 Art. 19 Loi No 2001-1135 du 3 décembre 2001 relative aux droits du conjoint survivant et des enfants adultérins et modernisant diverses dispositions de droit successoral, JORF 4 décembre 2001. 232 Dagot, De la preuve, La Semaine Juridique Notariale et Immobilière 2002, S. 1221 ff. 233 Mischler, Guide, S. 98. 234 Dazu Abschnitt B. V. in diesem Buch. 235 Mot. V, S. 222. 236 Prot. V, S. 253 ff.

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

mentsvollstreckers im Bürgerlichen Gesetzbuch, der zwar eine sehr starke Position hat, aber nicht Rechtsträger des Nachlasses wird, solle dieser zwar keinen Erbschein beantragen können, wohl aber ein Zeugnis mit gleichen Wirkungen zugunsten des Rechtsverkehrs.237 Das in § 2368 BGB geregelte Zeugnis legitimiert den Testamentsvollstrecker tatsächlich in ähnlicher Weise wie der Erbschein den Erben, weil eine identische Richtigkeitsvermutung besteht, an die sich der öffentliche Glaube knüpft. 2. Das Testamentsvollstreckerzeugnis existiert in dieser Form bis heute im droit local, auch wenn dies in der Loi du 1er juin 1924 mettant en vigueur la législation civile française dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle238 nicht ausdrücklich geregelt ist. Denn zum einen wurde § 2368 BGB beibehalten, zum anderen ordnet Art. 74 Abs. 2 LCiv an, dass die Befugnisse des Testamentsvollstreckers denen des französischen Rechts (Art. 1025 ff. CC) entsprechen,239 damit nicht über die Fortgeltung des § 2368 BGB auch eine Fortgeltung der §§ 2197 ff. BGB angenommen werden konnte.240 Das Zeugnis weist Person und Reichweite der Befugnisse des Testamentsvollstreckers nach.241 Deshalb hat diese Regelung kaum praktische Bedeutung, denn diese Befugnisse sind im Vergleich zu den in §§ 2197 ff. BGB geregelten Befugnissen nicht sehr weitreichend; insbesondere hat der Testamentsvollstrecker nach französischem Recht nur in Ausnahmefällen Verfügungsbefugnisse.

VII. Versicherungsvertrag 1. Der Code Civil von 1804 enthielt keine Regelungen zum Versicherungsvertrag. Seine einzige Erwähnung findet er in Art. 1964 CC, wo der Versicherungsvertrag unter die contrats aléatoires eingereiht wird, deren effets vom Eintritt eines ungewissen Ereignisses abhängen. Ein entsprechendes Regelungsbedürfnis242 dürfte schlicht nicht bestanden haben: Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten großen, als Aktiengesellschaften gegründeten Versicherungsunternehmen in Frankreich.243 Infolgedessen unterstanden Versicherungsverträge den allgemeinen schuldrechtlichen Regelungen und dem für Versicherungsverträge entstehenden 237

Prot. V, S. 688 ff. Loi du 1er juin 1924 mettant en vigueur la législation civile française dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle, JORF du 3 juin 1924 = BOAL 1924, S. 587 ff. bzw. 661 ff. (deutsche Fassung). 239 Lotz, Successions, Rn. 3. 240 Struss/Fehner, Anm. zu Art. 74, S. 171. 241 Kueny/Andrès, Das neue Erbrecht, S. 390. 242 Ausnahme ist die bereits in der grande ordonnance de la marine d’août 1681 geregelte Seeversicherung, deren Regelungen dann in den Code de Commerce von 1807 übergenommen wurden (Art. 332 ff. CdC). 243 Vgl. Bellenger, Histoire de l’assurance, S. 156 ff. 238

VII. Versicherungsvertrag

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Rechtsprechungsrecht, das sich zunächst in Analogie zum Seeversicherungsrecht entwickelte, vor allem um mögliche Benachteiligungen der Versicherten durch einseitige Vertragsgestaltung zu verhindern.244 Es galt die Parteiautonomie und den Gerichten kam im Streitfall die Aufgabe der Auslegung und Durchsetzung der vertraglichen Regelungen zu. Zum Teil, so Baloet,245 hätten sich die Richter im nachhinein darum bemüht, das im Versicherungsvertrag gestörte Gleichgewicht wiederherzustellen mit dem Argument, es sei trotz Art. 1134 f. CC nicht zulässig, den Vertragsinhalt als Gesetz der Vertragsparteien sklavisch zu befolgen, wenn es um Vereinbarungen gehe, „qui ne sont pas débattues“. Als Argument konnte angeführt werden, „que les clauses invoquées par l’assureur ne pouvaient pas avoir été voulues par l’assuré: il les avait subies, sans pouvoir apprécier leurs effets“. Ein Dekret von 1868246 betraf allein die – staatliche erwünschten – Versicherungsvereine, um deren Gründung, Verwaltung und Betrieb zu vereinheitlichen. Ziel war es auch, die Versicherten zu schützen, indem den Versicherungen mehr Transparenz vorgeschrieben wurde. Die Listen, die für die Aufnahme von Mitgliedern bestimmt waren, mussten den vollständigen Wortlaut der Satzung enthalten. Angegeben werden mussten zudem Gegenstand, Dauer, Sitz und Namen der Gesellschaft, ebenso versicherbare Risiken, angebotene Tarife und die Voraussetzungen einer Veränderung dieser Parameter. Die Hauptversammlung aller Mitglieder wählte die Mitglieder des Verwaltungsrats aus ihrer Mitte und bestellte Rechnungsprüfer. In der III. Republik wurden von politisch linker Seite zahlreiche Gesetzesentwürfe eingebracht, die auf eine Verstaatlichung des Versicherungswesens zielten:247 Die von den Versicherungsunternehmen erzielten Gewinne stünden in keinem Verhältnis zu den von ihnen erbrachten Leistungen; die von den Unternehmen gestellten Verträge enthielten zahlreiche für die Versicherten ungünstige Klauseln. Auch wenn diesen Entwürfen kein Erfolg beschieden war, so waren damit doch die entscheidenden Probleme des Versicherungswesens benannt und das Erfordernis einer gesetzlichen Regelung, die überdies jenseits des Rechtsprechungsrechts für Rechtssicherheit der Beteiligten sorgen konnte, begründet. 2. In Deutschland existierten zwar einige partikularrechtliche Regelungen zu einzelnen Arten von Versicherungsverträgen, so im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (II 8 §§ 1934 ff. ALR), dessen Schwerpunkt (ebenso) auf dem Seeversicherungsrecht lag, das aber auch Normen über Feuer- oder Lebensversicherungen enthielt.248 Doch auch in Deutschland ergaben sich in der zweiten Hälfte

244

Bellenger, Histoire de l’assurance, insb. S. 203 ff. Baloet, La protection de l’assuré, S. 7. 246 Décret du 22 janvier 1868 portant règlement d’administration publique pour les compagnies d’assurances, Lalande, Traité théorique et pratique, S. 690 ff. 247 Belenger, Histoire de l’assurance, S. 198 ff. 248 Dazu Koch, FS Reimer Schmidt, S. 304 ff. 245

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

des 19. Jahrhunderts die meisten maßgeblichen Regelungen aus dem Gewohnheitsund Rechtsprechungsrecht.249 Das Bürgerliche Gesetzbuch enthielt, wiewohl die benannten Probleme dem Gesetzgeber geläufig waren, ebenfalls kaum Normen zum Versicherungsvertrag. 1910 trat vielmehr im gesamten Deutschen Reich ein Nebengesetz, das 1908 verabschiedete Versicherungsvertragsgesetz (VVG), in Kraft. Das als dynamisch eingeschätzte Versicherungsvertragsrecht mit seiner Entwicklung hin zu Massenverträgen,250 die besondere, „zwingende Regelungen“251 erforderten, weil hinsichtlich der Berücksichtigung der Interessen der Versicherten in den Vertragsbestimmungen „noch manches zu wünschen übrig“252 bleibe, gehörte nach Auffassung der Kodifikatoren nicht in ein auf Dauer angelegtes Werk wie das bürgerliches Gesetzbuch es sein sollte.253 Auch die zunächst erwogene Aufnahme des Versicherungsvertragsrechts in das neue Handelsgesetzbuch254 wurde auf das Seeversicherungsrecht als klassisch handelsrechtliche Materie beschränkt,255 während andere Versicherungsverträge als dem allgemeinen Privatrecht zugehörig angesehen wurden, sodass das Reichsjustizamt schließlich 1902 den Entwurf zu einem umfassenden Sondergesetz vorlegte.256 3. Alfred Schissele hat nach dem Rückfall der drei annektierten Departements an Frankreich festgestellt: „Nous n’avons pas en France de loi sur le contrat d’assurance, lacune qui présente de sérieux inconvénients […]. Nous proposons de maintenir cette loi provisoirement, jusqu’au jour où notre Parlement nous aura dotés d’une loi analogue“.257 Art. 66 ff. LCiv ordneten deshalb die Fortgeltung des deutschen Versicherungsvertragsgesetzes über das Jahr 1925 hinaus an und veränderten nur einige wenige Bestimmungen, um eine Anpassung an das französische Zivilrecht zu erreichen (Art. 67 ff. LCiv).258 Das Gesetz, so Schissele bei den Beratungen, enthalte insbesondere im Interesse der Versicherten bestimmte Regeln, die durch Vereinbarungen der Parteien nicht ausgeschlossen werden könnten, und beschreite damit

249

S. 3. 250

Vgl. Begründung zu den Entwürfen eines Gesetzes über den Versicherungsvertrag etc.,

Schug, Der Versicherungsgedanke, S. 323. Begründung zu den Entwürfen eines Gesetzes über den Versicherungsvertrag etc., S. 5. 252 Begründung zu den Entwürfen eines Gesetzes über den Versicherungsvertrag etc., S. 4. 253 Lorenz, Einl. VVG Rn. 3. 254 Vgl. Jakobs/Schubert (Hrsg.), Beratung, S. 213, Anl. 3 zum Prot. v. 22. September 1874. 255 Anders etwa der Preußische Entwurf zu einem Handelsgesetzbuch von 1857. 256 Dazu Duvinage, Die Vorgeschichte, S. 77 ff. 257 Schissele, Bulletin, S. 161 f. 258 Zu Einzelheiten Struss/Fehner, Anm. zu Art. 67, S. 161 ff.; die nunmehr ausländischen deutschen Versicherungsgesellschaften wurden freilich liquidiert bzw. unter Verwaltung gestellt, vgl. Arrête concernant les sociétés d’assurances et de réassurances en Alsace et en Lorraine du 7 février 1919, BOAF 1918/19, S. 119 f. 251

VII. Versicherungsvertrag

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einen sinnvollen Weg. Die Fortgeltung solle mit dem Inkrafttreten eines französischen Gesetzes über den Versicherungsvertrag enden.259 In Frankreich hatten die Bestrebungen nach Schaffung gesetzlicher Regelungen für den Versicherungsvertrag schließlich 1930 mit dem Inkrafttreten des Code des Assurances Erfolg. Justin Godart,260 der Initiator des von einer Kommission unter Vorsitz von Henri Capitant erarbeiteten Werkes, beschrieb in seinem Kommentar zum Code des Assurances die Beziehung zwischen Versicherern und Versicherungsnehmern mit – bis heute – treffenden Worten wie folgt: „La convention contenue dans la police, de quelle nature est-elle exactement? Les deux parties, assureurs, d’une part, assurés, d’autre part, y participent-elles sur le ,même pied d’égalité‘? Non. L’assureur impose en quelque sorte ses conditions à l’assuré: ce sont les conditions générales du contrat: l’assuré n’est pas admis à les discuter; tout ce qu’il peut faire, c’est obtenir l’adjonction de conditions particulières. Il n’a qu’à adhérer purement et simplement aux conditions générales de sa police; sa volonté n’est donc pas libre. Mais il y a plus; ces conditions générales, imprimées en caractères serrés et très fins, l’assuré ne les lit pas; et quand il les lit, il ne les comprend pas souvent! Il y a là bien établi en faveur de l’assureur, qui redoute, à bon droit d’ailleurs les fraudes, tout un réseau de limites apportées à la garantie, de règles compliquées telle que la règle proportionnelle en matière de règlement de sinistre d’incendie, de déchéances dont le jeu n’apparaîtra hélas! à l’assuré qu’après le premier sinistre! Que sait généralement de son contrat l’assuré moyen?“

Die große Neuerung auch des französischen Gesetzes besteht darin, dass es im Gegensatz zum allgemeinen Vertragsrecht weitreichend als zwingendes Recht ausgestaltet ist. „Ne peuvent être modifiées par convention les prescriptions de la présente loi, sauf celles qui donnent aux parties une simple faculté et qui sont contenues dans les articles 6, 10, 11, 23, 30, 31, 32, 33, 34, 36, 38, 40, 41, 45, 50, 51, 52, 56, 65, 70, 73 et 74“ (Art. 2 CdA). Es wurde also die Vertragsfreiheit eingeschränkt, „pour rétablir l’égalité entre les parties contractantes“.261 Vor allem durch die Mitwirkung von Henri Capitant262 wurden verschiedene ausländische, insbesondere deutsche Regelungsvorbilder rezipiert, allerdings hatten die Arbeiten am Code des Assurances bereits begonnen, bevor mit einem Rückfall des Reichslandes zu rechnen war, sodass es sich jedenfalls nicht nur um einen Einfluss des fortgeltenden droit local oder des Strebens nach Rechtseinheit in Frankreich nach 1918 handelt. Das wird vor allem daran deutlich, dass 1930 nicht etwa das mit detaillierteren und zum Teil abweichenden Regelungen operierende deutsche Versicherungsvertragsgesetz in Elsaß-Lothringen zugunsten des Code des Assurances außer Kraft getreten wäre. Die Art. 66 ff. LCiv wurden vielmehr über259

Schissele, Bulletin, S. 161 f.; genauso Capitant, Bulletin, S. 158. Godart/Perraud-Charmantier, Code des assurances, S. 15 f. 261 Godart/Perraud-Charmantier, Code des assurances, S. 33. 262 Vgl. zum Einfluss Capitants etwa auf die Schaffung zwingender Normen und bestimmter Rechtsfiguren nach dem Vorbild unter anderem des deutschen Rechts Deroussin, RHD 36, S. 298 ff. 260

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B. Zivilrechtliche Regelungen des droit local

haupt nicht verändert. Es kam also nicht zu einer Rechtsvereinheitlichung, auch wenn sich französisches wie deutsches Gesetz identischer Mittel (zwingendes Recht) zur Verfolgung identischer Zwecke (Schutz der Versicherungsnehmer) bedienten.263 Vielleicht auch deshalb, weil das neue Gesetz keineswegs als umfassend zufriedenstellende Lösung angesehen wurde; Baloet kam bereits 1930 zu folgender Einschätzung: „Du point de vue de la protection de l’assuré contre l’incendie, objet de notre étude, il ressort que la loi nouvelle n’apporte à cette protection qu’une bien faible contribution.“264 Im Ergebnis durfte damit keine Klausel einer französischen Versicherungspolice gegen eine Bestimmung entweder des Code des Assurances oder des Versicherungsvertragsgesetzes verstoßen, wenn die Gesellschaften nicht mit unterschiedlichen Musterverträgen arbeiten und dabei komplizierte Abgrenzungsprobleme riskieren wollten. Zwar gestattete das 1921 in Kraft getretene interlokale Privatrecht265 Parteien, einen Vertrag, der dem droit local unterfällt, durch eine einfache Erklärung ihres gemeinsamen Willens dem französischen Recht zu unterwerfen (Art. 10 LConfl); jedoch war Art. 13 Abs. 2 LCiv zu beachten, der es verbietet „même par voie d’option pour la législation française, des clauses prohibées par le droit local maintenu en vigueur“ zu vereinbaren. So konnte der Versicherer beispielsweise nicht festlegen, dass der Versicherte bei Nichtzahlung der Prämie von Rechts wegen ausfällt, da nach Art. 39 VVG die Nichtzahlung der Prämie durch den Versicherten den Versicherer nicht von Rechts wegen befreit: Er muss vielmehr eine Mahnung aussprechen.266 4. Erst mit einem Gesetz aus dem Jahr 1991,267 das Teile der Art. 66 ff. LCiv aufhob, wurde das Versicherungsvertragsgesetz schließlich weitestgehend zugunsten des 1976 neugefassten Code des Assurances außer Kraft gesetzt. Zunehmend hatte das Problem bestanden, dass die großen, frankreichweit operierenden Versicherungsgesellschaften ihre Verträge auch für Versicherungsnehmer in ElsaßLothringen allein mit Blick und unter Bezugnahme auf das französische Gesetz von 1930 gestaltet und teilweise zudem ausdrücklich Regelungen vorgesehen haben, die die Anwendung des Gesetzes 1908 ausschließen sollten, was aber aufgrund des zwingenden Charakters der Normen nicht möglich war.268 Allerdings enthält das erste Buch des geltenden Code des Assurances nun einen Titel IX mit zahlreichen Sonderbestimmungen für die Departements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle, die 263

Vgl. Capitant, La loi du 13 juillet, S. 4. Baloet, La protection de l’assuré, S. 223. 265 Loi du 24 juillet 1921 prévenant et réglant les conflits entre la loi française et la loi locale d’Alsace et Lorraine en matière de droit privé, JORF du 26 juillet 1921. 266 Godart/Perraud-Charmantier, Code des assurances, Einl. 2bis; Cour de Cassation, Civile 2 mars 1936; Rec. jurid. assur. 15 avril – 15 mai 1936, S. 230. 267 Loi No 91-412 du 6 mai 1991 introduisant dans le code des assurances des dispositions particulières aux départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle, JORF du 7 mai 1991. 268 Lotz/Weill, Droit civil alsacien lorrain, Nr. 306 (S. 114). 264

VII. Versicherungsvertrag

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Regelungen aus dem VVG übernehmen. So droht beispielsweise bei Nichterfüllung einer ihm nach Eintritt des Versicherungsfalls obliegenden Verpflichtung dem Versicherten nur bei grober Fahrlässigkeit oder vorsätzlicher Nichterfüllung seinerseits der Verfall (Art. L 191-5 CdA). Die Kündigung des Vertrags nach einem Schadensfall ist ein Recht, das sowohl dem Versicherer als auch dem Versicherten zusteht (Art. L 191-6 CdA). Ein verkaufter Pkw bleibt entgegen Art. L 121-11 CdA fünf Tage nach seinem Verkauf versichert (Art. L 192-2 CdA).269 Bis heute gelten in Elsaß-Lothringen zudem über Art. 71 LCiv die §§ 1127 und 1128 BGB zum Schutz der Inhaber von Grundpfandrechten. Im Schadensfall erstreckt sich das Grundpfandrecht auch auf den Anspruch auf die Versicherungsleistung, § 1127 Abs. 1 BGB. Anders als nach französischem Recht sind hier jedoch einige Besonderheiten zu beachten, die sich aus § 1128 BGB ergeben. Infolgedessen kann der Versicherer den Versicherten nur entschädigen, nachdem er die Pfandgläubiger vorher benachrichtigt hat, die ihrerseits eine Frist von einem Monat haben, um der Zahlung zu widersprechen, § 1128 Abs. 1 BGB. Um die Beendigung eines Gebäudeversicherungsvertrages zu verhindern, sollten die Grundpfandgläubiger das Bestehen ihrer Grundpfandrechte dem Versicherer mitteilen. Denn §§ 100 ff. VVG erlegen dem Versicherer eine Reihe von Formalitäten auf, bevor er den Vertrag beenden darf. So muss er beispielsweise die Pfandgläubiger über die Nichtzahlung von Prämien, die zur Kündigung führen kann, informieren; die Gläubiger können sich dann dafür entscheiden, durch Prämienzahlung den Versicherungsvertrag aufrechtzuerhalten, §§ 103, 105 VVG. Außerdem – dies wird als die wichtigste Sonderregelung angesehen270 – verhindert Art. 72 LCiv das Inkrafttreten der Art. 1733 f. CC in Elsaß-Lothringen bis heute.271 Diese Artikel begründen im Fall eines Wohnungsbrandes eine widerlegliche Verschuldensvermutung zu Lasten des Mieters; dieser muss darlegen und beweisen, dass der Brand auf höhere Gewalt oder einen Konstruktionsfehler zurückzuführen ist oder dass der Brandherd nicht in der gemieteten Wohnung liegt. Um sich vor dem Risiko einer Nichtwiderleglichkeit der Vermutung zu schützen, schließen Mieter häufig eine Mietrisikoversicherung bis zum Wert der von ihnen gemieteten Räume ab, sodass es zu einer Doppelversicherung neben der Versicherung des Gebäudes durch den Eigentümer kommen kann. In Elsaß-Lothringen ist dies nicht erforderlich.272

269

Vgl. dazu Dagorne, Guide, S. 54. Dagorne, Guide, S. 54. 271 Vgl. hierzu Capitant, Bulletin, S. 159. 272 Vgl. Struss/Fehner, Anm. zu Art. 72, S. 165.

270

C. Handelsrechtliche Regelungen des droit local I. Handelsregister 1. Die französische Ordonnance du Commerce von 16731 kannte bereits die Pflicht zur Registrierung von Gesellschaften im Hinblick auf ihre Gesellschafter und den Vertrag. Auch auf diesem Feld übernahm der Code de Commerce von 1807 die Regelungen der Ordonnance, Art. 42 ff. CdC, und fügte der Registrierungspflicht von Personenhandelsgesellschaften beim greffe du tribunal de commerce die identische Pflicht der neu geregelten sociétés anonymes hinzu, die (bis zur Abschaffung des Konzessionssystems in den 1860er Jahren) auch die staatliche Konzessionsurkunde beizufügen hatten, Art. 45 CdC. Einzelkaufleute mussten sich demgegenüber nicht registrieren lassen. Publizitätswirkung für den Rechtsverkehr entfaltete die Registrierung nicht. Die Loi du 24 juillet 1867 sur les sociétés commerciales2 regelte in Art. 55 f. die Pflicht zur Einreichung einer Abschrift der Gründungsurkunde einer Personengesellschaft bei der Geschäftsstelle des Friedensgerichts oder des Handelsgerichts des Ortes, an dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Bei sociétés en commandite par actions und sociétés anonymes waren zudem eine Ausfertigung der notariellen Urkunde, welche die Zeichnung des Grundkapitals und die Einzahlung des Viertels feststellt, sowie eine beglaubigte Kopie bestimmter Beschlüsse einzureichen, bei sociétés anonymes überdies auch eine beglaubigte Namensliste der Zeichner unter Nennung der Aktien jedes Zeichners. „[U]n extrait de l’acte constitutif et des pièces annexées est publié dans l’un des journaux désignés pour recevoir les annonces légales“ (Art. 56 Abs. 1). Sanktion für die Verletzung dieser Formalitäten war die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages, jedoch nur im Verhältnis der Gesellschafter zueinander;3 „mais le défaut d’aucune d’elles ne pourra être opposé aux tiers par les associés“ (Art. 56 Abs. 3). 2. Nachdem in einigen deutschen Einzelstaaten bereits ebenfalls Registrierungspflichten eingeführt4 worden waren, brachte das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch von 1861 eine einheitliche Regelung. Kaufleute hatten sich in einem öffentlich einsehbaren Handelsregister, das vom jeweiligen Handelsgericht geführt wurde (Art. 12 ADHGB), eintragen zu lassen (Art. 19 ADHGB). Als Kaufmann 1

Ordonnance du Commerce du mois de Mars 1673 (Code Savary). Loi du 24 juillet 1867 sur les sociétés commerciales, Recueil Duvergier 1867, S. 241. 3 Bédarride, Droit commercial, Nr. 592 (S. 319). 4 Vgl. hierzu die Darstellung bei Heimann, Die Entwicklung. 2

I. Handelsregister

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anzusehen war, wer gewerbemäßig Handelsgeschäfte betreibt (Art. 4 ADHGB). Gleiches galt für „Handelsgesellschaften, insbesondere auch der Aktiengesellschaften, bei welchen der Gegenstand des Unternehmens in Handelsgeschäften besteht“ (Art. 5 Abs. 1 ADHGB). Dem Handelsregister kam bereits beschränkte zivilrechtliche Publizitätswirkung zu, allerdings nur mit Blick auf Sekundärtatsachen. „Ist die Aenderung oder das Erlöschen [der Firma] nicht in das Handelsregister eingetragen und öffentlich bekannt gemacht, so kann derjenige, bei welchem jene Thatsachen eingetreten sind, dieselben einem Dritten nur insofern entgegensetzen, als er beweist, daß sie dem letzteren bekannt waren. Ist die Eintragung und Bekanntmachung geschehen, so muß ein Dritter die Aenderung oder das Erlöschen gegen sich gelten lassen, sofern nicht die Umstände die Annahme begründen, daß er diese Thatsachen weder gekannt habe, noch habe kennen müssen“ (Art. 25 Abs. 2 und 3 ADHGB).

Diese Regelung zur Firma steht beispielhaft für zahlreiche weitere Einzelregelungen zur Publizität in Art. 46, 87, 115, 129, 135, 155, 171 und 233 ADHGB; zu einer allgemeinen Formulierung fand das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch also noch nicht, obwohl Art. 11 PreußE HGB bereits eine solche vorgesehen hatte. Diese Regelung wurde jedoch abgelehnt, weil es auf die Publizität nur bei einer Änderung oder Löschung ankommen könne.5 3. In dieser Form traten die Regelungen des Allgemeinen Deutsche Handelsgesetzbuchs zum 1. Oktober 1872 in Elsaß-Lothringen in Kraft6 und lösten die Registrierungspflicht des Code de Commerce ab. Einzelheiten der Registerführung wurden durch die Instruktion vom 28. September 1872, betreffend die Führung des Handelsregisters7 geregelt, wobei anfangs zahlreiche Unsicherheiten bestanden, ob und in welcher Weise bestimmte Einträge vorzunehmen waren.8 Zum 1. Januar 1900 löste das Handelsgesetzbuch das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch ab und ersetzte die genannten Einzelregelungen zur Publizität nun doch durch eine einzige Norm, den (in ergänzter Form9 bis heute geltenden) § 15 HGB. „Solange eine in das Handelsregister einzutragende Thatsache nicht eingetragen und bekannt gemacht ist, kann sie von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, es sei denn, daß sie diesem bekannt war. Ist die 5

Lutz, Protokolle, Protokoll I bis XLV, S. 898 f. Gesetz, betreffend die Einführung der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung und des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs in Elsaß-Lothringen von 19. Juni 1872, SIgEL Nr. 121. 7 Instruktion, betreffend die Führung des Handelsregisters vom 28. September 1872, SIgELNr. 155. 8 Vgl. nur SIgEL Nr. 166, Nr. 172, Nr. 173, Nr. 174, Nr. 178, Nr. 179, Nr. 184, Nr. 186. 9 Abs. 2 wurde verändert, Abs. 3 ergänzt durch das Gesetz zur Durchführung der ersten RL 68/151/EWG des Rates der europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts vom 15. August 1969, BGBl. 1969 I, S. 1146 ff. 6

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C. Handelsrechtliche Regelungen des droit local Thatsache eingetragen und bekannt gemacht worden, so muß ein Dritter sie gegen sich gelten lassen, es sei denn, daß er sie weder kannte noch kennen mußte.“

4. Mit der Loi Commerciale 192410 löste das französische Recht die deutschen Regelungen zum Handelsregister weitgehend ab, was nahelag, weil in Frankreich mit dem Gesetz vom 18. März 191911 erst kürzlich ein Handelsregister geschaffen worden war, dessen Einführung einen längeren Reformdiskurs abgeschlossen hatte.12 Dieses Handelsregister unterschied sich vom deutschen Handelsregister dadurch ganz erheblich, dass eine Eintragung im Register niemals konstitutive Wirkung hatte. Die Eintragung verlieh einem Nicht-Kaufmann, der sich eintragen ließ, also nicht die Eigenschaft eines Kaufmanns, ebensowenig wie die fehlende Eintragung einem Kaufmann seine Eigenschaft als Kaufmann nehmen konnte. Das Handelsregister zielte auch nicht in der Weise auf Publizität ab, dass Dritten bestimmte Tatsachen nur entgegengehalten werden konnten, wenn sie eingetragen waren.13 Vielmehr löste das Handelsregister keine Rechtswirkungen aus, sondern diente allein der Information des Rechtsverkehrs im Wege der Bereitstellung bestimmter Informationen ohne völlige Richtigkeitsgewähr;14 vor Eintragung erfolgte – anders als nach deutschem Recht – keine gerichtliche Rechtsmäßigkeitskontrolle.15 Trotzdem wurde nach 1918 – anders als bei anderen Publizitätsinstrumenten wie Grundbuch,16 Erbschein17 oder Güterrechtsregister18 – in diesem Bereich eine zügige Rechtsvereinheitlichung angestrebt, was sich mit der wesentlich höheren Mobilität und Vernetztheit im kaufmännischen Bereich erklären dürfte. Zudem erhob sich offenbar auch kein nennenswerter Widerstand gegen die Abschaffung des deutschen Handelsregisters.19 Einzelkaufleute mussten sich deshalb bis zum 31. Dezember 1925 in das neugeschaffene Handelsregister ein- bzw. umtragen lassen (Art. 5 des Dekrets vom 24. Oktober 192420). Die entsprechenden Regelungen des lokalen (deutschen) Handelsgesetzbuches traten, auch für Gesellschaften, die weiterhin dem 10

Loi du 1er juin 1924 portant introduction des lois commerciales françaises dans les départements du Haut-Rhin, du Bas-Rhin et de la Moselle, JORF du 3 juin 1924 = BOAL 1924, S. 743 ff. bzw. 759 ff. (deutsche Fassung). 11 Loi du 18 mars 1919 portant création du registre du commerce, JORF du 19 mars 1919. 12 Vgl. dazu Clausing, Essai critique. 13 Vgl. Niboyet/Gaebele, Publicité, Nr. 17; den Blick auf eine mögliche Weiterentwicklung des französischen Registers lenkt Eude, Le Registre. 14 Demontès/Jauffret, Code de Commerce, Bd. 1, S. 67 ff. (Anh. zum Gesetz von 1919), Nr. 7 ff. 15 Niboyet/Fleurent, Registre du commerce, Nr. 5. 16 Dazu unter A. I. 17 Dazu unter A. V. 18 Dazu unter A. II. 19 Clausing, Essai critique, S. 238 f. 20 Décret et arrêté relatifs á la tenue du registre du commerce et à la publicité des sociétés commerciales dans les départements du Haut-Rhin, du Bas-Rhin et de la Moselle du 24 octobre 1924, BOAL 1924, S. 974 ff.

I. Handelsregister

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deutschen Recht unterlagen, außer Kraft (Art. 18 des Dekrets vom 24. Oktober 1924). Eine Ausnahme bestand für das Genossenschaftsregister, das „sera tenu séparément et d’après les règles antérieurement en vigueur“ (Art. 17 des Dekrets vom 24. Oktober 1924), weil diese Gesellschaftsform als société coopérative des lokalen Rechts auf Grundlage des Genossenschaftsgesetzes von 1889 fortbestand.21 Zudem wurden einige bis heute geltende lokale Besonderheiten geregelt, Art. 12 ff. LComm. So wird das Register beim tribunal d’instance (und nicht vom greffe de la juridiction commerciale) geführt; Entscheidungen des Richters sind Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (juridiction gracieuse) und mit entsprechenden Rechtsbehelfen anfechtbar (Art. 3 Abs. 3 des Dekrets vom 24. Oktober 1924: „En cas de refus, le juge rend une décision contre laquelle les voies de recours prévues par la procédure locale sont ouvertes.“).22 Erteilung und Widerruf der Prokura waren zwar künftig in das neue Register einzutragen. Ohne Eintragung oder Löschung konnten (und können) Ernennung bzw. Widerruf der Prokura Dritten jedoch nicht entgegengehalten werden; mit Blick auf die fortbestehende Prokura23 wurden also die Publizitätswirkungen des § 15 HGB beibehalten (Art. 13 LComm). Im Firmenrecht wurde eine an § 22 HGB angelehnte Regelung geschaffen: Im Falle der Übertragung eines Geschäfts kann der Handelsname oder die Firma mit Zustimmung der früheren Inhaber oder ihrer Erben im Handelsregister beibehalten werden, sofern ein ausdrücklicher Vermerk sowohl im Register als auch auf dem Firmenschild und in allen anderen Dokumenten entweder das Ausscheiden der früheren Inhaber oder den Status des neuen Geschäftsinhabers als Nachfolger angibt (Art. 15 LComm). Bei verheirateten Frauen, die in den drei Departements ein Gewerbe betreiben, wurde kraft gesetzlicher Vermutung davon ausgegangen, dass sie die Zustimmung ihres Mannes dazu erhalten haben. Der Widerspruch des Ehemannes gegen die Ausübung des Handelsgewerbes durch seine Ehefrau war auf Antrag des Ehemannes oder der Ehefrau im Handelsregister einzutragen (Art. 14 LComm; vgl. auch Art. 8 des Dekrets vom 24. Oktober 1924). Hintergrund dieser erst im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens aufgenommenen24 Regelung ist, dass das Bürgerliche Gesetzbuch verheiratete Frauen als voll geschäftsfähig ansah, nicht jedoch der nun wieder in Kraft gesetzte Code Civil.25 Das lokale Recht kehrte damit zum Rechts21 Vgl. Art. 5 LComm: „La législation locale en matière commerciale est abrogée, sauf les dispositions suivantes qui continuent à être appliquées dans leur teneur au moment de la mise en vigueur de la présente loi: […] La loi du 1er mai 1889, révisée le 20 mai 1898, sur les sociétés coopératives. […]“ 22 Vgl. Vallens, Guide, S. 361. 23 Dazu im Abschnitt C. II. 24 Vgl. Coutant, Alsace, S. 140 f. 25 Vgl. Circulaire ministérielle, BOAL 1924, S. 995, 1007, die darauf verweist, dass für verheiratete Frauen immerhin die Wohltaten des Art. 16 der loi du 20 juillet 1895 sur les caisses d‘épargne (JORF du 19 juillet 1895) und des Art. 13 der loi du 13 juillet 1907 sur le libre salaire de la femmer mariée (JORF du 16 juillet 1907) fortbestanden.

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C. Handelsrechtliche Regelungen des droit local

zustand des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs zurück, das ebenfalls eine Zustimmung des Mannes erfordert hatte: „Eine Ehefrau kann ohne Einwilligung ihres Ehemannes nicht Handelsfrau sein. Es gilt als Einwilligung des Mannes, wenn die Frau mit Wissen und ohne Einspruch desselben Handel treibt.“ (Art. 7 Satz 1 und 2 ADHGB). Die Einwilligung konnte nach gängiger Auffassung auch schlüssig erteilt werden. Es genügte hiernach also, dass der Ehemann von der Tätigkeit seiner Frau wissen musste und nicht einschritt, obwohl er die Möglichkeit hierzu hatte. In einer derartigen Situation musste also nach gängiger Auffassung26 ein „offenkundiger und ernstlicher Einspruch“ des Ehemannes gegen den Betrieb des Handelsgewerbes vorliegen. Eine Neuerung des droit local war es allerdings, dass dieser Widerspruch zum Schutz des Rechtsverkehrs überdies nur dann beachtlich war, wenn er im Handelsregister eingetragen war; hier schloss das droit local also im Geiste des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs eine Lücke im Schutz des Rechtsverkehrs. Verheiratete Frauen verloren also in den drei östlichen Departements zum 1. Januar 1925 ihre volle Geschäftsfähigkeit. In diesem Bereich sei es, so die Begründung, nicht möglich gewesen, die Rechtsspaltung aufrecht zu erhalten, weil zu viele verschiedene Regelungsbereiche berührt seien.27 Das Prinzip der Geschäftsunfähigkeit sei außerdem so tief in den Köpfen der Menschen verwurzelt, dass alle bisherigen Versuche, es zu beseitigen oder auch nur einzuschränken, gescheitert seien.28 Aus der Rückschau formuliert Coutant freilich deutlicher: „La volonté de soutenir la société de 1804, plus impérieuse que les considérations de réforme, a façonné la mission du laboratoire local.“29 Die nunmehr also zur Vornahme gültiger Rechtsgeschäfte erforderliche Zustimmung des Ehemannes war es somit, die in Art. 14 LComm für elsaß-lothringische Kauffrauen vermutet wurde, so dass diese, solange ihr Ehemann nicht widersprach, ihre Tätigkeit weiterhin ausüben und Dritte sich auf die Rechtswirksamkeit der geschlossenen Verträge verlassen konnten. Dabei war allerdings wiederum zu beachten, dass eine Frau die Eigenschaft, Elsaß-Lothringerin zu sein oder nicht, von ihrem Ehemann ableitete, also durch Heirat erwerben oder verlieren konnte, Art. 2 LConfl.30 Außerdem bestanden Sonderregelungen für die Publizität von Handelsgesellschaften, die dem lokalen Recht unterlagen, Art. 17 LComm in Verbindung mit dem bereits mehrfach erwähnten Dekret vom 24. Oktober 1924. Diese Regelungen betrafen den Sonderstatus von Aktiengesellschaften nach deutschem Recht (vgl. Art. 18 LComm), aber auch von Gesellschaften mit beschränkter Haftung nach 26

Vgl. Hahn, ADHGB, Art. 7 Anm. 7 f. Eccard, Revue juridique, S. 245; Niboyet/Blas, Capacité, Nr. 16. 28 Eccard, Les Règles, S. 90. 29 Coutant, Alsace, S. 141; zur Regelung des Verhältnisses von Ehemann und Ehefrau im Code Civil vgl. Halpérin, Histoire du droit privé, S. 78 ff. 30 Loi du 24 juillet 1921 prévenant et réglant les conflits entre la loi française et la loi locale d’Alsace et Lorraine en matière de droit privé, JORF du 26 juillet 1921. 27

I. Handelsregister

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deutschem Recht.31 Mit der Ausarbeitung des in Art. 17 LComm genannten Dekrets, betreffend die Publizität für die dem lokalen Recht unterliegenden Gesellschaften wurde eine Gruppe von Richtern und Professoren aus Elsaß-Lothringen betraut; die Überarbeitung des Entwurfes im französischen Justizministerium wurde von Zeitgenossen als ziemlich unglücklich bewertet.32 Der Zweck dieses Dekrets besteht unter anderem darin, die Publizitätsregeln des französischen Rechts an die Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung des lokalen Rechts anzupassen, bestimmte technische Richtlinien für die Führung des französischen Handelsregisters im Elsaß und in Lothringen zu schaffen und schließlich durch Übergangsbestimmungen die Ablösung des lokalen Rechts durch das französische Recht sicherzustellen. Für Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht, die noch bis zum 1. Januar 1930 gegründet werden konnten (Art. 18 Abs. 1 LComm) und als société anonyme de droit local firmieren mussten (Art. 18 Abs. 3 LComm), war die Eintragung im Handelsregister weiterhin konstitutiv (Art. 11 Dekret vom 24. Oktober 1924 in Verbindung mit § 200 HGB).33 Damit konnte zwar einerseits jede nach deutschen Recht gegründete Gesellschaft stets für das französische Recht optieren (Art. 13 Abs. 1 LConfl), andererseits galten die §§ 178 – 339 HGB für Aktiengesellschaften nach deutschem Recht ohne zeitliche Begrenzung weiter; tatsächlich wurde die Fortgeltung dieser Normen dann durch eine Ordonnance aus dem Jahr 194534 beendet, die sämtliche Aktiengesellschaften dem französischen Recht unterwarf. Die Regelung aus dem Jahre 1924 bildet einen Kompromiss zwischen dem ursprünglichen Entwurf der Loi Commerciale, die eine sofortige Einführung des französischen Aktienrechts vorsah, und dem Bestreben der lokalen Wirtschaftsverbände, das deutsche Aktienrecht einfach beizubehalten,35 weil erhebliche Unterschiede bestanden, etwa „dans l’organisation de la direction, le droit des minorités et dans le mode de publicité“.36 Nach Art. 19 LComm unterlagen sämtliche Handelsgesellschaften – solche nach deutschem wie nach französischem Recht – ab 1. Januar 1925 der in Art. 55 f. des Gesetzes vom 24. Juli 1867 geregelten Publizität und mussten zudem ihre Eintragung in das französische Handelsregister beantragen, Art. 6 des Gesetzes vom 18. März 1919; es kam also zu einer Verdoppelung der Eintragungspflicht (so ausdrücklich Art. 11 des Dekrets vom 24. Oktober 1924). Allerdings galten auch hier Sonderregelungen (Art. 20 f. LComm), die die Publizität über die in Art. 61 des Gesetzes von 1867 geregelten Inhalte hinaus um die Auflösung und Liquidation einer 31

Dazu unter C. III. Clausing, Essai critique, S. 241 f. 33 Dazu Niboyet/Fleurent, Registre du commerce, Nr. 9; Niboyet/Gaebele, Publicité, Nr. 11 ff. 34 Ordonnance No.45-2598 du 2 novembre 1945 concernant les dispositions relatives aux sociétés commerciales et au registre du commerce applicables dans les départements du BasRhin, du Haut-Rhin et de la Moselle, JORF du 3 novembre 1945. 35 Clausing, Essai critique, S. 240. 36 Vgl. Niboyet/Fleurent, Société Anonyme, Nr. 7. 32

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C. Handelsrechtliche Regelungen des droit local

Gesellschaft mit Sitz in den drei östlichen Departements ergänzten (Art. 20 LComm), und zwar sowohl für Gesellschaften deutschen wie französischen Rechts. Die Veröffentlichung der Auflösung und Liquidation der Gesellschaft in einer Zeitung musste zudem nach dem Vorbild der §§ 297, 301 HGB37 eine Aufforderung an die Gesellschaftsgläubiger enthalten, sich zu melden (Art. 21 LComm mit Art. 14 des Dekrets vom 24. Oktober 1924). Das französische Recht weise, so die Begründung38 für diese Ausnahme, eine Lücke auf, auf welche die Lehre schon lange hingewiesen habe. Es regele nämlich nicht die Publizität der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Auflösung und während des Liquidationszeitraums. In Anlehnung an die Lösungen des lokalen Rechts und in Erwartung einer Reform des gesamtfranzösischen Rechts habe der Gesetzgeber deshalb Ausnahmebestimmungen vorgesehen, die für alle Handelsgesellschaften gelten, sowohl für diejenigen, die dem französischen Recht unterliegen, als auch für diejenigen, die ihren alten Status beibehalten. 4. Die Loi 66-537 sur les sociétés commerciales39 war Ausgangspunkt dafür, dass auch in Frankreich dem Handelsregister Rechtswirkungen im Privatrecht beigelegt wurden. Das gilt zum einen für die konstitutive Wirkung von Eintragungen: „Les sociétés commerciales jouissent de la personnalité morale à dater de leur immatriculation au registre du commerce et des sociétés.“ (Art. 5 Abs. 1 Satz 1). Zum anderen kennt das Register seither auch Publizitätswirkung, vgl. etwa Art. 391 Abs. 3 CdC, der sich an die Sonderregelung des droit local anlehnt: „La dissolution d’une société ne produit ses effets à l’égard des tiers qu’à compter de la date à laquelle elle est publiée au registre du commerce.“ Diese grundlegende Reform hat deshalb die im droit local geregelte Publizität bei Auflösung und Liquidation nach ihrer Übernahme in das gesamtfranzösische Recht aufgehoben. Während die Regelungen der Loi Commerciale für die Publizität von Gesellschaften damit 1966 sämtlich außer Kraft getreten waren, gelten Art. 12 – 17 LComm unverändert fort.

II. Prokura 1. Das französische Recht unterschied bis 2016 in römischrechtlicher Tradition nicht zwischen Mandat und Vollmacht. Es regelte in Art. 1984 ff. CC allein das mandat und erwähnte in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit unmittelbarer Stellvertretung durch den Beauftragten: „Le mandant est tenu d’exécuter les engagements contractés pal le mandataire“. (Art. 1998 CC). Die Befugnisse eines Beauftragten zur représentation des Auftraggebers richten sich allein nach dem Mandat, nur in diesem Umfang kann der Beauftragte den Auftraggeber rechtswirksam verpflichten. Dies galt auf Grundlage der Loi du 24 juillet 1867 sur les sociétés com37

Vgl. Struss/Fehner, Anm. zu Loi commerciale Art. 21, S. 386. Vgl. Niboyet/Gaebele, Publicité, Nr. 15. 39 Loi No 66-537 sur les sociétés commerciales, JORF du 26 juillet 1966, S. 6402. 38

II. Prokura

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merciales40 (vgl. Art. 17 und 22) bis in die 1960er Jahre auch für die mandataires juristischer Personen, weil sie nicht als umfassend befugte Organe fungierten, sondern ihre Befugnisse als Beauftragte der Gesellschaft in der jeweiligen Satzung festgelegt waren.41 2. Der Preußische Entwurf zu einem Handelsgesetzbuch von 1857 kannte einen „Factor“ mit ihrem Umfang nach gesetzlich festgelegter, aber vertraglich beschränkbarer Vollmacht. Allerdings wird Dritten Schutz gewährt, wenn die vertragliche Beschränkung der Vollmacht dem Dritten nicht bekannt oder im Handelsregister eingetragen war (Art. 44 PreußE-HGB). In den Beratungen zum Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch wurde dieser Factor zu einem Prokuristen mit einer ihrem Umfang nach nicht nur gesetzlich vertypten, sondern auch unabänderlichen „Formalvollmacht“,42 um Dritten noch besseren Schutz zu gewährleisten, Art. 43 ADHGB.43 Es wird also nicht mehr mit Instrumenten des konkreten Vertrauensschutzes gearbeitet, denn die Regelungen der Prokura sollen vor allem der Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs insgesamt dienen, nicht dem Schutz des einzelnen Teilnehmers am Rechtsverkehr. Auch (fälschlich) im Handelsregister eingetragene oder dem Dritten bekannte Beschränkungen sind unbeachtlich, bis an die Grenze der Kollusion zwischen dem Prokuristen und dem Geschäftspartner.44 Hierdurch wird – wie Koch bemerkt hat – „ein neues Institut eingeführt“.45 Das Bedürfnis nach einer umfassenden und vertypten Vollmacht wie der Prokura dürfte aus den im 19. Jahrhundert noch recht eingeschränkten Möglichkeiten herrühren, ein Unternehmen in Form einer juristischen Person mit gesetzlichen Vertretern zu errichten. Ein Kaufmann, der selbst nicht oder nicht in vollem Umfang tätig sein wollte oder konnte, bedurfte daher eines (oder mehrerer) rechtsgeschäftlich bestellten, umfassend Bevollmächtigten. Hinzu kam die Gefahr, dass Geschäftspartner, weil ihnen eine Rücksprache mit dem Vertretenen wegen der eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten erschwert war, bei Unsicherheiten hinsichtlich der Existenz und des Umfangs der Vollmacht des Handelnden vom Vertragsschluss Abstand nehmen konnten. Somit diente die Prokura neben dem Verkehrsschutz auch der Erleichterung der Geschäftsaktivitäten des Kaufmanns.46 Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch mit seinen – in Anlehnung an den Preußischen Entwurf teilweise noch etwas unscharfen – Regelungen bildete dann das Fundament für Interpreten wie Laband,47 das vertragliche Innenverhältnis zwischen 40

Loi du 24 juillet 1867 sur les sociétés commerciales, Recueil Duvergier 1867, S. 241. Bugnet, Französische Aktiengesellschaften, S. 11; Weill, Droit Civil, Les Obligations, Nr. 79 ff., 84. 42 Endemann, Deutsches Handelsrecht § 28 I (S. 134). 43 Lutz, Protokolle I, S. 71 ff. 44 Puchelt, ADHGB, § 43 Ziff. 1, S. 82; Staub, ADHGB, § 43 Anm. 3. 45 Koch, ADHGB, § 41 Anm. 62, S. 153. 46 Vgl. hierzu insgesamt nur MünchKomm-HGB/Krebs, § 48 Rn. 2. 47 Laband, Die Stellvertretung, S. 183 ff. 41

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C. Handelsrechtliche Regelungen des droit local

dem Kaufmann und seinem Angestellten einerseits und das Außenverhältnis, also das rechtliche „Können“ des Angestellten, das allein unter der Rubrik Prokura behandelt wird, andererseits zu unterscheiden. Laband errichtete auf diesem Fundament entgegen dem gemeinen Recht, dem noch der Code Civil gefolgt war, die dann im Bürgerlichen Gesetzbuch kodifizierte, gängige deutsche Stellvertretungsdogmatik überhaupt: „Nichts ist für den wahren Begriff der Stellvertretung und die juristische Durchbildung dieses Instituts nachtheiliger gewesen, als die Zusammenwerfung der Stellvertretung mit dem Mandat, zu welcher das Röm. Recht den Anlaß gab.“48 Was auch immer im Innverhältnis die Vertrags- oder Weisungslage sein mag, stets sei „der Procurist nach aussen völlig unbeschränkt und unbeschränkbar, so dass der Principal alle und zu jeder Zeit von demselben in dessen Namen vorgenommenen Geschäfte Dritten gegenüber anerkennen muss“.49 3. Die Regelungen zur Prokura traten mit dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch in Elsaß-Lothringen zum 1. Oktober 1872 in Kraft50 und galten, weil das Rechtsinstitut als in der Praxis bewährt angesehen wurde51 – ab dem 1. Januar 1900 als §§ 48 ff. HGB im Kern unverändert weiter. Art. 5 Loi du 1er juin 1924 portant introduction des lois commerciales françaises dans les départements du Haut-Rhin, du Bas-Rhin et de la Moselle (LComm)52 ordnete die Fortgeltung der §§ 48 ff. HGB über 1924 hinaus an. Die Prokura wurde wohl vor allem beibehalten, um die Gewohnheiten der Geschäftswelt in den drei wiedergewonnenen Departements zu respektieren, nicht um als Modell für eine Reform des gesamtfranzösischen Rechts zu dienen.53 Denn die Prokura war nicht leicht einzupassen in das wieder in Geltung gesetzte französische Zivilrecht, zumal für das mandat nun wieder der Code Civil galt, Art. 1984 ff. CC, für die Prokura hingegen §§ 48 ff. HGB.54 Damit freilich hatte sich das französische Recht letztlich die ihm ansonsten unbekannte Trennung zwischen Auftrag und Vollmacht eingekauft; diese Konsequenz wurde zum Teil gesehen und begrüßt: Braegger schlug vor,

48

Laband, Die Stellvertretung, S. 204. Hahn, ADHGB, Art. 41 Anm. 2, S. 119. 50 Gesetz, betreffend die Einführung der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung und des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuchs in Elsaß-Lothringen von 19. Juni 1872, SIgEL Nr. 121. 51 HGB-Denkschrift, S. 49. 52 Loi du 1er juin 1924 portant introduction des lois commerciales françaises dans les départements du Haut-Rhin, du Bas-Rhin et de la Moselle, JORF du 3 juin 1924 = BOAL 1924, S. 743 ff. bzw. 759 ff. (deutsche Fassung). 53 Coutant, Alsace, S. 410; anders zeitgenössisch wohl Braegger, Étude sur la procura, S. 9. 54 Vgl. hierzu allerdings die Dissertation von Moritz Bach zur Rechtsprechung des Appellationsgerichts bzw. Oberlandesgerichts Colmar im Bereich des Stellvertretungsrechts, die 2023 erscheinen wird und zeigt, wie eine Synthese zwischen französischem und deutschem Recht hergestellt werden konnte. 49

II. Prokura

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das Modell Labands generell in den Code Civil hineinzulesen.55 Allerdings bemerkte Fleurent im Standardwerk von Niboyet bereits 1925, dass dies nicht unbedingt erforderlich sei; bereits zwischen 1872 und 1899 hätten ADHGB und Code Civil in Elsaß-Lothringen nebeneinander gegolten, ohne dass es im Bereich der Prokura zu irgendwelchen Schwierigkeiten gekommen sei.56 Veränderungen ergaben sich jedoch infolge der Aufhebung des § 15 HGB, der die Publizität des Handelsregisters – auch für die Prokura – regelte. An seine Stelle trat Art. 13 Abs. 2 LComm: „A défaut d’inscription et de radiation sur ce registre, la nomination ou la révocation du procuriste sont inopposables aux tiers.“ Die kenntnisabhängigen Einschränkungen für den Verkehrsschutz (§ 15 Abs. 1 HGB: „Solange eine in das Handelsregister einzutragende Thatsache nicht eingetragen und bekannt gemacht ist, kann sie von demjenigen, in dessen Angelegenheiten sie einzutragen war, einem Dritten nicht entgegengesetzt werden, es sei denn, daß sie diesem bekannt war.“) waren damit entfallen, die Haftung strikter geworden.57 Die Wirkung der Eintragung ist absolut, sie lässt keinen Raum für einen aus den Umständen abgeleiteten Gegenbeweis.58 Allerdings schrieb Art. 16 Abs. 2 LComm zusätzlich zur Eintragung die Veröffentlichung in einer bestimmten Zeitung vor, so dass auf diese Weise die Kenntniswahrscheinlichkeit wiederum erhöht werden sollte. 4. Die Synthese französischen und deutschen Rechts in Elsaß-Lothringen brachte jedoch nicht nur ein höheres Maß an Verkehrsschutz, sondern zudem auch eine Erweiterung des Anwendungsbereiches der Prokura. Nach dem System des deutschen Handelsgesetzbuchs war dieses Rechtsinstitut nur den in das Handelsregister eingetragenen Kaufleuten vorbehalten (Vollkaufleute). Für Minderkaufleute, die nicht eingetragen waren, stand die Prokura hingegen nicht zur Verfügung. Nach französischem Recht mussten sich seit 1919 alle handeltreibenden Personen in das Handelsregister eintragen59 lassen, ohne Rücksicht auf den Umfang ihrer Geschäfte, und konnten folglich auch Prokura erteilen. Die Fortgeltung der §§ 48 ff. HGB betraf allerdings nicht Gesellschaften, die nach französischem Recht errichtet oder in eine Gesellschaft nach französischem Recht umgewandelt wurden, sondern nur Gesellschaften, die auf Grundlage des Art. 18 LComm als Gesellschaften nach deutschem Recht fortbestanden oder neu errichtet wurden.60 Denn andernfalls hätte der Prokurist einer Gesellschaft französischen Rechts über weitreichendere Befugnisse verfügt als deren satzungsmäßige Repräsentanten. Damit wäre die Prokura in Widerspruch zu den Grundsätzen des fran55

Braegger, Étude sur la procura, S. 10 ff. Niboyet/Fleurent, Procura, Nr. 6: „Cette situation a notre connaissance, n’a donné lieu a aucune difficulté.“ 57 Missverständlich hier Niboyet/Fleurent, Procura, Nr. 19. 58 Struss/Fehner, Art. 5 du Loi portant introduction des lois commerciales françaises, S. 364. 59 Dazu Abschnitt C. I. in diesem Buch. 60 Vgl. auch hierzu unter C. I. 56

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C. Handelsrechtliche Regelungen des droit local

zösischen Gesellschaftsrechts gestanden und dieser Widerspruch ließ sich – anders als jener im Auftragsrecht – nicht einfach auflösen.61 Denn im deutschen Recht waren (und sind) die Befugnisse des Geschäftsführers einer offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung sowie des Vorstands einer Aktiengesellschaft ebenfalls gesetzlich festgelegt: Sie können die Gesellschaft außergerichtlich wie gerichtlich ganz umfassend vertreten. Der Prokurist, dessen Befugnisse weniger weitreichend sind, steht gleichsam eine Stufe darunter. Im französischen Recht hingegen war es – wie erwähnt – nicht das Gesetz, das die Befugnisse des Geschäftsführers einer Kollektivoder Kommanditgesellschaft oder der Verwaltungsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft bestimmte, sondern die Satzung. Gegenüber Dritten hätte der Prokurist deshalb häufig weitreichendere Befugnisse gehabt als die Person, die nominell an der Spitze der Gesellschaft steht. 5. Mit einer Verordnung vom 2. November 194562 wurden die deutschen Regelungen über Handelsgesellschaften in Elsaß-Lothringen aufgehoben, so dass die Prokura seither nur noch von natürlichen Personen als Kaufleuten erteilt werden kann. Mit dem Gesetz vom 24. Juli 196663 hat der französische Gesetzgeber satzungsmäßigen Repräsentanten von Aktiengesellschaften weitreichende und unabänderliche Befugnisse verliehen; diese Veränderung beruht neben der Positivierung der Satzungspraxis großer französischer Kapitalgesellschaften sicherlich auch auf einer Rezeption von Elementen auch deutschen Kapitalgesellschaftsrechts.64 Damit hat das französische Recht die Unterscheidung zwischen der Figur des „représentant“ und des „organe“ eingeführt: „l’organe n’est pas un simple représentant, mais un chef doté de pouvoirs propres et supportant, en contrepartie, une responsabilité plus lourde que celle d’un représentant ordinaire.“65 Die oben genannte Friktion wäre auf diese Weise beseitigt und die Prokura könnte auf dieser Grundlage auch für Gesellschaften, die dem französischen Recht unterstehen, wieder eingeführt werden. Jenseits vertypter Befugnisse von Organen hatte die Prokura als Formalvollmacht sowohl in Elsaß-Lothringen66 als auch in Deutschland allerdings bereits zunehmend an Bedeutung verloren, weil unter Einsatz juristischer Personen gewirtschaftet wurde und sich die Kommunikationsmöglichkeiten verbessert hatten. Die Prokura war „mehr und mehr Ausdruck eines hierarchischen Status des Mitarbeiters geworden.“67

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Braegger, Étude sur la procura, S. 47 ff. Ordonnance No 45-2598 du 2 novembre 1945, JORF du 3 novembre 1945. 63 Loi No 66-537 du 24 juillet 1966 sur les sociétés commerciales, JORF du 26 juillet 1966; hierzu auch Duden, RabelsZ 31 (1967), S. 51 ff., insb. S. 65. 64 Vgl. nur Fleischer, Rechtsvergleichende Inspirationsquellen, S. 325 ff. 65 Weill, Droit Civil, Les Obligations, Nr. 84. 66 Coutant, Alsace, S. 414, 448. 67 MünchKomm-HGB/Krebs, § 48 Rn. 3. 62

III. Gesellschaft mit beschränkter Haftung

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Zu erwähnen bleibt, dass seit der großen Schuldrechtsreform des Jahres 201668 auch der Code Civil nun eigene Regelungen zur Stellvertretung kennt (Art. 1153 ff. CC). Erstmals findet sich der, wie erwähnt, in der Literatur bereits geläufige Begriff des „représentant“ nun auch im Gesetzestext, vgl. etwa Art. 1153 CC, so dass nun auch im französischen Recht eine Unterscheidung zwischen Innen- und Außenverhältnis möglich wird. Allerdings ergibt sich aus Art. 1153 CC („Le représentant légal, judiciaire ou conventionnel n’est fondé à agir que dans la limite des pouvoirs qui lui ont été conférés.“), dass der Stellvertreter nur innerhalb der Grenzen den Geschäftsherrn wirksam vertreten kann, die sich aus dem jeweiligen Bestellungsgrund ergeben. Der Vertrag zwischen Vertretenem und Vertreter bleibt also maßgeblich und das französische Recht kennt weiterhin keine Trennung von Auftrag und Vollmacht und kein Auseinanderfallen von Können und Dürfen des Vertreters nach dem Modell des deutschen Rechts.69

III. Gesellschaft mit beschränkter Haftung 1. Die „Erfindung“ der GmbH steht in engem Verhältnis zur Entwicklung des Aktienrechts. Vor der Einführung der GmbH war die Aktiengesellschaft die einzige gesetzlich vorgesehene Kapitalgesellschaft und damit die einzige haftungsprivilegierte Gesellschaftsform. Weil vorrangiger Faktor für die Industrialisierung im 19. Jahrhundert das Kapital war, mussten Unternehmer, die Fremdkapital werben wollten, den Kapitalanlegern eine Anlageform bieten, die gängigen Möglichkeiten wie Staatspapieren oder Hypotheken zumindest gleichwertig war. Die Aktiengesellschaft bildete dafür den rechtlichen Rahmen, indem sie – neben entsprechenden Renditen – eine beschränkte Haftung als Sicherheit für die Anleger, die Geldeinsatz ohne Einflussmöglichkeit leisteten, bot. Die weltweit erste Regelung der Aktiengesellschaft70 findet sich in Art. 29 ff. Code de Commerce mit der société anonyme, die bereits fast alle bis heute als charakteristisch angesehenen Merkmale einer Aktiengesellschaft trug71 und den Ausgangspunkt der weltweiten Verbreitung dieser Gesellschaftsform bildet. Die Aktiengesellschaft des Code de Commerce ist eine Handelsgesellschaft mit körperschaftlicher Organisation und eigener Rechtspersönlichkeit. Ihr Grundkapital ist in übertragbare Aktien aufgeteilt, die Haftung der

68 Ordonnance No 2016-131 du 10 février 2016 portant réforme du droit des contrats, du régime général et de la preuve des obligations, JORF du 11 février 2016. 69 Vgl. nur Sonnenberger, ZEuP 1997, S. 1 ff., 35 f. 70 In Frankreich war 1793/1794 während der Revolutionsdiktatur zunächst die Gründung von Kapitalgesellschaften verboten worden, bevor man sie auf Grundlage der Direktoratsverfassung 1796 völlig freigab, indem man die Verbote wieder aufhob; der Code de Commerce führte dann die Unbenannte Gesellschaft mit Konzessionspflicht ein. 71 Vgl. nur Hueck/Windbichler, Gesellschaftsrecht, § 20 Rn. 1.

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C. Handelsrechtliche Regelungen des droit local

Gesellschafter auf dieses Grundkapital beschränkt.72 Zu ihrer Gründung bedurfte es allerdings noch einer staatlichen Konzession. Im französisch besetzten Rheinland ist der Code de Commerce in Kraft getreten, das Badische Landrecht von 1810 hat in den Sätzen 18 ff. des Anhangs die neue Gesellschaftsform als Unbenannte Gesellschaft übernommen.73 Erst 1843 trat dann ein Aktiengesetz für ganz Preußen in Kraft. Seit den 1850er Jahren hatte sich in weiten Teilen Deutschlands die Aktiengesellschaft bereits als die entscheidende Rechtsform des kapitalistischen Großunternehmens durchgesetzt.74 Das 1862 in Kraft getretene Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) kodifizierte erstmals ein einheitliches deutsches Aktienrecht.75 Bereits 1870 wurde das Aktienrecht im Norddeutschen Bund dann novelliert.76 Die Novelle war von einem liberalen Grundverständnis inspiriert und bestand in einer Deregulierung: Bislang hatte im Aktienrecht das Konzessionssystem gegolten, das heißt die Gründung einer Aktiengesellschaft kam allein auf Grundlage einer staatlichen Konzession nach eingehender Prüfung in Betracht; dieses Anlegerschutzinstrument war jetzt weggefallen. Nunmehr galt das Normativsystem, also ein Katalog gesetzlicher Gründungsvoraussetzungen;77 der staatlichen Mitwirkung bedurfte es nicht mehr. Diese Voraussetzungen waren jedoch aufgrund großer gesetzgeberischer Eile und Unerfahrenheit mit den Mechanismen des Normativsystems „vielfach halbherzig und oftmals wirkungslos“78. Die Gründung des Kaiserreichs löste in Deutschland einen Wirtschaftsboom aus. Er wurde durch technische Innovationen ebenso befeuert wie durch die Reparationszahlungen Frankreichs aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Zu hunderten wurden oft hochspekulative oder gar betrügerische Unternehmensgründungen („Gründerschwindel“) in Form der nunmehr einfach zu gründenden Aktiengesellschaft vorgenommen. Die Blase platzte alsbald und auf den Gründerboom folgten 1873 der Gründerkrach und einige Krisenjahre. Aktienkurse brachen ein, Unternehmen gingen Bankrott, Banken brachen zusammen. Trotzdem: Erst die Novelle 1870 hat mit der Einführung des Normativsystems den Weg der Aktiengesellschaft zu ihrer heutigen, großen wirtschaftlichen Bedeutung in Deutschland freigemacht. Alsbald nach dem Ende der Wirtschaftskrise erfolgte eine weitere Reform des Aktienrechts. Die Aktienrechtsnovelle 188479 verschärfte die Grün72

Bayer/Habersack/Deutsch, Rn. 3/9 ff. Dazu Löhnig, Droit français. 74 Reich, Deutsches Aktienrecht, S. 239. 75 Zu den Entwicklungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Löhnig, Droit français. 76 Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften v. 11. 6. 1870, BGBl. des Norddeutschen Bundes 1870, S. 375 ff. 77 Bayer/Habersack/Lieder, Rn. 10/2 ff. 78 Bayer/Habersack/Lieder, Rn. 10/119. 79 Gesetz, betreffend die Kommanditgesellschaft auf Aktien und die Aktiengesellschaften v. 18. 7. 1884, RGBl. 1884, S. 123 ff. 73

III. Gesellschaft mit beschränkter Haftung

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dungsvoraussetzungen und ergänzte das Gründungsrecht um verschiedene Anlegerschutzinstrumente (Gründungsprüfung, Publizität der Gründung, Gründerhaftung für Gründer, Vorstand und Aufsichtsrat). Hinzukam eine verfeinerte Organisationsverfassung, die die Aufsichtspflichten des nunmehr obligatorischen Aufsichtsrats präzisierte und intensivierte. Der Aktionärsschutz stand im Mittelpunkt der Novelle, die freilich das Normativsystem als solches unangetastet ließ. 2. Was für große Publikumsgesellschaften passend und notwendig erschien, verhinderte mit seiner Schwerfälligkeit jedoch, dass kleinere und mittlere Unternehmen den Weg zu einer haftungsbeschränkten Form des Wirtschaftens finden konnten. Deshalb wurde die Schaffung einer neuen Gesellschaftsform für Unternehmen erwogen, die sich nicht über den freien Kapitalmarkt finanzieren, aber gleichwohl die beschränkte Haftung der Gesellschafter in Anspruch nehmen wollen. Eine Erschwerung der Anteilsübertragung sollte einen Verzicht auf die strengen institutionellen Schutzvorkehrungen des geltenden Aktienrechts ermöglichen. Bereits 188480 legte der Industrielle und nationalliberale Reichstagsabgeordnete Wilhelm Oechelhäuser81 einen Gesetzentwurf zur Einführung einer „Handelsgesellschaft mit beschränkter Haftbarkeit“82 vor. Einen abweichend konzipierten, nicht an die OHG, sondern an die Aktiengesellschaft angelehnten und damit deutlich kapitalistischer ausgerichteten Typ der Gesellschaft mit beschränkter Haftung stellte 1890 der Entwurf des Reichsjustizamts83 vor: Gewissermaßen eine „kleine“ oder „nicht kapitalmarktfähige AG“. Insgesamt nimmt die GmbH hiernach allerdings, jedenfalls ausweislich der Begründung des Entwurfsverfassers Eduard Hoffmann, eine „Mittelstellung zwischen den streng individualistischen Gesellschaftsformen des geltenden Rechts und der als äußerste Konsequenz des kapitalistischen Prinzips sich darstellenden Aktiengesellschaft“ ein.84 Trotzdem: Die Haftungsbeschränkung beruhte, anders als nach Oechelhäusers Modell, gerade nicht auf dem Gedanken der Gewährung einer Haftungsbeschränkung für kleine personalistische Gesellschaften („OHGmbH“), sondern die neue Gesellschaftsform sollte Unternehmungen offenstehen, deren Gesellschafterzahl „nicht ganz gering“ ist und bei denen kein Gesellschafter die Ge-

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Schubert, Die Gesellschaft, S. 589 ff., 594. Zur Person: Geldern, Wilhelm Oechelhäuser. 82 Abgedruckt in Oechelhäuser, Die Erweiterung, S. 50 ff., 59 f. 83 Auch hier also ist die – wie häufiger in dieser Zeit – Erarbeitung eines Gesetzentwurfs durch die preußisch dominierte Exekutive zu beobachten, nach Durchführung einer Erhebung bei den preußischen Handelskammern und unter Einbeziehung der preußischen Ministerien, allerdings mit Schieflage zu Lasten der anderen Bundesstaaten, vgl. Koberg, Entstehung GmbH, S. 120 ff., 407. 84 Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst Begründung und Anlagen, Berlin 1891, S. 35. 81

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C. Handelsrechtliche Regelungen des droit local

schäftsführung übernehmen möchte.85 Hier kehrt das aktienrechtliche Kriterium von Kontrolle und Haftung wieder: „In der Mehrzahl der Fälle wird dagegen die Wahl der beschränkten Haftung nur der Ausdruck für den Willen der Teilnehmer sein, ihre Beteiligung für die Zwecke der Gesellschaft auf die Leistung der übernommenen Einlage und eine mehr oder weniger nachdrückliche Mitwirkung bei der Oberleitung und Beaufsichtigung der Geschäfte zu beschränken.“86

Diese „originale[..] Schöpfung“87 wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens88 kaum verändert und schließlich 1892 als GmbH-Gesetz89 zügig nach Beratungen in den entsprechenden Ausschüssen des Bundesrats und Reichtags ohne große Beteiligung von Öffentlichkeit oder Wissenschaft, deren Kritik nicht beachtet wurde, verabschiedet und trat im gesamten Deutschen Reich – und damit auch in ElsaßLothringen – in Kraft. 3. Art. 5 Abs. 8 Loi du 1er juin 1924 portant introduction des lois commerciales françaises dans les départements du Haut-Rhin, du Bas-Rhin et de la Moselle90 ordnete ausdrücklich die Weitergeltung des deutschen GmbHG an. Aber bereits am 16. März 1920 hatte die französische Regierung einen Entwurf vorgelegt, der die Grundlage des französischen Gesetzes über die sociétés à responsabilité limitée vom 7. März 192591 bildete.92 Art. 5 Abs. 8 LComm wurde deshalb aufgehoben mit der Maßgabe, dass die Bestimmungen des Gesetzes vom 7. März 1925 über Gesellschaften mit beschränkter Haftung nun auch in den drei östlichen Departements anwendbar sind, vorbehaltlich der Bestimmungen der Artikel 19, 20 und 21 LComm.93 Ein Jahr nach Inkrafttreten unterfielen auch Altgesellschaften dem neuen französischen Recht und hatten ihre Umwandlung94 zu erklären.95 In Elsaß-Loth-

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Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst Begründung und Anlagen, Berlin 1891, S. 27 f. 86 Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst Begründung und Anlagen, Berlin 1891, S. 34. 87 Schubert, FS Schmidt, S. 1 ff., 23. 88 Eingehend zum gesamten Verfahren Koberg, Entstehung GmbH, S. 35 ff. 89 Gesetz, betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung v. 20. 4. 1892, RGBl. 1892, S. 477 ff. 90 Loi du 1er juin 1924 portant introduction des lois commerciales françaises dans les départements du Haut-Rhin, du Bas-Rhin et de la Moselle, JORF du 3 juin 1924 = BOAL 1924, S. 743 ff. bzw. 759 ff. (deutsche Fassung). 91 Loi du 7 mars 1925 sur les sociétés à responsabilité limitée, JORF du 8 mars 1925. Dieses Gesetz findet sich in deutscher Übersetzung in Hachenburg, GmbHG I, S. 62 ff. 92 Eingehend zum Gesetzgebungsverfahren Koberg, Entstehung GmbH, S. 276 ff. 93 Art. 1 Loi du 10 février 1926 concernant le régime des societés à responsabilité limitée dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle, JORF du 11 février 1926. 94 Zur Umwandlung von Gesellschaften nach deutschem Recht in Gesellschaften nach französischem Recht vgl. Bugnet, La transformation.

III. Gesellschaft mit beschränkter Haftung

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ringen bestanden zahlreiche Gesellschaften mit beschränkter Haftung: 782 Gesellschaften sind für 1921 erfasst.96 Der französische Gesetzgeber ließ sich bei der Einführung dieser Gesellschaftsform deshalb sicherlich von der Notwendigkeit leiten, die Funktionsweise der bestehenden Gesellschaften zu erhalten, und orientierte sich am Vorbild des deutschen Gesetzes, ohne es jedoch zu kopieren, als er die französische Rechtseinheit herstellte.97 Ähnlichkeiten zwischen der société à responsabilité limitée und der GmbH ergeben sich zudem aber auch aus den mit ihrer Einführung verfolgten rechtspolitischen Zielen, also dem Wunsch des deutschen wie des französischen Gesetzgebers, gleichsam eine kleinere und stärker personalisierte Form der AG zu schaffen. Eine Kapitalgesellschaft also mit entsprechenden Haftungsprivilegien, die aber zugleich vor allem auf kleine Familienunternehmen zugeschnitten ist, die sich durch Vertrauen und starke Bindungen zwischen ihren Gesellschaftern auszeichnen.98 Auf der anderen Seite musste sich die neue Gesellschaftsform in die Strukturen des französischen Rechts einfügen, vor allem auch das Gesellschaftsrecht aus dem Jahre 186799 berücksichtigen, und konnte zugleich Kritik, die an der gesetzlichen Regelung der GmbH deutschen Rechts laut geworden war, berücksichtigen.100 Letztlich gab die Rückkehr Elsaß-Lothringens nach Frankreich also nur den letzten Anstoß zur Vollendung des Reformdiskurses in Frankreich101 und Schaffung dieser Gesellschaftsform, die sich erfolgreich der Eingliederung in den Dualismus von Personenoder Kapitalgesellschaften entzog.102 Die Gesellschaft kommt nach deutschem wie französischem Recht jeweils durch Vertrag zustande, in Deutschland ist die Eintragung im Handelsregister konstitutiv, in Frankreich nicht, und ist Juristische Person. Oberstes Organ ist die Gesellschafterversammlung. Art. 6 des französischen Gesetzes sieht vor, dass das Grundkapital mindestens 25.000 Francs betragen muss. Diese Bestimmung orientiert sich unmittelbar an den Erfahrungen vor Ort. Denn das gesetzliche Minimum von damals 20.000 Mark entsprach etwa 25.000 Francs; eine Nachschusspflicht kennt das 95 Art. 2 Loi du 10 février 1926 concernant le régime des societés à responsabilité limitée dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle, JORF du 11 février 1926, mit Ausnahmen für die bereits abgeschlossene Gründungsphase und Altbeschlüsse, vgl. Art. 3 und 4 des genannten Gesetzes. 96 Drouets, La société, S. 266. 97 Vgl. nur Koberg, Entstehung GmbH, S. 282, 293. 98 Vgl. Baratin/Pic, Des sociétés, S. 35. Dieses Ziel scheint der französische Gesetzgeber im Ergebnis konsequenter verfolgt zu haben als der deutsche, was sich an der vielfältigen Einsatzmöglichkeit der GmbH deutschen Rechts in der Gegenwart zeigt, die eben nicht auf diese vertrauten Gesellschaften beschränkt ist, sondern auch als Publikums-GmbH oder Konzernleitungsgesellschaft auftritt. 99 Loi du 24 juillet 1867 sur les sociétés commerciales, Recueil Duvergier 1867, S. 241. 100 Vergleichend hierzu Bugnet, La Societé à Responsabilité. 101 Mages, Acculturation, S. 64 f. 102 Mages, Acculturation, S. 70.

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C. Handelsrechtliche Regelungen des droit local

französische Gesetz im Gegensatz zum GmbHG (vgl. §§ 27, 28 GmbHG) nicht. Die société à responsabilité limitée wird wie die GmbH von Vertretern verwaltet. Sie werden durch die Satzung oder durch einen späteren Beschluss der Hauptversammlung ernannt, nehmen an der internen Verwaltung der Gesellschaft teil und vertreten diese bei allen Handlungen, die in ihrem Namen vorgenommen werden. Das deutsche Recht räumt GmbH-Geschäftsführern sehr weitreichende und – aus Gründen des Verkehrsschutzes – nicht beschränkbare Befugnisse ein, § 35 Abs. 1 GmbH. Nach französischer Tradition wurden die Befugnisse der mandatairs von Kapitalgesellschaften durch die jeweilige Satzung bestimmt.103 Um Dritte zu schützen war die Veröffentlichung von Klauseln, die die Befugnisse der Geschäftsführer einschränken, vorgeschrieben; andernfalls konnten die Beschränkungen Dritten nicht entgegengehalten werden. § 24 des Gesetzes über die société à responsabilité limitée regelte demgegenüber: „Les sociétés à responsabilité limitée sont gérées par un ou plusieurs mandataires associés, salariés ou gratuits. Ils sont nommés par les associés, soit dans l’acte de société, soit dans un acte postérieur, pour un temps limité ou sans limitation de durée. Sauf stipulation contraire des statuts, ils ont tous les pouvoirs pour agir au nom de la société, en toute circonstance: toute limitation contractuelle des pouvoirs des gérants est sans effet à l’égard des tiers.“

Damit wurde das Modell vertypter Vertretungsmacht104 in das französische Recht transferiert. Das französische Gesetz vom 7. März 1925 sieht für die Gründung einer société à responsabilité limitée größere Flexibilität vor als das GmbHG, denn die Satzung kann durch eine notarielle Urkunde oder eine privatschriftliche Urkunde errichtet werden (Art. 4 gegen § 2 GmbhG), eine Regelung, die näher am Personengesellschaftsrecht liegt. Der Mechanismus zur Übertragung von Gesellschaftsanteilen (oder besser: der Verhinderung einer Übertragung) nach französischem Recht ist dementsprechend auch strikter. Wenn die Partner die Gesellschaft errichtet haben, dann sei dies – so Drouets – nicht erfolgt, um durch die Veräußerung ihres Anteils einen Gewinn zu erzielen, sondern um dauerhaft Gesellschafter zu bleiben.105 Deshalb schreibt Art. 22 des französischen Gesetzes vor, dass jede Übertragung von Anteilen an einen Nichtgesellschafter der Zustimmung der Mehrheit der Gesellschafter bedarf, die mindestens drei Viertel des Gesellschaftskapitals vertreten, und ist damit strenger als § 15 GmbHG. 4. Damit hatte des droit local in diesem Punkt die gewünschte Inspiration und auch den erwarteten Druck auf eine das französische Recht reformierende Rechtsvereinheitlichung gebracht; Sonderregeln für die drei östlichen Departements bestanden deshalb seitdem nicht mehr. Das deutsche Recht, das von der Schaffung der Aktiengesellschaft im Code de Commerce sehr profitiert und diese fortentwickelt hatte, 103

Dazu auch Abschnitt C. II. dieses Buches. Auch dazu unter C. II. 105 Chapsal, Sociétés, S. 51; siehe auch Drouets, Société, S. 249. 104

III. Gesellschaft mit beschränkter Haftung

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hatte also gleichsam eine Gegengabe in Form dieser kleinen, vom französischen Gesetzgeber wiederum weiterentwickelten Kapitalgesellschaft zurückgegeben. In Deutschland wurde, mit Verweis auf die Regelungen in Frankreich, aber auch in Österreich (GmbHG 1906), alsbald eine GmbH-Reform projektiert,106 die jedoch noch Jahrzehnte auf sich warten lassen sollte. Denn jeder Gesetzgeber stand vor dem Problem, dass diese Gesellschaftsform einerseits erhebliche Gefahren für den Rechtsverkehr barg, andererseits aber in der bestehenden Form volkswirtschaftlich unverzichtbar geworden war; nachhaltige Vorkehrungen gegen die Gefahren für Gläubiger bedeuten zugleich das Ende der GmbH als attraktiver Gesellschaftsform. „Einige dringliche Änderungen des reformbedürftigen GmbH-Gesetzes“107 wie die Verbesserung des Gläubigerschutzes und des Minderheitenschutzes in der GmbH brachte nach dem Scheitern von Entwürfen in den 1930er und 1960er Jahren erst eine Novelle 1980.

106 107

Vgl. nur Molitor, Ausländische Regelungen. Begr. RegE 1977, BT-Drs. 8/1347, S. 77.

D. Gerichtsverfassungsrechtliche und zivilprozessuale Regelungen des droit local I. Handelsgerichtsbarkeit 1. Der Code de Commerce von 1807 kennt einen eigenen Abschnitt über Handelsgerichte, Art. 615 ff. CdC. Jedes dieser Gerichte besteht aus einem Vorsitzenden Richter, weiteren Richtern sowie Stellvertretern (suppléants). Die Zahl der Richter darf nicht weniger als zwei und nicht mehr als acht betragen, den Vorsitzenden nicht mitgerechnet, Art. 617 CdC; das Gericht entscheidet mit mindestens drei Richtern, Art. 626 CdC. Die Mitglieder der Handelsgerichte werden von einer Versammlung, die sich aus ehrbaren Kaufleuten („commerçans notables“) und vor allem aus den Leitern der ältesten und angesehensten Handelshäuser („chefs des maisons les plus anciennes et les plus recommendables“) zusammensetzt, gewählt, Art. 618 CdC. Wählbar ist jeder Kaufmann, der mindestens dreißig Jahre alt ist und seit mindestens fünf Jahren sein Geschäft ehrbar betreibt; der Vorsitzende darf nur aus dem Kreis der bisherigen Richter gewählt werden und muss mindestens vierzig Jahre alt sein, Art. 620 CdC. Die Richter des Handelsgerichts sind also keine Juristen, sondern allein Kaufleute als Inhaber eines Ehrenamtes, Art. 628 CdC. Die Zuständigkeit dieser Handelsgerichte umschreibt Art. 631 CdC folgendermaßen: „1. de toutes contestations relatives aux engagemens et transactions entre négocians, marchands et banquiers; – 2. entre toutes personnes des contestations relatives aux actes de commerce“, was in den folgenden Artikeln dann näher umgrenzt wird. 2. Diese Regelungen hatten erheblichen Einfluss bei der Schaffung der Handelsgerichtsbarkeit in den deutschen Einzelstaaten nach 1814. Allerdings ist schon früh ein Unterschied dahingehend zu beobachten, dass in aller Regel die Mitwirkung nicht nur von Kaufleuten, sondern auch von Juristen vorgeschrieben war.1 Die Regelungen des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes von 1877 entstanden in Auseinandersetzung mit dem französischen Vorbild und den von ihm inspirierten Partikulargesetzgebungen. In der Endfassung des Gesetzes ist allerdings auf den ersten Blick nicht mehr viel vom französischen Einfluss erkennbar.2 Arbeitsgrundlage der Beratungen zum Gerichtsverfassungsgesetz war der Preußische Entwurf vom September 1872. Er sah Handelsgerichte in einer Besetzung mit einem vorsitzenden Berufsrichter und zwei bzw. vier (je nach Streitwert) beisitzenden Kauf1 2

Vogl, Einfluss, S. 123 ff., 251 f. Vgl. Vogl, Einfluss, S. 263 f.

I. Handelsgerichtsbarkeit

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leuten vor (§ 230); Stellvertreter waren nicht vorgesehen. Die Auswahlkriterien für die Laienrichter in §§ 233 f. des Entwurfs glichen den französischen Auswahlkriterien, auch die dort vorgesehene Wahl durch die Kaufmannschaft. Die Zuständigkeit der Handelsgerichte sollte über das französische Modell hinausgehend auch Klagen aus Handelsgeschäften gegen einen Nichtkaufmann umfassen (§ 224). Der nach den Monita anderer Bundesstaaten überarbeitete Entwurf kannte nur noch Handelsgerichte mit einem Berufsrichter und zwei Kaufleuten. Die Zuständigkeit war enger gefasst: Der Beklagte musste Kaufmann sein. Der nach erneuter Überarbeitung entstandene Entwurf 1873 sah nun eine staatliche Ernennung der Laienrichter auf Vorschlag der Kaufmannschaft, nicht mehr die direkte Wahl durch Kaufmannschaft vor (§ 90). Das Erfordernis fünfjähriger Berufserfahrung war entfallen (§ 91).3 Im Rahmen der Beratungen des Entwurfs lehnte die zuständige Reichstagskommission die Errichtung von besonderen Handelsgerichten überhaupt ab. Es dürfe nicht in Nachahmung französischer Vorbilder Standesvorteile für einzelne Bevölkerungsgruppen geben.4 Dagegen opponierte jedoch sowohl die Justizkommission des Bundesrats als auch die Kaufmannschaft.5 In einer Sitzung am 11. Mai 1876 wurde dann der bis heute gültige Kompromiss gefunden:6 Keine Schaffung selbständiger Handelsgerichte, sondern Einrichtung von „Kammern für Handelssachen“ bei den Landgerichten, für die dann die bisher im Entwurf für Handelsgerichte vorgesehenen Regelungen gelten sollten, vgl. §§ 100 ff. GVG. Damit endete in Deutschland die Entwicklungslinie einer selbständigen Handelsgerichtsbarkeit. 3. Bereits ein Gesetz7 und eine Verordnung8 vom 14. Juli 1871 hatten erste Veränderungen der Gerichtsstruktur in den drei annektierten Departements gebracht; für die Handelsgerichte erfolgten jedoch nur einige Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit (§ 12 der Verordnung). Alsbald wurde unter Anwendung des Art. 617 CdC die Anzahl der Handelsrichter der Gerichte in Straßburg und Colmar auf sechs bzw. fünf erhöht,9 das Handelsgericht in Metz hingegen aufgehoben.10 Zum 1. Oktober 1879 wurde mit dem Inkrafttreten des GVG, vgl. § 1 EGGVG, eine reichseinheitliche Gerichtsverfassung wirksam, die unter anderem – wie gesehen – keine Handelsgerichte mehr kannte, sondern diese zugunsten der Kammern 3

Zu den Entwurfsstadien vgl. Hahn, GVG, Bd. 1, Abt. 2, S. 1710 ff. und eingehend Vogl, Einfluss, S. 261 ff. 4 Hahn, GVG, Bd. 1, Abt. 2, S. 933. 5 Vogl, Einfluss, S. 278. 6 Hahn, GVG, Bd. 1, Abt. 1, S. 705 ff. 7 Gesetz vom 14. Juli 1871, betreffend Abänderungen der Gerichtsverfassung, SIgEL Nr. 27. 8 Allerhöchste Verordnung vom 14. Juli 1871 zur Ausführung des Gesetzes betreffend Abänderungen der Gerichtsverfassung, SIgEL Nr. 28. 9 Allerhöchste Verordnung vom 26. Februar 1873, betreffend die Vermehrung der Mitglieder der Handelsgerichte zu Straßburg und Colmar, SIgEL Nr. 199. 10 Allerhöchste Verordnung vom 6. Juli 1874, betreffend die Aufhebung des Handelsgerichts zu Metz, SIgEL Nr. 347.

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D. Gerichtsverfassungsrechtliche u. zivilprozessuale Regelungen des droit local

für Handelssachen aufhob, vgl. § 7 Abs. 2 des AGGVG für Elsaß-Lothringen.11 1893 wurde in Metz eine Kammer für Handelssachen eingerichtet,12 1914 eine zweite Kammer für Handelssachen in Straßburg13 gebildet und ein Reglement für die Geschäftsverteilung zwischen den beiden Kammern vorgesehen.14 An den beiden anderen Landgerichten, Zabern/Saverne und Saargemünd/Sarreguemines, waren die allgemeinen Zivilkammern unterschiedslos für Zivil- und Handelssachen zuständig. 4. Nach 1918 wurden in den drei zurückgewonnenen Departements keine Handelsgerichte nach Maßgabe des Code de Commerce wiedererrichtet, sondern die Kammern für Handelssachen zunächst beibehalten. Art. 6 des Gesetzes vom 25. Juli 1923 über die Organisation der Justiz im Elsaß und in Lothringen bestätigte dies („Les dispositions des lois locales concernant la compétence en matière commerciale et l’organisation des chambres commerciales sont maintenues provisoirement en vigueur“) als Ausnahme zur Wiedereinführung der französischen organisation judiciaire unter Aufhebung des Gerichtsverfassungsgesetzes (Art. 1).15 In Bezug auf die lokale Gesetzgebung sollten auch im Bereich der Gerichtsverfassung nur Institutionen beibehalten werden, bei denen erwartet wurde, dass eine Rechtsvereinheitlichung im Wege einer Reform des gesamtfranzösischen Rechts erfolgen würde.16 Kammern für Handelssachen existierten weiterhin nur an vier der sechs Gerichte,17 sowohl die Kammern für Handelssachen als auch die allgemeinen Zivilkammern verhandelten weiterhin nach den allgemeinen Regeln, weil die fortgeltende deutsche Zivilprozessßordnung18 kein besonderes Verfahren für Handelssachen kannte (und kennt). Die Beteiligung von Berufsrichtern wurde (und wird noch immer) als großer Vorteil der lokalen Regelung im Vergleich zum französischen Recht angesehen,19 insbesondere weil nur unter Beteiligung von Berufsrichtern komplexe Rechtsfragen zutreffend entschieden werden könnten.20

11 Gesetz für Elsaß-Lothringen vom 4. November 1878, betreffend die Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes, SIgEL Nr. 805. 12 Ministerialverordnung vom 15. Mai 1893, betreffend die Bildung einer Kammer für Handelssachen beim Landgericht zu Metz, SIgEL Nr. 3168. 13 Ministerialverordnung vom 1. Juli 1914, betreffend die Bildung einer zweiten Kammer für Handelssachen beim Landgericht Straßburg, SIgEL Nr. 6083. 14 Ministerialverordnung vom 7. Juni 1914, betreffend die Besetzung der Kammern für Handelssachen bei den Landgerichten und die Geschäftsverteilung unter diese Kammern, SIgEL Nr. 6088. 15 Loi du 25 juillet 1923 relative à l’organisation judiciaire en Alsace et en Lorraine, JORF du 26 juillet 1923. 16 Niboyet/Chéron, Organisation judiciaire, Nr. 2 und 99. 17 Niboyet/Chéron, Organisation judiciaire, Nr. 96. 18 Dazu unter D. II. 19 Vgl. Coutant, Alsace, S. 501 ff. 20 Escarra, Principes de droit, Nr. 581 (S. 682); Solus/Perrot, Droit judiciaire privé, Bd. 1, Nr. 620 (S. 559).

I. Handelsgerichtsbarkeit

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Regelungen für die – auch in diesem Gesetz als vorläufig gedachte – Beibehaltung der Kammern für Handelssachen ergingen dann in Art. 25 ff. LComm, die als „un amalgame un peu surprenant“ aus Regeln des alten Ortsrechts, Regeln des französischen Rechts und besonderen Bestimmungen, die sich sowohl von dem einen als auch von dem anderen Recht unterscheiden, bewertet wurden.21 Die Kammern, die nun „au moins 4 et au plus 16 juges consulaires“22 umfassten, übten sämtliche Zuständigkeiten nach Art. 631 ff. CdC aus, Art. 29 Abs. 1 LComm, so dass sich durch den Wegfall des § 101 GVG geringfügige Änderungen ergaben. Weil allerdings die Kantonsgerichte nach dem Vorbild der deutschen Amtsgerichte für alle Verfahren bis zu einem Streitwert von 750 Francs zuständig blieben (Art. 29 LComm), konnte die Kammer für Handelssachen bei Handelsstreitigkeiten mit niedrigen Streitwerten – anders als in den anderen Teilen Frankreichs – auch als Rechtsmittelgericht fungieren23 so dass die Art. 631 ff. CdC letztlich nur für Handelssachen mit einem Streitwert über 750 Francs galten.24 Während allerdings das französische Recht der Frage, ob ein Rechtsstreit vor einem Handelsgericht oder einem Zivilgericht verhandelt wird, eine zentrale Bedeutung beimisst, wird diese Frage im droit local als zweitrangig angesehen, da es sich im Grunde genommen nur um zwei Kammern desselben Gerichts handelt, die beide in privatrechtlichen Angelegenheiten entscheiden. Wird vor der Kammer für Handelssachen eine vor dieselbe nicht gehörige Klage zur Verhandlung gebracht, so ist der Rechtsstreit auf Antrag des Beklagten an die Zivilkammer zu verweisen und umgekehrt, §§ 103 ff. GVG, die mit dem gesamten Titel VII des GVG als droit local fortgalten.25 Niboyet/Chéron26 sahen hierin hingegen ein „spectacle, à la vérité assez étrange, d’une juridiction à peu près composée comme nos tribunaux de commerce, mais dont la compétence, presque semblable, sera sanctionnée d’une façon toute différente“. Die Kammern werden von einem Berufsrichter, dem Vizepräsidenten des Tribunal de Grande Instance, geleitet, der von Beisitzern aus der Kaufmannschaft unterstützt wird, die gemäß den Bestimmungen der Art. 26 ff. LComm rekrutiert werden. Anstatt von der Regierung aus einer von der Handelskammer vorgelegten Liste ausgewählt zu werden, wurden die Beisitzer nunmehr nach dem französischen Gesetz vom 8. Dezember 188327 gewählt. Nach Art. 28 LComm, der weder mit dem 21

Condom, Le nouveau droit, S. 267. Décret relatif à l’execution des lois judiciaires en Alsace et Lorraine de 22 mars 1924, BOAL 1924, S. 218. 23 Vgl. Niboyet/Chéron, Organisation judiciaire, Nr. 97; Condom, Le nouveau droit, S. 270. 24 Struss/Fehner, Anm. zu Art. 28/29 LComm, S. 403. 25 Struss/Fehner, Anm. zu Art. 25 LComm, S. 399. 26 Niboyet/Chéron, Organisation judiciaire, Nr. 103. 27 Loi du 8 décembre 1883 relative à l’élection des membres des tribunaux de commerce, JORF du 10 décembre 1883; gemäß Décret No 61-1061 du 21 septembre 1961 modifiant l’art 26 de la loi du 1 juin 1924 portant introduction des lois commerciales françaises dans les départements du Haut-Rhin, du Bas-Rhin et de la Moselle, JORF du 26 septembre 1961, 22

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D. Gerichtsverfassungsrechtliche u. zivilprozessuale Regelungen des droit local

französischen noch mit dem deutschen Recht übereinstimmt, beträgt ihre Amtszeit vier Jahre „avec renouvellement par moitié tous les deux ans“. Das Gesetz von 1883 schreibt demgegenüber in Art. 3 jährliche Wahlen vor. 5. Die Kammern für Handelssachen bestehen – unter Anpassung an die Neuregelung des französischen Zivilverfahrens und der Gerichtsverfassung in den 1970er Jahren – bis heute fort, so dass es in den drei ostfranzösischen Departements keine selbständige Handelsgerichtsbarkeit gibt. In Frankreich sind im 21. Jahrhundert mehrere Versuche einer Reform der tribunaux de commerce28 an der „fronde des magistrats consulaires qui s’opposent à l’introduction de l’échevinage“29 gescheitert. Vorgesehen war zur Verhinderung von Kungeleien mit der örtlichen Wirtschaft an kleineren Gerichtsorten und zur Professionalisierung der handelsgerichtlichen Rechtsprechung angesichts komplexer wirtschaftsrechtlicher Fragen eine Besetzung der Handelsgerichte mit einem Berufsrichter und zwei sachkundigen Schöffen;30 damit wäre hinsichtlich der Besetzung das Modell der Kammern für Handelssachen31 übernommen worden. In Deutschland wird gegenwärtig angesichts der Vielfalt wirtschaftsrechtlicher Streitigkeiten bezweifelt, ob die Besetzung der Kammern für Handelssachen mit Laien noch einen Qualitätsgewinn (und nicht vielmehr einen Qualitätsverlust im Vergleich zu einem nur mit Berufsrichtern besetzten Spruchkörper) bedeutet.32 Erstens gebe es die Rechtsquelle, für die die Kammern einst eingerichtet wurden, nämlich die Handelsbräuche (§ 346 HGB), die im 19. Jahrhundert noch eine große Rolle gespielt hätten, angesichts ausgefeilter Vertragswerke kaum noch. Zweitens seien die Kammern heute nicht mehr die Spezialgerichte der Wirtschaft, sondern angesichts der Spezialisierung im Wirtschaftsrecht eher eine Art Gemischtwarenladen. Drittens werde die Beteiligung der Handelsrichter in der Praxis inzwischen eher als Hindernis denn als Vorteil wahrgenommen, denn in der Praxis werde die Option eines Verzichts auf die Laien (§ 349 Abs. 3 ZPO) in den weitaus meisten werden die Beisitzer der Handelskammern nunmehr gemäß den Bestimmungen des Décret No 61-923 du 3 août 1961 relatif aux tribunaux de commerce et aux chambres de commerce et d’industrie, JORF du 18 août 1961, gewählt. 28 Vgl. insbesondere das Projet de loi relatif aux tribunaux de commerce, hierzu Sénat, Rapport No 178, Session ordinaire de 2001/2002, Annexe au procès-verbal de la séance du 23 janvier 2002, Rapport fait au nom de la commission des Lois constitutionnelles, de législation, du suffrage universel, du Règlement et d’administration générale sur le projet de loi, adopté par l’assemblée nationale après déclaration d’urgence, portant réforme des tribunaux de commerce, par M. Paul Girod, Sénateur. 29 Rama, Réforme des tribunaux, Eurojuris 17. 12. 2012. 30 Fleury, Les enjeux, S. 73 ff. 31 Vgl. Girod vor Fn. 14: „7 tribunaux de grande instance situés dans les trois départements d’Alsace-Moselle, fonctionnant selon le principe de l’échevinage avec un magistrat professionnel, président de la chambre commerciale, et deux assesseurs élus dans les mêmes conditions que les juges élus des tribunaux de commerce. Notons que cette spécificité de droit local est héritée de la législation allemande.“ 32 Grohmann, Internationalisierung, S. 33 ff.; Podszun/Rohner NJW 2019, S. 131 ff.

II. Zivilverfahren (Streitiges Erkenntnisverfahren)

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Fällen wahrgenommen.33 Bereits die Qualifikation der Berufsrichter für komplexe wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten wird in Zweifel gezogen34 und eine stärkere Spezialisierung der Berufsrichter unter Verzicht auf die gängige Stellenrotation in der Justiz gefordert.

II. Zivilverfahren (Streitiges Erkenntnisverfahren) 1. Der zum 1. Januar 1807 in Frankreich in Kraft getretene Code de Procédure Civile (CdPC) galt nach 1871 im annektierten Elsaß-Lothringen zunächst fort. „In Frankreich“ hatte 1807 bedeutet: Auch in den ehemals preußischen, bayerischen und hessischen Gebieten links des Rheins. 1809 erging im Königreich Westphalen35 eine neue, eng an den Code angelehnte Prozessordnung,36 1811 trat der Code im Großherzogtum Berg37 in Kraft. Nach dem Wiener Kongress galt in den an Preußen, Bayern und Hessen (zurück)fallenden Gebieten das französische Recht als „rheinisches Recht“ fort.38 Eigentlich nur provisorisch, tatsächlich freilich zumeist über Jahrzehnte hinweg bis zum 30. September 1879, also bis zum Inkrafttreten der Zivilprozessordnung des Deutschen Reichs. Zurückgeblieben war nach den napoleonischen Kriegen nämlich eine von revolutionären Grundsätzen geprägte Gerichtsverfassung mit einer unabhängigen Rechtspflege,39 in der ein Großteil der bis heute maßgeblichen Prinzipien bereits voll ausgebildet war.40 Exekutive und Judikative waren klar voneinander getrennt, alle Bürger waren vor Richter und Gesetz gleich, Öffentlichkeit und Mündlichkeit waren Grundprinzipien jedes Gerichtsverfahrens, Laien waren an der Strafrechtspflege beteiligt, es bestand mit dem ministère public eine eigene Anklagebehörde und die Anforderungen an die fachliche Kompetenz der Richter waren streng. Das französische Zivilprozessrecht allerdings zeigte sich von der Philosophie der Revolution weitgehend unberührt;41 es ging auf die Regelungen einer Ordonnance

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Podszun/Rohner, NJW 2019, S. 132. Grohmann, Internationalisierung, S. 41 ff. 35 Hierzu Mohnhaupt, Richter, in: Hedwig/Malettke/Murk (Hrsg.), Napoleon, S. 167 – 190; ders., Die Gerichtspraxis, in: Dölemeyer/Mohnhaupt/Somma (Hrsg.), Richterliche Anwendung, S. 37 – 60. 36 Alsbald erschien auch ein erster Kommentar: Rosenthal, Neue Prozeß-Ordnung. 37 Siehe dazu auch Löhnig, La réforme de la justice dans le Grand-Duché de Berg: de la réception de l’organisation judiciare française en Allemagne, RHD 2012, 255 ff. 38 Eingehend hierzu Schubert, Französisches Recht. 39 Klein, FS OLG Köln, S. 113 ff. 40 Grilli, Konzeptionen, in: Dipper/Schieder/Schulze (Hrsg.), Napoleonische Herrschaft, S. 243 ff. 41 Schubert, Französisches Recht, S. 570. 34

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D. Gerichtsverfassungsrechtliche u. zivilprozessuale Regelungen des droit local

Ludwig XIV.42 zurück, die erstmals ein einheitliches Verfahrensrecht für Frankreich geschaffen hatte. Gleichwohl ließen sich auf dieser Grundlage revolutionäre Forderungen erfüllen, indem beispielsweise ein mündliches und öffentliches Verfahren durchzuführen war, Art. 87 ff. CdPC, und die Grundsätze der Parteiherrschaft und Verhandlungsmaxime zum Tragen kamen. Die Rheinprovinz war damit eine Enklave liberaler Justizverfassung in den jeweiligen Staaten – dieser Aspekt wird in vielen Arbeiten zur Rezeption französischen Rechts im Rheinland43 nicht oder nur am Rande behandelt, obschon französisches Prozessrecht und französische Gerichtsverfassung eine nachhaltigere Wirkung im Deutschland des 19. Jahrhunderts entfaltet haben dürften als der Code Napoléon. Die – den Zeitgenossen durchaus bewussten44 – Lücken und Mängel des französischen Zivilprozessrechts traten hinter der dem Verfahren zugesprochenen freiheitssichernden Funktion zunächst in den Hintergrund.45 Die Entwicklung des deutschen Zivilprozessrechts im 19. Jahrhundert läßt sich als ein schrittweises Anpassen des Zivilverfahrens der nunmehr entstandenen deutschen Einzelstaaten an die Maximen des französischen Prozessrechts beschreiben. Schließlich entstand in Preußen 1864 ein französisch inspirierter – vor allem nationalpolitisch motivierter46 – Reformentwurf.47 In Bayern trat 1869 mit der Prozessordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für das Königreich Bayern48 eine noch stärker französisch geprägte Zivilprozessordnung in Kraft. 2. Zum 1. Oktober 1879 trat im ganzen Deutschen Reich – und damit auch in Elsaß-Lothringen – die Zivilprozessordnung vom 30. Januar 187749 als eines der die innere Rechtseinheit im Bereich der Rechtspflege herstellenden Reichsjustizgesetze in Kraft. Die Wurzeln der Reichszivilprozessordnung sind allerdings nicht nur in Frankreich, sondern vor allem in Hannover zu suchen, wo der damalige Hannoveraner und spätere preußische Justizminister Adolf Leonhardt einen neuen Verfahrenstyp geschaffen hatte, der in Deutschland neben den gemeinrechtlichen, den preußischen und den französischen Verfahrenstyp trat. Dieser stellte einerseits – im Anschluss an die im Vormärz erhobenen revolutionären Forderungen,50 ohne aber das

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Ordonnance civile touchant la réformation de justice du mois d’Avril 1667 = 1. Teil des von Jean-Baptiste Colbert ausgearbeiteten und 1667/1670 erschienenen Code Louis. 43 Etwa Fehrenbach, Der Kampf; Dipper/Schieder/Schulze (Hrsg.), Napoleonische Herrschaft; anders freilich Schubert, Französisches Recht. 44 Hierzu Koch, Einfluss, in: Schulze (Hrsg.), Französisches Zivilrecht, S. 162 ff. 45 Ahrens, Prozessreform, S. 50 ff. 46 Vgl. Schubert (Hrsg.), Entwurf und Motive, S. 29. 47 Der Text findet sich bei Schubert, Entwurf und Motive. 48 Kommentiert von Barth, Kommentar ZPO Bayern; Vierling, Die Prozeßordnung; Wernz, Commentar Prozeßordnung; Lengriesser, Leitfaden. 49 RGBl. 1877, S. 83 ff. 50 Vgl. hierzu auch Löhnig, Introducing, in: Berger/Delivré (ed.), Popular Justice, S. 115.

II. Zivilverfahren (Streitiges Erkenntnisverfahren)

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französische Beispiel nur zu kopieren – das mündliche und öffentliche51 Verfahren mit echter Wechselrede in den Mittelpunkt des Zivilprozesses, umrahmte dieses andererseits aber mit gemeinrechtlichen Elementen, stand also gleichsam zwischen gemeinem und französischem Zivilverfahren. Zwischen 1862 und 1866 tagte in Hannover die Kommission zur Schaffung eines einheitlichen Zivilverfahrens für das Gebiet des Deutschen Bundes, an der allerdings Preußen aus machtpolitischen Erwägungen nicht teilnahm. Am 30. April 1866 legte die Kommission den Entwurf mit Protokollen der Bundesversammlung vor, die ihn am 19. Mai 1866 dem Ausschuss für die Errichtung eines Bundesgerichts überwies. Adolf Leonhardt hatte eingedenk der politischen Auseinandersetzungen im Deutschen Bund bereits in seinem Schlusswort am 24. März 1866 bezweifelt, dass der Kommissionsentwurf gemeines Recht für ganz Deutschland werde, allerdings bilde er „doch die Grundlage künftiger gemeinsamer Gesetzgebung“.52 Damit sollte er Recht behalten und damit konnte er auch zufrieden sein, denn er hielt den Entwurf für eine gelungene Revision „seiner“ Bürgerlichen Prozessordnung für Hannover.53 Die Zivilprozessordnung von 1877/79 ist also das Ergebnis eines produktiven Wettkampfs und der Synthese verschiedener prozessualer Modelle, vor allem in den langen Hannoveraner Beratungen in der Spätphase des Deutschen Bundes. In diesen setzte sich der Mündlichkeitsgrundsatz, wie er in der Bürgerlichen Prozessordnung des Königreichs Hannover geregelt war, in einer erweiterten Form als verfahrensprägend durch,54 womit ein weitreichender Konsens über die Grundlinien der Prozessreform in Deutschland erreicht worden war. Nach der Reichsgründung wurde dann das nach dem Vorbild des gemeinrechtlichen Prozesses zweigeteilte Hannoveraner Verfahren von dessen Urheber Adolf Leonhardt selbst in ein eigenständiges ungeteiltes Verfahren überführt. Die Reichszivilprozessordnung verwirklichte damit nicht nur die Rechtseinheit, sondern brachte als Ergebnis jahrzehntelanger Arbeiten ein eigenständiges, systematisches und prinzipiengeleitetes zivilrechtsdogmatisches Gebäude zur Geltung. 3. Nach der Rückkehr Elsaß-Lothringens nach Frankreich regte sich „une certaine opposition“55 gegen die Wiedereinführung des Code de Procédure Civile. Tatsächlich scheint es massiven Widerstand gegeben zu haben: Die Generalversammlung der elsässisch-lothringischen Juristen hat die Wiedereinführung einstimmig abgelehnt.56 Ein entsprechender Gesetzentwurf zur Einführung französischen Zivilver-

51 Über die nur unter engen Voraussetzungen zu beschränkende Öffentlichkeit konnten die Parteien nicht disponieren, sie dienten laut Leonhardt einem höheren Zweck, vgl. Leonhardt, Die Justizgesetzgebung, Bd. 2, S. 55. 52 Hellweg, Rückblick, S. 97. 53 Leonhardt, Betrachtungen, S. 26. 54 Ahrens, Prozessreform, S. 639. 55 Schissele, Bulletin, S. 159. 56 Tissier, Bulletin, S. 180.

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D. Gerichtsverfassungsrechtliche u. zivilprozessuale Regelungen des droit local

fahrensrechts wurde schließlich nicht weiterverfolgt57 und die Kommission zur Erarbeitung des Übergangsrechts hat die Fortgeltung der Zivilprozessordnung in weitem Umfang vorgeschlagen,58 so dass es überhaupt nicht zu einer „Loi Procédurale 1924“ neben den anderen beiden Übergangsgesetzen gekommen ist. Bereits im November 1918 waren allerdings einige Veränderungen vorgenommen worden: Die Rechtsbehelfe der Revision und der weiteren Beschwerde wurden wieder durch den Recours en Cassation zur Cour de Cassation ersetzt, der Anwaltszwang entfiel teilweise.59 Die Bestandsaufnahme war tatsächlich sehr ernüchternd ausgefallen:60 Der Hauptgrund für den Widerstand sei schlicht, dass Frankreich nur eine veraltete, fehlerhafte Prozessordnung anzubieten habe, die in ihrer Gesamtheit der deutschen Prozessordnung unterlegen sei. Das französische Zivilverfahren sei zerstückelt, langsam und teuer. Der französische Gesetzgeber könne freilich noch mehr von den Prozessordnungen Österreichs (1898), Ungarns (1911) und einiger Schweizer Kantone lernen. Die erhoffte Reform des Code de Procédure Civile ließ allerdings bis in die 1970er Jahre auf sich warten und so galt bis 31. Dezember 197661 die deutsche Zivilprozessordnung in weiten Teil unverändert in den drei östlichen Departements weiter.62 In der von Gilbert Struss verantworteten, mehrbändigen Sammlung der lois locales finden sich mehrere Bände zum lokalen Zivilverfahrensrecht, die die lokale, deutsche Zivilprozessordnung, die gleichsam auf dem Stand zum Ende des Ersten Weltkriegs eingefroren war, auf Grundlage der Rechtsprechung und Literatur kommentierten, allerdings allein auf Grundlage der notwendig spärlichen französischen Literatur und der Rechtsprechung französischer Gerichte, vor allem der Cour d’appell in Colmar. An dieser Stelle wird der Unterschied des Umgangs mit dem fortgeltenden deutschen Recht in Frankreich im 20. Jahrhundert und dem fortgeltenden französischen Recht in Deutschland im 19. Jahrhundert besonders deutlich: Das droit local war vom deutschen Recht und seiner Wissenschaft – jedenfalls ausweislich der entsprechenden Publikationen – komplett abgeschnitten.

57 Une commission constituée sous la présidence de M. A. Tissier, conseiller à la Cour de cassation, élabora un projet qui fut soumis au Conseil consultatif et adopté par lui. Mais le Gouvernement renonça à le déposer et n’introduisit que les règles de la procédure française absolument indispensables en raison de l’introduction des Codes civil et de commerce, Niboyet/Muhleisen, Procédure civile et commerciale, Nr. 1. 58 Schissele, Bulletin, S. 162. 59 Art. 19 ff. Décret du 6 décembre 1918 relatif à l’organisation provisoire de la justice en Alsace et en Lorraine, JORF du 7 décembre 1918 = BOAL 1918/19, S. 17 ff. 60 Tissier, Bulletin, S. 181 f. 61 Vgl. Art. 3 des Décret No 75-1123 du 5 décembre 1975 instituant un nouveau code de procédure civile, JORF du 9 décembre 1975, numéro complémentaire. 62 Gleiches gilt für verschiedene korrespondierende Regelungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, Loi du 25 juillet 1923 relative à l’organisation judiciaire en Alsace et en Lorraine, JORF du 26 juillet 1923 = BOAL 1923, 414 ff.

II. Zivilverfahren (Streitiges Erkenntnisverfahren)

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4. 1972 wurde im Rahmen der Reformarbeiten am Code de Procédure Civile auch eine commission d’harmonisation eingerichtet, die im besten Fall eine Wiederherstellung der französischen Rechtseinheit, zumindest jedoch eine stärkere Harmonisierung zwischen französischem Recht und droit local erreichen sollte.63 Die 1976 bzw. 1977 (in Elsaß-Lothringen) in Kraft tretenden Reformgesetze brachten – wie Habscheid es seinerzeit formuliert hat – „das französische Zivilprozeßrecht dem deutschen wieder näher […] nachdem das deutsche Zivilprozeßrecht des vorigen Jahrhunderts aus dem französischen Code de procédure civile richtungsgebende Impulse empfangen hatte“.64 Die seit Jahrzehnten sorgfältig vorbereitete Reform des Erkenntnisverfahrens zielte, wie viele europäische Verfahrensrechtsreformen des 20. Jahrhunderts, auf die Schaffung einer schnelleren und effizienteren Zivilrechtspflege auf Grundlage eines auf bestimmten, in Art. 1 – 24 CdPC (Les principes directeurs du procès) geregelten Prozessgrundsätzen65 beruhenden Verfahrens ab. Der neugeschaffene Vorverfahrensrichter sollte für eine sinnvolle Vorbereitung des Termins sorgen können, der ordentliche Richter erhielt deutlich gesteigerte Befugnisse zur Verfahrensleitung. Dabei ließ sich der Reformgesetzgeber auch durch die in der deutschen Zivilprozessordnung gefundenen Lösungen inspirieren. Ob der Nouveau Code de procédure civile (NCPC) allerdings durch das droit local oder unmittelbar durch das Studium des deutschen Verfahrensrechts beeinflusst ist, lässt sich nicht sicher sagen. Die Kommission, die den Auftrag hatte, im Rahmen der Erneuerung des Zivilprozesses Wege zur Vereinheitlichung des neuen französischen Verfahrensrechts und des droit local vorzuschlagen, war erst im Herbst 1972 eingesetzt worden, als bereits zwei Reformdekrete verkündet worden waren. Zudem dürfte das deutsche Recht als Quelle attraktiver gewesen sein als „le droit local figé dans sa version de 1918“.66 Überdies wird gesagt, die dirigistische Konzeption des neuen französischen Zivilprozesses erscheine eher durch das österreichische als durch das deutsche Modell inspiriert.67 Auf der anderen Seite steht fest, dass die erwähnte Kommission zahlreiche technische Regelungen des NCPC in Anlehnung an das droit local geschaffen hat.68 „La supériorité du droit local a toujours joué un rôle fondamental dans le rétablissement de l’unité législative“ – Coutant diagnostiziert geradezu eine „sacralisation des institutons locales“ im Bereich des Zivilverfahrens.69 Wie auch immer, jedenfalls dürfte die langjährige Geltung des deutschen bzw. lokalen Zivilverfahrens ein Faktor gewesen sein „which led several 63

Coutant, Alsace, S. 354 f. Habscheid, FS Beitzke, S. 1051. 65 Vgl. Verges, Les Principes. 66 Rouhette, in: Habscheid (Hrsg.), Französischer Code, S. 184. 67 Cadiet, Le nouveau Code, S. 686 mit diesem schönen Bild: „La recherche des influences est toujours un exercice dificile car les idées, qui sont de libre parcours, ne se laissent pas ,baguer‘ aussi facilement que les truites ou les ramiers.“ 68 Rouhette, in: Habscheid (Hrsg.), Französischer Code, S. 184 f. 69 Coutant, Alsace, S. 356. 64

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D. Gerichtsverfassungsrechtliche u. zivilprozessuale Regelungen des droit local

French authors to become acquainted with, and to consider, German legal developments“.70 Die Reformgesetze ließen allerdings zahlreiche Besonderheiten des in den drei Departements angewandten Verfahrensrechts bestehen, die in einem recht umfangreichen, besonderen Anhang geregelt sind (Annexe du code de procédure civile relative à son application dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle), der insbesondere die matière gracieuse71 betrifft und dessen erste Norm lautet: „Le code de procédure civile est applicable dans les départements du BasRhin, du Haut-Rhin et de la Moselle, sous réserve des dispositions particulières non abrogées et des dispositions permanentes ci-après.“ (Art. 1 Annexe CdPC). Hinzukommt die unmittelbare Fortgeltung der Normen zu besonderen Verfahrensarten wie dem Urkundsprozess, §§ 592 ff. ZPO oder dem Schiedsverfahren, §§ 1025 ff. ZPO. Auch das Zwangsvollstreckungsrecht der lokalen Zivilprozessordnung galt zunächst kaum verändert fort. In der Reform des gesamtfranzösischen Vollstreckungsrechts 1991/92,72 die allerdings den Bereich der Immobliliarzwangsvollstreckung ausklammerte, sind zahlreiche Einflüsse des droit local zu erkennen, insbesondere im Bereich der Pfändung von Geldforderungen und Herausgabeansprüchen.73 Der neue Code des procédures civiles d’exécution setzte, soweit die Reform reichte, das lokale Zwangsvollstreckungsrecht weitgehend außer Kraft. Die das Reformwerk abschließende Reform der Immobiliarzwangsvollstreckung im Jahr 2006 hat demgegenüber das lokale Recht nicht berührt. Gemäß Artikel L. 341-1 des Code des procédures civiles d’exécution ändert das Buch III über die saisie immobilière nämlich nicht die in den Departements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle geltenden Bestimmungen. Weiterhin in Kraft sind also die Regelungen zum Teilungsverfahren74 (Art. 220 ff. LCiv) und zum gerichtlichen Verkauf von Immobilien75 (Art. 141 ff. LCiv).

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Wijffels, French Civil Procedure, in: Van Rhee, European Traditions, S. 46 f. Vgl. Art. 2 des Annexes: Les dispositions du code de procédure civile ne sont applicables aux matières suivantes: tutelle, administrations légales et curatelles de droit local; partage judiciaire et vente judiciaire d’immeubles, certificats d’héritiers, scellés; registre des associations, registres matrimoniaux, et registres des associations coopératives de droit local; livre foncier, que sous réserve des règles établies, pour chacune de ces matières, par la loi du 1er juin 1924 mettant en vigueur la législation civile française dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle ou maintenues en vigueur par cette loi et les textes complémentaires intervenus depuis cette date, ainsi que des dispositions ci-après. 72 Loi No 91-650 du 9 juillet 1991 portant réforme des procédures civiles d’exécution, JORF du 14 juillet 1991, und Décret n892-755 du 31 juillet 1992 instituant de nouvelles règles relatives aux procédures civiles d’exécution pour l’application de la loi n8 91-650 du 9 juillet 1991 portant réforme des procédures civiles d’exécution, JORF du 5 août 1992. 73 Vgl. Traichel, Reform, S. 2 f. 74 Dazu im Abschnitt D. IV. 75 Dazu im Abschnitt D. III. 71

III. Immobiliarzwangsvollstreckung

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III. Immobiliarzwangsvollstreckung 1. Das Verfahren der Zwangsvollstreckung in Immobilien nach dem CdPC wurde schnell als langwierig und kostspielig kritisiert. Eine bereits im Jahr 1841 erfolgte Reform76 angesichts der „Ueberladung mit zweckwidrigen, kostspieligen Förmlichkeiten“ des Verfahrens hat den „Mängeln nicht hinreichend abgeholfen“.77 „La loi de 1841 a apporté des simplifications notables au système du code, mais il faut bien convenir que le remède a été incomplet, puisque les frais des petites saisies continuent à absorber le produit entier des adjudications“.78 Die Immobiliarvollstreckung war zu Beginn des 19. Jahrhunderts allerdings ganz bewusst restriktiv geregelt worden. Da das Grundstück als der wesentliche, fundamental wichtige Vermögensbestandteil angesehen wurde, sollte eine Zwangsversteigerung nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden können.79 Das Verfahren barg zudem erhebliche Risiken. Noch 2003 konnte aus Praktikersicht festgestellt werden: „Les saisies et ventes immobilières font naître des conflits insoupçonnables, du fait des procédures minutieuses exigées par la loi pour leur validité, les acquéreurs d’immeubles litigieux vivent dans l’angoisse permanente engendrée par des revendications plus ou moins fondées. En cas de vices de procédure […], la vente résultant d’un acte irrégulier doit être annulée.“80

2. Genauso war die Situation in den Gebieten Rheinischen Rechts, weshalb Preußen mit der Subhastationsordnung für die Rheinprovinz vom 1. August 182281 die Titel XII und XIII des CdPC aufgehoben hat. Der Vorspruch der Subhastationsordnung nimmt ebenfalls Bezug auf die Mängel des französischen Verfahrens: „Da es ein dringendes Bedürfniß ist, den Mängeln der Rheinischen Prozeßordnung, in Bezug auf das Subhastationsverfahrens jetzt schon abzuhelfen und dasselbe zu vereinfachen“ führte der Reformgesetzgeber vor allem ein straffes und kostengünstiges, allein von den Friedensrichtern – jeweils am Ort der Belegenheit des Grundstücks – „als beständigen Kommissarien der Landgerichte“ (§ 1 Abs. 1 Satz 1) betriebenes Verfahren ein: Dem Schuldner war vor der Beschlagnahme zunächst ein Zahlungsbefehl zuzustellen (§ 2), der eine letzte Zahlungsfrist von einem Monat einräumte (§ 3); anschließend hatte der Gläubiger innerhalb dreier Monate die Beschlagnahme zu beantragen (§ 4). Blieb die Zahlung aus, erging ein Beschlagnahmebeschluss (§ 5), der im Hypothekenbuch einzutragen war (§ 6); erst ab diesem Zeitpunkt hatte die Beschlagnahme Drittwirkung. Eine beschlagnahmewidrige 76

Loi sur les ventes judiciaires de biens immeubles, du 2 juin 1841. Jonas, Studien, S. 149 ff.; genauso Lingenthal/Puchelt, Handbuch, 3. Bd., §§ 581 ff. (S. 518 ff.). 78 Annales de la Chambre des députés, Tôme XLII, Chambre des deputés – Seance du 9 décembre 1893 – Annexe No 127: Proposition de loi ayant pour la revision du code de procédure civil, S. 175 ff., S. 192. 79 Prévault, Mélanges Vincent, S. 296 ff., 303. 80 Juridis Périodique 56/2003, S. 62 Nr. 4. 81 Subhastationsordnung für die Rheinprovinz vom 1. August 1822, GS 1822, S. 195 ff. 77

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Veräußerung des Grundstücks durch den Schuldner war ab diesem Zeitpunkt dem Erwerber gegenüber ohne weiteres unwirksam; er konnte die Unwirksamkeit jedoch durch Tilgung der Schulden des Veräußerers abwenden (§ 10). Nach Zustellung und Eintragung des Beschlagnahmebeschlusses entwarf der Friedensrichter das Subhastationspatent (§§ 11 ff.), das Modalitäten und Termin der Versteigerung festlegte und förmlich bekannt zu machen war. Dritte hatten Einreden gegen die Verwertung und mögliche Rechte an dem Grundstück spätestens nach Eröffnung des Liquidationstermins anzumelden (§§ 19, 20). Die anschließende „Versteigerung geschieht bei brennenden Kerzen in der Art, daß der Zuschlag erfolgt, sobald bei einem Gebote drei Kerzen, deren jede wenigstens eine Minute brennt, erloschen sind, ohne daß ein Mehrgebot erfolgt ist“ (§ 23). Der Meistbietende erwarb „keine größeren Rechte, als der Schuldner zur Zeit des Zuschlags hatte“ (§ 35 Satz 1); war die verkaufte Immobilie vermietet, so galten Art. 1743 ff. CC. Die Preußische Subhastationsordnung vom 15. März 186982 löste die Ordnung von 1822, die speziell für die Rheinprovinz ergangen war, nicht ab (§ 116 Subhastationsordnung 1869). Auch in der bayerischen Pfalz erging bereits zum 1. Juni 1822 ein der preußischen Subhastationsordnung vergleichbares Gesetz,83 das jedoch die Aufgaben, die nach preußischem Recht der Friedensrichter wahrzunehmen hatte, den Notaren übertrug und, weil dieses neue Verfahren offenbar weiterhin Mängel aufwies, bereits durch ein Gesetz von 23. Mai 184684 ersetzt wurde. Das Verfahren auf Grundlage des Gesetzes von 1846 wiederum wurde in den Entwurf einer bayerischen Zivilprozessordnung85 inkorporiert und schließlich mit der bayerischen Zivilprozessordnung von 1869 für das gesamte Königreich in Kraft gesetzt. 3. In Elsaß-Lothringen trat bereits 1873, also noch in der Phase der Bundesratsgesetzgebung, ein Gesetz betreffend den Zwangsverkauf von Liegenschaften in Kraft. Es bildet den Kern der weiteren Entwicklung im Reichsland. Der Entwurf86 kritisierte in seiner Begründung „ein überkünstliches System“ des französischen Rechts, „dessen tief eingreifende Nachtheile längst schwer empfunden sind“. Es erfolgen „die Subhastationen vor den Tribunalen erster Instanz, nachdem das Verfahren durch Gerichtsvollzieher und Anwälte bis zum Stadium der Versteigerung vorbereitet worden ist. Die aus der Häufung der Formen erwachsenden Kosten sind so erheblich, dass sie schon an sich in den meisten Fällen den Ruin des Schuldners 82

GS 1869, S. 421 ff.; dazu Jaeckel, Die Subhastations-Ordnung. Gesetz, die Vereinfachung des Verfahrens bey Zwangsveräußerungen von Immobilien im Rheinkreise betreffend, GBl. 1822, Sp. 147 ff. 84 Gesetz, das Executionsverfahren in der Pfalz betreffend, vom 23. Mai 1846, GBl. 1846, S. 105 ff. 85 Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtages, 1863, Beilagen Bd. II: Verhandlungen des Gesetzgebungsausschusses, S. 185. 86 Drucksachen zu den Verhandlungen des Bundesraths des Deutschen Reichs (ElsaßLothringen), Session 1873, No 13, hier S. 12 f. 83

III. Immobiliarzwangsvollstreckung

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herbeiführen.“ Die Versteigerung als solche sei so gestaltet, dass „unbedeutendere Liegenschaften für die Kosten und bloße Scheingebote zugeschlagen werden“. Belegt werden diese Ausführungen mit einer Studie des französischen Justizministeriums aus dem Jahre 1864. Das neue Gesetz beruhe auf der preußischen Subhastationsordnung von 1822, deren Grundsätze „sich in der Praxis bewährt gefunden haben“, Abweichungen ergäben sich aus den Erfahrungen der Rechtspraxis und den Besonderheiten in ElsaßLothringen. Diese Abweichungen sind nicht zahlreich, es geht insbesondere um das in § 5 des Entwurfes geregelte Verfahren zur Ermittlung der Vorbesitzer des Schuldners (§ 5 Abs. 2) – ein Grundbuch87 existierte nicht – und das Erfordernis der Versteigerung am Ort der Belegenheit des Grundstücks (§ 5 Abs. 5). Damit setzt sich das preußische Modell eines vom Friedensrichter betriebenen Verfahrens gegen das bayerische Modell weitreichender Zuständigkeiten des Notars durch. 4. Die 1879 auch in Elsaß-Lothringen in Kraft getretene Zivilprozessordnung des Deutschen Reiches regelte die Immobiliarvollstreckung nicht, weil man einen allzu engen Zusammenhang mit dem Immobiliarsachenrecht sah, das in Deutschland bislang nicht einheitlich geregelt war, so dass dieser Bereich weiterhin Gegenstand der Landesgesetzgebung blieb, vgl. § 757 CPO. Trotzdem machte das Inkrafttreten der Prozessordnung, die insoweit an die Stelle der Art. 749 ff. CdPC trat, eine Neufassung des Gesetzes von 1873,88 das zudem „in der Praxis sich als unvollkommen erwiesen“89 habe, erforderlich, was zugleich zu einer Erweiterung, nicht aber zu grundlegenden Veränderungen genutzt wurde. Denn der vorgelegte Entwurf90 gab in Titel I weitreichend den an die geänderte Situation angepassten Gehalt des Gesetzes von 1873 wieder, während Titel II die der Landesgesetzgebung überlassenen Bereiche des einstweiligen Rechtsschutzes, Titel III das HypothekenReinigungsverfahren und Titel IV das Verteilungsverfahren enthielt, zu denen die neue Prozessordnung ebenfalls keine Regelungen vorsah.

87

Dazu in Abschnitt B. I. Gesetz vom 30. April 1880 über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, einschließlich der Vollziehung des Arrestes und einstweiliger Verfügungen über das Hypotheken-Reinigungsverfahren und über das Vertheilungsverfahren, SIgEL Nr. 974. 89 Verhandlungen des Landesausschusses von Elsaß-Lothringen (Bd. 14), VII. Session 1879/80, 2. Bd.: Sitzungsberichte: Bericht der Spezialkommission zum Entwurf eines Gesetzes über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen einschließlich der Vollziehung des Arrestes und einstweiliger Verfügungen, über das Hypotheken-Reinigungsverfahren und über das Vertheilungsverfahren, S. 713. 90 Verhandlungen des Landesausschusses von Elsaß-Lothringen (Bd. 13), VII. Session 1879/80, 1. Bd.: Vorlagen, Nr. 2: Entwurf eines Gesetzes über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen einschließlich der Vollziehung des Arrestes und einstweiliger Verfügungen, über das Hypotheken-Reinigungsverfahren und über das Vertheilungsverfahren. 88

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Der Landesausschuss setzte nach der ersten Lesung des Entwurfs eine Spezialkommission ein, die vor der zweiten Lesung ihren Bericht91 erstattete. Der Bericht geht dabei vor allem auf Zuständigkeitsfragen ein: Nicht die richterliche, sondern die notarielle Zuständigkeit sei für die Immobiliarvollstreckung anzuordnen, weil auf Grundlage des französischen Rechts bei Einverständnis der Beteiligten eine Überweisung vom Tribunal an den Notar möglich gewesen sei, was – weil sachgerecht – längst die Regel gebildet habe.92 Hier weicht der Landesausschuss also vom preußischen Modell ab und wählt die „auch in Bayern favorisierte“ Lösung, wie die Notariatszeitschrift für Elsaß-Lothringen eingangs ihrer umfangreichen Erläuterungen zu dem neuen Gesetz betont.93 5. Gemeinsam mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch trat zum 1. Januar 1900 das Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) im gesamten Deutschen Reich in Kraft. Es ersetzte die Landesgesetze über die Immobiliarzwangsvollstreckung, so auch das elsaß-lothringische Gesetz von 1880. Nach preußischem Vorbild94 – vgl. §§ 139 ff. des inzwischen in Kraft getretenen preußischen Gesetzes betreffend die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen von 188395 – war nunmehr neben der Zwangsversteigerung auch die Zwangsverwaltung geregelt; das elsaß-lothringische Gesetz von 1880 hatte die Zwangsverwaltung noch nicht gekannt. Möglich und nötig geworden war das Reichsgesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung deshalb, weil nunmehr in ganz Deutschland einheitliche Regelungen über Grundpfandrechte bestanden, §§ 1113 ff. BGB, wobei das BGB bekanntlich eine Kompromisslösung gewählt hat und sowohl die – damals geläufige – Hypothek als auch die Grundschuld und die Rentenschuld aufgenommen hat, wodurch man den Gepflogenheiten in den verschiedenen Bundesstaaten entgegenkommen wollte. Gleichzeitig wurden die Grundpfandrechte strikt dem Publizitätsgrundsatz unterworfen.96 Nicht nur in dieser Hinsicht diente das neue deutsche Grundstücksrecht der Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs. Vielmehr war das ZVG überdies gleichsam der Gegenentwurf zum Immobiliarzwangsvollstreckungsrecht des französischen Code de Procédure Civile, indem es 91 Verhandlungen des Landesausschusses von Elsaß-Lothringen (Bd. 14), VII. Session 1879/80, 2. Bd.: Sitzungsberichte: Bericht der Spezialkommission zum Entwurf eines Gesetzes über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen einschließlich der Vollziehung des Arrestes und einstweiliger Verfügungen, über das Hypotheken-Reinigungsverfahren und über das Vertheilungsverfahren, S. 713 ff. 92 Verhandlungen des Landesausschusses von Elsaß-Lothringen (Bd. 14), VII. Session 1879/80, 2. Bd.: Sitzungsberichte: Bericht der Spezialkommission zum Entwurf eines Gesetzes über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen einschließlich der Vollziehung des Arrestes und einstweiliger Verfügungen, über das Hypotheken-Reinigungsverfahren und über das Vertheilungsverfahren, S. 714 f. 93 Notariatszeitschrift für Elsaß-Lothringen 1 (1881), S. 8. 94 Vgl. Jakobs/Schubert (Hrsg.), Beratungen, Sachenrecht IV, S. 24, 57. 95 Gesetz betreffend die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen vom 13. Juli 1883, GS 1883, S. 131. 96 Vgl. eingehend dazu Buchholz, Quellen, S. 250 ff.

III. Immobiliarzwangsvollstreckung

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die Zwangsvollstreckung in Grundstücke nicht als die große Ausnahme ansieht und den Schuldner durch ein kompliziertes Verfahren schützt, sondern sich „einseitig und rücksichtlos in den Dienst der Gläubiger“ stellt.97 In § 13 EGZVG war ein Freiraum bei der Regelung der Kompetenzen vorgesehen: „Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, daß die in dem Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung dem Vollstreckungsgerichte zugewiesenen Amtshandlungen, soweit nicht über die Anordnung, Aufhebung oder Verbindung des Verfahrens oder über die Zulassung des Beitritts eines Gläubigers zu entscheiden ist, von einer anderen Behörde oder einem Beamten oder einem Notar ganz oder theilweise wahrzunehmen sind. Wird die Aenderung einer Entscheidung der Behörde, des Beamten oder des Notars verlangt, so ist die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts nachzusuchen; auf das Verfahren finden die Vorschriften der §§. 96 bis 104 des bezeichneten Gesetzes entsprechende Anwendung. Die Beschwerde findet gegen die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts statt“.

In § 1 seines Ausführungsgesetzes zum ZVG machte Elsaß-Lothringen hiervon Gebrauch und wies die Amtshandlungen, soweit zulässig, den Notaren zu.98 6. Nach der Rückkehr der drei Departements nach Frankreich trat das französische Verfahren nicht wieder in Kraft. Titel V der Loi Civile 192499 enthält weitestgehend eine Übersetzung des Gesetzes für Elsaß-Lothringen vom 30. April 1880. „Bien qu’elle eût donné de bons résultats, elle fut naturellement abrogée quand le code civil allemand entra en vigueur, puisqu’elle perdait ainsi sa raison d’etre; elle la recouvre aujourd’hui, la procédure locale devant de nouveau dans les départements recouvrés être adaptée au code civil français. Il n’y aura donc en principe qu’à appliquer cette loi, comme elle l’était déjà dans la période de 1880 à 1900“,

merken hierzu Struss/Fehner in ihrem Kommentar an.100 Allein die Regelungen zur Zwangsverwaltung in Art. 171 ff. LCiv wurden dem ZVG entnommen und paraphrasieren die §§ 146 ff. ZVG. Unterschiede in der Anwendung ergeben sich allerdings daraus, dass 1880 die publicité foncière diejenige des allgemeinen französischen Rechts war, während 1924 die publicité foncière die in diesem Bereich ebenfalls fortgeltenden des lokalen Rechts, also der Gesetzgebung zum livre foncier, war.101

97 So Dernburg, Preußisches Hypothekenrecht, S. 339 f., über das beispielgebende preußische Recht. 98 Gesetz vom 13. November 1899, betreffend die Ausführung des Reichsgesetzes über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, SIgELNr. 4069. 99 Loi du 1er juin 1924 mettant en vigueur la législation civile française dans les départements du Bas-Rhin, du Haut-Rhin et de la Moselle, JORF du 3 juin 1924 = BOAL 1924, S. 587 ff. bzw. 661 ff. (deutsche Fassung). 100 Struss/Fehner, Anm. zu Art. 141, S. 271. 101 Dazu im Abschnitt B. I.

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Eine Novelle des gesamtfranzösischen Verfahrens der Immobiliarvollstreckung im Jahre 1938102 änderte die Einschätzung einer Vorzugswürdigkeit des lokalen Rechts nicht. 1959103 stellte ein elsässischer Notar am Ende eines kurzen Abrisses zum lokalen Immobiliarvollstreckungsrecht fest: „Après ce bref aperçu, forcément incomplet, il nous semble véritablement inutile d’insister plus longuement sur les avantages de la procédure locale par rapport à la procédure française qui nécessite l’intervention d’un Tribunal à trois juges, siégeant à diverses reprises, de plusieurs avoués et l’accomplissement d’innombrables formalités entraînant des lenteurs et des frais considérables.“

7. Eine umfassende Reform des gesamtfranzösischen Verfahrensrechts ließ auf sich warten, weil in der seit den 1970er Jahren laufenden Reform des CdPC zunächst das Erkenntnisverfahren und die Mobiliarvollstreckung104 bearbeitet wurden, bevor die Immobilarvollstreckung als letzter Baustein der Reform eine deutliche Vereinfachung des nunmehr beim juge de l’exécution konzentrierten Verfahrens brachte. Doch auch diese Reform von 2006105 hat die Regelungen des lokalen Rechts nicht verändert oder gar außer Kraft gesetzt. Titel V der Loi Civile gilt vielmehr weiterhin (Art. L. 341-1 Code des procédures civiles d’exécution). Das bedeutet, dass die Immobilienpfändung weiterhin durch die Bestimmungen der Artikel 141 ff. des Gesetzes vom 1. Juni 1924 in Verbindung geregelt wird. Hintergrund ist sicherlich auch das Fortbestehen des damit in engem Zusammenhang stehenden lokalen Grundbuchrechts.106 Das Verfahren zur Zwangsvollstreckung in Immobilien stellt damit neben dem Verfahren zur gerichtlichen Teilung107 eines der beiden spezifischen Verfahren des lokalen Rechts dar, die keine Entsprechung im allgemeinen französischen Recht haben.108

IV. Teilungsverfahren 1. Das französische Teilungsverfahren, Art. 966 ff. CdPC, wurde im 19. Jahrhundert als ähnlich kompliziertes, zum Teil ruinöses und deshalb reformbedürftiges Verfahren wie das der Immobiliarvollstreckung109 beschrieben. „Die Rheinische Civilprozeßordnung enthält für das Verfahren in streitigen Theilungssachen eine Anzahl von Bestimmungen, welche theils überhaupt unverhältnismäßige Kosten und 102

Décret-loi 17 juin 1938, JORF du 29 juin 1938. Etudes de droit local 1959, S. 71. 104 Dazu Abschnitt D. II. 105 Décret No 2006-936 du 27 juillet 2006 relatif aux procédures de saisie immobilière et de distribution du prix d’un immeuble, JORF du 29 juillet 2006. 106 Dazu Abschnitt B. I. 107 Dazu Abschnitt D. IV. 108 Mischler, Guide, S. 197. 109 Dazu unter Abschnitt D. III. 103

IV. Teilungsverfahren

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Weiterungen herbeiführen, theils in sehr vielen Fällen nutzlos sind und bei der Anwendung auf Theilungsmassen von geringer Bedeutung zum drückenden Uebelstande werden“. Zudem war eine Teilung bei Beteiligung minderjähriger oder unter Vormundschaft stehender Personen stets „in dem gerichtlichen Wege der Prozedur für streitige Theilungssachen“ herbeizuführen, auch wenn sich alle Beteiligten einig waren. „Das Gesetz hat sich in dieser Materie ebenso, wie bei dem Subhastationsverfahren vor Allem das große und mittlere Grundeigenthum vergegenwärtigt und von diesem Gesichtspunkte aus ein System von Förmlichkeiten, Kautelen und Rechtsmitteln aufgestellt, dessen Kostspieligkeit überall fühlbar, bei dem kleinen Grundbesitze aber in hohem Grade drückend geworden ist.“ Kleine Teilungsmassen würden von Kosten und Gebühren völlig aufgezehrt.110 2. In den Gebieten das Rheinischen Rechts kam es deshalb zu Reformen, vor allem in den preußischen Rheinlanden (1855);111 das folgende Zitat stammt aus einer Erläuterung zum preußischen Reformgesetz: „Es kam nun [nach Inkrafttreten der Subhastationsordnung 1822112] noch darauf an, 1) die Formen des gerichtlichen Theilungsverfahren zu vereinfachen, 2) eine außergerichtliche Theilung im Falle der Mitbetheiligung von bevormundeten und ihnen gleichstehenden Personen und Vermögensmassen für zulässig zu erklären und sie nur an Formen zu knüpfen, welche zum Zweck der nöthigen Fürsorge des Staats für solche Mithbeteiligte unerläßlich sind; 3) die Bestimmungen über das Verfahren bei gerichtlichen Versteigerungen von Immobilien, soweit dieselben nicht nach der Subhastationsordnung vorzunehmen sind, einer Revision zu unterwerfen, und die in Geltung bleibenden Vorschriften mit den für nothwendig erachteten Abänderungen in Einklang zu bringen.“113

Erarbeitet wurde das Gesetz von einer aus rheinischen Juristen zusammengesetzten Kommission unter Vorsitz des Appellationsgerichtsrates August Reichensperger.114 Die Kommission ersetzte das aufwendige Procedere der Art. 969 – 974 CdPC durch Neuregelungen (Art. 1 – 7 des Gesetzes) und vereinfachte zudem auch die in Art. 975 – 978, 982 CdPC geregelten Vorgänge, vgl. Art. 11, ohne jedoch dabei das bisherige Verfahren seinem Charakter nach grundlegend zu verändern. Die einverständliche Teilung unter Beteiligung Schutzbedürftiger regelten Art. 12 – 30, den gerichtlichen Verkauf von Immobilien Art. 31 – 86 in Verbindung mit der Subhastationsordnung von 1822. 1887 trat ein preußisches Gesetz, betreffend das Theilungsverfahren und den gerichtlichen Verkauf von Immobilien im Geltungsbereich des Rheinischen

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Alles bei Frings, Preußisch-Rheinische Gesetzgebung, S. 1 f. Gesetz, das Verfahren bei Theilungen und bei gerichtlichen Verkäufen von Immobilien im Bezirk des Appellations-Gerichtshofes zu Köln betreffend, vom 18. April 1855, GS 1855, S. 521. 112 Subhastationsordnung für die Rheinprovinz vom 1. August 1822, GS 1822, S. 195. 113 Frings, Preußisch-Rheinische Gesetzgebung, S. 2. 114 Frings, Preußisch-Rheinische Gesetzgebung, S. 3. 111

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Rechts115 in Kraft. Hierzu wurde angemerkt, das 1855 geregelte Teilungsverfahren sei nach Inkrafttreten der deutschen Zivilprozessordnung „eine der streitigsten Materien“116 geworden. Das Gesetz von 1887 verwandelte das bislang geltende, aus streitigen und nicht-streitigen Teilen gemischte Verfahren in ein Verfahren allein der freiwilligen Gerichtsbarkeit und konzentrierte alle Verfahrenshandlungen beim Amtsrichter, motiviert „vor Allem durch das Bestreben nach Herbeiführung möglichster Rechtseinheit zwischen den Gebieten des Rheinischen Rechts und denjenigen der übrigen Monarchie“.117 3. Bereits 1873, also noch in der Phase der Bundesratsgesetzgebung, trat ein Gesetz zur Regelung des Teilungsverfahrens bei Beteiligung Minderjähriger118 in Elsaß-Lothringen in Kraft. Denn eine außergerichtliche Teilung war nach Art. 819 CdPC nur zulässig, wenn ausschließlich nicht schutzbedürftige Personen beteiligt waren, ansonsten musste zwingend ein gerichtliches Teilungsverfahren durchgeführt werden. Die Motive des Entwurfs nehmen Bezug auf die referierte Kritik am Teilungsverfahren französischen Rechts: „Dieses Verfahren ist aber, da die Theilung durch kontradiktorisches Erkenntniß verordnet, demnächst vor dem Notar durch Feststellung der Masse, gegenseitiger Berechnung, Bildung der Theillose u. s. w. vollzogen und dann noch durch Urtheil bestätigt werden muß, mit so erheblichen Kosten verbunden, daß dasselbe, wie die Erfahrung lehrt, kleinere Vermögensmassen regelmäßig vollständig oder doch zum größten Theil aufzehrt“.119

Der Entwurf übernahm Regelungen aus dem preußischen Gesetz von 1855, freilich ohne dessen ersten Titel, denn hier vermutete man aufgrund der französischen Reform des Zwangsvollstreckungsverfahrens aus dem Jahre 1841120 zu diesem Zeitpunkt noch „genügende Verbesserungen“.121 Der Entwurf war zudem deutlich schlanker, indem er in 16 Paragraphen „Außergerichtliche Theilungen“ (§§ 1 – 3), „Verkauf der Mündelgüter“ (§§ 4 – 11), „Freiwillige gerichtliche Immobiliarverkäufe“ (§§ 12 – 13) und einige „Gemeinsame Bestimmungen“ (§§ 14 – 16) vorsah. Die Teilung konnte durch Vereinbarung der Beteiligten vorgenommen werden, bei Anteilswerten (des Anteils des Schutzbe115 Gesetz, betreffend das Theilungsverfahren und den gerichtlichen Verkauf von Immobilien im Geltungsbereich des Rheinischen Rechts vom 22. Mai 1887, GS 1887, S. 136. 116 Cretschmar, Rheinisches Civilrecht, S. 595. 117 Cretschmar, Rheinisches Civilrecht, S. 595. 118 Gesetz vom 1. Dezember 1873, betreffend außergerichtliche Theilungen und gerichtliche Verkäufe von Liegenschaften, SIgEL Nr. 275. 119 Drucksachen zu den Verhandlungen des Bundesraths des Deutschen Reichs (ElsaßLothringen), Session 1873, Bundesrat EL 1873, Nr. 12: Entwurf eines Gesetzes, betreffend außergerichtliche Theilungen und gerichtliche Verkäufe von Liegenschaften, S. 8. 120 Dazu D. III. 121 Drucksachen zu den Verhandlungen des Bundesraths des Deutschen Reichs (ElsaßLothringen), Session 1873, Bundesrat EL 1873, Nr. 12: Entwurf eines Gesetzes, betreffend außergerichtliche Theilungen und gerichtliche Verkäufe von Liegenschaften, S. 9.

IV. Teilungsverfahren

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dürftigen122) bis 500 Francs bedurfte es einer Genehmigung des Familienrates und einer Bestätigung der privatschriftlichen Vereinbarung durch den Familienrichter (§ 1 Abs. 2), bei höheren Werten war eine notarielle Urkunde zu errichten, die das Landgericht bestätigen musste (§ 1 Abs. 1). Mündelgut konnte auf einstimmigen Beschluss des Familienrats freihändig veräußert (§ 4 Abs. 3) werden, „wenn die Veräußerung nothwendig ist oder den Bevormundeten zu offenbarem Nutzen gereicht“ (§ 4 Abs. 1), in anderen Fällen war eine öffentliche Versteigerung erforderlich (§ 4 Abs. 4), deren Ablauf in den folgenden Normen geregelt war. „Grundstücke, welche zu einem vakanten Nachlaß, zu einer unter Kuratel gestellten Vermögens- oder Fallimentsmasse, zum Dotalgut oder zu einer unter der Rechtswohlthat des Inventars angetretenen Erbschaft gehören, können […] auf Verordnung des zuständigen Landgerichts in öffentlicher Versteigerung freiwillig verkauft werden“ (§ 14 mit §§ 6 – 9). 4. Am 14. Juni 1888 trat in Elsaß-Lothringen ein Gesetz, betreffend das Theilungsverfahren und den gerichtlichen Verkauf von Liegenschaften123 in Kraft, dessen Entwurf in die Abschnitte „Theilungsverfahren“ (mit Regelungen zur gerichtlichen Teilung, §§ 1 – 24, und zur vertragsmäßigen Teilung im Falle der Beteiligung von Handlungsunfähigen, § 25), „Gerichtlicher Verkauf von Liegenschaften“ (mit Regelungen zum Verkauf im gerichtlichen Teilungsverfahren, §§ 26 – 40, und sonstigen freiwilligen Verkäufen, §§ 41 – 47) „Verfahren und Kosten“ (§§ 48 – 55) und „Schlußbestimmungen“ (§§ 56 – 57) zerfiel. Aufgehoben wurden ausdrücklich Art. 822 – 828, 832, 834, 835, 837 CC und Art. 945 – 952, 966 – 983, 985 CdPC. Das Gesetz trat an die Stelle des Gesetzes von 1873, dessen Regelungsgehalt in § 25 übernommen wurde, und lehnte sich stark an das preußische Gesetz von 1887 an, indem es das Verfahren der Teilung auch in Elsaß-Lothringen von einem Verfahren der (auch) streitigen in ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit umwandelte.124 Die Motive referierten erneut die Problemstellen des französischen Rechts. Neben dem Gesetz von 1873 sei das Verfahren nach dem Code Civil zulässig geblieben, weshalb keine „durchgreifende Besserung“125 erfolgt sei. Zudem bilde das französische Teilungsverfahren eine Mischung aus streitiger und nichtstreitiger Gerichtsbarkeit, über deren genaue Handhabung nach Inkrafttreten der ZPO eine große

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Drucksachen zu den Verhandlungen des Bundesraths des Deutschen Reichs (ElsaßLothringen), Session 1873, Bundesrat EL 1873, Nr. 12: Entwurf eines Gesetzes, betreffend außergerichtliche Theilungen und gerichtliche Verkäufe von Liegenschaften, S. 9. 123 Gesetz, betreffend das Theilungsverfahren und den gerichtlichen Verkauf von Liegenschaften vom 14. Juni 1888, SIgEL Nr. 2360. 124 Verhandlungen des Landesausschusses von Elsaß-Lothringen (Bd. 30), XV. Session 1888, 1. Bd.: Vorlagen, Nr. 6: Entwurf eines Gesetzes betreffend das Theilungsverfahren und den gerichtlichen Verkauf von Liegenschaften, S. 14. 125 Verhandlungen des Landesausschusses von Elsaß-Lothringen (Bd. 30), XV. Session 1888, 1. Bd.: Vorlagen, Nr. 6: Entwurf eines Gesetzes betreffend das Theilungsverfahren und den gerichtlichen Verkauf von Liegenschaften, S. 15.

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D. Gerichtsverfassungsrechtliche u. zivilprozessuale Regelungen des droit local

Kontroverse entstanden sei, die dann entfaltet wird.126 Kritik wurde im Landesausschuss in erster Lesung daran geübt, dass – anders als nach dem Gesetz von 1873 und auch zuvor nach französischem Recht – keine Prüfung und Bestätigung der Teilung durch das Landgericht mehr erforderlich sein sollte, wenn Minderjährige beteiligt sind. „Ich glaube, meine Herren, daß der Gesetzgeber sich zu viel durch das preußische Gesetz vom 22. Mai 1887 hat beeinflussen lassen. Dort ist die Sache geregelt ebenso wie in unserem Gesetzentwurf. Nun, meine Herren, wenn eine Einrichtung seit mehreren Jahrzehnten bei uns besteht, so möchte ich für die Beibehaltung derselben eher als für diese neue Bestimmung stimmen.“127

Nach langer, kontroverser Diskussion in der zweiten Lesung128 erhielt dieser Änderungsantrag aber keine Mehrheit. 5. Zum 1. Januar 1900 trat im gesamten deutschen Reich das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in Kraft, das durch ein Ausführungsgesetz für Elsaß-Lothringen ergänzt wurde. Das Gesetz von 1888 trat außer Kraft. In §§ 86 – 98 FGG war die Nachlassauseinandersetzung geregelt, § 99 Abs. 1 FGG ordnete an, dass diese Regelungen auch für die Auseinandersetzung von Gütergemeinschaften gelten sollten. Der Einfluss des preußischen Gesetzes von 1887 ist in diesem fünften Abschnitt des FGG „Nachlaß- und Theilungssachen“ unübersehbar. In den Schlussvorschriften des Gesetzes (ein EGFGG gab es nicht) war geregelt: „Sind für die im § 1 bezeichneten Angelegenheiten nach Landesgesetz andere als gerichtliche Behörden zuständig, so gelten die in dem ersten Abschnitte für die Gerichte gegebenen Vorschriften auch für die anderen Behörden.“ (§ 194 Abs. 1 FGG). Das elsaß-lothringische Ausführungsgesetz vom 6. November 1899129 hielt hiervon Gebrauch machend die bisherige Zuständigkeitsregelung aufrecht. Nach Art. 30 waren anstelle der Gerichte die Notare für die gerichtliche Teilung von Erbschaften und Gütergemeinschaften zuständig. Art. 34 behielt den Gerichten nur in einigen Punkten die Zuständigkeit vor,130 insbesondere für die Bestellung und Vereidigung von Sachverständigen, wenn sich die Parteien nicht auf deren Wahl einigen konnten, und für die Bestätigung der Teilungsurkunde, wenn ein Beteiligter nicht erschienen war. Es gab keine besonderen Bestimmungen mehr für den Fall, dass ein Geschäftsunfähiger beteiligt war. Die Teilung konnte also einvernehmlich 126 Vgl. dazu auch die Leitentscheidung des Reichsgerichts RGZ 12, S. 329 ff., das annahm, es bestehe kein einheitliches Verfahren mehr. 127 Verhandlungen des Landesausschusses von Elsaß-Lothringen (Bd. 30), XV. Session 1888, 2. Bd.; Sitzungsberichte, 4. Sitzung am 9. Februar 1888, S. 39 (Gunzert). 128 Verhandlungen des Landesausschusses von Elsaß-Lothringen (Bd. 30), XV. Session 1888, 2. Bd.; Sitzungsberichte, 4. Sitzung am 9. Februar 1888, S. 455 – 465. 129 Gesetz, betreffend die Ausführung des Reichsgesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, SIgEL Nr. 4061. 130 Hierzu Molitor, Das elsaß-lothringische Gesetz, S. 52 f.

IV. Teilungsverfahren

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durchgeführt werden und war nur vom zuständigen Vormundschaftsgericht zu genehmigen, § 1822 Nr. 2 BGB. 6. Der französische Gesetzgeber hat 1924 das Gesetz vom 14. Juni 1888 zum größten Teil als Art. 220 ff. LCiv über das Teilungsverfahren und den gerichtlichen Verkauf von Immobilien wieder in Kraft gesetzt, nachdem man sich – aus Opportunitätsgründen – gegen das Modell entschieden hatte, einfach das alte Gesetz zu verwenden.131 An eine Rückkehr zum französischen Recht sei angesichts der beklagten Mängel und heftiger Kritik132 nicht zu denken gewesen.133 Vielmehr bestand die Hoffnung, dass die Beibehaltung endlich den Weg für eine gesamtfranzösische Reform ebnen werde.134 „Les dispositions du titre VI de la loi reproduisent avec très peu de modifications celles de l’ancienne loi d’Alsace-Lorraine du 14 juin 1888 sur la procédure du partage et la vente judiciaire d’immeubles; cette dernière loi a été publiée avec traduction française et annotations en 1888 à Strasbourg par l’éditeur Karl J. Truebner, et en principe elle devra être appliquée de nouveau comme elle l’était jadis. Le titre VI de la loi n’appelle donc présentement que très peu de commentaires“,

merken Struss/Fehner135 in ihrem Kommentar an. Zu den wenigen Bestimmungen des Gesetzes vom 14. Juni 1888, die vom französischen Gesetzgeber von 1924 nicht übernommen wurden, gehörte Art. 26, der eine gütliche, notarielle oder privatschriftliche Teilung auch in den Fällen erlaubte, in denen entmündigte oder abwesende Minderjährige beteiligt waren; hier griff man auf das Gesetz vom 1. Dezember 1873 zurück. Zu beachten ist freilich, dass die Frage, wann überhaupt ein solches Verfahren durchzuführen ist, nach französischem Recht, Art. 815 ff. CC, zu beantworten ist, Art. 89 LCiv. Der Titel VI der Loi civile gilt bis heute weitgehend unverändert. Struss/Fehner136 waren 1935 sehr weitsichtig (wenngleich sie nicht mit einer so langen Geltungsdauer gerechnet haben dürften), als sie mit Blick auf die Nichteinführung des französischen Zivilverfahrensrechts in den drei östlichen Departements die Vermutung äußerten: „La durée d’application des règles des titres V et VI semble donc devoir être plus longue qu’on ne le pensait d’abord et elles méritent d’être étudiées d’avance, avec le plus grand soin, par les praticiens qui auront à les appliquer.“

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Lotz, Partage, Nr. 6 f. Vgl. Mercier, De la réforme. 133 Lotz, Partage, Nr. 1. 134 Niboyet/Blas, Successions, Nr. 24. 135 Struss/Fehner, Anm. zu Art. 220, S. 315. 136 Struss/Fehner, Anm. zu Art. 263, S. 343.

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