Drei Jahre in New York. Eine Skizze für das Volk nach der Natur gezeichnet


237 32 7MB

German Pages 134 Year 1862

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Front Cover
1. ...
was feine Zukunft erfeßen kann. Zwei treue Freunde bes ...
Es war Nachmittag um 5 Uhr, als wir nach ...
ftatten, und nachdem man fidy gereinigt, erwärmt und ...
- ...
fluß des Hudſon's ein. Ein kleines Lootſenboot brachte ...
Gs wollte mich faſt Berbriefen, bie Zielſcheibe ...
tine Riefenſtadt zu nennen. Nach dem über den Hafen ...
Publikums hat, und dieſes murrt, wenn er verurtheilt ...
ftets unterwegs und noch nie angekommen. Nur zweimal ...
ilyn geugen. Zum öfteren fauft man den Gimpel auch ...
frei baftehen.“ Das wird ein Haus. Mau ...
Wie ganz ...
tid ...
bern zog ichleunigft in ein entferntes Stadtviertel. Dort ...
Recommend Papers

Drei Jahre in New York. Eine Skizze für das Volk nach der Natur gezeichnet

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

0000

Drei

Jahre

N

e

W

Y

-

o

r

k.

Eine Skizze, 0-0-0-0-0-0000-0000-00-00

für das Volk nach der Natur gezeichnet

von

Georg Lechla.

Bwickau . Eigenthum des Vereins zur Verbreitung guter und wohlfeiler Bolfeſchriften .

1862.

000000

-0000-000000000000000-00-0000 0000

2000

in

MU

SE

T

Einleitung.

„ Wenn Einer eine Reiſe thut, so fann er was erzählen, Drum nahm ich meinen Stod und Hut und that das Reiſen wählen ." S. Do fag' ich, hoffend, daß meine Leſer im Chor einfallen : . Da hat er gar nicht übel d'ran gethan , erzähl' er nur weiter , Herr Urian !" Und erzählen wil ich , was ich ganz gründlich ſchweigen . aber von dem , was weiß ich nidyt weiß . Der Leſer braucht alſo feine Furcht zu haben , daß ich dem Grundfaße anhänge: „ Klingt die Mähr' auch wunderbar, Was gedruckt iſt , das iſt wahr“ ſondern kann Alles , was ich ihm hier vorerzählen werde, auf Treu und Glauben hinnehmen, als ob er weiland felbft dabei geweſen wäre. Gar zu weit bin ich freilich nicht gekommen , denn wer dachte heut zu Tage noch , daß Amerita,,,weit" wäre ? Vor 30 , ja vor 20 Jahren war dies allerdings eine Weltreiſe , es braucht ſich aber heute Einer in die Bruſt zu werfen , den Vatermörder herauszuzichen , und den Knebelbart ſtreichend zu ſagen : „ Sie müſſen wiſſen , mein Herr , daß ich in Amerika war, " da wird's gleich von allen Seiten heißen : So, nun ich habe auch einen Bruder oder : des Schullehrers , Pfarrers oder Better drüben , oder des Senators X. Sohn aus meinem Drte ſind vor Kurzem auch hinüber gegangen , – oder gar : ich bin vor ein paar Monaten aud wieder herüber gekommen ! Das gemüthliche ,drüben ," in über " und , rüber"

2 beweiſen recht deutlich w , ie nah uns der Ländercoloß jen ſeits des atlantiſchen Oceans, der beiläufig geſagt,' feine guten vier Tauſend engl. Meilen (wovon 5 auf die deutſche gehen ) von uns entfernt liegt, gerüđt ift. Klingt es nicht gerade als ob man einen Spaziergang in Nachbars Haus machen wollte , oder von einer Theegeſellſchaft nach Haus fäme? Freilich nimmt Mancher der ſchon einmal über die Pfüße“ gefahren iſt , die Sache abſichtlich en bagatelle und nimmt eine Miene an , als ob er das Weltmeer zum Mundausſpülen benußen und den übers feeiſchen Continent zum Frühſtüc verſpeiſen wolle, obſchon ihm vielleicht, wenn er ſo Wochen lang auf jenem ends loſen „ Spülwaſſer “ herum trieb, die Zeit recht lang ges worden und ihm der Appetit zum Eſſen und Trinken ver gangen iſt. Wie oft mag er, wenn er fich im Gewühl fremder, theilnahmloſer Menſchen , oder weit hinweg von alter Civiliſation im ewigen Einerlei der Prairie, des Ur: waldes freund- und obdachlos bewegte , fich ſo recht im innerſten Herzensgrund einſam und verlaſſen gefühlt und mit einem ſtillen . Seufzer an Eltern und Geſchwiſter, Vetter und Muhme, und das gemüthliche Kleinſtädterleben daheim zurückgedacht haben. – Es hat jedes Ding feine zwei Seiten , die eine, die uns gefällt, die andere, die uns abftößt, und dem Einen erſcheint gerade das wünſchens werth , was der Andere gern vermeidet. Der Eine liebt es , ſich zum Spielball des Geſchick's zu machen , von Scholle zu Scholle zu hüpfen und ſich im toſenden Strudel des Zeitenſtromes zu tummeln , immer ſelbſt zu handeln, zu ſehen , zu beobachten ; - der Andere läßt ſich im ftchern Nachen von ſchaufelnden Wellen ſanft dem Aus fluſſe ſeines Lebensſtromes zutreiben , für ihn iſt es Pflicht Den Bug ſeines Schiffleins immer feſt auf den erſtrebten Punkt zu halten, ihm dient das Schickſal den ungeſtümen Schwimmers zur Lehre , zur Unterhaltung. - Für ſolche nun zeichne ich meine anſpruchsloſen Mittheilungen auf. Sie ftüßen ſich auf eigne Erlebniſſe, eigne Beobachtungen , wo ? ' Das beſagt der Titel. Dies der Anfang zum Buche, nun zum Anfang der Reiſe !

1. Wie man zu Schiffe geht, und wie's Einem auf dem Schiffe ergeht. „ Winter war's , es wehten rauhe Lüfte über die beſchneite Flur, Und von Flora'& Kindern voller Düfte weit und breit nicht eine Spur. “ 3a, Winter war’8, und noch dazu ein recht ftrenger, der Flüſſe und Teiche gefrieren und die Bäume unter ihrer Schneelaſt brechen machte. Auch die Elbe war damals mit einer ganz anſehnlichen Eisfruſte bedeckt, und die Wahrſcheinlichkeit ſehr gering, daß der vor Curhafen liegende Dampfer feine Reiſe nach New - York, die leßte im Jahre, würde antreten können. Den Meinigen bangte bei dem Gedanken , daß ich in dieſer Kälte, bei dieſen raſenden Stürmen den balfenloſen Weg über’s Waſſer machen follte. Ich war aber guten Muths, in einer gewiſſen heroiſc) - feierlichen Stimmung , beſtellte mir daher, troß der Ungewißheit des Abgangs einen Plaß erſter Cajüte, und fuhr auf mein gutes Glüd und die gütige Vorſehung bauend, nach Hamburg ab. - Weinend ſtanden die Meinen in der Bahnhofhalle. Ich hätte die Erde zehnmal um. kreifen können , ohne daß mir ein Haar gefrümmt worden wäre , wenn anders die verſchiedenen „ Tauſendmal glüd liche Reiſe" ebenſo viel unfehlbare Talismane in Form von Fahrſdeinen geweſen wären , die man bei jeder ein zelnen Tour nad Belieben coupiren laſſen kann. Eine ſorgfame Hand nöthigte mir noch im Wagen ein warmes Tuch auf, deſſen Befeſtigung an meinem Rörper mich cinigermaßen in Verlegenheit feste, da ich mit Pelzroc , Pelzſtiefeln und Pelzmüße meinen paradieſiſchen Urmenſchen bereits genugſam verwahrt hatte , und eher einem Eskimo, als einem ehrlichen Sachſen ähnlich ſah . Mit den ſchwindenden Lichtern der Stadt, in welcher ich Jahre hindurch gelebt , mich wohlbefunden und doch hins ausgeſehnt hatte , fchwand die trübe Stimmung, welche die Trennung von Adem , was mir lieb und theuer war, natürlich hervorbringen mußte. Das Bewußtſein , unters wegs, auf der Reiſe zu ſein , genügte meine Gedanken der Gegenwart zuzuwenden , mochte auch die Zukunft bringen was ſie wollte, die Vergangenheit mir nehmen , 1*

was feine Zukunft erfeßen kann . Zwei treue Freunde bes gleiteten mich und gaben ihre Freundſchaft durch ercentriſche Angriffe auf eine mir gehörige Kiſte Habannas zu ers kennen , ſo daß wir bald nur durch den Schleier duftender Wolfen unſre Umgebung zu beobachten vermuthten . Was ſieht, was hört man nicht Ades auf einer Eiſenbahnreiſe. Da waren Böhmen , fenntlich an ihren weißen Flausröden, inoch mehr an bein böhmiſchen Nationaltýpub, arme Leute, welche gleich mir einer neuen unbekannten Heimath ents gegeneilten, vielleicht gar mit demſelben Schiff reiſen wollten , Offiziere mit blinkender Uniform und rafſelndem Schlepp fäbel, die 'wohl zu einem Fefte nach der inahen Reſidenz Daneben ftiegen ein Dubend hannoverſche fahren. Ziegelſtreicher ein , die ihr ſchwerverdientes ben Sommer über erworbenes Geld im Schooße ihrer Familien zu vers gehren gedachten , - Händler und Bauern , welche zu Bürgersleute, einem benachbarten Jahrmarfte fuhren , bei Hinrichtung einer Stadt größeren nächſten der in die gewohnt hatten , und deren Mund , es waren Frauens szimmer dabei , non haarſträubenden Berichten über den Berlauf des Srauerſpiele überflok! Sie Alle famen und gingen , ein ewig wechſelndes Bild, bis das Dampfroß feuchend und ſtöhnend das Ziel ſeiner beflügelten Fahrt (erreicht hatte und auch wir nach langem Rütteln und Stoßen unſerer halbtägigen Haft entlaſſen wurden. Noch trennte uns die Gibe von Hamburg , doch war die Schifffahrt offen gehalten , durch jene kleinen , aber feft gebauten Dampfer, welche fühn der mächtigſten Scholle bie Stirn bieten , und fo fonnten wir ungehindert in den igrößten Hafen unſers dcutſchen Vaterlandes einlaufen , welchem nichts fehlt als – eine Flotte. Was ſoll ich weiter ſagen über jene Stadt , deren Wichtigkeit für den deutſchen Handel jedem Deutſchen be fannt iſt, deren Schönheit und Leben gar viele aus eigner Anſchauung , noch mehrere aus der Beſchreibung fennen, sjene Stadt, welche mit allen Ländern der Welt in un mittelbarer Verbindung ſteht, und über welche der Ameri faner der vom europäiſchen Continente heimfchrt, fagt : that is the town , das iſt die Stadt ! Was foll ich ſagen , der id es nur im ſchnecigen Mantel des Winters fennen

5 lernte ? Der Hafen , der mich am meiften interefftrte, war bis zu einer engen Fahrftraße von felfenartigen Eisſtigen blodirt, die hohen Maſten ragten großen Eiszapfen áhne lich aus der verworrenen Maſſe ſchwarzer , weit herkoms mender Schiffsförper empor , und trop bed ſtaunenswürs digen Anblides war ich nicht befriedigt, nicht befriedigt, weshalb ? einer Kleinig feit wegen, ich hatte mir die fo oft beſchriebenen Dreimaſter , welche in allen Gewäfſern der Erde freuzen , weit größer gedacht ! So kann man von einer Kleinigkeit verſtimmt werden . Und Vielen geht es gerade beim Anblid größerer Sdyiffe ähnlich . Erft fpäter, nach dem ich die kleine Yacht von dem Schooner, die Brigg von der Barfe und dem Dreimaſter unterſcheiden gelernt, den Tonnengehalt etwas zu tariren verſtand, auf Dampfern aller Nationen geweſen war und das Rieſenſchiff , den Great Eaftern " geſehen hatte, wuchſen dieſe Nußſchalen Bald genug ſollte in meinen Augen an Ausdehnung. ich den Unterſchied zwiſchen einem Flufdampfer größerer Art und einem Seedampfer von über 2000 Tonnen kennen lernen . Der Tag der Einſchiffung nahte. Mein Paſſagefchein war gelöſt, mein Gepäc noch gerade zu guter Stunde an Bord eines leichters * ) gebracht, der Schein darüber befand fich mit dein erſteren und meinen baaren Mitteln wohlverwahrt in meiner Brieftaſche. Wir ftanden am Strande, des Zeichens harrend , welches zur Einſchiffung auf dem kleinen Dampfer , der uns an Bord des großen bei Stade liegenden Seedampfers zu bringen hatte, gegeben werden ſollte und bekämpften unſre Ges leßten Da im fühle durch eine Flaſche Portwein. Augenblic gab mir das Schicfal einen Wint , einen Mahnruf zur Vorſicht, den ich ſeitdem nie vergeſſen habe. Briefe, welche von meiner Principalität eben noch für New - Yorf angekommen waren, wurden mir übergeben , aber, o weh, ich will fte in meiner Brieftaſche bergen nirgends iſt fte zu finden ! Ift ſte verloren , geſtohlen, liegen geblieben ? Schweißtropfen traten mir auf die Stirn, trotz einer Kälte von 20 Grad Reaumur, dazu der erſte * ) leichter, Lichter , heißen die Rähne, welche zur Befrachtung und Entfrachtung der Schiffe benußt werden .

-

6

Ruf der Glođe, nur noch 10 Minuten und das Loos ift gefallen ! Ich hatte den Gegenſtand meines Suchens bes ftimmt noch im Hotel gehabt, ſte konnte , fie mußte bort liegen geblieben ſein ; war ſie noch vorhanden ? Eilends warf fich einer meiner Freunde in den Wagen und jagte nach dem Hotel zurüd. Die nächſten Minuten wuchſen für mich zu Stunden . Meine eigne Unruhe, das geſchäftige Hin- und Herlaufen der Matroſen , die mit lauter Stimme gegebenen Befehle bes Kapitäns, endlich auch die unerbittlich vorſchreitende Zeit, Adle8 mahnte zur Eile. Schon legt ber Mann die Hand an den Glockenſtrang um das legte Zeichen zu . geben – noch eine Minute und das Fahrzeug ſtößt vom Strande - da biegt endlich , endlich der heiß erwartete Wagen um die Ede, mein Freund ſpringt heraus , ich fühle die ſchmerzlich vermißte Brieftaſche in meinen Händen, eine leßte Umarmung , ein leßter Händedruck , und wir waren für's Leben geſchieden. Ich ſah ihn nicht wieder, als ich zurück fam , ruhte er auf dem Friedhof. Langſam und beſchwerlich war jene Fahrt. Mit zwei Leichterkähnen im Schlepptau arbeitete ſich der Dampfer durch das Chaos von Eisſchollen , welches die eben zum Hochwaſſer gewachſene Fluth in der engen Paſſage aufgeſtaut hatte. Dröhnend trachten die Eisſtücke, von den mächtigen Rads , die ſchwerfälligen Schleppfähne folgren , ſchaufeln zermalmt mit ihren diđen Bäuchen bald im Eiſe feſtfißend, bald eine ſtörriſche Maſſe derſelben vor ſich hertreibend. Die Stimme des Kapitäns ließ fich vom Steuer- bis zum Bug vernehmen , die Matroſen fluchten , vom Ufer aber ſchallte aus tauſend deutſchen Rehlen ein echt deutſches Hurrah und 370 Paſſagiere ſagten ihrem Vaterlande in gleicher Weiſe Valet. Die Einen ſchwenkten ihre Hüte, die Andern ihre Tücher; die Einen lachten und jubelten , bie Andern zerdrückten ſtill eine Thräne , der eiſige Nord aber trieb fie Alle von Deck. Er verjagte ſchnell den enthuſiaſtiſchen Abſchiedsruf. Um jedes Herz ſchien ſich eine Eisfruſte zu legen . Wer nicht in dumpfes Hinbrüten verſant , der ſuchte fich wohl bei einem Glas Grog ober einer Cigarre zu zerſtreuen, obſchon der erſtere Genuß bei bem großen Sedränge ſchwer genug zu erlangen war.

Es war Nachmittag um 5 Uhr, als wir nach einer ziemlich ſecheſtündigen Fahrt aus dem Halbdunkel vor uns eine ſchwarze Maſſe auftauchen ſaben , die ſich , noch che wir ſie erreichten , in Bewegung feßte und einige Stunden vor uns Herfuhr , einem Phantom ähnlich, das vor uns hergaufelt und fich doch nicht greifen läßt. Es 'war unſre zukünftige Wohnung , der Dampfer, welchem wir unſre Gebeine auf einige Wochen anvertrauen wollten . Wir ſehnten uns Alle an Bord zu kommen , denn der Aufenthalt auf dem kleinen Fahrzeug war nichts weniger als angenehm . Abgeſonderte Räume gab es für die vers ſchiedenen Claſſen von Paſſagieren nicht, Ades ſaß und ſtand bunt durd einander, dieſe auf ihrer geringen Habe, welche fie mit Argusaugen hüteten , jene auf Holzſeffeln , unter deren Siß ſich ein luftdicht verſchloſſener Blechkaſten befand und die alſo nöthigenfalls als Rettungswerkzeuge dienen konnten , Einzelne hatten auf der Brüftung, auf Saurollen und dem Räderkaſten Plaß genommen ; und wer fich einigermaßen warm erhalten wollte, mußte im Geſchwindſchritt das furze Deck durchmeſſen. Die Cajüte war fein Aufenthalt für Menſchen ; ftinkender Qualm ftrömte dem Eindringling entgegen und als ich felbft es einmal verſuchte ähnlich dem Orpheus in dieſe Unterwelt herabzuſteigen , erblicte ich die Böhmen, meine alten Bes kannten von der Eiſenbahn , welche mit noch einem Vier telhundert bärtiger Auswandrer den berühmten öſterreichis fchen Ranaſter aus furzen, unbeſchreiblich lebensmüde aus . ſehenden Pfeifen ſchmauchten und ſich den Kukuk darum zu ſcheren ſchienen , ob wir uns in Hamburg , Glückſtadt oder Rew -York befanden . Ziemlid fanellſuchte ich wieder an die Oberwelt zu gelangen , trat aber gleich darauf eine neue Entdedungsreiſe nach der vorbern Cajüte an, von wo mir luſtige Stimmen und etwas wie die Melodie : „ Werft ihn n'aus , den Juden Ibig " entgegenklangen. Da man bie halsbrecheriſchen Schiffétreppen auf Berg mannsart, alſo verkehrt , hinabſteigt, fo fonnte ich die Geſellſchaft nicht gleich bei der Einfahrt muſtern. Schals lendes Gelächter aber grüßte mein vorangehendes „ Rüd wärts “, ich ſah mich erfaßt, umgedreht und in den Kreis hineingezogen , aus dem mir eine joviale Stimme ents

8 8 gegenrief: „ Storm het alter Junge, id fenne Di ; habe Dir bei Schulzen off der Hoppeljaffei jelehnt. Na hier itebſt freilid fenne Blonde, bavor jiebſt uns en Saß von biefe ehrwürdigen Sümmeltürfen ." Und es half nichts , ich Dam mußte ihnen einen Sas Sümmeltürfen jeben . " waren dieſe Berliner Stinder fo dankbar, mich unbeläſtigt anfahren zu laſſen , unten aber wurde die luſtigſte Türfen : ſchlacht geſchlagen und die Krieg &muſic lautete nach dem Vorſpiel einer alten Guitarre: „ So leben wir, ſo leben wir, fo lebert wir ađe Tage. " Es wird wohl Niemand daran zweifeln , daß unter Biefen Umſtänden die baldige Einſchiffung von den meiften der Baffagiere herbeigervünſcht wurde. Troßdem war die finſtere Nacht hereingebrochent, ehe unſer Vorſchwimmer “ Sot tüdſtadt Anfer warf und wir dicht an ihn heran führen . Neugierig lugte die Mannſchaft auf uns herab, wir gaben ihnen ein fräftiges Hurrah und ſie erwiederten és ebenſo kräftig aus ihren rauhen Rehlen . Dazwiſchen aber flüchte der Kapitän und gebot unter einigen „ God dam’s Ruhe. Bald waren die Seile ausgeworfen und befeſtigt, die Leichter würden freigemacht und auf der ans Beren Seite beigelegt , eine ſchmale Brücke, in zwei Bres fern beſtehend , von unſerm Radfaſten auf das Verdeck des Dampfers geſchlagen und ſomit war Alles zur Einſchiffung bereit. - Haft Du , fieber Leſer , ſchon einmal ein Bild von einem Schmugglerzug geſehen , wie ſie , Einer hinter dem Andern , mit ſchweren Ballen beladen auf dem hohen Gebirgsfamme fich hinſchleichen und ihr geſeßloſes Treibert in dem Mantel der Nacht zu verbergen ſuchen ? So ein Bild bot unſere Einſchiffung. So und nicht anders ſtieg Einer nach dem Andern , Männer , Frauen und Kinder, Sedes nach feinen Kräften bepadt, die ſchmale Treppe zum Radfaſten hinan, ging zögernden Schritte über die ſchwan tenbe Brüde und wurde von vier robuſten Matroſen händen in Empfang genommen , die das Šeine bei Seite ſchafften und ihm ſelbſt das für ihn beſtimmte Quartier anwieſen . Die an den Maften hin und her fchwankenden rothen und grünen Lampen warfen grelle Schlagſchatten über die Scene und verliehen ihr einen wahrhaft unheimlichen Ausbrud . Schnell und glüdlich ging gleichwohl die Einſchiffung von

9 ftatten, unb nachdem man fidy gereinigt, erwärmt und ein ſehr ſchmadhaftes Mahl zu fich genommen hatte, fonnte man ungeſtört die Räume muſtern , in denen ſich die Pala fagiere während der Dauer der Reiſe aufzuhalten hatten . Da wir weder heute noch morgen in See kommen, fo will ich dem Leſer, wenn anders er nicht ſelbſt ſchon auf einem Seedampfer geweſen, eine kleine Beſchreibung von einemt ſofchen geben , die er mir in legterem Falle beſtätigen wird. Natürlich intereſſirt ihn am meiſten die Einrichtung und Verſchiedenheit der Räume, welche die Paſſagiere bewohnen , denn wir lefen ſo oft in den Schiffsanzeigen : 1. Cajüte 150 Thaler, 2. Cajüte 100 Thaler, Zwiſchendeck 60 Thaler , ohne immer zu wiffen , worin denn eigentlich der Unter fchied beftehe. Da man mich in der erſten Cajüte abs gefeßt hat, ſo wil ich gleich mit der Betrachtung diefest Naumes anfangen. – Die Cajüte iſt ein langer Saat im hinterften Theil des Schiffes und zwar nicht im eigent lichen Schiffsrumpf, ſondern in einem Aufbau , welcher fitchi bei manchen Schiffen über die ganze Länge des Fahr zuges, bei manchen bloß bis in den dritten Theil deffelben erftreck und Quarterded, Hinterverdeck genannt wird. Das licht fällt in die Sajüte von oben durch ſogenannte Sfy lights, d . I. Himmelsfenſter. Der Saal ift prächtig aus ftaffirt , die Verffeitung der Wände und des burdy die Cajüte gehenden Maſtbaumes aus polirtem Mahogony. Die Wände find außerdem durch reichen Bilderſchmuck ge ziert, freilich Bilder , zu welchen die Wand gleich der Rahmen liefert und die auf unſerm Schiffe, merkwürdig genug, fämmtlich Seenen aus der Fächſiſchen Schweiz bar ftellten . Dieſe Bilder bededen große Spiegeftafeln , deren eine auf über 10 Pfo. St. zu ſtehen kommt. Länge der Wände ziehen ſich feſtgemachte Bänfe hin , weich mit Sammet gepolſtert, und am oberen Ende, d. h. am Steuer thront ein mächtiges Sopha, das den einzigen Fehler hat, daß gerade darunter die Schraube ftampft und wühlt. Neber dem Sopha die Uhr , welche täglich nach dem Chros nometer und der Meereshöhe geſtellt wird und maßgebend für Wache und Tiſch iſt. Gegenüber am untern Ende befindet ſich ein riefiger Spiegel und unter dieſem ein fos lider Küchenſchrank, der außerdem noch Schachſpiele, Damen

-8 gegenrief: Stomiin het alter Junge, id fenne Dir , habe Dir bei Schulzen off der Hoppeljaffei jefehn. Na hier itebſt freilic fenne Blonde, davor jiebſt uns en Saß von dieſe ehrwürdigen Kümmeltürfen ." Und es half nichts , ich Dann mußte ihnen einen Saß Kümmeltürfen wieben ." waren dieſe Berliner Kinder fo dankbar, mid unbeläſtigt anfahren zu laſſen , unten aber wurde die luſtigſte Türfens ſchlacht geſchlagen und die Kriegsmuſik lautete nach deiro Vorſpiel einer alten Guitarre : „So leben wir, ſo leben wir, fo leben wir alle Tage." Es wird wohl Niemand daran zweifeln , daß unter biefen Umſtänden die baldige Einſchiffung von den meiſten ber Baffagiere herbeigewünſcht wurde. Droßdem war die finſtere Nacht hereingebrochent, ehe umſer Vorſchwimmer " Bor Glücftadt Anfer warf und wir dicht an ihn heran führen . Neugierig lugte die Mannſchaft auf uns herab, ivir gaben ihnen ein fräftiges Hurrah und ſie erwiederten es ebenſo kräftig aus ihren rauhen Reblen . Dazwiſchen aber fludíte der Kapitän und gebot unter einigen „ God dam's Ruhe. Bait waren die Seile ausgeworfen und befeſtigt, die Leichter würden freigemacht und auf der an Beren Seite beigelegt, eine ſchmale Brüde, in zwei Bres fern beſtehend, von unſerm Radfaſten auf das Verdeck des Dampfers geſchlagen und ſomit war Alles zur Einſchiffung bereit. - Haft Du , lieber Leſer , ſchon einmal ein Bild von einem Schmugglerzug geſehen , wie ſie , Einer hinter dem Anbern, mit ſchweren Ballen beladen auf dem hohen Gebirgsfamme fich hinſchleichen und ihr geſeßloſes Treiben in dem Mantel der Nacht zu verbergen füchen ? So ein Bild bot unſere Einſchiffung. So und nicht anders ſtieg Einer nach dem Andern , Männer , Frauen und Kinder, Sedes nach ſeinen Kräften bepadt, die ſchmale Treppe zum Radkaſten hinan, ging zögernden Schritte über die ſchwan tende Brüde und wurde von vier robuſten Matroſenhänden in Empfang genommen, die das Šeine bei Seite ſchafften und ihm ſelbſt das für ihn beſtimmte Quartier anwieſen . Die an den Maften hin und her ſchwankenden rothen und grünen Lampen warfen grelle Schlagſchatten über die Scene und verliehen ihr einen wahrhaft unheimlichen Ausbrud . Schnell und glüdlich ging gleichwohl die Einſchiffung von

ftatten, und nachdem man fidy gereinigt, erwärmt und ein fehr ſchmadhaftes Mahl zu fich genommen hatte , konnte man ungeſtört die Räume muſtern, in denen ſich die Paja fagiere während der Dauer der Reiſe aufzuhalten hatten. Da wir weder heute noch morgen in See kommen , ſo will ich dem Leſer, wenn anders er nicht ſelbft ſchon auf einem Serdampfer geweſen, eine kleine Beſchreibung von einem fotchen geben , die er mir in leßterem Falle beſtätigen wirb. Natürlich intereſſirt ihn am meiſten dic Einrichtung und Verſchiedenheit der Räume, welche die Paſſagiere bewohnen , denn wir lefen ſo oft in den Schiffsanzeigen : 1. Gajüte 150 Thaler, 2. Cajüte 100 Thaler, Zwiſchended 60 Thaler, ohne immer zu wiffen , worin denn eigentlich der Unters fchied beftehe. Da man mich in der erſten Cajüte abu gefeßt hat , ſo will ich gleich mit der Betrachtung dieſes Naumes anfangen . – Die Cajüte iſt ein langer Saal im hinterften Theil des Schiffes und zwar nicht im eigenta lichen Schiffsrumpf, ſondern in einem Aufbau , welcher fich bei manchen Schiffen über die ganze Länge des Fahr zeuges, bei manchen bloß bis in den dritten Theil deffelben erftredtund Quarterded, Hinterverdeck genannt wird. Das licht fällt in die Cajüte von oben durch ſogenannte Slys lights, d . i. Himmelsfenſter. Der Saal ift prächtig ausa ſtaffirt, die Verfteidung der Wände und des burdy die Gajüte gehenden Maſtbaumes aus polirtem Mahogony. Die Wände find außerdem durch reichen Bilderſchmuc ge ziert, freilich Bilder , zu welchen die Wand gleich den Rahmen liefert und die auf unſerm Schiffe, merkwürdig genug, fämmtlich Scenen aus der fächfiſchen Schweiz dar ftellten . Dieſe Bilder bedecken große Spiegeltafeln , deren eine auf über 10 Pro . St. zu ftehen kommt. Länge der Wände ziehen ſich feſtgemachte Bänfe hin , weich mit Sammet gepolſtert, und am oberen Ende, D. h . am Steuer thront ein mächtiges Sopha, das den einzigen Fehler hat, Baß gerade darunter die Schraube ftampft und wühlt. Ueber dem Sopha die Uhr , welche täglich nach dem Chros nometer und der Meereshöhe geſtellt wird und maßgebend für Wache und Tiſch iſt. Gegenüber am untern Ende befindet ſich ein riefiger Spiegel und unter dieſem ein fos lider Küchenſchrank, der außerdem noch Schachſpiele, Damen .

10 breter , farten und was ſonſt noch zur Beluſtigung der Reiſenben beitragen könnte , enthalt. Die , wie alles Ans bere, niets und nagelfeſten Tafeln ziehen ſich durch die ganze Länge des Saales und geſtatten nur in der Mitte einen Durchgang. Der Boden endlich iſt reich mit Teps pichen und Spudnäpfen verziert, welche leßtere eine große Rolle im Schiffsameublement ſpielen . Zu beiden Seiten der Cajüte liegen die Kammern mit zwei oder vier Betten . Je zwei Rammern werden durch einen ſchmalen Gang nach dem Salon von einander getrennt. Die Betten ober Cojen gleichen großen an die Wand genagelten Cigarren kiftchen und machen einen wehmüthigen Eindruck. Die Fenſter in dieſen Käfigen ſind rund und nicht groß genug, um einen Menſchenkopf burchzulaſſen , wohl aber , einer tüchtigen Welle beim unvorſichtigen Deffnen Eintritt zu verſtatten . Alles Andere iſt nett , geſchmadvoll, fogar lururiös eingerichtet. An jeder Coje hängt ein vielverheis ßender Blechſpudnapf. Sonach läßt die ganze Einrichtung nichts zu wünſchen übrig. Die Mahlzeiten wiederholen fich faſt zu häufig , nämlich : Frühſtück um 8 % Uhr, zweites Frühſtüc 12 Uhr, Mittag um 4 Uhr , und Thee um 9 Uhr. Man gewöhnt fich aber bald daran, und ba die Seeluft ohnehin den Appetit reizt , ſo gewöhnt man fich bald , bei jeder Mahlzeit das Seinige zu leiſten. Für geiſtige Beſchäftigung ſorgt eine ziemlich reichhaltige Samms lung deutſcher Bücher,und für den Muſikliebhaber giebt es ein gutes Pianino. In ſolchem Raume fich vorzüglich bei ſchönem Wetter aufzuhalten , iſt ein Vergnügen und ſelbſt auf Deck find die Cajütenpaſſagiere die Bevorzugten, da ſie das Quarters deck zur ausſchließlichen Benußung inne haben und außers dem nach Belieben überalhin gehen können , was ben Anbern nicht verſtattet iſt. Weniger Lurus , aber doch genügende Bequemlichkeit bietet die zweite Cajüte. Sie liegt genau unter der erſten , iſt genau ſo groß und genau ſo eingetheilt wie die erſte, aber natürlich weniger reich ausgeſtattet. Die Tep piche, die Polſter , die Spiegel und die Bilder fehlen , die Rammern ſind etwas größer und enthalten die doppelte und dreifache Zahl Betten . Auch die Mahlzeiten ſind bes

11 ſchränkter , obgleich reichlich , man ißt hier nur dreimal, um 8, 1 und um 6 Uhr. Während man oben drei Gänge, Puddings und Ledereien , Chocolade und Thee hat , giebt es hier nur Braten mit Kartoffeln und Compot , zum Frühſtüc aber nur Kaffee: das Alles aberiſt reichlich und gut und gewiß nicht zu theuer bezahlt. Eines allerdings würde der Sachſe vermiſſen , das iſt die Milch an den Kaffee , die man nur oben findet, friſch, ſo lange ſie ſich im Eisfeller hält , ſpäter aber ſolidificirt aus Blechdoſen. Sehen wir uns endlich im Zwiſchended um , lo wird es allerdings Wenige gelüſten , dort zu logiren , die die Mittel zur zweiten oder erſten Cajüte erſchwingen können. Es liegt in gleicher Tiefe oder Höhe , wie man wil , mit der zweiten Cajüte, aber vorn , noch vor dem Maſchinens raum, welcher ſich in der Mitte des Schiffes befindet, und gleicht im Augemeinen jenem wüſten Raume einer Bereiter bude, welchen man mit dem deſpectirlichen Namen : Topf, Heuboden , oder dem poetiſchen : Paradies zu belegen pflegt, im Beſondern auch deshalb, weil es nur Steh- und Liegs pläße giebt. - Dort giebt es Ratten und Mäuſe „ in ends loſer Zahl“. Schmucloſe mit der Farbe häufiger Benußung getünchte Breterverſchläge bilden die Bettſteden, Licht und fuft dringen in Maſſe durch eine offene Preppe ein. Stroh iſt das Einzige, was außer' harten Bretern dem Reiſenden zur Verfügung geſtellt iſt. – Wer ſich hier anſtedeln will, muß mit allem Nöthigen verſehen ſein . Betten , beſſer aber tüchtige Flannell decen , Blechfefſel und anderes Blech . geſchirr ,Löffel, Meſſer und Gabel gehören zur Ausſtaffis rung eines Zwiſchendedpaſſagiers. Wer etwas Proviant mitnimmt , wird wohlthun, denn der Speiſezettel hat hier einen verzweifelt feſten Charakter, und Speď mit Erbſen wechſeln ſehr häufig mit Erbfen und Speď ab . Wer ſich einen guten Nachbar ſucht und mit allem Nöthigen verſehen iſt, kann ſich aber auch im Zwiſchended wohlbes finden , denn Hunger zu leiden braucht er nicht und der Rauchfang bietet ein herrliches Pläßchen, um ſich zu ſonnen und wohl auch anzufleben , wenn man zufällig mit einem Gummimantel fich dagegen lehnt, oder ſich auf die friſch getheerte Bank um denſelben niederſeßt.

12 3d fehre nach dieſerkleinen Abſchweifung zu unſerer Weife zurüd . Hinzufüge will idynoch , daß das Schiff ein eifera nes iſt, 370 Fuß in der Länge und 36 in der Breite mist, 2000 Tonnen Gehalt und 300 Pferdefraft befibt, die Bemans nung einſchließlid der Offiziere etwa 100Mann ſtark ift. Wir inußten an jenem Abend vor Glü & ftadt liegen bleiben, da der Dampfer noch Güter einnahm , das Wetter Mit einem eigenen Gefühle, aber ſehr ſtürmiſch war. welches , landratten “ ſtets anwandelt , wenn ſie das erſte Mal auf dem Waſſer logiren , ſtieg ich in meinen Kaſten. Wer bie Waht hat, hat die Qual , fagt ein altes Sprüdys wort. Unſchlüffig ſtand ich in meiner Sammer, vier Cojen luben mich zugleich zum Einſteigen ein, doch blieb ich der gelöſten Nro. 1 treu , da fte mir zugleich die beſte fchien, die übrigen Betten konnten einſtweilen mein Handgepäd und meine Garderobe beherbergen. Die geringe Zahl von mur 14 Mitreiſenden ſtellte faſt einem Feden eine beſon dere Rammer zur Verfügung. Die erſte Nacht verging recht gut, nur fror mich gewaltig, die heimathlichen Feders betten fehlten , obgleich ich mich ſpäter weit wohler obne fte befunden habe. - Der andere Tag brachte auch wenig Neues, ein dichter Nebel hatte ſich auf die Elbe gelagert, ſo daß der Lootfe , welchem ein derartiges Schiff auf Flüffen ſtets anvertraut wird , nicht in See zu gehen Ziemlich langſam rüdten wir nach Curhafen wagte. vor und warfen abermals für die Nacht Anfcr. Mir hatten den Tag über tüchtig gefroren , denn obſchon eine Dampfröhrenleitung durch die Cajüte ging, war doch einess theils die eingelaſſene Quantität Dampf nicht wirkſam genug, anderntheils aber auch die Kälte zu groß, als daß man eine merkliche Wärmeausſtrömung verſpürt hätte. So ſuchte man ſich denn für die Nacht zu entſchädigen, und, ſchon gewißigt, erlaubte ich mir einen Angriff auf meine drei leeren Geſellſchafter, indem ich ihnen alles raubte, was an Flaneldecken darin war und meine Coje bis an die Decke damit ausfüllte . Ich hoffte dadurch auch dem unangenehmen Auf- und Niederrutſchen Einhalt zu thun, denn ich lag quer durch das Schiff gebettet und erhielt bei der einen Seitenſchwankung einen Kopfſtoß , bei der andern einen Schlag auf die Fußſohlen.

13

Der andere Tag ſollte uns endlich in See bringen . Der Wind pfiff gewaltig und peitſdyte die Wellen gegen unfre Eiſenplanten, die ſich ſehr wenig daraus zu machen Schienen . Nachmittag 5 Uhr paffirten wir das Feuerſchiff, welches an der Einfahrt der Elbe ftationirt iſt, bei Tag und Nacht ein Wegweiſer. Unſer Lootſe war einigermaßen befangen , da der Kapitän erklärt hatte, er fönne ihn nicht ausießen und inüſſe ihn mit nach England nehmen. Troß del hohen Wellenſchlag8 aber ruderte vom Feuerſchiff tein wohlbemanntes Boot an uns heran und verklärten Angeſichts ſagte uns Falſtaff in der Theerjade und dem gelben Südweſter Lebewohl. Eine halbe Stunde darauf waren wir in See. Wie viele Menſchen fehnen ſich die See zu ſehen und wie verſchiebenartig iſt der Eindruck , den ſie auf den Einzelnen macht! Ihr erſter Anblic machte wirklich keinen tiefen Eindruck auf mich. Dagegen freuten wir uns über die augenſcheinlich mildere Temperatur , welche hier zu herrſchen ſchien , denn die Safelage, bis dahin mit einer Gisfruſte bededt, fchmolz plößlich ab, und die Leute liefen nicht mchr heruin wie die Seehunde, mit gefrorenen Jaden und Hoſen . Helgoland zerfloß mit ſeinen zwei Spißen bald im Nebel, die Küſten von Hannover, Dldenburg und Holland blieben faſt immer in Sicht. Das war eine angenehme Bewegung , fein Stoßen , Auf- und Nieder werfen , wie man 18 ſo oft gehört. Schon machte man Wiße über die See und ihre Kranfheit, felbft die Damen erſdienen bei Tafel und man hoffte Alles werde einen guten Verlauf nehmen. -- Im Canal aber fingen ſchon Einige an anders zu denken . Dider Nebel umgab uns, die äußerſte Vorſicht mußte angewendet werden . Eines Abende ſtand das Schiff, es wurde gelothet, wir befanden uns der Tiefe nach 19 Meile von der Küſte, welcher Küſte fonnte nur vermutbet werden, da mant im Nebel nicht 20 Fuß weit ſehen konnte. Noch ehe wir den Canal paſſirt hatten, überfuhren wir ein Fiſcher boot , an Rettung der Mannſchaft war nicht zu denken . Der fünfte Morgen nach der Einſchiffung, der dritte in See, ließ uns den atlantiſchen Ocean erblicfen . Das war freilich etwas

anderes .

Hatte dort das Schiff bic

14 Wellen durchſchnitten , ſo trugen hier die Wellen das Schiff, trugen es bis auf ihren höchſten Gipfel und ließen es jählings hinabgleiten in den Abgrund. Vom tiefften Schwarz gefärbt bis zum durchſichtigen, cryſtallenen Grün, mit einem weißen Schaumfamme gekrönt, wälzten ſte gegen uns an , ſchlugen hoch über uns zuſammen oder frochen nediſch unter dem Bug weg . Schlug das Schiff gegen einen ſolchen Wellenkönig , ſo ſprißten Tauſende von Waſſerſtrahlen , klar und durchſichtig wie der Diamant bis in die Raaen hinauf und der Sturm machte es fich zum Plaiſir ein Liebchen durch die Tafelage zu pfeifen. O , des großartigen Anblick's und des kleinmüthigen Gefühls, welches den armen Erdenſohn mitten unter dem aufgeregten Element überfommt! Wo waren die Helden von geſtern , die Spötter des Meeresgottes ? Neptun hatte fte hart geſtraft ! Sie lagen alle, ermattet wie die Fliegen vom langen Winterſchlafe auf Banken herum oder in ihren Cojen und lernten das wichtigſte Meubel des Schiffes gebrauchen , den Spuck n ap f. Auch mich, den Schreiber pacte die Nemeſis hart, doch nur auf kurze Zeit. Und nun, lieber Leſer, willſt Du wiſſen , was die Seefrankheit iſt ? Sie iſt der Zuſtand einer moraliſchen undphyſiſchen Zerſchlagenheit. Hoffnung verwandelt ſich in Troſtloſigkeit, Heiterfeit in die tieffte Schwermuth , der Ropf iſt Einem ſo ſchwer wie Blei und der Magen To leicht, als ob er durch den Mund davon ſpringen wollte. Da ſieht man nur Untergang und Verderben , und will lieber fterben und ausgelegt ſein , als eine Minute länger auf dem thranigen Schifførumpf verweilen. Alles ärgert Einen , die Fliege an der Wand, der bunte Streifen im Flanell, die Figur auf dem Teppich, der Schnörkel an der Decke. Das Klappern der Meſſer und Gabeln erzeugt Fieberfroſt, und den Steward ( Aufwärter), der theilneh mend fragt , ob etwas zu Dienſten ſteht, den könnte man mit fammt ſeinem Präſentirteller voll Speiſen durch das enge Gudeloch hinaus in die Salzfluth erpediren. Hat man nichts im Magen, ſo möchte man efſen , hat man gegeſſen , ſo flucht man des unſeligen Gedankens. Liegt man in der Coje, ſo möchte man lieber auf der Bank fein, hat man fich auf die Bank gebettet, ſo grübelt man,

-

15

ob es nicht beſſer wäre , im Sarge zu liegen , und hat man ſich endlich daran gewöhnt, ſchmeckt Einem Eſſen und Trinken um eins fo gut, dann lacht man der Kranken und ſucht ihnen zu beweiſen, daß an der Seefrankheit noch kein Menſch geſtorben ! Und das iſt Seefranks heit. — Und giebt es fein Mittel, ſich gegen dieſen diabo liſchen Zuſtand zu ſchüßen ? Die Einen rathen Löſchpapier auf die Bruſt, die Andern eine Citrone.' Geduld aber iſt die Hauptſache, etwas Willenskraft, der Arzt, friſche Luft auf Ded , ein tüchtiger Imbis , ſo weit's Einem ſchmeckt und ein gut Glas Rothwein, das iſt die Cur ! Nicht immer iſt man die ganze Reiſe hindurch frank, noch immer geſund, die Kranken geneſen oft ſofort, wenn fich die erregte See legt und die Gefunden fangen an , ihren Ballaſt über Bord zu werfen , ſobald es dein Wellens könig einfäät, das Schiff als Federball zu benußen . Auf unſrer, von Stürmen arg Heimgeſuchten Reiſe war der Geſundheitszuſtand ein ſehr wechſelvoller. Vorzüglich traurig erging es den Damen, unter denen ſich drei junge Ehefrauen befanden , die ihre Hochzeitsreiſe machten, aber im erſten Monat ihrer Ehe wohl ſchwerlich viel Honig gekoſtet haben. Hatte das Schiff einen ganzen Morgen und die Nacht vorher geſeufzt und geſtöhnt, geſtampft und gerollt, daß ſeinen Inſaſſen die Knochen im Leibe weh thaten , ſo trat um Mittag häufig eine plößliche Ruhe ein , die ein ungeſtörtes Mittageſſen in Ausſicht ſtellte ; kaum aber hat die Geſellſchaft ihre Siße eingenommen , faum iſt die Suppe vertheilt , - fieh , da fängt der Dummrian aber mals zu ſtoßen an ! Man meint nicht anders, als den Erercitien einer indiſchen Jongleur- Geſellſchaft beizuwohnen , wie ſie vor und rüdwärts , rechts und links nach dem Tafte fid bewegen und die rothe Fliederſuppe mit beiden Händen im Gleichgewicht zu erhalten ſuchen ! Die Uners fahrenen begehen zuweilen Mißgriffe bei dieſen equilibris ſtiſchen Uebungen , von denen das Wohl und Wehe einer ganzen Reihe Tiſchgäſte abhängt. Des häufigen Vers ſchüttens der Suppe nicht zu gedenken , iſt ſchon häufig eine ganze Bank hinten über oder unter den Tiſch ges flogen, wenn einer nicht im Takte blieb, und wurde unter den eßbaren und nicht eßbaren Trümmern der Tafel bes

16 graben , wenn ſich ein Unglüdsvogel beifommen ließ, den and des Tiſches zu ſeiner Rettung zu erfaſſen , denn das Geländer welches man auffeßt , um die Leller und Schüffeln vor dem Herunterfallen zu bewahren , iſt durch Gummiſchnüre mit dem gegenüberbefindlichen verbunden, und giebt baber nach , indem es zugleich feinen Inhalt freigebig nach unten fpendet. - An ſolchen Zwiſchenfällen fehlte es, wie .geſagt, nicht und homeriſches Gelächter bes gleitete jeden Unglüdsfall, wie den Bliß der Donner. Einmal ſogar, begrub' eine Sturzſee das Schiff unter ihrer Laft , die Cajüte verfinſterte fich, ein banger Augen blick - 88 frachte über uns und herein brang die falzige Flut , Ades bis auf die Hautdurchnäſſend. Das nennt man doch wahrhaftig Einem das Effen perſalzen ! Wie oft haben wir in ſolchen Augenbliden gedacht und geſagt: „ Was würden ſie daheim in Friedefeld dazu jagen !" Was würde eine Köchin auf dem Lande ſagen, wenn ihre Refſel plößlich einen Hopſer tanzen wollten, oder eine Theegeſellſchaft, wenn das Haus anfinge zu ſchwanken und zu frächzen , der Thee mit dem Zwiebac davonzulaufen ! Dergleichen Intermezzo’8 tragen aber nicht wenig dazu bei , die Reiſenden einander näher zu führen , was ſich bei unſrer fleinen Zahl eigentlich ſchon von ſelbft verſtand. Da gab's einen Frankfurter , einen Berliner, einen Königsberger, einen Leipziger, einen kleinen Sanfee, ja , wer ſollte es glauben, ſogar einen Zwicauer. Da trug denn Jeder das Seine zur Unterhaltung bei und wenn er es nicht freiwillig that , ſo mußten ſeine Schwächen , ſeine Eigenthümlichkeiten den maître de plaisir abgeben . Da gab es Geſang und Muſif, Spiel und Tanz hätte ich faſt geſagt, ia Tanz , aber ein ganz eigen thümlicher, den man meiſt wider Willen aufführte , wenn das Schiff in feine alte Unart des Stoßens und Umlegens gerieth . Bei einer ſolchen Gelegenheit flog ich eines ſcho nen Morgens aus der Thür meiner Rammer in das Bild des in allen Farben des Morgenrothes prangenden Waſſerfall'8 im Uttowalder Grund , und als natürliche Folge befam die Zehnpfundtafel eine Schmarre für's Leben. Der ſchnell improviſirte Gerichtshof ſprach midy aber völlig frei und verurtheilte die Compagnie zur

17 Als ich nach mehreren Jahren Dedung bes Schabens. das Schiff wieder betrat, war der Waſſerfall ausgebeſſert . und zur Verhütung weiterer Unglücksfälle eine Meffings ftange vor jebem Punkte der fächſiſchen Schweiz anges Sollte ein Robber Whiſt geſpielt werden , ſo bradt. paffirte es häufig daß, ehe man ſich's verfah, die Karten an die Wand, auf den großen Winterberg oder in den Kuhſtall flogen , zum großen Aerger beſſen , der einen Hauptſchlag “, zu machen gedachte. Von Rälte hatten wir viel zu leiben , denn dieſe wuche mit den Stürmen und die Maſchine verbrauchte fo viel Dampf, daß nur wenig zur Heizung der Cajüte geſpart werden konnte. — Wir legten demnach die Pelzkleidung nur ſelten ab , kamen aber noch ſeltener auf Deck, wo gewöhnlich die „Böhmen “ und die ,, Berliner “ in weit weniger behags licher Stimmung als damals auf der Elbe , ihre ſteifen Gliedmaßen am Schornſtein zu erwärmen ſuchten . - Von Waſſer war das Schiff ſelten frei, es ſchlug über die Brüſtung, drang durch offene Fenſter und mit einem heiſer gurgelnden Tone durch die zur Abführung des Unrathes beſtimmten Röhren. In meiner Klaufe ftand es drei Zoll hoch , flutete hin und flutete her und wiegte mich in Träume, in denen ich häufig dem Ertrinfen nahe war. Es war eine Kunſt, ſich hier ahne Waſſerſtiefeln an- und auszufleiben . Drei Fußſchemel waren meine Inſeln, welche freilich ihre Stellung zuweilen veränderten und nicht vers hinderten , daß ich wie ein Mehlſack auf das Sopha oder in die Cojen geſchleudert wurde. - Ales dies hatte feine fomiſchen Seiten , es famen aber auch ernſte Stunden, in denen das Herz anfing zu bangen und man wohl ein ftilles Gebet zu dem ſchicte , ber dem Wind gebeut und den Waſſern ihre Bahn anweiſet. Das waren ſchlimme Tage, wo der Drkan über uns hinfaufte, wo die Wogen bis über den Maft hinaus fpritten und das Schiff ohn mächtig ſich dem Wilen ſeiner Bezwinger beugte, wie ein geheßtes Reh den haſtig anſtürmenden Verfolgern unterliegt. Schlimme Tage das, wo Kapitän und Offiziere nicht von Ded kamen , oder nur um beſorgten Auges den Stand des Barometers zu erforſchen . Es war ein ſolcher Tag, der 19. unſrer Reiſe, als früh 4 Uhr das Schiff einen 2

18 trichten Stoß erfuhr hin und her fdywanfte und die Maſchine plößlich ſtand, um gleich darauf zurückgehende Bewegungen zu machen . Alles fuhr aus dein Schluinmer auf und wollte auf Deck , doch die Thür war geſperrt. Ueber uns aber eilten die Leute hin und her und die befehlenbe Stimme des Stapitäns ließ ſich vernehmen . Dazwiſchen hörte man : ,,Schnell, fchnell , fie iſt ſchon halb voll Waſſer ,“ ein Ausruf, der uns in nicht geringe Angſt verſeßte, da wir nicht wiſſen konnten, daß er einem andern, angeregelten Schiffe galt. Ein Boot wurde herabs gelaſſen , aber durch die ſtarke Bewegung der Wellen ſchlug es an die Schiffswand und wurde zertrümmert. Die Matrofen zögerten , drohende Worte vermochten ſie aber augenblicklich ein zweites , diesinal ein metallenes , Lebensrettungsboot hinabzulaſſen , init dem Schiff8zimmermann und ſechs Matroſen bemannt. Unſrer Haft entlaſſen fahen wir fie abſtoßen und in Gottes Namen durch die wogenbe See, inmitten eines wüthenben Schneeſturmes einen kleinen Schooner zurudern , der % Seemeile leewärts lag . Wir konnten nicht ſehen, was bort vorging ; nach einer halben Stunde banger Erwartung aber ließ ſich der Ruf: „ Boot a hoy " (der gewöhnliche Matroſenausdruck, wenn ein Boot anlegen wil) vernehmen und herauf kletterten außer den unſrigen fechs ſchwarze Geſtalten , mit ihrem Kapitän die ganze Bemannung jenes Schooners , der mit Mehl beladen von Baltimore kam, im Schneegeſtöber von uns überſegelt worden und bereits im Sinfen begriffen war. Die Leute wurden herzlich begrüßt, ſchienen übrigens über den Vers luft ihres Schiffes nicht ſehr betrübt zu ſein und thaten fich auf dem großen ſchönen Dampfer weiblich ein Gutes. Weitere Abenteuer hatten wir nicht zu beſtehen . Von da ab ließ der Sturm nad ), das Wetter flärte fich und nur die See wogte 'nod) grollend auf und nieder. Am ſelben Tag wechſelten wir mit einem zierlichen amerifaniſchen Dreimaſter ,, das aufgeſcheudyte Reh " Signale , das erſte Schiff, welches auf Sehweite an uns vorbeifam . Am folgenden Tag paſſirten wir das erſte Feuerſchiff an der Einfahrt nach Boſton und am darauf folgenden , dem 21. Tag unſrer Reiſe früh 6 Uhr tiefen wir über die Bar ( b. i. Sandbank) bei Sandy Hoof in den Aus

19 fluß des Hudſon's ein. Ein kleines Lootſenboot brachte uns den Loptſen an Bord, und dieſer die neueſten Zeitungen, über welche wir mit wahrem Heißhunger herfielen , obgleich dieſe amerik. Blätter viel Unverbauliches enthalten . Rechte ub links breitete fich bald das Land aus , erſt in weiter Ferne, dann immer näher, bis wir auf den im Sommer jo reizenben Ufern jedes Haus , jeden Baum deutlids unterſcheiden konnten und das Auge mit einer wahren Wolluſt darüber hingleiten ließen . In Staten Island, einer großen Inſel, 6 Meilen vor New - York fam der Duarantánearzt an Bord , um den Geſundheitszuſtand tu unterſuchen. Nad einer kurzen Unterredung mit dem Echiffsboctor erklärte er ſich völlig befriedigt, ließ fich ſeine Taſchen mit Schinken , Würften und Portwein ſtopfen und verſchwand bald wieder hinter der Brüftung. Wir aber warfen um 10 Uhr früh an der Südfpiße News York's gegenüber von Caſtle - Garden, dem Auswandrers bureau , Anfer. Jedes Herz jubelte laut auf, als ſich die Weltſtadt zu unſern Füßen ausbreitete. Zu Ende war die lange Reiſe, zu Ende iſt auch das lange Kapitel , für das mich der Leſer nur entſchuldigen wird , wenn ich ihm die Verſicherung gebe , in dieſem Buche feine zweite Sees reiſe zu beſchreiben .

Sonntag und Montag. Im Hotel, in der Straße, im geſchäft.

Ja , es war ein herrlicher Anblick vom Verdeď aus. Links und rechts ein endloſes Häuſermeer , durchſchnitten von einem ſtolzen Strome und begrenzt von blauen Bergen . Freundlich lächelte die Morgenſonne, und als die kanonen des Dampfers donnerten und rings von den Schiffen ein gleiches Willkommen tönte , da mußte man aus voller Bruſt rufen : ,, Gegrüßet feiſt du , Amerika ! " Balb aber wurde dieſe poetiſche Stimmung geſtört durch fremde frei ſchende Stimmen , Bootsleuten angehörig , welche bliß ſchnell herbeigekommen waren, als ſieden fremden Dampfer 2*

20 erblicten , mit echt amerikaniſcher Dreiftigkeit an Borb kletterten und einen Verkehr mit den Paſſagieren eröffnen wollten , den indeß der Kapitän aufs Ausdrüdlichſte unterſagte. Nur uns erſten Cajütpaſſagieren wurde es geſtattet ans Land zu gehen , und auch wir durften nur einen Nachtſad mitnehmen , denn es war Sunday ( Sonntag) und die Unterſuchung des Gepäcks konnte erſt morgen ftattſinden . Die Paſſagiere der zweiten Cajüte und des Zwiſchendeds werden im Emigrantendepot ausgeſchifft, welches ſich in Caſtles Garden, einem früheren Feſtungos werk ( ſpäter auch einmal Concerthalle, in der ſich Jenny Lind hören ließ ) befindet. Sie mußten fick ſchlechterdings bie Zeit auf dem Schiffe vertreiben , und da die meiſten von ihnen ohne beſtimmten Plan nach Amerika gehen , ſo brauchte es ihnen allerdings auf einen Tag nicht anzus fommen . Meine Mitreiſenden aus der erſten Kajüte benußtent ſämmtlich die ihnen gegebene Freiheit und gingen an Land. Ich ſelbſt kannte unter den 36 Millionen Menſchen Nord amerika's nur einen einzigen , und da ich weder wußte, ob er midy' aufſuchen , noch wo ich ihn finden würde , fo ſchloß ich mich meinen neuen Freunden an. Mein kleiner Yankee belegte ein Boot, die Perſon 25 Cents ( 10 Ngr. ) ; was wir an Roſtbarkeiten beſaßen , ſteckten wir zu uns, und ſtießen ab. – Die Geldgier unſers Bootsmannes hatte mehr aufgeladen als er verantworten konnte , ſo daß von Zeit zu Zeit das Waſſer hereinſprißte und wir mit einer ziemlichen Eisfruſte an's Úfer gelangten. Da follte uns gleich die erſte Lection zu Theil werden , in dem , was man in Amerika Smartness ( frei überſeßt etwa Pfiffigkeit) nennt, was man in Deutſchland aber mit dem ungweideutigen Namen Betrug belegen würde. - Wie ſchon geſagt, wir hatten die Perſon zu 25 Cents behan delt, Freund Rahnlenfer aber ſtellte ſich an der Landung treppe auf , ſo daß nur Einer auf einmal paſſiren konnte und verlangte breift das Doppelte. Natürlich wurde lebs haft proteſtirt, doch der Menſch , augenſcheinlich ein Ir länder, hätte uns eher zurückgefahren , als von ſeiner Forderung Abſtand genommen . Mittlerweile ſammelten

21 fich einige feiner guten Bekannten , um ihn und ſchienen lebhaftes Intereſſe - an den Verhandlungen zu nehmen . Die Phyſiognomie diefer guten Leute und der Umſtand, daß ſie etwas handfeſte Spazierſtöcke bei ſich führten, ließen uns für Taſche und geſunde Gliedmaßen fürchten und ſeufzend gewährten wir die Bitte des armen , Wind und Wetter ausgefepten Schiffer8 ( jo gerirte er fich ſelbft) der mit einem verbindlichen Lächeln und einem „all right, Gentlemen , “ das Geld einſtrich. Bei der Abfahrt 'war ich zur Vorſicht, bei der Ankunft zur Nachficht gemahnt worden , das Schickſal war ſehr gütig , ich befolgte ſeine Winke, und obgleich ich noch manchmal übers Ohr ges hauen wurde , ſo geſchah es doch immer mit einem vers föhnlichen Lächeln. Unſere kleine Raravane feste fich den Broadway hinauf in Bewegung nach dem deutſchen , Prescotthouſe. " Was für eine breite impoſante Straße iſt dieſer Broadway ! Drforbftreet in London mag noch belebter, die Boulevarde in Paris mögen ſchöner ſein , aber Broadway (der breite Weg) fann beiden würdig zur Seite geſtellt werden . Er iſt, wenigſtens in der Anlage , über 10 engl. Meilen lang und etwa bis zur Hälfte angebaut. Drei Viertel ftunden lang wandelten wir zwiſchen Marmor- und Eiſen paläften , meiſtens Geſchäftshäuſer mit Firmen , wie ' fte in Deutſchland noch nicht an's Tageslicht gekommen, ein zelnen Kirchen und vielen Hotels. Es wollte uns ſpaß haft dünfen , hier und dort eine Firma mit der Aufſchrift ,, Lagerbier ", zu erbliden , doch ſollten wir erſt ſpäter erfahren , welche Rolle dies goldne Naß in den Staaten fpielt. Auffallend war uns Allen tie Debe und Leere in den Straßen , doch erklärte uns dies unſer Yankee mit dem einen Wort , Sunday." Unverſchämt gaffenbe Jr: länder , gepußte , reich mit Ringen und Ketten behangene Neger , welche ihre Gattinnen mit den friſchen rothen Lippen und den weißen Zähnen , in Crinolines und Seide gekleidet , mit weißen Hüten und rothen Federn darauf, ſpazieren führten , einige Höcfenweiber, Chineſen , die init Cigarren und roth angeſtrichenem Zuckerkudyen handelten unð ſehr viel Kinder , - dieſe bildeten die ſehr dünn gefäete Straßenbevölkerung:

|

Gs wollte mich faſt Berbriefen , bie Zielſcheibe ihres Spottes zu ſein . In meinem langen bis auf brie Érde herabreichenden Belze, wie man ſie hier wohl trägt, wie fie aber dort nicht bekannt ſind , weil man das Unpraktiſche fächerlich findet, mochte ich biefem Conn tagspublifum allerding$ fomifich genug erſcheinen . Da ich mir fpäter felbft fo workam , jo pacte ich den Urheber jener Spottereien ſammt meinen umfangreichen Feders betten in eine Rifte und ſpedirte ſie in das deutſche Bater land zurüc . Ünſer Spaziergang hatte endlich auch ſein Ende erreicht, wir ſtanden vor einem dreiftödigen Gebäude mit einem hohen gufeifernen Portale , dem Prescotthouſe und befanden uns nach dem Eintritt in einer langen , hoheit, gleichmäßig durchwärmten Halle , deren Boden init Mos fait , deren Dede mit vergoldeten Schnißereien verziert war. Eine Reihe gußeiferner Pfeile füßte bie Decke, vort welcher prächtige Kronleuchter herabhingen. An den Wänden liefen farmmetgepolſterte Banfe hin , in einer großen Niſche befand ich ein fanger Tiſch), auf welchem die Beſucher Zeitungen aller Nationen , fowie Schreibutenſilien zum freien Gebrauch vorfanden. Im Hintergrund endlich ſtani eine Anzahl Pulte, die mit einer Rabentafel ein von Außen völlig abgeſtihnittenes Vierec bildeten . Eine kleine Feſtung, ober kjer , das Hauptquartier , von wo aus Adjutanten in fiegender Eile die Befehle befördern . Die lekteren beſtehen in Windpfeifen nach unten und oben , denen bie Sielner ; in einer heltönenden Tiſchglocfe, denen die Portero ( b. i. Hausknechte) folgen. Die Rapporte erſtattet jener finnreiche Klingelzugapparat, welcher durch Verſchiebung einer halbmondförmigen Silberplatte die Numa mér des Zimmers anzeigt , in welchem man der Hüffe In noch größeren Hotels , denn New - York bedarf. hat deren bis zu 1000 Zimmern , hat inan am Eingang ein Telegraphenbureau , von wo aus man ſich bei einem Glafe Bier mit allen Theilen der Union in Berbindung feben kann. - Gleich hinter der oben beſchriebenen Halle burdy zwei Thüren mit derſelben verbunden , befindet fic eine zweite, die Irinkhalle , ähnlich wie die vorige, nur vielleicht noch etwas lururiöſer ausgeſtattet. Große

23

Spiegel zieren die Wand von einem Ende bis zum anderen , und der Barkeeper, ( Aufwärter) welcher hinter der Bar ( Schänftiſd ) fteht, kommt einem vor , wie ein zweiter Bosco, welcher unbekannte Experimente mit den myſteriöſen Flaſchen , Glocken und Silberbechern macht, die in langen Reihen das elegant verzierte Gefimfe entlang ſtehen . Dieſe erſten Betrachtungen drängten ſich uns auf , als wir aus der rauhen Winterluft in die Frühling8temperatur hier innen traten . Nachdem wir unſre Namen in dem bidfleibigen Regifter des Haufes verzeichnet hatten , nahm Jeder ein langbenöthigtes Bad , was ebenſo wie der Barbierladen , die Apothefe, wohl auch ein Kleidermagazin , im Hauſe zu finden iſt. Das eben erwähnte Regiſter bient- nicht etwa zur Controle , fondern nur zur eignen Bequemlichkeit der Reijenden , welche doch häufig Briefe oder Beſuche im Hotel erwarten, denn ob ich ſonſt meinen Namen mit Smith oder Schulze, mit Johnſon oder Müller angebe, darauf fommt nicht das Geringſte an . Der Leſer wird überhaupt mit Vergnügen bemerkt haben , daß von Paßfcherercién noch nicht die Rede geweſen. In der That habe ich den meinigen auf der Hin- und Zurüde reiſe nur einmal vorzuzeigen gebraucht, und zwar , wer glaubts , in meiner eignen Vaterſtadt bei der Aba xcife. Aufenthaltsfarten giebt's in New - Yorf nicht, würde fidi auch ſchwer durchführen laſſen , die einzigen Abgaben hat der Fremde an den Wirth zu entrichten und dieſe find allerdings oft bedeutend , wie dies ja auch bei uns zuweilen vorkommen fou. Weld wohlthuendes Gefühl überfam uns , als wir, burch das Bad geſtärkt, zum erſten Male wieder an einer Tafel ſaßen, welche bei reichlicher Beſeßung auch während des Effens ſtille hielt , und Einem nicht der Biſſen vom Munde weghüpfte , wie dies in den lebten Wochen ſo häufig der Fall geweſen . Unſer Kapitain und die Dffiziere ſtellten ſich zu unſrer Freude auch ein , denn obgleich dieſe Herren eigentlich an Bord wohnen, ſo ziehen ſie doch gar oft tas Leben am Lande , jenem auf dem Schiffe vor hier thaten fie es um ſo lieber, als der Dampfer zwei Monat liegen bleiben ſollte. Da ſich natürlich das Ges ſpräch um die Reiſe und das Wetter drehte , ſo erfuhren

24 wir , daß an der Rüfte ein furchtbarer Sturm gevvüthet, und viele Schiffe zertrümmert habe. Unſer Schiff war übrigens das einzige von fünf Dampfern, welche zu gleicher Zeit Europa verlaſſen hatten , der feine Reiſe fortſeßen konnte , die übrigen mußten , wie ſich ſpäter herausſtellte, in Folge erlittener bedeutender Schäden wieder umkehren . Gin Grund mehr für uns , bem Höchften für dieſe glüc Wir hofften dieſe liche Reiſe unſern Dank zu zollen. erſte Nacht recht gut zu ſchlafen , und ſchon der Anblick jener breiten , faſt vieredigen Betten , wie man ſie in Amerika und England findet, erregte das Verlangen fich parin von der Unbequemlichfeit des breiwöchentlichen Eis garrenkaſtenlogis zu erholen . - Leider mußten wir finden , Daß es nicht ſo leicht iſt, ſich der Ruhe zu erfreuen , wie man denft. Die rüttelnde und ſchüttelnde Bewegung will Einem nicht aus dem Kopfe, und da das Bett ruhig ſteht, fo thut man ſein Möglichſtes , fie ſelbſt zu erzielen. Reiner von uns that ein Auge zu. Um Mitternacht ſchou plößlicher Lärm von der Straße herauf. Ein Geheul wie von wilden Thieren erfüllte die Luft , hinterher . raſſelte es und in der Ferne tönte der dumpfe Ton einer Glocke. Der lärmende Troß hatte ſchon das Hôtel paſſirt, als wir an's Fenſter gelangten. Bei der düſteren Straßens beleuchtung vermochten wir nur undeutlich eine blanke, von rothen Geſtalten gezogene Feuerſpriße zu erkennen . Der Lärm wiederholte ſich noch mehrmals und die Er fahrung lehrte mich bald , daß der Sonntag der regel mäßige Feuertag " in New - Yorf iſt, wahrſcheinlich um Mein nicht aus der gewohnten Thätigkeit zu kommen . ch ich n , daß der s natürli war Morge am erſter Impul an's Fenſter eilte. Welche Veränderung war mit Broads way vor fich gegangen. Die Häuſer vorher ſo fahl, prangten in allen Farben, waren mit Bildern und Firmen, erſtere in genauer Beziehung zu den legteren , bedect. Die geöffneten Läden ließen Schaufefter von faſt übers ſchwenglicher Pracht erbliden , von Unten aber ſcholl ein Summen , ein Rollen , daß man ſein eigen Wort nicht mehr hörte. Das Pflaſter war buchſtäblich bedect mit Fuhrwerken aller Art, von denen indeß zwei die Haupt= rolle zu ſpielen ſchienen, die Omnibuſſe und die Karren.

25

Erftere fahren regelmäßig die größeren Straßen auf ; und ab , lenken in gewiſſe Straßen ein , und halten an beſtimmten Punkten , um dann denſelben Weg rüdwärts zu machen . In Deutſchland iſt dies Inſtitut noch in der Rinds heit begriffen , daher auch die Zahl noch beſchränkt, dort folgt eine gelbe Kutſche der andern , und wenn die eine vol ift , hält es nicht ſchwer in derſelben Minute noch in einer zweiten einen Plas zu finden . Nur muß man genau auf die Route achten , welche in großen Buchſtaben zu beiben Seiten des Wagens verzeichnet iſt. - Die Karren ſind zweirädrige Fuhrwerfe mit Gabeldeichſeln , welche zům Transport der Kiſten , Ballen und Fäſſer in der Stabt, von und nach dem Hafen benußt werden. Sie ſtehen unter Polizeilicher Controle , find numerirt, nnd an allen Eden ftationirt. Größere Geſchäftshäuſer haben ihre eignen Karren und auch die kleineren beſigen folche Kärrnerattaches , welche alles bei ihnen Vorkommende zu beſorgen haben . Dieſe beiden Arten von Fuhrwerken waren es, welche ich von meinem erhöhten Standpunkt aus , burdy und Zu beiden Seiten aber neben einander hinrollen fah. wogte eine Menſchenmenge dem untern Theil der Stadt zu , burch welche ſich der Aufwärtøfommenbe nur fchwer weiter zu drängen vermochte. Nachdem ich mein Frühſtüd , beſtehend wie dort gewöhnlich, in Fleiſch , Eiern und Kaffee eingenommen , ſtürzte auch ich mich ins Gewühl um das Geſchäftslocal meines Hauſes aufzuſuchen und in meinen neuen Wirkungsfreis einzutreten . Ein ſchwies riger Weg das , wer ihn zum erſten Mal zurüdlegt. Gez geſchoben und geſtoßen mußte man vorwärts, drängt, man mochte wollen oder nicht, denn die Geſchäftszeit erlaubt den Leuten nicht , langſam oder auch nur einen guten Schritt zu gehen . Sie legen da einen ganz beſons deren Geſchäftsſchritt an , den Kopf nach vorn geſtreckt, die Arme hängend, oder die Hände in den Taſchen, fchies ßen fie fort wie eine angebrannte Rafete und auf ihrem Geſicht ſteht es deutlich geſchrieben , was fich der Ameris kaner täglich und ſtündlich in's Gedächtniß ruft: Time is money , Zeit iſt Geld. Dieſe allgemeine Raftloſtgleit

26 wirkt efectriſirend auf den Fremden imo balb gering ift Einem das felbft zur Gewohnheit geworden , was inan erſt mit verwunderten Augen an Anderen wahrgenommen . Während ich ſpäter ſorglos zwiſchen Menſchen , Wagen und Pferden mich hindurchwand, ohne mich irgendwie einer Gefahr auszuſeßen, mußte ich es doch dem fräftigen Arm cineg Poliziſten danfen , daß ich an jenen erften Morgen nicht wie ein Hund überfahren wurde , denn die amerikaniſchen Fuhrleute haben eben ſo wenig Zeit als die Fuga gänger und fümmern ſich ſehr wenig darum , ob - ein in Wege Befindlicher ausweichen fann oder unter die Pferbe foininen muß. In der untern Stadt (down town) übers ſteigt das Gewühl alle Begriffe ; Pferdeeiſenbahnen, Dini buffe , Kärrner , Laftträger und Fußgänger , Alles fcheint fich hier in einen unlösbaren Knoten zu verſchtingen , und doch erleidet der Gang des Uhrwertes feine Stodung, Alleg ordnet ſich mit und nebeneinander fo funftgemäß , als ob jeder Einzelne einer allgemeinen Triebfeber feina Bewegung verbanke. Ich will nur des Umftandes im allgemeinen Berfehr erwähnen , daß man fich unter allen Berhältniffen ftets rechts hält, imd daß ſowohl die Wagen die rechte Seite des Weges innehalten als auch bie Fufix gånger, auf den Trottoirs. Doch genug hiervon , ich ges langte glüdlich ins Geſchäft und hatte noch an dieſem Lage Gelegenheit, die raſtloſe Thätigkeit wie ſpäter auch die unendliche, häufig in’s Betrügeriſche fpiclende Schlait. beit zu beobachten, welche den amerifaniſchen Geſchäftsmann kennzeichnen. - Sei was Du willft, nur fei es ganz . Dieſem Ausſpruch ſcheinen die Amerikaner vollſtändig zu genügen . Entweder ganz phlegmatiſch oder im höchſten Grade fanguiniſch , Gottesleugner oder Muđer, ehrlich bis zur Einfalt oder Schuft. Es hält derunach auch nicht ſchwer ihren Charakter richtig zu erfaſſen , fich bei ihnen beliebt, oder verhaßt zu machen. Im Allgemeinen iſt es ihnen gleichgültig , was ſie ſind , wenn ſie nur auf der betretenen Bahn ein Geſchäft machen können , Kriſen, wie 1857 werfen oft die Grundſäße und Vorurtheile von Jahrzehnten über den Haufen. Mochte die eine oder die andere Beobachtung mich weniger angenehm berühren , ſo wehte mich doch ein

27 Es deutſcher Orift an , der mich mit Allem Verfahnte. war Weihnacht und ich hatte geglaubt, dort dwerlid eine Spur von dem zu finden , was uns in Deutſchland ſo ſehr an dieſem Fefte hangen läßt. Wer beſchyreibt babet meine freudige Ueberraſchung als ich, auf einem freien Piaße angelangt, einen ganzen Walb von Chriftbäumen , rob und zugeftust erblidte, freilich etwas frembartig, denn der größere Theil beſtand aus Sedert , aber es ivaret auch Fichten dabei, und die Hauptfache, ble leute ftritter ſie einer uralten Sitte huldigten . fich darum , als ob Sie iſt aber in der . That noch nicht ſehr alt , und erſt feit etwa zehn Jahren bei den Amerifantern zur Aufnahme gelangt. Denn vorher ftanden unſre tandšleute in gat geringem Anfehen drüben. Der Name ,, Dutchman " (was eigentlich , Hollander " bedeutet, aber durch die Verwechos lung des Deutſch " mit Dutc) " auf die Deutſchen ans gewandt wurde ) war gemeiniglichy der Inbegriff alles Berächtlichen , Dummen , Grbärmlichen . Es iſt died abet ganz gewaltig anders geworden. Früher freilich , wo unfer Vaterland neift Berbrecher, Abenteurer ud Men fchen der ungebildetſten Staffe nach Amerika fchidte, wer fonnte es den Eingebornen werdenfen, wenn ſie mit Hohnt ja mit Haß auf dieſe Eindringlinge herabſahen ? Aber gerade in den legten zehn Jahren haben fich deutſche Bildung, deutſche Sitten und deutſche Induſtrie in hohem Grade geltend gemacht, die Deutſchen genießen ungleich mehr Achtung als früher und mehr ale andre eingewan berte Nationen , Engländer, Franzoſen , Srländer und Staliener. Es iſt doch gewiß cin deutlicher Beweis von Einfluß, wenn ein Volt die Sitten de andern annimmt. Wie ich es ſpäter noch mehr beweiſen werde , ſo iſt es Der Amerikaner New - York's feiert feine hier der Fau . Weihnacht mehr , wenn er nicht ſeinen Chriſtbaum hat, und unter beſſen luftigem Glanze die Kinder ihre Weihe Faft aus allen Läden des nachtsgeſchenfe erbliden . Broadway '& ſtrömt ein flimmerndes Lichtmeer, von herr lich ausgepußten Chriſtbäumen ausfließend , und ſelbſt der Chineſe macht die Mode mit, indem er auf ſeinem ärmlichen Rrame ein verfrüppeltes Cederbäumchen oder einen Fichtenzweig mit einigen lichtſtümpfchen illuminirt. -

28 Unter dem Gebränge des Chriſtmarftes fuchte ich mit Lebensgefahr, an Bord unfres Dampfers zu gelangen, der mittlerweile die Zwiſchendeckspafſagiere ausgeſchifft hatte und an ſeinem Bier im Nordfluſſe lag. Es war mir nicht ſchwer, mein Gepäck unter der geringen Anzahl Colli , der erften Cajüte herauszufinden , der Zollbeamte war in feiner Unterſuchung ſehr rücfichtsvoll, paffirte eine kleine Partie Waare ale ,, Muſter " und ſteckte faltblütig einen halben Dollar ein, der meiner Börſe entfallen war , Eine Kiſte aber fehlte. Sie war ſchlechterbings nicht aufzufinden , gleichwohl verzeichnet und mußte demnach in Caftle- Garben , dem Einwandrerbüreau ausgeſchifft ſein . Auf Nachfrage war ſie dort ebenfalls nicht zu finden , ich verfügte mich deingemäß ſelbſt dahin. Eine Rotte vers wogener Geſellen , bereit die „ Grünen “ auszuziehen , um lagerte den Eingang. Auf mehrmaliges Schellen erlangte ich Eintritt. Durch einen zirfelrunden Vorhof in welchem das ſchneckenhausartige Gebäude liegt, gelangte ich in deſſen Inneres. Ich befand mich in einem großen runden Saale , an deſſen Wänden ſechs bis acht Reiben Siße amphitheatraliſch errichtet waren . Das Licht fiel durch eine Kuppel herein und beleuchtete grell einen vieredigen Verſchlag in der Mitte des Saales, bas Büreau zu engl. die Office, wo den Einwanderen Ausfunft ertheilt und Eiſenbahnbillets in's Innere verkauft werden. Es kommen hierbei auch Uebervortheilungen vor , aber doch nicht in bem Maaße wie braußen und immer nur privilegirte ! Die Geſellſchaft heißt die deutſcher foll aber nicht immer auf deutſche Art geleitet werden , weshalb , denn die Betheiligung eine ſehr laue iſt, und eine Generalverſamm lung im Jahre 57 breimal verſchoben werden mußte, weil keine beſchlußfähige Verſammlung zu Stande gebracht werden konnte ! — 3d wandte mich an den vieredigen Verſchlag und eine ſchnarrende Stimme verwies mich an ben Pafmeiſter , den ich in einer Vorhalle fand , froh einen ſo dumpfen , mit allen möglichen Gerüchen anges füllten Raum verlaffen zu fönnen . Der Backmeiſter wollte nichts von meiner Riſte wiſſen , die Nachforſchungen er: ſchienen mir aber ſo nachläſſig, daß ich felbft um mich ſchaute, was ihm einiges Unbehagen verurſachen mochte,

29 benn als ich einem offnen , mit Koffern und Laben aller Art gefüllten Raume zuſchritt, rief er mir entſchieden zu : „ Nicht dahinein , find Alles gech edte Güter“; (das heißt für die Eiſenbahn martirte). Ich ließ mich aber , durch fein iriſches Rauberwälſch nicht abhalten , und ehe er es verhindern konnte, war ich eingetreten . Hinter der Thür ſtand meine Rifte in jämmerlich zerſchlagenem Zuſtand, eine willkommene Beute dieſer Landhaifiſche. Sie ſchienen auch gar nicht gewilt, ſich dieſelbe entreißen zu laſſen , denn es bedurfte energiſcher Schritte, mir einen Kärrner und eine Ausgangsmarfe (ebenfalls . ein , ched " ) zu ver ſchaffen. Ich prieš mich glüdlich als bei der Unterſuchung nur ein halbes Mille zum Privatgebrauch mitgenommene Cigarren fehlten . - So war ich denn mit Sac und Pad auf amerikaniſchem Boden gelandet. Das theure Hôtelleben konnte ich natürlich nicht lange fortführen, denn troß des feſten Preiſes, nämlich 2 % Dollars für Tag, wofür man Wohnung und vollſtändige Koft hat , betrug die Zeche in ſechs Tagen 24 Dollar, was mich ſofort veranlaßte dem Wirth meinen Dank für ſeine freundliche Aufnahme zu zollen , ' dem Kellner den Em pfang eines Trinkgeldes zu erlaſſen und mich ſelbſt in die poetiſche weniger koſtſpielige Tiefe des Alltagslebens zu verſenfen . Ehe ich den Leſer dahin mitnehme und meine bereits begonnene Schilderung des Lebens und Treibens in der Rieſenſtadt fortführe , will ich ihm eine möglichſt kurzweilige Anſicht des anſcheinend eintönigen Häufermee res geben und ihn auf die Höhen und Punkte führen von wo herab man eins der großartigſten Panoramas der Welt erblidt. Er folge mir zu dieſem Zwede in's nächſte Kapitel.

3. New - York wie es iſt.

Seine Umgebungen .

Wenn der Leſer einen Blic auf irgend einen Plan der Stadt New York, wie ſolche fich in allen größern Atlan ten finden, werfen will, ſo wird er ſich überzeugen, daß dieſe Stadt , für den Verkehr zu Waſſer ganz beſonders

om

30 günftig liegt. Sit tiegt auch wirklich auf einer Infel, denn die Landzunge iſt im Norden durch einen kleinen Fluß, den barlemfluß vom Feftlanbe getrennt. Linfo, das heißt weſtlich, wälät der Hudſonfluß bein Meere feine Wogen zu. Dieſer ftattliche Strom erreicht bei New - Yort eine Breite von 2 % engl. Meile , und befißt dort eine ſo gleichunäßige Tiefe, daß die größten See ſchiffe, bis zu 21 engl. Fuß Tiefgang bis dicht an die Stadt heranfommen können . Redts , alſo im Dſten ,, befindet ſich der Sund, welcher ſich an der Südſpiße New - Nort's mit dem Hudſon vereinigt und nach Nords often zu ſich über 100 Meilen längſt der Küſte der langen Inſel hinzieht , bis er ſich endlich wieder mit dem atlan tiſchen Dean vereinigt. Der Sund iſt ebenfalls für die größten Seeſchiffe zugänglich , aber nur vom Hudſon aus, denn der Zugang von Norden iſt durch gefährliche Klippen verbarricadirt , die am obern Ende der Stadt, nur eine ganz fdhmale Straße frei laſſen . Dieſe gefährliche Stelle heißt das Teufelsthor. Hudſon und Sund bilden alſo ein Halsband , das für New -York ebenſo werthvoll iſt, als wenn es aus puren Perlen beſtünde. Sämmt fiche Querſtraßen New Yorf 8 (aufen in geraber Linie dem einen oder dem andern Fluſſe zu, und am Fuße einer jeden Straße befindet ſich eine große, auf dicken hölzernen Pfeilern ruhende Landungsbrücke , Pier genannt. Diefe Piers reichen oft mehrere hundert Fuß in das Waſſer hinein, ſind nummerirt und werden den Schiffseigenthümern von der Stadt verpachtet. Im Sunde legen die großen Oſtindienfahrer, die Klipper (dies find beſonders zum Schnellſegeln gebaute Schiffe) welde nach Südamerika, Californien , Auſtralien ſegeln und endlich die Productens ſchiffe an , welche aus dem Süden Baumwolle , Zucker, Syrup , Tabaf u . i. w . bringen . Im Hudſonfluſſe das gegen treffen wir hauptſächlich die großen Seedampfer aller Nationen und außerdem europäiſche Schiffe, welche in der Regel Manufacturwaaren geladen haben . Ebenſo wie der Straßenverfehr fich im ſüdlichen Ende der Stadt ( down town ) concentrirt, ſo iſt dies auch mit dem Schiffsverkehr der Fall. Die Piers in beiden Flüffen bis auf

eine Meile

aufwärts wimmeln

förmlich

von

31

Während die Seeungehouer ihre Fahrzeugen jeder Art. Maften ernſt gen Himmel erheben , bewegt ſich zwiſchen und vor ihnen ein Wespenſchwarm 'von Schleppdampfern , Leichterkähnen , Marft-, Fiſch-, Auftern- und Lootfens booten mit einer folchen Haft durcheinander , daß der Neuling nicht begreifen kann, wie ſie alle ohne Schaden daraus hervorgehen . Es iſt ein prächtiger Anblick, den das ſtolze Gewäſſer bietet , mit all feinem Leben , mit all feiner Geſchäftigkeit. Man fteht z. B. auf einem Uebers Fahrtødampfer, einem fogenannten Ferryboot, es iſt 6 Uhr Abends und die Strahlen der fich neigenden Sonne vers golden die unzähligen Fenſter der Häuſer am Strande, und fpiegeln ſich in den hüpfenden Wellen des Hudſon's . Mit dem Schlag ber Glocke läßt fich ein hundertfaches ſchrillcs Pfeifen vernehmen . Die Schiffe machen Feier abend. Die kleinen raſtlos auf dem Strome umherirrenden Schleppdampfer waren Ueberal und Nirgends , kehren in ihre Schlupſwinkel zurück und wo ſich zwei dieſer luſtigen Kumpane zufällig auf dein gleichen Wege finden , da geht's gleich an ein Wettrennen bis Reiner mehr Athem hat. Gelingt es einem , den andern auszuſtechen , da läßt er ein helles Pfeifen erſchallen , daß es den Andern ärgert und er ſich ſchleunigſt hinter einem großen Seedampfer perfriecht. Um dieſelbe Stunde wird es in der Nähe von Caſtle -Garden lebendig. Glockenruf tönt von vielen Piers her, ein Brauſen läßt fic vernehmen , als ob der Sturm wind im Anzug rei, endlich unterſcheidet man taktmäßigen Schaufelſchlag und an 10 Piers zugleich werden die weißen ſcharfzugehenden Schnabel der rieſigen Flußdampfer fichtbar , welche täglich den Hudſon und den Sund bes . fahren . Schlank wie der Aal, weiß wie die Möve und flüchtig wie die Schwalbe ſind dieſe Könige der Flüſſe, von Außen ebenſo zierlich als im Innern praktiſch und elegant. Sie haben alle den Balancier der Maſchine auf Deck, auf einem beſondern hohen Gerüſte. Dies feßt ſie in den Stand , Näder zu bewegen , welche oft mehrere Ellen über das oberfte Verdeck hinausragen , und die enorme Geſchwindigkeit von 20 ja 23 engl. Meilen in der Stunde zu erreichen . In furzen Sdywenfungen um fchiffen ſie die Battery (Südſpite von New - York) oder

32 fte ſenfen rechts ab und fahren den Hudſon hinauf. An Schnelligkeit kann es mit ihnen fein Fahrzeug aufnehmen und wer fte einmal im Innern geſehen hat, der wird fte Luftig mit Recht ſchwimmende Paläſte nennen . flattert das Sternenbanner am Steuer und das blaue Wimpel am Bug , der Balancier ſpaziert im Takte auf und nieder und die beiden Schornſteine auf dem Vorbers bed betrachten mißtrauiſch feine Bewegungen . Welchen Contraſt bildet jener didbauchige Flußs Schraubendampfer, welcher fich vergebens abmüht, es ſeinen Collegen gleich zu thun. Wie ein dider Herr, der feine leichtfüßige Geſellſchaft beim beſten Willen nicht ein holen kann , ſo ſtöhnt und ächzt er. Schußbalken hängen zu beiden Seiten in'8 Waſſer , ben ſchlaff herabhängenden Armen eines ermatteten Wanderers nicht unähnlich. Der Bug ragt über den Waſſerſpiegel empor, während das Hintertheil bedeutend eingeſunken iſt und die Schraube darunter ſprudelt wie Einer , der dem Ertrinfen nahe ift und ſchon Waſſer geſchluckt hat. Dieſe Art Dampfer befördern nur Güter und Producte und find zugleich zur Kanalſchifffahrt eingerichtet. Ehe wir den Fluß verlaſſen und einen Gang durch die Stadt machen , laſſen wir unſern Blick noch eine Weile auf einem anmuthig ges formten Fahrzeug ruhen , deſſen Segel ausgeſpannt ſind, wie die Flügel eines Schwanes ; das ſich jeßt flach auf die Seite "legt und in den ſmaragdenen Wellen unterzus tauchen ſcheint, gleich darauf aber wieder emporſchnellt, fich ſtolz aufrichtet und mit Bligesſchnelle an uns vorübers ſchießt. Dies Prachtmodell iſt eine amerikaniſche Yacht, cin's jener foftſpieligen Spielzeuge, wie ſie in der faſhio nablen Welt nun einmal nicht fehlen dürfen . 68 foften dieſe Fahrzeuge oft ganz enorine Summen zu bauen und zu unterhalten. Ein's derſelben , die „ Maria , “ wird auf 20,000 Dollars veranſchlagt. Sie find aber auch der Stolz, nicht allein ihrer Beſiger , ſondern der ganzen Nation und die Engländer ärgern ſich im Augemeinen nicht wenig , daß ihnen die Amerifaner auch in dieſer eleganten Spielerei den Rang abgelaufen haben. – Doch ich betrete wieder das feſte Land und ſuche den Leſer etwas mit der Stadt felbft bekannt zu machen . Sie iſt mit Recht

33

tine Riefenſtadt zu nennen. Nach dem über den Hafen Geſagten liegt der Grund ihrer Größe auf der Hand. Der Handel allein hat New -York in ſo unglaublich kurzer Zeit zu dem gemacht, was es iſt. Vermöge ſeiner Lage ift es eine Weltſtadt geworden, in welcher ſich nicht allein die Fäden des amerikaniſchen Handels , ſondern auch zum großen Theil die des europäiſchen und der andren Erd theile vereinigen. Es iſt erſtaunenswerth , wie die Be völkerung New - York's gewachſen iſt ! In noch nicht ganz 70 Jahren hat ſie fich um das Vierzigfache vermehrt, in 20 Jahren (ſeit 1840) mehr als verdoppelt und beträgt gegenwärtig in runden Zahlen 800,000 , mit den Vors ftädten 1 %. Million ! Natürlich müſſen in einer ſo großen Stadt auch die öffentlichen Anlagen großartig ſein . Ich habe ſchon des impoſanten Broadway erwähnt, welcher die Stadt in ihrer ganzen Länge durchſchneidet und unten bei Caftle-Garden , an der Battery feinen Anfang nimmt. Er iſt an ſeiner breiteſten Stelle 80 engl. Fuß breit, und wer nun erwägt, daß dieſer Raum, den man zur beſſern Ver anſchaulichung leicht abſtecken kann, mindeſtens eine Stunde weit von Fuhrwerken und Menſchen aller Art wimmelt, der kann ſich leicht denken , daß ſein erſter Anblid einen förmlich betäubenden Eindruck hervorbringt. - Broadway iſt das Herz New - York's , álle andern Straßen gehen von ihm aus, münden in ihn ein , oder haben doch im Vergleich mit ihm wenig Bedeutung. Nur eine Straße macht ihm gewiſſermaßen Concurrenz, aber eine ſolche, auf die der ftolze Broadway mit mitleidigem Lächeln Herabblickt. Dies iſt die Bowery, ebenfalls von Broadway aus - und etwa 12 Meile paralel mit dieſem laufend. Was Broadway für den Verkehr im Großen , für den Geldbeutel der' Reichen , das iſt die Bowery für den Kleinhandel, für die beſcheidene Börſe, der demi monde. Und wirklich kauft man hier genau um die Hälfte , ohne daß der eingekaufte Gegenſtand deshalb nur halb ſo gut wäre , aber es iſt eben nicht Broadway. So geſchraubt die Miethen in jener Hauptſtraße, ſo mäßig find fie hier, denn während man dort 5-6 Tauſend Dollars für einen Laden bezahlt, hat man ihn hier für eben ſo viel Hun derte. Bowery iſt der Broadway der niederen Klaſſen. 3

34 In jenem läßt fid der Bemittelte burd einen Dmnibus nach den prächtigen Gebäuden der 5. Avenue, ber 10 , 12. Straße fahren und bezahlt 6 Cents (ber Cent iſt etwa 4 Pfenn .) hier nimmt der Arbeiter, das Nähmädchen, in einem beftaubten Omnibus oder einem Wagen der Pferdeeiſenbahn Plaß, um ſich bis nach der 40., 50 Straße fahren zu laſſen und entrichtet 4 , höchſtens 5 Cents . Dort brüſten ſich ſtolze Marmorhotels neben Eiſenpaläften , hier ſteht nur hier und da ein ſchönes Gebäude zwiſchen vielen kleinen Holzbarrafen , mit Firmen , die größer find als ein Geſchoß. Dort logirt man für 2 % , 3 Dollars per Tag, hier für 1 Dollar, Dort beträgt das Entrée zu einem Schauſpiel 1 Dollar, hier 25 Cents. – Ich will dieſen Unterſchied hier nur angedeutet haben und werde ſpäter wieder darauf zu ſprechen kommen, ſo viel fei indeß geſagt, daß New - York neben ſeiner Ariſtokratie auch ein großes Proletariat hat , neben Straßen und Stadttheilen, die an lurus und Schönheit unübertrefflich daſtehen , fich andere hinziehen , welche dem Verfallen nahe find und in denen das Elend , wie der Rummer zu Hauſe ift. Ich habe oben nummerirte Straßen erwähnt, was für den Deutſchen allerdings etwas ſeltſam klingen mag . Es iſt dies aber eine äußerſt praktiſche Einrichtung. Wer kann in einer ſo großen Stadt die unendliche Zahl oft ganz ähnlich klingender Straßennamen inne behalten , und zu welchen Irrthümern giebt nicht oft ein ſchlecht geſchries bener Straßenname Anlaß. Bei nummerirten Straßen fällt dies weg , denn 6 von 7 , 5 von 4 fann Jeder unterſcheiden , und es iſt außerdem klar, daß nach der 8. gleich die 9. Straße kommen muß, man kann fich alſo auch leichter orientiren . In der alten Stadt, alfo dem untern Theil derfelben, iſt dies Syſtem nicht befolgt, denn man hatte jedenfalls keine Ahnung , daß ſie den Leuten ter anfing, ſelbſt über den Kopf wachſen werde, ſowie fie .uch Bruder jene rieſenhafte Ausdehnung anzunehmen , on Jonathan mit ſeinen practiſden Ideen bei der Hand. Etwa eine kleine Stunde von der Battery beginnen bie nummerirten Straßen , welche bon nun ab fchnurſtrado von einem Ufer der Inſel bis zum andern laufen , alſo vom Hudſon (gewöhnlich Northriver, Nordfluß genannt)

35 bis zum Sund (Eaſtriver , Dſtfluß .) Dieſe Querſtraßen, deren bis ießt 129 angelegt find, werden von ſogenanntent Uvenues burchſchnitten , welche ebenfalls ſchnurgerade die Inſel in ihrer Länge durchſchneiden . Welche Schwies rigkeit hat es alſo für den , der nur einigermaßen mit der Lage New York'e vertraut iſt , ein Haus in der 46 . Straße zwiſchen der 3. und 4. Avenne zu finden ? Hierbei kommt Einem noch die Einrichtung zu ſtatten , daß, vom Anfang einer Straße ausgebend , fich alle geraden Haus nummern , alſo 2 , 4 , 6 u. f. w . auf der reten , die ungeraden auf der linken Seite befinden. Wer dies weiß, und demzufolge das New Yorker Abreßbuch zu befragen verſteht, kann , fei es nun zu Fuß oder im Omnibus , to ficher auf das geſuchte Haus zufteuern , als ob er ſchon Daß hier bes Jahre da aus- und eingegangen wäre. ſprochene Syſtem iſt in allen Städten Nordamerika's wiederzufinden. - Die Omnibuſſe haben in New - York nicht genügt , die Entfernungen zu verkürzen. Schon jeßt giebt es vier Pferdeeiſenbahnen und auch Broadway wird wohl über furz oder lang Schienen erhalten, obgleich fich der Stolz des eingebornen New - Yorker immer noch bage geh geſträubt hat, feine größte und ſchönſte Straße auf dieſe Weiſe verunſtaltet zu ſehen . Ich will nicht jene großen , oft Bewunderung ein floßenden Gebäude aufzählen , an denen New York fo reich iſt , fie laſſen ſich , vorzüglich ſeit den legten Jahren, zu Dußenden nennen und ich werde ſpäter Gelegenheit haben , ihrer zu gebenfen . Ich will nur einige anführen , vor Adem die Cityhall, d. i. Stadthaus. Sie liegt in ber untern Stadt, auf dem einzigen freien Plaße derſelben , ſchlechtweg der Park genannt. És imponirt dies Gebäube mehr durch ſeine ſchöne Lage , als durch ſeine Größe und feinen Bauſtyl. Auf dem flachen Dache erhebt fich ein Ichmuces Thürmchen mit einer Kuppel , auf welcher Juſtitia in Lebensgröße thront. Es befindet fich in dem Thurme außer dem Uhrwerk die große Glocke, mit welcher der Feuerruf gegeben wird und welche allabendlich, von einem Kanonenſchuß begleitet, die neunte Stunde in die Stadt ruft. Die Cityhal iſt von weißem Marmor gebaut, ebenſo

36 das Zolhaus, welches indeß zwiſchen unanſehnlichen Ges bäuden eingezwängt liegt. Impoſant iſt die Halle im Innern des Gebäudes , welche in einer Kuppel endigt und nicht weniger als 90 Fuß hoch iſt. In dieſer Hale werden ſämmtliche Waaren entrirt, das heißt die Declas rationen eingereicht und die Facturen beſchworen. Zwei Reihen ſchwörender Kaufleute ſtehen vom Morgen bis zum Schluß der Geſchäfte (um 3 Uhr ) vor den Pulten der Beamten aufgeſtellt und die Zouhausmakler haben die Gewohnheit angenommen , hier und da ihre jüngeren Gehülfen in die Reihe der Harrenden einzuſchieben , damit ſte oder ihre Clienten nöthigenfalls immer gleich zum Schwure gelangen können. Die Abnahme des Eides ges ſchieht auf eine ſo fabrikmäßige Weiſe, daß man eher glaubt, der betreffende Beamte gebe einen Bericht über Baumwolle , Zucker oder Kaffee. Die nöthigen Papiere in der Hand tritt man vor den nußbraunen Verſchlag, hinter welchem , durch einen grünen Vorhang halb verſteckt, ein pergamentnes Männlein mit einer goldnen Brille und einem verſchmißten Geſicht vor einem mächtigen Pulte hodt. Er nimmt die Papiere, ſieht ſie durch und verſteht fite mit ſeiner Unterſchrift. Hierauf ſchiebt er die Brille in die Höhe , fteht uns blinzelnd von der Seite an und ſpricht mit einer näſelnden Stimme: „ Nehmen Sie Ihren Hut ab , Sir.“ Dies erfolgt und nun beginnt das Männlein eine Eidesformel abzuleiern, von der man in ben meiſten Fällen nicht mehr verſteht, als : ,, Sie ſchwören , daß _. " Sobald er inne hält, ſagt man : „ Yes , Sir, ja , Herr , " hierauf hält er uns ein etwas antifes Buch unter die Naſe mit den Worten : ,, Rüſſen Sie die Bibel. “ Auch dies geſchieht im gelindeften Maaße und der Eid ift geleiſtet. Ich geſtehe, daß mich dieſe leichte Art, einen in ſeinen Folgen ſo wichtigen Akt zu volbringen, anfangs ſehr verlebt hat , wenn man aber Jahre lang mit dem Strome ſchwimmen muß , ſo werden die gefühlvollen Seiten eines Menſchen nachgerade abgeſtumpft und es gehört wirklich der Gegenjaß dazu , um Einem dergleichen Eigenthümlichkeiten des fremden Lebens in's Gedächtniß zurüczurufen . - Im Zolhaus werden außerdein Schiffe aus - und einflarirt (b. i. mit Ausgangsſcheinen verſehen

37 u. f.w.) und der Zoll entrichtet, legterer nur in Gold. Von Gebäuden ſind noch die Börſe und die Juftižhalle er wähnenswerth, beide aus lichtgrauem polirten Granit, les tere in ägyptiſchem , erſtere in forinthiſchem Style aufgeführt. Der Cryſtallpalaſt , vor wenig Jahren erſt mit ſo großen Roſten aufgebaut, wurde im Jahre 1858 ein Raub der Flammen . Ich war felbft noch am Tage des Brandes in ſeinem Innern geweſen , denn man hatte eben eine Ausſtellung eröffnet und es befanden ſich beim Aus bruch des Feuers etwa 20,000 Menſchen in dem Gebäude, von denen indeß Niemand verunglücte, als Einer , der durch die Glastafeln ſprang. Mit einem Gefühl der Wehmuth ſah ich die Rieſenfuppel dieſes Kunſtwerkes in den ſchwefelgelben Rauchwolfen verſchwinden. Sie hatte ſo lange wie ein treuer Vorpoſten über New -York gewacht, die Strahlen der Abend- und Morgenſonne hatten fich fo oft in ihr geſpiegelt, fte hatte Jahre lang im Hinters grunde des Häuſermeeres gethront und erſchien mit den beiden rieſigen Seitenflügeln wie eine Henne , die ihre Fittige über ihre Küchlein ausbreitet. Ich glaube es ging allen New Yorkern ſo , nur denen nicht, die durch den Brand einen Nußen zu haben vermeinten. Warum ſoll man nicht einen Cryſtalpalaſt wegfeuern und 20,000 Menſchen in Gefahr bringen , wenn das eigne Haus das durch im Preiſe ſteigen könnte ! Die Brandſtätte iſt ſeitdem nicht wieder benußt worden. - Gleich hinter ihr erhebt ſich ein coloſſales Mauerwerf, einer Feſtung nicht un ähnlich. Dies iſt das Waſſerreſervoir , Waſſerbes hälter) welches New - York, die ganze Stadt, mit Trink waſſerverſorgt. Es iſt keine Kleinigkeit, den Waffer lieferanten für 800,000 Menſchen zu machen , und wenn nur Jeder eine Kanne täglich brauchen ſollte. So aber braucht man das Trinkwaſſer in New York noch zu un zählig andern Zwecken. Man neßt die Straßen damit, man ſpült die Kloafen und Abtritte damit , man löſcht die Feuersbrünſte, treibt Waſſerkünfte damit und behält noch ſo viel übrig , daß man die Schiffe verproviantiren kann. Freilich iſt auch ein ganzer Fluß zu dieſem Behufe 30 Meilen weit hergeleitet worden, theils in gemauerten Sanälen , theils in gußeiſernen Aquaducten und mündet

38 in das obenerwähnte Refervoir , wo er in 2 Baffins fiches abklärt, und dann in die gußeiſernen Röhren tritt, welche in der Mitte der Straßen neben den Gasröhren hinfaufen , fich dann verzweigen und bis in die dritte Étage der Häuſer emporftcigen . An den Straßeneden find gußeiſerne Hydranten (Standrohre) angebracht, aus denen man vera mittelſt Gummiſchläuche die Straße negt , und an welche bei Feucrsgefahr die Schläuche zur Sprißenfüllung anges ſchraubt werden. Die Stadt New York hat nicht weniger als 12 Millionen Dollars für dieſe Einrichtung bezahlt, und von welcher Wichtigkeit ſie für die Einwohner iſt, beweiſt das augenblidliche Elend , wenn einmal eine Hauptröhre gea Erſteres plaßt oder eine Nebenröhre eingefroren ift. war einmal vor nicht gar zu langer Zeit der Fall. Eine ber beiden Hauptröhren , welche das Waſſer zunächft in die Stadt Leiten , war von der Laft des Erdreiche zerdrüdt worden . So blieb denn plößlich das flüſſtge Element, in taufend Häufern weg und halb New - York rang vera zweiflungsvoll die Hände. Die wenigen , von früher her unverſchüttet gebliebenen Brunnen gewannen plößlich einen uns geheuern Werth in den Augen derer, die bisher höchftens die Wagenräder aus ihrer Tiefe abgeſpült hatten. Man zankte , ftritt und ſchlug fich um das harte, ſehr falzig und bitter ſchmecenbe Waſſer. Die Brunnen glichen hart bedrängten Eitabellen . Irlander, Deutſche, Neger, meiſtens Weiber umſtanden zu Dußenden die Segen ſpendende Quelle. Die Weiber trugen Rannen , Eimer, Wannen , die Kinder bilbeten die Referve und waren mit Töpfen , Schüſſeln und kleinem Geſchirr aller Art bewaffnet. Auch Speculanten mit rieſigen Fäſſern und Bottichen ſtellten ſich ein und hatten gewiß gern das Ganze für ſich allein in Beſchlag genommen , wenn nicht endlich die Polizei etwas Ordnung in dieſes Treiben gebracht hätte . ÉS wurde nun , wie auf den Poſten , dem Zollhaus, eine Reihe gebildet, und wer ein Gefäß gefüllt hatte, mußte fich wieder hinten anſtellen. Am ſchlechteſten famen die Speculanten dabei weg, denn auch fte durften nur Eimer weiſe ihre Magazine füllen , undda ihnen dies zu lange dauerte , ſo zogen ſie bald fluchend und unter dem Ge

39 låthter der Menge von dannen . Andere die fo galant geivefen waren, den ,,Labies " die Eimer voll zu plumpen, wurden nicht nur durch dankbare Blide, ſondern auch wohl durch die Hälfte des eroberten Gutes belohnt , und Bridget that es ihrem Ritter ſchon zu liebe die andere Hälfte nachzuholen. Als endlich nach mehreren Tagen aus den geöffneten Hähnen wieder Waſſer floß, da herrſchte Freude und Jubel in den früher trocken gelegten Häuſern und die New Yorker konnten ſagen , wie der Bergmann zur Sonne : der ſchäßet Deine Strahlen nicht, der täglich fie genießt. Idh glaube unſre gebirgiſchen Hausfrauen werden mit Stolz auf ihren alten bewährten Waſſertrog bliden , ber ſie noch nicht in die Verlegenheit gefeßt hat wie Jene das New Yorker Reſervoir. Man hat von dieſem Bauwerk aus, eine ganz reizende Ausſicht über die Stadt und die beiden Flüfie , denn der Kranz ber Mauer iſt mit einem Geländer" verſehen und wer ſonſt nicht Luft hat aus der Stadt zu gehen , der kann fich wohl einbilden , er ftehe hier oben auf einem iſolirten Bergfegel oder auf einem ſchroffen Felſen. Das Auge vermag faum die endloſe Menge der vor ihm ausgebreis teten Paläſte, Häuſer und Hütten zu faſſen; ſie ſehen übrigens von Oben herab ziemlich egal aus , denn ein flaches, braun gefirniſtes Dach und ſehr viel Schornſteine haben ſie alle mit einander gemein. In der untern Stadt ragen nur wenig Thürme über den Häuſern empor , denn wo das Geſchäft und der Egoismus zu Hauſe ift, da paßt die Kirche nicht hinein , in der oberen Stadt aber, laffen ſich wohl etliche ftebenzig Spißen zählen , Spißen eigentlich nicht immer, denn es ſcheint zur amerif. Kirchens baumarime zu gehören , daß die Caſſe leer wird ſobald der Thurm , oder gewöhnlich zwei , die Höhe des Daches erreicht haben. Richt ſelten wird auch einer eine Elle weiter gebaut, als der andere, dann bedacht man ſie intes rimiſtiſch und vertagt den Bau sine die , ich habe wenig ftens noch nicht geſehen , daß ein ſolcher Thurm ſpäter fertig geworden wäre. Die Kirchen gehören übrigens in ein ſpäteres Kapitel und ich wil 'mich hier mit den Thürmen begnügen . Ich werde von meinem luftigen Standpunkte aus , ben

1

40

Leſer nur noch etwas mit der Nachbarſchaft bekannt machen . Links bort über dem Waſſer , welches wie ein Silberband New - York umſchlingt, liegt Brooklyn, eine Vorſtadt New - Yorfs mit etwa 200,000 Einwohnern . Sie hat zwar , ihre eigne Verwaltung, ihre Intereſſen find aber ſo eng mit denen New - Yorf's verwoben , daß man ſchon öfters damit umgegangen iſt, die Adminis ftrationen zu vereinigen , und es wird ſpäter gewiß auch In Brooklyn , befinden ſich haupts einmal geſchehen . fächlich die Lagerhäuſer für Producte aus dem Süden . Seine Bevölkerung beſteht zum großen Theil aus News Yorker Kaufleuten und Irländern. Die ,,Lange Inſel " auf welcher Brooklyn liegt gehört zum Staate News York , ſie iſt äußerſt fruchtbar , und liefert faſt auss ſchließlich was die New - Yorker Rüche an Gemüſen aller Art bedarf. Die Eiſenbahn , auf welcher man dieſe Erzeugniſſe herbeiſchafft , mündet in Brooklyn . Dieſe Stadt iſt an ſchönen Gebäuden durchaus nicht arm und repräſenrirt ſich äußerſt vortheilhaft, da ſie teraſſenförmig anſteigt. Die Cityhall . erinnert an die zu New York. Vor einigen Jahren iſt die neue Waſſerleitung fertig geworden , welche nach dem Muſter der New - Yorker mehrere Meilen aus dem Innern das Waſſer herholt . – Pferdeeiſenbahnen und Omnibuslinien durchfreuzen die Stadt und enden zum großen Theil in dem dicht an Brooklyn beginnenden Williamsburgh, ebenfalls eine Stadt von nahe an 100,000 Einwohnern, wovon ein bedeutender Theil Deutſche. - Williamsburgh iſt von großer Bedeutung , nicht für New York allein , ſondern für die Vereinigten Staaten . Längs des Ufers ziehen ſich Schiffsbauwerften hin und es vergeht keine Woche, wo nicht ein ſtolzer Klipper , ein kleiner, ſcharf gebauter Seebampfer oder ein leichter Schooner von Stapel gelaſſen wird. Williamsburgh felbſt liefert für die Dampfer Maſchinen bis über 1000 Pferdefräfte. In einer Bucht am nordweſtlichen Ende der Stadt, bes findet ſich die' Navy -yard , b . í. die Marinewerfte. Die größten Kriegsſchiffe werden dort gebaut und eine Flotte hat Plaß zum Ankerwerfen. Das größte Dock iſt aus Granitquadern gebaut. Ich ſelbſt ſah, wie die „, Niagara ",

41 die größte amerikaniſche Fregatte, welche eben bei der Verfenkung des atlantiſchen Telegraphentaues mit thätig geweſen war, mit der größten Leichtigkeit in das Dock gehoben wurde und bald behufs Ausbeſſerung auf trocknem Boden ſtand. Was weiter nördlich am Strande liegt , find nur kleine Ortſchaften , einige beſigen Fabriken , andere werden von den New - Yorkern zum Sommeraufenthalt gewählt. Dagegen bieten fich rechts alſo weſtlich von New - York noch zwei anſehnliche Flecken dem Auge bar. Der ſüds liché ift Jerſey - City , die Hauptſtadt des Staates Der Jerſey mit etwa 30,000 Einwohnern. New Hudſon bildet nämlich die Grenze zwiſchen den beiden New - Jerſey und New - York, und erſt 30 Staaten Meilen nördlich von der Stadt New - York ſpringt die Grenze dieſes Staates wieder über den Hudſon hin über. Die Einwohner von New Jerſey und Hobofen (welches 1 engl. Meile weiter aufwärts liegt) müſſen alſo, fo oft ſie nach New - York kommen , und dies geſchieht bei der Mehrzahl täglich, denn beides ſind coch nur Vor ftädte , aus einem Staat, in den andern fahren ; - daß fie dabei eines Paſſes nicht bedürfen , brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Jerſey - City wird meiſt von armen Leuten bewohnt , und die Stadt bietet auch nicht viel Anziehendes , einige Raſtanienalleen etwa ausgenommen . Sie liegt ganz flach und mit dem Hudſon faſt auf gleichem Niveau , iſt daher auch immer feucht und ungeſund. Vor der Stadt lagert eine ganze Flotille von kleinen Flußſchoonern , und das hinter gufen die geſchwärzten Schornſteine und die ſchmußis Es herrſcht gleichwohl gen Häuſer mürriſch hervor. ein reger Verkehr in Jerſey - City), da ſich hier der Bahna hof für Philadelphia befindet, ebenſo wie der Landungs Wie freundlich plaß der Liverpooler Poſtdampfer. nimmt fich neben dieſem ſchwarzen Geſellen Hoboken aus , ein Städtchen von 10,000 Einwohnern , von dem vor zehn Jahren wenig mehr , als der Name eriftirte. Die natürliche Lage Hoboken's iſt wenig beſſer als die von Jerſey - City , man hat aber durch Auffüllung ſchon viel bewirft und ſtrebt danach, den im Hintergrunde gelegenen Sumpf , welcher 1 Meile breit und 2 Meilen lang iſt,

42 ganz troden zu legen . Während der Ebbe ift er e$ aud ſchon , die Fluth führt aber immer neues Waffer zu. Eine gleichmäßig hohe Hügelkette betränzt den Sumpf und bietet einen prächtigen Spaziergang . Hoboken ift gegenwärtig das Schooßkind der New Yorker geworden und wirklich vereinigen fich Natur und Kunſt , es zu einem höchft angenehmen Aufenthaltsort zu geſtalten . Die Häuſer ſind elegant , wenn auch etwas leicht gebaut, die Straßen breit und von diden Kaſtanien beſchattet, die nächſten Umgebungen reizenb. Die Einwohnerſchaft beſteht ausſchließlich aus New - Yorfer Geſchäftsleuten, die zu zwei Drittheil Deutſche ſind. Ich darf dem Leſer ſagen, daß auch ich ſchon nach acht Sagen meines Aufen haltes in Amerifa zu den Bewohnern Hobokens gehörte und werde mich beſtreben ihm im nächſten Abſchnitt ein treues Bild des Lebens in einem Boarding - Hauſe zu geben, von denen Hoboken eine wahre Muſterkarte befißt. 4. Das Leben in den Boarding-hä uſern . Ein Boarding - Haus iſt ein Kofthaus. Man wird aber unter den Deutſchen Amerika's niemals die leştere Bezeichnung, ſondern immer die engliſch - Deutſche Zuſams menſtellung hören. Dieſe klingt aber in dieſem Falle genau wie das rein engliſche Wort boardinghouse. Den engliſchen Zeitwörtern gewöhnt ſich der Deutſche gern , die deutſche Endung anzuhången, und ſo hören wir gleich bei der erſten Bekanntſchaft die wir machen, die Frage: ,,wo boarden Sie ? Nun , ich boarde in Hoboken , Hudſon Terraſſe Nr. fo und ſoviel. Es iſt ein amerikaniſches Boars dinghaus, die Dame, welche es führt , eine lange , etwas vergilbte Lady aus Boſton . Die Straße gefiel mir, und da ein Haus wie das andre ausſieht, fo mußte ex aus dein erſteren Grunde natürlich auch meinein Ges ſchmacke angemeſſen ſein . Der Freund eines früheren Koftgängers hatte es mir empfohlen . Ich ſtieg alſo auf gut Glück die feche oder ſieben braunen Sandſteinſtufen zur Hausthür empor, und zog an dem blanken Meſſings

43 Inopf. Ein freundliches Mädchen mit unverkennbar iriſchem Geficht& typus öffnete. Ich ließ mich bei der Dame vom Haus melden und wurde in das Empfangszimmer, den Man ließ mir , vielleicht abſichtlich Parlour gewieſen . Es war "Muſe, dieſes elegante Zimmer zu betrachten. ſehr geräumig, hoch , die Wände mit Gyps beworfen. Den Fußboden bebedte ein farbenreicher Brüfeler Teppich, den Laut der Schritte gänzlich erſtickend. Von der Dede hing ein fechsarmiger Gastronleuchter, darunter ftand ein Tiſch, beffen Mahogonigeſtelle eine weiße Marmorplatte trug . Der Thür gegenüber erhob ſich ein gußeiſerner Ramin mit einem Marmorgeſimſe. Auf dieſem waren Vaſen , Leuchter, Gypo- und Porzellanfiguren, jedenfalls die Schäße des Hauſes aufgeſtellt. An der Seite des Singanges ſtand ein aufgeſchlagenes Pianoforte. Ein halb Dußend Roßhaarſtühle , ein mächtiger Großvaterk und ein Schaufelſtuhl ſowie ein unausſprechlich bequemeß Sopha vollendeten das Möbelment. Das Sopha befand fich den beiden , durch weiße Gardinen halb verhangenen Fenſtern gegenüber und ichien eine bis zur Dede reichende Flügelthür ungangbar machen zu ſollen . An Bücherr fehlte es auch nicht, denn auf dem Tiſch lag eine aufger ſchlagene Familienbibel, eine Geſchichte Amerifas , einige Kinderbücher und eine engliſche Ueberſebung von Goethe's Hermann und Dorothea. Es mußte dieß jedenfalls das Bußzimmer im Hauſe fein, denn es ließ ſich nicht anneh. men daß man den Boaders für 4, 5 Dollars per Woche folch' fürſtliche Räume überlaffen werde. Das Rauſchen eines Kleides veranlaßte mich aufſtehen. Ich befand mich einer ganz in Schwarz gefleideten langen , fehr hageren Dame von der oben beſchriebenen Geſichtsfarbe , mit von der Zeit gebleichten Haaren gegenüber. Wir grüßten uns durch eine ſtumme Verbeugung. Mein Name iſt X. ich bin ein Deutſcher und wünſche bei Ihnen zu boarden, wenn Sie Zimmer haben ." - ,,Sehr angenehm , Sir, ich liebe die Deutſchen , fte find ordnungsliebende Leute und bezahlen pünktlich . Leider habe ich nur ein Zimmer leer, wenn es Ihnen gefällt, fteht es zu Dienſten. Apros pos haben Sie Referenzen ?" - ,, Herr Schulze, ein früherer Boarder von Ihnen hat mich hergewieſen . "

44 ,, Dh dann iſt es all right, Miſter Sful war ein ſehr liebenswürdiger Gentleman , er iſt mir nichts ſchuldig Auf die Erklärung meiner Bereitwilligkeit, geblieben . das Zimmer zu ſehen , führte mich die Dame zwei Treppen hinauf. Sie waren wie auch die 8 Fuß breite Hausflur mit wollenen Decken (Carpets) belegt, nur etwas dunkel, denn das Fenſter , über der Hausthür war mit grünem Papier behangen und die Kuppel im Dache mit grünem Firniß beſtrichen, andere Fenſter aber gab, es nicht, denn wofte hätten ſein fönnen , da befanden fich kleine Vers ſchläge nach hinten und vorn , 8 Fuß in's Geviert, welche man dort zu Lande mit dem wohlflingenden Namen Stube belegt. Einen ſolchen nach hinten gehenden Vers ſchlag öffnete die Dame. Das Bett nahm buchſtäblich 8/4 des Zimmers ein , ſo daß nur noch ein Stuhl, ein kleiner Waſchtiſch und eine Handtuchhänge (towelhorse, b. i . Handtuchpferd) darin Plaß hatten. Ich dachte an meine Rammer auf dem Schiffe und fragte nach den terms ( Bedingungen ). „, 4 % Dollars die Woche. Das für haben Sie Aufwartung , Frühſtüd, Thee um 8 Uhr Abends , und Sonntag Dinner . " Die Größe des Zim. mers wie auch die Ausſicht auf 2 Reihen Abtritte und die Rückſeite der nächſten Straßenreibe wollten mir nicht Haben Sie durchaus feine gefallen. Ich fragte baher : größeren Zimmer ?“ „ Nun ich hätte wohl eins, dies hier nach vorn , ich viemiethe es aber, nur an 2 Boarders, und dann foſtet, es 5 % Dollars per Woche." – „ Sie werden es mir aber doch ſo lang allein überlaſſen bis Nun Sir , da ich einen Kameraden gefunden habe ?" Sie ein Deutſcher find , und Mr. Sfuls Sie empfohlen hat, fo mag es ſo ſein .“ Der Handel war abgeſchloſſen , noch am ſelben Nachmittag zog ich mit meiner fämmt lichen Baggage ein. — Meine Wahl war keine ſchlechte geweſen , das Zimmer hatte die Größe des Parlours und war ganz anſtändig möblirt. Statt der bei uns üblichen Kleiderſchränke befand ſich in der hintern Ede ein foges nanntes Cloſet, d. i . ein kleiner Verſchlag mit Regal und Rleiderrechen ; in dem kleinen Zimmer dagegen hätte ich meine Kleider im Roffer aufbewahren müſſen , was man in Amerifa fehr häufig thut . Die Ausſicht war unver

45 gleichlich ſchön . Unter dem Fenſter, führte die mit Bäus men beſepte Straße vorbei . Ueber der Straße brüben lag das Ferrygebäude ( die Halle für die Ueberfahrtsboote ), von dem ſich theils durch die fortwährend aus- und eins laufenden Boote , theils durch den langen Zug anfom mender Paſſagiere ein äußerſt reichhaltigesLeben entwickelte. Welch herrliches Bild der Hudſon gewährt, habe ich fchon beſchrieben , und auf dem entgegengefepten Ufer des Flufſes breitete ſich New-York in ſeiner ganzen Läuge majes ftatiſch aus . - 5 % Dollar, war nicht zu viel für dieſes prächtige Logis , ob es gleich die anſtändige Summe von 286 Dollars per Jahr, alſo nahe an 400 Thaler Preußiſch Courant ergiebt. -- Da ich an dieſem Tage meinen Thee nicht zu Hauſe einnahm , To wurde ich erſt am nächſten Morgen den Bewohnern des Hauſes vorgeſtellt. Es vergeht keine Woche, in der nicht das eine oder das andere Geficht durch ein fremdes erſeßt wird. Die Boarders nehmen daher auch nur ſehr flüchtiges Intereſſe an einander. Damit der Leſer indeß fieht, welcher Art die Geſellſchaft in Boarding-Häuſern dieſer Art, welche gewiß zu den beſten zählen , iſt, ſo will ich ihm meine Hausges noſſen vorſtellen . Da ſind zuvörderſt drei finderloſe Ehe paare. Ein Deutſcher , welcher , feinem Vater im viers zehnten Jahre davongelaufen , ſich in England, Califor nien und Merifo herumgetrieben hat und nun endlich in New -Hork den Poſten eines Reiſenden für ein großartiges Kleidergeſchäft inne hat. Er hat die kleine Schwäche, das Deutſche abſichtlich unverſtändlich , das Engliſche aber ebenſo geläufig als ſchlecht zu ſprechen. Seine Frau iſt eine höchſt gebildete Dame ' aus Dublin, wo man bekannt lich in den höhern Kreiſen das reinſte Engliſch ſpricht. Das zweite Ehepaar, iſt ein amerikaniſches. Der Mann, ein Agent und Auctionator. Sein langer Bart, die etwas geſchwollene Unterlippe, der unftäte, pfiffige Blic ſtempeln ihn unverkennbar zum Yankee. Sißt er auf dem Stuhl, legt er den Fuß des linfen Beines auf den Schenkel des erſten und ſtüzt den Ellbogen des linken Armes auf das linke Knie. Steht er unter der Thür, ſo lehnt er nachläffig an der Pfofte, hat die Hände in den Hoſen taſchen ſteden und ſchiebt das Primchen Rautabat mit

46 der Zunge aus einer Bacentaſche in die andere. Er nimmt dann ſo eine gemüthlich nachläſſige Stellung ein , daß man unwilführlich zu ihm ſagen muß : Well, Sir, recht ſchönes Wetter heute, worauf er unwiderruflich ants wortet : Pretty fine weather, Sir , ſehr ſchönes Wetter, Herr. -Seine Frau iſt ebenfalls bas Urbild einer Hanfee-lady. Sie hat in ihrer Jugend nicht viel weiter gelernt, als den Mund ſchnippiſch aufzuwerfen, Candy ( der Inbegriff aller zudrigen Subſtanzen , wie fie bei uns die Kinder bis zum ſechſten Jahre erhalten ) zu zulpen Rocking und ſich mit erträglichem Anſtande in einem chair ( Schaufelftuhi) zu wiegen. Ihr Geſchmack hat oft etwas überraſchend papageienhaftes , denn ein roſafarbenes Shibetmieter und ein himmelblaues Kleid find bei ihr reizende Zuſammenſtellungen. - Mein drittes Ehepaar ift wie das erſte ein gemiſchtes. Er, ein flüchtiger Pole , ift Mufttlehrer und würde bei ſeinem fonft verträglichen Charakter fein unangenehiner Geſellſchafter fein , wenn er nicht durch allnächtliche Bearbeitung ſeines Pianos die Sie , ein Gemüther gegen ſich eingenommen hatte. wahres Wunder von einer Frau, noch dazu einer ameri faniſchen, welche unter einem ſüßen Lächeln die herrlichen Eigenſchaften der Frömmigfeit und der Gelehrſamkeit vers Sie befißt die grenzenloſe Beſcheidenheit, auf birgt. ihren uninaßgeblichen Urtheilen durch aus nicht beſtehen zu wollen ; fie fertigt lateiniſche und griechiſche Gedichte und iſt im Sanſcrit nicht unbewandert; ſie kennt das alte und das neue Teftament, von A bis Z auswendig , fie Berhängt am Sonntag Thür und Fenſter, geht dreimal zur Kirche und erröthet, wenn ſich der rohe Deutſche ers laubt, am Tage des Herrn einen unſchuldigen Scherz zu machen oder eine Eigarre zu rauchen . - Wen haben wir nun noch außer dieſen drei Paaren ? Sieh da, eine kleine Südländerin , weldse einem diefer kalten Nordländer die Feſſeln der Ehe anzulegen gebenft, und wäre er nur ein Deutſch er. Man wird ſich aber wohl vor der kleinen Schlange hüten , die alle Speiſen mit Cayennepfeffer würzt, eine Hautfarbe wie die Drange und Augen wie Roble hat. Sie trägt die weiteſte Crinoline, hat das zartefte Händchen und das kleinfte Füßchen und eine bes

47 ſondere Borliebe für Anbenken ". - & 8 bleibt mir nur noch übrig, eines jungen Handlungsbefliffenen zu gebenfen, der ſicher nicht in dieſes ftodpresbyterianiſche Haus ge kommen wäre, wenn die Wirthin hätte ahnen können , daß feine Vorfahren in Paläſtina gelebt haben . Die Schils

berung meines ſpäteren Stubenkameraden erläßt mir wohl der Leſer. Er war auf dem Schiff mein nächſter Umgang geweſen und wurde mir in der Folge noch werther . Er iſt im Ganzen ein guter Junge und könnte die Naſe rümpfen , wenn er zufällig hier ſein Conterfei erblickte . Den oben beſchriebenen Herrſchaften hatte ich die Ehre beim Frühſtück vorgeſtellt zu werden . Man wies mir bei dieſer Gelegenheit zugleich den Plaß an , welchen ich in Zukunft einzunehmen hatte. Der Speiſeſaal lag genau unter dem Parlour und war von der Flur aus durch eine Treppe zugänglich, auch konnte man durch eine Thür vom Garten aus in die untern Räume gelangen. Dieſe Thür befand fich unter den Stufen, welche zur Hausthür emporführten und die leßteren bildeten zu gleicher Zeit die Bedachung der nicht gar zu großen Kellerräume. Neben dem Speiſezimmer und burch einen ſchmalen, furzen Gang mit dieſem verbunden , war die Küche angebracht, und aus dieſer gelangte man wiederum in den kleinen Hof, wo ein niedriges Hinterhaus zur Aufbewahrung von Holz, Kohlen u . bergl. diente. Dieſe Einrichtung findet man in faſt allen Boarding- oder Privathäufern wieder , die Eintheilung der Räume iſt ſich faſt überall gleich und ſelbſt die Dimenſionen find großentheils dieſelben, weil die Mehrs zahl der Wohnhäuſer drei Fenſter Front hat und drei Stocwerk hod ift. Da ich nun einmal wieder zu den Häuſern gekommen bin , ſo will ich einer ſehr löblichen Einrichtung derſelben erwähnen, die wohl in Deutſchland allgemeine Nachahmung verdiente. Man first nämlich in Amerika in faſt jedem Haufe ein geräumi, Badezimmer mit Douche und öhren für Waſſer " riderlei Temperatur. Giebt es im Drte fein Reſervoir und befißt demnach das Waſſer nicht die Rraft, in den Röhren empor zu ſteigen, fo plumpt man es in einen an der Decke befindlichen Biechfaften, und kann es dann in jeder beliebigen Geſtalt zu Douche-, Regen

48 oder Sturzbädern benußen. - Wie angenehm und zuträglich der Gebrauch eines falten Babes im Sommer oder eines warmen Babes im Winter auf den Körper wirkt , das weiß wohl Jeder , in wenigen unſerer kleinen deutſchen Drte bietet ſich aber Gelegenheit zu einem ſolchen und felbſt in großen Städten iſt fie nur beſchränkt. Man könnte ſich daher wohl jene transatlantiſche Gewohns heit zum Muſter nehmen . Es giebt z. Z. noch eine große Menge Deutſche, die mehr Flüſſigkeit in ihren Körper, als an denfelben bringen. Doch ich darf wohl endlich zu meinem Frühſtück zurückkehren . Da inzwiſchen die Gerichte falt geworden ſind, ſo will ich mich mit einer fühlen Aufs zählung deſſen begnügen , was man für gewöhnlich in einem Boardinghaus zu eſſen bekommt. – Da ſind zuvör derſt die ſtehenden Getränke : Kaffee und Thee, beide klar und durchſichtig wie Quellwaſſer. Gäbe es dort deutſche Kaffeeſchälchen , man würde die „ Blümchen “ auf dem Boden erkennen. Die einzige Nation , welche in Amerika den Kaffee zu bereiten verſteht, ſind die Franzoſen . Bei Amerikanern iſt er durchweg gefärbtes Waſſer . Jedenfalls walten in den Boardinghäuſern öfonomiſche Rückſichten mit vor , denn auch das Lieblingsgetränk der Engländer und ihrer Abkömmlinge hat dort eine überraſchende Aehn lichkeit mit ausgefochten Hobelſpähnen . Es ift daher nicht folgerecht, wenn man annimmt, man müſſe im Lande des Thees ein Theetrinker werden , ich felbft habe in den drei Jahren meines Aufenthaltes wenig mehr als ein halb Dußend Mal dieſes Getränk an den Mund gefeßt. Das Gebäck, welches man genießt, iſt ſehr bleichſüchtiges Weis zenbrod , mit Hefe oder Pottaſche gebacken . Altbacen iſt es ungenießbar, man iſt es daher faſt immer warm, und alsbann iſt es natürlich höchſt ſchädlich, oder man bringt es geröſtet als ſogenannten Toaſt auf den Tiſch . Die deutſchen Bäcker haben auch ſchon etwas Abwechſelung in dieſes weißbrodige Einerlei gebracht und ſo findet man denn ſeit den leßten Jahren weſtphäliſchen Pumpernickel und deutſches Roggenbrod auf vielen amerikaniſchen Tafeln . Ein ſehr beliebtes und im Winter faft täglich genoſſenes Gebäck find tie Budy w eigen fuche n. Ralt werden ſie leicht zach und lederartig , man ißt ſie daher ganz warm und mei

49

ftens mit Syrup beſtrichen. Die Amerikaner haben es zu einer eigenthümlichen Fertigkeit in der Vertilgung dieſer tellergroßen Kuchen gebracht , ein Dußend iſt Manchem nicht zu viel. - Zunächſt ſtehen nun auf dem Speiſes zettel gebratener Schinken , den man in ſehr dünnen Scheibchen auf den Tiſch bringt , Eier und Fiſch. Makrelen, Maifiſch (Shad ), Aale werden in großer Menge verbraucht. Die erſten beiden Sorten faſt immer gebraten oder gebacken. Zu einem guten Frühſtück gehört außerdem noch die füße Sartoffel. Dieſe kommt aus dem Süden und wächſt bei viel Wärme in ſandigem Boden. Sie hat im Innern eine hochgelbe Farbe , ſchmeckt ähnlich der Kaftanie und erreicht oft eine enorme Größe. Man ißt fie gebraten und gefocht, doch läßt fte fich, auf leßtere Art zubereitet, ſchwer genießen , da ihre Schale ſehr dick ift und abgeſchnitten werden muß. - Es iſt durchaus nicht fchwer , fid) an dieſe compacte Morgenfoft zu gewöhnen, denn die ſcharfe, oft ſehr trockene und im Gegenſaß oft wieber ſehr feuchte , nebelige luft machen eine ſolche Nah rung zur Bedingung. -- Zum Thee werden nur ſpärlich falte Fleiſchſchnitte verabreicht. Sein Mittagobrob muß der Geſchäftsmann in der Stadt einnehmen , und dies geſchieht um irgend eine Zeit zwiſchen 12 und 4 Uhr. In andern Boardinghäuſern iſt es Sitte , um 6 ober 7 Uhr des Abends zu Mittag zu ſpeiſen und dann fällt natürlich der Thee weg. Des Sonntags iſt es allgemeine Sitte zwiſchen 12 und 2 Uhr zu ſpeiſen und ſelbſt in den Hotels wird die Mittagsſtunde von 6 auf 2 Uhr verlegt. Die Tafel in unſerm Boardinghaus war an dieſem Tage nicht ſchlecht beſeßt, nur hätte die Abwechſelung eine etwas Häufigere ſein können, denn während wir an einem Sonn tag Roaſtbeef und Truthahn ſpeiſten , lautete am nächſten Sonntag der Speiſezettel auf Truthahn und Roaſtbeef. Suppe erſchien nie auf dem Diſdy, ift überhaupt in Ames rifa nicht gebräuchlich , man zieht vor ein ſaftiges Fleiſch zu genießen , als eine gute Suppe und Bindfaden. Ja, werden da unſere Hausfrauen fragen, wo friegen denn die Menſchen die Brühe zum Gemüſe her ? Iſt wieder nicht gebräuchlich. Rohl, Spinat u. bergl. werden in Waffer gefocht, ausgerungen wie Wäſche und auf einem

50

Suppenteller aufgethürmt. Es ſchneidet fich ein Jeder nach Belieben ein Stüd bavon ab und ißt es mit Salz, Pfeffer, Eſſig und Del, wie es eben ſeinen Geſchmaconerven zu fagt. - Spargel, den der Amerikaner bis etwa eine halbe Gde über den Boden wachſen läßt und dann abſdyneibet, wird auch in Waſſer gefocht und ſchmeđt wie Chinarinde. Das einzige, ſehr beliebte Gericht, welches mit Fleiſch brühe gekocht wird , find Saubohnen. Man focht ſte mit Schweinefleiſch und ftedt in eine Schüſſel Bohnen von immenſen Umfang bas Fleiſch mitten hinein . Irländer find beſondere Freunde dieſer unverbaulichen Roft , unvers baulich deshalb , weil die Bohnen gewöhnlich die Härte Troßdem nun , daß die ame von Haſelnüſſen befißen. rikaniſche Rüche bie Gemüſe nicht zuzubereiten verſteht, ſo ſpielen dieſe doch eine große Rolle auf der Tafel, und auch Compots ſind in großer Auswahl vorhanden . Kohi, Zwiebeln, Spargel, Paradiesäpfel, Hagebutten , Preiſels beeren , welche dort die Größe von Vogelfirſchen erreichen , Apfelmuß, Quitten und Pflaumen , faft Alles das figu rirte oft zu gleicher Zeit auf unſerer Sonntagstafel, aber freilich nur in kleinen Quantitäten , viel Schüſſeln und Schüſſelchen ohne großen Inhalt. So iſt es aud in den Hotels . Man beſtellt gewöhnlich nach der Karte, wobei es durchaus nicht auf die Menge der ausgewählten Speiſen ankommt, da der Preis ja im Logiøgeld inbegriffen, und ſo häufen ſich denn die Schüſſeln und Teller in endloſer Zahl auf der Tafel , bis ſie den einzelnen Gaſt wie eine Pudding oder Pie (Frucht Ringmauer einſchließen . kuchen ) bildeten gewöhnlich den Beſchluß und man muß den Amerikanern laſſen, daß ſie in dieſen Artikeln wirklich Großes leiſten . - Soll ich nun, nachdem ich mich ſo lange bei den Freuden der Tafel aufgehalten habe, noch etwas über unſre ſocialen Boarbinghausverhältniſſe bemerken, To kann ich eben nur ſagen, daß uns Ade ſehr leichte Bande knüpften und man ſich ſo wenig als möglich um einander fümmerte. Nur vor Tafel fah man ſich zuweilen im Pars lour und dann war das Geſpräch ſo eintönig als eß eben fein konnte. Ueber etwas mehr als Wetter , Dper ober Unionspolitik läßt ſich nicht reden . Als einmal die Sprache auf Literatur fam , fragte mich die rothsblaue Auctionas

51 torsfrau , ob Mr. Goth ( Goethe) ein Engliſhman fei. Der Glanzpunkt des ſocialen Verfehrs im Hauſe war zus weilen eine langweilige Partie Whiſt. Wir Deutſchen wußten und für dieſe langweilige Geſellſchaft zu entſchás digen und brachten unſre Abende im Kreiſe von Lands leuten bei ,, Hanſch Hofer " oder in einem andern Biers lokale zu. – Die Boardinghäuſer unterſcheiden ſich nas türlich auch in Bezug auf den geſelligen Verkehr und ich habe ſpäter in Häuſern gewohnt , wo ich mich wirklich wie ein Glied der Familie befand. Und dies iſt gewöhnlich bei Deutſchen der Fall, denn die Amerikaner mögen noch ſo viel auf die Einrichtung verwenden , noch ſo zuvor kommend, und freundlich ſein, das, was wir gemüthlich " nennen , iſt bei ihnen nicht zu finden, wie auch das Wort ſelbſt nicht in's Engliſche überſeßt werden kann. - Nicht weit von unſerm Boardinghaus befindet ſich ein dreis ftódiges , etwas windſchiefes Holzgebäude mit Verandas im erſten und zweiten Stod . Es hat zwei Eingänge. Der eine iſt nur denen zugänglich , welche Schlüſſel bes fißen und trägt die Aufſchrift: Entrance for boarders, Eintritt für Boarbers. Ueber der andern Thür prangt ein blaues Schild, welches in großen Goldbuchſtaben den Namen des Beſitzers D'Brien unddie Worte: Lagerbier-Saloon trägt. Hinter dem Thürfenſter hångt ein Pappſchild mit der Aufs ſchrift: Rooms to let (Zimmer zu vermiethen ) und hinter dem Fenſter erbliden wir eine Menge Flaſchen , mit vers ſchiedenfarbigen Liqueurs gefüllt. Der Raum, in welchen wir treten , ift fo finſter, daß auch am Tage fortwährend eine Gasflamme brennen muß. Rechts an der Wand die Bar und hinter ihr unzählige Flaſchen ; auf derſelben ein Glaskaſten mit Bigarren , eine Doſe mit Rautabak und eine Schüfſel mit Crader $ ( fleines Gebäd aus Mehl und Butter , in der Größe einer Walnuß , welches man uns entgeltlich beim Bier oder zu Auſtern genießt). Einige wenige behäbige Stühle ſtehen um große ſchmußig aušs fehende Tiſche und im Hintergrunde erblidt man ein altes Bilarb . Die Wände ſind außer den Portraits einiger Präſidenten mit Pappſchildern bedect , welche die vorhans denen Getränke aufzählen , unter andern eins mit der Auf ſchrift : No Credit, fein Credit. Der Eingangsthür gegen

52 über befindet ſich eine Glasthür, hinter der ein Regelſchub und ein Schießſtand, ähnlich denen auf der Leipziger Meffe wahrzunehmen iſt. Die Geſellſchaft, welche auf den Tiſchen und Bänfen in maleriſch flegelhafter Haltung umherſikt oder an der Bar lehnt, ſcheint auf Erden keine andere Beſtimmung zu haben , als Tabak zu fauen und auszus ſprißen , Brandy zu trinken und ſchlechte Wiße zu machen . Das Coſtüm dieſer Gentlemen iſt meiſt etwas vom Zahn der Zeit angefreſſen . Der Rod hat jenen eigenthümlichen Glanz, welchen der häufige Gebrauch hervorruft, die Knöpfe dürften ſchwerlich vollzählig, die Knopflöcher zuweilen etwas zu weit ſein. Ein kleines Loch in den Hoſen iſt unzers trennlich von dem Träger derſelben , der wohl auch das eine oder andere Ende in die Stiefelſchafte verſenkt hat, trofdem daß die Straße trocken und rein ift. Was man Weſte nennt , iſt nicht immer bei dieſen Herren zu finden und das Hemd giebt durchaus nicht Zeugniß von der großen Anzahl Wäſche reinigender Individuen , die ſich in New-York aufhalten und das Geſchäft des Waſchend und Trocnens oft in einer Stunde zu beſorgen im Stande find, ſo daß alſo auch der Beſißer eines einzigen Hemdes alle Wochen ein paarmal ein neuwaſchenes anziehen kann, wenn er nur wil . - Die beſchriebenen Gentlemen gehören zu der Raſte der New -Yorker Bummler und beſißen trok ihrer Geſchäftsloſigkeit nicht wenig amerikaniſchen Stolz. Sie ſind hauptſächlich thätig bei politiſchen Umtrieben und gehen am liebſten dahin , wo ein fetter Biffen für ſie ab fällt. Für Fremde , welche in das Treiben der großen Stadt noch nicht eingeweiht find, haben ſie eine beſondere Vorliebe. Sie gehören noch nicht zu der ſchlechteſten Claſſe, obſchon ſie den Uebergang zu den gewerbmäßigen Pick pockets ( Taſchendieben ) bilden . Sie ſind der Haupttheil berer , die in jenem iriſchen Hauſe boarden , ein kleinerer Theil beſteht aus ſchlechtbezahlten Commis und Handwer kern . Die Mehrzahl find Dayboarders ( Tageboarders ), das heißt ſie bezahlen per Sag, ſchlafen in großen Sälen und wohl auch mehrere in einem Bett. Die Ariſtokratie bezahlt per Woche, ſchläft weniger gedrängt und darf den Wirth mit dem vertraulichen Prädicat ,, Captain " oder Colonel “ belegen . Die Preiſe variiren zwiſchen 2 und

53 4 Dollars per Woche. Die Tafel iſt gemeinſchaftlich. Es giebt noch niedrigere Boardinghäuſer als bas leßts beſchriebene und noch elegantere als das im Eingang bes handelte. Sie unterſcheiden ſich aber nur durch grös Bere Eleganz oder größeren Schmuß , feinere und gröbere Soft , ſteifere oder gröbere Behandlung. Ridts ift leichter als einem Landlord (Wirth) durchzugehen , vor. züglich wenn man ſein Gepäc in der Rodtaſche bei ſich führt , denn die Gefeße" würden vergeblich in An ſpruch genommen werden. Dieſe find aber gerieben genug , ihre Leute anzuſehen und wenn die Betrachtung ungünſtig ausfällt, die Bezahlung im Voraus zu bean ſpruchen ; dann ſind ſie ſicher, daß ihnen der Boarder nicht vor Ablauf der Miethzeit davon läuft. Kündigung giebt es ohnedies nicht und es iſt nur eine Zuvorkoms menheit, wenn man dem Wirth acht Tage zuvor die Abs ficht des Umzug zu erkennen giebt. Ich ſelbſt bin in brei Jahren gegen zehn Mal umgezogen und habe dabei gefunden, daß Rückſichten nur ſelten angebracht find, weil fie ſich nicht auf Gegenſeitigkeit ftüßen . – Die Boardings häuſer ſind im Allgemeinen eine äußerſt praktiſche Eins richtung und gewähren denen Zuflucht, welche die theuern Hotelpreiſe nicht erſchwingen können und auf der andern Šeite nicht die Mittel beſißen, einen eignen Haushalt zu gründen. Die Häuſer ſind nun einmal nicht auf Famis lienlogis eingerichtet, und unter 2, 300 Dollars ift felten ein ganzes Haus zu vermiethen. Ein derartiges Haus wie ich es im Eingang geſchildert habe , koſtet jährlich 900 Dollars Miethe. Die Lage hat natürlich auf den Preis einen großen Einfluß, ſo zahlten die Häuſer in der nächſten Straße von gleicher Größe nur zwiſchen 4 und 600 Dollars Rente. Bemerkenswerth iſt, daß die Häuſer Hobokens faſt alle von einem Manne gebaut find und einem Manne gehören. Dies iſt der ieft verftorbene Commodore Stephens , welcher oberhalb Hoboken eine reizende Villa beſikt. 3hmegebührt allerdings auch das Verbienft aus einem halben Sumpfe, den vor nicht gar zu langer Zeit noch Indianer bewohnten , eine Stadt ges macht zu haben . – Jedenfalls breiteten fid früher die Ufer des Hudſons bis an die ſchon erwähnte Hügelkette

54

im Weften aus. Die Flüſſe finfen aber, das land wächſt und die Städte ſchießen aus ihm empór wie die Pilze. Es iſt die Wahrſcheinlichkeit vorhanden , daß Hoboken in furzer Zeit zu einer bedeutenden Stadt aufſchwiut. Gegens wärtig iſt es ſchon ein Lieblingsaufenthalt der New - Yorker, und wenn auch die fogenannten Elyſäiſchen Felder oberhalb des Drtes in unmittelbarer Nähe des Hudſong noch lange kein Elyſium ſind , ſo kann man ſich doch ſchon auf eine Stunde recht wohl darin befinden. Als nächſtbeliebter Ort gilt Brooklyn, aus Privatwohnungen der Reichen und Boardinghäuſern zuſammengefeßt. New - York felbſt aber beherbergt in der oberen Stadt die Mehrzahl derer, die in ihm leben und weben und bietet in der Verſchiedenheit feiner Charaktere ein Bild , welches intereſſant genug ift, einige Augenblice dabei zu verweilen .

5. New - York in ſeinen Licht- und Schattenſeiten. Die Nabobs der 5. Avenue. Die Bewohner der five points. Upper ten & lower five.

Man braucht kaum vierzehn Tage in New -York zu fein, um zu wiſſen , welches und wo ſein beſter und ſein ſchlechs tefter Sheil ſind. Die Namen der 5. Avenue und der five points fommen zu oft in gewichtige Berührung mit den Tagedereigniſſen , als daß man ſie ignoriren In der erſtgenannten Straße halten ſich die könnte. Reichen New -Yort's auf, befinden ſich prächtigeMarmors paläſte — in leßterem Stadttheil elend verfallene Hütten , fchmußige Spelunken , in welchen Spitbuben , Raufbolde und Geſindel aller Art niften . Man iſt daher als Frems der wohl neugierig, einen Blic in Beide zu werfen , in das zweite Viertel aber nur bei Tag , denn ich möchte Reinein rathen bei Nacht, felbft bewaffnet, einen Spazier gang in den five points d. i. die fünf Punkte) zu machen . - Die Wohnungen der Reichen beſchränken fich nicht auf die 5. Avenue allein , alle Straßen in ber uns mittelbaren Nähe derſelben enthalten im Gegentheil ebenſo große und prachtvolle Paläfte,

man bezeichnet ſie aber

55

alle mit dem einen Namen 5. Avenue, weil fie theils von dieſer durchſchnitten worden , theils auch weil dieſe ges wiſſermaßen die Stammſtraße des Lurus ift, und fo giebt denn auch heute noch die 5. Avenue ben Ton in der feinen Welt an . Die Häuſer der 5. Avenue find theils aus weißem Marmor , größtentheils aber aus dunkelbraunen Sandſteinquadern erbaut und flößen dem beſcheidenen Fußgänger gar gewaltigen Reſpect ein . Was nur irgend Geld foſtet,iſt in und an dieſen Hotels zur Anwendung gebracht. Das Portal iſt gewöhnlich ein gußeiſernes, Thür und Geländer von ſchwerem Eichenholz, reich mit Schnißwerk verſehen , wie weiland in den Patrizierhäuſern unfrer alten Reichsſtädte. – Die größten Spiegelſcheiben, welche in den Kaufläden Bewunderung erregen , bienen hier zu gewöhnlichen Fenſterſcheiben und dahinter ſchaut ein ſchwerſeidener faltenreicher Damaſtvorhang verächtlich auf die Straße hernieder. Der Boden der 5. Avenue wird nicht durch ein gewöhnliches Geſchäftshaus entweiht, obſchon die Bewohner der Paläſte faſt ſämmtlich Ges ſchäftsleute find. Sie betreiben aber ihr Gewerbe im untern Theil der Stadt, hier oben find fte nur die Geld fürften , die Nabobo New - York's. - An den Straßen eden finden wir häufig Kirchen , in denen jeder Um wohnende einen Sammetſiß löſen muß , wenn er nicht von der feinen Geſellſchaft ausgeſchloſſen ſein will. Hin und wieder nur bietet ſich ein umfangreiches Hotel oder ein faſhionables Raffeehaus unſern Bliden bar, man muß ihren Charakter aber faſt mehr ahnen , denn gemeine Firmen find hier ſtreng verpönt. - In den häufig an uns vorüberfliegenden Karoffen erblichen wir mit der größten Eleganz gefleidete Damen , nachläſſig in die Ede geworfen , ſchön im Profil, aber alle etwas bleich, abges ſpannt. Auf den Wagenſchlag iſt ein phantaſtiſches Wappen gemalt. Wie , giebt es in dieſem freien Staate Grafen und Barone ? Das nun eigentlich nicht. Dieſe reichen Herren , denen der Volfowitz den Beinamen ,,Stodfiſch ariſtokratie“ gegeben hat, wünſchen gleichwohl nichts ſehn licher, als in die Reihen der Ädeligen gezählt zu werden und würden dem gar zu gewöhnlichen Smith , Brown oder Johnſon gern ein , von " anhängen , wenn es der:

56 gleichen Arabesken dort drüben zu verkaufen gåbe. Man laffe' fte nach Paris , nach London kommen und ſehe, mit welcher Haft fte fich bei Hofe einzuführen ſuchen und welche ftolze verächtliche Miene fte gegen die ,, Canaille " annehmen . Ach , ber echt republifaniſche Sinn , wie ihn Waſhington und viele ſeiner Zeitgenoſſen in der edelſten Bedeutung des Wortes beſaßen , iſt gar ſehr im Ver ſchwinden und es giebt für einen ſolchen reichen Parvenue keine demüthigendere Erinnerung als die , daß ſein Groß vater Fleiſcher oder Gemüſehändler geweſen iſt . Mit welcher Vorliebe und Unvorſichtigkeit nehmen fte europäiſche Barone und Grafen in ihren Zirkeln auf. Der höchſte Wunſch einer jungen Lady , auch der Frau Mama, iſt eine Verbindung mit einem Chevalier de, einem Lord oder Earl of. Abenteurer wiſſen dieſe Schwäche geſchickt zu benußen und die Chronit Scandaloſa' News York's wimmelt von Geſchichtchen , in welche die hervors ragendſten Familien verwidelt ſind. Ueberhaupt ſtehen die Sitten in dieſen Regionen auf ziemlich feichter Bafts . Die Vergnügungsſucht ſcheint das leitende Motiv zu ſein und führt dann vorzüglich die jungen Leute bei der großen Selbſtſtändigkeit, welche man ihnen von Jugenb auf zugefteht, gar häufig auf Ab- und Irrwege. Dies gilt namentlich auch von der Damenwelt und man braucht nur auf ſogenannten feinen Bällen oder auf Parties (Geſellſchaften ) der Reichen geweſen zu ſein , um ſich zu überzeugen , daß dieſe von der wahren Bildung noch himmelweit entfernt find. Doch wozu in Deutſchland den Amerifantern Moral

predigen , fte würden uns mit Recht ſagen : „Kehrt vor Eurer Thür , " es war eben auch nur eine Bemerkung, und ich glaube keine unrichtige.' Will man den Glanz der fünften Avenue fich ſo recht entfalten ſehen , ſo muß man fich an eine Ecke poſtiren , um die Zeit , wenn der Gottesdienſt geſchlofſen wird. Was da für Glanz, Hochs muth und Thorheit zur Schau getragen wird , iſt noch Schade nur, von feiner Reſidenz übertroffen worden . daß unſer Herrgot ihnen nicht auf ein paar Tage das Weltregiment in die Hände giebt, „ Herren der Schöpfung “ wäre doch ein gar zu ſchöner Titel , denn Herren der

57 ſchabe aber auch , daß Erbe búnken fie fich ja ſchon die wenig Gebildeten, Vernünftigen und nicht vom Teufel des Hochmuths Aufgeblaſenen ſo ſehr in der geiftloſen Mafſe verſchwinden , die ſich hinter Bergen von Sammet, Nicht immer Seide, Gold und Juwelen verſchanzt. ſteht es mit dieſen Leuten in finanzieller Hinſicht ſo gut, Gar häufig verſchlingt das als es den Anſchein hat. Debet im Haushalt und der Toilette das Credit in Ges ſchäft. Je weiter die Crinoline der Frau , deſto ſchmäler oft der gute Ruf und der Credit des Mannes. Man glaube ja nicht, daß die Behauptung zu gewagt fei, die grenzenloſe Pußſucht der New Yorker Damen habe ein gut Theil zu der 57r Kriſis beigetragen. Nicht der Weſten allein , ſondern auch die Privatkonten der Eigenthümer entnahmen Summen , für die fie nicht auffommen fonnten. Seide und Sammet find foſtbare Stoffe, Juwelen und Silbergeſchirr auch nicht umſonſt anzuſchaffen. Ein eles gantes Haus durfte natürlich auch nicht fehlen und der Major - Domus trug endlich das Seinige dazu bei , die Eine Loge in der italieniſchen Rechnungen abzurunden. Dper, eine prunkende Karoſſe, für den Herrn Sohn wohl gar eine Yacht, .ein geſchmadvolles Landhäuschen , das Ades find Sachen , die zwar geeignet ſind , den äußern Glanz des Hauſes zu erhöhen , zugleich aber auch den Geldbeutel um ein bedeutendes leichter zu machen . Es gehört in ſolchen Fällen nur eine einzige ſchlechte Cons junctur dazu , daß morſche Gebäude über den Haufen zu werfen . - Romiſch -tragiſch fielen die eifernden Reden der Geiſtlichen und die niederſchmetternden leitartifel der Zeitungen in jener Periode aus. Sie ſchmeckten Ade bes deutend nach Mittelalter und es hätte blog gefehlt, daß man die Spiegel , Möbel und Geſchirre der Reichen öffentlich zertrümmerte und verbrannte. So dumm waren aber die Yanfees nicht. Sie wurden aber Ade mit einem Male erſchredlich fromm . Wie fich die Männer früher in der Kneipe , die Damen im Theater und Luſtbarkeiten aller Art herumgetrieben hatten , ſo famen fte jeßt aus der Kirche nicht heraus, wo ihnen menſchenfreundliche Geiſtliche gegen einen Schilling Entrée die Leviten laſen, während fromme Induſtrieritter auf die Taſchen ber

58

Büfenben operirten . Die Mummerei dauerte aber nicht lange, denn faum hatte der eiſerne Drud ber Verhältniffe etwas nachgelaffen, da ſchnellte auch die feine Welt, leicht wie eine Feder , in die Höhe, warf die Masfe ab und ſtand in ihrer früheren flatterhaften Geſtalt vor dem crſtaunten Auditorium , das leider zum großen Theil aus europäiſchen Gläubigern beſtand. Wollen ſehen , wie ihnen die Suppe bekommt, welche ſie fich ießt wieder eins gebrodt haben . Am Ende iſt der ſchwarze Mann " fo entzückt über die Humanitätsprincipien des Bruder Jonas than , daß er ſich ihm an den Hals wirft und ihn mit Doch wir wenden erwürgt. feinen Zärtlichkeiten unſre Schritte einem andern Stadttheile zu , wo nichts von Paläften und Kirchen , nichts von eleganten Spaziers gängern und Karoſſen , ja nicht einmal ein Omnibus zu ſehen iſt. – Die Straßen find eng, ſo eng, daß fich die Häuſer in den oberen Etagen faſt berühren und man wenigſtens ohne Lebensgefahr aufeinem Brete im zweiten Stock in das gegenüberliegende Fenſter gelangen kann. Dabei ſind ſie ſchmußig, oft mit ſchuhtiefem Roth bedeckt, Einige Straßen laufen im Halbs krumm und winkelig. freis, fo daß man, wenn man darin fortwandert, höchſtens 100 Schritt von der Stelle herauskommt, an der man fte zuerſt betrat. - Namen haben dieſe Straßen faſt nur auf den Plänen New - Yorfs , denn die Bewohner der berüchtigſten Gaſſen ſorgen dafür, daß die Namenſchilder To bald als möglich wieder verſchwinden . Die Häufer fehen ſo miſerabel und verfallen aus, als ob ein halb Jahrhundert hindurch Niemand darin gewohnt hätte und ftroßen ſie von Menſchen (und Ungeziefer) bis trotzdem unters Dach . Sie ſind meiſtens aus Holz gebaut mit mächtigen Veranbas aus den Zeiten der Holländer , doch hat ſich hie und da ein Backſteinhaus eingedrängt , was fich augenſcheinlich in ſeiner niedrigen Nachbarſchaft nicht wohl zu fühlen ſcheint. — Von Firmen iſt hier wenig zu ſehen , höchſtens einmal ein armer Schuhflicker oder ein Kleiderfram , denn die , die hier zu Hauſe ſind, haben alle ihre Schlupfwinkel und wiſſen wo fie ſich verſams meln können , ohne fich dem ſpähenden Auge der Polizei bloszuſtellen .

59 Laternenpfähle ſind nur ſelten zu finden und häufig fehlt das Glas in den Laternen , denn zu was braucht man hier Licht in den Straßen , wirft doch die Sonne und gelegentlich der Mond ſo fchon zu viel hinein und ftören die Menſchen in ihrem Schlaf, wenn fte fich'8 die ganze Nacht durch haben ſauer werden laſſen . Die Gegend, in welche ich hier den Leſer , vielleicht wider ſeinen Willen , eingeführt habe , war eine bis noch vor wenig Jahren und auch heute noch in gewiſſem Grade gefürchtete , troßdem daß fie im Herzen der Stadt, gleich hinter der Cityhal, zwiſchen Broadway und Bowery und nur 200 Schritte vom Hauptquartier der Polizei entfernt liegt - Man nennt fie die five points " und ſchon der Name reicht hin , eine nterbenſchwache - Perſon Was ſind es nun eigentlich in Krämpfe zu verfeßen . für Leute , die dieſe , fünf Punkte “ bewohnen und vor denen New York ſolchen Reſpect hat , daß ſich ſelbft ein gut bewaffneter Poliziſt nicht allein bei Nacht hineinges traut, es ſei denn einer von Denen , welche, wie' dies in neurer Zeit vorzukommen pflegt, früher ſelbſt einer ges fürchteten Bande angehörte. Wer ſie ſind, ich will es Dir gleich ſagen. An dem Hafen ſtehen Rerle mit rothen Gefichtern unb ftruppigem Bart. 3hr Anzug beſteht nur in ein Paar ſchäbigen Hoſen , einem rothen Hemd und ein Paar befecten Stiefeln . Wilft Du ihre Taſchen viſts tiren , fo findeſt Du vielleicht, wenn Du den Muth dazu haſt, ein Meſſer und - einen Revolver, vielleicht auch ein ſchlechtes Portemonnaie, in dem ſich ein Bündel falſcher Gin Reiſender fommt vom Boote Banknoten befindet . und geht in der Dämmerung ſeine Straße. Plößlich, in der Nähe eines düſteren Marktgebäudes hört er hinter fich Schritte , balb darauf legt ſich eine Hand auf ſeine Schulter und eine berbe Stimme ſagt: ,, Sir, Sie haben Iſt er flug, ſo verdoppelt er ſeinen etwas verloren . “ Schritt und ſucht den andern Paſſagieren nachzufommen . 3ft er ein ,, Grüner , " ſo bleibt er wohl ſtehen und ſucht in ſeinen Taſchen. Endlich ſpricht er : „ Nein , ich habe nichts verloren . “ ,, Doch , " antwortet der Gauner , denn ein ſolcher iſt es, Sie haben ein Portemonnaie verloren . Laſſen Sie ſehen , wie viel es enthält. Hier iſt es.

60 Sechzig Dollars in Banknoten ! Herr, ich verlange ein Finbergeld von zehn Dollars . " Der Frembe ſtußt. Sollte Žener wirklich das Geld gefunden haben und ihn für den Eigenthümer halten ? Wie, wenn er mit zehn Dollars fünfzig verdienen könnte ! Er beſinnt ſich , endlich zieht er feinen Beutel , denn Jener läßt das Gefundene nicht eher aus der Hand , bis die zehn Dollars erlegt ſind. Seine Börſe iſt gut gefüllt, denn er will Geſchäfte machen , Waaren einkaufen. Er hält ihm ein Zehndollarſtüc ents gegen, doch Jener ruft : ,, mehr, Herr, zwanzig Dollars.“ Entrüftet über ſolche Unverſchämtheit wil er ſein Gelb wieder einſtecken , denn es iſt ihm auch ſchon längſt grauſes lich zu Muthe geworden und hat gemeint, aus den Wins feln rechts und links ſtarrten ihn hölliſche Geſichter an da im Augenblic faßt man ihn von hinten , zieht ihn beim Kragen rückwärts und eine kräftige Hand hält ihm ben Mund zu , während eine andere fich ſeiner Arme bes mächtigt. Hören und Sehen vergeht ihm, er fühlt nur nody, wie ihm Börſe, Uhr , Ringe und Buſennadel ents riſſen werden , ein betäubender Schlag trifft ihn an den Kopf und hilflos liegt er in einer Gorſe , bis ihn ein zufällig bald nachher vorübergehender Poliziſt, ( denn dieſe Herren kommen immer erft , gleich nachher “) aufhebt. Wer ihn beraubte, er weiß es nicht, wir aber wiſſen es und die Polizei könnte es auch wiſſen , wenn fie nur wollte , es ſind jene Burſchen in rothen Hemden und ſie wohnen - in den five points . - Ein anbrer Fall. Ein Grüner (benn fo heißen nun einmal die Fremden, die nach News Yorf fommen , um , wie man dort ſagt, den ,, Elephanten “ zu ſehen ) kehrt in einem Hotel dritten Ranges ein. Er ſteht in der Thür und weiß noch nicht recht, wie er die Zeit todt ſchlagen ſoll. Ein halbweg fein gefleideter Gentleman nähert rich ihm . Er hat viel Ringe an den Fingern , eine ſchwere Uhrkette mit einem noch ſchwereren Perloque aus der Weſtentaſche herauss hängen und iſt mit einem blauen Frac mit Meffingénöpfen bekleidet. Der „ Feine " läßt fich mit dem „ Grünen " in ein Geſpräch ein und weiß die Sympathien des leşteren , fei es auf dem Felde der Politik ober der Landwirthſchaft ſo zu gewinnen, daß ihn derſelbe endlich auffordert, einen

61 „ drink “ an der Bar mit ihm zu nehmen . Der Feine " fühlt fich geehrt und folgt ſeinem Gönner in das Schånf zimmer. Hier geſellen fich bald andere Gentlemen hinzu und man kommt überein , gemeinſchaftlich New - Yorf bei Tag und bei Nacht zu beſichtigen . - Ehe fie das Hotel verlaffen , giebt der Feine feinem neuen Freunde einen Beweis von Wohlwollen dadurch , daß er ihm ſagt: „Mein Herr , ich habe bemerkt , daß Sie viel Geld bei fich tragen , Sie wiſſen nicht, wie unſicher Sie in News York damit ſind. Ich würde Ihnen rathen , das , was Sie nicht brauchen , dem Wirth zu übergeben , welcher einen Patentgeldſchrank hat und es Ihnen gern aufheben Der Grüne wird. Doch thun Sie wie Sie wollen ! " dankt ſeinem Freund mit Herz und Hand und übergiebt den größten Theil ſeines Geldes dem Wirth, welcher ihn ob ſeiner Vorſicht lobt. - So wandern fie fort aus einer Taverne in die andere, bis der Grüne ſchon gewaltig der Unterſtüßung ſeiner guten Freunde bedarf um nicht liegen zu bleiben und dieſe ſind auch dankbar genug , ihn nicht liegen zu laſſen , ſie wiſſen wohl, warum . In der Bos wery kommen ſie an einem Juwelirlaben vorbei . Moſes ſteht an der Thür und prüft einige Steine. „ Sir ," ſagt der Feine , hier iſt ein Geſchäft zu machen. Ich ſelbſt Suden verſtehe mich auf Juwelen , dieſe werd

kaufen das Zeug billig zuſammen und find froh , wenn fie es mit einem geringen Nußen wieder verſchleudern fönnen . 11 So , nun dann wollen wir einmal rein gehen , “ erwieberte der Grüne, deſſen Zunge anfängt etwas ſchwer zu werden . Was koſtet dieſe Nadel ? " Dreißig Dollars , Sir ." „Sind Sie verrückt , verb....' will ich ſein , wenn ich mehr als die Hälfte gebe ! “ Steinen Cent weniger, Herr , Diamant vom reinſten Waſſer ! " Hier wendet ſich der Feine an den Grünen und flüſtert ihm in's Dhr : ,, Bringen Sie den Juden nicht auf , bieten Sie ihm 25 Dollars , er wird's Ihnen laſſen und das Ding iſt 50 Dollars unter Brüdern werth !" Nun denn fünf Dollars mehr. “ Der Jude lächelt. „ Noch fünf Dollars , oder bringen Sie mich nicht auf. “ Auf ein Zeichen des „ Feinen “ ſchlägt der Jude zögernd ein und der Handel iſt geſchloſſen. Der Grüne

62 öffnet hierauf ſein Saſchenbud , in dem fic unglüdlichers weiſe nichts als Jlinois - Banfnoten befinden. Der Jube will ſie nicht nehmen und der Käufer iſt eben im Begriff einen neuen Zant anzufangen , als ſich der im blauen Frad in's Mittel ſchlägt und ſagt: „ Geben Sie dieſe 50 Dollaro - Note her, ich werde Ihnen gute Bius dafür geben , und nur 2 % Discont beanſpruchen. Hier find 25 Dollars für die Nabel , und 24 Dollars für Sie, macht mit den 2 % Discont 50 Dollars . " Der Grüne bekommt die Nadel und läßt ſich unter einem : Damn those jews, zum Laden hinausbugſiren . Mittlerweile ift es Nacht geworden , und die Freunde " lenken in eine finſtre Seitengaſſe ein , die gerade auf die five points log geht , dem Grünen iſt es aber einerlei, er hat das feurige Waffer gekoſtet, und erklärt zu wiederholten Malen , fic möchten ihn in die Hölle führen, wenn er nur einen Sur haben könnte. So halten ſie denn vor einem niedern Holzhaus , in dem es ſtocfinſter ausfieht. „ Was zum Šeufel iſt das , " fragt der Fremde , dem es doch unheim lich werden mag. „ Nichts, Sir, ein Tanz- Salon ." Ein leiſer Pfiff und eine Thür öffnet ſich im Hintergrunde, aus der eine Stimme den Ankommenden eben ſo leiſe ein Wer da " entgegenruft. ,, Teufel und Hölle , fennt Ihr Eure alten Freunde nicht mehr ? “ „Ach Ihr ſeid es, Jim. Nur herein . Wen bringt Ihr ba ?" ,Still , eenen Lands junfer, den der Hafer ſticht. „ All right, come in " und ſo tappen ſich die Freunde einen finſtern ſchmalen Gang entlang , ihren guten Freund vom Lande in der Mitte führend , ſtüßend und ſchicbend. Am Ende des Ganges thut fid eine Thür auf und die kleine Rarawane tritt in einen , mittelſt. Dellampen matt erleuchteten Raum. Links die unvermeidliche Bar, vor derſelben eine Rotte Gefellen, die zum Theil fluchend und zechend an den wenigen vors handenen Tiſchen fißen , zum Theil ein paar frech aus fehende Weibsbilder in der Stube herumſchwenken , wozu ein alter Rigger auf einer mißtönenden Geige fidelt. Beim Eintritt der Freunde entwinden fich die Mädchen ihren Tänzern und eilen auf den Blaufrad mit den Worten los: Hollah , Jim , was bringt Ihr uns Neues ," und haben bald den Grünen in der Mitte , der einen

63 Sas drinks um den andern kommen läßt, ein Mädchen nach dem andern ſchwenkt , und endlich erklärt, er wolle Jeden das Genic brechen, der den YankeesDoodle beſſer als er ſelbſt zu tanzen vermeine. Die Aufforderung fällt auf fruchtbaren Boben , die Neger , Irländer, Mulatten und Yankees haben ohnehin ſchon mit Ingrimm bemerkt, wie der Landfürbiß ihnen die Mädchen abwendig macht. Zwanzig Fäuſte erheben fich gegen ihn . Seine Freunde verwenden ſich für ihn und machen die Sache noch ärger, ein allgemeiner Kampf entſpinnt fich , wobei der Grüne die Schläge in den Kauf nimmt, und endlich auf der Straße die Thür hinter fich zuſchlagen hört. Mit ges fchwollenem Kopf und um ſeine Uhr gebracht, ſteht er auf der Straße. Er weiß nicht wie ihm geſchieht. Da öffnet fich die Thür noch einmal und heraus kommen eins zelne ſeiner Freunde. Ér will auf fité los fahren. Sie aber nehmen ihn lachend in die Mitte, verſichern ihn, daß er einen dummen Streich gemacht hat , und zerren ihn mit fich fort nach einer neuen Bühne des Laſters und des thieriſchen Vergnügens. wir wollen ihnen nicht Wo fie ihn hinführen folgen , es iſt ein Plaß der Schande, ein Drt wo die armen Verführten als Verführer auftreten , ein's der ges meinſten Häuſer der großen Metropole. Wir wollen auch nicht verſuchen , das gräßliche Bild zu entrollen , welches dieſe Nacht mit grellen Farben in die Erinnerung des Grünen gemalt hat. Es möge uns genügen , daß am andern Morgen ſeine lebten Roſtbarkeiten , ſeine Borſe, ſeine Ringe , ſein Taſchenbuch verſchwunden ſind. Nur die erhandelte Nadel findet ſich noch vor, und die Noten, welche ihm der Blaufrad auf ſeine 50 Dollard-Bil herauss gegeben und die er in der Zerſtreuung in die Weſtentaſche geftedt hat. – Sein erſter Gang iſt auf die Polizei, wo der Commiſſar ſeine Geſchichte mit einem Lächeln anhört, denn er weiß ſchon, daß in ſolchen Fällen nicht viel zu thun ift. Es wird ihm indeſſen ein Poliziſt mitgegeben und ſie beginnen ihre Nachforſchungen in dem Hauſe, wo fich der Grüne am Morgen befunden , denn von jenem Tanzſalon weiß er weder Nummer noch Straße anzus geben. Vergebens, die Wirthin behauptet, daß Mädchen

-

64

welches ihn beraubt haben ſoll, ſei fchon längſt aus dem Hauſe fortgegangen . Die Freunde unſers Ritters will Niemand kennen . Es ſtellt ſich ferner heraus , daß die erhaltenen Bills ſämmtlich falſch find, die Nadel aber faum 50 6t8. werth ift. Empört läuft er zu dem Juden , dieſer aber leugnet falt , daß er ihn jemals geſehen habe, und droht ihm ſelbſt mit der Polizei, wenn er ſich nicht augenblidlich entferne. Vernichtet geht er nach dem Hotel und verlangt fein Depoſitum zurüd. Der Caſſenverwalter fragt ihn , ob er einen Schein darüber vorweiſen könne, das nicht, " entgegnet, beſtürzt der Geprelte , „ aber aber Herr, ich werde Sie arretiren laſſen , wenn Sie Ihre Sdwindelforderung wiederholen !" Vernichtet ſteht der Mann vom Lande da und die Polizei verläßt ihn, lächelnd ihr Bebauern ausdrückend , daß ſie in dieſem Falle nicht 8 für ihn thun könne! Der Arme hatte die Befanntſchaft der five points gemacht. - Wollte ich einen Roman ſchreiben , die five points würden mir den manigfachſten Stoff bieten , für meine Skizze aber mögen die angeführten Fälle genügen, dem Leſer zu zeigen , welches Gefindel fich in dieſem Sdymußwinkel aufhält. Die Anführer der Flußpiraten , der Einbrecherbanden, ſie haben ihr Hauptquartier gewiß in den five points aufgeſchlagen. Iſt ein Mörder flüchtig geworden , fo hält er ſich gewiß zuerſt in den five points auf und findet dort Ge finnungsgenoſſen genug, die nicht nur gänzliches Schweigen beobachten , ſondern auch bereit ſind , ihm die Mittel zur Flucht zu verſchaffen , oft auch troßig der Polizei gegen über treten und es auf einen Kampf mit dieſer ankommen Taſſen. - Kurz, der Abſchaum der Menſchheit , der Aus: wurf der Geſellſchaft hält fich in dieſen halbverfallenen Hütten auf , und die Kinder, die nackend auf der Straße mit Hunden und Schweinen ſpielen , bringen e$ großen theils noch weiter , als ihre vortrefflichen Gltern . — Und kann die 800 Mann ſtarke Polizei New - Yorks wirklich nichts gegen ſolch geſeblojes Treiben thun ? 3ft fte wirk: lich nicht ſtark genug dieſen Auswuchs mit der Wurzel auszureißen ? - So lange die Gefeße den Verbrecher ſchüßen , wenn er es nur pfiffig genug anfängt, ſo lange der verurtheilte Böſewicht die Sympathien eines verirrten

65 Publikums hat , und dieſes murrt, wenn er verurtheilt, jubelt wenn er frei geſprochen wird , ſo lange die Richter von Parteien gewählt und abhängig, der Ver folgung und Rache fedes gemeinen Verbrechers ausgeſeßt find, ſo lange endlich die erecutive Gewalt mit den Feinden der öffentlichen Ordnung liebäugelt , ſo lange wird auch jener geſeßloſe Zuſtand fortdauern, nicht in den five nicht der Polizei, points zwar, denn dieſe weichen , ſondern der Induſtrie, - aber in ganz New -Hort, in den ganzen Vereinigten Staaten . - Ja was einer Armee von Poliziſten , gut bewaffnet und einerercirt nicht gelingen wollte , das gelingt dem fichern Fortſchritt der Induſtrie und des Handels . Schon ſeit Jahren iſt man den five points zu Leibe gerügt; je weiter das Geſchäft in die obere Stadt vorrückte , deſto ſchneller verwandelten ſich die Hütten in der nächſten Nähe dieſes Otternneftes in Paläfte, Fa briken und Handlungshäuſer, die ſchmalen unzugänglichen Gäßchen in breite , ftattliche Straßen. So wurde die Brut zurückgedrängt, und wich auch ſcheu vor dem offenen Leben an ihren Grenzmauern zurüc. Ein großer Theil der Inſaffen iſt ſchon in andre Stadttheile überſtedelt, wo fte zwar ihr Gewerbe fortſeßen , aber doch mehr unter polizeilicher Controlle ſtehen. Baut man noch ein Paar Jahre ſo fort, ſo ſteht zu hoffen, daß von den five points nur noch der Name überbleiben , an ihrer Stelle aber fich ein neuer Stadttheil erheben wird, deffen reger und offener Verkehr nichts mit jenem nächtlichen und gefährlichen Treiben von früher gemein hat. — Ich felbft bin in der leßten Zeit mehrfach in den five points herum gewandert, denn auch unſer Haus war einer von jenen Pioniren, die ſich furchtlos als Wachtpoſten gegen den Feind des Handels hergaben, es iſt mir aber, nota bene am Tage , nie etwas zugeſtoßen, auch in der Nähe anderer Viertel habe ich ges wohnt, in die ſich vorzugsweiſe das ſchlechte Gefindel hins gezogen fühlt, und bin faſt zu jeder Stunde der Nacht ges nöthigt geweſen, durch verrufene Straßen zu gehen , ohne daß mir je ein Haar gekrümmt worden wäre. Natürlich darf man nie die nöthige Vorſicht außer Acht laſſen, in öden , für ge wöhnlich ficheren Straßen am allerwenigſten , denn dieſe wählt der Verbrecher am liebſten zum Schauplaß ſeiner Thaten . 5

66 Das ſchlechteſte Haus der five points und wohl New - York's war die alte Brauerei und ſoll eine wahre Schlangenhöhle geweſen ſein . Mörder , Räuber , Ein brecher hauſten darin , als ob es keine Gerechtigkeit mehr auf Erden gäbe. Die Nemeſis ereilte ſte aber doch , und jekt ſteht an der Stelle jenes Gebäudes — merkwürdiger Rontraft – eine Miſſionsanſtalt , ein Erziehungos haus für verwaiſte, unſchuldige Kinder ! Weniger gefährlich, aber in großer Menge vorhanden find in New - York die Taſchendiebe, pick -pockets genannt. Jedenfalls iſt die Warnung an allen öffentlichen Pläßen, Eiſenbahn- und Dampfſchiffdepots : „ Man hüte ſich vor Taſchendieben ,“ keine überflüſſige. Der Polizei find dieſe Herren recht gut bekannt, denn ihre Porträts hängen alle zur beliebigen Anſicht beim Commiſſar aus. Zieht nun eine Schüßencompagnie, ein Turnverein , eine Sängerges. fellſchaft zu irgend einem Fefte auf das Land , fo fåubert gewöhnlid, die Polizei den Nachtrapp, ſucht ſich ihre Schüßlinge aus und läßt ſie den Tag über ,, brummen. " Wird dabei ein neuer Vogel mit eingefangen , der viels leicht erft aus der Provinz angekommen, um feine Studien in der Hauptſtadt zu vodenden , und liegen Verdachts gründe gegen ihn vor , ſo amprotypirt oder photo graphirt man ihn (aber ohne Rahmen) und reiht ſein Bild der ſogenannten Diebesgallerie ein . Eine beſondere Vorliebe haben dieſe Induſtrieritter für Damen , die ſie auf dem Markte, in Pußläden höchſt geſchidt zu berauben wiſſen. Sie fangen ihr Geſchäft als Knaben von 8-10 Jahren an und bringen es oft zu einer wunderbaren Fertigkeit. Sißt ihnen die Polizei auf dem Nacken , ſo wiffen fie äußerſt geſchickt die gegen ſte ſprechenden Indizien verſchwinden zu laſſen. Banknoten ſpazieren dann durch den Mund in den Magen , Portemonnaies fliegen in die Goſſe, geſtohlene Paaren erſcheinen plößlich in fremden Rörben , auch ſind immer Freundeshände in der Nähe, bereit, den Raub außer Sicht zu ſchaffen. Darum Taſchen zu , wenn man unvermuthet in ein Gedränge kommt. Ich ſtand einſt an einem Sonntag in der Hausthür in Hoboken und betrachtete die Schaaren Erholungsbedürf tiger New- Yorker , welche mit jedem Boote anfamen .

67 „ Kennen Sie jenen Mann dort, in dem weißen Hut und dem blauen Frack ? " fragte mich plößlich ein amerikani fcher Freund. Auf meine verneinende Antwort fagte er : ,,das iſt der größte Gauner der je in New-York gelebt hat und es ſollte mich wundern , wenn nicht die Polizei bald mit ihm zurüdfäme. “ Und er hatte Recht , kaum zehn Minuten ſpäter fo wandelt er an Freundes Hand hinüber in das beſſre Land. Sein Bild hing beim Commiſſar. Faft identiſch mit dieſen Taſchendieben ſind die Perſonen, welche falſche Banknoten (kurzweg Bils)zu paſſiren ver fuchen. Die Zahl der Banken iſt nämlich, wie ich ſpäter barthun werde , groß in den Vereinigten Staaten , jede Bant giebt mehrere Sorten Bils à 1 , 2, 3, 5, 10 Dola lars und mehr aus , auf alle dieſe Biús eriſtiren aber Fälſchungen , und es erſcheinen täglich neue. Je zeitiger diefe unter die Menge gebracht werden , das heißt ehe fte in den Banknotenverzeichniſſen an den Pranger geſtellt werden, deſto größer der Profit ihrer Verfertiger. In großen Städten , namentlich in New - York cirkuliren maffenhafte Fälſchungen und die neuſten dieſer Art werden gewöhnlich von einer großen Anzahl Perſonen an ver ſchiedenen Orten der Stadt zugleich in Umlauf geſeßt. Die Polizei kommt ihnen aber bald auf die Spur und es geſchieht dann oft, daß ein Dußend Leute ein und derſelben Sache wegen vor dem Commiſſar ftehen . Ich will meine Skizze nicht weiter ausführen , der Leſer könnte ſonſt meinen, es gäbe in New -York feine ehrliche Haut mehr und einen wahrhaften Deguſto vor der Weltſtadt bekommen . So ſchlimm iſt es aber denn doch nicht , wenn es auch wahr iſt, daß die ehrlichen Leute ale Mühe haben , ſich ihrer Haut zu wehren . Der ſogenannte Mittelſtand, wenn es überhaupt einen giebt, beſteht zum großen Theil aus recht braven Leuten, bie fich's oft gar ſauer werden laſſen , um ihr täglich Brob zu verdienen . Jene reichen Leute werden von den årmeren , nicht ohne etwas Bitterfeit „ die obern Zehn “ (upper ten) genannt, während man dieſen wieder ben Namen untere Fünf" (lower five) beigelegt hat. – Joy rechne aber zu dieſem Mittelſtande Ade, die ſich durch ihrer Hände Arbeit ernähren . Einen andern Stand bils

68 ben die reichen Müßiggänger , einen andern die armen Nicht daß Reiche immer müßig gingen. Bummler. New-York und die Vereinigten Staaten überhaupt können viele beſigreiche Männer aufweiſen , welche ihr Geld in gemeinnüßigen Unternehmungen anlegen, und zu wohlthä tigen Zwecken verwenden , vielleicht in größerem Maßſtabe, als dies bei uns der Fall iſt. Der größere Theil aber ergeht ſich in Speculationen , welche faſt immer auf den Ruin der großen Maſſe hinauslaufen . Hier nur der un feligen Landſpeculationen zu gedenken , welche in New York ebenſo gut ihren Siß haben als im fernen Weften. Wie viel Familien wurden früher und werden jeßt noch durch dieſe niederträchtigen Schwindeleien in's ůnglück geſtürzt. Man kauft einen Compler von etwa 100 Ácker Land in Wisconſin , Nebraska oder irgend einem weſt Den Anweiſungen nach muß es ein lichen Staate. Paradies ſein , der Plan der Stadt, wird uns vorgelegt und der Preis iſt nicht niedrig. Man zahlt fein Legtes und reiſt mit feiner Familie dahin ab. Was findet man ? Statt der Stadt ein elendes Wirthshaus , ftatt des Feldbodens ein ungeheures Sumpfloch , und bei alle bem kann man von Glück ſagen , wenn der Kaufbrief gerichtliche Gültigkeit hat und fich nicht über kurz oder lang ein neuer Befißer einſtelt. - Von folchen Leuten will ich nicht reden , es efelt mich wenn ich ihrer denke, fie ſind auch zum größten Theil unter den aufgeblaſenen Fröſchen der fünften Avenue vertreten. Ein ganzes Kapitel aber will ich dem fleißigen Mittelſtande, den Gewerbe- und Handeltreibenden widmen, welche uns in New -York zu mancher lehrreichen und unterhaltenden Betrachtung Gelegenheit geben. Únd damit ſei denn zu gleich dieſer Abſchnitt geſchloſſen .

6. Gewerbtreibende.

Der Handel und ſeine Inſtitutionen .

Gehe mit mir, lieber Leſer, eine jener geſchäftigen Straßen New - York's entlang und laß uns einen Blick in dieſes

69 oder ienes Geſchäftslokal werfen . Wir brauchen nicht wähleriſch zu ſein . Sreten wir in das erſte befte, was Etwas Abwechſelung nachher kommt wird fich finden . erhöht ohnehin den Reiz. Was iſt das für eine blau , weiß und roth bemalte Stange dort , wie ſie faſt vor allen Hotels ſtehen ? Du brauchſt nur die Firma über dem halb unter der Erde befindlichen Laden zu leſen . „ Philipp Zander," baneben auf zwei rieſigen Sdildern in Fracturs ſdrift : Haarſchneiden , Friſiren und Barbieren , ſowie : Bäder in jeder Geſtalt, warme, kalte, Wannen-, Douches und Regenbäder. - Der Mann iſt jedenfalls ein Deutſcher, benußen wir daher die Gelegenheit, uns denmitgebrachten Zopf von einem landsmanne abnehmen zu laſſen. — Nach dem wir alſo die breiten glatten Marmorſtufen hinabgeſtiegen find, treten wir in einen nicht allzugeräumigen , aber recht eleganten Salon. Der Boden iſt mit weißen und ſchwarzen Marmorplatten zierlich getäfelt. Mitten durch das Lokal zieht ſich eine Reihe gußeiſerner Pfeiler , augenſcheinlich um die Decke zu ſtüßen . Links befinden ſich drei rieſige Spiegel mit reichem Goldrahmen, von dem Fußboden zur Dede reichend, davor ſtehen gepolſterte Drehſtühte mit mächtigen Lehnen , in denen zum Theil einige Yankee's mehr liegen als fißen , denn die Beine haben ſie höchft bequem über ein gepolſtertes Geſtelle gelegt und laſſen ſich To mit halb geſchloſſenen Augen raſiren , waſchen und frifiren . Ein nicht deutſch ſprechender Gehilfe unſres Landsmannes naht fich uns mit einer reinlichen Serviette und ſtellt die furze Frage : Sbave , Sir (Raſiren, Herr). Lafoniſch deuten wir nach dem Kopf und im Augenblic ift fchon der Eine von uns in einen weiten Mantel aus weißem Stoff gehüllt. Unterdeß ſteht ein zweiter Gehilfe von ſeiner Arbeit auf, die darin beſteht an einem an der Wand befeſtigten Riemen Raſirmeſſer abzuziehen und es dauert nicht lange fo biſt auch Du, lieber Freund , in einen Beduinen verwandelt, während gefährliche Inftru mente um Deinen Schädel herum klappern . Du brauchſt indeffen nicht für Deine Dhren zu fürchten. Schon nach wenig Minuten hat der Künſtler fein Wert ſo weit voll endet, daß er Dich auf ſeine gewöhnliche lafoniſche Art fragen fann : Shampoon, Sir ? Shampoon , was iſt das,

70 Jedenfalls gehört es dazu , denn der Menſch hat Dir ja die Haare noch über Nafe und Augen herein hängen laffen. Nun meinetwegen, Shampoon denn ! - Ac Du Armer ! Du haft feinen Begriff von der martervollen Procedur , die nun beginnt. Dein Kopf gehört für die nächſten zehn Minuten nicht mehr Dir , und wenn Du ihn wiederbekommſt, wie wird es darin ausſehen ! Zuerſt legt man Dir über den Mantel weg noch eine Art Zwangsjacke an, und Deine ohnehin ſchon beſchränkten Bewegungen werden auf ein etwas ſchweres, feufzerartiges Athemholen reducirt . Dann werden die Haare etwas aufgelocert, nur ganz leiſe, als wenn ein Geier mit ſeinen Krallen durchführe. Die Stopfhaut wird bei dieſer Ge legenheit zur Gänſehaut. Hierauf beginnt das Einſeifen, ſo gründlich, ſo kunſtgerecht, daß jedes einzelne Haar wie ein Eiszapfen am Kopfe fteht. Endlich heißt es marſch. Und von der Tribune herunter ſteigft Du , und ſchreiteſt mit Todesverachtung einem Waſchapparat zu , über dem ſich einige höchſt bedenkliche Trichter und Siebe befinden. Schnell wie der Bliß wird Dein Kopf von hinten über das Becken und unter die Brauſe gehalten , während von oben ziſchend und brauſend ein faltes Bad nieder ſtrömt, Seifenwaſſer in Mund , Naſe, Ohren und Augen bringt und auch wohl ein kleines Bächlein den Rücken hinab rieſelt. – Aber groß ſteht Dein Meiſter vor Dir. ,,Geſicht abtrocknen “ , lautet der Befehl, der nicht ohne Dankbarkeit befolgt wird , wie ſich etwa ein wafferſcheuer Hund freut, wenn er wieder an's Land und ſich ſchütteln barf. Ohne Zeitverluſt wirſt Du wieder in Deine alte Poſition auf dem Polſterſtuhle gebracht und während man Dir mit einem Federwedel die Haare trocknet, kannſt Du in dem großen Spiegel Betrachtungen anſtellen über einen Menſchen , dem der Kopf gewaſchen iſt. Dieſe unnatür liche Ruhe dauert aber nicht lange und es iſt ſchwer zu ſagen, ob das was jeßt kommt, nämlich die Procedur des Rämmens von den früheren Martern übertroffen wird . Naß und zuſammengebacken wie die Haare trop des We belns noch fint, erregt das Durchfurchen mit einem weiten fpißen Kamme das Gefühl, als ob ſte alle einzeln heraus geriffen würden , und die darauf folgende Maltraitirung

71 mit einem engeren kann unmöglich ſehr verſchiedenſein von dem , was man unter Scalpiren verſteht. - Doch auch das erreicht ſein Ende und nachdem Du geölt, ge falbt, geglättet, gebürſtet biſt, ſchlägt der Künſtler das Such zurück und betrachtet Dich mit einem Stolze, um den ihn ein Maler beneiden würde, der eben den legten Pinſelſtrich an einem Meiſterſtücke gemacht hat. Bei der Frage, ob Dir etwas von Toilettengegenſtänden zu Dienſten , fällt Dir ein breiter, bis an die Decke reichender Schrank im Hintergrunde auf, deſſen Regale mit Flaſchen, Schachteln und Packetchen aller Art wohlbeſeßt ſind. Du thuft aber wohl nichts zu nehmen , denn was Du in einem Drogueriegeſchäft für 6 Cents fauft, das bezahlft Du hier mit 50, 75 Cents. — Entrichte Deine 2 Schila linge *) und komme mit mir ins Freie, denn ich bin ſchon lange fertig und habe mir die Zeit mit Zeitungsleſen vers trieben . Äpropos, haſt Du dort rechts die braunen Ver ſchläge bemerkt, hinter welchen ſich lauter kleine Cabinets befinden ? Das ſind die Badezimmer. Und nun wieder hinaus , damit wir weiter fommen. Hier gleich neben an wohnt ein Schuſter, aber was für ein eleganter Laden iſt das. Das find ja Fenſterſcheiben ſo groß wie man fie bei uns nur in den feinſten Gewölben hat ! Ja lieber Freund, der Mann beſchäftigt aber auch über 100 Ar beiter in ſeiner Fabrik und ſeine Waare iſt ſo berühmt, daß fich ein New - Yorfer Stußer faum anders als mit Stiefeln aus dieſem Laden ſehen laſſen fann. Viele kleine Meiſter, vorzüglich auch deutſche, arbeiten zu ihm , direct von dieſen würde ſie Niemand kaufen, hier aber geht das franzöſiſche Aroma der Firma auf die Waare über. So find die Leute. Ich habe für 3 Dollars immer recht gute Stiefeln gehabt, hier kannſt Du ſie unter fünf Dollars nicht kaufen .

Der alte ſpaniſche Thaler hat 8 Schilling 12 % Sents man mußte aber gewöhnlich 13 Tents geben, wie dies ja auch mit unſern alten Groſchen der Fall war Trojdem nun daß die alten Schilling- und Zweiſchillingſtücke eingezogen ſind und bei Strafe nicht in Umlauf geſegt werden dürfen, behält man nach wie vor die Rech nung nach Schillingen bei.

72 . Wie dies der Matabor der Schuſter iſt, ſo erblicft Du da drüben das Drafel der Hüte tragenden Jugend. Es ift White, the hatter, der Hutmacher. Ich hatte einſt meinen deutſchen Cylinder aufgeſeßt, der allerdings mit der Mobe nicht Schritt gehalten haben mochte. „ What the dence,“ rief mir ein alter Yankee auf der Straße entgegen, „Was wollen Sie mit dieſer Sötſchen Ofenröhre. Gehen 0 Sie zu White und faufen Sie ſich einen anſtändigen Hut. Und wirklich, der Alte wußte meine Bekannten ſo über die Ofenröhre zu alarmiren , daß ich zu White, dem Hatter mußte, nur um wieder Ruhe zu kriegen. Die Anküns digungen dieſes Mannes ſind oft origineller Art. So ſchickte er einmal eine Anzahl Männer tagelang in den belebteſten Straßen herum , welche einen 2 Ellen hohen Tyrolerhut auf dem Ropfe tragen mußten und darauf war in großen Buchſtaben zu leſen : White , the hatter ! Gleich vis - à - vis iſt ein Hemden store (store heißt Laden ). A18 Abfömmlinge der Engländer halten die Amerikaner viel auf feine, modiſche Wäſche, die Waſchwuth iſt aber nicht ſo groß als im Mutterlande, wo es faſt Noth thäte, daß man die Leibwäſche dreimal des Tags wechſelte. Die Hemdenfabrikanten machen aber immerhin ein gutes Ges ſchäft. Natürlich giebt es auch in dieſem Artikel bevor zugte Firmen, die das Privilegium haben, hohe Preiſe zu ſtellen. Ich faufte mir einſt in einer der berühmteſten Fabriken ein Probehemd für 3 Dollars, während mir ein anderer Fabrikant nach dieſem das Stück zu 1 % Dollars nicht minder gut fertigte. — Wo man Hemden fauft, da find gewiß audy Kleidermagazine in der Nähe , denn jene ziehen dieſen nach. Siehſt Du dort im St. Nicolas -Hotel bas prächtige Schaufenſter ? Dort fannſt Du Dich nach neueftem Pariſer oder Londoner Schnitt vom Ropf bis zum Fuß neu bekleiden , aber Geld koſtets freilich. Wenn Du fie billiger haben willſt, ſo mußt Du nach Chattham ftreet gehen , fieh Dir aber die Sache erſt genau an , che Du auf einen Handel eingehſt, denn dort ſind die Kleider läden nur in Judenhänden, und es kommt nicht ſelten vor, daß fich beim erſten Male Ausbürſten der Schooß vom Rode löſt. Vor gewiffen Läden brauche ich Dich nicht zu warnen , denn Du wirſt ohnehin nicht hineingeben , wenn

73 Du die freiſchende Stimme des ſchmußigen Ausbieters hörft, der auf einem Stuhle vor dem Laden fteht, einen Rod in der einen Hand hält, in der andern einen Rohr ftod , mit dem er auf das ftaubige Kleidungsftück ſchlägt und dabei ſo laut als möglich ruft: „ Wer bietet, wer bietet, drei Dollars zum erſten , ift zehn Dollars werth, drei Dollars zum erſten , zweiten , dritten ," hierauf giebt er dein Roc noch einen kräftigen Schlag mit dem Stoce und hängt ihn wieder hin , um gleich darauf mit einem

1

andern Stücke anzufangen. Es erinnert dies an die Aus rufer vor Thierbuden und Panoramas. Einige Zuſchauer zieht der Lärin doch herbei und es läßt fich wohl auch ein Zeifig vom Lande oder ein Matroſe, der auch gern einmal ſeine Theerjade mit einem blauen Rode vertauſchen möchte, verführen , den verlangten Preis zu zahlen und dafür in den Befit eines abgetragenen Kleidungsſtückes zu gelangen . Früher hatten einige unſerer deutſchen Fabrikanten die Anficht, es müſſe ſich dort, wo die Arbeitskräfte ſo theuer find, ein gutes Geſchäft mit fertigen Kleidern machen laſſen . Dieſe Anſicht war aber , von den leßten zehn Jahren zu fprechen , eine irrige. Denn erſtens iſt der Zou auf fers tige Kleider ein enorm hoher , dann haben es aber die Amerifaner in der Fabrikation billiger und hauptſächlich praktiſcher, dem Lande angemeſſener Sachen en masse weiter gebracht, als irgend ein anderes induſtrielles Volf. Die Berliner Kleiderfabriken ſind nichts gegen jene unges heuren Magazine New - Yorks, welche den ganzen Weſten und Süden vom Ropf zum Fuß bekleiden können , und auch wirklich in allen Staaten darauf reiſen laſſen . Nas die Hände theurer find , das erſeßen die Maſchinen und dort unten an der Éde wirft Du gleich einen store erblicken , aus dem jährlich Tauſende von Arbeitskräften hervorgehen , nämlich Nähmaſchinen. – Dieſer gußs eiſerne Palaft ift 140 Fuß tief und 40 Fuß breit. Der ganze untere Saal, in dem , wie Du ſiehſt , eine Nähs maſchine an der andern ſteht , iſt nichts weiter als ein Mufter ſaal. Die 20 bis 30 Mädchen , welche reich ges pußt vor den verſchiedenen Maſchinen fißen , arbeiten vom Morgen bis zum Abend nichts als Mufter. Hier findet man Nähmaſchinen von 200 Dollars herab bis zu 6 Dols

74 lars das Stück, Maſchinen in Form von Sefretåren, feinen Nähtiſchen und ſolche, die man in die Rodtaſche ſtecken kann . Und das iſt nicht der einzige store in New -Horf, es giebt deren ein halbes Dußend. Rannſt Du mir ſagen , was die beiden coloſſalen Bilder dort drüben zu bedeuten haben , dieſe ungeheure Naſenfirma, auf deren einer Seite ein Herr , auf deren andrer eine Dame mit einer Olaslampe zu fehen iſt ? - Ja wohl. Dort werden Lampen aller Art, vorzüglich ſogenannte Sicherheitslampen verkauft, und wenn Du heut Abend wieder hier vorbeigehft, To fannſt Du ſehen , wie man die Firma illuminirt hat. Aſtral - und Studirlampen giebt es hier freilich nicht, ich hatte mir ſelbſt eine ſolche aus Deutſchland mitgebracht, mußte aber bald gewahr werden, daß ſie hier zu Lande wenig nüz find. Erſtlich waren feine paſſenden Dochte zu bekommen, zweitens war das Del ſo ſchauberhaft ſchlecht, daß der Docht in der erſten Viertelſtunde abfohlte und vom Sitriol zerfreſſen war. Dann endlich mußte ich mir die Lampe felber pußen und vorrichten , weil es die Dienſtmädchen weber machen wollten noch fonnten . So ließ ich denn meine Lampe lampe ſein , kaufte mir für 6 Schilling eine Glaslampe und ein Quart Fluid und hatte ein Licht, welches das Gas faft erſeşte. Fluid, eine Art Gasäther iſt das gewöhnliche Beleuchtungsmittel, abgeſehen davon , daß faſt jedes Städtchen ſeine Gasfabrik hat. Fluid ift farblos , riecht durchaus nicht ſo unangenehm wie Cams phine oder Aether und brennt rein aus bis auf den legten Tropfen . Die Lampen find größtentheils aus weißem oder farbigem Glas in Geſtalt von Vaſen und Pofalen, oben durch einen angeſchraubten Meſfingdedel luftdicht verſchloſſen. Daraus ragen zwei, etwa 2 % Zoll lange Meſſingröhrchen empor, durch welche der dünne runde Docht geſteckt iſt und bis auf den Boden der Lampe herabhängt. Man hat auch noch andere kleine Zinn lämpchen mit einem Röhrchen , welche man vorzüglich in n benußt. benußt. - Den Fluid Boardinghäuſern zum Schlafengehe Schlafengehen

bewahrt man in verſchloſſenen Blechkännchen auf, Erploſios nen können alſo nur beim Füllen der Lampen vorkommen und das iſt denn auch gar häufig der Fall, aber noch lange kein Grund, der gegen die Nüßlichkeit des Stoffes

75 felbft ſpricht In den leßten Jahren iſt das Stein kohlenöl, ſogen. Kerosene ſehr in Aufnahme gekommen . Man brennt es aus Glaskugeln , ähnlich denen , welche halb mit Waſſer halb mit Del gefüllt, auch bei uns eine Zeit lang Mode waren . Leuchter und Lichte ſind unbes fannte Gegenſtände. Doch mein Freund, wir wollen nicht långer vor dieſem Erleuchtungsinſtitute ftehen bleiben, Dort iſt ſchon ein Haufen Gaſſenbuben auf uns aufmerkſam geworden, und die ſind noch etwas ſchlimmer als die das heim . Damit Du aber auch die Induſtrie dieſer Rinder anerkennſt, ſo zieh einmal Deinen Beutel und gieb dem kleinen Mädchen dort mit dem Beſen einen Cent. Bei ſchlechtem Wetter und vorzüglich im Frühjahr wo Broads way eine Elle tief im Rothe ftedt, kommt es einem gar ſehr zu pafſen , wenn die Kleinen mit geſtohlenen Beſen einen Gang über die Straße fegen und man giebt ihnen gern eine Kleinigkeit für ihre Mühe. Sie ſind aber auch unermüdlich, denn was fie in dieſem Augenblick geſäubert, das macht der nächſte Omnibus ſo ſchmußig als zuvor, eine wahre Danaidenarbeit. Die Ariſtokratie der Straßen jugend giebt fich nicht mit ſolch ſchmußiger Arbeit ab, fondern treibt Handel , ja einen ganz einträglichen Hans bel. - Und womit denn ? - Mit Zuckerpläßchen , Früchs ten , Zahnbürſten , Papier, Werkzeugen aller Art, Ellen maaßen, und vor allen Dingen mit Zeitungen . Die Zeis tungsjungen ſind eine ganz verſchmigte Sekte . Sie ſind zudringlich wie die Schmeißfliegen , pfiffig wie der Kukuf, Tag und Nacht auf den Beinen. Um 6 Uhr des Mors gens werden die Zeitungen ausgegeben , aber ſchon von 4 Uhr an umlagern ſie die Offices, faufen jeder nach ſeinen Kräften und find uin 7 Uhr ſchon auf aüen Booten, vor allen Hotels und am oberſten Ende der Stadt zu treffen . Sie laſſen ſich nicht ſo leicht abweiſen , wenn ſie es ein mal auf Jemand gemünzt haben , fie nehmen es fogar fühn mit der ganzen Polizeimacht auf. Denn als dieſe angeſtachelt vermuthlich von ein paar bigotten Ladies der obern Stadt, es ſich in den Ropf gefekt hatte, das Sonne tagsgeſeß zu forciren und das ſonntägliche Austragen , ſos wie das Ausrufen der Zeitungen zu unterſagen , da war es allerdings an einem Sonntag ruhig, den nächſten aber

76 war das erſte, was man hörte wenn man den Kopf zum Fenſter hinausſtedte: Sunday - Herald , Sunday Times, Weekly - Tribune , Weekly - Despatch , Frank - Lesliés. Illustrated, und wie die Zeitungen alle noch heißen mögen und das wurde mit einer fo muntern luſtigen Stimme gerufen , als ob die Polizei nie ein Verbot erlaſſen hätte. Und ſie verkaufen heute noch ihre Sonntagsblätter. Da wir nun einmal von den Zeitungen ſprechen , ſo will ich Dir gleich etwas Weiteres über dieſe felbft mits theilen . Du ftehft dort das große vierftodige, aus gelben Es gehört den Eigens Sandſtein errichtete Gebäude. thümern der „ New - YorksTimes . " Früher ftand eine Kirche da, die leßte, welche noch an die Zeiten der Hols länder in jener Stadt errinnerte. Man nannte ſite ges wöhnlich ,, die alte Bacfteinkirche " und es war ſchon lange kein Gottesdienſt barin gehalten worden . Da fauften die Herausgeber obiger Zeitung, den Plaß, riffen mir nichts , dir nichts die Kirche nieder und fingen an ein neues und wie du ſiehſt ſehr ſchönes Volkserleuchtungos haus zu bauen. Die Rathámänner dachten aber, es wäre beffer , wenn die Poft aus der alten Dorffirche, in der fie ießt iſt , dahin käme und weil ſie wie dies dann zus weilen vorkommt, verſäumt hatten ſich in Zeiten den Play zu fichern , ſo wollten ſie ihn den neuen Befißern ſtreitig machen . Es war aber nichts , denn obgleich fie ſagten, er gehöre zum Park und folglich der Stadt , ſo hatten doch Jene einen gerichtlichen Kaufbrief in Händen und hätten ihn um Alles in der Welt nicht wieder hergegeben , es ſei denn gegen einen guten Profit. So weit fames aber nicht, und ſo behielten ſie denn den Plaß und baus ten und was fie gebaut haben , das iſt ießt eine Zierbe der Stadt geworden . Dieſe Leutchen fißen überhaupt in der Wolle und haben früher zum großen Theil nicht einen Cent gehabt. So iſt James Gordon - Bennett , der Eigenthümer des „ Herald “ , des weitverbreitetften und doch ſchlechteſten Blattes , ießt ein Mann von mehreren Mils lionen und hat ſeiner Zeit mehrmals ſeine Taſchenuhr vers feßen müſſen um fein Blättchen , das damals in einem Keller redigirt und gedrudt wurde, aus den Händen des sheriff wieder einlöſen zu können . Horace Greeley,

-

77

Miteigenthümer ber ,, Tribune" und großer Sklavenfreund, wenn er ihnen auch keinen Heller giebt und ſich ſchämen würde , neben einem Schwarzen im Omnibuſſe zu figen , war feiner Zeit ein Druckerbube, der mehr aló einmal ſeine Stellung verlaſſen mußte. Jeßt gebietet er über Hunderttauſente, lebt aber nach wie vor von Pflanzen und geht in einem wohlbefannten blauen Rocke einher. Wodurch es dieſe Leute ſoweit gebracht haben ? Durch Energie und Ausdauer auf der einen , durch Parteigößen dienſt und Beſtechlichkeit auf der andern Seite . Sie ſtehen zu der Fahne, die ihnen am meiſten abwirft, und winkt man ihnen mit einer andern , auf der geſchrieben fteht: Zehntauſend Dollars mehr, da treten ſie die vorige mit Füßen . - Die Lefewuth unter den gewöhnlichen Leuten iſt dort ſehr groß, wenn nur die Lectüre immer gut wäre. Wie bei uns viele Arbeiter ihr Tagewerk nicht beginnen können ohne einen Schnaps getrunfen zu haben , ſo hebt dort Keiner, der überhaupt leſen kann , die Hand , ohne einen Blid in ſeine Zeitung geworfen zu haben , die er ſich bei einem Jungen oder in einer Bude kauft. Ich ſage feine Zeitung , denn ein Jeder hat ſein Lieblingos blatt, fei es nun dasſelbe, weil es das billigſte iſt, ober weil Kriminalproceſſe oder Ritterromane darin ſtehen oder weil es die meiſten Annoncen bringt. Es erſcheinen im Augenblick in New - York 6 große tägliche Zeitungen in engliſcher und 3 in Deutſcher Sprache . Wöchentlich wes nigſtens 15 (einſchließlich der Sonntagsblätter der täg lichen Zeitungen ) darunter auch noch eine deutſche Il luſtricte, eine franzöſiſche und eine ſpaniſche. – Die Zahl Der Abonnenten iſt eine ungeheure. Der Herald allein feßt täglich zwiſchen 88 und 100,000 Eremplare ab. Das Druden geſchieht durch eine Dampfriefenpreffe unter der Erbe in nicht mehr als 4 Stunden , 24,000 Erem plare per Stunde, in einem Formate womnit man bequem eine Thür verhängen oder ein Bett bebeden kann . Der peſchen , welche bis Nachts 12 Uhr eingehen , ſind früh um 6 Uhr bereits in den täglichen Zeitungen zu leſen . Die deutſche Preſſe übt einen bedeutenden Einfluß aus, und ſteht daher in nicht geringem Anſehen , wenn aucy nicht immer in großer Achtung , denn dieſe haben ſich bis

78 jeßt noch wenig Redacteure zu erwerben gewußt. Das ift fo ungefähr was ich Dir von den Zeitungen erzählen könnte. Wie nothwendig auch öffentliche Aufflärung thut, wie fegensreich ein gut geleitetes " Blatt in dem Kreiſe ſeis ner Leſer wirkt , hier iſt zugleich der Beweis gegeben , wie aufregend , demoraliſirend und fanatiſirend auf die große Menge das öffentliche Predigen eines rückſichtsloſen Pare teigängers ſein kann. – Gehen wir weiter. – Hier ſtehſt Du etwas , was im Stande iſt, den ernſthafteſten Men ſchen zum Lachen zu reizen. Ein Haus über und über mit ſcherzhaften Bildern , Arabesfen und Alphabeten be malt. Dies iſt der Siß eines großen Künſtlers, eines Firmafchreibers . Er ſcheint gar nicht übel zu malen, dort hat er ſich ſelbſt auf ein großes Schild gezeichnet, wie er zwiſchen Töpfen , großen und kleinen Pinſeln vor einer halbfertigen Firma ſteht , und wer ihn fennt , muß fagen , er ſei getroffen . Wahrſcheinlich ein verkommenes Genie, das fich hier beffer fteht, als beim Landſchaftmalen und Porträtiren. Die Amerikaner legen aber auch viel Werth auf Firmen und bepflaſtern ihre Häuſer faſt bamit. Jede neue, originelle Art , etwas anzufündigen , wird faft mit Gelb aufgewogen . Sieh dort gleich ein Inſtitut dieſer Art. Ein Wagen in Form eines Möbelwagens , mit weißer Leinwand überſpannt, auf welcher in greller Farbens zuſammenſtellung die Vergnügungen des Tages zu leſen find. Er fährtin der ganzen Stadt herum und wird des Abends iluminirt. Ehe ich Dich nun mitnehme nach dem Waſhingtons Markt, den Du ſchlechterdings ſehen mußt , um eine Idee von dem zu bekommen , was man in New York Marft nennt, wollen wir einen Augenblick dort an der Paulos kirche raften neben dem großen , aus grauem Marmor erbauten Aſtorhauſe, wo ich Dir etwas ganz Beſonderes zeigen will. - Doch was wil der Junge hier , der immer mit ſeiner Rattenfallé vor mir herläuft und mich anſpricht ? Er will Dir die Stiefel wichſen , Freund , und Du wirſt gar nicht übel thun , ihm für einen Sirpence zu widfahren , denn es ſcheint mir , daß die Deinigen des Glanzes gar ſehr bedürfen ! - Sa leider , wirſt Du mir antworten , das Dienſtmädchen hat es ſchon wieder vers

79

geſſen ! Und wird es noch viel öfter. In dieſem Lande der Freiheit beißt es , Selbft iſt der Mann . Am aller wenigſten darfſt Du Dich auf Dienſtboten verlaſſen , da biſt Du ganz gewiß verlaſſen . Sieh , dieſe Mädchen be kommen und beanſpruchen 60, 70, 100 und mehr Dollars Gehalt. Das iſt mehr als in Deutſchland ein tüchtiger Verwalter erhält . Und was leiften ſie dafür ? Fleiſch , Brot und Gemüſe werden in's Haus gebracht. Andere Sachen holt man beim nächſten Grocer (Krämer) an der Ede. Im kleinſten Haushalt giebt es eine Köchin und ein Stubenmädchen , ruft aber die Madame , ſo find fie nicht da ober fie antworten ärgerlid ), daß fie feine Zeit haben . Kommt aber ihr Schaß, kommt Patrick oder John , da können ſie ſtundenlang in der Rüche fißen . Pat muß zu eſſen bekommen . Pat bringt auch einen guten Freund mit. Das Mädchen will doch auch einmal eine Freundin bei ſich ſehen , wil des Abends mit Pat ſpazieren, Sonntags ein paarmal in die Kirche oder auf's Land gehen , und da bleibt natürlich nicht viel Zeit für Madame übrig. Aber gar Stiefel wichſen ? Herr, wie können Sie mir , einer Lady , ſo etwas zumuthen ! Na, beruhige Dich, Freund, find Deine Stiefel blank für 6 Cente ? Romm weiter . - laß uns bort auf das Trottoir gehen. Ich fann Dir vielleicht ein Paar originelle Perle zeigen . Dieſer da mit dem einen Auge und dem alten Hunde iſt ein Hundehändler. Weiß der Himmel , wo er das Viehzeug immer Herkriegt, aber wenn Jemanden ein Pubel , ein Dache , ein Neufoundländer abhanden gekoms Der men , bei dieſem da kann er ihn wieder kaufen . andere bort iſt ein Blinder. Die Leute haben viel Mits leid mit ihm und er bringt täglich ein hübſches Sümms chen zuſammen . Niemand kann beſchwören , daß er nicht blind ſei, ich habe aber einmal geſehen , wie er ſein Geld zählte, die Augen zum Himmel aufſchlug und Gott dankte, daß es noch ſo viel gute Menſchen gäbe. - Jener mit der Brille dort endlich , der von der Zehe bis zum Scheitel mit Hundefetten und Halsbändern behangen iſt , iſt ein deutſcher Schulmeiſter von vor 49. Er flagt immer daß die Geſchäfte ſchlecht gehen und dann raſſelt er allemal dräuend mit ſeinen Retten , daß es Einem falt über den

80 Rüden läuft. Nun aber fieh über die Straße und be trachte Dir jenes ſeltſame Echaus. In der erſten Etage iſt ein großer Balkon angebracht, auf dem foeben ein deutſches Muſikchor in Zuaventracht ein Stüc aus dem Freiſchüß ſpielt. Im Hintergrunde, das heißt den Muft fanten im Rücfen , erhebt fich bis in die zweite Etage herauf ein coloſſales Gemälbe, auf dem zwei Räuber foeben einen jungen Menſchen ermorden , während auf einem nahen Hügel ein Vater über der Leiche ſeines Kindes fürdyterliche Rache fchwört. Die übrigen Wände ſind mit ovalen Bildern von Ablern , Löwen , Schlangen , Nilpferden und Löffelgänſen geſpickt. - Nun , was iſt damit ? Ein Muſeum , wie ich febe ? - Jawohl, ein Muſeum , das iſt der berühinte Barnum , der größte Humbug (Schwindler), den Ames rifa erzeugt hat, der berühmteſte Mann von einem Pole zum andern. Du wirſt doch keine große Luft verſpüren, 2 Schillinge wegzuwerfen , ich will Dir aber erzählen, was man dafür alles zu ſehen bekommt. Ales , merke wohl , Alles , was die Welt feit Chriſti Geburt und noch viel weiter zurück, an Merkwürdigkeiten beſeffen hat und noch beſißt, das iſt in dieſem Echaus aufgeſpeichert. Hahn des Petrus, das Schwert Kaiſer Karl des Großen, das Schiff des Columbus, das Fernrohr, mit dem Galileo Galilei die Monde des Jupiter entdecte, der Kopfpuß des leßten Mohikaners , alles , alles hat Barnum. Lebendige Eskimos, weiße Neger, bärtige Knaben , außerordentlich fette und außerordentlich dürre Menſchen , Riefen und Zwerge , Affenmenſchen , ausgeſtopfte und lebendige Thiere aller Zonen , aller Gattungen , Barnum hat ſie. Sämmtliche Potentaten Europa's von der Königin von England an bis zum feligen Sultan fißen in Wachs in Lebensgröße in einem Glaskaſten . Dicht daneben befindet fich eine friedliche Thierfamilie, beftehend aus Füchſen und Gänſen , Kaßen und Mäuſen , Schlangen und Ka ninchen , Wölfen und Schafen in einem Raften. Und damit nichts mangelt , befindet ſich im Hauſe eine Bühne, auf der nady Barnum's Ankündigungen die beſten Schau ſpieler der Welt auftreten! Er felbſt aber iſt ein Mann der Mythe , niemals zu Haus und nirgends zu Haus,

81

ftets unterwegs und noch nie angekommen . Nur zweimal war er wirklich feft, einmal als er ſeine Villa wegges feuert haben ſollte, das andere Mal als er ſeine Wechſel Alles was gewöhnlichen Menſchen nicht bezahlen ſollte. möglich , das führt Barnum aus . Vor einigen Jahren ging er nach Paris, um den Leichnam Napoleon's I. aus feiner Gruft zu entführen . Aber deſſen Neffe hatte ein Pacet ſehr ſchlechten Kautabak vor dem Mauſoleum aufs geftellt. Barnum war Yankee , er foftete davon , ihm warb ſchlecht und erzürnt wandte er Paris den Rücken . Das iſt das einzige Mal , wo Barnum nicht ausgeführt hat , was er wodte. Ich bin überzeugt , wenn Barnum einmal geſtorben ift, ſo wird er laut teſtamentariſcher Anordnung , einbals ſamirt ſeinem Muſeum als größte Merkwürdigkeit einvers leibt. Und die Amerikaner werden laufen und rennen , fich drängen und ſtoßen , den Mann zu ſehen , ber fte befchwindelt hat , und man wird mit einem zufriedenen Lächeln von ihm ſagen : he was a smart fellow , er war ein geſcheidter Kerl.-- Und nun rechts umkehrt, marſch, in die afſe da hinein , fonft fommen wir im Leben nicht Die Straße , welche wir jeßt entlang auf den Markt. gehen , heißt die ,, Fulton - Straße. " So oft ich ihren Namen ausſpreche, (und es geht Hunderten gewiß ebenſo), denke ich jenes intelligenten Mannes , welcher , mit aller Energie ſeines Geiſtes und mit Aufopferung ſeines Ver mögens der Erfinder der Dampfböte warb , bie heut zu Tage Tauſende über’8 Meer tragen und von Tauſenden benüßt werden, ohne daß es von Hundert oft kaum Einem einfällt, wem wir ſie verbanfen . Es iſt eine ſchöne Sitte, den großen Männern der Nation auf dieſe volksthümliche Weiſe ein Denkmal zu feßen . In jeder amerikaniſchen In Stadt giebt es wenigſtens eine Waſhington - Straße. größeren finden wir Barclay - , Clintons, De Witt-, Irvings und andere an große Männer erinnernde Straßen, Pläße und Märkte. Warum iſt dieſe Sitte nicht auch bei uns zu Hauſe ? Vielleicht weil wir keine Nation find. Aber wir waren doch eine und hoffen auch wieder eine zu werden. Unſere Rathscollegien zerbrechen ſich oft die Köpfe über Namen von Straßen. Haben wir keinen Hers 6

82 mann , feinen Rudolf, keinen Fuß und Luther , feinen Goethe, Schiller , Leffing, Körner, feinen Sdvid unb Blücher, denen wir mit Recht die ſchönſten unſrer Straßen und Pläße daheim ' widmen können ? Und wenn dieſe Na men in allen Drten dieſelben fein ſollten , es iſt darum noch keine Eintönig feit , nur um fo öfter werden wir an unſre Helden , an die Vertheidiger deutſcher Sitten und Sprache, deutſcher Freiheit erinnert. Doch Freund , wir find in New York, es weht gerade eine friſche Briſe von Often und iſt darum unwahrſcheinlich , daß man uns zu Hauſe hören werde . - Rannſt Du mir wohl ſagen , wað Ich ſehe , er in dieſem ſchmußigen Laden vor fich geht ? fteht gedrängt volt Menſchen , die aữe Tabak fauen und auf einen Mann ſehen , deſſen Mund fich bewegt wie eine Das iſt eine Schwindelauction , foges Vogelflapper. Hier im Schaufenſterfiehſt Du nannte Modauction. Seine goldne Ankeruhr liegen , und wenn Du ein wenig horchen willſt, ſo wirft Du hören , wie man ſie dem Cinen oder dem Andern für 5., 6 Dollars zuſchlägt, während der Reft fich in Lobeserhebungen über die Fein heit des Werkes oder in lautem Tadel über die niedrigen Gebote ergeht. Manchmal fommt wohl auch ein Zane zu Stande. Aber auch das iſt nur Schwindel unb be Die Leute ſind nämlich rechnet, die Fremden anzuziehen. alle gut Freund (ſoweit das unter Schwindlern möglich ift) und warten " nur auf einen , der nicht zu ihnen gehört. Schlüpft ſo ein Grüner in's Garn , dann geht es an ein Bieten um die Wette und der Grüne trägt natürlich alle Er bezahlt ſein Geld , läßt fich 'mal den Sieg davon. aber , wohlverſtanden , die Uhr vorher noch einmal zeigen , denn er iſt ein Pfiffifus. Darauf giebt er fie dem Auctios Das geſchieht, der nator zurück, zum „ Einwideln ." Grüne ſchiebt ſte in die Taſche und wandert ſeelenvergnügt feines Wegs. Wenn er nach Hauſe kommt, feßt er ſich an8 Fenſter, zieht ſein Kleinod an das Tageslicht und findet ein ausgeleiertes Tomback- oder Meſſingwerf, nicht 50 Cents werth. Entſeßt läuft er auf die Polizei, das unerhörte muß geſtraft werden , aber , wir haben ſchon geſehen , daß in folchen Fällen nichts zu thun ift, ihm fehlen die Beweiſe und zehn andere würden gegen

83 ilyn geugen . Zum öfteren fauft man den Gimpel auch die Uhr für das Doppelte wieder ab , verſteht ſich ein ganz Unbetheiligter, der ſein Beftes will. Geht er darauf ein, ſo fann er fich aus den Bids Fidibuſſe maden , denn fie find falſch oder von bankerotten Banken . Diere Sorte von Auctionen iſt die niedrigſte und Gott ſei Dank im Verſchwinden begriffen , nicht weil ſie die Polizei auf hebt, denn dieſe fann ja doch nichts thun , als einen Mann vor die Thür ſtellen, der die Fremden warnt (oder fich von den Einheimiſchen tractiren läßt), aber der öffent liche Unwille hat ihnen das Genick gebrochen und wo kein Geſchäft mehr zu machen iſt , da müſſen ſelbſt die Schwindler zu Grunde gehen . - Zunächſt folgen nun die täglichen Auctionen von Kurzwaaren , Hausgeräthen , Wagen , Pferden und Geſchirren , Spirituoſen , ausges ftopften Vögeln und dergl. Man kann dort zwar auch geleimt werden , denn viele der Bietenden ſind bezahlte Leute, angeſtellt , den Preis in die Höhe zu treiben , aber ſo betrügeriſch geht es denn doch nicht her. Es iſt im Gegentheil recht amüſant, die Mundfertigkeit des Auctio nators zu beobachten , die oft an's Fabelhafte grenzt. In einem Åthem wiederholt er zwanzig Mal sixty six , six, six , six , going , going , going , who bids , going , going, sixty six , going - gone , worauf dann allemal der Schlag mit dem Hammer folgt. Ein Gebot , und ſei es nur geflüſtert, ſieht er den Leuten an dem Munde ab, ja , wenn einer nur den Gedanken hatte zu bieten , ſo fragt er ſchon : boten Sie , inein Herr ? Die bezahlten Peute bieten mittlerweile fleißig mit , bummeln im Locale herum , machen die Fremden auf irgend einen Gegenſtand aufmerkſam , räumen ihnen den vorderſten Plaß ein und trinfen fleißig , wenn gerade Spirituoſen zum Verkauf fommen , von den herumgereichten Proben. - Auf der dritten und höchſten Stufe ſtehen endlich jene Auctionen , welche von Importeurs veranſtaltet werden , entweder um ihre Läger zu räumen , oder um eine günſtige Periode zum Verkauf zu benußen . Solche Auctionen finden in der Saiſon alle Modhen an mehreren Orten zugleich ſtatt - Der Verkäufer hat nichts zu thun, ale bem Auctionator Proben mit Angabe des Quantums und des Limitums 6*

-

84 zuzuſchiden. Die Roften belaufen fich auf etwa 10 % . Doch während des Plauderns find wir nach dem Waſhington -Markt gekommen, und Du wirſt wohl thun, Dieſes alte nicht über dieſen Auſternforb wegzufallen. Holzneft , welches ungefähr ein Viered von vier Straßen einnimmt mit dem kleinen Thurm und der nie aufgezoges nen Uhr , iſt ein Markt , auf dem alle Tage feil gehalten wird. Wir wollen einmal durchgehen , denn das Leben und Treiben da innen iſt höchft intereſſant. Waſhingtons Marft iſt einer der belebteſten der Stadt, denn vermöge ſeiner Lage am Hudſon iſt der Zuſammenfluß von Küchen bedürfniſſen aller Art ein ſehr großer. Dabei bietet er zugleich immer das früheſte der Saiſon , wie z. B. neue Rartoffeln von den Bermudas - Inſeln im Februar, Erdbeeren aus New - Jerſey im Mai u. f. f. Man fann fich ſehr leicht darin zurecht finden , denn troßbem , daß die Benußung des Raumes eine höchſt ſparſame iſt, herrſcht boch große Ordnung in der Aufſtellung der Stände , und jedé beſondere Gattung iſt auf beſondere Pläße beſchränkt. So find die Kartoffelhändler für ſich , die Händler mit trodnem und friſchem Gemüſe, die Fruchtverkäufer , die Fiſchhändler und wie ſie alle heißen mögen. Dem deutſchen Auge bieten ſich oft ungewohnte Scenen dar. Hier hängen in einer Wildpretbude neben Hirſchen und Rehen weiße und ſchwarze Schwäne, ſchwarze Truthühner, Prairyhühner, wohl auch einmal ein Bär. Dort erblichen wir bei einem Fiſchhändler Seefiſche von Mannesſtärke, zwei Fuß lange Hummer, Seefrabben , Rochen , bei einem Auſternmanne Schalenthiere der verſchiedenartigſten Form , bei einer Frucht verkäuferin grüne Waſſermelonen in Geſtalt einer ellens langen , einen Fuß diden Gurke , welche im Innern vom zarteſten Roſenroth in das tiefſte Purpurroth ſpielen und kohlſchwarze Rerne haben , Mußmelonen , Eierfrüchte von der Größe eines Straußeneies und theils gelber, theile violetter Färbung u . F. mehr. Eine beſondere Fertigkeit haben u . a . die Fleiſcher im Abhauen und Abwägen des verlangten Fleiſches. Ein Blick auf den Räufer lehrt fte ſofort , was und wieviel der Mann bedarf , und ehe er noch mit Beſichtigung des gewünſchten Stüdes fertig ges worden , hat er es ſchon im Rorbe brinn. Die übrigen

85 Berkäufer gehen nicht weniger fummariſch zu Werke, unb das ift ein Geſchnatter , Geſumſe und Geplapper, wie es auf der Hamburger Börſe nicht ſchlimmer ſein kann. Auch die größten Hotele beziehen ihre Rüchenvorräthe von Der Intendant tritt mit ſeinem Waſhington - Markt. Buche vor einer Bude , bezeichnet mit der Hand, was 'er für ſeine Tafel wünſcht, und während er den Preis noch notirt, iſt das verlangte Stück ſchon auf den bereitſtehen den Karren gehoben. Die ſo häufig beſprochene und ges rühmte amerikaniſche Sitte , daß die Männer die Küchens einkäufe beſorgen , iſt auch mehr und mehr im Verſchwinden begriffen . Nur die vornehmen Amerikaner, deren Haus halt mit einem größeren Aufwande verbunden , verrichten dies Geſchäft als zum Geſchäft gehörig, ſelbſt, die meiſten Hausfrauen aber , und vorzüglich die deutſchen , wenn ſie nur einigermaßen mit dem Engliſchen zu Fache kommen , ſagen ihren Eheberrn dort wie hier : das beſorge ich ſelbft, Davon verſtehſt Du nichts, und ſie haben Recht. - Die Zufuhr zu den Märkten findet des Nachts vorher ftatt. Abends um 10 Uhr ſind die vom New Jerſeys üfer fommenden Ferryboote mit ländlichen Geſchirren aller Art bedeckt und die Straßen förmlich blodirt. Früh find file alle wieder verſchwunden , denn die Händler bemächs tigen fich mit Sonnenaufgang des Herbeigeſchafften und nur vor den Productengeſchäften ſteht man Haufen Anas nas , oder Berge von Erdbeerförben aufgethürmt. Es iſt berechnet, daß in der Erdbeerzeit New York wöchentlich gegen 80,000 Rörbchen Erdbeere verbraucht. Am Thanks givingday ( Erntefeft), wo faſt jede Familie, auch die ärmſte, cinen Truthahn verſpeiſt , mögen zwiſchen 20 und 30 Tauſend dieſer follernden Geſellen auf den Tiſch kommen. Außer Waſhington - Markt giebt es noch vier , oder fünf größere Märkte , die übrigen find von geringer Bes deutung . - Wenn es Dir recht iſt, wollen wir jeßt unſre Schritte nach dem Geldmarkte lenken , und ich habe auf dem Wege vielleicht noch Gelegenheit Dir Das oder Jenes mitzutheilen . Bleib einmal hier an der Ede einen Augenblic ftehen und befteh Dir die vier, einander gegenüberſtehenden Firmen . Auf der erſten ſteht: John Baetjer's grocery , auf der

86

zweiten : grocery & general variety 'store by Edwd! Munde , auf der dritten : P. Murphy's grocery und auf der vierten endlich wieder das Wort grocery James Grocery heißt Specereihandel, daſſelbe was Blank . unſre ſogenannten Materialwaarenhandlungen ſind. Alſodret deutſche und eine iriſche Handlung dieſer Art an vier eins Ecken . Das würde doch bet ander gegenüberſtehenden uns , wo ſich Concurrenten wie Hund und Kaße zu eins ander verhalten , kein „ vernünftiger “ Menſch thun , dort geſchicht's aber und ſie fahren deshalb nicht ſchlechter, Jeber hat feine Rundſchaft , und fehlt dem Einen ber oder jener Artifel, ſo ſagt er dem Käufer freundlich , daß er ihn bef feinem Nachbar erhalten kann . - In den groceryes findet man außer den gewöhnlichen Materialwaaren noch grüne Gemüſe , Kartoffeln , Böttcherwaaren , Beſen , Vica Die Inhaber tualien , wohl auch Spielzeug für Kinder. biefer Handlungen ſind meiſtens Plattdeutſche , ein kleiner Theil Irländer , die fich alle wohl befinden . Sie befigen , ebenſo wie die Fleiſcher und Bácer ein eignes Gefährt, gewöhnlich ein ſchmuckes Pferdchen und ein mit Wachsa tuch überſpanntes Wägelchen , auf dem in bunten Ara besten die Firma des Eigenthümers angebracht iſt. Sonns tags fahren ſie dann mit ihren Familien ſpazieren und die deutſchengrocers bilden ſogar eine eigene berittene Milizcoms pagnie - Die Fleiſcher find ihres ſchnellen Fahrens wegen ſprüchwörtlich in New - York geworden , es vergeht auch ſelten ein Tag, an dein nicht ein Unglü & paffirt, ob gleich ſonſt Erwachſene wie Kinder ſo ziemlich an das Buntburcheinander gewöhnt ſind. - Da ich foeben auch von Bäckern mit ſprach und Dir noch keinen Laden biefer Art gezeigt habe, ſo ſteh einmal durch dieſes Schaufenſter, in dem ein Rieſenkürbis, umgeben von Pies (Kuchen ) aller Art thront. Der Mann iſt ein Deutſcher und trägt alle Sage feine 300 Dollars auf die Banf. Schlecht gerechnet nehmen täglich zwiſchen 12 und 2 Uhr gegen 600 Menſchen ihr Lunch (zweites Frühſtüc ) bei ihm ein , beſtehend in Kaffee und Kuchen , Fruchtfuchen, Milch mit Beeren und Brob und bergl. Er verſorgt ferner viele Bremer und Hamburger Schiffe mit Brot und hat das Berbienft, durch Einführung eines guten deutſchen Roggen

87 drobes und des befannten Pumpernidele , bad weiße, faltas åbnliche Gebåd der Amerikaner einigermaßen außer Curs gebracht zu haben . Seine Arbeiter verdienen bei täglich: zweimaligem Baden 8 bis 12 Dollars per Woche. Wir könnten jeßt , da wir in Cedar street. ſind, gerades auf die Poſt zugehen , fomm aber lieber ein Stüc. mit zurück, wir nehmen dann unſern Weg burch Nassau street. Was, Freund , giebt es hier auch deutſche Abs vocaten ? - Warum nicht, das Schild an der Thür ſagt e $ Dir deutlich genug. Charles Otto, deutſcher Advocats und Notar. Ich fann Dir übrigens ſagen , daß ihr Brod hier nicht gebacken wird. Wenn auch daheim bei uns die Advocaten ſchon im Allgemeinen recht geriebene Leute find für Amerika ſind fte noch lange nicht gerieben genug. Im Vertrauen , ſie haben alle zu ehrliche Grundſäße. Was ift in Amerika Recht ? Ein Stüd hart geworbener Shon , den man anfeuchten muß um ihn dann in jede beliebige Form fneten zu fönnen . Nun fiebſt Du, die Feuchtigkeit, die kommt aus dem Geldbeutel Des Clienten und der Töpfer iſt der Advocat. Unſre Deutſchen Advocaten bes fiken aber eben nicht die Geſchicklichkeit einen Topf zu drehen , der der Weißglühhiße des Gegners Stand zu haften vermöchte , und darum machen ſie auch kein Ger fchäft. Dabei bietet die engliſche Sprache Schwierigkeiten , über welche ein Mann in den dreißigern , ſei er noch for gelehrt, nicht ſo leicht wegkommt, als einer, der ſich von Jugend auf in ihren Zweideutigkeiten und Spißfindigkeiten: getummelt hat, wie ein Hallore in dem Wafier der Saale . Einige unſrer deutſchen Advocaten machen ein recht: gutes Geſchäft , ſind wohl audy als Dollmetſcher bei Ges richt angeſtellt , find aber doch immer nur einzelne. Im Algemeinen beſchäftigen ſie ſich mit Ausfertigung von Schulbflagen, Kaufbriefen, Volmachten und bergl. Zum Bláidiren wird's einer nicht gleich bringen . — Und nun , Perehrtefter, guc einmal von dieſem Advocatenſchilde: weg geradeaus unb betrachte Dir jene zwei Glasballons , von benen einer mit gelbem, der andere mit blauem Del gefüllt iſt, in benen fich die Sonne gar luſtig fpiegelt. Des Abend brennt man hinter dieſen Ballons Baslichter an und ſucht damit den Leuten ſchon von weitem den Ort zu

88

zeigen , wo man Geſunde frank unb: Kranke öfters nicht Wollen geſund macht. Es iſt nämlich eine Apotheke. einmal herein gehen und uns eine Cigarre faufen , dann fannſt Du gleich fehen , mit was man außer Medicin hier noch handelt. Da iſt zuvörberft Candy in allen feinen beliebten Façons , dann Bürſten , Kämme, Seifen, Bartwichſe, Rafirſpiegel, Stiefelwichſe für Junggeſellen, Kliftirſprißen, Guttaperchawaaren, Spazierftöde und bergl. Enblid ftehen Familiens und Patentmedicin, allopathiſche und homöopathiſche Hülfsmittel friedlich neben einander. Es ift Dir nichts mehr mit dem Geſchäft, jedes zweite Haus iſt ein Drug - store ( ſpr. dröggſtor), und die Cons currenz läßt fein Mittel unverſucht, ihrer Waare auf alle mögliche Art Abgang zu verſchaffen . Die ſchmußig ften Arzneimittel werden in allen öffentlichen Blättern ohne Scheu angekündigt, oft um Folgen zu erzielen, welche Ferner man bei uns mit dem Zuchthaus beſtraft. werben Gifte und ſtarke Betäubungemittel wie Arſenik, Strychnin , Dpium und Laubanum faft ohne jeden Rücks halt verkauft , und ſo dem zunehmenden Selbſtmordwahn finn in jeder Form Borſchub geleiſtet. - Wie die Apos thefen , ſo ſtehen die Aerzte auf ſehr niederer Stufe, denn die wenigen gebildeten Aerzte , welche von hier hinüber gingen , kann man wahrhaftig auf den Fingernagel ſchreiben , dagegen treibt fich eine ganze Armee von Quadfalbern herum , die die Gottesäder arg bevölkern. Der Ameri faner liebt nämlich bei ſeinem ungeſtümen Temperament Mittel , welche ihm für ſeine Leiden möglichſt augenblids liche Linderung verſchaffen , unbekümmert ob ſie ſeinen Solche Mittel Zuſtand ſpäter doppelt verſchlimmern. werden ihm nun von ſeinen Quadſalbern und Pillenfabri fanten in Menge geboten , für jedes Leiden 2 , 3 , den Einen treiben ſie aber mit der Zeit zum Selbſtmord , der andere wird verrüdt, der dritte verfällt in unheilbares Siechthum , und kein Menſch fragt danach . Ich habe ſelbft Einen gekannt, der in Deutſchland Wagenſchieber auf einem Bahnhofe war und in Amerifa praktiſcher Arzt und Geburtshelfer wurde. - Am beſten haben es und find die Zahnärzte , denen der Hanfee von Jugend auf in die Hände arbeitet. Die Damen haben in Folge der unauf

89 hörlichen Zuđerfreſſereien natürlich verborbene Magen und ſchlechte Zähne , in Folge davon wieder die Zahnärzte viel zu thun, in jedem zweiten Haus ein Zahnarzt und wenig jener gepußten, eitlen Dämchen ohne falſche Zähne. Erlaube indeß, mein Lieber, daß , ehe wir weiter gehen , ich mich einen Augenblic verſchnaufe.

Nimm Dich in Acht, ober Du wirft überfahren . Bon was ? ich ſehe ja feine Pferbe. Pferde ſind auch nicht da , aber ein Wagen und zwar ein Dampfwagen . Was , jenes Ding dort , das hinter ' uns herraſſelt, wäre . . . Ein Dampfwagen , ſiehſt Du nicht die Funken ſprühen ? Sieh wie ſich die Maſchine die Schienen ſelber legt, wie ſie ſich leicht durch das Chaos von Omnibuſſen und Karren bewegt. Was würden ſie daheim in Friede. felt dazu ſagen , wo die Bauern noch die Röpfe über einen regelmäßig auf Schienen laufenden Dampfwagen ſchütteln ! Ich will nicht ſagen , daß dieſe Art und Weiſe ben Dampf zu benußen eine praktiſche wäre , aber die Amerifaner haben doch bewieſen , daß 8 geht, und die Zeit wird lehren , ob ſie einen größeren Werth für den Menſchen erlangt. Rechtsum ießt , und wir ſind in Naſſau Street. - Noch einmal rechts, aber nur bie Augen, und . Du erblicft ein Inſtitut der eigenthümlichſten Art. Eine „ Intelligenz-Office.“ Ja was iſt das ? Ich habe Dir ſchon von Dienſtmädchen erzählt, und daß fie Die ihre ganz beſonderen Anſichten vom Dienſte haben . Herrſchaft hat wenigſtens häufig andere, und ba fiefolga lich nicht mit einander harmoniren können , ſo iſt es nas türlich für beiderſeitige Seelenruhe beffer , fie trennen ſich. Und das geſchieht denn nach 3 Monaten , nach 4 Wochen oft ſchon am andern Tage. Beruhigt wie das Mädchen in ihrem Herzen darüber ſein mag , findet fie Dody nicht gleich einen andern Dienſt und ſo wendet ſie ſich denn an den Inhaber einer Intelligenz-Office, welcher gegen cin billiges Honorar ihren Namen in ein Buch einträgt, und ihr das Recht zugeſteht vom Morgen bis zum Abend in der Office ſelbſt zur Schau zu fißen . Jeßt kommen die verſchiedenen Madamden , ſuchen ſich irgend ein ans ſprechendes Geſicht, das nach Umſtänden hübſch, oder håßia

90 lidy ſein muß, aus und fragen nach dem Breid. Det kann das gute Måbehyen nicht ohne weiteres ftellen . Grft muß Madanie fich einem kleinen Eramen unterwerfente Haben Sie Kinder ! Haben Sie einen großen , kleinen , mittlen Haushalt ? Haben Sie Boarders ? Haben Sie Strohmatten im Haufe oder Teppiche ? Haben Ste eine Köchin ? Haben Sie häufig Beſuch ?' Schlafe ich in einer Pantry ( Verſchlag ) oder in einer Kammer ? ' - Sind alle dieſe Fragen zur Zufriedenheit ihrer Vorlegerin beantwortet, fo erfolgt eine Kette von Bedingungen , wie: Sonntag frei, ale Abende frei ad libitum , Patric bekommt zu effen , fie darf ihre Freundinnen einladen und bekommt vor Adem einen Gehalt von zwiſchen 70 und 120 Dollars. So miethet man ein Dienſtmädchen . Ift ſte von der Auskunft nicht ganz befriedigt, ſo will fie fich'& erft übers legen , das heißt ſehen , ob ſie einen beſſern Dienft erhält. Konnte man ihr Wohlgefallen gar nicht erlangen , ſo Es giebt wie überall fchlägt ſie es Einem rund ab. . Ausnahmen , aber hier wird wohl ſchwerlich je die Auss nahme zur Regel werden . - Seßt kommen wir an die Poft. Betrachte Dir erſt einmal das 4 Stod hohe Ger bäube ter Bank of Commerce , ſtolz aus weißem carrari fchen Marmor aufgeführt , und ſieh dann jenes elende Dorfkirchlein an , in dem ſich der Briefwechſel der Stadt, des Staates, ja der Vereinigten Staaten concentrirt. Feber Bahnzug bringt ganze Wagenladungen voll Briefe beutel und nimmt ebenſoviel mit. Sober Steamer nach Europa und es gehen deren jede Woche zwei, befördert und bringt etwa 5000 Briefe, macht jährlich , Summa Summarum 500,000 Stüd (wenigſtens ). Die Zahl der täglich verſandten Zeitungen iſt enorm , Bücher ſelbſt muß die Poft erpediren , aber kein Paquet, das iſt Sache Der Erpreßcompagnien. Natürlich wundert man fich nicht wenig, wie dieſe ungeheure Maſſe von Geſchäften tagtäglich mit gleicher Regelmäßigkeit zu bewältigen ift. Das Ges heimniß liegt in der Einrichtung. Perſonens, und wie ſchon erwähnt, Paquetpoſten ſind mit der Poft nicht vers bunden. Jeder Brief innerhalb der Vereinigten Staaten muß frankirt werden , fonft bleibt er liegen oder es fann fich der Fall ereignen , daß ein Mann in New York aus

gt

Chicago (1500 Meilen nordweſtlich ) vom Poftmeiſter eine Zufertigung erhält , in der geſagt ift, daß ein Brief ohne Marte für ihn auf der dortigen Poft liege und er in gegen Einſendung einer Folchen erhalten werde. - Alle Briefe bis zu einem Loth foften 31 Cent, innerhalb der Landesgrenzen , jedes weitere Voth 3 Cente. Nur nady Californien foſtet ein Brief ſtatt 3-10 Cents . So ift Denn die Annahme von Briefen ungemein erleichtert, denn Marken verkauft nicht nur die Poft , fondern jeder kauf mann , man benußt fte außerdem zu Zahlungen und dies wurde einmal ſo weit getrieben , daß der Generalpoſts meifter die Erklärung abgab , die Poſtmeiſter ſeien weder befugt noch verbunden dergl. Marken baar einzulöſen . Jede Zeitung koſtet 1 Cent, man denke 1500 Meilen nur 4 Pfennige ! - Briefträger giebt es nur in beſchränks. ter Zahl für Privaten . Geſchäftsleute beſigen in der Regel eine ſogenannte box ( Das heißt ein Fach mit einer Nummer) unblaffen ihre Briefe holen. Tritt mit mir in die Flur, und Du wirft fehen , daß die Wände ausi Glas und dahinter unzählige ( ießt über 5 Tauſend) Fächer angebracht ſind , auf deren jedem in Bronze die forts. kaufende Nummer ſteht. Früh zwiſchen 7 und 8 ftellen fid die Inhaber derſelben oder ihre Boten ein, und bilden Neihen hinter den kleinen durch braune Schieber noch ges fchloſſenen Ausgabefenſtern . Mit dem legten Schlag 8 geht 8 Relpp , klapp , die Schieber ſind verſchwunden . Nummer dreißig fieben und fünfzig (6. i. 3057) ruft der Borderſte, legt dabei ſeine Karte als Legitimation auf dasi Fenſterbret, erhält feine Briefe und macht dem Nächſten Plaß. Da das Fach hinter Glas und Rahmen anges bracht , ſo kann man von Außen fofort feben , ob etwas Darin iſt und fic , wenn dies nicht der Fall , die Mühe des Fragens erſparen. - So ift Alles praktiſch , wahrs haft ſcharfſinnig arrangirt. Unterſchleife fommen weniga ftens in New Yorf felten vor , dagegen bleiben eine Une mafie ſogenannte tobte Briefe liegen, die dann nach Waſhs ington geſchidt, und daſelbft zum großen Theile vers brannt werden . Iſt nämlich ein Adreſſat nicht aufzus finden , fo annoncirt man den Brief wöchentlich und zwar 2 Monate lang in irgend einem öffentlichen Blatte ( in

92 New - Mort der Herald). 3ft er dann noch nicht abgee holt , ſo geht er an das Generalpoftamt nach Waſhinge ton , wird dort geöffnet und , falls er frei iſt auch nichts Enthält er Gelb , ro von Bedeutung enthält , verbrannt. fließt dies nach einer beſtimmten Zeit dem Schaße zu und bie Summe beläuft fich oft im Jahre auf 20,000 Dols lars und mehr. Briefe aus Deutſchland werden nur dann retournirt, wenn ſie unfranfirt find, wie dies mit einem an mich gerichteten der Fall war, der nach Jahregs friſt wieder in der Heimath anfam . Alſo Adreſſen deuts lich und ausführlich geſchrieben !- Frantirte Briefe werden nie retournirt. - Es wäre nicht möglich, die jest bem ſtehende Drdnung im Poſtfach aufrecht zu erhalten, wollte man mit den angeſtellten Beamten einen vierjährigen Wechſel vornehmen . Sie ſind die einzigen , welche der Mehrzahl nach mehr als einen Präſidentenwechſel über . leben . Hier bagegen in dieſem großen Hauſe, vor dem wir uns eben befinden , kann man darauf wetten , in 4 Jahren Ich habe Dir ſchon lauter neuen Geſichtern zu begegnen. einmal das Innere deffelben gezeigt, es iſt das Cuftoms houſe , Zolhaus, und wird von den Vernünftigen Neme York's ein politiſcher Schweineſtal genannt. Und wirfa lich geht es hier d'runter und d’rüber. Der erſte wie der lebte Beamte ift beftechlich. Nur die Summen ſind vers ſchieden, welche man ihnen bieten muß. Wenn ein Haupts beamter mit einem Gehalte von 2000 Dollarse einen Auf wand von 10,000 Dollars machen , eine Villa faufen und noch Geld zurüdlegen kann , ſo iſt das doch gewiß ein Beweis für die Einträglichkeit feines Amtes. Die Beſtechungen der gewöhnlichſten Art beſtehen darin , daß man die Facturen niedriger ausſtellt , und dem Abſchåper ein gutes Douceur zufließen läßt. Wichtigere Fälle find es , wenn ein Haus wegen zoudefraubation in Unters ſuchung kommt , und es fich darum handelt , dieſe nieders zuſchlagen. Natürlich wird dann der Betrag nach Ums ftänden bedeutend erhöht, da nicht nur der Zollhausbes amte, ſondern auch der Advocat ſein Fett abſchöpfen will. Es giebt einen berühmten Advocaten , der fich nur mit Zollhausangelegenheiten beſchäftigt, und eine ungeheure Macht über die Beamten hat. Ich weiß, daß er in einem

93 Falle , wo es fich nicht nur um Gelb, ſondern um mehrs jährige Freiheitsſtrafe handelte , gegen Tauſend Dollars in inboffirten Wechſeln die ganze Sache, welche ſchon in den nächſten Tagen zur Verhandlung fommen ſollte, nieders Tchlug. Vor ſolchen Leuten haben die Amerikaner gar ges waltigen Reſpect. — Wir find jeßt in Wall- street , jeder Fuß breit Raum wird mit Golb aufgewogen , und fle könnte ſchon darum die Geldſtraße heißen , auch wenn man nicht hinter jedem Ladenfenſter Haufen von Gold liegen fähe. In jedem Hauſe befinden ſich mehrere Bans fiergeſchäfte und unzählige Geldmäklerofficen . Jene großen Paläſte find Banken , außerdem iſt wenig mehr zu ſehen als etwa eine Feuerverſicherung , See- und Lebensvers ficherung. Es kann nicht in meinem Plane liegen , Dir ein genaues Bild des amerikaniſchen Geſchäftsganges zu geben, da ich ohnehin Deinen Geſchmad in dieſer Richtung nicht fenne und fürchten muß, Dir trocken zu werden, aber einen kleinen Sermon über bie Banken , das eigenthüms lichſte amerikaniſche Handelsinſtitut , mußt Du ſchon mit in den Rauf nehmen . Laß ſehen , Du haft Saaſend Dols lars baar daliegen. Ich eröffne Dir ein Conto ,in der Du gehſt alſo mit Deinem Geld in Merchant's bank. die Bank und trittft durch Doppelthüren in eine große Halle , ähnlich der im Zouhaus. Das Comptoir, bas heißt , eine eirunde Kette von Pulten befindet fich in der Mitte und iſt durch ein eiſernes Gitter von dem rund herum laufenden Gange abgeſchieden . Die Bulte ſind ſo geſtellt, daß der davor Sißende ftets den im Gange Bes findlichen vor Augen hat. Durch ein gußeiſernes Thürs chen , welches ſich geräuſchlos vor- und rückwärts bewegt, treten wir in den Raum zwiſchen den Pulten . Der Präs fident iſt nicht zugegen, und ich ſtelle Dich daher bem Caſſirer mit dem Bemerken vor, daß Du ein Conto bei der" Bank zu erhalten wünſcheft. Man giebt Dir ein Banfbuch und läßt Dich Deine Unterſchrift in ein bes fonderes Buch eintragen. Nachdem wir fertig ſind, melden wir uns wieder außerhalb der Pulte am Einzahlungos bret , Du giebſt Deine Sauſend Shaler hin , ſie werden in Dein Buch notirt, und die Bank ift fortan dafür vers antwortlich. Wilft Du Geld ziehen , 5 , 10 , 100 Dol

94 fars und überhaupt jede Summe über einen Dollar , po ſchreibft Du eine Anweiſung, ſtellft ſie entweder an Order oder auf den Inhaber, und ſie wird von der Bank in Sold oder Papier, wie man es verlangt, honorirt. Das für berechnet die Bank nichts , ſie führt auch das Conto umſonſt, giebt die Bücher umſonſt und gewährt allerdings auch keine Zinſen. Mit ihren größeren Stunden macht die Bank Disconto -Geſchäfte, und das iſt natürlich etwas anderes , hier aber , wie Du 18 gethan haſt, wird die Bank nur als Geldſchrank benußt, in den man fein Gelb nach Belieben legen und wieder herausnehmen kann. Für den Handwerker und den kleinen Geſchäftsmann iſt das ein großer Nußen. Da der Staat kein Papiergeld auss giebt, ſo haben die Banken das Recht Bids zu fabriciren, was oft bis zu einer unverantwortlichen Höhe geſchieht. Man muß mit der Annahme von Bills ſehr porfichtig fein und bei ſolchen von weſtlichen Staaten lieber allemal den Reporter ( Banknotenverzeichniß mit Angabe der Fälſchuns gen und des Disconto's) befragen. Im Jahre 1858 gab es in den Vereinigten Staaten 1331 Banfen mit etwa 8000 Sorten Bils, auf die ebenſoviel Fälſchungen circulirten . So lange das Geſchäft geht, gehen auch die Bils von Hand zu Hand , ſtockt dieſes aber , ſo fommen Die Inhaber in Schaaren , fie gegen Gold auszuwechſeln, und die Folge iſt, daß auch die ſtärkſten brechen . Muß ten doch 1857 alle 36 Banfen New - Yorfs in Folge allzu großen Andranges zum Notenumtauſch ſuspendiren, troßdem baß ſie über 30 Millionen Gold in den Kellern hatten und ſpäter alle, mit Ausnahme einer ihre Zahs lungen wieder aufnehmen konnten . Id könnte Dir auch seine 2 Dollarbill von einer gebrochenen Bank zeigen , die ich mir , da ſie nur noch 20 Cents werth ift , zum Ans denken aufhebe. Und nun, lieber Freund, dächte ich wir hättengenug geplaubert , man kommt freilich von Einem auf's Andere, und ich würde Dir auch noch vom Großhandel ſo Man dhes zu erzählen haben , wenn ich nicht fürchtete Dich zu langweilen . Auf eines will ich Dich ſchließlich noch aufmerkſam machen. Dort ftehſt Du drei hohe Giebels wände ohne weitere Verbindung als einige Duerbalken

frei baftehen . “ Das wird ein Haus. Mau baut hier for erft die Giebel und eine Schiebswand , dann klebt inan bie Fronte und Rüdſeite an, wie eine Schwalbe ihr Neft. Die Dader find alle flach oder doch nur leicht mach der vorderen Seite geſenft. So ſind alle die ſchönen großen Häufer entſtanden , welche Broadway und die neuen Ge fchäftsſtraßen zieren . Während des Baues ſehen fte aus wie Krähenhütten , wenn ſie fertig find iwie Feenpaläfte. Es kommt nur ſelten vor, daß der Wind eines beim Auf führen einwirft. Stehen der Erweiterung oder Auffüllung seiner Straße größere Häuſer im Wege , welche man nicht seinreißen will , fo hebt man fte oder ſchiebt ſie zu Tüd. Es iſt dies kein Humbug , wie einige unſrer ges fcheidteren Zeitungsſchreiber behaupten wollen , die es frei lich nicht geſehen haben . Ich habe es aber geſehen wie man 5ftödige Badſteinhäuſer mittelft hydrauliſcher Preſſen mit Adem, was darin war, 10 Fuß in die Höhe ſchraubte und dergleichen Häuſer 12 Varde in die Straße zurüd ſchob. In Chicago hebt man auf dieſe Art ganze Stras ßen . Mit Holzhäuſern macht man gar keine Umſtände, die habe ich mit zwei Pferden beſpannt, über 3 Straßen wegwalzen ſehen. - Romm , laß uns der hinter uns berk fliegenden Wolfe entgehen . Sie rührt von einer Kehrs maſchine her , mit der man Broadway fegt. Ich bin von dem langen Spaziergange müde und von dem vielen Erzählen ganz trocken in der Rehle geworden . Komm daher mit mir in dieſen Keller , wo uns mein Freund Diefel mit einem Glas friſchen Lagerbieres erquicken wird. Ich will Dir dann Einiges von unſern Landsleuten in New - York erzählen .

7. Die Deutſchen in New - York. Nun , Freund, wie ſchmeđt Dir das Bier ? Nicht wahr, Du hätteſt einen folchen Trank nicht in New - Yorf ver muthet ? Das Biertrinken gehörte auch ehedem nicht zu den Gebräuchen dieſes Landes. Höchſtens bekam man

96

1

einmal Porter und Ale zu ſehen , welche man von Engs land einführte und zu ziemlich hohen Preiſen verkaufte. Das übliche Getränt war Whisky oder Brandy , alſo Branntwein , und es war ein gar widerliches Bild, ( und iſt es heute noch ) eine Notte halb angetrunkener Jrländer oder Yankees in einen Reller hineinſtürzen zu ſehen , wo fie unter wüſten Neden und groben Scherzen ein Paar Runden " hinunterſtürzen und fich der Wirth glücklich chäßen darf , wenn ihm nicht Siſche und Stühle , Glaſer und Spiegel zerſchlagen werden , und er feinen Revolver oder Club ruhig an der Wand hängen laſſen kann. Ders gleichen Scenen ſind noch nicht aus dem New - Yorfer Leben verſchwunden , aber ſie ſind feltener geworden und werdene8 immer mehr , je mehr fich unſer deutſcher Gerſtenſaft , eingeführt von Deutſchen , gebraut von Deutſchen und geſchänft von Deutſchen , Bahn bricht. Solche reinliche Salong wie dieſer hier , mit eichenen Tiſchen und behäbigen Stühlen, findeſt Du in allen Štras Ben , und ich habe Dich ſchon darauf aufmertſam gemacht, die Aufſchrift „,Lagerbier“ leuchtet und lacht uns von allen Seiten in allen möglichen Farben und Arabesfen entgegen . Sieht man den dicken Wirth mit den aufges ſtreiften Hemdärmeln gravitätiſch hinter der Bar ftehen, ſeinen Gäſten freundlich zuniden , Gläſer füllen und die Waiters (ReUner ) dirigiren , man meint nicht anders, als in Deutſchland ſelber zu ſein , mit einem Worte , man fühlt ſich wohl in dieſen Wirthſchaften . Und dies Gefühl erſtreckt ſich auch auf die Amerifaner. Sie, die, ſo unſtåt wie Irrlichter und beweglich wie Queckſilber, kaum wiffen, wo ſte ihre Gliedmaßen unterbringen, wie lange ſte ſtehen und wie lange fie fißen ſollen , fie haben fich ſchon recht an unſre teutſchamerikaniſche Geſelligkeit gewöhnt ,fißen geduldig des Mittags und des Abends bei ihrem Seidel Bier, werden mittheilſam und verträglich , fauen endlich von dem Augenblide an, wo ſie Biertrinfer werden, nicht halb ſo viel von dein braunen , teppich - und wändefeind lichen Stoffe , dem Tabak. Die wilden Amerikaner ſind von dem deutſchen Rieſen „ Lagerbier “ gebändiget worden. Der Bericht des Polizeicommiſſars weiſt nach , baß, feitdem das genannte Getränk in Aufnahme gefommen,

97 die Zahl der Fälle von Trunkenheit geringer geworden iſt Daß ferner Sonntags, wo der Verkauf von Whisky 26. verboten , der von Sagerbier aber geſtattet iſt, die meiſten Verhaftungen troß des beſtehenden Verbotes vor und in ben Branntweinſchänken geſchehen , ſelten einmal in einen Bierſalon , und daß endlich bei Feften der Deutſchen die Polizei ſo gut wie gar nicht gebraucht, 'auf Feſten der Inländer und Irlander (wie Scheibenſchießen, Proceſſionen , Dampfſchiffpartien) aber ganz unentbehrlich iſt. Das iſt eine öffentliche Anerkennung deutſcher Geſittung und mos raliſcher Ueberlegenheit. Vor 12, 15 Jahren freilich ſtand es noch ſchlimm um uns Deutſche in Amerika. Wer fam benn anders hinüber als Gefindel aller Art , flüchtige oder zu Amerika begnadigte Verbrecher, und neben ihnen zwar ehrliche, aber auch recht einfältige Lanbleute, denen man ihr güldenes Fließ in kürzeſter Zeit vom Leibe riß und fie faum höher als das liebe Vieh ftellite. , Dötſchmän " war das ärgfte Schimpfwort, welches einen Wie ganz Manfee in die höchſte Wuth treiben konnte. anders iſt das geworden. Die Deutſchen genießen jeßt allgemeine Achtung, bekleiden zum Theil hohe Aemter ( Danl. Thieman 1858 Mayor, d. i. Bürgermeiſter von New - Yorf, iſt der Sohn deutſcher Eltern ), ſtehen an der Spiße des Handelsſtandes und find überhaupt in allen Klaſſen und Schichten der amerikaniſchen Bevölkerung vertreten. Es wird gegenwärtig nahe an 100,000 Deutſche in New York geben , kein Wunder , daß man bei jedem Schritt und Tritt auf Deutſche ſtößt. Wie in Frankreich, Rußland, England und anderen Ländern iſt deutſche Arbeit überall geſchäßt, und deutſche Arbeiter werden ſtets geſucht, auch gut bezahlt. Nach der 57r Kriſts feierten viele Tauſend Hände und das Elend unter den Irländern z. B. war grenzenlos. Die Deutſchen hielten ſich immer wader und fanden zuerſt wieder Beſchäftigung. Es fliegen ihnen natürlich die gebratenen Tauben auch nicht, in's Maulund für ein Tagelohn von 1 % , 2 Dollars muß man ſchon tapfer arbeiten und vorzüglich auf Unters ſtüßung von Landsleuten iſt wenig zu rechnen , aber wer nur eben arbeiten kann und wil, der leidet auch keine Noth. Ich kann nicht alle die verſchiedenen Tagelöhne von Schneider, 7

98 Schuhmacher , Klempner , Buchbinder u . f. w . aufzählen , möchte auch Mancher, der ſie nach deutſchem Maßſtabe mißt , glauben , er könne fid in kurzer Zeit ohne Mühe ein entſeßliches Vermögen anſammeln , wie denn dieſer Glaube unter den Auswanderern leider noch gar ſehr ver breitet iſt, fo viel aber ſteht feſt , dem Fleißigen, Ger ſchichten und Intelligenten wird ſtets ſo viel gegeben , daß er ohne Sorgen leben kann. Der Dumme, langſame und Anſpruchsvolle wird dort wie hier auf der Hefen ftßen bleiben. Auch auf die Politik üben die Deutſchen New-York's einen nicht unbedeutenden Einfluß aus. Sie ſind der Mehrzahl nach Republikaner , das heißt ſie ſind Gegner der Sklaverei , während dort die Demokraten dieſelbe be fürworten. Nun weiß man, daß in Amerika die Parteien Himmel und Hölle in Bewegung ſeßen, um bei den Wahlen die Oberhand zu gewinnen , und daß den Anführern der Parteien kein Mittel zu ſchlecht iſt , dieſen Zweck zu er und öffentlichen Die Wühlereien , geheimen reichen : Sigungen , Volksanſprachen und Schreiereien von entweder freiwillig oder durch Beſtechung für die Partei ſchreibenden Rommt dann der Wahl Blättern nehmen kein Ende. tag heran , an welchem die Stimmen einzeln und zwar diſtrictweiſe abgegeben werden , ſo feßt man ſich wohl mit Rowdybanden in Verbindung, ſucht die Stimmbuden für ſich zu erobern und den GegnermitGewalt davon fern zu halten , wobei es denn oft zu blutigen Kämpfen kommt. Trunfenen Irländern werden ihre Stimmen für 1 , 2 Dollars, ja für 50 Cents und ein Glas Sdnaps abgefauft! Natürlich muß es jedem Vernünftigen vor ſolchem Treiben grauen, und es iſt erklärlich, wie oft ganz unwürdige Subjecte zu einflußreichen Stellen erhoben werden . Wie aber ſtanden und ftehen die Deutſchen dein Parteiweſen gegenüber Noch vor 10 , 12 Jahren hatten die Deutſchen feine große Bes: deutung bei den und für die Wahlen . Die damals herr ſchende, ſeitdem aber verſchollene Partei der Knownothings. ( Nichtswiffer) war den Fremden Feind, und unſre Lands leute felbft waren damals noch zu wenig beachtet und fich ihres Einfluſſes bewußt , als daß ſie irgend einen großen Antheil an den Wahlen hätten nehmen ſollen .

99 Šowièr ábet bie Sklavereifrage in der Vordergrund ges ſchoben wurde, das heißt ob Sklaverei oder keine, da ge wannen die Deutſchen in demſelben Grabe wie fie in der allgemeinen Achtung ſtiegen, auch eine gewichtige politiſche Stellung . Leider trennt uns auch in Amerika bie Meis niingsverſchiedenheit. Leute, welche hier für perſönliche und geiſtige Freiheit fämpften , werden zu Vertheidigern des nichtswürdigen Inſtitutes der Sklaverei, andere hängen der amerikaniſchen Partei an , der größte Theil aber iſt im Herzen jener ſchwarzen Knechtſchaft Feind und würde mit Freudert das ſchwarze Vich " (wie der Amerikaner gar häufig den Neger nennt) zu Menſchen erheben ſehen , wie er jegt voll Kraft die Waffen für die Union erhoben SO1950 hat. – ne erna eine bhervor sit Das deutſche Element wird in Kurzem ei ragende politiſche Stellung in Amerifa einnehmen und fortfahren, ſeinen beſtimmt humaniſtiſchen Einfluß audi ordnend auf die Wahlform geltend zu machen. – Mehr noch als die eingewanderten Deutſchen , werden einſt ihre Abkömmlinge dem angloamerikaniſchen Element ebenbürtig zur Seite ſtehen . Wer im alten Vaterlande groß ge wadyfen iſt , kann fich wohl oder übel nicht ſo ganz bas ſchnelle Denken und Handeln , das augenblickliche Ergreifen der Verhältniſſe zu eigen machen , wie es unter jenen ent ſchloſſenen , den Eingebungen des Augenblicks folgenden Menſchen , in jmem Lande des Wechſels, der fortwähren Die heran den Veränderung unbedingt nothwendig iſt. wachſende deutſche Jugend , beſeelt von jenem Gefühl der Unabhängigkeit, wie es den Kindern amerikaniſcher Eltern ſtets, oft in zu hohem Grade eigen iſt, unddabei geleitet von tüchtigen Lehrern ,ausgerüſtet mit Muth, Entſchloſſen heit und gründlichen Kenntniſſen , wird wohl geſchickt ſein , den Kampf mit Parteigeiſt und Volksdünfel aufzunehmen , die ſich ihnen jeßt noch in den Weg ſtellen. — Mit Stolz bliden nicht allein die Deutſcben , ſondern auch die Ames rikaner auf die anſehnliche Schaar kräftiger deutſcher Turner, welden, wenn ſie in geſchloſſenen Reihen die Hauptſtraße entlang ziehen , mancher Ausruf der Bewun : derung gewidmet'wird. Unſer Turnvater Jahn würde fich freuen , wenn er fähe, wie feine geliebte Turnerei auf frem

-

100 dem Boden ſo fråftige Wurzel geſchlagen hat und wie ſchon viele junge Amerikaner von deutſchen Turnlehrern geleitet, dem Banner mit der Inſchrift: Friſch , Frei, fröhlidy, Fromm , Treue geſchworen haben ! Und endlich , welche ftegreiche Macht liegt auch dort im deutſchen Geſang ! Das deutſche Lied vereinigt Taus

ſende unſrer Landsleute, und wenn es in vielen Herzen wehmüthige Erinnerungen wedt , ſo begeiſtert es andere zu neuem, kräftigem Streben , und der Gedanke, der Vors ſaß macht ihnen die Bruft ſchwellen : ja, wir wollen auch im fremden Lande Deutſche ſein und uns als Deutſche zeigen . New - York und ſeine Vorſtädte find reich an deuts ſchen Geſangvereinen , die wie z. B. die Liedertafel, recht Borzügliches leiſten . Auf einem großen Sängerfeſte im Yorkvillepark bei New - Yorf waren etwa 5000 Perſonen anweſend und gegen 50 Vereine vertreten. Die engliſchen Sageblätter fonnten nicht genug Rühmens davon machen und wunderten fich u. a . höchlich, daß nicht eine einzige Schlägerei vorgekommen war ! Mit den Geſangvereinen ſind gewöhnlich Liebhaber theater verbunden , die fowohl in Wahl als in Auffüh rung der Stüde trefflich genannt werden können. Wie oft habe ich mich in dieſen kleinen Zirfeln mehr amüſtrt als in einem großen Theater , wo vielleicht ſogenannte bes rühmte Künſtler auftraten . An öffentlichen Theatern befißen die Deutſchen nur eins, und in dieſem fann man Dper , Schauſpiel und Luſtſpiel der Reihe nach hören , es iſt nicht immer gut , manchmal aber recht ſchlecht beſeßt, erfreut ſich aber eines ziemlich zahlreichen Beſuche, nas mentlich der Verkäufer aus der Bowery , welche faſt aus ſchließlich Juden ſind . Endlich will ich noch eines Kunſtauswuchſes gedenken , welcher lebhaft an die Leip ziger Meſſe und die Wittwe Magnus in Dresden erin nert. Geht man des Abends die Bowery hinauf oder auch in einer der öftlichen Straßen ſpazieren , wo fo viele , Deutſche wohnen , da fann man hier und da hell erleuch tete Lokale erblicken , in denen es gar lebhaft zugeht. Durch das Schaufenſter ſteht man den deutſchen Arbeiter mit Kind und Regel um große Tiſche Figen und - fannes

3

101 gießern . Der kleine Bub', der nod kaum auf den Sifh Heraufguden kann, hat ſchon einen mächtigen Humpen » Lager“ (das Wort Bier läßt man echt deutſchameris kaniſch weg) vor fich ſtehen, und der Herr Papa ſieht mit Genugthuung auf ſeinen „ Jüngſten " herab, während ihm die Frau Mama das Maul mit Brezeln ſtopft und ſich felbſt am fühlen Tranke labt. – Doch die Hauptſache, weswegen man auch die Kleinen mitbringt: im Hinters grunde erhebt fich ein gräulid bemalter Vorhang, hinter dem fich ſoeben der Held des Abends die Stiefel wichft, den Schnurbart unter die Naſe hängt und das Geſicht beklebt, um ben , Schinderhannes " würdig barſtellen zu können . Natürlich ernten dieſe falſchen Jünger Thalia's ſtets den lebhafteſten Beifall, der ſich in Stampfen, Troms meln und Pfeifen (leşteres hat dort die entgegengeſepte Bedeutung von dem was man in Deutſchland damit meint) Luft macht. Ich ſah einſtens einen Schuſterjungen, der, wie man ſagte, etwas übergeſchnappt und ſeinem Meiſter in Deutſchland aus der Lehre entlaufen war. Er trat als erſter Liebhaber auf, das Haus erbröhnte von den compacten Lorbeeren , die man ihm ſpendete, und nach Schluß der Vorſtellung bekam er genug zu trinken , um eine Yolle flott machen zu können . Dieſe Art Künftler erhalten nur ein ſehr geringes Salair , wohnen und effen bei dem Wirth und werden von den Gäſten nach Belieben regalirt. Sie rauchen , ſchnupfen , trinken Bier oder Schnaps , Ale oder Wein , haben einen ausgezeichneten Magen und ſind demnach nicht oft in der Lage etwas abſchlagen zu müfſen. A16 einen der berühmteſten Unters nehmer nenne ich Lindenmüller aus Berlin , ber gewiß Manchem befannt iſt. - Ich fann nicht von den Deut fchen Abſchied nehmen , ohne eines echt deutſchen Spieles zu gedenken , welches ſich , wie unſere übrigen Gewohn heiten , bei den Amerikanern ſchon ſehr eingeführt hat. Ich meine das Regelſpiel. Die Regelſchübe find bort in den Kellerräumen der Häuſer , mit Schiffsplanken ge bielt und oft 3, 4 neben einander. Merkwürdig iſt dabei die Art und Weiſe wie man das Geſet , welches dieſem Spiel entgegen iſt, zu umgehen gewußt. - Das ,, Neuns kegelſpiel, wie es im Engliſchen heißt, (play at nine pins)

102

=

iftvon Alters her verboten. Nunes brauchen janicht Regeln ſpielen und gegen dieſe giebt es kein Gefeß . Kurz und gut, in Amerika ſpielt man mit zehn Regeln und ſtellt dieſe in ein Dreiect , die rechtwinkelige Spiße nach vorn zu auf. 200 m2 Und nun, lieber Freund , nachdem ich Dir gezeigt

habe, wie deutſche Gewohnheiten ſo mächtig auf den Ameri faner wirken, lab,unszum friedlichenund dochſo einfluß. reichen Lagerbiere zurückgehen und ſehen , wie es eine ber älteſten , Feft eingewurzelten englifd)-amerikaniſchen Einrichtungen über den Haufen geworfen hat. Darunter verſtehe ich das Sonntagsgeſek , ein Gefeß, welches am Sonntag den Genuß von geiſtigen Getränken aller Art , das Fahren in Wagen außer nach der Kirche, all und jede Arbeit, all und jeden Lärm , jede Beluſtigung ver bietet. Wie unnatürlich , aber auch wie feft eingewurzelt dieſe Beſchränkung iſt, davon giebt das im Staate New Jerſey heute noch beſtehende Geſeb Zeugniß. Ein Mann “ heißt es darin , ufoll am Sonntage fich nicht Niemand iſt unterſtehen, ſeine Frauzu ľ'úſien es geſtattet in Wagen mit Pferden auszufahren , es ſei denn nach und von der Kirche.. - Es iſt leicht zu, bez greifen, daß in einem Lande, in dem es ewig wie in einem Pulfane focht und gährt, dieſe Beſtimmungen nicht ganz würden aufrecht zu erhalten ſein . Die ſtrengſten Säße eriſtirten auch bald nur im Gefeß, doch handhabte man baſſelbe nach Außen hin immerhin noch ſtreng genug, bes ſonders da wo größere Öffentlichkeitin’s Spiel fam. Nun gelangten aber die Deutſchen zu größerem Einfluß, und wenn wir Deutſche auch am Sonntag gern eine gute Predigt hören und uns in der Kirche erbauen, ſo iſt er Doch für uns zugleich ein Tag der Ruhe, der Erholung und des Vergnügens . Thür und Fenſter zu ſchließen , dreimal in die Kirche zu gehen, womöglich nur kalte Speiſen zu effen dabei ein Geſicht zu machen wie ſaures Bier, pas möchte den wenigſten Deutſchen conveniren . Sie fingen denn auch bald eine Reform dieſer unnatürlichen Sitten an und fanden, in New - Yorf wenigſtens , nicht gar zu viel Widerſtand, wenn ſte auch manchmal, um bem

1

103 Gefeß Rechnung zu tragen , dem Rinde einen andern Namen geben mußten . So paffirt z . B. das Theater am Sonntag als heilige Muſik u . f. w . – Die Irländer, Franzoſen und viele Amerikaner folgten ihrem Beiſpiel, und die Vergnügungsorte in und um New - York und mit ihnen Lagerbier erfreuten ſich bald einer großen Aufs nahme. In New - Jerſey brach zuerft der Sturm gegen dieſe Neuerung los. Manches war den frommen Einges bornen ein Dorn im Auge geworden , man ſuchte in den Gefeßen und fand richtig die veralteten Beſchränkungen und Strafen heraus. So fuhren bis dahin ungehindert bie Omnibuſſe von der Fähre in Hoboken nach den rund um gelegenen Vergnügungspläßen und beförderten alliſorns täglich viele Hunderte froher Menſchen. Plößlich wurde ihnen das Fahren am Sonntag unterſagt. Die Leute Táchelten, und die Omnibuſſe fuhren nach wie vor . Am nächſten Sonntage waren 100 Poliziſten in Hoboken ftas tionirt um jeden Omnibus abzufangen. Dieſe aber hielten ftatt wie gewöhnlich an der Fähre , auf der Straße vor der Stadtgrenze, und der Schlag, den man gegen ſte zu führen gedachte, war fomit vereitelt. Am nächſten Sonn . tag fuhren ſie nach wie vor und hat fte ſeitdem tein Menſch angegriffen . Schlimmer ging es in New York her. Ueber die Omnibuſſe konnte man fich nicht ärgern , denn dieſe fahren ohnedies Sonntags nicht, und die Pferdes eiſenbahnen ſind vom Gefeß ausgenommen . Aber auf das Lagerbier hatte man fich erbort umb 88 wurbe ben Wirthen bei Strafe und endlich bei Ents ziehung der Conceſſion verboten, am Sonntag dieſen Trant zu verabreichen . Nun begann ein förmlicher Bierproces. Die geſtraften Bierwirthe behaupteten , lagerbier ſei nicht berauſchend, die Behörden aber das Gegentheil, Aerzte wurden aufgefordert ihr Urtheil abzugeben , Biertrinker ſprachen in Maſſe für die Loyalität ihres Lieblingstrankes, und es kam oft zu ganz komiſchen Verhandlungen . Als aber endlich zwei Drinker von Fach" beſchworen , fte haben , der Eine 120 , der Andere 84 glas Bier in einem Tage getrunken ohne Zeichen von ernſtlicher Trun fenheit zu verſpüren , da konnten die Gegner nicht länger Stand halten, und lagerbier war frei ! Mit ihm

104 aber zugleich die Hunderte von Pläßen , an denen es vers kauft wird, die Tauſende von Durſtigen , welche den Sonn tag als einen Tag der verdienten Erholung nach der Laften und Mühen der ſechs vorhergehenden betrachten . Daher noch einen Trunk von Gambrinus' Erfindung, e8 lebe der Riefe Lagerbier, es lebe der Einfluß des germaniſchen Elements in Amerika !

8. Schulen.

Religiöſe Sekten.

Man darf fich nicht denken , daß in New -Yorf, wie überhaupt in ganz Amerika, die Schulen eine der unſrigen ähnliche Einrichtung haben. Es giebt überhaupt keinen Schulzwang, wer nichts lernen will, mag immerhin dumm bleiben , wenn er denkt, fein Brod ohne Kenntniſſe ers werben zu können . So angemeſſen dieſer Grundſaß den amerikaniſchen Begriffen von Freiheit ſein mag , ſo hat er doch ſelbſtverſtändlich ſeine großen Schattenſeiten . Von Amerika im Augemeinen zu reden , ſo giebt es Ortſchaften genug , vorzüglich in den weſtlichen Staaten , welche einer Schule gänzlich entbehren , andere in welchen ganz unges eignete Perſonen als Lehrer fungiren . So traf ich einft mit einem Manne zuſammen , von Haus aus ein Mas troſe, welcher troß der Schwierigkeiten, die ihm Leſen und Schreiben bereiteten , eine Zeit lang Schulmeiſterin Californien geweſen war, dies , Geſchäft “ als nicht genug lohnend aber aufgegeben , und Landkartencolporteur in New -York geworden war. — In einer ſo reich bevölkerten Stadt wie New - Yorf iſt das Bedürfnis nach guten Schulen gewiß ein dringendes, und doch iſt die Zahl ders ſelben im Verhältniß zur Bevölkerung ſehr klein . Co lumbia College (die Univerſität) und einige Privatinſtitute, von denen ich die deutſche Schule des Paftor Dulon aus Bremen nenne , haben einen guten Namen , und ſind es wiederum vorzüglich die Deutſchen , welche ihre Kinder zu einem regelmäßigen Schulbeſuche anhalten und dadurch den Amerifanern ein gutes Vorbild geben. In den öffents lichen Schulen lernen die Kinder kaum mehr als Leſen

105 und Schreiben , und das oft bürftig genug. So verſteht unter zehn Kindern faum eins die gothiſche Schrift zu leſen. - Der Unterricht in Geſchichteund Geographie bes ſchränkt fich hauptſächlich auf die Amerifa's, was darüber hinausgeht iſt und bleibt ihnen ein Myfterium . Wie oft bin ich nicht gefragt worden, ob Amſterdam die Haupts ftabt von Deutſchland ſei, ob Leipzig einen großen Hafen befiße und dergleichen. Es giebt allerdings einen „ Board of ſchools " , d. i. einen Schulrath , wenn man aber den zeitweiligen Enthüllungen der Zeitungen trauen darf, ſo ift er aus Perſonen zuſammengefeßt, welche zum Theil ebenſo unfähig find eine Schule zu inſpiciren, als es ein großer Theil der Lehrer ift, zu unterrichten. Es iſt nicht nur einmal vorgekommen , daß Lehrer wegen grober Sitts lichkeitsvergehen mußten fortgejagt werden, und daß Mits glieder des Schulraths wegen ungeſeßlicher Verringerung des Schulfonds in ûnterſuchung kamen . Und was ges ſchieht nicht Alles wovon das Publikum nicht das Ses ringſte erfährt (auch ein Vorzug dortiger Blätter, die ebenſo gut für Geld ſchweigen als ſchreiben können ). Es iſt ein ebenſo günſtiger Beweis für die Streſams keit der Amerikaner , ale traurig für den Zuſtand des öffentlichen Unterrichts, daß fich viele junge Leute im Alter von 17 bis 20 Jahren oft noch mit Elementar gegenſtänden beſchäftigen und ſich , für den häufigen Fall, baß ihnen alle Vorbildung fehlt , nicht ſchämen, mit weit jüngeren Scholaren um die Wette zu lernen . Bei der grenzenloſen Freiheit , welche Eltern ihren Kindern eins räumen, iſt natürlich ein gänzlich vernachläſſigter Schule beſuch nichts feltenes und man kann es einen großen Glüdsumſtanb nennen , wenn dergleichen Kinder ſpäter felbſt Schritte zu ihrer Ausbildung thun ; wie viele freis lich gehen an ihrer gänzlichen Kenntnißloſtgkeit und an ben Fehlern, ja Laſtern zu Grunde, die fie in ihrer frühes ften Jugend erlernt haben. Iſt es nicht gräßlich, daß bie ſchaurigften , ausgeſuchteften Verbrechen in New York von Knaben im Alter von 17 bis 24 Jahren begangen werden ? - Viele große amerikaniſche Staatsmänner waren und find von dem Gedanken beſeelt, daß nur von den Schulen aus eine gründliche Veredelung und Verfeine's

106 mung dieſes ſo intelligenten Bolfes : möglich it, bes fteht Daher eine allmählige": Bexbeſſexung ider Schulanftalten wohl zu erwarten.

Ein faum erfreulicheres Bild bietet ſich uns , wenn wir imfern Blid dem kirchlichen Gebiete zuwenden . Das Seftenweſen iſt in Amerika , bem Lande der völligen Mes digionsfreiheit zu Hauſe. New - Mort liefert eine recht hobiche Muſterfarte , denn es giebt daſelbſt nicht weniger als 33 religiöſe Sekten . Drei und breißig , deren Jebe ihren Glauben für den beſten hält , bürgerliche Achtung rund himmliſche Seligkeit für ſich ausſchließlich bean ſpruchen möchte und fich, zum großen Theil wenigftens, mit Preſelytenmacherei beſchäftigt. Befißen auch nicht alle dieſer Sekten ihre eignen Kirchen , ja ift es einigen von ihnen , wie z. B. den Mormonen und der unmoraliſchen Sefte der „ Free lovers “ unterſagt in New York ihre Religionsübungen vorzunehmen und ihre Grundfäße zur Geltung zu bringen , fo fann man doch darauf rechnen, Anhänger fämmtlicher Seften in New York anzutreffen . 1. Die hervorragendften find : Presbyterianer , Methos biften ( Anhänger der methodiſtiſch -episcopalifchen Gemeinde, einer frühen Abzweigung der engliſchen Hochfirche) Li theraner, Papiften , Quäfer unb Shafers . Die anderst Sekten , wie : Juden, Deutſchfatholifen , Griechen , Refors mirte, Wiedertäufer kommen immer nur vereinzelt vor. Spis ritualiſten endlich rechne ich nicht zu den religiöſen Seften, ihre ſogenannten Mediums find zum Theil Schwindler, zum Theil Verrüdte. — Zu einer Gemeinde zu gehören ift in Amerita durchaus nichtnothwendig ; der , gute Ton “, wohl auch die kaufmänniſcheKlugheit machen es indeß jedem jungeu Manne zur Pflicht, ſich einer ſolchen anzuſchließen . Es iſt durchaus nichts feltenes, daß der Sohn einer Methos biftengemeinde angehört, während der Bater Presbyteris aner iſt und umgekehrt. Bekanntſchaften , ſociale Nüd fichten geben bei der Wahl der Gemeinde oft den Auss ſchlag. Da die Zahl der Mitglieder eine nicht gar große ift, to haben die Geiſtlichen (welche aus irgend einem Stande gewählt werden können , wenn ſie nur der Ger meinde conveniren ) oft mit großen pecuntären Hinder

107 niffen zu

kämpfen .

3ch

habe felbft

gehört,

wie der

Pfarrer einer presbyterianiſchen Gemeinde nach der Predigt ſeine Pfarrfinder um pünktliche Abführung ihrer Abgaben mahnte und zuleßt ganz weiblich auf die zu ſchimpfen begann , welche feit längerer Zeit im Rücſtand waren. Die Predigten ſind wenig erbaulich und nehmen , wenn der Prediger wirklich einen Ruf als ſolcher erlangt hat, immer einen beſtimmten einſeitigen Charakter an. So

prebigt dieſer häuptſächlich gegen die Sklaverei und nota bene pie Sklaven halter, jener predigt gegen den Mams mon und ſelbſtverſtändlich gegen die Reichen , ein Drits ter endlich gegen die Demokraten , oder wenn er ſelber einer iſt , gegen die Republikaner. Laufen und Traus ungen werden mit geſchäftlicher Schnelle abgemacht. Ein öffentliches Aufgebot giebt es nicht. Das Paar meldet fich bei dem Geiſtlichen und giebt feine Namen an . Der Testere ruft ſeine Magd und vielleicht ſeine Frau als Zeus gen herein , fragt beide Theile, ob ſie einander zu Mann und Frau begehren , giebt ſte hierauf zuſammen , läßt ſite ihre Unterſchrift in ein bereitliegendes Buch eintragen und der Bund iſt geſchloſſen. Oft entſpringen Proceſſe und Erbſtreitigkeiten aus dieſen Heirathen . Im Staate Juis noio fann indeſſen die Ehe binnen 8 Tagen ohne große Schwierigkeiten gelöſt werden . Auch unſre' deutſchen Geiſtlichen müſſen ſich, wenn ſie hinüber kommen, anders einrichten. Werfen wir einen Blick in eine der Deutſchen Beitungen , ſo bleibt das Auge unwiltährlich auf einer Anzeige der følgenden Art haften : „ Paftor X empfiehlt fich zu geſeblichen Taufen , Trauungen , zu Leichenreden 4. 1. w. Zu ſprechen zwiſchen , . . unb , , . Uhr. " + Die Deutſchen ſelbſt vergeſſen gar häufig, zu welcher Cons feffion fie eigentlich gehören und betreten das Gotteshaus in Jahren nicht. Ich habe Eltern gekannt , deren Kinder im 44. Sahre noch nicht getauft waren , andere welche die Tochter furz por der Trayung, um wenigſtens der Form zu genügen, noch confirmixen ließen. – Die Kirchen der Presbyterianer und Methodiſten find von Außen größtentheils nicht nur ſchmuds, ſondern auch geſchmad los. Man ſteht noch viele ganz hölzerne Kirchen im älteſten Style erbaut. Auch ein Gločenſpiel iſt ſelten zu

108 treffen , weil die Kirchen keine Thürme haben . Man hat daher und wohl auch der ſtrenggläubigen Sitte Englands gemäß, einfaches Stabgeläute eingeführt. Dies einförmige Gepimpel ertönt nun der Sonntag 3 mal von vielen Kirchen und iſt vorzüglich dem deutſchen Dhre , welches an ein volles ' Glodengeläute gewöhnt iſt, eine recht uns angenehme Mufit. New York hat nur wenig ſchöne Kirchen , darunter die Trinitatisfirche, aus braunem Sands ftein , und die Kirche in der 10. Straße, aus weißpos lirtem Marmor erbaut. Auch im Innern ſind die Kirchen ohne Schmud irgend welcher Art , die Siße dagegen ben Mitteln ihrer Befißer angemeſſen , mit Zeug , Leder ober Sammet gepolſtert. Die Quá fer haben nur Bethäuſer , und ihre eins fachen Sitten geben fich in Adem fund. Ihre Betſäle entbehren all und jeben Schmudes. Einen beſondern Prebiger haben ſie auch nicht. Ein Jeder, der den Geift " fühlt , ſteht auf und ſpricht. Fühlt ſich Niemand, fo gehen ſie wieder auseinander, nachdem fte ftundenlang ftumm bei einander geſeffen haben . Außer ihren öffent lichen Zuſammenfünften (meetings), zu welchen Nicht quäfer auch Zutritt haben , halten ſie noch geheime mee tings ab , in welchen das Wohl der Gemeinde berathen , Heirathen beſchloffen und Strafen über unwürdige Mit glieder verhängt werden. Die Duäfer find im Ganzen ehrliche, thätige und nüchterne Menſchen , unterſtüßen fich gegenſeitig und befinden fich demnach Ade wohl. Ihre Hauptcolonien haben fte im Staate Penſylvania und in ber Stadt Philadelphia giebt es ihrer fo viel, das man dieſe Stadt ſcherzweiſe die Quäferſtadt , oder (was auch ihr Name ausdrüdt) die Stadt der Bruberliebe nennt. Sich felbft legen die Quäfer den Namen einer Gemeins ſchaft von Freunden “ bei und gebrauchen gegen ſich und auch gegen Nichtquäfer ohne Únterſchied das ſonſt in der engliſchen Sprache nicht gebräuchliche „Du “. Fühlen fie fich unter Fremden vom , Geift“ ergriffen , ſo reden ſie ohne Zagen , was ich indeſſen bei dergleichen Gelegens heiten hörte, waren meiſt Citate aus der heil. Schrift Eine Abart der Duäfer find die Shafers ( b. i. Schütteler ). Sie find in New - York häufig zu treffen,

109 aber nur auf ihren Colonien zu Hauſe. Ich beſuchte eine folche in der Nähe von Albany , To viel mir bekannt eine der erſten, welche in Amerika überhaupt gegründet wurden. Es war an einem Sonntag, als ich in die Shafer-Colonic fuhr, und viel Fremde waren herbeigreilt, aber fein Shafer ließ fich bliden . Endlich öffnete ein alter ehrwürdiger Shafer das Bethaus, und wir burften auf mehreren Bänken an der einen Seite Plaß nehmen , die übrigen wurden für die Shafers reſervirt. Dieſe erſchienen auch bald und traten , die Männer zuerſt, durch eine Seitenthürherein. Sie gingen wie fte dem Alter nach auf einander folgten, Alle gleich bekleidet. Sie waren Ade in Hemdärmeln , trugen eine blaue Wefte mit blanken Knöpfen , ſchwarze Kniehofen , blaue Strümpfe und ſtarke Schuhe. Auf der Straße haben fie noch einen braunen Rod mit enormen Aufſchlagen und einen breitfrämpigen Hut. Das Haar tragen fie lang und unten glatt verſtußt, wie eine Pferde måhne. Die Frauen traten durch eine andere Thür ein . Sie waren ebenfalls gleich gekleidet, trugen eine Spißen haube , ein braunes Wollenfleid ( ohne Crinoline) und ein weißes Buſentuch, deſſen Zipfel hinten ſowol wie vorn am Gürtel befeſtigt war. Außerdem iſt ihnen noch ein glatt anliegender , etwas altmodiſcher Stroh- oder im Winter) Krepphut geſtattet. Die Haare tragen ſie vers ſchnitten . Nachdem ſämmtliche Perſonen, etwa hundert an . der Zahl , ihre Siße eingenommen , trat tiefes Stillſchweis gen für mehrere Minuten ein. Hierauf formirten fie fich in Reihen und liefen unter gräulichem Geſange im Saale herum , worauf Halt gemachtwurde, und ſämmtliche Shas fers ihre Gliedmaßen auf die lächerlichſte Weiſe von der Welt in Bewegung feßten . Sie hoben die Beine und liefen ohne vom Plaße zu fommen, ſtampften zuweilen im Takte und vagirten mit erhobenem Zeigefinger in der Luft herum. Wir Zuſchauer konnten und des Lachens nicht erwehren und fürchteten ſchon hinausgewieſen zu werden, aber die Shafere ließen ſich nicht ſtören , nur bei einigen der jüngeren Shafer- Ladies glaubte ich ein leiſes Richern zu bemerfen . Nach dem Tanze feßte man ſich nieder, fing aber kurz darauf die Ceremonie von vorn an , bis endlich Einer „ vom Geiſt “ ergriffen wurde und eine aus Bibels

110

fprüchen zuſammengeſete Néde hielt. 2 Nächi bem Softese bienft fab ich mir ihre Wohnungen an und fand, Bas überatt die größte Reinlichkeit herrſchte , wie Dielen waren for blant, daß man hätte mit Vergnügent darauf eſſen können. Männer und Frauen leben getrennt, in verſchie denen Häuſern . Sie heiraten nie und geht ein Verhet ratheter unter fte, ſo muß er der Ehe entſagen. Thre Gemeinden verſtärken fich daher nur von Außen , doch ſagt ihnen die böſe Welt Manches nach . Sie beſchäftigen ſich mit der Fabrikation von Flanell, Decken , Hüten , Befen und finden für ihre Waaren immer gute Abnehiner, ba fre' gut und dauerhaft gearbeitet find. Der Vertrieb ges fichieht durch ihren Aelteſten. Es herrſcht bei ihnen der vollſte Communismus , die ganze Gemeinde hat nur ein Vermögen , welches für den Ausſcheidenden verloren ift. Einzelne Gemeinden verfügen oft über enormen Grund: befiz. Sie find wegen ihrer Arbeitſamkeit allgemein ge ſchäßt, behelligen Niemand und werden daher auch gern tooltop; bills Busina 1976ers in Ruhe gelaſſen. ndej 51517 )all 0917314,30 stig 1018 anu ( galan Noch einer Sekte will ich erwähnen, welche, in Deutſch land zur Zeit der Reformation entftanden , Unheil genug geftiftet hat. Dies ſind die Wiedertäufer, Baptiften . Die Zahl ihrer Anhänger iſt nicht groß , aber es vergeht • kein Jahr , in dem ſie nicht. Proſelyten machen , indeſſen finden ſie faft nur ausſchließlich bei den Damen Gehör. Ich weiß nichts von ihrem kirchlichen Rituale, aber ich habe drei Jahre hinter einander am Charfreitage zwei auch drei neue Anhänger der Sekte bei Hobofen im Hudſon taufen fehen. Man denke im Hudſon , bei 3 , 4 Grad Kälte, wenn der Fluß kaum vom Eiſe frei geworden . Db der Täufer einen Gummiro unb Hoſen aus dem ſelben Stoffe angehabt hat, weiß ich nicht, wenigſtens ſchien ihn die dreimalige Prozedur gar nicht zu beläftigen , die armen: Opfer aber wurden gemeiniglich halbtodt' an's? Ufer geſchafft und mußten wieder in den Wagen ſteigen , um aufs Neue einer kirchlichen Feier beizuwohnen . Wic leicht da der Reim zu einer tödtlichen Krankheit gelegt wird, ift doch augenſcheinlich, aber was iſt dort ein Menſchen leben !'ich glaube, wenn die Getauften tödt auf dem Plaße

111

blieben, ifr Tod würde noch als ganz beſonders gottwohla gefällig angefehen. Die Anfichten der Menſchen gehen weit auseinander, und man ſteht, die Verſchiebenartigkeit fann nirgends grow per als in New - Yorf fein . Aber es giebt auch dort einen Plaß , welcher alle Confeſſionen vereint, ein Ort, an dem von feiner Meinungsverſchiedenheit mehr die Rede iſt, wo Ades Ruhe und Friede athmet, und das iſt der Kirchhof. Ich will mein Rapitel mit einer kurzen Beſchreibung dies ſes friedlichen Ortes ſchließen. Natürlich hat New York mehr als einen Kirchhof , es hat deren im Norden der Stadt und jede Vorſtadt hat ihren eignen. Aber der große, allgemeine Kirchhof iſt Greenwood cemetery auf long I8 lan ) , öſtlich von Brooklyn gelegen . Ich kenne feine genaue Größe nicht , aber ich weiß , daß man in einem Nachmita Es iſt der köſtlichſte Parf, tage fehr wenig davon fieht. den ich je betreten habe. Berg und Thal wechſeln darin ab; hier ein Teich , dort eine Grotte, faſt bei jedem Leichens ſtein ein Pläßchen zum Ausruhen und von jedem Hügel eine koſtbare Ausſicht auf New Yorf , die Bat und die Ser. Unwilführlich ſteigt der Wunſch in dem Beſucher dieſer Ruheſtätte auf: „ hier möchteſt Du begraben liegen , hier von Deines Lebens Wanderung ausruhen ! “ Biele Familien haben fich ihre lebte Stätte bereits ausgeſucht und die bereits gefeßten Steine bedürfen nur noch der Namen der Lebenden . Doch was ſehe ich an jenem Steine , der jebenfalls einem Kinde gilt , eine Puppe , gewiß das Lieblingsſpiel zeug , eine kleine Trompete, ein Steckenpferd. Es iſt eine ſinnige Gewohnheit der ſonſt ſo kalten Yankee's , ihren Lieblingen das aufs Grab zu legen, was ihnen im Leben ? Freude gemacht hat , wie oft iſt ja doch die Freude aus dem Hauſe verſchwunden , wenn die muntere Stimme des kleinen Lieblings verſtummt iſt, die oben Räume sticht mehr ſein luſtiges Lachen wiedergeben , fein freudiges ,, Papa" , ,, Mama " die heimkehrenden Eltern begrüßt. 1. i Traurige, wehmüthige Geſchichten könnten uns dieſe Gräber erzählen. Aber fie fdweigen ſtill, und ſtill iſt auch der Beſucher geworden, der Greenwood cemetery verläßt, felbft ungewiß, ob er mehr übermannt iſt von der Schöna

112 heit des Drtes ober mehr ergriffen von dem Gedanken an all die irdiſche Größe, Schönheit, an all’ die menſchliche Leiden , Hoffnungen und Erwartungen , die hier begrabei.. liegen.

9. Miltz und feuerwehr. Ich will in einem kurzen Abſchnitt verſuchen , dem Leſer ein Bild dieſer beiden rein amerikaniſchen Einrichtungen zu geben , welche jedem Fremden Stoff genug zu Betrach tungen darbieten. – Die Vereinigten Staaten haben kein ftehendes Militär , wenigſtens nicht der Art , wie es in Deutſchland , Frankreich, Rußland u . f. w . der Fall ift. Die ganze Maſſe der angeworbenen Truppen beſteht in nicht mehr als etwa 15,000 Mann Lands und Seefols Man denfe, nur 15,000 Mann für ein Land, daten. welches größer iſt als ganz Europa zuſammengenommen ! Und dabei hält es noch ſchwer , dieſe Zahl immer volls zählig zu erhalten , denn man weiß dort, daß das Loos eines Vereinigten Staaten -Soldaten das erbärmlichſte von der Welt iſt. Heute in New York auf Governors Jsland, in acht Tagen 2000 Meilen weſtwärts auf einem einfa men Fort , wo die Vorpoſten von den Indianern weg gefangen, oder von Drkanen weit weg geblafen werben, um zu erfrieren oder zu verhungern , heute im Sumpfland des Miſſiſſippi arg gequält von Mosliten und bedroht vom ..gelben Jad " ( ein Provinzialiomus für's gelbe Fieber ), wenige Tage darauf in endloſer Prairye, wo es weder Holz noch Waſſer giebt und die nächtliche Ruhe ball durdy Büffel , bald durch Wölfe geſtört wird , das iſt das Loos cines Vereinigten Staaten -Soldaten . Nur die äußerfte Noth fann einen armen Teufel, der nicht ſchlecht genug iſt zu . ftehlen , veranlaffen, in eines jener Häuſer zu treten, welche mit einer amerikaniſchen Flagge geſchmückt ſind, auf der etwa fteht: 200 Mann Vereinigte Staaten - Gruppen werden geſucht. Vor der Thür geht ein Soldat ohne Gewehr, jedoch in voller , ſpiegelblanker Uniform auf und ab , den

113 her ran in New - York unit ähnlichen Augen anfieht , wie bei bes ans einen bunt angepußten Schauſpieler oder Seiltänzer, welcher , wie auf Volksfeſten , vor feinem Zelte ftolzirt, um Publikum anzuziehen . An Avancement von unten herauf ift beim ftehenden Heere ſo gut wie nicht zu denken. Die Offiziere werden aus den Familien der Nabob8 entnom men , und man ſteht alljährlich, wie ſchwer es den Söhnen minder Bemitteltet oder Einflußreicher gemacht wird, felbft

bei ausgezeichneter Befähigung in ber Militaracabemie zu y Weſtpoint (Štaat New -Hort) Aufnahme zu finden . ale Ein ganz anderes Bild bietet die Bürgerivehr oder Milig. Jeder amerikaniſche Bürger hat von breien eine Verpflichtung gegen den Staat. Entweder er muß zur Miliz treten , oder als Geſchworener fißen , oder endlich Dienfte bei der Feuerwehr thun . Bei weitem die Meiften find der Miliz einverleibt. Darunter find alle tid Militärgattungen ſowie alle Rationen vertreten . Das ſchönſte Regiment in New - York ift das ſiebente , lauter 11 ftattliche junge Amerikaner in ſchmuder Uniform und gut od einerercrt. Sie find der Stolz New -Yorkd ; wenn man vom ,,fiebenten " ſpricht , fo weiß Jeder , was man meint. Nächſt diefen giebt es ein paar gute Deutſche Regimenter, darunter eine nicht gar zu große Anzahl sufaren , welche aus den Pferde befißenden deutſchen Krämern und X Probuctenhändlern beftehen . Auch an phantaſtiſchen und zum Sheil recht thörichten Uniformen fehlt es nicht. So giebt es eine ſogenannte Waſhington -Garde, welche genau ſo uniformirt ift, wie es zur Zeit dieſes Helden Sitte war. Sie tragen blaue Waffenröcke mit zuſammengeſtedten Schos fen , enormen Aufſchlägert und coloſſalen Meffingknöpfen, ferner Koniehofen , Schnallenſchuhe und Dreimafter, mitunter wohl audy nodi Feuerſchloßgewehre aus der damaligen Zeit. Da dem Einen dies , dem Andern das fehlt, fo geben fit ein ziemlich buntfchediges Bild ab und erregen eine Heiters telt , die größer iſt , alo der Neſpect, den fie einflößen . Ein trauriges Bild geben die Frländer ab, werin fie in ihxe Landesfarbent, laubfroſobgrün und Gelb , gefleidet, paradiren. - Neueret Zeit haben ſich in New York nade dem Mufter Chicago'$ auch Zuaven gebiſbeti, 7. 3. nut erft durdy das ohrenzerreißende Stgergebrüll, das fit aus. 8

114 Doch * fei dem Aden , wie ihm wolle, ftoßen , berühmt. mögen dieſe Milizen in Friedenszeiten oft wirklich gar zu friedlich erſcheinen und an unſre Communalgarden ,ſeligen Andenfens, erinnern, fte tragen Mann für Mann ein echt patriotiſches Herz im Bufen und laſſen, freudig Hauß und Familie, wenn es gilt das Vaterland zu retten . Sie wiffen , daß ſie es ſind, die den Staat bilden , daß fie für ihre eigne Ehre ftreiten , wenn ſie den Staat vertheis bigen. Mit ſolchen Leuten läßt ſich wohl gegen einen an Stärke und Klugheit überlegenen Feind ſiegreich ankämpfen, denn Volk und Soldaten ſind eins, und wenn das Volf als Soldat geſchlagen wird , ſo ſteht es als Bolt wieder auf , um fich zu rächen ! - Unter der Miliz ift bas Avancement nicht ſo ſchwer, wer nur Zeit und Geld genug hat , fich befördern zu laſſen. Uebrigens die Spielerei mag ſo weit gehen wie ſie will , nie wird man in Friedens zeiten einen Milizmann in ſeiner Uniform in den Straßen New -Yorks ſtolziten ſehen , welchen noch ſo hohen Rang er bekleiden möge , es ſei denn , daß ihn die Pflicht ruft. Das wenige ſtehende Militär iſt auf den Forts unterges bracht, und man kann oft wochenlang ausſdauen, che man einen von ihnen zu ſehen bekommt. Der greiſe General Scott war nur in ſeiner ſtraffen Haltung als Soldat zu erkennen , im Uebrigen ging er als einfacher Bürgersmann gekleidet. Sobald aber das Vaterland ſeiner bedurfte, da ftat er wieder in ſeiner Uniform und war Solbat von Schließlich noch ein Stückchen , Innen und von Außen . wie man um die Miliz , herumkommen " fann. Ich hatte einen Bekannten , der ſollte durchaus Soldat ſein , und wollte nicht, wäre ihm auch bei ſeinem ungewöhnlichen Körperumfange ſchwer geworden. So ſtand er denn blos auf dem Papiere, ohne je eine Uniform anprobirt zu haben . Das ging eine Zeit lang, bis man es fatt hatte und ihm Wer auf den nächſten Befehl eine Mahnung zuſchichte. nicht erſchien, war mein dicker X. Hierauf ſtellte fich ein Poliziſt betrihm ein , präſentirte den Befehl, und bat fich einen Shaler aus. Er befam ihn, und es waren Auss fichten vorhanden , daß bald das Doppelte , würde fällig ſein, benn unſer # .war natürlich nicht auf dem Sammels plaß erſchienen. So lange wartete er indeſſen nicht, ſon

115 , bern zog ichleunigft in ein entferntes Stadtviertel. Dort hatte er eine Zeit lang Ruhe, bis ihm berichtet wurde, ein Poliziſt habe ſich angelegentlich nach ihm erfundigt. Da ſcien’s ihm nicht mehr geheuer, er ergriff aufs Neue den Wanderſtab und wohnt ſeitdem unbeläftigt in einer namens So viel über die Bürgerwehr, nun noch loſen Straße. mit ein Wort über die Feuerwehr. stown Dieſe hätte wie die Miliz aus lauter Bürgern, Haugs und Familienvätern zu beſtehen , da denſelben aber das feineswegs leichte Amt bald zu mühevoll wird , ſo ziehen fte_c$ vor, einen beſoldeten Mann für ſich eintreten zu laſſen , und ſo hat ſich denn nach und nach eine ſtehende Man darf an dieſelbe weder Feuerwehr herausgebildet. den Maßſtab der Londoner, noch der Berliner Feuerwehr legen , ſie iſt weder ſo gut organiſirt, noch überhaupt ſo wirkſam , aber ſte iſt etwas Eigenthümliches, echt Amerika niſches, dem man wohl einige Worte widmen darf. Man lernt die Feuerwehr am Beſten kennen, wenn man ſie mit ihrer Maſchine der Brandſtätte zucilen fieht . Die große Glode auf der Cityhall ertönt in mächtigen Schlägen. Während ſich der Fußgänger noch umſchaut, um zu ſehen, ob das Feuer in der Nähe iſt, entſteht auf dem Trottoir ein Gedränge. Die Leute flüchten an die Häuſer oder auf die Straße und vorbei raſſelt auf dem Trottoir ( denn es iſt Winter und viel Schnee in der Straße). eine Schlauchs winde, das heißt ein zweirädriges Geſtelle, auf welchem die Schläuche zur Spriße aufgewunden ſind. Eine baran befeſtigte Glode-ſchlägt bei jeder Radumdrehung einmal an , um die Fußgänger zu warnen , und das iſt auch noths wendig, denn Rücklichten werden von den Feuerleuten nicht genommen. Dieſe haben ſich Einer hinter dem Andern an einen langen Strick vor der Maſchine gereiht, ſchreien aus leibeskräften und laufen fo fdynell, als es nur gehen will. Voran aber läuft ihr Commandant, der mit einem måd )s tigen Sprachrohr bewaffnet iſt. Kaum iſt der lärmende Zug vorüber, da hört man neues Gebrül, die Leute ſtieben abermals auseinander , und vorüber ſauft die wirkliche Spriße. Dieſe iſt gar verſchieden von unſern deutſchen unbeholfenen Holzfäſten , die oft kaum zwei Pforde bewegent können . Sie iſt lang, doch nicht zu breit , aus ſpiegels 8*

, 116 blankem . Meffing gebaut, die Räder find hoch ſehr düm und zierlich bemalt, wie auch die Spriße ſelbſt gewöhnlich mit einem gemalten Schilde, dem Bruſtbilbe Waſhington's, Franklin's u . ſ. w. geſchmüdt ift. Der Strid , an dem die Maſchine gezogen wird , iſt diesmal länger, und wer pon den Vorübergehenden Luft hat, kann mit ziehen . Auch die Spriße hat eine Alarmglode. - Wenn fte auf dem Blaße ihrer Thätigkeit anfommt, find ſchon die Schläuche abgewidelt, an die Standrohre in der Straße befeſtigt und brauchen nur noch an die Maſchine angeſchraubt zu werden , um dieſe mit einem nie verſiegenden Waſſervors rath zu verſehen . 15 BLS M Nun geht es an ein Arbeiten , das um fo toller ift, je mehr ihnen von den Verſicherungscompagnien für Ers haltung geboten wird. Manchmal ſind ſie wohl auch vom Eigenthümer beſtochen und halten ſich nur an die Nachbargebäude, während ſte das brennende ſeinem Schicks c um Schi ſale überlaſſen. Je mehr Sprißen auf dem Schauplaße find, befto bunter geht es her. Kommen zwei fich feindliche Com pagnien zuſammen , fo ſuchen fie fich zuerſt das Waſſer ftreitig zu machen , dann ſprißen ſie wohl, unbekümmert um das brennende Haus , auf einander und endlich ents ſteht wohl gar ein Gefecht mit Meſſern und Revolvern, in dem gar häufig Todte bleiben . Die Zeitungen berichten faſt wöchentlich von ſolchen Scharmügeln . Bekleidet find die Feuerleute mit einem rothen Flanellhemd, über weldies mur bei ftrenger Kälte ein Rod gezogen wird , die Hoſen dhnüren fte mit einem Riemen und auf dem Kopf tragen ſte einen ſchwarzen Helm . Die Sprißengebäude enthalten einen bucuriós ausgeſtatteten Salon , in dem ſich fort während Mitglieder und Beſuchende aufhalten . Sehr Häufig ftatten Ficy ganze Compagnien aus entfernten Städten Beſuche ab, und dann iſt des Proceffionirens, Banfettirens uub Regalirens fein Ende. Aue Jahre zum Erntefeſt ( thanksgivingday, d. i. Dankſagungstag ) ift allgemeine Sprißenprobe, welche um und an den in allen Stadtvierteln errichteten Freiheitsbäumen abgehalten wirb. Dort fah ich auch zwei neue Dampfſprißen mit proben, dieren eine einen armftarten Strahl 146 engliſche Füß in

117 die Höhe trieb. Die Dampfſprißen haben demnach eine ungeheure Gewalt, find in 10 Minuten vollſtändig gies heigt , bewegen fich lokomotivenartig felbft durch die Stra Bent und erlangen in Amerika immer weitere Verbreitung. Doch auch die gewöhnlichen Maſchinen leiſten dort Außer ordentliches. Die Feuerleute leben überhaupt ihren Stolz barein , ſchöne und fräftige Maſchinen zu haben , nicht immer um das ſtädtiſche Intereffe zu wahren , fondern gar häufig um es ihren Nachbarcompagnien zuvor zu thun . Indeſjen muß man ihnen laſſen , daß fie ein gar Tag und Nacht rühriges und abgehärtetes Volk ſind. find fie auf den Beinen und ihre Arbeit iſt, beſonders im Winter, wo nach einem Feuer die Schläuche oft Straßenweit mit einer Eisfrufte von Innen und von Beim Publikum Außen bededt liegen, eine gar harte. ſtehen fie in gutem Anſehen und dazu tragen die Zeitungen das Ihrige bei, denn die Feuerleute haben eine gar gewich tige Stimme bei den Wahlen und können einer Partei den Sieg über die andere ſehr erleichtern. - So will ich denn jeßt von ihnen Abſchied nehmen, und wer von den Leſern einmal ein Bild von amerikaniſchen Feuerleuten fieht, wie ſie mit rothen Hemden bekleidet vor einer glißern Den Maſchine herlaufen , der mag daran denken , was di ja filatud 1 ich hier von ihnen erzählt habe. ?

10. Vierter Juli und erſter Januar. Der vierte Juli , ber Tag, an welchem im Jahre 1776 die Unabhängigkeit der Amerikaner erklärt wurde, iſt außer dem Neujahrstag der einzige abſolute Feiertag in Amerika. Dſtern , Pfingſten , felbft Weihnachten , trofdem daß dies leptere Feſt ſchon in viele Familien Eingang gefunden, üben keinen Einfluß auf den alltäglichen Verkehr, die ewig bewegliche Maſchine „ Geſchäft “ geht nach wie vor ihren Tid - Tadgang. Aber am 4. Juli (er wird nie Sonntags gefeiert) fchweigt der alltägliche Lärm , um einem noch viel größeren außerordentlichen Plaß zu machen . Mit dem frühen Morgen beginnt in Straße und Haus

118 ein tolles Treiben und dauert bis in die Nacht hinein. An patriotiſchen Kundgebungen iſt ein wahrer Ueberfluß vorhanden, und wie fich dieſer Patriotismus äußert, das kann ich am beſten wiebergeben , wenn ich meine Erlebs niſſe an einem ſolchen Tage mittheile. Mit dem Grauen des Tages begann eine allgemeine Ranonade. Von den Forts im Hudſon bonnerten 96 Pfünder ihren Gruß und machten den leichten Nebel ers zittern , der noch auf Fluß und Ufer lagerte. Auf der Batterie wurden zunächſt einhundert Ranonenſchüſſe ges feuert, und der Donner war faum verhalt , als auch unſre Hobokener Artillerie ihrem etwas antifen Geſchüß den Mund öffnete und dies ſo laut zu reden begann, daß die frieblichen Bewohner dieſes Städtchens erſchrect aus den Betten fuhren . Beim hundertſten Schuſſe ſprang die Stanone durch Ueberladung und riß einem von der Bedienung eine Hand weg. Der Höllenlärm hatte mich nicht in meinem guten Schlafe geſtört, nur ſchwere Träume quälten mich. Da fing es an brandig in der Stube zu riechen. Ich verſtehe mit Feuer durchaus feinen Spaß und wachte erſchreckt auf. Plik , Plaß ging es neben meinem Bette , Funfen ſprühten, und dichter Rauch füllte die Stube. Mit derartigem Únfug fchon leidlich bekannt, griff ich herzhaft in die brennende Maffe, padte fte glüdlich , auf die Gefahr hin, mich arg zu verbrennen, und warf fie dem Urheber dieſes Skandals , dem Sohn unſrer Wirthin , der lachend im Garten ſtand und ſich über ſeinen Jur " recht gemüthlich freute , auf den Kopf. Glüdlicherweiſe war nichts weiter verbrannt als der Teps pich , doch beſtand die Wirthin barauf, daß ich ihn er ſeßen ſollte , denn “, ſagte fte , „ Sie ſind ſelbſt daran fchuld , weil Sie bei offnein Fenſter geſchlafen . Der kleine Flegel war natürlich gleich zu ſeiner Mama ge laufen und hatte mich verklagt, weil ich ihm ſeine eignen „ Crackers " auf die neue Kutte geworfen ! Dieſe Crackers find 2 Zoll lange Rafetchen , deren etwa 60 an einer Schnur aufgereiht ſind , und welche man zu dieſem Feſte eigens aus China importirt. Ich weiß , daß ein Schiff 80,000 Riften dergleichen Feuerteufelchen geladen hatte. Nach dem Frühſtüc nahm ich eine Wanderung durch

119 Weſt-New -Horf vor." Der Anblid der Schiffe bei der Uebers fahrt war ein prächtiger. ' Ade Fahrzeuge, Dampf- und Segelſchiffe, Ausländer und Inländer prangten in reichem Flaggenſchmuc , und der ſtattliche Strom mit ſeinen Lau ſenden von Schiffen bot ein ſo feftliches , wahrhaft ents züdendes Bild, wie man es nur ſehen , nicht beſchreiben kann. Weit weniger anziehend famen mir die Straßen New - Horfe an dieſem Tage vor , beſonders die engeren Seitengaffen . Wenn die Schaufenſter geſchloſſen ſind, fehen bie fonſt fo luftigen Straßen recht traurig aus. Es war zudem heiß und der Staub unerträglich. Vor den Hausthüren aber lagerten Tauſende von Menſchen, oder ſtanden in Iruppen mitten in der Straße, Neger, Irländer und Amerikaner in bunter Abwechſelung. Und was war die Beſchäftigung dieſer Leute ? Foder Burſche, ja viele Kinder waren mit Schießwaffen aller Art , mit Revolvers , alten Piſtolen , Büchſen und Flinten verſehen und unterhielten, ohne Rücficht auf die Vorübergehenden , ja oft dieſen zum Poſſen , ein unaufhörliches Feuer, was nicht immer mit einem bloſen Knalle endete. Der größte Theil der Jugend gab ſich dem harmloſen Vergnügen hin , Craders , Fröſche und dergleichen auf die Fußgänger zu werfen , ſo daß einem mich begleitenden Bekannten beinahe der Rod vom Leibe gebrannt wäre. Wir waren wirklich froh , als wir die Stadt wieder im Rüden hats ten und uns von Weitem ihres bunten Flaggenſchmuckes freuen konnten , während wir in ihren Straßen in fteter Lebensgefahr geſchwebt hatten. Der Abend loďte uns noch einmal hinüber , um das große Feuerwerk im Parke und an der Cityhallmitanzuſehen. Von ſo etwas macht man fich bei uns feinen Begriff. 50,000 Menſchen mochten zum wenigſten um das Stadthaus herum ges drängt ſtehen , an Gehen war nicht zu denfen . Das leptere war von unten bis oben mit Feuerwerfsftüden bes deckt, zum Theil prachtvolle Darſtellungen , darunter natürs lich auch der alte Waſhington in rieſenhafter Größe. Tauſende von Rafeten durchfurchten die Luft, fchoffen von dem Plaße auf , oder von den umliegenden Dächern auf dieſen nieder. Wo die Raketenſtöcke niederfielen , ob fie Menſchen tödteten oder tödten konnten , daran dachte.Nies

120 mand. - Mit einem furchtbaren Geprafel entfaltete ſich das lebte Bild , ein großer Freiheitstempel, das Bolt jaudygte Bravo , biß auch dieſer verloſch und ſich der ver worrene Knäuel langſam aber ohne Störung auflöfte. Polizei war überhaupt nicht zu ſehen geweſen . Am andern Morgen war man höchft erſtaunt, den Thurm auf der Cityhalt nicht mehr zu ſehen . Er war, burdh Rafeten in Brand geſteckt, in aller Stille abgebrannt; denn da die Feuerglode in ihm hing, fonnte dieſe natürlich nicht anges ſchlagen werden. Intereſſant waren und ſind es immer nach einem 4. Juli die Zeitungen . Man kann kaum er warten bis fie fommen , und wonach ſieht man zuerſt ? Nach den Unglüdsfällen ; denn der New -Yorker iſt gewohnt, unter dieſen immer etwas „ Pifantes “ zu finden, Die Lifte iſt denn auch ungewöhnlich reich. Hier hat ein Vater beim Aufſeßen der Zündhütchen ſein Kind aus Verſehen " erſchoſſen , dort ein Burſche, der einen Stein „ Spaßes halber " in ſein Gewehr lud, einen vorbeigehenden Familienvater getödtet; dem Einen hat ein geſprungenes Gewehr ein paar Finger, dem Andern die ganze Hand weggeriffen ; ein Junge iſt bei dem großen Feuerwerk von einem Baume gefallen und hat ſich in dem eiſernen Ges länder geſpießt; zehn Häuſer find durch Feuerwert" in Brand gerathen , auch einige Menſchen mit um's Leben gekommen , und ſo geht es noch eine lange Weile fort. Das iſt ein 4. Juli in New -Horf geweſen ! Gemüthlicher , aber ebenſo enthuſtaftiſch geht es auf dem Lande zu . Ich war zu einem Freunde im Staate Jerſey gereift. Trommelwirbel, Schießen , Getöſe mit Blechfannen und ähnlichen Inſtrumenten deuchten mich ſchon um 3 Uhr vom Lager empor. Des Morgens para birten alle junge Burſche und ſammelten unter Muſic Gelb für den Nachmittag ein , was ihnen reichlich zu Theil wurde. — Gegen ž Uhr fammelte ſich eine bunte Menge mitten im Walde auf einem mit Sißen verſehenen freien Plaße. Die Front nahm eine Art Bühne ein, auf welcher zuerſt der methodiſtiſche Geiſtliche erſchien , um ei nige Worte an die Verſammlung zu richten , welche dieſe mit lauten cheers ( Hurrahs und Freudenrufen ) begrüßte. Dann trat ein aus New-York verſchriebener Komifer auf

12 und unterhielt das, Bolti auf alle möglicher in Deutſch land unbekannte Weiſe. Später fand auf einer Wieſe, Die ein Freiheitobaum ſchmückte, ein Eſelrennen und Sad hüpfen ſtatt , worauf die jungen Leute zu einem Bidnid eilten , zu dem auch die Fremden ſehr zuvorkommend eins geladen wurden . Des Abenbø veranſtaltete man auf jenem Blaße im Walde einen gemütblichen Tanz, zu dem rieſige Þechfeuer auf zwei foloſſalen Opferaltären leuchteten. Den Schluß endlich bildete ein Ball in einem ſehr niedlichen mit Gas erleuchteten Geſellſchaftsſaale, auf dem ich, wenn's dem Leſer Spaß zu wiffen macht, ſämmtliche Quas drillen , es waren ihrer zwanzig , getanzt habe; der Reft beftand aus 5. Rundtången. Man ſieht, fie wiffen auf dem Lande den Freiheitstag beſſer zu feiern , als in der Stabt. Ich habe noch eines zweiten Feiertages erwähnt, wels cher nächſt dem 4. Juli in Nordamerika beobachtet wird. és ift dies der Neujahrstag , berühmt und berüchtigt burch ſeine Beſuche. Die Sitte am erſten Tag des Jahres Beſuche zu machen und zu empfangen , iſt von England nad Amerika erportirt worden . Sie iſt von Haus aus eine ganz lobenswerthe und nur da , wo ſte, wie eben in New -York, häufig zur Unſitte wird, hat man Recht, ihr die Häuſer zu verſchließen. Nur einzelne Familien haben dies zur Zeit gethan , in bei weitern den meiſten richtet fich die Hausfrau noch lange vor Jahresſchluß auf ben Neujahrstag ein. Die beſten , lederſten Speiſen , die feinſten Getränke werden zum 1. Januar bereitet und fein ſäuberlich auf den beſten Tiſchen im Parlour aufgeſtellt. Der weibliche Theil der Familie fißt dann im beſten Staate neben dieſen Delicateſſen und wartet der Gäfte, die da kommen ſollen , während die männlichen Familiens glieder die Runde bei deren Bekannten zu machen haben . Die Beſucher laffen auch nicht lange auf fich warten . Schon bes Morgens um 10 Uhr wird es auf den Straßen lebendig, und die vielen Befannten , welche fich unterwegs treffen , rufen fich trok ber Kälte ein fröhliches : ,, Profit Neujahr" zu. Die Länge der Beſuche richtet fich nach dem Grab von Befanntſchaft, in welchem man mit der Fas milie ſteht. Dft iſt es mit einer bloßen Gratulation ab

122 gethan , oft auch kann man ; ohne anzuſtoßen, feinen Bes fuch auf Stunden ausdehnen. Nic aber darf man fich weigern, etwas von den Delicateſſen anzunehmen, unb fel es nur ein Gläschen Whisky . Man fann fich denken , wie es in den Mägen und reſp . Köpfen derer ausſieht, welche etwa dreißig bis vierzig Beſuche gemacht haben. Sunge Heute bringen es oft bis zu einer enormen Höhe. Nicht immer haben dann die Beſuche den Zweck , die freunds fchaftlichen Beziehungen aufrecht zu erhalten ; gänzlich unbekannte Geſichter werden eingeführt, um vielleicht die Schwelle des Hauſes nie wieder zu betreten , es ſei denn am nächſten Neujahrstag. - Es hat nämlich an dieſem Tage ein Jeber das Recht, feinen Bekannten neue zuzua führen , und es hängt nur von den Leşteren ab, ob fte im kommenden Jahre dieſe neue Bekanntſchaft unterhalten wollen oder nicht. Im Allgemeinen aber macht man ſich wenig aus dieſen fummariſchen Präſentationen und ſicht es häufig gern , wenn dergleichen ungeladene Gäfte wieder fort find. Die Vorſtellungswuth beginnt nämlich erft gegen Abend , wo man beim Laternenſchein kleine und größere Cliquen junger Leute, die ſich oft gegenſeitig ftüßen müſſen, in die Häuſer dringen fieht, um Befuche zu mas chen, welchen oft eine recht unangenehme Schlußſcene folgt. Man fann es feiner Hausfrau verdenken , wenn ſie , des läftigen Empfangens , der ſtereotypen Glüdwünſche und des ewigen Aufforderns zum Genießen überdrüffig, recht fehnlich den Abend herbeiwünſcht , wo der Herr Gemahl ſelbſt abgeſpannt von des Tages Laſten, vollgepfropft mit Empfehlungen , Whisky, Auſtern und italieniſchem Salat, heimkehrt und nach einem umſtändlichen Referat deſſelben fich die nächtliche Ruhe auf das Haus herabſenkt, wenn nicht der Straßenlärm , oder ein Feuer in der Nähe eine Störung verurſachen . Der Zuſtand der Beſucher iſt in der Regel ein noch mehr bedauerlicher. Ihr Ropf iſt wüft, ihre Kleidung durch den ſchredlichen Straßenfoth vollſtändig verdorben, Manchem ift wohl gar die Uhr, das Geld geſtohlen worden, und bei alledem hat er vielleicht noch das ſchreckliche Bewußtſein : Du haft Miſtreß Brown, oder Miſtreß Sinith nicht be fucht, wie wird Dir'8 gehen !

1

123 11 . Klima in und um New

York.

Allgemeine Bemerkungen, .

Wer Ser von den Lefern einen Blic auf die.Karte werfen " will , der wirb finden , daß New - Yorf mit Neapel unter ein und demſelben Breitengrabe liegt, nämlich unter dem 41. nördl. Br. Mancher wird nun glauben , daß dems gemäß das Klima auch ein ganz beſonders füdliches ſein müſſe; dem iſt aber nicht fo. New - York hat allerdings die Sommer von Neapel , aber zugleich auch die Winter von Petersburg . Das Klima iſt dort alſo ein ungeheuer wechſelhaftes. Den ſchönen Frühling, unfern herrlichen Mai ; ,wo alle Vöglein fangen " , den fennt der Reipa Yorfer nicht. Das Frühjahr iſt dort eine gar abſcheus liche Jahreszeit. Staum beginnt die Sonne etwas wärmer zu ſcheinen , ſo ſchmilzt der Schnee in Maffe, und die Straßen ſind mit einer braunſchwarzen , halbſchlammigen Fluth bebedt, welche für Herren nur in Juchten , für Damen nur in Gummiſtiefeln zu paſſiren iſt. Zum Uebers fluß ſchüttet man , um die Auflöſung des Schnee's zu be ſchleunigen, große Quantitäten Salz auf die Straßen und überläßt es bem nächſten Plaßregen und einem Frühjahrs . fturme, die ganze Suppe in den Fluß zu ſpülen. Von dem langſamen Aufbrechen der Knospen und von bem zarten erſten Grün , welches das Auge fo fehr erfreut, ift wenig zu ſehen . Die Bäume halten lange, lange zu rüc . Man fteht es ihnen an , ſie wollen gern , aber ſie trauen dem Landfrieden noch nicht ganz, bis denn plößlich ein heißer: Sonnenſtrahl die Blätter Herauslodt, und fie bann ſo gewaltig ſchießen , daß ſie bereits innerhalb acht Sagen die dunkle Färbung des Sommers angenommen haben. Ebenſo iſt es mit der Blüthe. Die Dresdner würden ſich recht nach ihrer ,, Baumbluth " umſehen . Troja dem daß man , z. B. in Jerſey , Aepfelbäume in Maffe hat, blühen doch immer nur einzelne, und in wenig Tagen iſt es mit der Blüthe vorbei. - Den Singvogel vermißt der Deutſche ſchmerzlich. Da iſt keine Lerche, die trillernd in die Lüfte fteigt, feine Zippe, feine Amſel, fein luſtiger Finke, ja felbft unſer alter Hausfreund, der Sperling,

124 l Geſchwäß iſt nirgends zu ſehen . mit ſeinem unermüdlichen oge ttv en o p läßt ſich hör , in S vogel in der Größe eines Staares mit einem rothen Räppchen ftreicht durch das Gebüſch . Dieſer Mangel an Singvögeln iſt wie geſagt beſonders dem Deutſchen fühls bar, ſo daß einige unſrer Landsleuter ganze Vogelfatungen aus dem Vaterlande bezogen haben. Aber die Thierchen find, wahrſcheinlich in Folge bes Klima's , nicht einheis miſch zu machen, und mit dem Geſang iſt es über Rurz oder Lang bei ihnen vorbei. So verſtreicht das Frühjahr, ohne daß man es geſehen oder gehört hat, ohne daß man fich am friſchen Grün gelabt und am Geſange der Vögel ergößt hat. Dafür kommt einem raſch ein heißer Soms mer über den Hals. Selbſt der Morgen iſt ſchon drüdent warm , und am Tage erreicht die Hiße gar häufig eine Höhe von 36 Grad Réaumur im Schatten. Fälle von Sonnenſtich ſind dann nichts feltenes ; ich erinnere mich , daß deren gegen zwanzig an einem Tage vorfamen . Die Nächte im Juni und Juli find ſo warm , daß man bei offenem Fenſter ſchlafen fann, im Auguft aber tritt des Nachts eine ſo fchroffe Kälte ein, und die Morgen find auch fo friſch , daß man recht gut winterliche Kleidung vertragen kann, während und vielleicht weil man Mittags in der glühenden Sonnenbiße geſchwißt hat, -Unſtreitig die ſchönſte Jahreszeit in der Breite von New -Yort iſt der Herbſt. Dieſer muß zum Theil den Frühling erſeßen , und wirklich, nie hat mich die Natur ſo ſehr angeſprochen , als bort im September und Dctober. Der an und für ſich reine Hinmel nimmt eine noch tiefere, burchſichtigere Färbung an, fein Hauch bewegt die Luft, und tiefer Friede ſcheint über die herrliche Landſchaft gekommen zu fein . Feder Gegenſtand, er ſei noch ſo entfernt, zeigt fich dem Auge in fcharfen Umriſſen. Man mag noch ſo oft das Panorama New -Yorks von den umliegenden Hügeln bes wundert haben , im Herbfte entfaltet es neue Reize. Stundenlang fann man verſunken ſtehen in das herrliche Bild, und wendet man den Blick und fieht, wie ringsum die Natur langſam und würdig zur Ruhe geht, um fich auf den langen Winterſchlaf vorzubereiten , da ſenkt ſich auch Ruhe in die eigene Bruft, und das Menſchenherz

125 fühlt ſidy von göttlichem Hauche mächtig gehoben. * Ende November ftellen fic diet erſten Winterſtürme ein , und doch fällt vor Weihnacht felten Schnee. Später aber ſchneit es oft gewaltig, zuipeilen drei Elen in einer Nacht. Dann winnmelt es in New - Yorf von Schlitten , die an Pracht und Zwedmäßigkeit den unſrigen weit überlegent find. Auf dem etwa 110 Ader großen Central- Teiche in Central- Parfe entfaltet fich dann ebenfalls ein ſo reges buntes Leben , wie es wohl etwa auf der Newa zu finden ift. Kurz Alles erinnert dann lebhaft an Petersburg. Die beiden Ströme gefrieren natürlich felbft bei der größ ten Kälte nicht zu , denn Ebbe und Fluth hindern das Anſeßen einer Eiðtrufte, die von einem Ufer nach dem ans bern reicht. Aber mächtige Eisſchollen und Eisfelder treiben den Hudſon herunter und bei der nächſten Fluth theilweis wieder hinauf. Dann kann es allerdings par firen , daß bei Hochwaſſer, bas heißt, wenn die Fluth ain höchften iſt, und ein augenblicklicher Stilſtand eintritt, fich die Schollen zu einer Rieſenbrüde vereinigen und man auf kurze Zeit das andere Ufer zu Fuß erreichen kann . Das geſchah im Jahre 1856 , wo der 2 '/ engl. Meilen breite Hudſon eine Stimde lang , der East river aber mehrere Štunden lang gangbar waren. Auf legterem hatten fich etwa 200 Menſchen geſammelt und amüſirten fich mit Schlittſchuhlaufen . Da plöglich theifte fich das Eis und die ganze Seſelfchaft trieb auf mehreren großen Felbert dem Meere zu. Durch die bereit liegenden Fährdampfer wurden indeß alle gerettet und kamen mit dem Schreden davon . Die Schifffahrt ruht natürlich audy im Winter nicht. Segelſchiffe nach nördlichen Häfen und Flußboote müſſen freilich müffig liegen , aber. Dampfboote und große Segel fchiffe nach überfecifchen und füblichen Häfen gehen und tommen fortwährend. Auch die Fährbampfer ſind immer in Bewegung, wenn einer auch zuweilen im Eije ſteden bleibt, oder mehrere Stunden unterwegs ift. In Santa zen iſt das Leben auch im Winter ein unvergleichlich leb: haftes. Der New Yorker hat aud den Mann mit dem weißen Barte liebgewonnen , wenn er ihm auch manche mal mit feiner weißbereiften Ruthe einen kleinen Schlag

126 verſeßt. 24 ° R. tommen nicht gar zu felten vor , doch würde die Kälte lange nicht ſo fühlbar ſein , wenns fie nicht durch die ſcharfen Dſtwinde, welche direct vom Dcean kommen , oder auch durch die Stürme von Nordweſt, welche die Seen beſtreichen , bis zu einer ſchneidenden geſteigert würde. Warme Kleidung iſt daher unbedingt nöthig, und trofdem , daß man unſere langen äußerſt unbequemen Reiſepelze nicht fennt, werden wohl nirgends ſo viel Belzo röde, Müßen , Müffe, Dhrwärmer und dergleichen ges tragen , als in New Yorf. - Die Nähe der See macht überhaupt das ganze Jahr hindurch die Witterung zu einer höchſt unbeſtändigen , ſo daß zuweilen jede Ebbe und Flut anderes Wetter mit ſich bringt. Man fchlage hierzu den großen Temperaturwechſel, welcher in einem Tage bis zu 15 und mehr Grad beträgt, und man wird zugeben , baß dies Klima ein auf den menſchlichen Körper böchft aufregend und aufreibend wirkendes fein muß.". In der That iſt der entſchloſſene Charakter der Amerifaner , ihr unftätes Weſen , ihre geiſtige Aufgeregtheit in hohem Grade dem dortigen Klima zuzuſchreiben . Auch ihr Körper entwidelt fich demſelben angemeſſen . Sie fdyießen ſchnell auf, wie die Bäume auf dem Urboden, und erlangen eine frühzeitige Reife, die ſie mit 14 Jahren ebenſo entſchieden auftreten und handeln läßt, wie bei uns einen Jüngling von 24 ; haben ſie das leştere Alter erreicht, ſo ſtehen fic in vollfter Mannesblüthe; während fie gar häufig zwiſchen 30 und 40 einem abgelebten lebensmüden Greiſe gleichen . Noch greller ſind die Abſchnitte im weiblichen Leben . Mit 12, höchſtens 14 Jahren wird das Kind zur Jungfrau, mit 17 Jahren hält ſich die letere für das unglüdlichſte Geſchöpf unter der Sonne, wenn ſie noch keinen Mann hat, und iſt mit 20 dem Verblühen nahe. Das Durchſchnittsalter in New York : beträgt 35 Jahre ; man merfe aber wohl , daß ich hier nur von New York rebe, in Maſſachuſetts, oder : in Süd. Carolina: ſtellen ſich die Zahlen ganz anders. Die vorherrſchenden Krankheiten find bei Kindern Maſern , Scharlach und Rolif , bei Er wachſenen Lungenkrankheiten , Rolit und andere Störung in den Verbauungswerfzeugen, Rheumatismus und Wecha ſelfieber.

Das gelbe Fieber berläuft ſich nur ſelten nach

127 New York, und dann ift es meiſt aus dem Süden im Die Zahl derer , welche im Alter von 20 bia portirt. 24 Jahren ſterben , ift ungeheuer. Es wäre wohl in e lich ßt wöhnKlima tereſſant, zu erfahren, welche Wirkung tas eidortige ge És h viach das Klima von Nordamerika iſt ganz wie bei uns in Deutſchland.“ . Nun es kommt ſehr darauf an, welchen Theil Nordamerika'8 man meint, und mit welchem Striche Das Relima News Deutſchlands man ihn vergleicht. York's habe ich beſchrieben, und ſeine Wirkung auf den Deutſchen iſt eine raſche und auffallende. Ich habe ſchon geſagt, daß der Neuangekommene gar bald etwas , und ſpäter immer mehr von der Lebendigkeit des Amerikaners annimmt, daß ſein ganzes Weſen entſchloſſener als zuvor wird. Es iſt dies nicht blos eine Sache der geſchäfts lichen Nothwendigfcit , fondern hängt ganz genau mit dein Acclimatiſationsproceß zuſammen , welchen jeder Aus . länder mehr oder weniger durchzumachen hat. Temperas, tur und Luft wirken als Reizmittel auf den Körper. Eine erhöhte Lebensthätigkeit tritt ein. Und wie der Stoff wechſel raſcher von ftatten geht , wie das Blut ſchneller durch die Adern rennt, ſo erhöht ſich auch die Thätigkeit und Beweglichkeit des Körpers nach Außen hin, ſo äußert fich die Thätigkeit des Gehirns in einem ſchnelleren Oca banfengange , ja felbft in ſchnellerer Sprache. Ich habe alte Leute gekannt, welche troß ihrer zu Haus angenoma menen Bequemlichkeit, já Abgeſtumpftbeit , in die fie vers ſunken waren, eine Beweglichkeit im Denken und Handeln überkam , die ſie um zehn Jahr jünger erſcheinen ließ, die fie ſich ſelbſt nicht zu erklären wußten , die ihnen indeſſen auch kein beſonderes Wohlbehagen zu verurſachen ſchien . Einen großen Fehler begehen viele Deutſche dadurch, daß ſie ihren Körper viel zu wenig gegen die äußeren Einflüſſe ſchüßen und durch ein aufreibendes Abhärtung8s ſyſtem das zu erreichen glauben , was ſie durch warme Kleidung erreichen würden. Ich halte warme Kleider, vorzüglich wollene Unterkleider und eine kräftige Fleiſchkoſt für unentbehrlich , um ſich in und um New York wohl zu befinden. – Daneben möge man ſich vor dem Genuß jener ſtarken , oft verfälſchten geiſtigen Getränke hüten ,

128 welche viele Amerikaner zu Grunde richten . Lagers bietet einen guten Erſaß. Fin Uebrigen muß fich bier Jeder nad eignem Gutbünten einrichten , Kenntniß der engliſchen Sprache womöglich mitbringen , und ficha möglichſt ſchnell mit den Sitten und dem Charakter ber Amerikaner bekannt und vertraut machen , wenn ich ihm auch nicht rathe, dieſelben immer anzunehmen und nachzus affen, wie dies ein großer Theil unſrer überſeeiſchen Landes leute drüben , und noch mehr bei der Rüdfehr nach Deutſch land zu thun pflegt.' Laßt uns doch Deutſche bleiben , wir brauchen uns unſeres Namens wahrlich nicht zu ſchämen . Man kaxn fich recht wohl die Tugenden eines fremden Volfes aneignen , ohne fich in deſſen Unarten zu verlieben . Und fo bin ich denn, lieber £ ., mit meiner Stizze fertig. Ich habe mir hier undda gewagt, einzelne Pars tien weiter auszuführen . Von Vielem habe ich nur dit Konturen gezeichnet. Alles indeß iſt die Frucht eigener Anſchauung, und ſollte dieſe mitunter son den Anſichten Anderer abweichen , ſo möge man ſie deshalb nicht vers bammen . Der Leſer aber, der vielleicht ſpäter einmal in der Weltſtadt den Fuß an's Land feßt, ober gar meist freundliches Hoboken beſucht, der möge einen Gruß von mir mitnehmen, und beftehe er auch nur darin , daß er beim Anblic des bezaubernden Panorama's von gleichem Entzügen übermannt wird , wie ich es war. -

2

NO

64

Truit von Ernſt Stürte in Schneeberg.

In der Unterzeichneten ſind erſchienen und durch alle Buch handlungen zu beziehen : Dr. Brännig , (Superint. und Ehegerichtsbeiſiger) Das

Recht

der

Eheſcheidung auf

Granù der Schrift und Geschichte. Broſch. 12 Ngr.

Nikol, ansfegen . Ein Gebetbüchlein für Jung und Alt. Dritte Auflage. Broſch . 1/4 Ngr.

Merkbüchlein und für den

Leitfaden

Realunterricht in Stadt- und Landſchulen . Mit 4 Karten. Dritte vermehrte Auflage. Broſch. 2 Ngr.

Demnächſt erſcheint: Handbuch

zum Werkbüchlein oder :

Reallehrbuch . Ladenpr, 1 Thir.

Bwickau , Februar 1862 . Budhandlung des Volksſchriften -Vereins. Druck von Ernſt Stürfe (C. Sdjumann) in Schneeberg.