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German Pages [297] Year 2017
Florian Hartnack
Doing Gender und Feeling Gender im Sportunterricht Eine leibphänomenologische Ethnografie des spielerischen Zweikämpfens
Mit 19 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7370-0774-0 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de Dieses Werk beruht auf der begutachteten Dissertation »Geschlechtsspezifische leibliche Praktiken im spielerisch-kÐmpferischen Sich-Bewegen. Eine neophÐnomenologisch-soziologische Ethnografie im Sportunterricht«, welche am Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften der UniversitÐt Osnabrþck angenommen wurde. Tag der mþndlichen Prþfung: 12. 04. 2017; Berichterstatterinnen: Frau Prof. Dr. Renate Zimmer (UniversitÐt Osnabrþck), Frau Prof. Dr. Ina Hunger (Georg-August-UniversitÐt Gçttingen). 2017, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: »Spielerisches KÐmpfen, Ringen und Raufen«, Florian Hartnack.
Inhalt
Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 Zum Bewegungsfeld des Kämpfens . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Zur Terminologie von (Zwei-)Kämpfen, Ringen und Raufen, Kampfsport und Kampfkunst . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Zum Begriff des Kämpfens . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Kampfsport und Kampfkunst . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Kämpfen als Kampfspiel . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Struktur des Kämpfens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Pädagogisch-didaktische Zugänge zum Kämpfen . . . . . . 1.3.1 Kämpfen, Ringen und Raufen in den Lehrplänen der Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Kämpfen im niedersächsischen Lehrplan . . . . . . . 1.3.3 Studienlage zum Kämpfen im Sportunterricht . . . . 1.4 Kämpfen, Kampfsport und Geschlecht . . . . . . . . . . . . 1.5 Anspruch und Relevanz der Untersuchung . . . . . . . . .
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2 Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung 2.1 Handlungstheoretische Perspektiven . . . . . . . . . . . . 2.2 Diskurstheoretische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . 2.3 Leibphänomenologische Perspektiven . . . . . . . . . . .
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Inhalt
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3 Zur (Leib-)Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Zurück »zu den Sachen selbst« – Husserls Phänomenologie . . . 3.2 Schütz’ Phänomenologische Soziologie . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Körper und Leib in der Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Helmuth Plessner : Exzentrische Positionalität . . . . . . . 3.3.2 Merleau-Ponty : Leibliches In-der-Welt-Sein . . . . . . . . . 3.3.3 Hermann Schmitz: Neue Phänomenologie . . . . . . . . . 3.3.4 Leibliche Intersubjektivität bei Merleau-Ponty und Schmitz 3.3.5 Neophänomenologische Soziologie . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Zusammenfassung und forschungsleitende Konsequenzen . . . . 3.4.1 Sozialwissenschaftliche Ethnografie . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Konkretisierung forschungsleitender Fragestellungen . . .
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83 84 88 96 101 103 105 111 113 117 124 127
4 Entwurf einer neophänomenologischen Ethnografie . . . . . 4.1 Erkenntnis über Leib und Körper . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Teilnehmende Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Narrative Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Konkrete Anmerkungen zur Untersuchungsdurchführung 4.2.1 Die »zehn Gebote der Feldforschung« . . . . . . . . 4.2.2 Methodenreflexion zur Geschlechterdifferenzierung 4.3 Prozess der Datenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Zur Forscherhaltung im Auswertungsprozess . . . . 4.3.2 Theoretische Sensibilität und Forschungsleib . . . . 4.3.3 Kategorienbildung und Ergebnisdarstellung . . . . . 4.4 Kritische Zusammenfassung des Forschungsprozesses . .
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131 131 136 139 146 149 152 154 157 158 159 162
5 Atmosphären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Räumlich-dingliche Umwelt . . . . . . . . . . 5.1.1 Schulsportweg und Sporthalle . . . . . 5.1.2 Materialien im Sportunterricht . . . . . 5.2 Soziale Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Gruppenbildung, Regeln und Methodik 5.2.3 Die Arbeitsweise der Lehrkraft . . . . .
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167 169 169 171 174 175 181 186
2.4 Geschlecht im Kontext von Kindheit, Schule und Sport . . 2.4.1 Geschlechtsentwicklung im Kindes- und Jugendalter 2.4.2 Geschlechterforschung in der Schule . . . . . . . . . 2.4.3 Sport und Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Geschlecht in der Sportdidaktik . . . . . . . . . . . 2.5 Zusammenfassung und Anknüpfungspunkte . . . . . . .
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Inhalt
5.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6 Raumorientierungen . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Das Beobachten und Beobachtet-Werden 6.1.1 Ausgrenzung und Abgrenzung . . . 6.1.2 Präsentation im Raum . . . . . . . . 6.2 Zweikämpfen zwischen Nähe und Distanz 6.2.1 Vordringen und Zurückweichen . . 6.2.2 Kampfweisen . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Berührungspunkte . . . . . . . . . . 6.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . .
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7 Emotionsexpressionen . . . . . . . . 7.1 Selbstdarstellungen . . . . . . . 7.1.1 Nachspielen . . . . . . . . 7.1.2 Herausfordern . . . . . . . 7.1.3 Verweigern . . . . . . . . . 7.2 Verbalisierung . . . . . . . . . . 7.2.1 Selbstzuschreibungen . . . 7.2.2 Fremdzuschreibungen . . . 7.2.3 Situationszuschreibungen . 7.3 Emotionale Lautäußerungen . . 7.3.1 Lachen . . . . . . . . . . . 7.3.2 Lächeln . . . . . . . . . . . 7.3.3 Seufzen, Stöhnen, Schreien 7.4 Zusammenfassung . . . . . . . .
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259 259
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse . . . . . . 8.2 Leibliche Praktiken der Geschlechterordnung im kindlich-spielerischen Zweikampf – ein interpretatives Fazit 8.3 Ein (pädagogischer) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . .
Danksagung
Qualitative Forschung ist spannend – man weiß nie, wo man ankommt (und schließlich auch wieder anfängt). Auf diesem ungeraden Weg voller Staunen und leiblich spürbarer Ergriffenheit haben mich verschiedene Personen begleitet, denen ich ein Wort des Dankes widmen möchte. Ich danke … … zuallererst den Schülerinnern und Schülern sowie den Lehrkräften, die an dieser Studie mitgewirkt haben – ohne sie wäre diese Arbeit so nicht möglich gewesen. … von ganzem Herzen meiner Mentorin Frau Prof. Dr. Renate Zimmer, die mir und meiner Arbeit großes Vertrauen entgegengebracht hat und mir fachlich wie menschlich zur Seite stand. … ebenso meiner Zweitbetreuerin Frau Prof. Dr. Ina Hunger, die mich gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich in Göttingen aufgenommen, für Qualitative Forschung begeistert und auf meinem Weg sehr unterstützt hat. … Frau Prof. Dr. Gabriele Rosenthal für ihre konstruktive Kritik und die Möglichkeit, an den Doktorandenkolloquien teilzunehmen. … Herrn Prof. Dr. Peter Kuhn, der mir den Zugang zur Scientific Community ermöglichte und mich immer wieder für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kampfsport und Kampfkunst begeistern konnte. … der Fazit-Stiftung für das Promotionsstipendium, welches die Arbeit an der Dissertation überhaupt erst ermöglicht hat, sowie der Martha Muchow Stiftung für die Übernahme der Druckkosten. … schließlich meiner Familie und meinen Freunden, die immer an mich geglaubt und mich über die Zeit hinweg unterstützt haben. Danke!
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7: Abb. 8: Abb. 9: Abb. 10: Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18: Abb. 19:
Taxonomie des Kampfes Hierarchisches Verhältnis von Kampfkunst und Kampfsport Modell der Kategorien des Kämpfens Sachstruktur und Phänomenologie des Kämpfens Ursache-Wirkungszusammenhang der psychomotorischen Aspekte durch Ringen/Raufen Die Geschlechterzugehörigkeit Körperformen in Opposition Methodische Schritte der Phänomenologie Husserls Doppelaspekt des Lebewesens bzw. der Person Mattenverteilung in der Halle Methodischer Aufbau der Unterrichtseinheiten zum Kämpfen Inhalte des Bewegungsfeldes Kämpfen aus Kinderperspektive Matten zwischen Nähe und Distanz Distanzierte Bewegungen Körperkontaktaufbau in Zweikämpfen unter Distanzwahrung Enger Körperkontakt Körperkontaktaufbau in engkörperlichen Zweikämpfen Einflüsse leibliche Praktiken im kämpferischen Sich-Bewegen Äquilibrium leibkörperlicher Geschlechtsidentität
26 27 27f. 33 36 56 64 86 100 173 176 181 198 207 208f. 210 212 262 267
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Tab. 2: Tab. 3: Tab. 4: Tab. 5: Tab. 6: Tab. 7: Tab. 8:
Auszüge ausgewählter Lehrpläne zum Bewegungsfeld Kämpfen Das Erfahrungs- und Lernfeld Kräfte messen und miteinander kämpfen in den Vorgaben des Niedersächsischen Kultusministeriums Nachgewiesene psychologische Geschlechterunterschiede Transkriptionszeichen Inhaltliche Struktur der Atmosphären Inhaltliche Struktur der Raumorientierungen Geschlechtsspezifische Verteidigungshandlungen Inhaltliche Struktur der Emotionsexpressionen
38 40 67 159 168 194 204 225f.
Zusammenfassung
Geschlechtsspezifische leibliche Praktiken im spielerisch-kämpferischen SichBewegen. Eine neophänomenologisch-soziologische Ethnografie im Sportunterricht. Das Bewegungsfeld Kämpfen findet sich mittlerweile in den curricularen Vorgaben nahezu aller Bundesländer Deutschlands wieder und ist als Lern- und Erfahrungsfeld in sämtlichen Schulstufen in Niedersachsen fest verankert (Niedersächsisches Kultusministerium, 2006; 2007; 2010), wobei es sich inhaltlich fortschreitend konstituiert (Leffler, 2011a, S. 130). Im Kontext des koedukativen Sportunterrichts werden den Kampfsportarten und Kampfkünsten sowie dem sportartenunspezifischen »Ringen und Raufen« (Beudels & Anders, 2008) dabei vielfältige Wirkweisen zum Abbau von Geschlechterstereotypen zugeschrieben (Bertrams, 2004; Leffler, 2011b, S. 79), wobei eine empirische Aufarbeitung noch aussteht. Über ein sozialwissenschaftlich ethnografisches Vorgehen wurden insgesamt fünf Schulklassen aus zwei Grundschulen, einer Gesamtschule und einem Gymnasium im Sportunterricht während den jeweiligen Unterrichtseinheiten zum Kämpfen teilnehmend begleitet und aus den Beobachtungen im Feld sukzessive die Fragestellungen hinsichtlich des geschlechtsspezifischen leibkörperlichen Handelns der Schülerinnen und Schüler abgeleitet. Eine Besonderheit der neophänomenologischen Untersuchung war dabei die Berücksichtigung von Leib und Körper (vgl. Gugutzer, 2012), womit über die aktive Teilnahme am Sportunterricht das Spüren von Geschlecht nachvollzogen werden sollte und das begriffliche Instrumentarium der »Neuen Phänomenologie« (Schmitz, 1980) die Analyse leibkörperlicher Erfahrungen unterstützte. Die Datenerhebung fand über informelle Gespräche, narrative Interviews zum Ende einer Unterrichtseinheit und fortwährend erstellte Beobachtungsprotokolle statt. Die Daten wurden schließlich nach dem Stil der Grounded Theory (vgl. Strauß & Corbin, 1996) ausgewertet, wobei ein Kernmodell geschlechtsspezifischer leiblicher
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Zusammenfassung
Praktiken im spielerisch-kämpferischen Bewegungsvollzug gebildet werden konnte. Insgesamt zeigten die Ergebnisse, dass die Erwartungshaltungen an das Kämpfen im Sportunterricht (siehe oben) nicht erfüllt werden können. So scheinen die bereits internalisierten geschlechterstereotypen Rollenbilder über das Kämpfen im Sportunterricht leiblich erfahren, bestärkt und schließlich weiter verinnerlicht zu werden. Zur Konsolidierung der eigenen Geschlechtsidentität schaffen die Kinder repetitiv ein Gleichgewicht zwischen der beobachtbar körperbezogen-interaktiven Darstellung der eigenen Geschlechtlichkeit und der damit verbundenen leiblich-spürbaren Erfahrung, ein bestimmtes Geschlecht zu sein. Für den Sportunterricht zeigt sich, dass das Bewegungsfeld Kämpfen dringend inhaltlich ausformuliert werden muss, um den Lehrkräften ein zielgerichtetes, methodisch aufbereitetes und schließlich auch geschlechtersensibles Unterrichten überhaupt erst zu ermöglichen.
Einleitung
»Für beide Geschlechter ist […] der spielerisch-kämpferische Umgang mit- und untereinander, sowohl mit als auch ohne Körperkontakt, ein weiterer wichtiger Aspekt. Mädchen und Jungen können Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten geboten werden, die für die Entwicklungsförderung beider Geschlechter im Sinne der Überwindung von Geschlechterstereotypen und des hierarchischen Sportverständnisses von grundlegender Bedeutung sind.« (Bertrams, 2004, S. 205)
Seit der Öffnung und Erweiterung des Inhaltsspektrums innerhalb der neuen Lehrplangeneration für den Sportunterricht (Prohl & Krick, 2006) findet sich auch das Kämpfen1 als äußerst heterogenes Bewegungsfeld in den meisten Lehrplänen der Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland wieder. Inhaltlich umfasst dies zumeist sportartenungebundene Formen spielerisch-kämpferischer Interaktion, welche bisweilen durch den expliziten Einbezug tradiertnormierter Kampfsportarten und Kampfkünste konkretisiert werden. Diese differenten und oftmals ungenau beschriebenen Inhalte führen dazu, so resümmiert Leffler (2011a, S. 130), dass sich der Bewegungsbereich Kämpfen inhaltlich weiterhin konstituieren muss. Dem Kämpfen im Sportunterricht werden dabei vielfältige positive physische wie psychische Wirkweisen zugeschrieben (vgl. Gerr, 1982; Wolters & Fußmann, 2008), welche auch pädagogisch wertvoll und somit als Bestandteil des Sportunterrichts zu rechtfertigen seien (vgl. Funke, 1988; Lange & Sinning, 2007; Beudels & Anders, 2008). Wie das obige Zitat verdeutlicht, werden Hoffnungen in den Abbau von Geschlechterstereotypen durch koedukatives Kämpfen gelegt. Als koedukativ zu unterrichtendes Bewegungsfeld ist das Kämpfen in seinen unterschiedlichen Ausprägungen in der Primarstufe und den weiterführenden Schulen im Niedersächsischen Kerncurriculum fest verankert 1 Mit dem Begriff des Kämpfens ist hier zumeist das kampfsport- und kampfkunstunabhängige Kampfspiel (Zajonc, 2011, S. 181) gemeint, wobei der Begriff des Kämpfens besonders im sportpädagogischen Kontext durchaus heterogen beschrieben wird (s. Kap. 1.1).
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Einleitung
(Niedersächsisches Kultusministerium, 2006; 2007; 2010), wobei eine Überprüfung derartiger Wirkweisen aussteht. Das Kämpfen im Schulsport weist einerseits in seiner konkreten inhaltlichen Konstitution und andererseits in den zu erreichenden Kompetenzformulierungen und dem methodisch-didaktischen Vorgehen einige Forschungsdesiderata auf. Dabei scheint eine empirische Überprüfung der dem Kämpfen zugeschriebenen Wirkweisen insbesondere für eine inhaltliche Legitimierung von Kampfsportarten und Kampfkünsten im Sportunterricht prioritär. Angesichts der Forderungen nach koedukativem Kämpfen im Schulsport und des den Kampfspielen inhärenten intensiven Körperkontakts scheint es bedeutsam, geschlechtsspezifische Handlungsweisen und Einstellungen im Sportunterricht zu beobachten, um Rückschlüsse auf die Chancen und Grenzen koedukativen Kämpfens und insbesondere auf das geschlechtssensible Handeln der Lehrkräfte zu ziehen und theoretisch zugeschriebene Wirkweisen wie den Abbau von Geschlechterstereotypen zu überprüfen. Strukturell ist das Kämpfen mit der impliziten intensiven Körperlichkeit stets auch ein leibliches Aufeinandergerichtet-Sein, die beteiligten Akteure sind spürbar aufeinander bezogen (vgl. Tiwald, 2012). Für eine sportwissenschaftliche bzw. sportpädagogische Betrachtung des Kämpfens im Sportunterricht scheint somit der konsequente Einbezug von Leib und Körper in den Erhebungswie Auswertungsprozess lohnenswert. Wie Gahlings (2006, S. 82ff.) aufzeigt, wird die Berücksichtigung der (Zwei-)Geschlechtlichkeit in der traditionellen Leibphänomenologie vernachlässigt; ebenso werden Lebensphasen wie Kindheit und Adoleszenz durch die Beschreibung eines stets universalen und neutralen Leibes nicht berücksichtigt. Aufbauend auf die feministische Geschlechterforschung, welche die Leibphänomenologie aufgreift (vgl. Landweer 2006; Lindemann, 2002), erscheint die konsequente Berücksichtigung von kindlich-leiblichen Praktiken der Geschlechtsidentitätsentwicklung durchaus lohnenswert, zumal Kinder im Grundschulalter bereits eine ausgeprägte Vorstellung vom eigenen Geschlecht haben (Cornelißen & Pinhard, 2014, S. 116). Ausgehend von Gugutzers (2014) Kritik an der Praxeologie des Körpers mit der einseitigen Betrachtung des sicht- und tastbaren Körpers und der Vernachlässigung des spürbaren Leibes sollen in dieser Arbeit Leib und Körper gleichermaßen berücksichtigt werden, indem auf ein neophänomenologischsoziologisches Forschungsprogramm (Uzarewicz, 2011; Gugutzer, 2012) zurückgegriffen wird, um schließlich die »geschlechterdifferenten leibliche Praktiken« (Gugutzer, 2014, S. 101) im kindlichen kämpferischen Sich-Bewegen2 2 Das menschliche Sich-Bewegen meint hier einen qualitativ angelegten Bewegungsbegriff, wie ihn Lange (2005) aus anthropologischer und pädagogischer Perspektive aufgearbeitet hat. So ist das Sich-Bewegen als situatives und flüchtiges Phänomen zu beschreiben, welches »im
Einleitung
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aufzudecken und pädagogische Konsequenzen für die Gestaltung des Kämpfens im Sportunterricht aufzuzeigen.3 Rückt der Mensch mit seinen Gefühlen4, seinem Erleben und Handeln in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses, drängt sich unmittelbar die Frage nach einer geeigneten Methode auf, wie die Subjektivität, welche als Begrifflichkeit ebenfalls nicht theoretisch einheitlich definiert ist, gemessen werden kann. Das begriffliche Instrumentarium der Neuen Phänomenologie bietet hier die Möglichkeit, die unwillkürliche Lebenserfahrung und somit das phänomenale Erleben selbst beschreiben zu können, indem es konsequent die eigene Leiblichkeit miteinbezieht.5 Über ein ethnografisches Vorgehen im Feld, welches ein Mitspüren durch eigene Teilnahme ermöglichen soll, wird somit für die Datenanalyse auf das Vokabular der Neuen Phänomenologie nach Hermann Schmitz zurückgegriffen (vgl. Schmitz, 2003). Die Phänomenologie geht dabei nicht hypothesengeleitet bzw. auf theoretische Vorannahmen berufend vor, sondern versucht, »sich an die unwillkürliche Lebenserfahrung aufdeckend und begreifend heranzutasten« (Schmitz, 1980, S. 23). Der subjektiv gemeinte Sinn eines Handelnden kann durch die Übernahme seines Standpunktes annähernd rekonstruiert werden. Dies geschieht allerdings ausschließlich in Form von Typisierungen, da der subjektive Sinnzusammenhang bloß ausschnitthaft erfasst werden kann. Als teilnehmender Beobachter im Feld geht es mir um ein Selbsterleben von Geschlechtlichkeit im Kontext des Zweikämpfens. Hier zeigt sich die Problematik wissenschaftlicher Deskription der Innenperspektiven anderer. Die exakte Beschreibung beobachteter Zustände kann niemals der Subjektivität des Sachverhaltes gerecht werden, da nicht ich es Sinne eines leiblich verfassten Bezugs zwischen Subjekt und Welt« (Lange, 2009, S. 75) zu verstehen ist und einer »Intentionalität folgt, die ihren Orientierungscharakter größtenteils unabhängig von kognitiven Steuerungsprozessen entfaltet« (ebd., S. 73). 3 Die Praxeologie beschreibt entsprechend des Konzepts des Doing Gender körperliche Interaktionen, welche die soziale Ordnung und somit auch die Zweigeschlechtlichkeit performativ hervorbringen (Hirschauer, 2004; Meuser, 2004). Gugutzer (2014, S. 96) erweitert diese Perspektive durch seine Ausführungen, dass »weniger das doing gender als vielmehr das feeling gender« der »entscheidende Mechanismus der fortdauernden Konstruktion der binären Geschlechterordnung« sei, indem er den Leib anstelle des Körpers als Handlungssubjekt beschreibt und die Importanz der Dualität von Leib und Körper verdeutlicht. 4 Die Begriffe des Spürens und Fühlens sind in Anlehnung an Rappe (2012, S. 275) voneinander abzugrenzen. Der Begriff des Spürens bezieht sich auf leibliche Regungen bzw. die eigenleibliche Dynamik, während das Fühlen eine erweiterte Wahrnehmungsform ist, welche den leiblichen Raum bzw. die Metapher der Atmosphären beschreibt. Der Begriff des Fühlens soll in dieser Arbeit als leibliche Regung synonym zum Spüren gebraucht werden, während Gefühle in Anlehnung an Schmitz als objektiv ergossene Atmosphären von leiblichen Regungen abzugrenzen sind, welche uns ergreifen können (s. Kap. 3.3.3). 5 Die Terminologie der Neuen Phänomenologie, wie der Begriff der Atmosphären, der Einleibung o. ä. sind somit als Metaphern zu verstehen, welche innerleiblich gespürte Zustände sprachlich zu fassen versuchen.
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Einleitung
bin, den ich beobachte, sondern der Junge, der grob ist oder das Mädchen, das lacht. Für eine derartige Zuschreibung bieten sich Interviews bzw. die Aussagen der Beobachteten an, da reine Beobachtung von inneren Gemütszuständen nicht möglich scheint. Erst die Aussage der Kinder lässt – ergänzend zu den Beobachtungen – auf innere Zustände schließen, welche mit subjektiven Erfahrungen aus der eigenen Teilnahme im Feld abgeglichen werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich auch durch die sprachliche Explikation als ergänzendes Mittel zur teilnehmenden Beobachtung das Spüren als individuell-subjektive Tatsache nicht vollkommen nachempfinden lässt.6 Die vorliegende Arbeit fragt demnach nach geschlechtsspezifischem leibkörperlichen Handeln der Schülerinnen und Schüler7 und führt damit zu den Fragestellungen: 1. (Wie) Werden über das leibkörperliche Interagieren in Zweikampfsituationen im Sportunterricht Geschlechterordnungen hervorgebracht? 2. Alternativ: Werden Geschlechterordnungen über dieses gemeinsame leibliche Handeln im Zweikampf abgebaut? Die Untersuchungsergebnisse können einerseits sportdidaktische Anregungen für einen geschlechtersensiblen Sportunterricht mit dem Schwerpunkt Kämpfen geben, andererseits grundlegend phänomenal aufzeigen, wie sich das Bewegungsfeld Kämpfen im Sportunterricht überhaupt inhaltlich äußert. Weiterhin lässt sich die Perspektive der kindlichen Geschlechtsidentitätsentwicklung insbesondere im Kontext der vorwiegend interaktionistisch geprägten Sportwissenschaft um spezifisch kindlich-leibliche Praktiken der Geschlechterordnung erweitern, womit diese Untersuchung Anregungen für eine intensivere Berücksichtigung der Leiblichkeit geben kann. Schließlich lässt sich das methodische Vorgehen diskutieren, inwieweit der konsequent teilnehmende Einbezug
6 So werde ich als Mann niemals nachempfinden können, wie es sich anfühlt, während des Zweikämpfens an der weiblichen Brust berührt zu werden. Ebenso kann ich Empfindungen der Jungen nicht vollständig nachvollziehen, da diese ein historisch gewachsenes, individuelldifferentes leibkörperliches Empfinden haben, welches sich zudem noch in einem (prä-) pubertären Entwicklungsprozess befindet. 7 Zur Geschlechterbezeichnung in dieser Arbeit: Pusch (1984) schlägt vor, lediglich die weibliche Form als allgemeine Bezeichnung zu übernehmen. Die Queer-Theorie fordert hingegen, geschlechtsneutrale Bezeichnungen zu verwenden (Baumgartinger, 2007). Voß (2010, S. 30) hält die feministische oder queere Sprachprägung für noch nicht ausreichend verbreitet, weiter würde eine ausschließlich weibliche Verwendung die historische Benachteiligung der Frauen verschleiern. Er schlägt für Dissertationen die Trennung der weiblichen Endung durch einen Schrägstrich vor. Ausgehend von diesen differenten Ansätzen, welche exemplarisch die anhaltendende Insuffizienz für eine geschlechtergerechte Sprache verdeutlichen, werden in dieser Arbeit stets die weibliche wie auch die männliche Form nebeneinander verwendet, um beiden Geschlechtern gerecht zu werden und eine bessere Lesbarkeit zu ermöglichen.
Einleitung
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der Forscherperson im Feld durch ein ethnografisches Mitfühlen sinnvoll und möglich ist für die Ergründung körperbezogener Aktivitäten. Einer Studie über Geschlecht bzw. Geschlechterdifferenzen wohnt dabei immer das Problem der möglichen Geschlechterstereotypenkonstruktion inne: »Jede Behauptung eines Geschlechterunterschieds in der scientific community ist grundsätzlich in der Lage, im Sinne des ›Doing Gender‹ diesen Geschlechterunterschied erst herzustellen. Oder ihn noch einmal zu bestätigen.« (Lück & Cornelißen, 2014, S. 299; Herv. i. Orig.)
Es scheint unmöglich, »nicht an der Konstruktion, Rekonstruktion oder Dekonstruktion von Geschlecht mitzuwirken« (ebd.). Dieser Gefahr der Reifizierung von Geschlechterstereotypen wird stets reflektiert begegnet (s. Kap. 4.2.2), wobei sich der gesamte Schwerpunkt der Arbeit, der den Fokus auf die geschlechtsspezifischen leiblichen Praktiken legt, erst aus den ersten Beobachtungen und der eigenen Teilnahme im Feld sukzessive bildete.
Zum Aufbau der Arbeit »Eines Tages zogen die drei Söhne des Herrschers von Serendip hinaus in die Welt, um sich zu vervollkommnen. Sie suchten nichts Besonderes, doch sie fanden einiges; sie lösten verzwickte Rätsel, erklärten schwierige Zusammenhänge, bewahrten Menschen vor dem Tod und führten Liebende zusammen. Durch Zufall und Klugheit kamen sie so weit.« (Schury, 2006, S. 7)
Ursprüngliche Intention dieser Arbeit war es, die dem Kämpfen bzw. den Kampfsportarten und Kampfkünsten zugeschriebenen vielfältigen Wirkweisen und curricularen Kompetenzzuschreibungen (vgl. Kap. 1.3.3) im Sport nachzugehen, indem der Sportunterricht über ein ethnografisches Vorgehen begleitet wird, um schließlich offen zu fragen: »What the hell is going on here?« (Amann & Hirschauer, 1997, S. 20). Das persische Märchen der Drei Prinzen von Serendip gilt als Quelle des Serendipitätsprinzips, was so viel meint wie »man findet, was man gar nicht gesucht hat« (Bude, 2008, S. 262) und kann dabei als grundlegendes Merkmal dieser Arbeit betrachtet werden. So konkretisierte sich der Gegenstandsbereich der geschlechtsspezifischen leiblichen Praktiken im spielerisch-kämpferischen Sich-Bewegen erst sukzessive im Kontext der ethnografischen Begleitung der Unterrichtseinheiten zum Kämpfen heraus. Die vorliegende Arbeit greift den unsteten Forschungsverlauf auf und zeichnet ihn in zwei Teilen geordnet nach. So werden im ersten Teil der Arbeit (s. Kap. 1–3) die Fragestellungen konkretisiert und die Relevanz und methodische Orientierung der Arbeit aufbauend auf der Darstellung theoretischer Grundlagen beschrieben. Kapitel 1 widmet sich dabei dem Begriff und der
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Einleitung
Struktur des Kämpfens, beschreibt die inhaltliche Konstitution vom Kämpfen im Schulsport insbesondere im Niedersächsischen Kerncurriculum und zeigt geschlechtsspezifische Aspekte und daraus resultierende Fragestellungen und Konsequenzen für diese Arbeit auf. Kapitel 2 greift diese Geschlechterthematik auf und beschreibt summarisch die drei gängigen Geschlechtertheorien des interaktionistischen, diskursiven und leibphänomenologischen Zugangs zur (Zwei-)Geschlechtlichkeit, wobei schließlich die kindliche Geschlechtsidentitätsentwicklung und die sportdidaktische Auseinandersetzung mit der Geschlechterthematik aufgezeigt werden. Ausgehend von diesen in Kapitel 1 und 2 beschriebenen Theorien und den daraus resultierenden Konsequenzen für diese Arbeit wird schließlich der leibphänomenologische Zugang fokussiert und in Kapitel 3 die theoretische Grundlage für das methodische Vorgehen erläutert, indem die Phänomenologie und speziell die Leibphänomenologie überblicksartig in den für diese Arbeit relevanten Aspekten beschrieben und daraus resultierend die ethnografische Methode im Kontext qualitativer Forschung vorgestellt werden. In Kapitel 4 wird darauf aufbauend das methodische Vorgehen in der Erhebungs- und Auswertungsphase, sowie die Art der Darstellung der Untersuchungsergebnisse vorgestellt. Dabei wird versucht, anhand der neophänomenologisch begründeten konsequenten Berücksichtigung von Leib und Körper ein ethnografisches Vorgehen unter stetem Einbezug der eigenen Leiblichkeit zu entwerfen. Im zweiten Teil der Arbeit (s. Kap. 5–8) werden die Untersuchungsergebnisse schließlich beschrieben und leibphänomenologisch-interpretativ analysiert, u. a. mithilfe des Leiblichkeitsalphabets nach Hermann Schmitz (1965, S. 169). Die Ergebnisse werden dabei möglichst anschaulich anhand exemplarischer Interview- und Protokollpassagen beschrieben, um die Ergebnisse nachvollziehbar darzustellen und ein – wie in ethnografischen Arbeiten üblich – durchaus auch subjektiv gefärbtes, differenziertes und reflektiertes Bild von dem Feldaufenthalt zu zeichnen.
1
Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
Das Kämpfen stellt sich als äußerst heterogenes und weites Bewegungsfeld dar. Die vielfältigen Erscheinungsformen spiegeln sich in den inhaltlichen Differenzen der Lehrpläne wider. Im Folgenden soll ein summarischer Überblick über das Lern- und Erfahrungsfeld des Kämpfens gegeben werden, um sich darüber der Zielsetzung dieser Studie anzunähern.
1.1
Zur Terminologie von (Zwei-)Kämpfen, Ringen und Raufen, Kampfsport und Kampfkunst
Der Phänomenbereich des Kämpfens wird mit einer Vielzahl an Begriffen beschrieben, welche auf unterschiedliche Art und Weise versuchen, die differenten Formen des Kämpfens zu systematisieren, Synergien freizulegen und Abgrenzungen vorzunehmen. Um den in dieser Studie behandelten Phänomenbereich des Kämpfens definieren zu können, bedarf es einer Annäherung an die Terminologie dieses weiten Feldes und schließlich einer Präzisierung des zu untersuchenden Gegenstandes. Hierzu soll vorerst der Begriff des Kämpfens erläutert werden, um schließlich eine Abgrenzung von Kampfkunst und Kampfsport vorzunehmen, welche wiederum vom spielerischen (Zwei-)Kämpfen bzw. Ringen und Raufen abzugrenzen sind. Über die Beschreibung der Struktur des Kämpfens soll anschließend eine Eingrenzung des in dieser Studie behandelten (Bewegungs-)Phänomens ermöglicht werden, soweit dies möglich und sinnvoll scheint.
1.1.1 Zum Begriff des Kämpfens Der Kampfbegriff wird oftmals mit kriegerischen und gewalttätigen Auseinandersetzungen in Verbindung gebracht:
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Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
»Auch wenn Kampfsportler selbst meist streng zwischen Kampf und Gewalt differenzieren, ist diese Grenze doch fließend, denn die Interaktionsformen, die im Kampfsport ästhetisiert und reglementiert, praktiziert und aufgeführt werden, greifen auf Bewegungsmuster und Interaktionsformen zurück, die wir nur aus Gewalterfahrungen kennen.« (Baratella, 2011, S. 107)
Allerdings wird das Kämpfen oftmals metaphorisch gebraucht8 und beschreibt selten eine akute körperliche Auseinandersetzung (Schindler, 2011, S. 30). Im Kontext von Gewalt, Kampfsport und Kampfkunst meint Kämpfen hingegen eine körperliche »Auseinandersetzung zwischen zumindest zwei Gegnern […] als einer Form der Interaktion zwischen zeitlich und räumlich kopräsenten Kontrahenten« (ebd.). Dabei grenzt Binhack (2010, S. 141) die Kriegsführung vom Kämpfen ab. Demnach beschreibt der Kampf die direkte körperliche Beteiligung der aktiv daran teilnehmenden Kontrahenten, während in kriegerischen Konflikten großflächig auch unbeteiligte Menschen zu Opfern werden. Selbst ernstkampftaugliche Kampfkünste beinhalten kein Massenvernichtungspotenzial, sondern begrenzen sich auf akute Bedrohungen. Happ (2011, S. 15ff.) unterscheidet das elementare Kämpfen, welches ohne ausdifferenziertes Technikrepertoire spielerischen oder ernsten Charakter haben kann, von dem prozesshaften Üben spezifischer Kampfkunsttechniken und verdeutlicht damit die Heterogenität des Begriffes. Heute werden oftmals Begriffe wie Kampfkunst und Kampfsport unter dem Kämpfen subsummiert und jeweils ausdifferenziert.9
1.1.2 Kampfsport und Kampfkunst Pfeifer (2006, S. 29ff.) versucht, den Kampf als Sammelbegriff zu strukturieren. Hierbei differenziert er zwischen der Kampfkunst, welche sämtliche regellose Kämpfe mit einem Gegner impliziert, dem Kampfsport10, welcher Formen des sportlich-reglementierten Wettkampfes meint und dem Begriff Sportkampf, welcher – anlehnend an den Kampfsport – die unmittelbaren Kämpfe mit einem Gegner umschreibt. Kampfkunst wird somit zu einem Überbegriff gefährlicher, ernster und zweckorientierter Auseinandersetzung. Der Sportkampf hingegen 8 So kämpfen wir um Beziehungen, zeigen kämpferischen Einsatz in einem Wettbewerb oder kämpfen mit uns selbst bei schwierigen Entscheidungen. 9 Exemplarisch zum Karate-Do als Budokunst und Kampfsport vgl. Binhack (1998, S. 237ff.). 10 Pfeifer (2006, S. 18) unterteilt die Kampfsportarten in ihrer inneren Struktur in verschiedene Kategorien. So differenziert er nach verwendeten Materialien (waffenlose und Waffenkampfstile), nach Herkunft (u. a. nördlich, südlich, philippinisch), nach rein physischem Einsatz der Muskelkraft (äußerer Stil) oder auch dem Einsatz metaphysischer Kräfte (innerer Stil) und nach dem Technikstil, der meint, wie sich dem Gegenüber entgegengesetzt wird (harter oder weicher Stil).
Zur Terminologie
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filtert durch sein Reglement unerwünschte Verhaltensweisen, wobei ein sportlich erhoffter Sieg zumeist das Ziel des Kampfes darstellt. Einige Stile hingegen, welche weder der Kampfkunst noch dem Kampfsport eindeutig zuzuordnen sind, haben nicht den Kampf an sich als Zielsetzung (s. Abb. 1). Breitensport, Gesundheit, soziales Verhalten oder schauspielerische Darstellung können Zweckorientierungen dieser Systeme darstellen. Hierzu zählen somit auch spielerisch-kampfsportunspezifische Kampfformen mit ihren erzieherischen Aspekten. Happ (1998) differenziert die Kampfsportarten aus in Kontaktkampfsportarten, welche einen ständigen und gewollten Kontakt zum Partner beschreiben, was konkrete Sportarten wie Judo oder Ringen, aber auch Modifizierungen wie das Raufen impliziert. Dem gegenüber stehen andererseits die Distanzkampfsportarten, wie Boxen oder Karate, mit überwiegenden Schlag- oder Tritttechniken und kurzzeitigem unerwünschten Körperkontakt in Form von (harten) Treffern. Die Selbstverteidigung spielt in der Unterteilung bei Happ aufgrund des unregelmäßigen und dennoch oftmals vorkommenden Körperkontakts eine gesonderte Rolle (ebd., S. 14f.). Neben der regellosen Selbstverteidigung als wichtigem Aspekt der Kampfkunst können auch weitere Unterscheidungskriterien getroffen werden, welche u. a. philosophische Gedanken hinter einem Kampfsystem betreffen können: »Der wesentliche Unterschied zwischen Kampfkunst und Kampfsport besteht in den Lehren einer Philosophie. In den asiatischen Kampfkünsten ist dies die Lehre des Do, des geistigen Wegs, während in anderen Kampfkunstarten auch andere Philosophien vermittelt werden können.« (Ohms, 1997b, S. 54)
Leffler (2010, S. 185ff.) führt aus, dass dem Erlernen einer Kampfkunst wie einer Kampfsportart eine identische Phase der Technikaneignung inhärent ist, wodurch auch progressive und prozessorientierte Ebenen betrachtet werden müssen. Ist der Kampfsport mit dem Erreichen und Verteidigen möglicher Titel als begrenzt zu beschreiben, so scheint die (persönliche) Entwicklung in einer Kampfkunst nie abgeschlossen. Da die Kampfkünste aus den Kriegskünsten erwachsen sind und über sportive Aspekte hinausgehen können, scheinen die Kampfsportarten – ebenso wie die Selbstverteidigungssysteme – aus den Kampfkünsten hervorzugehen (s. Abb. 2). Die Differenzierung bzw. Abgrenzung von Kampfsport und Kampfkunst ist ein Versuch, den Gegenstand des Kämpfens exakt zu bestimmen, um dieses Bewegungsfeld greifbar zu machen. Zajonc (2011, S. 181) merkt an, dass diese Unterscheidung allerdings zu grob erscheint und konstruiert ein deskriptives System, das die Bestimmung von Kategorien des Kämpfens ermöglichen soll (s. Abb. 3).
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Abb. 1: Taxonomie des Kampfes (Pfeifer, 2006, S. 32)
Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
Zur Terminologie
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Abb. 2: Hierarchisches Verhältnis von Kampfkunst und Kampfsport (Leffler, 2010, S. 187)
Kämpfen als klassisch-traditionelle Kunst: Kämpfen findet in philosophischer Orientierung an traditionell-fernöstliche Weltanschauungen, ihren Prinzipien und Ideen als spirituelle Praxis statt. Das Kampfgeschehen ist gekennzeichnet durch extrem ausgeprägte »Entscheidungsorientiertheit« (Binhack, 1998, S. 30), »tendenzielle energetische Totalität« (ebd., S. 32) und absolute »symbolisch-repräsentative Ästhetik« (ebd., S. 171). Die Kampfhandlungen orientieren sich am kriegerischen Kampf, finden vollständig ohne Trefferwirkungen statt und sind hochgradig ritualisiert. Kämpfen als westlich-moderne Kunst: Kämpfen findet angepasst an westliche Sportnormen und nur in geringem Maß in Orientierung an traditionell-fernöstliche Weltanschauungen, ihren Prinzipien und Ideen sowie (teilweise) als Wettkampf oder zum Zweck des Leistungsvergleichs statt. Das Kampfgeschehen ist gekennzeichnet durch teilweise Abstraktion vom tatsächlichen kriegerischen Kampf, erhöhte Siegorientierung (wettkampfspezifische Gehalte des Sports kommen nur gering zum Tragen), teilweisen Verzicht auf Trefferwirkungen – tendenziell nicht als »Beschädigungskampf« (Jung & Manzel, 1998, S. 12). Über die hohe Kontrolle der Trefferwirkungen werden unmittelbare negative körperliche Folgen minimiert.
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Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
(Fortsetzung) Kämpfen als Sport: Kämpfen findet angepasst an westliche Sportnormen und nicht in Orientierung an traditionell-fernöstliche Weltanschauungen, ihren Prinzipien und Ideen statt. Der Kampf ziel auf das schnelle Ausschalten des Gegners oder das Sammeln von Wertungen durch Trefferwirkungen (Beschädigungskampf) ab. Kennzeichen des Kampfgeschehens: einseitige, übergeordnete und tendenzielle Siegorientierung; starke Zielgerichtetheit, die eine schnellstmögliche Beendigung des Kampfes anstrebt; starke Wirklichkeitsausrichtung – Minimierung spielerischer Anteile (wettkampfspezifische Gehalte des Sports kommen vermehrt zum Tragen); tendenzielle Nähe zum echten Kampf – starke Tendenz zur Regelüberschreitung und Anfälligkeit für Instrumentalisierung; tendenziell mit Beschädigungscharakter ; große extrinsische Motivationspotenziale am Leistungsvergleich; starke Spannungsgeladenheit. Kämpfen als Kampfspiel: Kämpfen findet angepasst an westliche Sportnormen statt. Eröffnet werden Gestaltungsmöglichkeiten jenseits sportiver Technikbezogenheit und Regelungen. Der Kampf wird überlagert durch das spielerische Moment und orientiert sich gering am Wettkampf und Leistungsaspekt. Win-Win-Situationen werden ermöglicht. In Ansätzen wird sich der Entwicklung von (Distanz-)Kampftechniken zugewendet. Kennzeichen des Kampfgeschehens sind: starke Tendenz zum gemeinsamen Hin und Her der Kampfpartner ; Erhalt der Spannungen des Kampfes; intrinsischer Anreiz des reinen Spiels; Pendeln zwischen Wirklichkeitsbezug und spielerischer Leichtigkeit; geringe Tendenz zur Regelüberschreitung und Anfälligkeit für Instrumentalisierung. Die Kombattanten beziehen sich auf reale Gegner. Kämpfen als Extrem-Sport: Kämpfen findet angepasst an westliche Sportnormen statt und weist eine hohe Nähe zum echten, kriegerischen Kampf auf. Der Kampf zielt auf das schnelle Ausschalten des Gegners ab. Die Entwicklung effektiver Kampftechniken ist erforderlich, die zum Zweck der maximalen Beschädigung des Kampfgegners eingesetzt werden (Beschädigungsoder Vernichtungskampf). Kennzeichen des Kampfgeschehens sind: einseitige, übergeordnete und tendenzielle Siegorientierung; starke Zielgerichtetheit, die eine schnellstmögliche Beendigung des Kampfes anstrebt; starke Wirklichkeitsausrichtung; maximale Trefferwirkungen bei wenigen Regelungen des Kampfes. Kämpfen als (Selbst-)Verteidigung: Kämpfen erfolgt zum Schutz der eigenen körperlichen und seelischen Integrität. Die Entwicklung effektiver Kampftechniken ist erforderlich, die zum Zweck der maximalen Beschädigung des Kampfgegners eingesetzt werden (Beschädigungs- oder Vernichtungskampf). Kennzeichen des Kampfgeschehens sind: extrem ausgeprägte Entscheidungsorientiertheit und tendenzielle energetische Totalität; echter, kriegerischer Kampf; das Ausschalten des Kampfgegners als Ziel; maximale Trefferwirkungen ohne Regelungen des Kampfes. Abb. 3: Modell der Kategorien des Kämpfens (nach Zajonc, 2011, S. 181)
Zur Terminologie
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Wie sich folgend zeigen wird, scheint es sinnvoll, das Kämpfen als Kampfspiel (s. Abb. 3) für eine pädagogische Nutzbarmachung im Rahmen der Lehrpläne (und somit für den sportpädagogischen Kontext im Rahmen dieser Studie) näher zu beleuchten.
1.1.3 Kämpfen als Kampfspiel Lange und Sinning (2007) grenzen das offen-spielerische Kämpfen von klassischen Kampfsportarten ab und differenzieren es in Wettkämpfen und Zweikämpfen. Das Wett-Kämpfen ist dabei im Ausgang stets offen und ungewiss, was ein gewisses Spannungsfeld konstituiert. Die Zweikämpfe, welche sowohl Spielals auch Individualsportarten kennzeichnen, greifen diese Spannung auf, sobald sich ein Athlet in der direkten Auseinandersetzung mit dem Gegenüber befindet und die eigenen Stärken zielgerichtet und situationsgerecht mobilisiert. Das Kämpfen kann somit als eine Art Spannungsgeber wirken, indem das kindliche Spiel in seinem Erfahrungshorizont durch kämpferische Aspekte erweitert werden kann. Da das Kämpfen immer der Auseinandersetzung mit einer Partnerin oder einem Partner bedarf, impliziert dies ein Spannungsmoment der Unwägbarkeit und der Wagnis, durch das unmittelbare Körpererfahrungen gemacht, Grenzen abgesteckt und Kontakt aufgenommen werden kann (Lange & Sinning, 2003, S. 5ff.). Der Umgang mit den eigenen (und fremden) Grenzen, die Einschätzung der Widerständigkeit des Gegenübers und die Risikobereitschaft sind somit Aspekte, welche eine entsprechende Atmosphäre im Kampfunterricht verlangen (Lange & Sinning, 2007, S. 15ff.). Mit Begriffen wie Rangeln und Raufen beschreibt Huh (2004) einen kindlichspielerische Umgang mit dem Bewegungsfeld. Sie setzt sich damit vom Kämpfen als zielorientierte, körperlich-funktionale Auseinandersetzung und vom Ringen als symbolisch-körperlicher Umgang innerhalb normierter Sportarten ab.11 Dabei ist das spielerische Rangeln nicht ziel- sondern zweckorientiert, es dient dem legalen und strukturierten Ausleben eines Bewegungsbedürfnisses, »dessen Ursprung u. a. in der Befriedigung des Bedürfnisses nach Nähe zu anderen liegt, dem Wunsch, den eigenen sowie den Körper des anderen kennenzulernen, Kräfte zu mobilisieren, sie zu spüren und seine eigenen Grenzen zu erkennen, aber auch sich und andere zu ›testen‹, Finessen zu entwickeln u. a.m.« (Beudels & Anders, 2008, S. 15; Herv. i. Orig.). 11 Funke (1988) stellt hingegen das Raufen als ernstes Kämpfen dar und setzt diesem das Ringen als kultivierten (nicht sportartenspezifischen) Kampf gegenüber. So meint Ringen nach Funke das »Geregelte, Kultivierte, Spielerische«, während Raufen »das grobschlächtige, feindselige, ernste Kämpfen ohne jede Rücksicht« beschreibt (ebd., S. 14). Hier werden die Heterogenität und Uneindeutigkeit der Begrifflichkeiten deutlich.
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Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
Das spielerische Kämpfen beschreibt demnach nicht eine normierte Sportart wie Judo, Ringen oder Karate, kann allerdings zu diesen Sportarten hinführen. Vielmehr ist das spielerisch-kämpferische Ringen, Rangeln und Raufen ein »eigenständiges, hochmotivierendes, aktivierendes und zugleich entspannendes wie sozialisierendes Handlungsfeld«, das durch den intensiven Körperkontakt wechselhafte Situationen ermöglicht, »in denen umfassende Ich- und Sozialerfahrungen möglich sind und in denen Kinder gemeinsame Grenzerfahrungen machen, Vertrauen in sich selbst und andere aufbauen und festigen können« (Beudels, 2014, S. 57; s. Kap. 1.3).
1.2
Struktur des Kämpfens
Happ (2012, S. 9) hebt als Alleinstellungsmerkmal des Zweikampfsports das »andauernde Gegenüber-Sein zweier Personen in einer gemeinsamen Bewegungssituation« hervor: »Der Zweikampf ist ein leibliches Geschehen, in das sich der sich-bewegende Kämpfer seiner leiblichen psycho-physischen Ganzheit als Subjekt und ganze Person verwickelt. Für den Zweikampf bedarf es jedoch eines weiteren Subjektes, mit dem man sich auseinandersetzen kann. Damit ist ein Dualismus (eine Zweiheit), die Aufeinanderbezogenheit zweier Menschen für einen Zweikampf konstitutiv.« (Leffler, 2011b, S. 61)
Ein realer Kampf bedarf somit immer auch eines Gegnerbezugs und wird, wenn er nicht individuell-innerpsychisch geführt wird, durch das Aufeinandergerichtet-Sein zweier Partizipanten zu einem sozialen Beziehungsphänomen. Eine dialogische Perspektive auf die Zweierkonstellation im Kämpfen impliziert dabei ein Füreinander, Gegeneinander und Miteinander im Aufeinanderbezogen-Sein (Happ, 2010, S. 147). Im elementaren Zweikampf lässt sich ein Wechselspiel auf verschiedenen Ebenen von offensiver und defensiver Aktivität erkennen: – »Vordrängen, Experimentieren, direktes Draufzugehen, – (Vor-)Tasten, Zögern, vorsichtiges Erkunden und Vermeiden, – Distanz bewahren, Schützen und Sichern, – Provozieren, Fintieren, Abschätzen und Entscheiden, – bewegliches Variieren, schauspielerisches Interpretieren, – genaues Beobachten und Taxieren, – Blick in die Augen und ein Spüren über den Körper, – vertrauensvolles Einlassen und verantwortungsvolle Achtung und Achtsamkeit« (Happ, 2012, S. 16).
Struktur des Kämpfens
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Die leibkörperliche Kampfbeziehung kann in ihrer Grundstruktur als kommunikative Beziehung beschrieben werden, welche durch Beziehungs-, Trägerund Inhaltsebene strukturiert ist (Binhack, 2010, S. 144). Auf der Beziehungsebene sind die Partizipanten in einer aktiv gespannten Dynamik wechselseitig aufeinander bezogen. Dieser aktive Antagonismus ist im Zweikämpfen immer reziprok, da er in seiner polaren Beziehungsstruktur stets von zwei aktiv Beteiligten ausgeht, um als Kampf (und nicht als Überfall oder Gewalttat) charakterisiert werden zu können (ebd., S. 146). Aus einer leibphänomenologischen Perspektive kann diese Beziehung, in Anlehnung an Schmitz (1998, S. 44), als wechselseitige Einleibung beschrieben werden, indem die Kampfbeziehung durch die aufeinander eingehenden Antagonisten eine dadurch bedingte fluktuierende Dominanzrolle charakterisiert (s. Kap. 3.3.4).12 Der beständige Rhythmus von Spannung und Schwellung wird im Kampf besonders deutlich: »Aber die Urgestalt eines Kampfes, der gesteigerte leibliche Intensität schenkt, ist der Ringkampf, bei dem die in Spannung gegen einander schwellenden Leiber nicht bloß mit einander kämpfen, sondern jeder für sich und beide gemeinsam die Konkurrenz der beiden leiblichen Impulse und ihr inniges Zusammengehören in dieser Konkurrenz mit urphänomenaler Reinheit und Klarheit darstellen. Dieser Kampf von Spannung und Schwellung ist zugleich ihre Versöhnung, weil sein Gesetz darin liegt, daß der Unterliegende durch die Niederlage wächst: Spannung und Schwellung geben sich wechselseitig Auftrieb, indem das Übergewicht der Spannung die Schwellung stärkt und umgekehrt, so daß nie ein stabiles Gleichgewicht zwischen ihnen eintritt, sondern ihr Verband beständig oszilliert.« (Schmitz, 1965, S. 120)
Im intensiven Aufeinander-ausgerichtet-Sein finden sich die Beteiligten in einer Bewegungs-Verschränkung, die durch das Charakteristikum der Reziprozität ein Wechselspiel von offensiven und defensiven Aktivitäten darstellt. Abhängig vom Intensivierungsgrad der kämpferischen Auseinandersetzung kann sich auch die erlebte Widerständigkeit des Gegenübers und die gegenseitige Bewegungswahrnehmung verändern (Happ, 2011, S. 15ff.). Ebenfalls abhängig vom Intensivierungsgrad sind die aggressiven und destruktiven Dynamiken, welche essentielle Bestandteile des Zweikämpfens darstellen. So scheinen im Ernstkampf kommunikativ auferlegte Hemmungen erheblich überschritten zu werden, wobei auch diese Kampfform letztendlich auf die Unterbindung der geg12 Jäger (2000, S. 161f.) betrachtet das Bewegungserlebnis des Werfens als geschlechtsloses Moment, in welchem keine Körper oder Geschlechter existieren, sondern lediglich der werfen wollende Bewegungsleib präsent ist. Somit ist »das Dasein nun als bewegungsleibliches Sich-richten-auf konstruiert, das die geschlechtlichen Körpereinschreibungen für den Moment des Werfens auslöscht. […] Der Bewegungsleib umfaßt also gewissermaßen beide, die werfende und die fallende Intentionalität. Der Bewegungsleib ist der Vollzug des Wurfes« (ebd., S. 162).
32
Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
nerischen Kampffähigkeit gerichtet ist und nicht auf eine physische Vernichtung des Gegners. »Kann der Gegner nicht mehr kämpfen, kann er sich nicht mehr verteidigen, ist damit zugleich jegliches Kampfgeschehen beendet. Alles, was weiter geschieht, ist nicht mehr Kampf« (Binhack, 2010, S. 147). Das Zweikämpfen beinhaltet somit zwar aggressive Elemente, allerdings scheint der Kampf an sich nicht mit Aggression gleichgesetzt werden zu können (Tiwald, 1981, S. 32ff.).13 Ebenso wie die destruktiven Momente des Zweikämpfens und den impliziten Antagonismen scheinen auch konstruktive synagonistische Aspekte als konstitutive Elemente des Kampfphänomens bedeutsam. Diese Ambivalenz des Zweikämpfens zeigt sich darin, dass der Kampf einer Begegnung mit unterschwellig gleichen oder ähnlichen Interessen bedarf, da rein antagonistische Energien zu gegenseitiger Abstoßung und somit Vermeidung eines Kampfes führen würden. Somit setzt der Zweikampf paradoxerweise ein grundlegendes Moment der Gemeinsamkeit voraus. Um im Zweikämpfen siegen zu können, ist eine (auch körperliche) Auseinandersetzung und ein Vertraut-Werden mit dem Gegenüber notwendig (Binhack, 2010, S. 148f.). Schließlich können durch den Kampf Beziehungen geschaffen werden und Verbindungen für einen Konflikt entstehen, welche im Anschluss zerfallen oder dauerhaften Charakter annehmen (Coser, 1972, S. 165ff.) Die Motivationen und Grundausrichtungen der in der Beziehung agierenden Parteien finden sich nach Binhack (2010, S. 151ff.) auf der personalen Trägerebene in der kommunikativen Kampfbeziehung wieder. Durch die Ausrichtung der Kontrahenten auf einen schnellen und vollständigen Sieg spitzt sich das Geschehen zu und erhält seine Geschlossenheit.14 Ist hingegen kein rasches Ende des Kampfverhältnisses intendiert, wie beim spielerischen Kämpfen (Happ, 2011, S. 16), liegt die Zielsetzung im spielerisch-kämpferischen Vollzug selbst. Hierbei wird das Kampfphänomen überlagert: »In solchen Fällen ist dann aber das Spielphänomen mit seinen Reglementierungen und Abgrenzungen von anderen Bereichen der Wirklichkeit das dominierende Agens, wodurch das Kampfphänomen integriert, abgemildert und für spielinhärente Zielsetzungen instrumentalisiert wird.« (Binhack, 2010, S. 154)
13 Dies wird u. a. in dem japanischen Begriff des Budo¯ ( ) deutlich (vgl. Lind, 2004; von Saldern, 2007; Wolters, 2007). Dieser Oberbegriff für (japanische) Kampfkünste setzt sich aus do ( ) und bu ( ) zusammen. In einer wahrscheinlich taoistischen Interpretation des Kanji enthält Bu »zwei Ideographen, nämlich Speer und Stop […] bedeutet also: Stoppe den Speer, beende den Konflikt!« (von Saldern, 2010, S. 218f.). 14 Binhack (2010, S. 155ff.) verdeutlicht die Gefahr einer unkontrollierten Verselbstständigung des Kampfphänomens, indem sämtliche Ressourcen für einen Sieg mobilisiert werden und sich ein unreglementierter Zweikampf somit auch emotional immer weiter zuspitzen kann.
Struktur des Kämpfens
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Die Inhaltsebene der kommunikativen Kampfbeziehung beschreibt die Zweckgebundenheit der Zweikampfsituation. Hierbei bezieht sich Binhack (1998, S. 35) auf Simmel und führt die Zweckorientierung, welche außerhalb oder innerhalb (um der Kampfhandlung selbst) eines Kampfes liegen kann. So konstituiert zumeist erst ein übergeordneter Zweck die aktuelle Kampfbeziehung.: »Die duale antagonistische Bezogenheit der Gegner […] wird dadurch zur rational nachvollziehbaren Dreierstruktur der Konkurrenz erweitert: A kämpft gegen B um C.« (Binhack, 2010, S. 164)
Abb. 4: Sachstruktur und Phänomenologie des Kämpfens (Binhack, 2010, S. 158)
Das menschliche Kampfphänomen ist aufgrund der dargestellten Merkmale als ein komplexes und überaus kommunikatives Gebilde zu betrachten, das sich als fundamental dualistisch durch die Dreierstruktur von Beziehung-, Träger- und Inhaltsaspekt konstituiert: »In jeweils zusammenhängenden Momenten bestimmen ›Antagonismus und Ambivalenz‹ den Beziehungsaspekt, ›Entscheidungsorientiertheit und Tendenzielle Energetische Totalität‹ kennzeichnen den Trägeraspekt, ›Zweckgerichtetheit und Riskante Offenheit‹ geben dem Inhaltsaspekt ihre Prägung. Insgesamt konstituieren sie in ihrem Zusammenwirken eine formal vollständige, prototypische Kampfbeziehung […] wenn mindestens zwei seiner Träger ein Ziel anstreben, das nur von einem zu erreichen ist.« (Binhack, 1998, S. 42f.; Herv. i. Orig.)
Die Kampfbeziehung stellt sich ambivalent dar, da sie einerseits reziprok antagonistisch, andererseits auch synagonistisch strukturiert ist. Der Kampf der Partizipanten (A und B) ist dabei stets auf einen Zweck (C) ausgerichtet (s. Abb. 4), welcher im Kampfgeschehen über den Einsatz teils endloser Ressourcen erlangt werden kann.15 15 Je nach Regelwerk kann der Kampf über unterschiedliche Distanzen ausgeführt werden. Als drei Grunddistanzen der körperlichen Auseinandersetzung gelten die lange Distanz (Fußtechniken), die mittlere Distanz (Handtechniken) und die kurze Distanz (Ellbogen, Knie, Kopf, Bodenkampf) (Kernspecht, 2012, S. 64ff.).
34
Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
»Da aber in der chaotisierenden Dynamik des Kampfgeschehens Zwecke nicht erreicht, Intentionen verfehlt und insbesondere eskalierende Verläufe unkontrollierbar werden können, ist das Phänomen insgesamt durch eine risikobehaftete Offenheit gekennzeichnet, die mit Beginn des Kampfes von keinem der Gegner vollständig beherrscht werden kann.« (Binhack, 2010, S. 164)
Im spielerischen Kämpfen findet sich der Zweck in der Handlung selbst. Hierbei entfalten sich Bewegungsmuster wie der Angriff oder das Zurückweichen nicht solipsistisch, sondern immer vor dem Hintergrund der gegenseitigen Rücksichtnahme. Somit wird der spielerische Zweikampf zum »Inbegriff des wechselseitigen Wahrnehmens und Appellierens in Aktion« (Funke-Wieneke, 2009, S. 14). Der (spielerische) Zweikampf impliziert damit eine direkte Auseinandersetzung mit einer Partnerin oder einem Partner, die durch gegenseitige Rücksichtnahme, Vertrauen und entsprechend rahmende Reglements bestimmt ist. Im gemeinsamen Sich-Bewegen können Prozesse wechselseitiger Einleibung entstehen, ich kann »meinen Gegner ›einverleibend‹ umarmen und dann versuchen, den ›gemeinsamen Körper‹ zu Fall zu bringen, um dann ›meinen eigenen Körper‹ wieder rechtzeitig abzukoppeln« (Tiwald, 2012, S. 17; Herv. i. Orig.). Kampf und Spiel scheinen als unverzichtbar grundlegende Konstrukte des Sports, da kämpferische Elemente im Spiel reflexive und spielvitalisierende Funktionen einnehmen und sich die Spielregeln als »Mittel der Begrenzung und Bindung kämpferischer Eskalationstendenzen« (Binhack, 1998, S. 187) erweisen. Der Überblick über die Terminologie und Systematik von Kämpfen, Kampfsport und Kampfkunst zeigt auf, wie heterogen und ausdifferenziert dieses Bewegungsfeld scheint. »Und doch lassen sich alle Formen des Kampfes auf einen Kern reduzieren, den Zweikampf« (Leffler, 2011b, S. 59).
Pädagogische Zugänge zum Zweikampf sollen im Folgenden dargestellt werden, um sich schließlich dem Kämpfen in den Lehrplänen der Bundesländer anzunähern.
1.3
Pädagogisch-didaktische Zugänge zum Kämpfen
Es existiert mittlerweile eine Vielzahl an (sport-)pädagogischen, bildungstheoretischen und didaktischen Begründungen und Ausarbeitungen zum Bewegungsfeld Kämpfen (Lange & Sinning, 2007; Beudels & Anders, 2008; Bächle & Heckele, 2010). Binhack (1998, S. 188f.) konstatiert, dass die Einbettung kämpferischer In-
Pädagogisch-didaktische Zugänge zum Kämpfen
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halte in sportlich-spielerische Strukturen das inhärente destruktive Moment des Kämpfens eingrenzen kann, womit eben dieses spielerische Zweikämpfen sein pädagogisches Potenzial erhält. Erfolgs- und Misserfolgserlebnisse in den tendenziellen Extremsituationen des Kämpfens ermöglichen die Selbsterfahrung eigener Potenziale; gleichsam birgt die Begegnung mit dem Gegenüber ein sozialisatorisches Moment. Das Kämpfen zeigt hier seine Ambivalenz von Gewalt oder Macht auf der einen und dem spielerischen Erkunden der eigenen (wie fremden) Grenzen, dem Erleben von Spannung und Wettkampf oder dem Erfahren von Körperkontakt auf der anderen Seite.16 Der Übergang vom spielerischen zum ernsten Kampf ist meist nicht trennscharf, denn »beim Kämpfen handelt es sich zunächst einmal um Sport-, Spiel- und Bewegungshandlungen, die hinsichtlich ihrer persönlichkeitsbildenden Konsequenzen nicht dosierbar und deshalb in dieser Hinsicht als prinzipiell offen zu verstehen sind« (Lange, 2010, S. 194).
So schreibt Gerr (1982) dem Ringen und Raufen vielfältige sportmotorische und psychosoziale Wirkweisen zu, welche zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen sollen (s. Abb. 5). Dem Kämpfen werden somit vielfältige psychische wie physische Wirkweisen zugeschrieben, sei es in der Entwicklung sozial-emotionaler Kompetenzen, der Gesundheitsförderung oder gar als therapeutische Anwendungen (Wolters & Fußmann, 2008). Anders als in den großen Sportspielen sind eigene Bewegungshandlungen im Zweikampf »konkret und direkt erfahrbar. Der Zusammenhang von Spüren und Bewirken wird unmittelbar erlebt und die Ich-WeltBezüge schärfer konturiert« (Leffler, 2011b, S. 69). Funke (1988, S. 20) fordert eine spielerische und gesundheitsorientierte Ausrichtung des Ringens im Sportunterricht, um die dem Kämpfen impliziten Aggressionen nicht durch erfolgsorientiertes Handeln auszuleben. Aufbauend auf den Überlegungen von Funke stellen Beudels und Anders (2008) dessen Argumente für die pädagogische Relevanz von Kämpfen, Ringen und Raufen verkürzt dar : – »Man braucht das, was sich dort zeigt, zum (Über-) Leben (das kulturtechnische Argument). – Wer diese Handlungen ausführt, wird den in ihnen niedergelegten Sinn erkennen. Damit erschließt er sich dem Geistigen seiner (Bewegungs-)Kultur (das bildungstheoretische Argument). 16 Das Zweikämpfen ist nicht als ein rein körperliches Auseinandersetzen zu verstehen. So fordert von Saldern (2010) eine begleitende theoretische Diskussion zum Kämpfen in Form einer fächerübergreifenden Thematisierung des Phänomens. Dies sei notwendig, da mit dem Kampf »zahlreiche psychologische, ethische und auch rechtliche Fragen verbunden« seien, »die im Regelfall nicht Gegenstand des Sportunterrichts sind« (ebd., S. 229).
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Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
Abb. 5: Ursache-Wirkungszusammenhang der psychomotorischen Aspekte durch Ringen/ Raufen (nach Gerr, 1982, S. 19)
– Es führt kein Weg an diesen Handlungen vorbei, jedes Kind muss durch sie hindurch, um zu sich selbst zu kommen (das entwicklungstheoretische Argument). – Man lernt oder bewältigt durch die Handlungen hindurch etwas, worauf sie verweist, und das ist das Wichtige (das symbolische Argument). – Handlungen dieser Art sind bedeutsam, weil sich durch sie die Bewegung des Menschen formt, weil körperliche Mängel ausgeglichen werden und weil ggf. durch sie eine spielerische Freiheit des Sich-Bewegens erlangt wird (das bewegungspädagogische Argument im engeren Sinne). – Handlungen dieser Art bereiten ganz einfach Freude und fördern das persönliche Wohlbefinden. Sie sind zwar zwecklos, aber dennoch subjektiv sinnvoll, und subjektive Sinnerfüllung zu vermitteln, ist auch das Geschäft
Pädagogisch-didaktische Zugänge zum Kämpfen
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einer wohlverstandenen Pädagogik (das hedonistische Argument)« (ebd., S. 29; Herv. i. Orig.). Die vielfältigen, dem Phänomen des Kämpfens zugeschriebenen Wirkweisen werden oftmals als Begründung für das Zweikämpfen im Sportunterricht und als zu erreichende Kompetenzen in der Lehrplänen der Bundesländer beschrieben. Nachfolgend soll ein exemplarischer Überblick über diese Situation gegeben werden, um darauf aufbauend die curricularen Vorgaben in Niedersachsen zu beleuchten, da die dort formulierten Kompetenzen sportartenübergreifend wie auch sportartenspezifisch erworben werden können, womit Niedersachsen im Gegensatz zu den anderen Bundesländern »der Lehrkraft auch das größte Spektrum zur Inhaltsauswahl« (Leffler, 2011a, S. 132) zugesteht.
1.3.1 Kämpfen, Ringen und Raufen in den Lehrplänen der Bundesländer Das Bewegungsfeld Kämpfen ist in unterschiedlichen Ausprägungen schon seit den Philanthropen im 18./19. Jahrhundert um GutsMuths nahezu durchgängig Bestandteil des Sportunterrichts. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschwand das Kämpfen weitgehend aus den Lehrplänen der BRD, wohingegen in der DDR primär das Boxen weiterhin einen festen Bestandteil des Sportunterrichts darstellte (Hartnack, 2013). Die Öffnung der Lehrplangestaltung im Schulsport (Prohl & Krick, 2006) und die damit einhergehende Loslösung vom tradierten Sportartenkonzept führte zu einer Erweiterung des Inhaltsspektrums im Sportunterricht. Mit dem Doppelauftrag eines Erziehenden Sportunterrichts und der damit einhergehenden mehrperspektivischen Orientierung an Bewegungsfeldern wurde eine Implementierung kämpferischer Inhalte in die Lehrpläne vieler Bundesländer möglich.17 In einer Mehrzahl der curricularen Sportlehrpläne werden Teamfähigkeit, Methodenkompetenz, Selbstständigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Fähigkeit zur Konfliktlösung sowie Kritikfähigkeit als Schlüsselqualifikationen genannt, wobei Kampfsport zu den acht häufigsten Bewegungsfeldern gehört (Krick, 2010, S. 187). In den Lehrplänen der Bundesländer finden sich vielfältige Bezeichnungen und inhaltliche Ausarbeitungen zum Kämpfen, die ein äußerst heterogenes Bild vom Kämpfen im Sportunterricht zeichnen (s. Tab. 1; die Nummern in Klammern geben an, wie viele Themenbereiche bzw. Bewegungsfelder der jeweilige Lehrplan vorsieht).
17 In einigen Lehrplänen, wie Sachsen-Anhalt oder Bayern, werden den Bewegungsfeldern allerdings klare Sportarten zugewiesen (Leffler, 2011a, S. 130).
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Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
Tab. 1: Auszüge ausgewählter Lehrpläne zum Bewegungsfeld Kämpfen (nach Leffler, 2011a, S. 131) Bundesland
Schulform/stufe
Hessen (2010); fakultativ
Mit/gegen Partner kämpfen (1/8): normierte Formen des Partnerkampfsports (Judo, Gymnasium G8 Ringen, Fechten); normungebundene Formen des 5G-9G Partnerkampfs; Partnerkämpfe aus anderen Kulturkreisen (orientiert z. B. an fernöstlichen Kampfsportarten)
Saarland (2010 Entwurf); fakultativ Sachsen (2004–2007); ein Jahrgang verbindlich SchleswigHolstein (1997); verbindlich
Gymnasium Klassenstufe 9
Bezeichnung
Raufen, Ringen und Kämpfen (1/7): Kämpfen am Boden und im Stand
Kampfsport/Zweikampfübungen (1/7): Gymnasium Es sind entweder Judo oder Ringen zu vermitteln. Jahrgangsstufen Der Gedanke der Selbstverteidigung steht im 5–10 Vordergrund. Raufen, Ringen, Verteidigen (1/9): Sekundarstufe 1 elementare Formen des Kräftemessens und Jahrgangsstufen Spielformen, die Idee »Kämpfen als Dialog« soll 5–10 vermittelt werden Ringen und Kämpfen – Zweikampfsport (1/10): NordrheinRealschule Ring- und Kampfspiele ohne direkten Westfalen Jahrgangsstufen Körperkontakt und mit Körperkontakt am Boden (2001); 5–10 und im Stand sowie einige normierte Formen des verbindlich Zweikampfsports (z. B. Aikido, Judo, Fechten) Kämpfen (1/7): Kämpfen umfasst die direkte körperliche Niedersachsen Sekundarstufe 1 Auseinandersetzung mit einer Partnerin oder einem (2007); Jahrgang 5–10 Partner in einer geregelten Kampfsituation; dies ist verbindlich sowohl sportartübergreifend als auch sportartspezifisch möglich.
Inhaltlich scheinen Kontaktkampfsportarten im Vordergrund zu stehen. Das Bewegungsfeld Kämpfen befindet sich dabei noch in einem Konstitutionsprozess, in dem erst konkrete Sportarten wie Judo und Ringen diesem Feld zugewiesen werden: »Was der Kern bzw. die gemeinsamen Merkmale in diesem Bewegungsfeld sind, wurde und wird erst noch wissenschaftlich erarbeitet und zeigt sich auch in der heterogenen Benennung, die sich wiederum in der Inhaltsauswahl widerspiegelt.« (Leffler, 2011a, S. 130)
Einige Autoren (Funke, 1988; Happ, 1998) sprechen sich eindeutig für Kontaktkampfsportarten und gegen Distanzkampfsportarten mit Kindern im Sportunterricht aus, ebenso wie ministerielle Vorgaben, welche Sportarten mit
Pädagogisch-didaktische Zugänge zum Kämpfen
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Schlagtechniken explizit verbieten (Brüning, 2004).18 Andere Autoren halten hingegen das kontrollierte Erlernen von Schlag- und Tritttechniken in Distanzkampfsystemen für sinnvoll und pädagogisch vertretbar (Kuhn, 2008; Klein & Frenger, 2013a;b). Die Inhalte aus dem Kämpfen bauen dabei meist nicht aufeinander auf: »In den meisten Fällen dürfte es sich um eine einmalige Unterrichtseinheit handeln, die in keiner Relation zu einer früheren oder späteren Thematisierung steht.« (Leffler, 2011a, S. 134)
1.3.2 Kämpfen im niedersächsischen Lehrplan In dem Lehrplan der Primarstufe in Niedersachsen ist das Erfahrungs- und Lernfeld Kräfte messen und miteinander kämpfen sportartenunabhängig orientiert. Es impliziert eine direkte körperliche Auseinandersetzung mit einer Partnerin oder einem Partner. Die Kinder sollen körperliche Nähe aushalten und sich auf Auseinandersetzungen einlassen lernen (s. Tab. 2).19 Die eigene Kraft, Emotionen und Aggressionen müssen beherrscht werden, wobei das faire Kämpfen nach vereinbarten Regeln explizit genannt wird. Das Kämpfen wird vom Kräftemessen unterschieden, indem das Kämpfen im Gegensatz zum Kräftemessen freiwillig durchgeführt werden soll, »um Kindern die drohende Blamage in der körperlichen Auseinandersetzung mit einem ungewollten Gegner oder den Ganzkörperkontakt zu ersparen« (Niedersächsisches Kultusministerium, 2006, S. 19).
18 Einige Bundesländer verbieten explizit das Boxen, erlauben aber Formen wie (Sound-)Karate, wo Techniken vor dem Körper der Partnerin oder des Partners abgestoppt werden (Brüning, 2009). 19 Das »Aushalten« »körperlicher Nähe« (Niedersächsisches Kultusministerium, 2006, S. 19; 2007, S. 31) ist als zu erreichende Kompetenz im Niedersächsischen Kerncurriculum vermerkt, wobei derartige Formulierungen besonders im (vor-)pubertären Alter von Kindern und Jugendlichen in ihrer Zielsetzung zumindest fragwürdig erscheinen (vgl. dazu kritisch Volkamer, 2010).
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Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
Tab. 2: Das Erfahrungs- und Lernfeld Kräfte messen und miteinander kämpfen in den Vorgaben des Niedersächsischen Kultusministeriums (2006, S. 19) Erwartete Kompetenzen für Schülerinnen und Schüler Fair kämpfen
am Ende des 2. Schuljahrgangs
Begründung
am Ende des 4. Schuljahrgangs
Begründung
Voraussetzung – den StanKämpfen für körperliche dard des kultivieren Auseinander2. Schuljahr- (I, E) setzung (E, I) – gangs halten Selbstkontrolle und Fair(E, I) nessrituale etablieren – Schiedsrichterfunktion übernehmen Eigene Kräfte – beim RanZuversicht geln und situationsstärken, sich Ringen soangemessen auch aus einsetzen wohl in er scheinbar Rolle des aussichtslosen Angreifers Situationen aus als auch des eigenen Kräften Verteidigers zu befreien (L) klug und geschickt kämpfen Emotionen – wertschätWettkampf– den StanÄrger nicht spüren und zend mit verhalten dard des gegen Andere beherrschen Sieg und kultivieren (I) 2. Schuljahr- richten (I) Niederlage gangs in umgehen schwierigen Situationen halten BewegungsKönnen entwickeln – Erkenntnisse gewinnen (K, E); Interaktionen herstellen (I); Lernen lernen (L); Bewerten (B) – Regelungen beim Kräftemessen festlegen und einhalten
In dem Lehrplan für den Sekundarbereich 1 wird das Lern- und Erfahrungsfeld direkt als Kämpfen bezeichnet. Wie bereits im Primarbereich steht auch hier die Auseinandersetzung mit einer Partnerin oder einem Partner in einer geregelten Kampfsituation im Vordergrund, diesmal allerdings nicht unter dem Freiwilligkeitsaspekt. Ebenfalls werden das faire Verhalten im Umgang miteinander, das Spüren und Beherrschen von Emotionen und Aggressionen und das SichEinlassen auf körperlichen Kontakt als formulierte zu erlernende Kompetenzen genannt (Niedersächsisches Kultusministerium, 2007, S. 30). Schließlich findet sich in dem Lehrplan für die gymnasiale Oberstufe die Be-
Pädagogisch-didaktische Zugänge zum Kämpfen
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zeichnung Kämpfen, der konkrete Sportarten zugewiesen werden: Judo, traditionelles Karate, Jiu-Jitsu und Ringen. Hier zeigt sich eine Schwerpunktsetzung auf Kontaktkampfsportarten, wobei lediglich Karate mit dem Schwerpunkt auf Schlag- und Tritttechniken heraussticht, dieses allerdings gesondert als traditionell gekennzeichnet ist (Niedersächsisches Kultusministerium, 2010, S. 34). Für die hier vorliegende Studie bieten sich die Lehrpläne Niedersachsens aufgrund ihrer inhaltlichen Offenheit besonders an, denn »sowohl sportartenübergreifend als auch sportartenspezifisch sind alle Formen der direkten körperlichen Auseinandersetzung in einer geregelten Kampfsituation erlaubt« (Leffler, 2011, S. 132). Nachfolgend wird in einem Überblick betrachtet, inwieweit die dem Kämpfen zugeschriebenen Wirkweisen und das Kämpfen im Sportunterricht bisher empirisch untersucht wurden.
1.3.3 Studienlage zum Kämpfen im Sportunterricht Pädagogisch orientierte Überlegungen zum Kämpfen sind oftmals eng mit Hoffnungen in gewaltpräventive Möglichkeiten von Kampfsport und Kampfkunst verbunden, da diesem Bewegungsfeld Themen wie Gewalt und Aggression bereits grundlegend implizit scheinen (Beudels, 2008, S. 132; Happ, 2009, S. 243).20 Insbesondere in den Lehrplänen für die Primarstufe zeigt sich dabei das Kämpfen in einer deutlichen Abgrenzung zu kampfsport- bzw. kampfkunstspezifischen Techniken, wodurch die Definition und konkrete inhaltliche Festlegung erschwert wird. So zielt das Kämpfen im Sportunterricht nach Beudels (2008, S. 132) »weniger auf die Verbesserung der motorischen Leistungsfähigkeit als vielmehr auf die Entwicklung von überdauernder Ich- und Sozialkompetenz« ab. Ritz (2011, S. 172) zufolge existiert allerdings »kaum eine wissenschaftliche Studie, die klar und deutlich aufzeigt, ob sich ›kämpfen‹ als gewaltpräventives und selbstkonzeptstabilisierendes Medium eignet, und ob dadurch eine Alternative zu anderen Ansätzen entsteht«. So existieren zwar verschiedene Studien, die Zusammenhänge des Übungszeitraumes oder Gürtelgrades auf Selbstvertrauen, Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und Selbstkonzept im Karate sowie positive Auswirkungen auf die soziale Entwicklung im Judo beschreiben (vgl. im Überblick: Binder, 2007).21 Im deutschsprachigen Raum allerdings finden sich wenige Untersuchungen zu den Wirkweisen durch Kämpfen im schulischen 20 Vgl. hierzu u. a. das Konzept der Budopädagogik (Neumann, von Saldern, Pöhler & Wendt, 2007; Schröder, 2014). 21 Ambivalent stellen sich teilweise die entsprechenden Ergebnisse dar. So kann traditionelles Kampfsporttraining zu einem Rückgang oder auch zu einem Anstieg aggressiven Verhaltens führen (Nosanchuck & McNeil, 1989).
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Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
Rahmen. Meist handelt es sich dabei um außerunterrichtlichen Sport. So beschreibt Liebl eine positive motorische Entwicklung bei Kindern durch Judotraining in Form von Sport-Arbeitsgemeinschaften an Grundschulen. In der Studie »Macht Judo Kinder stark?« über die Wirkungen von Judotraining auf die motorische Leistungsfähigkeit, das prosoziale Verhalten und die Ich-Stärke von Grundschulkindern konnte gezeigt werden, dass die sportbezogene Selbstwirksamkeit positiv beeinflusst werden kann. Allerdings kann im Rahmen der quantitativen Untersuchung nicht signifikant belegt werden, dass Judo Kinder auch sozial stark macht (Liebl, 2011, S. 148f.; 2013). Rieder, Kaltner, Dahmen-Zimmer und Jansen (2011) stellen Ergebnisse aus einer Untersuchung zur Veränderung von Gewaltbereitschaft, Selbstbewusstsein und Empathiefähigkeit bei Kindern durch DKV-Karatetraining vor. In dieser Studie, die aufgrund einer niedrigen Teilnehmerzahl nur eingeschränkte Gültigkeit besitzt, konnte eine Verbesserung der Empathiefähigkeit und eine Steigerung des Selbstwertes der Teilnehmer des DKV-Karatetrainings festgestellt werden (Rieder et al., 2011, S. 155).22 Zajonc (2011) konstatiert, dass bei gewaltpräventiven Zuschreibungen des Kämpfens die komplexen Zusammenhänge berücksichtigt werden müssen, welche vertiefende Forschungsarbeiten bedürfen, wobei nicht zuletzt die Trainerqualifikation von herausragender Bedeutung für das Gelingen gewaltpräventiver Maßnahmen scheint (Zeyn & Happ, 2013): »Wenn Kämpfen als pädagogische oder sozialerzieherische Maßnahme eingesetzt werden soll, ist hierfür ein höchst differentielles Vorgehen zwingend erforderlich, das sich auf pädagogische Rahmungen in Form fachlich begründeter Handlungskonzepte stützt.« (Zajonc, 2011, S. 185)
Bezogen auf den Schulsport betrachtet Mosebach (2011) verschiedene Kampfsportarten und kommt (für die Sportart Judo) zu dem Ergebnis, dass innerhalb des Kollegiums dem Kämpfen zwar oftmals positive Wirkweisen zugeschrieben werden, in der praktischen Arbeit diese Inhalte allerdings keine Anwendung finden, was u. a. mit einer erhöhten Gefahrenzuschreibung begründet werden kann: »Im Schulsportprogramm nimmt der Kampfsport aus Sicht der Nichtkampfsportler in Bezug auf Gefährlichkeit und Verletzungen eine Sonderstellung ein. Allerdings zeigen Unfallprotokolle, dass die Zahl der Sportunfälle in Spielsportarten höher ist, da auch ihr Anteil in der Unterrichtspraxis höher ist.« (ebd., S 125) 22 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Wolters, welcher in einer Untersuchung zum Abbau der Gewaltbereitschaft und Aggressivität bei inhaftierten Jugendlichen durch Karate nachweisen konnte, dass ein Zusammenhang zwischen der Teilnahme am Shorinji-Ryu und einem nachweisbaren Abbau der Gewaltbereitschaft und Aggressivität besteht (Wolters, 1992, 331f.).
Kämpfen, Kampfsport und Geschlecht
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Dies äußert sich im Rahmen der DSB-Sprint Studie 2006, welche verdeutlicht, dass Kampfsport aus Sicht der Schülerinnen und Schüler mit 6,4 % im Sportunterricht kaum Anwendung findet, wobei sich 23,6 % der befragten Schülerinnen und Schüler mehr Kampfsport wünschen (Gerlach, Kussin, BrandlBredenbeck & Brettschneider, 2006). Hierbei ist zu beachten, dass die Kinder mit Ringen, Rangeln und Raufen nicht immer Erwachsenenkonzepte wie Kooperation oder Körperwahrnehmung verbinden. Wie Schwarz und Schwarz (2011) zeigen, assoziieren Grundschulkinder das Kämpfen mit elementaren Handlungsvollzügen wie »Hauen, Boxen, Schlagen/Schläge, Schubsen, Stoßen, Kratzen, Schmerzen […], Gewinnen, Sieger/Siegen, Verlierer/Verlieren […] Kraft, Größe […]« (ebd., S. 66). Einem eindeutigen und von allen Mitschülerinnen und Mitschülern akzeptierten Regelwerk kommt somit eine besondere Bedeutung zu. Im Rahmen einer Untersuchung in einer sechsten Gymnasialklasse in Baden-Württemberg durch schriftliche Befragungen kommen Lippitz und Welsche (2014, S. 122f.) zu dem Schluss, dass Sicherheit und Fairness eine herausragende Rolle für die Kinder beim Kämpfen spielen. Die Untersuchung, die im Anschluss an eine Unterrichtseinheit Ringen und Raufen angesetzt wurde, zeigt auf, dass die Schülerinnen und Schüler große Sorge vor Verletzungen haben, gleichsam das Kämpfen allerdings als durchaus positiv erleben, wenn die eigene Kraft in den Bewegungsangeboten sicher ausprobiert und erfahren werden kann. Die Fragestellung, wie sich Kinder das Kämpfen im Sportunterricht vorstellen, bearbeitet Leffler (2013a; 2013b) in einer qualitativen Studie zur Schülerperspektive auf das Bewegungsfeld Kämpfen. Demnach können sich Schülerinnen und Schüler das Kämpfen in unterschiedlichen Ausprägungsformen im Sportunterricht vorstellen, wobei Koedukation nicht als problematisch gefasst, sondern gerade von Mädchen als Möglichkeit gesehen wird, Geschlechterstereotype zu bekämpfen. Besonders werden Rücksichtnahme und Fairness von den Kindern herausgehoben, die ebenfalls notengebenden Einfluss haben sollten. Die geschlechtsspezifischen Wirkweisen tauchen im Kontext von Kämpfen, Ringen und Raufen im Sportunterricht immer wieder auf.
1.4
Kämpfen, Kampfsport und Geschlecht
Mit dem Kampfsport bzw. der Kampfkunst werden geschlechtsspezifische Vorstellungen verknüpft, wobei das Kämpfen oftmals als eine als männlich konnotierte Form der Auseinandersetzung wahrgenommen wird.23 Beispielhaft 23 Die spielerischen Formen von Gewaltausübung im Zweikampf werden vom sozialen Umfeld positiv wertgeschätzt und bieten legitime Experimentiermöglichkeiten mit der körperlichen
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Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
dafür scheint das Boxen, welches als männliches Ideal eines rohen, heterosexuellen und heroischen Sports gilt, obwohl durch Boxerinnen wie Regina Halmich auch das Frauenboxen in Deutschland eine gewisse Popularität erreichte (Hartmann, 2011, S. 82)24 : »Boxen ist eine männliche Aktivität, die Welt des Boxens ist rein männlich. […] Und obwohl es weibliche Boxer gibt – eine Tatsache, die überrascht, alarmiert, amüsiert –, war die Rolle, die Frauen in diesem Sport spielten, immer äußerst klein. […] Boxen ist etwas für Männer, es handelt von Männern, es ist männlich« (Oates, 1988; zit. nach Frick, 2012, S. 5; Herv. i. Orig.).
Das Sportengagement von Frauen in männlich dominierten Sportarten wie den Kampfsportarten ist dabei als äußerst ambivalent zu beschreiben. So kann die Partizipation von Frauen tradierte Geschlechtergrenzen überschreiten, da als männliche konnotierte Sportarten einerseits überwiegend von Männern betrieben werden, andererseits auch in ihrer Anforderungsstruktur oftmals auf männliche Geschlechterstereotype, wie Aggressivität, Risiko und Kraft, verweisen. Die sportartspezifischen Körperpräsentationen und ggf. daraus resultierenden körperlichen Veränderungen können schließlich konträr zu dem soziokulturell-tradierten Frauenbild stehen, was zu Etikettierungen und Verunsicherung der Sportlerinnen führen kann. Zudem zeigen sich in den Sportarten selbst Abwehrmechanismen seitens der Sportler, Vereine oder Verbände gegenüber Frauen, da durch deren Eindringen in Männerdomänen die Räume sozialer Herstellung von Männlichkeit gefährdet scheinen (Kleindienst-Cachay & Heckemeyer, 2006, S. 113f.).25 In der sportpädagogischen Auseinandersetzung mit dem (Zwei-)Kämpfen im schulischen Rahmen sind geschlechtsspezifische Überlegungen kaum zu finden. So wird die körperliche Auseinandersetzung von Kern und Söll (1997) als biologisches Grundbedürfnis angesehen, »zumindest bei Jungen, wahrscheinlich auch bei Mädchen« (ebd., S. 21). Funke-Wieneke konstatiert, dass das »Ringen sowohl bei Jungen wie bei Mädchen als Thema vorkommt, es aber auch Kinder gibt, die damit wenig oder überhaupt nichts zu tun haben« (Funke-Wieneke, Durchsetzungskraft als männlichkeitssymbolisierenden Praktiken. »Insbesondere für Jungen und junge Männer kann dieses legitimierte Experimentieren mit körperlicher Gewalt einen wichtigen Baustein der Identitätsarbeit auf dem Weg zum erwachsenen Mann darstellen« (Rulofs, 2006, S. 152). 24 Für Frauen ist mittlerweile ein großer Markt entstanden, in dem vorrangig frauenspezifische Selbstverteidigung angeboten wird bzw. entsprechende Kampfsportarten und Kampfkünste als effektive Selbstverteidigungsarten für Frauen (und Kinder) proklamiert werden (vgl. u. a. die Feministische Selbstverteidigung bei Ohms, 1997, S. 31ff.; zur Selbstverteidigung für Mädchen u. a. auch Höller, Maluschka & Reinisch, 2007; Korn & Besold, 2007). 25 Bähr (2005a, S. 163) zeigt die dem Sport inhärenten Möglichkeiten zum Undoing Gender auf, indem sie anhand des Sportkletterns keine Geschlechtsunterschiede im sportbezogenen Bewegungshandeln nachweist.
Kämpfen, Kampfsport und Geschlecht
45
1992, S. 66), womit »das Thema kein ganz und gar geschlechtsspezifisches ist« (Funke, 1988, S. 14). Erfahrungsberichte aus dem Sportunterricht zeichnen ein weitgehend positives Bild vom geschlechterheterogenen Zweikämpfen, in welchem die Mädchen stets neue, lustvolle und positive Erfahrungen sammeln (Voige, 2003) und Geschlechtsstereotype abbauen können: »Eine weitere Chance ist in koedukativem Sportunterricht zu sehen, da Mädchen bei entsprechenden Techniken und Prinzipien (u. a. Würfe aus dem Judo) aus ihrer vermeintlich schwächeren Rolle heraustreten können und so ein doing gender vermieden wird. Erfahrungsgemäß haben Mädchen genauso viel Spaß am Kämpfen wie die Jungs und wollen es ihnen richtiggehend zeigen.« (Leffler, 2011b, S. 79)
Wird Koedukation im Zweikampf innerhalb von Lehrerfortbildungen aufgegriffen, finden sich ebenfalls Hoffnungen auf eine Beeinflussung der geschlechtsstereotypisch-hierarchischen Geschlechterordnung, da die Mädchen bislang weitgehend unbekannte Lernsituationen erfahren können. Für die Jungen wird der Abbau von Homophobie sowie der Aufbau von Empathie und Selbstkontrolle intendiert, gleichsam werden gewaltpräventive Möglichkeiten des Zweikämpfens für Mädchen und Jungs genannt. Doch auch auf die Möglichkeiten eines getrennten Unterrichts – besonders in der pubertären Lebensphase – wird hingewiesen (Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, 2001, S. 56ff.). Jäger (2000) greift die normierende Funktion der soziokulturell erworbenen Geschlechterrolle auf den Bewegungsleib auf. Demnach werfen Personen weiblicher Geschlechtsidentität im Judo »häufig übervorsichtig, wirken fragil und geben schnell auf, während Personen männlicher Geschlechtsidentität sich oft steif und eckig bewegen und versuchen, mit Muskelkraft zum Ziel zu gelangen« (ebd., S. 164).26 Eine qualitative Studie von Benning (2000) greift die Perspektive von Frauen auf, die Karate betreiben. Dabei scheinen die Bewegungen selbst positive eigenkörperliche Erfahrungen zu ermöglichen, in denen sich die Frauen als stark und leistungsfähig erleben können. Anderseits müssen sich die Frauen an die als männlich konnotierten Normen im Karatesport anpassen, zugleich wollen sie allerdings auch als Frau wahrgenommen werden. Konfliktreich scheint somit die Balance zwischen tradierten Geschlechterrollenvorstellungen und den vorgegebenen Anforderungen in einer Kampfsportart wie Karate.27 26 Rendtorff (2003) konstatiert, dass Mädchen weniger Übung mit körperlichen Auseinandersetzungen als Jungen haben: »Tatsache ist, dass Mädchen wenig Übung mit körperlichen Auseinandersetzungen haben, sie rangeln und raufen nicht wie die Jungen zum Spaß […] und trauen sich folglich in kämpferischer Hinsicht meist wenig zu.« (Rendtorff, 2003, S. 190) 27 Eine Studie von Mennesson (2001) über Boxsportlerinnen zeigt auf, dass diese bereits in ihrer Kindheit Geschlechtsidentitäten entwickelt haben, welche den gesellschaftlichen Er-
46
Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
Welsche (2014) kommt über eine Befragung von Schülerinnen und Schülern einer sechsten Gymnasialklasse zu dem Schluss, dass in der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler das Raufen eher etwas Jungenspezifisches ist, wodurch sich ebenso geschlechtsstereotype Einschätzungen (Mädchen sind schwächer als Jungen, Jungen sind brutaler) seitens der Schülerschaft abzeichnen. Den geschlechtsstereotypischen Zuordnungen konnte im Rahmen dieser Studie nicht durch den koedukativen Sportunterricht begegnet werden. Eine ebenso problematische und geschlechterdifferente Rolle scheint das Kämpfen vor Zuschauern im Sportunterricht zu spielen.
1.5
Anspruch und Relevanz der Untersuchung
Wie dargestellt wurde, ist das Kämpfen in all seinen Formen immer ein Bewegungshandeln in einer Zweierkonstellation (Zweikampf). Im Bewegungsdialog des Zweikampfes werden Bewegungen meist wortlos aufeinander abgestimmt, es findet direkte körperliche Interaktion statt. Im Kontext des Sportunterrichts rückt das Kämpfen als Kampfspiel (s. Kap. 1.1.2, Abb. 3) in den Fokus des Interesses. Diese Form des Kämpfens als sportartenunspezifisches und spielerisches Bewegungshandeln kann durchaus zu kampfsportspezifischen Formen bzw. Techniken hinführen. Da das Aufeinandergerichtet-Sein im spielerischen Zweikampf immer ein miteinander darstellt, müssen sich die Partizipanten verständigen, aufeinander eingehen und Rücksicht nehmen, damit das Miteinander-Kämpfen gelingen kann. Die Leibphänomenologie als theoretische Grundlage dieser Arbeit nimmt an, dass diese Verständigung auf leiblicher Kommunikation beruht; der Zweikampf mit seiner intensiven Körperlichkeit basiert auf spürender Kommunikation der beteiligten Akteure.28 In diesem leibkörperlichen Aufeinandergerichtet-Sein sind die Schülerinnen und Schüler unmittelbar betroffen, womit das komplexe Sich-Bewegen vielfältige Bewegungserfahrungen, Erlebnisse und Entwicklungschancen birgt. Allerdings reicht es nicht, wie Happ (2011) konstatiert, vorhandene didaktische Konzepte als pädagogische Grundlegung für die aus fernöstlichen Kulturräumen stammenden Zweikampfsportarten heranzuziehen: »Vielmehr muss der Blick für die konkreten Bewegungsweisen, die Zwischensphäre und das Wirken der Lehrperson geschärft werden.« (ebd., S. 21)
wartungen an Frauen entgegenlaufen (Counter Identity), was mit der Entstehung des Boxens als Sport in Zusammenhang gebracht werden kann. 28 Vgl. hierzu die leibliche Kommunikation im Tanz bei Gugutzer (2008).
Anspruch und Relevanz der Untersuchung
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Um das Kämpfen im Sportunterricht legitimieren zu können, bedarf es einer phänomenologischen Erfassung des Bewegungsfeldes, wodurch die Zweierkonstellation im Handlungsfeld Kämpfen von der Sache her erschlossen werden soll: »Für eine pädagogische Grundlegung gilt es, eine Brücke zwischen der Phänomenologie und der Pädagogik zu schlagen, um eine Begründung pädagogischer Absichten ›vom Gegenstand her‹ ableiten zu können. Es geht darum, ! sich mit der Sache, wie sie sich von sich selbst her zeigt, auseinanderzusetzen, ! die Bedeutung/en der Bewegungserscheinungen zu erfassen, ! hieraus Schlussfolgerungen für die Gestaltung der Bewegungspraxis zu ziehen.« (ebd., S. 15; Herv. i. Orig.)
Das Kämpfen zeigt sich als überaus komplexes Bewegungsfeld, welches sich in seiner inhaltlichen und begrifflichen Definition und Strukturierung weiterhin fortlaufend konstituiert. Dementsprechend finden sich äußerst heterogene Beschreibungen dieses Feldes in den curricularen Vorgaben der Bundesländer. In Niedersachsen ist das junge Lern- und Erfahrungsfeld bereits für die Grundschule ein fester Bestandteil des Sportunterrichts. Den vielfältigen Wirkweisen, welche dem Kampfsport und der Kampfkunst zugeschrieben werden, stehen äußerst wenige empirische Studien gegenüber. Somit bedarf es einer intensiven Betrachtung des Schulalltags, um Differenzen und Konvergenzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit aufzeigen und letztendlich das Kämpfen im Schulsport legitimieren zu können. Auf dieses Problemfeld, das an sich bereits als Forschungsdesiderat bezeichnet werden kann, bietet sich insbesondere die Fokussierung auf das Geschlecht an, zumal das Kämpfen in westlichen Kulturverständnis als männlichkeitsstereotype Sportart (s. Kap. 1.4) gilt. Besonders die Hoffnungen in einen Abbau von Geschlechterstereotypen, die nicht lediglich von Pädagoginnen und Pädagogen, sondern auch von Schülerinnen und Schülern (Leffler, 2013a;b) oder Eltern (Kuhn, Beuter, Finzel & Landgraf, 2013, S. 200) geäußert werden, bedürfen einer Ergründung und empirischen Fundierung. Gleichsam scheint die Perspektive der Schülerinnen und Schüler auf das Bewegungsfeld Kämpfen und auf geschlechtsspezifische Aspekte eben dieses Zweikämpfens bzw. des Sportunterrichts bedeutend – dies einerseits im Hinblick auf eine Professionalisierung der Lehrkräfte bezüglich geschlechtssensiblen Vorgehens im Sportunterricht, welches an die Interessen und Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler anknüpft, andererseits aufgrund der inhaltlichen und methodisch-didaktischen Ausgestaltung des Bewegungsfeldes Kämpfen in den Lehrplänen. Ein qualitatives Vorgehen, welches die Perspektive der Schülerinnen und Schüler zu ergründen versucht, kann somit wertvolle Hinweise für die (geschlechtersensible) Gestaltung der Bewegungspraxis bzw. des Sportunterrichts liefern. Eine konsequente Berücksichtigung leiblich-sinnlicher Erfah-
48
Zum Bewegungsfeld des Kämpfens
rungen von Geschlecht im kindlichen Sich-Bewegen kann darüber hinausgehend ein tieferes Verständnis für Aufrechterhaltungsprozesse der Binarität von Geschlecht ermöglichen, besonders in Bezug auf geschlechtliche Praktiken von Kindern, die Leiblichkeit und Körperlichkeit gleichermaßen berücksichtigen. Zusammenfassend zeigen sich somit einige Forschungslücken, einerseits in der Betrachtung der Kinderperspektive auf eine Unterrichtseinheit Kämpfen, sowie auf das geschlechtsspezifische affektive Betroffensein im Sich-Bewegen, andererseits in der Legitimation des Kämpfens im Sportunterricht aufgrund zugeschriebener impliziter physisch-psychischer Wirkweisen. Im Rahmen dieser Studie hat die Betrachtung dieser Forschungslücken aus Kinderperspektive die Zielsetzung, die Legitimation von Kämpfen im Sportunterricht (vgl. Kap. 1.3) zu hinterfragen und die differenten inhaltlich-methodischen Vorgaben zu überprüfen, sowie das geschlechtsspezifische Handeln der Kinder aus einer leiblichen Perspektive heraus nachzuzeichnen, um entsprechende Konsequenzen für ein geschlechtssensibles methodisches Handeln der Lehrkräfte zu ermöglichen. Um sich dem Kämpfen im Sportunterricht aus einer geschlechtsspezifischen Sicht weiter annähern zu können, sollen im folgenden Kapitel verschiedene Geschlechtertheorien vorgestellt werden, um eine entsprechende theoretische Grundlage für die weitere leibphänomenologische Geschlechterfokussierung zu schaffen.
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Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
Der Gegenstand Geschlecht kann aus einer Vielzahl von Perspektiven, Theorien und Debatten heraus beleuchtet werden. In der soziologischen Frauen- und Geschlechterforschung existiert keine dominierende Theorie von Geschlecht, welche lediglich eine Lesart erlauben würde (Bereswill, 2008, S. 98f.).29 Die Entwicklungslinie von der Frauenbewegung zur Frauenforschung – aus einer makrotheoretischen Perspektive heraus – führt schließlich zur Geschlechterforschung, welche die soziale Konstruktion von Geschlecht fokussiert und somit eine mikrotheoretische Perspektive einnimmt.30 Die feministische Mikrosoziologie betrachtet Geschlecht nicht als biologisch determinierte Konstante, sondern als soziale Konstruktion. Diese soziale Konstruktion ist nicht durch biologische Unterschiede der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale determiniert, sondern ergibt sich als soziale Kategorie über Zuschreibungen bestimmter Eigenschaften (Treibel, 2006, S. 102). Mikrosoziologische Geschlechterforschung untersucht somit, »wie die sozialen Interaktionen von Akteurinnen und Akteuren eines Feldes durch kollektive Vorstellungen von Geschlecht geprägt sind. Fokussiert wird, mit Hilfe welcher Handlungsmuster und Interpretationsleistungen Vorstellungen von Zweige-
29 Im Folgenden wird auf die sozialwissenschaftliche Geschlechterforschung rekurriert, indem kulturelle und soziale Praktiken betrachtet werden, mit denen Geschlecht als binäre Kategorie etabliert wird. Biologisch-neurologische Erkenntnisse werden vereinzelt als Randbemerkungen erscheinen und nicht vertiefend dargestellt. Hierbei ist dennoch zu beachten, dass durchaus einige fruchtbare Anknüpfungspunkte zwischen der sozialwissenschaftlich und naturwissenschaftlich orientierten Geschlechterforschung bestehen (vgl. dazu das Streitgespräch von Euler & Lenz, 2014). 30 Bis in das 18. Jahrhundert hinein wurde in Europa zentrisch zwischen Mann und Frau unterschieden. Dem Historiker Laqueur folgend wurde mit dem Ein-Geschlecht-Modell der Mann als voll entwickelter menschlicher Körper betrachtet und die Frau als minderentwickelte Variation dieses Körpers. Erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts setzte mit der Annahme der Gleichheit aller Menschen eine azentrische Differenzierung in der Geschlechterunterscheidung ein (Lindemann, 2013, S. 185ff.).
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Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
schlechtlichkeit hervorgebracht, verfestigt oder transformiert werden« (Bereswill, 2008, S. 100).
Der Körper entwickelte sich im Rahmen soziologischer Geschlechterforschung zu einem eigenen Themengebiet, wobei sich die Körpersoziologie mittlerweile in einer Vielzahl unterschiedlicher Strömungen mit differenten Paradigmen verorten lässt. Im Folgenden sollen grundlegende Strömungen soziologischer Geschlechterforschung dargestellt werden. Dies kann jedoch aufgrund der Vielzahl und Vielfalt innerhalb der soziologischen Geschlechterforschung nicht in einem vollständig-vertieften Überblick geschehen. In Anlehnung an Villa (2011) werden somit handlungstheoretische, diskurstheoretische und schließlich leibtheoretische Ansätze der Geschlechterforschung skizzenhaft dargestellt, um schließlich geschlechtsspezifische Ansätze in Kindesalter, Sport und Schule zu beleuchten, da dies im Kontext von Geschlecht und Zweikämpfen im Sportunterricht notwendig scheint.
2.1
Handlungstheoretische Perspektiven
Der Psychologe John Money (1955) unterscheidet mit den Begriffen Gender Role und Gender Identity erstmals die Geschlechterrolle und das Identitätsgeschlecht in Bezug auf Intersexuelle oder Transsexuelle. Simone de Beauvoir (1951) differenziert den biologisch vorgegebenen, unveränderbaren Geschlechtskörper von einer soziokulturell geprägten und veränderlichen Geschlechtsidentität. Somit führt sie eine strikte Trennung von Sex und Gender ein, wobei lediglich die Geschlechtsrolle Gender variabel ist. Die heutige sozialkonstruktivistische Unterscheidung von Sex als biologisches und Gender als soziales Geschlecht31 geht wesentlich auf den Soziologen Harold Garfinkel und die Ethnomethodologie zurück. Im Folgenden soll die Verbindung von Symbolischem Interaktionismus und Ethnomethodologie im Ansatz von Goffman nachgezeichnet werden, um darauf aufbauend die Ethnomethodologie darzustellen. In interaktionistischen Zugängen zu Geschlechtlichkeit werden das Geschlecht als soziale Konstruktion begriffen und die Herstellung von Geschlecht 31 Sex als Begriff des biologisch bedingten Geschlechts meint auch eine chromosomale und hormonelle Klassifizierung der Lebewesen »als entweder männlich oder weiblich, entsprechend ihrer Fortpflanzungsorgane und der Funktionen, die auf den entsprechenden Chromosomen basieren. Daher werden Personen mit zwei X–Chromosomen (XX) als weiblich, Individuen mit der Kombination von X- und Y-Chromosom (XY) dagegen als männlich angesehen« (Aloisi, 2007, S. 4). Rein biologisch betrachtet stellt Geschlecht für die meisten Spezies von Wirbeltieren damit – trotz seltener Ausnahmen – eine eindeutige Dichotomie dar : »Männer besitzen Hoden und produzieren Sperma, Frauen besitzen Ovarien und produzieren Eier.« (Arnold, 2007, S. 20)
Handlungstheoretische Perspektiven
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fokussiert.32 Geschlechterdifferenz wird in wechselseitigen Aushandlungsprozessen immer wieder hervorgebracht, wodurch aus einer konstruktivistischen Perspektive heraus auch die Unterscheidung von Sex und Gender hinfällig wird, da keine natürliche Wahrnehmung des Körpers existiert. Vielmehr sind Natur und Kultur ineinander verschränkt, die Wahrnehmung des Körpers ist immer sozial-kulturell belegt (Bereswill, 2008, S. 107f.).33 Der Soziologe Erving Goffman (1922–1982) untersucht die Interaktionen in der alltäglichen Wirklichkeit und beruft sich dabei auf Mead und Schütz. Goffman betrachtet Anlässe, Zusammenkünfte und Begegnungen, in welchen sich die Menschen aufgrund des impliziten gesellschaftlichen Normensystems entsprechend zueinander verhalten. Dies geschieht über die persönliche Fassade, welche die persönliche Erscheinung beschreibt, sowie über das Engagement, welches die situative Teilnahme meint (Goffman, 1971, S. 36ff.). Wie auf verschiedenen Bühnen stellen die Menschen ihre entsprechende Rolle in den alltäglichen Interaktionssituationen dar, wofür Hitzler den Ausdruck der »Goffmenschen« nutzt (Treibel, 2006, S. 105). Interaktionen werden von Goffman als Schauspiel bezeichnet, welches in gesellschaftlichen Einrichtungen vor einem Publikum dargestellt wird. Goffman übernimmt dabei bewusst verschiedene Begrifflichkeiten aus der Theaterwelt, um die Struktur sozialer Begegnung zu beschreiben: »Der Schlüsselfaktor in dieser Struktur ist die Erhaltung einer einzigen Bestimmung der Situation, und diese Definition muß ausgedrückt, und dieser Ausdruck muß auch im Angesicht zahlreicher potentieller Störungen durchgehalten werden« (Goffman, 1998, S. 233).34
Bezogen auf die Geschlechtlichkeit verdeutlicht Goffman, dass bereits Kleinkindern nach der Geburt einer der beiden Geschlechtsklassen zugeordnet werden, aufgrund der äußerlich sichtbaren Geschlechtsteile. Diese Zuordnung an ein Geschlecht bedingt eine Identifikationskette, in welcher sich das Geschlecht in den Phasen der Wachstumsentwicklung bestätigt und durch die anfängliche Zuordnung entsprechend sozialisiert wird. Diese Sozialisation orientiert sich an 32 Als grundlegende Theorie kann hier der Symbolische Interaktionismus (Blumer, 1969) genannt werden, welcher als soziologische Handlungstheorie davon ausgeht, dass im Prozess der Interaktion und Kommunikation die Bedeutung von sozialen Situationen, Objekten und Beziehungen symbolisch vermittelt wird. Grundlage für die Überlegungen zum Symbolischen Interaktionismus sind die Ausführungen Meads (1968, Teil IV) zur Intersubjektivität. 33 Hagemann-White formuliert dazu die Hypothese, »dass es keine notwendige, naturhaft vorgeschriebene Zweigeschlechtlichkeit gibt, sondern nur verschiedene kulturelle Konstruktionen von Geschlecht« (Hagemann-White, 1988; zit. nach Bereswill, 2008, S. 108). 34 Randall Collins (2004) betont die Importanz einer gemeinsamen emotionalen Stimmung zur Stärkung und Aufrechterhaltung der sozialen Strukturen, in welche die Interaktionen eingebettet sind.
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Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
gesellschaftlich gewachsenen Idealbildern von Männlichkeit und Weiblichkeit. Anhand dieser Idealbilder beurteilt der Mensch sich, nachdem er ein Gefühl für seine sozial konstruierte Geschlechtsklasse entwickelt hat, wodurch nach Goffman schließlich von Geschlechtsidentität gesprochen werden kann (Goffman, 1994, S. 107ff.).35 Goffman verdeutlicht, dass Männer meist größer und stärker sind als die Frauen an ihrer Seite und beide Geschlechter über soziale Praktiken ihr soziales Geschlecht entsprechend inszenieren, sei es durch körperliche Hilfeleistung oder Bedrohung seitens der Männer oder die dankbare Annahme von Hilfe seitens der Frauen. Dem Größen- und Kräfteunterschied kommt dabei eine soziale Funktion zu, da es nicht den biologischen Tatsachen entspräche, dass Frauen eine generell verminderte körperliche Leistungsfähigkeit aufweisen. Goffman verdeutlicht an dem Beispiel der Paarbildung, dass den beiden Geschlechtern durch die selektive Wahl der Partner die Inszenierung der eigenen Geschlechtlichkeit ermöglicht wird. Die Umwelt als physische Umgebung stellt demnach Räume für soziale Zusammenkünfte und Interaktionen bereit, in welchen soziales Geschlecht dargestellt und Geschlechtsidentitäten bestätigt werden können (ebd., S. 141ff.). Der Körper wird bei Goffman somit zum sozial konstituierten Träger von indexikalischer Semantik, über welchen die Menschen in Situationen Informationen vermitteln, steuern, empfangen und schließlich entsprechend zueinander handeln. Die kompetente Verwendung des Körpers bedingt die Aufrechterhaltung sozialer Ordnung (Villa, 2008, S. 209).36 Diese soziale Ordnung kann durch die Missachtung sozialer Konventionen gestört werden. In der Ethnomethodologie bezeichnen Krisenexperimente ein Vorgehen zur Aufdeckung impliziter sozialer Normen, indem alltägliche Interaktionen gestört werden (Garfinkel, 1967, S. 35ff.).37 Der Begriff Ethnomethodologie ist ein von Harold Garfinkel (1917–2011) erfundenes Kunstwort, das sich an die soziologisch ausgerichtete Ethnowis35 So beschreibt Goffman (1994), dass Jungen sich häufiger auf normalen amerikanischen Mittelschichtsspielplätzen prügeln als Mädchen, wodurch das Prügeln als eine Handlungsweise der männlichen Geschlechtsklasse angesehen werden kann. Dabei betont er, dass dieses Verhalten allerdings nicht einfach als Reaktion auf entsprechende Regeln von männlichen Körpern ausgeführt wird, »sondern daß es auch durch etwas motiviert und gestaltet ist, das den einzelnen Körpern innewohnt. […] Man könnte hier von einem Genderismus sprechen, das heißt von einer geschlechtsklassengebundenen individuellen Verhaltensweise« (ebd., S. 113). 36 Die Stereotypenforschung bestätigt eine größere Differenz im Emotionsausdruck zwischen Männern und Frauen (vgl. Plant, Hyde, Keltner & Devine, 2000), während Emotionen an sich geschlechtslos seien, da der Stereotyp, Frauen seien emotionaler als Männer, nicht bestätigt werden kann (vgl. Brody, 1999). 37 Beispiele für Krisenexperimente finden sich bei Garfinkel (1967; 1973).
Handlungstheoretische Perspektiven
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senschaft anlehnt (Abels, 2009, S. 87). Reith (2012) führt aus, dass sich der Begriff der Ethnomethodologie aus zwei Teilen zusammensetzt: Ethno meint das Alltagswissen einer Gruppe oder auch eines Volkes, wobei ausdrücklich der Alltagscharakter in den Vordergrund rückt, und weniger einen abstrakten Wissenserwerb. Der Begriff der Methodologie steht für die Anwendung des Wissens bzw. die Methode im alltäglichen Kontext: »Garfinkels Theorie nach ist es notwendig, um in diversen Situationen handeln zu können, sich erst auf eine Norm des Handelns zu einigen, die Lösung im geistigen, kognitiven Bereich zu suchen bzw. zu finden. Er spricht von Codes, welche die Gesprächs- bzw. Konversationspartner entschlüsseln können müssen.« (ebd., S. 4)
Die Ethnomethodologie speist sich dabei aus verschiedenen Konzepten der Phänomenologie (vgl. List, 1983; Patzelt, 1987). Mikroskopisch fokussiert sie kleinste Alltagssequenzen, wobei die Regelstrukturen des Alltags im Fokus des Interesses stehen. Die Ethnomethodologie hinterfragt reflektiert die alltägliche Handlungspraxis und fokussiert unbeachtete Merkmale einer Situation (Patzelt, 1987, S. 10). Sogenannte Krisenexperimente frustrieren dafür Erwartungen in Alltagssituationen und versuchen so unausgesprochene Vereinbarungen als Grundlage funktionierender Kommunikation aufzudecken: »This process, which I shall call a method of discovering agreements by eliciting or imposing a respect for the rule of practical circumstances, is a version of practical ethics. Although it has received little if any attention by social scientists, it is a matter of the most abiding and commonplace concern in everyday affairs and common sense theories of these affairs.« (Garfinkel, 1967, S. 74)
In Garfinkels Fallstudie zur Transsexualität38 »Passing and the managed achievement of sex status in an intersexed person« (Garfinkel, 1964, S. 116ff.) wird der Übergang von einem Geschlecht zum anderen betrachtet.39 Garfinkel geht davon aus, dass die Zweigeschlechtlichkeit als fundamentale Struktur allen sozialen Situationen zugrunde liegt. In unserer Gesellschaft wird die Zweigeschlechtlichkeit dabei als selbstverständlich hingenommen. Bei Zwischengeschlechtlichen entfällt diese Alltagsroutine, wie Garfinkel in seiner 38 Garfinkel wollte seine Probanden nicht mit Transsexuellen gleichgesetzt haben, sondern bezeichnet diese als zwischengeschlechtlich (intersexed). Allerdings meint er damit Transsexualität im herkömmlichen Sinne (Treibel, 2006, S. 108). 39 Biologisch betrachtet wird die Geschlechtsidentität – im Unterschied zur Geschlechtsorientierung oder geschlechtstypischem Verhalten – in der Ontogenese des Menschen über einen langen Entwicklungszeitraum bestimmt (chromosomal, hormonell, gonadal usw.). Ein chromosomales Mädchen kann durch männliche Geschlechtshormone ein männlich typisiertes Gehirn entwickeln und männliche Geschlechtsorgane ausbilden (Euler & Lenz, 2014, S. 48). Geschlechtsspezifisch lassen sich wiederum Aktivitäten in anatomisch unterschiedlichen Regionen des Gehirnstammes aufzeigen (Gur, Mozley, Mozley, Resnick, Karp, Alavi, Arnold & Gur 1995).
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Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
Agnes-Studie beispielhaft darstellt.40 Agnes wird als Frau mit männlichen Geschlechtsteilen geboren, welche später zu weiblichen Geschlechtsteilen operiert werden. In den Interviews überidentifiziert sich Agnes mit der weiblichen Geschlechterrolle, sie beruft sich darauf, immer schon eine Frau gewesen zu sein, täglich konstruiert und inszeniert sie ihre Geschlechtlichkeit neu. Geschlecht ist somit nicht bloß ein biologisch vorgegebenes Merkmal, sondern wird alltäglich über entsprechende Verhaltensweisen hervorgebracht. Dieses Doing Gender findet meist unreflektiert statt, im Fall von Agnes muss das Geschlecht allerdings immer wieder aktiv vorgeführt werden (Treibel, 2006, S. 108f.).41 Somit steht das Konzept des Doing Gender im Fokus ethnomethodologischer Forschung: »Vorrangig für die Ethnomethodologie ist die Handlung, das Verhalten. Die Frage, wie sich Männer und Frauen im Alltag verhalten, welcher Sinn und welche Zusammenhänge dahinter stehen und weniger die Subjekte selbst werden zum Forschungsgebiet erklärt.« (Reith, 2012, S. 6)
Das Konzept des Doing Gender beschreibt eine ständige, in sozialen Prozessen interaktiv hergestellte Geschlechtszugehörigkeit. Die differenten Bedeutungen von Geschlecht erwachsen dabei nicht aus den spezifischen Geschlechtszugehörigkeiten, sondern diese Geschlechtszugehörigkeiten entstehen aus den sozial-interaktiv hergestellten Bedeutungen: »Doing gender involves a complex of socially guided perceptual, interactional, and micropolitical activities that cast particular pursuits as expressions of masculine and feminine ›natures‹. When we view gender as an accomplishment, an achieved property of situated conduct, our attention shifts from matters internal to the individual and 40 »Agnes was born a boy with normal-appearing male genitals. A birth certificate was issued for a male and she was appropriately named. Until the age of seventeen she was recognized by everyone to be a boy. In the biography furnished to us over many hours of conversations, the male role was both consistently and insistently described as a difficult one and poorly managed. Her accounts exaggerated the evidences of her natural femininity and suppressed evidences of masculinity. Secondary feminine sex characteristics developed in puberty. […] In March, 1959 a castration operation was performed at U.C.L.A. in which the penis and scrotum were skinned, the penis and testes amputated, and the skin of the amputated penis used for a vagina while labia were constructed from the skin of the scrotum« (Garfinkel, 1967, S. 120f.). 41 Kessler und McKenna entwickeln in ihrer Studie zur Transsexualität »Gender. An Ethnomethodological Approach« die Ethnomethodologie Garfinkels weiter, indem sie stärker den interaktiven Charakter mit der Eigendynamik betonen. Sie unterscheiden dabei zwischen der einmaligen Geschlechtszuweisung anhand der sichtbaren Genitalien bei der Geburt und der Geschlechtszuschreibung als interaktiven Prozess (Treibel, 2006, S. 110f.). »Gender – An Ethnomethodological Approach« gehört somit »zu den ersten Arbeiten, die das Aufruhen der gesellschaftlichen Geschlechterrollen auf einem natürlichen Körper kritisch hinterfragen und damit das Verhältnis von sex und gender neu thematisieren« (Jäger, 2004, S. 28).
Handlungstheoretische Perspektiven
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focuses on interactional and, ultimately, institutional arenas. In one sense, of course, it is individuals who ›do‹ gender. But it is a situated doing, carried out in the virtual or real presence of others who are presumed to be oriented to its production. Rather than as a property of individuals, we conceive of gender as an emergent feature of social situations: both as an outcome of and a rationale for various social arrangements and as a means of legitimating one of the most fundamental divisions of society.« (West & Zimmerman, 1987, S. 126; Herv. i. Orig.)
Die Ethnomethodologie geht dabei von einer gesellschaftlich mitgestalteten Zweigeschlechtlichkeit aus, wobei sämtliche Mitglieder einer Gesellschaft die (ungleichen) Geschlechterverhältnisse aufrechterhalten (ebd., S. 53). Ein natürlich angeborenes Körpergeschlecht (als Sex im Gegenzug zu Gender) wird somit hinterfragt, da die angeblich biologisch determinierte Geschlechterzugehörigkeit mit ihren äußerlich sichtbaren Unterscheidungsmerkmalen ebenfalls erst aufgrund vorhandener sozialer und kultureller Satzungen möglich ist.42 Kessler und McKenna (1978) verdeutlichen Sex als fungiblen Begriff, der durch Gender ersetzt werden kann: »We will use gender, rather than sex, even when referring to those aspects of being a woman (girl) or man (boy) that have traditionally been viewed as biological. This will serve to emphasize our position that the element of social construction is primary in all aspects of being female or male.« (ebd., S. 7)
Individuen sind somit nicht natürlicherweise einem Geschlecht zuzuordnen, sondern werden dies erst durch entsprechendes interaktives Handeln. HagemannWhite (1988) fasst diese Einsicht in ihrer Null-Hypothese zusammen, indem sie konstatiert, dass Zweigeschlechtlichkeit nicht naturhaft ist, sondern lediglich »verschiedene kulturelle Konstruktionen von Geschlecht« existieren (S. 228). Eine Geschlechtszugehörigkeit ist aufgrund des alltagsweltlichen Wissens um die Geschlechterdualität obligatorisch. Jeder Mensch stellt dabei das eigene Geschlecht über spezifische Darstellungsressourcen, wie Kleidung oder Gestik, dar. Diese alltäglichen Sexuierungsprozesse betreffen dabei auch Objekte und Orte, denen zweigeschlechtliche Eigenschaften zugeschrieben werden. Da Menschen immer auch soziale Wesen sind, finden in Interaktionen gleichzeitig Geschlechtsattributionsprozesse statt, da in der sozialen Beziehung dem Gegenüber immer auch Geschlecht zugeschrieben wird (s. Abb. 6). Die Geschlechterzugehörigkeit setzt sich somit aus den sozialen Beziehungen zwischen den Individuen und den Beziehungen zwischen dem Individuum und den zur Darstellung verfügbaren kulturellen Ressourcen zusammen (Villa, 2011, S. 98ff.). 42 West und Zimmerman unterscheiden mit dem Konzept des Doing Gender die Geburtsklassifikation (Sex) von der alltäglichen sozialen Geschlechterzuordnung (Sex Category) und dem sozialen, in situativen Interaktionen intersubjektiv validierten Geschlecht (Gender) (Gildemeister, 2004, S. 133).
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Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
Abb. 6: Die Geschlechterzugehörigkeit (nach Hirschauer, 1989; zit. nach Villa, 2011, S. 100)
Das Doing-Gender-Konzept akzentuiert somit die interaktive Konstruktion von Geschlecht, womit diese Perspektive auf die äußeren, beobachtbaren Prozesse zwischen den Akteuren fokussiert (Kelle, 2000, S. 119). Die Darstellung von Geschlecht ist dabei »im Goffmanschen Sinne als spontane, präreflexive und verbindliche ›Zur-Schau-Stellung‹ der sozialen Ordnung im Alltag« (Villa, 2011, S. 102; Herv. i. Orig.) zu verstehen. Hirschauer (1993) beschreibt die Bedeutung des Sehens bzw. Deutens von Geschlechtszugehörigkeiten. Methoden der Geschlechtsattribution finden dabei – immer basierend auf dem binären Geschlechtssystem – präreflexiv statt, entsprechend der äußeren Erscheinungen der Teilnehmer. Nicht direkt sichtbare Geschlechtsmerkmale, wie die Genitalien oder die Brust, werden dem jeweiligen Darsteller vom Betrachter in einem interaktiv-konstruierenden Prozess zugeschrieben: »Es [Sehen] wird nicht einfach von Objekten und Sichtverhältnissen strukturiert, sondern auch von Darstellungsaktivitäten, die etwas sichtbar machen, von einem Zeichensystem, das erlaubt, auch unsichtbares ›eindeutig‹ zu erkennen, von einem Wissen, das ›unmögliche‹ Objekte aussondert oder unterdrückt und von Verpflichtungen, die Teilnehmer in einen moralischen Zusammenhang mit der sozialen Wirklichkeit stellen« (ebd., S. 32; Anm. d. Verf; Herv. i. Orig.).
Der Fokus handlungstheoretischer Perspektiven liegt somit auf der Konstruktion von Geschlecht als ein »intersubjektives, alltagsweltliches und vor allem prozesshaftes Tun von Individuen« (Villa, 2011, S. 141). Bezogen auf den sozialkonstruktivistischen Ansatz des Doing Gender macht Hopfner (2000) kritisch auf den immanenten Determinismus in dem diesem Ansatz impliziten Systemdenken aufmerksam. Da Zweigeschlechtlichkeit immer wieder interaktiv
Diskurstheoretische Perspektiven
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hervorgebracht wird, erscheint sämtliche Interaktion – unabhängig von ihrem konkreten, situativen und individuellen Verlauf – alternativlos, die binäre Struktur des sozialen Systems zu reproduzieren. Das eigenständig-freie Subjekt ist somit faktisch nicht existent, wenn sämtliche Handlungsinhalte vom System determiniert sind. Wird Geschlechterdifferenz in der mikrosoziologisch-handlungstheoretischen Perspektive als fortdauerndes Handeln und Darstellen von Personen in alltäglichen Interaktionen begriffen, kommt der Aspekt sozialer Ungleichheit hinzu, da Interaktionen in sozialen Settings und Räumen stattfinden, die ihrerseits von sozialer Ungleichheit belegt sind (Villa, 2011, S. 147). Normative Strukturen, die interaktive Darstellungen von Geschlechterdifferenzen bedingen und über Interaktionen reproduziert werden, sollen im Folgenden in diskurstheoretischen Betrachtungen zum Geschlecht dargestellt werden.
2.2
Diskurstheoretische Perspektiven
Ähnlich den (sozial-)konstruktivistischen Positionen innerhalb der Geschlechterforschung (s. Kap. 2.1) begreifen auch diskurstheoretische Perspektiven Geschlecht als Konstrukt, wobei diese Geschlechterkonstruktionen in symbolisch-diskursiven Ordnungen der Sprache, verortet sind. Diskurstheoretische und sprachtheoretische Ansätze finden sich in der Theorietradition des Poststrukturalismus, in welcher dekonstruktivistisch argumentiert wird (Villa, 2010, S. 146f.).43 Die Philosophin und Philologin Judith Butler veröffentlichte 1990 ihr Werk »Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity«, das 1991 in Deutschland unter dem Titel »Das Unbehagen der Geschlechter« erschien. Dieses poststrukturalistische Werk führte zu einer intensiven wissenschaftlichen Auseinandersetzung und Rezeption innerhalb feministischer Studien und stieß die Diskussion um neue wissenschaftliche Bereiche, wie die Gender Studies oder Queer Theory an (Jensen, 2005, S. 254). Butler (1991, S. 16) greift Foucaults Hinweis auf, dass das gesellschaftlichjuridische Machtregime nicht lediglich negativ, über regulierende und beschränkende Mechanismen die Individuen unterwerfend, charakterisiert ist. Es 43 Der Poststrukturalismus geht davon aus, dass Bedeutungen nicht der Natur immanent sind, sondern erst über Sprache als symbolisches Bedeutungssystem erschaffen werden. Sprache ist somit nicht bloß eine Abbildung der Realität, sondern stellt diese soziale Wirklichkeit auch her. Der Begriff der Dekonstruktion geht auf Derrida zurück, welcher diesen im Anschluss an Heidegger in den 1960er Jahren einführte. Ähnlich Foucaults Machtverhältnis legt Derrida binäre Gegensätze frei und macht auf die Interpendenz von Begriffen aufmerksam (Wartenpfuhl, 2000, S. 29).
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Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
zeigt ebenfalls generative Effekte, indem die Subjekte den vorstrukturierten Gegebenheiten entsprechend gebildet und reproduziert werden. Hier setzt Butler mit ihrer Kritik an den Identitätskategorien, wie dem Begriff der Frau als Subjekt des Feminismus, an. Villa (2011, S. 150) verdeutlicht, dass Butler sämtliche individuellen und kollektiven Identitätskategorien als ontologische Kategorien betrachtet, welche ein unhinterfragbares und nicht neutrales Bild von der Realität konstruieren. Die in der Unterscheidung von Sex und Gender begründete Annahme, dass weibliche oder männliche Geschlechtsidentitäten auf der anatomisch gegebenen Zweigeschlechtlichkeit basieren, lehnt Butler ab. Sie zeigt auf, dass Geschlechtsidentitäten unabhängig vom Körper nicht bloß die zwei Kategorien weiblich und männlich beinhalten müssen und sich weibliche Geschlechtsidentitäten auch auf als männlich betrachtete Körper beziehen können. Selbst das anatomische Geschlecht Sex stellt Butler als kulturell generierte Geschlechterkategorie dar, dadurch wäre die Bestimmung der Geschlechtsidentität als kulturelle Interpretation des Geschlechts obsolet (Butler, 1991, S. 22ff.)44 : »Gender ist der Apparat, durch den die Produktion und Normalisierung des Männlichen und Weiblichen vonstattengeht – zusammen mit den ineinander verschränkten hormonellen, chromosomalen, psychischen und performativen Formen, die Gender voraussetzt und annimmt.« (Butler, 2012, S. 74)
Der vordiskursiv-fraglos gegebene Körper ist bislang durch seine als natürlich anerkannte Zweigeschlechtlichkeit immer Voraussetzung für die Geschlechterkonstruktion und somit für die Geschlechterbinarität. Wird nun nach Butler das anatomische Geschlecht durch den Genderapparat ebenfalls diskursiv produziert, kann der Körper nicht ohne den sprachlichen Akt der Geschlechtszuschreibung als Subjekt anerkannt werden. Das Geschlecht wird sprachlich in den Körper eingeschrieben, was für die Existenz des Körpers in der Gesellschaft notwendig scheint, allerdings nicht der Wahrheit entsprechen muss. Binarität ist dadurch nicht die Ursache, sondern ein Effekt des Diskurses. Geschlecht wird somit bei Butler zu einem performativen Akt, da Geschlecht auf »psychischen Normen und kulturellen Praktiken« (Jäger, 2004, S. 32) basiert.45 Der Begriff Sex 44 Lück (2014) stellt dar, dass das biologische Geschlecht in Form von Intersexualität nicht immer eindeutig bestimmbar ist, was bis vor kurzem und oftmals auch weiterhin als medizinisch zu behandelnde Fehlbildung angesehen wurde und wird (als Beispiele nennt er die Gynäkomastie oder das Klinefelter-Syndrom). Dabei ließe die Intersexualität weitere Geschlechtsformen zu, wie am Beispiel der Hijra in Indien oder der Muxe und Marimachas in Mexiko. Diese leben in einem Widerspruch zwischen Sex und Gender, was in Europa als Transgender bezeichnet wird. Letztendlich fallen sie damit allerdings auch wieder in die binäre Geschlechterzuordnung, wobei diese in den genannten Ländern als drittes oder viertes Geschlecht anerkannt sind. 45 Performativität ist ein Begriff aus der Sprachakttheorie und bezeichnet die »Macht des
Diskurstheoretische Perspektiven
59
wird ebenfalls von Beginn an normativ gesetzt, das biologische Geschlecht ist ein »ideales Konstrukt, das mit der Zeit zwangsweise materialisiert wird« (Butler, 1995, S. 21).46 Dies geschieht in einem fortlaufenden Prozess, da realitätserzeugende Sprechakte immer auf existierende Bedeutungen zurückreifen; sprachliche Performativität wird somit eine »ständig wiederholende und zitierende Praxis, durch die der Diskurs die Wirkung erzeugt, die er benennt« (ebd., S. 22). Maihofer (1995, S. 41) macht darauf aufmerksam, dass Butler lediglich einen Teil von Sex als Gender bestimmt. Butler leugne nicht die materielle Realität des Körpers mit anatomisch eindeutig bestimmbar binären Geschlechtsmerkmalen. Vielmehr begreift sie den geschlechtlichen Körper nur insofern als soziales Konstrukt, als dass neutral scheinende anatomische Merkmale geschlechtsspezifisch normiert werden. Bei Butler bezeichnet Sex somit lediglich den gesellschaftlich konstituierten Geschlechtskörper. Sprache wird bei Butler zu einem Machtmittel, das Begriffe wie Subjekt oder weiblich und männlich als fraglos-determiniert erscheinen lässt, wobei das Bezeichnete erst über die performativen Akte hervorgebracht wird.47 In dem Prozess performativer Hervorbringung von Bedeutungen können eben diese Bedeutungen durch Umdeutungen verändert werden: »Die Dekonstruktion verweist auf Konstruktion: Vermeintlich Unhintergehbares ist durch gegenläufige performante Akte aufhebbar und kann sich neu formieren.« (von Sychowski, 2011, S. 13)
Die Kritik an der Bestimmung eindeutiger Geschlechterzugehörigkeiten wendet sich bei Butler ebenfalls gegen das Identitätsdenken insgesamt, welches ein abgeschlossenes, geschlechtlich festgelegtes Subjekt beschreibt. Subjekte seien hingegen prozesshaft und werden ständig (um-)gedeutet (Wartenpfuhl, 2000, S. 33). Anlehnend an Beauvoir beschreibt Butler die Geschlechtsidentität als eine performative Übernahme, wobei die Geschlechtsidentität gemeinsam mit dem Geschlecht und dem Begehren die Identität an sich stabilisiert: »Die Instituierung einer naturalisierten Zwangsheterosexualität erfordert und reguliert die Geschlechtsidentität als binäre Beziehung, in der sich der männliche Term vom weiblichen unterscheidet. Diese Differenzierung vollendet sich durch die Praktiken des heterosexuellen Begehrens. Der Akt, die beiden entgegengesetzten Momente der Binarität zu differenzieren, führt dazu, daß sich jeder der Terme festigt bzw. jeweils eine Diskurses, durch ständige Wiederholungen Wirkungen zu produzieren« (Bublitz, 2002, S. 70). 46 »Um der Kontroverse von Konstruktivismus und Essentialismus zu entkommen, schlägt Butler den Begriff der Materialisierung vor« (Wartenpfuhl, 2000, S. 32). 47 Performativität bezeichnet dabei nicht ausschließlich Sprechakte, sondern auch körperliche Vollzüge. Das Verhältnis zwischen beiden bezeichnet Butler als Chiasmus (Butler, 2012, S. 318).
60
Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
innere Kohärenz von anatomischem Geschlecht (sex), Geschlechtsidentität (gender) und Begehren gewinnt.« (Butler, 1991, S. 46)
Die Tabus des Inzests und der Homosexualität bedingen durch die binären heterosexuellen Machtstrukturen die Naturalisierung der Geschlechtsidentitäten. Diese Naturalisierung betrifft auch die entsprechenden Lüste, welche Butler in den Genitalien und den Brüsten verortet und welche entsprechend des normativen Ideals geschlechtsspezifisch angepasst werden. Die Attribute der Geschlechtsidentität sind dabei performativ (und nicht expressiv), sie konstituieren diese, wodurch keine vorgängige, geschlechtlich bestimmte Geschlechtsidentität existiert. Die konstatierenden Attribute, welche oberflächlich betrachtet die Geschlechtsidentität evident ausdrücken, verschleiern die Möglichkeiten vielfältiger, veränderbarer Geschlechtsidentitäten (ebd.). Judith Butler stellt mit ihren Überlegungen die alltagsweltlichen Annahmen zum Verhältnis von biologischem und sozialem Geschlecht infrage. So steht das soziale Geschlecht nicht in einem natürlichen Zusammenhang mit dem Körper, und eben diesen biologischen Körper bedingt keine natürlich-binäre Geschlechterdifferenz, da ihre Bedeutung selbst historisch gewachsenen Machtkontexten entspringt.48 Das Geschlecht ist somit weder anatomisch bedingt noch als stabile Geschlechtsidentität entwickelt, sondern wird über soziale Kontrollen determiniert: »Der leibliche Stil wird so zu einer Überlebensstrategie in einer Gesellschaft, in der es einen Zwang zur Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität gibt.« (Lindemann, 1994, S. 6)
Das diskursive Geschlecht bewirkt die gendergemäße Wahrnehmung des morphologischen Körpers. Ein (gegen-)geschlechtliches Begehren entwächst ebenfalls nicht zwangsläufig aus dem vergeschlechtlichten Körper.49 Butler stellt somit die konstruktivistische Frage, wie Geschlechterkörper hergestellt werden, was sie durch den kulturellen Diskurs der Heteronormativität und der gesellschaftlichen Norm, ein Mann oder eine Frau zu sein, erklärt (Gugutzer, 2004, S. 126f.): »Die diskursiven Prozesse funktionieren mittels der epistemologischen Macht, die performative Sprechakte immanent besitzen, nämlich jene Realitäten erzeugen, die sie scheinbar nur benennen. Die materialisierte Realität der Geschlechterdifferenz wird dabei maßgeblich durch die Norm der Heterosexualität geprägt.« (Villa, 2011, S. 195) 48 Für die Aufrechterhaltung der Geschlechterdifferenz vgl. Maihofer (2013) und Lindemann (2013). 49 Rappe kritisiert den Ansatz von Butler als Anything-Goes-Konzept, da er leibliche Anlagen, wie Triebe oder Mutterschaft, nicht als natürlich berücksichtigt und der Unterschied zwischen Kultur und Natur auch so verstanden werden kann, dass »der Mensch von sich aus zur Einschreibung drängt und nach ihr verlangt« (Rappe, 2005, S. 890).
Leibphänomenologische Perspektiven
61
Die radikal konstruktivistische Dekonstruktion des biologischen Geschlechtskörpers, der aus einer normativ-sozialen Setzung natürlich angenommener (Geschlechts-)Unter-schiede erwächst, führte in der Rezeption Butlers zu einigen Kontroversen. Damit verbunden ist der Vorwurf der Entkörperung in Butlers Ansatz (denn ist der Körper lediglich ein Produkt diskursiver Performativität, wird das subjektive Erleben des Geschlechtskörpers ausgeblendet), indem Butler lediglich auf die diskursive Dimension von Erfahrungen eingeht (Bublitz, 2002, S. 117).50 Der Geschlechtskörper impliziert allerdings zahlreiche unmittelbar subjektive Empfindungen. Das sinnliche Gefühl, ein bestimmtes Geschlecht zu sein, wird in der diskursiven und interaktiven Betrachtung der Geschlechterdifferenzen nicht berücksichtigt. Hier setzt die mikrosoziologische Leibphänomenologie an (Villa, 2011, S. 186).
2.3
Leibphänomenologische Perspektiven
Die zuvor dargestellten handlungs- und diskurstheoretischen Perspektiven stehen konträr zu den Alltagserfahrungen der Menschen in Bezug auf ihren Geschlechtskörper und berücksichtigen aus ihrer sozialkonstruktivistischen Sicht nicht das individuell-subjektive Gefühl, ein Geschlecht zu sein. Das emotional-sinnliche Erleben des eigenen Geschlechts, welches sich in der Geschlechterdualität verortet, wird der diskursiv hervorgebrachten Entkörperung entgegengesetzt, wodurch entsprechende Autorinnen und Autoren oftmals als biologistisch etikettiert werden (Villa, 2011, 212f.). Der Einbezug der Sinnlichkeit und des Gefühls als Geschlechterdimension wird meist vernachlässigt. Im Folgenden werden primär die Arbeiten Gesa Lindemanns für eine mikrosoziologische Leibphänomenologie betrachtet, die Plessners Konzept von der Verschränkung von Körper und Leib bzw. der exzentrischen Positionalität aufnimmt (s. Kap. 3.3.1) und körpersoziologisch verarbeitet, indem sie nicht lediglich die Körpertechniken, sondern den körperlichen Leib selbst als sozial konstruiert begreift (Jäger, 2004, S. 128). Somit rückt der »(Geschlechts-)Körper als subjektiv fühlbare Realität, als affektive Erfahrung und als haptische Wirklichkeit mit einer relativen (!) Autonomie« (Villa, 2011, S. 214) in den Fokus der Betrachtungen. Lindemann greift die ethnomethodologische (Geschlechter-)Forschung auf 50 Vgl. hierzu auch die Kritik von Duden (1993). Butler verweist hingegen darauf, dass durch den Zwangscharakter der hegemonialen Diskurse die Menschen gezwungen sind, sich nicht nur entsprechend der Diskurse zu verhalten, sondern auch wahrzunehmen (Gildemeister & Hericks, 2012, S. 214).
62
Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
und problematisiert die interaktionistische Annahme der Realitätserzeugung durch die Interaktionspartner. Unter Bezugnahme der Überlegungen zur exzentrischen Positionalität Plessners (s. Kap. 3.3.1) und der Leibtheorien von Hermann Schmitz (s. Kap. 3.3.3) kommt sie zu der Frage, »wie das Wissen über die Geschlechterdifferenz in einer gegebenen Situation i. S. sozialer Kontrolle wirksam wird und welche Bedeutung dabei der Struktur der leiblichaffektiven Erfahrung für die kontinuierliche Aufrechterhaltung der sozialen Konstruktion Geschlecht zukommt« (Lindemann, 2011, S. 38).
Lindemann stellt die Verschränkung von Leib und Kultur in den Vordergrund und wendet sich gegen die tradierte soziologische Haltung, Leiblichkeit einerseits als natürlich und vorgesellschaftlich anzusehen, gleichsam allerdings eine anatomisch bedingte Geschlechterbinarität vorauszusetzen. Die ethnomethodologische Annahme, dass Geschlechterdifferenzen immer wieder situativ neu hergestellt bzw. konstruiert werden übersieht, dass es eine feste subjektive Verankerung von Geschlecht geben muss, auf die das Doing Gender rekurriert. Erst dadurch, dass Menschen sich auch situationsübergreifend und abseits von zwischenmenschlichen Interaktionen als Geschlecht empfinden, so Lindemann, erhält die interaktive Reproduktion der Geschlechterdifferenz ihre Stabilität. Somit lege die leiblich-affektive Bindung an das eigene Geschlecht die Grundlage für die sozial konstruierte Geschlechterdifferenz als naturhafte und stabile Interaktionsweise (Villa, 2011, S. 218ff.). Lindemann stellt dar, dass die Menschen eingebunden in das soziale Feld von anderen wahrgenommen werden und über diese »Erfahrungen des Wahrgenommenwerdens« (Lindemann, 2011, S. 45) das eigene Geschlecht realisieren. Wahrgenommen wird die Geschlechterbinarität dabei immer aus einer bereits vorhandenen vergeschlechtlichten Position heraus, da eine Einteilung in Männer und Frauen und gleich- und verschiedengeschlechtliche Individuen bereits immer eine mit einem Geschlecht identifizierte Position bedingt: »In der Verleiblichung wird aus dem binären System von Mann und Frau ein System von Gleich- und Verschiedengeschlechtlichkeit.« (ebd., S. 46)
Die spezifischen Körperformen (wie Vagina, Penis, Busen, Männerbrust etc.) bedingen dabei das Leiberleben, indem sie das eigene Geschlecht in besonderer Weise spürbar werden lassen als »sozial für objektiv erachtete Beweise des Körpergeschlechts« (Villa, 2011, S. 225). In dem Zusammenhang erwähnt Lindemann explizit das heterosexuelle oder homosexuelle Begehren als leiblichaffektive Struktur, welches
Leibphänomenologische Perspektiven
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»konstitutiv ist für die Wahrnehmung anderer und seiner selbst als ein Geschlecht. Sexuelles Begehren, Evidenz des eigenen Geschlechts und die Wahrnehmung des Geschlechts anderer bedingen also einander wechselseitig« (Lindemann, 2011, S. 46).51
Um den Leibbegriff zu präzisieren, bezieht sich Lindemann neben Plessner auch auf den Leibphilosophen Hermann Schmitz (s. Kap. 3.3.3). Dessen Ansatz bedingt die zusätzliche Perspektive, dass der Leib qualitativ in eine eigene Raumstruktur eingebettet scheint und somit lediglich in Form des eigenleiblichen Spürens zugänglich ist. Dieser Leib ist dabei lediglich qualitativ beschreibbar und zwar kulturell-historisch geprägt und nicht natürlich gegeben, allerdings auch nicht ausschließlich diskursiv geformt (Jäger, 2004, S. 134f.). Aufbauend auf den Überlegungen zu den Leibesinseln52 von Schmitz stellt Lindemann dar, dass geschlechtsdefinierende Gefühle über das körperlichleibliche Spüren von für das jeweilige Geschlecht symbolhaften Stellen (Brust, Vagina, Penis) entsteht.53 Das körperlich-leibliche Spüren darf dabei nicht im Widerspruch zu den geschlechtstypischen Symbolen stehen: »Der sichtbare Körper bedeutet demnach nicht nur das Geschlecht, indem er das eigenleibliche Spüren geschlechtlich bedeutsam macht, sondern er ist zugleich eine Anforderung daran, wie der körperliche Leib gespürt werden muß.« (Lindemann, 2011, S. 63)
Die Signifikanz der Körperformen für das leibliche Geschlechterempfinden hängt davon ab, wie sozial verobjektiviert die entsprechenden Körperteile in Bezug auf Geschlechtlichkeit sind. So können signifikante Körperformen als lediglich zu einem bestimmten Geschlecht zugehörig empfunden werden, andere insignifikante Formen sind hingegen für weibliche und männliche Formen offen (s. Abb. 7). Die signifikanten, vollständigen bzw. eindeutigen Körperformen vergeschlechtlichen das leiblich-affektive Erleben eindeutig. Die insignifikanten Körperformen hingegen können geleugnet werden, wodurch sich ihre leiblich gespürte Realität ebenfalls mindert und stattdessen ihr signifikantes Gegenstück als eigenes wahrgenommen wird.54 Signifikante Körperformen
51 Anlehnend an die Überlegungen von Plessner (s. Kap. 3.3.1) wird die zentrische Position in der Sexualität besonders deutlich, da es dem Menschen unmöglich erscheint, aus der Gegenwart auszusteigen, wodurch beim Mensch das Geschlecht opportun zum Körper sein muss (Villa, 2011, S. 228). 52 Schmitz differenziert in seiner Beschreibung der Leibesinseln nicht zwischen körperlichgeschlechtsspezifischen Erfahrungen. Allerdings lässt sich mit dem Leiblichkeitsalphabet zeigen, dass »gerade in dem Gewoge verschwommener Inseln bei Mann und Frau unterschiedliche Erfahrungen zum Tragen kommen« (Gahlings, 2006, S. 148). 53 Der Penis ist bei Lindemann eine äußerst signifikante Körperform, da er in der Erregung das Begehren als Mann eindeutig sichtbar werden lässt (vgl. kritisch dazu Villa, 2011, S. 236ff.). 54 Lindemann (2011) verdeutlicht dies am Beispiel der Transsexualität.
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Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
hingegen können bezüglich ihrer Geschlechterkonstitution lediglich abgemildert, aber nicht fantasievoll umgedeutet werden (Villa, 2011, S. 239ff.).
Abb. 7: Körperformen in Opposition (Villa, 2011, S. 238)
Lindemann arbeitet die doppelte Perspektive heraus, dass jemand ein Geschlecht ist, weil die Person für andere ein Geschlecht ist und andere sie als Geschlecht wahrnehmen. Dabei nennt sie Körperscham und Begehren als wesentliche Dimensionen der leiblich-affektiven Erfahrung (Lindemann, 2011, S. 63). Über die Verschränkung von Körper und Leib wird Geschlecht somit eigenleiblich-symbolisch gespürt, gleichsam werden über diese körperlichen Symbole inkorporierte, auffordernde Empfindungs- und Aktionsprogramme strukturiert. Die Geschlechterdifferenz setzt Lindemann dabei in ein zirkuläres Verhältnis mit der Begehrensdifferenz, da sie sich wechselseitig voraussetzen und hervorbringen: »Aufgrund dieser im leiblichen Ineinanderverhaktsein gegebenen Relation haben Personen ihr Geschlecht nicht allein, vielmehr ist dieses als eine polyzentrische, leibliche Wirklichkeit zu verstehen.« (ebd., S. 292)
Plessners Konzept von der Verschränkung von Leib und Körper wird bei Lindemann zu einer Verschränkung von Leiberfahrung und Körperwissen. Das jeweilige gültige, auf Wissens- und Symbolstrukturen basierende Körperwissen bezieht sich dabei auch auf die leibliche Ebene55 : 55 Jäger (2004, S. 165) sieht in dem Konzept der Verschränkung von Körperwissen und Leiberfahrung eine verbindende Möglichkeit von phänomenologischen und poststrukturalistischen Herangehensweisen an den Leibkörper, da die Leiblichkeit mit ihrem Umweltbezug berücksichtigt wird, ohne eine biologogische Natürlichkeit des (Geschlechter-)Menschen vorauszusetzen. Der Leib erfüllt damit einmal die aktive Rolle der Handlung und Darstellung sowie auch die passiven Aspekte des Spürens und Fühlens. Das strukturelle Verhältnis von Körper und Leib ist dabei gesellschaftlich, kulturell und historisch bedingt.
Leibphänomenologische Perspektiven
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»Das Selbst in der exzentrischen Position weiß, dass es einen Körper hat. Diesen begreift es gemäß dem jeweiligen historischen Wissens über den Körper. Die Leibempfindung folgt diesem Wissen, und das leibliche Selbst erfährt sich gemäß dem Körper, den es hat« (Jäger, 2004, S. 146).
Da nach der sozialkonstruktivistischen Erkenntnistheorie Wahrnehmung und Existenz der Gegenstände einander bedingen und untrennbar miteinander verwoben sind, ist auch der Geschlechtskörper nur im Zusammenhang sozialer und sinngebender Kontexte sinnhaft. Die mikrosoziologische Phänomenologie geht dabei von einer »zirkulären Konstitutionslogik zwischen affektivem Leib und dem sozialem Körperwissen« aus, »die den Effekt bewirkt, dass Individuen sich emotional als ein Geschlecht empfinden, wobei dieses Empfinden sozial konfiguriert ist« (Villa, 2011, S. 218).56 Der Leib ist somit gesellschaftlich geformt, insofern er entsprechend affektiv gespürt wird. Soziale Konstruktionen der Wirklichkeit sind demnach immer auf einer leiblichen Ebene verankert und werden durch die Verschränkung von Leib und Körper als natürlich-apodiktisch wahrgenommen. Bezogen auf die Geschlechterordnung bedeutet dies, dass diese keinen natürlichen Ursprung haben muss, um als wirklich wahrgenommen zu werden, insofern die Individuen unmittelbar-spürend von ihr leiblich betroffen sind: »Wirklich ist die Geschlechterordnung also nicht, weil sie natürlich ist oder eine biologische Grundlage hat, sondern einzig, weil sie – nicht nur in unserer Kultur – erfolgreich in die Leib-Umwelt-Beziehung eingefügt ist.« (Lindemann, 1994; zit. nach Jäger, 2004, S. 137)
Die Frage, wie normativ-verobjektivierte Geschlechterdifferenzen zu leiblichen Erfahrungen werden und diese wiederum spezifische Vergeschlechtlichungsprozesse auslösen, erläutert Lindemann mit Überlegungen zu einer geschlechtlichen Differenz bei der Verschränkung von Körperwissen und leiblichem Erleben auf der Ebene des Begehrens. So verleiht die Vagina als Körperöffnung dem Frau-Sein zwei ausdrücklich soziale Dimensionen, welche leiblich als weiblich empfunden werden: Offenheit und Verletzungs- bzw. Schmerzempfindlichkeit.57 Männer scheinen hingegen stärker in ihrem Geschlecht verankert, da sie sich mit der relevanten Körperform des Penis auf die männliche Begehrensform festlegen. Lindemann folgert daraus, dass Frauen somit einer stärkeren Aner56 So zeigt u. a. Duden (1987) auf, dass der medizinische Diskurs im 18. Jahrhundert die Gefühle, Deutungen und Wahrnehmungen von Frauen beeinflusst und das Körperkonzept bzw. Körpererleben stark von diskursiven Strukturen geprägt ist. 57 Leibphänomenologisch wird dabei nicht erklärt, ob weiblich konnotierte Verletzungsoffenheit im Leiberleben lediglich durch bestimmte Körperöffnungen bedingt ist oder auch durch den patriarchale Strukturen (Villa, 2011, S. 245).
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Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
kennung des Frau-Seins seitens ihrer Außenwelt bedürfen – über andere affektive Interaktions-Mechanismen –, um ihr Geschlecht zu sein (Villa, 2011, S. 242ff.). Männer hingegen »können auf offensive Selbstbehauptungen zurückgreifen, die bis zur Gewalt (sich prügeln usw.) reichen können. Bedienen sich Frauen solcher Strategien, wirkt dies, so Lindemann, vermännlichend« (ebd., S. 249).58
Ausgehend von der Grundannahme einer Dualität von Leib und Körper sind körperliche Praktiken und leibliches Spüren handlungstheoretisch zu berücksichtigen: »Praxis des Körpers plus Spüren des Leibes ergibt leibliche Praktiken […], wobei hinzufügen ist, dass leibliche Praktiken sowohl soziale Ordnung herstellen als auch von sozialen Ordnungen geformt werden.« (Gugutzer, 2014, S. 101; Herv. i. Orig.)
Somit sind es »die wechselseitig aufeinander bezogenen geschlechterdifferenten leiblichen Praktiken […], in und mit denen die Geschlechterordnung hervorgebracht und stabilisiert wird« (ebd.).
Aufbauend auf den Überlegungen zum Kämpfen als wechselseitig-leibliches Aufeinanderbezogen-Sein (s. Kap. 1.2) müssen eben diese leiblichen Praktiken der Geschlechterordnung in den Fokus der vorliegenden Arbeit rücken.
2.4
Geschlecht im Kontext von Kindheit, Schule und Sport
Um den Bezug zum Kämpfen im Sportunterricht herzustellen, wird aufbauend auf den dargestellten Geschlechtertheorien nachfolgend der Lebensabschnitt des Kindes- und Jugendalters unter dem Aspekt Geschlecht beleuchtet werden. Da im Rahmen dieser Arbeit der Sportunterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen und somit die kindliche Lebenswelt fokussiert wird, werden die Geschlechtsentwicklung im Kindes- und Jugendalter sowie Geschlechtsspezifika im schulischen Kontext und Sportunterricht dargestellt.
58 Busche (2014) erörtert, dass Gewalt eine Möglichkeit darstellt, Männlichkeit zu inszenieren. Wird im kämpferischen Mit- und Gegeneinander »dieser männliche Habitus trainiert und vollendet«, so ist danach zu fragen, »ob ein ›not doing violence‹ gleichzusetzen ist mit einem ›not doing masculinity‹« (ebd., S. 227). Wäre dem so, müssen Jugendliche alternative Möglichkeiten der Männlichkeitskonstruktionen finden, abseits von Gewalt.
Geschlecht im Kontext von Kindheit, Schule und Sport
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2.4.1 Geschlechtsentwicklung im Kindes- und Jugendalter Werden als weiblich oder männlich konnotierte anatomische, physiologische und hormonelle Geschlechterunterschiede zumeist deutlich voneinander unterschieden, so sind die psychologischen und soziokulturellen Aspekte des Gender-Konzepts nicht eindeutig voneinander abgrenzbar. Senger, DeLoache und Eisenberg (2005, S. 499) stellen in einer Metaanalyse nachgewiesene psychologische Geschlechterunterschiede zusammen (s. Tab. 3). Hierbei ist zu erwähnen, dass es sich dabei lediglich um die geringe Anzahl von neun nachweisbaren Unterschieden handelt, welche zudem noch qualitativ minimal zu unterscheiden seien. Die psychologischen Ähnlichkeiten von Frauen und Männern scheinen demnach stärker als die Unterschiede. Im Folgenden sollen Perspektiven auf die Geschlechterentwicklung skizzenhaft nachgezeichnet werden. Tab. 3: Nachgewiesene psychologische Geschlechterunterschiede (Siegler et. al., 2005, S. 499) Verbale Fähigkeiten
Mädchen entwickeln verbale Fähigkeiten früher und behalten während Kindheit und Jugendalter einen leichten Vorsprung. Räumlich-visuelle Ab der mittleren Kindheit erbringen Jungen bei Fähigkeiten räumlichen Tests zu mentaler Rotation und räumlichen Schlussfolgerungen etwas bessere Leistungen. Mathematische Fähigkeit Ab der Adoleszenz sind Jungen bei mathematischen Schlüssen (aber nicht im Rechnen) gegenüber den Mädchen leicht im Vorteil. Ein größerer Vorteil zugunsten der Männer wird bei mathematisch Hochbegabten erkennbar. Aggression Schon sehr früh im Leben sind männliche Kinder aggressiver als weibliche; als Jugendliche und Erwachsene sind sich häufiger an Gewaltverbrechen beteiligt. Aktivitätsniveau Jungen sind von Geburt an körperlich aktiver als Mädchen. Angst, Zaghaftigkeit, Ab dem ersten Lebensjahr sind Jungen weniger ängstlich Risikobereitschaft und weniger vorsichtig als Mädchen, auch sind sie risikobereiter. Emotionaler Ausdruck Schon sehr früh im Leben sind Mädchen emotional ausdrucksfähiger als Jungen. Fügsamkeit Ab dem Kindergartenalter sind Mädchen gegenüber den Wünschen und Anforderungen von Erwachsenen fügsamer als Jungen. Anfälligkeit/Resistenz Ab der Befruchtung sind Jungen für ein breiteres Spektrum von Entwicklungsproblemen anfälliger. (Zusammengestellt aus Eaton& Enns, 1986; Feingold, 1994; Halpern, 1997; Maccoby & Jacklin, 1974; Ruble & Martin, 1998.)
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Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
Es existiert eine große Anzahl von differenten Perspektiven auf die (kindliche) Geschlechterentwicklung. Im Rahmen dieser Studie sind einerseits Überlegungen zur Entwicklung und Festigung des Geschlechtsleibes (Gahlings, 2006) anzustellen, wobei Leiblichkeit und Geschlechts(identitäts-)entwicklung in theoretischen Abhandlungen kaum Beachtung findet und der Leib meist als geschlechtsneutral erscheint. Im Rahmen sozial- bzw. sportwissenschaftlicher Geschlechterforschung werden primär soziale Lerntheorien bzw. sozial-kognitive Theorien rezipiert und spielen somit in diesem Forschungskontext eine übergeordnete Rolle für die Geschlechterentwicklung: »Nach der Theorie des sozialen Lernens lernen Männer und Frauen geschlechtstypische Verhaltensweisen dadurch, dass sie gleichgeschlechtliche Modelle stärker beachten und häufiger imitieren als gegengeschlechtliche Modelle. Außerdem hebt die soziale Lerntheorie hervor, dass Eltern und andere Erwachsene Geschlechtstypisierungen bei ihren Kindern oft direkt unterstützen, indem sie sie für geschlechtsangepasstes Verhalten differenziell verstärken.« (Siegler et. al. 2005, S. 518)
Folgend werden somit leibtheoretische Überlegungen, soweit sie explizit Leiblichkeit und Geschlecht aufgreifen, erwähnt, um schließlich ausführlich auf soziale bzw. sozialkonstruktivistische Theorien zur Geschlechterentwicklung einzugehen.59 Das Kind wird spätestens mit der Geburt einem Geschlecht zugeordnet, woraufhin entsprechende Sozialisationsmechanismen wirksam werden (Goffman, 1994, S. 107ff.).60 In den ersten Lebensjahren finden vielfältige intime leibliche Kontakte zwischen dem Kind und den Betreuungspersonen statt. Geschlechtsspezifisch relevant scheint zum einen, dass es auch heutzutage meist weibliche Personen sind, die als primäre Betreuungspersonen leibliche Berührungen am Kind vornehmen. Zum anderen finden bereits im frühen Kindesalter eigenständige Berührungen an der genitalen Zone statt.61 Auf diese Phase der intensiven Körperkontakte folgt mit der Reinlichkeitserziehung eine Abnahme 59 Psychoanalytische Theorien nach Freud und Erikson zur psychosexuellen und psychosozialen Entwicklung werden somit im Folgenden nicht näher betrachtet, wobei dennoch ihr unbestreitbar bedeutender Einfluss auf die Entwicklungspsychologie nicht unerwähnt bleiben soll (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2005, S. 523). 60 Entsprechende Signalfarben in Kleidung, Spielzeug, Wohnraumgestaltung etc. ermöglichen die Bekundung des Geschlechts. So ist geschlechtsneutrale Babykleidung in Warenhäusern kaum zu finden (Cornelißen & Pinhard, 2014, S. 115). Die so genannten Baby-X-Versuche verdeutlichen, dass Eltern ihre Kinder je nach zugeordnetem Geschlecht unterschiedlich wahrnehmen und einschätzen (Rendtorff, 2003, S. 57). 61 Vorerst werden diese im Rahmen von Reinigungsprozessen durch die Betreuungspersonen erfahren. Für die psychosexuelle Entwicklung scheinen Berührungen bedeutsam, über welche das Kind am eigenen Körper über die Haut und die Körperöffnungen nach und nach das eigene Geschlecht in Form von Berührungen (oder Nicht-Berührungen) wahrnimmt (Rendtorff, 2003, S. 61ff.).
Geschlecht im Kontext von Kindheit, Schule und Sport
69
des Begehrens nach leiblicher Nähe zu anderen, welches erst im Jugendalter wieder aufscheint (Gahlings, 2006, S. 612ff.). Seewald (1992) geht in seiner Abhandlung über die Bedeutung des Leibes für die frühkindliche Entwicklung von einem Zur-Welt-Sein leiblicher Wahrnehmung aus. Damit schließt er an die Leibphänomenologie Merleau-Pontys an (s. Kap. 3.3.2). Mit der Entdeckung der Geschlechtsorgane gegen Ende des zweiten Lebensjahres setzt demnach die für die eigene Geschlechtlichkeit bedeutende Leib- und Körperwahrnehmung an. Seewald begründet dies mit für dieses Alter typischen Vergleichserfahrungen. In dieser Zeit wird die »Differenz unübersehbar und explizit. Sie zwingt das Kind dazu, sich über kurz oder lang seinem Geschlecht zuzuordnen, selbst wenn es das andere für attraktiver hält« (ebd., S. 370).62
In diesem Alter greifen Kinder mit zunehmender Eigenständigkeit auf soziale Praktiken und Deutungen ihres Umfeldes ein als eine Form der »Selbst-Bildung in sozialen Praktiken« (Bilden, 1991)63 : »Kinder entwickeln neben ihrer biologischen Geschlechtsidentität auch eine psychologisch und sozial determinierte Geschlechtsrollenidentität. Damit ist das Bild gemeint, das eine Person sich von sich selbst als Junge/Mann bzw. Mädchen/Frau macht. Es beruht auf sozial vermittelten Konstruktionen, die von der biologischen Geschlechtszugehörigkeit ausgehen und männliche bzw. weibliche Personen mit sozialen Erwartungen und Zuschreibungen konfrontieren. Sie lassen sich als Geschlechterschemata, also als schematische Denkkonstruktionen bezeichnen, die unser Handeln leiten« (Alfermann, 2006, S. 70).
Kohlberg (1974) führt mit seiner kognitiven Entwicklungstheorie drei Stufen der kindlichen Entwicklung eines reifen Geschlechtsverständnisses ein. Demnach entwickeln Kinder ab dem 30. Lebensmonat eine Geschlechtsidentität, indem sie sich selbst als Mädchen oder Junge bezeichnen, dabei Geschlecht allerdings 62 Im Säuglings- und Babyalter finden sich ebenfalls Anzeichen für Geschlechterdifferenzen, welche auf grundlegend differente biologische Anlagen hindeuten. So erweisen sich Mädchen bereits im Babyalter als emotional stabiler als Jungs, wie der Baby-Stress-Test (Weinberg & Tronick, 1999) aufzeigt; gleichsam scheinen Mädchen bereits im Säuglingsalter empathischer als Jungs (Hoffmann, 2000). Baron-Cohen (2009) wies nach, dass sich der Testosteronspiegel im Mutterleib auf den Wortschatz von Kindern im Alter von 18 und 24 Monaten auswirkt und Kinder von Müttern mit hohen Testosteronwerten im Mutterleib weniger in der Lage sind, Augenkontakt herzustellen. 63 Allerdings konstatieren Cornelißen und Pinhard (2014), dass sich die kindliche Geschlechterentwicklung aufgrund der heutigen gesellschaftlichen Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse nicht mehr an eindeutigen, als stabil zu identifizierenden weiblichen oder männlichen Geschlechterrollen orientieren kann: »Die Frage kann nicht mehr sein, wie jemand ›seine‹ Geschlechtsrolle erwirbt, sondern wie Jungen und Mädchen handlungsfähige Mitglieder einer Gesellschaft werden, in der Gesellschaft auf vielfältige Weise relevant wird« (ebd., S. 114; Herv. i. Orig.).
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Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
nicht als permanent ansehen. Diese permanente Geschlechtsstabilität entwickelt sich nach Kohlberg erst ab 3–4 Jahren, wobei das Geschlecht stark von der äußeren Erscheinung abhängt und somit durch äußerliche Veränderungen variierbar scheint. Erst ab 5–7 Jahren entwickelt sich in Kohlbergs Modell eine situationsübergreifende Geschlechterkonsistenz, womit auch das gleichgeschlechtliche Modelllernen beginnt. Da jedoch bereits Kleinkinder unter drei Jahren geschlechtsspezifische Präferenzen entwickeln, ist das Kohlbergsche Modell in seinen zeitlichen Abstufungen zu relativieren. Ab dem zweiten Lebensjahr scheinen Kinder bereits rudimentäre Vorstellungen von ihrem eigenen Geschlecht zu haben und sich gegenüber dem anderen Geschlecht – primär durch körperlich sichtbare Unterschiede – abzugrenzen. Dabei orientieren sich Kinder stark an Geschlechterstereotypen, indem sie untypische Verhaltensweisen insbesondere bei Erwachsenen ablehnen und bereits die geschlechtliche Kodierung von Spielzeugen oder Berufen zuordnen können. Die (eigene) Geschlechterkonstanz scheinen Kinder erst im Grundschulalter vollständig zu erfassen (Cornelißen & Pinhard, 2014, S. 116). Bems Theorie der Geschlechterschemata (1981) greift Kohlbergs Überlegungen auf, wobei die Kinder ihr Geschlecht demnach teilweise bereits mit drei Jahren identifizieren können und ihrem Geschlecht entsprechende Interessen und Verhaltensweisen intrinsisch motiviert erwerben: »Kinder konstruieren dann Geschlechtsschemata beziehungsweise mentale Repräsentationen von allem, was sie über die Geschlechter wissen, einschließlich der Geschlechterstereotype. Sie sind intrinsisch motiviert, Interessen, Werthaltungen und Verhaltensweisen zu erwerben, die mit ihrem Geschlecht übereinstimmen – also sich selbst so zu sozialisieren, dass sie sich in Übereinstimmung mit ihrer Geschlechtsidentität verhalten.« (Siegler et. al., 2005, S. 518f.)
Bereits im Kindergartenalter zeigen Mädchen und Jungen unterschiedliche Verhaltensweisen, welche sich bei Jungen u. a. in wilden Bewegungsspielen und bei Mädchen in eher persönlichen, verbalen und emotionalen Interaktion äußern (Grammer, 1988).64 Mädchen und Jungen scheinen somit über Unterschiede im Sozialverhalten konventionelle Geschlechtsstereotype zu reproduzieren, wobei allerding das jeweilige (pädagogische) Setting in seiner räumlichen Anordnung ebenfalls Einfluss auf das Spielverhalten von Mädchen und Jungen haben kann. Dies betrifft Institutionen wie den Kindergarten oder die
64 Evolutionspsychologisch werden derartige Geschlechtsunterschiede im Spielverhalten von Kindern mit evolutionsbasierten sozialen Rollen in Verbindung gebracht (Senger, DeLoache & Eisenberg, 2005, S. 519). Das wilde Spielen tritt besonders im Vorschulalter und in der frühen Adoleszenz auf und ist interkulturell zu beobachten (Mietzel, 2002, S. 294).
Geschlecht im Kontext von Kindheit, Schule und Sport
71
Schule ebenso wie das familiäre Umfeld (Cornelißen & Pinhard, 2014, S. 117ff.).65 Im Schulalter66 wird der Geschlechterunterschied auch körperlich und motorisch deutlich sichtbar : »Im Kindesalter zeigen sich geringe oder zu vernachlässigende geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede in den energetisch determinierten (konditionellen) Fähigkeiten (aerobe und anaerobe Ausdauer, Maximal- und Schnellkraft, Kraftausdauer, Aktionsschnelligkeit), mit Eintritt in die Pubeszenz wachsen die Differenzen zwischen den Geschlechtern jedoch sprunghaft an.« (Bös & Schneider, 2006, S. 56)
So zeigen Jungen im Durchschnitt höhere athletische Fähigkeiten, was teilweise auf Übungseffekte zurückzuführen ist, teilweise allerdings auch der körperlichen Konstitution (Jungen sind meist muskulöser als Mädchen) geschuldet sein kann. Ebenfalls werden Geschlechterunterschiede innerhalb der Peerbeziehungen deutlich; so verbringen Schulkinder bis zur Sekundarstufe I ihre Zeit fast ausschließlich mit Gleichaltrigen des gleichen Geschlechts (Rossmann, 2012, S. 120). Milhoffer (2000, S. 54ff.) zeigt auf, dass ein Großteil der Kinder sich im Schulalter mit dem eigenen Geschlecht arrangiert hat und sich entsprechend wohlfühlt im eigenen Geschlechtskörper. Damit einhergehend zeigen sich klare Vorstellungen davon, was Frau-Sein oder Mann-Sein in der Gesellschaft bedeutet, wobei auf körperliche und soziale Typisierungen zurückgegriffen wird.67 Im Jugendalter stellt die Entwicklung eines inneren Bildes der eigenen Geschlechtszugehörigkeit eine wichtige Entwicklungsaufgabe dar. Diese impliziert das »Akzeptieren der veränderten körperlichen Erscheinung, Aufbau einer sozialen Bindung zu Gleichaltrigen des eigenen oder des anderen Geschlechts« und den »Aufbau einer heterosexuellen (oder auch homosexuellen) Partnerbeziehung« (Hurrelmann, 2010, S. 27).68
65 Zur Entwicklung des Kindes in einem komplexen System sozialer Verflechtungen und deren Einflüsse auf die Geschlechterentwicklung vgl. das bio-ökologische Modell bzw. den ökosystemischen Ansatz nach Bronfenbrenner (1989). 66 Schulalter meint hier die mittlere Kindheit in der Zeit vom 6. bis zum 12. Lebensjahr (Rossmann, 2012, S. 117). 67 Gesellschaften mit ausgeprägter Maskulinität und einer damit einhergehenden maximalen emotionalen und sozialen Rollendifferenzierung (Männer als hart und leistungsorientiert, Frauen als sensibel und fürsorglich) gelten als durchsetzungsfähiger und wettbewerbsorientierter (Ahnert & Haßelbeck, 2014, S. 41f.). 68 Der Vielzahl von Entwicklungsherausforderungen im Jugendalter steht lediglich ein begrenztes Repertoire an Bewältigungsstrategien gegenüber, die sich geschlechtsspezifisch unterscheiden. So seien Mädchen »aktiver, sozialer, aber auch fatalistischer in ihrer Problembewältigung als Jungen, die ihre Probleme eher wegschieben, sich durch Sport ablenken oder versuchen, sie mit Alkohol zu vergessen« (Fuhrer, 2013, S. 121).
72
Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
2.4.2 Geschlechterforschung in der Schule Die Geschlechterfrage im Kontext Schule findet sich in differenten Perspektiven wieder. So werden einerseits seit den 1960er Jahren Geschlechterdifferenzen in Bezug auf Bildungsabschlüsse und Schulerfolg untersucht, andererseits wird nach den unterschiedlichen Sozialisationswirkungen von Schule im Kontext von (Sozial-)Verhalten und Interkations- und Kommunikationsformen gefragt. Ebenfalls rücken die Lehrenden – hierbei besonders die Feminisierung des Lehrberufs – in den Blickpunkt, wobei geschlechtstypisch unterschiedliches Agieren der Lehrkräfte bisher empirisch nicht eindeutig nachzuweisen ist (Faulstich-Wieland & Horstkemper, 2012).69 Innerhalb der Debatte um Schule und Geschlecht kam es im Laufe der jüngeren Geschichte zu einem Perspektivwechsel weg von der Fokussierung auf formale Benachteiligungen von Mädchen und hin zur Diskussion um Jungen als Bildungsverlierer70, womit immer auch die Frage nach Koedukation oder Monoedukation verbunden ist (Herwartz-Emden et. al., Schurt & Waburg, 2012, S. 20; Siedenbiedel & Theurer, 2014). In der neueren Schulforschung zu Geschlechterdifferenzen sind insbesondere seit den 1990er Jahren viele Studien entstanden, welche auf der interaktionistischen Perspektive des Doing Gender (s. Kap. 2.1) beruhen (vgl. Breidenstein & Kelle, 1998; Faulstich-Wieland, Weber & Willems, 2004). Aus diesem Kontext heraus entstand die – immer noch andauernde – Koedukationsfrage und die Forderung nach einer Entdramatisierung von Geschlecht sowie gleichzeitiger Professionalisierung der Lehrkräfte bezüglich ihrer Genderkompetenz und dem reflektierten Umgang mit Geschlechterunterschieden71 (Faulstich-Wieland & Horstkemper, 2012, S. 34). 69 Schulische Leitungsfunktionen sind überwiegend männlich besetzt, die einfachen Lehrkräfte hingegen sind geschlechtlich nahezu gleich verteilt, an Grundschulen überwiegend weiblich (Cornelißen & Pinhard, 2014, S. 123f.). 70 Bereits in der Primarstufe wird offensichtlich der Grundstein für die Jungen als Bildungsverlierer gelegt. Im Rahmen der Überrepräsentanz von Jungen an Förder- und Hauptschulen und ihrer Unterrepräsentanz in höher qualifizierenden Bildungsgängen mit weniger guten Abschlusszertifikaten zeigt sich in den letzten Jahren allerdings ein gegenläufiger Trend bei jungen Männern mit steigender Anzahl von (ebenfalls steigend qualitativ besseren) Schulabschlüssen (Herwartz-Emden, Schurt & Waburg, 2012, S. 31). Unter den Jungen, die eine äußerst heterogene Leistungsgruppe stellen, erscheinen regelmäßig Jungen mit sehr hoher und solche mit sehr niedriger Intelligenz, wobei Jungen häufiger Klassen überspringen und als hochbegabt identifiziert werden als Mädchen und dennoch ein durchschnittlich geringerer Schulerfolg der Jungen registriert wird (Cornelißen & Pinhard, 2014, S. 126). 71 So zeigen verschiedene Studien besonders in der Sekundarstufe einen Vorsprung der Mädchen beim Lesen und von Jungen in Mathematik und Naturwissenschaften. Dies ist allerdings als nationales Phänomen zu betrachten und stellt sich in anderen OECD-Staaten völlig anders dar (Herwartz-Emden et al., 2012, S. 39). In diesem Zusammenhang ist auch
Geschlecht im Kontext von Kindheit, Schule und Sport
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Faulstich-Wieland und Horstkemper fordern aus einer interaktionistischen Perspektive heraus »die Aufdeckung der Konstruktionsmechanismen, mit denen Geschlechterverhältnisse in unserer Gesellschaft als hierarchische Beziehungen immer wieder neu hergestellt werden«,
denn die »Schule […] ist als wichtige Instanz individueller und gesellschaftlicher Reproduktion in komplexer Weise in diese Konstruktionsprozesse einbezogen« (ebd., S. 36).
Die folgende Untersuchung setzt hier an, indem sie die zwar differenten, aber dennoch meist rein interaktionistisch angesetzten Studien zu Geschlecht(erkonstruktionen) im Kontext Schule aufgreifen und durch eine leibkörperlichmikrosoziologische Perspektive ergänzen will. Im Folgenden soll die fachspezifische, auf den Sportunterricht bezogene Geschlechterforschung bzw. Koedukationsdebatte summarisch dargestellt werden.
2.4.3 Sport und Geschlecht »Frauen sind zum Laufen nicht geschaffen; wenn sie fliehen, dann nur, um gefangen zu werden.« (Pfister, 1998, S. 60)
Pädagogische und didaktische Erziehungskonzepte sind immer soziokulturellen Einflüssen unterworfen. Das vorangestellte Zitat verdeutlicht die Stellung der Frau als schwaches Geschlecht durch medizinisch-naturwissenschaftliche Deutungen, charakterliche Zuschreibungen und entsprechenden Folgerungen für das Turnen der Mädchen und Frauen im 19. Jahrhundert (Hartmann-Tews & Rulofs, 2010, S. 686). Neben dieser von den Naturwissenschaften geförderten Ausschlusslegitimation von Mädchen und Frauen spielt auch die von Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852) entwickelte Verknüpfung von körperlicher Ertüchtigung und Wehrfähigkeit eine Rolle für die frauenfreie Leibeserziehung, welche erst 1894 als Bestandteil der Schulbildung für Mädchen eingeführt wurde (GießStüber, 2012, S. 277).72 Doch auch der der Stereotype-Threat interessant. So konnten Danaher und Crandall (2008) in einer Studie zeigen, dass Frauen schlechter in einem Mathematiktest abschneiden, wenn sie im Vorfeld des Tests ihr Geschlecht angegeben haben, als wenn sie ihr Geschlecht im Anschluss an diesen vermerkten. Hier zeigen sich die Auswirkungen des Stereotyps Frauen sind schlechter in Mathematik als Männer in eindrücklicher Weise. 72 Zur historischen Perspektive auf Frauen im Sport, insbesondere in der Verflechtung mit der Medizin vgl. u. a. Pfister (1998).
74
Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
»moderne Sport war von Männern für Männer entwickelt worden und Frauen war der Zugang zu zahlreichen Sportarten teilweise bis zum Ende des 20. Jahrhunderts verwehrt« (Pfister, 2006, S. 26).
In den 1970er und 1980er Jahren fing die Sportwissenschaft als multidisziplinäre Wissenschaft an, Sport, Spiel und Bewegung unter dem Aspekt der Geschlechterordnung zu bearbeiten. Ziel der systematischen und wissenschaftlichen Beschäftigung mit der sozialen Geschlechterordnung im Sport war es vorerst, Ungleichheit bzw. Benachteiligung von Mädchen und Frauen in der Sportpartizipation aufzuzeigen. So wurden speziell sozialisatorische und sozialstrukturelle Defizite in der Lebenswelt der Mädchen und Frauen beschreiben, die Geschlechtsstereotypen und geschlechtsspezifische Rollenerwartungen bedingen. In den 1980er Jahren schwenkte diese defitzitorientierte Perspektive in einen Differenzansatz um, der geschlechtsspezifische Unterschiede fokussiert (Hartmann-Tews & Rulofs, 2010, S. 687). Mittlerweile beschreibt auch die Männergesundheitsforschung eine geringere Körperreflexivität gemeinsam mit körperbetont sportiven Wettkämpfen als Risikofaktoren eines schlechteren Gesundheitsstatus’ der Männer gegenüber Frauen. Gerade die Adoleszenz scheint bei Jungen als eine Lebensphase mit erhöht körperlichem Risikoverhalten: »Das körperriskante Handeln ist gewöhnlich und typischerweise in einen kollektivkompetitiven Rahmen eingebunden. Der Körper ist ein Einsatz in den ernsten Spielen des Wettbewerbs. Durch diese Rahmung erfährt das Risikohandeln seine geschlechtliche Konnotation: als Mittel der Darstellung und als Beweis der eigenen Männlichkeit im Wettstreit mit den gleichgeschlechtlichen peers.« (Meuser, 2011, S. 162)
Innerhalb der Sportwissenschaften werden vorrangig sozialwissenschaftliche und pädagogische Positionen in Bezug auf den Zusammenhang von Sport und Geschlecht rezipiert unter dem Aspekt der »fortlaufenden wechselseitigen Konstitution von sozialem Handeln und sozialen Strukturen« (Hartmann-Tews & Rulofs, 2010, S. 689). Die soziale Ordnung der Geschlechter wird dabei im Sport (re-)produziert, das Grundproblem bleibt »die Binarität, die Dichotomisierung in ein ›Entweder – Oder‹« (Gildemeister, 2011, S. 14; Herv. i. Orig.).73 Gleichsam spielt die Körperlichkeit sozialer Prozesse gerade in der Sport- und Bewegungswissenschaft eine herausragende Rolle. So bestimmen »die sozialen Strukturen im Sinne zweigeschlechtlicher Ordnung die Inkorporierung des Sozialen […] D. h. Geschlecht wird als grundlegende Strukturkategorie aufgefasst, 73 So existiert eine Vielzahl von (sozial-)konstruktivistisch geprägten Studien und Aufsätzen zum Forschungsfeld Sport und Geschlecht. Dabei werden differente Themenfelder abgedeckt, u. a. die geschlechtsspezifische Bewegungssozialisation in der (frühen) Kindheit (Hunger, 2012; 2014), sowie geschlechtsspezifische Aspekte im Leistungssport (Jansen, Baumgart, Hoppe & Freiwald, 2012), Behindertensport (Tiemann, 2007; Kemper & Treu, 2007) oder im Alter (Hartmann-Tews, Tischer & Combrink, 2012).
Geschlecht im Kontext von Kindheit, Schule und Sport
75
die den Zugang zu bestimmten Feldern oder Spielräumen eröffnen, einschränken oder sogar verschließen kann« (Sobiech, 2007, S. 25).
Blanke (2000) konstatiert auf Basis neurologischer Erkenntnisse, dass geschlechtsspezifische Bewegungserfahrungen die Identitätsentwicklung beeinflussen können, die begründet ist »durch Einlagerungen von Erfahrungen in die Bewegung. Einlagerungen […] sind lebensgeschichtlich erworben und liegen auf der Gefühlsebene.« (S. 103)
Präreflexiv sind damit als weiblich oder männlich konnotierte Kontexte auf einer Gefühlsebene verinnerlicht, was wiederum unbewusst Einfluss auf (geschlechtsspezifische) Bewegungserfahrungen hat74 : »Es ist davon auszugehen, dass der Sport sowohl die polare Geschlechterordnung konstituierende und reproduzierende, als auch dekonstruierende und auflösende Potenziale besitzt, die wiederum in ihrem Wirkungsgrad in Abhängigkeit zu den differenten Sportarten zu untersuchen sind.« (Günter, 2005, S. 55f.)
Ein geschlechtsspezifisches Bewegungsverhalten wird bereits in der (früh-) kindlichen Entwicklung von dem soziokulturellen Umfeld evoziert (Heering, Bahr & Schiek, 2000; Gieß-Strüber, 2006). Mit der Geburt bewegt sich das Kind in einem geschlechtlich vorstrukturierten Umfeld, das sich mit den impliziten und expliziten Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit auf den Körper und die Bewegung des Kindes auswirkt. Diese Erwartungen und Anforderungen der Umwelt verinnerlichen die Mädchen und Jungen allmählich mit zunehmendem Alter, gleichsam nehmen sie mit fortlaufender Entwicklung auch ihre Umwelt zweigeschlechtlich interpretierend wahr und orientieren sich an dieser Struktur (Hunger, 2014): »Mit zunehmender Bewusstheit über die eigene soziale Geschlechterzugehörigkeit suchen sich die Kinder also (auch) zu ihrem Geschlecht sozial passende Bewegungsaktivitäten, schulen damit ausgewählte Verhaltensmerkmale […], motorische Fähigkeiten etc. und üben sich in spezifischen körperbezogenen Interaktionsstilen.« (Hunger, 2012, S. 160)
Im familiären und institutionellen Umfeld zeigen sich im alltäglichen Umgang mit Jungen bereits früh tendenziell kompetitive, explorative und risikoreiche Bewegungsaktivitäten, wobei Mädchen zwar auch in diesen Bewegungskontexten agieren, allerdings in anderer Sinnausrichtung von den Erwachsenen angeleitet werden. Körperlich-kämpferische Bewegungsmuster und provokative 74 Roscher (2011) macht anhand der Überlegungen Bourdieus darauf aufmerksam, »dass das, was wir beobachten, immer gesellschaftlich und geschlechtlich geformter Habitus ist, man kann wissenschaftlich nicht auseinanderhalten, was sozial vorgeformt ist und was dem sex zukommt« (Roscher, 2011, S. 97).
76
Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
Bewegungsanreize finden sich bei Mädchen weniger häufig, was konträr zu den geschlechtsunabhängigen Erziehungsansprüchen seitens der Eltern oder Erzieherinnen und Erziehern stehen kann. Als burschikos wahrgenommene und für Jungen allgemein akzeptierte Bewegungsmuster finden sich in einem deutlich enger definierten Verhaltensrahmen als die Bewegungsmuster der Mädchen, denen ein prinzipiell breiteres Bewegungsspektrum zugestanden wird (Hunger, 2014). Jungen werden somit im Laufe ihrer Entwicklung seitens ihres Umfeldes mit männlichkeitstypisierenden Bewegungsmustern konfrontiert, was sich bereits im Alter von etwa vier Jahren im Verhalten und den verinnerlichten Erwartungen an das eigene Geschlecht zeigt. Mädchen stehen diese Bewegungsmuster ebenfalls offen, sie werden allerdings nicht aktiv dahingehend gefördert. Im Schulalter sind die meisten Mädchen entsprechend sozial angepasst und bewegungssozialisiert, sodass sie zur Abgrenzung von Jungen und zum Aufbau einer eigenen Geschlechtsidentität gewisse Bewegungsmuster nicht ausleben: »Sie wissen zwar, dass sie kämpfen und wild sein dürfen; sie wissen aber auch, dass diese Bewegungsmuster eigentlich für Jungen und nicht für Mädchen typisch sind.« (Hunger, 2012, S. 163; Herv. i. Orig.)
Neben der geschlechtsspezifischen Bewegungssozialisation im Sport greift auch die Diskussion um koedukativen Sportunterricht die (soziale) Ordnung der Geschlechter auf, da sich der Sportunterricht als (Bildungs-)Angebot für alle Schülerinnen und Schüler versteht und in der Realisierung seines kompetenzzentrierten Bildungsauftrages einer sorgfältigen Gestaltung und Berücksichtigung von Intersektionalität bedarf: »Sportunterricht ist ein Angebot der Schule für alle Schülerinnen und Schüler, sich zu bewegen und sportlich zu betätigen. Sportunterricht als schulische Veranstaltung hat darüber hinaus aber auch einen pädagogischen Auftrag. Er soll zum Beispiel den Lernenden die Kultur von Bewegung, Spiel und Sport nahe bringen, sie zur Teilnahme an und Mitgestaltung von außerschulischen Sportangeboten befähigen und motivieren, zur körperlichen Ertüchtigung beitragen und zur gesunden Lebensführung anregen. Er soll aber auch die Persönlichkeitsentwicklung der Heranwachsenden durch das Medium des ›Sich-Bewegens‹ fördern.« (Kugelmann, 2002, S. 11; Herv. i. Orig.)
2.4.4 Geschlecht in der Sportdidaktik »In der Schule ist das Fach Sport bezogen auf Gendering-Prozesse in besonderer Weise relevant, da hier Interaktionen, Bewegung und damit auch der Körper zentral sind. Der Körper ist nicht nur Bezugspunkt für sportliche Fähigkeiten und Fertigkeiten, sondern auch für Konstruktionen von ›Weiblichkeit‹ und ›Männlichkeit‹ für Zuschreibungen und Geschlechtsdarstellung.« (Gieß-Stüber, 2012, S. 277)
Geschlecht im Kontext von Kindheit, Schule und Sport
77
Die Geschlechterthematik ist innerhalb der Sportdidaktik eng verflochten mit der Koedukationsdebatte. Sie wurde in den 1950er und 1960er Jahren auf die spätestens seit Ende des 18. Jahrhunderts postulierte unterschiedliche Wesensart (physisch wie psychisch) und damit verbundenes differentes Bewegungsverhalten von Mädchen und Jungen als Begründung für einen geschlechterhomogenen Sportunterricht angewandt (Pfister, 1983, S. 73ff.). Mitte der 1970er Jahre fanden sich die ersten Überlegungen zu einem geschlechterheterogenen Sportunterricht (Funke, 1974; Buchbinder & Buchbinder, 1975; Engel & Küpper, 1975; Brodtmann & Jost, 1977).75 In den 1980er Jahren entwickelte sich schließlich eine sportwissenschaftliche Frauenforschung, die Mädchen und Frauen in einer ursprünglichen Differenz zu Männern wahrnimmt und über verschiedene Ansätze versucht, dieser Differenz gerecht zu werden. Koedukativer Sport ist zu dieser Zeit meist ausschließlich mit der Forderung verbunden ist, dass Mädchen und Frauen sich an als männlich bezeichnete sportliche Handlungsmuster anpassen müssen, wobei wiederum eine Öffnung expressiver Sportarten für Jungen und Männer meist unerwähnt bleibt (Pilz, 1983, S. 128). Erst in den 1990er Jahren werden unter dem Ansatz der Aufdeckung von Mechanismen des Doing Gender »Entwicklungsbedingungen von ›Männlichkeit‹ und ›Weiblichkeit‹ zunehmend in Relation zueinander gedacht«, womit »sozialkonstruktivistische Ansätze in den Fokus« (Gieß-Stüber, 2012, S. 274; Herv. i. Orig.) gelangen. Den Lehrkräften kommt dabei eine besondere Rolle zu, sie stehen vor der Aufgabe, geschlechtssensibel und selbstreflexiv vorzugehen (Gieß-Strüber, 2002).76 Doch Geschlecht wird im koedukativen Sportunterricht immer wieder aktualisiert, ein Wissenstransfer von auf empirischer Basis erprobten, praxisnahen Konzepten zum Sportunterricht in die Lehramtsausbildung oder Bildungspolitik erfolgt kaum (Gramespacher & Rulofs, 2007, S. 208).77 Folgen die Lehrkräfte dem Sportartenkonzept, werden meist unreflektiert Schülerinnen und Schüler bevorteilt, welche in diesen Sportarten bereits Erfahrungen gesammelt haben.78 So scheinen Jungen meist kräftiger oder schneller, obwohl die Mädchen in den unteren Klassenstufen entwicklungsbedingt oftmals größer als 75 Noch Anfang der 1980er Jahre spricht sich Söll aufgrund angeblich biologisch determinierter Differenzen zwischen Mädchen und Jungen gegen koedukativen Sportunterricht aus (Söll, 1981). 76 »Sportlehrer, du kannst vieles verderben und vieles verbessern – mußt sogar manchmal eine Art Eheberater sein.« (Diem, 1964, S. 199) 77 In den Lehrplänen von sechs Bundesländern finden sich auch Hinweise zur Monoedukation, »wenn es pädagogisch sinnvoll ist« (Faulstich-Wieland, 2011, S. 11). 78 Faulstich-Wieland (2006) schlägt als Ansatz eine reflexive Koedukation vor, um stereotypisierende Umgangsweisen mit Geschlechterdifferenzen im Sportunterricht achtsam immer wieder reflexiv zu begegnen und jedwede Benachteiligung durch die Unterrichtsgestaltung zu vermeiden.
78
Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
die Jungen sind.79 Führen die Lehrkräfte entsprechende Sonderregeln ein, um unterschiedlichen (körperlichen) Voraussetzungen gerecht zu werden, dramatisieren sie damit Geschlecht, was wiederum diskriminierende Aspekte haben kann (Gieß-Stüber, 2012, S. 279). Doch gerade im Übergang von der Primar- in die Sekundarstufe I weisen die Schülerinnen und Schüler äußerst heterogene Entwicklungsvoraussetzungen auf: »Der Übergang in weiterführende Schulen fällt in eine Phase, in der sich geschlechtsspezifische Bewegungs- und Raumerfahrungen sowie Sportinteressen von Mädchen und Jungen stärker auszuprägen beginnen.« (Küpper & Stibbe, 2004, S. 133)
Ethnografisch angelegte Studien zu geschlechtergetrenntem Sportunterricht zeigen auf, dass Lehrpersonen die Schülerinnen oder Schüler entsprechend different wahrnehmen und geschlechtsspezifisch attribuieren (vgl. Budde, Scholand & Faulstich-Wieland, 2008). Gleichsam verdeutlichen allgemeiner orientierte schulethnografische Untersuchungen, »dass der Geschlechtszugehörigkeit große Relevanz sowohl für die Identität der Kinder und Jugendlichen als auch für die soziale Situation zukommt« (Herwartz-Emden et. al., 2012, S. 72).
Trotz der gesellschaftlich und politisch weitgehend akzeptierten Relevanz von Geschlecht und den Einzug in die Lehrpläne80 existieren nur wenige empirische Daten zur Koedukation in der Schulforschung und in der Sportpädagogik, wobei besonders mit Blick auf die Grundschule von einem Forschungsdesiderat gesprochen werden kann (Frohn, 2011, S. 52). Gieß-Stüber (2012, S. 274) konstatiert, dass Geschlechterforschung in der aktuellen Sportdidaktik lediglich eine marginale Rolle spielt. So ist koedukativer Sportunterricht mittlerweile seit den 1980er Jahren in fast allen Bundesländern ein meist unhinterfragt-fester Bestandteil der Unterrichtspraxis. Dieser ist seitdem mit besonderen Hoffnungen in soziales Lernen, der Erlangung von Mündigkeit zur individuellen Positionierung gegenüber den soziokulturell tradierten (Geschlechter-)Ordnungen oder sogar mit der Hoffnung in den Abbau von Geschlechterstereotypen und Geschlechterhierarchien besetzt (vgl. Kröner, 1988; Scheffel, 1996; Bähr, Erhorn, Krieger & Wibowo, 2011; Leffler, 2011b). So soll der Sportunterricht einen Rahmen bieten, in dem sich die 79 Mädchen wachsen bis zum Alter von etwa zwölf Jahren schneller als Jungen, mit einem Entwicklungsvorsprung von ungefähr zwei Jahren. Ab dem 15. Lebensjahr stagniert das Wachstum der Mädchen und bleibt zunehmend hinter dem Wachstum der Jungen zurück (Neuendorf, 1998, S. 100). 80 Das politische Programm des Gender Mainstreaming will die Gleichstellung der Geschlechter durchsetzen, wobei es sich »ausschließlich auf die Ausprägungen der sozialen Strukturkategorie Geschlecht bezieht – und damit weder der Kontingenz von Doing Gender noch der Option des Undoing Gender Rechnung trägt« (Gramespacher, 2007, S. 89).
Zusammenfassung und Anknüpfungspunkte
79
Schülerinnen und Schüler selbst als Geschlecht erfahren können und gleichsam ihre Mitschülerinnen und Mitschüler als Mädchen oder als Jungen wahrnehmen. Zugleich sollen die Lehrkräfte Möglichkeiten geschlechtsuntypischer Körpererfahrungen schaffen (Bähr, 2007, S. 107). Diese in den koedukativen Sportunterricht gesetzten Hoffnungen wurden zum Teil zerschlagen: »Sehr bald zeigten Ergebnisse der Unterrichtsforschung und Reflexionen von Unterrichtspraxis, dass ein gemeinsames Unterrichtsangebot für Jungen und Mädchen ohne eine bewusste Auseinandersetzung mit Zielen, Inhalten und Sozialisationsbedingungen für Mädchen zu benachteiligenden, selbstwertmindernden Erfahrungen führt.« (Gieß-Stüber, 2012, S. 275)
Scheinen Wettkämpfe, welche im außerschulischen Sport zumeist geschlechtshomogen organisiert sind, im Sportunterricht Koedukation bereits zu erschweren (Wolters, 2002), so stellt sich das Kämpfen im Sportunterricht aufgrund des forciert intensiven Körperkontakts für den koedukativen Sportunterricht als besonders problematisch dar81: »Die Aufnahme von Körperkontakt kann […] im Grundschulalter […] als peinlich und unangenehm empfunden werden. Im koedukativen Sportunterricht kristallisieren sich insbesondere Berührungen in geschlechtshomogenen Jungengruppen sowie Berührungen zwischen Mädchen und Jungen als problematisch heraus.« (Menze-Sonneck, 2011, S. 121)
Monoedukation erscheint in diesem Zusammenhang allerdings nicht als die Ultima Ratio. Vielmehr – so konstatiert Faulstich-Wieland (2008, S. 691) – sollte die Entwicklung (neuer) Schulkulturen im Vordergrund stehen und mithilfe qualitativ orientierter Forschung die (re-)produzierenden Mechanismen von Differenzen weiter aufgedeckt werden.
2.5
Zusammenfassung und Anknüpfungspunkte
Soziologisch betrachtet kann die Geschlechterdifferenz nicht naturgegeben, universell und statisch sein: »Die Naturalisierung (Konstruktion der Natürlichkeit) der Geschlechterdifferenz umfasst also Prozesse der Darstellung (Hirschauer), der diskursiven Konfiguration (Butler) und der leiblichen Empfindung (Lindemann). Diese verschiedenen Dimen81 Studien zeigen ebenfalls eine Art unbewusste Hemmung der Mädchen im direkten Wettkampf gegen Jungen auf. Demnach geben Mädchen vielfach einfach auf, sobald sie im Wettkampf gegen Jungen spielen müssen, auch wenn sie objektiv überlegen sind. Wetteifer zeigen sie lediglich in geschlechterhomogenen Gruppen (Weisfeld, Weisfeld & Callaghan, 1982; Weisfeld, 1986; Rossmann, 2012, S. 120).
80
Perspektiven sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung
sionen tragen alle dazu bei, dass die Geschlechterdifferenz alltagsweltlich als natürliche Tatsache wahrgenommen wird.« (Villa, 2011, S. 267)
Die Begriffe der Konstruktion und Dekonstruktion beschreiben verschiedene theoretische Zugriffe auf die soziale Wirklichkeit von Geschlecht, welche die Einteilung in Frauen und Männer als nicht natürlich ansehen. Der feministische und geschlechtertheoretische (sozial-)konstruktivistische Zugriff äußert sich dabei in verschiedenen Zugangsformen, wie u. a. der hier vorgestellten Phänomenologie, der Wissenssoziologie, der Diskurstheorie oder der Ethnomethodologie, welche alle nach dem Wie der Geschlechterkonstruktion fragen. Die handlungstheoretischen Zugänge beschreiben dabei in Form des Doing Gender, wie Geschlecht interaktiv und institutionell geformt wird (Villa, 2012).82 Der interaktionistische Konstruktivismus verdeutlicht die Prozesse und Strukturen des Frau-oder-Mann-Werdens, wobei erste Zweifel an der vorgesellschaftlichen Unterscheidung zwischen Frau und Mann aufkommen. Der diskurstheoretische Dekonstruktivismus kritisiert schließlich die Kategorien Sex und Gender grundlegend auf einer theoretischen Ebene (Degele, 2008, S. 101).83 Dekonstruktiv-poststrukturalistische Theorien betonen sprach- und diskurstheoretische Positionen, welche von der Annahme ausgehen, dass wirklichkeitserzeugende Diskurse über Performativität als ständig wiederholende und zitierende sprachliche Äußerungen entstehen. Begriffe wie Frau oder Geschlecht sind somit performativ und somit lediglich in der empirischen Wirklichkeit existent, nicht aber theoretisch. Im Gegensatz zu handlungstheoretischen und systemtheoretischen Zugängen rückt in der feministischen Diskurstheorie das Verhältnis von »ontologischer Uneigentlichkeit und sozialer Wirkmächtigkeit« (Villa, 2012, S. 47) in den Fokus. Gesa Lindemann greift die passiv-spürende Erfahrung der Geschlechterkonstruktion auf. Gemeinsam mit den Interaktionstheoretikern Garfinkel und Goffman geht sie von einer binären Struktur der Geschlechterrealität aus, wobei Geschlecht eine soziale Konstruktion darstellt, indem »ein Individuum ein Geschlecht ist, indem es eines für andere ist« (Lindemann, 1994, S. 5). Das eigene Geschlecht muss dabei als evident erlebt bzw. gewusst werden, da auch Gleichund Verschiedengeschlechtlichkeit in Interaktionen wahrgenommen wird. Ergänzend fügt sie die Rolle affektiv-leiblicher Phänomene ein. Somit basiert 82 Auf einen Kritikpunkt ethnomethodologischer Forschung macht Keller (2012) aufmerksam: »Problematisch bleibt die eigene naiv-realistische Analyseposition, welche die spezifischen Aufmerksamkeitskriterien und Bedingungen der eigenen Beobachtungs- und Interpretationsleistung ausblendet und so tut, als könne ohne Rückgriff auf Interpretationsprozesse eine naturalistische Beschreibungen dessen, was vor sich geht, erreicht werden.« (S. 282) 83 Um die »Dichotomie von sex und gender zu überwinden und einer einseitigen Essentialisierung und Naturalisierung von Geschlecht entgegen zu wirken« (Schmitz, 2006, S. 35) wird im Folgenden ausschließlich der Begriff Geschlecht verwendet.
Zusammenfassung und Anknüpfungspunkte
81
die Stabilität der Geschlechterordnung nicht lediglich auf diskursiver oder interaktiver Konstruktion, sondern ist dauerhaft im leiblich-affektiven Empfinden der Individuen verankert, ein Geschlecht zu sein. Wie der eigene Körper gespürt wird, ist von dem Wissen über den Körper strukturiert. So existiert ein kulturell normiertes Wissen darüber, welche Körperformen welches Geschlecht symbolisieren, und Zweigeschlechtlichkeit ist im historischen Körperwissen fest verankert, wird dabei eigenleiblich erfahren und somit subjektiv real (Gugutzer, 2004, S. 104ff.). Da Kinder im Grundschulalter bereits über eine ausgeprägte Vorstellung von ihrem eigenen und dem fremden Geschlecht verfügen (s. Kap. 2.4.1), stellt sich im Kontext dieser Arbeit die Frage, inwieweit dieses Wissen bereits dauerhaft im leiblich-affektiven Empfinden der Kinder realisiert und gefestigt ist. Hieran schließt sich die Frage, ob das spielerische Kämpfen mit seinem intensiven Körperkontakt diese interaktionistisch hergestellten, diskursiv geformten und leiblich-affektiv verinnerlichten Geschlechterstereotype aufbrechen kann (wie es oftmals postuliert wird, vgl. Kap. 1.4) und wie sich dies auf die Geschlechtsidentitätsentwicklung der Kinder auswirkt.84 Scheint eine phänomenologische Betrachtung des Zweikämpfens, wie von Happ (2011, S. 15) gefordert, für eine pädagogische Grundlegung des Kämpfens im Sportunterricht notwendig und sollen geschlechtliche Praktiken der Schülerinnen und Schülern nicht lediglich aus einer interaktionistischen Perspektive, sondern konsequent unter der Berücksichtigung von Leib und Körper Berücksichtigung finden, ist es notwendig, die sozialwissenschaftliche Grundausrichtung dieser Arbeit mit der (Leib-)Phänomenologie theoretisch zu fundieren, um entsprechend methodische Schritte ableiten zu können.
84 Villa (2011) bezeichnet das Geschlecht gar als »die grundlegendste Dimension von Identität« (S. 171). Ob und wie Mädchen und Jungen allerdings im Kontext von Schule Unterstützung bei der Bewältigung von (geschlechtsspezifischen) Entwicklungsaufgaben erfahren und wie Sozialisation, Geschlecht und Schule einander beeinflussen, ist als Forschungsdesiderat anzusehen und dringend empirisch zu bearbeiten (vgl. König, Wagner & Valtin, 2011).
3
Zur (Leib-)Phänomenologie
Aufgrund der mangelhaften Beschreibung und Konstitution des Lernfeldes Kämpfen im Sportunterricht und der Fokussierung auf Geschlechtlichkeit im Zusammenhang mit eben diesem Bewegungsfeld bietet sich eine phänomenologische Soziologie an, welche »das Ding an sich« versucht zu beschreiben und eigene Abstraktionsweisen zu überprüfen (Uzarewicz, 2011, S. 172). Für den Anspruch, sinnvolle Aussagen über die Deutung emotionalen Erlebens zu machen und subjektives Fühlen von Geschlecht emotionssoziologisch auszuwerten, ist es notwendig, Begrifflichkeiten wie Fühlen oder Gefühle zu definieren und daraus die methodologischen Konsequenzen zu ziehen. Gefühle scheinen für die Wahrnehmung und Darstellung von Geschlecht relevant und sind präreflexiv-leiblich in Interaktionen eingebunden: »In konkreten Situationen sind die Gefühle immer schon verwoben mit Alltagsroutinen, mit Verhaltensweisen, Handeln, Interaktionen, in die unvermeidlich Geschlechtswahrnehmungen und Geschlechtsdarstellungen miteingehen.« (Landweer, 1997, S. 251)
Gefühle können analytisch unterschieden werden in die begleitenden körperlichen Vorgänge, welche von außen in Form mimischer, gestischer und sprachlicher Akte sichtbar werden, sowie die subjektiven Situationswahrnehmungen. Abseits von physiologischen, behavioristischen, neurologischen oder kognitivistischen Theorien soll im Folgenden die Phänomenologie bzw. phänomenologische Soziologie erläutert werden, um schließlich leiblich-affektive Erfahrungen wie das Fühlen oder die Gefühle aus einer leibbasiert-körperlichen Theorie heraus beschreiben zu können (Senge, 2013). Folgend werden differente theoretische Ansätze der Phänomenologie dargestellt, indem historisch bei Husserl begonnen und schließlich in neuen Ansätzen der Neophänomenologie geendet wird. Die zum Teil sehr umfangreichen und äußerst heterogenen Ausdifferenzierungen der Phänomenologie können im Rahmen dieser Arbeit lediglich exemplarisch, kontextbezogen und in nuce dargelegt werden. Der Schwerpunkt liegt aufgrund der bisherigen Darstellungen
84
Zur (Leib-)Phänomenologie
auf der Leibphänomenologie, welche in der Tradition Plessners und MerleauPontys besonders die Neue Phänomenologie von Schmitz meint, die grundlegend für ein neophänomenologisch-soziologisches Vorgehen, sowie für die leibtheoretischen Überlegungen Lindemanns im Rahmen der Geschlechterforschung sind.
3.1
Zurück »zu den Sachen selbst«85 – Husserls Phänomenologie
Als deskriptive Methode taucht der Begriff der Phänomenologie erstmals im 19. Jahrhundert bei Edmund Husserl (1859–1939) als universelle Wissenschaft auf, welche die Grundlage für alle weiteren Wissenschaften legen sollte (Danner, 2006).86 Die Husserlsche Phänomenologie geht vom Menschen mit einer natürlichen Weltanschauung aus, welche relative Erfahrung ausschließlich über die Sinne ermöglicht. Husserl fordert hierbei eine natürlich-alltägliche Beschreibung von als wirklich geltenden Gegenständen; die Philosophie solle somit »zu den Sachen selbst« zurückkehren (Knoblauch, 2009, S. 300). Die Phänomenologie entspricht damit einer Art deskriptiven Analyse, indem sie sich auf Vorliegendes beschränkt, was Husserl auch als radikalen Empirismus bezeichnet (Prechtl, 2002, S. 55). Eine unreflektierte Beschränkung auf die Sinne führt dazu, dass lediglich naiv Erlebnisse oder Gegenstände wahrgenommen werden können, welche vom Beobachter subjektiv mitkonstruiert werden. Erst durch einen reflexiven Prozess werden diese Erlebnisse zu Erkenntnisobjekten, indem das eigene Beobachten wiederum reflektiert wird: »Geradehin wahrnehmend erfassen wir etwa das Haus, und nicht etwa das Wahrnehmen. In der Reflexion erst ›richten‹ wir uns auf dieses selbst und sein wahrnehmungsgemäßes Gerichtet-Sein auf das Haus.« (Husserl, 2012a, S. 34; Herv. i. Orig.)
Über das Bewusstsein konstituierte Erfahrungen können von diesem Bewusstsein wiederum reflektiert werden, wodurch Erfahrungen durch den aktiven Reflexionsprozess immer auf etwas konkret Erfahrenes bestimmt werden (Knoblauch, 2009, S. 300): 85 Vgl. Koblauch (2009, S. 300). 86 Der Begriff der Phänomenologie grenzt sich somit erstmals von den vorherigen differenten Verwendungen u. a. bei Lambert, Kant, Fichte und Hegel ab (Fischer, 2012). Schmitz (1980, S. 14) ernennt bereits Descartes, mit seiner kritischen Einstellung des Nachforschens, zum Urheber der phänomenologischen Methode, welche sich über Hume und Kant bis Husserl entwickelt.
Zurück »zu den Sachen selbst« – Husserls Phänomenologie
85
»Bewusstseinserlebnisse nennt man auch intentionale, wobei aber das Wort Intentionalität dann nichts anderes als diese allgemeine Grundeigenschaft des Bewußtseins, Bewußtsein von etwas zu sein, als cogito sein cogitatum in sich zu tragen, bedeutet.« (Husserl, 2012a, S. 34)
Erkenntnis begründet sich somit erst durch den Reflexionsprozess des erkennenden Ichs (ego cogito) in Bezug auf dessen Bewusstseinsleben (cogitatio). Husserl entwirft hierbei eine Erkenntnisphilosophie, da Gegenstände und Erlebnisse nicht selbstständig existieren, sondern subjektiv über das Bewusstsein konstruiert werden, denn »Realität ist dem Subjekt nur, was ihm selbst bewusst intentional, selbst bewusst ist und selbst erscheint« (Fischer, 2012, S. 12). Da jedes Bewusstseinserlebnis auf etwas Konkretes, wie einen Gegenstand, eine Vorstellung oder ein Erlebnis, gerichtet und untrennbar mit diesem verbunden ist (Intentionalität), existieren kein reines Subjekt und Objekt.87 Die Phänomene, die damit verbundenen Bewusstseinsakte und das eigene Erleben offenzulegen und somit das bloße Schauen als naive Welterfahrung zu überwinden, liegt im Interesse der Phänomenologie, wofür Husserl Methoden zur Analyse des Bewusstseins vorstellt (Knoblauch, 2009). Zu diesen Methoden zählen Meditation, Reduktion und Epoch8.88 Die phänomenologische Methode der Reduktion will die unreflektierte und alltägliche (Lebens-)Erfahrung aufheben und zielt somit auf die reine cogitatio ab. Dies geschieht durch Epoch8 als methodische Einklammerung eines Phänomens, welche die urteilsfreie eigene Wahrnehmung fokussiert und zu einer bewussten Bezugnahme des Bewusstseins auf Erfahrungen führen soll (Fischer, 2012, S. 11): »In dieser ausgezeichneten Intentionalität konstituiert sich der neue Seinssinn, der mein monadisches Ego in seiner Selbsteigenheit überschreitet, und es konstituiert sich ein Ego nicht als Ich-Selbst, sondern als sich in meinem eigenen Ich, meiner ›Monade‹ spiegelndes. Aber das zweite Ich ist nicht schlechthin da und eigentlich selbstgegeben, sondern es ist als Alter ego konstituiert, wobei das durch diesen Ausdruck Alter ego als Moment angedeutete Ego Ich-selbst in meiner Eigenheit bin.« (Husserl, 2012, S. 94; Herv. i. Orig.)
Die Einklammerung bzw. Epoch8 soll schließlich die Bewusstseinsprozesse des Erfahrens offenlegen, indem versucht wird »diese Einklammerung der Geltung des Erfahrenen als seiend zu vollziehen.« (Knoblauch, 2009, S. 300) Die natürliche Einstellung zur Welt wird somit inhibiert, wobei nicht die Welt 87 Während bei Kant noch eine Trennung zwischen Subjekt und Objekt zu finden ist (»Das Ding an sich«), beschreibt Brentano bereits deren untrennbare Einheit (Kurt, 2002). 88 Der Begriff der Meditation ist dabei an Descartes »Meditations« angelehnt und meint einen Vorgang der Reflexion und dem Zweifel an der Existenz der erfahrenen Gegenstände (Fischer, 2012; Knoblauch, 2009).
86
Zur (Leib-)Phänomenologie
an sich, sondern das eigene Vorwissen und die Annahmen über die Welt eingeklammert werden. Hierdurch sollen die naiven Bewusstseinsakte, welche in der alltäglichen Erfassung von Gegenständlichem vollzogen werden, reflexiv erfasst werden (Prechtl, 2002, S. 54ff.).89
Abb. 8: Methodische Schritte der Phänomenologie Husserls (Danner, 2006, S. 138)
In dem vorangestellten Schema (s. Abb. 8) sind verschiedene methodische Schritte zusammengefasst, welche von der theoretischen Welt über die Epoch8 in verschiedenen Reduktionen zu einer Ebene der transzendentalen Subjektivität führen sollen.90 In einem ersten methodischen Schritt der Phänomenologie Husserls sollen die vom Menschen erschaffenen Konstrukte einer theoretischen Welt aufgedeckt und eingeklammert werden. Dies führt zu einer natürlichen Einstellung, durch 89 Die Epoch8 weist Parallelen zu religiösen Askesetechniken auf, insbesondere im Buddhismus (Kurt, 2002). 90 In seinen Cartesianischen Meditationen deutet Husserl noch eine weitere Reduktion, die Primordinale, an: »Neben der Ebene einer ›transzendentalen Subjektivität‹ soll auch die einer ›transzendentalen Intersubjektivität‹ reflektiert werden.« (Danner, 2006, S. 143; Herv. i. Orig.) Zum Primordinalen gehören sämtliche Erfahrungen und Erlebnisse unter Ausklammerung der erfahrenen anderen und der intersubjektiven Kultur. Sie ist eine Art Ausgangspunkt und mutet einer solipsistischen Welt an, von welcher aus das Sein anderer leiblich erfahren und dadurch sukzessive die Welt konstruiert wird. Eine primordinale Reduktion trennt Husserl streng von einer solipsistischen Reduktion und beschreibt eine Genesis vom »solipsistischen Ich zum Menschen einer Menschenwelt und der solipsistischen Welt zu einer aus ihr werdenden intersubjektiven menschheitlichen Welt« (Husserl, 1973, S. 51).
Zurück »zu den Sachen selbst« – Husserls Phänomenologie
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welche den Dingen und Erlebnissen vorurteilsfrei und naiv begegnet wird, so wie sie erscheinen. Die daran anschließende phänomenologische Reduktion beschreibt die Reflexion dieser naiv-vorurteilsfreien natürlichen Einstellung gegenüber der Welt, indem sich dessen enthalten und die eigenen Denkweisen distanziert betrachtet werden. Dies mündet in einer phänomenologischen Einstellung, in welcher Gegenstände oder Erlebnisse als Akte und das eigene Gerichtet-Sein auf diese – also die Intentionalität –, Gegenstand der eigenen Reflexion werden. Dabei interessieren nicht sämtliche intentionalen Gegenstände, sondern das Wesen ebendieser, das über den Reflexionsvorgang der eidetischen Reduktion erarbeitet werden soll. Das Wesen meint etwas Invariantes eines Gegenstandes, welches trotz freier Variation des vorgegebenen Phänomens unveränderlich bleibt, unabhängig davon, ob dieses Phänomen wahrgenommen, erinnert, vorgestellt etc. wird. Dieses Wesen kann spezifisch individuell oder als Allgemeines für viele dieser intentionalen Akte gültig sein. Schließlich führt ein, mit der phänomenologischen Reduktion bereits intendierter, letzter Schritt der transzendentalen Reduktion auf eine Stufe vor dem Bewusstsein und dem Ich als Betrachter in phänomenologischer Einstellung. Husserl beschreibt das transzendentale Ich, das transzendentale Ego oder die transzendentale Subjektivität, die, cartesianischen Gedanken folgend, ein Ich auf der Bewusstseinsebene vor allem Erleben und Denken bezeichnet. Hierbei ist dem Subjekt die Welt vorgegeben, und aus diesem Vorgegebensein entsteht wiederum diese selbst. Auf dieser Ebene der transzendentalen Subjektivität wird die Welt durch dieses transzendentale Ich konstituiert (Danner, 2006). Die Erfahrungen und Beschreibungen sind dabei immer leiblich, sie spielen sich im unmittelbaren Raum der eigenen Erfahrungen ab, den Husserl mit dem Begriff der Lebenswelt beschreibt, als eine präwissenschaftliche, vorurteilsfreie Welt, in der wir in einer natürlichen Einstellung leben. Dieser Raum eigener Erfahrungen gilt gleichzeitig als Bezugsgröße zur Wissenschaft, welche die Lebenswelt verdrängt und vergessen hat: »Lebenswelt gab es also für den Menschen immer schon vor der Wissenschaft, wie sie denn ihre Seinsweise auch fortsetzt in der Epoche der Wissenschaft. Also man kann das Problem der Seinsweise der Lebenswelt an und für sich vorlegen, man kann sich ganz auf den Boden dieser schlicht anschaulichen Welt stellen, alle objektiv-wissenschaftlichen Meinungen, Erkenntnisse außer Spiel lassen, um dann allgemein zu erwägen, was für ›wissenschaftliche‹, also allgemeingültig zu entscheidende Aufgaben sich hinsichtlich ihrer eigenen Seinsweise erheben.« (Husserl, 2012, S. 133; Herv. i. Orig.)
Der Begriff der Lebenswelt ist zweifach substantiiert, indem diese einerseits das empirisch greifbare und dynamische Gebilde unserer Welt mit ihren Konstruktionen beschreibt; andererseits soll durch die Wesensschau menschliche Erkenntnis offengelegt werden (Fischer, 2012, S. 11ff.).
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Zur (Leib-)Phänomenologie
Zahavi (2007, S. 91) beschreibt die Phänomenologie Husserls als eine Art »Proto- oder Metasoziologie«, welche »mit ihrem maßgeblichen Modell der menschlichen Existenz, das das Subjekt als leiblich, sozial und kulturell eingebettetes In-der-Welt-sein versteht« eine erkenntnistheoretisch-philosophische Grundlage für die Soziologie als Wissenschaft bietet. Alfred Schütz (1899–1959), ein Schüler Husserls, griff das Konzept der Lebenswelt auf und machte es für die Sozialwissenschaften fruchtbar, womit er die Grundlage für eine Phänomenologische Soziologie legte.
3.2
Schütz’ Phänomenologische Soziologie
Alfred Schütz verknüpft erstmals systematisch die Phänomenologie mit der Soziologie, wobei er sich in seinem Hauptwerk »Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt« (1932) auf die Theorien Husserls Phänomenologie und Max Webers verstehender Soziologie stützt. Im Mittelpunkt Schütz’ Betrachtung steht die Sinnzuschreibung einer Handlung, welche eben diese erst zu einer Handlung werden lässt. Hier zeigt sich die Nähe zu Webers Handlungsdefinition: »Handeln soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.« (Weber, 1972, S. 1)
Schütz (2004, S. 225ff.) unterscheidet dazu zwischen dem Erlebten und dem Erleben als kontinuierlichen Strom von Erlebnissen. Sinn konstituiert sich dabei erst durch die reflexive oder reproduktive Zuwendung auf vergangene Erlebnisse, wodurch Sinn lediglich auf bereits abgelaufene Erlebnisse rekurrieren kann. Eine Handlung entsteht somit durch die sinngebende Reflexion des Handelnden auf das eigens erlebte, abgeschlossene Tun. Da sich jegliches Handeln in einem kontinuierlichen Strom vollzieht, können nur einzelne Elemente des eigenen Handelns herausgegriffen werden, welchen sodann aus einer neuen Perspektive ein Sinn zugeschrieben wird. Diese neue Perspektive entsteht fortwährend durch ständig neues Erleben. Mit der strikten Unterscheidung zwischen dem Handeln als fortlaufende Tätigkeit und der abgeschlossenen Handlung grenzt sich Schütz von dem Zugang Max Webers ab und kritisiert dessen Ansatz zugleich: »Weber macht zwischen Handeln als Ablauf und vollzogener Handlung, zwischen dem Sinn des Erzeugens und dem Sinn des Erzeugnisses, zwischen dem Sinn eigenen und fremden Handelns, bzw. eigener und fremder Erlebnisse, zwischen Selbstverstehen und Fremdverstehen keinen Unterschied. Er fragt nicht nach der besonderen Konstitutionsweise des Sinnes für den Handelnden, nicht nach den Modifikationen, die dieser
Schütz’ Phänomenologische Soziologie
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Sinn für den Partner in der Sozialwelt oder für den außenstehenden Beobachter erfährt, nicht nach dem eigenartigen Fundierungszusammenhang zwischen Eigenpsychischem und Fremdpsychischem, dessen Aufklärung für die präzise Erfassung des Phänomens ›Fremdverstehen‹ unerläßlich ist.« (Schütz, 2004, S. 87; Herv. i. Orig.)
Aufbauend auf den Begriff des sinnhaften Handelns bei Weber (1972) beschreibt Schütz (2004, S. 97ff.) fünf verschiedene Sinnsphären. Der erste Sinnbegriff meint das Handeln als für den Handelnden sinnvolles Tun, welches sich somit vom Verhalten unterscheidet. Dieser Sinnbegriff bezieht sich auf jegliches Handeln, ob sozial oder dinglich. Das soziale – grundlegend sinnhafte – Handeln bezieht sich wiederum immer auf ein Alter Ego, also auf etwas anderes oder jemand anderen, was sogleich den zweiten Sinnbegriff markiert. Allerdings ist nicht jegliches auf ein Alter Ego bezogenes Handeln soziales Handeln. Erst wenn das eigene Verhalten in einem sinnhaften Verhältnis zu dem Verhalten des Gegenübers steht, also dessen Verhalten verstehbar ist, kann dies als soziales Handeln bezeichnet werden, was den dritten Sinnbegriff umschreibt. Die vierte Sinnschicht beschreibt, dass das soziale Handeln wechselseitig an dem Verhalten anderer orientiert ist und sich somit das eigene Verhalten auf das erwartete Verhalten anderer bezieht. Diese Sinnschichten des Alltagshandelns müssen durch den sozial Handelnden verstanden sein, damit dieser sein Verhalten auf das der anderen beziehen kann. Die Sinndeutung der sozialen Handlungen durch Mithandelnde oder Beobachtende, das verstehende Rekonstruieren des sozialen Verhaltens, ist als fünfte Sinnschicht zu kennzeichnen (ebd., S. 115ff.). Schütz’ Interesse liegt dabei auf dem nicht direkt beobachtbaren Verhalten (dem Handeln) und auf der Vorstufe des Handelns in Form eines Bewusstseinsinhaltes, der das später sichtbare Verhalten vorkonstruiert. Somit ist lediglich die Handlung sinnvoll, nicht die Erzeugnisse des Handelns oder die physisch Handelnden. Der Sinn des Handelns kann somit einzig durch die Handlung beschrieben werden, welche den Zeitpunkt vor oder nach dem Handeln bezeichnet (Richter, 2002, S. 93f.). Als eine Lebenswelt des Alltags beschreiben Schütz und Luckmann (1975, S. 23ff.) den Wirklichkeitsbereich, der in natürlicher Einstellung als gegeben hingenommen wird. Dabei wird die Existenz von Mitmenschen mit eigenem Bewusstsein und prinzipiell gleicher Bedeutungswahrnehmung der (intersubjektiven) Umwelt bzw. der Gegenstände nicht ausgeklammert; das Individuum ist sich innerhalb seiner Lebenswelt dieser durchaus bewusst. Dadurch, dass das Individuum mit seinen Mitmenschen in Beziehung treten und sich verständigen kann, muss auch eine historisch-kulturell geformte Welt als Bezugsrahmen vorgegeben sein. Der Begriff der alltäglichen Wirklichkeit der Lebenswelt wird somit ausgeweitet:
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Zur (Leib-)Phänomenologie
»So ist meine Lebenswelt von Anfang an nicht meine Privatwelt, sondern intersubjektiv ; die Grundstruktur der Wirklichkeit ist uns gemeinsam […] Die alltägliche Wirklichkeit der Lebenswelt schließt also nicht nur die von mir erfahrene ›Natur‹, sondern auch die Sozial- bzw. Kulturwelt, in der ich mich befinde, ein.« (ebd., S. 24; Herv. i. Orig.)
Die Lebenswelt als »der grundlegende Ort sinnlicher Erfahrung, das Hier und Jetzt des Leibes« (Fischer, 2012, S. 51) beschreibt somit eine phänomenologische Betrachtung des Alltags und wird durch ihr pragmatisches Prinzip lediglich bedingt reflektiert, da der Mensch in seiner natürlichen Einstellung zur Welt die eigenen Erfahrungen erst reflexiv betrachtet, wenn er in seinem Handeln auf Probleme stößt. Schütz und Luckmann (1975, S. 53ff.) beschreiben verschiedene Aufschichtungen der Lebenswelt, welche sich räumlich, zeitlich und sozial dem Subjekt erschließt. Innerhalb der räumlichen Aufschichtung der alltäglichen Lebenswelt unterscheiden Schütz und Luckmann zwischen der Welt aktueller Reichweilte und potenzieller Reichweite. Die aktuelle Reichweite meint die unmittelbare Umgebung, welche über die Sinne direkt wahrnehmbar ist. Sie ist somit der direkten Erfahrung zugänglich, ausgehend von dem aktuellen Standpunkt des eigenen Leibes, welcher über Bewegung die Schichten bzw. Reichweiten verändern kann. Sektoren hingegen, die außerhalb der unmittelbaren eigenen Reichweite liegen, werden als potenzielle Reichweiten beschrieben. Bewegt sich ein Subjekt von einem Ort zum nächsten, kann der vorherige Ort, welcher durch die eigene Erfahrung und Reichweite als vertraut wahrgenommen wird, ebenfalls wieder erreicht werden (wiederherstellbare Reichweite). Orte, die noch nicht in die eigene Reichweite gebracht wurden, von denen allerdings ausgegangen wird, dass diese erreicht werden können, sind Orte erlangbarer Reichweite. Aus sozialer Perspektive ist es möglich, die Welt nahezu aus der Perspektive des Mitmenschen wahrzunehmen, wenn die eigene räumliche Reichweite die des Mitmenschen ersetzt. Somit kann von einer gemeinsamen Umwelt gesprochen werden: »So erstreckt sich ein System räumlicher Gliederungen über die verschiedenen Schichten der Sozialwelt. Dieses System ist ein wichtiger Aspekt der sozialen Beziehungen. Es geht in die Differenzierung der Intimität und Anonymität, der Fremdheit und Vertrautheit, der sozialen Nähe und Distanz ein […]. Zugleich ist andererseits die soziale Differenzierung, nach Intimität und Anonymität usw. ein wichtiger Aspekt der subjektiven Erfahrung der räumlichen Gliederung der Lebenswelt […]. In der höchsten Stufe der sozialen Anonymität und zugleich ›Objektivität‹ konstituiert sich dann eine Welt, die potentiell für jedermann, ›willing, fit und able‹, erreichbar ist.« (ebd., S. 57f.; Herv. i. Orig.)
Schütz’ Phänomenologische Soziologie
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Die Wirkzone der Lebenswelt beschreibt eine Zone, auf welche durch direktes Handeln eingewirkt werden kann. Mit Bezug auf George Herbert Mead (1863– 1931), welcher diesen Bereich als manipulative Zone beschreibt, wird die Realität in der Welt der Reichweite über die Erfahrung von dinglichen Widerständen getestet (Fischer, 2012, S. 53f.). Über Ortsveränderungen des eigenen Leibes wird auch die Wirkzone verändert. Schütz und Luckmann (1975, S. 61) unterscheiden hierbei eine primäre Wirkzone als »dem Bereich unmittelbaren Handelns und entsprechend auch einer primären Welt in Reichweite« von einer, durch Technologien ausgeweiteter sekundären Wirkzone »und entsprechend sekundären Reichweiten« (ebd.; Herv. i. Orig.). Die zeitliche Schichtung der Lebenswelt unterteilt sich in eine Weltzeit und eine subjektive Zeit der Bewusstseinsleistung. Während die Weltzeit die allgemein vorgegebene Zeit wie Tage, Wochen, Monate oder Jahre beschreibt, baut sich die lebensweltliche Zeit »in Überschneidung der Weltzeit und der subjektiven Zeit als Bewusstseinsleistung« auf (Fischer, 2012, S. 54). Schütz und Luckmann unterscheiden drei Aspekte der lebensweltlichen Zeit: – »Fortdauer/Endlichkeit, – Zwangsläufigkeit/first things first und – Geschichtlichkeit/Situation« (Schütz & Luckmann, 1975, S. 65). Unter Fortdauer ist das Wissen über den Fortbestand der Welt, über die Existenz der Welt vor der Geburt oder nach dem Tod etc. zu verstehen, welches wiederum dem Bewusstsein der eigenen Existenz in einer intersubjektiven Welt entspringt: »Das Wissen um die Endlichkeit hebt sich von der Erfahrung der Fortdauer der Welt ab und ist das von der lebensweltlichen Zeit bestimmte Grundmoment aller Entwürfe im Rahmen des Lebensplans.« (Schütz & Luckmann, 1975, S. 63)
Mit der pragmatischen Redewendung first things first ist eine Art mittelbarer, zwangsläufiger Tagesplan gemeint. So müssen auf dem Weg zur Verwirklichung von Plänen bzw. übergeordneten Werthierarchien bestimmte Tätigkeiten nach Dringlichkeitsstufen ausgearbeitet und in zeitlicher Abfolge ausgeführt werden: »Kurz gefasst beschreibt die Welt in aktueller Reichweite die Zeitstruktur der Gegenwart.« (Fischer, 2012, S. 35)
Im Gegensatz zu dem Wissen über die unabänderliche Endlichkeit, welche auf jeden Menschen unabhängig der Generation zutrifft, tritt nun noch der Aspekt der Geschichtlichkeit/Situation der lebensweltlichen Zeit hinzu. Die historische Situation, in der sich der Einzelne befindet, ist an sich ebenfalls invariabel; allerdings unterscheidet sich diese Situation von dem Zeitalter früherer oder späterer Generationen (Schütz & Luckmann, 1975, S. 61ff.). Zeitlich strukturierte Einheiten des Bewusstseinsstroms besitzen immer
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Zur (Leib-)Phänomenologie
einen Vergangenheits- sowie Zukunftsbezug. Erfahrungen können nicht in voneinander getrennte Einheiten isoliert werden, sondern werden als ein Sinnzusammenhang wahrgenommen91: »Die Bewußtseinsspannung, die sich bei Übergängen von einem Wirklichkeitsbereich geschlossener Sinnstruktur zum anderen, aber auch in geringerem Maß bei Übergängen von einer Situation zur anderen in der alltäglichen Lebenswelt verändert, bestimmt die zeitliche Artikulierung des Bewußtseinsstroms.« (ebd., S. 71)
Davon abzugrenzen ist die biografische Artikulation, die intersubjektiv ausgebildet ist: »Der Tagesablauf ist gekennzeichnet durch die subjektive Zeit rein innerer Dauer, der Lebenslauf hingegen ist intersubjektiv ausgeformt und in der relativ natürlichen Weltanschauung festgelegt.« (Fischer, 2012, S. 55)
Die soziale Aufschichtung der Lebenswelt beschreibt die Intersubjektivität eben dieser, in der ein Handelnder, aufbauend auf gemeinsamen Erfahrungen, seine Mitmenschen als selbstverständlich hinnimmt. Der subjektiv gemeinte Sinn eines Mitmenschen kann von einem Handelnden rekonstruiert werden, indem er dessen Standpunkt übernimmt. Da der subjektive Sinnzusammenhang eines Handelnden jedoch nur ausschnitthaft erfahren werden kann, wird der Sinn einer Handlung lediglich aus Teilen zusammengesetzt und somit idealisiert. Der Beobachter konstituiert somit eine Erlebnisauswahl des Beobachteten, was Schütz als Typisierung bezeichnet, an deren Ende ein Idealtyp steht. Um Handlungen zu erklären und zu verstehen, muss der Beobachter nicht ausschließlich die Handlung selbst, sondern den Sinn einer Handlung und somit die Um-zu-Motive und Weil-Motive typisieren, die personalen Idealtypen. Je nach Erfahrung und Wissenshintergrund, den der Beobachter gegenüber den Handelnden hat, können mehr oder minder konkrete Idealtypen gebildet werden. Bezogen auf die unmittelbare Umwelt wird der Handelnde somit detailreiche Idealtypen bilden, welche außerhalb dieser bekannten Umwelt, nach Schütz der sozialen Mitwelt, anonymer und detailärmer werden. Auf der Basis der sozialen Mitwelt unterscheidet Schütz zwischen mitweltlicher und umweltlicher sozialer Beziehung (Miebach, 2006, S. 144ff.). In der mitweltlichen sozialen Beziehung gehen die Handelnden lediglich oberflächlich aufeinander ein und erfassen bzw. typisieren sich gegenseitig lediglich ausschnitthaft. Schütz bezeichnet die als mitweltliche Ihrbeziehung: »Zwei Handelnde treten genau dann in eine Ihrbeziehung, wenn sie sich erstens gegenseitig als personale Idealtypen betrachten, und zweitens den Idealtyp des anderen mit dem Idealtyp in Beziehung setzen, den sie für den anderen darstellen. Auf dieser 91 Vgl. Kinematographische Funktion des Bewusstseins nach Bergson (Schütz & Luckmann, 1975, S. 70).
Schütz’ Phänomenologische Soziologie
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Basis können die Handelnden drittens über die Relation der beiden Idealtypen reflektieren und sie unter ein gemeinsames Konzept fassen.« (ebd., S. 146).
Jedoch werden nicht in jeder Situation sämtlichen Typen berücksichtigt. Die Selektion hängt von den subjektiven thematisch orientierten Relevanzen ab. Schütz entwickelte ein Relevanzsystem, in dem er verschiedene Relevanzzonen voneinander unterscheidet. Über die Abstimmung wechselseitiger Typisierungen der Handelnden entsteht eine Kongruenz der Relevanzsysteme, was zur Generalthese der wechselseitigen Perspektiven führt (Miebach, 2006): »Die Idealisierungen der Vertauschbarkeit der Standpunkte und der Kongruenz der Relevanzsysteme bilden zusammen die Generalthese der wechselseitigen Perspektiven« (Schütz & Luckmann, 1975, S. 74; Herv. i. Orig.).
In einer Face-to-face-Beziehung nimmt ein Handelnder sein Gegenüber als DuPerson wahr, was in einer Wechselbeziehung zu einer Wir-Beziehung führt. Erfahrungen sind in dieser Beziehung wechselseitig aufeinander bezogen, Sinndeutungen des Gegenübers werden interpretiert. Eine aktuelle, unmittelbare Erfahrung der Wir-Beziehung wird später auch in einer nicht gegenwärtigen Situation erinnert, bis schließlich neues Wissen in einer gegenwärtigen Beziehung erlangt wird. Schütz und Luckmann trennen hierbei unmittelbare von mittelbaren Beziehungen, welche anonymer sind. Dabei können verschiedene Anonymitätsgrade unterschieden werden. Während die aktuellen WirBeziehungen im Hier und Jetzt geschehen, sind frühere Wir-Beziehungen, welche nun bloß erinnerte Beziehungen sind, anonymer. Ein noch höherer Anonymitätsgrad liegt bei Beziehungen zu Mitmenschen vor, welche mit aufgrund eigener Wir-Beziehungen nur vermittelt sind. Noch höhere Anonymität liegt bei der Beziehung zu Zeitgenossen vor, welche nicht leiblich anwesend sind, aber von deren persönlicher Existenz der Handelnde weiß. Den höchsten Anonymitätsgrad bilden schließlich die Beziehungen zu Zeitgenossen, deren Existenz nicht persönlich, sondern aufgrund des eigenen Wissensvorrates der Sozialwelt, gewusst bzw. typisiert wird (Fischer, 2012, S. 55ff.). Die Intersubjektivität ist bei Schütz somit anthroposophisch begründet; er geht davon aus, dass wir andere als uns ähnlich wahrnehmen: »Die Sozialität konstituiert sich durch die spezifisch kommunikativen Akte, in denen sich das Ich an Andere wendet, bewusst, dass diese Anderen diese Wende verstehen und sich an das Ich zurückwenden werden.« (Knoblauch, 2009, S. 303)
Die Teilung einer Handlung in den vorangestellten Entwurf eben dieser und dem abgeschlossenen Handeln findet sich bei Schütz ebenfalls in einer Teilung der Motivstruktur wieder (Richter, 2002, S. 95f.). Schütz unterscheidet zwischen Um-zu-Motiven und Weil-Motiven, die den Sinn einer Handlung konstituieren und somit im Vorfeld der Handlung ablaufen. So weisen die Um-zu-Motive auf
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Zur (Leib-)Phänomenologie
ein übergeordnetes Ziel oder den Zweck einer Handlung hin, der durch das Handeln erreicht werden soll. Da Handlungsentscheidungen allerdings nicht ausschließlich zweckgebunden entstehen, sondern ebenfalls vergangene Erlebnisse, Gründe und Ursachen mit einschließen, wird dieser Rückbezug auf die Vergangenheit durch die »Weil-Motive« definiert (Miebach, 2010, S. 142). Weil-Motive sind dem Beobachtenden objektiv zugänglich. Dies gilt auch für den Handelnden, wenn er sich seiner abgeschlossenen Handlung reflexiv zuwendet. Das Um-zu-Motiv und somit das vor der Handlung entworfene Ziel eben dieser Handlung ist hingegen immer subjektiv : »Subjektiv verweist auf die Absicht des Handelnden, auf seine Erfahrung, auf das, was er im ablaufenden Handeln tatsächlich als sinngebend erlebt.« (Richter, 2002, S. 96)
Schütz differenziert so zwischen dem Selbst- und Fremdverstehen sowie der wissenschaftlichen Erklärung. Innerhalb des alltäglichen Selbst- und Fremdverstehens ist es dem Beobachter möglich, sich auf Basis der Generalthesis des Alter Ego in den Handelnden durch die geteilte Umwelt und gemeinsame soziale Beziehung hineinzuversetzen und das Handeln so zu deuten, als würde der Beobachter selbst handeln. Der fehlende Erfahrungszusammenhang muss bei der wissenschaftlichen Erklärung durch methodische Regeln ersetzt werden, welche Schütz in verschiedenen Postulaten beschreibt (Schütz, 2010).92 Im Rahmen sozialwissenschaftlicher Forschung bedeutet das Postulat der subjektiven Interpretation, »daß wir immer auf die Tätigkeiten der Individuen in der Sozialwelt und auf deren Interpretation durch die Handelnden im Rahmen von Entwurfssystemen, verfügbaren Mitteln, Motiven, Relevanzen etc. verweisen können und dies bei bestimmten Theorien müssen« (Schütz, 2010, S. 366).
Schütz wirft hierbei zwei methodische Probleme für die Sozialwissenschaften überhaupt auf. Zum einen stellt sich die Frage, wie der subjektive und individuelle Sinn, der Handeln für die Handelnden hat, wissenschaftlich erfasst werden kann. Hierzu schlägt Schütz vor, dass typisierte, für die Fragestellung relevante Ereignisse untersucht und restliche Daten mit methodologischen Hilfsmitteln ceteris paribus ausgeschlossen werden. Ausschnitte der Sozialwelt werden also seitens des Wissenschaftlers konstruiert, welche typische Interaktionsmuster zeigen, welche auf ihren Sinngehalt für jeden Typen von Handelnden analysiert werden können. Ein weiteres Problem betrifft die Gütekriterien wissenschaftlicher Sozial92 Damasio (2004) erläutert, dass Wahrnehmung und Interpretation immer mit körperinternen, neurophysikalischen Prozessen verschränkt sind. Eine ähnliche physiologische Ausstattung kann somit gemeinsames Handeln, gegenseitiges Verstehen und Empathie begründen (Schnabel, 2013, S. 82).
Schütz’ Phänomenologische Soziologie
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forschung, in welcher subjektive Sinnstrukturen innerhalb des Systems des objektiven Nachvollzugs erfasst werden sollen. Hierzu geht Schütz auf die Rolle des Sozialwissenschaftlers im Feld ein (ebd.). Die Rolle des Sozialwissenschaftlers beschreibt Schütz als Beobachter in einer nahezu kontemplativen Haltung, welcher nur im Rahmen seines Forschungsinteresses kognitiv in die jeweilige Situation eingebunden. Die Relevanzstrukturen und Konstruktionen des Forschers verweisen auf das zu behandelnde Forschungsproblem und müssen bei veränderter Forschungsfrage ebenfalls angepasst und variiert werden (ebd.). Konstruktionen des Alltagsdenkens sind von den individuellen biographischen Situationen abhängig. Dies gilt für die Handelnden ebenso wie für Beobachter des Handelns, wobei »der Teilnehmer in einem Interaktionsmuster durch die Idealisierung der Reziprozität der Perspektiven geleitet wird und so seine eigenen Motive mit denen seiner Partner verbunden hält, während dem Beobachter der Handelnden nur die wahrnehmbaren Fragmente des Handelns zugänglich sind« (Schütz, 2010, S. 370).
Die Relevanzstruktur des wissenschaftlichen Beobachters wird hingegen bestimmt von der wissenschaftlichen Problemstellung. Innerhalb der wissenschaftlichen Einstellung kann er somit nicht in ein Interaktionsmuster mit einem in der Sozialwelt Handelnden treten. Ein teilnehmend einbezogener Feldforscher hingegen muss sein wissenschaftlich eingestelltes Relevanzsystem für diese Zeit außer Acht lassen und somit Modelle der gedanklichen Gegenstände der im Alltag Handelnden konstruieren, um den subjektiven Sinn menschlichen Handelns objektiv zugänglich zu machen. Hierzu formuliert Schütz (ebd., S. 374f.) drei Postulate: – das Postulat logischer Konsequenz: Im Gegensatz zu Modellkonstruktionen des Alltags, welche von inneren Einstellungen und biografischen Erfahrungen geleitet werden, müssen typische Wissenschaftskonstruktionen logisch bestimmt und in ihren Begriffsrahmen begründet werden; – das Postulat der subjektiven Interpretation: Die sozialwissenschaftlichen Modelle zweiter Ordnung müssen immer auf den subjektiven Handlungensinn erster Ordnung rekurrieren. Dazu wird ein typisches Modell, bei Schütz Homunculus, zu den Um-zu- und Weil-Motiven der Handelnden gebildet; – das Postulat der Adäquanz: Die Modellkonstruktionen bzw. Homunculus des Sozialwissenschaftlers sollen mit den Alltagskonstruktionen der Handelnden konsistent sein, also möglichst die konkrete Sinnorientierung der Akteure erfassen und somit die Handlungen wirklichkeitsnah beschreiben. Alfred Schütz versucht, mit seinen Überlegungen die Phänomenologie für die Sozialwissenschaften anwendbar zu machen. Seine theoretischen Ausarbei-
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Zur (Leib-)Phänomenologie
tungen werden vielfach aufgegriffen und u. a. von seinen Schülern Berger und Luckmann (2004) mit der Wissenssoziologie in Verbindung gebracht. Da es Anspruch dieser Arbeit ist, den Zweikampf aus einer leibkörperlichen Perspektive heraus zu betrachten, wird im Folgenden die Leibphänomenologie vorgestellt, die u. a. aus den klassischen phänomenologischen Arbeiten von Husserl und Schütz hervorgegangen ist.
3.3
Körper und Leib in der Phänomenologie
»Spiel und Bewegung stellen für Kinder grundlegende Betätigungsformen, zugleich aber auch elementare Medien ihrer Erfahrungsgewinnung und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten dar. Bewegung ist ein Grundphänomen menschlichen Lebens, der Mensch ist von seinem Wesen her darauf angewiesen. Die Bewegungsentwicklung beginnt bereits im Mutterleib, und erst mit dem Tod hört jede Bewegung auf. Der Begriff umfasst so unterschiedliche Dinge wie laufen, essen, Klavier spielen, malen und Fußball spielen; sogar Gefühle kann man als ›innere Bewegung‹ verstehen.« (Zimmer, 2013, S. 17; Herv. i. Orig.)
Die deutsche Sprache bietet mit dem Leibbegriff eine Alternative zum Begriff des Körpers an. Die objektivierende Perspektive auf den (unbelebten) Körper findet sich in der positivistisch-philosophischen Tradition der Naturwissenschaften. Der Leibbegriff als zweite Perspektive, die den eigenen spürbar-erfahrbaren Körper beschreibt, impliziert einen anderen methodischen Zugang, erlaubt dabei allerdings doch nicht »den Zugriff auf den Körper, ›so wie er an sich ist‹« (Jäger, 2004, S. 49; Herv. i. Orig.). Bewegung ist die elementare Lebensgrundlage für die Leiblichkeit und Körperlichkeit des Menschen.93 Über Bewegung vermittelt der Leib zwischen sich und der Welt, und das Ich kann sich über das Medium des Leibes der Mit- und Umwelt zuwenden (Grupe, 1982, S. 67ff.). Neben der Vermittlung zur Welt ermöglicht Bewegung auch die Wahrnehmung der Welt, gleichsam wird die Welt vom Menschen über Bewegung beeinflusst: »Wenn wir gleichwohl Bewegung in diesem Sinne als Form einer doppelten ›Vermittlung‹ zwischen dem Menschen und seiner Welt, als Erfahrungs- und Gestaltungsorgan begreifen, durch die wir auf unsere soziale und kulturelle Welt, also auf die vielfältigen Situationen, Dinge, Vorgänge, Personen und Institutionen, die uns umgeben und be93 Das Phänomen der Bewegung wird bereits seit der Antike philosophisch gedeutet. Auch in neuerer Zeit wird der Phänomenbereich und die Frage nach der Erfassung der Prozesshaftigkeit von Bewegung von Philosophen wie Kant, Hegel, Bergson oder Klages sowie der Reformpädagogik des 20. Jahrhunderts behandelt (Franke, 2010, S. 83). Zum Stellenwert der philosophischen Anthropologie in Sportpädagogik, Bewegungsforschung und Sportsoziologie vgl. Seewald (1996).
Körper und Leib in der Phänomenologie
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gegnen, gerichtet sind, dann besitzen wir in unserer Bewegung allgemein und in unserer sportlichen Bewegung speziell den zentralen Bezugspunkt für sportpädagogische Ziele und Maßnahmen.« (Grupe, 1984, S. 148)
Das dieser Arbeit zugrunde liegende Konzept von Bewegung fasst sportliche Bewegung als Sich-Bewegen auf – als einen intentionalen Akt, abseits einer objektivierend-physikalischen Begriffsbestimmung von Bewegung. Bewegung und affektives Empfinden94 hängen unmittelbar zusammen, Wahrnehmung und Bewegung beeinflussen sich gegenseitig, Empfinden und Empfundenes sind zirkulär ineinander verschränkt (Waldenfels, 2000, S. 87)95 : »Dies ist eingebunden in einen spezifischen situativen Kontext, aus dem die intentionale Ausrichtung der Situationswahrnehmung durch die Sichbewegenden Evidenz gewinnt. […] Wahrnehmen und Bewegen stehen in einem spezifischen Verhältnis zueinander, nicht als kausale Beziehung sondern […] als Koinzidenz, als ein gleichzeitiges Zusammenfallen.« (Müller & Trebels, 1996, S. 140; Herv. i. Orig.)
Sinnliche Wahrnehmungen sind niemals über die Aufteilung in einzelne Sinne beschreibbar, sondern immer als ein gesamtsinnlicher Prozess zu verstehen, der die gesamte Person betrifft: »Wir nehmen unsere Umwelt nicht mit einzelnen Sinnesorganen wahr, sondern mit unserer ganzen Person, zu der auch Gefühle, Erwartungen, Erfahrungen und Erinnertes gehören.« (Zimmer, 2012, S. 27)
Wahrnehmungen sind somit immer leiblich spürbar, wobei sich die Haltung des eigenleiblichen Spürens nicht als passiv-rezeptiv darstellt, sondern als aktives Moment, welches durch leibliche Regungen geprägt ist. »Leibliche Regungen aber sind nicht zu trennen von Bewegung, im Sinne ihres Hinaustretens in den körperlichen Umraum.« (Koll, 2007, S. 65)
Der Umraum ist durch die Einheit von Wahrnehmung und Bewegung charakterisiert. »Wahrnehmung enthält Motorik in Form von ›apperzeptiver Bewegung‹ […] und von mitempfundenen Gestaltverläufen […]. Motorik enthält Wahrnehmung, insofern sie gespürte leibliche Richtung (physiologisch vermittelt durch Körperschema und Kinästhesie) und im Tasten auf äußere Gegenwirkung trifft.« (Fuchs, 2000, 183f.)
94 »Die Benutzung des Verbs deutet darauf hin, daß es sich beim Empfinden nicht um einen Zustand handelt […], sondern um eine Art der Betätigung, um ein Geschehen, einen Prozeß.« (Waldenfels, 2000, S. 78) 95 Vgl. hierzu den Gestaltkreis bei von Weizsäcker (1940), in möglicher Anlehnung an den Funktionskreis bei von Uexküll (1928). Zum Empfinden und Sich-Bewegen vgl. Straus (1956, S. 239ff.).
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Zur (Leib-)Phänomenologie
Für Fuchs (ebd., S. 184f.) sind alle leiblichen Richtungen zugleich Bewegungsrichtungen, da der Umraum immer schon leiblich ist. Antizipierte Bewegungen entspringen dem motorischen Körperschema, das ermöglicht, Bewegungen leiblich vorauszuspüren. Sind Bewegungen hingegen nicht leiblich vorstrukturiert und nur an äußeren, relativen Orten und Abständen orientiert, führt dies zu ungerichteten Bewegungen und Störungen im Bewegungsfluss. Die Kongruenz von leiblich vorstrukturierter Bewegung mit der äußeren Situation ist somit Voraussetzung für die gerichtete Motorik. Im Richtungsraum bildet sich durch das leibliche Gerichtet-Sein auf die eigene Bewegung ebenso ein Zeitleib, da die Bewegungsantizipation immer eines zeitlichen Vorausgriffes bedarf. Im Erleben schließlich verschwimmen äußerer und innerer Raum, Enge und Weite (Hasse, 2005, S. 198). »Die Handlung, der instrumentelle Umgang mit den Dingen bedeutet ›Einleibung‹, ihre Eingliederung in das motorische und perzeptive Körperschema.« (Fuchs, 2000, S. 185; Herv. i. Orig.)
Leibliches Handeln ist somit nicht gekennzeichnet durch die dualistische Vorstellung eines innerweltlich-subjektiven Leibes, der einer objektiven Umwelt gegenübersteht. Im instrumentellen Handeln wird die Differenz von Innen und Außen aufgehoben, Leib und Umraum entsprechen einander (ebd., S. 186). Damit einher geht Merleau-Pontys (s. Kap. 3.3.2) anticartesianischer Bewegungsbegriff der motorischen Intentionalität, der leibliche Bewegung als die Bewegung und zugleich das Bewusstsein von der Bewegung beschreibt. Ähnlich wie Wittgenstein fasst Merleau-Ponty »die Einheit von Motorik, Sensorik und Denken als leibliche Bewegung oder als intentionalen Bogen. […] In diesem Zusammenspiel greifen Sinne, Verstand und Motorik ineinander, und dieses Zusammenspiel führt dazu, daß wir uns in der Welt bewegen.« (Waldenfels, 2000, S. 148)
Leibkörperliche Erfahrungen werden dem Bewusstsein lediglich über die eigenleibliche, dem Tun begleitende Wahrnehmung von Bewegungen reflexiv deutlich (Franke, 2010, S. 80). Die Bedeutung der Leiblichkeit für die Bewegung ist gerade im Kontext einer sportwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit sozialen Bewegungsphänomenen zu berücksichtigen. Die Phänomenologie bietet dafür ein begriffliches Instrumentarium, das ausgehend von verschiedenen Vertretern der Leibphänomenologie, nachfolgend dargestellt werden soll, denn seit den Anfängen nimmt die Phänomenologie auf den menschlichen Leib Bezug, der die »ganze Existenz des Subjektes, die zeitlich, räumlich und sozial eingebettet ist« (Fischer,
Körper und Leib in der Phänomenologie
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2012, S. 111) umschreibt.96 Der Leib tritt als eine Art Bindeglied zwischen dem physischen Körper und dem selbstbewussten Erleben auf; Geist und Kultur »sind in ihm verschränkt« (Waldenfels, 2000, S. 247). Der Leib ist der Lebensmittelpunkt, welcher die Außen- mit der Innenwelt verbindet. Die leibliche Intersubjektivität der Welt ist dabei grundlegend an der Identitätsentwicklung beteiligt, da sich Individuen im Alltag immer leiblich begegnen, wahrnehmen und »der sichtbare Leib für Zuschreibungen durch Andere prädestiniert ist« (Fischer, 2012, S. 108). Fuchs (2010, S. 97) beschreibt den Leib »als Resonanzraum aller Stimmungen und Gefühle, die wir empfinden« sowie als »Medium aller Wahrnehmungen, Bewegungen und Handlungen«. Der Leibbegriff meint somit nicht den biologisch-objektivierten Körper als Gegenstand in der Welt, sondern das Vermögen des Zugangs zur Welt. Für Fuchs stellt der Körper einen lebendigen Organismus dar, der sich in seiner Doppelnatur in physiologisch-neuronalen Prozessen, wie auch subjektiven Äußerungen darstellt (s. Abb. 9). Mit der Auffassung des Lebendigen unterscheidet sich der Ansatz von Fuchs damit vom körperlich-geistigen Dualismus, da Vorgänge, die dem geistig-seelischen zugeordnet werden, immer das ganze Lebewesen und somit auch physische Begebenheiten betreffen. Er beschreibt das Lebewesen als »Entität, an der sich von einer Seite her integrale (leibliche, seelische, geistige) Lebensäußerungen, von der anderen Seite her physiologische Prozesse in beliebiger Detailliertheit feststellen lassen« (ebd., S. 105).
Der subjektiv erlebte Leib steht dabei epistemologisch komplementär zum beobachtbaren Körper, wobei beide Aspekte dennoch untrennbar miteinander existieren und aufeinander verweisen. Fuchs verdeutlicht, dass beide Aspekte verschiedene Perspektiven meinen, da Lebensäußerungen aus der Innenperspektive oder Außenperspektive wahrgenommen werden können. Der Körper und seine physiologischen Prozesse hingegen lassen sich lediglich aus der Außenperspektive wahrnehmen, aus physikalischer Sicht (Gewicht, Größe etc.) und biologisch-systemischer Sicht als Organismussystem, die immer mit dem integralen Aspekt der Lebensäußerung korrespondiert. Das Physische wird dabei nicht dem Psychischen entgegengestellt, sondern ist Bestandteil des leiblichen und körperlichen Aspektes. So ist der lebendige Leib – genauso wie der Körper – physisch und kann subjektiv erlebt, von anderen als beseelt 96 Entscheidende Beiträge zu einer Leib-Phänomenologie sind bereits bei Schopenhauer und Nietzsche zu finden, wobei erst bei Husserl der Beginn der Phänomenologie verortet wird, diese allerdings als klassische Philosophie eine andere Richtung einschlug als die Phänomenologie aus der Perspektive der Leiblichkeit, welche im 20. Jahrhundert u. a. durch Vorarbeiten von Heidegger und Merleau-Ponty weiterentwickelt wurde (Rappe, 2012, S. 68).
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Abb. 9: Doppelaspekt des Lebewesens bzw. der Person (Fuchs, 2010, S. 106)
wahrgenommen, oder als physiologisch-organischer Körper betrachtet werden (ebd., S. 106ff.). Um Menschen in ihrer doppelten Gegebenheit sozialwissenschaftlich beschreiben zu können, bietet sich die Unterscheidung von Körper und Leib als methodisches Werkzeug an. Durch die phänomenologische Berücksichtigung von Körper und Leib wird der Gegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven wahrnehmbar. Die dieser Arbeit zugrundeliegende Annahme der Duplizität von Leib und Körper soll durch die Vorstellung verschiedener Anthropologien und Konzepte zur Leiblichkeit beschrieben und begründet werden, wodurch eine methodische Grundlage für die sozialwissenschaftliche Beschreibung des Phänomenbereichs des gefühlten Geschlechts geschaffen werden soll. Durch die Fokussierung auf das leibkörperlich-gefühlte Geschlecht97 bieten sich schließlich die Arbeiten der Leibesphänomenologie von Hermann Schmitz in Kombination mit Plessners Konzept der exzentrischen Positionalität an, um den Leib sozialwissenschaftlich berücksichtigen zu können. Somit soll vorerst die philosophische Anthropologie Helmuth Plessners beschrieben werden, um das Konzept der exzentrischen Positionalität zu verdeutlichen. Aufgrund der Bedeutung der Intersubjektivitätsproblematik für die Soziologie sollen daran anschließend die Überlegungen Merleau-Pontys zum leiblichen In-der-WeltSein dargestellt werden.98 Da Merleau-Ponty den Körper als Basis von Erfahrungen beschreibt, es allerdings nicht um Wahrnehmungen und Erfahrungen des Körpers selbst geht, wird schließlich die Neue Phänomenologie von Her97 In Anlehnung an Gesa Lindemann (2011). 98 Jäger (2004, S. 50f.) beschreibt Verbindungen von Poststrukturalisten wie Butler und Foucault zu Merleau-Ponty, wodurch der Poststrukturalismus der Phänomenologie nicht ausschließend gegenübersteht (Jäger, 2004, S. 50f.).
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mann Schmitz vorgestellt, der als »eigentlicher Begründer einer neuen LeibPhänomenologie gelten kann« (Rappe, 2012, S. 68) und mit seinem alltagspraktisch ausgerichteten System der Philosophie für die Beschreibung leiblicher Erfahrungen und Empfindungen von Geschlecht geeigneter und »für eine empirische Wissenschaft wie die Soziologie anschlussfähiger« (Gugutzer, 2012, S. 30) scheint.99 Da gleichsam auch der Körper nicht ausgeschlossen werden soll, wird schließlich eine neophänomenologisch-soziologisches Forschungsparadigma präsentiert, um leibkörperliche Prozesse im Rahmen dieser Arbeit adäquat zu erfassen.
3.3.1 Helmuth Plessner: Exzentrische Positionalität Der deutsche Philosoph und Soziologie Helmuth Plessner (1892–1985) unterscheidet lebendige von unlebendigen Dingen aufgrund ihrer Doppelaspektivität. So haben lebendige wie unlebendige Dinge gleiche Erscheinungsgesetzmäßigkeiten, doch weisen lebendige Körper im Gegensatz zu unbelebten Dingen eine Grenze auf, über welche eine Innen- und Außenbeziehung reguliert wird. »Körperliche Dinge der Anschauung, an welchen eine prinzipiell divergente AußenInnenbeziehung als zu ihrem Sein gehörig gegenständlich auftritt, heißen lebendig.« (Plessner, 1975, S. 89)
Diese Doppelaspektivität ist dabei immer sinnlich anschaulich als Eigenschaft am lebendigen Ding zugänglich, auch wenn sie sich wissenschaftlichen Erhebungsmethoden verschließt. Dadurch wird ein Unterschied zur Wesensschau Husserls deutlich, da jeder lebendige Körper somit auch etwas zu »Erschauendes, doch sinnlich nicht Anschaubares innehat« (Haucke, 2000, S. 52). Plessner organisiert die lebendigen Körper in drei Stufen, indem er Pflanzen, Tier und Mensch nach ihrer Positionalität anordnet: – Pflanzen sind offen organisiert, sie haben keine Zentralorgane, ihre jeweiligen Teile sind oftmals in hohem Maße selbstständig, die Pflanzen sind meist immobil und als ein fester Teil ihrer Umgebung eingegliedert; schließlich verfügen sie über kein Bewusstsein. Die Organisationsidee der offen struk99 Obwohl bereits in der 1960er Jahren entstanden, scheint das System der Philosophie von Hermann Schmitz immer noch aktuell, da Arbeiten zur Leib-Phänomenologie u. a. von Böhme, Schulte, Seewald, Gugutzer, Fuchs oder Gahlings daran anschließen bzw. die Gedanken zur Neuen Phänomenologie aufgreifen (Rappe, 2012, S. 68). Zur leibphänomenologischen Auseinandersetzung in Bezug auf Geschlecht und der Neuen Phänomenologie sind im deutschsprachigen Raum u. a. die Arbeiten von Lindemann (2011) oder Jäger (2004) zu nennen (s. Kap. 2.3).
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turierten Form beschreibt somit, dass das Wesen der Pflanze äußerlich erkennbar ist und keine versteckten Strukturen oder Bewusstseinsstände in ihr verborgen liegen (Plessner, 1975, S. 219ff.). – Tiere sind im Gegensatz zu Pflanzen geschlossen und somit zentrisch organisiert. Sie sind selbstständig und mittelbar in die Welt eingegliedert. Die quasiselbstständigen und doch spezialisierten Organe im Körper sind aufeinander gerichtet und funktionieren mithilfe eines »Einheitszentrums« (Redeker, 1993, S. 126). Die Tiere leben aus diesem Zentrum als inneren Antrieb heraus, können sich allerdings nicht auf diese Mitte beziehen. Das Selbst als raumhafte Mitte besitzt den Körper als seinen Leib. Das Tier ist Leib, es bezieht sich auf die positionale Mitte und lebt dabei ausschließlich in der Gegenwart, da es sich selbst nicht reflexiv erleben kann (Plessner, 1975, S. 232ff.).100 – Die Menschen sind körperlich ebenfalls wie die Tiere organisiert, der Körperleib ist ebenso zentralistisch. Hatte Plessner in den bisherigen Stufen vom Unbelebten zum Belebten und vom Pflanzlichen zum Tierischen die Struktur des Organismus als konstitutiv für den Bezug zur Umwelt und die Eingliederung im Lebenskreis erachtet, so ist hierbei der Unterschied vom Tier zum Menschen nicht klar gegeben (Haucke, 2000, S. 144). Nach Plessner unterscheiden sich die Tiere von den Menschen dahingehend, dass diese sich selbst bewusst und somit exzentrisch organisiert sind. Die Menschen haben im Gegensatz zu den Tieren die Fähigkeit, in ein reflexives Verhältnis zu eigenen Körperleib einzutreten. »Sein Leben aus der Mitte kommt in Beziehung zu ihm, der rückbezügliche Charakter des zentral repräsentierten Körpers ist ihm selbst gegeben. Obwohl auch auf dieser Stufe das Lebewesen im Hier und Jetzt aufgeht, aus der Mitte lebt, so ist ihm doch die Zentralität seiner Existenz bewusst geworden.« (Plessner, 1975, S. 290)
Durch den exzentrischen Blickpunkt, aus dem der Mensch außerhalb seiner selbst den eigenen Körper dinghaft betrachtet, hat er seinen Körper als Körper und ist doch zugleich immer Leib, als geschlossenes System.101 In diesem Doppelaspekt von menschlichem Körper und Leib erfährt sich der Mensch über die exzentrische Position einerseits selbst als Innenwelt und gleichzeitig als Teil einer Welt mit anderen, einer Mitwelt (Redeker, 1993, S. 151f.). 100 Das Lebendige in Form eines positionalen Zentrums ist dabei nicht als ein statisches Objekt, sondern als Vollzug zu verstehen, in Form von Veränderung, Wachstum und Dynamik (Redeker, 1993, S. 149). 101 Gugutzer (2012, S. 43) macht darauf aufmerksam, dass Plessner die Zuordnung von Leibsein und Körperhaben nicht stringent vorgenommen hat. Da Plessner von einem biologischen Leibbegriff ausgeht, der lediglich den lebendigen Körper bezeichnet, wäre es terminologisch besser in Bezug auf Plessner und in Abgrenzung zur Phänomenologie von Körpersein und Körperhaben zu sprechen.
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Leib und Körper sind bei Plessner somit in zentrischer und exzentrischer Positionalität ständig miteinander verschränkt und wechselseitig konstitutiv aufeinander bezogen. Für die Gleichzeitigkeit vom Körper und seinen sozialen Deutungen einerseits sowie dem subjektiv-individuell gespürten Körper andererseits legt »die Anthropologie Helmut Plessners und die (Leib-)Phänomenologie das bislang überzeugendste begriffliche Instrumentarium« (Villa, 2008, S. 202) vor. Während bei Plessner die Ich-Perspektive als Leib im instrumentalisierten Körper beschrieben wird, dreht Merleau-Ponty diese Perspektive um, indem sich das Ich auf die Leistungen des Leibes als Vor-Ich gründet: »Wird die Verschränkung von Leib und Körper bei Plessner aus der exzentrischen Positionsform gattungstechnisch abgeleitet und insofern als Seinsweise begründet, so erscheint sie bei Merleau-Ponty als Produkt des objektivierenden Denkens, das sich auf die Ambiguität der menschlichen Existenz stützt.« (Seewald, 1996, S. 32)
3.3.2 Merleau-Ponty: Leibliches In-der-Welt-Sein Der Franzose Maurice Merleau-Ponty (1908–1968) stellt die sensomotorische Leiblichkeit in den Mittelpunkt der Sinnbildung. Ausgehend von Husserls Leibbegriff unter transzendentaler Fragestellung stellt Merleau-Ponty den Leib als existenzielles Medium des Erkennens dar. Wahrnehmung ist bei MerleauPonty eine leibliche Erfahrung, wodurch die »phänomenologische Beschreibung nur aus subjektiver Perspektive von Wahrnehmung durch den Wahrnehmenden selbst erfolgen kann« (Fischer, 2012, S. 19). Über den Leib wird die räumliche und dingliche Welt erfahren. Die Sozialwelt steht dabei in einem untrennbaren Bezug zu dem Menschen als Subjekt, der auf Anreize der physischen und sozialen Welt reagiert. Einem Dualismus vom Leib als eigenes Inneres und der Verdinglichung des Leibes als Leib unter anderen setzt Merleau-Ponty dessen Einheit entgegen, da der »Ursprungsort des Gegenstandes im Ursprung unserer Erfahrung selbst aufzusuchen« sei (Merleau-Ponty, 1966, S. 96).102 Über die Leiblichkeit lässt sich somit auch der primordinale Sinn erfassen, da der Mensch die Welt über den Leib präreflexiv erfährt, wodurch diese Welt zu einer ständig leiblich interpretierten Welt wird. Merleau-Ponty legt den Leib als natürliches Ich aus, das vor dem personalen Ich Sinnstrukturen entwirft und Sinn stiftet. Der phänomenale Leib trägt dabei eine habituelle sowie eine aktuelle Schicht in sich, als spezifische, nichtkognitive 102 Ein dualistisches Verständnis vom Leib findet sich u. a. in Jean-Paul Sartres Leibinterpretation (1976).
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Formen des Wissens. Während sich der habituelle Leib auf das vorgängig erworbene und gewohnte In-der-Welt-Sein richtet, steht in einem Spannungsverhältnis dazu der aktuelle Leib, der sich auf das Jetzt-und-Hier im In-der-WeltSein bezieht. Das Zur-Welt-Sein (s. Kap. 2.4.1) ist für Merleau-Ponty zwischen reiner Subjektivität und bloßer Objektivität anzusiedeln, das Subjekt ist gleichsam sein Körper, seine Welt und seine Situation (Bermes, 1998, S. 80ff.). Das Subjekt ist somit untrennbar mit seiner Umwelt verbunden und kann nicht ohne diese beschrieben werden. Es ist nicht als ein gegenständlicher Teil einer objektiven Umwelt zu beschreiben, sondern als ein eben über diese Umwelt gewordenes, handelndes Subjekt. Taylor verdeutlicht diese Hauptthese MerleauPontys in zwei kurzen Sätzen: »Das Menschliche Subjekt ist ein Handelnder, eingelassen in eine Welt, die seine Welt ist. Es ist ein leibliches Subjekt.« (1986, S. 194)
Dass dieses Subjekt wesentlich ein leiblich Handelndes ist, begründet sich in der Wahrnehmung als grundlegende Voraussetzung, sich der Welt bewusst zu sein. Über den Leib konstituiert sich die Wahrnehmung als Voraussetzung, um das Wahrnehmungsfeld different zu erfahren. Dabei ist sich das leibliche Subjekt selbst als leiblich Handelndes bewusst und konstituiert über das leibliche Tun das Wahrnehmungsfeld. Das in der Welt tätige Subjekt lässt sich somit nicht isoliert und ohne Bezug zur Welt beschreiben. Merleau-Ponty führt den Leib als gefühlten Körper ein, von welchem sich die traditionell-dualistischen Kategorien Körper und Geist erst ableiten. So bildet der Körper einerseits die Voraussetzung bewusst-leiblich im Raum zu handeln, andererseits ist ohne dieses Bewusstsein kein Zugang zur Körperwelt möglich. Somit schafft es Merleau-Ponty, den cartesianischen Körper-Geist-Dualismus zu überwinden und durch das Konzept des leiblichen In-der-Welt-Seins eine Soziologie zu begründen, die vom verkörperten Akteur ausgeht. Jedes Handeln ist dabei verkörpertes Handeln, da die Grundlage jeder Handlung sinnliche Wahrnehmung der Welt ist, wofür der Körper mit den Sinnesorganen obligatorisch scheint. Im Zuge der Verkörperung der Person wird deutlich, dass individuelle Entwicklung somit nicht ausschließlich die innere Persönlichkeitsstruktur betrifft, sondern ebenso den Leib. Innere Einstellungen und Verhaltensmuster zeigen sich zugleich immer in für den jeweiligen Leib typischen Haltungen und Dispositionen: »Nicht nur ›innere‹, psychische oder mentale Eigenschaften, sondern auch der individuell geprägte Leib konstituiert die Person, insofern ihre Vermögen und Bereitschaften sich durch leiblich-zwischenleibliche Praxis in ihm inkorporiert haben und sich nur durch seine Vermittlung realisieren lassen.« (Fuchs, 2010, S. 307)
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Während Merleau-Ponty den Körper als Bedingung von Wahrnehmungen und Erfahrungen betrachtet, unterscheidet sich diese transzendental angelegte Leibphänomenologie von der Schmitz’schen Neuen Phänomenologie, welche die leiblichen Erfahrungen und Empfindungen in den Mittelpunkt rückt (Gugutzer, 2012, S. 29f.).
3.3.3 Hermann Schmitz: Neue Phänomenologie Der deutsche Philosoph Hermann Schmitz (geb. 1928) führt die Überlegungen Husserls weiter, alltägliche und unmittelbare Erfahrungen phänomenologisch zu ergründen.103 Allerdings grenzt er sich dabei stark von Husserl ab, ein Rückgang der Phänomenologie auf die Lebenswelt als eine unbefangen-natürliche Weltanschauung ist ihm nach nicht möglich, der Mensch denkt immer in Konstruktionen. Analytisch-rekonstruktiv geht es der phänomenologischen Methode nicht um bloßes Beschreiben, sondern um eine typologische Kennzeichnung von Phänomenen (Schmitz, 1980, S. 24f.). Während Husserl zwar die Sachen selbst beschreiben will, verliere dieser sich auf diesem Wege in begrifflichen Abstraktionen. Schmitz hingegen will mit seiner Neuen Phänomenologie unmittelbar relevante Lebenserfahrungen104 und subjektiv bedeutsame Phänomene philosophisch durchdringen. Subjektivität meint dabei nicht autonomes, souveränes, reflexives Bewusstsein; subjektiv ist eine Tatsache, von der man leiblich-affektiv betroffen ist (Gugutzer, 2012, S. 31ff.). Schmitz (1996b, S. 128) distanziert sich von einem klassischen Physiologismus, welcher (Sinnes-)Wahrnehmungen als bloße Verarbeitung von Eindrücken über die Sinnesorgane und das Nervensystem beschreibt, die schließlich über das Gehirn verarbeitet werden und im Bewusstsein landen. Vielmehr geht er von einer Ganzheitlichkeit aus, die er als »chaotische Mannigfaltigkeit« (ebd., S. 130) bezeichnet und in welcher Gefühle eine bedeutende Rolle spielen. So greift die Neue Phänomenologie den Begriff der Gefühle auf, indem sie »zwischen dem Gefühl selbst und dem Fühlen des Gefühls unterscheidet und das Fühlen nochmals differenziert: als affektives Betroffensein oder bloßes Wahrnehmen des Gefühls« (Schmitz, 2003, S. 44). Gefühle beschreibt Schmitz als Atmosphären, welche grenzenlos sind und viele Menschen auf einmal situativ leiblich spürbar ergreifen und sogar Privatgefühle beeinflussen können. Ein 103 Schmitz hat sich intensiv mit Husserl und Heidegger auseinandergesetzt (vgl. Schmitz, 1996). 104 Schmitz kritisiert die europäische Intellektualkultur, welche das Leben-in-der-Gegenwart und die unmittelbaren Lebens- und Leiberfahrungen verdrängt hat, indem »sich das Denken (heute zunehmend in der Hand technischer Spezialisten) zu weit von der unwillkürlichen Lebenserfahrung entfernt hat« (Schmitz, 2003, S. 9).
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ergreifendes Gefühl entspricht nach Schmitz dem Fühlen als leiblich-affektives Betroffensein vom Gefühl, welches in Form leiblicher Regungen am eigenen Leib gespürt wird und sich schließlich in körperlich ausgeführten Gebärden äußern kann: »Nicht das Gefühl ist eine leibliche Regung, wohl aber das Ergriffensein, das affektive Betroffensein vom Gefühl.« (Schmitz, 2007, S. 304)
Affektives Betroffensein durch bloße leibliche Regungen, wie Schmerz oder Hunger, kann in der exponentiellen Steigerung vom Subjekt mitverfolgt bzw. gespürt werden, wogegen affektives Betroffensein durch Gefühle nicht schrittweise verfolgt werden kann, da dieses »stürmisch oder schleichend, den vitalen Antrieb nicht nur irgendwie berührt, sondern besetzt und voll in Anspruch nimmt« (Schmitz, 2003, S. 52). Vom Fühlen als affektives Betroffensein von Gefühlen grenzt Schmitz schließlich noch das bloße Wahrnehmen einer Atmosphäre ab. Je nach leiblichen und personalen Voraussetzungen kann dieses Wahrnehmen von Atmosphären zu einem Gefühl affektiver Betroffenheit werden (ebd., S. 53). Der Atmosphärenbegriff beschreibt bei Schmitz somit nicht bloß Stimmungen und räumliche Gebilde wie Klima oder Tageszeiten, sondern ebenfalls personengebundene zentrierte Gefühle, welche sich in Emotionen wie Neid, Stolz oder Zorn äußern können. Die Gefühlslagen werden somit nicht als bloß innere Zustände beschrieben, sondern als räumliche Halbdinge, »die sachlich zwischen Dingen und sinnlichen Qualitäten stehen« (Landweer, 2011, S. 239). Das Ergriffenwerden von Atmosphären als Halbdinge ist immer ein Eingriff in die leibliche Dynamik, wobei die Emotionen und Stimmungen nicht von außen auf die Personen einwirken (genauso wie sie keine rein inneren Zustände sind), sondern unmittelbar erfahren werden (ebd., S. 240f.). Eine besondere Rolle spielen Raumstrukturen für die phänomenologische Betrachtung. Schmitz unterscheidet hierbei vier Raumstrukturen voneinander : – Der leibliche Raum bildet den ursprünglichen Raum für leibliche Kommunikation und Dynamik, welcher durch das Spüren am eigenen Leib und über die Sinne erfahren wird. – Der Gefühlsraum steht in Verbindung mit dem leiblichen Raum. In ihm dehnen sich die ortlosen Gefühle als Atmosphären aus. Gemeinsam ist dem Gefühlsraum mit dem leiblichen Raum, dass beide sich den Richtungsraum und Weiteraum teilen. Die Weite der Gefühle beschreibt Schmitz als Stimmungen. Die Richtung der Gefühle als Erregungen. Der Gefühlsraum besteht somit aus den drei Schichten Stimmungen, Erregungen und zentrierte Gefühle.
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»Alle Gefühle bezeichne ich, sofern sie weit sind, und weil sie als Atmosphären sämtlich weit sind, als Stimmungen, als reine Stimmungen aber insofern, als sie nicht als weit (d. h. frei von Richtungen) sind. Gefühle als Atmosphären, die von Richtungen oder Vektoren durchzogen werden, nenne ich Erregungen, mit einem Fremdwort könnte man auch von ›Emotionen‹ sprechen. Wenn die Erregungen nicht um ein Thema zentriert sind, nenne ich sie reine Erregungen. […] die thematisch zentrierten Erregungen, oder, wie ich sage, die zentrierten Gefühle, die nach den Stimmungen und den reinen Erregungen die dritte Schicht im Gefühlsraum bilden, sind als Atmosphären vielmehr im Sinn der Gestaltpsychologie zentrierte Gestalten […].« (Schmitz, 2007, zit. nach Gugutzer, 2013)
– Der Ortsraum bezeichnet den aus den Naturwissenschaften bekannten, durch relative Orte und Abstände bestimmten Raum. – Als Letztes nennt Schmitz die Wohnung als »Kultur der Gefühle im umfriedeten Raum«, in welchem alle drei Formen der Räumlichkeit zusammen finden (Schmitz, 1998, S. 51; Herv. d. Verf.). Diese Räumlichkeiten bedingen unmittelbar die Überlegungen zur Leiblichkeit, Körperlichkeit und dem Körperschema. Schmitz (1980, S. 38) ersetzt mit einer zweifach habituellen Vorstellung vom eigenen Körper die Vorstellung von einem einzigen Körperschema. Einerseits beschreibt er das perzeptive Körperschema, das eine bewusst abrufbare, räumliche Vorstellung vom eigenen Körper meint. Diese Vorstellung vom eigenen Körper und seiner relativen Orte entwickelt sich aus eigener sinnlicher und kognitiver Erfahrung mit und über den Körper. Dem Gegenüber steht das motorische Körperschema, das unwillkürliche Eigenbewegungen ohne Nutzung des Vorstellungsvermögens beschreibt und durch unumkehrbare Lage- und Abstandsbeziehungen bestimmt ist. Den im perzeptiven Körperschema durch Lage und Abstände festgelegten relativen Orten stehen die im Leib gespürten absoluten Orte des motorischen Körperschemas gegenüber. Dem motorischen Körperschema entspringt somit der Leibbegriff.105 Leib meint bei Schmitz den gefühlten Körper, wie er unabhängig der Sinne und des perzeptiven Körperschemas spürbar wird: »Leiblich ist das, dessen Örtlichkeit absolut ist. Körperlich ist das, dessen Örtlichkeit relativ ist. Seelisch ist, was ortlos ist.« (Schmitz, 1965, S. 6).106 105 In seinem System der Philosophie grenzt Schmitz den körperlichen Leib als ein verschwommenes Gewebe von Leibesinseln von dem Körperschema als habituelles Vorstellungsbild des eigenen Körpers ab (Schmitz, 1965, S. 27). 106 Schmitz führt die Möglichkeit einer unbewussten Leiblichkeit an, welche objektiv neben der subjektiv-erlebenden Leiblichkeit existieren kann, da absolute Örtlichkeiten nicht per se bewusst erlebt werden müssen. Seine Definition von Leiblichkeit in absoluten Örtlichkeiten findet er bestätigt bei Helmuth Plessner und Maurice Merleau-Ponty (ebd., S. 10f.).
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Dabei unterscheidet Schmitz nicht bloß zwischen Leib und Körper, sondern trennt verschiedene Dimensionen des Leibkörperlichen: »Der ›reine Körper‹ ist ausschließlich ›relativ örtlich‹, ›teilbar ausgedehnt‹ und bezieht sich auf das naturwissenschaftliche, anatomisch-physiologische Körpermodell, den sicht- und tastbaren Körper, wie er sinnlicher Wahrnehmung zugänglich ist. Dagegen ist der ›reine Leib‹ ausschließlich ›absolut örtlich‹, unteilbar ausgedehnt, ›er kommt bei den panischen Zuständen von Angst, Schmerz und Wollust vor, wenn die räumliche Orientierung verloren gegangen ist‹. Dazwischen liegt der ›körperliche Leib‹, der sowohl relativ wie auch absolut örtlich ist.« (Gahlings, 2006, S. 71; Herv. i. Orig.)
Der körperliche Leib ist dabei von prädimensionalen und meist flüchtigen Leibesinseln besetzt, welche unscharf ineinander verwoben scheinen und sich meist kurzzeitig als »leibliche Regungen wie Angst, Schmerz, Hunger, Durst, Atmung, Behagen, affektives Betroffensein von Gefühlen« äußern (Schmitz, 1998, S. 12). Diese Leibesinseln stehen in keinem stetig räumlichen Zusammenhang, sind aber in bestimmten Lagen aufeinander bezogen. Schmitz nennt dabei beginnend am Kopf und endend an den Füßen folgende Leibesinseln: »Schlund, Brustwarzengegend, Magengrube mit dem charakteristischen ›Gefühl in der Magengegend‹, anale und genitale Zone, vielleicht noch etwas in der Gegend der Oberschenkel, Kniegegend, Fußknöchel, Sohlen.« (Schmitz, 1965, S. 26; Herv. i. Orig.)
Der Leib ist räumlich organisiert, was Schmitz an den Dimensionen von Enge und Weite verdeutlicht, wobei leiblich-bewusstes Erleben zwischen diesen Dimensionen angesiedelt ist (Schmitz, 1998, S. 17). Dem motorischen Körperschema legt Schmitz einen reinen Weiteraum zugrunde, welcher primitiv-elementare Weiteerfahrungen umfasst, wie klimatisches Empfinden, Müdigkeit oder Entspannung. Das ganze Erleben und Erfahren ist dabei von Situationen geprägt, de Schmitz als »solche chaotischmannigfaltigen Ganzheiten, zu denen mindestens Sachverhalte gehören« (Schmitz, 1980, S. 41) charakterisiert. Diese Situationen nennt er Eindrücke, »wenn sie sich mit einer gewissen Überraschungskraft, die allerlei ankündigt, aber doch offen läßt, dem Betroffenen aufdrängen« (ebd.). Die Situationen und die darin enthaltenen Eindrücke dienen der Wahrnehmung durch leibliche Kommunikation. Über die Sinne können Eindrücke leiblich verarbeitet werden, ohne die Wahrnehmung über das perzeptive Körperschema. Die Wahrnehmung durch Einleibung lässt uns auch andere Menschen verstehen »vor jeder Deutung oder Einfühlung, indem wir am eigenen Leibe etwas spüren, was ihm nicht angehört, hier den anderen, oder was dank der leiblichen Kommunikation gewissermaßen von ihm ausgeht« (Schmitz, 1998, S. 40).107
107 Schmitz (1998, S. 44) unterscheidet zwischen einseitiger Einleibung (etwa als Zuschauer)
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Die leibliche Dynamik von Enge und Weite strukturiert den Leib und ist auch grundlegend in der leiblichen Kommunikation zwischen mindestens zwei Partnern, wobei nicht jede Interaktionsseite menschlich sein muss. Innerhalb der leiblichen Kommunikation entsteht über die Leibdynamik ein übergreifendgemeinsamer Leib. Leibliche Kommunikation kann auch mit Atmosphären stattfinden, als räumlich ergossene Gefühle. Gefühle werden damit objektiviert und außerhalb des Subjektes lokalisiert. Sie werden erst subjektiv relevant, wenn sie wahrgenommen werden und das Subjekt damit spürbar von innen ergriffen wird. Der Leib bzw. das leiblich-affektive Betroffensein wird somit zum Mittelpunkt der Neuen Phänomenologie (Gugutzer, 2012, S. 35ff.). Diese soll »die offenkundigen Mängel und Verkünstelungen der psychologistisch-reduktionistisch-introjektionistischen Vergegenständlichung der Welt beseitigen und dadurch eine Abstraktionsbasis bereitstellen, die in der Lebenserfahrung tiefer verankert ist als die seit Demokrit, Platon oder Aristoteles die dominante europäische Intellektualkultur beherrschende« (Schmitz, 1998, S. 12).
Die leibliche Struktur beschreibt Schmitz mit neun Begriffen, die er als »Alphabet der Leiblichkeit« bezeichnet (Schmitz, 1965, S. 169). Die Begriffe – Enge, – Weite, – Spannung, – Schwellung, – Richtung, – Intensität, – Rhythmus, – protopathische Tendenz und – epikritische Tendenz beschreiben charakteristische Strukturen des leiblichen Befindens, von denen Enge und Weite die wichtigsten Kategorien darstellen (Uzarewicz, 2011, S. 186).108 Die Enge beschreibt Schmitz als etwas den Leib Einendes, einen gegenwärtigomnipräsenten und spürbaren dumpfen Druck, der je nach Befinden stärker oder kaum wahrgenommen wird.
und wechselseitiger Einleibung, welche durch aufeinander bezogene Aktion und Reaktion entsteht. 108 Schmitz stellt diese Kategorien in seinen exemplarischen Analysen als stark isolierte Phänomene dar und blendet somit alle weiteren individuellen oder soziokulturellen Einflussfaktoren aus, welche allerdings ebenfalls als konstitutiv für das leibliche Gesamtbefinden angenommen werden sollten (Koll, 2007, S. 51f.).
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»Die Enge des Leibes ist […] ein Grundzug des absoluten Ortes des körperlichen Leibes im Ganzen: das, was diesen absoluten Ort dazu befähigt, die Vielfalt der Leibesinseln zur Einheit zusammenzuhalten.« (Schmitz, 1965, S. 73)
Die Weite ist mit der Enge als ihr Gegenspieler untrennbar verbunden und gleichsam als situative Empfindung unterschiedlich weit entfernt. Enge und Weite bilden somit das grundlegende leibliche Kategorienpaar, wobei Enge mit Beispielen von Angst oder Hunger und Weite mit Entspannung oder Freude veranschaulicht wird (Koll, 2007, S. 52).109 Stehen Engung und Weitung in einer konkurrierend-antagonistischen Stellung zueinander konkretisiert Schmitz diese Zustände als Spannung und Schwellung, welche einander zu verdrängen suchen und dabei stets stärker werden. Schmitz macht dies am Beispiel von Angst und Schmerz deutlich. Während die Engung in Form von Spannung auftritt, wenn aus Angst ein expansiver Impuls zurückgehalten wird, kommt die Weitung in Form der Schwellung als Aufbäumen gegen diese Hemmung immer wieder und stärker zum Vorschein (Schmitz, 1965, S. 89f.).110 Der Zusammenhang von leiblich spürbarer und körperlicher Spannung wird ebenfalls aufgegriffen, da physiologische Prozesse am eigenen Leib gespürt werden können (Koll, 2007, S. 53). Mit dem Begriff der Richtung meint Schmitz etwas räumlich Ausgedehntes, welches ins Unbestimmte verläuft und leiblich ist, sobald es aus dem absoluten Ort der Enge eines Leibes entstammt. Vom menschlichen Leib aus können mögliche Richtungen ausgehen, beispielsweise von der Enge des Leibes zur Weite, wie im Beispiel des Schmerzes (Enge), der mit der Schwellung in Richtung Weite konkurriert. Enge, Weite und Richtung sind grundlegend für alle leiblichen Regungen (Schmitz, 1965, S. 110f.). Die Vorgänge von Spannung und Schwellung werden durch die Intensität und den Rhythmus weiter konkretisiert. So beschreibt Intensität »das simultane Ineinander von Spannung und Schwellung« und Rhythmus das »auf und ab von Spannung und Schwellung« (Uzarewicz, 2011, S. 187). Das simultane Ineinander von Spannung und Schwellung führt zu einer immer weiteren Intensivierung dessen, wobei der leiblichen Intensität nur durch Bewusstseinsverlust – wie im Schlaf – entronnen werden kann. Das Pulsieren von Spannung und Schwellung in der Lust oder im Schmerz beschreibt schließlich den Rhythmus, der mit der 109 Als Grundphänomene der Leiblichkeit wechseln sich Enge und Weite ab. Schmitz vereinigt mit diesem Begriffspaar räumliche und leibliche Zustände und nimmt diese sogar als identisch an, wenn er die Überlegungen anstellt, die Menschen könnten eines Tages »vielleicht durch Versenkung in ihre Leiblichkeit, ihr leibliches Befinden […] fremde Gegenden erreichen, ohne den Zwischenraum durchlaufen zu haben, weil es in der Weite, so wie diese ihnen begegnet, auf Abstände nicht ankäme« (Schmitz, 1980, S. 40). 110 Im Rahmen dieses Beispiels nennt Schmitz die Kraftanstrengung in Form von Spannung und Schwellung im Geburtsverlauf (Schmitz, 1965, S. 90).
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Intensität eng verbunden ist (Schmitz, 1965, S. 121ff.). Als Oberbegriff führt Schmitz den der leiblichen Ökonomie ein: »Leibliche Ökonomie ist also: der teils simultane (Intensive), teils sukzessive (rhythmische) Verband von Spannung und Schwellung des Leibes.« (ebd., S. 125)
Die bisherigen Dimensionen werden durch die epikritische und protopathische Tendenz ergänzend konkretisiert. Protopathisch meint ein verschwommenes, nicht punktiert lokalisierbares, dumpfes Spüren. Dem gegenüber steht die epikritische Tendenz des scharf-abgrenzbaren, direkt-lokal wahrnehmbaren Spürens. Protopathisch weist somit eine Verwandtschaft mit der Weitung auf, epikritisch mit Engung (Uzarewicz, 2011, S. 187). »Epikritisch ist die ortsfindende, protopathisch die der Ortsfindung entgegenwirkende leibliche Tendenz.« (Schmitz, 1965, S. 143)111
Die Leibphilosophie von Hermann Schmitz enthält keine Analysen zur Geschlechterdifferenz bzw. geschlechterdifferenten Leiberfahrungen.112 Gahlings (2006, S. 72) sieht allerdings in dem von Schmitz zur Beschreibung von Leibphänomenen entwickelten Instrumentarium eine Zugriffsmöglichkeit auf geschlechtercharakteristische Leiberfahrungen.
3.3.4 Leibliche Intersubjektivität bei Merleau-Ponty und Schmitz Plessner beschreibt die Welt leiblicher Koexistenz als Mitwelt, welche der Mensch nicht alleine, sondern mit seinen Mitmenschen bewohnt. MerleauPonty nennt dies eine Sozial- und Kulturwelt, in welcher der Mensch beständig im Bezug zu dieser situiert ist. Jede eigen- und fremdleibliche Wahrnehmung ist somit im Kontext von Werten und Normen, Traditionen, Deutungsmustern etc. der jeweiligen Kultur zu sehen und somit immer gesellschaftlich und kulturell geprägt. Mit dem eigenen Leib wird die Welt wahrgenommen, gleichzeitig ist der Leib für andere wahrnehmbar. Der Mensch nimmt eigene Erfahrungen subjektiv wahr, kann aber über die Leiblichkeit den Anderen wahrnehmen und seine Subjektivität auf diesen transzendieren (Gugutzer, 2002, S. 87). Ähnlich der Zwischenleiblichkeit bei Merleau-Ponty führt Hermann Schmitz den Begriff der Einleibung ein, also nonverbale Kommunikation zwischen zwei 111 Die epikritische Tendenz zeigt sich u. a. in stechenden Kopfschmerzen. Eine protopathische Regung lässt sich ebenfalls an relativen Orten wie der Schulter lokalisieren, für die Unterscheidung ist von Bedeutung, »ob die Regung selbst einen klar umrissenen Ort bildet« (Koll, 2007, S. 55). 112 Leibphilosophisch greift u. a. Böhme die Geschlechtlichkeit als Natur- bzw. Selbsterfahrung auf (Böhme, 1985).
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Zur (Leib-)Phänomenologie
Akteuren.113 Das Spüren des anderen führt zu einer wechselseitigen Einleibung; hierdurch entsteht ein gemeinsamer, interindividueller Leib. Die Grundpolaritäten von Engung/Spannung und Weitung/Schwellung finden sich in dieser gemeinsamen Leiblichkeit, welche die Ebenen der Eigenleiblichkeit und der Adhoc-Leibeinheiten beinhaltet (Koll, 2007, S. 74). Was die Interaktionspartner dabei vom Gegenüber erspüren, nehmen sie in ihr Handeln auf.114 Schmitz beschreibt den Vorgang der Einleibung als Situation, in welcher »der sonst immanent leibliche Dialog gleichsam herausgekehrt und an Partner – zwei oder mehr als zwei, darunter eventuell auch leblose, keines eigenen Spürens fähige Dinge oder Halbdinge […] verteilt ist, bildet sich ad hoc so etwas wie ein übergreifender Leib, in dem die Rolle der Enge, die zugleich Quelle des den Leib durchziehenden und ordnenden Richtungsgefüges ist, jeweils von einem der Partner übernommen wird; das ist Einleibung. Wenn die dominierende Rolle, Träger der Enge des übergreifenden Leibes zu sein, konstant bei einem Partner bleibt, wie meist in der einseitigen (z. B. hypnotischen) Suggestion, ist die Einleibung einseitig, sonst, wenn die Partner einander oszillierend zuspielen, wechselseitig« (Schmitz, 1980b, S. 24; Herv. i. Orig.).
Uzarewicz (2011, S. 225f.) nennt verschiedene Formen der Einleibung. So werden Ad-hoc-Leiber unmittelbar und gegenwärtig gebildet, wobei sich die Partner wechselseitig deuten in Form einer wechselseitigen Einleibung. Bleibt die dominante Rolle als Träger des übergreifenden Leibes hingegen bei einem Partner, ist dies eine Form der einseitigen Einleibung. Weiterhin existieren die antagonistische Einleibung, welche durch Formen des Wettstreits gekennzeichnet ist, sowie die solidarische Einleibung mit gemeinsam-kooperativen Formen. Die anderen werden somit über die Formen der Einleibung am eigenen Leib gespürt, der Selbstbezug liegt hierbei vor dem Fremdbezug.115 Der Einleibung stellt Schmitz den Begriff der Ausleibung zur Seite, »deren Brücke nicht der vitale Antrieb, sondern privative Weitung ist« (Schmitz, 2003, S. 39). Aufbauend auf der vorangegangenen Darstellung der leibphänomenologi113 Nicht jeder Akteur muss menschlich sein. Schmitz bezeichnet Einleibung als »die durch allerlei Zwischenstufen vermittelte Exteriorisierung des innerleiblichen Dialogs von Engung und Weitung«, wobei »das leibliche Außersichsein durch Einbettung in sich meist flüchtig bildende und lösende Quasi-Leiber in der Einleibung primär« ist (Schmitz, 1996b, S. 131). 114 Das Erspüren des Gegenübers führt zu entsprechenden Verhaltensabstimmungen, bei Schmitz »kommunikative Kompetenz erster Stufe« genannt. Die »kommunikative Kompetenz zweiter Ordnung« beschreibt sodann einen leiblichen Perspektivwechsel, als leibliches Pendant zur Rollenübernahme in Interaktionistischen Theorien bei Mead u. a. (Gugutzer, 2002, S. 107). 115 Waldenfels (2000, S. 272) merkt hierbei kritisch an, dass das Spüren somit bei Schmitz einer äußerst cartesianischen Deutung unterliegt, welche statt auf der Ebene des Denken hier auf der Ebene des Empfindens angesiedelt ist.
Körper und Leib in der Phänomenologie
113
schen Ansätze soll nachfolgend ein neophänomenologisch-soziologisches Forschungsprogramm vorgestellt werden.
3.3.5 Neophänomenologische Soziologie In seinem Buch »Verkörperung des Sozialen« kritisiert Gugutzer (2012, S. 39ff.) die mangelnde Berücksichtigung einer körperlich-leiblichen Perspektive in der soziologischen Forschung. Den Schwerpunkt legt er dabei auf den Leib und den Körper, welcher in der Schmitz’schen Philosophie keine angemessene Berücksichtigung finde.116 Zwar setzt die Körpersoziologie an dem Menschen als handelndes Wesen an, welches gesellschaftliche Realität (re-)produziert, allerdings werden dabei die Bedeutung von Leib und Körper als konstitutive Merkmale des Sozialen vernachlässigt. Gugutzer erweitert die Schmitzschen Überlegungen zur Neuen Phänomenologie um die Phänomenologische Anthropologie Plessners und begründet somit sein Konzept der Neophänomenologie als eine leibbasierte Soziologie. Den Begriff des Leibes grenzt er dabei als den eines lebendigen Körpers von dem Körper, der auch unbelebt sein kann, ab. Der Leib bekommt dadurch eine subjektive Komponente; er ist lediglich von innen spürbar und wahrnehmbar, ohne konkret räumliche Identifizierung. Der Körper hingegen hat immer etwas Objektives; er ist von außen wahrnehmbar, sichtbar und tastbar und lässt sich somit räumlich lokalisieren. Ist der Körper mit seinen Extremitäten teilbar, so lassen sich leiblich-affektive Regungen wie Angst oder Freude hingegen nicht teilen, da sie räumlich absolut sind. Die Dualität des Leibes, die Verschränkung von Leib und Körper, ist dabei allerdings nicht naturgegeben, sie ist ein historisch, kulturell und gesellschaftlich geformtes Phänomen (Gugutzer, 2006, S. 30f.). Soziologisch beschäftigt sich die Neophänomenologie nicht nur mit eigenleiblichem Handeln, sondern ebenso mit leiblicher Interaktion. Hierbei greift sie die Vorgänge der »Einleibung« nach Schmitz auf (s. Kap. 3.3.4), die sich situativ durch leiblich-affektives Betroffensein äußern. Bedeutend sind dabei sogenannte Bewegungssuggestionen, welche instinktives Gespür und daraus abgeleitetes Handeln in einer Situation meinen.117 »Bewegungssuggestionen als 116 Die Aussage, »Wo auch immer ein Individuum sich befindet und wohin auch immer es geht, es muß seinen Körper dabeihaben« (Goffman, 1994, S. 152), verdeutlicht die Omnipräsenz des Körpers. Zur Kritik an der Differenz von Leib und Körper bei Schmitz siehe auch Waldenfels (2000, S. 280f.). 117 Kinder kommunizieren primär leiblich mit ihrer Umwelt. So werden Bedeutungen von Mimik und Gestik lange vor einer möglichen sprachlichen Explikation verstanden, indem sie als leibliche Engung und Weitung spürbar und mit entsprechenden Bedeutungen ver-
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Zur (Leib-)Phänomenologie
Spürsinn leiten sinnhafte Praktiken an. Verallgemeinert sorgen Bewegungssuggestionen für wechselseitige Bewegungskoordination« (Gugutzer, 2012, S. 62).118 Gugutzer bezeichnet die Schmitz’schen Bewegungssuggestionen als Spürsinn und rekurriert dabei auf Bourdieus praktischen Sinn, welcher präreflexiv sinnhaftes Handeln in der jeweiligen Situation beschreibt. Dieser Sinn ist leiblich verfasst und besitzt eine situationsangemessene, handlungsgenerierende Funktion, da der Spürsinn durch eine sinnlich-spürende Wahrnehmung der Situation angeleitet wird (Gugutzer, 2002, S. 116f.).119 In der Interaktion reagieren die Leiber reziprok aufeinander, es werden leibliche Intentionen wahrgenommen und wechselseitig Bewegungsimpulse ausgelöst. »Dass man diese spürende Verständigung trainieren kann, ist ein Beleg dafür, dass auch der Leib kulturellen Prägungen – hier : kulturspezifischen Körpertechniken – unterworfen ist.« (Gugutzer, 2012, S. 63)
Soziologisch relevant ist nun die Herausarbeitung der gegenseitigen Einflüsse von soziokulturellen Faktoren und leiblicher Bewegungskoordination, wobei nicht lediglich zwischenleibliche, sondern auch interkorporale Prozesse beachtet werden. »Eine verkörperte Theorie des Sozialen untersucht daher, wie soziale Entitäten in zwischenleiblichen und interkorporalen Interaktionszusammenhängen produziert und reproduziert werden.« (Gugutzer, 2006, S. 32)120
Der Einbezug einer leiblichen Perspektive ermöglicht ebenfalls einen neuen Blick auf die Möglichkeiten des Fremdverstehens. Besteht bei Schütz das rationale Fremdverstehen noch aus der nachträglichen Rekonstruktion eines gemeinten Sinnes, das aufgrund ähnlicher Bewusstseinsstrukturen möglich ist (s. Kap. 3.2), so ist eben dieses Sinnverstehen ebenfalls aus einer leiblichen Perspektive heraus möglich, aufgrund der Strukturgleichheit der interagierenden Leiber. knüpft werden. Die Fähigkeit der leiblichen Kommunikation ist dabei grundlegend für elementar-leibliches Lernen (Schultheis, 2008, S. 308). 118 Ekman (2010, S. 23ff.) geht davon aus, dass stammesgeschichtlich und biografisch begründete Emotionen als unwillkürliche Gefühle die Körperhandlungen in Gefahrensituationen ausführen. Auslöser für diese präreflexive Kontrolle der Emotionen über unseren Körper können evolutionär-universell oder biografisch-erlernt sein. 119 Uzarewicz (2011, S. 185) kritisiert den Begriff des Spürsinns bei Gugutzer, da eigenleibliches Spüren nicht identisch mit dem motorischen Körperschema sei. 120 Uzarewicz (2011, S. 174f.) verdeutlicht, dass eine neophänomenologische Soziologie nicht bloß transkulturell, sondern auch transhuman ist, da auch Nicht-Menschliches und NichtLebendiges sozialkonstitutive Bedeutung haben kann. So findet sich Spontanität zwar lediglich beim Menschen und Tieren als leiblich strukturierte Entitäten, »aber Spontanität ist für affektives Betroffensein und leibliche Regungen nicht notwendig« (ebd., S. 176).
Körper und Leib in der Phänomenologie
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Gugutzer (2012, S. 67ff.) plädiert für einen leiblichen Wissensbegriff, der sich von dem explizit-explizierbaren Wissen abgrenzt und das sinnlich-spürbare, in leiblichen Situationen und Interaktionen erworbene implizite Wissen berücksichtigt.121 Das ortlose Leibgedächtnis ist dabei Träger leiblichen Wissens, das in Erinnerungen am gesamten Körper in Form von auftauchenden Leibesinseln wahrnehmbar und somit räumlich ist. Bereits im Kindesalter sedimentieren sich »die sozialen Interaktionen und Erfahrungen als Verhaltensentwürfe, affektiv-interaktive Schemata, Körperhaltungen und Körperpraktiken im impliziten, leiblichen Gedächtnis« (Fuchs, 2010, S. 307).
Uzarewicz (2011, S. 276f.) beschreibt in diesem Zusammenhang leibliche Dispositionen als Stimmungen und Regungen, die flüchtigen Charakter haben oder sich habituell verfestigen und Individuen, Kollektive und ganze Zeitepochen betreffen können. Gugutzer (2012, S. 80) stellt das Konzept des atmosphärischen Verstehens intersubjektiven Sinns auf, das auf der Annahme basiert, dass in sozialen Situationen ein gemeinsamer, interindividueller Sinn existiert – unabhängig von den individuellen Intentionen und Motiven der einzelnen Teilnehmer. Diese Atmosphären umhüllen jede soziale Situation und können das Handeln der situativ Wirkenden beeinflussen. Ebenso hat das atmosphärische Ergriffensein der in die Atmosphäre Eintretenden wiederum Auswirkungen auf die dynamische Atmosphäre bzw. deren Wahrnehmung: »Atmosphärisches Verstehen ist so gesehen das leiblich-praktische Vermögen, die Anforderungen – den Sinn – einer sozialen Situation vorreflexiv zu erkennen und situationsangemessen zu handeln.« (ebd., S. 81)
Die Gefühle, ob objektiv oder subjektiv im affektiven Betroffensein, sind als Atmosphären gegenstandslos. Gefühle können Atmosphären und Situationen zugleich sein und einzelne wie auch viele Personen betreffen. Von den Gefühlen selbst affektiv betroffen ist man, sobald man dieses Betroffensein am eigenen Leib spürt; andererseits lassen sich Gefühle bei anderen lediglich registrierend wahrnehmen, da niemand von den Affekten anderer betroffen sein kann (Uzarewicz, 2011, S. 278). Die vorliegende Studie betrachtet soziales Handeln in Zweikampfsituationen als Face-to-face-Beziehung, in der beide Interaktionspartner wissentlich auf121 Gugutzer schließt hier an die Habitus-Theorie von Bourdieu an und kritisiert den Begriff des Körperwissens oder verkörperten Wissens in der Wissenssoziologie nach Schütz und Luckmann. Der Erwerb des Körperwissens würde aus wissenssoziologischer Perspektive unbewusste Typisierungen nicht berücksichtigen, weiter bestehe keine Praxisrelevanz für spontan-intuitives, sondern lediglich für habitualisiertes und routinemäßiges Handeln, und schließlich ist der Körper als Wissensspeicher unzureichend definiert (Gugutzer, 2012, S. 70f.).
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Zur (Leib-)Phänomenologie
einander bezogen sind und sich über diese Wir-Beziehung die Intersubjektivität der Lebenswelt ausbildet (Schütz & Luckmann, 1984, S. 109ff.; Gugutzer, 2012, S. 90). Der Begriff des sozialen Handelns ist aus einer neophänomenologischen Perspektive anders zu verstehen als noch von Max Weber (1971, S. 1) intendiert. Soziales Handeln ist demnach nicht immer subjektiv-sinnhaft, da es durchaus vorkommen kann, dass den Menschen das eigene Tun in bestimmten Situationen nicht bewusst ist; sie handeln »ohne Sinn und Verstand« (Uzarewicz, 2011, S. 177). Das Webersche symbolische und bewusste Handeln muss somit um eine leibliche Kommunikationsform erweitert werden. Der Leib wird hierbei als autonomes Handlungssubjekt verstanden, welches vorreflexiv-sinnhaft agiert. Körperliches Handeln wird durch dieses leibliche Subjekt präreflexiv angeleitet, motiviert durch spürbare Befindenszustände (Gugutzer, 2012, S. 53).122 Eine neophänomenologische Soziologie stellt – auf den Grundlagen der Mikrosoziologie – die leibphänomenologische Betrachtung von sozialen Prozessen in den Mittelpunkt. Dabei wird das alltägliche Sinnverstehen nicht als ein bewusst-intentionaler Vorgang verstanden, sondern als leiblicher Prozess, in dem der subjektiv gemeinte Sinn erspürt werden kann (ebd., S. 64). Ein direkter Zugang zum Bewusstsein anderer ist, wie bei anderen Zugängen auch, über dieses Erspüren nicht möglich, aber Kommunikation auch nicht lediglich auf Verstehen hin ausgelegt: »Leiblich verstandene Subjektivität ist die Brücke zu den Anderen und die Schnittstelle zur Gesellschaft.« (Uzarewicz, 2011, S. 218)
Gugutzer (2012, S. 90ff.) entwirft ein neophänomenologisch-soziologisches Forschungsprogramm mit drei Interaktionsebenen: – die Interaktion unter Anwesenden, – die Interaktion zwischen Abwesenden und – die Interaktion zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren. Die Interaktionsdimension dieser Arbeit umfasst Face-to-face-Situationen in Form des Zweikampfes als direkte körperliche Begegnung. Gleichsam sollen situative Atmosphären und Interaktionen zwischen Akteuren und Materialien (wie Schlagpolster, Matten, Hallenausstattung) betrachtet werden. Die empirische Studie baut dabei auf fünf methodologischen Grundannahmen auf: »Der übergreifende interaktionstheoretische Fokus impliziert dabei fünf methodologische Grundannahmen, die es in empirischen Studien entsprechend umzusetzen gilt: Gesellschaft ist prozessual als Vergesellschaftung zu verstehen. 122 Vgl. hierzu Bourdieus Konzept des Habitus als praktischer Sinn, welcher soziales Handeln situationsspezifisch vorreflexiv anleitet und sozialen Erwartungsstrukturen entspricht (Bourdieu, 1997; Gugutzer, 2012).
Zusammenfassung und forschungsleitende Konsequenzen
117
1. Soziale Ordnung wird durch leibliche Abstimmungs- und Verständigungsprozesse sowie 2. durch körperliche Tätigkeiten und Darstellungen hergestellt, wobei 3. sowohl die leiblichen Interaktionen als auch die körperlichen Praktiken sozial und kulturell geformt sind; 4. die Transformation sozialer Ordnung wird leiblich initiiert und körperlich ausgeführt.« (ebd., S. 90)
Aufbauend auf den Überlegungen der Neuen Phänomenologie geht es der neophänomenologischen Soziologie somit um die leibkörperbasierte Analyse sozialer Handlungen und Situationen, da Leib und Körper die konstitutive Basis sozialer Prozesse bilden. Als eine leibbasierte Soziologie geht die Neophänomenologie von der Grundannahme einer doppelten Weise der Leiblichkeit aus, welche den eigenen, wahrnehmbar-spürenden Leib, sowie den Leib als Körperding umfasst. Die Leiblichkeit ist dabei vorgängig und bildet die Grundlage für alles Körperliche (Gugutzer, 2010, S. 180).
3.4
Zusammenfassung und forschungsleitende Konsequenzen
Husserl wollte mit seiner phänomenologischen Lebensweltanalyse auf das Selbstmissverständnis der Naturwissenschaften aufmerksam machen, welche konstruierte Methoden als natürlich gegeben ansehen. Während Husserl dabei eine Transzendentalphänomenologie entwickelt, in der er versucht, die Methodik phänomenologischer Lebensweltanalysen zu klären, arbeitet Schütz eine Theorie des Verstehens aus (Eberle, 1984). Husserl grenzt sich mit seiner geisteswissenschaftlich-philosophischen Methode der Wesensschau von Methoden der rational-empirischen Erkenntnis ab. Die interpretativ-phänomenologische Soziologie nach Schütz greift dabei den Begriff der Lebenswelt auf, als vorwissenschaftlich-naive Wahrnehmungswelt. In Anknüpfung an Husserls transzendentale Phänomenologie und Webers verstehende Soziologie beschreibt Schütz die Methode des Fremdverstehens als spezifische Interpretationsleistung des Verstehens menschlicher Handlung. Das alltägliche Handeln findet in der Lebenswelt statt. Die Auslegung der Lebenswelt beruht dabei auf verschiedenen Verfahren. So greifen die Menschen in ihren Handlungen auf explizit oder implizit routinierte Wissensvorräte zurück, ohne diese zu reflektieren.123 Die Menschen vertrauen darauf, dass gemachte Erfahrungen gültig bleiben, sie in bestimmten Situationen zwar neu ausgelegt werden müssen, sich jedoch auf vergangene Erfahrungen in einer konstanten Weltstruktur berufen werden kann. 123 Im Rahmen einer neophänomenologischen Soziologie können die Formen von Gewohnheitswissen als präreflexive, leibliche Wissensbestände verortet werden.
118
Zur (Leib-)Phänomenologie
Schließlich typisieren Menschen ihre Lebenswelt und legen diese somit aus. Die Lebenswelt bei Husserl und Schütz ist wie die Alltagswelt bei Berger und Luckmann124 dabei immer intersubjektiv, da die Wirklichkeit sich erst in der Interaktion mit anderen konstituiert (Treibel, 2006, S. 84ff.). Die Grundannahme ist, dass andere Menschen ebenso mit einem Bewusstsein ausgestattet sind, sie mit ihrer Umgebung in Interaktion treten können und dass es eine Art gemeinsame Wirklichkeit gibt, insofern gemeinsame Verständigung möglich ist. Die historisch vorgegebene Sozial- und Kulturwelt dient dabei als Rahmen, um sinnhaft zu verstehen (Gildemeister & Hericks, 2012, S. 90ff.). Zur Abgrenzung von einem technisiert-objektiven Zugriff auf den Menschen bietet sich der deutsche Terminus des Leibes als erlebend-spürbarer Körper an, der sich vom materiellen Körper abgrenzt. Wird der Leibbegriff bei Husserl noch ambivalent gebraucht und betrifft als eine »physisch-aesthesiologische Einheit« (Fuchs, 2000, S. 45) Objekt wie Empfindung, so führt Merleau-Ponty »die perspektivische Bedingtheit menschlicher Erkenntnis auf die leibliche Konstitution des Menschen zurück. Er zeigt, wie das leibliche Subjekt seine Umwelt wahrnehmend mitkonstruiert, und widerspricht damit, auch mit Hinweis auf synästhetische Phänomene, sensualistischem Denken, das Sinneswahrnehmung mit Hilfe eines physiologisch orientierten Reiz-Reaktion-Schemas zu erklären sucht« (Koll, 2007, S. 28).
Hermann Schmitz entwirft mit seiner Neuen Phänomenologie ein Programm, welches das eigenleibliche Spüren fokussiert.125 Dabei unterscheidet Schmitz zwischen Leib und Körper, indem er Leiblichkeit als das innerliche Spüren oder Empfinden definiert und vom Körper als äußerlich wahrnehmbaren und tastbaren Gegenstand abgrenzt. Er trennt damit leiblich Gespürtes von körperlichen Vorgängen und versucht ebendieses Spüren zum Mittelpunkt phänomenologischer Kategorisierung zu machen (Schmitz, 1968, S. 4). Das Spüren definiert 124 Die hermeneutische Wissenssoziologie nach Berger und Luckmann objektiviert Zeichen und soziale Strukturen, ähnlich dem kommunikativen Konstruktivismus. Der Begriff der Hermeneutik beschreibt dabei eine verstehende Auslegung von Texten und Zeichen, welche bereits einen bestimmten Sinn implizieren (vgl. dazu Soeffner, 1984). Setzt sich die Forschungsperson mit einem Text auseinander, geschieht dies immer mit einem eigenen Vorverständnis. Im Deutungsprozess des Textes oder der Handlung beeinflussen sich eigenes Vorverständnis und Auslegung des Textes wechselseitig, in Form eines zirkulären Prozesses, womit schließlich ein Erkenntnisgewinn einhergehen soll (Knoblauch, 2009, S. 316). Die hermeneutische Wissenssoziologie unterscheidet sich durch die Objektivierung von Zeichen und Texten von Husserls eidetischer Reduktion und Wesensschau als Methode einer transzendenten Phänomenologie (s. Kap. 3.1). Honer (1993) und Hitzler (1988) schließen diese Lücke und verbinden mit der Lebensweltanalyse bzw. »lebensweltlichen Ethnographie« die Schützsche Phänomenologie mit dem Existenzialismus und dem Sozialkonstruktivismus (Knoblauch, 2009, S. 316ff.). 125 Schmitz gibt Schopenhauer und Bergson als Vorgänger seines Programms an (Schmitz, 1989, S. 11).
Zusammenfassung und forschungsleitende Konsequenzen
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Schmitz dabei als affektives Betroffensein, welches erkenntnistheoretisch als subjektive Tatsache fungiert, die das eigene Ich angeht und von niemand sonst gespürt werden kann: »Affektives Betroffensein in dem Sinn, daß jemandem etwas nahegeht, kann nicht unbewußt bleiben; er muß etwas davon merken und muß merken, daß es sich um ihn selber handelt, denn sonst würde es ihm nicht nahegehen.« (Schmitz, 2007, S. 196)
Bei Schmitz ist somit jegliches affektive Betroffensein von etwas leiblich, wobei das Spüren ein Gesamtbefinden meint und nicht auf einzelne Sinneseindrücke rekurriert. Diesem Gesamtbefinden bzw. leiblichen Spüren liegt die leibliche Dynamik von Engung und Weitung zugrunde (Waldenfels, 2000, S. 270). Die Gefühlstheorie nimmt dabei neben der Leib- und Raumphilosophie den bedeutendsten Platz in der Neuen Phänomenologie ein, wobei sie begrifflich nicht von der Leib- und Raumphilosophie zu trennen ist. Schmitz grenzt sich damit von gängigen Gefühlstheorien ab, welche Gefühle lediglich im Inneren des Menschen verorten. Gefühle sind demnach klimatische oder soziale Atmosphären, in welche der Mensch eintreten und von welchen er betroffen werden kann. Im Gegensatz zu den räumlich ausgebreiteten Atmosphären sind leibliche Regungen, wie die Ängstlichkeit, lokal zu verorten. Mit dieser Unterscheidung kann phänomenologisch sauber zwischen bloß wahrnehmbaren Gefühlen wie Trauer und leiblichen Regungen wie Traurigkeit unterschieden werden, welche sich aus der leiblich-affektiven Betroffenheit der Atmosphäre ergeben. Für Schmitz sind dabei sämtliche Gefühle räumlich ausgebreitete Atmosphären, welche auf den Stimmungen Zufriedenheit und Verzweiflung basieren (Gugutzer, 2013, S. 306ff.).126 So sind Emotionen nicht bloß mentale Zustände, welche sich im fühlenden Bewusstsein einer einzelnen Person verorten lassen. Eine spürbare Atmosphäre »meint hier eine prinzipiell von allen erlebbare Gegebenheit im gespürten Raum« (Landweer, 2011, S. 238). Für die Fremdwahrnehmung setzt Schmitz das eigenleibliche Spüren voraus, welches der Gemeinsamkeit eines übergreifenden Lebens gegenübersteht.127 Für die Soziologie ist die Gefühlstheorie von Schmitz anschlussfähig, wenn von der Grundannahme ausgegangen wird, dass soziale Situationen Atmosphären sind:
126 Nach Schmitz sind auch private Gefühle räumlich ausgebreitete, überindividuelle Atmosphären, was u. a. von Fuchs (2000) kritisiert wird. 127 Zu kritisieren ist hierbei der Wegfall von Fremdheit: »Die Fremdheit des Anderen versinkt also teils in der Abwandlung des Eigenen, teils in der Teilnahme an einem gemeinsamen Leben.« (Waldenfels, 2000, S. 272)
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Zur (Leib-)Phänomenologie
»Atmosphären sind sozial strukturierte und strukturierende Mächte, die real erfahrbar sind; sie sind sozial wirkmächtig, weil sie die sozialen Akteure leiblich-affektiv ergreifen.« (Gugutzer, 2013, S. 309)128
Hieran knüpfen die neueren Überlegungen zur Neophänomenologie an (Uzarewicz, 2011; Gugutzer, 2012), welche die Verschränkung von Leib und Körper betonen und sich als leibbasierte soziologische Handlungstheorien verstehen. In den Fokus rücken dabei soziale Begegnungen, in welchen, ausgehend von den Theorien zur leiblichen Kommunikation in Form von Einleibung bei Schmitz, die in ihrem Handeln wechselseitig aufeinander bezogenen sozialen Akteure ein gemeinsamer, übergreifender Leib umhüllt. Die Leiber reagieren wechselseitig aufeinander und nehmen sich gegenseitig in Form von Bewegungssuggestionen wahr, die zu Bewegungskoordinationen führen, welche schließlich phänomenologisch nachgezeichnet werden können (Gugutzer, 2010, S. 169ff.). Gahlings (2006, S. 82ff.) führt aus, dass der Aspekt der Geschlechtlichkeit thematisch von der tradierten phänomenologischen Philosophie des Leibes eher vernachlässigt wurde. Der Leib beschreibt meist ein universelles Neutrum, welches nicht nach Lebensphasen wie Kindheit, Adoleszenz oder Alter, nach Gesundheitszuständen wie dauerhaft kranken oder gesunden Menschen oder eben nach Geschlecht wie Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männer ausdifferenziert wurde. Biologische Entwicklung und individuell-leibliche Biografie finden in der Phänomenologie kaum Beachtung. Ein verallgemeinerter Leib, welcher differente Körperlichkeiten nicht spezifisch unterscheidet, scheint zumindest problematisch, ist doch anzunehmen, dass Kinder anders wahrnehmen als Erwachsene, Frauen anders als Männer etc. Hier setzt der Feminismus bzw. die Geschlechterforschung an, welche die Theorien der (Leib-)Phänomenologie aufgreift (vgl. Landweer 2006; Lindemann, 2002). Die scheinbar universalistisch geprägte (maskuline) (Leib-)Phänomenologie bietet eine theoretische Grundlage für die vorliegende Untersuchung, wenn sie gemeinsam mit dem Feminismus eine Erkenntnismethode bildet, die Möglichkeiten einer phänomenologischen Analyse des Geschlechts bietet und gleichsam geschlechtlich geprägt ist: »Um es genauer zu sagen, ließe sich ein solches Vorhaben beschreiben als geschlechtlich geprägte Phänomenologie oder Phänomenologie der Geschlechtlichkeit und geschlechtlich geprägter Erfahrungen« (Fisher, 1997, S. 42),
welche ein geschlechtlich geprägtes Bewusstsein berücksichtigt 128 Slaby (2011, S. 36) konstatiert, dass Gefühle nicht mit Atmosphären identifiziert werden müssen. Gefühle können personengebunden bleiben. Jedoch hält er den »Kern der Auffassung, dass sich Gefühle in vielen Fällen als ein Eintauchen und affektives Mitschwingen mit überpersönlichen Atmosphären beschreiben lassen« (ebd.) für theoretisch anschlussfähig.
Zusammenfassung und forschungsleitende Konsequenzen
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»in der grundlegenden strukturalen Zusammenführung von Allgemeinheit und Besonderheit als mit-determinierender strukturaler Komponenten, die für Wesen und Sein des Bewußtseins in seiner Strukturgesamtheit konstitutiv sind« (ebd., S. 43).
Ausgehend von den Grundannahmen einer neophänomenologischen Soziologie liegt dieser Arbeit ein anthropologisches Fundament zugrunde, welches Leib und Körper gleichermaßen als ineinander verschränkte Aspekte menschlichen Daseins betrachtet.129 Somit muss auch eine phänomenologische Ethnografie die Bedeutung von Leiblichkeit angemessen berücksichtigen. Aufbauend auf den Überlegungen zur neophänomenologischen Soziologie als eine subjektorientierte Soziologie, die mit dem Fokus auf Leib und Körper als »konstitutive Bestandteile des Sozialen« (Gugutzer, 2012, S. 89) prädestiniert für körpernahen Sport aufgrund der unmittelbar spürbaren Körperlichkeit zu sein scheint, ist für die methodische Ausarbeitung dieser Studie ein Vorgehen zu wählen, das Eigen- und Zwischenleiblichkeit als fundamental für soziale Prozesse ansieht, gleichsam aber auch den Körper als ebenso konstitutives Merkmal des Sozialen berücksichtigt. Hierbei rückt nicht primär die Eigenleiblichkeit, sondern leibliches Handeln130 der Kinder in Interaktionen – hier Zweikampfsituationen – in den Fokus dieser Arbeit, wodurch eine vom (Zwei-)Kämpfen ausgehende verkörperte soziologische Handlungstheorie verfolgt wird.131 Die Berücksichtigung der Leiblichkeit im Erhebungs- und Auswertungsprozess soll helfen, sich der Innenperspektive der Kinder anzunähern. Objektivierte Aussagen über die erlebte Innenwelt von Kindern entfernen die Forscherperson von eben dieser subjektiv-erlebenden Perspektive. Ein hermeneutisches Verstehen kommt der Erfassung der kindlichen Innenperspektive näher als objektivierende Methoden, indem eine aktiv-teilnehmende Beziehung zu den Beforschten ein Wahrnehmen und Einfühlen in die subjektiven Erlebnisweisen ermöglichen soll (Fuchs, 2010, S. 292). Eine neophänomenologische Perspektive, welche im Rahmen dieser Studie 129 Am Beispiel des Schmerzes kann die Verschränkung von Körper und Leib verdeutlicht werden: »Der Schmerz-im-Fuß ist somit weder im physikalischen Raum des Fußes noch im physikalischen Raum des Gehirns, denn Schmerzen sind nun einmal weder anatomische Dinge wie Sehnen, Knochen oder Neuronen, noch physiologische Prozesse wie Ladungsverschiebungen an neuronalen Zellmembranen. Wo ist der Schmerz dann? Er ist im ›Fußals-Teil-des-lebendigen-Körpers‹, denn dieser einheitliche lebendige Körper bringt – wesentlich vermittels des Gehirns – auch eine leibliche, räumlich ausgedehnte Subjektivität hervor.« (Fuchs, 2010, S. 38; Herv. i. Orig.) Der subjektive Raum des Schmerzes und der objektive Raum des Fußes sind somit als leibkörperliche Einheit miteinander verschränkt. 130 Neophänomenologisch definiertes leibliches Handeln entspricht dem Agens in der Praxeologie, wobei der Leib Subjekt des Handelns ist (Gugutzer, 2014, S. 96). 131 Die Leiblichkeit des Kindes ist insofern von gesonderter Bedeutung, als dass scheinbar angeborene emotionale Reaktionen, sowie Gefühle und Erleben im Kind selbst verortet sind, »es hat nicht Emotionen, es ist seine Gefühlslage […] Es ist Leiblichkeit« (Noack, 2007, S. 100; Herv. i. Orig.).
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Zur (Leib-)Phänomenologie
Geschlechtlichkeitskonstruktionen in den Mittelpunkt wissenschaftlicher Betrachtung rückt, bedarf einer phänomenologisch-ausdifferenzierten Terminologie von Geschlechtskörper, Geschlechtsleib und Geschlechtsidentität, welche sich aus den dargestellten Perspektiven abstrahieren lassen. Der geschlechtliche Körper (Sex) scheint aus einer phänomenologischen Perspektive heraus dinghaft mit eindeutig-spezifischen, äußerlich sichtbaren und bereits (zwei-)geschlechtlich beschreibbaren Körperteilen.132 Dieser dinghaft-geschlechtliche, tast- und anschaubare Körper differenziert sich zwar über die Lebensjahre als weiblicher oder männlicher Körper aus, jedoch bleibt das von Geburt an festgestellte Objekt des Geschlechtskörpers als Körperschema zeit- und kulturübergreifend gültig (Gahlings, 2006, S. 107). Leiblichkeit als etwas, was man in der körperlichen »Gegend von sich spürt, ohne über ein ›Sinnesorgan‹ […] zu verfügen« (Schmitz, 2007, S. 115; Herv. i. Orig.) meint schließlich subjektive Erfahrungen, eigenspürbare Erlebnisse, die am Körper relativ und absolut örtlich sowie auch ortlos gespürt werden können. Der geschlechtliche Leib wird dabei nicht andauernd gespürt, vielmehr meint er individuelle, biografisch gewachsene Leiberfahrungen. Situativ kann sich der Geschlechtsleib im Spüren von Leibesinseln oder Ganzleibigkeit aufdrängen und affektiv betroffen machen. Biografisch gewachsene geschlechtliche Leiberfahrungen entfalten sich dabei bei Frauen anders als bei Männern, da im biografischen Kontext gemachte Leiberfahrungen, wie die Thelarche, Menarche oder die Defloration, den geschlechtlich-weiblichen Leib ihrem heranwachsenden Subjekt anders erfahrbar machen als der geschlechtlich-männliche Leib seinem heranwachsenden männlichen Subjekt gegeben ist (Gahlings, 2006, S. 108). Diese Besonderheiten der weiblichen Körpererfahrungen wurden in der Phänomenologie, die (leibliche) Erfahrung als solche universal beschreibt und nicht geschlechtlich differenziert betrachtet, durchaus nicht berücksichtigt (Fisher, 1997, S. 23).133 Die Geschlechtsidentität (Gender) setzt nun nach Gahlings als Schnittpunkt zwischen geschlechtsspezifischer Körperlichkeit (Sex) und biografisch generierten Leiberfahrungen an. Die Geschlechtsidentität eines Menschen wird somit nicht allein vom Geschlechtskörper bedingt und auch nicht lediglich über Diskurse konstituiert, sondern setzt sich als ein Aspekt menschlicher Identitätsbildung aus Dimensionen wie Körper, Leib, Biografie und Diskurs zusammen:
132 Ebenfalls existieren Fälle von physiologischer Uneindeutigkeit, in denen die Zuschreibung auf ein Geschlecht nicht möglich scheint oder zumindest schwerfällt. 133 Zur Diskrepanz und Kongruenz von Phänomenologie und Feminismus vgl. Fisher (1997), Vasterling und Stoller (2005) oder Gahlings (2006).
Zusammenfassung und forschungsleitende Konsequenzen
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»Die Geschlechtlichkeit des Menschen ist nicht ohne körperliche Entwicklung, nicht ohne leibliche Biografie und ihre Interaktion mit Diskursen und nicht ohne Intersubjektivität zu haben, ebenso wenig lässt sie sich erschöpfend anhand der Binarität ›weiblich‹ und ›männlich‹ evaluieren. Geschlechtsidentität entfaltet sich an den Achsen von Körper, Leib, Biographie und Diskurs in vielfältiger Wechselbezüglichkeit und im Kontext von Schicksal und Freiheit, Unverfügbarkeit und Entwurf.« (Gahlings, 2006, S. 110; Herv. i. Orig.)
Zurück zum Zweikämpfen: Eine ideale Zweikampfsituation ist durch leibliche Kommunikation gekennzeichnet. Im Schmitz’schen Sinne gehen die Partizipanten in einem Zustand reinen Spürens auf und verschmelzen somit über Einleibungsprozesse zu einer gemeinsamen Leiblichkeit mit gemeinsam geteilten Leibesinseln, ohne eine gesonderte Vorstellung von den beteiligten Körpern (Jäger, 2012). Doch eben diese individuellen Vorstellungen der Körper sind es, welche nach Jäger leibliche Kommunikation erschweren, besonders im Hinblick auf kulturelle Einschreibungen von Weiblichkeit oder Männlichkeit in den Körper. Die konträr zueinander orientierten soziokulturellen Typisierungen von Weiblichkeit und Männlichkeit schreiben sich in die biologischen Körper ein, lösen entsprechende Empfindungen aus und stiften Identität (ebd.). Es kann davon ausgegangen werden, dass die kulturelle Einschreibung der Geschlechterdualität somit das Zweikämpfen beeinflusst, »es kommt zu einer leiblichen Inszenierung, zu einem weiblichen oder männlichen Bewegungsstil, der sowohl intentional als auf performativ ist« (Jäger, 2000, S. 163).
Die bereits in der frühen Kindheit erworbenen, als geschlechtstypisch konnotierten Bewegungsmuster (s. Kap. 2.4.1), können somit bereits im Kindesalter das kämpferische Sich-Bewegen entsprechend beeinflussen und dominieren: »Es kann zum Beispiel bedeuten, dass ich mich als Frau von vorn herein unterlegen fühle, wenn ich mit einem männlichen Partner kämpfe. Es kann sein, dass ich als Frau mich nicht traue, aggressiv zu kämpfen. Es kann bedeuten, dass ein Mann unter Druck gerät, wenn er gegen eine Frau antritt. Wenn er gegen sie verlieren würde, dann wäre es für ihn als Mann eine Blamage. Es kann sein, dass ein Mann sich nicht gönnt, weich zu kämpfen, weil das unmännlich ist.« (ebd., S. 26)
Aufbauend auf diese Überlegungen will die vorliegende Studie Prozesse zwischenleiblicher Kommunikation in kindlichen Zweikampfsituationen betrachten unter der Fragestellung, wie die interaktiv hergestellte und soziokulturell eingeschriebene Geschlechterdualität in leiblichen Praktiken (Gugutzer, 2014) des Zweikämpfens wirksam wird – speziell im Hinblick auf die Geschlechtsidentitätsentwicklung im Schulalter. Ausgehend von diesen Überlegungen bietet sich ein qualitatives Vorgehen im Rahmen eines ethnografischen Forschungsdesigns an, das die Lebensweltanalyse in die Ethnografie einbindet (vgl. Honer,
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Zur (Leib-)Phänomenologie
2012), zugleich leibkörperliche Prozesse mikrosoziologisch betrachtet und in der Erhebung wie Auswertung berücksichtigt.
3.4.1 Sozialwissenschaftliche Ethnografie Qualitative Sozialforschung, welche die qualitative Methodologie auf soziale Gegenstände anwendet (Heinze, 2001, S. 12), beschreibt ein breites und interdisziplinäres Feld empirischer Forschungsmethoden, welche durch den grundlegenden Anspruch, »Lebenswelten ›von innen heraus‹ aus der Sicht der handelnden Menschen zu beschreiben« (Flick, von Kardorff & Steinke, 2012, S. 14; Herv. i. Orig.) charakterisiert sind. Lamnek (2010, S. 24f.) stellt zentrale Prinzipien qualitativer Sozialforschung auf, welche diese von quantitativen Forschungsmethoden abgrenzen. So begegnet die Forscherperson in einem stets kommunikativen Verhältnis offen und unvoreingenommen den Personen, Situationen und Methoden der Untersuchung. Qualitative empirische Sozialforschung ist dabei in ihrem Ablauf immer prozesshaft und kann somit auch flexibel in ihren Methoden und ihrem Vorgehen auf Situationen im Forschungsprozess reagieren. Im Erhebungs- und Auswertungsprozess wird stets eine reflexive Haltung gegenüber dem Gegenstand und der Analyse eingenommen, wobei einzelne Untersuchungsschritte expliziert werden sollen, um den Forschungsprozess nachvollziehbar zu machen.134 Ein ethnografisches Vorgehen im Kontext qualitativer Sozialforschung meint keine festgelegte Forschungsmethode, sondern bezeichnet eine Forschungsstrategie, »die als eine methodenplurale, kontextabhängige und flexible Erkenntnisstrategie die Selbstverständlichkeit sozialer Praxis trotz ihrer Alltäglichkeit in Frage stellt« (Peters, 2010, S. 43).
Fischer (2006, S. 17) fasst unter dem Begriff der Ethnografie die Beschreibung eines Volkes durch einen Ethnografen. Diese Beschreibungen bilden die Datengrundlage für die wissenschaftliche Auswertung der Ethnologen. Die Eth134 Mit diesen Postulaten werden einige Gegensätze in den erkenntnistheoretischen und methodologischen Prinzipien qualitativer und quantitativer Forschungsparadigmen deutlich, welche allerdings durchaus miteinander verbunden werden können (Flick, 2011, S. 42ff.). Da die qualitative Sozialforschung weniger durch Standardisierung als vielmehr über intersubjektive Nachvollziehbarkeit charakterisiert ist, werden der gesamte Forschungsprozess dokumentiert, Erhebungsmethoden werden dargestellt (s. Kap. 4.1), der Untersuchungskontext und das Setting vorgestellt (s. Kap. 4.2), Transkriptionsregeln erläutert (s. Kap. 4.3.3), Daten und Auswertungsmethoden dokumentiert; die Anwendung kodifizierter Verfahren, wie das narrative Interview (s. Kap. 4.1.2) und die Grounded Theory (s. Kap. 4.3.3), erleichtern den Nachvollzug der Untersuchung (Steinke, 2012).
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nografie bezieht sich somit auf den deskriptiven, empirischen Part der Ethnologie bzw. Völkerkunde, wobei mittlerweile eine Vielzahl von sozialwissenschaftlichen Ethnografien die Kulturen in der eigenen Gesellschaft in den Blick nehmen. Die gesellschaftlichen Pluralisierungs- und Differenzierungsprozesse ermöglichen vielfältige Fremdheitserlebnisse im eigenen Kulturraum (Lüders, 2012, S. 390). Der Aufenthalt und die Forschung in dem Gebiet eines fremden Volkes werden als Feldforschung bezeichnet. Im Vordergrund steht die Untersuchung »natürlicher Lebenssituationen« (Fischer, 1983, S. 70): »Das Ziel des Untersuchenden geht also dahin, das tägliche Leben von Menschen möglichst unverändert zu beobachten, keine Eingriffe vorzunehmen (keine künstliche Situation herzustellen), nicht die jeweils sehr komplexe Situation für Zwecke der Untersuchung zu vereinfachen« (ebd.).
Dieses Vorgehen soll eine gewisse Offenheit gegenüber neuen und unerwarteten Sachverhalten generieren. Wann allerdings von ethnografischer Forschung gesprochen werden kann, darüber herrscht Uneinigkeit (Honer, 1993; Bindel, 2008; Wolcott, 2010), wobei diese Forschungshaltung mit den qualitativen Forschungsmethoden (Vidich & Lyman, 1994, wie auch mit der Methode der Grounded Theory (Charmaz & Mitchell, 2010) eng verbunden scheint. Besonders die teilnehmende Beobachtung (s. Kap. 4.1.1) wird als ethnografische Methode hervorgehoben. Flick (2011) führt einige Charakteristika ethnografischer Forschung auf: – »Ein starker Akzent auf der Erkundung der Eigenschaften eines speziellen sozialen Phänomens, anstatt sich auf den Weg zu machen, Hypothesen über dieses Phänomen zu testen. – Eine Tendenz, vor allem mit ›unstrukturierten‹ Daten zu arbeiten, d. h. Daten, die nicht während der Datensammlung bereits anhand eines festen Satzes analytischer Kategorien kodiert wurden. – Erforschung einer kleinen Zahl von Fällen, gegebenenfalls nur eines Falls, im Detail. – Eine Analyse der Daten, die die explizite Interpretation der Bedeutungen und Funktionen menschlicher Handlungen, deren Ergebnis vor allem die Form verbaler Beschreibungen und Erklärungen annimmt, wobei Quantifizierung und statistische Analysen eine höchst untergeordnete Rolle spielen.« (ebd., S. 297f.) Oftmals scheint ein Kriterium guter Ethnografie dabei die Aufenthaltsdauer im Feld zu sein (Bindel, 2011a). So existieren verschiedene Zeitangaben zur Aufenthaltsdauer des ethnografischen Beobachters im Feld. Diese reichen von einem temporären Aufenthalt, welcher »für eine minimale Integration in das
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Zur (Leib-)Phänomenologie
erforschte soziale Feld erforderlich ist« (Oester, 2007, S. 13) bis zu einer Standard-Zeitangabe von mindestens zwölf Monaten bzw. einem Jahreszyklus (Fischer, 1983, S. 76; Goffman, 1996, S. 267). Knoblauch (2001) bezeichnet die herkömmliche Ethnografie als besonders zeitaufwendig, da durch das Eintauchen in fremde Kulturen Erfahrungen über einen langen Zeitraum hinweg gesammelt werden. Alternativ beschreibt er eine fokussierte Ethnografie, welche sich durch kurzfristige Feldaufenthalte in der eigenen Kultur auszeichnet, die durch meist technisch-audiovisuelle Aufzeichnungen äußerst datenintensiv sind und lediglich einen Ausschnitt der Kultur fokussieren. Die Anwendung audiovisueller Unterstützung bei der Datenerhebung ermögliche dabei eine gewisse Intersubjektivität der Beobachtungen (ebd., S. 131). Im Rahmen dieser Arbeit meint ein ethnografisches Vorgehen nicht einen langfristigen Aufenthalt im Feld oder die Anwendung technisch-audiovisueller Mittel. Vielmehr impliziert ethnografisches Vorgehen in diesem Kontext das leibkörperliche Eingebundensein der Forscherperson im Sportunterricht über den Zeitraum einer Unterrichtseinheit Kämpfen hinweg. Ausgehend von Schütz Generalthesis des Alter Ego (s. Kap. 3.2) wird die Existenz der Mitmenschen grundlegend vorausgesetzt, und Fremdverstehen findet über Zeichen und Anzeichen »in einer Selbstauslegung des Deutenden auf der Basis seines biographisch bestimmten Wissensvorrats und ausgerichtet an seinen situativen Relevanzsystem« (Hitzler & Eberle, 2012, S. 113) statt. Deutungen fremder Sinnzusammenhänge können dabei niemals identisch mit der tatsächlichen Erfahrung der Handelnden sein, sondern sich dieser lediglich annähern. Honer (2012, S. 195) konstatiert, dass sich die von Schütz intendierte Typenbildung zur Rekonstruktion subjektiver Erfahrungen lediglich auf die theoretische Reflexion in der Datenauswertung bezieht, das Problem der Datengewinnung jedoch nicht beantwortet. Ein ethnografisches Vorgehen in der eigenen Gesellschaft bedarf eines bewusst-reflexiven Befremdens der eigenen Kultur bzw. des beobachteten Ausschnittes der sozialen Wirklichkeit. Eigenes Wissen soll dabei nicht abgedrängt werden (was auch kaum möglich scheint), sondern ist in den Erhebungswie Auswertungsverfahren stets reflektiert miteinzubeziehen. Dabei muss strikt zwischen der Datenerhebung im Feld und der Interpretation eben dieser Daten differenziert werden, da die Datenanalyse – entgegen der Datengewinnung – nach Schütz aus einer übergeordneten, teilnahmslosen Position heraus interpretiert werden sollte (ebd., S. 196ff.). Sportethnografische Studien sind dabei weder im englischsprachigen Raum (Blanchard, 1995; Sands, 2002), noch in Deutschland sehr verbreitet (Thiele, 2003; Kuhn, 2007; Bindel, 2008, 2011b; Oehmichen, 2012)135, allerdings häufen
135 Oehmichen (2012, S. 257) fordert einen »motorisch fähigen und konditionell fitten«
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sich ethnografische Studien in der Erziehungswissenschaft (Breidenstein, 2006; Hünersdorf, 2011).136 Der Kontrast zwischen ethnografisch-deskriptivem und normativ pädagogischem Forschen und somit dem Einsatz ethnografischer Forschungsmethoden im Sportunterricht wird vielfach problematisiert (Bindel, 2009; Thiele, 2011). So kann eine Ethnografie als sportpädagogische Ethnografie dienen, wenn sie einerseits in pädagogischen Kontexten bzw. Institutionen durchgeführt wird, andererseits wenn sie »den sozialen Diskurs des Feldes pädagogisch deutet« (Bindel, 2011a, S. 9) und einen »Nutzen für die Gestaltung in Praxisfeldern des Sports« (ebd., S. 10) aufweist. Beides soll im Rahmen dieser Arbeit Anwendung finden. Ist das zu untersuchende Feld bereits in einem pädagogischen Kontext – die Schule bzw. den Schulsport – eingebettet, so sollen Erkenntnisse über die geschlechtlichen Praktiken im Sportunterricht schließlich pädagogisch gedeutet und Konsequenzen auf das Lern- und Erfahrungsfeld Kämpfen gezogen werden. In der vorliegenden Arbeit, die als Sportethnografie körperliche Praxen fokussiert, sind Überlegungen zum konkreten Einbezug von eigenleiblichen Erfahrungen in den Forschungsprozess notwendig, wenn soziales Handeln nicht bloß körperlich, sondern ebenso leiblich als affektives Betroffen-Sein verstanden wird. Das methodische Vorgehen orientiert sich dabei stets an den Fragestellungen, deren Entwicklung nachfolgend dargestellt werden soll.
3.4.2 Konkretisierung forschungsleitender Fragestellungen Ein ethnografisches Vorgehen ist als Forschungsstrategie zu kennzeichnen, welche nicht gradlinig als Forschungsmethode angewandt werden kann, sondern sich kontextabhängig und flexibel dem laufenden Forschungsprozess anpasst. Somit scheint es problematisch die ethnografische Untersuchungsanlage mit den konkreten Fragestellungen zu beschreiben, da dies eine entsprechend vorstrukturierte und hypothesengeleitete Systematik suggeriert. Tatsächlich haben sich die Fragestellungen im Rahmen dieser Arbeit erst im Laufe des Forschungsprozesses ergeben und entspringen neben den Auswertungsanalysen von Beobachtungs- und Interviewpassagen auch subjektiven Erfahrungen aus der eigenen Teilnahme am Sportunterricht. Ohne eine Systematisierbarkeit ethnografischer Forschung suggerieren zu wollen, wird im Folgenden versucht, den ungradlinigen Prozess der Forschungsfragenentwicklung nachzuzeichnen. Feldforscher, um an sportiven Aktivitäten aktiv teilnehmen zu können, was wiederum für die Akzeptanz in der zu untersuchenden Gruppe förderlich sei. 136 Zinnecker (1995, S. 21) verweist auf den Begriff einer »Pädagogischen Ethnographie« in pädagogischen bzw. Bildungsinstitutionen, um mit einem befremdeten Blick die kindlichsubjektive Alltagswelt reflexiv zu betrachten.
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Zur (Leib-)Phänomenologie
Die Formulierung von Fragestellungen hat entscheidenden Einfluss auf das jeweilige Studiendesign. Im Rahmen qualitativer Forschung werden diese im Laufe des Projekts »immer wieder konkretisiert, fokussiert, weiter eingegrenzt und revidiert« (Flick, 2012, S. 258). So ergibt sich die Konkretisierung der Fragestellungen im Kontext dieser Studie erst im Laufe des Feldaufenthaltes. Würde bereits im Vorfeld von der Annahme u. a. geschlechtsspezifischer Heterogenitätskategorien ausgegangen werden, so könnten Beobachtungen und Interviewauszüge lediglich auf dieser Grundlage analysiert werden, was einem deduktiven Vorgehen entspräche. Die Gefahr einer Reifizierung von Geschlechterdifferenzen ist damit in besonderem Maße gegeben, und die von der ethnografischen Feldforschung geforderte Offenheit wäre nicht einzulösen (Budde, 2014, S. 136). Ausgehend von einem phänomenologischen Verständnis soll hingegen eine Setzung jeglicher Ordnungskategorien vorab vermieden werden. Erst über die ersten Feldkontakte, die dem Prinzip der Offenheit entsprechen, werden Ordnungskategorien in den Blickpunkt genommen, welche vom Feld selber verwendet werden.137 Die ursprüngliche Intention des ethnografischen Vorgehens war es, aufbauend auf den theoretischen Vorüberlegungen zu der mangelnden empirischen Aufarbeitung des relativ jungen Erfahrungs- und Lernfeldes Kämpfen im Sportunterricht dieses Feld aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler zu beleuchten und auf eventuelle Diskrepanzen zwischen theoretischem Anspruch und alltäglicher Wirklichkeit aufmerksam zu machen. Ohne konkrete Fragestellung, aber mit der Eingrenzung des Feldes auf eine Unterrichtseinheit Kämpfen sollte der Sportunterricht mit der offenen Frage: Was passiert hier eigentlich? beobachtend begleitet werden. Im Rahmen der ersten unstrukturierten Beobachtungen wurden geschlechterdifferente Handlungsweisen der Schülerinnen und Schüler beobachtet, welche weiter fokussiert wurden, obwohl nach diesen nicht direkt gesucht wurde. Daraus ergab sich die Frage: Wie und in welchen Situationen handeln die meisten Mädchen und Jungen unterschiedlich? Und daran anknüpfend: Welche Bedeutungen liegen geschlechterheterogenen Bewegungserscheinungen in Zweikampfsituationen im Sportunterricht zugrunde? Da diese Bewegungserscheinungen dem menschlichen Handeln und Interagieren entspringen, müssen handlungstheoretisch körperliche Praktiken und leibliches Spüren berücksichtigt werden und Einzug in die Fragestellung dieser Arbeit erhalten. Ausgehend von der theoretischen Vorannahme der sozialen 137 Die Herstellung von (Geschlechter-)Differenz wirft hier somit kein methodisches Problem auf, da sie während der Unterrichtseinheit Kämpfen von den Schülerinnen und Schülern selbst aufgegriffen und thematisiert wird (s. Kap. 4.2.2).
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Konstruktion der Geschlechterordnung (s. Kap. 2) rücken somit die leiblichen Praktiken in den Forschungsfokus, welche die Geschlechterwirklichkeit binär strukturieren. Handlungstheoretisch wird somit nicht lediglich das aktive, willentlich-körperliche Agieren der Kinder138 zur Aufrechterhaltung der Geschlechterordnung berücksichtigt, sondern ebenso das passiv-leibliche Betroffen-Sein (Gugutzer, 2014, S. 101f.). Die Beschreibung und Analyse der sowohl leiblichen als auch körperlichen Prozesse, die zu einer weiteren Ausdifferenzierung führen, bilden somit die grundlegende Fragestellung: Wie gestalten sich leibliche Praktiken der Geschlechterordnung in Situationen139 kämpferischen Sich-Bewegens im Sportunterricht? Aus der Perspektive einer leibbasierten Soziologie heraus ist die Frage zu stellen, inwieweit das Spüren von Geschlecht, welches als subjektive Tatsache des eigenleiblichen Geschehens angenommen wird, am eigenen Leib relevant ist für die intersubjektiven Tatsachen des sozialen Geschehens. Im Umkehrschluss wiederum ist danach zu fragen, inwiefern die Gesellschaft Einfluss auf dieses Spüren von Geschlecht nimmt (Uzarewicz, 2011, S. 178f.). Das Spüren oder Fühlen von Geschlecht entspringt dabei der phänomenologischen Emotionstheorie, dass »Gefühle eine eigenständige phänomenale Kategorie bilden, die sich nicht auf kognitive Aspekte reduzieren lässt« (Senge, 2013, S. 25). Rückt die Leib-Umwelt-Beziehung in den Mittelpunkt des Interesses, so ist ein verengt-naturwissenschaftlicher Blick auf den Körper zu vermeiden und innerhalb eines erweiterten Theorierahmens mit phänomenologischem Instrumentarium nach dem leiblichen Selbst zu fragen: »Wie wird der eigene Leib gespürt? […] Wie ist die Umweltbeziehung hinsichtlich der Struktur der differenzierenden Wahrnehmung und des praktischen Handelns beschaffen?« (Jäger, 2004, S. 134).
Im Kontext der Wesensanalyse geschlechtlicher Leiberfahrungen bestimmt der Anspruch, individuelle (Leib-)Erfahrungen allgemeiner zu fassen und »innerhalb eines weiter gefassten kategorialen Begriffsrahmens zum Ausdruck zu bringen« (Fisher, 1997, S. 39) das weitere Vorgehen. Als Erhebungsmethode 138 Im Folgenden werden die abwechselnd genutzten Begriffe Kinder oder Schülerinnen und Schüler synonym gebraucht. Kritisch differenziert Volkamer (2008, S. 42) die Begrifflichkeiten: »Die Curricula sind innerhalb eines bürokratischen Systems für dieses bürokratische System entstanden, in dem Kinder und Jugendliche nur noch als Schüler vorkommen. Schüler treiben keinen Sport, sondern haben Kompetenzen zu erwerben und den erfolgreichen Erwerb gefälligst nachzuweisen.« 139 Situationen werden hier Gugutzer folgend als soziale Situationen verstanden, entsprechend der pragmatischen Definition Goffmans: »Situationen entstehen, wenn gegenseitig beobachtet wird, sie vergehen, wenn die zweitletzte Person den Schauplatz verlässt.« (Goffman, zit. nach Gugutzer, 2012, S. 75)
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Zur (Leib-)Phänomenologie
eignet sich im Kontext dieser Arbeit die Ethnografie, da es dieser »vor allem um eine Beschreibung von Praktiken geht, die u. a. dieses implizite Wissen, den Vollzug und die Darstellung von Praktiken, Fragen der Lösung von Handlungsproblemen und der Handlungskoordination zu explizieren versucht« (Breidenstein, Hirschauer, Kalthoff & Nieswand, 2013, S. 33). Nachfolgend soll das konkrete methodische Vorgehen erläutert werden, wobei insbesondere Überlegungen zum eigenen leibkörperlichen Eingebundensein als Forscherperson ausformuliert werden.
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Entwurf einer neophänomenologischen Ethnografie
Wird die neophänomenologische Soziologie als Handlungstheorie dem interpretativen Paradigma zugeordnet, rücken das alltägliche Sinnverstehen und die wissenschaftliche Rekonstruktion sozialen Sinns in den Vordergrund. Dabei ist dieses Verstehen von der phänomenologischen Soziologie bei Schütz und Luckmann abzugrenzen, welche zwar ebenfalls Sinn rekonstruieren will, dies allerdings lediglich über reflexiv vorgenommene Deutung von Handlungen. Aus einer neophänomenologisch-soziologischen Handlungstheorie heraus wird Sinn hingegen als leiblicher Sinn verstanden, mit dem der Handlungssinn des Partners oder der Situation vorreflexiv erfasst wird, oder der Körper selbsttätig agiert (Gugutzer, 2010, S. 181).
4.1
Erkenntnis über Leib und Körper
Im Folgenden soll, aufbauend auf den Darstellungen zur neophänomenologischen Soziologie (s. Kap. 3.3.5), der methodische Zugang zur Reflexion leiblicher Praktiken der Schülerinnen und Schüler aufgearbeitet werden. Für das Mitund Gegeneinander im Zweikampf ist der leibliche Subjektbezug konstitutiv und muss in den Erkenntnisprozess miteinbezogen werden. Eine leibphänomenologische Perspektive berücksichtigt eigenleibliches Erleben und Spüren von Geschlecht, welches immer selbsterfahren und somit subjektiv ist. Böhme (2003) konstatiert, dass es bei einer Phänomenologie des Leibes um das Charakteristikum des Sich-Spürens geht, also »um die Wahrnehmung, die einen angeht, um Betroffenheit« (ebd., S. 44), und nicht bloß um Selbstwahrnehmung. In Abgrenzung zu einem naturwissenschaftlichen Zugang wird somit eigenes, affektives Sich-Spüren als Erkenntnismedium genutzt.140 140 Aufbauend auf den Begriff der affektiven Betroffenheit führt Hermann Schmitz die subjektiven Tatsachen ein. Diese beschreiben Sachverhalte, welche nur die subjektiv-betroffene Person aussagen kann (Böhme, 2003, S. 46).
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Entwurf einer neophänomenologischen Ethnografie
Interessiert sich eine rein praxistheoretische Perspektive für das Soziale »als ein öffentliches und beobachtbares Geschehen« und »weniger für Fragen und Vermutungen bezüglich dahinterliegender Motive, Intentionen und Ideen« (Schmidt, 2012, S. 44f.), so muss ein leibphänomenologischer Zugang die Sinnlichkeit des Menschen mit ihrer elementaren Rolle im Erkenntnisprozess berücksichtigen, um »Natur zu erfahren und eine Verbindung von der Welt des Spürens hin zur Welt der Sprache zu knüpfen« (Dörpinghaus, 2013, S. 203). Die handlungstheoretische Ausrichtung dieser Arbeit rückt somit »das passive, eigensinnige leibliche Handeln statt des aktiven, rationalen und normorientierten Handelns wie auch die leibliche Interaktion anstelle der symbolisch vermittelten Interaktion in den Mittelpunkt« (Gugutzer, 2012, S. 82; Herv. i. Orig.),
da leibliche Praktiken immer das Handeln des Körpers und das Spüren des Leibes einschließen (Gugutzer, 2014, S. 101). Der Untersuchungsgegenstand kann dabei über einen erklärenden oder verstehenden Zugang erfasst werden, wobei der wissenschaftliche Zugriff selbst durch die Art des Fragens bedingt scheint und nicht der Forschungsgegenstand an sich konstitutiv für den Zugang ist. Im Vorfeld ist somit fragend das Verhältnis von Erkenntnissubjekt und Erkenntnisobjekt zu klären. Dieses Verhältnis bestimmt schließlich den möglichen Untersuchungsgegenstand, wodurch ein erklärender oder verstehender Zugang angemessen scheint. Lindemann (2014) führt aus, dass die Differenz von Erklären und Verstehen auf den methodisch divergenten Untersuchungsprinzipien der offenen oder geschlossenen Frage basiert. Sind bei dem Prinzip der geschlossenen Frage Erklärungen möglich, scheint das Verstehen der geeignete Zugang bei offener Fragestellung (Lindemann, 2014, S. 74). Im Sinne Gadamers meint Verstehen einen zirkulären Prozess von charakteristischer Offenheit und Rezeptivität, »in der Logik des reflexiven Fragens auf ein nicht vereinnehmbares Anderes hin, das uns selbst immer von neuem in Frage stellt« (Hiltmann, 2005, S. 114). Anlehnend an Plessner entwirft Lindemann (2014, S. 75) das Prinzip der offenen Frage. Dabei muss auch die dieser Arbeit vorangestellte Ausgangsfrage eine Vorannahme beinhalten, wie der zu untersuchende Gegenstand beschaffen ist: »Es geht nicht darum, dem Gegenstand die Führung zu überlassen, sondern die Führung bei einem wissenschaftlichen Vorgehen enthält weiterhin der Vorentwurf der Sache, der in der Frage enthalten ist […] Der Vorentwurf ist derart, dass die Frage die Garantie der Beantwortbarkeit beinhaltet, d. h. durch die Frage ist festgelegt, dass die Sache auf die Frage antworten kann […] Der Vorentwurf ist aber nicht derart, dass in der Frage schon die Garantie der Beantwortung festgelegt ist, d. h., durch die Frage wird keine Erscheinung festgelegt, deren Auftreten als Antwort auf die Frage verstanden werden muss. An dieser Stelle liegt die Relevanz der Deutung. Dem Gegenstand wird die Möglichkeit zugestanden, sich von sich aus zu zeigen, und es ist Aufgabe des Erkenntnissubjekts zu sehen, wie sich der Gegenstand im beobachteten Phänomen
Erkenntnis über Leib und Körper
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zeigt. Wenn sich eine Forschung am Prinzip der offenen Frage orientiert, muss sie sich also auf ein interaktives oder kommunikatives Verhältnis zu ihrem Gegenstand einlassen, das methodisch durch das Forschungssubjekt nicht mehr vollständig zu kontrollieren ist.« (ebd.)
Das in dieser Studie durch den Aufenthalt im Feld entdeckte und schließlich zu beschreibende Phänomen der geschlechtlichen Praktiken beim Kämpfen im Sportunterricht verweist somit auf etwas nicht direkt erscheinendes, was nicht nur beobachtet, sondern im Plessnerschen Sinne verstanden werden muss (ebd., S. 76). Da in diesem Forschungskontext die leiblichen Praktiken fokussiert werden, die das Spüren des eigenen Geschlechts implizieren, muss die geschlechtliche Codierung von Gefühlen zum Gegenstand gemacht werden. Dafür ist eine offene Fragestellung notwendig, denn »wenn Geschlecht in seiner Konstruiertheit sichtbar gemacht werden soll, kommt es darauf an, die dafür relevanten Phänomene in Kategorien zu erfassen, die nicht zirkulär bereits Geschlecht voraussetzen« (Landweer, 1997, S. 261).
Fühlen und Gefühle in den Fokus sozialwissenschaftlicher Betrachtung zu nehmen, ist dabei nicht ohne Hindernisse möglich. Soziologisch können Emotionen und inneres Erleben lediglich über den äußerlich-beobachtbaren Ausdruck als Konstruktionen zweiter Ordnung über den Gegenstand formuliert werden. Emotionales Erleben ist lediglich über eigene, innere Erfahrung fassbar, und Aussagen über Gefühle sind immer »Rekonstruktionen höherer Ordnungen als die Erfahrung der Emotion selbst« (Senge, 2013, S. 19). Goldie (2000) beschreibt ein behutsam-schrittweises Vorgehen in Form eines hermeneutischen Zirkels, um sich den Gefühlen anderer anzunähern: »To sum up […] a person’s character, mood, thoughts, feelings, sayings, actions, bodily changes, expressions of emotion, and self-interpretations, as well as your own emotions, mood and character, all play a part in the project of understanding and explaining that person’s emotions – and emotional life – in a narrative, often only achieved through a complex and cautious process of t.tonnement within the hermeneutic circle. (The French word ›t.tonner‹ means to feel one’s way, or to proceed cautiously, nicely capturing the interpretive task I wish to describe it.) […] that understanding and explaining is personal, normative, and holistic; and that understanding and explanation are achievable third-personally (and not impersonally) through the use of reason and imagination, without the interpreter’s own emotions being involved.« (ebd., S. 189; Herv. i. Orig.)
Goldie verdeutlicht damit, dass sich die Forscherperson nicht vollkommen von den Emotionen anderer anstecken lassen und dennoch aufmerksam, gefühl- und fantasievoll vorgehen sollte. Um ein Mitfühlen und Mitspüren im Rahmen dieser Studie überhaupt in der
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Entwurf einer neophänomenologischen Ethnografie
Erhebungsphase berücksichtigen zu können, muss die Fähigkeit, Emotionen und Empfindungen mit anderen Menschen zu teilen, als grundlegend vorausgesetzt werden.141 Max Scheler (1874–1928) geht davon aus, dass durch das Mitfühlen nicht die Gefühle anderer gefühlt werden, sondern Mitgefühl auf »das Gefühl des Anderen als dieses Andere« (Schloßberger, 2013, S. 300) gerichtet ist. Somit können im Nachvollzug äußerlicher Ausdrucksbewegungen anderer ähnliche Gefühle im eigenen Inneren geweckt werden. Scheler widerspricht damit der cartesianischen Auffassung, dass der Körper gesehen und schließlich der Geist verstanden werden könne. Die Gefühle des Gegenübers zu verstehen, ist vielmehr durch präreflexiv-unmittelbares Nachfühlen möglich, da wir »unmittelbar am Ausdruck des Anderen den Anderen als Anderen erfahren« (ebd.). Schmitz führt an, dass sich gefühlsrelevante Atmosphären ebenfalls von Personen wahrnehmen lassen, wenn diese selbst nicht betroffen sind. Ein Mitfühlen wird insofern möglich, als dass die Atmosphäre als jeweiliges Gefühl einer Person den Beobachter selbst affektiv erfasst.142 Das Erspüren des gefühlten Geschlechts und damit die Leiblichkeit in den Fokus der empirischen Betrachtung zu rücken, bedingt aufgrund des scheinbaren Solipsismus eine methodische Herangehensweise, welche Subjektivität in der Erhebung und Sachlichkeit in der Auswertung zusammenbringt und somit den wissenschaftlichen Anspruch qualitativer Forschung erfüllt.143 Für die Erhebungsmethoden im Feld ist stets zu beachten, dass sich sämtliche möglichen Prozesse von Gespürtem im Zweikampf auf einer leiblichen Ebene abspielen und somit ausschließlich subjektiv und nicht unmittelbar beobachtbar oder ausfragbar sind.144 Das konkrete Erleben der Kinder ist für die Forschungsperson nicht direkt zugänglich. Zwischen Forscher und Erforschten findet allerdings immer auch leibliche Kommunikation statt.145 Der eigene Leib wird – wie auch der Leib des Gegenübers – als Ausdrucksmedium gespürt, und
141 Durch die Entdeckung des Spiegelungsmechanismus in der Neurobiologie wird die Theorie dieser Fähigkeit neurophysiologisch bestätigt (Gallese, 2013, S. 95ff.). 142 Nach Slaby (2011, S. 35) wird das betroffene Mitfühlen durch die Integration in den eigenen Möglichkeitsraum konstituiert. 143 Ein Erspüren des eigenen Geschlechts rekurriert dabei immer auf das eigene subjektive Erleben, jedoch nicht obligatorisch auf ein Erlebnis »als punktuell besonderen Erlebens aus einer Kontinuität des dahinfließenden Lebens« (Hasse, 2005, 160f.). 144 Hier unterscheidet sich die neophänomenologische Soziologie von der Praxeologie, da nicht bloß der sicht- und tastbare Körper, der soziale Ordnung performativ hervorbringt, beobachtet und analysiert wird, sondern ebenso der von außen nicht sichtbare spürende und spürbare Leib (Gugutzer, 2014, S. 95). 145 Bereits Bourdieus praxeologische Erkenntnistheorie reflektiert kritisch die Differenz von praktischer und theoretischer Logik und fordert ein körperlich-praktisches Verstehen sozialer Strukturen über das praktische Mitwirken des eigenen Forscherkörpers (Bourdieu, 2001, S. 174ff.).
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sprachliche Aussagen werden über den leiblichen Ausdruck interpretiert. Neben den sprachlichen Aussagen in den Interviews evoziert die kindliche »Gestik, Mimik und nicht zuletzt ihr Körperleib samt seiner Bilder zum leiblich Gespürten selbst ein Mitgehen und mimetisches Nachvollziehen der Forscherin« (Dörpinghaus, 2013, S. 223).146
Gleichsam ist es unzureichend, Gefühle lediglich über Mimik, Gestik bzw. dem beobachteten Verhalten zu beschreiben, da Ausdruckszeichen fehlen oder gänzlich ausbleiben können, wobei sich ebenso das rein subjektive Fühlen von Gefühlen als ebenso fehlerhaft darstellen kann.147 Honer (2012, S. 81) spricht sich für die Herstellung von Vertrautheit zum untersuchten Phänomen »durch praktische Teilnahme am sozialen Geschehen […], durch existenzielle Perspektivübernahme bzw. Perspektivverschränkung« aus. Die Triangulation von teilnehmender Beobachtung und narrativen Interviews soll das Mitfühlen und Verstehen leiblich-geschlechtlicher Praktiken ermöglichen. Explizierte Gefühle lösen eine Vorstellung des Gefühls beim Zuhörer aus, was wiederum zu einem eigenen Fühlen des Gefühls führen kann, das zwar nicht identisch mit dem Gefühl der erzählenden Person ist, allerdings ein Mitfühlen und Nachempfinden ermöglicht (Slaby, 2008, S. 307). Dörpinghaus (2013) geht dabei von einer anthropologischen Grundkonstellation des gemeinsamen Menschseins aus, das ein gewisses gegenseitiges (Leib-)Verständnis im Spüren füreinander ermöglicht: »Der Forschungsgegenstand Leib lässt hervortreten, dass es sich um etwas handelt, das erspürt werden muss, um zu verstehen, worum es in den Aussagen der Betroffenen eigentlich geht. Über eine gedankliche Analyse hinausgehend, kann es mit einem körperlich-leiblichen Zugang und auch aus Sicht der Selbsterfahrung gelingen, sich auf Angaben im Interview […] einzulassen und zu einem erweiterten Verständnis zu gelangen« (ebd., S. 224f.).148
Entsprechend dem an Descartes angelehnten Ausruf »Ich spüre, also bin ich!« (Uzarewicz, 2011, S. 183) wird das eigenleibliche Spüren als grundlegend für das Denken, die Sinneswahrnehmungen und schließlich für die Identität angenommen. Die Beschreibung von leiblichen Empfindungen geschieht immer aus einer subjektiven Perspektive heraus: 146 (Kindliche) Körpersprache ist zugleich immer bereits Ausdruck symbolischer Geschlechterkonstruktion (Mühlen-Achs, 2000). 147 Zu beachten ist, dass »die Intersubjektivität der Gefühle und ihr kultureller Deutungshorizont« dem »Selbstverständnis immer schon voraus« gehen (Landweer, 1997, S. 266). 148 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit stellt sich diese anthropologische Grundkonstellation allerdings insofern als problematisch dar, als dass es sich im Umgang mit Kindern um ein Erfahrungsgefälle, eine bedeutsamen Alters- und Erfahrungsdifferenz und dadurch bedingte zusätzlich differente Leiberfahrungen handelt.
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»Reflexion und Rekonstruktion des leiblichen Spürens ist als Form der Selbsterfassung für empirische Phänomenbeschreibung konstitutiv.« (Dörpinghaus, 2013, S. 206)
Gleichsam sind Zweikampfsituationen immer intersubjektiv, sie erfordern ein Gegenüber und entspringen einem aktiv-reziproken Antagonismus (s. Kap. 1.2). Die Möglichkeit einer Annäherung für einen einfühlend-mitspürenden Zugang wird in der eigenen aktiven Teilnahme des Forschers an den Unterrichtsinhalten erwartet149 sowie über ergänzende Interviews. Dies erfordert eine leiblich-rezeptive Forscherhaltung, es gilt, für eigenleibliche Erfahrungen in Form eines Sich-Spürens offen zu sein. Beide Erhebungsmethoden werden im Folgenden dargestellt.150
4.1.1 Teilnehmende Beobachtung Die Rolle der Forscherperson im Feld entwickelte sich parallel zu der Fragestellung. Wurden anfänglich noch distanziert-deskriptive und passive Beobachtungen durchgeführt, welche einer ersten Orientierung im Feld dienen sollten, so wurde im laufenden Forschungsprozess deutlich, dass eine eigene, aktive Teilnahme für die Analyse des Spürens von Geschlecht unabdingbar scheint. Um verkörperte Selbst- und Fremdwahrnehmung sozialen Handelns angemessen empirisch zu fassen, soll neben dem Körper auch der Leib konsequent berücksichtigt werden. Dazu muss ich als spürende und handelnde Forscherperson mit meiner Selbst- und Fremdwahrnehmung in den Forschungsprozess involviert sein. Hier bietet sich ein intersubjektiv-funktionaler Zugang an, welcher mir differente Perspektiven ermöglicht, indem ich als Forscherperson selbst eine handelnde Beziehung zum Untersuchungsgegenstand einnehme, anstatt von außen möglichst objektiv-neutral zu beobachten. Meine eigene Wahrnehmung wird somit gestaltend in den Untersuchungsprozess miteinbezogen, da die eigene körperliche Erfahrung mit theoretischer Erkenntnis einhergehen kann und sich theoretische Fragestellungen oftmals erst im körperlichen (Mit-)Vollzug ergeben. So können differente raumzeitliche und soziale 149 Ausgehend von der Schütz’schen Generalthese der Reziprozität der Perspektiven wird davon ausgegangen, dass der eigene Standpunkt austauschbar ist, andere Menschen am selben Standort Dinge gleich wahrnehmen und ein gemeinsames Relevanzsystem besteht (s. Kap. 3.2). 150 Intersubjektivität darf dabei nicht mit Objektivität verwechselt werden. Die subjektiven Tatsachen der Leibphänomene können jedoch in ihren entscheidenden Charakteristika allgemeiner Art sein, was eine intersubjektive Verständigung ermöglicht (Böhme, 2003, S. 48).
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Wahrnehmungsbezüge berücksichtigt werden, deren Relevanz sich erst im eigenleiblichen Erleben verdeutlichen (vgl. Pieper & Cl8nin, 2010). Als leibliches Forschungssubjekt kann ich mich nicht aus der Datenerhebung ausschließen. So soll der Fokus dieser Arbeit nicht ausschließlich auf der tradiert-hermeneutischen Textanalyse von Interviewsequenzen beruhen, sondern mich als Forschenden und die Schülerinnen und Schüler als leiblich-körperliche Subjekte miteinbeziehen. Dafür werden, zusätzlich zu narrativ geführten Interviews, Zweikampfsituationen beobachtet und durch aktive Partizipation am eigenen Leib und Körper bewusst (mit-)erlebt. Dörpinghaus (2013) führt dafür den Begriff des Forschungsleibes ein, welcher für bereits vorhandene, persönliche Erfahrungen des Forschers steht, womit im Erhebungs- und Auswertungsverfahren Objektivität und Abstandnahme bewusst vermieden werden: »Neben dem sprachlichen Subjekt kommt auch der Forschungsleib als Resonanzraum zur Geltung, welcher Vorsprachliche Artikulationen von Bedeutsamkeit aufnimmt.« (ebd., S. 218)
Hier setzt die Methode der teilnehmenden Beobachtung (Lamnek, 2010; Lüders, 2012; Cohn, 2014) an, welche als »das charakteristische Paradigma der Ethnologie, mittlerweile ihr Markenzeichen« (Illius, 2013, S. 76) zu beschreiben ist. Die teilnehmende Beobachtung ist durch die aktive Partizipation des Forschers im Feld gekennzeichnet, welche eine Beobachtung aus der Teilnehmerperspektive ermöglichen soll, zugleich aber auch den Einfluss auf das Beobachtete durch die eigene Teilnahme berücksichtigt (Flick, 2011, S. 288).151 Beobachtung meint in diesem Zusammenhang nicht lediglich die visuelle Wahrnehmung des Umfeldes, sondern schließt – gerade mit Anspruch auf einen vollständigen leibkörperlichen Miteinbezug von mir als Forscher – die gesamte Körpersensorik des Forschenden mit ein, also in diesem Kontext Riechen, Hören, Sehen und Ertasten. Ebenfalls ist das Vertraut-Werden, das Verstehen-Können und Fokussieren der Forscherperson notwendig, was als »sozialer Sinn« (Breidenstein et al., 2013, S. 71) bezeichnet werden kann.152 Damit soll der Problematik, dass subjektives (leibliches) Wissen des anderen Menschen nicht direkt zugänglich ist, insofern begegnet werden, als dass durch die Methode der direkten temporären Mitgliedschaft »die Welt gleichsam durch die Augen eines idealen Typs (irgend-)einer Normalität hindurchsehend zu rekonstruieren« (Honer, 2012, S. 198) ist.153 151 Hierbei ist stets zu berücksichtigen, dass die Beobachtung jederzeit räumlich und zeitlich begrenzt ist. So können nur Ausschnitte der sozialen Realität über die eigenen Sinnesorgane wahrgenommen und nicht alle auftretenden Verhaltensweisen im sozialen Feld berücksichtigt werden (Lamnek, 1995, S. 246). 152 Vgl. zur Einführung in die Methode sinnlicher Feldforschung Pink (2009). 153 Das Feld bzw. die Forschungswirklichkeit selbst ergibt sich erst aus dem speziell kon-
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Neben der praktischen Teilnahme am Unterrichtsgeschehen gehört allerdings ebenso eine reflexive Distanzierung vom sinnlich Erfahrenen zur ethnografischen Beobachtungshaltung, die nach »fortlaufender Explikation und Reflexion verlangt« (Breidenstein et al., 2013, S. 71). Andernfalls drohe nolens volens die Gefahr des Going Native (Coffey, 1999; Flick, 2011, S. 201ff.), welches die unbewusste Übernahme »der Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsmuster der Akteure des untersuchten Feldes bei langem bzw. intensivem Feldaufenthalt« (Staack, 2013a, S. 124) meint. Dass das Going Native nicht per se eine Gefahr für die Feldforschung darstellen muss, sondern ebenso erkenntnisgenerierend wirken kann, zeigt sich eindrucksvoll in Wacquants habituell-körperlichen Zugang zu einem Chicagoer Box-Gym. Über das Going Native konnte Wacquant in seinem dreijährigen Feldaufenthalt tiefer als mit herkömmlichen ethnografischen Methoden in das Feld eintauchen (Wacquant, 2003). Staack (2013a) macht darauf aufmerksam, dass besonders in (kämpferischen) Kontaktsportarten schnell »ein starkes präreflexives leibkörperliches Eingesogenwerden in die jeweiligen Bewegungspraktiken und die hieran gekoppelten emotionalen Zustände stattfindet« (S. 125). Forschungen zu kampfsportlichen Aktivitäten scheinen somit besonders anfällig für eine Annäherung der Forscherperson an das Feld im Sinne des Going Native zu sein, besonders wenn mit dem leibkörperlichen Erleben auch Gefühle in das Forschungsinteresse rücken. Aus einer neophänomenologisch-soziologischen Perspektive heraus gilt es für mich als Forscherperson Gefühle reflektiert zu berücksichtigen. Gefühle sind dabei nicht mit dem Leibbegriff gleichzusetzen, sondern »räumlich, aber ortlos, ergossene Atmosphären« (Schmitz, 1998, S. 22). Als außenstehender Beobachter würde ich die Atmosphären sozialer Situationen bloß wahrnehmen. Erst durch das eigene, leiblich-affektive Betroffensein, was lediglich über eine Form des Going Native möglich scheint, können Gefühle wirklich gefühlt und zu einer subjektiven Tatsache werden (ebd., S. 26). Nach dieser Auffassung sind Gefühle keine subjektiven Zustände, sondern »quasi-objektive Atmosphären« (Gugutzer, 2012, S. 78). Als Forscherperson rückt die Wahrnehmung des Gefühlszustandes eines anderen in den Fokus. Mitfühlen als Methode in Form von direkter Teilnahme und narrativ gestalteten Interviews meint somit ein indirektes »Wahrnehmen von Gefühlen als emotionale Betroffenheit der Kinder oder auch von hintergründigen, noch nicht manifesten Atmosphären«, was Rappe (2012, S. 289) als Intuition bzw. Intuieren von Gefühlsatmosphären bezeichnet. Die Wahrscheinlichkeit eines Going Native erhöht sich somit, besonders im Kontext von Kampfsportethnografien, wenn die affektive Betroffenheit von mir struierten Verhältnis von Forschendem und Forschungsgegenstand. Es werden, bedingt durch das Erkenntnisinteresse, die Forschungsfragen, die Wahl des Zugangs etc. erst über den Forschungsprozess zu einem Untersuchungsfeld (Mohr & Vetter, 2014, S. 104).
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als Forscherperson bzw. mein Leibkörper als wesentliches Erkenntnismedium genutzt werden soll: »Zusätzlich zum Eingesogenwerden durch den Flow sportlicher Bewegung muss ebenfalls das Eingesogenwerden in den Sozialzusammenhang der Sporttreibenden mit reflektiert werden, sei es induziert durch Identifikationsprozesse oder leibkörperliche Rhythmisierungen. Durch diese Phänomenkonstellation entsteht für die Forscherin eine erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Going Native in das Forschungsfeld, sei es in Form affektiver Bindungen an die Gruppe, einzelne Trainingspartnerinnen oder an das Bewegungsspüren« (Staack, 2013a, S. 126f.).
Um trotz des Going Natives eine distanziert-professionelle Forschungsperspektive einnehmen zu können, ist es notwendig, die eigene leibkörperliche Involviertheit stets reflexiv zu analysieren.154 Dies geschieht einerseits durch den Wechsel von aktiver Teilnahme im Feld und daran anschließenden direkten (Audio-)Protokollen und andererseits durch das Machtgefälle zwischen Schülerinnen und Schülern und mir als Erwachsenem, das allein aufgrund der körperlichen Differenzen, welche sich in Zweikampfsituationen in besonderer Weise zeigen, eine vollkommene Integration in das Feld ausschließen. Als Erweiterung der papiergebundenen Gedächtnisprotokolle nutze ich ein akustisches Aufnahmegerät, auf dem ich faktisches Geschehen zeitnah zum Erlebten festhalte. Dies macht es mir möglich, am Sportunterricht vollkommen teilnehmen zu können, gleichsam allerdings während kurzen Unterbrechungen zwischen den Zweikampfsituationen besondere Erlebnisse und eigene Eindrücke festzuhalten. Weiter hat dies den Vorteil, dass durch den Ton und die Stimme meine emotionale Gestimmtheit dokumentiert wird und das Audioprotokoll somit weniger distanziert zu mir als Verfasser ist (Saerberg, 2014, S. 170).
4.1.2 Narrative Interviews Wie bereits dargestellt, besteht die Grundannahme in der Fokussierung der Zweikampfsituationen im Rahmen der Erhebungsphase darin, dass die Schülerinnen und Schüler grundsätzlich leiblich-affektiv betroffen sind und somit leib-körperliche Eindrücke und Empfindungen spüren und verarbeiten. Begriffliche Aussagen über geschlechtsspezifische Leiberfahrungen in den Interviews ermöglichen einen Teilzugriff auf das jeweilige Phänomen. Sprachlichbegrenzter Ausdruck von nicht-sprachlichem Erleben kann dabei allerdings 154 In Anlehnung an das Konzept der Method of Compassion macht Hegner (2013, S. 8) deutlich, dass es um die Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz im Feld geht. So soll die Forscherperson sich dem Feld hingeben und dauerhaft partizipierender Teil des Feldes werden und dennoch Forscherin oder Forscher bleiben.
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niemals mit diesem identisch sein, was im Umgang mit Kindern als Interviewpartner noch verschärft wird (Dörpinghaus, 2013, S. 207).155 Gehören Interviews in der qualitativen Forschung mittlerweile zum anerkannten Standardrepertoire, so nehmen Interviews mit Kindern einen besonderen Stellenwert ein (vgl. Trautmann, 2010). Interviews mit Kindern wird noch immer mit einiger Skepsis begegnet, die sich hauptsächlich auf die Glaubwürdigkeit der Kinder und die eigene Kompetenz bezieht, sich als Erwachsener auf Kinder einzulassen. Durch das generativ bedingte Herrschaftsverhältnis zwischen Erwachsenem und Kind bedarf die Interviewsituation eines äußerst reflexiven und sensiblen Zugangs (Hunger, 2005, S. 71f.). Qualitative Interviews sind durch ihre prinzipielle Offenheit gekennzeichnet.156 Im Unterschied zu standardisierten Vorgehensweisen haben die Interviewten dadurch die Möglichkeit, aktiv den Gesprächsablauf zu gestalten. Das Interview ist somit nicht bloß informationsgenerierend, sondern eine Form der »gemeinsamen sozialen Produktion sozialer Wirklichkeit durch Interviewer und Befragten« (Rosenthal, 2011, S. 141). Für die konkrete Interviewführung wurde ein narratives Vorgehen gewählt, welches durch wenige globale Nachfragen seitens der Forscherperson gekennzeichnet ist und somit eine persönliche und gemeinsame Interviewsituation bedingt. Dies soll ein leibliches Verständnis und Einlassen auf die oder den Gegenüber ermöglichen (Dörpinghaus, 2013, S. 228). Das narrative Interview will längere, autonom gestaltete Erzählungen hervorlocken und verzichtet somit – dem Prinzip der Offenheit folgend –, auf hypothesengeleitete Fragestellungen und Interventionen seitens der Forscherperson. Vielmehr orientiert sich diese an den vom Gegenüber angesprochenen Thematiken und Relevanzen.157 Das im Rahmen dieser Studie angewendete narrative Interview verläuft dazu in verschiedenen Phasen (Rosenthal, 2011, S. 157ff.): – Die erste Phase gliedert sich in die Erzählaufforderung und die autonom gestaltete Haupterzählung: Der Gesprächseinstieg spielt besonders in Interviewsituationen mit Kindern eine besondere Rolle. So beginne ich nicht direkt mit einer erzählgenerierenden Einstiegsfrage, sondern stelle im Vorfeld einfache Fragen zum Alter der Kinder und ihrem Lieblingssport und erkläre ihnen die meist mit äußerst großem Interesse wahrgenommenen Aufnah155 »Schmitz weist darauf hin, dass im Abendland nicht nur kein Begriff vom Phänomenbereich der Leiblichkeit existiert, sondern dass auch bisher offensichtlich die Worte dem fehlen, der über sein leibliches Befinden, seine leiblichen Regungen, sein affektives Betroffensein von Gefühlen sprechen wollte.« (Uzarewicz, 2011, S. 182) 156 Hierbei ist zwischen den qualitativen Interviewformen zu unterscheiden. So implizieren narrative Interviews prinzipiell eine größere Offenheit als leitfadenzentrierte Interviews. 157 Externe Fragen werden allerdings ebenfalls in einem Nachfrageteil gestellt.
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megeräte (vgl. Hunger, 2005, S. 77). Da die Kinder mich bereits über meine Teilnahme am Sportunterricht kennen, ist es mir möglich, relativ zügig Hemmungen seitens der Kinder abzubauen und diese mit einer erzählgenerierenden Einstiegsfrage zu konfrontieren: Vielleicht kannst du mir etwas darüber erzählen, wie die ersten Male Kämpfen im Sportunterricht für dich waren und was ihr dort alles so bis heute gemacht habt?158 Somit wird dem interviewten Kind ein zeitlicher Anfangspunkt für das zu Erzählende gesetzt; gleichsam wird es zur Darstellung des bisherigen Ablaufs aufgefordert. »Mit dieser temporalen Strukturierung […] helfen wir den Interviewten, in einen Fluss des Erinnerns zu gelangen.« (Rosenthal, 2011, S. 158) Zu Beginn der Interviews verdeutliche ich den Schülerinnen und Schülern, dass sie frei erzählen können, niemand erfährt, was sie mir erzählen (insbesondere nicht die Lehrkraft, die Eltern oder die Mitschülerinnen und Mitschüler) und ich mir nebenbei einige Notizen machen werde. Während der Haupterzählung, welche aufgrund der autonomen Gestaltung zeitlich nicht definiert ist, übernehme ich die Rolle des aufmerksamen Zuhörers und unterstütze die Erzählung durch Gestik und Mimik sowie nicht-direktive Kurzkommentare (Hopf, 2012, S. 356). Die Notizen begleiten mein Zuhören und enthalten stichpunktartig die erzählten Erlebnisse und Themen der interviewten Person sowie eigene Eindrücke, welche sich aus der räumlichen Atmosphäre, dem empathischen Mitfühlen mit der interviewten Person und eigens gespürten Widerständen und Nachfragen zu angesprochenen Erlebnissen zusammensetzen. Die eigenen Erfahrungen sind dabei strikt von dem Erzählten zu trennen bzw. entsprechend als leibkörperlich gespürtes Eigenes zu kennzeichnen. Die Notizen werden durch das emotional-empathische Zuhören noch bedeutender, da dies eine andere Aufmerksamkeitshaltung impliziert, als wenn versucht wird, das Angesprochene zu memorieren. Sie entsprechen dabei bestenfalls dem Vokabular des interviewten Kindes, um spätere erzählgenerierende Fragestellungen besser formulieren zu können (Rosenthal, 2011, S. 161). – Die zweite Phase umfasst das erzählgenerierende Nachfragen: Ein Nachfrageteil schließt sich unmittelbar an die Haupterzählung der Schülerinnen und Schüler an: »Die auf die Erzählung bezogenen Nachfragen haben bereits die Funktion einer vorsichtigen Prüfung von Annahmen, die sich bei der Erzählung der Befragten aufdrängten, sich jedoch durch diese allein nicht klären lassen.« (Hopf, 2012, S. 356)
158 Dass ich selber bisher beim Sportunterricht anwesend war und trotzdem diese Frage stelle, wurde von keinem Kind hinterfragt.
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Für die Kinder ist dieser Teil von besonderer Bedeutung, da es schnell zu Irritationen kommen kann und ungewohnt scheint, wenn keine konkreten Fragen gestellt werden. Besonders wird durch diesen Teil mein Interesse an den von den Schülerinnen und Schülern erwähnten Themen deutlich. Diese Phase leite ich nicht gesondert ein, da die Haupterzählung der Kinder meist nach wenigen Minuten beendet ist; stattdessen greife ich sodann direkt entsprechend der Reihenfolge der während der Haupterzählung notierten Stichpunkte die erwähnten Themen auf: »Dies hat den Vorteil, dass ErzählerInnen sich oft mit der Beantwortung einer Frage wieder in die sequenzielle Gestalt ihrer Haupterzählung begeben und sich damit meist Fragen zu einigen weiteren Notizen erübrigen.« (Rosenthal, 2011, S. 162)
Das Ansteuern von in der Haupterzählung erwähnten Situationen geschieht dabei über direkte Fragen zu den Situationen: Ihr habt also gelacht beim Kämpfen. Kannst du mir dazu noch mehr erzählen? Diese Nachfragen können wiederum neue Erzählungen und Nachfragen generieren. Erst wenn alle notierten Stichpunkte schließlich abgearbeitet sind, beginne ich mit Nachfragen zu externen, mich als Forscher interessierenden Themengebieten. Dies sind im Kontext dieser Studie primär Fragen zur Geschlechtlichkeit, denn wie Soeffner (1989, S. 185ff.) konstatiert, gelten Um-zu-Motive einer Person für diese meist als selbstverständlich und werden in einer Interviewsituation von der befragten Person nicht explizit angesprochen. Bezogen auf die Geschlechterperspektive evoziert dieses Vorgehen der Nachfrage zwar wiederum eine Geschlechterdualität, ist aber im Kontext mit Kindern notwendig, da diese Geschlechterdifferenzen oftmals als selbstverständlich betrachten und nicht explizit erwähnen. Die Befragung auf die Binarität der Geschlechter hin birgt die Gefahr der Reifizierung von Geschlechterdifferenzen (s. Kap. 4.2.2). Durch das stets reflexive Vorgehen, durch welches impliziert das Geschlecht erst von mir erwähnt wird, wenn die Schülerinnen und Schüler diese Thematik in ihrer narrativen Haupterzählung nicht aufgreifen und diese konkret geschlechtsspezifischen Nachfragen erst aus den eigenen Beobachtungen im Feld erwachsen und somit nicht deduktiv-hypothesengeleitet von mir vorgegeben werden, versuche ich, evozierenden Effekten Rechnung zu tragen.159 Interviews setzen Reflektier- und Erinnerbarkeit leiblichen Erlebens voraus. Leiblich Gespürtes kann dabei niemals in der ganzen Komplexität des Gespürten 159 Dass derartige Effekte nicht vollkommen auszuschließen sind, stellt sich als eine, von dieser Arbeit unabhängig existierende grundsätzliche methodologische Forschungsproblematik dar.
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begrifflich gemacht werden; oftmals werden dabei die Grenzen der Verbalisierung deutlich. Gleichsam ist die vergangene Leiberfahrung über die gegenwärtige Explikation bereits einer nachträglichen Deutung seitens des erzählenden Subjektes ausgesetzt. Uzarewicz (2011, S. 29ff.) legt dar, dass sprachliche Äußerungen nur mangelhafte Ausschnitte von leiblich bedeutsamen Empfindungen sein können, da konkrete Bezüge zu Situation, Intonation und Empfindungen fehlen. In der Interviewsituation sollen die Kinder und Jugendlichen ihre leiblichen Erfahrungen aus dem Sportunterricht schildern, was im fortschreitenden Verlauf des Interviews zu einem Nachspüren der Zweikampfsituationen führen kann. Dieses Nachspüren evoziert wiederum die Imagination der vergangenen Situation. Dem Ausdruck der Kinder mittels Verbalisation, mimischen und gestischen Gebärden und leiblicher Kommunikation kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.160 So beschreibt Ekman (2010) die Möglichkeit, den Gemütszustand anderer an deren Ausdruck ablesen zu können. Dieser Ausdruck kann unabsichtlich ohne kommunikative Absicht hervorgebracht werden oder bewusst kommunikativ. Dieses Vorgehen wird durch die subjektive Perspektive der Forschungsperson ergänzt. Verfügen bereits Sechsjährige über einen beachtlichen Wortschatz, der sich im Laufe der Grundschulzeit noch vervielfältigt (Berk, 2005, 410), so greift die verbale Beschreibung leibkörperlicher Vorgänge und Empfindungen oftmals zu kurz und lässt sich begrifflich schwer fassen. In diesen Momenten, die durch affektives Betroffensein des Forschers gekennzeichnet sein können, wird die leiblich-subjektive Perspektive des Forschers miteingebunden und nicht künstlich ausgeklammert. Je nach Ausdruck des Kindes in der Interviewsituation, muss der Interviewer das eigenleibliche Spüren ins Bewusstsein heben, um es schließlich reflektiert zu verbalisieren (Dörpinghaus, 2013, S. 229). Dies geschieht im Rahmen des narrativen Interviews nicht durch konkrete Nachfragen zu bestimmten Sachverhalten, sondern in Momenten gespürten weiteren Erzählbedarfs, der vom Kind nicht ausgeführt wird. Eigene Erfahrungen aus den konkreten beobachteten Bewegungssituationen oder aus eigenen Praxiserfahrungen können dabei ebenfalls Anlass zum Nachfragen geben. Folgendes Beispiel (Interview vom 27. 02. 2013) soll das leiblich-gespürte narrative Nachfragen verdeutlichen: »Maria: ›Wir haben dann so im Spiel gekämpft, plötzlich hat er mich dann so geschlagen.‹ Florian: ›Er hat dich dann geschlagen?‹ Maria: ›Ja also nicht so mit Faust, so dass er halt so gewonnen hat.‹«
160 Bereits Charles Darwin (1809–1882) sieht Gestik und Mimik als äußerlich sichtbare Ausdrucksformen innerer gefühlsbasiert-physiologischer Prozesse an (vgl. Darwin, 1872).
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In diesem Fall wäre es möglich gewesen, dass Maria während des Zweikampfes von ihrem Partner mit der Faust geschlagen wurde. Würde diese Erzählsequenz derart ohne Nachfrage transkribiert werden, wären Alternativen zu der im Kontext des Zweikämpfens nicht unwahrscheinlichen gewalttätigen Auseinandersetzung lediglich interpretativ möglich. Durch das situative Mitfühlen während der Interviewführung war es mir als Forscherperson möglich, diesen Sachverhalt, der konträr zu meinen Beobachtungen stand und mich spürbar erregte, zu klären: »Das Einspüren in Interviewsituationen kann als entdeckendes Element und forschungsunterstützend identifiziert werden, in Transkripten lässt es sich jedoch nicht abbilden.« (Dörpinghaus, 2013, S. 230)
Werden narrative Interviews unter dem Anspruch der Berücksichtigung leiblichen Spürens transkribiert, entstehen methodische Probleme. So können zwar semantische Akzente wie Gestik und Mimik festgehalten werden, allerdings gehen gespürte und sinnliche Empfindungen und somit die vorsprachlichleibliche Kommunikation verloren. Diese vielfältigen Eindrücke des Forschungsleibes können in ihrer Komplexität weder erfasst noch wiedergegeben werden, ohne dabei wissenschaftliche Objektivitätsansprüche an die Interviewsituation zu vernachlässigen. Würde ich als Forscherperson versuchen, Empfindungen und leiblich Gespürtes auf einer Metaebene wiederzugeben, wäre die Empfänglichkeit für die Inhalte in den Aussagen der Kinder eingeschränkt. Der leibliche Zugang kann im Rahmen der Interviewführung soweit berücksichtigt werden, als dass sich die Nachfragen im Kontext narrativer Gesprächsführung an den leiblichen Eindrücken der Forscherperson orientieren. Durch das erneute Hervorholen bestimmter mitgefühlter und im subjektiven Eindruck des Forschers nicht ausreichend verbalisierter Inhalte kann der Forschungsleib auch helfen, leiblich Gespürtes in Worte zu fassen. Der spürende Leib des Forschers wird durch dessen aktiven Miteinbezug in den Erhebungsprozess nicht ausgeklammert, die methodisch narrativ gehaltenen Nachfragen sollen Gespürtes forschungspragmatisch validieren (ebd., S. 232ff.).161 Das individuelle Fühlen wird immer auch durch den emotionalen Ausdruck beeinflusst (vgl. Brody, 1999). Ein Nachfragen seitens der Forscherperson kann sich somit auch auf mimisch-gestische Ausdrücke der Kinder beziehen, wodurch diese durch die Reflexion ihrer Emotionsexpressionen ihre individuellen Emotionserfahrungen noch einmal deutlich nachspüren können:
161 Hierbei lässt sich auf Rappes Begriff der Intuition verweisen als sensible bzw. Sensibilität voraussetzende Wahrnehmung oder Erahnung undeutlicher Gefühle anderer (Rappe, 2012, S. 289ff.).
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»Mit dem Eindruck, der sich aus der Vielfalt von sprachlichem, körperlichem und leiblichem Ausdruck der IP [Interviewperson, Anm. d. Verf.] zusammensetzt, kommt es auf Seiten der Forscherin zu einem umfassenderen (da auch leiblichen) Verständnis der aufscheinenden Einheit und führt durch diese zu aufhellenden und komplettierenden Momenten, denen sich ein rein intellektueller Zugang verschließt.« (Dörpinghaus, 2013, S. 228)
Im Anschluss an das Interview versuche ich die Situation in einem freundlichen Gespräch ausklingen zu lassen. Sobald die Schülerin oder der Schüler den Raum verlassen hat, ergänze ich meine Protokolle durch »Narrativprioritäten und Qualitäten des Erzählenden, Beobachtungen des Gesprächsortes, die Interviewsituation samt nonverbaler Äußerungen sowie Inhalte der informellen Gespräche« (Spiritova, 2014, S. 127). Ob narrative Interviews für die Anwendung bei Kindern geeignet sind, ist aufgrund des hohen Anforderungscharakters der freien Erzählung umstritten. Wichtig scheint, dass der jeweilige Erzählstimulus kindgerecht formuliert wird oder auch mehrere Erzählstimuli vorgegeben werden, sollte ein Kind einer Erzählaufforderung nicht direkt folgen (Heinzel, 2003, S. 403f.). Von großer Bedeutung ist hierbei die Gesprächskompetenz von mir als Interviewer, entsprechende Nachfragen einzubringen, kindliche Aussagen produktiv aufzugreifen und dabei keine geschlossenen Fragen zu stellen (Hunger, 2011, S. 92). Diese Fähigkeiten lassen sich erst im Laufe der Feldforschung allmählich ausbilden und erfordern eine konsequente Reflexion. Durch den längerfristigen Aufenthalt und die teilnehmende Beobachtung am Sportunterricht kann ein Basisvertrauen zu den Schülerinnen und Schülern entwickelt werden, womit der Aussage von Trautmann (2010, S. 75) begegnet werden kann: »Narrative Interviews mit Kindern gestalten sich schwierig, da die Interviewerin mit der Methode in ein besonderes Verhältnis gelangt, welches von Intimität und großer Vertrautheit gekennzeichnet ist.«
Abraham (2008, S. 246) empfiehlt narrative Verfahren, da durch diese sichtbar gemacht werden kann, »wie Menschen sich und ihr Leben wahrnehmen, wie sie sich darin verorten und welche vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Bilder sie insgesamt sowie bezogen auf ihr sportives Engagement entwerfen.« Ergänzend zu den narrativen Interviews sollen während meines eigenen Aufenthaltes als teilnehmender Beobachter im Sportunterricht Kurzinterviews und unstrukturierte Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern in und zwischen Momenten kämpferischer Bewegungshandlungen durchgeführt werden. Die zeitliche und räumliche Überschneidung von Äußerungen der Partizipanten und konkret Erlebtes im Feld sollen situationsspezifische, sinnlichleibliche Wahrnehmungsexplikationen ermöglichen, die im klassischen Interview-Setting durch den fehlenden konkreten Erlebniskontext meist nicht ver-
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Entwurf einer neophänomenologischen Ethnografie
balisiert werden. Ebenso können Ängste und Zweifel der Schülerinnen und Schüler an ihrer Interviewkompetenz genommen werden, wenn diese sich in vertrauter Umgebung und gemeinsamer Bewegung über ihre Lebenswelten äußern (Keding & Weith, 2014, S. 141f.). Somit ermöglicht das bewegte Interview im Sportunterricht »eine vertiefte Annäherung an Alltagswissen, weil es sich räumlich und situativ auf die zum Forschungsgegenstand gemachte Lebenswelt bezieht« (ebd., S. 142).
4.2
Konkrete Anmerkungen zur Untersuchungsdurchführung
Mit der an Geertz angelehnten offenen Fragestellung: »What the hell is going on here?« (Amann & Hirschauer, 1997, S. 20) nahm ich vorerst an den Unterrichtseinheiten zum Kämpfen teil, ohne spezifischen Beobachtungsfokus. Für den Zugang habe ich mehrere Schulleitungen angeschrieben und nach interessierten Sportlehrkräften gefragt, die Interesse an einer Zusammenarbeit haben. Nach den ersten Rückmeldungen der Sportlehrkräfte über E-MailKontakt wurden jeweils Termine für erste persönliche Vorabsprachen vereinbart. Hierbei wurde deutlich, dass noch keine Sportlehrkraft Erfahrungen mit einer Unterrichtseinheit Kämpfen gesammelt hatte. Dennoch fanden sich Lehrkräfte, die bereit waren, eine eigens organisierte Unterrichtseinheit zum Kämpfen selbstständig durchzuführen, wollten diese allerdings mit mir im Vorfeld besprechen. Um den Unterricht mit den Inhalten, Zielen und Methoden möglichst nicht zu beeinflussen, oblag den Sportlehrkräften die freie Zeiteinteilung und die konkrete Inhaltswahl, die im Vorfeld zwar mit mir durchgesprochen wurde, ich allerdings lediglich beratend auf Regeln und Verletzungsgefahren aufmerksam machte. Der Zugang zum Feld war somit über die Schulleitungen und in besonderem Maße über die einzelnen Sportlehrkräfte möglich, die mir als Gatekeepers (Merkens, 2012, S. 288) Zugang zum Sportunterricht ermöglichten und sich auf eine Unterrichtseinheit zum Kämpfen einließen. Um die Schülerinnen und Schüler schließlich zu beobachten, musste eben dieses Feld bereits im Vorfeld begrenzt und definiert werden. Der Übergang vom Status Kind zum Status Jugendlicher ist heutzutage eher fließend und zeitlich nicht genau definiert. Der Wechsel in einer weiterführende Schule kann als zeremonieller Ritus diesen Übergang symbolisch unterstreichen; allerdings vollzieht sich der Übergang vom Kind zum Jugendlichen in unserer Gesellschaft dennoch »nicht in Gestalt eines sichtbaren sozialen Aktes« (Hurrelmann, 2010, S. 32). Der Übergang von der Primarstufe zur Sekundarstufe scheint somit unauffällig-fließend, wobei die Schülerinnen und Schüler im Laufe der Sekun-
Konkrete Anmerkungen zur Untersuchungsdurchführung
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darstufe entwicklungsbedingt als äußerst heterogen gelten. Die unterschiedlichindividuellen Entwicklungsprozesse führen zu besonderen Herausforderungen im Sportunterricht: »Unter Umständen haben wir es in der gleichen Klasse mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu tun.« (Cwierdzinski & Fahlenbock, 2004, S. 61)
Aufgrund des marginalen Unterschiede im Schulalter während des Übergangs von der Primar- zur Sekundarstufe wurden Schülerinnen und Schüler in beiden Schulstufen berücksichtigt. Im Raum Göttingen wurden drei Unterrichtseinheiten an zwei Grundschulen und je eine Unterrichtseinheit an einer Gesamtschule und einem Gymnasium begleitet. Die Untersuchung erstreckte sich somit über den Zeitraum von einem Schuljahr, wobei die Unterrichtseinheiten in einem durchschnittlichen Zeitraum von sechs Wochen durchgeführt wurden. Die zu befragenden Schülerinnen und Schüler wurden nicht zu Beginn der Feldforschung ausgewählt, sondern erst im Laufe des Feldaufenthalts, um den erreichten Erkenntnisstand zu erweitern und Theorien zu überprüfen, wobei maximale Variation angestrebt wurde (Merkens, 2012, S. 291f.). Insgesamt wurden Interviewdaten von sechs Schülerinnen und vier Schülern ausgewertet sowie zwölf Beobachtungsprotokolle.162 Die Schülerinnen und Schüler waren zwischen neun und elf Jahren alt. Offenes Forschen verlangt einerseits nach einer unvoreingenommenen Herangehensweise ohne feste soziologische Konzepte, mit der die Forscherperson in das Feld eintaucht; andererseits ist es nicht möglich, ziellos das Feld zu betreten. Der Begriff sensibilisierende Konzepte (Blumer, 1954) aus der interaktionistischen Ethnografie beschreibt die »eigenen, aus der Wissenschaft und den Vorannahmen zum Feld entlehnten Konzeptionalisierungen […] die ans Feld herangetragen werden und zu Beginn den Blick lenken« (Dellwing & Prus, 2012, S. 71).
In das Feld tauchte ich über unstrukturierte Beobachtungen ein, um offen für die entsprechenden Verhältnisse dort zu sein. Zentraler Ausgangspunkt dieser Arbeit war es, Forschung mit Kindern als Experten ihrer Lebenswelt zu betreiben. Forschungsethisch unabdingbar wurden die Schülerinnen und Schülern über meine Ziele, meine Abläufe und meine Herkunft aufgeklärt. Ich erklärte meine Rolle als Forscher von der Universität und als Kampfsportler und betrieb somit eine offene Beobachtung, welche zudem als aktiv und direkt teilnehmend zu 162 Eine höhere Anzahl von Interviews und Beobachtungsbögen entstanden während des Feldaufenthaltes, allerdings wurden diese nicht alle ausgewertet, nachdem im Auswertungsprozess für jede Kategorie eine »theoretische Sättigung« (Strauss & Corbin, 1996, S. 159) erreicht wurde.
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Entwurf einer neophänomenologischen Ethnografie
charakterisieren war. Hierbei versuchte ich freundlich, ermutigend und geduldig auf Nachfragen der Kinder einzugehen und diese sprachlich nachvollziehbar zu beantworten (Wehr, 2014, S. 146): »Für viele Jungen und Mädchen ist es äußerst ungewohnt, dass sich ein ›fremder‹ Erwachsener derart intensiv für ihren Alltag interessiert und sie zum Beschreiben und Bewerten ihrer Lebenswelt auffordert; schließlich kennen sie diese Situation vor allem aus erzieherisch-pädagogischen Kontexten« (ebd.; Herv. i. Orig.).
Im Sportunterricht nahm ich gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern und entsprechend den Anweisungen der Lehrkräfte aktiv an den Bewegungsaufgaben teil, war gleichsam allerdings in meiner Beobachterrolle im Feld erkennbar. Ich trat somit in eine ständige kommunikative Face-to-Face-Beziehung mit meinem Umfeld, wobei ich mich dennoch in meiner Rolle als Beobachter, wie auch die Kinder als Beobachtete, in dieser Feldbeziehung wahrnahm. Die aktive Teilnahme hatte somit Vorrang vor der Beobachtung; eine vollständige Identifikation mit dem Feld war allerdings nicht gewollt und gestaltete sich im Umgang mit Kindern ohnehin als schwierig.163 Ein Großteil der Schüler wollte anfänglich mit mir kämpfen, allerdings ist dies im Unterrichtsverlauf nicht möglich, da vorrangig Partnerspiele bzw. Zweikämpfe durchgeführt werden, mit entsprechenden Partnerinnen und Partnern. Sämtliche Lehrkräfte gestalteten den Unterricht in dem methodisch-inhaltlichen Aufbau gleich, unabhängig vom Geschlecht der Lehrkraft. So wurden anfänglich Vertrauens –und Kooperationsspiele durchgeführt, um schließlich Schiebe- und Ziehspiele aus dem Ringen und Raufen (Beudels & Anders, 2008) zu thematisieren. Ich wechselte zwischen aktiver Teilnahme an den Raufspielen und Beobachtung von Raufspielen unstrukturiert hin und her, da ich mich hierbei nach konkret situativem Bedarf richtete. So nahm ich selbst meist aktiv teil, wenn eine ungerade Zahl von Schülerinnen und Schülern im Sportunterricht anwesend war und Partnerinnen und Partner übrig waren. Dabei waren es primär Jungen, die mit mir (wett-)kämpfen wollten. Parallel zu meiner teilnehmenden Beobachtung erhob ich erste Kurzinterviews im Feld. Diese wurden direkt im Anschluss an Zweikampfsituationen durchgeführt, indem ich die Schülerinnen und Schüler zu ihrem Handeln in der konkreten Zweikampfsituation befragte: Ihr habt ja gerade so laut gelacht beim Schildkröten-Kampfspiel. Könnt ihr mir was dazu sagen? Im Anschluss an eine Unterrichtseinheit Kämpfen fragte ich im Sitzkreis zu Beginn der letzten Stunden nach Freiwilligen, die mit mir ein kleines Interview führen möchten. Mit diesen führte ich einzeln nacheinander narrative Interviews durch. Die Inter163 Lamnek (2010, S. 525) bezeichnet diese Rolle mit Teilnehmer als Beobachter (Participator as Observer, Pseudoteilnehmer).
Konkrete Anmerkungen zur Untersuchungsdurchführung
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views wurden während des Sportunterrichts in einem gesonderten Raum, direkt neben der Sporthalle und den Umkleidekabinen durchgeführt. Somit sollten räumliche wie zeitliche Nähe zum Sportunterricht die Explikation des Erlebten erleichtern.164
4.2.1 Die »zehn Gebote der Feldforschung« Roland Girtler entwickelte die »10 Gebote der Feldforschung« (2009), die zwar auf die Erforschung fremder Kulturen außerhalb unseres Kulturraumes angelegt sind, anhand derer ich dennoch mein konkretes Vorgehen im Feld summarisch darstellen möchte, indem sie für diesen Forschungszweck entsprechend ausgelegt werden. Gebot 1: »Du sollst einigermaßen nach jenen Sitten und Regeln leben, die für die Menschen, bei denen du forschst, wichtig sind. Dies bedeutet Achtung ihrer Rituale und heiligen Zeiten, sowohl in der Kleidung als auch beim Essen und Trinken. Si vivis Romae Romano vivito more!« (Girtler, 2009, S. 20).
Als forschender Teilnehmer versuchte ich über eine längere Begleitung der Schülerinnen und Schüler die impliziten wie expliziten Rituale und Regeln des Klassenverbandes zu übernehmen. So fand ich mich bereits vor Beginn des Sportunterrichts im Klassenzimmer ein, begleitete die Schülerinnen und Schüler in der Pause vor Unterrichtsbeginn, stellte mich mit ihnen gemeinsam auf, um schließlich unter Führung der entsprechenden Lehrkraft zur Sporthalle zu gehen. Je nach Gepflogenheiten der Lehrkraft zog ich mich mit dieser und/ oder den männlichen Schülern in der Umkleidekabine um und begleitete sie in die Sporthalle. Gebot 2: »Du sollst zur Großzügigkeit und Unvoreingenommenheit fähig sein, um Werte zu erkennen und nach Grundsätzen zu urteilen, die nicht die eigenen sind. Hinderlich ist es, wenn du überall böse und hinterlistige Menschen vermutest.« (ebd., S. 36)
Gegenüber kindlichen Verhaltensweisen existieren bei Erwachsenen oftmals vielfältige eigene Vorbehalte und subjektive Sichtweisen, welche die Schülerinnen und Schüler bereits im Vorfeld stigmatisieren. Es gilt, diesen eigenen Sichtweisen reflektiert zu begegnen und sich auf die kindliche Lebenswelt ein164 Bei Interviews in der Schule besteht die Gefahr, dass die Interviews von den Kindern »mit ›Nachsitzen‹ assoziiert werden respektive das Rollenschema ›fragende Lehrerin – antwortender Schüler‹ befördern« (Wehr, 2014, S. 147; Herv. i. Orig.). Meine eigene aktive Teilnahme am Sportunterricht sollte dem entgegenwirken und über den Zeitraum der Unterrichtseinheit vertrauensbildend wirken.
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Entwurf einer neophänomenologischen Ethnografie
zulassen. Dies darf allerdings nicht künstlich erscheinen, um als Erwachsener ernst genommen und gleichsam von den Kindern angenommen zu werden. Gebot 3: »Du sollst niemals abfällig über deine Gastgeber und jene Leute reden und berichten, mit denen du Bier, Wein, Tee oder sonst etwas getrunken hast.« (ebd., S. 42).
Den Kindern ist mit Respekt und Achtung zu begegnen und sämtliche Aufzeichnungen und Erhebungen im Feld sind zu anonymisieren. Der strikte Datenschutz ist gegenüber den Kindern wie den Eltern eine wichtige Konstante zur Vertrauensbildung und gegenseitigen Wertschätzung und sollte forschungsethisch selbstverständlich sein. Gebot 4: »Du sollst dir ein solides Wissen über die Geschichte und die sozialen Verhältnisse der dich interessierenden Kultur aneignen. Suche daher zunächst deren Friedhöfe, Märkte, Wirtshäuser, Kirchen oder ähnliche Orte auf.« (ebd., S. 44)
Im Vorfeld führte ich als Forscherperson Gespräche mit den Lehrkräften, welche mir (unaufgefordert) zumeist Informationen über die Klassenstruktur, das Klassenklima oder Inhalte und Methoden im Sportunterricht gaben. Dadurch konnten erste Informationen über das Feld gesammelt werden, wobei diese während des Forschungsprozesses reflektiert eingesetzt werden mussten, um dadurch entstehende Vorurteile zu vermeiden. Gebot 5: »Du sollst dir ein Bild von der Geographie der Plätze und Häuser machen, auf und in denen sich das Leben abspielt, das du erforschen willst. Liebe die Natur und damit auch die menschliche Natur – beides kann ungemein reizvoll sein. Gehe zu Fuß die betreffende Gegend ab und steige auf einen Kirchturm oder einen Hügel.« (ebd., S. 51)
Ebenfalls schaute ich mir im Vorfeld der Untersuchung die Schule, das Schulgelände und insbesondere die Sporthalle mit ihrer Ausstattung an. Die vorhandenen Materialien und die Größe und Struktur des Sportraumes sind nicht zu unterschätzende Faktoren für die Inhalte und Methoden beim Kämpfen im Sportunterricht. Hierbei galt es auch, erste subjektive Eindrücke von der räumlichen Atmosphäre der Sporthalle festzuhalten, um im laufenden Forschungsprozess auf diese Aufzeichnungen bei Bedarf zugreifen zu können. Gebot 6: »Du sollst, um dich von den üblichen Reisenden zu unterscheiden, das Erlebte mit dir forttragen und darüber möglichst ohne Vorurteile berichten. Daher ist es wichtig, ein Forschungstagebuch (neben den anderen Aufzeichnungen) zu führen, in das du dir jeden Tag deine Gedanken, Probleme und Freuden der Forschung, aber auch den Ärger bei dieser einträgst. Dies regt zu ehrlichem Nachdenken über dich selbst und deine Forschung an, aber auch zur Selbstkritik.« (ebd., S. 63)
Während der Erhebungs- und Auswertungsphase führte ich ein Forschungstagebuch, in dem Eindrücke, Hypothesen und Ideen für das künftige Vorgehen festgehalten wurden. In den Beobachtungsprotokollen und Interviewaufzeich-
Konkrete Anmerkungen zur Untersuchungsdurchführung
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nungen mussten eigene Vorstellungen stets reflexiv berücksichtigt und Hypothesen hinterfragt werden. Gebot 7: »Du sollst die Muße zum ›ero-epischen‹ (freien) Gespräch aufbringen. Das heißt, die Menschen dürfen nicht als bloße Datenlieferanten gesehen werden. Mit ihnen ist so zu sprechen, dass sie sich geachtet fühlen. Man muss sich selbst als Mensch einbringen und darf sich nicht aufzwingen. Erst so lassen sich gute Gesprächs- und Beobachtungsprotokolle erstellen« (ebd., S. 66; Herv. i. Orig.).
In den Pausen wie auch im Laufe des Sportunterrichts wurden Alltagsgespräche mit den Kindern geführt, wobei diese unstrukturierten kurzzeitigen Gespräche ebenso in die Datenanalyse einfließen können. Dabei gilt es, den Kindern als interessierter Zuhörer entgegenzukommen und nicht stets das eigene Forschungsinteresse anklingen zu lassen. Gebot 8: »Du sollst dich bemühen, deine Gesprächspartner einigermaßen einzuschätzen. Sonst kann es sein, dass du hereingelegt oder bewusst belogen wirst.« (ebd., S. 77)
Um die Innenperspektive der Schülerinnen und Schüler zu erschließen, schien es sinnvoll, »das in Gesprächen Gesagte in Beziehung zu teilnehmend Beobachtetem zu setzen« (Honer, 2011, S. 81). Über die Verbindung von teilnehmender Beobachtung und Interviews sollte ein umfassendes Bild von den kindlichen Praktiken entstehen. Durch die eigene aktive Teilnahme an den Unterrichtsinhalten konnten Aussagen der Kinder ggf. mitgespürt und reflektiert betrachtet werden. Gebot 9: »Du sollst dich nicht als Missionar oder Sozialarbeiter aufspielen. Es steht dir nicht zu, ›erzieherisch‹ auf die vermeintlichen ›Wilden‹ einzuwirken. Du bist kein Richter, sondern lediglich Zeuge!« (Girtler, 2009, S. 81; Herv. i. Orig.).
Als teilnehmender Beobachter richtete ich mich nach den Inhalten und Methoden der unterrichtenden Sportlehrkraft. Fielen mir kampfsportspezifische oder methodisch-didaktische Unregelmäßigkeiten auf, wurden diese bei Bedarf im Anschluss an die Unterrichtseinheit mit den Lehrkräften besprochen, nicht aber im Laufe des Unterrichts. Ebenso korrigierte ich nicht in besonderem Maße die Schülerinnen und Schüler, sondern überließ diese Aufgabe ebenfalls der Lehrkraft. Gebot 10: »Du brauchst eine gute Konstitution, um dich am Acker, in stickigen Kneipen, in der Kirche, in noblen Gasthäusern, im Wald, im Stall, auf staubigen Straßen und auch sonst wo wohl zu fühlen. Dazu gehört die Fähigkeit, jederzeit zu essen, zu trinken und zu schlafen.« (ebd., S. 85)
Um als glaubwürdiger Teilnehmer am Sportunterricht wahrgenommen zu werden, ist ein körperlich-engagiertes Mitmachen in Zweikampfsituationen
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unabdingbar. Somit versuchte ich, sämtliche Spiele und Übungen zum Zweikämpfen aktiv mitzuerleben und daran stets zu partizipieren.
4.2.2 Methodenreflexion zur Geschlechterdifferenzierung In der Forschung zur geschlechtsspezifischen Sozialisation eröffnet sich die grundlegende methodologische Problematik einer Reifikation der Geschlechterdifferenz, denn »wer nach Geschlechtsspezifika und Unterschieden zwischen den Geschlechtern sucht, wird auch welche finden« (Kelle, 1999, S. 305). Grundsätzlich befürwortet die feministische Forschung zwar die hermeneutische Methode, um (Geschlechter-)Differenzen und sowohl implizite als auch explizite Vorurteile im Forschungsprozess zu berücksichtigen (Hiltmann, 2005, S. 113; Gildemeister, 2012). Allerdings besteht die Gefahr, »dass bereits die Setzung einer universalen dichotomen Kategorie Geschlecht im Design in Forschungsarbeiten eine einseitige Reifizierung der Geschlechterdifferenz anbahnt« (Bähr, 2006, S. 35).
Die Betrachtung von Schülerinnen und Schülern im Sportunterricht impliziert bereits die Reproduktion einer anscheinend universalen Geschlechterdualität, da Geschlecht mit dieser Aufteilung auf eine (naturhafte) anatomisch-biologische Kategorie reduziert wird. »Eine Skepsis macht sich breit, ob nicht der immer wieder durch die Forschung reproduzierende Vergleich zwischen Jungen- und Mädchensozialisation, vorgenommen im Hinblick auf eine pädagogische Kompensation oder Bearbeitung der Unterschiede, eine forschungsstrategische Sackgasse ist, weil man entgegen den eigenen Absichten an der Fortschreibung von Differenzen teilhat.« (Kelle, 1999, S. 305)
Somit scheint eine vorausgehend-methodische Aufteilung der Kinder in Schülerinnen und Schüler nach biologisch-anatomischen Kriterien nicht möglich, da dies einer Naturalisierung sozial hergestellter Geschlechter entsprechen würde. Somit müssen weitere Unterscheidungskriterien im empirischen Vorgehen berücksichtigt werden (Bähr, 2006, S. 35). Da die vorliegende Studie dennoch Geschlecht und Geschlechtstypiken als different-geschlechtliche Leibkörpererfahrungen in sportbezogenem Bewegungshandeln untersuchen will, muss die empirische Kategorie Geschlecht weiter gefasst und ausdifferenziert werden. Im Anschluss an Maihofer (1995) soll Geschlecht in der hier vorliegenden Untersuchung »als einer historisch bestimmten Denk-, Gefühls- und Körperpraxis, also als einer historisch bestimmten gesellschaftlich-kulturellen Existenzweise« (S. 18) formuliert werden, die Interaktions-, Diskurs- und leiblich-affektive Theorien zum Geschlecht berücksichtigt. Damit ergibt sich ein Verständnis von Geschlecht, welches nicht lediglich biologisch-anatomische Differenzen als
Konkrete Anmerkungen zur Untersuchungsdurchführung
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Unterscheidungskriterium zwischen Schülerinnen und Schülern als Grundlage nimmt, sondern ebenso den Geschlechtsleib als durch die Materialität des Körpers bestimmte, subjektive Deutung der eigenen Geschlechtlichkeit sowie die »Immaterialität von Geschlecht durch die Geschlechtsrollenidentität« (Bähr, 2006, S. 29) berücksichtigt. Hiervon ausgehend wäre in einem phänomenologischen Sinne ein Forschungsvorgehen zu wählen, welches in den Beobachtungen und Interviewsituationen nicht zwischen weiblich und männlich trennt, womit auch die Schülerinnen oder die Schüler nicht gesondert beobachtet und analysiert werden können. Ein derartiges Vorgehen verlangt allerdings »eine institutionelle Infrastruktur als auch von Seiten der Akteure eine hohe Kontextsensibilität und die Bereitschaft, auf vergeschlechtlichende Praktiken zu verzichten« (Gildemeister, 2011, S. 23). Eine Neutralisierung von Geschlecht bzw. ein Undoing Gender scheint somit empirisch kaum umsetzbar, zumal ich mich als leibkörperlich involvierte Forscherperson ebenfalls in der Geschlechterdichotomie befinde und mich nicht gänzlich von dieser lösen kann.165 Vielmehr sollte die Theorie des Undoing Gender sensibilisierend wirken und die »Kinder sollten nicht als Kenner, als Informanten über ihre soziale Welt, sondern als Akteure in ihr beforscht werden« (Kelle, 1999, S. 310).166 Im Kontext dieser Studie steht die Perspektive der Schülerinnen und Schüler im Fokus, womit das ethnografische Vorgehen eine Perspektivübernahme der Forscherperson auf die Kinderperspektive voraussetzt. Es wird dabei nicht von naturhaften Geschlechterunterschieden zwischen Mädchen und Jungen ausgegangen, sondern die leiblichen Praktiken der Geschlechterunterscheidung im sozialen Feld der Schulklasse rücken in den Forschungsmittelpunkt. Somit ist es sinnvoll, der kindlichen Einordnung von Geschlechterdifferenzzuschreibungen zu folgen und ausgehend von den Schülerinnen und Schülern Geschlecht zu trennen. Anspruch dieser Studie ist es, aus dieser reflektiert eingenommen kindlichen Perspektive heraus, die eine Geschlechterdualität normativ voraussetzt, eben diese Perspektive in ihrer leibkörperlichinteraktionistischen Konstruktion aufzudecken und zu beschreiben. Um die Geschlechterdualität nicht unreflektiert hinzunehmen, ist es notwendig, dass die 165 Als Forscherperson mit eigenen Vorannahmen und Sichtweisen bedarf es einer ständigen reflektierten Haltung zum eigenen Vorgehen und einer stetig steigenden Sensibilisierung für Beobachtungen im Feld: »Welche Unterscheidungsstruktur wird aktualisiert, wie wird sie konkretisiert, wann wird einer Unterscheidung nicht mehr entsprochen, wo findet gar keine mehr statt? Das Problem ist, dass wir solche sozialen Räume erst sehen lernen müssen – auch wenn sie mitunter direkt vor Augen liegen« (Gildemeister, 2011, S. 26). 166 Ausgehend von den Konzepten und Annahmen einer Soziologie der Kindheit werden Kinder nicht als defizitäre bzw. nicht vollwertige Mitglieder der Gesellschaft beschrieben, sondern als kompetente Akteure, die ihre soziale Wirklichkeit »(ko)konstruieren und je gegenwärtig mit Bedeutung ausstatten« (Kelle, 1999, S: 305).
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Entwurf einer neophänomenologischen Ethnografie
Forscherperson die eigenen Vorannahmen von kindlichem Handeln im Sportunterricht stets reflektiert und nicht als selbstverständlich hinnimmt.167
4.3
Prozess der Datenauswertung
»Wie viel geht an Sinnlichkeit verloren, wenn sinnliche Erfahrungen beschrieben, analysiert, systematisiert, korrigiert, gesetzt, gedruckt und gebunden worden sind? Wenn in die Welt der Worte gedrängt ist, was doch aus der Welt des Erlebens, Fühlens, Spürens kommt? Wenn die Sinne erst verwissenschaftlicht, kategorisiert, auf ihre Funktion hin analysiert worden sind? Sie werden zu einer Sache, zu einem Organ, zu Rezeptoren und Sensoren, verloren geht der Sinn.« (Zimmer, 2012, S. 9)
In der vorliegenden Arbeit sollen sprachliche Ausführungen in narrativen Interviews und beobachtetes Verhalten in Zweikampfsituationen einen Zugang zum leiblichen Spüren ermöglichen. Wie das vorangestellte Zitat verdeutlicht, ist der Datenanalyse sinnlicher Erfahrungen die besondere Gefahr einer Entfremdung eben dieser Sinnlichkeit implizit. Die Analysen beziehen sich immer auf konkrete, vergangene Situationen sowie auf konkretes, subjektives und vergangenes Spüren in diesen Situationen, welche in ihrem spezifischen Kontext stattfanden und somit Einzelfallorientiert sind. Nicht die Situationen an sich können dabei analysiert werden (diese sind abgeschlossen), sondern die Daten, welche in der Situation natürlich von den Handelnden selbst oder künstlich von mir als Sozialwissenschaftler hervorgebracht wurden. Meine Beobachtungsprotokolle168, Feldnotizen und Interviews bilden die empirische Grundlage für das sozialwissenschaftliche Verstehen und Erklären. Dabei handelt es sich niemals um Rohdaten, da sie durch mein leibkörperliches Eingebundensein in den Forschungsprozess immer bereits interpretativ-subjektive Perspektiven beinhalten (Dellwing & Prus, 2012, S. 163ff.). Meine Analyse kann nur auf diese von mir miterschaffenen Daten rekurrieren, wobei auch meine eigenen Empfindungen – als ursprünglich natürliche Daten – durch die Übertragung in Feldnotizen wiederum für die Datenanalyse aufbereitet werden. Die Analyse der aus 167 Die Befremdung der eigenen Kultur – hier der eigenen Erfahrungen aus dem Sportunterricht, eigenen Kampferfahrungen und den eigenen Vorstellungen zur Geschlechterdualität – ist eine Voraussetzung ethnografischer Forschung: »Soziologische Ethnographie muß sozusagen in nächster Nähe jene ›Fremde‹ zuerst überhaupt entdecken, die der ethnologische Ethnograph gemeinhin fast zwangsläufig ›existenziell‹ erfährt, weil und indem seine alltäglichen Routinen ›im Feld‹ oft ziemlich brachial erschüttert werden.« (Hitzler & Honer, 1997, S. 14; Herv. i. Orig.) Im Rahmen dieser Arbeit meint Befremdung allerdings eine reflexive Forscherhaltung, welche die eigenen Erfahrungen durchaus mitberücksichtigt. 168 Beobachtungsprotokoll meint in diesem Zusammenhang nicht lediglich die Beobachtung der körperlichen Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler, sondern ist ebenso als Selbstbeobachtung eigener Empfindungen und Handlungsweisen zu verstehen.
Prozess der Datenauswertung
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der sozialen Situation heraus entstandenen Daten dient dazu, »die soziale Struktur des Einzelfalls aus der Perspektive des Handelnden idealtypisch zu rekonstruieren« (Kurt, 2002, S. 156). Der Verstehenden Soziologie stellt Max Weber seine Methode der Idealtypenlehre beiseite. Diese aus Einzelfällen gewonnenen Idealtypen sollen strukturierend menschliche Ausdrucksweisen aus der Perspektive der Handelnden nachvollziehen. Der Idealtypus wird gewonnen durch »Zusammenschluß einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde« (Weber, 1973, S. 235).
Aufbauend auf diesen Überlegungen ist das Ziel der Datenanalyse die idealtypische Darstellung leiblicher Praktiken der Geschlechterkonstruktion. Das Auswertungsverfahren muss sich dazu methodisch am vorliegenden Datenmaterial orientieren und setzt sich aus differenten Zugangsweisen zusammen. Aus den klassisch-philosophischen Überlegungen Husserls zur Epoch8 heraus (s. Kap. 3.1) werden Überlegungen zur Forscherhaltung abgeleitet, und die Grounded Theory (Strauss & Corbin, 1996) wird als grundlegender Forschungsstil169 zur Analyse der Daten und Kategoriebildung genutzt. Um im Rahmen der Auswertung einen expliziten Zugang zu leiblichen Empfindungen ermöglichen zu können, werden die entstandenen, idealtypischen Kategoriensysteme aufbauend auf den Darstellungen Hermann Schmitz’ zum Alphabet der Leiblichkeit (s. Kap. 3.3.3) abschließend analysiert und interpretiert. Das Schütz’sche Postulat, als Wissenschaftler distanziert-desinteressiert den untersuchten Gegenstand zu betrachten, bezieht sich, wie deutlich geworden sein sollte, nicht auf die Erhebungssituation, welche in diesem neophänomenologisch-soziologischen Forschungskontext gerade eines Mitfühlens und Mitgehens des Forschers bedarf (Honer, 2012, S. 199). Vielmehr bezieht sich diese Aussage im Kontext der vorliegenden Arbeit auf den Prozess der Datenauswertung, in dem ich als Forscher ein reflexives Verhältnis zum Forschungsgegenstand und meinen eigenen Erfahrungen einnehmen muss. Eigene Erfahrungen, welche ebenfalls im Erhebungsprozess schriftlich wie mündlich fixiert wurden, sollen dennoch bei der Darstellung und Interpretation der Ergebnisse explizit dargestellt werden. Der ständig variierende sozio-kulturelle Referenzrahmen führt dazu, dass ich in der Protokollierung und Interpretation 169 Über die Grounded Theory sollen qualitative Daten hin zu einer Theorie analysiert werden, »ohne an spezielle Datentypen, Forschungsrichtungen oder theoretische Interessen gebunden zu sein. In diesem Sinne ist die Grounded Theory keine spezifische Methode oder Technik. Sie ist vielmehr als Stil zu verstehen, nach dem man Daten qualitativ analysiert« (Strauss, 2004, S. 434).
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Entwurf einer neophänomenologischen Ethnografie
meiner Erlebnisse zwischen der Nähe mit den impliziten eigenen Erfahrungen und dem distanziert-deskriptiven Beschreiben hin- und herwechsle. Aufbauend auf den Überlegungen zur Theoretischen Sensibilität (Strauss & Corbin, 1996, S. 25ff.), werden diese eigenen Erfahrungen in einem reflexiven Prozess für die Bildung von Kodes und Kategorien genutzt. Abhängig vom Datenmaterial und den situativen Gegebenheiten werden die Verfahren der Dateninterpretation gewählt. Eine Auswertungssystematik wird somit nicht vorab festgelegt, sondern ergibt sich aus dem laufenden Erhebungsund Auswertungsprozess immer wieder neu. Die folgende Darstellung der Datenanalyse spiegelt somit ebenso den forschungspraktischen Arbeitsprozess wider, wobei lediglich zentrale Schritte der Datenauswertung im Stil der Grounded Theory vorgestellt werden, um die Ergebnisgenerierung nachvollziehbar zu machen. Als eine methodologische Frage der phänomenologischen Sozialwissenschaft kann gelten, was überhaupt ein Phänomen kennzeichnet. In der vorliegenden Betrachtung von Geschlecht und Gefühlen scheint diese Frage besonders herausfordernd, zumal die klassische (Leib-)Phänomenologie nicht über eine tradierte Geschlechtertheorie verfügt. Zu den Gefühlen anderer besteht lediglich ein indirekter Zugang über Beobachtung und Interpretation des körperlichen Gefühlsausdrucks oder über die verbale Beschreibung anderer von ihrem Fühlen: »Die Beschreibung eines Gefühls hängt eng mit dem Fühlen dieses Gefühls zusammen […] Zur Beschreibung leiblicher Prozesse ebenso wie von Gefühlen sind wir mehr als bei anderen Phänomenen auf Vergleiche und Metaphern angewiesen.« (Landweer, 1997, S. 256)
Die Neue Phänomenologie bietet durch ihre metaphorische Beschreibung leiblicher Zustände ein Vokabular zur Erfassung und Beschreibung von Leiberfahrungen. Hermann Schmitz will mit seiner Neuen Phänomenologie Phänomene nicht bloß unbefangen sehen, sondern diese auch begrifflich und systematisch fassen, wozu sein Alphabet der Leiblichkeit (s. Kap. 3.3.3) ein Hilfsmittel für eine analytisch-rekonstruktive Erfassungsmethode darstellt. Dieses bietet sprachlich-metaphorische Begrifflichkeiten zur Beschreibung eigenleiblich-phänomenaler Erfahrungen (Gahlings, 2006, S. 70). Schmitz unterteilt sein eigenes methodisches Vorgehen in drei Schritte: – In einem ersten Schritt soll der Phänomenbezirk deskriptiv gekennzeichnet werden, wobei neben der Eigenerfahrung auch fremde Zeugnisse herangezogen werden. – In einem zweiten Schritt wird ein Kategoriesystem ausgearbeitet, indem über die phänomenologische Betrachtung das Wesen charakteristischer Phänomene herausgearbeitet werden soll.
Prozess der Datenauswertung
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– Schließlich werden diese Kategorien miteinander verbunden, um die Phänomene zu rekonstruieren (Koll, 2007, S. 38).170 Das datenanalytische Vorgehen in der vorliegenden Arbeit orientiert sich an diesen methodischen Schritten. So wurde das gesamte Datenmaterial im laufenden Forschungsprozess immer wieder gesichtet und aufbauend auf den eigenen praktischen Erfahrungen im Feld und der Deskription der Bewegungserscheinungen analysiert. Der daraus resultierende Phänomenbezirk der Geschlechterpraktiken wird schließlich im Stil der Grounded Theory (Strauss & Corbin, 1996) in einem Kategoriesystem ausgearbeitet, um Phänomene leiblicher Praktiken der Geschlechterordnung zu rekonstruieren.
4.3.1 Zur Forscherhaltung im Auswertungsprozess Im laufenden Forschungsprozess wurde versucht, das Datenmaterial stets aus einer Haltung der Epoch8 heraus zu analysieren und entsprechend das weitere Vorgehen im Feld anzupassen. Die Husserlsche Phänomenologie will die soziale Wirklichkeit möglichst vorurteilsfrei erfassen, was über die Methode der Reduktion und der damit einhergehenden Öffnung des Blickes auf das Wesen der betrachteten Dinge gelingen soll (s. Kap. 3.1). Dies geschieht auf einer rein deskriptiven Ebene, möglichst ohne Vorurteile oder Theorien, aber unter Einbezug eigener Erfahrungen aus dem Feld. Aufbauend auf den Überlegungen Husserls geschieht dies im Rahmen dieser Arbeit über die Reduktion, wobei diese nicht zur transzendentalen Reduktion hinführen soll, da dies für die Sozialwissenschaften eher unbedeutend scheint (Lamnek, 2010, S. 44ff.). Die Reduktion findet in der Epoch8 statt, also außerhalb der natürlichen Einstellung gegenüber der Welt. An den zu beschreibenden Gegenstand werden verschiedene Fragen gestellt: Die Wahrnehmung (Wie ist mit der Gegenstand gegeben?), die Sache an sich (Was ist mir gegeben, wenn ich dem Gegenstand seine symbolischen Bedeutungen entziehe?) oder der soziale Sinn des Gegenstandes werden ausgeklammert, wodurch seine Motive entfallen. Auch die sinnliche Wahrnehmung und Bewusstseinsleistungen, auf welche sich zukünftige oder vergangene Wahrnehmungen beziehen, sollen ausgeklammert werden. Über die phänomenologische Reduktion soll schließlich eine Perspektivübernahme analytisch reflektiert werden. Durch bewusste Reflexion wird die natürliche Einstellung der Umwelt 170 Soentgen merkt an, dass Schmitz zur Typenbildung neigt, wobei er unter Typen »Näherungen, keine exakten Definitionen« (Soentgen, 1998, S. 162) versteht.
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gegenüber überwunden und das »Bewußtsein vom Bewußtsein anderer« (Kurt, 2002, S. 177) in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt, um schließlich »mit analytischen Blicken methodisch kontrolliert in seine Intentionen einzudringen, um auf diese Weise Aspekte und Zusammenhänge zu entdecken, die ohne diese disziplinierte Selbstbefragung verborgen blieben« (ebd.).
Schmitz (1980) verweist hierbei auf den obligatorischen Austausch mit verschiedenen Gesprächspartnern über die entdeckten Zusammenhänge des Forschers, »um die anfängliche und unweigerlich zu immer neuer Verhärtung neigende Beschränkung seiner Perspektive korrigieren und die daraus entspringenden Vorurteile kritisch in Frage stellen zu können« (ebd., S. 46).
Im Rahmen dieser Studie wird hierbei ein äußerst reflexives Vorgehen gewählt, indem das eigenleibliche Handeln im Sportunterricht wie auch die beobachteten Interaktionen und körperlichen Ausdrücke der Schülerinnen und Schülern erfasst werden. Nachdem die Reduktion als inhaltliche Analyse eigener Intentionen dient, geht die Variation einen Schritt weiter. Ausgehend von dem Gegenstand werden einzelne Aspekte desselben beliebig variiert. Der Vergleich der Variationen eines Gegenstandes dient der Erkennung einer nicht modifizierbaren Konstante, welche in allen Variationen identisch bleibt. Das Spezifische wird hierbei abstrahiert auf einen allgemeineren Nenner, indem Einzelfälle variiert werden, um etwas typisch Gleiches zu identifizieren (Kurt, 2002, S. 181).171
4.3.2 Theoretische Sensibilität und Forschungsleib Der bewusst sensible Umgang mit den Daten wird als Theoretische Sensibilität bezeichnet (Glaser, 1978; Glaser & Strauss, 1967): »Theoretische Sensibilität bezieht sich auf die Fähigkeit, Einsichten zu haben, den Daten Bedeutung zu verleihen, die Fähigkeit zu verstehen und das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen.« (Strauss & Corbin, 1996, S. 25)
Strauss und Corbin (ebd., S. 26f.) nennen verschiedene Quellen für die Entwicklung der theoretischen Sensibilität: Literaturrecherche, berufliche und persönliche Erfahrung sowie den analytischen Prozess selbst. Da mir die teilnehmende Beobachtung eigene Erfahrungen als Forschungsleib ermöglichte, 171 Plessner (1975) verdeutlicht, dass das sinnlich belegbar reelle eines Dinges immer nur einen Ausschnitt dessen beschreibt, da nicht alle möglichen Aspekte eines Dinges auf einmal sinnlich belegt werden können: »Die reell präsente Seite impliziert nur das ganze Ding und erscheint ihm eingelagert.« (S. 82)
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kann in den Kodierverfahren der Datenanalyse auf diese eigens gemachten Erfahrungen rekurriert werden. Indem ich in der Datenauswertung auf spürbare innere Widerstände traf, Situationen nachspüren bzw. nachempfinden konnte, erhöhte sich meine Fähigkeit zu erkennen, welche Daten im Text wichtig erschienen. Zu beachten ist allerdings, dass dieses Vorwissen im Forschungsprozess ständig reflektiert werden muss, als bekannt empfundene Vorgänge trotzdem beachtet und eigene Erfahrungen nicht mit den Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern gleichgesetzt werden. Meine Sensibilität für die Daten soll weiter durch die Nutzung von Forschungstagebüchern erhöht werden, in denen ich im Laufe des analytischen Forschungsprozesses Erkenntnisse, Ideen und Hypothesen erstelle und vernetze. Als Grundlage dafür dienen Memos aus Beobachtungen und Interviews, die ich zeitnah im Anschluss an die Arbeit im Feld erstelle.
4.3.3 Kategorienbildung und Ergebnisdarstellung In einem ersten Schritt wird das Datenmaterial entsprechend aufbereitet. Interviewaufzeichnungen und verbale Beobachtungsmemos werden dazu in Wortprotokolle überführt (s. Tab. 4). Ohne Berücksichtigung der Schriftsprache werden dazu wortwörtliche Transkriptionen erstellt, die »mindestens alle hörbaren Äußerungen und Signale einschließlich Pausen, Betonungen, Versprechern und Abbrüchen wiedergeben« (Rosenthal, 2011, S. 92). Tab. 4: Transkriptionszeichen (nach Rosenthal, 2011, S. 93) , = kurzes Absetzen (4) = Dauer der Pause in Sekunden Ja: = Dehnung eins Vokals ((lachend)) = Kommentar der Transkribierenden / = Einsetzen des kommentierten Phänomens nein = betont NEIN = laut viel= Abbruch eines Wortes oder einer Äußerung ’nein’ = leise () = Inhalt der Äußerung ist unverständlich; Länge der Klammer entspricht etwa der Dauer der Äußerung (sagte er) = unsichere Transkription Ja=ja = schneller Anschluss ja so war = gleichzeitiges Sprechen ab »so« nein ich
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Entwurf einer neophänomenologischen Ethnografie
Die Datenanalyse orientiert sich methodisch am Stil der Grounded Theory (Strauss & Corbin, 1996).172 Über diese Herangehensweise soll »mit einem minimalen Aufwand an Datenerhebung ein Maximum an Datenanalyse und folgender Theoriebildung« (Hildenbrand, 2012, S. 41f.) erreicht werden. Der Grounded Theory können keine bestimmten Forschungspraktiken klar zugeordnet werden, da sie methodisch an die situativen Bedingungen des Forschungskontextes anzupassen ist: »In diesem Sinne ist die Grounded Theory keine spezifische Methode oder Technik. Sie ist vielmehr als Stil zu verstehen, nach dem man Daten qualitativ analysiert« (Strauss, 2004, S. 434).
Entsprechend dem ethnografischen Vorgehen im Feld während der Erhebungsphase besteht auch der Ausgangspunkt der Grounded Theory nicht in der Überprüfung theoretischer Vorannahmen. Vielmehr werden die während der Untersuchung entwickelten theoretischen Konzepte im Rahmen der Datenanalyse entdeckt und müssen sich wiederum an den Daten bewähren.173 Durch den ständigen Wechsel von Theoriebildung und Rückgriff auf das Datenmaterial ist der Analyseprozess als triadisch und zirkulär zu kennzeichnen (Hildenbrand, 2012, S. 33): »Entscheidend ist, die Phase der Erhebung von Material von der der Analyse dieses Materials nicht zu trennen, sondern miteinander zu verschränken und nur so viel an Material zu erheben, wie für den Analyseprozess erforderlich ist. Nur so kann das Material die Analyse steuern.« (ebd., S. 36)
Strauss und Corbin beschreiben drei Kodierungsformen, welche zwar getrennte analytische Vorgehensweisen darstellen, doch nicht in strikter zeitlicher Abfolge nacheinander, sondern im ständigen Wechsel durchgeführt werden (Strauss & 172 Auf den ersten Blick mag der Forschungsstil der Grounded Theory nicht passend für ein (leib-)phänomenolo-gisch orientiertes Forschungsvorhaben sein. Dennoch möchte ich diesen Stil zur Auswertung der erhobenen Daten nutzen, da dieser eine strukturierte Auswertungsmethode darstellt und eine intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Auswertungsschritte ermöglicht. Dass die Grounded Theory nicht so fern von sozialphänomenologischen Überlegungen ist, wird bereits an den Parallelen zu Max Webers Idealtypenlehre sichtbar durch »hinsehen (auf Einzelfälle), absehen (von Unwichtigem), zusammensehen (und dann wieder, mit dem konstruierten Gedankenbilde) auf Einzelfälle hinsehen« (Kurt, 2002, S. 152). 173 Die Datenanalyse ist damit zirkulär angelegt im Sinne einer iterativen Heuristik: »Iterative Heuristik steht dabei für einen mehrstufigen, komplexen Forschungsprozess, in dem sich Phasen von Datenerhebung, -analyse und Theorieentwicklung abwechseln. Diese Phasen steuern sich über Rückkopplungen gegenseitig: erhobene Daten werden (vorläufig) analysiert, die gewonnen Heuristiken, relevanten Themen und Theoriebestandteile leiten daraufhin die erneute Datenerhebung und werden selbst in einem nächsten Analyseschritt an den neu erhobenen Daten überprüft und ausdifferenziert.« (Miethling & Krieger, 2004, S. 30)
Prozess der Datenauswertung
161
Corbin, 1996, S. 43ff.). Demnach werden sämtliche Daten nach einem Kategoriensystem geordnet. In einem ersten Schritt wird der Datenkorpus in einem offenen Kodierungsvorgang aufgebrochen, indem Konzepte gebildet und zu Kategorien zusammengefügt werden. Hierzu werden sämtliche Textteile Zeile für Zeile analysiert, und erst »im Laufe der Analyse wechselt dieses zunächst noch rekonstruktive Verfahren zu einem stärker subsumtionslogischen Vorgehen, in dem Texteinheiten den gebildeten Kategorien zugeordnet werden« (Rosenthal, 2011, S. 226).
Diese Kodierungen sind allerdings vorläufig und bilden keine starre Struktur. Der Kategorisierungsprozess geschieht im stetigen Austausch zwischen praktischer Feldforschung und Datenanalyse. An das offene Kodieren schließt sich der Analyseschritt des axialen Kodierens an (und wechselt sich mit dem offenen Kodieren ab), in dem die aufgebrochenen Daten interpretiert und neu zusammengefügt werden, wodurch Subkategorien ermittelt werden. Mithilfe des Kodierparadigmas (Strauss & Corbin, 1996, S. 78ff.) werden dazu Fragen an die Kategorien gestellt, um diese weiterzuentwickeln. Durch das anschließende selektive Kodieren werden die einzelnen Kategorien zu einer Kernkategorie integriert, wodurch ein roter Faden entsteht, welcher sich im Ergebnisteil dieser Arbeit wiederfindet (s. Kap. 5–7). Die grundlegende Theorie wurde dabei nicht auf eine einzelne Kernkategorie reduziert; stattdessen wurde ein Modell leiblicher Praktiken der Geschlechterordnung entwickelt, welches die herausgearbeiteten Kategorien impliziert. Das Kodieren basiert dabei auf den im Feld erlebten eigenleiblichen Empfindungen des Forschers und beschreibt dessen theoretische Sensibilität (s. Kap. 4.3.2). In der folgenden Ergebnisdarstellung werden drei klar voneinander abzugrenzende Typen leiblicher Praktiken dargestellt, welche sich aus dem Kodierungsprozess abstrahieren ließen. Die Darstellung folgt dabei von individuellen emotionalen Ausdrücken, über die Raumorientierung mit Partnerinnen und Partnern hin zur Beschreibung von Atmosphären als Orientierungsgeber leiblicher Praktiken. Innerhalb der einzelnen Kapitel werden diese einleitend in ihren charakteristischen Merkmalen dargestellt, um in den Unterkapiteln die jeweiligen Kategorien nachzuzeichnen (z. B. Emotionsexpressionen), welche ihrerseits noch einmal in Subkategorien (z. B. emotionale Lautäußerungen) aufgespalten sind. Diesen Subkategorien sind wiederum einzelne Konzepte zugeordnet (z. B. Erlösungslachen), um das methodische Vorgehen der Datenanalyse möglichst nachvollziehbar vorzustellen. Am Ende jedes Kapitels wird dieses jeweils unter geschlechtsspezifischen Aspekten zusammengefasst und – soweit dies aufgrund der Daten möglich scheint – aufbauend auf dem »Alphabet der Leiblichkeit« (Schmitz, 1965, S. 169) interpretiert.
162
Entwurf einer neophänomenologischen Ethnografie
Um die einzelnen Konzepte bzw. Subkategorien nachvollziehbar zu illustrieren, werden Zitate der Kinder aus Beobachtungssequenzen und Interviewauszügen sowie eigene, reflektierte Erfahrungen dargestellt;174
4.4
Kritische Zusammenfassung des Forschungsprozesses
Sämtliche Forschungsmethoden ergeben sich aus den ersten Feldaufenthalten, welche im Rahmen ethnografischer Feldforschung offen gehalten wurden. Die Daten sollten realitätsnah erhoben werden und zugleich leibkörperliche Prozesse nicht ausklammern, sondern in besonderer Weise mitberücksichtigen. Dies stellt sich aufgrund der den Leiblichkeitskonzepten impliziten Subjektivität insofern als problematisch dar, als dass ich als Forscher meine Gedankengänge und mein subjektives Empfinden im Feld aus neophänomenologischer Perspektive nicht aus der Erhebungs- und Auswertungsphase ausschließen darf, aber die Arbeit dennoch anerkannten wissenschaftlichen Standards qualitativer Forschung genügen soll. Ein weiterer kritischer Aspekt ist die generelle Möglichkeit der Übernahme bzw. des Mitfühlens der kindlichen Lebenswelt, welche sich allein aufgrund des Altersunterschieds bereits als äußerst different zu dem eigenen Erfahrungshorizont darstellt und der Sportunterricht lediglich einen kleinen Teil der kindlichen Lebenswelt ausmacht. Umso mehr erfreut mich die Tatsache, dass ich einen relativ zügigen und in meinen Augen unproblematischen Zugang zum Sportunterricht finden konnte und die Schülerinnen und Schüler mich nach wenigen Stunden bereits voll zu akzeptieren schienen. Lediglich die Lehrkräfte schienen von meiner Doppelrolle als wissenschaftlicher Beobachter und gleichsam als teilnehmender Schüler über weite Strecken irritiert, da sie mich als Experten für das Kämpfen im Sportunterricht ansahen und oftmals unsicher und fragend auf mich zukamen. Der konsequente Miteinbezug meiner eigenen Perspektive, meiner Gefühle und Wahrnehmungen in der Erhebungsphase und dem Verfassen von Memos und Forschungstagebüchern ermöglichte mir ein spürbar-vertiefendes Verständnis für die leiblichen Praktiken der Kinder. Über die ständige Selbstreflexion und die phänomenologische Forscherhaltung wurde versucht, störenden Einflussgrößen im Prozess der Datenerhebung und Datenauswertung zu begegnen. So wurden Formulierungen in Beobachtungsprotokollen, welche lediglich meinen subjektiven Ausschnitt der Wirklichkeit widerspiegeln, sowie Formen meiner Interviewführung stets reflexiv verschriftet und in ihrer Be174 Die Zitate werden mit pseudonymisierten Namen der Kinder versehen. Selbstreflexionen von mir als Forscherperson werden entsprechend gekennzeichnet; in den Interviewauszügen erscheine ich stets als Florian.
Kritische Zusammenfassung des Forschungsprozesses
163
deutung für den Auswertungsprozess miteinbezogen. Dabei tauchten eigene Selbstverständlichkeiten im Forschungsprozess immer wieder auf. So habe ich als Protokollant zu Beginn jeder Sportstunde aufgeschrieben, wann die Mädchen und wann die Jungen die Sporthalle betraten. Damit evozierte ich bereits eine Geschlechterdualität, ohne dass diese im Feld aufgegriffen wurde. In der Folge versuchte ich diese Kategorisierung lediglich dann aufzugreifen, wenn sie im Feld beobachtbar auftrat.175 Wurde die Geschlechterunterscheidung besonders in den Zweikampfsituationen explizit, in welchen die Kategorien Mädchen und Jungen gebraucht wurden, übernahm ich das Geschlecht als Klassifikationsmerkmal in meine Protokolle. Die Beobachtungen von Zweikampfsituationen führten somit zu Beschreibungen von Geschlechterklassifikationen, da diese in diesen Situationen beobachtbar relevant wurden. Kritisch im Erhebungsprozess war der ständige Wechsel der begleiteten Schülerinnen und Schüler. Da eine Unterrichtseinheit im Durchschnitt auf den Zeitraum von 1,5 Monaten von den Lehrkräften angelegt wurde, blieb mir die Möglichkeit, immer wieder in das bekannte Feld zurückzukehren, verwehrt. Somit musste ich stetig weitere Schulen mit Lehrkräften suchen, die bereit waren, eine Unterrichtseinheit zum Kämpfen durchzuführen. In sämtlichen Schulen zeigten sich dabei ähnliche Praktiken der Schülerinnen und Schüler, womit keine Differenzen zwischen Grundschulen, Gymnasien oder Gesamtschulen festgestellt werden konnten, zumal sich die Altersspanne übergreifend zwischen neun und zwölf Jahren bewegte. Der ständige Neueinstieg in den Sportunterricht erschwerte allerdings das ethnografische Vorgehen; somit war bereits durch den engen zeitlichen Rahmen ein Going Native bzw. eine vollständige Integration in das Feld nicht möglich. Dieser Problematik versuchte ich zu begegnen, indem ich die Klassen nach Möglichkeit bereits einen Monat vor Beginn der Unterrichtseinheit Kämpfen im Sportunterricht begleitete und somit meinen Aufenthalt verlängerte. Bei jedem Neueinstieg versuchte ich, Gegenbeispiele für die bereits gewonnen Erkenntnisse zu suchen und unabhängig meiner bisherigen Auswertung neue Eindrücke zu gewinnen. Dies gestaltete sich als äußerst schwieriger Prozess, da sich über Sedimentierungsprozesse bisweilen eine klare Vorstellung in mir verfestigte, Geschlecht müsse eine Rolle beim Kämpfen spielen. Somit stellte der ständige Wechsel der Schulen und Untersuchungsgruppen auch eine Chance dar, das Bisherige neu zu betrachten und übergreifende Muster zu erkennen. Aufgrund der grundlegend verschiedenen theoretischen Grundlagen qualitativer und quantitativer Forschung ist es nötig, für die qualitative Sozialforschung gesonderte Gütekriterien zu finden, welche sich durchaus auf die traditionellen Gütekriterien beziehen können (Mayring, 2002). Eine postmoderne 175 Vgl. dazu das ethnografische Vorgehen von Kelle (1999).
164
Entwurf einer neophänomenologischen Ethnografie
Ethnografie lehnt Gütekriterien wie Reliabilität oder Validität gänzlich ab, da die beobachtende Person nicht von der beobachteten Realität zu trennen ist. Allerdings wendet Steinke (2012) ein, dass qualitative Forschung ohne Bewertungskriterien nicht bestehen kann: »Die Zurückweisung von Kriterien entsprechend der dritten Position birgt die Gefahr der Beliebigkeit und Willkürlichkeit qualitativer Forschung.« (ebd., S. 321)
Die angewandten Methoden in der Erhebungsphase dieser Studie sind durch Methodentriangulation gekennzeichnet, da sie die teilnehmende Beobachtung und ethnografische Begleitung im Feld sowie die narrative Interviewführung implizieren. Diese ermöglichen, die Schülerinnen und Schüler in ihrem natürlichen Lebensraum – dem Sportunterricht – zu begleiten, wobei die Lebensraumund Umweltbedingungen auch in der Interpretation und Analyse der Daten berücksichtigt werden. Durch Datentriangulation, welche aus der Betrachtung verschiedener Schulen und Schulstufen resultiert, kann die Gefahr einer selektiven Wahrnehmung und einer damit einhergehenden Selbstbestätigung reduziert werden. Im konkreten Bezug auf geschlechtsspezifische Stereotypenbildung im Sportunterricht wird gezielt nach negativen Fällen gesucht, und es werden Schulklassen mit Sportlehrerinnen und Sportlehrern betrachtet, um die Verbindlichkeit zu erhöhen. Ebenfalls sollen eigene Vorannahmen offengelegt und Interpretationen reflexiv-kritisch überprüft werden. Durch den Einbezug von Leib und Körper in der Erhebungsphase können eigene Forschererfahrungen durch die Teilnahme im Feld reflektiert berücksichtigt werden, was ein zusätzliches Validitätskriterium darstellen kann. Da im qualitativen Forschungsprozess die Subjektivität von mir als Forscherperson mitberücksichtigt werden soll und qualitative Sozialforschung stets different situativ beeinflusst ist, sind qualitative Methoden kaum kontrollierund wiederholbar. Stattdessen sollen die Ziele in dieser Arbeit und die dafür angewandten Methoden übereinstimmen und diese bedingen, denn: »Die Nachteile der qualitativen Methoden bezüglich der Reliabilität können durch die Vorteile bei der Validität partiell, vollständig oder überkompensiert werden.« (Lamnek, 2010, S. 154)
Die nachfolgend dargestellten interpretativen Aussagen und Ergebnisse dieser Arbeit sind dabei immer im Kontext des leibphänomenologischen Zugangs zu sehen und in diesem theoretischen Rahmen gültig. Die grundlegende neophänomenologische Einstellung hat den Gegenstand des fühlend-spürenden Geschlechts erst zum Gegenstand dieser Forschung gemacht, wodurch die Ergebnisse wiederum stets auf die leibphänomenologische Theorie zu beziehen sind. In der nachfolgenden ethnografischen Beschreibung werden, anknüpfend
Kritische Zusammenfassung des Forschungsprozesses
165
an die Überlegungen zur neophänomenologischen Ethnografie (s. Kap. 4), Beobachtungen und Interviewpassagen aus der Ich-Perspektive dargestellt. Hiermit wird versucht, eine Brücke zu schlagen von der subjektiv gefärbten Datenerfassung (s. Kap. 4.1) und dem Prozess der Datenauswertung, welche zugunsten der Nachvollziehbarkeit im Stil der Grounded Theory durchgeführt wurde (s. Kap. 4.3). Den leibphänomenologischen Theorien folgend, welche den Leib neben dem Körper als eigenständigen Aspekt menschlichen Seins betrachten (s. Kap. 3.4), müssen die qualitativ erhobenen, aber stets über eigenleibliche Erfahrungen subjektiv gefärbten Daten angemessen und nachvollziehbar aufbereitet werden. Hierzu werden Textpassagen aus Interviews, informellen Gesprächen und (Eigen-)Beobachtungen jeweils dargestellt, subjektiv beschrieben und schließlich mithilfe des metaphorisch-begrifflichen Instrumentariums der Neuen Phänomenologie (s. Kap. 3.3.3) interpretiert. Die metaphorischen Begriffe der »Atmosphären« (s. Kap. 5), »Raumorientierungen« (s. Kap. 6) und »Emotionsexpressionen« (s. Kap. 7) stellen hierbei durch den Auwertungsprozess gebildete Typen leiblicher Praktiken dar (s. Kap. 4.3.3), welche in Subkategorien und Konzepte unterteilt präsentiert werden.
5
Atmosphären
Das kämpferische Sich-Bewegen im Sportunterricht findet immer eingebettet in eine räumlich-dingliche und soziale Umwelt statt. So wird der Sportunterricht innerhalb der Institution Schule zumeist in einer Sporthalle durchgeführt, mithilfe verschiedener Materialien. Dieser Sportunterricht wird dabei von curricularen Vorgaben, der Inhalts- und Methodenwahl der Lehrkraft, des Klassenklimas und vielen weiteren Faktoren beeinflusst, die mit Schmitz (1969, S. 98) als objektgebundene Gefühle bezeichnet werden können: »Nicht nur ich kann heiter sein, sondern auch eine Landschaft oder eine Melodie.« (ebd.)
Aufbauend auf Gugutzers Überlegungen zum »atmosphärischen Verstehens intersubjektiven Sinns« (Gugutzer, 2012, S. 80) wird davon ausgegangen, »dass sozialen Situationen ein überindividueller, gemeinsam geteilter Sinn inne wohnt, der unabhängig von den Intentionen und Motiven jedes einzelnen Situationsteilnehmers existiert und wirksam ist« (ebd.).
Ausgehend von dieser Annahme liegt dem Sportunterricht stets ein situativintersubjektiver Sinn zugrunde, welcher nicht den subjektiven Sinn einzelner Akteure beschreibt, sondern eine von allen Partizipanten geteilte Atmosphäre, welche diese wiederum subjektiv ergreifen und Handeln präreflexiv anleiten sowie durch das Handeln der einzelnen Akteure wiederum beeinflusst werden kann. Das erste Ergebniskapitel Atmosphären176 greift diese Überlegungen auf, indem die räumlich-dingliche und die soziale Umwelt im Sportunterricht im Hinblick auf die Interdependenz von Gefühlen als Atmosphären und leiblichen Praktiken (Gugutzer, 2014, S. 101) betrachtet werden. Der Erkenntnisgewinn soll dabei durch die Darstellung der Subkategorien und exemplarischen Kodes nachvollziehbar nachgezeichnet werden. 176 In Anlehnung an den Atmosphärenbegriff der Neuen Phänomenologie (vgl. Kap. 3.3.3).
168
Atmosphären
Die Sporthalle, in welcher der Sportunterricht stattfindet, bildet den räumlich Rahmen, der bereits Gefühle als Atmosphären impliziert, ebenso wie die im Sportunterricht gebräuchlichen Gegenstände (s. Kap. 5.1). Aufbauend auf diesem Fokus der räumlich-dinglichen Atmosphären werden die in diesem Rahmen handelnden Akteure – die Schülerinnen und Schüler177 wie auch die Lehrkräfte – als »soziale Umwelt« (Schütz & Luckmann, 1975, S. 43) aufgegriffen, da die Lehrkraft durch die eigene Persönlichkeit und die Wahl der Inhalte, Methoden und Ziele ebenso Stimmungen und Gefühle als Atmosphären evoziert wie das durch die Klassengemeinschaft bedingte Klassenklima (s. Kap. 5.2). Schließlich werden die Erhebungsergebnisse aus den dargestellten Bereichen zusammenfassend unter neophänomenologischer Perspektive betrachtet und ein erster interpretativer Blick auf geschlechtsspezifische leibliche Praktiken im Kontext der räumlich-dinglichen und sozialen Atmosphären gewagt. Geschlechterdifferentes bzw. stereotypes Verhalten wird dabei in Form von Typisierungen explizit herausgearbeitet und die Ergebnisse abschließend zusammenfassend interpretativ dargestellt. Tab. 5: Inhaltliche Struktur der Atmosphären Räumlich-dingliche Umwelt (Weg zur) Sporthalle
Soziale Umwelt
Materialien Turnmatten Handpratzen
Inhalte Vertrauensspiele Gruppenkämpfe Zweikämpfe Inhaltswünsche Methoden Gruppenbildung Regeln Paarfindung Lehrkraft Motivation Partizipation Thematisierung
177 Ist nachfolgend von »den Mädchen« und »den Jungen« zu lesen, handelt es sich hierbei um aus dem Feld aufgegriffene stereotype Bezeichnungen. Zu der Gefahr einer Reifizierung von Geschlechterstereotypen in dieser Studie vgl. Kap. 4.2.2.
Räumlich-dingliche Umwelt
5.1
169
Räumlich-dingliche Umwelt
Das menschliche Sich-Bewegen ist stets in ein soziales und räumlich-dingliches Umfeld eingebettet, das Schmitz als »Ortsraum« bezeichnet (Schmitz, 1998, S. 51). Mit seiner Umwelt steht der Mensch in einer leiblich-affektiven Beziehung, »die Dinge kommunizieren mit den Menschen, indem sie z. B. mitreißen, emporheben, niederdrücken usw.« (Uzarewicz, 2011, S. 305). Folgend werden der Weg zur Sporthalle und die Sporthalle selbst wie auch die Turnmatten und Schlagpolster exemplarisch als räumliche Dinge im »Umraum« (Fuchs, 2000, S. 183f.) betrachtet, welche leibliche Praktiken der Geschlechterdifferenzierung evozieren (können). Bereits der Pausenhof, der Weg zur Sporthalle und die Sporthalle selbst scheinen bestimmte Gefühle bei den Schülerinnen und Schülern zu evozieren. Mir selbst fällt auf, dass bereits zum Ende der Pause und spätestens auf dem Weg zur Sporthalle eine gewisse Stimmung von der Gruppe ausgeht, die auch mich erfasst.
5.1.1 Schulsportweg und Sporthalle »Vom Schulhof aus ist die Turnhalle bereits sichtbar. Die Kinder kommen nach und nach einzeln zu dem markierten Bereich und stellen sich dort paarweise auf. Die Paare scheinen immer gleich zu bleiben, da ohne Absprachen sofort ein entsprechender Platz gefunden wird. Vorne stehen vier Jungen, die sich bereits zu Pausenbeginn dort hingestellt haben und seit 20 Minuten dort warten […] Auf dem Weg zur Turnhalle läuft die Lehrerin vorweg, hinter ihr paarweise erst die Jungen und danach die Mädchen der Klasse. Ganz hinten laufe ich, gemeinsam mit einem Jungen, der sonst keinen Partner gehabt hätte, da nach seiner Aussage sein Freund an diesem Tag krank ist […] Ich empfinde die Kinder allgemein als etwas nervös. Gespräche über das bevorstehende ›Kämpfen‹ kann ich nicht hören, allerdings höre ich auch nur einzelne Jungen sprechen und lachen und kein einziges Mädchen. Insgesamt fühle ich eine gewisse Spannung im relativ ruhigen Gang zur Sporthalle, welcher sich durch sein langsames Tempo und die kaum vernehmbaren Gespräche deutlich von den Tagen der vorausgegangenen Unterrichtseinheit abhebt.« (Beobachtungsprotokoll 05. 11. 2012, 4. Klasse)
Der Ausschnitt aus dem Beobachtungsprotokoll beschreibt den Weg vom Schulhof zur Sporthalle und eigene Stimmungsempfindungen während dieses Weges. Die Schülerinnen und Schüler stellen sich regelmäßig ritualisiert vor Sportunterrichtsbeginn auf dem Schulhof auf. Der Weg zu Sporthalle wird normalerweise in allen Klassen von lauten Geräuschen begleitet, die Schülerinnen und Schüler unterhalten sich angeregt miteinander, was mir die Lehrkräfte abseits meiner eigenen Beobachtungen für andere Unterrichtseinheiten bestätigen. In den ersten Unterrichtsstunden zum Kämpfen hingegen scheint
170
Atmosphären
bereits auf dem Weg zur Sporthalle eine gewisse ruhige und dennoch spannungsvolle Stimmung die Schülerinnen und Schüler zu ergreifen, da im Gegensatz zu vorher begleiteten Unterrichtseinheiten deutlich weniger gesprochen wird. Den Weg zur Sporthalle mit den Vorstellungen und dem Wissen, dass nun gekämpft wird, verdeutlicht Alina als »komischen« Moment: »Ich hatte halt schon son: Gefühl (2) also ich hab mich so gefreut auf das Kämpfen aber als wir dann losgegangen sind, alle zusammen, dann hab ich da halt einfach schon ein bisschen Angst oder halt son bisschen komisches: Gefühl: so bekommen weil wie wir da alle so gelaufen sind und dann hab ich die Sporthalle gesehen, das war dann so komisch weil ich wusste ja dass wir jetzt alle halt so kämpfen […]. (Alina, 9 Jahre, 4. Klasse)« (Interview vom 29. 11. 2012)
Alina erklärt, dass sie ein angstvolles und »komisches Gefühl« hat, da ihr in dem Gemeinsam-Sein auf dem Weg zur Sporthalle und dem Anblick der Sporthalle ein Gemeinsam-Sein beim Kämpfen bewusst wird, da »jetzt alle halt so kämpfen«. Dorian hingegen, mit dem ich gemeinsam zur Sporthalle gehe, verdeutlicht: »Erst wollte ich nicht so richtig aber jetzt hab ich voll Lust zu kämpfen wenn ich die Sporthalle sehe, wie so n Kampfstadion. (Dorian, 9 Jahre, 4. Klasse)« (Beobachtungsprotokoll vom 05. 11. 2012)
Der Anblick der Sporthalle als »Kampfstadion« scheint somit ein Stimmungsauslöser zu sein, der differente Wirkweisen bei den Schülerinnen und Schülern evoziert, wie die Aussagen »jetzt habe ich voll Lust zu kämpfen« oder »das war dann so komisch« verdeutlichen. Dorian verbindet mit der Sporthalle ein »Kampfstadion«, also eine Anlage, in der Kämpfe stattfinden und dies öffentlich vor den Augen der Mitschülerinnen und Mitschüler, die ebenfalls dieses Stadion bilden. Die Sporthallen erscheinen in allen von mir begleiteten Schulsportstunden als von dem Schulkomplex separierte Gebäude. Der Weg hin zu diesen Gebäuden und der Anblick ebendieser lässt ein gewisses Gefühl des Gespannt-Seins und der Aufregung auf die kommende Sportstunde nachempfinden. Mit Anblick der Sporthalle drängen sich unterschiedlichste Gedanken auf: Erinnerungen an den eigenen Schulsport, Erfahrungen von Turnieren, Wettkämpfen, Trainingslagern und Prüfungen aus dem Vereinssport. Ebenso verbindet Dorian im zuvor genannten Beispiel die Sporthalle mit einem »Kampfstadion«, womit eine gewisse Vorstellung vom Kämpfen einhergeht, welche in diesem Fall positiv besetzt ist, da sie »voll Lust zu kämpfen« macht. Die Öffentlichkeit des Stadions bzw. der Sporthalle führt hingegen bei Alina zu »ein bisschen Angst oder halt so n bisschen komisches Gefühl«, welches der Anblick der Sporthalle in Verbindung mit dem Thema Kämpfen hervorruft.
Räumlich-dingliche Umwelt
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Die durch diese Gebäude evozierten Gefühle scheinen dabei immer auch Ergebnisse von Zuschreibungen zu sein. Dies wird folgend deutlich, wenn innerhalb der Sporthallen der Umgang mit einzelnen Sportgeräten determiniert wird durch die Vorstellung, die die Kinder von diesen Geräten haben.
5.1.2 Materialien im Sportunterricht Wird das Bewegungsfeld des Kämpfens im Sportunterricht aufgegriffen, impliziert dies eine bestimmte Auswahl von Materialien. So werden in allen beobachteten Schulen Turnmatten und Weichbodenmatten benötigt, um einzelne Schiebe- und Ziehspiele bzw. Spiele aus dem Ringen und Raufen (Beudels & Anders, 2008) auf diesen durchzuführen. Die Nutzung von Turnmatten ist stark von der Verfügbarkeit an Materialien in den Sporthallen abhängig.178 Ab dem Beginn der Unterrichtseinheit Kämpfen lassen sich schulformübergreifend gewisse geschlechtsspezifische Reaktionen auf die intensive Mattennutzung im Sportunterricht beobachten: »Die Matten die haben wir dann halt so zusammengeschoben und dann gabs voll Wrestling, dann war das wie bei son Wrestlingkampf halt […] Da hatte ich dann schon so richtig Lust als ich dann so die Matten gesehen habe dann auch so richtig dann zu kämpfen halt. (Joris, 10 Jahre, 4. Klasse)« (Interview vom 29. 11. 2012) »Ich fand das Kämpfen auf den Matten ganz gut: aber das hat auch wehgetan (4) ich habe hier am Knie halt so aufgeratscht vom kämpfen gerade […] ich mache halt lieber nicht so kämpfen auf den Matten weil ich eigentlich so Radschlag und Turnen lieber mache (2) wenn da Matten sind. (Maria, 10 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 27. 02. 2012)
So werden die Matten überwiegend von Jungen als eine Fläche zum (Wrestling-)Kämpfen bezeichnet, wohingegen bei einem Großteil der Schülerinnen eine gewisse Abneigung zur Mattennutzung abseits von aus dem Sportunterricht bekannten (bodenturnerischen) Bewegungselementen zu verzeichnen ist. Dies äußert sich ebenso in dem Umgang mit den Turn- und Weichbodenmatten. Werden zu Beginn keine konkreten Anweisungen der Lehrkräfte gegeben, werden die verfügbaren Matten von den Schülerinnen und Schülern in unterschiedlichen Formen genutzt: »Die Hälfte der Jungen wirft sich auf die dicke Weichbodenmatte und versucht, sich dort herunterzuschieben. Die anderen Jungen schauen zu oder legen sich auf die freien Turnmatten […] Die Turnmatten werden von einigen Mädchen genutzt, um dort 178 In allen begleiteten Unterrichtseinheiten waren genügend Turnmatten für alle Schülerinnen und Schüler einer Klasse vorhanden, lediglich in einer Grundschule reichten die verfügbaren Matten nur für die Hälfte der Klasse aus.
172
Atmosphären
Radschläge und Vorwärtsrollen auszuführen.« (Beobachtungsprotokoll, 05. 11. 2012, 4. Klasse)
Den Matten kommt damit eine Art Bühnenfunktion zu. Sie bieten Räume für die Schülerinnen und Schüler, in denen diese entsprechend an dem Material ausgerichtet handeln. Diese Räume werden auch inszeniert, indem die Matten »halt so zusammengeschoben« werden. Gleichsam ist eine Abgrenzung voneinander mithilfe der Matten zu beobachten. Dort, wo Turnmatten ausgelegt werden, finden auch entsprechende Interaktionen statt, und diese können flexibel von anderen Orten sozialer Situationen abgegrenzt werden (s. Kap. 6.1.1). In den ersten Stunden, an denen ich neben den Kindern am Sportunterricht teilnehme, wird dies besonders deutlich. Wir sollen uns paarweise eine Turnmatte holen und uns in der Halle verteilen. Die Mädchen verteilen sich auf der einen Hallenseite, die Jungen auf der anderen Seite. Ich selbst wähle die Mitte zwischen den beiden Lagern (s. Abb. 10). Über die Positionierung der Matten finden somit Abgrenzungen statt: – Mädchen von Jungen, – Jungen von Mädchen, – Ich als Teinhehmer von Mädchen und Jungen. Ich fühle mich trotz der aktiven Teilnahme gemeinsam mit einem Schüler in dieser Konstellation sehr ausgegrenzt ohne große Hoffnung, in das Feld integriert zu werden wenn ich mich nicht den Mädchen oder Jungen eindeutig zuordnete. Neben den Matten scheinen auch die Materialien im Zweikampf, um welche gekämpft wird, eine bedeutende Rolle zu spielen, wie der Umgang mit Schlagpolstern bzw. Handpratzen verdeutlichen soll. In einer fünften Klasse sollen die Schülerinnen und Schüler gegen Handpratzen179 schlagen oder diese als Schatz verwenden, welcher festgehalten wird, während die Partnerin bzw. der Partner versucht, diesen zu entwenden. »Florian: ›Kannst du mir über diesen Schatzklau noch mehr erzählen?‹ Maria: ›Ja, also, wir haben uns so auf so eine Matte gesetzt Lena und ich so gegenüber und dann haben wir eine Dings hier in der Mitte gehabt (2) also wie so einen Handschuh ((lachend)) ich weiß jetzt nicht wie das heißt. Ich fand das aber irgendwie sehr komisch, ich hab das halt noch nie so gesehen und das is ja auch mehr so zum hauen glaub ich, deshalb hat das glaube ich keine von uns so gekannt (3) also Lena hat das auch nicht gekannt und ich glaub von uns keine.‹ Florian: ›Von euch keine?‹
179 Handpratzen entsprechen vom Aufbau einem größeren Handschuh, dessen Handfläche gepolstert ist, um dort verletzungsfreie Schläge und Tritte ausführen zu können.
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Räumlich-dingliche Umwelt
Florian
Jungen
Mädchen
Abb. 10: Mattenverteilung in der Halle
Maria: ›Ja also von uns so Mädchen glaub ich keine die das so kannte aber ich weiß natürlich auch nicht von allen nur von Lena und mir.‹ Florian: ›Lena und du, ihr kanntet das nicht.‹ Maria: ›Ja wir kannten das nicht und deshalb haben wir damit dann auch nur ganz kurz mal was gemacht. Also einmal habe ich so den Schatz gehabt und dann hat Lena den aber auch nicht gekriegt und dann haben wir das auch dann nicht mehr also so richtig benutzt (3) dann war das schon vorbei.‹ (Maria, 10 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 27. 02. 2013).
Maria verdeutlicht die Fremdheit zur als »Dings« oder »Handschuh« bezeichneten Handpratze, wobei sie hierbei nicht nur von sich und Lena, sondern von mehreren Mädchen vermutet, dass diesen der Gegenstand fremd erscheint. Die fremde Handpratze wird lediglich kurz in das Spiel eingebunden und dann nicht mehr benutzt, was Maria wiederum mit der Fremdheit des Gegenstandes begründet. Da der Gegenstand des Schatzes allerdings für das Spiel Schatzklau konstitutiv ist, führt dessen Nicht-Benutzung sogleich zum Abbruch des Spieles. Die der Handpratze zugeschriebene kämpferische Funktion »zum hauen« führt somit scheinbar zu einer Verfremdung eben dieses Gegenstandes als »irgendwie sehr komisch«, was wiederum als Begründungsmuster für den Abbruch kämpferischer Handlungen genutzt wird. Eine während dieses Spieles durchgeführte Detailbeobachtung von zwei Jungen beim Spiel Schatzklau veranschaulicht hingegen eine Intensivierung des Spiels, wenn die Handpratze den beteiligten Kindern vertraut ist: »Zwei Jungen sitzen sich gegenüber, jeweils an einem Ende der Turnmatte, zwischen ihnen liegt ein Medizinball. Als der Sportlehrer pfeift, stürzt Tim nach vorne, legt sich
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Atmosphären
auf den Bauch und versucht so den Medizinball festzuhalten. Eren legt sich ebenfalls auf den Bauch und versucht den Medizinball zu sich zu ziehen. Schließlich schafft es Eren, den Ball zu sich zu ziehen und Tim fordert eine Wiederholung. Der Lehrer geht in diesem Moment an der Matte vorbei und fordert Tim auf, weiter um den Medizinball zu kämpfen, bis erneut gepfiffen wird. Tim kniet sich vor Eren und zieht kräftig an dem Ball, doch Eren liegt halb auf diesem und hält ihn sehr fest. Beide Jungen stöhnen und kichern dabei. Schließlich pfeift der Lehrer das Spiel ab, sammelt die Medizinbälle ein und legt eine Pratze zwischen die Beiden. Daraufhin ruft Tim laut: »Yeah, son Haukissen, da können wir dann mit boxen!« und Eren macht Boxbewegungen in die Luft. Als der Pfiff des Sportlehrers ertönt, stürzen sich beide vorwärts auf die Pratze. Tim kann sie zuerst greifen und umklammert sie vor seinem Bauch. Eren umfasst Tim von hinten und kann ihn auf den Bauch zerren, dann dreht er ihn um, boxt ein paarmal leicht auf die Pratze und entreißt Tim diese unter lautem Stöhnen. Eren nimmt die Pratze und klemmt sie zwischen seine Beine. In diesem Moment pfeift der Sportlehrer das Spiel ab. Tim nimmt die Pratze und hält sie zu Eren, der boxt ein paarmal auf die Pratze, während beide dabei lachen.« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse)
Im Rahmen dieses Spiels wird die Handpratze von Eren immer wieder in ihrer ursprünglichen Funktion genutzt, indem dieser auf sie einschlägt. Auch Tim scheint durch das Hinhalten der Pratze am Ende des Spiels die eigentliche Funktion zu kennen, was bereits die ersten Reaktionen beim Erblicken der Handpratze verdeutlichen (»Yeah, so n Haukissen, da können wir dann mit boxen!«). Der Handpratze ist somit ein gewisses Aufforderungspotenzial immanent; Eren und Tim scheinen intensiver um diese zu kämpfen als um den Medizinball, welcher – sicherlich ebenso bedingt durch seine Größe – keinen intensiven Zweikampf auslöst. Der Gegenstand der Handpratze löst somit unterschiedlichste Handlungen und Motivationen aus, er wirkt bei Eren und Tim lustvoll-auffordernd und bei Maria hingegen eher demotivierend. Die Wahrnehmung der Gegenstände hat dabei unmittelbare Auswirkungen auf das kämpferische Sich-Bewegen. Dieses wird bei Maria vorzeitig unterbrochen aufgrund des unbekannten Materials; bei Eren und Tim gewinnt das gemeinsame Sich-Bewegen mit der Handpratze und den der Handpratze impliziten Bewegungsmustern wie das Boxen eine zusätzliche Dynamik.
5.2
Soziale Umwelt
Neben der räumlich-dinglichen Umwelt scheint auch die soziale Umwelt als »Welt aktueller Reichweite« (Schütz & Luckmann, 1975, S. 43) eine gewichtige Rolle der Geschlechterdifferenzierung zu spielen. Innerhalb dieser unmittelbaren Umgebung finden sich die »Halbdinge« als »Kräfte, die in das leibliche Befinden eingreifen, wobei keineswegs zwingend der Körper in Mitleidenschaft gezogen werden muss« (Uzarewicz, 2011, S. 292). Die räumlichen Halbdinge, die
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»sachlich zwischen Dingen und sinnlichen Qualitäten stehen« (Landweer, 2011, S. 239), beschreiben hier somit keine feste, greifbare Konstante, sondern äußern sich in Form von Gefühlen, die über die soziale Umwelt hergestellt werden – in diesem Fall durch die Lehrkräfte und die Schülerinnen und Schüler. So sind die konkreten Unterrichtsinhalte, der methodisch-didaktische Aufbau, die Regeln und Rituale abhängig von den Entscheidungen der Lehrkraft, welche sich wiederum mit ihrer Persönlichkeit in das Unterrichtsgeschehen einbringt. All diese Halbdinge können die Schülerinnen und Schüler wiederum (geschlechtsspezifisch) als atmosphärische Gefühle leiblich-affektiv ergreifen und entsprechendes Handeln präreflexiv anleiten. Die Inhalte, welche sich in ihrem methodischen Aufbau in allen begleiteten Schulen ähneln, konkretisieren sich in Vertrauensspiele, Raufspiele in der Gruppe und Zweikampfspiele und stehen somit oftmals konträr zu den Inhaltserwartungen der Schülerinnen und Schüler. Die Regeln und Formen der Gruppenbildung und Paarfindung werden gesondert betrachtet, ebenso wie die Motivation und Partizipation der Lehrkraft.
5.2.1 Inhalte Im Laufe meines Feldaufenthaltes zeigen sich deutlich homogene Muster, nach denen der Ablauf bzw. die konkreten Inhalte der Unterrichtseinheit strukturiert sind. In allen von mir begleiteten Schulen wird die Unterrichtseinheit zum Kämpfen nach demselben Aufbau durchgeführt, zwar mit stellenweise unterschiedlichen Raufspielen, aber strukturell übereinstimmend. Die Lehrkräfte orientieren sich dabei an Lehrhilfen und Unterrichtsvorschlägen zum Kämpfen im Sportunterricht (vgl. Lange & Sinning, 2007; Beudels & Anders, 2008; Bächle & Heckele, 2010). So werden zu Beginn einer Unterrichtseinheit stets Vertrauensund Kooperationsspiele durchgeführt, welche zumeist die Hälfte der gesamten Unterrichtseinheit beanspruchen. Aufbauend darauf besprechen die Lehrkräfte gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern entsprechende Regeln, um schließlich Schiebe- und Ziehspiele sowie weitere Spiele und Übungen zum Ringen und Raufen erst innerhalb der Gruppe und dann in Zweikampfsituationen mit einer Partnerin oder einem Partner durchführen zu lassen (s. Abb. 11). Im Folgenden werden diese Spielformen näher erläutert: – Vertrauensspiele: Zu Beginn der Unterrichtseinheiten geben die Lehrkräfte einen Ausblick auf die kommenden Inhalte, indem sie die Bedeutung von Vertrauensübungen verdeutlichen, welche eine Grundlage für die Zweikampfspiele bilden sollen. Die Vertrauensspiele stoßen dabei vorerst auf allgemeine Akzeptanz seitens der Schülerschaft, wie der folgende Ausschnitt aus einem Beobachtungsprotokoll exemplarisch verdeutlichen kann:
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Atmosphären
Vertrauensspiele/Kooperationsspiele
Raufspiele in der Gruppe
Raufspiele mit Partnerin oder Partner Abb. 11: Methodischer Aufbau der Unterrichtseinheiten zum Kämpfen
»Die Lehrerin erklärt, dass einige Spiele gemacht werden müssen, die etwas mehr Vertrauen und gegenseitige Hilfe schaffen. Diese Spiele seien wichtig, um miteinander nach Regeln und fair kämpfen zu können. Ein Junge ruft dazwischen: ›Wann kämpfen wir dann endlich?‹, was die Lehrerin mit den Worten ›Zum eigentlichen Kämpfen kommen wir sobald wir gelernt haben, fair miteinander zu kämpfen‹ erwidert. Der Junge verdreht die Augen, sagt aber nichts weiter dazu. Die Kinder scheinen insgesamt einverstanden mit den Vertrauensspielen zu sein. Auf die Nachfrage der Lehrerin, wer denn nun noch einmal erklären kann warum diese Spiele wichtig sind, melden sich bis auf drei Jungen und ein Mädchen alle Kinder. Ein Mädchen wird von der Lehrerin drangenommen und sagt: ›Damit wir uns dann vertrauen und fair sind beim Kämpfen.‹ Daraufhin erklärt die Lehrerin das erste Kooperationsspiel.« (Beobachtungsprotokoll 05. 11. 2012, 4. Klasse)
Das Angebot des Kämpfens im Sportunterricht impliziert für den Jungen einen erwartungsvollen Bewegungsanreiz: »Wann kämpfen wir dann endlich?« Die Vorstellung von Vertrauensspielen entspricht dabei nicht seinen Erwartungen auf das Bewegungsfeld Kämpfen, wie das Augenrollen zu verdeutlichen scheint. Nahezu alle Schülerinnen und Schüler scheinen hingegen die von der Lehrerin erklärte Begründung der Vertrauensspiele nachvollziehen zu können, indem sie sich auf Nachfrage der Lehrerin melden: »Damit wir uns dann vertrauen und fair sind beim Kämpfen.« Die Lehrkräfte legitimieren wiederum mit dieser exemplarischen Aussage ihre Vorgehensweise, im Vorfeld des »eigentlichen Kämpfens« Vertrauensspiele durchzuführen, in der Hoffnung, diese führen zu einem fairen Miteinander. Den zukünftigen Zweikampfsituationen wird dadurch implizit ein erhöhtes Bewegungsrisiko zugeschrieben, da im Vorfeld erst Vertrauens- und Kooperationsspiele nötig scheinen, um diese Zweikämpfe überhaupt durchführen zu können. Die Sozialkompetenz der gesamten Klasse wurde durch die obligatorische Durchführung von derartigen Spielen zur Förderung des gegenseitigen Vertrauens indirekt als nicht ausreichend für die Durchführung von Zweikampfspielen klassifiziert. Die konkreten Vertrauensspiele werden schließ-
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lich von den Lehrkräften angeleitet und paar- oder gruppenweise über mehrere Doppelstunden hinweg durchgeführt. »Insgesamt haben sich sechs geschlechterhomogene Gruppen # 4 Personen gebildet. In meiner Gruppe befinden sich ausschließlich Jungen. Wir stehen in einem Kreis, Arne steht in der Mitte. Als die Lehrerin pfeift, muss sich Arne mit geschlossenen Augen fallen lassen und wir müssen ihn auffangen. Doch Arne versteift nicht seinen Körper und schließt seine Augen nicht. Wir alle lachen, Arne lässt sich nicht fallen und flüstert: ›So, fertig. Jetzt kann einfach einer von euch in die Mitte gehen, kein Bock mehr.‹ Da kommt die Lehrerin zu unserer Gruppe und fordert Arne auf, sich doch noch einmal fallen zu lassen. Sie wendet sich zu mir und sagt: ›Naja, die meisten Schüler machen da nicht ernsthaft mit. Aber wenn wir jetzt hier die Vertrauensspiele machen müssen, dann ist ja auch die Hälfte der Zeit von einer Einheit rum und dann noch die Raufspiele und dann haben die sicher auch was gelernt.‹« (Beobachtungsprotokoll 05. 11. 2012, 4. Klasse)
Die Vertrauensspiele erscheinen somit als eine Art malum necessarium, einerseits für die Schülerschaft, wie das anscheinend lustlose Verhalten von Arne verdeutlicht, andererseits ebenso für die Lehrkräfte, die sie »machen müssen« und welche zeitlich die Hälfte einer ganzen Unterrichtseinheit einnehmen. Dennoch erhoffen sich die Lehrkräfte von den über einen längeren Zeitraum durchgeführten Vertrauensspielen einen Lerneffekt: »dann haben die sicher auch was gelernt«. – Gruppenkämpfe: In sämtlichen beobachteten Unterrichtseinheiten schließen sich Gruppenkämpfe den Vertrauensspielen an. Die Lehrkräfte lassen dabei entweder die gesamte Klasse oder einzelne größere Gruppen gegeneinander »kämpfen«: »Die gesamte Klasse steht in Kreisform auf dem Hallenboden (ohne Matten) und fasst sich an den Händen. In der Mitte steht ein Mädchen und versucht, aus diesem Kreis auszubrechen, während die anderen den Kreis möglichst ›verschließen‹. (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse)
Auffallend an diesen sportartenunspezifischen Gruppenspielen ist, dass diese von den Lehrkräften meist nur kurzzeitig durchgeführt werden. So finden Gruppenspiele in keiner der beobachteten Sportstunden über einen längeren Zeitraum als 45 Minuten bzw. eine Schulstunde statt. Innerhalb der den Unterrichtseinheiten vorausgehenden informell-rezeptiven Gespräche mit den Lehrkräften wird deutlich, dass diese die Gruppenkampfspiele nicht intensivieren wollen, was folgender Ausschnitt verdeutlichen soll: »Herr B.: ›Dann haben wir die Gruppenkampfspiele im Anschluss an die Vertrauensübungen. Die würde ich aber nur kurz machen, weil da schon eine erhöhte Verletzungsgefahr ist, denke ich, und weil wir ja so wenig Zeit haben, um dann richtig zu
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Zweit ins Kämpfen einzusteigen.‹ (Lehrerin Frau U.)« (Beobachtungsprotokoll vom 05. 11. 2012; 4. Klasse)
Dabei wird deutlich, dass einerseits die Gruppenkampfspiele nicht eindeutig dem Bewegungsfeld Kämpfen zugeordnet werden, sondern Kämpfen eher als Zweikämpfen in einer Zweierkonstellation verstanden wird. Andererseits scheint die Angst der Lehrkräfte vor einer »erhöhten Verletzungsgefahr« in Gruppenkämpfen auch als Argument gegen eine Vertiefung dieser Spielform. Dass diese Angst nicht ganz unbegründet ist, lässt sich während meines Feldaufenthalts immer wieder beobachten und miterleben, da die meisten Verletzungen in eben diesen Gruppenkämpfen, die zumeist relativ unkontrolliert und unübersichtlich ausgeführt werden, zustande kommen: »Die Mädchen befinden sich nun verteilt sitzend in der Mitte der Hallenfläche, auf ein Startsignal der Lehrkraft stürmen die Jungs auf die Mattenfläche. Die Jungen gehen zu mehreren auf die einzelnen Mädchen los, schubsen diese allerdings auch häufig. Es bildet sich stellenweise eine Art bewegliches Körperknäuel, in welchem die Bewegungen der einzelnen Kinder kaum noch wahrnehmbar und voneinander unterscheidbar sind. 25 Kinder befinden sich dicht gedrängt auf ein paar Turnmatten, unter lauten Stöhn-, Lach- und Schmerzensaufschreien. Einzelne Kinder stehen außen rum und greifen nicht in das Geschehen ein. Der Lehrer ist mit einem Mädchen beschäftigt, die über Schmerzen im Fuß klagt.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse)
Die Gruppenkämpfe sind oftmals als Körperknäuel180 zu charakterisieren, in denen die Übersicht leicht verloren geht und einzelne Handlungen nicht nachzuvollziehen sind. Die Lehrkraft kann das gesamte Geschehen nicht vollständig überblicken und erlebt eine Art Kontrollverlust, zumal einzelne Schülerinnen und Schüler die Aufmerksamkeit der Lehrkraft immer wieder selbst benötigen: »Der Lehrer ist mit einem Mädchen beschäftigt, die über Schmerzen im Fuß klagt.« Das Bewegungsmoment des gemeinsamen Kämpfens in der Gruppe ist somit durch eine Art Ausgeliefert-Sein gekennzeichnet, indem im aufgeführten Fall die Jungen aktiv auf die passivsitzenden Mädchen »zustürmten« und das Geschehen in einem dichten Gedränge auf engem Raum stattfindet. Hierbei sind die Kinder in besonderer Weise auf die gegenseitige Rücksichtnahme und das gemeinsame Einhalten von Regeln angewiesen. – Raufspiele mit Partnerin oder Partner : Die Gruppenkämpfe münden schließlich inhaltlich in Zweikampfspiele, in welchen jeweils zwei Partnerinnen oder Partner involviert sind und sich in ihren Bewegungen aufeinander beziehen (s. Kap. 1.2): 180 Vgl. Schindler (2011, S. 61) zum Körperknäuel während der Demonstration im Kampfkunsttraining.
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»Die Paare sitzen sich auf den Matten gegenüber. Der Lehrer gibt die Anweisung, dass sich ein Schüler als Schildkröte auf den Bauch legt und der Partner als Greifvogel versucht, diesen umzudrehen, um ihn dann ›aufzuessen‹. Die Rollen sollen getauscht werden, und die Paare sollen gemeinsam überlegen und ausprobieren, wie man am besten jemanden umdrehen kann.« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse)
Ähnlich dem kooperativen Lernen (Bähr, 2005b) sollen die Schülerinnen und Schüler die Bewegungsaufgaben mit gegenseitiger Unterstützung lösen. Die Lehrkräfte integrieren damit ein kooperatives Element in das ursprünglich antagonistische Kampfverhältnis, welches durch das Gefressenwerden noch einmal in seiner spannungsvoll-divergenten Struktur verstärkt wird. Die Zweikampfspiele mit einer Partnerin oder einem Partner bauen in sämtlichen beobachteten Unterrichtseinheiten strukturell nicht aufeinander auf: »Die Lehrerin erklärt das erste Spiel. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich Rücken an Rücken setzen und auf ein gemeinsam vereinbartes Startsignal beginnen, sich gegenseitig von der Turnmatte herunterzuschieben […] Im nächsten Spiel müssen die Kinder versuchen, sich auf einem Bein stehend und hüpfend von der Turnmatte zu stoßen […]Die Paare sitzen sich auf den Matten gegenüber. Die Lehrerin gibt die Anweisung, dass sich ein Schüler als Schildkröte auf den Bauch legt und der Partner als Greifvogel versucht, diesen umzudrehen […] Die Kinder sitzen Rücken an Rücken und die Lehrerin erklärt, dass sie nun versuchen sollen, gegenseitig ihre Füße zu fangen, ohne dabei aufzustehen […] Die Lehrerin fordert die Pärchen auf, sich wieder gegenüber auf die Matte zu knien. Die Kinder sollen nun ihr Gegenüber mit den Armen außen an den Schultern fassen und versuchen, ihn auf den Rücken zu legen […]Im Anschluss daran erklärt Frau B. die Station, an der sich die SuS gegenüber in Liegestützposition begeben und versuchen müssen, gegenseitig die Hand vom Gegenüber zu ticken […] Als letztes Spiel erklärt die Lehrerin das Spiel ›Mausefalle‹: Ein Kind begibt sich in Bankstellung auf die Matte, ein anderes legt sich darunter. Nun lässt sich das Kind in Bankstellung – ›die Falle‹ – auf das Kind darunter – ,die Maus‹ – fallen, und die Maus muss versuchen, sich aus dieser Falle zu befreien.« (Beobachtungsprotokoll 09. 04. 2013, 4. Klasse)
Bezüglich der einzelnen Spiele zum Kämpfen, Ringen und Raufen gibt es konkrete Inhaltswünsche, die allerdings von Vorgaben aus der Fachliteratur abweichen. So werden die in der gängigen Literatur vorgeschlagenen Reihenfolgen von »Körperkontakt anbahnen«, über » Kämpfe um Gegenstände«, bis zu »Halte«- und »Angriffstechniken zu zweit« und »Kampfspiele im Stand« (Bächle & Heckele, 2010) nicht eingehalten. Stattdessen werden Spiele vom Boden in den Stand, in die Liege- und wieder in die Sitzposition zurück durchgeführt. Eine Technikvermittlung findet dabei nicht statt. Die Lehrkräfte greifen auf verschiedene Spiele und Übungen zurück, seien es die Vertrauensübungen, die Gruppenkämpfe oder die Zweikampfspiele, auch in eben dieser Reihenfolge,
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ohne dass die einzelnen Spiele in einem inhaltlichen Zusammenhang zu stehen scheinen. Dieses Phänomen wird in den Äußerungen der Schülerinnen und Schüler über die Inhalte des Sportunterrichts deutlich: »Alyssa: ›Auf der Matte haben wir dann dieses komische Drücken gemacht.‹ (Alyssa, 11 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 06. 03. 2013) Lena: ›Ich fand das Kämpfen ganz lustig irgendwie. Aber wir hätten noch mehr so richtig Kämpfen machen können, also Verteidigung lernen und so.‹ (Lena, 11 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 27. 02. 2013)
Das Kämpfen wird in der von den Lehrkräften durchgeführten Form zu »komischem Drücken« und steht im Gegensatz zum »richtig Kämpfen«. Die Aussage von Alyssa, dass dieses Drücken »komisch« sei, was Lena als »ganz lustig« beschreibt, kann auf das Anwenden ungewohnter Bewegungsmuster deuten. Alyssa verwendet nicht einmal den Begriff Kämpfen; die ausgeführten und scheinbar ungewöhnlichen Bewegungen werden lediglich als »Drücken« charakterisiert. Dieses Schiebe- und Ziehspiel findet auch Lena »ganz lustig« und bezeichnet dies auch als Kämpfen, grenzt es dabei allerdings vom »richtig Kämpfen« ab, welches Selbstverteidigung anstatt körperbetonte Schiebe- und Ziehspiele meint. »Eren: ›Also ich fand diese Spiele da auf den Matten ganz gut, da konnte man richtig so kämpfen, mit allem, bis dann halt so einer aufgibt. (Eren, 10 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 06. 03. 2013)
Die Jungen assoziieren das spielerische Raufen am Boden eher als die Mädchen mit dem Begriff des Kämpfens. Die Aussage »da konnte man richtig so kämpfen (…) bis dann halt so einer aufgibt« veranschaulicht exemplarisch den Wettkampfgedanken und die Kampfassoziationen: Das spielerische Raufen auf der Matte wird zum richtigen Kämpfen, welches durchgeführt wird, bis schließlich ein Gewinner feststeht. Das gegenseitige körperliche Kräftemessen auf der Matte wird somit als unmittelbares Kämpfen erlebt, was konträr zu den Empfindungen von »komischem Drücken« bei den Mädchen steht. Zum Ende einer Unterrichtseinheit Kämpfen werden geschlechterübergreifend verschiedene Inhalte von den Schülerinnen und Schülern genannt, welche sie im Rahmen des Sportunterrichts mit dem Phänomen des Kämpfens verbinden und gerne gelernt hätten. Insgesamt zeichnen sich dabei drei große Themenbereiche ab: Schlagen und Treten, Selbstverteidigung und Wrestling (s. Abb. 12). Eine kampfsportspezifische Technikvermittlung, welche explizit Tritt- und Schlagtechniken beinhaltet, wird von nahezu allen interviewten und beobachteten Schülerinnen und Schülern gewünscht. Bereits im Vorfeld zu einer Un-
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Inhaltswünsche
Schlagen Treten
„Wrestling“ Selbstverteidigung
Abb. 12: Inhalte des Bewegungsfeldes Kämpfen aus Kinderperspektive
terrichtseinheit Kämpfen wird das Ausprobieren entsprechender Techniken erwartet: »Die SuS stehen zu zweit hintereinander. Drei Jungs fragen mich nacheinander, ob ich Karate kann und ob sie sich jetzt im Unterricht auch gleich schlagen. Als ich dies verneine und ihnen sage, dass ich auch nicht genau wisse, was die Lehrerin geplant hat, unterhalten sich die drei Jungs weiterhin miteinander : ›Bestimmt so doll hauen, wie man kann‹ und ›Vielleicht machen wir ja richtig gegeneinander kämpfen mit Boxen‹. Eine Schülerin sagt mir, dass sie sich schon gut verteidigen könne, und wenn sie nun im Sportunterricht lernen, wie man sich verteidigt, dann könne sie das alles schon.« (Beobachtungsprotokoll 05. 11. 2012, 4. Klasse)
Der Auszug verdeutlicht, dass die Schülerinnen und Schüler bereits vage Vorstellungen etwaiger Unterrichtsinhalte haben. Kämpfen wird mit »Schlagen« bzw. »Boxen« in Verbindung gebracht. Gleichsam verbindet die Schülerin das Kämpfen nicht mit einem Gegeneinander-Kämpfen, sondern mit Verteidigung. Sie geht davon aus, dass im Sportunterricht gelernt wird, »wie man sich verteidigt«. Neben der Verteidigung und den Schlag- und Tritttechniken wird ausschließlich von den Jungen Wrestling als erhoffter Unterrichtsinhalt immer wieder genannt. Oftmals sind Schüler zu beobachten, die dieses Wrestling nachspielen, ebenfalls in Form von Schlag- und Tritttechniken sowie Würfe und das Springen auf den am Boden liegenden Partner. Dieses Nachspielen findet zumeist vor Beginn oder nach Abschluss des Sportunterrichts auf Weichbodenmatten statt.
5.2.2 Gruppenbildung, Regeln und Methodik Die Lehrkräfte entscheiden nicht nur über die Inhalte, sondern ebenso über die methodisch-didaktische Vermittlung eben dieser Inhalte. Die in Abb. 11 dargestellten Unterrichtsinhalte einer Unterrichtseinheit Kämpfen – Vertrauensspiele, Gruppenkämpfe, Gruppenspiele mit Partner/Partnerin (Zweikämpfe) –
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erscheinen zugleich als Unterrichtsziele. In dem methodisch-didaktischen Vorgehen der Lehrkräfte können homologe Strukturen aufgedeckt werden, die sich in sämtlichen begleiteten Unterrichtseinheiten wiederfinden. Diese zeigen sich bereits beim Mattenaufbau zu Stundenbeginn und beginnen mit der gelenkten Gruppenbildung: »Alle Kinder sitzen noch im Kreis. Der Lehrer gibt die Anweisung, dass die Mädchen nun gemeinsam die Weichbodenmatte an eine Hallenwand schieben sollen, die Jungen die andere Weichbodenmatte, mit dem Kommentar: ›Mal schauen, wer da schneller ist!‹« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse) »Die Lehrerin lässt eine Mattenfläche aufbauen. Die Jungen sollen die eine Hälfte aufbauen, die Mädchen die andere und diese dann am Ende verbinden. Ich selbst helfe in der Jungengruppe mit, die Mattenfläche zu errichten.« (Beobachtungsprotokoll 09. 04. 2013, 4. Klasse)
Die Auszüge verdeutlichen eine von den Lehrkräften intendierte Trennung der Kinder nach Geschlecht mit gleichzeitiger kompetitiver Aufforderung: »Mal schauen wer da schneller ist!« Als Mitglied der Jungengruppe fühle ich mich beim Aufbau der Matten sogleich ebendieser zugehörig, was mit einer gefühlten Abgrenzung gegenüber der anderen Gruppe, der Mädchengruppe, einhergeht. Der kleine Wettbewerb um den Mattenaufbau verstärkt dieses Gefühl zusätzlich, denn wir wollen gewinnen gegen die anderen, wir wollen schneller sein als die anderen. Die von den Lehrkräften initiierte geschlechtsspezifische Abgrenzung einzelner Gruppen findet sich im Verlauf der Unterrichtseinheiten zum Kämpfen immer wieder. Der Mattenaufbau findet stets in separat-geschlechtshomogenen Gruppen statt, ebenso die Aufteilung bei Übungsdemonstrationen, wie folgendes Beispiel verdeutlicht: »Wir sitzen auf einer Hallenmarkierung vor der dicken Weichbodenmatte. Der Lehrer erklärt das kommende Spiel, bei dem sich die Kinder gegenseitig von der Matte herunterschieben müssen. Er fordert uns Jungen auf, sich auf der Matte zu verteilen [..] Zusammen setzen wir uns alle auf die dicke Weichbodenmatte, die Mädchen sitzen noch immer auf der Hallenlinie und schauen zu. Auf Kommando des Lehrers fangen wir an, uns gegenseitig von der Matte zu schieben. Es ist sehr eng auf der Matte und ich fühle mich in meiner Rolle besonders beobachtet, nicht nur von den zuschauenden Mädchen, sondern auch von dem Lehrer. Allerdings lachen wir alle viel und ich habe das Gefühl, dass die anderen Jungs und ich es unseren Zuschauern nun mal richtig zeigen, wie engagiert und mit Spaß wir kämpfen.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse)
In diesem Textauszug werden verschiedene Aspekte deutlich, die aus der geschlechtsspezifischen Gruppentrennung resultieren. Durch die gemeinsame Aufgabe der Demonstration und der geschlechtlichen Homogenität entsteht ein gruppendynamisches Wir-Gefühl, das eben dieser Gruppe im Rahmen der Demonstration Rückhalt und Sicherheit bietet (Schaub & Zenke, 1995 S. 164). Ich
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folge den Kindern, grenze mich zunehmend von der Rolle des beobachtenden Forschers oder gar des Lehrers ab, womit eine Form der Identifizierung mit der Gruppe einhergeht – der Jungengruppe181. Diese Gruppenzugehörigkeit äußert sich in dem Gefühl zu zeigen »wie engagiert und mit Spaß wir kämpfen«. In diesem Moment verlasse ich meine geschlechtsspezifisch-reflexive Haltung und fühle mich als Junge unter Jungen, die vor den Augen der Mädchen (und der Lehrkraft) miteinander kämpfen wollen. Die Identifizierung mit der Jungengruppe impliziert wiederum eine größere Distanz zu der Gruppe der Mädchen, was sich u. a. darin zeigt, dass mir bereits nach kurzer Zeit im Feld ein Großteil der Namen der Schüler bekannt ist, ich aber Schwierigkeiten habe, mir die Namen der Schülerinnen einzuprägen. Bezüglich erforderlicher Regeln kann ich beobachten, dass die Lehrkräfte in den verschiedenen Unterrichtseinheiten die Regeln für das Kämpfen, Ringen und Raufen nicht zu Beginn, sondern im Anschluss an die ersten Gruppenkämpfe mit den Kindern gemeinsam aufstellen. Hierbei wird deutlich, dass diese Methode zeitgleich mit einer Dramatisierung bzw. Entdramatisierung von Geschlecht durch die Lehrkräfte einhergeht (Frohn, 2011, S. 53): »Wir sitzen alle auf zwei dicken Weichbodenmatten, die Lehrerin steht davor. Sie fragt, was den Kindern an dem vergangenen Spiel, bei dem die Jungen die Mädchen von der Matte schieben und ziehen mussten und andersherum, gefallen bzw. nicht gefallen hat und welche Regeln wichtig wären, damit es für alle Spaß macht und fair ist […]. ›Die Jungs machen immer so doll und sind halt auch stärker, da wollen wir nicht gegen die‹. ruft Lena mittenrein und Sarah kommentiert: ›Ja genau das is voll unfair.‹ Als die Lehrerin gerade etwas sagen will, unterbricht Bastian sie mit: ›Ihr seid doch genauso unfair mit Kratzen und so. Außerdem macht ihr eh nicht richtig mit.‹ […] Die Lehrerin lässt die Kinder nun wählen, ob sie gemischtgeschlechtlich oder getrennt nach Geschlechtern die folgenden Zweikampfspiele durchführen wollen. Alle Kinder melden sich für einen geschlechterhomogenen Unterricht. Die Lehrerin greift dies auf und verkündet, dass die folgenden Spiele mit freiwilligen Partnern stattfinden. Allerdings möchte sie noch weitere Regeln sammeln […]. Jonas erklärt: ›Also so schlagen und treten ist verboten.‹ Yannick dazu: ›Ja und einen so hochnehmen und aufn Boden schlagen auch.‹ Die Lehrerin unterbricht dies mit den zusammenfassenden Worten: ›Also haben wir die Regel, dass alles verboten ist, was dem anderen wehtut!‹ Lena meldet sich und sagt: ›Ja und auch, was man nicht möchte!‹ Die Lehrerin greift dies auf, indem sie erklärt, dass es sogenannte Tabuzonen gibt, an denen die Kinder sich nicht berühren sollten. Dazu zählen die Brust bei den Mädchen und die Genitalien bei beiden Geschlechtern: ›Die Brust der Mädchen ist tabu und auch zwischen den Beinen bei Jungen und Mädchen.‹ Einige Kinder kichern und lachen, neben mir fasst Yannick sich an seine Brust, zieht sein T-Shirt dort lang, um anscheinend Brüste zu imitieren und flüstert lachend: ›Die sind verboten, die sind verboten, da kommt keiner dran!‹, während sein Nachbar Eren kichernd versucht, ihn dort zu berühren.« (Beobachtungsprotokoll 06. 02. 2013, 5. Klasse) 181 Zu meiner Rolle als teilnehmender Beobachter s. Kap. 4.1.1.
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In den Äußerungen der Schülerinnen und Schüler wird deutlich, dass beide Geschlechter die Spiele möglichst geschlechterhomogen durchführen wollen, um somit mehr Gerechtigkeit herzustellen, was die Lehrerin direkt aufgreift, indem sie eine freie Partnerwahl für die künftigen Zweikampfspiele vorschlägt. Sie dramatisiert das Geschlecht der Kinder auch dadurch, dass sie über diese Problematik abstimmen lässt. Hierbei lässt sie lediglich zwei Alternativen: geschlechterhomogenes oder geschlechterheterogenes Kämpfen. Die weiterführenden Regeln, welche die angesprochenen Themen wie das »Kratzen« der Mädchen oder das »immer so dolle« Agieren der Jungen aufgreifen, indem sie entsprechende Regeln einführen, werden erst im Anschluss an diese Abstimmung besprochen. So fasst die Lehrkraft zusammen, dass »alles verboten ist, was dem anderen wehtut« und es »Tabuzonen gibt, an denen die Kinder sich nicht berühren sollen«. Durch die von der Lehrkraft angesprochenen Tabuzonen werden den Kindern die körperlichen Geschlechterunterschiede noch einmal deutlich bewusst gemacht. Yannick persifliert dieses Thema schließlich, indem er Brüste imitiert und sich gemeinsam mit seinem Nachbarn über das NichtBerührt-Werden-Wollen der Mädchen amüsiert. In sämtlichen Unterrichtseinheiten wird Geschlechtlichkeit durch die Lehrkräfte thematisiert. Anfangs versuchen die Lehrkräfte, geschlechtsbezogene Zuschreibungen zu vermeiden bzw. Geschlecht zu entdramatisieren, indem sie die gesamte Klasse in geschlechterheterogenen Gruppen Vertrauensspiele durchführen und in Gruppenkämpfen gegeneinander kämpfen lassen, wobei innerhalb der Gruppenkämpfe auch zwischen Mädchen und Jungen differenziert wird. Zu Beginn der Regeleinführung und der Ankündigung der ersten Zweikampfspiele wird die Geschlechtertrennung hingegen von den Schülerinnen und Schülern in der Reflexion der Gruppenkämpfe thematisiert und schließlich von den Lehrkräften dramatisiert, indem diese geschlechtshomogene Strukturen befürworten bzw. als alleinige Alternative zu gemischtgeschlechtlichem Kämpfen vorschlagen. Die Paarfindung wird folgendermaßen gestaltet: Für die Spiele und Übungen zu zweit – die Zweikämpfe – finden sich die Schülerinnen und Schüler mit selbstgewählten Partnerinnen und Partnern zusammen. Eine gewichtige Rolle für die Wahl der Partnerin oder des Partners spielen dabei bestehende Freundschaften innerhalb des Klassenverbandes, wie Laura‹s Aussage verdeutlicht: »Laura: ›Ja also wir machen immer zusammen die Spiele (2) weil wir sind halt beste Freundinnen und so und dann macht das auch am meisten Spaß. (Laura, 9 Jahre, 4. Klasse)« (Interview vom 06. 12. 2012)
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Während die Zweikampfspiele in einer Sportstunde zumeist in loser Reihenfolge durchgeführt werden, tauschen die Schülerinnen und Schüler ihre Paarbildungen zumeist nie aus: »Die Kinder müssen nun Zweierpaarungen bilden und sich auf den in der Halle ausgelegten Matten verteilen. Während die Lehrerin dies im Sitzkreis erklärt, lassen sich stumme Blickkontakte und leise mündliche Vereinbarungen zwischen den Schülerinnen und Schülern im Sitzkreis beobachten. So flüstern ein paar Kinder neben mir bereits ›Machen wir zusammen?‹ und ›Wir beide?‹. Direkt nach der Aufforderung der Lehrkraft, Paarungen zu bilden, beobachte ich zwei Mädchen, die wie selbstverständlich aufeinander zulaufen und sich gemeinsam auf einer Matte positionieren. Die beiden saßen im Gesprächskreis nicht nebeneinander, führten die Übungen davor allerdings auch schon gemeinsam aus. Yannick stürmt auf mich zu und fragt, ob ich mit ihm ›zusammen mache‹. Da kommt Jonas an und fragt Yannick, ob er nicht wieder mit ihm machen möchte. Yannick dreht sich zu mir und meint: ›Ich mach schon die ganze Zeit mit dem, jetzt will ich auch mal mit dir, Florian.‹ Ich willige gerade ein, als Jonas bereits durch die Halle rennt und mehrere Jungen fragt, ob diese mit ihm kämpfen wollen. Allerdings scheinen bereits alle Jungen ihren festen Partner zu haben und verteilen sich auf die ausliegenden Matten. Nur ein Mädchen sitzt bereits alleine auf einer Matte und scheint keine Partnerin zu haben. Jonas läuft wieder zu Yannick und mir zurück. Ich frage ihn, ob er das alleinsitzende Mädchen gesehen hat, worauf Jonas erwidert: ›Nee, gar nicht gesehen, aber das ist ja auch n Mädchen, das geht ja dann eh nicht.‹ Ich schlage vor, dass wir Jungs abwechselnd zu dritt kämpfen, da die beiden Jungen nicht ohne mich Sport treiben wollen und einfordern, dass ich mit ihnen die Übung gemeinsam durchführe. (Beobachtungsprotokoll, 06. 02. 2013, 5. Klasse)
Die Paarfindung scheint also nicht erst nach der Aufforderung der Lehrkraft dazu stattzufinden, sondern bereits im Vorfeld über mimisch-gestische oder auch leise verbale Absprachen unter den Schülerinnen und Schülern. Sobald die Lehrkraft das Startsignal gibt, rennen die Kinder aufeinander zu, was sich bereits wie eine Art Wettkampf anfühlt, denn bei ungeraden Klassenzahlen gilt: Wer nicht rechtzeitig eine Partnerin oder einen Partner gefunden hat, die oder der bleibt übrig. So erscheinen mir die einzelnen Schülerinnen und Schüler regelrecht erleichtert, sobald sie ein Pärchen gebildet haben. Die Wahl der Partnerin oder des Partners ist dabei stark von bestehenden sozialen Bindungen beeinflusst: Wer bereits in den Spielen davor ein Paar gebildet hatte, beansprucht diese Konstellation auch wieder für sich, wie das Beispiel der beiden Mädchen oder der beiden Jungen zeigt. Wird diese Annahme der Partizipanten nicht bestätigt, weil eine Seite jemand anders gefunden hat (wie Yannick), versucht die entsprechende Einzelperson schnellstmöglich eine Alternative zu finden. Die festen (Beziehungs-)Strukturen scheinen grundlegend, unhinterfragbar und selbstverständlich zu sein. So scheint es für die Schülerinnen und Schüler selbstverständlich zu sein, dass sie ihre beste Freundin oder ihren besten Freund als Partnerin oder Partner wählen, anstatt sich auch anderweitig nach freiste-
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henden Kindern umzuschauen. Noch abwegiger, als andere Kinder desselben Geschlechts, die allerdings keine besten Freunde sind, als Partnerinnen oder Partner zu haben, scheinen Kinder des anderen Geschlechts zu sein. So beachtete Jonas im zuletzt zitierten Beobachtungsprotokollausschnitt das freistehende Mädchen gar nicht erst, es scheint für ihn außer Frage zu stehen, gemeinsam mit einem Mädchen die Übung durchzuführen (»aber das ist ja auch n Mädchen, das geht ja dann eh nicht«). Diese tradierte Wahl der Partnerinnen und Partner wird sogar trotz anscheinender Nachteile einer Seite angewendet. So fallen mir bereits zu Beginn meiner Beobachtungen der Zweikampfspiele Konstellationen auf, die in ihrer körperlichen Konstitution vollkommen unterschiedlich sind. Der kleinere und leichter aussehende Jonas will somit gegen Yannick kämpfen, obwohl dieser größer ist und muskulöser und schwerer scheint, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit einer Niederlage von Jonas stark erhöht. Dennoch fordert er diese Zweierkonstellation ein, da sie auch vorher gemeinsam in den Sportübungen agiert hatten und außerhalb des Sportunterrichts ebenfalls befreundet sind. Yannick hingegen wendet sich von Jonas ab, um gegen mich in einzelnen Zweikampfspielen anzutreten. Meine eigene aktive Teilnahme am Sportunterricht scheint einen Moment der Spannung zu erzeugen: Die Schüler wollen mich herausfordern und sich an einem Erwachsenen messen. Besteht diese Chance, scheinen sie meist ihre bisherigen Partner nicht weiter zu beachten. Dieses Phänomen äußern sich ebenso bei den Mädchen, wobei diese zumeist nach einem Kampf mit mir (unabhängig davon, wie dieser verläuft und ausgeht) die Spiele wieder mit ihrer alten Partnerin durchführen wollen. Beobachtbar ist, dass sich sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen ohne entsprechende Aufforderung der Lehrkraft keine Veränderung bei der Wahl der Partnerinnen und Partner zeigt. Zumeist sind es bereits die Paare, die zu Stundenbeginn gemeinsam den Weg zur Sporthalle entlanggehen, die oftmals auch im Klassenraum nebeneinandersitzen und die Pause miteinander verbringen. In keiner der von mir beobachteten Schulen und Klassen handelt es sich dabei um geschlechterheterogene Paarkonstellationen.
5.2.3 Die Arbeitsweise der Lehrkraft Sind der beobachtete methodisch-didaktische Aufbau und die inhaltliche Konstitution der Unterrichtseinheiten zum Kämpfen in allen beobachteten Schulstufen nahezu gleich, trägt doch die Stimmung und Präsenz der Lehrkraft zu einer gewissen räumlich-sozialen Atmosphäre bei. Geschlechtsspezifische Differenzen zwischen den Sportlehrerinnen und den Sportlehrern kommen während meines Aufenthaltes in den Sportstunden dabei allerdings nicht zum Vorschein.
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Die beiden folgenden Beobachtungsprotokollbeispiele verdeutlichen die unterschiedlichen Methoden der Sportlehrkräfte: »Wir sitzen in einem Halbkreis und der Lehrer steht vorne mit einem Buch. In diesem liest er gerade das nächste Spiel durch. […] Nach kurzer Zeit liest er uns die Regeln für das nächste Spiel ›Schulterschieben‹ und ›Rückendrücken‹ vor und wir verteilen uns langsam in unseren Paaren wieder auf die Matten. Auf dem Weg zu Turnmatte fragt mich mein Partner, wann der Unterricht denn zu Ende sei.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse) »In der Halle ist bereits ein Parcours mit mehreren Stationen zum Kämpfen aufgebaut. An jeder Station liegen laminierte Stationskarten mit einem großen Bild und einer kleinen Beschreibung der Bewegungsaufgabe. Einige Schülerinnen und Schüler drängen bereits an mir vorbei und verteilen sich auf die Stationen. Die Lehrkraft befindet sich noch nicht in der Sporthalle.« (Beobachtungsprotokoll 09. 04. 2012, 4. Klasse)
Im ersten Beispiel scheint die Lehrkraft kaum auf den Unterricht vorbereitet. Der Sportlehrer muss erst in seinem Buch nach einem Raufspiel suchen und liest die Regeln aus diesem Buch vor. Im zweiten Beispiel hat die Sportlehrkraft bereits zu Stundenbeginn einen umfangreichen Zweikampfparcours mit mehreren Stationen und erklärenden Stationskarten aufgebaut und somit die Stunde im Vorfeld vorbereitet. Diese differente motivationale Einstellung der Lehrkräfte spiegelt sich in einem differenten Verhalten der Schülerinnen und Schüler wider : Im Kontext der unvorbereiteten Stunde verteilen wir »uns langsam in unseren Paaren wieder auf die Matten«, wohingegen sich die Schülerinnen und Schüler in der Sportstunde mit dem aufgebauten Zweikampfparcours bereits an die Stationen »drängten«, obwohl die sich die Lehrkraft »noch nicht in der Sporthalle« befindet. Innerhalb der Zweikämpfe werden ebenfalls Auswirkungen unterschiedlicher Partizipation seitens der Lehrkräfte deutlich: Einige Lehrkräfte nehmen aktiv an den Gruppenkampfspielen und auch bei ungeraden Schülerzahlen an den Zweikämpfen mit einzelnen Schülerinnen und Schülern teil. Diese Kämpfe gegen die Lehrkraft werden von den meisten Schülerinnen und Schülern angenommen und forciert, »denn zum einen steht sie [die Lehrkraft, Anm. d. Verf.] in den bisherigen Erfahrungen der Kinder nur draußen herum, zum anderen räumen sie sich selbst Gewinnchancen ein, je nach Spiel« (Leffler, 2013a, S. 212). Die Partizipation der Kinder richtet sich dabei jedoch nach dem Geschlecht der Lehrkraft. Ist die Lehrkraft weiblich, wird ein direktes Kräftemessen eher von den Schülerinnen forciert; bei einem Sportlehrer hingegen fordert eine Mehrzahl der Jungen einen Zweikampf mit diesem ein. Die Mehrheit der Sportlehrkräfte in den beobachteten Schulen nehmen allerdings eine passive Rolle als Zuschauer und Schiedsrichter ein und sind somit nicht aktiv an den Kampfspielen beteiligt. Die Partizipation der Lehrkraft und
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Atmosphären
das Verhältnis dieser zur Klasse scheint maßgeblichen Einfluss zu haben auf die Motivation der Schülerinnen und Schüler, wie folgende Protokollauszüge verdeutlichen: »Der Lehrer sitzt gegenüber von Maik und stürzt sich mit lautem Gebrüll auf ihn, indem er ihn an den Schultern packt und versucht auf den Rücken zu legen. Wir müssen alle lachen, genauso wie Maik und der Lehrer. Maik versucht sich dagegenzustemmen, der Lehrer scheint etwas nachzugeben. Schließlich legt er Maik allerdings auf den Boden mit den Worten: ›Das war ein harter Kampf, Maik. Mal schauen ob ihr mit euren Partnern länger braucht.‹ Die Mitschüler verteilen sich lachend mit ihren Partnern auf den Matten.« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse) »Der Sportlehrer steht in der Mitte zwischen den ausgelegten Matten. Er erklärt das folgende Spiel mit dem Namen ›Mausefalle‹ […]. Einige Kinder stöhnen, mein Partner flüstert, dass er keine Lust hat, ständig eine neue Übung zu machen. Der Lehrer sucht sich zwei Schüler aus, die auf ihrer Matte unter seiner Anweisung die Übung einmal für alle vormachen sollen. […] Im Anschluss an die Demonstration setzen sich alle Paare auf ihre Matten, um mit der Übung zu beginnen. Mein Partner scheint mir etwas lustlos, genauso wie die Paare neben uns, welche erst nach mehrmaligem Ermahnen des Lehrers mit der Übung starten.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse)
Die Partizipation der Lehrkraft im ersten Beispiel findet auf einer partnerschaftlichen Basis statt. Der junge Lehrer aus diesem Beispiel, der auch Klassenlehrer in der Klasse ist, versucht stets, humorvoll die Schülerinnen und Schüler für sich bzw. seine Sportunterrichtsinhalte zu gewinnen. Sein Unterricht scheint sehr beliebt, ich selbst habe viel Spaß in seinem Unterricht und höre ihm auch gerne zu. In der Demonstration mit Maik erleben die Schülerinnen und Schüler ihren Lehrer in einer neuen Rolle: Er agiert körperlich mit einem Mitschüler, indem er gegen ihn kämpft und somit ebenfalls in eine Art Schülerrolle schlüpft, da er diese Bewegungsaufgabe zu bewältigen hat. Zugleich scheinen die Schülerinnen und Schüler durch seine Worte motiviert (»ob ihr mit euren Partnern länger braucht«), da sie sich somit alle mit ihrem Lehrer messen können, ohne eine direkt-körperliche Bewegungskonfrontation mit der Lehrkraft vor den Augen der Mitschülerinnen und Mitschüler. Der Sportlehrer im zweiten Beispiel nimmt hingegen nicht selbst an der Bewegungsaufgabe teil, sondern lässt zwei Schüler die folgende Aufgabe demonstrieren. Hierbei wird ein Problem deutlich, welches durchaus universell beobachtet werden kann: Es scheinen sämtliche Spiele abgehackt, sie werden nacheinander regelrecht abgearbeitet, ohne einen direkten Zusammenhang. Durch die ständigen Abbrüche, Demonstrationen und Neubeginne der Spiele und Übungen, die in keinem Zusammenhang zu stehen scheinen, schleicht sich bei einigen Schülerinnen und Schülern ein Unlustgefühl ein. So hat mein Partner keine Lust, »ständig etwas Neues zu machen«. Dieses Vorgehen, welches bei mir als Teilnehmer im Feld ebenfalls ein Gefühl der Übungsabarbeitung auslöst,
Soziale Umwelt
189
kann zwar stellenweise durch die Partizipation der Lehrkraft und das Arrangement bzw. die Art der Vermittlung überdeckt werden, wird aber in allen beobachteten Unterrichtseinheiten spätestens nach den ersten Kampfspielstunden deutlich spürbar. Neben der Partizipation der Lehrkräfte am spielerisch-kämpferischen SichBewegen scheint auch die Thematisierung des Kämpfens an sich geschlechtsspezifisch relevant, wie die folgenden zwei Zitate verdeutlichen: »Theo: ›Frau B. hat so gerufen dass wir richtig kämpfen sollen und da habe ich dann alles gemacht was ich konnte.‹ (Beobachtungsprotokoll vom 09. 04. 2013; 4. Klasse)« »Emma: ›Frau B. hat uns gerade angefeuert und gesagt wir sollen richtig so kämpfen (2) da musste ich dann lachen (3) ich konnte da dann halt nicht mehr so weitermachen.‹ (Beobachtungsprotokoll vom 09. 04. 2013; 4. Klasse)
Bei Emma führt das Anfeuern durch die Lehrkraft in der kämpferischen Bewegungssituation zu einem Abbruch der Bewegung, da Emma »dann lachen« muss. Theo hingegen intensiviert sein Engagement im kämpferischen SichBewegen (»alles gemacht was ich konnte«). Diese Reaktionen sind in den begleiteten Sportunterrichtsstunden immer wieder zu beobachten. Allerdings scheint dabei nicht lediglich das Beobachten und Anfeuern durch die Lehrkraft bedeutsam, sondern primär der explizite Verweis auf das Kämpfen, wie folgender Ausschnitt belegt: »Frau B. steht neben den beiden Mädchen und feuert diese abwechselnd an: ›Los Schildkröte, befrei dich!‹ oder ›Greifvogel, halte sie gut fest!‹ Die Mädchen scheinen viel Spaß zu haben und begleiten das Kämpfen mit der Imitation verschiedener Tierlaute.« (Beobachtungsprotokoll 09. 04. 2013)
Wird das kämpferische Sich-Bewegen seitens der Lehrkräfte in spielerische Geschichten eingebettet und dieses Kräftemessen nicht explizit als Kämpfen thematisiert, so scheint es nicht zu einem Abbruch des gemeinsamen SichBewegens zu führen, sondern eher zu einer Motivationssteigerung. Dies kann ich ebenso während meiner eigenen aktiven Teilnahme bemerken. Führen wir Übungen zum Kämpfen durch, führe ich die Bewegungsaufgaben immer mit dem Gedanken aus, dass ich mich mit meinem Gegenüber in einem (spielerischen) Kampf befinde. Spielen wir hingegen eine Geschichte nach, fühle ich mich in einer Bewegungsaufgabe zur Fortführung und Lösung der Geschichte und nicht in einem Zweikampf. Die Bedeutung des Arrangements der Unterrichtsinhalte für die Teilnahme an den Bewegungsaufgaben wird dadurch noch einmal deutlich.
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5.3
Atmosphären
Zusammenfassung
Die räumlich-dingliche wie auch die soziale Umwelt können als Atmosphären die Schülerinnen und Schüler (und auch die Lehrkräfte) spürbar leibkörperlich ergreifen. Der gemeinsame Schulweg und die Erscheinung der Sporthalle scheinen die Wahrnehmung eines Gefühls der Spannung und Aufregung bei den Schülerinnen und Schülern hervorzurufen, wobei diese von ebendieser geladenen Atmosphäre leiblich spürbar ergriffen werden. Von der Sporthalle und dem Schulsportweg geht der atmosphärische Charakter182 eines gespannten Momentes aus, der die Schülerschaft leiblich affiziert. Der Begriff des Kämpfens führt zu vielfältigen Assoziationen; die Schülerinnen und Schüler wissen nicht, was sie in den kommenden Unterrichtsstunden erwartet. In den entsprechenden Räumen wie dem Schulsportweg und der Sporthalle, welchen bestimmte Gefühle der Ungewissheit und Spannung als »quasi objektive Atmosphären« (Gugutzer, 2012, S. 78) bereits innewohnen, werden die Schülerinnen und Schüler in ihrer Erwartungshaltung beim Eintreten in diese Räumlichkeiten von der entsprechenden Atmosphäre leiblich-affektiv betroffen. Hierbei äußern sich erste Tendenzen geschlechterdifferenter Wahrnehmungsweisen dieser Spannung, welche sich in einer lustvollen Erwartung der Jungen und eher angstvollunsicheren Erwartung der Mädchen äußert. Die Wahrnehmung von angstvollen oder unsicheren (»das ist komisch«) und auch von lustvollen Gefühlen (»jetzt habe ich voll Lust zu kämpfen«) basiert dabei stets auf Erinnerungen bzw. biografischen Erfahrungen, die die Identifikation des entsprechenden Gefühls erst ermöglichen (vgl. Rappe, 2012, 288ff.) und somit voraussetzend für leiblichaffektives Betroffensein von Gefühlen sind. Der Kampf bzw. Nicht-Kampf um die Handpratze veranschaulicht einen intensiven leiblich-affektiven Bezug zu eben dieser, das Kind handelt als leiblicher Partner in einseitiger Einleibung183. Dabei beeinflussen Erfahrungen und Erinnerungen im Umgang mit derartigen Gegenständen immer die Wahrnehmung eben dieser Gegenstände, was wiederum zu einer differenten Wahrnehmung des atmosphärischen Gefühls bzw. dem Fühlen dieses Gefühls (s. Kap. 3.3.3) und somit dem leiblich-affektiven Betroffensein führen kann. Den Dingen wie der Handpratze oder den Turnmatte
182 Das Unterscheidungskriterium des Charakteristischen oder Besonderen eines Raumes »bestimmt die Richtung der Wahrnehmung« (Fromm, 2008, S. 255). 183 Einseitige Einleibung: Der Fokus/ die leibliche Enge wird auf ein Gegenüber übertragen, wobei kein wechselseitiger Austausch stattfindet (s. Kap. 3.3.4).
Zusammenfassung
191
»ist natürlich kein Leib eigen. Aber leiblich kommt man ihnen näher, auch deshalb, weil leiblich strukturierte Entitäten mit den Sachen und Dingen den Raum und die Räumlichkeit teilen« (Uzarewicz, 2011, S. 297).184
So dienen die Turnmatten entsprechend den individuellen Erinnerungen und biografischen Erfahrungen den Jungen tendenziell eher als Orte zum Ringen und Raufen und den Mädchen zum Turnen. Den Matten scheint dabei eine Art Bühnenfunktion inne, auf der die Geschlechter geschlechtsstereotype Handlungsmuster darstellen. Dies trifft ebenso auf die Handpratzen zu, welche sich lustvoll-auffordernd den Jungen als Instrumente zum Hauen und Schlagen aufdrängen, von den Mädchen hingegen lustmindernd als komische Dinge erscheinen. Wie auch den Turnmatten wird ihnen damit geschlechtsspezifisch eine Funktion zugeschrieben bzw. scheinen den Räumen und Dingen geschlechtsspezifische Gefühle implizit. Dies trifft ebenso auf die von der sozialen Umwelt ausgehenden Gefühle als Atmosphären zu. Nicht geschlechtsspezifisch differenzieren lässt sich die Wahrnehmung der konkreten Inhalte bezüglich der Akzeptanz von vertrauensfördernden Spielen und Übungen. Hierbei scheinen Mädchen und Jungen zwar Verständnis für die Notwendigkeit von Vertrauensspielen zu haben, allerdings führen sämtliche Schülerinnen und Schüler diese eher lustlos durch. Bezüglich der Inhaltswünsche lässt sich differenzieren in den Wunsch »Kämpfen lernen als Verteidigung«, welcher vorrangig von den Schülerinnen geäußert wurde, wie auch dem Erlernen »von Schlag- und Tritttechniken sowie Bewegungen aus dem Wrestling«, was wiederum eher von den Schülern gewünscht wurde. Die im Sportunterricht durchgeführten Inhalte stehen dabei zumeist konträr zu den Erwartungen und Wünschen der Schülerinnen und Schüler. Hierbei spielt die Lehrkraft eine entscheidende Rolle, indem sie die Unterrichtsinhalte aufbereitet und methodisch-didaktisch präsentiert. So hatten die Schülerinnen und Schüler in sämtlichen begleiteten Unterrichtseinheiten die Möglichkeit, geschlechterhomogene Gruppen und Paare zu bilden, welche zumeist von gemeinsam erstellten Regelwerken und die Dramatisierung von Geschlecht seitens der Lehrkräfte noch gestützt wurde. Hierdurch konnte eine deutliche Abgrenzung der Mädchen von den Jungen (und andersherum) beobachtet und wahrgenommen werden. Neben der (Ent-)Dramatisierung von Geschlecht scheinen geschlechtsspezifische Atmosphären im Unterricht auch von der Persönlichkeit der Lehrkräfte, von ihrer wahrnehmbaren Motivation und Partizipation am Unterricht, abhängig. Verweisen die Lehrkräfte explizit auf das Kämpfen als durchzuführende Bewegungsaufgabe, so scheint dies tendenziell eher für Jungen attraktiv. Werden 184 Uzarewicz unterscheidet Dinge als »Dauerhafte, feste Gegenstände« von Sachen als »modifizierte, natürliche Dinge« (2011, S. 296).
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Atmosphären
die Raufspiele hingegen eher spielerisch präsentiert und der Begriff des Kämpfens nicht explizit thematisiert, so scheinen die Übungsaufgaben auch für Mädchen interessanter. Die Art der Präsentation ist somit relevant für das gemeinsame Sich-Bewegen der Schülerinnen und Schüler im Zweikampf. Die Partizipation und besonders die Motivation der Lehrkraft scheinen dabei entscheidend, denn »wenn der Lehrer schon nicht von einer Sache überzeugt ist, und dieses sich offenbar in seinem Verhalten zeigt, kann er sie auch kaum überzeugend darstellen – wie kann er die Schüler davon begeistern?« (Volkamer & Zimmer, 1982, S. 90).
Ausgehend von einem neophänomenologischen Verständnis scheinen ständige Gefühle der Geschlechtlichkeit als Atmosphären in Form von Räumen (wie der Sporthalle) oder Dingen (wie den Handpratzen) sowie von der sozialen Umwelt präsent, welche die Schülerinnen und Schüler spürbar betroffen machen können und somit zu leiblichen Regungen wie Mädchen-Sein oder Junge-Sein führen. Die Situationen des kämpferischen Sich-Bewegens im Sportunterricht sind somit stets atmosphärisch gestimmt, wobei diese geschlechtliche Gestimmtheit der Atmosphären bereits unabhängig von den handelnden Subjekten zu bestehen scheint. Die Sporthalle, die Handpratzen, die konkreten Inhalte oder das von der Lehrkraft entworfene methodisch-didaktische Vorgehen können als Atmosphären begriffen werden, die Gefühle von Geschlechtlichkeit bereits implizieren. Erst durch das Handeln bzw. Eintreten in diese Atmosphären fühlen die Schülerinnen und Schüler die (eigene) Geschlechtlichkeit. »Sozial bedeutsam sind Atmosphären nun primär deshalb, weil sie nicht allein ins leibliche Befinden der Anwesenden eingreifen, sondern damit auch deren Handeln beeinflussen oder zumindest beeinflussen können.« (Gugutzer, 2012, S. 79; Herv. i. Orig.)
Die dargestellten räumlichen und sozialen Atmosphären können somit immer auch unbewusst (geschlechtsspezifisches) Handeln anleiten, »in der Regel als vorbewusste leibliche Praxis« (ebd., S. 81). Sie bilden damit einen äußeren Rahmen und eine Grundlage für geschlechtsspezifische Interaktionen, da das kämpferische Sich-Bewegen im Sportunterricht immer in diese Atmosphären eingebettet und somit stets auch ein geschlechtliches ist. Durch das entsprechende Handeln der Schülerinnen und Schüler werden diese Atmosphären, wie gezeigt wurde, wiederum bestärkt.
6
Raumorientierungen
In dem vorangegangenen Kapitel wurden die räumlich-dingliche und soziale Umwelt als atmosphärische Träger von Geschlechtlichkeit herausgearbeitet und ihre Bedeutung für das präreflexive geschlechterspezifische Handeln der Schülerinnen und Schüler zusammenfassend dargestellt. Die Wahrnehmung von Räumen und Dingen evozierte dabei Bedeutungszuschreibungen von Menschen und ihren Körpern und wird ebenso von diesen Körpern beeinflusst (Modes, 2014, S. 336). Ausgehend von dem räumlich-dinglichen und sozialen Rahmen wird nun der Fokus auf die konkreten Handlungsweisen der Körper – hier auf die der Schülerinnen und Schüler in den (Zwei-)Kampfsituationen – unter dem Aspekt der räumlichen Orientierung gelegt. Der Raum meint dabei – Hermann Schmitz folgend – den Ortsraum »nach Art eines Koordinatennetzes, gebildet aus sich gegenseitig durch Lagen und Abständen bestimmenden Orten […] als ein nachträgliches Konstrukt auf der Grundlage von Körpern oder anderen Signalen einerseits, wahrgenommener Veränderung andererseits« (Schmitz, 2003, S. 54).
Die handelnden Akteure bewegen sich mit- und zueinander in den entsprechenden Räumen. Sie stellen sich dar, grenzen sich ab, kommen einander nahe oder halten sich auf Distanz. Wie bereits Welsche (2014, S. 199) deutlich macht, wird besonders das Kämpfen vor Zuschauern von den Mädchen und Jungen als problematisch aufgefasst (s. Kap. 1.4). Das Beobachtet-Werden, wie auch das Beobachten anderer scheint besonders bedeutsam. So werden in diesem Kapitel Prozesse des Beobachtens und Beobachtet-Werdens beschrieben, welche die räumliche Ausund Abgrenzung voneinander und die eigene Positionierung und Selbstdarstellung vor den Mitschülerinnen und Mitschülern impliziert (s. Kap. 6.1). Aufbauend auf diesen räumlich-strukturellen Phänomenen werden die einzelnen Zweikampfsituationen detailliert betrachtet, innerhalb welcher geschlechtsspezifische Differenzen im Vordringen und Zurückweichen, sowie im Umgang mit Nähe und Distanz zu beobachten sind, welche als geschlechtsspe-
194
Raumorientierungen
zifische Kampfweisen bezeichnet werden (s. Kap. 6.2). Hierbei spielen auch entsprechende Berührungspunkte eine gewichtige Rolle, da diese geschlechterspezifisch beschreiben, welche Körperteile im Zweikampf eingesetzt, aufeinandertreffen oder stets auf Distanz gehalten werden.185 Wie in Kapitel 5 aufgezeigt, werden die entsprechenden Ergebnisse schließlich aus einer leibphänomenologischen Perspektive heraus zusammenfassend interpretativ dargestellt. Tab. 6: Inhaltliche Struktur der Raumorientierungen Beobachten und Beobachtet-Werden
Zwischen Nähe und Distanz
Ausgrenzung und Abgrenzung Abgrenzung der Könner Mattenpositionen Ausgrenzung durch Lehrkräfte
Vordringen und Zurückweichen Angreifen Verteidigen Bewegungsabbrüche
Präsentation im Raum Gruppenkämpfe im Raum Blickrichtung im Zweikampf
Kampfweisen Auf Distanz halten Körperkontakt (aus)halten Zwischen Körperkontakt und Distanz Berührungspunkte Rücken Schultern Extremitäten und Körperlagen
6.1
Das Beobachten und Beobachtet-Werden
Die körperlichen Handlungen der Schülerinnen und Schüler finden im Sportunterricht stets unter den Augen der Lehrkraft und auch unter der Beobachtung von den Mitschülerinnen und Mitschülern statt. Ebenso bestehen differente Handlungsspielräume, um sich diesen Beobachtungen möglichst zu entziehen oder die Beobachtungen anderer zur Selbstinszenierung zu nutzen (s. Kap. 6.1.1). Dies geschieht vorrangig über Ausgrenzung und Abgrenzung voneinander. So ist beobachtbar, dass sich Schülerinnen und Schüler voneinander abgrenzten, indem sie ein eigenes Bild von ihrem individuellen Können haben, welches sie mit dem vermuteten Können ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler abgleichen. Diese Eindrücke scheinen sich durch die Positionierung der Turnmatten in der Sport185 Die im Sportunterricht nicht unerheblichen, zahlreichen Körperberührungen zwischen Schülerinnen und Schülern, wie auch zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern werden in der Erziehungswissenschaft lediglich marginal thematisiert (Weigelt, 2010, S. 13).
Das Beobachten und Beobachtet-Werden
195
hallenmitte oder am -rand für entsprechende Zweikampfspiele unter Beobachtung oder Nichtbeobachtung zu verstärken. Schließlich spielen auch die Lehrkräfte eine ebenso bedeutende Rolle, indem sie bestimmte Kinder häufiger als andere Kinder körperlich präsent begleiten. Die Präsentation der eigenen Körperlichkeit vor den Augen der Mitschülerinnen und Mitschüler wird differenziert betrachtet, entsprechend den Situationen in Gruppenkämpfen und Kampfspielen zu zweit (s. Kap. 6.1.2). Die jeweilige Aktivität der Partizipanten scheint dabei stets von der individuellen Blickrichtung abhängig und dem damit verbundenen Gefühl, beobachtet oder nicht beobachtet zu werden.
6.1.1 Ausgrenzung und Abgrenzung Bereits vor Beginn der begleiteten Unterrichtsstunden grenzen sich die Schülerinnen und Schüler stets voneinander ab. Sobald sie aus den Umkleidekabinen die Sporthalle betreten, wird die Mittellinie zu einer Art unsichtbarer Geschlechtergrenze. Auf der einen Seite versammeln sich die Jungen und spielen Fußball, Fangen oder unterhalten sich, auf der anderen Seite wiederum finden ausschließlich die Mädchen zusammen und spielen miteinander oder unterhalten sich ebenfalls. Diese räumliche Abgrenzung voneinander wird in den Sitzkreisen, die stets zu Beginn der Unterrichtsstunde von den Lehrkräften initiiert werden, fortgesetzt und lässt sich über sämtliche begleitete Unterrichtsstunden hinweg beobachten. Innerhalb der Mädchengruppe und der Jungengruppe scheinen ebenfalls Abgrenzungen voneinander stattzufinden, wie die folgenden Auszüge verdeutlichen sollen. Vor allem war zu beobachten, dass eine Abgrenzung der Könner stattfindet: »Eren: ›Ja weißt du, also ich und Tim wir sind eigentlich so die Guten also so die die gut kämpfen können. Die anderen sind da halt nicht so (2) gut drin. Wir haben dann auch immer so zusammen gemacht (2) weil es sonst halt voll langweilig ist mit den anderen wenn die das dann nicht so gut können mit dem kämpfen.‹ Florian: ›Ihr habt dann immer so zusammen gemacht?‹ Eren: ›Ja (3) das war halt so: dass die anderen dann auch so zugucken können. Manche können nur so mittel kämpfen, die machen dann halt auch zusammen und dann sind halt n paar die halt nicht so gut kämpfen können. Wir haben denen dann auch halt so gezeigt wie man richtig kämpft. Das wussten die ja nicht (2) und dann wenn wir das so gemacht haben, dann haben die das halt geguckt, und dann auch nachgemacht, von uns (4) aber wir waren immer so zusammen.‹ (Eren, 10 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 06. 03. 2013)
Der Interviewauszug verdeutlicht Abgrenzungen voneinander innerhalb der geschlechterhomogenen Gruppen, in diesem Fall der Jungengruppe. Eren be-
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Raumorientierungen
zeichnet sich und Tim als Jungen, »die gut kämpfen können« und sich von den anderen Jungen abgrenzen, da diese »da halt nicht so gut drin« sind. Hier wird somit von einem grundlegenden Können ausgegangen, womit sich die Aufteilung der Partner innerhalb der Jungengruppe entlang verschiedener hierarchisch angeordneter Könnensstufen orientiert (»Manche können nur so mittel kämpfen, die machen dann halt auch zusammen und dann sind halt n paar die halt nicht so gut kämpfen können.«). Die Aufteilung begründete Eren einerseits mit der Aufrechterhaltung einer gewissen Spannung während der Kampfspiele (»weil es sonst halt voll langweilig ist mit den anderen«), andererseits beschrieb er eine Vorbildfunktion der guten Kämpfer, von denen die anderen Mitschüler lernen können, indem sie schauen und nachmachen. Die guten Kämpfer bezeichnen sich dabei nicht lediglich selbst als gut, sondern scheinen auch von ihren Mitschülern als besonders gute Kämpfer wahrgenommen zu werden. Zumeist sind diese Jungen ebenfalls in anderen Sportarten erfolgreich und gelten als allgemein gute Sportler im Klassenverband. Nicht beobachtbar nachvollzogen werden kann die Behauptung, andere Schüler würden die guten Kämpfer beobachten oder nachahmen. Vielmehr präsentieren sich diese zumeist in der Mitte der agierenden Schüler oder des Sporthallenteils und stehen damit im Blickfeld der meisten Schüler und auch der Schülerinnen, bei denen derartige gruppendynamische Strukturen hingegen nicht zu beobachten sind. Die Schülerinnen hingegen scheinen nicht als Könnerinnen gelten zu wollen: »Maria: ›Also von uns kann eigentlich keine das jetzt so: gut. Die meisten haben noch nie gekämpft. Aber das ist auch ein bisschen peinlich so vor den anderen möchte man dann auch halt nicht so gut kämpfen, weil dann (3) vorhin haben dann halt welche gesagt du kämpfst wie n Junge oder so.‹ (Maria, 10 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 27. 02. 2013)
Maria erklärt, dass die meisten Schülerinnen »noch nie gekämpft« hätten und beschreibt die »peinliche« Beobachtungssituation während der Zweikampfspiele. So scheint im Gegensatz zu den Jungen die Präsentation vor den Mitschülerinnen als gute Kämpfer für die Mädchen nicht wünschenswert, da dies als untypisches Verhalten für Mädchen und somit als »du kämpfst wie n Junge« gewertet wird. Ebenso scheinen Schülerinnen, die neben dem Mädchen-Sein auch Kämpfen-Könnerinnen sind, eher die Ausnahme zu sein, und sie präsentieren ihr Können aufgrund der konträren Rollenerwartungen möglichst nicht vor den Mitschülerinnen, um nicht als burschikos wahrgenommen zu werden. Diese Wahrnehmung findet sich in all meinen Beobachtungen wieder, da im Sportunterricht lediglich einige Jungen auffallend Zweikämpfe inszenieren und vor den Mitschülerinnen und Mitschülern präsentieren, in keinem beobachteten Fall allerdings je ein Mädchen (s. Kap. 6.1.2). Innerhalb der Schülerinnengruppe scheint somit eine Hierarchie wie bei den Jungen wegzufallen, und gegenseitige Präsentationen werden vermieden.
Das Beobachten und Beobachtet-Werden
197
Ein weiteres wichtiges Merkmal in der Raumorientierung sind die Mattenpositionen: »Die Lehrerin erklärt das nächste Spiel ›Füßefangen‹ und fordert die Kinder auf, sich paarweise eine Turnmatte zu nehmen und in der Halle zu verteilen. Die Kinder laufen sofort zu ihren Partnerinnen und Partnern, meistens sind dies die Freunde. Emil ist übrig und läuft zu mir. Wir holen uns eine Matte vom Mattenwagen, und Emil zeigt in einen Hallenteil, in welchem die anderen Jungenpaare gerade ihre Matten ausbreiten. Emil möchte ebenfalls dorthin und so legen wir unsere Matte dazu. Die Jungen verteilen ihre Matten in diesem Teil der Halle sehr nah aneinander. Die Lehrerin fordert uns auf, die Matten etwas weiter voneinander zu entfernen, da wir uns sonst gegenseitig stören könnten während der Kampfspiele. Ich beobachte die Mädchen, die ihre Matten wiederum etwas abseits von uns Jungen verteilen. Es fällt auf, dass ihre Matten sehr voneinander entfernt liegen und nicht so dicht gedrängt wie unsere.« (Beobachtungsprotokoll 09. 04. 2013, 4. Klasse)
Wie bereits über die Turnmatten mit ihrer Bühnenfunktion beschrieben (s. Kap. 5.1.2), findet eine räumliche Abgrenzung zwischen den Geschlechtern mithilfe der Mattenaufteilung statt. Ebenso werden innerhalb der Geschlechtergruppen die Matten unterschiedlich nah sortiert. Bei den Jungen liegen die Matten oftmals sehr nah aneinander, die Mädchen distanzieren sich eher voneinander über die Turnmatten. Ich selbst habe in den Zweikämpfen innerhalb der Jungengruppe ständig das Gefühl, beobachtet zu werden und muss stets aufpassen, während der Kampfspiele nicht meine Nachbarn zu berühren. Kämpfe ich hingegen gemeinsam mit einer Schülerin, begeben wir uns zumeist in die Nähe der Mädchengruppe und distanzieren uns räumlich etwas von den anderen Schülerinnen und Schülern. Hierbei entsteht ein eher privates und freies Gefühl, das sich immanent unterschied von dem Engegefühl kämpferischen Sich-Bewegens innerhalb der Jungengruppe. Die Positionierung im Raum scheint somit einerseits zur Abgrenzung vom anderen Geschlecht genutzt zu werden, andererseits zur Beobachtung und zum Beobachtet-Werden durch die Mitschülerinnen und Mitschüler. Die Nahdistanz innerhalb der Jungengruppe dient dabei dem direkten Vergleich und der Präsentation untereinander, die distanzierte Mattenauslegung der Mädchengruppe hingegen ermöglicht ein weniger beobachtetes kämpferisches Agieren (s. Abb. 13). Ausgrenzungen durch Lehrkräfte stellen ein weiteres Merkmal in der Raumorientierung dar. So finden eine Abgrenzung zwischen einer Schülerinnen- und einer Schülergruppe und geschlechterspezifische Beobachtung ebenso durch das Handeln der Lehrkraft statt: »Adrian: ›Naja, Frau B. ist ja fast immer bei den Mädchen. Die hat uns gar nicht so kämpfen gesehen, weil sie da halt immer so rumläuft.‹«
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Raumorientierungen
Jungen
Mädchen
Abb. 13: Matten zwischen Nähe und Distanz
»Luisa: ›Frau B. ist dann immer so bei uns gewesen und hat uns angefeuert und gesagt dass wir mehr machen müssen und so. Der war eigentlich fast die ganze Zeit bei unserer Matte oder da halt in der Nähe von uns.‹« (Beobachtungsprotokoll vom 09. 04. 2013)
Die Lehrkräfte scheinen sich in der Wahrnehmung von Adrian und Luisa primär innerhalb der Mädchengruppe aufzuhalten. Dabei übernimmt die Lehrerin in der Beschreibung von Luisa die Rolle eines anfeuernden Motivators, welcher sich »fast die ganze Zeit« des Kampfspieles in deren Nähe aufhält. Es scheint, als müsse die Lehrkraft die Bewegungshandlungen der Mädchen gesondert unterstützen und den Mädchen gesonderte Hinweise zukommen zu lassen, während sie die Jungen »gar nicht so kämpfen« sieht. Wie die Interviewauszüge verdeutlichen, scheinen die Schülerinnen und Schüler dieses Verhalten der Lehrkraft durchaus bewusst wahrzunehmen, was wiederum eine geschlechtsspezifische Trennung impliziert. »Der Sportlehrer scheint sich die meiste Zeit hinten in der Sporthalle bei den Mädchen aufzuhalten. Bisher habe ich ihn noch nicht einmal hier bei uns erblicken können. Der Lehrer kommt erst, nachdem er von einem Jungen neben uns gerufen wird. Der Junge will dem Lehrer seine ›Taktik‹ zeigen. Der Lehrer meint, dass er das gut kann und mir ruft er zu, dass die Jungs da eh ganz fit seien und er den ›Mädels‹ noch etwas helfe.« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse)
Die Sportlehrkraft grenzt die Schüler aus, da diese »eh ganz fit seien« und grenzt die Schülerinnen als homogene Gruppe von den Jungen ab, da den Mädchen
Das Beobachten und Beobachtet-Werden
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angeblich noch geholfen werden müsse. Damit dramatisiert die Sportlehrkraft die Geschlechtertrennung und greift die räumliche Trennung der Geschlechter auf, indem sie sich entsprechend räumlich positioniert.
6.1.2 Präsentation im Raum Wie bereits in Kap. 6.1.1 dargestellt, scheinen die räumliche Orientierung im Hinblick auf Aus- und Abgrenzung voneinander sowie die Präsentation vor den Mitschülerinnen und Mitschülern geschlechtsspezifisch charakterisiert und als Praktiken der Geschlechterdifferenzierung von Bedeutung. Die Präsentation und Darstellung des eigenen kämpferischen Sich-Bewegens im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Rollendarstellung lässt sich dabei in verschiedenen sozialen Bewegungssituationen betrachten. Die Kampfspiele, die im Klassenverband oder in kleineren Gruppen durchgeführt werden und Gruppenkämpfe im Raum darstellen, verdeutlichen in besonderer Weise die Präsentation und Eigendarstellung von einzelnen Kindern und zeigen überaus deutlich geschlechtsspezifische Tendenzen: »Wir stehen alle in einem Kreis und halten uns an den Händen. Die Lehrerin erklärt, dass sich nun immer ein Kind in die Mitte des Kreises stellen und versuchen muss, aus diesem Kreis auszubrechen. Die anderen Kinder müssen versuchen, dies zu verhindern und sich gegenseitig gut festzuhalten. Die Lehrerin fragt mich, ob ich als Erster in den Kreis gehen möchte, um dieses Spiel einmal zu demonstrieren. Ich bejahe und begebe mich in den Kreis. Nun stehe ich im Mittelpunkt, alle Kinder und die Lehrerin schauen genau zu, was ich mache. Ich laufe auf zwei Schülerinnen zu und versuche, ihre geschlossenen Hände zu durchbrechen. Viele Kinder fangen an zu lachen, auch die beiden Schülerinnen. Ich muss ebenfalls lachen, es macht mir Spaß. Ich schaffe es, mich aus dem Kreis zu befreien. Nun melden sich viele Schüler, die ebenfalls in den Kreis wollen, allerdings ausschließlich Jungen.« (Beobachtungsprotokoll 05. 11. 2012, 4. Klasse)
Der exemplarische Auszug einer Bewegungsspielsbeobachtung in der Gruppe verdeutlicht einerseits das Gesehen-Werden von den Mitschülerinnen und Mitschülern im Mittelpunkt des Kreises, und andererseits das auffallende Charakteristikum, dass ausschließlich Jungen Interesse am Kreisausbruch äußern und somit als Akteure im Mittelpunkt stehen wollen. Dies unterscheidet sich durchaus von inhaltlich identischen Gruppenkampfspielen, welche in Kleingruppen durchgeführt werden. Dabei ist zu beobachten, dass Schülerinnen wie Schüler gleichermaßen äußern, aus dem Kreis ausbrechen zu wollen, wenn diese Kleingruppen geschlechtshomogen sind. Lediglich in geschlechterheterogenen (Groß-)Gruppen, die sich in den begleiteten Unterrichtseinheiten stets als Gruppen mit sämtlichen Schülerinnen und Schülern darstellen, sind es ausschließlich Jungen, die sich freiwillig für den Ausbruch aus dem Kreis melden.
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Raumorientierungen
In Gruppenkampfspielen, in welchen auf größeren Mattenflächen gemeinsam gekämpft wird, scheint ebenfalls eine konstante Raumorientierung präsent, welche sich in ähnlicher Form in der Raumorientierung beim Mattenaufbau in Zweikampfspielen zeigt. Im Mittelpunkt des gemeinsamen kämpferischen SichBewegens in Gruppen sind zumeist Jungen zu beobachten, die aktiv und körperlich nah agieren, während passivere Schülerinnen und Schüler eher im Umfeld der Gruppenkämpfe zu finden sind: »Die ganze Klasse soll nun auf einer Mattenfläche um den Schatz, einen Medizinball, kämpfen. Dabei dürfen wir uns lediglich kriechend fortbewegen. Einige Schüler kriechen blitzschnell auf den Ball zu, welcher von dem Lehrer auf die Mattenfläche gerollt wird. Ich kann den Ball ebenfalls mit meinen Fingerspitzen berühren, allerdings finde ich mich direkt eingeengt zwischen acht bis zehn weiteren Jungen wieder, die teilweise auf mir draufliegen. Der Ball entgleitet mir und rollt etwas zur Seite, während sich die Jungen alle übereinander und durcheinander auf den Ball schmeißen. Da ich mich nicht zu dem Ball bewegt habe, finde ich mich am Rand des Menschenhaufens wieder, dort sitzen noch ein paar weitere Jungen und fast alle Mädchen. Lediglich drei Schülerinnen bewegen sich um den Menschenhaufen herum, ohne aktiv in den Kampf einzugreifen.« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse)
Der Mittelpunkt in Kampfspielen, den in dem beschriebenen Fall der Ball als Schatz darstellt, ist durch Enge und intensiven Körperkontakt beschreibbar. Der »Menschenhaufen« ist schwer zu überblicken, und zur Partizipation am kämpferischen Sich-Bewegen im »Menschenhaufen« ist ein starker Körpereinsatz obligatorisch. Schülerinnen und Schüler, die diesen Körperkontakt nicht eingehen wollen und somit nicht auf den Mittelpunkt des Kampfgeschehens fokussiert sind, werden an den Rand gedrängt und sind dadurch vom Kampfspiel nahezu ausgeschlossen. Hingegen sind die Schüler, die sich im Mittelpunkt des »Menschenhaufens« befinden, ebenfalls im Mittelpunkt des kämpferischen Geschehens, da sie in diesem Fall den Schatz vor den Mitschülern verteidigen. Die Blickrichtungen in Zweikämpfen stellen ein weiteres Kriterium dar. Für die Kampfspiele mit einer Partnerin oder einem Partner wählen die Schülerinnen und Schüler jeweils frei einen Platz in der Sporthalle, an dem sie ihre gemeinsame Turnmatte positionieren können. Wie in Kap. 6.1.1 dargestellt, findet über die Anordnung der Matten im Raum bereits eine Abgrenzung von den Mitschülerinnen und Mitschülern statt. Ähnlich den Gruppenkämpfen lässt sich auch hier eine Aufteilung der Schülerinnen und Schüler von der Mitte des Raumes aus erkennen: »Zwei Jungen haben ihre Matte in die Mitte der Halle gelegt und kämpfen dort unter lautem Stöhnen und Schreien. Immer wieder rufen die Jungen den Lehrer zu sich, um ihm zu zeigen, ›was sie können‹. Die Schülerinnen und Schüler, die weiter außen kämpfen, meist an den Wänden der Sporthalle, schauen den Jungen meist zu und
Das Beobachten und Beobachtet-Werden
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unterbrechen ihre Zweikämpfe oftmals. Es scheint intensiver gekämpft zu werden, desto näher die Paare in der Hallenmitte sind.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse)
Die Schüler in der Mitte der Halle werden, ähnlich den Schülern innerhalb der Kreise in den Gruppenkämpfen, von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern stets beobachtet. Zugleich präsentieren sie sich über »lautes Stöhnen und Schreien« und bitten oftmals die Lehrkraft darum, ihr ihr Kampfspiel vorzuführen. Die Schülerinnen und Schüler auf den äußeren Matten agieren hingegen eher als passive Zuschauer, obwohl sie ebenfalls die Bewegungsaufgabe zu erfüllen haben (s. Abb. 13). Während in der Mitte der Sporthalle zumeist Jungen vorzufinden sind, sind die äußeren Matten hingegen geschlechterheterogen belegt. So meint ein Schüler zu mir, als wir uns partnerweise in der Halle verteilen sollen, dass er lieber an die Wand wolle, weil er heute »keine große Lust« habe. Ein körperlich intensives gemeinsames Sich-Bewegen lässt sich demnach hauptsächlich in Mittelpunkten beobachten, in denen die aktiven Partizipanten von den passiveren Mitschülerinnen und Mitschülern beobachtet werden können. Die Schülerinnen und Schüler, die ihre Matten außen an den Hallenwänden oder Trennwänden aufgebaut haben, kämpfen hingegen weniger aktiv, wobei sich geschlechtsspezifische Handlungsweisen deutlich in Abhängigkeit von der Blickrichtung der Partizipanten zeigen: »Lisa und Sarah liegen sich gegenüber in Liegestützstellung (Sarah schaut in Richtung Wand, Lisa in die Halle). […] Sarah sagt: ›Jetzt lass uns doch endlich anfangen!‹ Sie zählt bis drei und zieht ohne Widerstand Lisas Arm weg. […] Zu Beginn der zweiten Runde versucht Lisa nun einmal den Arm von Sarah zu berühren, bricht die Bewegung auf der Hälfte des Weges allerdings ab. Sarah zieht daraufhin Lisas Arm erneut ohne erkennbaren Widerstand weg.« (Beobachtungsprotokoll 09. 04. 2013, 4. Klasse)
Der Auszug aus dem Beobachtungsprotokoll, genauer aus einer Detailbeobachtung eines Zweikampfspieles, verdeutlicht die Bedeutung der Raumlage und Blickrichtung der Partizipanten. So scheint Sarah mehr motiviert für die Bewegungsaufgabe als Lisa (»Jetzt lass uns doch endlich anfangen!«). Sarahs Blick ist dabei ausschließlich auf Lisa gerichtet, während Lisa ihre Mitschülerinnen und Mitschüler hinter Sarah sehen kann. Sie bricht die Bewegungen ab und scheint das Kampfspiel jedes Mal vorzeitig zu unterbrechen. Umgekehrt scheint bei einer Vielzahl der beobachteten Jungen hingegen der Blick in die Sporthalle motivierend für die Bewältigung der Bewegungsaufgabe. Innerhalb meiner eigenen Teilnahme an den Zweikämpfen kann ich beide Perspektiven selbst empfinden: »Während ich versuche, meinen Partner mit dem Rücken von der Matte zu drücken, kann ich den anderen Paaren zuschauen. Ich merke, wie ich von denen auch beobachtet werde, ebenso von dem Lehrer. Ich versuche mich auf das Schiebespiel zu konzentrieren,
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Raumorientierungen
fühle mich aber sehr beobachtet dabei und will nun keine unkontrollierten Fehler machen […] Nun kämpfen wir nochmal gegeneinander, diesmal schaue ich nicht in die Halle sondern auf die Trennwand. Ich fühle mich entsprechend entspannter, kämpfe zwar noch motiviert, aber nicht mehr so achtsam und verbissen wie unter der gefühlten Beobachtung.« (Beobachtungsprotokoll 09. 04. 2013, 4. Klasse)
Entscheidend scheint die gefühlte Beobachtung durch andere zu sein, welche sich auf das eigene Engagement in Zweikampfsituationen auswirkt. Geschlechtsspezifisch zeigt sich ausschließlich bei Jungen die Suche nach dem Beobachtet-Werden, was insbesondere über die räumliche Orientierung im Mittelpunkt der Sporthalle deutlich wird.
6.2
Zweikämpfen zwischen Nähe und Distanz
Der Zweikampf ist grundlegend durch den stetigen Wechsel von Nähe und Distanz zueinander charakterisiert und »reich an unmittelbaren körperlich-seelischen Erlebnissen, die im faszinierenden Wechselspiel von Passion und Aktion sowie von Partner- und Gegnerschaft entstehen« (Beudels, 2014, S. 58).
Innerhalb der einzelnen Zweikämpfe werden die Bewegungen, über die die Schülerinnen und Schüler Nähe und Distanz eingehen, detailliert betrachtet. So sind Angriffs- und Verteidigungsmuster und Bewegungsabbrüche geschlechtsspezifisch zu unterscheiden (s. Kap. 6.2.1) und als grundlegende Handlungserscheinungen von geschlechterdifferenten Kampfweisen zu werten. Diese Kampfweisen können bei Jungen als nahkörperliche Form des Zweikämpfens und bei Mädchen als distanzierte Kampfform typisiert werden (s. Kap. 6.2.2), wobei die entsprechenden Körperteile wie Rücken, Schultern oder die Extremitäten jeweils unterschiedlich eingesetzt werden (s. Kap. 6.2.3).
6.2.1 Vordringen und Zurückweichen Innerhalb der spielerischen (Zwei-)Kämpfe lassen sich geschlechterdifferente Handlungsweisen in Angriff und Verteidigung, Täuschungen und Bewegungsunterbrechungen typisierend darstellen, welche sich im Verlauf von Zweikampfhandlungen bereits zu Beginn, wie auch zum Ende der Handlungen beobachtbar zeigen. An erster Stelle wird nun das Angreifen fokussiert. Angriffshandlungen stehen am Beginn einer Zweikampfsituation und leiten diese ein. Sie sind über ein Vordringen mindestens einer Partnerin oder eines Partners hin zu dem jewei-
Zweikämpfen zwischen Nähe und Distanz
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ligen Gegenüber gekennzeichnet. Im Verlauf eines Zweikampfes wiederholen sich zumeist Angriffshandlungen in einem stetigen Wechsel von Vordringen und Zurückweichen. Geschlechtsspezifische Differenzen innerhalb der Angriffshandlungen sind bereits zu Beginn eines Zweikampfes erkennbar : »In dem Spiel ›Füße fangen‹ müssen beide Kinder Rücken an Rücken sitzen und versuchen, die Füße vom Partner zu berühren. Dabei dürfen sie nicht aufstehen […]. Beide Mädchen sitzen Rücken an Rücken. Sie müssen beide lachen und fangen zusammen an, bis drei zu zählen. Zögerlich bewegen sie sich etwas nach rechts, dann etwas nach links. Beide bewegen sich nicht von der Stelle.« (Beobachtungsprotokoll vom 06. 02. 2013, 5. Klasse) »Tim zählt schnell 3–2–1, dreht sich nach rechts, dann nach links und wieder nach rechts, bis er fast auf dem Bauch liegt, und schafft es so, schnell die Füße von Adrian zu berühren. Dieser protestiert, da Tim sich hingelegt habe und nicht sitzen geblieben ist.« (Beobachtungsprotokoll vom 06. 02. 2013, 5. Klasse)
Bei den Schülerinnen ist eine verstärkte Rücksichtnahme bzw. Absprache zu beobachten (»fangen zusammen an, bis drei zu zählen«), und es finden Angriffsbewegungen eher »zögerlich« statt, wobei sich die Mädchen kaum von der Stelle bewegen. Dies unterschied sich von den Angriffsbewegungen der Schüler. Hier zählt Tim »3–2–1« an und greift schnell an, wobei er es innerhalb kürzester Zeit schafft, die Füße von Adrian zu berühren. Während des gemeinsamen SichBewegens in der Zweikampfsituation kommt es dabei immer wieder zu kleineren Angriffs- und Antäuschungsbewegungen (»nach rechts, dann nach links und wieder nach rechts«). Dass er dabei »fast auf dem Bauch liegt«, verdeutlicht einen Ortswechsel innerhalb der Angriffsbewegungen: Die Kontrahenten bleiben nicht an einer Stelle, wie es bei den Schülerinnen oftmals beobachtbar ist, und finden somit einen Abschluss im Berühren der Füße. Insgesamt erscheinen die Angriffsversuche bzw. das Vordringen der Jungen risikofreudiger als die der Mädchen. In vielfachen Zweikampfsituationen kann ich beobachten und selbst erleben, wie die Jungen stürmisch und mit hartem und intensivem Körpereinsatz zu ihren Partnern vordringen. »Die Härte wird am eigenen Körper praktiziert, sie ist aber oft auch gegen andere Körper gerichtet.« (Meuser, 2011, S. 161)
Diese körperlich harte Vorgehensweise im Angriff widerspricht dem Angriffsverhalten der Mädchen. Für die Schülerinnen »sind es eher die harten körperlichen Berührungen, die nicht zu ihrem geschlechterstereotypen Handlungsrepertoire zählen, wenn es um den Aufbau einer konventionellen weiblichen Identität geht« (Wiegelt, 2010, S. 32).
Ähnliche Geschlechterdifferenzen zeigen sich im Verteidigen und in Verteidigungsaktionen der Schülerinnen und Schüler. Verteidigungshandlungen äußern
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Raumorientierungen
sich in differenten Handlungsweisen. So kann ein Zurückweichen ebenso als Verteidigung gegenüber der vordringenden Partnerin oder des vordringenden Partners interpretiert werden wie eine Distanzwahrung über die ausgestreckten Arme (s. Kap. 6.2.2) oder das Wegdrehen des Körpers. Ebenso scheint der Gegenangriff als Reaktion auf ein Vordringen relevant, welche sich in einem darauffolgenden Vordringen des Angegriffenen äußert. Die Verteidigungshandlungen lassen sich dabei in ihrer beobachteten Anwendung geschlechtsspezifisch differenzieren (s. Tab. 7). Tab. 7: Geschlechtsspezifische Verteidigungshandlungen Zurückweichen Mädchen Jungen
X
Distanzwahrung Wegdrehen des Körpers Gegenangriff über die Arme X X X
Innerhalb der Zweikampfspiele lassen sich bei den Schülerinnen spezifische Formen der Angriffsreaktion beschreiben. So scheinen die Mädchen möglichst körperkontaktlos zu kämpfen: Die Angegriffene hält die Angreifende möglichst mit ausgestreckten Armen auf Distanz. Ist eine Distanzwahrung über die Arme nicht möglich im Rahmen der jeweiligen Aufgabenstellung, so scheint die jeweils angegriffene Schülerin eher zurückzuweichen und somit die körperliche Distanz zu ihrem Gegenüber zu wahren. Bei den spielerischen Zweikämpfen der Jungen lassen sich hingegen geschlechtsspezifisch differente Handlungsweisen beobachten. Körperliche Nähe wird durchaus vom Angreifenden und Angegriffenen eingegangen. Der Verteidiger versucht oftmals, durch das Wegdrehen eine frontale körperliche Nähe zu verhindern und geht zumeist in einen Gegenangriff über, in dem der Angegriffene ebenfalls versucht, den Angreifer zu umfassen bzw. sich – je nach Aufgabenstellung – diesem zu nähern. Eine strikte Trennung zwischen Angreifendem und Angegriffenem ist somit innerhalb der Schüler kaum möglich, da die Rolle zwischen aktivem und passivem Akteur stets wechselt. Dagegen lassen sich innerhalb der Schülerinnengruppe stets eindeutige Rollenverteilungen beobachten, wobei auch hierbei die körperliche Distanzwahrung nicht ausschließlich von der verteidigenden Akteurin, sondern ebenso von der Angreiferin asugeht (s. Kap. 6.2.2). Weiterhin spielen Bewegungsabbrüche eine entscheidende Rolle im Kampfgeschehen. Die Kampfspiele werden im Sportunterricht von der jeweiligen Lehrkraft über ein Startsignal eingeleitet und beendet. Oftmals lassen die Lehrkräfte in dem jeweiligen Zeitraum die Schülerinnen und Schüler selbstständig die Kampfspiele beginnen (beispielsweise durch gemeinsames Anzählen) und geben lediglich den zeitlichen Rahmen vor.
Zweikämpfen zwischen Nähe und Distanz
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Innerhalb der Gruppenkämpfe und Zweikampfspiele lassen sich dabei geschlechterdifferente Handlungsweisen im körperlichen Umgang beobachten, welche zur gemeinsamen Beendigung oder zu einem meist einseitigen Abbruch der Kampfspiele führen: »Schildkrötendrehen: Zuerst sollen sich alle Jungen auf der Mattenfläche in Bankstellung platzieren, die Mädchen stehen um die Mattenfläche herum. Auf ein Startsignal versuchen die Mädchen die Jungen (Schildkröten) umzudrehen. Dabei dürfen diese nur auf allen Vieren bleiben, die Mädchen dürfen sich frei bewegen. Ist der letzte Junge umgedreht: Rollenwechsel. Die Jungs begeben sich auf die Mattenfläche, die Mädchen stellen sich herum. Der Lehrer gibt das Startsignal, die Mädchen gehen langsam/zögerlich auf die Mattenfläche und fangen an, mit ausgestreckten Armen vereinzelt die Jungen umzudrehen. Die Jungs krabbeln dabei hin und her und lachen sehr viel. Auch die Mädchen lachen und versuchen, vereinzelt oder paarweise die Jungs umzukippen. Dabei berühren meist nur die Hände der Mädchen die Jungs, ansonsten findet kein Körperkontakt statt. Einige Jungen beschweren sich über Regelverletzungen, während sie umgedreht werden, ein Großteil der Jungen versucht den Berührungen durch das Hin- und Herkrabbeln zu entkommen. Schließlich werden alle Jungs nach ca. 5 Minuten umgedreht, und es kommt zum Wechsel. Einzelne Jungs beschweren sich, die Mädchen hätten gekniffen oder gestochen mit den Händen. Die Mädchen wiederum beschweren sich, die Jungs hätten um sich geschlagen. Der Lehrer gibt Anweisung, nachfolgend darauf zu achten. Die Mädchen befinden sich nun verteilt in der Mitte der Hallenfläche, auf ein Startsignal der Lehrkraft stürmen die Jungs auf die Mattenfläche. Die Jungs gehen mit mehreren auf die einzelnen Mädchen los, schubsen diese allerdings auch häufig. Es scheint, dass die meisten Mädchen sehr schnell ohne großen Widerstand umfallen. Ein Mädchen hockt in Bankstellung auf der Mattenfläche, ein Junge rennt zu ihr, um sie umzudrehen. Er fasst mit beiden Händen seitlich an ihren Rücken. Sie fällt sofort um, steht auf, geht von der Matte und ruft: ›Na endlich!‹ Der Lehrer spricht sie an, warum sie sofort aufgegeben hat. Sie erwidert, dass sie sich von Jungs nicht so gerne berühren lassen möchte. Diese Runde ist nach ca. 2 Minuten sehr schnell vorbei.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse)
Dieser beobachtete Ausschnitt aus einem körperkontaktintensiven geschlechterheterogenen Gruppenkampfspiel verdeutlicht einerseits die Körperkontaktproblematik eines geschlechterheterogenen Kampfspiels (»Sie erwidert, dass sie sich von Jungs nicht so gerne berühren lassen möchte«); andererseits wird der Spielabbruch seitens der Schülerinnen deutlich. Der diesem Spiel inhärente und von mir selbst miterlebte intensive Körperkontakt wird seitens der Schülerinnen dadurch verhindert, dass diese keinen Widerstand leisten und vorschnell aufgeben (»Sie fällt sofort um, geht von der Matte und ruft: ›Na endlich‹«). In geschlechterhomogenen Zweikampfsituationen finden sich entsprechende Handlungsweisen seltener, zumal intensiver Körperkontakt in Zweikampfsituationen mit zwei Schülerinnen kaum beobachtbar ist. Hierbei wird oftmals
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Raumorientierungen
durch Emotionsexpressionen wie gemeinsames Lachen oder Andeutungen von Schmerzen versucht, das Kampfspiel (vorzeitig) zu beenden (s. Kap. 7). Innerhalb der Jungengruppen sind Bewegungsabbrüche seltener zu beobachten, vielmehr wird im gemeinsamen Sich-Bewegen versucht, die Bewegung und somit eine kontinuierliche Spannung aufrechtzuerhalten. In dem zuletzt dargestellten geschlechterheterogenen Gruppenkampfspiel versuchen die Jungen hingegen, durch »das Hin- und Herkrabbeln« den Berührungen der Mädchen »zu entkommen« oder »beschweren sich über Regelverletzungen«, welche ebenfalls zum Spielabbruch seitens der Jungen führen können. Körperkontakt wird somit lediglich innerhalb der geschlechterhomogenen Zweikämpfe der Jungen zugelassen und nicht im Umgang mit den Mädchen. Die Schülerinnen hingegen scheinen den Körperkontakt weder in geschlechterhomogenen Gruppenkampfsituationen noch in geschlechterhomogenen Kampfspielen in Zweierkonstellation zu forcieren, sondern stets möglichst zu vermeiden.
6.2.2 Kampfweisen Das gemeinsame Sich-Bewegen in Zweikampfsituationen scheint geschlechtsspezifische Unterschiede im Distanzverhalten der Partizipanten zueinander zu implizieren. »Die beiden Mädchen hocken sich gegenüber. Nachdem der Lehrer die Schüler aufgefordert hat, selbstständig mit der Übung zu beginnen, lächeln sich beide Mädchen an und erscheinen mir etwas hilflos, da sie weiterhin still gegenüber hocken bleiben. Schließlich streckt Anja die Arme aus und legt sie Helena auf die Schultern. Helena macht dies ebenso bei Anja. Anja versucht nun, mit ausgestreckten Armen Helena umzuwerfen, indem sie diese immer nach rechts und links drückt. Helena scheint erst dagegenzuhalten, es sieht aber nicht so aus, als würde sie ebenso versuchen, Anja auf den Boden zu legen. Nach weniger als einer halben Minute fängt Helena an zu lachen und scheint jede Gegenwehr aufzugeben. Sie lässt sich von Anja auf die rechte Seite und dann auf den Rücken legen.« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse) »Tim und Bilal hocken sich gegenüber. Nachdem der Lehrer das Startsignal gegeben hat, stürzt sich Tim mit seinem ganzen Körper frontal auf Bilal. Dieser ruft, dass das unfair ist weil er noch nicht bereit war und sie nochmal anfangen müssen. Tim lacht und beide setzen sich wieder gegenüber. Nun zählt Tim bis drei und beide Jungen stürzen aufeinander zu. Sie umfassen gegenseitig ihre Oberkörper und scheinen körperlich ineinander verschlungen. Das Gewicht beider Oberkörper scheint von den Unterkörpern, den Beinen, aus abwechselnd nach rechts und links verlagert zu werden. Beide Jungen stöhnen dabei immer wieder laut auf. Schließlich kommt es kurz zum Stillstand, bevor Bilal langsam Tim nach hinten drücken kann. Tim stemmt sich dagegen, Bilal lässt allerdings nicht nach. Schließlich schafft er es unter scheinbar hoher Kraftanstrengung, Tim auf den Rücken zu drücken. Dabei haben die Jungen die ganze Zeit über einen
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konstant engen Körperkontakt durch ihre Arme, welche die Oberkörper des jeweiligen anderen umschlingen.« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse)
Die Beobachtungsprotokolle beschreiben differente Bewegungsformen, welche in sämtlichen (Zwei-)Kampfspielen im Sportunterricht durchgehend auftreten und sich insbesondere in Form von Schiebe- und Ziehbewegungen äußern. Allgemein lässt sich beobachten, dass die Schülerinnen innerhalb der Zweikampfspiele eine größere Distanz zu ihrem jeweiligen Gegenüber wahren als die Jungen (s. Abb. 14). Das gemeinsame Agieren und Konteragieren wird mit möglichst wenig Körperkontakt ausgeführt (»Anja versucht nun mit ausgestreckten Armen Helena umzuwerfen, indem sie diese immer nach rechts und links drückt.«). Die ausgestreckten Arme implizieren wiederum einen minimal nötigen Körperkontakt über die Hände, welcher ausreichend scheint, um die Partnerin zu kontrollieren, wenn diese keine Gegenwehr zeigt (»Helena scheint erst dagegenzuhalten, es sieht aber nicht so aus als würde sie ebenso versuchen, Anja auf den Boden zu legen. Nach weniger als einer halben Minute fängt Helena an zu lachen und scheint jede Gegenwehr aufzugeben«).
Abb. 14: Distanzierte Bewegungen
Zunächst wird das Auf-Distanz-Halten näher beleuchtet. »Lena: ›Ich habe Nina versucht auf die Seite zu kriegen, das war ein bisschen schwer.‹ Nina: ›Wir konnten auch nicht so diese Übung: gut das machen und so viel weil wir auch viel lachen mussten.‹ Lena: ›Ja und ich habe mir ein bisschen meinen Fuß verletzt (2) ((zeigt auf ihren linken Fuß)) deshalb musste Nina auch aufpassen und wir haben dann uns nicht so doll berührt.‹
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Nina: ›Genau (3) wir passen aber auch immer auf wenn wir so zusammen das machen.‹« (Beobachtungsprotokoll vom 13. 02. 2013)
Das Kampfspiel zwischen Lena und Nina ist durch die charakteristischen ausgestreckten Arme und eine konstante körperliche Distanzwahrung gekennzeichnet. Körperkontakt findet lediglich marginal über einzelne Körperteile statt. Der Interviewauszug verdeutlicht, dass die beiden Schülerinnen »aufpassen« und sich »nicht so doll« berühren, was Lena mit einer Verletzung am Fuß erklärt. Gleichsam vermeiden Lena und Nina das Wort Kämpfen und bezeichnen die Bewegungsaufgabe als »Übung«. Der distanzierte Körpereinsatz in der gemeinsamen Bewegungsausführung scheint somit im Gegensatz zu den körperkontaktintensiven Kampfspielausführungen nicht ein Härtegefühl und ein Gegeneinander (»wenn wir so zusammen das machen«), sondern eher ein rücksichtsvolles Kooperieren (»wir passen aber auch immer auf«) zu implizieren. Dem gemeinsamen Sich-Bewegen im Kampfspiel mit ausgestreckten Armen scheint eine konstante Distanzwahrung implizit. Über die Länge der Arme können die Partizipanten die Entfernung voneinander kontrollieren; Annäherungen der Körper scheinen bei angespannten Armen kaum möglich. Somit wird bereits zu Beginn des Kampfspieles über das gegenseitige Fassen an den Schultern eine konstante Spannung aufgebaut, welche über den gesamten Zeitraum des Gegeneinander-Gerichtet-Seins gehalten wird. Aus dieser Ausgangsposition heraus versuchen die Partizipanten, sich über die Distanz aus dem Gleichgewicht zu bringen. Gelingt dies, wird die körperliche Verbindung direkt aufgelöst. Innerhalb von Gruppenkämpfen mit mehreren Schülern und Schülerinnen wird diese Distanzwahrung ebenfalls deutlich. Da Kampfspiele in der Gruppe zumeist mit intensivem Körperkontakt verbunden sind, ist beobachtbar, dass insbesondere Schülerinnen sich räumlich vom Geschehensmittelpunkt distanzieren und sich abseits am Rand der Mattenfläche bzw. des Geschehens platzieren (s. Kap. 6.1.2). Die Distanzwahrung scheint somit als ein geschlechtsspezifisches Phänomen insbesondere der Mädchen. Der Aufbau von (distanziertem) Körperkontakt lässt sich stilisiert in verschiedenen Phasen beschreiben (s. Abb. 15). Diese variieren inhaltlich entsprechend der Bewegungsaufgabe bzw. des Kampfspieles, verdeutlichen allerdings grundlegend-typische Strukturen im Bewegungsablauf. Schritt 1: Eröffnung Die Mädchen sitzen sich kniend gegenüber. Beide sitzen an den äußeren Enden der Turnmatte […]. Nach dem Startsignal der Lehrkraft sitzen die beiden Schülerinnen noch immer da und müssen etwas lachen […] Schließlich verbeugen sie sich kurz voreinander, strecken sich ihre Arme entgegen und rutschen kniend aufeinander zu.
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(Fortsetzung) Schritt 2: Abtasten Sie fassen von außen an ihre Schultern. Beide scheinen etwas zaghaft und lachen sehr viel dabei. Sie beginnen noch nicht, sondern positionieren erst einmal ihre Hände gegenseitig auf ihren Schultern. Schritt 3: Beginn Nachdem beide Schülerinnen ihre Hände auf die Schultern ihrer Partnerin gelegt haben, zählen sie lachend gemeinsam bis drei. Dann spannen sie beide gleichzeitig etwas zögerlich ihre Arme an und drücken mit ihren Oberkörpern gegeneinander. Schritt 4: Ausführung Ohne Bewegung des Unterkörpers drücken die beiden mit ausgestreckten Armen gegeneinander. Die Oberkörper gehen dabei immer etwas nach vorne und nach hinten, entsprechend der anscheinenden Gewichtsverlagerung. Beide Mädchen verharren dabei in ihrer Ausgangsposition, es findet keine weitere Bewegung statt. Schritt 5: Ende Schließlich gibt eine Schülerin offensichtlich nach und lässt sich ohne Wiederstand lachend auf den Rücken legen. Dies geschieht ebenfalls mit ausgestreckten Armen. Sobald sie den Boden berührt, setzen sich die beiden Mädchen nebeneinander auf die Matte. Abb. 15: Körperkontaktaufbau in Zweikämpfen unter Distanzwahrung (Beobachtungsprotokoll vom 09. 04. 2013)
Die Aufnahme von Körperkontakt und die damit verbundene Distanzüberwindung finden zögerlich statt. Die Schülerinnen richten sich aufeinander aus und stimmen sich in ihrer Grundposition aufeinander ab. Diese Grundposition wird beibehalten bis schließlich eine der Schülerinnen aufgibt, nachlässt und somit das Kampfspiel beendet. Während des Kampfspieles verbleiben die Schülerinnen räumlich-örtlich an einer Stelle. Von ihrem Ausgangspunkt aus ziehen und schieben sie ihr Gegenüber, ohne dabei maßgeblich die Unterkörper zu bewegen. Die Oberkörper werden hingegen genutzt, um den Krafteinsatz in den Armen zu unterstützen. So lehnen sich die Mädchen mit ihren Oberkörpern nach vorne oder hinten, während die (Unter-)Körper weitgehend zu ruhen scheinen. Die Mädchen müssen über die ausgestreckten Arme erhebliche Kraft aufbringen, um überhaupt eine Wirkung beim Gegenüber erzielen zu können. Diese körperliche Anstrengung findet dabei hauptsächlich in den Händen, Armen und Schultern statt, wie Anja im Anschluss an das Kampfspiel verdeutlicht: »›Ich hab dann die ganze Zeit so gedrückt, dann taten meine Hände und Arme schon weh und ich konnte auch nicht mehr. Auch so hier ((zeigt auf ihre Schultern)), in den Schultern (2) da tat das auch echt weh. Aber ich konnte es dann erst schaffen als Helena
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dann so aufgehört hat und sich dann hingelegt hat und lachen musste.‹« (Beobachtungsprotokoll vom 15. 11. 2012)
Anja schreibt es dem Aufgeben Helenas zu, dass sie es »schaffen« und Helena auf den Rücken legen kann, obwohl sie selber Schmerzen hat und erschöpft ist. Helena, die erst dagegen hält, nennt ebenfalls den eigenen körperlichen Erschöpfungszustand als Grund für ihr Lachen, welches ausschlaggebend für ihr Aufgeben sei: »›Ja ich konnte halt gar nicht mehr und dann musste ich deshalb dann auch plötzlich lachen.‹« (Beobachtungsprotokoll vom 15. 11. 2012)
Das distanzorientierte Zweikämpfen scheint somit mit äußerster körperlicher Anstrengung verbunden und kann lediglich durch Aufgabe mindestens einer Partnerin beendet werden. Ein weiterer Fokus liegt auf dem (Aus)Halten des Körperkontakts. Diese distanzierte Form der Bewegungsausführung der Mädchen untescheidet sich dabei maßgeblich von der beobachtbaren Bewegungsausführung der Jungen, welche grundsätzlich körperbetonter zu sein scheinen, wobei ein intensiver und dauerhafter Körperkontakt stattfindet. Die Jungen »scheinen körperlich ineinander verschlungen« zu sein, die agierenden Oberkörper finden sich in einem ständigen Kontakt zueinander (s. Abb. 16). Die Jungen benötigen ebenfalls einen großen Kraftaufwand, um ihr Gegenüber auf den Rücken zu bringen. Insgesamt findet hierbei allerdings mehr raumgreifende Bewegung auf der Turnmatte statt. Die Jungen drehen sich, wechseln die Richtungen, liegen aufeinander und rollen miteinander über die Fläche.
Abb. 16: Enger Körperkontakt
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»Florian: ›Ihr habt ja gerade hier auf der Matte gekämpft.‹ Adrian:›Ja ich habe ihn so gepackt so um seinen Bauch rum ((Adrian fasst um Erens Bauch)) und dann hat er mich auch so gepackt und dann haben wir immer so hin und her gemacht und dann konnte ich ihn aber besiegen.‹’ Eren: ›Aber nicht so schnell-‹ Adrian:›Ja so schnell war das nicht (2) weil wir haben beide schon ganz doll gemacht, mussten richtig kämpfen so mit rumfassen und so. Das ist ja dann schon echt hart.‹« (Beobachtungsprotokoll vom 13. 02. 2013).
Das Kampfspiel zwischen Adrian und Eren kann als äußerst körperkontaktintensiv beschrieben werden. Die beiden Schüler halten im Verlauf des Zweikampfes einen ständigen Körperkontakt aufrecht (»dann habe ich ihn so gepackt so um seinen Bauch rum«). Adrian bezeichnet diese Form des Zweikämpfens (»so mit rumfassen und so«) als »richtig kämpfen«, was somit einerseits den ständigen Körperkontakt, andererseits auch den Härtegrad impliziert, denn wie Adrian weiter ausführt, »haben beide schon ganz doll gemacht«. Der enge und intensive Körperkontakt im gemeinsamen kämpferischen Sich-Bewegen scheint somit auch immer ein gewisses Härtegefühl zu implizieren, ein körperlicher Abstand zwischen den Partizipanten wird hierbei schnell überwunden. Oftmals werden die Oberkörper umgriffen, und es wird unter dem Einsatz des gesamten Körpers versucht, den Partner in eine Zielposition zu bringen. Hierbei findet ein beobachtbar stetiger Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung statt. Im Verlauf des gemeinsamen kämpferischen Sich-Bewegens lässt sich ein stetiger Wechsel zwischen aktiver und passiver Rollenübernahme seitens der Akteure beobachten. Dieser Wechsel kann dabei auch aus einer bewussten Abgabe einer dominanten Position an den Partner resultieren: »Leo ist die Schildkröte, Paul der Greifvogel. Paul versucht nun, Leo von der Bauchlage auf den Rücken zu drehen. Leo hat seine Beine und seine Arme vom Körper abgespreizt. Paul setzt sich neben Leo und versucht, ihn mit beiden Armen seitlich hochzuheben und herumzudrehen. Leo streckt weiter seine Gliedmaßen von sich und wehrt sich dagegen. Nun legt sich Paul längsseitig mit seinem gesamten Körper auf Leo drauf und versucht, seine Brust mit beiden Händen zu umfassen. Als er dies unter lautem Stöhnen geschafft hat, wackelt Paul hin und her und versucht, gemeinsam mit Leo umzukippen. Es rührt sich nichts und Paul schimpft: ›Das kann man ja gar nicht schaffen!‹ Leo fordert Paul auf, es weiterhin zu versuchen. Wieder setzt sich Paul an seine Seite und versucht, ihn herumzudrehen. Diesmal zieht Leo seine Beine und Arme zusammen und Paul schafft es fast, ihn umzudrehen. Erst im letzten Moment spreizt Leo ein Bein, um nicht gänzlich umgeworfen zu werden.« (Beobachtungsprotokoll 09. 04. 2013, 4. Klasse)
Der Auszug aus dieser Detailbeobachtung zu einem Kampfspiel zwischen zwei Schülern verdeutlicht diese bewusste Abgabe einer dominanten Position. So »zieht Leo seine Beine und Arme zusammen, und Paul schafft es, ihn herumzudrehen«. Leo gibt damit seine sichere Position, die er über das Abspreizen der
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Gliedmaßen erlangt hatte, auf, indem er eben diese Gliedmaßen zusammenzieht. Er schafft einen Moment aktualisierter Spannung in der gemeinsamen Bewegung, indem er Paul die Oberhand gewinnen und sich selber aus dem Gleichgewicht bringen lässt. Daran zeigte sich, dass Leo bewusst den Spannungsmoment des Kampfspieles aufrechterhalten will, da er nach Pauls resigniert anmutender Äußerung (»Das kann man ja gar nicht schaffen!«) durch seine Handlung als erneuter Spannungsgeber fungiert und mit seinem Nachgeben dafür sorgt, dass die gemeinsame Bewegung nicht abbricht. Der Aufbau von engem Körperkontakt lässt sich ebenso wie das distanzierte Zweikämpfen stilisiert phasenweise beschreiben (s. Abb. 17). Schritt 1: Eröffnung Die Jungen sitzen sich gegenüber auf den Knien. Nach dem Startsignal der Lehrkraft stürmen beide krabbelnd und unter lautem Gebrüll aufeinander zu, keiner von beiden zählt an. Schritt 2: Einhaken Als sie sich begegnen, richten sich beide Jungen auf und stürzen mit ihren Oberkörpern gegeneinander. Mit ihren Armen umfassen sie den Oberkörper des Gegenübers, die Köpfe sind nebeneinander an der Schulter des jeweils anderen. Schritt 3: Ausführung Direkt fangen beide Jungen an, sich unter ganzem Körpereinsatz gegenseitig auf den Boden zu legen. Die Unterkörper scheinen wie die Oberkörper in einem spannungsvollen Zustand. Entsprechend den Gewichtsverlagerungen drücken und schie-ben sich die Jungen hin und her. Droht einer der Partner zu fallen, klammert er sich an sein Gegenüber und versucht so, wieder eine stabile Position einnehmen zu können. Während des Kampfspiels bewegen sich beide Jungen über die gesamte Mattenfläche. Schritt 4: Ende Unter ganzem Einsatz des Körpers und beobachtbarer großer Kraftanstrengung schafft es ein Junge, seinen Partner auf den Boden zu kriegen. Dieser versucht, von dort loszukommen, wird aber festgehalten. Sobald er mit den Schultern den Boden berührt, begeben sich beide Jungen wieder in die Ausgangsposition und beginnen sogleich von vorne. Abb. 17: Körperkontaktaufbau in engkörperlichen Zweikämpfen (Beobachtungsprotokoll vom 15. 11. 2012)
Der engkörperlich-spielerische Zweikampf ist durch sofortigen Aufbau von Körperkontakt charakterisiert, welcher bis zum Gewinn bzw. der Niederlage eines Partners durchgehalten wird. Der Einsatz des gesamten Körpers und eine hohe Kraftanstrengung und Anspannung scheinen hierbei obligatorisch. Nach Beendigung des Kampfspieles durch Sieg bzw. Niederlage beginnen die Partizipanten zumeist auffallend schnell wieder von vorne. Zwischen Körperkontak und Distanz lassen sich verschiedene Aktionen beobachten. So zeigt sich in der Begegnung zwischen Mädchen und Jungen ebenfalls das distanzierte Kampfverhalten bei beiden Geschlechtern:
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»›Ja ich hab dann halt auch nicht so doll gemacht und (2) ja (3) ich musste dann halt auch aufpassen dass man sich halt jetzt auch nicht überall dann so berührt und so das will ich ja auch nicht‹« (Beobachtungsprotokoll vom 06. 02. 2013)
Das Interview, das direkt im Anschluss an ein Kampfspiel zwischen Adrian und einem Mädchen erstellt wurde, verdeutlicht ein Nicht-Berühren-Wollen des andersgeschlechtlichen Gegenübers. Adrian scheint dabei besondere Rücksicht auf seine Kampfpartnerin zu nehmen, er passt auf und macht »nicht so doll«. Enger und intensiver Körperkontakt scheint somit immer auch mit einer entsprechenden Wahrnehmung des Härtegrads verbunden. Mit den geschlechterdifferenten Kampfweisen des distanzierten sowie des engkörperlichen Zweikämpfens treffen in der Begegnung von Schülerin und Schüler zwei konträre Kampfweisen aufeinander. In einer geschlechterheterogenen Kampfspielkonstellation scheint dabei stets eine distanzierte Kampfweise dominant. »Joris: ›Mädchen sind ja nicht so stark wie jetzt Jungs oder so und lachen immer nur rum.‹ Joris, 10 Jahre, 4. Klasse)« (Interview vom 29. 11. 2012) »Florian:›Kämpfst du denn auch mal gegen Jungs?‹ Lena: ›Nein.‹ Florian:›Nein?‹ Lena: ›Jungs machen immer so doll und sind so ernst.‹ (Lena, 11 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 27. 02. 2013)
Der insbesondere bei den Mädchen wie auch bei den geschlechterheterogenen Paarkonstellationen beobachtbare Zweikampf in körperlicher Distanz kann zu dem Eindruck führen, »Mädchen sind ja nicht so stark wie jetzt Jungs oder so und lachen immer nur rum«. Über distanzierten Körperkontakt mit ausgestreckten Armen ist es kaum möglich und bedarf es einer großen Kraftanstrengung, die Partnerin oder den Partner auf die Matte zu legen. Dies scheint einen Eindruck von Schwäche zu vermitteln, wobei zugleich die Pausen zwischen den Bewegungen im distanzierten Zweikämpfen und das Lachen insbesondere der Schülerinnen diesen Eindruck verstärken. Die engkörperliche Kampfweise, welche insbesondere bei den Schülern beobachtbar ist, evoziert einen gewissen gefühlten Härtegrad, welcher den Bewegungen implizit scheint (s. Abb. 17). Die Beobachtung und das Erleben der engkörperlichen Zweikämpfe kann durch den intensiven Körperkontakt zu der Wahrnehmung führen: »Jungs machen immer so doll und sind so ernst«. Die Bedeutung der Kampfweisen für die Ablehnung von geschlechterhomogenen Kampfspielen seitens der Schülerinnen und Schüler lassen sich innerhalb der begleiteten Unterrichtseinheiten oftmals zu Beginn beobachten, wenn Schülerinnen und Schüler vorerst gemeinsam zu Kampfspielen aufgefordert werden und diese auch durchführen:
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Raumorientierungen
»Der Lehrer lässt nun alle SuS eine Mattenfläche in der Hallenmitte aufbauen. Hierbei zeigt sich erneut ein geschlechtsgetrenntes Zusammenfinden beim Tragen der einzelnen Matten. Nach Anweisung der Lehrkraft versammeln sich alle SuS auf dieser Mattenfläche. Es wird viel durcheinandergeredet und gelacht. Der Lehrer greift auf, dass manche Spiele ›auch mal etwas wehtun können‹, wenn keine langärmeligen Sportsachen angezogen werden, und erklärt das nächste Spiel ›Schildkrötendrehen‹. […] Die Jungen stürmen auf die Mädchen los und versuchen die Mädchen umzukippen, welche schnell ohne großen Widerstand umfallen. Die Mädchen hingegen versuchen mit ausgestreckten Armen etwas zaghaft die Jungen umzudrehen. Der Lehrer versammelt alle SuS auf der Mattenfläche, um mit ihnen Regeln abzusprechen, an die sich in Zukunft alle halten sollten. Zwei Mädchen äußern vor der Gruppe, dass bestimmte Körperbereiche tabu sein sollten. Zusammen mit dem Lehrer werden ›Tabuzonen‹ festgelegt (Brust, Genitalbereich, ab Schlüsselbein aufwärts). Dabei kichern viele Mädchen und Jungen. Von den Jungs werden Schlagen, Treten, Kratzen, Beißen (»Alles, was wehtut«) als verbotene Handlungen vorgeschlagen. Alle SuS verlangen, keine geschlechtsheterogenen Kämpfe mehr machen zu müssen. Die Mädchen sagen aus, dass die Jungs ›zu stark‹ seien, ›so wild‹, oder ›komisch anfassen‹. Die Jungs wollen ebenfalls keinen Körperkontakt mit Mädchen, das sei ›ekelig‹.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse)
Das Beobachtungsprotokoll verdeutlicht, wie differente Kampfweisen der Mädchen und Jungen von dem jeweils anderen Geschlecht wahrgenommen werden können. Die Mädchen versuchen auch hier, »mit ausgestreckten Armen« die Jungen umzudrehen und sind etwas »zaghaft«; die Jungen hingegen »stürmen auf die Mädchen los«, wobei diese »schnell ohne großen Widerstand umfallen«. Schließlich führt das von der Lehrkraft eingeforderte geschlechterheterogene Kampfspiel zu geschlechterstereotypen Zuschreibungen, »dass die Jungs ›zu stark‹ seien, ›so wild‹, oder ›komisch anfassen‹« und Körperkontakt mit den Mädchen wiederum sei »ekelig«. Entsprechend werden Regeln und ›Tabuzonen‹ eingeführt, und die Schülerinnen und Schüler verlangen, künftig nicht mehr miteinander kämpfen zu müssen.
6.2.3 Berührungspunkte Die Zweikampfsituationen im Sportunterricht sind stets durch differente und vielfältige Formen von Körperberührungen gekennzeichnet. In unterschiedlichen Körperstellungen berühren sich einzelne Körperteile der Ober- und Unterkörper. Wie im Kap. 6.2.2 dargestellt, können die Bewegungen der Ober- und Unterkörper im gemeinsamen Kampfspiel geschlechtsspezifisch beschrieben werden. So finden sich bei den Schülerinnen primär starre Unterkörper, welche stets eine räumliche Trennung und Distanz der interagierenden Körper aufrecht halten. Die Oberkörper werden dabei über die ausgestreckten Arme ebenfalls voneinander distanziert. Bei den Jungen hingegen lassen sich bewegliche Un-
Zweikämpfen zwischen Nähe und Distanz
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terkörper beobachten, die sich zueinander im Raum bewegen und somit durch gegenseitige Umarmungen oder körperliche Reibungen geeinte Oberkörper ermöglichen. Geschlechtsspezifische Differenzen werden somit wie dargestellt einerseits in der Art der Berührungen und andererseits in den Berührungspunkten einzelner Körperteile deutlich. In einigen wenigen Kampfspielen finden bereits zu Beginn der Zweikämpfe obligatorische Berührungen am Rücken statt. Hierbei lassen sich geschlechtsspezifische Differenzen in der Aufrechterhaltung des Körperkontaktes am Rücken feststellen. So scheinen die Schülerinnen, einen bloßen Körperkontakt über den Rücken eher beizubehalten als die Jungen, welche zumeist schnell von dieser Position loskommen und intensivere körperliche Auseinandersetzungen eingehen. Der folgende Ausschnitt aus dem Beobachtungsprotokoll verdeutlicht die geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Handlungsweisen im Rahmen eines Kampfspieles, bei dem sich die Partnerinnen und Partner Rücken an Rücken sitzend gegenseitig von einer Turnmatte schieben müssen: »Beide Mädchen sitzen Rücken an Rücken. Zusammen zählen sie bis drei und fangen langsam an, lachend ihre Rücken gegeneinander zu bäumen. Keines der beiden Mädchen bewegt sich von der Stelle. Beide stellen ihre Beine auf und es scheint, als drücken und lachen sie im Wechsel. Ihre Ausgangspositionen behalten sie stets bei.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse) »Die beiden Jungen sitzen Rücken an Rücken auf ihrer Turnmatte. Plötzlich drücken sie ohne anzuzählen gegeneinander. Von wem der erste Impuls ausgeht, ist nicht beobachtbar. Beide drücken eine Weile und bewegen sich dabei mithilfe der aufgestellten Beine kreisförmig über die Matte. Schließlich intensivieren sie das Spiel, indem sie ihre Rücken trennen und seitlich gegen die Schulter drücken, bis sie fast frontal voreinander sitzen.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse)
Während die Mädchen »sich nicht von der Stelle« bewegen und ihre Rücken somit stetig in Kontakt bleiben, drehen sich die Jungen herum und »intensivieren das Spiel, indem sie ihre Rücken trennen und seitlich gegen die Schulter drücken, bis sie fast frontal voreinander sitzen«. Ein ausschließlicher Körperkontakt über den Rücken ermöglicht keine so intensive körperliche Auseinandersetzung wie eine frontale Begegnung, welche durch den Miteinbezug mehrerer Körperteile gekennzeichnet ist. Die Schultern und Schulterregionen sind im spielerischen Zweikämpfen fortwährend aktiv. Geschlechtsspezifische Charakteristika im Umgang mit den Schultern zeigen sich während der Zweikämpfe. So nutzen die Schülerinnen die Schultern vorwiegend, um sie mithilfe der Arme zu ergreifen und auf Abstand zu halten (s. Kap. 6.3.2). Sie dienen damit als ein Entgegenstemmen, um somit die Partnerin auf Distanz zu halten.
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Raumorientierungen
Die Schüler hingegen nutzen die Schultern für einen intensiven Körperkontakt. So bilden die Schultern nach den Armen und Händen zumeist den ersten nahkörperlichen Berührungspunkt; gemeinsam mit der Brust stemmen sie sich frontal gegeneinander oder werden seitlich umschlungen. Da die Schultern nicht unabhängig vom Oberkörper existieren, sind diese charakteristischen Schulterbewegungen auf die Bewegungen der gesamten Oberkörper übertragbar und vermitteln somit wiederum die different-geschlechtsspezifischen Bewegungsformen zwischen nahkörperlichem und distanziertem Agieren (s. Kap. 6.3.2). Die Schultern dienen dabei stets als erster Berührungspunkt von eignem und fremden Körper. Im spielerischen Vollzug der Zweikämpfe werden die oberen und unteren Extremitäten entsprechend der körperlichen Intensität und der Distanz zueinander genutzt, in Abhängigkeit von der individuellen und gemeinsamen räumlichen Körperlage. Die Körperstellungen im Raum weisen entsprechende geschlechtsspezifische Charakteristika auf, womit der Einsatz der Extremitäten ebenfalls geschlechtlich zu differenzieren ist. »Alina und ich stehen voreinander. Alina muss die ganze Zeit etwas kichern und schaut ständig zu ihren Nachbarinnen. Ich habe das Gefühl, dass es ihr etwas unangenehm ist, vor den Augen ihrer Freundinnen mit mir zu kämpfen. Ich zähle bis drei, und wir beginnen, uns mit einer Hand gegenseitig über die Linie am Hallenboden zu ziehen […] Wir sitzen kniend gegenüber und als der Lehrer pfeift, stürzen wir aufeinander zu.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse) »Paul umarmt meine Schultern und versucht, mich so auf den Boden zu kriegen. Ich kann seine Umklammerung lösen. Wir sitzen gegenüber, warten kurz, bevor ich mich zu Paul bewege und wiederum seinen Körper umfasse […]« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse) »Ich liege in der ›Mausefalle‹ auf dem Bauch, mein Partner liegt über mir auf meinem Rücken. Wir zählen gemeinsam bis drei und beginnen dann mit dem Spiel. Ich versuche, mich aus der ›Falle‹ zu befreien, mein Partner versucht dies zu verhindern. Es ist ein sehr intensives Gefühl, da wir ständigen Körperkontakt haben, was bei mir ein Gefühl von Enge hervorruft. Mit den Beinen abstoßend versuche ich mich zu befreien, indem ich mich schnell hin und her bewege, um meinen Partner von meinem Rücken abzuschmeißen.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse)
Die Auszüge aus meinen eigenen Erfahrungen in Zweikampfsituationen verdeutlichen exemplarisch das Gefühl von beengender Nähe mit intensivem Körperkontakt und weiter Distanz mit wenigen Berührungspunkten. In dem Zweikampf im Stand mit Alina berühren wir uns lediglich an einer Hand, weiterer Körperkontakt ist dabei nicht vorhanden. Unsere Körper stehen frontal zueinander mit der Distanz von zwei Armlängen, ein Gefühl von Nähe oder Enge entsteht dabei nicht. Das zweite Beispiel verdeutlicht eine körperintensivere
Zusammenfassung
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Form des Zweikämpfens in Kniestellung. Das gemeinsame kämpferische Bewegen mit Paul ist durch Ruhephasen und Aktionsphasen gekennzeichnet (»Wir sitzen gegenüber, warten kurz, bevor ich mich zu Paul bewege.«). Der intensive Körperkontakt entsteht somit in kurzzeitigen Episoden, die allerdings zumeist schnell aufeinanderfolgen. Das dritte Beispiel ›Mausefalle‹ verdeutlicht eine Körperkontaktsituation, welche sich durch ständigen und sehr intensiven Körperkontakt auszeichnet: Unsere Körper befinden sich untereinander und stets zueinander, was »bei mir ein Gefühl der Enge hervorruft«. Diese Beispiele sind als entsprechend geschlechtertypische Bewegungshandlungen charakteristisch. Die Wahrung von Distanz mit frontaler Körperstellung zueinander und ausreichend Raum zwischen den Partizipanten ist ein Beispiel für das distanziert-körperlose Bewegungshandeln vorrangig der Mädchen. Die anderen Beispiele mit aufeinander zugerichteten, aber in stetigem Kontakt befindlichen Körpern, sind Beispiele für eher jungentypische Handlungsweisen und können je nach Intensivierungsgrad Gefühle von Enge und starker Nähe hervorrufen. Die Körperstellungen sind dabei grundlegend für das Aufeinandergerichtet-Sein der Partizipanten, die Extremitäten steuern die jeweiligen Bewegungen (»mit den Beinen abstoßend versuche ich mich zu befreien«) und führen schließlich zu Nähe oder Distanz.
6.3
Zusammenfassung
Die räumliche Orientierung der handelnden Subjekte scheint eine bedeutende Rolle für das leibkörperliche Erleben und das interaktive Präsentieren des eigenen Geschlechts zu spielen und somit Geschlechterdualitätskonstruktionen und damit geschlechterstereotypische Rollenzuschreibungen zu fördern. Innerhalb des Raumes sind die Schülerinnen und Schüler als »verkörperte Subjekte zu beschreiben, die soziale Phänomene und Gegenstandsbereiche wie Raum […] wahrnehmen und konstruieren […] ihr Körper ist Teil des wahrgenommenen Raumgefüges und fungiert als Projektionsfläche und Zielort für Zuschreibungsprozesse« (Modes, 2014, S. 343).
Innerhalb des Sportunterrichts versuchen sich die Schülerinnen und Schüler als verkörperte Subjekte bereits geschlechtsspezifisch voneinander abzugrenzen, es entstehen geschlechterhomogene Gruppierungen, innerhalb welcher die einzelnen Gruppenmitglieder wiederum durch die dargestellte Platzwahl ihr Geschlecht vor den Augen der Mitschülerinnen und Mitschüler inszenieren können. Die von den Schülerinnen und von den Schülern jeweils zusammengerückten Mattenflächen entsprechen damit einer Art
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Raumorientierungen
»›Aktivitätsinseln‹, in denen sie sich innerhalb der Peers ungestört in Szene setzen können« (Derecik, 2011, S. 248; Herv. i. Orig.).
Doch nicht nur die Inszenierung des eigenen Geschlechts innerhalb der eigengeschlechtlichen Gruppe scheint relevant, sondern ebenso das kämpferische Darstellen unter Beobachtung der gesamten Klasse: »Typisch für ein externalisierendes, überwiegend von Männern praktiziertes Risikohandeln ist, dass es in der Regel nicht in individueller Abgeschiedenheit stattfindet, sondern in einem kollektiven Rahmen. Nur vor einem – mehr oder minder großem – Publikum entfaltet sich sein sozialer Sinn.« (Meuser, 2011, S. 162)
Somit entstehen innerhalb der Zweikämpfe immer wieder neu hervorgebrachte Situationen von demonstrierten Kräfteverhältnissen, in denen die Mädchen und Jungen »ihre angeblich unterschiedliche ›Natur‹ gegenseitig wirkungsvoll vorexerzieren können. So kann der Eindruck aufrecht erhalten werden, daß alle Frauen in jederlei Hinsicht weniger Muskeln als Männer entwickeln« (Goffman, 1994, S. 143; Herv. i. Orig.).
Damit spielen das Beobachten anderer wie auch das Beobachtet-Werden durch die Mitschülerinnen und Mitschüler oder die Lehrkräfte eine herausgehobene Rolle, »das eigene Verhalten wird im Spiegel der Fremdwahrnehmung […] gesehen und möglicherweise entsprechend angepasst« (Welsche, 2014, S. 199),
wodurch sich deutlich geschlechtsspezifische Differenzen aufzeigen lassen. So scheinen die Mädchen, die ihren Blick nicht in die Sporthalle und zu ihren Mitschülerinnen und Mitschülern richten, Momente gefühlter, unbeobachteter Zweisamkeit zu empfinden und dabei ein stärkeres Engagement in den Zweikämpfen zu zeigen als ihre Partnerinnen, die wiederum den Blick auf die Mitschülerinnen und Mitschüler richten. Mit dem Gefühl des Beobachtet-Werdens scheint somit zugleich eine Hemmung vorhanden, körperlich konträr zu den verinnerlichten geschlechterspezifischen Bewegungsmustern zu handeln. Das als burschikos empfundene Bewegungshandeln im Zweikampf wird somit von den Schülerinnen in Momenten unter gefühlter oder tatsächlicher Beobachtung möglichst vermieden. Zugleich scheint ein gewisses Interesse an diesen zumeist konträr zu den eigenleiblichen Erfahrungen stehendem Bewegungshandeln zu bestehen, da das spielerische Bewegungshandeln in den Zweikämpfen in Momenten von gefühltem Nicht-Beobachtet-Werdens stärker ausgelebt wird. Das Anblicken der Mitschülerinnen und Mitschüler wirkte somit im leiblich-affektiven Betroffensein unmittelbar und geschlechtsspezifisch auf die Kampfweisen der Geschlechter.
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»Der Blick ist eine unteilbar ausgedehnte leibliche Regung vom Typ der unumkehrbar aus der Enge in die Weite führenden Richtung wie das Ausatmen und die Bewegungssuggestionen […], es wird ebenso am eigenen Leib gespürt wie am anderen wahrgenommen.« (Schmitz, 2003, S. 139)
Entsprechend scheint ein kämpferisches Agieren von Mädchen in den Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler eine Art Normbruch darzustellen und somit Gefühle von Scham und Peinlichkeit bei den Akteurinnen zu evozieren.186 »Scham wird leiblich als Engung erfahren, man hat den Eindruck, im Zentrum missbilligender oder höhnischer Blicke zu stehen und fühlt sich durch diese Blicke an seinen Ort in der Situation wie fest gebannt.« (Demmerling & Landweer, 2007, S. 220)
Damit dieses Schamgefühl überhaupt ausgelöst werden kann, müssen die handelnden Schülerinnen ein verinnerlichtes Bild von als typisch weiblich konnotierten Verhaltensmustern haben, welche konträr zu den Kampfspielen im Sportunterricht stehen. Die beengenden Gefühle von Scham erfassen die Schülerinnen dabei plötzlich und treten aufgrund der Inhalte und Präsentationen im Sportunterricht gehäuft auf. »Eine Häufung von Schamsituationen hat […] die Tendenz, Scham in ein anderes Gefühl wie etwa Angst vor möglicher Beschämung oder in Gefühls- und Verhaltensdispositionen […] umzuwandeln.« (ebd.)
Die Angst vor dem Bruch mit den Stereotypen der eigenen Geschlechtlichkeit tritt als leibliche Regung in Erscheinung. Die Angst ist im ganzen Leib räumlich absolut spürbar, sie tritt hier allerdings zumeist nicht unvermittelt als leibliche Regung auf, stattdessen hat sie »Resonanzfunktion im Ergriffensein von Atmosphären, die Gefühle sind« (Schmitz, 2003, S. 215). Diese Scham und die Angst vor dieser Scham sind verankert im gegenwärtigen Erleben (Schmitz, 1964, S. 192), die Schülerinnen versuchen, die aktuelle Situation des Zweikämpfens entsprechend so zu lösen, dass sie der Scham (und somit der Angst vor dem Beobachtet-Werden) entgehen. Die Jungen hingegen scheinen sich verstärkt kämpferisch zu inszenieren, wenn sie sich beobachtet fühlen, und lediglich in Momenten von gefühltem Nicht-Beobachtet-Werden ist zumeist eine niedrigere Aktivität im kämpferischkörperlichen Einsatz beobachtbar. Die Blicke der Mitschüler wirken aktivierend: »Blicke sind wie Speere; wenn sie nicht nur flüchtig abgleiten, sondern den Erblickten Aug’ in Auge treffen, entwickelt sich unwillkürlich, auch ohne Unterwerfungsabsicht, ein Ringen um Dominanz.« (Schmitz, 2003, S. 139) 186 Gemeint ist hierbei ein akut-episodisches Schamgefühl, »welches einen Beginn, einen Verlauf und ein Ende hat sowie mit einer charakteristischen Weise des leiblichen Erlebens einhergeht« (Demmerling & Landweer, 2007, S. 219).
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Raumorientierungen
Die Inszenierung vor den Mitschülerinnen und Mitschülern scheint mit dem positiven Gefühl von Stolz und dem Streben nach Anerkennung einherzugehen und zeigt sich somit konträr zu dem negativen Gefühl der Scham in der öffentlichen Präsentation des Zweikämpfens seitens der Schülerinnen. Wird Stolz als »ein positives Gefühl für den eigenen Wert« (Demmerling & Landweer, 2007, S. 245) beschrieben, dann setzt dieses Gefühl das Vertrauen der Jungen in die eigenen Kräfte innerhalb der Kampfspiele voraus. Ein Sieger ist stolz, ein Schüler der eine öffentliche Kampfsituation eingeht, tut dies entweder aufgrund vergangener positiver Erfahrungen und dem damit verbundenen Gefühl von Stolz, oder um ein positives Gefühl von Stolz zu erlangen (ebd.). Für eine Kampfsituation gegen Mädchen scheinen die Jungen allerdings zu stolz, da diese als generell unterlegen beschrieben werden und gleichsam stets die Gefahr besteht, seinen Stolz bei einer Niederlage gegen ein Mädchen zu verlieren und in ein Gefühl von Scham zu verkehren. Innerhalb der Jungengruppe besteht eine Art Achtung vor den Mitschülern, welche sich als gute Kämpfer ausgeben und im Mittelpunkt der Blicke ihre Zweikämpfe darstellen. Ihnen werden äußerlich sichtbare Räume gelassen, innerhalb welcher sie sich präsentieren können. Wäre die Achtung »ein Gefühl, welches wegen der innewohnenden Tendenz zu Abstand und Distanz Hierarchien erzeugt und festigt« (ebd., S. 49), so würde sich dieses leibliche BetroffenSein ebenfalls im beobachtbaren körperlichen Vollzug äußern, da die Könner (s. Kap. 6.1.1) mit körperlich-räumlichen Abstand zu den Mitschülern agieren. Der leibkörperliche Vollzug des gemeinsamen kämpferischen Sich-Bewegens in unterschiedlichen Ausprägungen von Nähe und Distanz zueinander (s. Kap. 6.2) lässt sich leibphänomenologisch über Prozesse der Ein- und Ausleibung beschreiben, da die Partizipanten immer auch leiblich einander wahrnehmen und aufeinander eingehen. Diese Formen der Einleibung (s. Kap. 3.3.4) können geschlechtsspezifisch unterschieden werden. So gelten im gemeinsamen Sich-Bewegen der Jungen »überwiegend harte, mit Gewalt verbundene Bewegungen als männlich« (Weigelt, 2010, S. 32). Das nahkörperliche Interagieren der Jungen findet dabei in einem stetigen Wechsel von Aktivität und Passivität statt. Hierbei scheint es sich um eine Form von wechselseitig-antagonistischer Einleibung zu handeln, »indem beide Partner simultan und rhythmisch wechselnd sowohl die Rolle der Spannung wie die der Schwellung, d. h. der gegen Weitung andrängenden Engung und der gegen Engung andrängenden Weitung« (Schmitz, 2003, S. 140)
übernehmen. Dies wird bereits bei mir als Forscherperson im Zuschauen deutlich, welches mich als Situation in einseitiger Einleibung leiblich-affektiv betroffen macht. So äußert sich das Betrachten des Zweikämpfens mit der konstanten Aufrechterhaltung der Spannung durch den ständigen Wechsel von
Zusammenfassung
221
Superiorität und reaktiven Abwehrhandlungen als leiblich spürbares Miterleben, da durch eigene Erfahrungen ein Mitfühlen der Akteure möglich ist. In dieser Form der Einleibung bilden sich wechselseitig aufeinander bezogene Adhoc-Leiber (s. Kap. 3.3.4) mit stetig wechselnder Dominanzrolle. Gleichsam ist sie als Form eines spielerischen Wettstreits antagonistisch; die Spannung entspringt dem Gegeneinandergerichtet-Sein. Gleichermaßen sind auch Formen von solidarischer Einleibung zu erkennen, wenn der dominante Partner zur Aufrechterhaltung der Spannung seine Position kurz verlässt, die dominante Rolle abgibt und ein temporär-gemeinsames Miteinanderkämpfen entsteht. Die dominante Rolle, wie beim Umklammern und Auf-die-Matte-Drücken des Gegenübers, impliziert dabei aus leibphänomenologischer Perspektive ein Gefühl von Weite und im Gegenüber wiederum einen sich als Engegefühl äußernden Widerstand, der in körperlichen Äußerungen wie der gegenseitigen Umklammerung und dem Entgegenstemmen leiblich wiederum auf den dominanten Partner gerichtet ist und im wechselseitigen Geschehen das Weitegefühl schließlich ablöst. Über diese zwischenleibliche Situation kam es somit zu einem ständigen Wechsel leiblicher Enge- und Weiteempfindungen der beteiligten Schüler. Es entstand ein gemeinsamer Leib: »Die Körpergrenze (Haut bzw. Haare) der Subjekte bleibt unverändert, ihre Leibgrenze reicht jedoch darüber hinaus und schließt sich zu einem gemeinsamen Leib zusammen.« (Gugutzer, 2012, S. 59)
Entgegen dem gegenseitig-wechselhaft vordringenden und prozesshaften gemeinsamen spielerisch-kämpferischen Sich-Bewegen der Jungen ist das distanziert-körperlose Agieren der Mädchen zu beobachten. Leibphänomenologisch kann diese Form des gemeinsamen Sich-Bewegens als solidarische Einleibung bezeichnet werden, da den Bewegungen der Charakter das Neben- bzw. Miteinander innewohnt. Die gemeinsame Situation des spielerischen Zweikämpfens, welche durch die Umgebung wie auch die Bewegungsaufgabe gekennzeichnet ist, erscheint hierbei als Antagonist zu den Akteurinnen. Das spielerische Zweikämpfen ist hierbei weniger durch das antagonistische Aufeinander-Bezogen-Sein charakterisiert, sondern lässt sich vielmehr in einem gemeinsamen Lösen der Bewegungsaufgaben beobachten. Die durch den Kampf charakterisierte bzw. als solche bezeichnete Bewegungssituation scheint ein grundsätzliches Engegefühl in den Schülerinnen auszulösen, die über ihre ausgestreckten Arme versuchen, sich gegenseitig auf Distanz – und damit aus der Enge hin zu einem Weitegefühl – zu halten. Treten in zumeist unbeobachteten oder von den Akteurinnen als unbeobachtet wahrgenommenen Zweikampfsituationen dennoch dominierende Handlungsmuster auf, sind diese lediglich bei einer Person beobachtbar, wes-
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Raumorientierungen
halb diese leiblichen Interaktionen als eine Form einseitiger Einleibung187 beschrieben werden können. Dies trifft ebenso auf geschlechterheterogene (Gruppen-)Kampfspiele zu, die zumeist durch einseitig passives Verhalten in den Bewegungssituationen vorschnell beendet werden (s. Kap. 6.2.2). Aufbauend auf diesen Betrachtungen scheint das geschlechterdifferente Verhalten in unmittelbarem Zusammenhang mit Berührungen und körperlicher Nähe und Distanz zu stehen: »Berührungen sind mit geschlechterstereotypen Zuschreibungen belegt, die für Frauen und Männer ein unterschiedliches Berührungsverhalten implizieren. Wollen Frauen und Männer diesen herkömmlichen Geschlechterbildern entsprechen, dann sind sie dazu angehalten, diese im Alltag selbst hervorzubringen.« (Wiegelt, 2010, S. 31)
Berührungen sind demnach stets geschlechtsspezifisch zu betrachten und können in den hier dargestellten Beobachtungen und Erfahrungen geschlechterdifferent-typisierend dargestellt werden. Das Alter der hier begleiteten Schülerinnen und Schüler spielt aufgrund des (vor-)pubertären Lebensabschnittes mit vielfältigen leibkörperlichen Veränderungen und Entwicklungen bei beiden Geschlechtern eine besondere Rolle. Nach Hermann Schmitz wird der körperliche Leib zwar als Einheit erlebt, ist dabei allerdings stets in Form von Leibesinseln strukturiert, welche labil hervordringen und verschwinden können (s. Kap. 3.3.3), wobei Schmitz kaum zwischen weiblichen und männlichen Leiberfahrungen unterscheidet und der Leibbegriff somit geschlechtsunspezifisch verwendet wird. Das Gefühl weiblich oder männlich zu sein fällt hingegen nach Lindemann (2011, S. 63) mit dem Spüren von Körperstellen zusammen, die symbolisch Weiblichkeit oder Männlichkeit repräsentieren. In den spielerischen Zweikämpfen werden Berührungen an entsprechenden Körperstellen geschlechtsspezifisch vermieden oder auch forciert. Als ein entscheidender Körperteil ist hierbei die Brustgegend zu nennen, welche nach Schmitz (1965, S. 289) durchlässig für »leiblich spürbare, hindurchziehende Impulse« scheint und in den Altersstufen der in dieser Untersuchung begleiteten Schülerinnen und Schülern bereits ein einsetzendes Wachstum erfährt. Den Brüsten der Schülerinnen, welche stets »als Paar, als Ganzes, d. h. als Einheit einer ›fleischlichen‹ Masse sinnlich wahrgenommen und leiblich gespürt« (Gahlings, 2006, S. 152) werden, kommt im Verlauf der Thelarche das Charakteristikum hinzu, »dass die heranwachsenden Brüste das gesamtleibliche Lot verändern, also in Haltung, Bewegung und in Berührung mit der Außenwelt (z. B. mit der Kleidung) als vom Körper 187 Die dominierenden Handlungsmuster liegen leiblicher Enge in der antagonistischen Einleibung stabil bei einer Person (s. Kap. 3.3.4).
Zusammenfassung
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abgehobene, mehr oder weniger stark vor- bzw. herausstehende ›Weichteile‹ gespürt werden« (ebd.).
Da die Brüste jenseits der Brustmuskulatur nicht angespannt werden können, sind sie Gahlings zufolge stets »passiv in das Leib-Sein eingegossen« und treten dabei »gelegentlich unangenehm ins Bewusstsein, als immerzu ›da‹ seiend, als aus dem gesamtleiblichen Empfinden herausgelöste, stetig spürbare Einheit« (ebd., S. 153; Herv. i. Orig.). Mit dem Brustwachstum ändert sich somit allmählich die Struktur der Leibesinseln, Bewegungen werden anders wahrgenommen und folglich auch anders ausgeführt. Über die ausgestreckten Arme und durchweg distanzierten Oberkörper ist ein Kontakt an den wachsenden Brüsten und somit eine temporär-lokale Leibesinselbildung im Zweikampf nicht möglich, nahkörperlicher Kontakt scheint während der Kampfspiele stets vermieden zu werden. Gleichsam erleben die Mädchen über die äußerlich sichtbaren körperlichen Veränderungen wie die Thelarche die »Bedeutungsmatrix der Geschlechterverhältnisse« (ebd., S. 267) am eigenen Leib. Die Jungen behandeln die Mädchen in geschlechterheterogenen Zweikampfsituationen entsprechend körperlich-distanziert, Berührungen finden auch hierbei kaum statt. Demgegenüber steht das nahkörperliche, von intensiven Leibkörpererfahrungen geprägte Zweikämpfen in geschlechterhomogenen Paarkonstellationen der Jungen. Die Leibesinseln der männlichen Brust (und anderer Körperregionen) scheinen unter dem Einfluss eminenter Spannung zu schwinden, das nahkörperliche Interagieren führt zu einer der Inselbildung antagonistisch ausgerichteten leiblichen Spannung, in welcher diese Inseln »von der Einheit des Leibes verschluckt« (Schmitz, 1965, S. 168) werden. Es entsteht ein gemeinsamer leiblicher Dialog von spürbarer Engung und Weitung in der Bewegungsdynamik des körperkontaktintensiven Vordringens und Zurückweichens. Insgesamt werden somit synästhetische Bewegungsqualitäten deutlich, welche geschlechtsspezifisch als hart und nah oder als weich und distanziert bezeichnet werden können und einerseits mit entsprechenden Bewegungen der Körper und körperlicher Orientierung im Raum verbunden sind, andererseits dabei in unmittelbarem Zusammenhang zu gespürten leiblichen Erfahrungen von Enge und Weite und Spannung und Schwellung stehen. Das wie beschrieben zu vermutende Schamgefühl der Schülerinnen, im Zweikampf öffentlich geschlechtertypisch konträr zu handeln und an bestimmten im Wachstum befindlichen und geschlechtsspezifisch konnotierten Körperstellen berührt zu werden, kann diese mit dem leiblichen Gefühl von Enge erfassen; die Distanzwahrung und der (frühzeitige) Abbruch von Kampfspielen führt dann hingegen zu einem befreienden leiblichen Weitegefühl. Im spielerischen Zweikampf der Schüler hingegen wechseln sich leibliche
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Raumorientierungen
Regungen von Enge und Weite ab, eine konstante Spannung wird im gemeinsamen nahkörperlichen Sich-Bewegen aufrechterhalten.
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Emotionsexpressionen
Die Darstellung der räumlich-dinglichen und sozialen Umwelt (s. Kap. 5), in welcher sich die entsprechenden Akteure räumlich zueinander positionieren und bewegen (s. Kap. 6) mündet nun in dem Fokus auf die verbale und körperliche Darstellung der emotionalen Befindens der leibkörperlich in das Feld eingebundenen Individuen. Hierzu werden einerseits die (Selbst-)Darstellungen der Schülerinnen und Schüler (s. Kap. 7.1), wie auch die diese Darstellungen begleitenden Verbalisierungen (s. Kap. 7.2) beschrieben, um schließlich emotionale Lautäußerungen, wie das Lachen oder Seufzen (s. Kap. 7.3) in seinen differenten Erscheinungsformen zu analysieren (im Überblick s. Tab. 8). Tab. 8: Inhaltliche Struktur der Emotionsexpressionen Selbstdarstellungen
Emotionale Lautäußerungen
Nachspielen Wrestling und Mixed Martial Arts Ironisierungen Herausfordern Sportliche Große und Schwere
Lachen Siegeslachen Erlösungslachen Entrüstungslachen Spannungslachen Fremdheitslachen Verzweiflungslachen
Verweigern Verletzte Abgrenzende
Lächeln Verlegen-vertrautes Lächeln Überlegendes Lächeln Seufzen, Stöhnen, Schreien Unlustseufzer Präsentationsstöhnen Schmerzschreie
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Emotionsexpressionen
(Fortsetzung) Verbalisierungen Selbstzuschreibungen Prä-Selbstzuschreibungen Post-Selbstzuschreibungen Fremdzuschreibungen Prä-Fremdzuschreibungen Post-Fremdzuschreibungen Situationsbeschreibungen Materialzuschreibungen Reglementzuschreibungen Präsentationszuschreibungen Spielformzuschreibungen
Dieses Kapitel setzt somit an den vorangegangenen Betrachtungen an und stellt die subjektiven und individuellen Ausdrucksformen der handelnden Akteure in den Vordergrund.
7.1
Selbstdarstellungen
Im Sportunterricht präsentieren die Kinder sich selbst vor den Augen der Mitschülerinnen und Mitschüler sowie der Lehrkräfte. Die geschlechtsspezifischen Ausdrucksformen im spielerisch-kämpferischen Verhalten äußern sich im Nachspielen (s. Kap. 7.1.1) von medialen Vorbildern, in Herausforderungen (s. Kap. 7.1.2) von in der Klasse als sportlich und schwergewichtig wahrgenommene Kinder und in Verweigerungen (s. Kap. 7.1.3) von Kampfspielen sowie Verletzungen und Abgrenzungen. In den differenten Ausdrucksformen des spielerisch-kämpferischen Sich-Bewegens werden somit geschlechtstypisierende Inszenierungen der sozialen Geschlechter deutlich, welche über die Selbstdarstellungen der Schülerinnen und Schüler ihren (körperlichen) Ausdruck finden.
7.1.1 Nachspielen Während der Unterrichtsstunden zum Kämpfen ergeben sich immer wieder kleine Pausen und Unterbrechungen des Unterrichts, welche von den Schülerinnen und Schülern unterschiedlich genutzt werden. Da sich während der Zweikampfspiele mehrere Paare bilden, die von der Sportlehrkraft nicht alle
Selbstdarstellungen
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stetig überblickt werden können, finden während der Bewegungszeit für diese Kampfspiele auch durchaus andere Bewegungsformen und Ausdrucksarten der Schülerinnen und Schüler in ihren Paarkonstellationen statt. Hierbei lassen sich geschlechtsspezifisch typisierende Ausdrucksformen unterscheiden, welche in sämtlichen begleiteten Unterrichtseinheiten beobachtbar sind und ebenso geschlechterdifferent von den zuschauenden Schülerinnen und Schülern unterschiedlich aufgenommen werden. Wrestling und Mixed Martial Arts kommen eine besondere Rolle zu: »Adrian schafft es, Torben unter großem Stöhnen auf den Rücken zu legen. Danach setzt sich Adrian wieder auf die Turnmatte. Torben springt auf und ruft: ›Batistabomb‹188, während er sich aus dem Stand langsam seitlich auf Adrian draufstürzt und neben ihm sitzen bleibt, während er ihn umschlungen festhält. Torben kann sich befreien und ruft: ›Jetzt wie bei UFC‹189 und beide raufen unter lautem Stöhnen auf dem Boden weiter, indem sie sich abwechselnd auf den Boden legen und bestimmte Kampfszenen nachzuspielen scheinen. Die beiden Schülerpaare links und rechts von Torben und Adrian feuern die beiden lauthals an, bis schließlich der Lehrer kommt und das Spiel unterbricht.« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse)
Das Nachspielen von aus den Medien bekannten sportlichen Kampfdarstellungen äußert sich explizit im Verhalten der Jungen. Insbesondere das im Fernsehen ausgestrahlte Wrestling scheint dabei eine Sonderrolle einzunehmen: »Wrestling ist eine Art Catchen und ein Show-Kampf, bei dem grotesk kostümierte Männer, gelegentlich auch Frauen, gegeneinander antreten, sich wüst beschimpfen, brutal angreifen und so unfair zuschlagen oder zutreten, daß es eigentlich zu schlimmen, ja sogar tödlichen Verletzungen kommen müßte.« (Bachmair, 1996, S. 13)
Das als Schaukampf inszenierte Wrestling wird geschlechtsspezifisch von den Jungen besonders in der Öffentlichkeit, unter den Blicken insbesondere der Mitschüler, nachgespielt. Ebenso scheinen bereits in der Grundschule Mixed Martial Arts-Kämpfe bei den Jungen rezipiert zu werden. Diese Form des Zweikampfes stellt im Gegensatz zum Wrestling keinen Schaukampf dar und wird zudem »in den (deutschen) Massenmedien zumeist nicht als Sport dargestellt« (Staack, 2013b, S. 131). Innerhalb der Kampfspiele ist oftmals beobachtbar, dass die beteiligten Schüler aus dem engen Reglement ausbrechen und in Form des Nachspielens medialer Vorbilder frei und unreglementiert miteinander balgen, ohne sich gegenseitig ernsthaft zu verletzen. Entweder geschieht dies im Anschluss an ein Kampfspiel (s. voriges Zitat aus Bewegungsprotokoll) oder es entwickelt sich eine Eigendynamik im gemeinsamen Bewegungsvollzug 188 Batistabomb bezeichnet eine Technik aus dem Wrestling, benannt nach dem Wrestler Dave Batista. 189 UFC steht für Ultimate Fighting Championship und bezeichnet eine Mixed-Martial-ArtsOrganisation, die entsprechende Vergleichskämpfe weltweit medienwirksam organisiert.
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Emotionsexpressionen
während des Kampfspieles. Während dies jederzeit geschehen kann, findet das unreglementiert-freie Raufen im Anschluss an ein Kampfspiel (und somit nach einer kurzen Unterbrechung) lediglich statt, wenn die partizipierenden Jungen von ihren Mitschülern beobachtet werden. Das Nachspielen von Wrestling oder Mixed Martial Arts-Kämpfen scheint somit einerseits im lustvoll-gemeinsamen kämpferischen Tun zu entstehen, andererseits dient es als Selbstdarstellungsform bzw. Präsentationsform vor den Mitschülern. Mit den medialen Vorbildern Wrestling oder Mixed Martial Arts scheinen zugleich geschlechtsspezifische Rollenerwartungen und typisierende Zuschreibungen einherzugehen, wie das folgende Zitat belegt: »Eren: ›Ja und dann haben wir so Wrestling gemacht.‹ Florian:›Dann habt ihr Wrestling gemacht?‹ Eren: ,Ja (3) das war richtig cool. Weil die beim Wrestling sind ja auch so stark und so (2) die machen dann da richtig doll und haben ja auch voll Muskeln. Das guck ich dann manchmal mit meinem Bruder und dann machen wir das auch so nach (4) Weil das halt einfach so cool aussieht.‹ Florian:›Aha (2) und dann habt ihr das im Sportunterricht auch gemacht?‹ Eren: ›Ja hab ich dann halt mit Adrian oder Tim zusammen. Wir haben das so zusammen dann gespielt weil wir das ja gut können. Das können nur die starken Jungen und nicht alle, man muss das halt gucken.‹ Florian:›Nur die starken Jungen können das?‹ Eren: ›Ja weil das halt (3) das muss man halt gucken damit man das spielen kann. So dann muss man stark sein damit man das kann und das sind ja nicht alle. Und die Mädchen können das dann auch eh nicht weil die halten ja dann auch beim Wrestling immer nur die Zahlen. Aber die Jungs können das auch nicht alle halt nur die die Wrestling kennen.‹ (Eren, 10 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 06. 03. 2013)
In diesem Interviewauszug werden explizite Rollenerwartungen mit dem Wrestling verbunden. So scheint der Schaukampf stets von Männern mit muskulösem Körperbau durchgeführt zu werden, woraus Adrian folgert, dass lediglich die »starken Jungen« entsprechend das Wrestling nachspielen können. Dies scheint geschlechtsspezifisch – die Mädchen schließt er grundsätzlich davon aus –, denn diese haben nach Ansicht Adrians lediglich die Aufgabe, als Nummerngirl zwischen den Runden »immer nur die Zahlen« hochzuhalten. Das Wrestling wird somit – obwohl durchaus auch Frauen-Wrestling existiert – zu einem reinen Männersport, welcher ausschließlich von starken, muskulösen Jungen nachgespielt werden kann, die sich mit Wrestling auskennen. Somit wird das Schauen von Wrestling ebenfalls wichtig, da bereits das Anschauen von Wrestlingkämpfen zu implizieren scheint, dass es sich bei den Zuschauenden um »starke Jungs« handelt.190 190 Zur kindlichen Identifikation mit Wrestling-Figuren vgl. Aufenanger (1996).
Selbstdarstellungen
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Während die Schüler somit Wrestling-Kämpfe oder Mixed Martial Arts nachspielen, ist dies bei den Schülerinnen nicht zu beobachten. Allerdings werden innerhalb von Mädchengruppen derartige Darstellungen der Jungen oftmals ironisch rezipiert, was nachfolgend als alberner Jungenkampf beschrieben wird. Weiterhin können starke Ironisierungen in der Darstellung der Kämpfe beobachtet werden. So werden innerhalb geschlechtshomogener Mädchengruppen, die im Laufe des Sportunterrichts durch die Wahl der Mattenlage im Raum (s. Kap. 6.1) immer wieder gebildet werden, die (Selbst-)Darstellungen der Jungen in Form von nachgespielten (Wrestling-)Kämpfen oftmals aufgegriffen und überzogen nachgestellt: »Lena und Marie beobachten zwei Jungen, wie sie laut stöhnend und begleitend einen Kampf darstellen. Schließlich fordert die Lehrerin die beiden auf weiterzukämpfen. Lena muss lachen, während Marie die Handlungen der Jungen nachzumachen scheint und mit tief gestellter Stimme leise ruft: ›Uuuu – ich bin der Stärkste und Beste und keiner ist besser ich!‹ Das benachbarte Mädchenpaar muss daraufhin ebenfalls lachen und unterbricht den eigenen Kampf. Lena und Marie kämpfen ebenfalls nicht weiter.« (Beobachtungsprotokoll 06. 02. 2013, 5. Klasse)
Dieser Auszug verdeutlicht, dass der kämpferische Bewegungsvollzug der Mädchen unterbrochen wird, hierbei durch Marie, welche die Darstellungen der Jungen überzogen nachahmt. Der Kampf wird somit von den Schülerinnen als etwas Jungenspezifisches und durch die entsprechenden Darstellungen als etwas Albernes wahrgenommen, was wiederum dazu führte, dass die Mädchen ihre eigenen Zweikämpfe unterbrechen. Dies betrifft dabei nicht ausschließlich Lena und Marie, sondern ebenso die benachbarten Mädchenpaare, allerdings nicht die Jungenpaare, von denen einige dieses Verhalten durch die räumliche Nähe in der Situation ebenfalls mitbekommen. Die Darstellung und Präsentation der Jungen im Nachspielen medialer Schaukämpfe wird somit zu einer Möglichkeit der Abgrenzung der Mädchen von derartigen kämpferischen Bewegungen, wodurch ebendieser kämpferische Bewegungsvollzug als etwas typisch Männliches erscheint.
7.1.2 Herausfordern Während die Kampfspiele jeweils von der Lehrkraft angeleitet und nach einer vorhergehenden Partnerwahl schließlich durchgeführt werden, finden ebenso immer wieder Herausforderungen einzelner Schüler statt. Einerseits werden dabei Mitschüler während der Partnerwahl herausgefordert, andererseits werden im Kontext der Kampfspiele bestimmte Mitschüler oder die Lehrkraft
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Emotionsexpressionen
herausgefordert oder es werden einzelne Schüler aufgrund ihrer körperlichen Konstitution oder Stellung in der Klasse von den Mitschülern zu bestimmten Paarkonstellationen gedrängt. So wird dem Sportlichsten oder dem Größten in der Klasse oftmals kämpferische Überlegenheit zugesprochen, und es werden entsprechende Partner gesucht. Dieses Phänomen der Herausforderung ist dabei als ausschließlich jungenspezifisch zu betrachten. Bei den Schülerinnen können Formen von Herausforderungen nicht beobachtet werden, vielmehr scheint hier die Wahl der Partnerin ausschließlich auf bestehende Freundschaften zurückzugehen. Herausforderungen werden hierbei als Emotionsexpressionen verstanden, da die Herausforderung anderer immer auch ein Ausdruck eigener emotionaler Zustände ist, in welcher die Selbsteinschätzung eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Ein besonderes Können wird den Sportlichen zugesprochen: »Dorian: ›Joris ist halt einer der besten Kämpfer weil er halt am besten Sport kann von allen aus der Klasse, also mit mir zusammen.‹ (Dorian, 9 Jahre, 4. Klasse)« (Interview vom 29. 11. 2012)
In den Schulklassen aller begleiteten Schulstufen fanden sich stets einzelne Schüler, die von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern als Sportlichste beschrieben wurden. Aufgrund der Sportlichkeit wurde diesen Kindern zugleich die Eigenschaft zugeschrieben, sie seien auch die »besten Kämpfer«. Auffällig war, dass die Sportlichsten einerseits stets männlich waren, andererseits bei Zweikämpfen unter den Blicken der Mitschülerinnen und Mitschüler zumeist gegen kleinere bzw. von der sichtbaren körperlichen Konstitution nach zu urteilen als schwächer beschreibbare Kinder kämpften: »Joris: ›Dann hab ich zum Glück gegen Samir gekämpft und da konnte ich dann auch schnell gewinnen. Die anderen haben schon immer so gesagt Ja: Joris: du musst halt immer gewinnen, du bist doch eh der Beste: (2) Deshalb war das dann ganz gut das ich auch gewonnen hab und halt der beste Kämpfer bin.‹ (Joris, 10 Jahre, 4. Klasse)« (Interview vom 29. 11. 2012s)
Joris wird von seinen Mitschülern als sehr sportlich beschrieben. In dem Auszug aus diesem Kurzinterview, welches direkt im Anschluss an eine Zweikampfsituation mit ihm durchgeführt wurde, wird seine Einstellung dazu deutlich. So scheint es für Joris aufgrund der erlebten Zuschreibungen der Mitschüler (»du musst halt immer gewinnen, du bist doch eh der Beste«) wichtig, diesen Zuschreibungen auch zu entsprechen. Durch den Sieg gegen den deutlich kleineren Samir (»zum Glück gegen Samir«) kann Joris seine ihm zugeschriebene Stellung als Sportlichster bzw. »bester Kämpfer« behaupten. Ebenso wie die Sportlichsten werden spezifisch beim Kämpfen große und schwere Kinder von den Mitschülerinnen und Mitschülern als Überlegene
Selbstdarstellungen
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charakterisiert. Insbesondere adipöse Kinder werden im Kontext der Kampfspiele als unbesiegbar stigmatisiert: »Eren: ›Timo ist halt voll schwer (2) ja und deshalb kann man den dann auch bei den Spielen kaum besiegen, da haben die Dicken dann immer n Vorteil.‹ (Eren, 10 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 06. 03. 2013)
Die Aussage von Eren, dass innerhalb der Zweikampfspiele »die Dicken dann immer n Vorteil« haben, verdeutlicht exemplarisch die Stigmatisierung von adipösen Jungen im Sportunterricht, wobei diese hierbei nicht als faul oder unsportlich charakterisiert werden, sondern aufgrund ihrer körperlichen Konstitution bzw. ihres Gewichtes als stets im Zweikampf überlegen. In den begleiteten Unterrichtseinheiten kann ich vielfach beobachten, dass diese Jungen von ihren Mitschülern oftmals herausgefordert werden, welche sich an ihnen messen wollen. Da im Sportunterricht keine Technikvermittlung im Bereich Kämpfen stattfindet (s. Kap. 5.2.1), gewinnen auch stets die schwereren und stärkeren Kinder. Ebenso wie das Körpergewicht scheint auch die Körpergröße auf die Anzahl der Herausforderungen zu wirken. So suchen zahlreiche Schüler die Möglichkeit, sich im Zweikampf mit größeren Mitschülern, der Lehrkraft oder mit mir zu messen, da ich größer und somit auch stärker erscheine. Auffallend dabei ist, dass die als Sportlichsten der Klasse charakterisierten Schüler nicht die Herausforderung mit Größeren suchen. Scheinbar wären in einer derartigen Konstellation die Wahrscheinlichkeit einer Niederlage und somit der Verlust des Status’ der Unbesiegbarkeit zu sehr erhöht gewesen.
7.1.3 Verweigern Verweigerungen und Unterbrechungen von Zweikämpfen sind in vielfältigen und geschlechterdifferenten Formen zu beobachten. Sind es bei den Schülerinnen zumeist beide Partnerinnen, unabhängig von ihrer körperlichen Konstitution, die bereits zu Beginn von Kampfspielen versuchen, ihre Gefühle des Nicht-Kämpfen-Wollens über Verweigerungsformen auszudrücken, so scheinen es bei den Jungen primär die unterlegenden Jungen zu sein, die versuchen, Kampfspiele zu unterbrechen oder zu verweigern. Nachfolgend werden Verletzungen als körperliche Darstellung von Verweigerungen beschrieben und unter dem Aspekt körperlicher Abgrenzung beleuchtet. Verletzungen und Schmerzen, welche zumeist mit einem kurzen lauten Aufschrei verbunden sind (s. Kap. 7.2.6), werden geschlechtsspezifisch different geäußert:
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Emotionsexpressionen
»Als Eren es fast schafft, Tim auf den Boden zu drücken, schreit Tim kurz ›Aua‹ und hält seinen Ellenbogen fest. Eren lässt ab von Tim, während dieser sich über den Boden rollt und seinen Ellenbogen festhält. Dabei ruft er Eren zu, dass sein Ellenbogen doch noch von einem Sturz beim Fußball wehtun würde. Als der Lehrer das Kampfspiel direkt danach für alle Kinder abpfeift, scheint Tims Ellenbogen wieder in Ordnung zu sein, da er sich auf seine Ellenbogen abstützt, während der Lehrer die Kinder auffordert sich neue Partner zu suchen.« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse)
Zum Zeitpunkt einer drohenden Niederlage stellt Tim seinen Schmerz im Ellenbogen dar, indem er »sich über den Boden rollt und seinen Ellenbogen festhält«, womit das Kampfspiel unterbrochen und somit die Niederlage verhindert werden. Während der restlichen Kampfdauer signalisiert Tim über dieses Rollen seinen anhaltenden Schmerz, wodurch das Kampfspiel nicht wieder aufgenommen werden kann. Erst nach dem Abpfiff und der Erklärung des kommenden Spiels durch die Lehrkraft ist ein Schmerz im Ellenbogen bei Tim nicht mehr äußerlich sichtbar. »Aileen und Lisa laufen gemeinsam zu ihrer Turnmatte. Plötzlich humpelt Aileen und sagt zu Lisa, dass sie umgeknickt sei und nun nicht mehr an dem Kampfspiel teilnehmen könne. Lisa stützt sie und beide setzen sich auf eine Bank. Als der Lehrer kommt und die beiden auffordert, an dem Spiel teilzunehmen, antwortet Aileen, dass sie umgeknickt sei. Lisa fasst an ihre Schulter mit der Antwort, dass sie beim Stützen von Aileen ihre Schulter verstaucht habe. Der Lehrer schüttelt den Kopf und verlässt die beiden mit den Worten, dass sie doch bitte versuchen sollen, beim nächsten Spiel wieder mitzumachen.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse)
Dieser Beobachtungsprotokollauszug verdeutlicht exemplarisch eine äußerlich sichtbare Darstellung von Schmerzen oder Verletzungen, welche von den Mädchen vor einem Kampfspiel präsentiert wird. Durch das Humpeln von Aileen verdeutlicht diese die unmögliche Teilnahme an dem Kampfspiel, was von Lisa (ohne dies zu hinterfragen) sofort aufgenommen wird. Lisa greift die Verletzung von Aileen auf, um dem Lehrer gegenüber eine eigene Verletzung und damit die Nichtteilnahme an dem Kampfspiel zu rechtfertigen. Entgegen der Emotionsexpression der Jungen in der Darstellung von Schmerzen des Unterlegenden sind bei den Mädchen beide Akteurinnen betroffen. Neben der Darstellung von Verletzungen werden, insbesondere in Momenten geschlechterheterogener Kampfspiele, entsprechende Paar- und Gruppenkonstellationen über körperliche Abgrenzung abgelehnt und somit ein gemeinsames Kämpfen unterbunden. Die körperlich-abgrenzende Verweigerung der Teilnahme an Kampfspielen tritt in Situationen während des Sportunterrichts auf, in denen entweder ein Kampfspiel aufgrund empfundener unfairer Rahmenbedingungen verweigert wird, oder in denen geschlechtsspezifische Zuschreibungen (s. Kap. 7.2) mit einer körperlichen Distanzwahrung zum anderen Geschlecht verbunden sind
Verbalisierung
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und somit keine geschlechterheterogenen Kampfspiele durchgeführt werden können. So grenzen sich in sämtlichen von mir begleiteten Unterrichtsstunden die Mädchen und Jungen räumlich voneinander ab (s. Kap. 6.1) und bilden geschlechterhomogene Gruppen. In den wenigen Gruppenkämpfen, welche (zumeist zu Beginn einer Unterrichtseinheit) geschlechterheterogen durchgeführt werden, kommt es durchgehend lediglich zu kurzzeitigem Körperkontakt (s. Kap. 6.2), während die Schülerinnen und Schüler sich schnell voneinander distanzieren. Diese Abgrenzungen finden dabei immer im körperlichen Vollzug statt, führen zu Verweigerungen von Kampfspielen und werden zumeist von verbalen Äußerungen begleitet. Diese werden im folgenden Kapitel genauer beschrieben.
7.2
Verbalisierung
Mit dem Begriff der Verbalisierung werden nachfolgend verbale Äußerungen der Schülerinnen und Schüler während des Sportunterrichts beschrieben, welche von den Personen der unmittelbaren Umwelt (hier die Mitschülerinnen und Mitschüler, die Lehrkraft und ich als teilnehmender Beobachter) verstanden werden können, aber nicht unweigerlich an jemanden gerichtet sein müssen. Die Verbalisierungen können dabei auf das eigene Selbst gerichtet sein und somit Selbstzuschreibungen implizieren, oder sich in Form von Fremdzuschreibungen, welche oftmals mit (Geschlechter-)Stereotypen verbunden sind, auf die Mitschülerinnen und Mitschüler beziehen. Die Verbalisierungen sind dabei stets situativ eingebunden und können sich schließlich ebenso auf den entsprechenden situativen Kontext beziehen.
7.2.1 Selbstzuschreibungen Verbale Selbstzuschreibungen finden sich schulstufenübergreifend und geschlechterunabhängig bei nahezu allen Schülerinnen und Schülern. Oftmals werden sie direkt vor entsprechenden Kampfspielen oder im Anschluss an diese geäußert. Prä-Selbstzuschreibungen äußern sich folgendermaßen: »Als Tim sich mir gegenüber auf die Turnmatte setzt, schaut er mich an und sagt mir, dass er ja nicht so groß und stark sei und er ja eigentlich eh keine Chance hat, aber trotzdem ›es einfach mal versuchen‹ möchte.« (Beobachtungsprotokoll 06. 02. 2013, 5. Klasse)
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Emotionsexpressionen
»Lisa und Sarah sitzen sich nun wieder gegenüber. Sarah sagt, dass sie nie gewinnt, weil sie ›einfach nicht kämpfen‹ könne. Dennoch zählen beide Mädchen gemeinsam bis drei und beginnen mit dem Kampfspiel. Lisa fast Sarah mit ausgestreckten Armen an den Schultern und dreht sie ohne Widerstand Sarahs auf den Rücken. Das Kampfspiel ist damit nach ca. 20 Sekunden beendet. Sarah sagt: ›Siehst du, hab ich dir doch gesagt, dass ich nicht kämpfen kann.‹ Sie steht wieder auf, und beide setzen sich auf die Turnmatte und beobachten das kämpfende Nachbarpärchen.« (Beobachtungsprotokoll 09. 04. 2013, 4. Klasse)
Diese Auszüge verdeutlichen Selbstzuschreibungen, welche vor einem Zweikampf von einer Akteurin und einem Akteur verbalisiert werden. In beiden Fällen scheinen die Kinder keine große Hoffnung zu hegen, den nachfolgenden Kampf gewinnen zu können. Das bereits im Vorfeld geäußerte mögliche Verlieren wird entsprechend gerechtfertigt. Bei diesen Rechtfertigungen lassen sich anhand der Auszüge exemplarische Geschlechterdifferenzen aufzeigen. So äußert Tim, dass er aufgrund meiner Größe und Stärke »eh keine Chance hat« und relativiert damit sogleich eine mögliche Niederlage, da es sich scheinbar nicht um ein ernstes und faires Kampfspiel handele, sondern er es lediglich »einfach mal versuchen möchte«. Sarah hingegen bezieht ihre Selbstzuschreibung nicht aus entsprechenden Merkmalen des Gegenübers, sondern rechtfertigt zu Beginn bereits ihre bevorstehende Niederlage, da sie »nie gewinnt, weil sie einfach nicht kämpfen könne«. Dieses Merkmal scheint ihrer Person eigen und somit unabhängig von der Situation und der Partnerin zu sein. In einer Form der »self-fulfilling prophecy« (Merton, 1948) lässt sich Sarah bereits »nach ca. 20 Sekunden« und »ohne Widerstand« besiegen. Die Erfüllung ihrer bereits im Vorfeld geäußerten Erwartungshaltung der Niederlage und das ihr somit inhärente Merkmal einer ewigen Verliererin in den Zweikämpfen verdeutlicht sie schließlich noch einmal mit den Worten: »Siehst du, hab ich dir doch gesagt dass ich nicht kämpfen kann.« Prä-Selbstzuschreibungen, welche im Vorfeld eines Kampfes geäußert werden, müssen allerdings nicht immer negativ konnotiert sein: »Die Lehrerin fordert die Kinder auf, sich entsprechende Partner zu suchen und sich dann in der Halle zu verteilen. Eren ruft lauthals, dass er ›eh der Beste‹ sei und bisher noch keiner gegen ihn gewinnen konnte. Dann kommt er zu mir und fragt, ob ich mit ihm kämpfen könne, damit er mal richtig kämpfen kann. Da die anderen Kinder sich bereits alle in Paaren zusammengefunden haben, suchen Eren und ich uns eine Matte.« (Beobachtungsprotokoll 06. 02. 2013, 5. Klasse)
Entgegen den Prä-Selbstzuschreibungen einzelner Schülerinnen und Schüler, die versuchen, mit diesen eine eventuell bevorstehende Niederlage zu erklären, beschreibt Eren sich selbst als »der Beste«, gegen den noch niemand gewinnen konnte. Da er dies lauthals während der Wahl der Partnerinnen und Partner für
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die bevorstehenden Kampfspiele äußert und sich für ihn scheinbar kein Partner findet, sucht er den Kontakt zu mir, »damit er mal richtig kämpfen kann.« Eren stellt damit sein Können verbal über das der anderen, seine laute Selbstzuschreibung wird von vielen Mitschülerinnen und Mitschülern gehört. Dies scheint als ein geschlechtstypisch männliches Phänomen vorzukommen und kann in den begleiteten Unterrichtseinheiten bei den Schülerinnen weder vor der Klasse noch gegenüber der Partnerin beobachtet werden. Folgende Post-Selbstzuschreibungen werden beobachtet: »Florian: ›Könntet ihr mir denn nochmal was über euer Kämpfen gerade auf der Matte erzählen?‹ Eren: ›Ich habe gewonnen ((lachend))‹ Tim: ›Jetzt hab ich halt verloren, aber nur weil ich auch nicht so richtig gemacht habe. Eigentlich kann ich das so besser, aber heute habe ich so gedacht (2) habe ich nicht Lust gehabt beim Kampf, dann hab ich halt verloren.‹« (Beobachtungsprotokoll vom 13. 02. 2013)
Post-Selbstzuschreibungen werden stets im Anschluss an entsprechende Kampfspiele verbal geäußert und erklären zumeist den jeweiligen Ausgang des Kampfes aufgrund von Ursachen, die der eigenen Person und dem eigenen Verhalten zugeschrieben werden. So erklärt Tim im Anschluss an das gemeinsame Kampfspiel, er habe verloren, da er »nicht so richtig« mitgemacht habe und lustlos war. Dieses Phänomen zeigt sich zwar geschlechterübergreifend, allerdings auch dabei in unterschiedlicher Ausprägung. Während Tim über seine selbstzuschreibende Äußerung die eigene Niederlage relativiert (wenn er Lust gehabt hätte und »richtig gemacht« hätte, dann hätte er vielleicht auch gewonnen), findet bei den Schülerinnen zumeist lediglich eine Bestätigung von bereits geäußerten Prä-Selbstzuschreibungen statt, wie in der Prä-Selbstzuschreibung von Lisa und Sarah (zweites Beispiel im Kap. 7.2.1) beschrieben.
7.2.2 Fremdzuschreibungen Zuschreibungen bestimmter Eigenschaften und Merkmale bzw. Typisierungen der Mitschülerinnen und Mitschüler untereinander sind alltäglicher Bestandteil des Sportunterrichts. Innerhalb der spielerischen Zweikämpfe werden derartige Fremdzuschreibungen in geschlechtsspezifisch-differenten Formen genutzt, um Zweikämpfe zu vermeiden oder Niederlagen und Gewinne entsprechend zu beschreiben. Wie die Selbstzuschreibungen (s. Kap. 7.2.1) lassen sich auch die Fremdzuschreibungen dabei insbesondere vor und nach den (Zwei-)Kampfspielen beobachten.
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Prä-Fremdzuschreibungen vor Kampfspielen finden in vielfältigen Ausprägungen statt: »Wir sitzen alle im Halbkreis, während die Lehrerin uns erklärt, dass bei dem nächsten Spiel die Mädchen auf der Weichbodenmatte sitzen und die Jungen versuchen müssen, diese von der Matte zu kriegen. Ein Mädchen ruft laut: ›Nee, gegen die Jungen wollen wir nicht kämpfen!‹ Ihre Nachbarin sagt: ›Die machen immer so doll!‹ und eine weitere Schülerin hakt ein: ›Außerdem stinken die!‹ Nun melden sich auch meine beiden Nachbarn zu Wort, und die Jungen rufen ebenfalls, dass sie nicht gegen die Mädchen kämpfen wollen, weil diese immer so ›zickig‹ und ›schwach‹ wären und dies somit keinen Spaß mache. Die Lehrerin lenkt ein und lässt die Klasse schließlich vier eigene Gruppen bilden.« (Beobachtungsprotokoll 05. 11. 2012, 4. Klasse)
Der Beobachtungsauszug verdeutlicht dabei die Bedeutung von Geschlechterstereotypen in der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler. So bezeichnen die Schülerinnen die Jungen als stinkend (»Außerdem stinken die!«) und grob (»Die machen immer so doll!«). In den Vorstellungen der Schüler hingegen sind die Mädchen »zickig« und »schwach«. Diese geschlechterstereotypen Vorurteile, welche von den Schülerinnen und Schülern bereits in den ersten Stunden vor jeglicher Erfahrung in geschlechterheterogenen Kampfspielen geäußert werden, führen schließlich zu einer Vermeidung des von der Lehrkraft angekündigten geschlechterheterogenen Kampfspiels. Allerdings existieren durchaus auch Prä-Fremdzuschreibungen, welche sich nicht explizit auf das Geschlecht des Gegenübers beziehen: »Während sich nun fast alle Schülerinnen und Schüler in entsprechenden Paaren zusammengefunden haben, kommt Alyssa auf Lara zu, da die beiden Mädchen und ein Junge übriggeblieben sind. Lara ruft: ›Nee! Gegen Alyssa mach ich nicht, die ist zu schwer, da hab ich keine Chance!‹ Da jedoch sonst kein weiteres Mädchen übrigbleibt, finden sich Lara und Alyssa schließlich doch zusammen.« (Beobachtungsprotokoll 06. 02. 2013, 5. Klasse)
Dieser Auszug verdeutlicht Prä-Fremdzuschreibungen, unabhängig von geschlechterstereotypen Voreinstellungen. So beschreibt Lara Alyssa als »zu schwer«, um sie in einem Kampfspiel besiegen zu können. Wie bereits bei den Prä-Selbstzuschreibungen wird auch hier deutlich, dass eventuell drohende Niederlagen in diesem Fall durch Eigenschaftenzuschreibungen des Gegenübers relativiert werden. Hingegen kann eine Prä-Fremdzuschreibung, welche dem Gegenüber schwächere und unterlegenere Eigenschaften zuschreibt, nicht unabhängig von Geschlechterstereotypen beobachtet werden (die Mädchen sind schwächer, die Jungen sind grob). Weiterhin werden folgende Post-Fremdzuschreibungen geäußert:
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»›Die Jungs machen immer so doll und sind halt auch stärker, da wollen wir nicht gegen die‹, ruft Lena mittenrein und Sarah kommentiert: ›Ja genau, das is voll unfair!‹ Als die Lehrerin gerade etwas sagen will, unterbricht Bastian sie mit: ›Ihr seid doch genauso unfair mit Kratzen und so. Außerdem macht ihr eh nicht richtig mit.‹ […] Die Lehrerin lässt die Kinder nun wählen, ob sie gemischtgeschlechtlich oder getrennt nach Geschlechtern die folgenden Zweikampfspiele durchführen wollen. Alle Kinder melden sich für einen geschlechterhomogenen Unterricht.« (Beobachtungsprotokoll 06. 02. 2012, 4. Klasse)
Die Post-Fremdzuschreibungen, welche stets im Anschluss an die Zweikampfspiele geäußert werden, sind in dem zuletzt aufgeführten Beobachtungsprotokollauszug auf geschlechtsspezifische Zuschreibungen bezogen, die ein künftiges geschlechterheterogenes Miteinander-Kämpfen verhindern oder zumindest erschweren. Die bereits in den Prä-Fremdzuschreibungen erwarteten geschlechterstereotypen Handlungsmuster werden durch das geschlechterheterogene Kampfspiel bestätigt (»Die Jungs machen immer so doll und sind halt auch stärker«; die Mädchen sind »unfair mit Kratzen«). Wie die Selbstzuschreibungen so werden auch die Fremdzuschreibungen, welche zum Teil bereits vor den Kampfspielen artikuliert werden, über das gemeinsame kämpferische Sich-Bewegen bestätigt und im körperlichen Vollzug hervorgebracht, wodurch sich im Anschluss an das Kämpfen diese Fremdzuschreibungen entweder bestätigen oder entsprechend des Kampfverlaufes nach den eigenen Bedürfnissen ausgelegt werden.
7.2.3 Situationszuschreibungen Neben den Selbst- und Fremdzuschreibungen, die sich stets auf die eigene Person oder die Partnerin und den Partner beziehen, lassen sich in den begleiteten Unterrichtseinheiten Situationszuschreibungen beobachten. Diese beziehen sich nicht auf konkrete Personen, sondern auf den rahmenden Kontext eines Kampfspieles. Diese Zuschreibungen können Materialien, Reglements, Präsentationsformen oder auch spezielle Spielformen betreffen. Material-Zuschreibungen stellen sich folgendermaßen dar : »Tim: ›Bei den Kämpfen mit dem über die Matte ziehen (3) da hab ich meistens verloren: weil die Matte war halt rutschig und dann bin ich mit der so weggerutscht (3) ja und dann hab ich deshalb verloren, das fand ich nicht so toll.‹ (Tim, 11 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 06. 03. 2013) »Eren: ›Also das Problem war halt dann das wenn du gegen einen so gekämpft hast (2) dass du dass der dann halt n kurzes Hemd anhatte und dann kann man den dann nicht so richtig halt fassen weil (3) du kannst dich halt auch an seinen Sachen nicht festhalten.‹ (Eren, 10 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 06. 03. 2013)
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Die Interviewauszüge geben einen exemplarischen Eindruck von Materialzuschreibungen, die sich geschlechtsspezifisch ausschließlich bei den Jungen finden und dort lediglich von den Unterlegenden geäußert werden. So werden einerseits die rahmenden Bedingungen wie die Mattenfläche, andererseits aber auch die Kleidung des Gegenübers als Gründe für Niederlagen bzw. problematisches Kämpfen angeführt. Hierdurch werden die Niederlage und Schwierigkeiten während des Zweikampfes nicht auf das eigene Verhalten oder das Verhalten des Partners bezogen, sondern auf entsprechende Materialien. Folgende Reglements-Zuschreibungen werden geäußert: »Eren: ›Das ist voll unfair dass wir nur ohne Arme kämpfen dürfen! So kann ich gar nicht gewinnen weil meine Kraft voll in meinen Armen ist!‹ (Eren, 10 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 06. 03. 2013)
Ebenso wie die bemängelten Materialen finden sich Begründungen von Niederlagen oder Schwierigkeiten aufgrund entsprechender Reglements ausschließlich bei den Jungen. So beschwert sich Eren, dass das Kämpfen ohne Arme »voll unfair« sei und er so »gar nicht gewinnen« könne. Wie bei den Materialzuschreibungen werden auch hierbei nicht eigene Eigenschaften oder die Eigenschaften des Gegenübers kritisch hinterfragt, sondern das (zumeist von den Lehrkräften angepasste) Regelwerk der Kampfspiele. Eine Veränderung des Regelwerkes kann allerdings auch eingefordert werden: »Da die Mädchen scheinbar nicht gegen die Jungen und die Jungen nicht gegen die Mädchen kämpfen wollen, fragt die Lehrerin nach Alternativmöglichkeiten. Ein Junge neben mir meldet sich und schlägt vor, dass die Jungen einfach nur noch mit einem Arm oder einem Bein kämpfen sollen und es so für die Mädchen fairer wäre und nicht ›so langweilig‹ für die Jungen. Dieser Vorschlag wird allerdings direkt von einigen Mädchen mit einem ›Nein!‹ kommentiert und auch von einer Mehrzahl der Jungen abgelehnt, da sie scheinbar grundsätzlich nicht gegen die Mädchen kämpfen wollen.« (Beobachtungsprotokoll 05. 11. 2012, 4. Klasse)
Ein Junge schlägt vor, dass die Schüler mit eingeschränkter Nutzung ihrer Gliedmaßen an den Kampfspielen mit den Schülerinnen teilnehmen sollen, da »es so für die Mädchen fairer wäre und nicht so langweilig für die Jungen.« Dieser Einwurf wird zwar von einer Mehrzahl der Mitschülerinnen und Mitschüler abgelehnt, allerdings kann in einigen geschlechterhomogenen Zweikämpfen der Jungen beobachtet werden, dass sichtbar überlegende Jungen mit einer unter den Paaren intern vereinbarten Einschränkung (Nutzung nur eines Armes oder ausschließlich sitzend etc.) kämpfen und so die Spannung im gemeinsamen spielerisch-kämpferischen Bewegungsvollzug aufrechterhalten wird. Darüber hinaus gibt es auch die nachfolgend aufgeführten PräsentationsZuschreibungen:
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»Florian: ›Ihr seid jetzt auch fertig mit dem Kämpfen?‹ Lisa: ›Wir wollen nicht mehr weil das ist voll blöd hier wenn die anderen uns zugucken.‹« (Beobachtungsprotokoll vom 09. 04. 2013)
Geschlechtsspezifisch sind bei den Schülerinnen die Präsentationszuschreibungen zu beobachten. Finden Zweikämpfe unter der Beobachtung der Mitschülerinnen, der Mitschüler oder der Lehrkraft statt, werden diese zumeist von den Akteurinnen unterbrochen. Als Begründung für den Abbruch des Kampfes wird das Beobachtet-Werden angegeben (s. Kap. 6.1.2). Somit werden ebenfalls keine Eigenschaften der handelnden Personen aufgegriffen, sondern die Präsentationssituation und damit das Gefühl beobachtet zu werden (»das ist voll blöd hier wenn die anderen uns zugucken«). Während die Schüler eher öffentliche Räume für die Inszenierung eines Zweikampfes suchen und eventuelle Niederlagen vorrangig mit Selbst-, Fremd-, Material-, oder Reglementszuschreibungen erklären, ist besonders dieses öffentliche Agieren bei den Mädchen ein Zuschreibungsgrund für den Abbruch des Kampfes. Mit den geschlechtsspezifisch weiblichen Präsentations-Zuschreibungen finden auch Spielformzuschreibungen statt, welche ebenfalls zu einem Abbruch des Zweikampfes führen. »Alyssa:›Auf der Matte haben wir dann dieses komische Drücken gemacht.‹ (Alyssa, 11 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 06. 03. 2013)
Die Bewegungsformen beim Kämpfen werden von einigen Schülerinnen als ungewohnte und somit »komische« Bewegungen empfunden (s. Kap. 5.2.1). Ein Abbruch der Kampfspiele wird somit den Spielen selbst zugeschrieben, da diese den Schülerinnen scheinbar nicht als sinnvoll bzw. »komisch« erscheinen.191
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Unter emotionalen Lautäußerungen werden nachfolgend emotional bedingte und aus dem gemeinsamen Bewegungsvollzug resultierende Artikulationsformen beschrieben, welche sich nach Plessner (1970) als grundlegende menschliche Ausdrucksformen wie das Lachen (s. Kap. 7.3.1) und das Lächeln (s. Kap. 7.3.2) im Zusammenhang kämpferischen Sich-Bewegens verorten lassen: »Da dieser Zusammenhang beobachtbar und dokumentierbar ist, kann er im Kontext Interpretativer Unterrichts- und Lehrlernforschung empirisch beforscht werden.« (Lange, 2014, S. 80) 191 Vgl. zur Bedeutung sinnhaften Sporttreibens im Sportunterricht u. a. Volkamer (2003, S. 26ff.).
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In den zahlreichen begleiteten Sportunterrichtseinheiten zum Kämpfen sind jedoch nicht ausschließlich derartige – zumeist positiv konnotierte – Ausdrucksformen bei den Schülerinnen und Schülern zu vernehmen. Ebenso begleiten emotionale Ausdrücke wie Seufzen, Aufstöhnen oder Schreien den kindlichen spielerisch-kämpferischen Bewegungsvollzug. Aufbauend auf geschlechtsspezifische Differenzen werden diese Ausdrucksformen ebenfalls exemplarisch aufgezeigt und beschrieben (s. Kap. 7.2.2).
7.3.1 Lachen In den von mir begleiteten Unterrichtseinheiten wird ständig gelacht. Überall in der Sporthalle kann ich Gelächter, Gekicher und wellenartiges Auflachen vernehmen. Diese Formen des Lachens finden dabei stets im gemeinsamen Bewegungsvollzug statt. Oftmals werden die Kampfspiele gestisch-mimisch wie auch verbal begleitet, wobei zumeist Begeisterung und euphorische Erscheinungen erkennbar (und selbst spürbar) sind, welche sich in ausgelassenem Spaßlachen und Albernheitslachen äußern. Daneben fallen mir allerdings vielfältige und äußerst differente Äußerungsformen des Lachens auf, welche zumeist mit bestimmten Bewegungen verbunden sind und in spezifischen Kontexten auftauchen. Diese Äußerungsformen des Lachens sollen in diesem Kapitel dargestellt werden. Das Lachen als menschliche Äußerungsform findet sich weltweit und kulturübergreifend (Bausinger, 1992, S. 9). Die vielfältigen Analysen über das Lachen beschäftigen sich dabei zumeist entweder mit den physiologischen Vorgängen des Lachens oder bringen das Lachen lediglich mit Humor in Verbindung, was jedoch isoliert betrachtet als eine irrtümliche Verbindung erscheint. So äußert sich das Lachen in verschiedenen Formen als äußerst heterogenes kommunikatives Ausdrucksmittel (Piepenbrink, 2013, S. 27; Prütting, 2014a, S. 45ff.). Berger (1998, S. 53) sieht das Lachen gar als das »entscheidende Geheimnis der menschlichen Existenz« an, welches »Körper und Geist gleichermaßen betrifft« (ebd., S. 55). Das Lachen als plötzlicher und körperlicher Prozess wird dabei zumeist mit dem »Verlust der Beherrschung im Ganzen« (Plessner, 1970, S. 74), also mit einer Art Kontrollaufgabe der emanzipierten Person beschrieben. Die Ausdrucksform des Lachens ist immer situationsspezifisch zu beschreiben, da sie erst durch die jeweilige Situation an Bedeutung gewinnt. Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass das Lachen »immer nur als Teilaspekt eines umfassenden Gesamtverhaltens thematisiert werden darf, zu dem auch Gestus, Vultus, Habitus, Atmung, Wachheit und sprachliche Arti-
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kulationsfähigkeit als weitere Teilaspekte gehören, denn der lachende Mensch ist immer der ganze Mensch als homo ridens« (Prütting, 2014a, S. 61; Herv. i. Orig.).
Im kindlichen Sich-Bewegen und auch beim Lachen »handelt es sich um überaus flüchtige Phänomene, die situativ gebunden und bedeutungshaltig sind und die darüber hinaus im Sinne eines leiblich verfassten Bezugs zwischen Subjekt und Welt zu verstehen sind« (Lange, 2009, S. 75).
Das Lachen hat vielfältige Ursprünge und Motive, welche sich in unterschiedlichen Formen und mit spezifischen Absichten und Wirkungen beobachtbar im kindlichen (kämpferischen) Sich-Bewegen zeigen. Eine Ausdrucksform des kindlichen Lachens innerhalb der Kampfspiele ist deutlich in Momenten des Sieges als Siegeslachen zu beobachten. So äußert sich geschlechterübergreifend bei den Schülerinnen und Schülern der Moment eines Sieges über die Partnerin oder den Partner oftmals in einem explosiven Auflachen. Geschlechterdifferenzen lassen sich dabei in der Dauer des Lachens feststellen. So scheinen die Schülerinnen im Augenblick des erlebten Triumphes lediglich kurzzeitig aufzulachen, während das Siegeslachen bei den Jungen bereits vorher zu beobachten ist: »Aylin robbt langsam unter Lisas Körper hervor. Durch ruckartige Bewegungen schafft sie es, sich langsam von Lisa zu befreien. Schließlich kann Lisa sie nicht mehr mit ihrem Körpergewicht halten, und Aylin schafft es, sich zu befreien. Sie lacht kurz auf, und beide Mädchen setzen sich lächelnd nebeneinander.« (Beobachtungsprotokoll 09. 04. 2013, 4. Klasse) »Langsam drückt Torben Sami auf den Rücken und scheint sich dabei zu freuen, da er oftmals laut auflachen muss. Torben schafft es schließlich, Sami auf den Rücken zu legen. Während Sami sich beschwert, dass Torben aufgestanden sei und nur deswegen gewonnen hätte, scheint sich Torben über den Sieg zu freuen, da er noch einmal lauthals auflacht, aufsteht und sich tanzend, lachend-brüllend und jubelnd um die Matten bewegt.« (Beobachtungsprotokoll 09. 04. 2013, 4. Klasse)
Die Beobachtungsprotokolle zeigen ein geschlechterhomogenes Verhalten lediglich im Moment des Sieges, der von einem kurzzeitigen, aber deutlich hörbaren Auflachen von Aylin und Torben begleitet wird. Bereits während des Kampfspieles muss Torben »oftmals laut auflachen«, schließlich wiederholt sich diese Äußerungsform im Moment des Sieges. Dieses Lachen steigert Torben nach dem Sieg weiter, indem er »lachend-brüllend« um die Matten »tanzt«. Das Lachen findet somit einen ganzkörperlichen Ausdruck, indem es gestisch untermalt wird. Aylin hingegen lacht erst im Moment des eigentlichen Sieges auf und nicht vorher. Das Siegeslachen im Moment der Befreiung aus der Enge unter Lisas Körper ist somit kaum von einem Lachen aus Erleichterung abzugrenzen, wel-
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ches sich ebenso im Siegeslachen manifestieren kann. Aylins Lachen wandelt sich direkt in ein Lächeln (s. Kap. 7.2.2), welches bei beiden Mädchen beobachtbar ist, da diese sich »lächelnd nebeneinander« setzen. Hierbei findet also keine Steigerung des triumphalen Lachens statt, wie es bei den Jungen zu sehen ist. Eine weitere Differenz zeigt sich in den Äußerungen der Unterlegenden, welche mit dem Siegeslachen stets einhergehen. Während Sami sich als Unterlegender über Regelverstöße beschwert, ist bei den Schülerinnen ein gemeinsames Lächeln auch bei Lisa als unterlegende Partizipantin zu sehen. Das gemeinsame Lachen von Siegerin und Verliererin kann ebenso als eine Art von Erleichterung und somit als Erlösungslachen gewertet werden: »Florian: ›Ihr habt dann ja auch gelacht als es zu Ende war.‹ Luisa: ›Ja: ((lachend)) ich musste einfach ganze Zeit so lachen weil ich war dann so froh weil ich dann (3) weil ich halt dann doch noch gewonnen habe.‹ Helena:›Und ich musste auch lachen (2) weil das war dann auch so witzig (2) und ich war dann auch froh das wir das dann fertig hatten.‹« (Beobachtungsprotokoll vom 06. 02. 2013)
Wie dieser Auszug aus einem Feldinterview im Anschluss an ein Kampfspiel zeigt, scheint das Ende dieses Kampfspieles bei der Siegerin wie auch der Unterlegenen mit einer gewissen Erleichterung einherzugehen, welche sich im gemeinsamen Lachen im Augenblick des Kampfendes äußert. So ist Luisa als Siegerin »so froh«, dass sie schließlich »doch noch gewonnen habe«, was auf die erleichternde Erfüllung einer bereits während des Kampfes vorhandenen Siegeserwartung schließen lässt. Helena hingegen ist »dann auch froh«, als das Kampfspiel vorbei ist bzw. sie »das dann fertig hatten« und muss als Unterlegende somit ebenfalls lachen. Dies lässt auf eine Erleichterung über den Abschluss des Kampfspieles schließen – unabhängig von dem Ausgang des Spieles. So wird ein Abbruch des Kampfspieles sogar von Helena initiiert, indem ihr Lachen bereits vor der eigentliche Niederlage einsetzt: »Helena: ›Also ich musste da ja auch schon davor lachen (2) und dann konnte ich halt auch endlich nicht mehr weiterkämpfen. Darum hab ich dann auch verloren wegen Lachen und so.‹ Luisa: ›Ja Helena hat plötzlich die ganze Zeit gelacht ((lachend)) und dann hab ich halt gewonnen und musste dann auch lachen.« (Beobachtungsprotokoll vom 06. 02. 2013)
Für Helena hat das Lachen somit zweifache Bedeutung: Einerseits begründet sie damit ihre Niederlage (»darum hab ich dann auch verloren wegen Lachen«), andererseits führt dieses Lachen zu dem Abbruch der Kampfsituation durch die damit verbundene Niederlage. Dieser Kampfabbruch scheint dabei für Helena ein erlösendes Element zu bergen, da sie »endlich nicht mehr weiterkämpfen« braucht und »froh« ist über das Ende des Kampfspieles.
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So scheint das gemeinsame Lachen zum Ende eines Kampfspieles differente Ursprünge zu haben. Einerseits artikuliert dieses Lachen die Erleichterung, einen Kampf beendet zu haben und somit dieser (scheinbar unangenehmen) Situation »endlich« zu entgehen. Andererseits ist es eine Form der Erleichterung, einen Kampf »doch noch gewonnen« zu haben, womit Formen von Erleichterung auch stets Bestandteil des Siegeslachens zu sein scheinen. Diese Form der Erleichterung scheint dabei nicht ausschließlich bei den Mädchen, sondern ebenso bei den Jungen vorzukommen: »Tim: ›Das war dann voll gut dass ich gewonnen habe (2) da hab ich dann auch voll gelacht weil die anderen haben dann auch so geguckt halt und alle haben dann gesehen dass ich halt stärker war und das war dann voll gut.‹ (Tim, 11 Jahre, 5. Klasse)« (Interview vom 06. 03. 2013)
Tim hat ein Kampfspiel gegen seinen Partner gewonnen, welches von einigen seiner Mitschülerinnen und Mitschülern beobachtet wird. Der erlösende Moment des Lachens wird dabei in seiner Beschreibung deutlich, in welcher er ausführt, dass er aufgrund seines Sieges unter Beobachtung lachen muss. Durch den Sieg kann er seinen Mitschülerinnen und Mitschülern zeigen, dass er »halt stärker war«; somit erscheint der Sieg als ein erlösender Moment, »das war dann voll gut«, in welchem die Spannung, unter den Augen der Anderen siegen zu müssen, über das mit dem Erfolg verbundene Lachen gelöst wird. Der erlösende Moment des Siegeslachens zeigt sich somit bei den Jungen und Mädchen zwar gleichermaßen, allerdings nicht in derselben Art und Weise. Scheint bei den Mädchen eine Art von Stolz im erlösenden Moment des »doch noch gewonnen«-Habens mitzuschwingen, bezieht sich bei den Jungen der erlösende Moment zwar ebenfalls auf ein »doch noch gewonnen«-Haben; allerdings scheint die mit dem Geschlecht verbundene Rollenerwartung des Gewinnen-Müssens im Zweikampf unter den Augen der Mitschülerinnen und Mitschüler den erlösenden Moment im Sieg zu verstärken. Geschlechterdifferent zu den Ausdrucksweisen der Schülerinnen zeigt sich das Lachen des Unterlegenen, welches sich zumeist in einem Lachen vor dem Ende des Kampfspieles, aber nicht danach zeigt. Dieses Lachen erscheint dabei weniger als eine Form der Erleichterung, sondern steht oftmals mit verbalen Äußerungen von Empörung in Zusammenhang. Das zumeist nicht ausschließlich von gestisch-mimischem Ausdruck, sondern auch verbal die gegenwärtige Situation begleitende Empörungslachen erscheint als kein richtiges Lachen.192 Vielmehr tritt es als Ausruf »Ha-ha-ha« auf, um die Empörung über die Situation auszudrücken: 192 Als richtig wird hierbei ein Lachen mit der entsprechend körperlichen, gestisch-mimischen Begleitung bezeichnet (vgl. Plessner, 1970, S. 78ff.).
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»Während Eren sich freut und mit ausgestreckten Armen jubelt, ruft Tim laut: ›Ha-haha‹, was sich sehr nach einem gekünstelten Lachen anhört, und beschwert sich über das unfaire Verhalten von Eren.« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse)
Das »Ha-ha-ha« nehme ich in diesem Auszug als Ausruf und nicht als Lachen wahr und beschreibe es als »gekünsteltes Lachen«. Diese Form der Empörung kann in den begleiteten Unterrichtseinheiten ausschließlich bei Jungen beobachtet werden und dort ausschließlich bei den Unterlegenden einer Zweikampfsituation. Dieses künstliche Auflachen ist dabei stets mit verbalen Unmutsäußerungen verknüpft, welche zumeist die eigene Niederlage zu erklären versuchen. Das als Spannungslachen beschriebene Lachphänomen findet sich im Vollzug des kämpferischen Tuns zweier Partizipanten. Die Beteiligten scheinen dabei nahezu im gemeinsamen kämpferischen Sich-Bewegen aufzugehen, was nach Csikszentmihalyi (1993, S. 103ff.) mit einer Art »Flow-Erleben« beschrieben werden kann. Dieses Phänomen kann geschlechterspezifisch im Vollzug des Kampfspieles ausschließlich bei den Jungen beobachtet werden: »Tim liegt als Schildkröte auf dem Bauch, während Eren daneben kniet und als Greifvogel versucht, die Schildkröte umzudrehen. Er fasst Tim seitlich mit einem Arm um seinen Rücken und mit dem anderen Arm unter seinen Brust und versucht ihn umzudrehen. Tim lacht kurz auf, während er sich dagegen stemmt. Eren lässt ab und umfasst seine Beine. Lachend versucht er, Tims Beine umzudrehen, allerdings schafft er auch dies nicht. Nun legt er sich seitlich auf Tims Rücken und versucht, mit seinem ganzen Körper Tim abwechselnd nach rechts und nach links zu bewegen. Schließlich schafft er es, Tim auf die Seite zu drehen, wobei beide Jungen kurz auflachen müssen. Eren umfasst nun unter ständigem Ganzkörperkontakt noch einmal Tims Brust, und mit einem lauten kurzen Lachen schafft er es schließlich, unter großer Kraftanstrengung Tim umzudrehen.« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse)
Der gemeinsame spielerisch-kämpferische Bewegungsvollzug von Tim und Eren wird immer wieder von einzelnen Auflachern begleitet. Deutlich wahrnehmbar ist dabei ein Zusammenhang von Bewegungsverhalten und Momenten des Auflachens. So lacht Tim auf, »während er sich dagegen stemmt«, Eren lacht, als er versucht, »Tims Beine umzudrehen« oder als er »unter großer Kraftanstrengung« Tim umdreht und beide Jungen lachen, als Eren Tim mit dem Einsatz des ganzen Körpers auf die Seite dreht. Diese aufgeführten Auszüge sind durchweg als Bewegungsmomente zu bewerten, welche Spannung und Krafteinsatz implizieren. Wie bereits Lange (2009) vermutet, scheint das Lachen dabei jeweils den Augenblick zu markieren, »in dem sie sich von einer mit emotionaler Erregung und Spannung stark aufgeladenen Situation abrupt lösen. Im Anschluss an die eintretende Entspannung beginnen sie sogleich mit dem Aufbau neuer (spannender) Situationen« (S. 86).
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Die Lacher der Jungen markieren somit Bewegungssituationen der Spannung, welche sich über das Lachen kurzzeitig zu lösen scheinen und durch ein Entgegenstemmen bzw. Gegenagieren wieder aufgebaut werden. In der zuletzt zitierten Beobachtung gehen Tim und Eren in ihrem gemeinsamen Tun auf, sie scheinen mich als Beobachter dabei kaum zu bemerken. In diesem kämpferischen Handeln scheinen sie kontrolllos und präreflexiv in das Lachen zu verfallen (Plessner, 1970, S. 73). Different zu dem geschlechtsspezifisch männlichen Spannungslachen findet sich zwar ebenso das Lachen in unterschiedlichen und vielfältigen Ausprägungen im kämpferischen Bewegungsvollzug der Mädchen, scheint dort allerdings nicht aus einem spannungsgeladenen Aufgehen-im-Tun hervorzugehen, sondern aufgrund ungewohnt-fremder Bewegungsmuster hervorzubrechen. Die als Fremdheitslachen beschriebene Ausdrucksform kindlichen Lachens im Zweikampf umfasst ein Lachen in irritierenden, ungewohnten Situationen und lässt sich – im Gegensatz zum Spannungslachen – primär bei den Schülerinnen und nicht bei den Schülern beobachten: »Lisa und Sarah kämpfen um den Ball. Dieser wird als Schatz von Lisa festgehalten, während Sarah versucht, ihr den Ball zu entreißen. Beide Mädchen müssen dabei sitzen und krabbelnd stets die Turnmatte berühren. Mir fällt sofort das ständige Auflachen der beiden Mädchen auf. Bereits bei der Begrüßung, während der sich beide Mädchen auf der Matte kniend voreinander verbeugen, müssen Lisa und Sarah nahezu gleichzeitig lachen. Dann beginnt das Spiel. Lisa und Sarah legen sich gegenüber auf den Bauch und zählen gemeinsam bis drei. Bei drei angekommen schnappt sich Lisa mit ausgestreckten Armen sofort den Ball und hält diesen vor ihrem Bauch umschlossen fest. Sarah krabbelt zu ihr und versucht, den Ball aus den Armen Lisas zu entreißen. Dabei müssen beide stets lachen. Lisa umfasst fest den Ball und wehrt Sarah ab, indem sie ihr immer wieder lachend den Rücken zuwendet.« (Beobachtungsprotokoll 09. 04. 2013, 4. Klasse)
Dieses Beispiel verdeutlicht eine typische Kampfspielsituation, in welcher die beiden Schülerinnen Lisa und Sarah immer wieder Auflachen müssen. Dieses Auflachen findet dabei während der Begrüßung und in Momenten des Gegeneinandergerichtet-Seins statt, in welchen Sarah versucht, den Ball zu »entreißen« oder Lisa ihr »lachend den Rücken zuwendet«. Deutlich wird die Relevanz ungewohnter Bewegungsweisen für das Lachen in einem Kurzinterview, das im Anschluss an diese beobachtete Zweikampfsituation geführt wird: »Florian: ›Ihr habt da ja jetzt gegeneinander um den Ball gekämpft.‹ Lisa: ›((lachend)) Ja: das war voll witzig‹ Sarah: ›Ich musste die ganze Zeit dann auch immer so lachen weil das war so komisch‹ Lisa: ›Ja, also das war voll lustig als sie dann plötzlich so ankam und dann versucht hat den Ball zu kriegen und ich immer so ((duckt sich und dreht Antonia den Rücken zu))‹ Sarah: ›Ja da kam ich nie dran (3) aber ich musste eh immer lachen wenn ich dich so angreifen musste.‹« (Beobachtungsprotokoll vom 09. 04. 2013)
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Der Interviewauszug verdeutlicht die Empfindungen der Schülerinnen während des Kampfspieles, welche Sarah als »so komisch« beschreibt. So muss sie »eh immer lachen«, wenn sie Lisa »angreifen musste«, ebenso wie es Lisa als »voll lustig« empfindet, Sarahs Angriffsbemühungen über den Rücken zu verteidigen. Das Lustige und Witzige ist in den Beschreibungen der Mädchen somit stets mit bestimmten Bewegungen verknüpft. Diese Bewegungen können Angriffs- oder Verteidigungsaktionen beschreiben oder sich auf die gesamte Bewegungsaufgabe beziehen (»Ich musste die ganze Zeit dann auch immer so lachen weil das war so komisch«). In der Lebenswelt der Schülerinnen scheinen derartige Bewegungen ungewohnt und somit als Lachanlässe zu dienen (vgl. Lange, 2009, S. 102). Eng mit dem Fremdheitslachen verbunden und dabei negativ konnotiert ist das Verzweiflungslachen, welches in unterschiedlichen Äußerungsformen allerdings bei den Schülerinnen und Schülern auftritt. Im spielerischen Zweikampf der Schülerinnen und Schüler ist oftmals eine Abart des Fremdheitslachens zu vernehmen, welche sich different zu dieser allerdings ausschließlich in Momenten des Beobachtet-Werdens äußert und geschlechtsspezifisch different motiviert scheint und als Verzweiflungslachen zu deuten ist: »Zwei Mädchen auf der Nachbarmatte kämpfen noch gemeinsam, während ihre Nachbarinnen mittlerweile alle aufgehört haben und ihnen zuschauen. Der Lehrer kommt zu ihnen und ruft: ›Los, gebt mal ein bisschen Gas! Alles geben jetzt nochmal!‹ In dem Moment brechen die Mädchen die Bewegung ab, schauen sich an und lachen etwas. Der Lehrer ruft: ›Weitermachen! Ihr seid noch nicht fertig!‹, während die Mädchen scheinbar etwas zaghafter und nun immer wieder etwas auflachend weiterkämpfen und dann sehr schnell abbrechen.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse) »Die Lehrerin ruft Tim und Eren auf, dass sie zu ihr auf die Matte in der Hallenmitte kommen sollen. Nun sollen sie die folgende Übung vormachen: Tim und Eren befinden sich in Liegestützposition voreinander und müssen versuchen, aus dieser Position heraus sich gegenseitig die Hände wegzuziehen und somit den Partner zu Fall zu bringen. Beide Jungen fangen sofort mit dem Spiel an, nachdem sie die Position eingenommen haben. Eren schafft es, Tims Arm wegzuziehen, und Tim verliert das Gleichgewicht. Doch er begibt sich sofort wieder in die Ausgangsstellung. Beide Jungen beginnen von vorne, während sie von der Klasse und der Lehrerin beobachtet werden. Unter Stöhnen schafft es Eren wieder, Tim zu Fall zu bringen. Einige Jungen neben mir rufen: ›Alter, Tim, wie schwach bist du denn?!‹ Die letzte Runde beginnt, wobei Tim dieses Mal unter weiteren Kommentaren seiner Mitschüler immer nur mit leichtem Lachen reagiert. Schließlich verliert er wieder, und die Lehrerin bricht ab, um nun mit der gesamten Klasse das Spiel durchzuführen.« (Beobachtungsprotokoll 06. 02. 2013, 5. Klasse)
In dem ersten Beobachtungsprotokollausschnitt des Zweikampfspieles der Mädchen bewegen sich diese unter der Beobachtung ihrer Mitschülerinnen, Mitschüler und der Lehrkraft. Nachdem sie durch die Aufforderungen der
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Lehrkraft dazu angehalten werden, vor den Blicken der anderen weiterzukämpfen, beginnen sie »zaghafter und nun immer wieder etwas auflachend«. Das Lachen setzt hierbei in dem Moment ein, in dem sie dem Aufforderungszwang der Lehrkraft nachkommen und das gemeinsame kämpferische Bewegen vor Zuschauern präsentieren müssen. Da sie zwischendurch ihren gemeinsamen Bewegungsvollzug abbrechen, scheinen sie nicht mehr in der Form öffentlich kämpfen zu wollen, wodurch ihr in diesem Moment geäußertes Lachen als Verzweiflungslachen interpretiert werden kann, da es erst durch die zwanghafte Bewegungsausführung vor den Mitschülerinnen und Mitschülern aufkeimt. Bei den Jungen Tim und Eren scheint das Verzweiflungslachen ebenfalls in einer öffentlichen Situation stattzufinden, in welcher die beiden Jungen vor den Augen der Mitschülerinnen, Mitschüler und der Lehrkraft kämpferisch agieren müssen. Das Lachen ist hierbei allerdings von dem der Mädchen insofern zu unterscheiden, als dass es lediglich bei Tim als Unterlegenem auftritt. Hier setzt diese Ausdrucksform des Lachens erst ein, als einige Mitschüler Tims Niederlagen kommentieren (»Alter, Tim, wie schwach bist du denn?!«) und Tim in eine Situation des Endlich-Gewinnen-Müssens bringen, der er mit Formen des Auflachens begegnet.
7.3.2 Lächeln Prütting (2014b, S. 1522) führt Hermann Schmitz folgend aus, dass sich das Lächeln als ein protopathisches Lächeln darstellt, welches von einem epikritischen Lachen als eine hierarchische Variante desselben Verhaltens beschrieben werden kann. Das Lachen wäre somit lediglich eine Steigerungsform des Lächelns. Für die folgende Ergebnisdarstellung wird das Lächeln demnach als eigene Variante und eigenständige Kommunikationsform vom Lachen abgegrenzt, um es wiederum in seinen spezifischen Varianten beschreiben zu können. Dabei ist zu beachten, dass das Lächeln nicht obligatorisch auditiv wahrnehmbar ist und somit nicht als emotionale Lautäußerung gewertet werden kann. Dennoch wird es hier aufbauend auf der Annahme aufgeführt, dass es zwar dem Lachen verwandt ist, sich von diesem aber durch seine Kontrolliertheit unterscheidet (Berger, 1998, S. 57). Führt das Lachen explosionsartig zu Unterbrechungen in der Kommunikation, kann das Lächeln hingegen für ein »Reden im Schweigen« (Piepenbrink, 2013, S. 32) stehen. Als kommunikatives Ausdrucksmittel schafft es somit eine innerliche Distanz zu dem eigenen Verhalten, welches entsprechend der Situation angepasst wird:
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»Durch seine Distanziertheit gewinnt das Lächeln Bedeutung als Mittel und Ausdruck der Kommunikation. Man gibt sich lächelnd zu verstehen: gemeinsames Wissen um etwas, Gemeinsamkeit überhaupt, auch in der Form des Getrenntseins wie Triumph oder Niederlage, Überlegenheit, Verlegenheit, Demut. Das Lächeln reagiert auf die Situation und bestätigt zugleich sich selbst und dem anderen, daß man die Situation begreift und insofern ihre Bindung wieder gelockert hat.« (Plessner, 1970, S. 181)
Im Folgenden werden geschlechtsspezifische Formen des Lächelns beschrieben, welche als verlegen-vertrautes Lächeln insbesondere bei den Schülerinnen und überlegenes Lächeln bei den Jungen beobachtbar sind. Innerhalb der spielerischen Zweikämpfe kann über die Unterrichtseinheiten und Klassenstufen hinweg oftmals ein das Spiel begleitendes verlegen-vertrautes Lächeln beobachten werden. Geschlechtsspezifisch different wird dieses Lächeln von körperlichen Handlungsweisen begleitet. So scheint es innerhalb der Kampfspiele von Schülerinnen nahezu durchgehend aufzutreten, während es bei den Jungen primär in Zweikampfsituationen zu beobachten ist, welche von vielen Mitschülerinnen und Mitschülern beobachtet werden. »Die beiden Mädchen sitzen sich gegenüber […] Die anderen Mädchen links und rechts von Lina und Lisa sind bereits fertig und sitzen auf ihren Turnmatten, während sie Lina und Lisa zuschauen und teilweise anfeuern. Während des Kämpfens sind die beiden Mädchen durchgehend am lächeln und grinsen, insbesondere Lina muss dabei oftmals laut auflachen.« (Beobachtungsprotokoll 09. 04. 2013) »Florian: ›Ihr habt da ja jetzt gekämpft, könnt ihr mir darüber noch was erzählen?‹ Lisa: ›Ja: das war halt voll-‹ Lina: ›Ja ((lachend)) ich fand es die ganze Zeit über witzig weil das war so komisch‹ Lisa: ›Ja ich musste auch immer halt so fast Lachen wegen dem Kampf, weil dann (3) haben halt auch alle zugeschaut ((lachend)).‹ Lina: ›Ich wollte da erst nicht anfangen aber dann hab ich gesehen dass Lisa halt auch so fast lachen muss und dann war es irgendwie lustig.‹« (Beobachtungsprotokoll vom 09. 04. 2013)
Wie in dem Beobachtungsprotokollauszug beschrieben wird, findet der Zweikampf zwischen Lisa und Lina unter der Beobachtung ihrer Mitschülerinnen statt. Während des gemeinsamen Kämpfens »sind die beiden Mädchen durchgehend am lächeln und grinsen«. In dem Feldinterview, welches im Anschluss an die Beobachtung durchgeführt wird, beschreibt Lina dieses Zweikämpfen als »komisch«. Ein durchgehendes Lächeln und Grinsen findet nach Angabe der Mädchen aufgrund komischer Bewegungen statt, sie müssen »fast Lachen wegen dem Kampf«. Das Lächeln scheint somit aufgrund der ungewohnten Bewegungsaufgabe durchgehend zu bestehen und kann in dieser öffentlichen Situation Verlegenheit ausdrücken, da »auch alle zugeschaut« haben. So scheinen es nicht lediglich die ungewohnten Bewegungen zu sein, welche ein durchgehendes Lächeln evozieren, sondern das Präsentieren dieser Bewegungen vor den Mit-
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schülerinnen. Das Lächeln tritt dabei als eine Vorstufe des Lachens auf, da die Schülerinnen »oftmals laut auflachen« müssen. Zugleich erscheint das gemeinsame Lächeln als eine Basis für ein gegenseitiges, vertrauensvolles Handeln. So lässt sich Lina auf den Zweikampf nach eigenen Angaben deshalb ein, weil es »irgendwie lustig« ist, als sie bemerkt, dass Lisa ebenfalls »auch so fast lachen muss«. Das Lächeln von Lisa schafft damit eine gemeinsame, nonverbale Vertrauensbasis zwischen den Mädchen, wodurch Lina die Bewegungsaufgabe selber als »irgendwie lustig« erlebt. Innerhalb der spielerischen Zweikämpfe ist das Lächeln ebenso bei den Jungen beobachtbar, hier jedoch in teils anderer Form. So mündet es nur selten in lautes Lachen, sondern scheint eher eine Art Präpotenz in der Ausdrucksweise eines überlegenen Lächelns darzustellen: »Arne umfasst Tim mit beiden Armen um den Bauch und versucht, ihn auf die Seite zu legen. Tim bäumt sich dagegen, es scheint sehr anstrengend für ihn zu sein. Arne lächelt ihm ins Gesicht, während er weiter Tim zur Seite drückt. Schließlich schaut Tim Arne an und lächelt zurück, während er jedoch langsam von Arne auf die Seite gelegt wird und Tim ab und an aufstöhnt.« (Beobachtungsprotokoll 13.02,2013, 5. Klasse)
In diesem Beobachtungsprotokoll wird deutlich, dass dem Lächeln des Überlegenen gleichsam ein Lächeln entgegengesetzt wird, auch wenn der unterlegene Schüler zugleich große Anstrengung aufbringen muss, um dagegen zu halten. So ergeht es mir in meinen Zweikampfsituationen oftmals, dass ich während des Kampfes stets lächle, um Schwäche oder Anstrengung, die ich als Erwachsener und Kampfsportler nach meiner Meinung in diesem Augenblick nicht haben durfte, zu überdecken. Zugleich drängt sich das Gefühl auf, dem Gegenüber fiele die Bewegungsaufgabe leicht, wenn diese mit einem Lächeln ausgeführt wird. Trotz der Tatsache, dass Tim »aufstöhnt« und schließlich »langsam von Arne auf die Seite gelegt wird«, gibt er dennoch nicht sein Lächeln auf. So scheint in der Situation einer Niederlage das Lächeln eine Handlungsmöglichkeit zu sein, welche die kommende Niederlage etwas relativiert und ein Gefühl des Darüberstehens auslösen kann. Das Lächeln evoziert stets bei dem Gegenüber und dem Betrachter ein Gefühl der Überlegenheit. Diese Präpotenz wird in Sieg und Niederlage gleichermaßen stets über ein erhabenes Lächeln nach außen signalisiert. Innerhalb der Kampfspiele der Jungen ist dabei sehr selten ein lautes Lachen zu vernehmen. Vielmehr wird das omnipräsente Lächeln oftmals durch Stöhnen und andere Lauten, welche körperliche Anstrengung vermuten lassen, durchbrochen. Wie im Beispiel der Mädchen wird das Lächeln auch innerhalb der Zweikämpfe der Jungen zu einer Kommunikationsgrundlage. Die über das Lächeln gleichsam transportierte Herausforderung an den Partner wird in ihrer Erwi-
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derung zu einer Voraussetzung des gegenseitigen Spannungsaufbaus, der sich aus dem intensiven gegeneinander gerichteten Sich-Bewegen speist.
7.3.3 Seufzen, Stöhnen, Schreien Während das Lächeln eine ruhige, lediglich visuell wahrnehmbare Ausdrucksform ist, wird das Seufzen als klagende Ausdrucksform ähnlich dem Lachen stets auditiv und visuell wahrnehmbar. Das (Auf-)Seufzen wird hierbei als grundlegende Ausdrucksform verstanden, welche Intensivierungen des Stöhnens und Schreiens impliziert. Während meines Feldaufenthalts im Sportunterricht kann ich Geräusche des Stöhnens und Schreiens ebenso wie Lachäußerungen durchweg vernehmen. Im Folgenden werden verschiedene Formen dieser emotionalen Lautäußerungen vorgestellt, wobei ich entsprechend des Intensivierungsgrades beim Seufzen und Aufstöhnen beginnen und beim Aufschrei enden werde. Unlustseufzer äußern sich folgendermaßen: »Lena sitzt bereits lächelnd auf der Matte, als Sina langsam dazukommt. Beide Mädchen setzen sich gegenüber in Hockstellung, wobei Sina beim Hinsetzen laut seufzt. Sie scheint keine große Lust zu haben, da sie traurig nach unten blickt, mit hängenden Schultern. Als nun die Lehrerin das Startsignal für das kommende Spiel gibt (die Mädchen müssen sich von der Matte schieben, ohne dabei aufzustehen), seufzt auch Lena auf, lächelt nicht mehr und greift langsam Sinas Schultern. Beide fangen an, sehr langsam und ohne große Körperspannung gegeneinander zu drücken und brechen dies nach einer halben Minute auch wieder ab. Lächelnd setzen sie sich nebeneinander.« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse) »Jens und Torben setzen sich gegenüber auf die Turnmatte. Als der Lehrer das Startsignal pfeift, umfasst Torben mit seinen Armen Jens’ Oberkörper. Jens seufzt laut auf und versucht dies ebenfalls. Da er allerdings viel kleiner als Torben ist, schafft er es kaum, ihn fest zu umschließen. Torben scheint hingegen seine ganze Kraft aufzubringen und schafft es schließlich nach kurzer Zeit, Jens auf die Seite zu legen. Während Torben Jens gleich wieder auffordert, den Kampf erneut zu starten, entgegnet Jens, dass er »eh keine Lust hatte.«« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse)
Vor Beginn des Kampfspieles der Mädchen seufzt Sina bereits laut auf. Ihre Körperhaltung scheint dieses Aufseufzen zu unterstreichen, sie scheint unmotiviert, da sie »traurig nach unten blickt, mit hängenden Schultern.« Ihre Partnerin Lena sitzt bereits vor dem Beginn des Spieles auf der Turnmatte und scheint motivierter zu sein, was durch ihr Lächeln unterstrichen wird. Zu Beginn des Kampfspieles seufzt sie nun allerdings ebenfalls, ihr Lächeln ist nach dem Aufseufzen von Sina verschwunden. Das anfängliche und schließlich gemeinsame Aufseufzen evoziert bei mir als Beobachter bereits eine Unlust, die beiden
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Mädchen kommunizieren über das Aufseufzen und die begleitende Körperhaltung eine ablehnende Haltung gegenüber des Kampfspiels. Dies wird schließlich im gemeinsamen Bewegungsvollzug deutlich, da beide »sehr langsam und ohne große Körperspannung« agieren und das Spiel bereits »nach einer halben Minute« abbrechen. Dieser Abbruch ist wiederum mit einem Lächeln verbunden und scheint somit nicht negativ wahrgenommen zu werden. Lena lächelt dabei ebenfalls am Ende, obwohl sie zu Beginn ihre Partnerin Sina lächelnd und scheinbar motiviert (da dort bereits sehr früh sitzend) empfangen hatte. Bei den Jungen ercheint das Aufseufzen lediglich bei Jens. Für dieses Aufseufzen scheint die entsprechende Bewegungssituation relevant. So seufzt Jens auf, als er versucht, Torbens Oberkörper zu umfassen (»Da er allerdings viel kleiner als Torben ist, schafft er es kaum, ihn fest zu umschließen.«). Hier äußert sich das Aufseufzen somit ausschließlich bei dem Unterlegenen bzw. dem gefühlt Benachteiligten. Aufgrund des bereits zu Beginn des Kampfspieles deutlich sichtbaren Größenunterschieds scheint Jens nicht gleichermaßen motiviert wie sein Partner ; Torben übernimmt die Initiative und Jens reagiert erst daraufhin (er »versucht dies ebenfalls«). Mit Jens’ Aufseufzen scheint zugleich eine Kapitulation einzusetzen, da es Torben »nach kurzer Zeit« schafft, »Jens auf die Seite zu legen«. Geschlechtsspezifisch werden also Differenzen und homologe Bedeutungsstrukturen im Aufseufzen deutlich. So scheint das Aufseufzen bei den Schülerinnen und bei den Schülern eine Kommunikationsform zu sein, welche bereits Resignation und Unwillen dem Gegenüber bekundet, ohne dies zu verbalisieren. Geschlechterdifferent dazu zeigt sich, dass ein einseitiges Aufseufzen bei den Mädchen eher von der Partnerin aufgenommen werden kann und als nonverbale Verständigungsbasis für ein lustloses und schnell abzubrechendes (Kampf-) Spiel dient. Bei den Jungen hingegen scheint sich das Seufzen lediglich bei demjenigen Partner zu äußern, welcher sich als Unterlegener wähnt, um bei einer Niederlage diese schließlich aufgrund der bereits zu Beginn vorhandenen Unlust zu rechtfertigen. Folgendes Präsentationsstöhnen kann beobachtet werden: »Eren umklammert Tims Oberkörper und versucht, diesen von der Matte zu ziehen. Dabei stöhnen beide Jungs immer wieder laut auf. Schließlich schafft es Eren, Tim von der Matte zu bekommen. Tim steht auf und schmeißt sich laut stöhnend auf Eren und umklammert ihn. Beide raufen nun auf der Matte weiter, ohne die Rahmung des vorgegebenen Kampfspieles, wobei sie dabei immer wieder laut aufstöhnen. Es scheint, als führen sie einen Kampf auf, während ihre Mitschüler zuschauen.« (Beobachtungsprotokoll 13. 02. 2013, 5. Klasse)
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Dieses Phänomen lässt sich ausschließlich bei den Jungen beobachten. Es scheint eng verbunden mit dem Nachspielen medialer Vorbilder (s. Kap. 7.1.1) und tritt stets in einem beobachtbar freudvollen gemeinsamen Bewegungsvollzug auf. Das Aufstöhnen findet in Momenten von kämpferischem Gegeneinandergericht-Sein statt, während die Jungen versuchen, sich »von der Matte zu ziehen«, sich umklammern oder frei auf der Matte »raufen«. Bedeutsam scheint dabei, dass die Bewegungssituationen, in welchen das intensive und deutlich hörbare Aufstöhnen zu vernehmen ist, stets in einem Kontext des Beobachtet-Werdens eingebettet sind. So werden Eren und Tim von ihren Mitschülern während des Kampfspieles beobachtet. Unter den Blicken der Mitschülerinnen und Mitschüler werden schließlich Kämpfe vorgespielt (»als führen sie einen Kampf auf«), innerhalb derer sie diese durch lautes und möglichst für alle Anwesenden hörbares Aufstöhnen untermalen. Über das Aufstöhnen werden die einzelnen kämpferischen Bewegungshandlungen somit weiter dramatisiert und zur Schau gestellt. Durch den öffentlichen Charakter ist diese Form des übertriebenen und lauten Aufstöhnens lediglich bei Zweikämpfen zu hören, welche von den Schülerinnen und Schülern in Beobachtungsmittelpunkten des Raumes präsentiert werden (s. Kap. 6.1.2). Geschlechtsspezifisch divergent dazu erscheinen die Zweikampfspiele der Mädchen. Während diese von den Akteurinnen zumeist möglichst nicht öffentlich zur Schau gestellt werden, lässt sich auch kein deutlich wahrnehmbares Aufstöhnen aus diesen Reihen vernehmen. Die kämpferischen Handlungen werden also lediglich von Lachen oder Schmerzstöhnen begleitet und nicht gesondert über das Stöhnen hervorgehoben. Schmerzen treten in unterschiedlicher und vielfältiger Form immer wieder während des Sportunterrichts auf. Im Rahmen meiner Forschung werden Schmerzen zumeist über kurze Aufschreie – also Schmerzschreie – artikuliert, geschlechterdifferent in unterschiedlichen Kontexten und Ausprägungen: »Während Eren sich seitlich auf Tim drauflegt und Tim nach einigen Ansätzen scheinbar aufgibt zu entkommen, fängt dieser plötzlich kurz an zu schreien: ›Aua, geh weg, das tut weh!‹ Eren lässt von Tim ab und dieser setzt sich hin. Ich komme zu den beiden und frage, was los ist. Florian: ›Tim, du hast ja gerade so doll geschrien. Alles in Ordnung?‹ Tim: ›Ich hab hier so beim Fußball mein Bein verletzt. Dann kam hier Eren und hat sich so auf mich draufgesetzt (2) da hat das bisschen weh getan und deshalb konnte ich dann auch nicht weiterkämpfen halt.‹« (Beobachtungsprotokoll vom 13. 02. 2013)
Die Situation des Kampfes von Eren und Tim ist exemplarisch für den Schmerzschrei des Unterlegenen und lässt sich ausschließlich bei den Jungen beobachten. Das schmerzvolle Aufschreien dient demnach dem Abbruch des gemeinsamen Bewegungsvollzuges im Moment einer drohenden Niederlage und
Zusammenfassung
253
wird durch bereits vorher vorhandene oder im Zweikampf erworbene Schmerzen gerechtfertigt (»da hat das bisschen weh getan und deshalb konnte ich dann auch nicht weiterkämpfen«). Dass hierbei die Artikulation von Schmerzen lediglich vom Unterlegenen ausgeht, scheint different zu dem Verhalten der Schülerinnen: »Lena und Raya hocken sich auf die Turnmatte. Dabei stöhnt Raya kurz auf. Lena fragt sie, was denn los sei und Raya antwortet, dass sie sich wehgetan und nun Schmerzen hat, weswegen sie nun auch nicht richtig kämpfen könne. Nachdem der Lehrer das Startsignal gegeben hat, greift Raya zögerlich Lenas Arm. In diesem Moment stöhnt Lena laut auf. Raya bricht die Bewegung ab, während Lena ihren Arm hält und über ihren Ellenbogen streichelt, wobei sie wieder mehrfach aufstöhnt. ›Jetzt hab ich auch Schmerzen!‹, ruft sie. Beide Mädchen setzen sich nun nebeneinander und schauen ihren benachbarten Mitschülerinnen beim Kämpfen zu.« (Beobachtungsprotokoll 15. 11. 2012, 4. Klasse)
Der Beobachtungsprotokollauszug vom Kampfspiel der Mädchen Lena und Raya veranschaulicht eine erweiterte Funktion des Schmerzschreis. Über die entsprechende Artikulation von Schmerzen wird das gemeinsame kämpferische Sich-Bewegen abgebrochen, es findet kein Bewegungsdialog statt. So relativiert Raya vor Beginn des eigenen Zweikampfes die mögliche Intensität des gemeinsamen Bewegens, da sie bereits beim Hinhocken aufstöhnt und auf vorhandene Schmerzen verweist. Lena greift dieses Aufstöhnen nach der ersten Aktion Rayas auf und stöhnt ebenfalls aufgrund von Schmerzen auf. Somit wird ein Kampfspiel direkt abgebrochen, denn beide Mädchen verweisen auf Schmerzen und rechtfertigten damit die Beendigung des Spieles. Geschlechterdifferent zum Verhalten der Jungen treten somit die Schmerzschreie nicht lediglich bei dem unterlegenen Partizipanten auf, sondern bei beiden Agierenden, wodurch das Kampfspiel bereits vor dem eigentlichen Bewegungsvollzug abgebrochen wird.
7.4
Zusammenfassung
Emotionale Ausdrücke finden sich in geschlechtsspezifisch differenten Formen wieder, welche phänomenologisch in körperlich-expressive (Selbst-)Darstellungen, Verbalisierungen und Lautäußerungen unterteilt werden können. Während des gemeinsamen kämpferisch-spielerischen Sich-Bewegens finden immer auch körperliche Darstellungen der eigenen Person statt. So wurde aufgezeigt, dass die Jungen oftmals mediale Vorbilder wie das Wrestling oder Mixed Martial Arts nachspielen, was von den Mädchen zumeist ironisch-distanzierend aufgenommen wird. Insbesondere das Wrestling als kommunikativer Schaukampf wird von den Jungen gern rezipiert, was für deren gewünschte Außen-
254
Emotionsexpressionen
wahrnehmung eine gelingende sozial-kommunikative Beziehung voraussetzt. Damit gelten in den Inszenierungen der Jungen ähnliche Voraussetzungen wie für einen echten Wrestlingkampf: »Obwohl die Beziehung im Kampf tödlich gefährlich ist, passiert den Kämpfern nichts, weil sie auf ein Ritual sprachloser, körperbezogener und gerade deshalb gelingender Kommunikation zurückgreifen. Entscheidendes Inszenierungsmoment ist, Kooperation und gelingende Kommunikation durch den Kampf weitgehend zu verschleiern.« (Bachmair & Kress, 1996, S. 199)
Mit der Rezeption medialer Vorbilder gehen ebenso geschlechterstereotype Vorstellung der Schülerinnen und Schüler einher : Im Wrestling und bei Mixed Martial Arts werden starke Männer präsentiert, während die Frauen vorwiegend als Nummerngirls leicht bekleidet die nächste Kampfrunde ankündigen. Durch diese unterschiedlichen Vorstellungen grenzen sich Schülerinnen und Schüler beim Kämpfen voneinander ab; es werden ausschließlich geschlechterhomogene Paar- und Gruppenkonstellationen gebildet. Herausforderungen finden dabei stets gegenüber den eigenen Freunden statt. Werden die Sportlichsten einer Klasse allgemein als beste Kämpfer akzeptiert, so scheinen diese Sportlichsten, welche stets Jungen sind, möglichst Partner herauszufordern, gegen welche sie sich als überlegen einschätzen. Ebenso werden die größten und kräftigsten, durchaus auch adipösen Kinder einer Klasse als unbesiegbar wahrgenommen, welche aufgrund ihres Körper(über)gewichts zumeist wirklich siegen, da keine Technikvermittlung stattfindet und zumeist lediglich die eigene Körperstärke entscheidend für den Ausgang der Kampfspiele scheint. Während die Mädchen und Jungen sich stets über geschlechtertypisierende Vorurteile voneinander abgrenzen, um nicht gegeneinander kämpfen zu müssen, so scheinen insbesondere die Schülerinnen über die körperliche Darstellung angeblicher Verletzungen auch geschlechterhomogene Kampfspiele vermeiden zu wollen. Bei den unterlegenen bzw. sich selbst als benachteiligt wahrgenommenen Jungen werden hingegen unfaire Gegebenheiten moniert, um einer (drohenden) Niederlage zu entkommen bzw. diese zu relativieren. Diese Formen der Verweigerung, Relativierung und (geschlechtlicher) Darstellung sind dabei stets mit verbalen Äußerungen verbunden, wobei eine Trennung der körperlichen Ausdrucksformen und begleitender Verbalisierung lediglich im Kontext der phänomenologischen Analyse geschlechtsspezifischer Ausdrucksformen sinnvoll scheint. Leibphänomenologisch lassen sich die geschlechtsspezifischen Ausdrucksformen stets als gespürte Weitung beschreiben, welche sich aus der spürbaren Enge der Zweikampfsituation geschlechterdifferent über entsprechende Bewegungssuggestionen entfaltet. Die Verbalisierungen sind stets in Form von Selbstzuschreibungen auf das eigene Können bzw. den eigenen Körper und Fremdzuschreibungen der
Zusammenfassung
255
Partnerin und des Partners zu beobachten. Diese Zuschreibungen finden schließlich ihre Bestätigung über den körperlichen Vollzug im kämpferischen Sich-Bewegen und bauen dabei stets auf geschlechterstereotype Grundannahmen der Kinder auf. So kämpfen Schülerinnen schwächer, verlieren und bestätigen damit ihre Selbstzuschreibung, dass sie als Mädchen schwächer seien oder nicht kämpfen können. Jungen sprechen oftmals unmännliche Niederlagen situationsbedingten Gegebenheiten zu, welche sich auf Selbstzuschreibungen, Fremdzuschreibungen, Materialien oder unfaire Regeln beziehen. Zugleich erscheinen die Kampfspiele für die Mädchen stets als ungewohnt und werden insbesondere beim Agieren vor den Augen der Mitschülerinnen und Mitschüler möglichst vermieden oder abgebrochen. Neben den körperlich-expressiven Selbstdarstellungen und verbalen Ausdrucksformen sind ebenso Lautäußerungen in Form von Lachen, Lächeln sowie Seufzen, Stöhnen und Schreien während des Sportunterrichts zu vernehmen. Bei den Schülerinnen und Schülern bricht im Moment eines Sieges ein Lachen hervor, »es platzt gleich dem Niesen als überwältigende Macht aus dem Menschen heraus« (Schmitz, 2007, S. 160). Dieses Lachen überkommt die Kinder plötzlich und unvermittelt und ist dabei gleichsam bestätigend für die eigene erhoffte Leistung. Bei den Jungen ist das Siegeslachen bereits in kleinen Erfolgen während des Zweikampfes zu vernehmen, bricht dann allerdings in seiner vollen Intensität im Moment des Sieges hervor und kann sich danach noch steigern. Für Prütting (2014b) ist dieses triumphale Lachen »ein synergetisch sich manifestierender zentrifugaler Impuls«, der »explosionsartig ausbricht und sich trotzdem immer noch weiter zu steigern sucht« (S. 1803). Über dieses Lachen werden zugleich der eigene Sieg und damit das eigene Überlegen-Sein öffentlich präsentiert. Innerhalb der Schülerinnengruppen ist dieses Siegeslachen zwar ebenfalls zu beobachten, allerdings scheint es sich nicht weiter zu steigern und geht zumeist in ein Lachen oder Lächeln als Ausdruck von Erleichterung über. Diese Erleichterung äußert sich bei den Mädchen tendenziell eher in Form stillen StolzSeins darüber, diese – mädchenuntypische – Bewegungsaufgabe dennoch bestanden und dabei gesiegt zu haben. Ein Siegeslachen wie bei den Jungen bricht dabei nicht aus, und ein Sieg innerhalb der Kampfspiele wird nicht öffentlich präsentiert. Damit entgehen die Schülerinnen der Stigmatisierung, als jungenhaft zu gelten, wenn sie in Zweikämpfen gewinnen würden. Bei den Jungen geht die Erleichterung im Sieg hingegen mit der Bestätigung der (eigenen und fremden) Rollenerwartung (ein Junge muss einen Kampf gewinnen) einher, was sich im körperlichem Ausdruck »gleichsam als ›Dampfablassen‹ des triumphierenden Siegers, der sich gehen lassen kann« (Schmitz, 2007, S. 160; Herv. i. Orig.) manifestiert. In der Situation der Niederlage hingegen wird eben diese zumeist lauthals verbal relativiert, was oftmals mit einem
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Emotionsexpressionen
entrüstet-künstlichen Lachen begleitet wird. Der Unterlegene scheint mit diesem Auflachen »seine tiefe Kränkung abzulachen« (Prütting, 2014b, S. 1807).193 Die eigene Wertewelt, in der Jungen einen Kampf nicht verlieren dürfen, wird in dem Moment des entrüsteten Lachens, welches ausschließlich bei unterlegenen Jungen vorkommt, in besonderer Ausprägung deutlich. Die Schülerinnen zeigen hingegen kein entrüstetes Lachen, möglicherweise weil es typisch weiblich ist, einen Kampf zu verlieren und über die Niederlage wiederum die eigene Geschlechtlichkeit in das eigene und das Bewusstsein der Mitschülerinnen und Mitschüler gehoben wird. Dass der gemeinsame Kampf von den Jungen als selbstverständlich erfahren wird, verdeutlicht das gemeinsame Auflachen im kämpferischen Vollzug. Dieses kann als situativ spannungsgeladener Bewegungsdialog in antagonistischer Einleibung beschrieben werden, in welchem über das gemeinsame Lachen stets Spannung durchbrochen und neue Spannungen erzeugt wird. Die Spannungszustände werden somit immer wieder neu hergestellt (s. Kap. 6.2.2) und lösen sich schließlich im gemeinsamen eruptiven Lachen auf. Hermann Schmitz folgend lässt sich der kämpferische Bewegungsdialog der Jungen als ein »gerichtetes Kraftfeld« definieren, »in dem die überwiegende zentrifugale, expansive Tendenz durch entgegenkommende Resonanz immer wieder aufgefangen und zu neuen, ausladenderen Schwingungen angeregt wird« (Schmitz, 1969, S. 295).
Hingegen äußerte sich im kämpferischen Bewegungsvollzug der Mädchen ein stetig aufflammendes Lachen, was dadurch erklärt werden kann, dass »erst das Unbekannte, die Distanz zu einer gegebenen Situation« (Lange, 2009, S. 102) diese Lachanlässe schafft. Für die Mädchen scheinen diese ungewohnten und stets als ursprünglich männlich konnotierten kämpferischen Bewegungen in der ganzkörperlichen Reaktion des Lachens zu münden, als körperliche Antwort auf eine für die (als weibliche empfundene) Person unbeantwortbare Situation. Das gemeinsame und unkontrollierte Lachen von Sieger und Verlierer kann dabei zu einer Erfahrung von Gleichheit führen: »Indem wir miteinander dem anonymen und autonomen Funktionieren des Fleisches ausgeliefert sind und unserer selbst auf diese Weise vorübergehend sozusagen ex193 Schütz grenzt die Alltagsrealität als dominante Wirklichkeit von geschlossenen Sinnbereichen ab, welche sich mit ihrer spezifisch eigenen Wirklichkeit in kurzzeitigen menschlichen Erfahrungen wie im Traum oder der Sexualität finden (Schütz, 1982, S. 207ff.). Berger verortet in diesen Sinnbereichen die Erfahrung des Komischen, das (bei Berger religiös konnotierte) erlösende Lachen ermöglicht eine Flucht aus der Alltagsrealität in die Realität des Komischen (vgl. Berger, 1998). Genauso wie Plessner (2003) verweist Berger somit auf das Lachen als eine transzendente Begegnung, da Humor und Komik fernab der realen Alltagswelt zu verorten sind.
Zusammenfassung
257
propriiert werden, machen wir die Erfahrung, dass keine Hierarchie länger Existenzrecht hat.« (Vlieghe, 2009, S. 48)
Bei den Schülerinnen und Schülern gleichermaßen kann schließlich das Verzweiflungslachen in öffentlichen Situationen beobachtet werden, mithilfe dessen die Schülerinnen das als burschikos empfundene Zweikämpfen unterbrechen und die unterlegenden Jungen ihre Niederlage relativieren können. Dieses Verzweiflungslachen muss dabei nicht zum erhofften Kampferfolg führen. Erst wenn das verzweifelte Auflachen nicht katharisch wirkt und keine Flucht aus einer bedrängenden Situation darstellt, wird es zu einem verzweifelten Lachen und bleibt nicht bloß ein verlegendes Lachen: »Das Lachen des unerlöst Verzweifelten ist selbst verzweifelt unerlöst.« (Prütting, 2014b, S. 1813)
Das Lachen scheint somit, neben seinem unmittelbar-eruptivem Charakter, auch als eine durchaus »soziale Geste der Kommunikation« (Piepenbrink, 2013, S. 28), über welche die Schülerinnen und Schüler sich geschlechtsspezifisch voneinander abgrenzen, differenzieren und das Lachen in seinen unterschiedlichen Ausprägungsformen zur Verwirklichung geschlechtsstereotypischer Verhaltensmuster nutzen. Hingegen kann das unmittelbar-eruptive Lachen als präreflexiv-leibliches Handeln beschrieben werden, in welchem die Schülerinnen und Schüler »situativen Erwartungsstrukturen« (Gugutzer, 2012, S. 54) widersprechen. Das bei den Schülerinnen und Schülern in den Kampfspielen auftretende Lächeln scheint vielsagend, da »die Situation, auf die es antwortet bzw. die es stiftet, überreich binnendiffus ist« (Prütting, 2014b, S. 1785). Das Lächeln dient stets als kommunikatives Ausdrucksmittel zwischen den in die Bewegungssituation involvierten Partizipanten. Innerhalb der Zweikämpfe der Schülerinnen scheint das verlegene Lächeln ungewohnte Bewegungen zu begleiten, welche öffentlich und konträr zu den eigenen (Bewegungs-)Erfahrungen ausgeführt werden. Zugleich stellt es gegenseitiges Vertrauen und Verständnis her. In den Zweikämpfen der Jungen scheint das Lächeln als Spannungsgeber aufzutreten; es dient der Herausforderung und proklamiert öffentlich die eigene Präpotenz. Innerhalb der Zweikämpfe kann das Lächeln stets in einer bestimmten Bewusstheit ausgeführt werden, wenn es als bewusste Reaktion auf die Partnerin oder den Partner oder die Umgebung angewendet wird, um entsprechende Wirkungen zu erzeugen. Zugleich scheint der leibliche Sinn als präreflexives Moment die Handlung des Gegenübers und die Situation zu erfassen (Gugutzer, 2010, S. 181) und das eigene körperliche Lächeln anzuleiten. In seiner grundlegend protopathischen Struktur (Prütting, 2014b, S. 1522) scheint das Lächeln somit im Zweikampf epikritische Tendenzen beim Gegenüber zu evozieren,
258
Emotionsexpressionen
welche mit Gefühlen von Enge einhergehen und nach entsprechend reaktiven Handlungsweisen verlangen. Diese Handlungsweisen äußern sich wiederum im entgegneten Lächeln als Ausbruch aus dem Engegefühl in ein Gefühl der Weite. Plessner (1970, S. 183) sieht darin eine Art Lockerung und »Distanzierung des Menschen zu sich und seiner Umwelt« da das Lächeln »als natürliche Gebärde bereits im Ausdruck zum Ausdruck Abstand wahrt.« Neben dem Lachen und Lächeln als emotionale Ausdrucksformen lassen sich ebenso Lautäußerungen des Seufzens, Stöhnens und Schreiens im Sportunterricht vernehmen. Diese Laute sind ebenfalls als soziale Kommunikationsformen zu werten, wenn sie an die Partnerin, den Partner oder das unmittelbare Umfeld gerichtet sind. So kann das gegenseitige Aufseufzen zu Beginn eines Kampfspieles als ein geschlechtstypisch weibliches Phänomen von Unlust gewertet werden, wobei das Aufseufzen des unterlegenen männlichen Partners ebenso einen Zweikampf verhindert oder eine Niederlage relativiert. Zugleich kann lautes Stöhnen insbesondere bei den Jungen als Mittel der Präsentation vor den Mitschülerinnen und Mitschülern gewertet werden, welches oftmals durch das Imitieren medialer Vorbilder (wie dem Wrestling) von einem spezifisch körperlichen Ausdruck begleitet wird.
8
Fazit und Ausblick
In den folgenden Ausführungen sollen die Ergebnisse dieser Ethnografie summarisch und geordnet dargestellt werden, um Synergien und Differenzen geschlechtsspezifischer leiblicher Praktiken aufzuzeigen, leibphänomenologisch zu interpretieren und schließlich eine Brücke zur Pädagogik zu schlagen. Hierbei ist zu beachten, dass eine qualitativ ausgerichtete ethnografische Arbeit keine allgemeingültigen Aussagen treffen kann. Ziel dieses abschließenden Kapitels ist es hingegen, anhand der aus den qualitativen Analysen gewonnen Daten Hypothesen abzuleiten, welche als Anknüpfungspunkte für künftige Forschung dienen können. Es wird diskutiert, inwieweit die Ergebnisse die Perspektiven auf geschlechtsspezifische Fragestellungen in der Sportwissenschaft um den expliziten Einbezug von Leiblichkeitskonzepten erweitern und schließlich die (sport-)pädagogisch-didaktische Auseinandersetzung mit dem Themenfeld Kämpfen aus einer Geschlechterperspektive heraus intensivieren können.
8.1
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
In der vorliegenden Arbeit werden erstmalig die Akteure im curricularen Bewegungsfeld Kämpfen mit einem Fokus auf das Geschlecht beleuchtet und das Bewegungsphänomen des kindlich-spielerischen Zweikämpfens im Sportunterricht unter dem expliziten Einbezug von Leib und Körper phänomenologisch beschrieben. Die Betrachtung eines körperkontaktintensiven Bewegungsphänomens wie das Kämpfen scheint dabei in besonderer Weise geeignet, um geschlechtsspezifische körperlich-interaktive Praktiken und damit verbundene spürend-leibliche Erfahrungen aufzudecken. Die ursprüngliche Intention der Arbeit war es, das weitgehend unerforschte und im niedersächsischen Kerncurriculum verankerte Kämpfen im Sportunterricht ethnografisch zu begleiten, um die dem Kämpfen bzw. dem Kampfsport und der Kampfkunst zugeschriebenen vielfältigen sozialen Wirkweisen nach-
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Fazit und Ausblick
zuspüren (s. Kap. 1). Da ethnografische Feldforschung niemals geradlinig und vorab festgelegt verläuft, rückten im Laufe meines Feldaufenthaltes aufgrund der Beobachtungen und Interviews schnell geschlechtsspezifische Fragestellungen in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses, da geschlechtsspezifische Handlungsmuster stets direkt beobachtbar waren und Geschlechterdifferenzen von den Schülerinnen und Schülern sowie den Lehrkräften in nahezu jeder begleiteten Sportstunde thematisiert wurden. Ausgehend von den gängigen Geschlechtertheorien der Sozialwissenschaften und der Aufdeckung mangelnder Berücksichtigung von Leib und Körper in der (sportwissenschaftlichen) Geschlechterforschung (s. Kap. 2) wurde ein Vorgehen im Feld gewählt, welches sich theoretisch auf das Konzept der Neophänomenologie (Uzarewicz, 2011; Gugutzer, 2012) stützt, das anhand des begrifflichen Instrumentariums der Neuen Phänomenologie die Beschreibung der im Laufe des Feldaufenthaltes iterativ gewonnen Fragestellungen nach den geschlechtsspezifischen leiblichen Praktiken im kindlich-kämpferischen Bewegungsdialog ermöglichte (s. Kap. 3). Aufbauend auf diesen theoretischen Grundannahmen, welche sich parallel zu meinem Aufenthalt im Feld stets weiterentwickelten, konnte mein Vorgehen als im Unterricht teilnehmende Forscherperson begründet werden, um ebenfalls eigene Erfahrungen bzw. eigenes Mitspüren von spezifischen Kampfsituationen zu ermöglichen. Für dieses Vorgehen konnte auf tradierte sozialwissenschaftliche Datenerhebungs- und Auswertungsmethoden, wie dem narrativen Interview, der teilnehmenden Beobachtung und der Auswertung nach dem Stil der Grounded Theory, unter stetig reflektiertem Miteinbezug der eigenen Forscherrolle zugegriffen werden (s. Kap. 4). Über die ethnografische Begleitung des Sportunterrichts konnten schließlich drei Kernkategorien gebildet werden, welche eine sukzessive Annäherung von den Atmosphären, über die Räume hin zu emotionalen Ausdrucksformen der sich-bewegenden Individuen beschreiben und jeweils geschlechtsspezifische leibliche Praktiken im kindlichen spielerisch-kämpferischen Bewegungsvollzug darstellen. So scheinen die räumlich-dingliche wie auch die soziale Umwelt bereits geschlechtsspezifisch und biografisch bedingte differente Erwartungen und als Atmosphären entsprechende Gefühle bei den Schülerinnen und Schülern zu evozieren. So werden lustvolle Erwartungen der Jungen und Unsicherheiten der Mädchen in dem entsprechend differenten Umgang mit den Materialien und den sozialen Inszenierungen deutlich. Ebenfalls trägt das Handeln der Lehrkraft mit den entsprechenden Inhalten und der Dramatisierung von Geschlechtlichkeit dazu bei, wie das Kämpfen im Sportunterricht geschlechtlich wahrgenommen wird (s. Kap. 5). Die Inszenierung der eigenen Geschlechtlichkeit wird dabei insbesondere über die räumliche Verteilung in der Sporthalle und das Eingehen von Nähe und Distanz im gemeinsamen kämpferischen Bewegungsdialog
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
261
deutlich. Eine wichtige Rolle scheint dabei das Gefühl des Beobachtet-Werdens und des Beobachtens zu spielen. So konnte aufgezeigt werden, dass die Schülerinnen eher vermeiden, vor den Augen der Mitschülerinnen und Mitschüler zu kämpfen und dieses nicht-mädchentypische Kämpfen vor den anderen auch als Grund für den Abbruch der Kampfspiele heranziehen. Die Jungen hingegen scheinen eher die gemeinsamen Kampfspiele präsentieren zu wollen, was sich bereits in der Wahl der Mattenlage im Mittelpunkt des Raumes ausdrückt. Im Zweikampf agieren die Jungen dabei sehr körperbetont, was synästhetisch als hartes Kämpfen charakterisiert werden kann. Die Mädchen hingegen scheinen stets Distanz zu wahren und weich zu kämpfen, wodurch geschlechtertypisierende Vorurteile und Zuschreibungen über das Handeln der Kinder und dem damit verbundenen Gefühl von hartem oder weichem Kämpfen bestätigt werden (s. Kap. 6). Das gemeinsame Sich-Bewegen wird dabei stets von emotionalen Ausdrucksformen begleitet. Diese scheinen über Darstellungen, Verbalisierungen oder Lautäußerungen wie das kindliche Lachen entsprechende empfundene Spannungen im kämpferischen Bewegungsvollzug, welche sich in der körperlich-interaktiven Inszenierung und leiblich-spürbarer Empfindung von eigener Geschlechtlichkeit bilden, präreflexiv ab- und wieder aufzubauen. Ebenso dienen derartige emotionale Ausdrucksformen als kommunikativ eingesetzte Mittel, um Kampfspiele abzubrechen oder weiterzuführen und somit das eigene Geschlecht wiederum typisierend darzustellen und zu spüren (s. Kap. 7). Insgesamt scheinen die dem Kämpfen zugeschriebenen Wirkweisen, wie der Abbau von Geschlechterstereotypen (s. Kap. 1.4), somit nicht bestätigt werden zu können. Hingegen offenbaren sich im Bewegungsfeld Kämpfen vielfältige körperlich-interaktive und oftmals scheinbar präreflexive Strategien der Schülerinnen und Schüler, das eigene Geschlecht darzustellen, Geschlechterstereotype damit zu bestätigen und sich somit auch entsprechend als ein Geschlecht zu fühlen. Diese Strategien äußern sich dabei in einer tendenziell eher ablehnenden und vermeidenden Haltung der Schülerinnen gegenüber den Kampfspielen bzw. einer Inszenierung der eigenen Männlichkeit der Schüler mithilfe der Kampfspiele. In sämtlichen begleiteten Unterrichtseinheiten wurden Geschlechterstereotypen somit von den Schülerinnen und Schülern tendenziell eher bestätigt und weiter verinnerlicht, indem diesen über das Verhalten der Schülerinnen und Schüler entsprochen wurde, welches insbesondere im gemeinsamen Bewegungsvollzug eng mit dem Gefühl, ein Geschlecht zu sein, verbunden scheint. Die beobachtbare Reifikation von Geschlechterstereotypen möchte ich im Folgenden im Rahmen eines theoretischen Modells veranschaulichen, welches die Ergebnisse dieser Arbeit auf einer abstrakteren Ebene widergibt und für den hier behandelten Gegenstandsbereich praktikabler als eine Grounded Theorie
262
Fazit und Ausblick
erscheint (s. Abb. 18). Dieses Modell soll schließlich in einer eigenen interpretativen Hypothese aufgegriffen werden.
8.2
Leibliche Praktiken der Geschlechterordnung im kindlich-spielerischen Zweikampf – ein interpretatives Fazit
Wie in den Kapiteln 5–7 aufgezeigt werden konnte, scheinen die räumlichdingliche und soziale Umwelt, die räumliche Positionierung der Schülerinnen und Schüler zueinander und ihr Verhältnis von Nähe und Distanz im Zweikampf sowie die differenten Ausdrucksformen eigener Emotionen die bereits im Kindesalter internalisierten soziokulturellen Geschlechterstereotype weiter zu bestätigen (s. Abb. 18). Im Bewegungsfeld des Zweikämpfens werden die leibkörperliche Erfahrung und Bestätigung von geschlechterstereotypen Rollenbildern verstärkt deutlich, da es sich um ein als typisch männlich wahrgenommenes Bewegungsfeld handelt, welches sich zugleich als sehr körperkontaktintensiv darstellt.
Abb. 18: Einflüsse leibliche Praktiken im kämpferischen Sich-Bewegen
Kinder im Schulalter sind sich ihrer eigenen sozialen Geschlechtlichkeit bewusst und verhalten bzw. bewegen sich entsprechend sozial passend (Hunger, 2012,
Leibliche Praktiken der Geschlechterordnung im kindlich-spielerischen Zweikampf
263
S. 160).194 Dies äußert sich in den Interaktionen während der Zweikämpfe, welche geschlechtsspezifisch differenziert und typisiert werden können, wodurch sich die körperlichen Bewegungspraktiken »als kulturelle Aushandlungsweisen von Bewegungswissen« (Klein, 2014, S. 87) verstehen lassen. In den Zweikämpfen erfahren sich die Jungen als männlich, indem sie über den körperkontaktintensiv-nahen Bewegungsvollzug sowie die Präsentation und Selbstdarstellung vor den Mitschülerinnen und Mitschülern nicht nur (medial vorgegebene) Geschlechterstereotype bestätigen, sondern sich über ihr Handeln auch als different zu den Mädchen erleben. Diese werden als schwächer und distanziert-vorsichtiger erlebt, während die Mädchen hingegen die Jungen als ungehemmter, stärker und grober wahrnehmen. Über die in dieser Arbeit dargestellten leiblichen Praktiken werden diese Geschlechterrollen einerseits körperlich-praktisch präsentiert und zugleich leiblich-spürend erlebt. Die Geschlechterdualität wird somit als soziale Norm nicht bloß in den Zweikämpfen als situativ-unmittelbare Interaktionen körperlich her- und dargestellt, sondern als »perceptive synonymy« (Kirkengen, 2001, S. 126) dauerhaft gespürt und leibkörperlich internalisiert. So dringt die eigene Geschlechtlichkeit über mädchentypische oder jungentypische Körperhaltungen, Berührungen, Darstellungen etc. immer wieder als leiblich-affektives Betroffensein in das eigene Geschlechtsempfinden. Bereits in der frühen Kindheit normativ internalisierte Geschlechterstereotypen scheinen somit als Erinnerungsgefüge präreflexiv inkorporiert: »Die Erinnerungsfähigkeit des Körpers ist insofern als ein Vehikel zu betrachten, auf dem ein vergeschlechtlichter, zunächst dem Leib äußerlicher, strukturierter Sinn zu erfahrbaren, strukturierenden Sinnen wird. Dasjenige aber, was wir demgemäß ›authentisch‹ als innere Erfahrung wahrnehmen, ist nichts weiter als das präreflexive habitualisierte Suchen nach einer Ursache für einen Nervenreiz auf dem Rücken bereits vorhandener Erfahrungen, samt der auf Gewohnheit basierenden Interpretation derselbigen.« (Wuttig, 2010, S. 358; Herv. i. Orig.)
Über die leibkörperlichen Erfahrungen werden leibliche Dispositionen ausgebildet und soziokulturelle Kompetenzen erlernt, welche sich habituell in den Leib einschreiben. Im spielerisch-kämpferischen Bewegungshandeln werden die leiblichen Dispositionen über das abgrenzende Verhalten zum anderen Geschlecht weiter strukturiert. Dies bedarf einer für die Geschlechterdualität notwendige Wahrnehmung von innen und außen, von eigenem und fremden Geschlecht im kindlichen Erleben. Wie aufgezeigt wurde sind die Abgrenzungen 194 Die sozial definierten Geschlechterrollen sind dabei bereits vor dem zwölften Lebensjahr soweit internalisiert, dass das Wachstum und die damit einhergehenden körperlichen Veränderungen in der Pubertät offenbar wenig Einfluss auf die geschlechtsspezifischen Körperkonzepte der Jugendlichen haben (Hartmann-Tews, 1990, S. 157).
264
Fazit und Ausblick
zum anderen Geschlecht dabei bereits als atmosphärisches Gefühl den Räumlichkeiten, Dingen, aber auch den Inhalten, Methoden und der sozialen Umwelt implizit und kann die Schülerinnen und Schüler im Sportunterricht leiblich ergreifen. Über die körperliche Positionierung und das Eingehen von Nähe und Distanz sowie über die differenten Expressionen der eigenen Emotionen werden die Zweikampfspiele im Sportunterricht entsprechend des eigenen Geschlechts entweder abgebrochen oder – insbesondere unter Beobachtung der Mitschülerinnen und Mitschüler – ausgelebt. So verhindern die Schülerinnen die Bildung geschlechtlich konnotierter Leibesinseln, indem sie Berührungen von bestimmten, mit geschlechtlicher Bedeutung aufgeladenen Körperregionen vermeiden. Als bewegungspädagogisch entscheidend charakterisiert Funke-Wienke (2009, S. 14) den »Zugewinn an Handlungsgeschick, an Körpertechnik […] was zunehmend dazu führt, der Situation mit ihren binären Anforderungen und Erfahrungen freier, mit einem größeren Verständnis für Facetten, Abweichungen, Zumutungen entgegenzutreten«.
Im in dieser Arbeit beobachteten spielerischen Zweikampf zeigt sich insofern kein bewegungs- bzw. weltbildender Ausgang, da die Übungsprozesse keinen neuen Grad an »leiblicher Stärke und Geschicklichkeit« (ebd. S. 13) konstituieren. Die Gefühle des Unwohl-Seins in geschlechtsspezifischen Situationen drängen sich dabei nicht lediglich als eine ästhetisch-räumliche Qualität auf, »sondern vor allem als ein interpersonales Feld zulässiger und unzulässiger Anschlüsse und zu erwartender Reaktionen« (Slaby, 2011, S. 35).
Das Gefühl der Schülerinnen und Schüler, in einem öffentlichen Raum wie der Sporthalle entsprechend ihrem Geschlecht zu handeln, kann als affektiv erfahrene Atmosphäre beschrieben werden, welche sich situativ im Sportunterricht ausbreitet und sämtliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfasst. Hat der Leib bei Lindemann lediglich eine passiv-stabilisierende Funktion für die gesellschaftlich-kulturellen Umstände und bildet so ein »strukturkonservatives Phänomen« (Gugutzer, 2004, S. 110), so ist diese Sichtweise aufgrund der dargestellten Ergebnisse zu erweitern. Leibliche Erfahrungen scheinen ebenfalls das eigene Körperwissen zu beeinflussen. So können die Schülerinnen über das spielerisch Zweikämpfen wiederholt leibliche Erfahrungen machen, die konträr zu ihrem Wissen des typisch Weiblichen und den damit verbundenen eigenen Körpererfahrungen stehen. In der Folge werden diese leiblichen Erfahrungen vermieden, um zwischen diesen Leiberfahrungen und dem Körperwissen eine Kongruenz herzustellen. Über die aufgezeigten geschlechtsspezifischen leiblichen Praktiken, wie die Vermeidung von intensivem Körperkontakt über Distanzwahrung oder den Abbruch von Kampfspielen unter Beobachtung in Form
Leibliche Praktiken der Geschlechterordnung im kindlich-spielerischen Zweikampf
265
von Emotionsexpressionen, wird im Sportunterricht schließlich das soziokulturell normierte und bereits internalisierte Geschlechterwissen bestätigt, die körperlichen Praktiken führten zu einem geschlechtsspezifisch weiblichen leiblichen Spüren. Die eigenleiblichen Erfahrungen beim Kämpfen führen somit nicht zu einem veränderten Körperwissen und damit einhergehend auch nicht zu einer veränderten Sicht auf Geschlechterstereotype. Stellen die im Sportunterricht durchgeführten Kampfspiele eine Art Krisenexperiment (Garfinkel, 1967, S. 35ff.) dar, in welchem sozial normierte Geschlechterstereotype durch das von den Mädchen betriebene männliche Kämpfen gebrochen werden, kommen damit zugleich die (leiblichen) Praktiken zum Vorschein, wie die Schülerinnen versuchen, die Stereotype wiederherzustellen bzw. zu bestätigen. Zugleich halten die Jungen diese soziale geschlechterstereotype Normierung ebenfalls aufrecht, was insbesondere im geschlechterheterogenen Zweikämpfen zu beobachten ist, da dort die Jungen genauso wie die Mädchen distanziert und mit wenig Körperkontakt zu kämpfen scheinen. Die leibkörperlichen Erfahrungen der Jungen in den Kampfspielen, welche primär von intensivem Körperkontakt und der Präsentation vor den Mitschülerinnen und Mitschülern gekennzeichnet waren, bestätigten damit die eigenen geschlechterstereotypen Vorannahmen. Das Alter der begleiteten Kinder fällt bereits in die Prä-Adoleszenz, welche gekennzeichnet ist »durch beginnende seelische Unsicherheit, verursacht durch die sich nun entwickelnde genitale Sexualität. Die Jungen meiden die Mädchen und fangen an, sich von der Mutter zu lösen. Die zweite Trotzphase beginnt, und zwar mit Selbstbehauptung und IchZentrierung. Die Frühjugendlichen sind angeberisch und protzen mit ihrer Kraft […] Typisch ist für manche Mädchen ständiges Kichern und Albern« (Noack, 2007, S. 129).
Die Verhaltensweisen der Schülerinnen und Schüler sind somit stets im Kontext der körperlich-pubertären Entwicklung zu sehen, welche die stetig fortschreitende Leibesinselentwicklung von Brüsten oder Genitalien, die Bewegungshandlungen im Zweikampf sowie die eigene Wahrnehmung beeinträchtigen. Die Kinder erleben im Zweikämpfen ihr Gegenüber und damit sich selbst in diesem Alter verstärkt als geschlechtlich bestimmt. Durch die am Körper orientierte konstante Zweigeschlechtlichkeit erwächst die eigenleibliche Erfahrung des Geschlechts. Die hier aufgezeigten geschlechterdifferenten leiblichen Praktiken, welche die kindliche Geschlechterordnung hervorbringen und auch stabilisieren, werden über Erfahrungen des leiblich-affektiven Betroffen-Seins hervorgebracht. Dies impliziert, dass die Geschlechterordnung nicht stets aktiv-willentlich von den handelnden Schülerinnen und Schülern hervorgebracht wird, sondern ebenso als »Produkt eines passiv-pathischen Handelns« (Gugutzer, 2014, S. 102) zu beschreiben ist, wenn sich der Leib präreflexiv als ein »spürbarer
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Fazit und Ausblick
innerer Widerstand gegenüber den strukturellen Gegebenheiten« (ebd.) aufdrängt. Die Momente, in denen die Schülerinnen und Schüler in den geschlechtsspezifisch bedeutungsvollen Zweikampf im Sportunterricht eintreten, evozieren gleichsam ein affektives Betroffensein von der eigenen Geschlechtlichkeit – einerseits in Einleibungsprozessen während des gemeinsamen Bewegungsvollzugs und andererseits im räumlich-dinglichen sowie sozialen Kontext. Das Zweikämpfen scheint damit in besonderem Maße Geschlechterkonstruktionsprozesse anzuregen, wobei sich hierbei zwei geschlechtsspezifisch differente Weisen unterscheiden lassen. So erscheint das als männlich konnotierte Kämpfen für die Schüler zu ihren internalisierten männlichen Leiberfahrungen kongruente Erfahrungen zu ermöglichen und Geschlechterstereotype zu fördern. Es werden aufgrund des beobachtbaren körperlichen Verhaltens der Schülerinnen und Schüler nicht nur Geschlechterstereotype bestätigt, sondern diese von den Schülern im Bewegungsvollzug auch gespürt. Unterlegene Schüler zeigen dabei unterschiedliche Praktiken, die von ihnen wahrgenommene Divergenz zwischen dem eigenen Gefühl, männlich zu sein und der Leiberfahrung des unmännlichen Verlierens auszugleichen.195 Befinden sich die Schülerinnen in einem von den Lehrkräften angeordneten spielerischen Zweikampf, führt dies zu verschiedenen Formen des affektiven Betroffen-Seins, welche sich situationsspezifisch ergeben. Einerseits werden derartige Bewegungsformen und die entsprechenden Materialien als typisch männlich wahrgenommen, was für das eigene Geschlecht als untypisch wahrgenommene körperliche wie soziale Erfahrungen impliziert (nahkörperlichberührungsintensives Gegeneinandergerichtet-Sein, jungenspezifisches Handeln durch den Zweikampf vor den Augen der Mitschülerinnen etc.). Diese neuartigen Leiberfahrungen, welche die Schülerinnen unmittelbar affektiv ergreifen, werden dabei allerdings nicht (wie oftmals erhofft) als weibliche Leiberfahrungen in das wahrgenommene eigene Geschlechtsbewusstsein integriert, sondern über die leiblichen Praktiken (s. Kap. 5–7) derartig variiert oder sogar vermieden, dass sämtliche leibkörperliche Erfahrungen wieder zu den bislang internalisierten weiblichen Leiberfahrungen, welche stets auch soziokulturell gewachsen sind, kongruent erscheinen. Andererseits scheinen die Schülerinnen in Momenten gefühlten Unbeobachtet-Seins diese neuartigen Leiberfahrungen durchaus zuzulassen, was vorsichtige Hinweise auf einen methodisch-didaktisch geschlechtersensiblen Sportunterricht geben kann. 195 Die dargestellten Praktiken der Geschlechterdifferenzierung sind nicht als willkürlich zu beschreiben, »sondern die Tatsache, dass genau diese Praktik (und keine andere) in genau diesem räumlichen und zeitlich situierten Kontext zur Anwendung kommt, lässt auf ihren spezifischen Stellenwert als routinierte Handlung im Feld und damit ihre Bedeutung für die Konstitution impliziter Ordnungen schließen« (Budde, 2014, S. 134).
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Hypothesenartig lassen sich die Ergebnisse interpretativ folgendermaßen zusammenfassen: Zur Konsolidierung der eigenen Geschlechtsidentität schaffen die Kinder repetitiv ein Gleichgewicht zwischen der beobachtbar körperbezogen-interaktiven Darstellung der eigenen Geschlechtlichkeit durch Reproduktion geschlechtsspezifischer soziokultureller Normierungen (Doing) und der damit verbundenen leiblich-spürbaren Erfahrung, ein bestimmtes Geschlecht zu sein, welche zumeist im Umgang mit Nähe und Distanz und Berührungen bestimmter geschlechtlich konnotierter Leibesinseln entspringt (Feeling). Wird dieses Gleichgewicht gestört, indem wie bei den Zweikämpfen der Mädchen nun körperliche Erfahrungen nicht mehr kongruent mit dem Gefühl, ein bestimmtes Geschlecht zu sein, sind, stellen die Kinder über die geschlechtsspezifischen leiblichen Praktiken wieder ein Gleichgewicht zwischen Doing und Feeling Gender her. Dieses Gleichgewicht wird entweder dadurch erreicht, dass die entsprechende neue Erfahrung leibgeschlechtlich akkommodiert und in das eigene biografisch gewachsenen Leibgefüge integriert wird, oder es werden über die leiblichen Praktiken Assimilierungsprozesse angeregt, indem die entsprechenden Erfahrungen dem bereits geschlechtsspezifisch internalisierten Empfinden angepasst werden, wie es im Rahmen dieser Studie beobachtbar wurde (s. Abb. 19).
Leibliche
Praktiken
Feeling
Doing
Abb. 19: Äquilibrium leibkörperlicher Geschlechtsidentität
8.3
Ein (pädagogischer) Ausblick
Das Sich-Bewegen im spielerischen Zweikämpfen birgt vielfältige Identifikationsmöglichkeiten mit dem eigenen Geschlecht. Das Handeln richtet sich dabei nach dem Gespürten und umgekehrt, um eine stetige Balance zwischen Fühlen
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Fazit und Ausblick
und Handeln/Darstellen von Geschlecht zu erreichen, was wiederum bedeutsam für die kindliche Geschlechtsidentitätsentwicklung scheint. Zusammenfassend können allerdings gleichsam eine tendenzielle Bestätigung und Verstärkung kindlicher Geschlechterstereotype ausgemacht werden, die sich über Differenzerfahrungen realisieren und leibkörperlich erfahren werden. Ein Abbau von geschlechterspezifischen Rollenklischees durch das spielerische Kämpfen im Sportunterricht konnte hingegen nicht beobachtet werden, was schließlich auch dem Handeln der Lehrkräfte geschuldet scheint. Anstatt situationsbezogen Koedukation reflexiv zu thematisieren, unterstützen die Lehrkräfte über die Inhalte und das Reglement zumeist geschlechterhomogene Strukturen. Im Rahmen dieser Studie zeigte sich in den begleiteten Sportstunden zumeist eher ein koinstruktiver als ein koedukativer Sportunterricht. Diese Problematik scheint dabei allerdings nicht aus einer stets mangelnden geschlechtersensibelreflexiven Haltung der Sportlehrkräfte zu resultieren, sondern insbesondere aus der diffusen inhaltlichen Konstitution des Bewegungsfeldes Kämpfen. In der phänomenalen Betrachtung des Zweikämpfens im Sportunterricht konnte beobachtet werden, dass sich das Kämpfen ausschließlich in Form von Schiebeund Ziehspielen bzw. technikunspezifischen Raufspielen äußerte, welche inhaltlich und methodisch nicht aufeinander aufbauten und in keinem Fall eine spezifische Technikvermittlung stattfand (s. Kap. 5.2.1). Damit wird die Bedeutung einer notwendigen inhaltlichen und methodischdidaktischen Konzeptualisierung des Bewegungsfeldes Kämpfen deutlich, woran sich vielfältige Fragen anschließen: 1. Sollen sportartspezifische oder ausschließlich sportartenunspezifische Inhalte gelehrt werden? 2. Welche Kampfsportarten und Kampfkünste eignen sich für den Sportunterricht (und welche nicht)? 3. Wie können die Inhalte methodisch aufeinander aufbauen, um entsprechende Kompetenzen zu erlangen (und wie werden diese Inhalte bewertet)? Hier scheint mir eine große Unsicherheit seitens der Sportlehrkräfte vorzuherrschen. Um geschlechtersensibel unterrichten zu können, ist allerdings eine inhaltlich klare Zielsetzung und Strukturierung der Sportunterrichtseinheiten notwendig. Somit scheint es erforderlich, bereits in der Ausbildung der Lehrkräfte anzusetzen und entsprechend geschlechtersensibles-reflexives Unterrichten in körperkontaktintensiven Bewegungs-feldern wie dem Kämpfen zu thematisieren. Für den Sportunterricht scheint es dabei sinnvoll, wenn insbesondere die Mädchen
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»Erfahrungen in ihnen bislang weitgehend fremden Sportarten und -disziplinen […] zunächst in gleichgeschlechtlichen Gruppen sammeln, ehe koedukativ unterrichtet wird« (Pilz, 1983, S. 131).
So können gegebenenfalls neue leibkörperliche Erfahrungen in die eigene Geschlechteridentität integriert werden, ohne dabei aufgrund des BeobachtetWerdens von den Mitschülerinnen und Mitschülern und dem Darstellen vor dem anderen Geschlecht entsprechende Erfahrungen zu vermeiden. Unerlässlich scheint dabei eine zielführende Technikvermittlung, um auch den schwächeren Schülerinnen und Schülern Werkzeuge an die Hand zu geben, die zumeist kraftorientierten Spiele zu meistern. Aufgabe der Sportwissenschaft und insbesondere der Sportpädagogik ist es, dafür entsprechende Inhalte und begründete Konzepte für kampfsportspezifische -oder unspezifische Unterrichtseinheiten zu erarbeiten und aufbauend auf diesen Konzeptionen Möglichkeiten geschlechtersensiblen Vorgehens für die (angehenden) Sportlehrkräfte aufzuzeigen. Ein methodisch-didaktischer Aufbau von monoedukativem hin zu koedukativem Sportunterricht während einer Unterrichtseinheit Kämpfen erscheint mir dabei sinnvoll, um Geschlechterstereotype aufgrund arbiträrer Unterrichtsinhalte nicht noch weiter zu festigen. Für künftige Untersuchungen wäre es sicher fruchtbar, entsprechende Unterrichtseinheiten zum Kämpfen nach Geschlecht räumlich zu trennen und zu beobachten, ob sich Geschlechterstereotype auch in monoedukativen Kontexten weiter zu internalisieren scheinen. Gleichsam ist nach dem Sinn oder Unsinn von Kompetenzforderung wie »das Aushalten der körperlicher Nähe« (Niedersächsisches Kultusministerium, 2006, S. 19) zu fragen, insbesondere im Kontext der (vor-)pubertären Entwicklungsphase der Schülerinnen und Schüler ab dem Grundschulalter. Für die Lehrkräfte gilt schließlich, dass diese mit ihrer ganzen Person und ihrer spürbaren Begeisterung für eine fruchtbare Lernatmosphäre mitverantwortlich sind: »Sie zeigen es durch ihre Körperhaltung, ihre Gestimmtheit, ihre Gestik, ihren Blick. Räume, Zeitstrukturen, die Person des Lehrenden, der Geruch des Schulhauses – all das sind Erfahrungen, die wir leiblich erleben und die sich in die Erinnerung leiblich einbrennen« (Schultheis, 2013, S. 68).
Somit muss den Lehrkräften ein entsprechendes methodisches Werkzeug in die Hand gegeben werden, um das Kämpfen im Sportunterricht selbst als sinnhaft zu erleben und dadurch vor den Schülerinnen und Schülern dieses Bewegungsfeld mit authentischem Engagement zu unterrichten. Schließlich ist die Methode der Weg, »auf dem man ein Lernziel erreichen will; die Methode ist also wesentlich von diesem Ziel abhängig, aber nur in der groben Richtung, nicht in konkreten Einzelheiten. Nicht
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nur das, was gelernt wird, geht in den Besitz des Schülers über, sondern auch die Art, wie gelernt wird.« (Volkamer & Zimmer, 1982, S. 93; Herv. i. Orig.)
Interessant wäre zudem, das Geschlecht der jeweiligen Lehrkraft und damit ggf. verbundene Rollenzuschreibungen während des Zweikämpfens in den Blick zu nehmen, da im Rahmen dieser Untersuchung kein Zusammenhang vom Geschlecht der Lehrkraft und den leibkörperlichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler beobachtet werden konnte. Neben der durch diese Arbeit noch einmal verdeutlichten dringend erforderlichen weiteren Konstituierung des Bewegungsfeldes Kämpfen im Sportunterricht scheint eine neophänomenologisch-soziologische Betrachtung von Leib und Körper auch für die sportwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Geschlechterpraktiken bedeutsam und erkenntnisreich. Für die Sozialwissenschaften gilt es, die leibkörperlichen Erfahrungen von Geschlecht insbesondere im Kontext der kindlichen Geschlechtsidentitätsentwicklung weiter zu ergründen, denn wie Böhme (2003, S. 314) anmerkt, ist in dem »Geflecht körperlicher Gegebenheiten, leiblicher Erfahrungen, gesellschaftlicher Zumutungen und kultureller Symbole« die eigene, spürbare Geschlechtlichkeit »prekär, fragil, und voller Zweifel«. Der konsequente Einbezug von Leib und Körper in den Forschungsprozess scheint somit nicht ausschließlich für die Sportpädagogik, sondern auch für weitere Forschungsbereiche durchaus lohnenswert. Mein ethnografisches Vorgehen im Sportunterricht ist ein erster Versuch, das Mitfühlen und Mitspüren als eigenes leiblich-affektives Betroffen-Sein in den Forschungsprozess miteinzubeziehen. Insbesondere für körpernahe Situationen wie dem Sport scheint es hier sinnvoll, weitere methodische Werkzeuge zu entwickeln, um den (eigenen wie fremden) Leib als Erkenntnismedium unter der Berücksichtigung der Dualität von Leib und Körper konsequent zu berücksichtigen. Denn trotz einer soziokulturell gerahmten und stets interaktiv hergestellten Zweigeschlechtlichkeit bleibt das Geschlecht letztendlich auch eine subjektive Tatsache – ein Gefühl.
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