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German Pages 92 [96] Year 1845
Ein Gedicht von
©. L. 0. Wolff.
Ein Gedicht von
C>. L. S. W - 1 f f.
Berlin.
Verlag von Veit und Comp.
1845.
An Franz Lißt. In
traulichen Gesprächen dachten
Wir oft an Weimar's goldne Zeit, Und suchten in den alten Räumen
Vergangne Stunden uns zu träumen Voll innrer wahrer Herrlichkeit, Denen das volle Glas wir brachten.
Dann stilltest Du das heiße Sehnen, Das unser Herz dabei befiel, Mit Deinen mächtgcn Riesenplänen
Und Deinem wunderbaren Spiel.
So grüßtest Du in Weimar's Fluren,
In Jena's stiller Ruhe mich; Ob Jahre auch dazwischen schwanden,
Sobald wir uns von Neuem fanden Durchglühte die Erinnerung Dich
An jene herrlichen Naturen. —
Dich störte nicht deö Alltags Blöße,
Dein Stern riß Dich auf immer los; Du bist so gut in Deiner Größe,
In Deiner Güte stets so groß.
Ein Kaiser auf dem Römerzuge,
Durcheilest siegreich Du die Welt;
Doch freut eS Dich den Blick zu lenken Zu Freunden, die still Dein gedenken;
Du streifst ihr Herz, von Dir erhellt,
Dann plötzlich wie das Glück int Fluge.
Drum, wenn ein Stück von seinem Leben In seinem Werk der Dichter giebt, Wem könnt' ich würdiger es geben AIS Dir, den meine Seele liebt?
P ammer stunde.
La poösie, amis, c’est la preuve de Tarne;
Un rayon dötachd de la cdleste flamme
Qui rdchaufle dans eile et l'amour et la foi. Victor Leroux.
1
Es sinkt der Tag. — Wir haben ihn durchlebt, Wie Menschen eben ihn durchleben dürfen; Wer nicht, in sich verarmt, stets Schätze gräbt, Will auch nicht frech auf jedem Boden schürfen.
Erwartet haben wir, was er gebracht; Die Blumen, die an seinem Strahl erblühten,
Sie blühten auch für uns, wir suchten sie zu hüten,
Noch duften sie. — So komme denn die Nacht. —
Gehört die Stunde, die jetzt still sich naht, Der Sonne noch — gehört sie schon den Sternen? Die Dämmerung, die uns umwoben hat Vereinet Beide, statt sie zu entfernen.
8 Schwach glänzt die Gluth noch, die in's Meer sich senkt,
Schwach scheint der Stern erst, der noch aufwärts steiget, Doch leuchten Beide; ob das Licht sich zu uns neiget, Ob es sich ab von unserm Sehkreis lenkt. —
Denn Gottes ist das Licht; stetö stark und rein In seinem Wesen, klar wie sein Gedanke. In unserm Auge trübt sich nur der Schein
Und es erträgt den mächtgen nicht das kranke. Darum beschwichtigt uns die Dämmerung Und wir sehn uns so gern von ihr umgeben; Sie ist das Element, in dem wir leichter leben Und zauberhaft bringt sie Beruhigung.
Es thut so wohl wenn Alles sanft verschwimmt Und nicht die Blicke die Gedanken stören,
Weil rasch der Geist des Auges Richtuug nimmt, Sich still betrachtend selber zu gehören.
Ein Rahmen ist dann nur die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sanft umfassend;
9 Es steigen Bilder, bald erglühend, bald erblassend
Empor, als hätten sie darauf gchant.
Mild wie das Licht, das vor der Nacht verschwimmt, In solcher wahrhaft friedensselgen Stunde,
Fühlt auch die Seele freundlich sich gestimmt
Und mit der Liebe hochbeglückt im Bunde.
Der Tag mit seinen bunten Farben schied, Versöhnend kommt die Ruhe still gegangen.
Um, einer Mutter gleich, uns traulich zu umfangen Mit altem wohlbekanntem Schlummerlied.
So walte denn und laß des Dichters Brust, Vertrautes Zwielicht, sanft in Dir sich baden!
Du weckst in ihr mit wunderbarer Lust
Gestalten, die er traf auf fernen Pfaden: Erinnerung hat schmeichelnd sich gesellt Zu Bildern, die die Phantasie gerufen,
Er folgt ihr gern: sie führt ihn leise zu den Stufen
Des neuen Tempels einer alten Welt.
10 Wohl dem, den nicht das Leben so zerstört,
Daß er, ob alt auch, gern am Werke bauet, Dem seine junge Kraft einst angehört,
Und dem nicht vor verlornen Mühen grauet; Nein, der von Neuem täglich fromm heran
Trägt Stein' und Mörtel zu dem Hochaltare,
So seiner Jugend Glück, und der sich bis zur Bahre
Demüthig freut, daß er dran bauen kann.
Die Zeit ward anders, die Begeisterung Hat sich von jungen Seelen abgewendet;
Verehren beut nicht mehr Befriedigung Und Dank wird ungern, kärglich nur gespendet:
O arme Jugend, die man schwer beraubt! Das reine Glück, inbrünstig stets zu lieben
Was flammend früh ins Herz sich göttlich eingeschrieben,
Stahlst du dir selbst, seit du dich reif geglaubt.
Ach, wie die Jahre langsam folgen, stürzt
Ein Götterbild in Staub hin nach dem andern.
11 Wozu denn selbst den Heilgen Dienst verkürzt, Daß ohne Stern wir durch die Erde wandern? —
O wärst du reif, du machtest dir's zur Pflicht, Was einst du ehrtest fromm dir zu erhalten,
Durch Bilderstürmer-Wuth und zügelloses Walten Gedieh der Kirche junge Freiheit nicht.
Es ist ein schweres Unglück unsrer Zeit, Ich fühl' es tief, doch darf's mich jetzt nicht stören.
Die Stunde, die dem Gottesdienst geweiht, Soll nur dem Gottesdienste angehören.
Die Geister, die mich luden zu dem Fest, Gehorchen nicht jedwedem Ruf: sie kommen
Zu dem allein, der sie andächtig ausgenommen Und sie nicht ohne Liebe scheiden läßt.
12
2. Komm, setze dich zu mir und leg dein Haupt
An meine Brust, laß meinen Arm stch schlingen
Um dich. — Fühlst Du des Abendwindes Schwingen, Der leise kosend durch das Fenster zieht?
Die Grille zirpt im Gras ihr dumpf einsaitig Lied, Anmuthig rauscht der Baum, so reich belaubt.
Lieb ist die Stunde, wo sich vor dem Blick
Die äußern Gegenstände leicht verwirren, Indeß, gesammelt, wir so leicht nicht irren Bei dem, was sich im Inneren uns zeigt.
O glücklich, wer den Sinn gern solchem Gruße neigt, Ihn führt auf gutem Pfade das Geschick!
Weißt du wohl noch, wie in der ersten Zeit Der jungen Liebe oft wir so gesessen,
13 Und schweigend lächelnd Tag und Nacht vergessen, Nur selten Worte wechselnd, füll bewegt,
Kaum flüsternd was so tief unS Beide süß erregt, In unsrer Herzen frischer Seligkeit?
Vergangen ist seitdem so mancher Tag, Oft in dem Sturm deö Lebens fortgetrieben,
Oft schleichend, so daß wenig nur geblieben Werth daß man es durchlebe noch ein Mal.
Und doch bringt auch von ihm Erinnrung keine Qual Und läßt im Jnnem keine Schmerzen nach.
Zwei Seelen, die ein rein Gefühl verband, Betrübt des Lebens Wechsel nicht auf Erden; Man sagt, daß alt sie mit einander werden: Nicht doch, sie bleiben mit einander jung,
Durch ihres Bundes Kraft und feste Einigung Und merken nicht, daß manches Jahr entschwand.
14 Denn ewge Jugend weilt in dem Gefühl, Sich wechselseitig liebreich zu ergänzen: Man schmückt das Andre mit den eignen Kränzen, Freut sich voll Staunen an dem theuer'n Glück, Das immer vorwärts führt und nimmer drängt zurück —
Ein süß Geheimniß in der Welt Gewühl.
Du weißt es auch, weißt es so gut wie ich;
Es thut dir wohl, des Glückes zu gedenken
Und dich in die Gedanken zu versenken, Die uns in unsrer Liebe sind erblüht. Du kommst; die Stunde füllt mit Freude dein Gemüth
Und liebevoll schlingst du den Arm um mich.
15
3. Jst's nicht als stände jetzt das Leben still? Das halbe Licht, der leise Schritt der Zeit,
Die Ruhe überall! — Wer träumen will, Dem naht der Traum, zu solchem Dienst bereit.
Hörst du den Vogel wohl, er wählte sich Des Zweiges sichre Hut fast unbewußt Zu seinem Schlummer und nun winden sich
Ihm wunderbare Töne aus der Brust.
Die Stimme, die dem Tag gehöret, wacht, Indessen ihn der Schlaf so weich umgiebt.
Und wider Willen übt er in der Nacht, Was er bei Sonnenschein am Meisten liebt.
So geht's auch mir. — In Ruhe still versenkte
Hab' ich vom Drang des Tags mich abgewandt, Da faßt Vergangenheit mich an und lenkt Zurück mich wieder in mein Jugendland,
16 Und gleich dem Vogel dringen, unbewußt, — Als wären sie ursprünglich, nicht erneut — Sich Töne willenlos aus meiner Brust,
Die einst das Herz beseligt und erfreut. Ich sehe meine Kindheit wie im Traum,
Und träume fort als wär' ich noch ein Kind;
So daß sich in deö Elternhauses Raum
Der angeknüpfte Faden weiter spinnt.
Der heilge Christ steht wieder vor der Thür, Sein nächster Bote ist die Dämmerung; •
Die Mutter heißt mich harren nach Gebühr, Doch wagt des Knaben Seele raschen Sprung. Sein Leib ist an dem Orte fest gebannt, Wo er das Losungswort erwarten soll,
Doch greift er mit des Geistes kecker Hand
Tief in den Schrein, verborgner Schätze voll. Die Wünsche, die das junge Herz gequält,
Verwirklicht jetzt die heiße Phantasie
17 Und unter den erfüllten Wünschen wählt Er hastig aus und — trifft das Rechte nie.
Um ihn füllt Dunkelheit rings das Gemach.
Doch drückt er obendrein die Augen zu, Denn seine Seele folgt dem Lichtglanz nach Der Tag und Nacht schon störte seine Ruh.
In seinem Innern strahlt der Weihnachtsbaum Weit Heller noch als er bald wirklich glänzt,
Und trägt die vielen Wunderdinge kaum, Mit denen seine Aeste sind bekränzt. Das Wohlbekannte, heiß Gewünschte, hängt
Ja Alles dort — und sicher noch weit mehr —
O wie das Blut zum kleinen Herzen drängt, Wie pocht es vor Entzücken doch so schwer.
Sieh, durch der festen Thüre Spalten dringt Ein Schimmer — der in's Auge selbst sich schleicht —
Ach, wie er mit der Ungeduld jetzt ringt Horch — öffnet sich dieThür? — nein — doch —vielleicht
18 Rust nicht die Mutter? — nein — noch nicht — doch bald Was nur die Mutter noch zu schaffen hat? —
Wie lang das währt! — O hätt' er die Gewalt,
So spräng' er rasch — es treibt ihn fast zur That. Die Flammen schlagen über seinem Haupt Zusammen — nein er hält es nicht mehr aus. —
So schwer hätt' er es wahrlich nicht geglaubt. — Nein! seine Kinder schickt er nicht hinaus!
Endlich Erlösung! — ha! — ein Gluthenmeer Dünkt ihm der vielen Lichter Wunderschein, Der überfluthend dringet zu ihm her,
Und wie bewußtlos zieht es ihn hinein, Er sieht und sieht doch nicht — es ist so viel,
Daß Alles durch einander vor ihm schwimmt;
Mit seinen Wünschen steht er nun am Ziel, Faßt etwas an — und weiß nicht, daß er's nimmt.
Da überwältigt ihn die Seligkeit,
Dank jauchzt sein Auge, lallet nach sein Mund.
19 Und an der Mutter Brust
— o felge Zeit
Thut lachend, weinend seine Lust er kund.
Ja, heilge Zeit! Du reiches schönes Fest,
Auf das sich alle, alle Kinder freun,
Das, wie uns auch das Leben darben läßt, Wir mit gerührtem Herzen stets erneun.
Das Glück, das einst der Erde ward, erfüllt Die Seele ganz, es bleibt so einfach rein,
Und daß den Kindern es ein Lichtpunkt, hüllt Der Gottheit Strahl in milden Schimmer ein.
Von allen Wundern, die der Glaube schuf,
Ist dies das Liebste mir, die Dankbarkeit Hat es erzeugt aus eigenem Berus, Zu weihn das schönste Fest der Christenheit.
20
4. Den Wundern, die man früher gern verbannt, Hat unsre Zeit sich wieder zugewandt. Vom inneren Bedürfniß angetrieben. —
Braucht sie der Wunder, um zu lieben?
Ist sie so arm, daß sie das Höchste nur
Nimmt in sich auf, wenn'S über der Natur,
Und was sie leicht sich selber kann erklären, Vermag sie daS nicht zu verehren?
Reicht es nicht hin, daß Er geboren ward,
Auf den ein Volk, halb gläubig, längst geharrt, Und ist's gleichgültig nicht wie er geboren,
Der Retter Aller, die verloren?
Wär' er als Mensch nicht göttlich schon, der, Gott, Nur schwerer leidet von der Menschen Spott, Der Geist, den einst die Menschheit hat empfangen,
Ist er von Gott nicht ausgegangen?
21 Ist Gottes drum nicht Alles, was sich groß
Und frei entwickelt in der Menschheit Schooß? Warum es denn gemein in Wunder kleiden
Und es verherrlichen durch Leiden? Gott ist im Geist! Der Geist braucht kein Gewand,
Urewig Reines keinen bunten Tand, Um doch sich als ein Wunder uns zu zeigen, Vor dem sich Alle gläubig neigen.
Er ist die höchste Liebe, die erschien
Auf Erden: das allein macht göttlich ihn; Er kam, ein Bote von des Vaters Throne,
Der König mit der Dornenkrone. Versöhnung hat vor Allem er gelehrt,
Dann ist zu Gott er wieder heimgekehrt,
Und seiner Worte unvergänglich Werde Erquickt, ein ewger Thau, die Erde.
Das ist das Wunder, in ihm All und Eins,
Und weiter brauchet er der Wunder keins.
22 Die Weltgeschichte mit dem gleichen Schritte Nahm ihn verjüngt in ihre Mitte.
Nichts trennt sie mehr von ihm, denn was er sprach, Hallt durch die Erde bis zum letzten Tag, Und wird, wie auch die Zeiten sich gestalten,
Als das Gesetz der Liebe walten.
Doch mißversteh mich nicht — ich streite nicht Mit dem, der auf die Wunder legt Gewicht; Ich will an keines Menschen Glauben rütteln,
Nicht Frucht vom Baum des Zweifels schütteln;
Nur schmerzt es mich, daß man sich so bemüht, Ihn auszuschmücken, dessen Liebe blüht,
Wo Zwei in seinem Geiste sich vereinen,
Um zu gehören zu den Seinen.
Die Zeit, die mit den Wundern ihn geschmückt,
War arm, zerstört, verdorben und gedrückt, Und blickte ehrfurchtsvoll nur zu den Sternen, Die sie erschaut in weiten Fernen.
23 Durch ihn ward Licht. — Und ist denn unsre Zeit
Von seinem Lichte wiederum so weit,
Daß sie sich wirklich nur daran erbauet, Wenn sie's durch bunte Gläser schauet?
24
5. 8aß uns zum lieben Feste kehren,
Das mir das Herz noch stets erwärmt,
Wenn es das Heute zu verklären
Für längst entschwundne Tage schwärmt. Ich sehe jene Stunde wieder
Vor meiner Seele neu erstehn,
Und höre froh der Hirten Lieder, Die singend durch die Berge gehn.
O frischer Klang, der aus dem Herzen
Des Volkes kommt, zum Herzen dringt Und, ob auch wohlbewußt der Schmerzen,
Doch alle Schmerzen überspringt; Noch drückt sie nicht die Last der Leiden, Der Wundenmale blutge Spur; Sie sehn — wie sind sie zu beneiden! —
Das Kindlein in der Krippe nur.
25 Ja wohl, der Heiland ist geboren; Alljährlich strahlt aufs Neu der Stern,
Und arme Hirten sind erkoren Zuerst zu huldigen dem Herrn. Sie jubeln laut eS in den Thalen
Daß hoch es um die Berge kreist,
Und sehn den Stern beseligt strahlen, Der hell den Weg der Gnade weist.
„Kommt Alle, die zu frohen Tänzen
Sonst hat versammelt unser Gruß, Ihr Mädchen, schmücket euch mit Kränzen,
Beschwinget froh den flüchtgen Fuß.
Es ist nicht möglich daß wir irrten; Seht Ihr denn nicht des Sternes Pracht? Er führt zum Könige der Hirten In dieser Heilgen Weihenacht."
„D bringt ihm freudig die Geschenke, Daß er dereinst im Himmelssaal,
26 Bei seinem Vater mild gedenke
Des armen Volks in schwerer Quaal;
Wie auch die Burgen niederragen Vom hohen Fels zu uns herein,
Hoch drüber seht den Himmel tagen, Da wird durch ihn uns Heimath sein!"
„Dort werden wir einst ausgenommen, Von ihm, der heut geboren ward; Er ist ja in die Welt gekommen, Weil auf Erlösung sie geharrt.
Was wir auf Erden auch gelitten
Von unsrer Zwingherrn Uebermuth; Er macht auf unser heißes Bitten Im Himmel Alles wieder gut."
So kam er nieder auf die Erde,
Daß ihn das arme Volk empfing, Und mit demüthiger Geberde Beseelt an seiner Lehre hing.
27 Er, der die Menschheit, die in Lüsten
Und Knechtschaft tiefes Dunkel schlug,
Zuerst wie an der Liebe Brüsten, Bekehrt empor zum Himmel trug.
28
6. So
jauchzt das Volk. — O sollte man nicht wähnen,
Nur für das Volk geschaffen sei der Glaube; Er trocknet ihm die schweren, bittern Thränen Mit kühlem Fittig, eine Friedenstaube.
Zürnt ihm darum nicht, wenn nach bunten Bildern
Für Unerfaßlicheö es willig greift, Und, wie es auch die Unzufriednen schildern,
Nur himmelwärts aus seinen Grenzen schweift.
Die Menge, die der Scholle zugehöret, Gedrückt nur zieht sie durch die Weltgeschichte, Doch weh ihr, wenn vom Wahne sie bethöret Mit ihren Zwingherm eilet zu Gerichte,
Und, mißverstehend waö ihr ward gegeben, Berauscht vom Augenblick, Vergeltung übt. Der reine Himmel über ihrem Leben
Wird dann unwiederbringlich ihr getrübt.
29 Ihr,
die ihr auf den Gassen Freiheit schreiet,
Da, wo die Gläubgen niederknien zum Beten,
Und mit dem Frieden Gottes sie entzweiet, Wo den Altar mit Füßen ihr getreten, Ihr ahnet nicht, daß wenn's im Volke wettert
Der Blitz nach oben schlägt, ohn' Unterlaß, Und euch, die ihr ihn leiten wollt, zerschmettert. — Frei macht allein die Liebe, nie der Haß!
Führt liebevoll das Volk aus Finsternissen,
Geschaffen hat es Gott um frei zu werden, Doch in die Tiefe von euch fortgerissen Wird es des Bösen Spielball nur auf Erden;
Wenn seinen Heilgen Glauben ihr zertrümmert,
Betrüget ihr es um sein höchstes Gut; Frei wird es nicht — es bleibt durch euch verkümmert
Und siegelt seinen neuen Bund mit Blut.
Frei ist allein, wer sich in jenen Schranken,
Die streng die Gottheit selbst um uns gezogen,
30
Bewußt zu halten weiß und ohne Wanken Auch wo deö Haffes Fluthen ihn umwogen. Die Freiheit könnt Ihr allem Volke geben, Sie ist es, die das Höchste auftecht hält. Stets eifrig nach dem Göttlichen zu streben: Die Freiheit kam durch Christus in die Welt. — Das sollen Alle lehren, die erkoren Zu Priestern sich in ihrem Herzen fühlen, Den Irren aus den Pfad, so er verloren, Zu führen, ihm die heiße Stirn zu kühlen: Ihr Dichter aber, die ihr, eine Wolke, Nur Unheil donnernd an den Bergen hängt, Versündigt euch an eurem eignen Volke, Das zum Entsetzlichen Ihr tobend drängt.
Der Poesie Beruf ist zu versöhnen, Als eine Mittlerin ward sie gesendet Das arme Erdenleben zu verschönen, Damit es wieder sich zum Himmel wendet.
31 Wohl darf sie schelten, will man sie nicht hören,
Wohl mag sie zürnen, wo kein Altar raucht,
Doch soll sie nie ein Heiligthum zerstören Und thut sie das, so wird sie frech mißbraucht.
Die größten Dichter, die die Menschheit schmückten, Bewährten sich versöhnend stets im Liede,
Mit dem sie freudig ihre Welt beglückten; Der Grund, auf dem es ruhte, war der Friede. Als Dante aus der Vaterstadt vertrieben,
Fuhr er, gerechtem Haß selbst zum Gewinn, In göttlichem Gedichte fort zu lieben
Und wies das Unglück auf den Himmel hin.
32
7 Za heilge Poesie, so oft jetzt mißverstanden,
Dich trifft der Fluch der Zeit, die in den schweren Banden Der dürren Selbstsucht liegt;
Die Liebe hat nicht Theil mehr an des Geistes Werken, Der Schaffende läßt nicht von ihr sich willig stärken,
Don ihr, die nie versiegt.
Sie ahnen nicht, daß Gott zur Erde dich entboten,
Die Thoren, die mit dir,
gleich einer Ruthe drohten
Und Aufruhr predigen im Land.
Du bist, o schweres Loos, nichts als ein Werkzeug ihnen
Und mußt, ein Sklave nur, für niedre Zwecke dienen In wüster Buben Hand.
Dein Kleid ist's,
das sie leihn, mit dem sie stech sich
schmücken Um durch den äußern Glanz den Pöbel zu berücken, Der auf den Gassen lärmt. —
33 Du sollst nicht mehr,
was Menschen zu Göttern auf schwingt, feiern,
Nicht mit geweihter Hand Mysterien entschleiern, DeS Priesters, der beseligt schwärmt.
Sie tadeln, wenn entzückt du die Natur belauschet, Dem Lied deö Vogels horchst, dem Quell der heimlich
rauschet, Wenn du in Sagen dich vertiefst; Du sollst dem Uebermuth die edle Stimme leihen,
Sollst zürnen, schelten, dräun, nie lieben und verzeihen
Und lügen daß du schliefst.
Es war nie dein Beruf, die Menschen zu verwirren; Belehren sollst du stets, doch nie den Weisen irren,
Der zu dem Trostbedürftgen spricht, Und an der Stirn trägt, daß von Gott er ausgegangen:
Wer so gemeinen Dienst von dir kann frech verlangen,
Ein wahrer Dichter ist er nicht.
34 Ein wahrer Dichter will nichts als dein Priester bleiben
Und hält sich schüchtern fern von dem gemeinen Treiben,
Der Menge, die ihn nie begreift.
Sein Herz ist wie die Saiten der Harfe, die erklingen
Wenn nur
ein Lüftchen
sie berührt,
das
auf
den
Schwingen Gleich einem Traum vorüber streift.
So klingt auch in ihm nach, was in des Herzens Drange Tie Menschheit stets bewegt,
wird plötzlich zum Ge
sänge, Der aus der Seele quillt, Reißt ihn selbst mit sich fort, in herrlichen Accorden Zu feiern wie der Geist durch Gott so groß geworden,
Daß er die heiße Sehnsucht stillt,
Die nach dem Ewigen uns stets erfaßt hienieden, Und in des Lebens Kampf unö spendet jenen Frieden,
Der mit dem Leben uns versöhnt.
So naht ihm Poesie, die, was er rein empfangen
35 Und selig wieder schafft, im drängendsten Verlangen Mit ihrem Diademe krönt.
Ein echter Dichter ist vor Allen zu beneiden,
Denn zwiefach fühlet er der Menschheit schwere Leiden,
Doch zwiefach auch der Menschheit Glück. Für sich und Andere daS Größte zu empfinden Muß drum auch zwiefach mit demHöchsten ihn verbinden,
Und führt stets vorwärts, nie zurück.
O
Freiligrath!
—
wie
oft hat mich
dein Wort
betrübet, Gesungen, weil sein Recht das Leben ausgeübet Auf Dich in Lust und Schmerz. —
Ich dachte dein und sein in jener schönen Stunde
Wo Gottes Segen du erfleht zu heilgem Bunde Und also sprach zu dir mein Herz:
36
8. An Freiligrath. Zum Himmelsahrtstage 1841. ©tuen lieben Tag vom rechten Schlag, Wie er selten mir wird und ich gern ihn mag,
Hast Du neulich mir gegeben. Von Morgens früh bis Abends spät
Erheitertest Du, Du frischer Poet, Mir mein mißtönig Leben. Mir wurden die Augen wieder klar,
Als Du, so redlich, fest und wahr, Mit Händedruck und treuem Gruß,
In mein Gemach gesetzt den Fuß
Und so zu reden angefangen, Wie wenn du gestern erst gegangen.
37 Ein grader Sinn giebt stets stch hin,
— Du weißt es wohl, daß ich auch so bin — Wie er sich selbst gestaltet;
Wenn es innen glüht im tiefsten Gemüth, Vor Alltagsgesellen ihn Gott behüt'! Weil er dann zu leicht nur erkaltet. —
Umkrustet bin ich schon lange Zeit;
Ein Berg, deß Gipfel dicht verschneit.
Doch trifft ein gutes Wort mein Ohr, Dann brechen die alten Flammen hervor Und es brauset drunten, wild sprühn die Funken, Als wäre die Decke rasch eingesunken.
Doch bald nachher wird das Herz mir schwer Und die Einsamkeit drückt und ängstet mich sehr,
In der ich mich dann muß finden. Mit trübem Gesumm zieht des Alltags Samum Mir um die heißen Schläfe hemm,
Der dürrste von allen Winden.
38 Ich schmachte wie in der Wüste Sand, Bang spähend nach einer Quelle Rand,
Wo ich gar zu gern mich niedergesetzt Und den armen verdorrten Gaumen geletzt; Doch ringsum von dem ewigen Lehren und Lernen Sind alle Quellen gemacht zu Cisternen.
Da sitz' ich denn nun, um auszuruhn Vom inneren Schlaf und dem äußeren Thun, Geduldig bei solcher Cisterne;
Doch denk' ich an dich gar freudiglich
Und ein heitres Gefühl kommt rasch über mich, Froh grüß' ich dich in der Feme. Dir ist die süßeste Frucht gereist,
Das Glück hat selbst sie abgestreift Und hold sie dir frisch, voll und zart, Als seinem Liebling aufgespart.
Du zogst dem schönsten Ziel entgegen Und deines Daseins höchstem Segen. —
39 Als in Deinem Buch auf die Stell' ich schlug,
Daß Poesie ein schwerer Fluch, Da fühlt' ich, was sie bedeutet.
Von Morgens früh bis Abends spät, Wo mein müder Fuß nur steht und geht, Wird mir's in's Ohr geläutet.
Es ist ein schlimmer Leichensang, Ein gar zu dumpfer Glockenklang,
Und tönt mir immer fort und fort Aus jedem Wort an diesem Ort,
Daß ich schon längst vor den Genossen
Mein Innerstes gar fest verschlossen.
Aber oftmals bricht, wie verstecktes Licht,
Es hervor, und ruhet und rastet nicht
Und macht sich Bahn im Dunkeln. Dann fühl' ich tief, waö drinnen schlief,
Eine gute Stunde in's Dasein rief,
Daß muthig die Augen mir funkeln.
40 Siehst Du, mein Freund, so geht mir's heut',
Du weißt, wie sich ein Dichter freut, — So kann sich doch kein Andrer freun,
Nicht solcher Blüthen Reichthum streun,
Und Blumen wecken aus der Trauer, Gleich plötzlichem Gewitterschauer.
Deine süße Braut, die in's Aug' dir schaut, Wie Frühlings Gruß, wird dir angetraut Vielleicht in dieser Stunde. Dir schwillt die Brust vor feiger Lust,
Du bist des Segens Dir bewußt, Der mit der Dichtung im Bunde. Verständest du nicht zu singen den Schmerz,
Hätt'st du gewonnen ein solches Herz? Und schlingt nicht ewig die Phantasie Die reichsten Kränze um dich und sie. Des Alltags Fluch nur trifft das Dichten, Doch kühn weiß es sich auszurichten.
41 Nein, sie ist kein Fluch — lösch' aus deinem Buch
Die Stelle! — Die Gottheit selber trug
Die Gabe zu dir auf die Erde, Wie zu Jedem, der treu, mit heiliger Scheu,
Ohne niedre Gedanken und feile Reu In sich pflegt ihr heiliges Werde.
die Euch heut vermählt, Sie ist es, die das Herz Euch stählt;
Sie gab das Herrlichste Euch ein,
Auf ewig, ewig, Eins zu sein. Und was Euch immer mag begegnen, Euch kann die Poesie nur segnen.
42
9. Ist nicht in jeder Seele Poesie?
Wie soll sie nur allein der Dichter haben?
Er nur allein von allen reichen Gaben Die höchste, die den Menschen Gott verlieh.
O nimmermehr! Wer, was das Dasein beut, Mit Lieb' und Lust weiß in sich zu verklären Der wird auch dieses Glückes nicht entbehren, Zu künden, wie er sich am Leben freut.
Sie knüpft ein festes, reines goldnes Band
Die Erde mit dem Himmel eng zusammen, Die Geister alle, die von oben stammen, Hat sie dem Himmel wieder zugewandt.
Sie bringt die Sterne mild der Erde nah;
Hienieden stets ein göttlicher Begleiter Dem, der sie liebt; sie ist die Engelöleiter,
Die Jacob einst in seinem Traume sah.
43 Sie weilet still in Allem was da ist,
Ein unnennbarer, reicher Blüthensegen,
Und tritt dem Frommen freundlich stets entgegen, Der Gottes auf der Erde nicht vergißt
Und freudig aufblickt in der Welt Gewühl, Im Unglück selbst mit nie gebeugtem Muthe. — Zu ihr führt stets dieselbe Wünschelruthe: Ein reines unverdorbenes Gefühl.
So ist ein Jeder Dichter: doch eS ruht
Die Gabe oftmals tief in ihm verborgen; Selbst bei, des Geistes Auferstehungsmorgcn
Durchflammt sie ihn nur mit der Heilgen Gluth.
Wen gab' es wohl, den nicht ein Mal durchdrang
Das selige Gefühl, voll Selbstertrauen, In seiner Brust den Himmel zu erschauen,
Den er entzückt zu sich hernieder schwang!
Dem Dichter ward dagegen noch die Kraft,
Was er begeistert in sich ausgenommen,
44 Reu zu gestalten, zu -er Menschheit Frommen;
Das ist sein Erbtheil und sein Glück: er schafft,
Was Tausende empfinden spricht er aus, Was Tausend ahnen, weiß er zu erwecken, Verborgne Schätze ihnen zu entdecken. — Die Knospe bricht, berührt er sie, heraus.
Sie tritt an's Licht, mit ihrem zartem Dust, Mit ihrer Pracht daö Dasein zu versüßen
Und Alle kommen, stoh sie zu begrüßen, Wie man begrüßt des Frühlings milde Lust.
Wo Poesie weilt ist kein Leben arm, Das Niedrigste selbst weiß sie zu beglücken,
Den Schmerz mit einem Heilgenschein zu schmücken
Und was erstarrt, wird wieder jung und warm.
In ewger Jugend blüht sie immerdar:
Gestützt auf unverfälschten Geisteradel,
Zeigt sie, wie des Magnetes Zaubernadel,
Nur nach dem Einen Pole wunderbar,
45 Dem Göttlichen. — So weiht sie jede Brust, In der sich unbefleckt noch birgt die Tugend
Und labt mit ihrem Reichthum ftoh die Jugend, Ein frischer Quell der höchsten reinsten Lust.
O führet stets die Jugend zu ihr hin,
Die träumend aufschaut zu des Himmels Stemm! Warum sie von der Poesie entfernen
Der Wirklichkeit zu niedrigem Gewinn?
Glaubt Ihr, man trägt die Erde männlicher Wenn man von ihren Träumen kalt sich wandte? Der Geist, der früh für sie mit Lust entbrannte,
Wird reif durch sie und leicht des Lebens Herr.
46
10. Du ließest deinen Freund in Träumen An deinem Herzen sich ergehn Und in den traulich stillen Räumen
Gar eigene Gestalten sehn; Was mich im Drang des Lebens quälet,
Schleicht mir in'ö enge Zimmer nach,
Und ruft vom Lärm des Tagö beseelet Mir schmerzliche Gedanken wach;
Es nahn auf unsichtbaren Pfaden Viel Gäste, so ich nicht geladen.
Nun weckst mit schüchtemer Bewegung Du mich aus meinem Sinnen auf,
Und blickst in mitleidsvoller Regung, Versöhnend freundlich zu mir auf. Du zürnest nicht, weil ich vergessen
Daß du am Herzen mir geruht
47 Und mich beschäftigt unterdessen Mit unsrer Tage Uebermuth,
Bis unzerstörbare Gefühle Mich retteten auS dem Gewühle.
O sage, welche Bilder stiegen
Aus deinem Inneren empor, Auf deiner Seele sich zu wiegen,
Indeß dein Freund sich trüb verlor? Der holde Friede der Dir eigen, Der deines Herzens reines Kind, Kann dir nur Helle Träume zeigen,
Die man mit Freuden lieb gewinnt.
Im Spiegel deiner Seele strahlen Reflere nur von Idealen.
Du lächelst? „Konnt' ich Andres sinnen Da du mein Freund so laut geträumt? Und doch dein finsteres Beginnen
Zuletzt mit Sonnenglanz umsäumt.
48 Doch gerne will ich dir gestehen, Indessen du dich abgewandt,
Hab' ich die Dichter selbst gesehen,
Die du im Leben froh erkannt, Sie traten bei des Zwielichts Schimmer
Mit trautem Gruß in dieses Zimmer."
„Und als sie so vorüberzogen,
Die ich mit deinen Augen sah, Hab' ich im Innern still erwogen Wie Wunderliches dir geschah:
Was du mit aufgeregten Geistern
Gepriesen an der Poesie, Du liehest es von diesen Meistern,
Da deine rege Phantasie Mit dem das Bild der Gottheit schmückte,
Was dich an Jenen hoch entzückte."
„Vielleicht hab' ich auf Frauenweise Mir deine Träume angeschaut,
49 Und stehe fern dem Zauberkreise, Mit dem du lange schon vertraut.
Drum zürne nicht dem schwachen Richter Wenn er nur urtheilt nach dem Schein.
Doch glaub' ich fest: ein großer Dichter Müß' auch als Mensch erhaben sein, Und sich nach seinem edeln Walten
Die Poesie vor und gestalten."
50
11. Ja Du hast Recht. — Die Himmelögabe ward Zum Erdenglück durch sie, die sich ihr weihten. Ein Thor, wer in dem wilden Strom der Zeiten
Die Gegenwart verschmäht, der Zukunft harrt. Ich laß' es nimmer gelten, daß wir jetzt
Von echter Poesie uns abgewendet: Noch sind der wahren Priester viel gesendet,
Wie auch der Neid die bittern Zähne wetzt.
Ein echter Dichter ist ein Arzt; er heilt
Am glücklichsten der Seele tiefste Schmerzen, Es dringt sein Wort beruhigend zum Herzen,
Selbst wenn er sinnend bei dem Uebel weilt: Was seine Brüder ängstigt und bedrückt Sieht er mit geistgem Aug', das nie erblindet, Da er es stets am tiefsten selbst empfindet,
Und fromm der Lieben Gruft mit Kränzen schmückt.
51 Von allem Großen, was die Welt bewegt, Hat stets die reichste Kunde uns gegeben Ein Dichter, dessen innerlichstes Leben
Ward von dem Kampf des Tages auferregt. Homer sang Troja's Fall; mehr Hectors Tod Verherrlichend als seiner Griechen Siege,
Und Dante fühlt' in wildem Bürgerkriege
Nicht seine, nur des Vaterlandes Noth.
Noch herrlicher zeigt sich uns Ossi an, Der seine Helden all zur Gruft gesungen
Und dessen heilge Harfe erst verklungen Als ihn getödtet der Culdäer Wahn.
O weile mit mir, da der Abend fällt Am Schlüsse dieser traulich stillen Stunde,
Bei jener Sage aus des Volkes Munde,
Ich führe dich zu einer edlen Welt.
Hab' ich gesagt, was ich vom Dichter will,
So laß mich auch, daß er es kann, nun zeigen 3*
52 Vor solcher Größe wie sie ganz ihm eigen,
Schweigt jede Forderung des Tages still. Nach seinen Haiden zieh' im Geist mit mir,
Wo seine Helden auf den Wolken jagen: — So stirbt ein wahrer Dichter, wirst Du sagen,
Gab ich von seinem Tod die Kunde Dir.
53
12Als Carthons Untergang er einst Malvinen sang, Und leis verhallt zum Lied der Harfe süßer Klang, War ihm als ob die Gruft umwehe Frühlingsluft Und warmer Sonnenstrahl sich senke in die Kluft.
Tief in das Herz hinein freut ihn der goldne Schein Und also grüßt er ihn, verlassen und allein: O die du wandelst mild, rund wie der Väter Schild,
Sonne! woher dein Strahl, dem ewig Licht entquillt?
Du bist so schön und reich! Der Mond so kalt und
bleich, Sinkt in des Westens Fluth, der Stern verschwindet
gleich.
Und doch ist es dein Loos, so herrlich und so groß Einsam zu sein, allein, selbst in der Fluchen Schooß,
Des Berges Eiche fällt, die Klippe selbst zerschellt, Das Meer nimmt ab, und wird dann wieder angeschwellt;
54 Der Mond verlieret sich, du gleichst dir ewiglich
Und freuest stolz am Glanz von deinem Laufe dich.
Wenn wild der Sturmwind grollt,
wenn dumpf der
Donner rollt,
Blickst aus den
Wolken du,
so
freundlich
lieb und
hold. — Ach aber D(statt schaust Du vergeblich an, Er sieht nicht deine Pracht auf deiner lichten Bahn.
Ob du itach Osten lenkst, ob du dich westlich senkst, Er fühlt den Segen nur, den du so reich verschenkst.
Vielleicht bist du gleich mir nur einen Sommer hier, Und wenn dein Ende naht, wird ewger Schlummer dir,
Durch deine Wolke bricht des Morgens Stimme nicht Sei deiner Jugend froh, geliebtes goldnes Licht!
Das Alter ist voll Pein, es gleicht dem Mondenschein Wenn dichter Nebel rings die Felsen hüllet ein, Der Sturm des Nordens braust und durch die Ebne saust
Daß drob der Wandrer bebt, schutzlos und uttbehaust.
55
13. Don allen Qualen, die ein reiches Herz Erschüttern können, ist die schwerste Pein
Mit seinen Freuden, wie mit seinem Schmerz, Allein zu sein.
Am Schwersten trifft's, wen eine große Zeit
An ihrem vollen Busen aufgesäugt, Und der nun sehn muß wie Erbärmlichkeit Ihn rings umkreucht.
Fingal, ein Fels auf dem ein Altar stand, Malvina, gleich der Blüthe reich an Duft, Oscar, ein Baum gepflanzt von Götterhand,
Ruhn in der Gruft. Nur Ossian, dessen Lied von ihrem Blick
Gleich einem Bergstrom von dem Regen schwoll, Wankt einsam nach — o quälendes Geschick
Und trauervoll!
56 Auf weiter Haide wo der Nebel streicht, Sieht er der Helden stumme Grüfte nur; Ein neu Geschlecht erstand, vom alten zeigt
Sich keine Spur: Gleich einer Eiche, um die junges Holz
Rings wuchert, wie am Boden festgebannt, Steht einsam er, durch seinen edeln Stolz
Fremdling im Land.
Erinnerung, gleich einer Sonne, scheucht
Den Nebel fort, der seine Seele hüllt, Doch wie die Sonne mild den Thau erzeugt, Der Blüthen füllt. Wenn sie den Nebel siegreich hat gefällt,
So ruft sie lindernd Thränen auch hervor
Aus seinem Aug, da er zu seiner Welt Sich schwingt empor.
Der greise Barde zieht mit Harfenklang,
Wohin ihn trägt sein altersschwacher Fuß,
57
Und seinen Helden ruft er im Gesang Entzückten Gruß. Das Volk schaart still sich und beschämt und ihn, Bewundernd hört es ernst ihm zu und schweigt;
Er klagt, daß sich, wie auch die Jahre fliehn, Kein Held mehr zeigt.
Die Menge weicht dann scheu dem Sänger aus Wie einem Heilgen, den sie nicht versteht,
Ihn aber treibt der Gram verwaist hinaus,
Und schwankend geht Er zu des Vaters, zu des Sohnes Grab
Und singt den Schmerz; der Sonne gleich, allein Im Innern Gluth, ein blinder Greis am Stab
Noch da zu seyn.
„Wenn Frieden herrscht in der bedrückten Brust
So wird ein Glück dem Leide noch gewährt, Denn selbst im Kummer weilt noch felge Lust Doch Gram verzehrt
58 Den Hoffnungslosen" — so beginnt sein Lied
So endet es, und schließt voll Gluth und Pein
Die Heldenschaar, die auf den Wolken zieht Ersterbend ein.
59
14. Der Welt Gesetz ist Wechsel: Die Geschichte Beweist auf jedem Blatt des Wortes Wahrheit.
Wer leben will, auf steten Tag verzichte;
Still stehn ist Dämmerung, im Wechsel Klarheit. Nur wenn der Nacht der Tag folgt, kannst du fühlen,
Wie Leben strömt vom Lichte auf die Welt; Die Nacht kann nur die Gluth der Sonne kühlen,
Die dir am Tag die Adern aufgeschwellt.
So auch im Menschendasein Nacht muß werden
Daß, was der Tag gesäet könne reifen; Stets zeugt der Tag in Lust der Kraft auf Erden Und weiß des Lebens Blüthe zu ergreifen.
Wenn große Thaten sich im Lichte zeigten, Verlanget die Geschichte tiefe Ruh. —
Das Licht verschwamm und seine Helden neigten Dem Tage gleich sich still dem Dunkel zu.
60 Doch wenn es dann im Menschendasein dunkelt, Herrscht dennoch nie mit voller Hand die Nacht, Dem Glanz des Tags sein Leuchten dankend funkelt
Oft einsam noch ein Stern in stiller Pracht,
Ein Bote, daß die Sonne, die geschieden Ob auch entschwunden, dennoch wieder kehrt; Ein Bild des ewgen Kampfes, der hienieden Der Nacht des Todes Weltenherrschaft wehrt.
Ein solcher Stem war Ossian.
Im Innern
Trug er ein Reich von wunderbarem Licht,
Durch seine Seele brach ein groß Erinnern
Gleich wie der Mond durch schwarze Wolken bricht. Der Enkel Tag war ihm nicht aufgegangen,
Sie bauchten ihm aus einem andern Blut,
Und seine Augen trübte das Verlangen Nach seines Gestern gottbeschwingter Gluth.
In des geweihten Haines stillem Raume
Sucht' er die Welt, die seinem Blick entschwunden,
61 Den Menschen fern, an Helden reich im Traume, Ward von ihm, was im Lied er sang, gefunden. Ein Ziel nur kannt' er in der Heimath Landen:
Es war, wo Götter schwebten um sein Grab,
Und von den Jüngern, die ihn nicht verstanden, Wandt' er verwaist und schmerzbewegt sich ab.
Die Harse, die stark tönend einst erklungen,
Wenn Götter mit den Helden sie vermählte Und Menschenthat erzählt mit Engelszungen, Da Glauben sie am eignen Selbst beseelte, Hing er am Baum auf bei der Helden Hügeln ; Vom Sturme klang sie nur noch leis und schwach, Als ob voll Neid er auf den wilden Flügeln
Den Ton entführte, der von Helden sprach.
62
15. Mit den Helden sank der Heldenglaube,
Das Bedürfniß neuer Zeit entstand,
Die den Menschen zürnte, so im Staube
Sie noch vor den alten Göttern fand.
Welch ein Unrecht! Wer kann aus dem Herzen Reißen, was es ehrfurchtsvoll geschont?
Ach der Glaube lohnt Stets dem wahrhaft Gläubigen mit Schmerzen. Weil, so lange nur die Welt gestanden, Er nie frei war von des Lebens Banden
Und auf Trümmern stets zuerst gethront.
Die Culdäer trugen ihre Kunde Von dem Gott, der an dem Kreuze starb,
In das Land, und mit beseeltem Munde Lehrten sie, was man durch ihn erwarb.
Nicht den Himmel, wo die Helden weilten
63 Auf den Wolken, nur durch sie gelenkt,
Nie vom Raum beschränkt,
Den sie frei, dem Sturme gleich, durcheilten, Und aus dem sie Segensfülle sandten,
Wenn sie mild sich zu den Ihren wandten, Und zur Erde sich hinabgesenkt:
Nein, ein andrer Himmel stand jetzt offen,
— Wie ihn nimmer Ossian geträumt. — Der allein dem Glauben und dem Hoffen Ohne kühne That ward eingeräumt. — Ach! ein Himmel, der so fern der Erde,
Daß kein Bild die Erde für ihn fand; Allen unbekannt,
Erst erschlossen durch des Priesters Werde. — Zu ihm führte nicht ein siegreich Streiten,
Nur die Gläubigen waren die Geweihten; Wer nicht glaubte, blieb aus ihm verbannt.
64 Mit dem Schwerte lehrten sie, mit Flammen Prägten des Erlösers Wort sie ein;
Alle Tempel stürzten da zusammen,
Feuer zehrten an dem Götterhain.
Aengstlich fing die Menge an zu glauben, Denn die Furcht prägt leicht den Glauben ein. Ossian allein Ließ der Seele Demant sich nicht rauben;
Selbst nicht, als bei der Culdäer Feste
Plötzlich starben fünf und zwanzig Gäste,
Stammeshäupter, unter schwerer Pein.
Ihres Gottes Zorn, — so sprachen Jene —
Habe sie dem Untergang geweiht,
Daß sich nicht ein Erdgeborner wähne, Von des einzgen Herrschers Macht befreit. Dann, als Ossian begann zu preisen
Seiner Väter, seines Volkes Ruhm Als sein Heilkgthum,
65 Sangen sie die neuen, dumpfen Weisen,
Forderten ihn auf, wie sie zu beten: Er erwiederte: — „Laß unbetreten
Cona, wenn geröthet ist sein Strom!"
66
16. Zum Haine hatte sich der Greis gewandt, Wo seine Harfe an der Eiche schwebte,
Und einen heil'gen Gruß hinauf gesandt, Da bei den Helden nur sein Geist noch lebte.
Ein Christenpriester trat dort zu ihm hin, Ihn — sei es durch Gewalt auch — zu bekehren.
Der Barde schien ihm herrlichster Gewinn,
Und also sprach er ihm von Christi Lehren: Padruig heiß' ich. — Christi Wort verkünd' ich. —
Nimm jetzt es an — es ist die letzte Frist. —
Kannst du mir sagen, fest, gewiß und bündig, O Ossian, wo dein Vater ist?
Osstan. O mache mich der seel'gen Botschaft froh, Weiser Padruig, sag! wo ist er, wo?
67 Padruig. Fingal! dein Held! dein Vater zog hinab
Zur kalten Hölle aus dem dunkeln Grab, Mit allen seinen Freunden weilt er dort
Im engen, abgeschloßnen Schauerort.
Ossian. Sprich, unheillächelnder Padruig! — wo Ist diese kalte Hölle? — Eben so, Wie deines Gottes Himmel, ist sie groß,
Wenn Wild und Hunde auch umschließt ihr Schooß.
Padruig. Dein Gott ist schwach. — Allmächtig ist mein Gott!
Ossian. Ich wäre nicht dir und mir selbst zum Spott, Wenn Oscar noch, mein Sohn, des Lebens froh, Wenn mir nicht Fingal nahte nur im Traum: Dann klagtet Ihr in Eurer Hölle Raum.
68 Padruig. Du wendest dich von unserm heil'gen Brauch?
Osfian. Mit meinem Vater, dem ich nachgestrebt,
Mit meinem Sohn, in dem ich aufgelebt, Mit meiner Jugend Gottern sterb' ich auch. — Ich bin erblindet, Padruig, bin alt, Ich bin der Letzte noch von meinem Volke;
Mit Fingal will ich leben in der Wolke, Die sein und seiner Freunde Aufenthalt.
Padruig. So wisse denn, du Sünder! dich bedroht, Der deine Freunde traf, derselbe Tod.
Ossian. Du beugst mich nicht. — O! gehe von mir fort! Mich lockst du
nicht — was auch
dein Mund mir
spricht —
69 Denn in der Schwachen Himmel mag ich nicht. — Malvina! — war es doch dein letztes Wort:
„Betrete Cona nicht, sein Strom ist roth." —
70
17. Sie mischten Gift in seinen letzten Trank.
Als er die Pein in seinen Adern fühlte, Die gräßlich marternd wüthete, da kühlte
Erinnrung ihm des Bültes wilden Drang. SM ging er in den Hain; mit frommer Milde
Und schweigend schuf er dort sein letztes Lied.
Im Innern ward ihm jeder Klang zum Bilde: Fingal stieg auf, wie einst im Schlachtgefilde,
Malvina kam, die ihm die Harfe reicht,
Und Oscar fich zu ihm hernieder neigt; Ihn grüßt' er noch beseligt und verschied. —
So kündet eine Sage frühster Welt,
Daß wenn die Sonne in das Meer sich senket, Die reichen Strahlen, die sie mächtig lenket,
Zu Tönen werden, zauberhaft gesellt, Nur ein geweihtes Ohr vemimmt die Klänge. —
71 Der Schmerz, hinabzusinken in die Nacht, Verwandelt ihre Gluthen in Gesänge. Im vollen Chor der wunderbaren Menge,
Gestaltet sich die Hymne, schmerzbewegt, Die an deö Himmels runde Wölbung schlägt; Ein Abschiedsgruß, der Erde dargebracht.
So sank auch Ossian; sein Antlitz bot Nur stillen Frieden, wie die Sonne scheidend, Sein Auge brach, mild strahlend und doch leidend,
Denn schwer und grausam trat zu ihm der Tod.
Doch faßt' er nur den Leib; denn seine Seele Drang, trotz dem Kampf, nach oben ohne Scheu,
Daß sie die schrankenlose Freistatt wähle Und mit den Helden wieder sich vermähle,
Die sie so oft vereinigt im Gesang; Und wie sie stumm sich, dichtend, aufwärts schwang, Entschlief er, seiner Väter Glauben treu.
72 Den Leichnam fand der Priester in dem Hain Und ließ zur Gruft ihn tragen ohne Weihe; Der Letzte in der mächt'gen Helden Reihe,
Starb Ossian, verlassen und allein. Ob sich auch wandelte der Lauf der Tage,
Und eines andern Glaubens Zeit erschien,
Doch trug auf ihren Schwingen fromm die Sage Des greisen Barden heil'ge Todtenklage
Durch Krieg und Frieden bis zur jüngsten Zeit,
Und, wem die Dichtkunst mehr, als nur ein Kleid Zum Schmuck des Lebens, der verehret ihn.
73
18. Du schweigst gerührt.
Es hat dich tief bewegt,
Du kanntest nicht die glaubensstarke Sage; Es thut mir wohl, daß in dein Herz ich trage, Was mir so tief die Seele aufgeregt.
Dort ruht es schön, dort ist's in einer Welt Von immer gleichem, perlenreinem Leben, Mit eines Himmels sanftem Schein umgeben,
Aus dem kein Strahl als nur der Liebe fällt.
O Frauen! nie genug verehrt — Ihr seid Der Glanz des Lebens. — Wer Euch früh erkannte
Und seiner Jugend Ehrfurcht zu Euch wandte, Den riß nie fort der wilde Strom der Zeit. Mit Eurer Liebe zeitigt Ihr das Kind,
Es reift der Mann an Eurem milden Wesen;
Vom Alter muß der Greis durch Euch genesen, Da zweite Jugend er durch Euch gewinnt.
74 Was eines edeln Weibes Brust umfaßt,
Vermag der Mann nie gänzlich zu durchdringen; Ihr tragt auf unsichtbaren starken Schwingen
Für ihn zum Himmel seiner Erde Last, Ihr liebt und sorgt, ihr leidet, liebt und schweigt;
Er glaubt mit seinem Arme euch zu schützen Vor Welt und Tod; doch seid ihr unsre Stützen,
Wenn uns Ermattung hinterrücks beschleicht.
Wo man euch ehrt, da waltet gute Zeit, Dem Besten fühlt ihr euch stets eng verbündet, Auf eurer Liebe ruhet fest begründet
Die Kraft, die vom Gemeinen uns befreit.
Wie vor der Sonne schwinden muß der Thau, So schwindet rasch in eures Kreises Mitte
Spurlos das Schlechte vor der zarten Sitte, Dem milden Walten einer reinen Frau.
75
19. Sanft lächelnd reichst du mir die Hand Und sprichst: ich solle nicht vergessen,
Daß unsre Zeit karg noch gemessen,
Und ich mein Träumen abgewandt Von jenem Reiche der Gewalten, Das über jedem Alltag schwebt,
Das Dasein herrlich zu gestalten Durch seine tiefen Kräfte strebt. —
Du irrst; ich bin ihm treu geblieben, Und trat nicht aus dem Kreis heraus. — In dem, was wir verehrend lieben,
Spricht sich sein Geist am schönsten aus. — Könnt' ich mich auch von ihm entfernen,
So führtest, wie zu hellen Sternen, Du meines Hauses bestes Glück, Durch deiner Treue segnend Wort
76 Mich von dem ftemden Pfade fort,
Und mild zur Poesie zurück.
Doch hast du Recht: das Dunkel steigt,
Es schneidet scharf am Horizonte Der Berg, der sich roth glühend sonnte,
Nun finster ab; die Thalschlucht schweigt. — Durch'ö Fenster ziehen süße Düfte,
Ein Blumengruß, jetzt mild herein, Und spielend tragen laue Lüste
Hinab des Tages letzten Schein.
Gleich kommt die Nacht, die traumerfüllte, Die sich mit andem Sternen schmückt
Und was der Sonne sich verhüllte, An ihren Busen tröstend drückt.
Rings um uns, wie zu stiller Feier, Entfaltet sie den Nebel-Schleier,
Und deckt, — wie eine Mutter lind Die Kleinen, — wer zum Schlaf bereit,
77 Indeß den Faden sie der Zeit,
Am Bette sitzend, weiter spinnt.
Mich freut die stumme reiche Nacht,
Ich seh sie gern vorüber ziehen,
Will launisch mich der Schlummer fliehen, Sie hat oft Großes mir gebracht;
Wenn nichts mehr uns vermag zu stören, Als nur die eigne Phantasie,
Dann ist eS Zeit, um zu beschwören, Was nicht vom Tage Kräfte lieh;
Dann heben sich aus unserm Innern, Wie an dem jüngsten Tag, empor
Erscheinungen, die uns erinnern, Was unser Leben schon verlor;
Die wie ein Kleid von uns gefallen
Und geisterhaft nun uns umwallen, Gehorchend einem Zauberruf; Ob sie auch nie die Wirklichkeit
Geführt in unsrer Tage Zeit, Und nur ein innrer Drang fie schuf.
Da ist's, alö ob ein Genius Der in uns schlummerte verborgen,
Und, wie an einem Schöpfungsmorgen
Begrüßte mit durchflammtem Kuß; Als ob er tausend Kräfte weckte,
Die wir verzagend nie gebraucht, Weil uns das Wehn des Tages schreckte,
Das uns so eisig angehaucht; Da schaffen wir ein neues Leben,
Und bilden eine kühne Welt, In die wir starke Träume weben,
Die unser Geist zusammen hält; Wir sehn Gestalten aufwärts steigen,
So unö in tiefster Seele eigen, Und schmücken sie mit wilder Pracht,
79 Mit edler Steine Fcuergluth, Mit dunkelm Roth vom eignen Blut,
Und mit des Lebens höchster Macht.
Wie oft, wenn mich der Schlummer floh, Und solchem Werk die Nacht ich weihte, Lagst du still athmend mir zur Seite,
So friedlich süßer Träume froh. Wenn dann der Wirbel meiner Geister
Mich ganz der Gegenwart entführt,
Daß er mir, der ihn schuf, dem Meister,
Des Markes Innerstes berührt, Und mich erfaßt' ein tiefes Schauern, Als ob mir selbst fast unbewußt
Gedanken in der Seele lauern, Bereit zu sprengen meine Brust; Da braucht' ich nur dich anzuschauen
Und Ruhe kehrte; das Vertrauen
80 Auf unser Glück verließ mich nie. Der Frieden, der dich hold umschmiegt,
Hielt die Dämonen all besiegt Der aufgestürmten Phantasie.
81
20. Doch sprich, wie soll ich sie denn jetzt beschwören,
Da mir die Nacht dein liebes Antlitz deckt;
Nur deine sanfte Stimme kann ich hören,
Die liebreich mich aus meinem Sinnen weckt. Du willst, ich solle mein Versprechen halten
Und nicht so keck mit meinen Bildern schalten, Nein, Dichter, wahrhaft groß, von Gottes Gnaden,
Her in das enge kleine Zimmer laden.
Weißt so gewiß du, daß sie kommen werden, So wie sie sind, ein Jeder sich genug Genau, wie sie sich zeigten hier auf Erden
Und nicht entstellt durch manchen fremden Zug? Ein Jeder sieht den Andern anders; Keiner
Darf eines Blicks sich rühmen, der da reiner Und ohne Zuthat, die allein ihm eigen,
Die Dinge schaut, wie sie sich wahrhaft zeigen.
82 Des Menschen Auge ist zu leicht befangen, Und gleicht der stets beweglich raschen Fluth, Die ihre Färbung dennoch hat empfangen Vom festen Grund, auf dem sie fließend ruht.
Was sich auch spiegelt in den klaren Wogen,
Das Bild wird doch von ihrem Ton durchzogen, Da diese immer nur das fremde Leben,
Wie sie eS faßten, dunkler wiedergeben.
So mag eS denn gar leicht auch mir geschehen, Daß jene großen Menschen zeigt mein Bild,
Nicht wie sie sind, nur wie ich sie gesehen, Und es zurück aus meiner Seele quillt; Doch bleiben sie von Glorie umgeben, Und irrte noch so tief mein liebend Streben. Denn, der sie schmückt, der zarte Heilgenschein,
Ihn wob die Dankbarkeit; sie wird ihn weihn.
Und dennoch laß mich jetzt sie nicht vereinen, An denen glühend meine Seele hängt;
83 Du siehst sie geistig gern vor dir erscheinen,
Die gastfrei wie im Leben, sie empfängt. Dein Zimmer war dann wie ein goldner Rahmen;
Denn dich durchdrang, sobald zu uns sie kamen, Ein tief Gefühl von hohem Feiertag,
Und lange blieb's in deiner Seele wach.
Sprich, kann man Bessres thun, als Zeiten rufen, Die schöner waren, als die Gegenwart,
Und eine Welt voll Freude für uns schufen, Bei der das Herz entzückt noch spät verharrt?
Erinnrung soll das Heute uns verschönen, Und Dankbarkeit soll die Erinnrung krönen; ES giebt kein größer Glück, als dankbar sein, Das Beste zeigt es uns im hellsten Schein. —
Darum — von Allen, die ich laden möchte, Ruf ich nur Einen dir, der und so werth.
Wohl durst' er fordern, daß ich Blüthen flöchte
Für ihn zum Kranze, der mich selber ehrt.
84 Drei Jahr schon ist's, daß er hinabgestiegen In seine Gruft — drei Jahr, daß ich geschwiegen;
Es fand um ihn kein Wort der tiefe Schmerz,
Und still und schweigsam blutete mein Herz.
Nun aber tritt Erinnerung so mächtig
An mich heran und drängend quillt das Wort Mir von den Lippen, wie er einst so prächtig
Durch Kraft und That. — So lebt in uns er fort!
Nicht darf um ihn die bittre Thräne fließen. Nein, diese heilge Stunde soll er schließen,
Wie er, den groß ein Genius geführt,
Uns stets erfreut, erhoben und gerührt.
85
21. Karl Jmmermann!
Als deines Todes Kunde
So unerwartet in mein Leben drang, Erstarrt' ich ob dem ungeheuern Schmerz.
Es schien unmöglich mir; — der Tag ging weiter, Die Straße blieb belebt, der Himmel heiter, Die bunte Thorheit machte ihre Runde,
Und du, der Alles ihm zu dienen zwang, Du solltest nicht mehr da sein, Mann von Erz! Daß nicht dein Auge mehr die Erde schaute, Das war's, wovor mir — weil ich's nicht erfaßte,
Weil ich mich selbst, mußt ich es denken, haßte —
In meiner Seele tiefsten Tiefen graute.
Ich dachte nur, wie du so oft geschritten
In mein Gemach — so lebensstark und fest,
86 Urkrästig lachend bei dem trauten Gruß;
So glaubt' ich, müßtest du auch jetzt erscheinen,
Und deines Todes Botschaft selbst verneinen, Du! der das Höchste kürzlich erst erstritten, Und in das Reich, das nimmer darben läßt, Als Mann gesetzt den jugendkrästgen Fuß;
Du, dem die Liebe siegreich aufgegangen, Da sie dein Herz so wonneselig fand,
Und der zuerst zu leben angefangen, Als auf der Höhe er des Lebens stand!
Du hattest lange schwer im Kampf gerungen,
Und deine Waffe war die Poesie,
Mit der du fochtest, wie ein treuer Held; In Scherz und Ernst, des Edelsten gewärtig, Zu Trutz und Schutz, in jedem Streite fertig: Wie du der Dichtung blanke Wehr geschwungen, Versagte sie in deinen Händen nie,
Und nimmer wichst du von der Ehre Feld.
__87 _ Du warst ein Paladin, der niemals irrte,
Selbst wenn der Kainpfpreis niedrig ihm geraubt, Bis endlich dir der Lorbeer und die Myrte Vereint bekränzten das geliebte Haupt.
Da brachen plötzlich deiner Jugend Blüthen,
Die du mit stiller, heilger Scheu gepflegt,
Aus deinem Inneren frühlingswarm hervor; Du hattest heilig sie in dir getragen,
Wie in der ersten Liebe Wundertagen,
Und alle Freuden, die dich nun durchglühten, Von seliger Empfindung angeregt,
Mit deiner Dichtung stiegen sie empor. Da flochtest du mit jugendstarkem Triebe In deinen Strauß, am Lebensweg gepflückt,
Das wunderbare Hohelied der Liebe,
Die Blüthe deines Selbst, so reich beglückt.
Das war des Sieges Frucht nach heißem Tage,
Daß du ein edles Herz im Kampf erwarbst,
88 Jungfräulich wie die Poesie in dir, Und dir zum Segen kam ein neues Werde. — „Was hast du mehr zu suchen auf der Erde?"
So tönte neidisch nun der Götter Frage. — Da beugtest schweigend du das Haupt und — starbst — Erfüllt war Alles, was du wünschtest hier.
Ein Zeugniß hattest du der Welt gegeben,
Daß wahres Glück die Götter nur beneiden;
Wie eine Dichtung schlossen sie dein Leben, Und ließen dich in reichster Blüthe scheiden.
Karl Jmmermann! wo in dem tiefsten Innern Das heilge Glück der reichsten Liebe blüht, Ehrt man, gleich einem Zauberspruch dein Wort.
Was tausend Herzen nur zu fühlen wagen, Das hast du herrlich an das Licht getragen,
Und dankend werden Alle sich erinnern,
Wie du, aus tief begeistertem Gemüth, Gehoben hast den wunderbaren Hort.
89 Gleich einem Lichtstreif folget deinem Streben Die Ernte, die entsproß aus deiner Saat;
Selbst schlossest du dein Dichten und dein Leben Mit deiner höchsten, deiner schönsten That.
90
22. Gänzlich ist die Nacht gesunken, Und den Horizont umsäumen
Nirgends mehr die goldnen Funken. — Sei geendet nun das Träumen! Komm, es rufen uns die Kleinen,
Die mit Ungeduld verlangen, Sich am Lichte zu vereinen Und uns liebend zu umfangen.
Selig wir — daß diese Stunde,
Die der innern Welt geweiht,
Nun — in unsrer frohen Runde Löst so liebe Wirklichkeit.
Lachend kommen sie gesprungen,
Brechen jubelnd bei uns ein,
91 Ahnen nicht wie uns umschlungen
Ernste Lust und süße Pein; Daß wir, wie in alten Zeiten,
Wieder jugendlich geschwärmt, Während sie, die stets bereiten,
Draußen Elfen gleich gelärmt, Ihre Stirnen reich bekränzet. — O ein Glück, das nie geraubt,
Wie mit Heilger Flamme glänzet Auf der Kinder liebem Haupt.
Selig, wem ein Gott gegeben,
Nach der Jahre raschem Schwung, In den Seinen neu zu leben,
Ewig warm und ewig jung;
Froh mit ihnen zu erblühen,
In der Lust an ihrer Blüthe, Stark mit ihnen zu erglühen Für die Gottheit im Gemüthe.
92
Das ist Poesie des Lebens, Die aus reinster Quelle fließt, Und nie war ein Tag vergebens, Den ein solcher Abend schließt.
Gedruckt bei Julius Sittenfeld in Berlin.