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German Pages 332 Year 2017
Adrián Herrera Fuentes
„Dieses merkwürdigste Land zwischen den amerikanischen Wendekreisen"
Editionen der Iberoamericana 86 Herausgegeben von: Mechthild Albert (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn) Enrique García-Santo Tomás (University of Michigan, Ann Arbor) Aníbal González (Yale University, New Häven) Klaus Meyer-Minnemann (Universität Hamburg) Daniel Nemrava (Palacky University, Olomouc) Katharina Niemeyer (Universität zu Köln) Emilio Peral Vega (Universidad Complutense de Madrid) Janett Reinstädler (Universität des Saarlandes, Saarbrücken) Roland Spiller (Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main)
Adrián Herrera Fuentes
„Dieses merkwürdigste Land zwischen den amerikanischen Wendekreisen" Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus Colin Ross (1937) und Josef Maria Frank (1938)
Vervuert » 2 0 1 6
Zugl.: Köln, Univ., Diss., 2014. Briefwechsel zwischen Josef Maria Frank und Erich Kästner veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Literaturarchivs (Marbach) und des Rechtsinhabers von Erich Kästners Werk (Herr Peter Beisler). Das Bild von José d e m e n t e Orozcos Wandmalerei „Cortés y la Malinche" auf Seite 140 wurde von Alba Herrera Rivas aufgenommen und erscheint in diesem Werk mit der entsprechenden Genehmigung der folgenden Institutionen: Universidad Nacional Autónoma de México, Dirección General de Patrimonio Universitario der UNAM, Antiguo Colegio de San Ildefonso und Subdirección General de Patrimonio Artístico Inmueble der INBA. Das Cover von der Monatsschrift der Bückergilde-Gutenberg vom November 1950 erscheint auf der Seite 74 mit Genehmigung der Büchergilde-Gutenberg: Copyright © Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main und Wien 1950. Der Autor des Bildes auf dem Cover ist unbekannt. Berechtigte Ansprüche können nachträglich abgegolten werden. Alle Bilder der Anhänge stammen aus unterschiedlichen Werken von Josef Maria Frank und Colin Ross. Bis zur Erscheinung vorliegender Publikation konnten trotz aller Bemühungen die Erben von Josef Maria Frank nicht ermittelt werden. Berechtigte Ansprüche auf seine Briefe und Bilder können nachträglich abgegolten werden.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Vervuert Verlag 2016 Elisabethenstr. 3-9 D-60594 Frankfurt am Main Tel. + 49 69 597 46 17 - Fax: + 49 69 597 87 43 [email protected] www. iberoamericana-vervuert. es ISBN 978-3-95487-506-1
Umschlaggestaltung: a.f. diseño y comunicación Umschlagfoto: aus „Der Balkan Amerikas" (1937) von Colin Ross. Depósito legal: M-27110-2016 Gedruckt auf säure- und chlorfreiem, alterungsbeständigem Papier Gedruckt in Spanien
INHALTSVERZEICHNIS
Danksagung
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Vorwort
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Einführung
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K A P I T E L I. REISELITERATUR ÜBER M E X I K O IM NATIONALSOZIALISTISCHEN D E U T S C H L A N D . H I N T E R G R Ü N D E , ENTSTEHUNGSKONTEXT U N D P O E T I K
1. Situation des Literaturapparats und der literarischen Institutionen im Dritten Reich 2. Hintergründe von Der Balkan Amerikas und Mexiko ist anders a) Von der Reiselust und Nationbildung bis zur Geopolitik b) Lateinamerika als Migrationsziel c) Mexiko in der deutschen Vorstellung am Anfang des 20. Jahrhunderts 3. Poetik des Reiseberichts. Besonderheiten von Der Balkan Amerikas und Mexiko ist anders a) Funktionen der Reiseliteratur b) Zur Definition der Reiseliteratur. Besonderheiten von Der Balkan Amerikas und Mexiko ist anders c) Das Spiel mit Realität und Fiktion bei Ross und Frank
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K A P I T E L I I . C O L I N R O S S UND J O S E F M A R I A F R A N K ALS R E I S E N D E UND AUTOREN
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1. Josef Maria Frank. Reisender, Novellist und Drehbuchautor a) Im Schatten des NS-Literaturkanons b) Der Reisende auf der Suche eines „eigenen" Mexiko-Bildes 2. Colin Ross als nationalsozialistischer Reisender a) Die Reiseberichte von Colin Ross b) Colin Ross als Autor geopolitischer Texte K A P I T E L I I I . D I E R E Z E P T I O N V O N DER BALKAN AMERIKAS
UND
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MEXIKO
LSTANDERS
1. Mexiko ist anders als politischer Text in Deutschland 2. Eine angsterregende Rezeption: Die Bewegung Alemania Libre stellt sich in Mexiko-Stadt gegen Colin Ross und Josef Maria Frank
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K A P I T E L I V . „ R E I S E INS L A N D DER A Z T E K E N " : R H E T O R I K U N D Ä S T H E T I K IN DER REPRÄSENTATION DER G E S C H I C H T E M E X I K O S
1. Faszination für die mexikanische Antike - Das aztekische Reich
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a) „Ein wahrer Balkan Amerikas": das mexikanische Hochplateau als Wiege der Azteken b) Der aztekische Menschenopferkult c) Kriegerische Disziplin und zivilisatorischer Glanz 2. Hernán Cortés. Der Triumph des Willens oder Don Quijote a) Hernán Cortés oder der Triumph des Willens b) Hernán Cortés: Don Quijote und Hollywood-Star 3. Quetzalcóatl und Huizilopochtli als Metapher eines „Rassenkampfs"
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K A P I T E L V . Z W I S C H E N IMAGINATION UND K O L O N I A L I S M U S . D A S POSTREVOLUTIONÄRE M E X I K O AUS EINER NATIONALSOZIALISTISCHEN PERSPEKTIVE
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Die rote Haut Mexikos. Indigene als historische und ahistorische Subjekte Unter Indios und Indianern. Semiotik zweier unterschiedlicher Konzepte.... Der Mestizo oder die Unmöglichkeit einer Synthese Die Götterdämmerung der weißen Götter. Die mexikanische Revolution aus einer nationalsozialistischen Perspektive a) Die Paradoxien b) „Rückindianisierung" oder die Auferstehung der alten Azteken c) Die Götterdämmerung der weißen Götter
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K A P I T E L V I . D E U T S C H E ALS K O L O N I S T E N IM POSTREVOLUTIONÄREN M E X I K O ..
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1. Der Zwiespalt des deutschen Kolonisten 2. Tragödie als „Schicksal": die Legende des alten Petersen 3. Josef Maria Frank und die deutschen Schicksale in der Hauptstadt
220 226 231
KAPITEL V I I . D . H . LAWRENCES THE PLUMED SERPENT UND MEXIKO IST ANDERS ...
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1. Realität und Fiktion 2. D. H. Lawrence in Mexiko 3. The Plumed Serpent als Intertext in Mexiko ist anders a) Zitate b) Plagiate, Paraphrasen und Anspielungen 4 Epilog: Was Quetzacóatl in Mexiko sah
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E X K U R S . J O S E F M A R I A F R A N K UND DIE MEXIKANISCHEN FASCHISTEN
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1. 2. 3. 4.
ZUSAMMENFASSUNG
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ANHÄNGE
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QUELLENVERZEICHNIS
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PERSONENREGISTER
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DANKSAGUNG
Zunächst möchte ich meinen Eltern (Carlos und Fidelfa) und meiner Familie in Mexiko danken, sowie auch Dr. Bianca Lopez (Tecnolögico de Monterrey) für das Interesse an Reiseliteratur, das sie in mir entfacht hat. Prof. Dr. Oliver Lubrich (Bern) danke ich für seine Freundschaft und Unterstützung sowie für die Art und Weise, in der er in mir die Neugier und die Leidenschaft für die deutsche Sprache und Literatur geweckt und befördert hat. Insbesondere möchte ich mich bei allen bedanken, die meine Manuskripte gelesen und mir dabei geholfen haben, mein Schriftdeutsch und meinen Stil zu verbessern, namentlich bei meinen Freunden und Kollegen Melanie Uth, Neele Meyer, Dean Pacher, Klaus Frische, Markus Ferenc und Anna-Laura Lemke. Vielen Dank auch an Frau Heidi Buschhaus und Herrn Chris Korner vom Deutschen Literaturarchiv für ihre Hilfe und Orientierung. Prof. Dr. Mechthild Albert (Bonn) möchte ich für Ihre Unterstützung in den ersten Phasen dieses Dissertationsprojekts danken, Dr. Monika Wehrheim (Bonn) für ihre Freundschaft sowie für ihre Vorschläge und Rückmeldung. Weiterer Dank geht an Jesus Huacuja - er hat mich in den Anfangsphasen dieses Abenteuers begleitet. Ich möchte mich sehr herzlich bei Prof. Dr. Barbara Potthast bedanken für ihre Geduld und ihre Professionalität sowie für die sorgfältige Rückmeldung als Zweitbetreuerin dieses Projekts. Zu guter Letzt bedanke ich mich bei meiner Erstbetreuerin Prof. Dr. Katharina Niemeyer, die mir die Türen der Universität zu Köln geöffnet hat. Durch ihre Expertise in den lateinamerikanischen und deutschen Literaturen, sowie durch ihre Fähigkeit zur präzisen Interpretation, hat sie die vorliegende Dissertation ausgezeichnet betreut und bereichert. Die vorliegende Dissertation wurde am 14. März 2014 zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln eingereicht und am 28. Mai 2014 verteidigt. Dieses Werk widme ich von Herzen meiner Schwester Gabriela Herrera Fuentes (1972-2014).
VORWORT
Bevor ich auf das Thema der vorliegenden Dissertation wissenschaftlich eingehe, möchte ich mit einigen Anekdoten anfangen, denn es sind all diese gesammelten Erfahrungen - und eine Reihe von Glücks- und Zufällen - , die meine Forschung in diese Richtung gelenkt haben. Auf diese Weise möchte ich beantworten, wie ich dazu kam, zur deutschen Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus zu schreiben. Es handelt sich nicht nur um eine Gattung, über die relativ wenig geforscht wird, sondern auch um eine Epoche, die in Deutschland noch nicht komplett frei von allen Tabus ist, und die in Lateinamerika und insbesondere in Mexiko nicht immer mit Objektivität und ohne Sensationalismus beleuchtet wird. Warum sollte sich jemand aus Mexiko für solch ein Thema interessieren? - werde ich immer gefragt. Diese Frage, die mir stets nicht nur in privaten Gelegenheiten, sondern auch in wissenschaftlichen Kontexten gestellt wird, möchte ich kurz beantworten, bevor ich mich einer sachlichen Einführung meiner Arbeit widme. Obwohl ich in der Hispanistik und Lateinamerikanistik ausgebildet wurde, entwickelte ich während meines Studiums an der Tecnolögico de Monterrey (Mexiko) ein großes Interesse für die deutsche Sprache und die deutsche Literatur. Das Philologie-Studium an meiner Universität war Ende der 90er Jahre aus einer komparatistischen Sicht gestaltet, sodass die Studenten einen Uberblick der spanischsprachigen Tradition im Kontext der abendländischen Literatur gewinnen konnten. Das Erlernen einer dritten Sprache - Englisch wurde schon vorausgesetzt - wurde nicht verlangt, aber gern gesehen. Da ich Monate zuvor in einem Traum eine mir unverständliche Sprache sprach, die ich für Deutsch hielt, entschloss ich mich für Deutsch. Frau Irene Gartz, meine Deutsch-Dozentin von 1999 bis 2000, deren Familie in Mexiko aufgrund des Nationalsozialismus Asyl gesucht hatte, hatte — ohne es zu wissen - einen wichtigen Einfluss auf das, was danach kam. Obwohl all ihre Studenten sie zu gern gefragt hätten, was ihre Erfahrungen im NSDeutschland gewesen waren, sprach sie dieses Thema uns gegenüber nie an. Auch ich traute mich nicht, danach zu fragen. Sie war nach Mexiko gekommen, ohne ein Wort Spanisch zu sprechen. Sie soll im Jahr 1999 Ende 70 gewesen sein. Als sie mir im Sommer 2000 eine Gedichtsammlung von Rainer Maria Rilke lieh - eine sehr schöne Ausgabe der Insel-Bücherei aus den 30er Jahren - , fing ich allmählich an, durch Kurse an meiner Universität und in meiner Freizeit die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts zu entdecken. Dies lenkte mich nicht von dem intensiven Lesen der lateinamerikanischen und spanischen Literatur meines Studiums ab ganz im Gegenteil war es ein bereicherndes Komplement. Geboren in der Nähe der
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Grenze zu den USA in Nordmexiko, fing mein Kontakt mit Fremdsprachen und -kulturen sehr früh an. Das Bewusstsein, in einem Land geboren zu sein, das den Glanz alter Zivilisationen sah und das sich nach der Eroberung durch die Spanier multikulturell und multiethnisch gestaltete, regte meine Imagination schon als Kind an. Mich interessierte - und interessiert noch immer - zu wissen, was passiert, wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturen aufeinandertreffen, eine Fragestellung, die angesichts der Globalisierung in allen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen immer mehr an Wichtigkeit gewinnt. Mit den Jahren entwickelte sich meine Faszination fiir die deutsche Sprache immer mehr, so auch für die deutsche Literatur und Philosophie; Schriftsteller wie Paul Celan, Joseph Roth, Stefan Zweig, Franz Kafka und Rose Ausländer faszinierten mich nicht nur, weil ich ihre Bücher mochte - und mag —, sondern auch, weil sie in multikulturellen, kosmopolitischen Kontexten aufwuchsen, wie viele von unseren lateinamerikanischen Klassikern. Diese Vorstellung erweckte in mir ein großes Interesse - und auch Enthusiasmus. Als ich mich für einen Master in der Literaturwissenschaft entschloss, wollte ich zu einem Thema forschen, das sowohl den deutschen als auch den spanischen Sprachraum umfassen würde und durch das ich nicht nur als ausgebildeter Hispanist auf meine Kenntnisse und mein Interesse für Lateinamerika zurückgreifen müsste, sondern auch die Methodik anderer Disziplinen, wie die der Komparatistik, erlernen könnte. Im Mai 2006 befand ich mich im Zuge eines Forschungsaufenthaltes in der Biblioteca Nacional der UNAM in Mexiko-Stadt, wo ich Material für ein mögliches Thema für meine tesis de maestría (Masterarbeit) sammelte. Damals interessierte ich mich für die Literatur, die von deutschen Autoren, die als Flüchtlinge des Nationalsozialismus in Mexiko Asyl gesucht hatten, geschrieben wurde. Es war das Jahr der Präsidentschaftswahl und die politische Atmosphäre zwischen Links- und Rechtsparteien war - wie es seit 2000 zumeist der Fall ist - besonders angespannt. Während dieses Aufenthaltes stieß ich auf die Zeitung Alemania Libre! — mit dem Ausrufezeichen - , in der ich einen sehr auffälligen Artikel sah: „¿México para los mexicanos? ¡No! Dicen los voceros de Hitler". Am 15. September 1942, Jahrestag der Unabhängigkeit Mexikos von Spanien, warnten die in Mexiko exilierten deutschen Autoren in diesem Artikel vor den „kolonialen Ambitionen" NS-Deutschlands im Lande. Laut dieses anonymen Textes in der bereits genannten Zeitung, welche der NS-Widerstand in Mexico City jeden 15. Tag von 1941 bis 1946 veröffentlichte, seien Mexikaner aus Sicht der „voceros de Hitler" unfähig zur eigenen unabhängigen Verwaltung. Ferner sähen sie in der ethnischen Mischung des Landes ein Unglück für das mexikanische Volk. Diese Aussagen lösten Polemik aus in einem Lande, dessen postrevolutionärer Indentitätsdiskurs auf einer „Mischung von Rassen" oder mestizaje, nämlich der europäischen und der indigenen, basierte. Dieser Artikel soll nicht nur den mexikanischen Nationalstolz an so einem bedeutenden Datum angeregt, sondern auch die Teilnahme Mexikos am Zweiten Weltkrieg gegen die faschistische Achse legitimiert haben. Auch wenn das Land bis Mai 1942 gar nicht direkt in den Konflikt verwickelt war, fungierte es doch vor seinem Kriegsantritt als Ollieferant für Japan und NS-Deutschland. Die Kriegserklärung Mexikos an die Achse Berlin-
Vorwort
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Rom-Tokio bedeutete ein Ende der Präsenz NS-Deutschlands auf amerikanischem Boden. Diese in dem Artikel veröffentlichten polemischen Aussagen wurden zwei deutschen Autoren zugeschrieben, die in Mexiko unbekannt waren und deren Werke überhaupt nie ins Spanische übersetzt wurden: Colin Ross und Josef Maria Frank. Ihre Bücher waren in der Biblioteca Nacional nicht zu finden. Eine schnelle Suche im Internet warf kein Licht auf dieses Thema — heutzutage gibt es entsprechende Wikipedia-Beiträge. In mir brannte schnell die Neugier zu erfahren, ob tatsächlich auch nationalsozialistische Reisende nach Mexiko gekommen waren. Zurück in Monterrey, konzentrierte ich mich auf meinen Job und mein Studium und vergaß diesen Fund schnell. Aber ab und zu kehrten meine Gedanken zurück zu diesen beiden Nationalsozialisten, die in der Amtszeit von Lázaro Cárdenas in Mexiko waren: Was haben sie über Mexiko gedacht? Wie haben sie das Land wahrgenommen? Wenn damals in Deutschland und auch in Mexiko die Frage der ethnischen Herkunft für die Nationbildung eine große Rolle spielte, wie haben diese angeblichen NS-Reisenden das patriotische, postrevolutionäre Mexiko von damals gesehen? Warum hat Colin Ross Mexiko als „Balkan Amerikas" angesehen? Besonders auffällig fand ich, wie Josef Maria Frank Mexiko als „dieses merkwürdigste Land zwischen den amerikanischen Wendekreisen" bezeichnete. Aus dem Kontext entnommen klingt dieser Satz grammatikalisch falsch - aber der Autor war schon in Mittelamerika und der Karibik gewesen: ihm schien Mexiko zwischen allen mittelamerikanischen Ländern das „merkwürdigste" zu sein. Ausserdem deutete er häufig in seinem Reisebericht an, dass Mexiko nicht nur das „merkürdigste", sondern auch „anders" sei. Warum? Aus diesem Grund habe ich dieses Zitat als Teil für den Titel dieser Dissertation ausgewählt. 2006 arbeitete ich als Redakteur der Revista de Humanidades des Departamento de Estudios Humanísticos der Tecnológico de Monterrey. Gleichzeitig schrieb ich meine Masterarbeit bei Prof. Dr. Blanca López de Mariscal, unter deren Führung ich bei mehreren Projekten zur Literatur der Kolonialzeit und des Siglo de Oro mitwirkte. Im September 2006 besuchte eine Gruppe von Forschern aus der Texas A & M University unser Institut in Monterrey. Während ihres Aufenthalts begleitete ich sie bei einer kleinen Führung durch die Biblioteca Cervantina, die Sammlung von kostbaren Raritäten, Inkunabeln und Manuskripten der Tecnológico de Monterrey, in der ich mit Blanca López und anderen Kommilitonen bei mehreren Projekten zu den Themen des Lehrstuhls mitgewirkt hatte. Ich kannte diese Bibliothek relativ gut. Oder zumindest dachte ich das. Der Bibliothekar zeigte unseren amerikanischen Besuchern die Sammlung von Reiseberichten, die die Familie Guajardo an die Tee de Monterrey gespendet hatte. Diese Sammlung besteht aus 500 Bänden aus unterschiedlichen Epochen und Sprachen. Wir waren kurz davor, zu dem nächsten Lesesaal zu gehen, als ich meinen Blick noch einmal über die Sammlung schweifen ließ. Zwischen den Büchern entdeckte ich ein Exemplar von Mexiko ist anders. Reise ins Land der Azteken, von einem gewissen Josef Maria Frank. War er nicht der Gleiche, über den ich Hinweise in jener alten Zeitung des NS-Widerstands gefunden hatte? Ich war erstaunt - und vor allem sehr begeistert. Zu jenem Zeitpunkt änderte
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
ich das Thema meiner Masterarbeit und wusste, dass ich es für meine Dissertation vertiefen wollte. Als ich schließlich 2 0 0 8 nach Deutschland kam und mehr über Colin Ross und Josef Maria Frank erfuhr, stellte ich mit großer Überraschung fest, dass Frank an der Universität Bonn studiert hatte. Im selben Jahr fing ich genau dort an, als Spanisch-Lektor zu wirken. Man sagt in Mexiko, dass im Leben nichts zufällig passiert.
EINFÜHRUNG
I . HINTERGRUND
Die mexikanische Revolution erweckte unter vielen europäischen und nordamerikanischen Intellektuellen ein großes Interesse für Mexiko, denn sie galt als die erste proletarische Bewegung der Welt. Die Emanzipation der indigenen Völker und die vermutliche Verwirklichung sozialistischer Ideale zogen in den 1 Oer, 20er und 30er Jahren Autoren wie Aldous Huxley, D. H. Lawrence, Graham Greene, John Reed und André Breton an, die die Auswirkungen der Revolution näher betrachten wollten, nach Mexiko. Aus Deutschland kamen andere prominente Intellektuelle, die ausfuhrlich über ihre Erfahrungen im Lande berichteten. Das erste erwähnenswerte Beispiel ist der Ökonom und Schriftsteller Alfons Goldschmidt (1879-1940), der nach Mexiko eingeladen wurde, um zum Aufbau der post-revolutionären Nation beizutragen. Goldschmidt schrieb ein Buch über seinen Aufenthalt (Auf den Spuren der Azteken. Ein mexikanisches Reisebuch, 1927) und drehte sogar einen Film über Mexiko {Auf den Spuren der Azteken, UFA, 1927). Aufgrund des spanischen Bürgerkriegs und des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs, waren auch die 30er und 40er Jahre eine kulturell gesehen „goldene Zeit" für Mexiko. In diesen Jahrzehnten suchten viele Künstler, Schriftsteller und Philosophen aus Spanien, England und Frankreich in Mexiko Asyl: Leonora Carrington, Remedios Varo, Victor Serge und Luis Bunuel zählen zu den Prominenten, die in jenem Land eine neue Heimat fanden und die die mexikanische Kultur prägten. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bot Mexiko für die verfolgten deutschen Intellektuellen Asyl, denen die Einreise in die USA wegen ihrer kommunistischen Gesinnung verboten worden war. Unter ihnen befanden sich Autoren wie Anna Seghers, Egon Erwin Kisch und Lion Feuchtwanger. Viele dieser Schriftsteller hinterließen Erinnerungen und Reisewerke (wie z.B. Kisch in Entdeckungen in Mexiko, 1945) von großer Bedeutung in der Geschichte des Aufeinandertreffens zwischen Deutschen und Lateinamerikanern. Bislang blieb nur diese Seite der deutschen Reiseliteratur des 20. Jahrhunderts über Mexiko in der öffentlichen Erinnerung erhalten. Meist ist übersehen worden, dass es auch deutsche Reisende gab, die von Deutschland aus Mexiko bereisten und, zurück im nationalsozialistischen Deutschland, ihre Reiseberichte unter dem dortigen Regime veröffentlichten. So zum Beispiel Colin Ross, Ingenieur und Reiseberichterstatter, der 1937 den Titel Der Balkan Amerikas. Mit Kind und Kegel durch Mexiko bis zum Panamakanal publizierte. Auch Josef Maria Frank, Novellist und Dramaturg, reiste im Auftrag der Hamburg-Amerika-Linie nach Mexiko und
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
verfasste aus seinen Erfahrungen im Lande das Werk Mexiko ist anders. Eine Reise ins Land der Azteken (1938). Obwohl diese Texte von der Presse des NS-Widerstands in Mexiko-Stadt als „koloniale Propaganda" zum Zweck einer zweiten Eroberung Mexikos bezeichnet wurden, lässt eine erste Lektüre von beiden Texten Zweifel an der Absicht einer „zweiten Eroberung" Mexikos aufkommen. Wer waren diese in Vergessenheit geratenen Schriftsteller, die damals sehr produktiv waren? Was bewog sie, eine Reise nach Mexiko zu unternehmen und diese Texte zu verfassen? Was ist ihre Politik — und ihre Poetik? Sind diese Texte ästhetisch relevant oder sind sie zu Recht vergessen? Welche inhaltlichen und poetischen Merkmale erhielt das Genre (Reisebericht) im Nationalsozialismus? Und vor allem: Was lässt sich durch eine philologische und rhetorische Untersuchung dieser Texte entdecken?
2 . INHALT UND STRUKTUR DER T E X T E
Der Balkan Amerikas. Mit Kind und Kegel durch Mexiko zum Panamakanal erschien 1937 bei dem renommierten Brockhaus Verlag in Leipzig. Es handelt sich um einen Reisebericht, der aus der Perspektive des Ich-Erzählers (Colin Ross) verfasst wurde. Darin sind unterschiedliche Formate zu erkennen, insbesondere das Essay, auch wenn viele Kapitel sich ebenso als journalistische Beiträge nachvollziehen lassen. Ross und seine Familie machten sich auf den Weg mit dem Auto von den USA nach Mexiko und dann bis zum Panamakanal, aber Mexiko widmet Ross 218 von 265 Seiten (etwa 80%). Dies drängt die Erkenntnis auf, dass der Autor thematisch den Fokus auf Mexiko und seine Geschichte, Geographie, ethnische Verhältnisse und zeitgenössische Politik legt. Aus diesem Grund lässt sich Der Balkan Amerikas als ein geopolitisches Essay bezeichnen. Der Balkan Amerikas ist in sieben größere Sektionen gegliedert, die insgesamt 47 kurze Kapitel (das Kürzeste hat zwei Seiten, das Längste neun) beinhalten: „Im Auto durch Mexiko", „Vom weißen Gott bis zum Ende der weißen Götter," „Das Erlebnis der Revolution," „Der Kampf um den Boden," „Mais und Maschine in Mexiko," „Nach Chiapas" und schließlich „Mittelamerika". In dem ersten Abschnitt, „Im Auto durch Mexiko", geht es grundsätzlich um die Erzählung von Anekdoten des Autors von seiner Einreise in Mexiko, von Nuevo Laredo (Tamaulipas) nach Mexiko-Stadt über Monterrey. Im dritten Teil stellt Ross die Erinnerungen seiner Teilnahme an der mexikanischen Revolution unter General Pancho Villa dar. In der zweiten Sektion wird eine Zusammenfassung und Interpretation der mexikanischen Geschichte präsentiert, während Ross im vierten, fünften und sechsten Teil seine politische Interpretation der Auswirkung von der mexikanischen Revolution darlegt. Im siebten Teil (54 Seiten) schließlich, entwirft Ross eine Erzählung seiner Reise von Guatemala nach Panama, die er auch mit politischen Kommentaren präsentiert. Da es in dieser Arbeit darum geht, Franks und Ross' Mexikobild zu vergleichen, und den Fokus beider Autoren herauszuarbeiten, werden die parallel bereisten Länder aus thematischen Gründen nicht in die Analyse eingeschlossen. Im Allgemeinen lassen sich vier großen Themen in Der Balkan
Einführung
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Amerikas erkennen: die Widersprüche der mexikanischen post-revolutionären Politik; die Verhältnisse zwischen den Ethnien, die er in „rote" („Indianer") und „weiße" Rasse sowie in Mestizos („Mischlinge") aufteilte; der Einfluss des Kommunismus, und der Untergang der europäischen Herrschaft. Mexiko ist anders. Eine Reise ins Land der Azteken erschien im Katalog des Volksverbandes der Bücherfreunde des Wegweiser-Universitas Verlags in Berlin im Jahr 1938. Eine zweite Edition wurde 1942 publiziert. Josef Maria Frank verwendet insbesondere Anekdoten und Essays zur Gestaltung seines Reiseberichts. Seine 19 Kapitel sind im Vergleich zu Ross' länger (das Kürzeste hat neun Seiten, das Längste 29) und sind in drei thematische Sektionen gegliedert: „I. Unterwegs nach Mexiko", wo der Autor seine Reise im Schiff der Hamburg-Amerika-Linie beschreibt und anekdotisch auf seine ersten Überlegungen zu Mexiko durch Konversationen mit anderen Passagieren eingeht. Darüber hinaus schildert er seine Eindrücke über La Habana, die als Zwischenstation zwischen Southampton (England) und Veracruz (Mexiko) diente. In der zweiten Sektion, betitelt „Kleines Kolleg über Mexiko", gibt Frank nicht nur allgemeine Informationen zum Lande („Was man über Mexiko wissen muß"), sondern auch eine detaillierte Beschreibung und Interpretation der mexikanischen Geschichte von der Aztekenzeit bis zur Amtszeit von Lázaro Cárdenas. Man darf nicht vergessen, dass es zur Zeit der Reise in Mexiko politische Spannungen aufgrund der Enteignung der Ölindustrie, die im März 1938 durchgeführt wurde, gab. Schließlich behandelt Frank im dritten Teil „Reise durch Mexiko" nicht nur Themen wie das mexikanische Alltagsleben auf dem Land und in der Stadt (die Schere zwischen sozialen Schichten, der Lebensstil der Landbevölkerung - vor allem der Indigenen - und der wirtschaftlichen Elite), sondern auch Aspekte der mexikanischen Mentalität, zum Beispiel in Bezug auf Frauen und Religion, und Gebräuche, wie der Konsum von Pulque und Marihuana. Von besonderer Bedeutung sind seine Interpretationen über die Auswirkungen der mexikanischen Revolution, die Widersprüche der Politik und die Heuchelei von Politikern und Künstlern (wie z. B. Diego Rivera). Er thematisiert auch das Leben ausländischer Gemeinden in Mexiko, wobei er insbesondere die Situation der Deutschen hervorhebt. Wie in Der Balkan Amerikas steht im Augenmerk von Mexiko ist anders der Einfluss des Kommunismus in Mexiko und die Auswirkungen der Revolution auf die Wirtschaft und Gesellschaft.
3. RELEVANZ
Colin Ross und Josef Maria Frank werden zwar nicht mehr als relevante Autoren für den heutigen literarischen Kanon betrachtet. Aber ihre Texte sind insofern wichtig - und wichtiger als deren Autoren - , als sie in Mexiko eine starke Polemik entfachten und dort propagandistisch instrumentalisiert wurden. Außerdem bieten sie eine besondere Perspektive auf das damalige Mexiko. Sie zeigen, dass die mexikanische Revolution auch eine Rezeption in totalitären faschistischen Regimen erfuhr, und nicht nur unter deren ausländischen Sympathisanten oder in Ländern, die Wirtschaft-
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
lieh und politisch ein starkes Verhältnis zu Mexiko hatten (wie etwa die U S A und Großbritannien). Ross und Frank - aber insbesondere Ross - genossen im Nationalsozialismus eine privilegierte Position und ihre Reisebücher waren populär auf dem deutschen Buchmarkt. Aus ideologischen Gründen sind ihre Stimmen in der Nachkriegszeit in Vergessenheit geraten. Durch diese Arbeit werden ihre Federn wieder aus der Anonymität hervorgeholt und untersucht, denn diese Reiseberichte artikulieren einen besonderen Aspekt der gemeinsamen Kulturgeschichte Mexikos und Deutschlands: was wurde über das post-revolutionäre Mexiko im Dritten Reich gesagt und wie wurde es artikuliert? Darüber hinaus drängt sich die Frage auf, was sich anhand dieser Berichte nicht nur über Mexiko, sondern auch über Deutschland aufzeigen lässt. Aus einer literaturwissenschaftlichen Sicht soll diese Arbeit aufzeigen, inwiefern sich die Reiseliteratur thematisch und inhaltlich im Dritten Reich veränderte und wie trotz der angestrebten Objektivität der Autoren, Bezüge aus der
fiktionalen
Literatur aufgegriffen wurden. Deshalb lässt sich diese Reiseliteratur nicht nur aus einer nationalsozialistischen Perspektive interpretieren. Mexiko Balkan Amerikas
ist anders und Der
als bloße NS-Propaganda zu lesen wäre ein Wahrnehmungsfehler.
Die hier vorgenommene Auslegung zeigt, dass diese Texte eine weitergehende Lektüre verlangen, die Merkmale anderer Diskurse entdeckt und deren Instrumentalisierung beschreibt. In diesem Sinne trägt diese Dissertation dazu bei, zu zeigen, dass Texte aus dem Dritten Reich ambivalente und unerwartete Stellungnahmen gegenüber der NS-Ideologie haben können. Aus der Perspektive der Lateinamerikanistik und Mexikanistik dient die Analyse der Texte von Ross und Frank dazu, den Mythos der mexikanischen Revolution zu dekonstruieren und zu zeigen, dass diese im Ausland nicht immer positiv betrachtet wurde, wie es bei anderen europäischen und amerikanischen Autoren der Fall war.1 M a n darf auch nicht vergessen, dass die Partido Revolucionario
Institucional
(PRI), die
über mehr als 6 0 Jahre bis 2 0 0 0 an der Macht war — und die nach einer polemischen Präsidentenwahl im Jahr 2 0 1 2 Mexiko wieder regiert — sich dieser Revolution bediente, um die eigene Machtposition zu legitimieren: die PRI (oder P N R , wie sie in den 1930er Jahren hieß) galt als die „institutionalisierte" Form dieser revolutionären Bewegung 2 und die Präsidenten Mexikos nach 1 9 2 0 hatten alle auf unterschiedlichen Ebenen daran teilgenommen. 3 Im Hinblick auf die deutschsprachige Literatur stellt diese Arbeit fest, dass sich nicht nur das linksorientierte Exil mit Mexiko befasste.
1 Vgl. Friedhelm Schmidt-Welle, Mexiko als Metapher. Inszenierungen des Fremden in literatur und Massenmedien (Berlin: Tranvia - Verlag Walter Frey, 2011). 2 Luis González, Los artífices del cardenismo, Historia de la Revolución Mexicana 14 (México: Colmex, 2005) 75. 3 So galt z.B. der Präsident Plutarco Elias Calles als „Jefe Máximo de la Revolución" (González, Los artífices 72) und Lázaro Cárdenas (1934-1940), der im Amt war, als sich Frank und Ross in Mexiko aufhielten, schon zu Anfang seiner politischen Karriere als „cachorro de la Revolución" (154). Jahre später, als Cárdenas zum Präsidialamt kandidiert wurde, wurde er noch unter der politischen Elite Mexikos als „revolucionario" (235) bezeichnet.
Einführung
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Darüber hinaus wird bestätigt, dass die damalige mexikanische Gesellschaft und Politik in NS-Deutschland nicht unbeachtet blieb. Obwohl Der Balkan Amerikas
und Mexiko
ist anders nie ins Spanische übersetzt
wurden, bestätigt ihre Rezeption in der deutsch-mexikanischen Zeitung
Alemania
Libre ihre damalige Relevanz für die linksorientierten Kreise. Die Tatsache, dass diese Texte in Mexiko Beachtung fanden, drängt die Erkenntnis auf, dass sie damals nicht ignoriert werden konnten. Der Balkan Amerikas von der mexikanischen Bewegung Alemania
Libré
und Mexiko
ist anders wurden
instrumentalisiert, um bei der
mexikanischen Leserschaft die Idee zu verbreiten, dass NS-Deutschland eine „zweite Eroberung" Mexikos vorbereitete. Außerdem wurde behauptet, dass sowohl Ross als auch Frank von Joseph Goebbels nach Mexiko versandt wurden, um den „Führer" durch ihre Reiseberichte von der „Notwendigkeit" zu überzeugen, Mexiko für das Dritte Reich zu erobern. Die vorliegende Dissertation erörtert die Position, die diese Texte in Deutschland tatsächlich hatten und durch die Analyse ihrer Rezeption darlegt, wie und wofür diese Texte in Mexiko ausgenutzt wurden. Zwar fungierten Der Balkan
Amerikas
und Mexiko
ist anders propagandistisch, aber nicht für das
Dritte Reich. Reiseberichte sind weder an Raum noch an Zeit fixiert. Veröffentlicht in Deutschland und später in Mexiko rezipiert, bieten sich die hier untersuchten Reisetexte als „Schaufenster" in die Vergangenheit an. So wie Alemania
Libre und die Exilanten-
Gruppe um Anna Seghers ein Kapitel in der gemeinsamen Geschichte, Literatur und Kultur von Mexiko und Deutschland sind, zeigen Der Balkan Amerikas
und
Mexiko
ist anders eine andere Perspektive der Verknüpfung von diesen Kulturräumen. In diesen Texten treffen also das postrevolutionäre Mexiko von Lázaro Cárdenas und NS-Deutschland aufeinander. Sie gelten als Dokumente von einer intertwined
history
— im Sinne von Edward Said 5 —, in der Mexiko sich in Deutschland zeigt - oder gezeigt wird — und umgekehrt. Das Lateinamerika- bzw. Mexikobild wird anhand vieler Reiseberichte aus unterschiedlichen Epochen analysiert: von den Texten spanischer Autoren in der Kolonialzeit bis zu den Werken europäischer Autoren, die sich dort in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts aufhielten. 6 Aber bis zum
4 Alemania Libre war eine deutsche NS-Widerstandsgruppe, die aus linksorientierten Intellektuellen aus dem deutschen Sprachraum bestand, wie z.B. Anna Sfeghers, Egon Erwin Kisch, Lion Feuchtwanger, u.a. Sie wurde auch von mehreren mexikanischen Sympathisanten unterstützt. Diese Organisation publizierte zwei Mal im Monat die Zeitung Alemania Libre und betrieb außerdem den Verlag El Libro Libre. Ein detailliertes Bild von Alemania Libre schildert Markus Patka in der Studie Zu Nahe der Sonne. Deutsche Schriftsteller im Exil in Mexiko (Berlin: Aufbau, 1999). 5 Said verwendet dieses Konzept im Rahmen der postkolonalien literarischen Studien. An dieser Stelle wird es benutzt, um einen Text zu beschreiben, der sich gleichzeitig auf zwei kulturelle Sphären bezieht. Vgl. Edward Said, Culture andImperialism (London: Vintage, 1994) 59-60. 6 Einige Beispiele davon sind die folgenden Bücher: Di Stefano y Peters, eds., México como punto de fuga real o imaginario (Frankfurt: Meidenbauer, 2011); Díaz-Pérez y Gräfe, eds., La Revolución mexicana en la literatura y el cine (Madrid y Frankfurt am Main: Iberoamericana - Vervuert, 2010); Markus Patka, Zu Nahe der Sonne. Deutsche Schriftsteller im Exil in Mexiko (Berlin: Aufbau, 1999).
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
jetzigen Forschungstand gab es keine Analyse von Mexiko-Texten, die innerhalb des nationalsozialistischen Deutschlands verfasst wurden. Diese Arbeit trägt zur Romanistik bzw. Lateinamerikanistik bei, denn diese Texte haben nicht nur einen Bezug zum spanischsprachigen Raum, sondern bilden auch eine Darstellung der spanischsprachigen bzw. mexikanischen Kultur und basieren auf einer Interpretation (aus einer deutschen Sicht) der mexikanischen Kultursphäre: aztekische Geschichte und Mythologie, die mexikanische Revolution sowie Gesellschaft und Kunst Mexikos werden dem deutschen Publikum mithilfe rhetorischer Mittel und Konzepte der NS-Sprache und anderen Vorstellungen der europäischen Kultur (z. B. aus der Literatur) präsentiert. Das damalige Mexiko wird - wenn man es auf diese Weise sehen möchte - für den deutschen Kulturraum „übersetzt". Aus diesem Grund verlangt die Exegese von Der Balkan Amerikas Mexiko
und
ist anders Kenntnisse der deutschen und mexikanischen Kultur zugleich.
M a n darf in Frage stellen, warum man sich mit der Literatur einer Epoche beschäftigen sollte, die aus der Sicht der Nationalsozialisten geschrieben wurde. Die Erforschung des Dritten Reiches ist nicht nur wichtig für die Geschichtswissenschaft, sondern auch für die Kultur- und Literaturwissenschaften. Es gibt heutzutage zahlreiche Forschungen, die den damaligen Stand der Kultur, der Wissenschaft, der Sprache und der Literatur zu rekonstruieren versuchen. 7 Diese Studien sind wichtig, da sie zur Aufarbeitung der Vergangenheit beitragen. Diese Arbeit möchte auch einen Beitrag zu diesem Erinnerungsprozess zu leisten. Diese Reiseberichte lassen Fragen über das damalige Mexikobild aufkommen, die nicht nur aus einer Perspektive zu beantworten sind. Die Tatsache, dass in der Romanistik und Lateinamerikanistik eine Interpretation von deutschen Texten stattfindet, zeigt, inwieweit die Grenzen eines Faches zugunsten der Interdisziplinarität und eines umfangreicheren Verständnisses von einem Problem erweitert werden können. Die geisteswissenschaftliche Praxis der letzten Jahrzehnte sucht immer mehr Anknüpfungspunkte zwischen den Philologien und anderen Disziplinen. So wie heutzutage in der Forschung der bilingualen und bikulturellen US-Latinoliteratur aus der Perspektive der Hispanistik und der Anglistik gearbeitet wird, kann man anhand der hier untersuchten Texte interdisziplinär vorangehen. Gerade auf das Mexikobild und die deutsch-lateinamerikanischen
Beziehungen
wird auch aus einer komparativen Sicht eingegangen, an der sich Komparatisten, Anglisten, Germanisten, Romanisten und Lateinamerikanisten beteiligen. In der
7 Eine zentrale Studie zur Literatur im Dritten Reich ist Jan-Peter Barbians Literaturpolitik im NS-Staat (1993), in derer sich mit der ideologischen und bürokratischen Kontrolle der literarischen Welt befasst. Hinzu kommt Karl-Heinz Schoeps' Buch Literatur und Film im Dritten Reich (2004), das sich eher mit diskursiven und politischen Aspekten beschäftigt. In der Studie Personifizierte Ideologie. Zur Konstruktion, Funktion und Rezeption von Identifikationsfiguren im Nationalsozialismus und im Stalinismus (2008) zieht Heiko Luckey einen Vergleich von Helden in totalitären Regimen. Im Bereich der Linguistik und Rhetorik gibt es andere wertvolle Beiträge wie das Vokabular des Nationalsozialismus (1998) von Cornelia Schmitz-Berning, und Horst Dieter Schlössers Studie Sprache unterm Hakenkreuz (Köln u.a.: Böhlau Verlag).
Einführung
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gegenwärtigen Wissenschaft sollte im Hinblick auf die Globalisierung das Studium der Literatur und Kultur auch sprachübergreifend möglich sein.
4. METHODIK
Reiseberichte dürfen nicht als isolierte Erscheinungen interpretiert werden. Sie entstehen aus einer komplexen Vernetzung von Diskursen, sie lassen sich auf andere Texte beziehen und reisen als Objekte von einem Kulturraum zum anderen, wo sie rezipiert werden. So wie lebendige Wesen, erben und vererben Reiseberichte Züge aus Texten aller Art. Da sie Produkt einer Kultur sind, sind stilistische, sprachliche und thematische Merkmale anderer Genres und Diskurse in Reiseberichten auffindbar. Sie werden auch in anderen Ländern gelesen. Diese Tatsache verlangt eine genaue Textanalyse, eine Erörterung der Hintergründe und des Entstehungskontextes dieser Reiseliteratur, sowie deren Rezeption. Diese Arbeit wurde zwar aus einer lateinamerikanistischen bzw. mexikanistischen Perspektive geschrieben, die sie an die Hispanistik anknüpft. Dennoch nähert sie sich auch methodisch wegen ihrer vergleichenden und textanalytischen Aufgaben der Komparatistik und der Allgemeinen Literaturwissenschaft. Der Fokus dieser Arbeit liegt deshalb nicht nur auf dem, was die Autoren sagen, sondern auf der Art und Weise, in der sie es sagen. In der ersten Hälfte (Kapitel I bis III) dieser Dissertation werden Aspekte wie Poetik des Reiseberichts, Hintergründe und Entstehungskontext, sowie die Rezeption anhand unterschiedlicher Mittel (Rezeptionsästhetik, Gattungstheorie, Archivrecherche) dargelegt. In der zweiten Hälfte (Kapitel IV bis VII) werden die Texte - philologisch, rhetorisch, stilistisch, semantisch und semiotisch — durch closereading im Detail analysiert. Da in dieser Arbeit ein Reisebericht als ein nicht-fiktionaler Text verstanden wird, ist er schwer von der geschichtlichen Realität zu trennen. Der Balkan Amerikas (1937) und Mexiko ist anders (1938) verweisen auf konkrete Orte, Menschen und Ereignisse, deren Autoren nach dem Krieg vergessen wurden. Dies verlangt eine Rekonstruktion der Identität dieser Autoren - insbesondere im Hinblick auf ihre Werke und auf ihre Reise nach Mexiko - a n h a n d der Spuren, die sie in ihren Texten hinterließen, und des Materials, das sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach (Neckar) befindet.
5. H A U P T T H E S E U N D F R A G E S T E L L U N G E N
Diese Arbeit basiert auf der folgenden These: Der Balkan Amerikas und Mexiko ist anders lassen sich zwar als Reiseberichte in Form geopolitischer Essays rhetorisch an die NS-Ideologie anknüpfen, aber zur Darstellung eines Mexikobildes greifen sie auf andere verfügbare diskursive Mittel zurück. Frank und Ross beziehen sich dabei auf Instrumente der fiktionalen Literatur (Metaphern, Vergleiche, Motive, Erzählungsstrategien, usw.) zur Darstellung ihrer Erfahrungen in Mexiko, was zeigt, dass trotz der vermeintlichen Objektivität der Autoren diese Reiseberichte von
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
einer starken Subjektivität und von der Imagination (literarische Hintergründe und Mythologie) geprägt sind. Ihre Artikulation der mexikanischen Realität unterscheidet sich aber nicht immer von dem, was andere Autoren — wie zum Beispiel D. H. Lawrence, der einen wichtigen Enfluss auf Josef Maria Franks Mexiko ist anders hatte — zum gleichen Zeitpunkt über Mexiko aussagten. Die vorliegende Dissertation wird thematisch in sieben Kapitel gegliedert, in denen Fragen zur Gattung, Gattungsgeschichte, Autorschaft, Rezeption und Textform beantwortet werden. Aus der zentralen Hypothese lassen sich fünf weitere Fragestellungen ableiten: a) Besonderheiten
der Reiseliteratur
im
Nationalsozialismus
Es wird anhand der Werke von Frank und Ross dargelegt, welche Formen die Reiseliteratur der 30er Jahre verwandte. Außerdem muss man beachten, inwiefern die NS-Ideologie einen Einfluss auf den Inhalt und auf die Gestalt des Genres hatte. Interessant ist zu bemerken, inwieweit der Reisebericht in der NS-Zeit in eine Art geopolitischen Essay verwandelt wurde, der sich von der Romantik der fiktionalen Literatur abzugrenzen versuchte. b) Die Autorfigur
im Text und außerhalb
des Texts
Auf einer Seite wird anhand der verfügbaren Dokumente des Deutschen Literaturarchivs in Marbach die Identität von Colin Ross und Josef Maria Frank rekonstruiert. Dabei wird das Augenmerk vor allem auf ihre Mexiko-Reise und auf ihr Verhältnis zur nationalsozialistischen Ideologie gerichtet. Die Umstände des Krieges haben die Zerstörung vieler Archive und Materialien verursacht, was eine Sammlung von empirischen Daten verkompliziert. Zu Colin Ross' wichtigstem Verleger, dem Brockhaus Verlag, sind kaum Unterlagen zu finden, da dieser am 4. Dezember 1943 während eines alliierten Luftangriffes nahezu völlig zerstört wurde. 8 In den Beständen Josef Maria Franks im Deutschen Literaturarchiv in Marbach befinden sich wenige Dokumente, die das Verhältnis zwischen Autor und Verlag vor 1945 dokumentieren. Aufgrund der Emigration Franks nach Österreich im Jahr 1944 und der Zerstörung seiner Wohnung in Berlin-Halensee sind weitere Dokumente verloren gegangen.
c) Der Entstehungskontext
und die Rezeption in Mexiko und in
Deutschland
Im ersten Kapitel wird aus einer literaturhistorischen Sicht recherchiert, inwieweit Mexiko ist anders und Der Balkan Amerikas einer gewissen Tradition in der deutschen 8 R. v. Hagel, „F.A. Brockhaus Verlag Leipzig," Das Lexikon der Reise- und Abenteuerliteratur Conan, Hrsg. Friedrich Schegk, 10. Band, Teile 3-4, 22: „Verlage". Erg.-Lfg. (1994, März) 16.
Einführung
21
Kulturgeschichte zugeordnet werden können, in der Lateinamerika im Mittelpunkt vieler Abenteuerromane und Reiseberichte steht. Zumal müssen Colin Ross' und Josef Maria Franks Texte nicht nur im Kontext des Nationalsozialismus gelesen werden, in dem eine Interpretation der Weltpolitik wichtig war, sondern auch als Teil des ganzen Systems der Reiseliteratur, in dem das Reisen, das Erkunden und das Zusammenkommen mit anderen Kulturen des amerikanischen Kontinents ausführlich thematisiert werden. Dazu kommt die Frage der Popularität des Genres in den 30er Jahren in Deutschland und die Frage, ob Mexiko für die deutsche Leserschaft während der NS-Zeit noch von Interesse war. Hier werden anhand der Rezensionen aus Zeitungsausschnitten (Alemania Libre!), literarischen Magazinen (Europäische Revue, Bücherkunde) und Literaturgeschichten (Alfred Bartels, Joseph Nadel, Waldemar Oehlke) die Verbreitung und Rezeption von Mexiko ist anders und Der Balkan Amerikas sowohl in Deutschland als auch in Mexiko recherchiert. Diese Analyse erläutert die Position beider Autoren im deutschen Buchmarkt, die Popularität der Reiseliteratur über Lateinamerika und das Bild Mexikos der noch in Deutschland lebenden intellektuellen Elite. Auf der anderen Seite wird festgestellt, warum in Mexiko sowohl Ross' als auch Franks Texte so wütend empfangen wurden und wie es dem deutschen NSWiderstand in Mexiko-Stadt gelungen ist, durch verfälschte Übersetzungen, Colin Ross' und Josef Maria Franks Reiseberichte als nationalsozialistische Propaganda abzustempeln. d) Alterität in Mexiko ist anders und Der Balkan Amerikas Hier wird erforscht, wie die Autoren, welche die Hetze gegen ethnische, religiöse und politische Minderheiten betrachteten und selbst das Bild eines arischen Deutschtums verinnerlicht hatten, das mexikanische Volk und seine Geschichte repräsentieren. Die Methodik dieser Analyse besteht in einer close-reading-Straxcgit, welche die Rhetorik beider Autoren interpretiert und Aspekte der NS-Ideologie, sowie andere Diskurse Kolonialismus, Abenteuer- und europäische Literatur über Mexiko, ja sogar Mythen und Ikonen der mexikanischen Geschichte - entdeckt. Mexiko als bereistes Land repräsentierte für beide Autoren eine neue Welt, die gar nicht dem romantischen Bild der Abenteuerliteratur des 19. Jahrhunderts entsprach. Während der Reise sahen sie sich mit unterschiedlichen Aspekten konfrontiert: den zeitgenössischen Indigenen, die, laut den Autoren, wenig mit ihren mächtigen Vorfahren zu tun hatten; den deutschen Kolonien in Mexiko und Chiapas; dem aztekischen Reich und den mexikanischen Altertümern; den Auswirkungen der Mexikanischen Revolution und schließlich mit dem Aferizzo-Diskurs.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
e) Intertextualität
zwischen The Plumed Serpent und Mexiko ist anders
Zwar beabsichtigt diese Arbeit nicht, einen intensiven Vergleich zwischen den hier untersuchten Reiseberichten und Texten anderer Autoren vorzunehmen. Aber relevante Parallelen werden an den entsprechenden Stellen gezogen. Trotzdem ist die Intertextualität zwischen Franks und Lawrences Texte nicht zu übersehen. Josef Maria Frank bedient sich an vielen Stellen von D. H. Lawrences Roman The Plumed Serpent (1926) zur Legitimierung seiner Einsichten. Im letzten Kapitel werden die Fragmente aus Lawrences Roman, die in Mexiko ist anders eingebettet sind, im Hinblick auf ihre Interaktion mit Franks Text analysiert.
5. HINWEISE ZU DEN EDITIONEN UND ZUR VERWENDUNG VON ZITATEN UND BEGRIFFE
Von Der Balkan Amerikas wurde nur eine Edition im Jahr 1937 veröffentlicht. Von Mexiko ist anders wurde 1938 eine erste Ausgabe abgedruckt und eine zweite im Jahr 1942. Da es keinen erkennbaren Unterschied zwischen beiden Ausgaben gibt, wird in dieser Dissertation ein Exemplar von 1938 benutzt. In den deutschen Zitaten wurde die originale Orthographie respektiert, aber in manchen Fällen war es notwendig, den Kasus anzupassen oder Notizen hinzuzufügen. Konkrete, beachtungswürdige Elemente werden hervorgehoben. Spanische Zitate erscheinen im Original. Da es sich als problematisch darstellt, den Begriff Mestizo in all seinen Nuancen im Kontext der mexikanischen Revolution in die deutsche Sprache zu übersetzen, wird an manchen Stellen das spanische Wort bevorzugt, insbesondere dort, wo das Werk von José Vasconcelos und der postrevolutionäre Identitätsdiskurs thematisiert werden.
KAPITEL I REISELITERATUR ÜBER MEXIKO IM NATIONALSOZIALISTISCHEN
DEUTSCHLAND.
HINTERGRÜNDE, ENTSTEHUNGSKONTEXT UND POETIK
I. SITUATION DES LITERATURAPPARATS UND DER LITERARISCHEN INSTITUTIONEN IM DRITTEN REICH Josef Maria Frank und Colin Ross entwickelten den größten Teil ihrer literarischen Karriere unter dem nationalsozialistischen Regime, das allmählich den ganzen Literaturapparat in Deutschland kontrollierte. Verlage, Zeitungen, Magazine, Literaturpreise und Bibliotheken wurden von Amtern wie der Reichsschrifttumskammer und anderen Abteilungen des Propagandaministeriums von Joseph Goebbels organisiert und überwacht. Entscheidend für die Entwicklung der Literatur innerhalb NS-Deutschlands flohen viele renommierte Autoren, die schon Anfang der 30er Jahre nicht nur im deutschen Sprachraum, sondern auch auf der ganzen Welt ein starkes Gewicht hatten, ins Ausland. Viele dieser Autoren, die aus ethnischen oder politischen Gründen Asyl in anderen Ländern wie den USA, der Schweiz oder Großbritannien suchen mussten, zählen zu den wichtigsten Figuren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Thomas und Heinrich Mann siedelten nach Kalifornien (USA) um, wo eine kleine, aber wichtige Kolonie von deutschen Autoren entstand. 1 Die jüdische Lyrikerin Else Lasker-Schüler emigrierte in die Schweiz, obwohl sie 1932 den wichtigen Kleist-Literaturpreis bekam, und blieb dort bis zu ihrer definitiven Emigration nach Israel im Jahr 1939. 2 Seinerseits zog Elias Canetti, der bulgarisch-deutschsprachige Schriftsteller jüdisch-sephardischer Herkunft, 1 9 3 8 nach dem Anschluss von Osterreich nach London. 3 Andere Autoren hielten es bis kurz vor dem Krieg in Deutschland aus, wie die jüdische Lyrikerin M a scha Kaleko, die erst 1938 nach New York zog. Kaleko ließ sich am Anfang nicht von den Nationalsozialisten einschüchtern und trotz eines Schreibverbots publizierte sie manche ihrer Werke noch 1936 und 1937. 4
Vgl. Holger Gumprecht, »New Weimar unter Palmen«. Deutsche Autoren im Exil in Los Angeles (Berlin: Aufbau, 1998). 2 Vgl. Else Lasker-Schüler, Sämtliche Gedichte (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2004). 3 Vgl. Sven Hanuschek, Elias Canetti: Biographie (München: Hanser, 2005). 4 Hans Sarcowicz und Alf Mentzner, Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biographisches Lexikon (Hamburg und Wien: Europa Verlag, 2002) 251. 1
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
So wie diese Autoren entschlossen sich auch viele andere Literaten dieser Zeit wegen ihres ethnischen oder politischen Hintergrunds fiir das Exil. Sie bildeten im Ausland entsprechende literarisch-intellektuelle Kreise, wie zum Beispiel die deutsche Sektion im Exil des PEN Clubs in London.5 In Mexiko brachten der HeinrichHeine-Klub, die Liga Pro-Cultura Alemana und die Bewegung Freies-Deutschland in Mexiko-Stadt Autoren wie Anna Seghers und Egon Erwin Kisch zusammen. Die nach Mexiko ausgewanderten Autoren gründeten sogar den Verlag El Libro Libre und veröffentlichten die Zeitung Alemania Libre in spanischer Sprache.6 Sie hielten außerdem Kontakt zu anderen Exilanten-Gruppen in den USA und Südamerika, was sich durch journalistische Beiträge von Heinrich und Thomas Mann in Alemania Libre bestätigen lässt. Viele dieser exilierten Autoren wurden von NS-Literaturhistorikern in deren Literaturgeschichten vom Kanon ausgeschlossen und diffamiert. So verweist zum Beispiel Paul Fechter auf die sogenannten jüdischen, kommunistischen oder angelsächsischen „Tendenzen" vom Lyriker und Dramaturg Bertolt Brecht,7 während Adolf Bartels, der einen radikalen Antisemitismus predigte,8 dem Judentum vorwarf, das literarische Leben in Deutschland zu „kontrollieren".9 Bartels warf sogar Thomas Mann vor, in Die Buddenbrooks (1901) von jüdischen Autoren beeinflusst zu sein.10 Aber es gab auch viele andere Literaten, die aus unterschiedlichen Gründen in Deutschland blieben. Manche akzeptierten das nationalsozialistische Credo nicht oder hofften auf eine Erneuerung Deutschlands. Andere lehnten den Nationalsozialismus auch nicht direkt ab oder übten stillschweigend Kritik an dem Regime. Der Dramaturg Gerhard Hauptmann, der sich angesichts der Machtübernahme Hitlers eine „nationale Wiedergeburt" erhoffte,11 schien am Anfang des Dritten Reiches das neue Regime zu akzeptieren, auch wenn er vom Regime abgelehnt wurde.12 Andere Autoren wie Erich Kästner wollten aus persönlichen Gründen ihre Heimat nicht verlassen, befürworteten aber den Nationalsozialismus nicht. Kästner, der ein enges Verhältnis zu seiner alten Mutter hatte, blieb im Dritten Reich. Obwohl Exemplare seiner Büchern in der Bücherverbrennung am Bebelplatz im Berlin 1933 vernichtet
5 W. Scott Hoerle, „The Nazi Envoy: Travel Experiences of the Poet Hans Friedrich Blunck in Great Britain and France, 1935 and 1937," Exiles Traveling Exploring. Displacement, Crossing Boundaries in German Exile Arts and Writings 1933-1945, Ed. Johannes F. Evelein, Amsterdamer Beiträge zur neuren Germanistik 69 (Amsterdam und New York: Rodopi, 2009) 227. 6 Markus Patka, Zu Nahe der Sonne. Deutsche Schriftsteller im Exil in Mexiko (Berlin: Aufbau, 1999) 139-40. 7 Paul Fechter, Geschichte der deutschen Literatur von den Anfingen bis zur Gegenwart (Berlin: Th. Knaur, 1941) 742.
Sarcowicz und Mentzner, Literatur in Nazi-Deutschland 78. Adolf Bartels, Geschichte der deutschen Literatur (Hamburg, Braunschweig und Berlin: Westermann, 1919) 627. 10 Bartels, Geschichte der deutschen Literatur 651. 1' Sarcowicz und Mentzner, Literatur in Nazi-Deutschland 204. 12 Sarcowicz und Mentzner, Literatur in Nazi-Deutschland 205. 8 9
Kapitel I
25
wurden, durfte er von 1934 bis 1935 unter einem Pseudonym vorläufig publizieren bis er definitiv durch ein Schreibverbot paralysiert wurde. 13 Durch die Flucht der wichtigsten deutschen Autoren ins Ausland entstand eine große Lücke, die zunächst von Schriftstellern gefüllt wurde, „die eine nationalkonservative, völkisch orientierte Richtung vertraten", 14 so zum Beispiel Hans Grimm, Friedrich Griese, Agnes Miegel oder Eberhard Wolfgang Möller: Verfasser von so genannten Blut-und-Boden-Romanen und Kriegsepen. Nicht nur die ideologische Befürwortung des Regimes und ihre Übernahme der NS-Ästhetik ermöglichten ihnen Erfolg während des Nationalsozialismus, sondern auch die Tatsache, dass „die wirklich großen Schriftsteller nicht mehr in Deutschland lebten". 15 Sarkowicz und Mentzer erklären: Ihre Gedichte, Lieder, Romane, Erzählungen, Theaterstücke und Hörspiele waren eng mit der N S D A P und ihren Gliederungen verknüpft. Sie feierten die >Bewegung< mit ihrem >Führer< an der Spitze, die »Volksgemeinschaft« und schließlich den >Heldentod«Wi" lässt an John Fords Filme denken, in denen viele Szenen auf offenen Weiden stattfinden. Auch mit diesen Fiktionen assoziierte Gefühle wie Fernweh oder Sensationslust, sollten laut Autor beiseite gelassen werden. Er kritisiert, dass sich die Meinung der Europäer über Mexiko an „aus falschen Quellen an europäischen Schreibtischen geschöpfte [n] Fehlurteile [n] gewerbsmäßiger Abenteuerromanfabrikanten und gut konservierte[n] Vorurteilefn] aus Gerstäckers Zeiten"197 orientiere. Diese Kritik richtet sich eindeutig an die Autoren dieser Abenteuerliteratur wie Karl May, Fritz Steuben, der in der NS-Zeit noch lebte, und Friedrich Gerstäcker, denen er vorwirft, Vorurteile über Mexiko als ein abenteuerliches Land zu verbreiten. Emphatisch lehnt Frank nicht nur die Autorität dieser Autoren ab, sondern auch deren literarische Qualität: Er nennt sie nicht Schriftsteller, sondern J&entt\lenomanfabrikanten , und verweist auf eine unreflektierte, massenproduzierte Literatur hin, die noch auf „gut konservierte Vorurteile aus Gerstäckers Zeiten" basiere. Gerstäcker, ein im 19. Jahrhundert sehr produktiver Autor von Abenteuerromanen und Reiseliteratur, war 1942 schon seit fast siebzig Jahren tot. Damit will Frank betonen, dass das Bild Mexikos eigentlich sehr antiquiert war: „Es ist nicht das Bild des wirklichen Mexiko. Auch hier ist es anders, als man denkt, und der „Wilde Westen" ist längst - wenigstens in dieser Beziehung — kein wilder
195 196 197
Ross, Der Balkan Amerikas 95. Hervorhebung von mir vorgenommen. Frank, Mexiko ist anders 21. Hervorhebung von mir vorgenommen. Frank, Mexiko ist anders 20. Hervorhebung von mir vorgenommen.
Kapitel I
61
Westen mehr". 198 Genau darauf bezieht sich Josef Maria Franks Aussage Mexiko ist anders-. Es ist anders als in der Vorstellungen der fiktionalen Literatur und des Kinos seiner Epoche. Er versucht sich deutlich von den fantastischen Konstruktionen der Imagination seiner europäischen Kultur zu distanzieren. Dieser Versuch gelingt jedoch nicht bzw. wirft sein Verhalten Fragen auf: Warum betitelt er seinen Text als „Reise ins Land der Azteken"? Im Titel des Reiseberichts, der auch vom Verlag bestimmt worden sein könnte, konstruiert er ein Paradoxon: Während er behauptet, „Mexiko ist anders" als in der Literatur beschrieben, bietet Frank trotzdem durch seine Schilderung eine Reise in die Welt der Azteken — die es gar nicht mehr gab. Er appelliert durch einen verkaufsfördernden Titel zwangsläufig wiederum an die Imagination. Trotz dieser Merkmale, die Der Balkan Amerikas und Mexiko ist anders zur Dimension des literarischen Diskurses annähern, wurden ihre Autoren von NSLiteraturhistorikern kaum wahrgenommen, wie im folgenden Kapitel dargelegt wird. Dies lässt sich mit der Tatsache erklären, dass ihre Reiseberichte die Form eines geopolitischen Essays annehmen und die Autoren sich auf den ersten Blick von jener Absicht entfernen, einen fiktionalen Text zu schreiben.
158
Frank, Mexiko ist anders 21. Hervorhebung von mir vorgenommen.
KAPITEL II COLIN ROSS UND JOSEF MARIA FRANK ALS REISENDE UND AUTOREN
Colin Ross und Josef Maria Frank zählen heutzutage nicht zum literarischen Kanon. Aber die Tatsache, dass sie zu ihrer Zeit bekannte Autoren waren und ihre Texte in Mexiko zu einer starken Polemik führten,1 lässt viele Fragen zu ihrer Person, ihrem Bezug zum NS-Regime und ihrem Verhältnis zu Mexiko aufkommen. Die Untersuchung dieser Fragen mag für eine Textanalyse nicht unbedingt von äußerster Wichtigkeit sein, sie trägt aber mit neuen Informationen dazu bei, die Geschichte der deutschen Präsenz in Mexiko und die ausländische Wahrnehmung der mexikanischen Revolution aus einer neuen Perspektive kennenzulernen. Obwohl der deutsche NSWiderstand im mexikanischen Exil in der Lateinamerikanistik und der Germanistik bereits untersucht wurde, ist bisher sehr wenig über die Reisenden bekannt, die Mexiko von NS-Deutschland aus besuchten und nach ihrem Aufenthalt wieder nach Europa zurückkehrten. Das vorliegende Kapitel beabsichtigt, diese Lücke zu füllen. Insbesondere wenn es um unbekannte Autoren wie Frank und Ross geht, erlaubt die Rekonstruktion ihrer Kontexte, den Texten eine zeitliche und örtliche Dimension zu geben. In diesem Zusammenhang kann man sich auf das Verhältnis zwischen Text, Autor und Diskurs beziehen, in welchem Michel Foucault den Autor als den Anknüpfungspunkt zwischen Text und Diskurs beschreibt.2 Der Autor eines Reiseberichtes eröffnet als Träger eines Diskurses Perspektiven zum Verständnis einer Epoche. Vor diesem Hintergrund bemerkt Peter Burke in Varieties of Cultural History (1997), dass die Reiseliteratur vielmals als Mittel zur Untersuchung der Kultur und Mentalitätsgeschichte übersehen wird, weshalb er auch dazu aufruft, ihre Erforschung im Rahmen geisteswissenschaftlicher Disziplinen aufzunehmen.3 Der Autor - und sein Text - gilt in diesem Sinne als Vermittler eines kulturellen Hintergrundes und einer Mentalität. Wenn das Genre Reiseliteratur als nicht-fiktive Erzählung einer Reise angesehen wird,4 ist der Autor in der Reiseliteratur eine entscheidende Instanz. Der Schriftsteller
Vgl. Kapitel III zur Rezeption der hier untersuchten Reiseberichte. Michel Foucault, „Was ist ein Autor," Texte zur Theorie der Autorschaft, Hrsg. Fotis Jannidis u. a. (Stuttgart: Reclam, 2000) 198-229. 3 Peter Burke, Varieties of Cultural History (Ithaca, NY: Cornell University Press, 1997) 94. 4 Durch diese Einschränkung werden fiktionale Texte wie Homers Odyssee oder Jonathan Swifts Gulliver's Travels (1726) ausgeschlossen. 1
2
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
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gibt sich seiner Leserschaft in seinen Texten zu erkennen. Bei der Erstellung einer Biografié von Colin Ross und Josef Maria Frank ist es angebracht, ihre „Spuren" in den jeweiligen Reiseberichten aufzusuchen. In Bezug auf die Autorfigur im Roman prägte Wayne Booth in The Rethoric ofFictiorf den Terminus des impliziten Autors, der in einem fiktiven narrativen Text hinter einem Erzähler stehe. Für Booth ist der implizite Autor ein .Zweites Ich' (second seif) oder alter ego, das ein Autor durch seine Texte von sich selbst vermittelt. In diesem Sinne kann man im Rahmen der Reiseliteratur nicht von einem impliziten, sondern vielmehr von einem expliziten Autor sprechen, der sich durch seinen Text rekonstruieren lässt. Dies bedeutet auch, dass der Text als eine Art autobiographisches Stück gelesen werden kann. Indem sich der Reiseberichterstatter als „Ich-Erzähler" präsentiert, kommt es durch die Verwendung der ersten Person zu einer Verschmelzung von Autor, Erzähler und Protagonist, wodurch der Reisebericht zum Zeitzeugnis und zu einer Art Autobiographie wird. Die Identität dieser drei Instanzen - des Autors, Erzählers, und Protagonisten — ist jene, die Philippe Lejeune auch den Autoren von Autobiographien zuschreibt.6 Zwar wurde von Theoretikern der Reiseliteratur dieses Verhältnis in Frage gestellt,7 aber Der Balkan Amerikas und Mexiko ist anders lassen sich aufgrund ihrer angestrebten Objektivität auch als autobiografische Dokumente lesen, wie es bereits in Kapitel I dargelegt wurde und in folgenden Teilen des vorliegenden Kapitels vertieft wird. Als zweiter Schritt für die Erstellung der Biografíen wurde eine intensive Archivarbeit durchgeführt. Da Franks und Ross' Bücher und Namen in Bibliotheken und vielen Referenzwerken nicht zu finden sind,8 verlangte die Suche nach Daten zahlreiche, detaillierte und zeitlich aufwendige Recherchen. Die hier vorgestellten Informationen über Colin Ross und Josef Maria Frank wurden im Universitätsarchiv Bonn, in der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin und im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar erfasst. Das vorliegende Kapitel rekonstruiert das biografische und das literarische Profil von Josef Maria Frank sowie Colin Ross. Außerdem wird anhand der vorhandenen Dokumente die Verbreitung ihrer Reiseberichte beschrieben. Die Darlegung wird in drei Punkte gegliedert: a) Erstens wird eine biografische Rekonstruktion der Autoren anhand der Archivrecherchen gezeigt. b) Zweitens wird ein Profil ihrer jeweiligen literarischen Karrieren erstellt. In diesem Teil wird insbesondere ihre Positon im deutschen Buchmarkt und die Verbreitung ihrer Reiseberichte aufgezeigt. Dieser Teil soll als Basis für die Analyse ihrer Rezeption im folgenden Kapitel dienen. 5
Wayne Booth, The Rethoric of Fiction (Chicago: University Press, 1961) 151. Philippe Lejeune, Der autobiographische Pakt (Stuttgart: Suhrkamp, 1994) 16. 7 Vgl. Ottmar Ette, Literatur in Bewegung. Raum und Dynamik grenzüberschreitenden Schreibens in Europa und Amerika (Göttingen: Velbrück, 2001) 46-47. 8 Allgemeine und bekannte Referenzwerke wie Walther Killy Literatur Lexikon, Metzler Autoren Lexikon, Lexikon deutschsprachigen Schriftsteller geben keine Informationen zu Ross oder Frank. 6
Kapitel II
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c) Drittens wird anhand von Der Balkan Amerikas und Mexiko ist anders die Autorfigur von Frank und Ross analysiert. Als Autorfigur aufgefasst wird in diesem Rahmen die explizite Figur des Autors, die in den Reiseberichten aus der Einheit zwischen Autor, Erzähler und Protagonist erwächst. Ein besonderes Augenmerk liegt auf ihrer Selbstwahmehmung als Schriftsteller und als Reisende.
I . JOSEF MARIA FRANK. REISENDER, NOVELLIST UND DREHBUCHAUTOR
Josef Maria Frank wird in keiner der neueren Enzyklopädien, Autorenlexika oder Literaturgeschichten aufgeführt, weshalb zur Rekonstruktion seiner literarischen Karriere alte Enzyklopädien, Bibliographie- und Bibliothekskataloge sowie Archive und alte Magazine durchsucht wurden. Der größte Teil an biographischen Informationen wurde aus seinen persönlichen Dokumenten und Daten, die sich im Bestand des Marbacher Archivs befinden, gewonnen. Josef Maria Frank wurde 1895 in Mayen (Rheinland-Pfalz), einer kleinen Stadt zwischen Koblenz und Bonn, geboren. Er studierte vermutlich an der Universität Bonn in den 191 Oer Jahren, obwohl im Registerbuch dieser Universität nur ein gewisser „Josef Frank" mit unbekanntem Studienfach auftaucht, der dort von 1917 bis 1919 eingeschrieben war. Es ist möglich, dass Frank sich in der Universität immatrikulierte, weil er die Rekrutierung vermeiden wollte. Nichtdestotrotz musste er im Ersten Weltkrieg kämpfen, was durch eine kurze Beschreibung eines Patience-Kartenspiels, das er von einem anderen Soldaten in den Baracken lernte, 9 bestätigt wird. Es ist nicht bekannt, welche Aufgaben er im Krieg hatte oder wie er damit umging. Einem Magazinabschnitt zufolge, der im Marbacher Archiv zu finden ist, fing Frank jedoch schon vor dem Krieg an, sich für das Reisen zu interessieren. In den Jahren nach der Revolution vom November 1918 begab er sich auf Wanderschaft und nahm zugleich seine Tätigkeit als Schriftsteller auf, die er nur wegen weiterer Reisen unterbrach: Ich wurde Reporter und Reiseberichterstatter, sah andere Länder und fremde Kontinente, bis in dieses Welterleben der große Krieg, das Fronterlebnis, hineinbrach. In der Zeit nach der Revolution mit ihren politischen Unruhen begab ich mich auf die Wanderung. In Mietkasernen, Siedlungen, Industriewerken, Bergwerken, Häfen, Asylen und auf der Landstraße fand ich den Menschen und seine sozialen Probleme. Zurückgekehrt von diesen Wanderungen, n a h m ich wieder als Schriftsteller meinen Platz am Schreibtisch ein, von dem mich nur wieder ausgedehnte Studienreisen entfernen. 1 0
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Josef Maria Frank, Mexiko ist anders. Eine Reise ins Land der Azteken (Berlin: WegweiserUniversitas, 1938) 283. 10 Magazinabschnitt, Titel und Datum unbekannt, ca. Ende der 50er Jahren, Bestand Josef Maria Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Nach dem Krieg siedelte Frank 1919 nach Berlin um, wo er als selbständiger Autor arbeitete. Er heiratete 1921 eine Frau Namens Joana von Härtung.11 Über sein Leben zwischen den beiden Kriegen sind nur isolierte Informationen zu finden. Wie es bei jedem berufstätigen Autor in NS-Deutschland der Fall war, erfüllte Josef Maria Frank die zwei wichtigsten Voraussetzungen, um im Dritten Reich als Schriftsteller arbeiten zu dürfen: Er besaß nicht nur einen „Ahnenpass", der seine „arische" Herkunft nachweisen sollte, sondern er meldete sich auch ordnungsgemäß bei der „Reichsschrifttumskammer" als Schriftsteller an.12 Weder in seinen persönlichen Archiven noch in den wenigen Referenzwerken, in denen sein Name registriert ist, werden seine politischen Einstellungen deutlich. Auch wenn er in Mexiko ist anders eine deutliche nationalsozialistische Tendenz in seiner Rhetorik erkennen lässt, drückt Frank diese in seinem Reisebericht nie explizit aus, sondern deutet diese höchstens an einigen konkreten Stellen an, wie zum Beispiel bei seiner Beschreibung der Wandmalerei Diego Riveras, der deutschen Kolonie in Mexiko-Stadt oder bei seinen Kommentaren über die mexikanische faschistische Gruppe Camisas Doradas (Goldhemden). Er zieht es offensichtlich vor, in einer gewissen Ambiguität zu verbleiben, auch wenn die genaue Analyse seines Texts die Verinnerlichung faschistischer Ideen deutlich verrät. 1932 jedoch, ein Jahr vor der Machtergreifung Adolf Hitlers, publizierte Frank den Roman Volk im Fieber, in dem er seine politische Einstellung deutlich zeigt. In dieser Novelle geht es um einen Lehrer, der in einer Schule versucht, die extremen politischen Streitigkeiten zwischen Lehrern und Schülern zu moderieren. Das Ganze spielt sich zudem in einer Stadt, die an Polen grenzt, ab. Die Erzählung porträtiert die politische Spaltung zwischen Linken und Rechten und die daraus hervorgegangenen Anspannungen. Zwar wird an vielen Stellen von Mexiko ist anders deutlich, dass Frank die Rhetorik der Nationalsozialisten übernommen hatte, jedoch wurde dieser Roman von den Nationalsozialisten als schlecht rezipiert, da sie den Autor, trotz seiner vermeintlichen Objektivität in Volk im Fieber, für einen pro-semitischen und parteiischen Schriftsteller hielten, und sie warfen ihm Diffamierung ,,alle[r] Rechtspolitischen" (d.h. die Nazis) vor. Das Buch will angeblich von einem überparteilichen Standpunkt geschrieben worden sein und ein objektives Bild geben. In Wirklichkeit ist nichts davon zu spüren. Es ist ganz einseitig linkspolitisch mit der Tendenz zu beweisen, daß alle Rechtspolitischen von vornherein notorische Dummköpfe, törichte Schreihälse und wüste Demagogen sind; wenn auch auf der linken Seite Korruption und widerliche Mache herrscht, so ist aber auf jeden Fall alles, was sich semitisch nennt, gut und edel.13
11 Aufgebotsbescheinigung vom 31. Januar, 1921: „Das Aufgebot des Schriftstellers Josef Frank wohnhaft Berlin, Potsdamerstr. 63. Mit der Joana von Härtung, ohne Beruf, wohnhaft Berlin, Potsdamerstr. 63, ist durch den Unterzeichneten heute angeordnet worden." Bestand Josef Maria Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 12 Jan-Pieter Barbian, Literaturpolitik im NS-Staat. Von der Gleichschaltung bis zum Ruin (Frankfurt: Fischer, 2010) 193-197. 13 Eberhard Meckel, Rezension zu Volk im Fieber von Josef Maria Frank, Der Bücherwurm: eine MonatsschriftfiirBücherfreunde, Hrsg. Walter Weichardt, 14.7 (1932): 110-111.
Kapitel II
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Frank verschickte sogar Exemplare dieses Romans an den Präsidenten Hindenburg und an Adolf Hitler. Der Autor glaubte wahrscheinlich, dass er dadurch die Politik der Zeit positiv beeinflussen könnte, oder er dachte zumindest, dass seine Sorgen auf diese Weise von beiden politischen Akteuren gehört würden. Als Beweis für die Übersendung der Bücher existieren zwei Briefe, einer aus der Kanzlei Adolf Hitlers und ein weiterer aus dem Reichspräsidialamt Hindenburgs, in welchen sich die entsprechenden Sekretäre bei dem Autor für sein Geschenk bedanken.14 Franks Hinweise legen die Vermutung nahe, dass er seine Reisen nach Mexiko zwischen 1936 und 1937 unternahm. Daraus entstanden Mexiko ist anders (1938), das vom Wegweiser-Universitas Verlag in Berlin publiziert wurde und sich - wie bereits erwähnt - aufgrund seines Inhaltes und seiner Form als geopolitisches Essay bezeichnen lässt, sowie der Reiseführer Reise durch Quetzalcoatl's Land{ 1937), 15 in dem er seine Leserschaft auf seinen „eigenen, neuen Mexiko-Reisebericht" als Vorbereitung für einen Aufenthalt in Mexiko hinweist16 und der offensichtlich bei Publikation des Reiseführers noch nicht erschienen war. Dieser Reiseführer, der laut Titelblatt der Route des Cuba-Mexiko-Passagierdienstes der Hamburg-AmerikaLinie folgt, enthält grundsätzliche Tipps für Touristen und fungiert als Werbung für die Routen der bekannten Schiffsgesellschaft nach Lateinamerika. Die Bewegung Kraft-durch-Freude, eine nationalsozialistische demagogische Vereinigung, die Freizeit- und Urlaubsmöglichkeiten für alle sozialen Schichten förderte, erklärt die Existenz und Popularität von Reisebüchern zu den von der NS-Tourismuspolitik favorisierten Zielen teilweise.17 Auch wenn Frank auf den ersten Seiten seines Reiseberichts aus dem Jahr 1938 andeutet, dass er zuvor in Mexiko gewesen war, ist es gut möglich, dass beide Texte sich auf den gleichen Aufenthalt beziehen. Jedenfalls fuhr er von Hamburg aus über Southampton, Cherbourg, und La Habana nach Veracruz. Interessanterweise spricht er in seinem Reiseführer von einer „Studienreise". Jahre später beschreibt er diese Reise in einer biografischen Notiz wiederum als eine „Studienreise".18 Die freie Wahl von Reisezielen im Ausland war während des Nationalsozialismus nicht explizit verboten, aber die Ziele wurden ab Oktober 1935 kontrolliert, indem für private Auslandsreisen in Länder, mit denen kein Reiseverkehrsabkommen bestand, keine Devisen zu Verfügung gestellt wurden.19 Eine
u
Kanzlei Adolf Hitler, Brief an Josef Maria Frank, München,
1. Februar, 1932, und
Reichspräsidialamt Hindenburg, Brief an Josef Maria Frank, Berlin, 29. Januar, 1932, Bestand Josef Maria Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 15
Josef Maria Frank, Reise durch Quetzalcoatl's Land. Über Cuba nach Mexiko (Hamburg: Ham-
burg-Amerika Linie, 1937). 16
Frank, Reise durch Quetzalcoatl's Land 11.
17
Johannes Graf, „Die notwendige
Nationalsozialismus 18
Reise". Reisen und Reiseliteratur junger Autoren
„Josef Maria Frank," stenotypiertes biographisches Blatt, undatiert, Bestand Josef Maria
Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 19
währenddes
(Stuttgart: M & P, 1995) 157-158.
Graf, Die notwendige Reise 122.
68
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Ausnahme bildeten Überseeluxusreisen mit dem Schiff oder Geschäftsreisen, 20 wie es offensichtlich bei Frank, als Kreuzfahrtpassagier und Reiseschriftsteller im Auftrag der Hamburg-Amerika-Linie, der Fall war. In einer autobiografischen Notiz, die offensichtlich aus der Nachkriegszeit stammt aber dessen genaues Verfassungsdatum nicht festzustellen ist, erklärt Frank, dass er nach Lateinamerika und Mexiko aufgebrochen war, um der „Zwangsjacke" des Nationalsozialismus zu entfliehen: Während der Jahre (sie) der politischen und geistigen Zwangsjacke Flucht in neue, ausgedehnte Auslandsstudienreisen, vor allem in dem sich zu seinem Spezialgebiet' entwickelnden westindischen und mittelamerikanischen Raum. 2 1
Interessanterweise verweist Frank nur hier mit den „Jahren der politischen und geistigen Zwangsjacke" auf die NS-Zeit. Der Umstand, dass er den Nationalsozialismus hier wie auch in seinen anderen Texten nicht direkt anspricht, deutet wiederum auf eine gewisse Ambiguität und eine lapidare Verdrängung dieser Epoche hin. Über seine literarischen Aktivitäten im Berlin der 30er Jahren ist wenig bekannt. Durch einen kurzen Briefwechsel mit Erich Kästner wird evident, dass Frank den gleichen Freundes- und Bekanntenkreis wie der im NS-Regime zensierte Kästner hatte. Auch wenn beide Autoren sich höflich mit der Sie-Form adressieren, wird durch den offenen, freundlichen Ton und die Eloquenz von Frank suggeriert, dass zwischen beiden ein relativ hoher Vertrautheitsgrad bestand. 22 Frank, der zu jener Zeit in Osterreich lebte, schrieb seinen Brief an Kästner, der in München ansässig war, auf einem Blatt, auf dem noch seine ehemalige Adresse in der Joachim-Friedrich-Str. 2 6 in Berlin-Halensee steht. Der erste Brief ist vom November 1946. Als er offensichtlich keine Antwort von Kästner bekam, schrieb Frank ihm wiederum im Januar 1947. In beiden Briefen beschwert sich Frank über seinen prekären finanziellen Zustand in Osterreich, über den Mangel an Essen und Schreibpapier und über die Langeweile des Lebens in den Tiroler Bergen. Er beklagt sich auch darüber, dass ihm die Lieferung der Münchner „Neue Zeitung" — seine einzige „Brücke nach drüben" 23 —eingestellt wurde. Dem Brief zufolge durften die Exemplare nur unter Behörden verteilt werden. Da zurzeit Kästner in der Redaktion der „Neue Zeitung" arbeitete, bittet Frank ihn darum, ihm weitere Exemplare zukommen zu lassen. Er zeigt sich auch verzweifelt, da er keinen Zugriff auf Kultur, Zeitungen, Bücher und Magazine hat. Offensichtlich war Frank nicht freiwillig fortgegangen, sondern vielmehr durch den schweren Kriegszustand in Berlin gezwungen gewesen, im Jahr 1944
Graf, Die notwendige Reise 124. „Josef Maria Frank," stenotypiertes biographisches Blatt, Bestand Josef Maria Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 20 21
22
Vgl. Anhang II.
Josef Maria Frank, Brief an Erich Kästner, Kufstein (Österreich), 27. November, 1946 und Januar, 1947, Bestand Josef Maria Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 23
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nach Österreich auszuwandern. Durch die Flucht nach Österreich war es ihm nicht mehr möglich, als Schriftsteller zu arbeiten, was er tief bedauerte. Er spricht über seinen Wunsch, wieder Texte veröffentlichen zu können, und äußerst nachdrücklich über seine Angst, vom deutschen Publikum vergessen zu werden. 24 In Tirol fühlte sich Frank von den intellektuellen Kreisen Berlins abgeschottet. Dass Kästner erst Monate später auf Franks Briefe reagiert, kann verschiedene Gründe haben. Jedenfalls behandelt Kästner den Autor nicht mit dem gleichen Enthusiasmus und gleicher Offenheit. Die Länge seines Briefes (eine Seite) und die, allerdings typische, Kästner'sche Ironie, mit der er seinen Brief schließt - er erklärt, dass er nicht mehr schreiben konnte, da in dem Moment in München der Storm ausgefallen sei - , verweist auf die Distanz, die Kästner zu Frank hielt. Nichtsdestoweniger lässt er durch seinen familiären Ton erkennen, dass sie dennoch gute Bekannte waren und gemeinsame Freunde hatten: Jonny geht es gut. Reggy, Heini, Bohnen, Winterstein usw. gehören nach wie vor zu seinen Stammgästen. Sogar Kemnitzer, der bis November 4 6 in einem Internierungslager war, ist zurückgekommen und versucht, sich einzugliedern. Die Etage über dem Lokal wird vom (¡) ihm dazu gestarteten Bühnenclub bewohnt. Es gab eine Eröffnungsfeierlichkeit, an der alles dran war. Auch sonst sind die Berliner, nicht zuletzt unsere alten Freunde und Bekannten, rege am Werk. Soweit sie nicht arbeiten, versuchen sie Ihre Existenz auf etwas krummere Art und Weise zu sichern. Wenn ich Ihnen sage, daß ein Paar, allerdings sehr schicke, Damenhalbschuhe R M 3 . 8 0 0 , - und mehr kosten, werden Sie, ohne die Reserven Ihrer Phantasie in Anspruch nehmen zu müssen, sich ein Bild davon machen können, wie teuer es ganz allgemein auf dem noch sehr durch-löcherten Berlin Pflaster geworden ist. 25
Dass Erich Kästner auf einen Brief von Josef Maria Frank reagiert, wirft wiederum Fragen bezüglich der wahren politischen Gesinnung Franks auf, denn Kästner hätte sicherlich keinen offenen Nationalsozialisten zu seinem Bekanntenkreis gezählt. Die kurze und zum Teil ironische Antwort, die erst auf einen zweiten Brief von Frank kommt, zeigt jedoch, wie distanziert das Verhältnis trotz allem zwischen beiden Autoren war. Die Tatsache, dass Frank nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus Kontakt mit Kästner aufnimmt, legt die Vermutung nahe, dass sich Frank erst dann traute, einen im NS-Deutschland zensierten Autor aufzusuchen. Außerdem wird durch beide Briefe evident, dass Frank seine Bekanntschaft mit Kästner nutzen wollte, um die Isolation, in der er lebte, zu brechen. Josef Maria Frank siedelte nach der Eheschließung mit einer gewissen Gertrud Soldan im August 1944 nach Kufstein (Tirol) in Österreich um. Er blieb dort bis zu seinem Lebensende und schrieb weitere Romane, Theaterstücke und Drehbücher, von denen allerdings nur wenige veröffentlicht wurden. Von Kufstein aus versuchte
24
Josef Maria Frank, Brief an Erich Kästner, Kufstein (Österreich), 27. November, 1946 und
Januar, 1947, Bestand Josef Maria Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 25
Erich Kästner, Brief an Josef Maria Frank, München, 29. Januar, 1947, Bestand Josef Maria
Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
er seine literarische Karriere anzukurbeln. Im dortigen Theater führte er das Stück Mexikanische Tragödie auf, in dem er die mexikanische Olenteignung vom Jahr 1938 thematisiert.26 1959 wurde in Kufstein sein Stück Madame Scandaleuse gezeigt, das im gleichen Jahr in München aufgeführt wurde. Frank schrieb sogar kurze satirische Texte, die man in den Warenkatalogen lokaler Läden lesen konnte. Trotzdem scheint es Frank nicht möglich gewesen zu sein, diesen kleinen engen Kreis je wieder zu verlassen. Ab den 60er Jahren beweist der Briefwechsel zwischen dem Autor und den deutschen Verlagen deutlich den drastischen Niedergang seiner Karriere: Absagen, negative Gutachten zu seinen Schriften, und Schreiben des Autors, in denen er um finanzielle Unterstützung oder Vorschüsse bittet. Sein letzter Brief stammt aus dem Jahr 1972. In einem Brief von 1969 schrieb ihm ein alter Freund vom Universitas Verlag in Berlin, bei dem Frank mehrere von seinen Texten veröffentlicht hatte, folgende Zeilen: Ich habe Dr. Schweitzer wegen Deiner Bitte um Vorschuss animiert, Dir die Hälfte Deiner Abrechnung per 31.12.1969 als Vorschuss zu zahlen, und werde auch Herrn MüllerAlffeld zum zweiten mal anstossen, Dir aus der Schiller-Stiftung wieder etwas zukommen zu lassen. Hoffentlich gelingts, Dir auch diesmal zu helfen.27
Dieses Schreiben verdeutlicht den Abstieg Franks literarischer Karriere und seine Armut. Er war damals schon 74 Jahre alt. Am 9. April 1975 stirbt der achtzigjährige Frank an einem Gehirnschlag im Kufsteiner Krankenhaus.28 Ungeachtet der Tatsache, dass von seinem literarischen Werk und damaligen Ruf in der Gegenwart nichts geblieben ist, war Frank zwischen 1925 und 1945 sehr produktiv. Er publizierte neben seinen Reiseberichten mehrere Romane sowie Drehbücher und übersetzte selbst viele Texte aus dem Englischen ins Deutsche.29 Frank, der sich als ein „aus Beruf und Passion neugieriger Reisender mit Schreibmaschine und Kamera"30 sah, knüpft an die Tradition an, die das Reisen als aufklärerisches Ereignis verstand. Ein kleiner, aber auffälliger Teil seiner Bibliographie besteht aus Reiseberichten oder Reiseführern. Neben den bereits erwähnten Mexiko-Texten, veröffentlichte er den geopolitischen Reisebericht Paradies mit Vorbehalt. Bilanz einer Westindien-Reise (1936) über Kolumbien, Venezuela und die Karibik sowie den Reiseführer Wirfahren ins Wunderland: Mittelamerika und West-Indien (1936). In den zwanziger Jahren publizierte Frank lokale Reiseführer und Wanderhandbücher wie Rhein,
26 Josef Maria Frank, Mexikanische Tragödie. Schauspiel in 3 Akten (Berlin: Ahn & Simrock, 1948). Ein stenotypiertes Exemplar findet sich in der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin. 27 Herr v. Bergen, Brief an Josef Maria Frank, Berlin, 28. April, 1969, Bestand Josef Maria Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 28 Todesurkunde von Josef Maria Frank, Kufstein (Osterreich), 9. April, 1975, Bestand Josef Maria Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 29 „Frank, Josef Maria," Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch, 5. Band: Filek-Fuk (München und Bern: Franke, 1978). 30 Josef Maria Frank, Mexiko ist anders (Berlin: Wegweiser-Universitas, 1938) 12.
Kapitel II
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Ruhr, Saar in Kultur (1925), Neckarfahrt: in 8 Tagen durch ein Jahrtausend (1925) und Die Straße der Reliquien: von Nürnberg über Rothenburg nach Würzburg (1925). Offensichtlich hatte Frank ein gewisses Interesse für Lateinamerika, das er als sein „Spezialgebiet" bezeichnet. In seinen Anekdoten in Mexiko ist anders spricht Frank detailliert von Konversationen mit anderen Mexikanern, zum Beispiel in Acapulco, Mexiko-Stadt, Teotihuacän, Veracruz oder Cuemavaca, die er auf Spanisch geführt haben soll. Es ist außerdem bekannt, dass er eine Komödie des spanischen Autors Pedro de Alarcön (1833-1891), Der Dreispitz [Sp: El sombrero de tres picos aus dem Jahr 1874], ins Deutsche übersetzte. Frank veröffentlichte sogar selber eine Adaptation davon, die er Die Kunst, geliebt zu werden (1948) nannte. Wie bei vielen anderen deutschen Künstlern und Schriftstellern des 19. und 20. Jahrhunderts taucht das Motiv des Reisens in mehreren von Franks Texten auf. Viele seiner Titel suggerieren eine Nostalgie für fremde, ferne Länder und Kulturen, aber auch für die deutsche Natur und Landschaft. Als Beispiele gelten seine Romane Begegnung im Rom-Express. Roman einer fröhlichen Italienreise (1957), oder Herbstliche Romanze: ein Roman um Mosel und Rhein (1957). Auch wenn seine Titel naiv klingen mögen, beinhaltet zum Beispiel sein Roman Yung fong Ning (1932) eine Kritik an die Gräueltaten der japanischen Besatzung in China. Darüber hinaus suggerieren seine Theaterstücke eine Faszination für die fernen Tropen und, im konkreteren Rahmen, für mexikanische Motive, so zum Beispiel Die einsamste Insel der Welt (1940), Dschungel: ein Tropenstück in drei Akten (1939), Der Weg nach Baoyin. Tropenstück (1943) und Mexikanische Tragödie: Schauspiel in drei Akten (1948). Seine Texte deuten nicht nur auf seine persönlichen Interessen hin, sondern zeigen auch die Präferenzen des damaligen Publikums auf, das mit Vergnügen diese Themen zur Ablenkung konsumierte. 31 Franks erstes Buch wurde 1923 veröffentlicht, das letzte erschien 1963. Der Großteil seiner Werke wurde in den Jahren des Nationalsozialismus (1933-1945) publiziert. Die Titel seiner Bücher und die Rezensionen, die man darüber findet und die in den folgenden Teilen dieses Kapitels diskutiert werden, lassen vermuten, dass Franks Literatur sich zumeist mit legeren, unterhaltsamen und moralischen Themen beschäftigt und dass er aufreizende Anekdoten bevorzugte. Im Gegensatz zu anderen avantgardistischen Autoren der 30er Jahren vernachlässigte Frank innovative, ästhetische Formen. Einige dieser Titel sind Volk im Fieber (1932), Berliner Capriccio (1932), Keine Angst vor Morgen. Roman einer Kameradschaft (1933), Der Mann, der Greta Garbo liebte (1933), Die letzten Vier von St. Paul (1934), Per und Petra. Ein Bornholm-Roman (1936), Ich habe falsch gelebt (1939) und Die Doppelte Ehe (1963), sowie die Lyriksammlungen Koprax, Panoptikum Mensch (1925), Bäume (1930) und Trotz der Jahreszeiten (1941). Bezüglich Franks Neigung zum Nationalsozialismus weisen die Inhalte seiner Texte, wie zum Beispiel sein Roman Yung fong Ning (1932), in der die militärische Regierung Japans kritisiert wird, oder das politische Thema von Volk in Fieber (1932),
31
Vgl. erstes Kapitel.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
viele Paradoxa auf. Über Volk in Fieber äußert sich Frank in einer autobiografischen Notiz aus der Nachkriegszeit wie folgt: [...] der die aus der Saat (sie) des Nazismus erwachsende deutsche Tragödie und kommende Apokalypse warnend ankündigende politische Roman „Volk im Fieber", der nach der .Machtübernahme' fast durchweg mit den früheren Werken in Deutschland dem Verbot und der Vernichtung anheimfiel. 32
Dies ist die einzige konkrete Ablehnung des Nationalsozialismus, die während der Recherchen für die vorliegende Arbeit gefunden wurde. Frank wollte sich nach dem Krieg von der nationalsozialistischen Ideologie abgrenzen. Da die meisten seiner Werke während des NS-Regimes publiziert wurden, versuchte er vermutlich deshalb seine Karriere in Osterreich neu aufleben zu lassen. Ein weiterer Widerspruch zu seinen angenommenen NS-Tendenzen ist der Roman Berliner Capriccio (1933), den er einem alten persönlichen Freund, dem jüdischen Buchhändler und Mäzen Gotthard Laske (1882-1936), widmete. Frank nahm auch an vielen Filmprojekten der UFA-Studios zwischen 1938 und 1944 teil. Ihm wird die Autorschaft des Drehbuchs von Der Mann, dem man den Namen stahl (P: Tobis, 1944) zugeschrieben, sowie jene von Zwischen Hamburg und Haiti (P: UFA, 1940). Für Zwischen Hamburg und Haiti soll er sogar die Liedertexte geschrieben haben. Er fungierte außerdem als Nebenautor bei den Drehbüchern von Menschen, Tiere, Sensationen (P: Ariel, 1938) und von ...reitet für Deutschland (P: UFA, 1942).33 Die Frage, warum ein Autor wie Frank in den Jahren des Nationalsozialismus so produktiv und relativ populär sein konnte, erklärt sich zum größten Teil durch die Umstände der NS-Kulturpolitik. Das Publikationsverbot vieler avantgardistischer Texte und Autoren, die Flucht vieler Intellektueller ins Ausland und die geistige Manipulation sowie Unterdrückung der Künste im Allgemeinen bewirkten, dass viele wenig bekannte Schriftsteller — zumeist ohne ein echtes Talent — die entstandenen Lücken füllten.34 Hier stellt sich die Frage, ob Josef Maria Frank ein aktiver und überzeugter Nationalsozialist war. Seine Verinnerlichung von nationalsozialistischen Einstellungen, die er in Mexiko ist anders erkennen lässt, steht im Widerspruch zu dem Inhalt seiner Vorkriegstexte und den Behauptungen, die er selbst über seinen verbotenen Roman macht. Die Frage, ob er nach dem Krieg log, um wieder veröffentlichen zu können und seiner Karriere einen neuen Aufschwung zu geben, oder 32 „Josef Maria Frank," stenotypiertes autobiographisches Blatt, undatiert, Bestand Josef Maria Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 33 Für eine Liste seiner Mitwirkung bei Filmen siehe: Filmportal.de, des Deutschen Filminstituts und CineGraph-Hamburgischen Zentrums für Filmforschung, http://www.filmportal.de, Route: Personen / „Josef Maria Frank". Außerdem gibt es weitere Informationen in der Internet Movie Database, http://www.imdb.com/name/nm0290999/, Zugriff am 14.5.10. 34 Hans Sarcowicz und Alf Mentzer, Literatur in Nazi-Deutschland (Hambug und Wien: Europa Verlag, 2002) 24.
Kapitel II
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nicht, kann man nicht mit voller Sicherheit beantworten. Trotzdem lässt diese Ambivalenz zeigen, wie er sich auf einem gewissen Grad sowohl an den Nationalsozialismus als auch an die Nachkriegszeit angepasst hatte. Zwischen 1933 und 1945 folgte Josef Maria Frank einfach der Tendenz vieler Künstler seiner Zeit, die ,Talentlücken', welche die NS-Kulturpolitik hinterließ, nutzten, um einen Platz auf dem Buchmarkt und in der Filmindustrie zu finden; eine Chance, die er wahrscheinlich in einer anderen Epoche nicht so leicht gehabt hätte. In der Zeitung des NS-Widerstands in Mexiko-Stadt Alemania Libre wird Josef Maria Frank als Nazi bezeichnet. Die Tatsache, dass in der Rezension seines MexikoReiseberichts manche Inhalte mit verfälschten Übersetzungen wiedergegeben werden, oder der Umstand, dass Frank gewisse Worte zugeschrieben werden, die im deutschen Original nicht vorkommen, lösen viele Zweifel bezüglich der tatsächlichen Ideologie des Autors aus. Falls er von seinem Beruf weiter leben wollte, musste Frank eine Genehmigung von der Reichsschrifttumskammer bekommen, d.h. von dem Amt, das Alfred Rosenberg zur „Pflege" der Literatur führte. 35 Aus diesem Grund ist es verständlich, dass Frank immer den Eindruck erwecken wollte, die Ideologie der Partei übernommen zu haben. Was der Autor wirklich dachte oder wie sich seine politische Gesinnung gewandelt haben könnte, wird man nicht mehr mit Sicherheit herausfinden können. Dass Frank sich in deutschen Kreisen aufhielt und die deutsche Schule in Mexiko-Stadt besuchte, wurde vom mexikanischen NS-Widerstand als ein Zeichen seiner Angehörigkeit zur Partei interpretiert. Frank wurde sogar vorgeworfen, als Spion der NS-Regierung fungiert zu haben. Allerdings erscheint dieser Vorwurf als übertrieben, denn trotz der Häufigkeit seiner Publikationen in der Zeit des Regimes war Frank nie eine wichtige Figur in der NS-Literatur. Leider gibt es zu wenige Spuren von diesem Autor und es existieren keine weiteren Archive, die detailliertere Informationen über seine Mexiko-Reisen geben könnten.
a) Im Schatten des NS-Literaturkanons Von den NS-Literaturgeschichten ebenfalls ignoriert, taucht der Name Josef Maria Frank gar nicht bei Bartels, Nadler oder Oehlke auf. Dafür können zwei Gründe in Betracht gezogen werden: Einerseits sein NS-kritischer Roman Volk im Fieber (1932) 3 6 und seine kritischen Ansichten gegenüber dem japanischen Imperialismus in China bei YungFong-Ying (1932). In diesen Texten wird deutlich, dass Frank vor der Machtergreifung Hitlers weder mit den Nationalsozialisten noch mit totalitären Regimen sympathisierte. Andererseits ist auch die Wahrnehmung seiner literarischen Merkmale zu berücksichtigen. In seinen Werken und den Besprechungen
35 Sebastian Graeb-Könneker, Literatur Reclam, 2001) 56.
im Dritten Reich. Dokumente
und Texte (Stuttgart:
36 Die Werbung des Sieben-Stäbe-Verlags zu diesem Roman beschreibt den Text: „Schonungslos wie eine Fieberkurve enthüllt dieser Roman Deutschlands politisches Leben". Werbung des Verlag aus dem Jahr 1932, Bestand Josef Maria Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
BÜCH ERQILDE MONATSSCHRIFT DER BOCHERQILDE GUTENBERG I » . JAHRG. / HEFT 11 / NOV. 1950
JOSEF M A R I A FRANK, Un Autor um«t«s Wc.hnadilsbudics
Josef Maria Frank, der Autor unseres Weihnachtsbuches." Titelblatt der November-Ausgabe von Büchergilde, Zeitschrift des Universitas-Verlages. Copyright © Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main und Wien 1950.
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seiner Bücher ist sofort die feuilletonistische Art seiner Romane und die inhaltliche Leichtigkeit seiner belletristischen Werke und Lyrik zu erkennen, die sich nicht den typischen Motiven und Themen der NS-Literatur (Helden- und Totenkult, Ästhetisierung des Krieges, usw.) widmete. Frank schrieb lediglich Trivialliteratur und seine Bücher wären wahrscheinlich heutzutage in Bestseller-Sektionen der Buchhandlungen zu finden. Viele seiner Romane waren illustriert, hatten mehrere Auflagen und überlebten sogar weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus auf dem Buchmarkt. Bei den hier aufgegriffenen Romanen 37 handelt es sich um kurze, nicht länger als 200-seitige Texte. Zu Ende seines Lebens ging aber seine Karriere nieder. Wie eingangs erwähnt, konnte Josef Maria Frank im Laufe der 60er Jahre nur mit Schwierigkeiten weitere Bücher veröffentlichen. Ein Uberblick über die vorhandenen Rezensionen bietet einen interessanten Eindruck über sein Werk. Offensichtlich war der Roman Der Mann, der Greta Garbo liebte einer seiner bekanntesten Titel und vermutlich ein Bestseller. Dieser Text stellt mit einem deutlich moralistischen Ton die Geschichte eines Mannes dar, der tief in Greta Garbo verliebt ist und aus diesem Grund seine Arbeit, Familie und Kinder in Deutschland verlässt, um sich eine Stellung in den Hollywood-Studios zu suchen. Auf diese Weise kann er näher bei seiner geliebten Ikone sein. Am Ende wird der Mann von den Schwierigkeiten, die er in Hollywood erlebt, enttäuscht. Danach stellt er fest, dass seine Frau genauso schön wie Greta Garbo ist und bereut es, seine Familie verlassen zu haben. Der Roman endet mit einer fröhlichen Heimkehr. Diese Geschichte wird bei Miszka Kruses Rezension als eine „leichte" und „fröhliche" Geschichte beschrieben: „Der Kinowahnsinn einer Epoche der Starvergötterung wird hier einmal leicht und fröhlich glossiert. In gewiß nicht endgültiger, aber angenehm überlegener Weise".38 Einen ähnlichen Ruf hatte sein Roman Keine Angst vor Morgen, ein Text über die Generation, die von der Finanzkrise des Jahres 1929 betroffen war. In einer Besprechung lässt sich der Ruf Josef Maria Franks als Autor von Bestsellern und leichter Literatur bestätigen. Dazu sagt Karl Loh: Dieses fast ganz im Berliner Slang verfasste Buch gehört zur schwer zu definierenden Gattung des ,Sommerbuchs'. Der Sommer hat fiir uns Großstädter etwas Provisorisches, Ferienmäßiges, und diesen Charakter zeigen auch die für den Großstädter geschriebenen „Sommerbücher". Sie sind leicht, heiter, in geistiger Hinsicht unverbindlich und nur stellenweise von einer gewissen Melancholie umschattet (....). 35
37 Keine Angst vor Morgen, Per und Petra und Berliner Capriccio, die sich noch immer in alten Beständen der FU Berlin und der Preußischen Staatsbibliothek (Postdamer Platz) befinden. 38 Miszka Kruse, „Josef Maria Frank: der Mann, der Greta Garbo liebte," Das Deutsche Wort 10.37 (1934): 5. 39 Karl Löhs Besprechung zu Keine Angst vor Morgen, Zeitungsausschnitt aus dem Jahr 1933, Bestand Josef Maria Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar.
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„Provisorisch", „ferienmäßig", „leicht", „heiter" und „unverbindlich" sprechen über die Charakteristika der Romane Franks. Aus diesen Gründen scheint es dann allerdings nicht überraschend, dass es dem Autor nicht gelang, in einen literarischen Kanon integriert zu werden. Trotzdem verfugte Frank über eine gewisse Popularität bzw. einen gewissen Bekanntheitsgrad. Als „alsbaldige Bestellung" empfiehlt ihn dessen Universitas Verlag auf dem Spemanns Literatur-Kalender von 1937. 4 0 Ein Großteil seiner Popularität blieb nach dem Krieg und nach seiner Migration nach Österreich erhalten. Zu Weihnachten 1950 wurde sein Buch Per und Petra. Ein Bornholm-Roman
(ursprünglich 1 9 3 6 pub-
liziert) von der Büchergilde Gutenberg, zu denen auch der Universitas Verlag gehörte, als Weihnachtsbuch in gebundener Ausgabe angeboten. 41 Dieser Roman, der auf der dänischen Insel Bornholm spielt, die ein populäres Urlaubsziel für viele Deutsche war, bestätigt die anekdotische, legere Natur von Josef Maria Franks Werken. Die meisten Titel von Josef Maria Frank, darunter Mexiko
ist anders, erschienen
beim Wegweiser-Universitas Verlag, welcher gleichzeitig unter dem Namen Volksverband der Bücherfreunde bekannt war. Dieser Verlag wurde 1919 in Berlin gegründet. 42 In seinem Katalog befanden sich nicht nur Klassiker der europäischen Literatur in Original und in Übersetzung (Dostojewski, Puschkin, Boccacio, Goethe, Lessing), sondern auch unterschiedliche renommierte Autoren der Gegenwartsliteratur wie Lion Feuchtwanger und sogar der nach Mexiko emigrierte anti-NS-Schriftsteller Bruno Frank. 43 1 9 3 8 erschien die erste Edition von Mexiko
ist anders in einer gebundenen Halb-
lederausgabe mit 135 Originalaufnahmen und 3 2 Tafeln auf 3 5 4 Seiten. Inhaltlich identische Auflagen wurden danach 1 9 3 9 und 1 9 4 2 erneut aufgelegt. Laut der Berliner Titeldrucke
aus den Jahren 1 9 3 5 bis 1939 wurden von den jeweiligen Editionen
der dreißiger Jahre bis zu 9 . 0 0 0 Exemplare gedruckt. 44 Diese gehörten zur Auswahlreihe des „Volksverbandes der Bücherfreunde" (VdB) und wurden „nur an dessen Mitglieder abgegeben". 45 Frank bekam 7 0 Pfennig Honorar „von jedem abgesetzten Exemplar (...), damit der gebundene Ladenpreis von M k . 8 , 5 0 gehalten werden konnte", 4 6 heißt es in einem Brief des Verlags aus dem Jahr 1 9 4 9 . W i e viele Leser dieses Buch erreichte, ist unbekannt, aber der V d B hatte 7 5 0 . 0 0 0 Mitglieder im Jahr 1931 und 1 3 5 . 0 0 0 im Jahr 1942. 4 7 Wegen der Popularität der Gattung bedeutete das Reisebuch in Form eines geopolitischen Essays gute Umsätze und Erfolgsmöglichkeiten für die Verlage. W i e verbreitet Mexiko
ist anders war, ist durch eine einfache
40
Werbung des Universitas Verlags, Spemanns
41
Vgl. Büchergilde. Monatsschrift der Büchergilde Gutenberg, 26. Jhg., H. 11 (1950, November).
42
Eberhard und Heribert Amtmann, VdB Bibliographie
43
E. und H . Amtmann, VdB Bibliographie
44
Berliner Titeldrucke 1935-1939
45
Impressum von Josef Maria Frank, Mexiko
46
Universitas Verlag, Brief an Josef Maria Frank, Berlin, 2 1 . September, 1949, Bestand Josef
Literatur-Kalender
(Heidelberg: Amtmann, 1 9 9 9 ) 6 .
17, 21 u. 6 5 - 6 7 .
(Berlin: Staatsbibliothek) 1898-1899. ist anders (Berlin: Wegweiser-Universitas, 1 9 3 8 ) .
Maria Frank, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 47
(Stuttgart, 1937).
E. und H. Amtmann, VdB Bibliographie
7.
Kapitel II
77
Suche bei WorldCat herauszufinden: Exemplare befinden sich in Bibliotheken in den USA (Yale, Berkeley, Austin, New York Public Library und Library of Congress). In Mexiko-Stadt findet sich auch die 1938er Ausgabe in der Bibliothek des Campo Lomas Verdes der deutschen Schule Alexander von Humboldt, deren ehemaligen Sitz in Tacubaya Frank persönlich besuchte. Erstaunlicherweise findet sich zusätzlich ein Exemplar des Jahres 1938 in der privaten Sammlung der Gebrüder Guajardo in der Biblioteca Cervantina des Tecnolögico de Monterrey im Bundestaat Nuevo Leon (Nordmexiko). Diese Sammlung besteht aus 500 Titeln ausländischer Reisebücher über Mexiko und gehörte ursprünglich zu Antonio Castro Leal, dem ehemaligen Rektor der UNAM, Unterstützer des NS-Widerstands in Mexiko-Stadt und legalen Vertreter der Zeitung Alemania Libre in den 40er Jahren. b) Der Reisende auf der Suche eines „eigenen"
Mexiko-Bildes
Josef Maria Frank verfolgte eine literarische Karriere in Deutschland. Er schrieb mehrere Romane und Theaterstücke in den 20er und 30er Jahren, und auch über den Krieg hinaus bis zu seinem Tod in Osterreich im Jahr 1975 war er literarisch tätig. Franks Bewusstsein, seinen Beruf als Schriftsteller aus einer Leidenschaft heraus auszuüben, ist tiefer in ihm verankert, wie man es an einer Selbstbeschreibung in Mexiko ist anders erkennen kann: „und zwischen ihm und Mr. Füller saß ich, ein aus Beruf und Passion neugieriger Reisender mit Schreibmaschine und Kamera".48 Als einzigen Grund für seine Mexiko-Reise nennt Josef Maria Frank seine Neugier, die ihn beim Schreiben seiner Texte antrieb. Während einer Konversation mit drei Geschäftsmännern auf einer Seereise über den Atlantik behauptet Frank, dass er vor 1938 schon einmal nach Mexiko gereist war, ohne aufschlussreichere Details anzugeben. Da er sich 1936 in Venezuela und Kolumbien aufhielt, liegt die Vermutung nahe, dass er nach seinem Aufenthalt in Südamerika nach Mexiko aufgebrochen sein könnte.49 Wann genau er vor 1938 in Mexiko war und ob tatsächlich nur zwei oder mehr Jahre zwischen den beiden Aufenthalten liegen, ist ungewiss. Aber Frank erwähnt, dass er „lange nicht mehr dort" war, und dass sich in Mexiko sicherlich vieles verändert hatte. Nichtsdestoweniger ist die Zeit, die zwischen dem ersten und dem zweiten Aufenthalt verging, der Grund, eine zweite Reise zu unternehmen. Die Konversation, die er mit seinen Mitreisenden führt, ist insofern bedeutsam, als Frank in dieser genau seine Absichten erklärt: Da sich alle Gesprächspartner aus unterschiedlichen Perspektiven über die politische Situation Mexikos äußern und sich ein unklares Bild über Mexiko ergibt, reist Frank nach Mexiko, um sich seine eigene Meinung zu bilden:
48 49
Frank, Mexiko ist anders 12. Frank, Paradies mit Vorbehalt. Bilanz einer Westindien Reise (Berlin: Universitas, 1936).
78
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus Darum kam ich auf diese - ausgefallene Idee, ausgerechnet nach Mexiko zu reisen! Ich war lange nicht mehr dort, es soll sich vieles geändert haben, ich hörte und las so viel davon daß ich schließlich nicht mehr durchfand. Sehen Sie, Sie sind vier Gentlemen, die Mexiko genau und aus jüngster Zeit kennen, und schon Sie sind vier Meinungen und vier Proteste und kein klares Bild. Und darum, um mir eines zu suchen, nicht zu machen - fahre ich nach Mexiko. 50
Obwohl er sich nicht explizit als Kommentator der lateinamerikanischen Geopolitik präsentiert, und seiner Reise eher die persönliche Neugier zugrunde liegt, verstärkt sich in diesem Zitat der Eindruck, dass Frank sich nicht von der Tendenz seiner Zeit, Reiseberichte mit einem politischen Inhalt zu verfassen, abwendet. Bemerkenswert ist, wie der Autor zwischen „ein Bild suchen" und „ein Bild machen" unterscheidet. Sich ein Bild zu machen, bedeutet für ihn, sich eine eigene Meinung mit Hilfe von anderen Meinungen zu bilden. Mit „Bild suchen" bezeichnet er die Meinungsbildung durch direkte Erfahrung, die dann zu einem Eindruck führt. Das Reisen und das Schreiben sind also aktive, nicht passive Handlungen, denn für Frank ist die Bewegung zu einem anderen Ort der einzige Weg, die konkrete Realität zu erfassen. In dieser Hinsicht basiert die Tätigkeit eines Reiseschriftstellers auf direkten Erfahrungen, was sprachlich durch den Gebrauch der ersten Person hervorgehoben wird. Interessanterweise deutet Frank auf die Gefahr hin, sich auf die eigene Perspektive und die eigene unmittelbare erfahrene Welt festzulegen. Dies drückt er durch seine Kritik an seinen Mitreisenden aus, von denen er erzählt, sie hätten trotz ihrer vielen Jahre in Mexiko unveränderbare, engstirnige Uberzeugungen bezüglich dieses Landes: Ich weiß ebenfalls, daß man jahrelang in einem Lande gelebt haben muß, um es auch nur einigermaßen zu kennen. Meistens sogar, lieber Mr. Füller, mit dem Enderfolg, daß man schon gar nicht mehr das Land u n d - n u r mehr den eigenen, privaten Standpunkt kennt."
Aus diesem Grund ist es für Frank wichtig, die Realität durch einen sogenannten ,.Ansturm" auf einen konkreten Ort und zu einem konkreten Zeitpunkt zu erfahren. Der Begriff,Ansturm", welcher aus dem Militär- und Sportjargon stammt, ist in diesem Kontext metaphorisch gemeint und dient lediglich dazu, die angestrebte Intensität der Begegnung mit dem Land zu beschreiben. Die Metapher eines ,Ansturms" erlaubt es dem Autor, auf eine plötzliche Begegnung hinzudeuten, durch die die Realität wie bei einer Momentaufnahme viel präziser dargestellt werden kann. Eine derartige „photographische" Wahrnehmung (s. u. ,Aufnahmefähigkeit") sei Frank zufolge nach mehreren Jahren im Lande nicht mehr möglich. Deshalb hat dieser .Ansturm", der als Darstellungsprozess zu verstehen ist, einen wichtigen erzählerischen Wert:
50 51
Frank, Mexiko ist anders 19. Frank, Mexiko ist anders 19.
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Was ich suche, ist ganz etwas anderes; es ist etwas, das man gewöhnlich nur im ersten Ansturm erfährt, weil man nämlich verteufelt schnell die Aufnahmefähigkeit, den Instinkt dafür, verliert: die Atmosphäre. Aus ihr aber erfährt man manchmal mehr, als wenn man jahrelang in einem Lande gelebt und in ihm seinen eigenen privaten Standpunkt gefunden hat.52
Auch wenn die Autoren in ihren Reiseberichten den Ich-Erzähler gebrauchen, um ihre unmittelbare Erfahrung zu betonen, versucht Frank zwar auch seine eigene Perspektive durchzusetzen, gleichzeitig jedoch relativiert er sie immer wieder. Frank spricht sogar über das Schreiben als Prozedur, welche nicht nur auf der tatsächlichen Perzeption der Sinne beruht, sondern auch durch evozierte Gefühle angetrieben wird: „So empfand ich Mexiko, so fühlte ich es". Während Colin Ross in seinem Text absichtlich die Sachlichkeit seiner Wahrnehmung betont, legt Frank auch viel Wert auf die affektive Dimension.53 An vielen Stellen fällt auf, dass Frank die Literatur und die Filme seiner Epoche gut kannte und dieses Wissen für Vergleiche in seinen Beschreibungen nutzte, wie im Laufe dieser Dissertation gezeigt wird. Diese Eigenschaft besaß Colin Ross nicht. Deshalb ist Mexiko ist anders weniger ein narrativ-deskriptiver Text, sondern vielmehr ein Essay - wie bereits im ersten Kapitel erwähnt - das ersichtlich von den Gefühlen und von der subjektiven Perzeption des Autors geprägt ist. Bezüglich der Herangehensweise seines Schreibens erklärt Frank: „Ich werde nicht schreiben: So ist Mexiko! Ich werde schreiben: So empfand ich Mexiko, so fühlte ich es".54 Während Colin Ross als Geopolitik-Experte bekannt war, weist Josef Maria Frank am Anfang von Mexiko ist anders daraufhin, dass er ein Laie sei und das einfache Publikum mit seinem Reisebericht erreichen möchte: „Ich glaube, daß ich diese Geschichte ruhig erzählen darf - denn dieses Buch ist ja nicht ein Werk eines Gelehrten oder eines Wissenschaftlers und nicht einmal eines Mannes mit Ambitionen, dergleichen sein zu wollen".55 Offensichtlich sah er sich nicht als Gelehrter oder Wissenschaftler. In diesem Sinne ist Josef Maria Frank, in Hinblick auf seinen Beruf, viel bescheidener als Ross, der stets sein „literarisches Talent" hervorhebt, ungeachtet der Tatsache, dass Frank viele Kenntnisse über Kunst, Literatur und Film seiner Zeit hatte.
2. C O L I N R O S S ALS NATIONALSOZIALISTISCHER R E I S E N D E R
Colin Ross war ein sehr produktiver Autor und ein sehr aktiver Reisender zwischen 1913 und 1945. In den 30er Jahren hinterließ er genügend Informationen und Spuren, die es Bodo-Michael Baumunk ermöglichten, eine kleine Biographie zu verfassen,56 die die Archivrecherche für diese Arbeit vervollständigt.
Frank, Mexiko ist anders 20. Hervorhebung von mir vorgenommen. Auf diesen Unterschied wird in folgenden Kapiteln dieser Arbeit eingegangen. 54 Frank, Mexiko ist anders 20. Hervorhebung von mir vorgenommen. 55 Frank, Mexiko ist anders 297. 56 Das vorliegende Profil von Colin Ross wurde anhand des Baumunkschen Texts rekonstruiert. Nur in einzelnen Fällen wird die Seitenzahl angegeben, da alle angegebenen Informationen aus 52
53
80
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Colin Ross wurde am 4. Juni 1885 in Wien geboren. Er beging am 29. April 1945 in Bad Tölz (Bayern) Selbstmord,57 auch wenn andere Quellen München als seinen Todesort angeben.58 Er stammte aus einer Familie von Reisenden, Abenteurern und Ingenieuren. Sein Urgroßvater, Colin Ross, wurde in Schottland geboren und war Schiffsarzt von Beruf. Er emigrierte im 18. Jahrhundert nach Hamburg. Er war mit John Ross, dem britischen Reisenden, der den Nordpol erkundete, verwandt. Sein Urgroßvater hatte drei Söhne, von denen ebenfalls zwei von der Reiselust des 19. Jahrhunderts geprägt waren: Charles Ross, der sich als Landschaftsmaler einen Namen machte und Griechenland und Italien bereiste; Ludwig Ross, der als Archäologie-Professor der Universität Halle nach Griechenland und durch den Nahen Osten reiste und Gustav Ross, ein Arzt, der bis zu seinem Tod in HamburgAltona lebte. Gustav Ross hatte einen Sohn namens Friedrich (1850-1918), der als Ingenieur Ende des 19. Jahrhunderts nach Wien zog. Friedrich Ross erbaute dort 1901 / 1902 das erste Elektrizitätswerk der Stadt. In Wien wurden seine zwei Söhne geboren: Colin (1885) und Fritz (1889). Das Profil seiner Vorfahren prägte das Leben des jungen Colin Ross. Er verbrachte seine Kindheit in Wien, absolvierte den Militärdienst aber in Bayern. Später zog er nach Berlin, wo er Maschinenbau und Hüttenkunde an der Technischen Universität studierte. Danach siedelte er nach Heidelberg um, wo er Geschichte und Wirtschaft bei Professoren wie Eberhard Gothein, Hermann Ocken, Lujo Brentano und Max Weber studierte. Gothein hatte einen besonderen Einfluss auf Colin Ross. Laut Bodo-Michael Baumunk erlangte Ross durch seinen Professor ein Verständnis für die Welt und die Geschichte, das den Stil seiner Reiseberichte prägte.59 Gothein sah sich als Kulturhistoriker und betrachtete sich als Nachfolger von Jacob Burckhardt. Er fasste die Geschichtswissenschaft als die Erforschung der Zusammenhänge zwischen Wirtschaft, Soziologie, Religion und Politik auf. Aufgrund der Art und Weise, wie er seine wissenschaftliche Disziplin praktizierte, hatte er viele Feinde. Als Professor an der Universität Heidelberg lernte er Colin Ross kennen und betreute dessen Dissertation über Die Produktionsbedingungen der Seewerke und ihre Entwicklung (1910). Während seiner Studienzeit in Heidelberg lernte Ross seine Frau Lisa Peter (1889— 1945) kennen, die auch bei Gothein promoviert hatte, und die Ross bei vielen seiner Reisen (auch 1935-1936 nach Mexiko) begleitete. Kurz nach seiner Promotion fing Ross an, im Deutschen Museum in München als Sekretär des Museumdirektors Oskar von Miller zu arbeiten. Ross begleitete Miller bei einer Expedition in die USA von 1911 bis 1913, woran auch der Erfinder Robert Diesel teilnahm. Bei seiner Arbeit im Deutschen Museum begann Ross an Schreibprojekten teilzunehmen, darunter ein diesem Text stammen. Bei Ausnahmen wird selbstverständlich auf die Quelle verwiesen. Vgl. BodoMichael Baumunk, Colin Ross: ein deutscher Revolutionär und Reisender 1885-1945, Magisterarbeit, Universität Tübingen, 1991 (Berlin: Eigenverlag, 1999). 57 „Roß, Colin," Deutsches Literatur-Lexikon, 13. Band: Rill-Salzmann, 324. 58 Zeirungsabschnitt vom 30. April, 1945, Quelle unbekannt, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 39 Baumunk, Colin Ross 8.
Kapitel II
81
mehrsprachiges technisches Wörterbuch, das in dem renommierten akademischen Verlag Oldenbourg veröffentlicht wurde. Seine Anstellung am Museum ermöglichte Ross das Reisen. In der Einleitung von Das Fahrten- und Abenteuerbuch (1933) behauptet er: „Einen Vorteil hatte diese Tätigkeit, sie brachte mir schon frühzeitig das, was ich vom Ingenieurberuf erwartet hatte: ausgedehnte Reisen durch Europa und Amerika".60 Auch wenn Ross im Deutschen Museum seine Interessen - die Technik, das Ingenieurwesen und das Reisen - , verfolgen durfte, konnten seine Neugier und Abenteuerlust nicht befriedigt werden. Deshalb kündigte er seine Stelle laut Baumunk im Herbst 1913.61 Er gab als Grund Langeweile an. Zu monoton war ihm die Büroarbeit. Nach dem Ausbruch des Krieges auf dem Balkan unterschrieb er einen Korrespondentenvertrag bei einer Münchner Zeitung und brach sofort nach Bulgarien auf. Bezüglich dieses drastischen Karrierewechsels erklärte Ross: Ich gab mein bürgerliches Leben auf, ließ alles stehen und liegen und fuhr in den Krieg. Freilich, auch hier stand mir der nüchterne Verstand zur Seite, und ehe ich in den OrientExpreß stieg, ging ich erst auf die Redaktion der „Münchner Neuesten Nachrichten" u n d schloß dort einen für einen journalistischen Anfanger glänzenden Vertrag als Kriegsberichterstatter ab. 62
Die detaillierten Kriegsberichte aus dem Balkan brachten Ross Prestige und einen guten Ruf als Journalist. Zurück in Deutschland bekam er Publikationsanträge von vielen Zeitungen und wurde von verschiedenen Institutionen eingeladen, um Vorträge zu halten. Im November 1913 stellte ihn die Münchner Zeitung Zeit im Bildern, wo auch Autoren wie Kurt Tucholsky, Hermann Hesse und Heinrich Mann publiziert hatten. Ross wurde sogar zum Chefredakteur dieser Zeitung ernannt. Trotz seines Erfolges kündigte er allerdings bald darauf wieder und brach 1914 nach Mexiko auf, da er den Revolutionskrieg hautnah erleben wollte. In El Paso, Texas, stieg er in einen Zug nach Ciudad Juárez, Chihuahua und Torreón, wo er den Revolutionär Pancho Villa kennenlernte und interviewte. Ross hatte geplant, nach Mexiko-Stadt zu reisen, um andere Revolutionstruppen zu treffen. Jedoch blieb ihm dies verwehrt und er kehrte im Sommer 1914 nach Deutschland zurück. Während des Ersten Weltkriegs wirkte Ross bei der Presseabteilung des militärischen Oberkommandos mit. In dieser Position versuchte er in der ausländischen Presse ein positives Bild von Deutschland zu vermitteln, was als wichtiger Präzedenzfall seiner propagandistischen Aktivitäten zugunsten von NS-Deutschland in den darauffolgenden Jahren gelten kann. Zur selben Zeit entwickelte Colin Ross politische Ambitionen. Im November 1918, zu Zeiten der Revolution, die den Zusammenbruch des Kaiserreichs nach sich zog, wurde Ross Chef des Exekutiven
60 61 62
Colin Ross, Das Fahrten- und Abenteuerbuch (Beriin: Gutenberg, 1933) 10. Baumunk, Colin Ross 8. Ross, Fahrten- und Abenteuerbuch 10.
82
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Komitees des Beirats der deutschen Arbeiter und Soldaten. Er nutzte diese Position, um Propaganda für die neu entstandene sozialdemokratische Weimarer Republik zu machen. Als Mitglied des Militärs gründete Ross 1919 die Zeitung Volkswehr, die das Ziel verfolgte, die Armee an den Idealen der neuen Republik zu orientieren. Aber Ross wurde vorgeworfen, für die Pro-Monarchisten als Spion unter den Sozialisten zu wirken,63 woraufhin der Autor auch diese Stelle bald nach ihrem Antritt wieder kündigte. Auf der Suche nach neuen Möglichkeiten brach Ross 1919 nach Südamerika auf. Er versuchte, sich in Argentinien, Chile oder Bolivien niederzulassen und von dort aus für deutsche Zeitungen zu arbeiten. Sein Bruder Fritz vermittelte ihm die entsprechenden Kontakte, die er über seine Frau Hilda bekam. Ross' Schwägerin war Tochter der reichen jüdischen Berliner Familie Ullstein, Besitzer des gleichnamigen Verlages. Aber Ross wollte nicht nur als Korrespondent für Zeitungen arbeiten. Er schlug dem Ministerium des Äußeren vor, in Südamerika als offizieller Berichterstatter für die neue Weimarer Republik zu wirken. Von dort aus würde er Einwanderungsmöglichkeiten für Deutsche erforschen, als Informant für die Ministerien dienen und Propaganda für Deutschland verbreiten. Durch seine Kontakte im Auswärtigen Amt bekam Ross von Minister Hermann Müller den Auftrag, im Namen der neuen Republik in Südamerika zu arbeiten. In einem Erlass von Herrn Müller aus dem Jahr 1919 wird Colin Ross' Südamerika-Mission als offiziell deklariert: Der Schriftsteller Colin Ross, Mitglied der sozialdemokratischen Mehrheitspartei, begibt sich im Auftrage mehrerer Zeitungen nach Südamerika. Er hat hier den Wunsch ausgesprochen, dort durch Vorträge ein Bild des heutigen Deutschlands zu vermitteln und das Auswärtige Amt durch Berichte von seinen Eindrücken zu unterrichten.64
Aber Ross' Nähe zu der sozialdemokratischen Regierung der Weimarer Republik half ihm in Argentinien und Chile nicht, denn in diesen Ländern kamen die deutschen Eliten aus konservativen promonarchistischen Kreisen. Nachdem Ross Buenos Aires verließ, übermittelte er die Information nach Deutschland, dass die deutsche Gemeinde in Argentinien eine Gefahr für die Weimarer Republik darstellen könnte, denn viele wären bereit, einen Putsch gegen die neue Regierung zu finanzieren.65 In Santiago de Chile war die Situation nicht anders. Dort war Ross sowohl mit dem Direktor der Deutschen Zeitung von Santiago als auch mit dem Botschafter verfeindet. Die deutsche Botschaft sendete Informationen über Ross nach Berlin, in denen es hieß, dass er ein Bolschewist sei und Propaganda für die Sowjetunion verbreiten wolle. Darüber hinaus wurde ihm vorgeworfen, für „jüdische Zeitungen" zu arbeiten und sogar einen „jüdischen Familiennamen" zu tragen. Dies entlarvt nicht nur den
Baumunk, Colin Ross 42. Erlass vom 16.10.19, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, NL Conrad Haussmann, Nr. 9., Zitiert bei Baumunk, Colin Ross 43. 65 Baumunk, Colin Ross 46. 63 64
Kapitel II
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Konservativismus, sondern auch den Anti-Semitismus und Anti-Republikanismus der deutschen Eliten in Südamerika. Colin Ross wurde am 19. April 1920 sogar festgenommen. Er war allerdings nach zwei Tagen wieder frei.66 Aufgrund dieser Intrigen konnte er nicht in Lateinamerika bleiben, sodass er und seine Familie beschlossen, wieder nach Deutschland zurückzukehren. Aus dieser Erfahrung heraus schrieb er seinen ersten Reisebericht, Südamerika. Die aufsteigende Welt (1921) und Südamerikanisches Auswanderer-ABC (1921), ein Handbuch für potentielle Emigranten. In den folgenden Jahren machte er sich daran, fast alle Kontinente zu bereisen. Seine erste große Reise unternahm er im Sommer 1923 nach Asien. Währenddessen verfilmte er, im Auftrag der UFA, den Dokumentarfilm Mit dem Kurbelkasten um die Erde,67 der zum ersten Mal im Januar 1925 in Berlin aufgeführt wurde. In diesen Jahrzehnten las er Sigmund Freud. Der Einfluss der Psychoanalyse lässt sich deutlich in Geheimnisse einer Seele (1926) erkennen, einem Film von Georg Wilhelm von Pabst, an dem Colin Ross als CoAutor des Drehbuchs und als Schauspieler mitwirkte. 68 Wenn man sein Engagement in der Weimarer Republik, seine jüdische Verwandtschaft und seine persönlichen Ziele betrachtet, erscheint Ross' ideologische Wende zum Nationalsozialismus widersprüchlich und opportunistisch. In der Tat erwies sich Ross bis Anfang der 30er Jahre als Anti-Nazi, und nur allmählich ließ er die Entwicklung seines politischen Denkens hin zum Nationalsozialismus erkennen. 1931 publizierte er mehrere Artikel in der Berliner Morgenpost, in denen er den Nationalsozialismus als eine „Flucht in die Krankheit" beschreibt: „Alle diese Hitler- und Stahlhelmparaden sind eine tragikomische Form von Kompensieren und Säbelrasseln ohne Säbel, die Deutschlands politischen Interessen nur schadet". 69 Laut Baumunk siedelte Ross im Herbst 1932 wegen der politischen Spannungen in Deutschland mit seiner Familie nach Chardonne-sur-Vevey (Schweiz), wo er sich für die NS-Ideologie zu interessieren begann. In seinem Essay Die Welt auf der Waage (1931) ruft er zu einer Rückkehr zur Primitivität auf. Für Ross stellte die Verquickung von Rasse und Lebensraum, von Magie und Irrationalismus, den einzigen Ausweg aus der wirtschaftlichen und politischen Krise von 1929 dar. Auch wenn Ross ein weit gereister und gebildeter Mensch war und, laut Baumunk, in seinen Reiseberichten Begeisterung und Respekt für andere Kulturen zeigte, bekannte er sich innerhalb weniger Wochen im Jahr 1933 plötzlich zum Nationalsozialismus. 70 In seinem Essay „Der Wille der Welt" (Verfassungsjahr unbekannt) plädiert er für ein gemeinsames Europa, mit Deutschland und Frankreich an der Spitze, und für die Entstehung
66
Baumunk, Colin Ross 47-8. Baumunk, Colin Ross 58-9. 68 Angel González de Pablo, „La legitimación del psicoanálisis en la cultura popular: el caso de Misterios de un alma (1926) de G.W. Pabst," Frenia. Revista de Historia de la Psiquiatría^. (2010): 173. 69 „Die nationalistische Welle," Berliner Morgenpost (29. Juli 1931) zitiert bei Baumunk, Colin Ross 79. 70 Baumunk, Colin Ross vii. 67
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
84
eines autokratischen Staates in Deutschland. 71 Es ist allerdings gut möglich, dass Colin Ross die nationalsozialistischen Ideen zunächst aus reinem Opportunismus unterstützte und sie erst allmählich verinnerlichte. Anfang der 30er Jahre wollte Ross wieder in die U S A reisen. So wie er es nach dem Ersten Weltkrieg gemacht hatte, suchte er wieder die Unterstützung des Auswärtigen Amtes. Sein Bruder Fritz begleitete ihn während dieses Prozesses, um seine jüdische Verwandtschaft zu schützen. Deshalb setzten sich die Brüder Ross in Kontakt mit dem NS-General Karl Haushofer ( 1 8 4 9 - 1 8 6 9 ) , Kollaborateur des N S Regimes und Vertreter der NS-Geopolitik. Über ihn nahmen sie Kontakt mit dem „Führer" und der gesamten NS-Elite auf. Von diesen versuchten sie einerseits die Unterstützung für Ross' Amerika-Reise zu bekommen und andererseits den Ullstein Verlag - der im Besitz der Familie von Hilda Ullstein, Frau von Fritz Ross, war - zu retten. Ross durfte als Repräsentant Deutschlands zur Werbung des Dritten Reiches nach Amerika reisen und die deutsche Regierung über die dortige politische Lage informieren. Der Ullstein Verlag wurde allerdings vom NS-Regime beschlagnahmt. Nichtsdestoweniger konnten Fritz Ross und Hilda Ullstein dank Haushofer bis 1 9 4 5 ungestört in Österreich leben. A u f seinem Weg in die Vereinigten Staaten im Jahr 1 9 3 3 nutzte Colin Ross die Zeit, um sich in die Prinzipien des Nationalsozialismus zu vertiefen und sein eigenes politisches Programm an diese anzupassen. Der Beweis dieser politischen Verinnerlichung ist das Vorwort zu seinem Reisebericht Unser Amerika
(1936) 7 2 , das er sofort an Haushofer übersandte. Ross blieb mehrere Jahre
in den USA. Von dort aus reiste er im Mai 1 9 3 5 nach Mexiko. Aus dieser Erfahrung entstand die Abhandlung Der Balkan Amerikas,
die 1 9 3 7 erschien und eine Art geo-
politischer Bericht über die Lage Mexikos nach dem Revolutionskrieg darstellt. Ross genoss in den Jahren des Nationalsozialismus eine sehr gute Position und wurde von der NS-Elite protegiert. Er hatte zwar viele Feinde, die ihm seine linkssozialistische Vergangenheit in den Weimarer Jahren vorwarfen, aber er war so gut positioniert, dass Rudolf Hess sogar verbot, Angriffe gegen Ross in der Presse zu veröffentlichen. 73 Es ist auch bekannt, dass Ross zum Kanzleiamt zitiert wurde, um dem „Führer" über den möglichen Beitritt der U S A in den Zweiten Weltkrieg zu berichten. 74 Ross' Mexiko-Reise war nur eine kleine Episode im Vergleich zu seinem längeren Aufenthalt in den Vereinigten Staaten. 75 Vermutlich tat der Autor in Mexiko genau das, was er in den Vereinigten Staaten tun wollte, nämlich durch Vorträge Propaganda für NS-Deutschland zu machen 7 6 sowie Informationen über
71 72
73 74
Corian, 75
Baumunk, Colin Ross 80. Colin Ross, Unser Amerika. Der deutsche Anteil an den Vereinigten Staaten (Leipzig: Brockhaus, 1936). Baumunk, Colin Ross 90. Heinz J . Galle, „Colin Ross. Biographie," Das Lexikon
der Reise- und
Abenteuerliteratur
6. Band, Hrsg. Friedrich Schegk, 30. Erg-Lfg. ( 1 9 9 6 , März): 12.
Colin Ross, Der Balkan Amerikas. Mit Kind und Kegel durch Mexiko zum Panamakanal
(Leipzig: Brockhaus, 1 9 3 7 ) 19. 76
Ross erzählt, dass er von den Studenten der Universität von Oaxaca zu einem „Vortragsabend"
eingeladen wurde. Vgl. Der Balkan Amerikas 77.
Kapitel II
85
das Land und über die Lage der deutschen Gemeinden zu sammeln, die er in seinem Reisebericht für die Aufführung geopolitischer Interpretationen des Landes nutzen konnte. Obwohl Ross sich zwischen 1933 und 1945 kaum in Deutschland aufhielt und permanent auf Reisen war, nahmen er und seine Frau Lisa sich am 29. April 1945 wegen ihrer Nähe zur NS-Elite das Leben. Sein Sohn Ralph Colin Ross, den man auf einigen Bildern in Der Balkan Amerikas sehen kann, fiel an der Kriegesfront. Colin Ross und seine Frau hinterließen einen Brief, in dem sie sich von allen Kriegsverbrechen distanzieren. „Wir sind keine Kriegsverbrecher", erklärt Ross und betont außerdem, dass er seit Frühling 1934 den Führer vor der „drohenden weltpolitischen Gefahr" für Deutschland gewarnt und ihm „Wege aufgezeigt hatte, diese Gefahr zu vermeiden". Jedoch zeigt sich in seiner Reue gleichzeitig sein Bekenntnis zum Nationalsozialismus: U n d ich gehe ganz aus d e m L e b e n , weil ich die N i e d e r l a g e D e u t s c h l a n d s u n d vor allem den Z u s a m m e n b r u c h einer Idee, an die ich glaubte, weder überleben k a n n n o c h will. W i r wissen, d a ß diese Idee, für welche M i l l i o n e n g l ä u b i g u n d reinen Herzens in den T o d gingen, unter ihnen unser einziger S o h n , eines Tages aus schicksalhafter Verfehlung u n d Verstrickung d u r c h unendliches Leid geläutert wiedererstehen wird als die große Idee der E p o c h e . A b e r wir w ü r d e n diesen W i e d e r a u f s t i e g unter keinen U m s t ä n d e n erleben, n o c h k ö n n t e n wir d a z u irgendetwas beitragen. 7 7
a) Die Reiseberichte von Colin Ross Mit Blick auf das Werk von Colin Ross fällt die Geschwindigkeit auf, mit der seine Bücher geschrieben und veröffentlicht wurden. Noch überraschender ist die Extensität und Vielfältigkeit seiner Reisen, die er trotz der Schwierigkeiten vor und während des Zweiten Weltkrieges unternahm. Aufgrund seiner Assoziierung mit den Nationalsozialisten und der nicht zu übersehenden nationalsozialistischen Töne seiner Texte sind seine Person und sein Werk bisher kaum erforscht. Dennoch kann auf Basis der damaligen Verbreitung und Reputation seiner Werke einiges über seinen Beitrag zur deutschen und mexikanischen Kulturgeschichte und zur deutschen Reiseliteratur ausgesagt werden. Die Verbreitung seines Titels Der Balkan Amerikas (1937) ist nicht bekannt und Rezensionen zu diesem Buch sind bislang nicht gefunden worden. Auch wenn wohl die Zerstörung vieler Dokumente bzw. Archive eine der Ursachen für den Mangel an journalistischem Material über sein Werk ist, erklärt sich diese Informationslücke anscheinend ebenso durch die Popularität seines Essays Unser Amerika (1936), von dem zahlreiche Besprechungen veröffentlicht wurden. Da Ross sich ausgiebig mit den USA befasste, können politische Gründe als Ursache vermutet
77
Abschiedsbrief von Colin Ross, im Besitz von Hans Demleitner, zitiert bei Baumunk, Colin
Ross 135-136.
86
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
werden, da die USA mehr Interesse unter den deutschen Lesern wecken konnten. Daher blieb auch die Publikation von Der Balkan Amerikas überschattet. Sein Mexikowerk sowie fast alle seine Reiseberichte erschienen im Brockhaus F. A. Verlag, einem der renommiertesten und wichtigsten Verlage im deutschen Sprachraum, der sich von seiner Gründung 1805 bis zur Enteignung und Auflösung im Jahr 1953 auf Reise- und Abenteuerliteratur spezialisierte.78 Die Zerstörung der Archive des Brockhaus Verlags am 4. Dezember 1943 in Leipzig macht es unmöglich, Genaueres über die Verbreitung und Zirkulation von Der Balkan Amerikas anhand von Dokumenten aus den Verlagsarchiven zu sagen. Durch Katalogrecherche mit der Suchmaschine WorldCat lässt sich aber feststellen, dass von diesem Reisebericht in der Edition von 1941 mindestens zehn Auflagen und in der Edition von 1938 sieben Auflagen abgedruckt wurden. Die erste Veröffentlichung erfolgte 1937, wobei auffallt, dass der Titel innerhalb eines Jahres ausverkauft war und bereits 1938 eine Neuauflage benötigte. Anhand von Christian Adams überblicksartiger Studie Lesen unter Hitler: Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich (2010), die sich mit Lesegewohnheiten in der NS-Zeit befasst, kann man Indizien des Bekanntheitsgrads von Colin Ross' Werken ableiten. Auf einer Seite findet sich das Beispiel der Ausstattung einer Bibliothek in dem prestigeträchtigen Krankenhaus Hohenlychen in Lydien (Uckermark, Brandenburg): Ein bekanntes Lazarett zur Behandlung von Atemwegserkrankungen, das nicht nur wegen Hitlers medizinischer Aufenthalte berühmt war, sondern auch wegen der Experimente an KZ-Inhaftierten, die dort durchgeführt wurden. Beauftragter für die Beschaffung der Bücher war Hans Johst, damals prominenter Autor und ehemaliger Präsident des Reichsschrifttumskammer sowie der Deutschen Akademie der Dichtung. Er reichte dem Präsidenten des Eher Verlags eine Liste der von ihm persönlich ausgesuchten Bücher ein, die für die oben genannte Bibliothek zu beschaffen wären. Johst listete in jenem Dokument „selbstverständlich" einige Reiseberichte von Colin Ross auf. 79 Laut Adams sei diese Liste kein „who-is-who" in der Literatur der damaligen Zeit, da dies statistisch nicht zu überprüfen wäre, sie bietet aber einen interessanten Blick auf die damals beliebte Literatur.80 Dies bestätigt auch die Annahme, dass Ross' Werke unter der NS-Elite beliebt und bekannt waren. Seine 24 Reise- und 5 Memoirenbücher lassen zusammen mit 3 Dokumentarfilmen anlässlich seiner Aufenthalte in Asien 81 viel über seine rasche Karriere schließen: Es liegt knapp ein Jahr zwischen einem Titel und dem nächsten, wobei die einzig längere
78 Über die Geschichte dieses Verlages und seine Relevanz für die Zirkulation und Veröffentlichung von Reiseliteratur im deutschen Sprachraum siehe: R. V. Hagel, „F. A. Brockhaus Verlag Leipzig," Das Lexikon der Reise- und Abenteuerliteratur Conan, Hrsg. Friedrich Schegk, Band 10, Teile 3-4, „Verlage," 22. Erg-Lfg., (1994, März): 1-16. 75 Christian Adams, Lesen unter Hitler (Frankfurt: Fischer, 2010) 81. 80 Adams, Lesen unter Hitler 81. 81 Eine Liste seiner Werke findet sich bei Heinz J. Galle, „Colin Ross. Biographie," Das Lexikon der Reise- und Abenteuerliteratur Corian, 6. Band, Hrsg. Friedrich Schegk, 30. Erg-Lfg. (1996, März): 1-15.
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Pause drei Jahre beträgt. Colin Ross reiste und veröffentlichte so häufig und schnell, dass dies nicht nur viel über seine Popularität und Produktivität aussagt, sondern auch über die Bekanntheit und das rasche Konsumtempo des von ihm ausgeübten Genres. Außerdem galt er in Deutschland als Amerikaexperte, „was dazu führte, daß er am 12. März 1 9 4 0 in die Reichskanzlei zitiert wurde, um dort seine Ansichten über Amerikas möglichen Kriegseintritt vorzutragen". 82 In den Vereinigten Staaten hielt er Vorträge, um das Bild der NS-Diktatur zu pflegen und vor allem, um die zentrale Hypothese zu verbreiten, die er über die U S A in seinem bekannten Unser Amerika
( 1 9 3 6 ) vertrat: Der Welterfolg der U S A sei zum größten Teil den Beiträgen
der zahlreichen deutschen Migranten in Nordamerika zu verdanken. 83 Ross' Texte wurden sogar plagiiert. Einer der bekanntesten Autoren im Bereich der Reiseliteratur während der NS-Zeit war Anton Zischka, der selbst kaum vereist war und der nicht in Deutschland wohnte, sondern auf Mallorca. 84 Zischka hatte stetige Probleme mit seinem Verleger, der viele seiner Plagiate aufdeckte, von denen sich eins auf Colin Ross bezog: „Nachdem dieser Brief geschrieben war, kommt eine Besprechung aus dem Hamburger Tageblatt (...). Auch da wieder der Hinweis auf Colin Ross. Mir wird schlecht, lieber Herr Zischka!". 85 Die Tatsache, dass ein bekannter Verfasser von einem anderen offensichtlich noch bekannteren Autor abschreibt, hebt die Beliebtheit und Anerkennung von Colin Ross hervor. Anhand der vorhandenen Besprechungen anderer Werke von ihm kann man auch den guten R u f von Ross unter vielen Zeitgenossen ableiten. Hans Joachim Flechtner beschreibt ihn nicht ohne Bewunderung in dem Artikel „Weltreisen als B e r u f " aus dem Jahr 1937: In einer Unterredung hat er gestanden, daß schon der Ingenieurberuf für ihn nur ein Mittel war, leicht und schnell hinauszukommen. Fernweh, das ihm im Blute lag (....), ein unbezähmbarer Drang, die Welt zu sehen, trieb ihn hinaus, und es gibt heute wenige Menschen, die so systematisch die ganze Erde bereist haben, die die tropischen und subtropischen Länder und Meere ebenso wie die arktischen Gebiete zugleich so umfassend kennen wie Roß. 86 Dieses Zitat beinhaltet einen romantischen
(„Fernweh"), fast biologischen
(„Blut") Stil, der auch bei Waldemar Ohlkes Literaturgeschichte zu finden ist, als er einen Zusammenhang zwischen der Reiselust und der „deutschen Natur" herstellt. Flechtner beschreibt mit einem deutlich hyperbolischen Ton die Reiselust des Reisenden als einen „unbezähmbaren Drang" und betont dabei die Authentizität von Colin Ross. Dieser hyperbolische Stil geht jedoch über die Persönlichkeit des Autors
Heinz J. Galle, „Colin Ross. Biographie" 12. Vgl. Colin Ross, Unser Amerika. Der deutsche Anteil an den Vereinigten Staaten (Leipzig: Brockhaus, 1936). 84 Adams, Lesen unter Hitler 92. 85 Adams, Lesen unter Hitler 93. 86 Hans Joachim Flechtner, „Weltreisen als Beruf," Die Literatur 39 (193, 10. Juli) 592. 82
83
88
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
hinaus und deutet auf eine fast heroische Natur des Reisenden hin. Die Darstellung seiner Eigenartigkeit („wenige Menschen") und des großen Umfangs seiner Tätigkeit („die ganze Erde") unterstreichen Flechtners Bewunderung für den Autor. Dabei versucht er gleichzeitig, die Neugier des Lesers für dessen Werke zu wecken. Ross distanzierte sich von allen romantischen Zügen und präsentierte sich als „objektive[r] Beobachter". Diese Distanz betonte der Autor bereits in seinem Südamerika-Auswanderer Handbuch, wo er den Leser aufforderte, „alte romantische Gerstäcker und Karl-May-Erinnerungen zu Hause zu lassen".87 Dies spiegelt sich auch in der Rezeption seiner Werke. Stets als ein sachlicher, objektiver Autor beschrieben, von der „üblichen" Romantik der Reiseliteratur entfernt, wirkten seine Werke dennoch „abenteuerlich", „spannend" und „belehrend". Ein gewisser Karl Heidkamp erklärt: „Die abenteuerliche Romantik des Reisens aus früherer Zeit gibt's nicht bei Colin Roß (...) So entstehen während der Reise wägende Berichte, die trotz der Erlebnisnähe wertvollen Abstand verraten".88 Dank dieser „wertvollen" Objektivität hebt sich Ross von anderen Autoren ab und gewinnt dadurch „einen hohen Rang". Er legt mehr Wert auf die Sachlichkeit als auf die Poetik des Textes. Dazu trägt sicherlich schon Ross' Ruf als Kommentator geopolitischer Umstände bei. Dies lässt sich beispielweise an folgender Besprechung zu seinem Reisebericht Haha-Whenua, das Land, das ich gesucht habe (1933) zeigen: Unter den zahlreichen Reiseschriftstellern, die in feuilletonistischer Art Eindrücke und Erlebnisse in exotischen Ländern berichten, nimmt Colin Roß einen hohen Rang ein, weil er sich nicht nur von der Farbigkeit der Welt beeindrucken lässt, sondern Organ hat für die weltpolitischen Probleme und für allgemeine kulturelle Fragen.89
Auffällig ist ein Zeitungsabschnitt mit einer Einladung zu einer Konferenz von Ross in Lübeck. In diesem Ausschnitt wird der Autor mit Humboldt verglichen und es wird sogar suggeriert, dass Ross Humboldt wegen des voranliegenden Jahrhunderts „wissenschaftlicher Kenntnisse und technischer Fortschritte" überschattet hätte. So ein enthusiastisches, fast fanatisches Lob ähnelt einer Verlagswerbung: Deutscher Ingenieur und Weltreisender, im scharfen Erfassen aller geographischen Elemente der von ihn durchwanderten Länder, in der geistigen Zielstrebigkeit, nicht am Einzelnen haften zu bleiben, sondern zu einer universalen Geopolitik und Geophilosophie zu gelangen, an Alexander von Humboldt gemahnend, ihm aber um ein Jahrhundert wissenschaftlicher Kenntnisse und technischer Fortschritte voraus, ein Mensch, dem es nicht gegeben ist, auf Lorbeeren auszuruhen, der nur er selbst ist, wenn unter ihm
Ross, Südamerikanisches Auswanderer ABC 7. Karl Heidkamp zu Mit Kind und Kegel in die Arktis, Quelle unbekannt, datiert 1935, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 89 Wolfgang Scheidewin zu Haha Whenua — das Land, das ich gesucht habe, Quelle unbekannt, datiert 1933, Deutsches Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 87 88
Kapitel II
89
der Boden zu gleiten beginnt, gehört zu den markantesten Persönlichkeiten unter den deutschen Köpfen der Gegenwart. 9 0
In zehn Zeilen wird Ross eine fast übernatürliche und heroische Persönlichkeit zugeschrieben: Einen großen Mut („der nur selbst ist, wenn unter ihm der Boden zu gleiten beginnt") und eine umfangreiche Weisheit („universale Geopolitik und Geophilosophische"), die wegen der vorhandenen technischen Fortschritte sogar über Humboldts Prestige hinausgeht. Dieser deutlich übertriebene Vergleich zu Humboldt widerspricht der erstaunlichen Abwesenheit des Namens Colin Ross' in den Literaturgeschichten wie derjenigen der bekannten NS-Literaturhistoriker Alfred Bartels und Joseph Nadler. Nur kurz wird Ross in Waldemar Oehlkes Literaturgeschichte91 erwähnt. Während Colin Ross' Bücher in politischen und journalistischen Kreisen ernst genommen wurden, scheint es, dass es ihm wegen der sachlich-journalistischen Natur seiner Texte nicht gelang, im engen literarischen NS-Kanon aufgenommen zu werden. Dieses Argument ist jedoch noch umstritten, denn für das NS-Konzept des Literarischen galten nicht unbedingt fiktive oder belletristische Gattungen, schon gar nicht ästhetische Werte, sondern nur patriotische und ideologische Merkmale, die dem nationalsozialistischen Programm entsprachen. Noch überraschender wirkt diese Abwesenheit, wenn man betrachtet, dass Ross sogar bei hohen Funktionären des NS-Staates eine einigermaßen hohe Position hatte und selbstverständlich dessen Produktivität und Popularität nicht zu unterschätzen war. Es darf nicht vergessen werden, dass Ross weder über eine literarische Bildung verfugte noch belletristische Publikationen veröffentlichte. Ob der Grund für sein Fehlen im Kanon letztlich der Neid seiner Kollegen oder die „sachliche" Natur seiner Texte war, bleibt allerdings nur Spekulation.
b) Colin Ross als Autor geopolitischer Texte Colin Ross war nicht literarisch ausgebildet und veröffentlichte keine belletristischen Texte. Er studierte zunächst Ingenieurwesen in Wien, stieg aber durch seine Arbeit als Korrespondent im Balkankrieg und während der mexikanischen Revolution in die journalistische Welt ein. Inspiriert von seiner fantasievollen Persönlichkeit, durch die er in die Träume seiner Kindheit zurückgeführt wurde,92 besuchte er zwar durch mehrere Reisen alle fünf Kontinente und porträtierte seine Eindrücke in zahlreichen Reiseberichten. Aber wenn man Colin Ross' Selbstwahrnehmung als Autor genauer
90
Zeitungsauschnitt,
Daten zu Autor, Publikationsort
und Jahr unbekannt,
Deutsches
Literaturarchiv, Marbach am Neckar. 91
Oehlke erstellt eine Liste von Reisebüchern über Südamerika, Afrika und Asien und erwähnt
nur „Colin R o ß ist hier mit mehreren Bücher beteiligt" {Deutsche Literatur der Gegenwart 48) ohne spezifische Titel zu nennen oder Kommentare hinzuzufügen. 92
So beschreibt sich Colin Ross in der „Einfuhrung" von Fahrten- und Abenteuerbuch
Gutenberg, 1933) 9.
(Berlin:
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
90
betrachtet, kann man an ihr deutlich den Einfluss der Geopolitik, die den Stil der Reiseliteratur im Nationalsozialismus prägte, erkennen. Ross' Selbstwahrnehmung als Reisender und Autor von geopolitischen Texten kann in der Einfuhrung von Der Balkan Amerikas nachvollzogen werden. Dort erklärt Ross, wie seine Reisen sein Leben prägten. Anhand seiner zahlreichen Publikationen 93 lässt sich vermuten, dass er dem Reisen viel Zeit und Aufwand widmete. Bemerkenswert ist der Zwiespalt des Autors zwischen dem Zweifel, sein Leben dem Reisen gewidmet zu haben, und der Freude, die ihm sein Beruf bereitete. Letzteres ermöglichte es ihm auch eine „reiche" Existenz zu leben: Manchmal k o m m t mir da der Gedanke, ob ich mir mein Leben nicht dadurch unnötig erschwerte, dass ich die Fahrten und Abenteuer, die Jagd- und Filmexpeditionen, die, wenn auch beschwerlichen u n d mitunter gefahrvollen, aber doch problemlosen "Kindund-Kegel-Reisen" sich zu solch problembeladenem weltpolitischen Suchen u n d Forschen auswachsen ließ. Ich habe nie aufgehört u n d werde nie aufhören, voll tiefer Dankbarkeit die Begnadung und Beglückung eines so reichen Lebens zu empfinden, das mir die ganze Erde erschloß. Aber ich m u ß gestehen, daß es Augenblicke gibt, in denen mir die selbst gestellte Aufgabe zu groß u n d zu schwer erscheint, Augenblicke, in denen die Fülle der Erlebnisse, die Überfülle der Geschichte mich zu erdrücken droht. In solchen Zeiten beneide ich jeden, der einen engbegrenzten Pflichtenkreis hat, ein beschränktes Tätigkeitsfeld. 54
Der Autor verschafft seinen Lesern Zugang zu seinen intimsten Gedanken, nicht nur damit seine Leserschaft seine Mentalität besser kennenlernt, sondern auch um ihm seine Einstellung gegenüber seinen Lebenserfahrungen kund zu tun. Ross zeigt sich zwar zufrieden, gleichzeitig aber ungewiss und nostalgisch, denn er scheint an der Nützlichkeit seiner Aufgabe zu zweifeln und sich nach einem einfachen Leben zu sehnen. Doch diese Strategie, sich persönlich und intim zu zeigen, dient dazu, seine Aufgabe als missionarisches Schicksal darzustellen. Für Ross bedeutet das Reisen nicht nur die Beschreibung fremder Landschaften und Kulturen, sondern vielmehr die Diskussion, Interpretation und Erforschung der Weltpolitik - eine Aufgabe der Geopolitik, 95 die Ross in seinen Reiseberichten, als Resultat seiner Beobachtung von außenpolitischen Akteuren (wie etwa Botschaften und die Auslandsorganisationen der NSDAP), praktizierte. Ross sieht zwar diese Aufgabe als „groß" und „schwer" an, doch gibt er sich ihrer Erfüllung freiwillig hin. Die Tatsache, dass er Neid gegenüber denjenigen zeigt, die ein „beschränktes Tätigkeitsfeld" ausüben, und dass er Angst hat, von der Geschichte „erdrückt" zu werden, verstärkt Ross' Selbstwahrnehmung als Missionar mit einem transzendentalen Schicksal. Trotz der aufwendigen und
93
Nach Einschätzung des Autors dieser Arbeit, die auf Recherchen in Bibliotheken und auf der WorldCat-Datenbank, sowie auf der Biographie von Michael Bodo-Baumunk basieren, publizierte Colin Ross zwischen 1922 und 1944 ca. 21 Reiseberichte und Essays. 94 Colin Ross, Der Balkan Amerikas 10. 95 Vgl. Kapitel I.
Kapitel II
91
„bedrohlichen" Natur seiner Arbeit, gibt sich Ross ihr völlig hin. Seine Worte enthüllen eine deutliche Selbstheroisierung und Idealisierung seiner eigenen Fähigkeiten. Diese Berufung zum Interpreten der Geopolitik kann nur durch das Schreiben und Reisen verwirklicht werden. Deshalb ist für Ross das Schreiben weder eine ästhetische Erfahrung an sich, noch ein Vergnügen, sondern eine Pflicht, die sowohl Aufgabe als auch Resultat des Reisens ist. In diesem Sinne kann Colin Ross als ein „Autor-Reisender" bezeichnet werden, das heißt, als ein Reisender, der aufgrund seiner Tätigkeit ein Autor wird—und nicht umgekehrt. Es erscheint mir ideal, hinter einem Ladentisch stehen u n d Bücher verkaufen zu dürfen, statt sie schreiben zu müssen. Ja, es ist tatsächlich ein „Müssen ". So unerhört die Beglückung der gelungenen schöpferischen Gestaltung auch ist, so groß ist oft die Q u a l und das Elend vorher, wenn sich das nicht formen will, was einem doch ganz klar vorzuschweben schien. 9 6
Schreiben ist eine notwendige Aufgabe, ein „Müssen", so wie es der Autor emphatisch erklärt. Ross äußert sich nostalgisch über das „ideale" Leben eines Buchhändlers, aber in der Pflicht des Schreibens verbirgt sich der Protagonismus, den die Publikation von Büchern mit sich bringt. Interessant ist, wie Ross das Problem des Schreibens adressiert, indem er, wie viele moderne Autoren, die Schwierigkeiten darstellt, die mit der Formulierung von Texten und dem Ausdrücken von Gedanken verbunden sind. Denn das Schreiben ist für Ross viel mehr als die mechanische Aufgabe des Niederschreibens und Schilderns des Reiseschriftstellers. Diese zwei Verben verweisen auf mechanische Prozesse: „niederschreiben", im Sinne von etwas aufschreiben, ohne eine gewisse Kreativität oder Reflexion miteinzubeziehen, und „schildern", das als Synonym von „darstellen" aus der Sprache der Malerei stammt. Für Ross haben Reiseberichte ihre unterhaltsame Natur verloren, und das Vergnügen der Reiselust und das Schreiben des Reisenden werden laut dem Autor durch die bereits benannte missionarische Pflicht ersetzt: D a s klingt seltsam aus dem M u n d e eines Reiseschriftstellers, der doch nur
niederzuschreiben
braucht, was er sieht, zu schildern, was er erlebt. Aber wo sind die schönen Zeiten, wo man nur „ L a n d und Leute" beschrieben brauchte, wo die überseeische Welt ein
Bilderbuch
war, das wir staunend betrachteten. Heute sind nicht nur wir zu dieser Welt
gekommen,
sondern auch sie zu uns. Der restlos entdeckte G l o b u s ist durch unsere Erfindungen so klein geworden, dass er gewissermaßen über uns hereinbricht. 9 7
O h n e explizit auf konkrete Autoren hinzuweisen, spricht Ross zwar nostalgisch über die damalige Reiseliteratur, die bloßen Dokumentationszwecken diente. Durch seine Nostalgie zeigt sich jedoch auch, wie er die Reiseliteratur anderer Jahrzehnte
96
Ross, Der Balkan Amerikas 10. Hervorhebung von mir vorgenommen.
97
Ross, Der Balkan Amerikas 11. Hervorhebung von mir vorgenommen.
92
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
herabwertet und die Wichtigkeit seiner eigenen Texte ihr gegenüber hervorhebt. D e m Autor zufolge bestand die Aufgabe vorheriger Autoren darin, „Land und Leute" zu beschreiben. 98 Er spricht nicht ohne eine gewisse Ironie über die „schönen Zeiten", in denen man Bilderbücher schrieb, womit er auf das verweist, was man heutzutage die für Freizeit und Unterhaltung gedachten coffee-table-books
nennt. Damit
deutet er auf das populäre Genre der Reise- und Abenteuerromane der vorherigen Jahrzehnte hin, von denen er sich hier deutlich abgrenzt. Seine Mission als Reiseschriftsteller erscheint komplexer. Sie konzentriert sich nicht auf die Unterhaltung, sondern auf die ernsthaften und dringenden Ereignisse der Weltpolitik. Dies wird expliziter durch die Erklärung, dass in seiner Zeit die Welt „zu uns" gekommen ist. Diese Einstellung von Colin Ross beleuchtet, was unter Reiseliteratur im Nationalsozialismus verstanden wurde. W i e bereits im ersten Kapitel dargelegt, wandelte sich das Genre zu einer Gattung, die sich nicht auf die Beschreibung und Darstellung fremder Länder und Völker beschränkte, sondern die eher auf der Interpretation von politischen, wirtschaftlichen und historischen Zusammenhängen basierte. Die Änderung des Genres erklärt Ross damit, dass die Welt wegen ihrer angenommenen vollendeten Erforschung ihre ursprüngliche Reinheit und Faszination verloren hatte. Durch die neuen technischen Erfindungen ist die Welt zu einem kleinen O r t geworden, wo historische Ereignisse sich dem Autor geradezu aufdrängen. D a Ross, seiner Meinung nach, als Reisender auf der Welt nichts mehr geographisch neu erkunden konnte, blieb ihm nur noch, die oben genannten Zusammenhänge zu interpretieren. Wenn er über eine Welt, die „über uns hereinbricht", spricht, deutet er die politischen Anspannungen zwischen den beiden Weltkriegen an, welche er durch seine Beschreibung des politischen Panoramas Mexikos (des Streites zwischen Kommunismus und Kapitalismus) aufzeigt." Bezüglich seiner Haltung gegenüber der Weltpolitik behauptet Ross, als neutraler und objektiver Betrachter zu wirken. In Das Fahrten-
undAbenteuerbuch
( 1 9 3 3 ) gibt er seine unterschiedlichen Anstellun-
gen als Ingenieur, Kriegskorrespondent, Offizier und Reisender wieder und schreibt dabei seine „exakte Sachlichkeit" seiner Ausbildung als Ingenieur zu, welche ihm seine Tätigkeit als „Literat und Schriftsteller" nicht erschwerte, sondern diese eher vervollständigte:
So wurde ich Ingenieur [...]. Und so wenig Ausbildung und Tätigkeit des Ingenieurs scheinbar auch mit der des Literaten und Schriftstellers zu tun hat, so habe ich diese ungewöhnliche Vorbildung nie bereut. Sie gab mir einmal einen wertvollen Zuschuß exakter Sachlichkeit und Nüchternheit und ein größeres Verständnis für die realen Probleme unserer Zeit. 100
58 Ross bietet ein eingeschränktes Bild der Reiseliteratur der vorherigen Jahrhunderte dar. Viele dieser Texte wurden als soziopolitische Essays oder wissenschaftliche Abhandlungen konzipiert. Alexander von Humboldts Lateinamerika-Texte sind ein wichtiges Beispiel für diese Art von Reiseliteratur. 99 100
Dies wird in folgenden Kapiteln diskutiert. Ross, Das Fahrten- und Abenteuerbuch 10.
Kapitel II
93
Obwohl er nie einen belletristischen Text veröffentlicht hatte, bezeichnet sich Ross als einen literarischen Autor. Hier kann Roland Barthes' Konzept der Autortheorie herangezogen werden, welches den Unterschied zwischen écrivain (Schriftsteller) und écrivant (Schreibender) deutlich macht. Laut Barthes verfolgt der Schriftsteller bei der Verarbeitung der Sprache einen deutlichen literarischen Zweck, d.h. er verschafft einem Text durch poetische Merkmale und die Asthetisierung der Sprache seine Literarizität und schreibt ihn somit dem literarischen Diskurs zu. Der Schreibende oder écrivant vermittelt dagegen bloße Informationen, oder anders gesagt, er verwendet das Schreiben allein, um Ereignisse zu bezeugen, zu erklären oder zu beleuchten. Barthes zufolge lassen sich in den Texten eines écrivants keine stilistischen, sondern nur ideologische Merkmale erkennen. 101 Aus dieser Perspektive ist Ross eher ein écrivant, der keine ästhetischen Ambitionen bewusst hegt und dem die sachliche Interpretation der Weltereignisse wichtiger ist als die Asthetisierung seiner Reiseberichte. Obwohl eine genaue Analyse seiner Schriften die Verwendung gewisser literarischer Strategien und eine Asthetisierung der Sprache erkennen lässt,102 wird an dieser Stelle deutlich, dass Ross nicht bewusst auf einen literarischen Stil abzielte, sondern auf „exakte Sachlichkeit" und „Nüchternheit". Ross betrachtete mit Ernsthaftigkeit seine eigene Tätigkeit und Aufgabe als „Literat", da er sich aus seiner Perspektive nicht mit trivialen oder fiktionalen Themen befasste. In diesem Zusammenhang trennt Ross „literarisch" und „fiktional" nicht deutlich voneinander. Indem er sich an der von ihm wahrgenommenen sachlichen Realität orientiert, distanziert er sich von dem rein literarischen Aspekt des Genres, auch wenn Ross auf viele literarische Elemente — wie Metaphern, Erzählstrategien und eine gewisse durchdachte Rhetorik — zurückgreift. Auffällig ist, dass Ross trotz seiner Popularität auf dem deutschen Buchmarkt nie zum Kanon der deutschen Literatur gehörte. Gemäß seiner eigenen Wahrnehmung und Bezeichnung als Literat zieht Ross eine Parallele zwischen seiner „literarischen Begabung" und seinen technologischen Kenntnissen, wenn er seine Beiträge zur Verfassung eines mehrsprachigen technischen Wörterbuchs und seine Arbeit bei den Gazetten des Münchner Deutschen Museums als „literarisch" bezeichnet. Offensichtlich verstand Colin Ross die literarische Aufgabe nicht in einer ästhetischen Dimension, sondern nur als einen reinen mechanischen Prozess des Schreibens.
U n d da literarische Begabung unter Ingenieuren nicht allzu häufig, so war es nur natürlich, daß schon der junge Ingenieur alsbald in eine literarisch-technische Tätigkeit kam, zuerst auf der Redaktion der „Illustrierten technischen Wörterbüchern in sechs Sprachen" und dann beim „Deutschen Museum" in München. 1 0 3
101
Roland Barthes, „Écrivains et écrivants," Essais critiques (Paris: Éditions du Seuil) 150-151. Vgl. Kapitel IV bis VI von dieser Arbeit. 103 Ross, Das Fahrten- und Abenteuerbuch 10. 102
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
94
An dieser Stelle ist es nicht relevant, den Grad an Literarizität von Colin Ross' Texten einzuschätzen und sein Werk vor diesem Hintergrund der einen oder anderen Kategorie zuzuordnen. Vielmehr ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass Ross sich als einen Autor sah, der sowohl die technische als auch die geistige Dimension seines Umfelds verstehen konnte. So wie Roland Barthes behauptete: „est écrivain, celui que veut l'être". 104 Zwar fand Ross keine Anerkennung wegen seines vermeintlichen literarischen Talentes, doch war er umso berühmter für seine Rolle als Geopolitik-Experte. Aussagekräftig sind die Worte, mit denen er in einer Rezension zu seinem Film Das neue Asien aus dem Jahr 1941 beschrieben wird. In diesem Text gilt Ross als ein bekannter Weltreisender und Schriftsteller, der sich nicht „als Weltbummler und Globetrotter" auf den Weg machte, sondern „als Forscher, als Belauscher (sie) fremden Lebens und der geheimnisvollen Strömungen im weltpolitischen Geschehen". 105 Diese Worte verdeutlichen die geopolitische Natur von Colin Ross' Schriften.
104
Barthes, „Écrivains et écrivants" 150. „Deutscher Kulturfilm. ,Das neue Asien'," Der Auslandsdeutsche XXIX. Jhg., H. 4 (1941, April): 102-104. 105
KAPITEL III DIE REZEPTION VON DER BALKAN AMERIKAS UND MEXIKO IST ANDERS
Das Interesse für und die Publikation von Reiseliteratur brach im Nationalsozialismus nicht ab. Die entstandenen Werke knüpfen nicht nur an den literarischen Kontext im Dritten Reich, sondern auch an die literarische Tradition der vorherigen Jahrzehnte an. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, warum Autoren in dieser Zeit Lateinamerika bzw. Mexiko thematisch aufgriffen. Einen allgemeinen Überblick über die Relevanz dieser Werke bieten Literaturgeschichten der aus dieser Zeit, wie etwa diejenigen von Alfred Bartels, Joseph Nadel und Waldemar Ohlke oder kulturell-literarische Berliner Magazine wie die Europäische Revue (1925-1944) oder Bücherkunde (1934-1944). Dabei ist auffällig, dass Motive wie das „Fremde", das „Auslandsdeutschtum", die geographische Distanz und das Reisen in vielen Artikeln und Buchbesprechungen rekurrent auftauchen: In den Beschreibungen der Länder, die von Deutschen bereist wurden und des „Schicksals" dieser Deutschen an diesen Orten; Essays über Regionen außerhalb der Reichsgrenzen, in denen belletristische Texte in deutscher Sprache geschrieben wurden sowie Texte über politische Entwicklungen im Ausland und deren mögliche Auswirkungen auf Deutschland und auf das „Deutschtum". Prägend sind hier Vorstellungen des Reisens und der Mobilität, aber auch das Bewusstsein einer starken Verbundenheit zur Heimat und zur Nation. Auch wenn diese Konzepte in der NS-Diktatur eine andere Bedeutung erlangten, waren sie schon in der deutschen Romantik von ästhetischer und diskursiver Wichtigkeit, sodass sie von den Nationalsozialisten für propagandistische und militärische Ambitionen instrumentalisiert werden konnten. Texte und Autoren, die ihr literarisches Augenmerk auf diese Begriffe setzten, wurden selbstverständlich entsprechend der Logik der Nationsbildung des NS-Regimes positiv aufgenommen. Ein Großteil der Reiseliteratur in und außerhalb des nationalsozialistischen Deutschlands entsprach diesen Kriterien. Ihre Verbreitung und stetige Präsenz in Feuilletons, NS-Literaturgeschichten und Bücherregalen in Bibliotheken und Antiquariaten fordert einen aufmerksamen Blick. Allmählich erscheinen Beiträge zur Forschung des Reisens und v.a. über die Reiseliteratur der NS-Zeit oder Anthologien über Reisetexte bekannter Autoren, die das nationalsozialistische Deutschland bereist haben. Oliver Lubrich
96
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
z.B. bietet in mehreren Kompilationen 1 einen Überblick über Reisebeschreibungen ausländischer Autoren, die Deutschland während dieser Zeit bereisten, darunter das 2013 erschienene Tagebuch Unter Deutschen von John F. Kennedy. 2 Es gibt auch soziologisch-literarische Beiträge wie Johannes Grafs Studie Die notwendige Reise (1995), 3 die den Fokus auf die Reiseliteratur über Italien und den Massentourismus in NS-Deutschland legt. In seinem Werk analysiert Graf, wie das Reisen u n d der Tourismus, einen Rahmen für die Verbreitung nationalsozialistischer Einstellungen bot und Reiseberichte die Bedürfnisse der Bewegung Kraft-durch-Freude erfüllten. Colin Ross' Der Balkan Amerikas (1937) und Josef Maria Franks Mexiko ist anders (1938) sind, wie im ersten Kapitel angedeutet wurde, keine einzigartigen Erscheinungen. Diese Reiseberichte haben ihre Wurzeln in der Abenteuer-, Reise- u n d Migrantenliteratur der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und des 19. Jahrhunderts. Sie entstanden in einem politischen Kontext, in dem das Verständnis der Beziehungen Deutschlands zu anderen Ländern von der sogenannten Geopolitik geprägt war. Diese Geopolitik beeinflusste die Formen und Inhalte der Reiseberichte. Das Genre hat nicht nur eine reiche Tradition in der deutschen Sprache, sondern war auch beim deutschen Publikum sehr beliebt, weil Reiseberichte sich mit Themen der internationalen Politik befassten. Aus diesem Grund wurden die Reisetexte von Frank und Ross in Deutschland anders als in Mexiko rezipiert. Der in Mexiko-Stadt sitzenden Anti-NS-Bewegung „Freies Deutschland" war die Existenz dieser Reisebücher bekannt. In mehreren Artikeln und Essays, deren Verfasser nicht bekannt sind, werden diese der mexikanischen Leserschaft präsentiert, auch wenn in den Übersetzungen die ursprünglichen Teile umgestaltet und verfälscht wurden, um die Meinung des Publikums gegen den Nationalsozialismus zu lenken. Wie bereits im zweiten Kapitel erwähnt, waren Colin Ross und Josef Maria Frank relativ bekannte Autoren ihrer Zeit und zumindest Colin Ross galt als ein sehr bekannter und weit verbreiteter Reiseberichterstatter bis 1945. Eine interessante, wenn auch kompliziert zu beantwortende Frage, ist das Problem der Rezeption u n d Verbreitung ihrer Reiseberichte: Wie und wo wurden sie gelesen? Wie verbreitet waren sie und wo zirkulierten sie? Wie war ihre Rezeption? Welche Kritik wurde über sie geäußert und welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Auch extensive Recherchen in den Archiven und Bibliotheken Berlins, Marbachs und Mexiko-Stadt bringen nur wenig Material zu den spezifischen Werken hervor. Es gibt Daten aus Zeitungs- und Zeitschriftenabschnitten, persönliche Briefe sowie kurze Referenzen in den Literaturgeschichten der NS-Zeit, die einige Informationen zur Rezeption Franks und Ross' literarischer Werke, ihren literarischen Karrieren und ihren Reisetexten liefern können. Speziell zu Mexiko ist anders ist nur eine Rezension aus Deutschland aus dem
1 Oliver Lubrich, Reise ins Reich. 1933-1945. Ausländische Autoren berichten aus Deutschland (Frankfurt: Eichborn, 2004). 2 John F. Kennedy, Unter Deutschen. Reisetagebücher und Briefe (1937-1945), Hrsg. Oliver Lubrich (Berlin: Aufbau, 2013). 3 Johannes Graf, „Die notwendige Reise. " Reisen und Reiseliteratur junger Autoren während des Nationalsozialismus (Stuttgart: M & P, 1995).
Kapitel III
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Jahr 1942 vorhanden und zu beiden Werken insgesamt drei aus dem Jahr 1943 aus Mexiko. Besprechungen über Der Balkan Amerikas in deutschen Publikationen sind jedoch nicht auffindbar. Trotz des Mangels an Daten, soll im Folgenden versucht werden, die Rezeption möglichst genau nachzuzeichnen. Die Rezeption eines Textes kann man als eine Art ästhetischer Konkretisierung verstehen, oder anders formuliert, als die Wirkung eines literarischen Textes auf die Leser und dessen Effekte. Wolfgang Iser nennt zwei unterschiedliche Pole für das Literarische: Den künstlerischen Pol und den ästhetischen Pol, wobei der erste als Prozess des Erschaffens eines Textes durch seinen Autor verstanden wird, während der zweite sich auf die vom Leser geleistete Konkretisierung bezieht. 4 Iser versteht das „Gelesenwerden der Texte" als „eine unabdingbare Voraussetzung für die verschiedenartigsten Interpretationsverfahren und damit als einen Akt, der den Ergebnissen der einzelnen interpretatorischen Zugriffe immer schon vorausliegt". 5 In diesem Interpretationsprozess spielen soziokulturelle Faktoren eine wichtige Rolle, denn diese bestimmen die Art und Weise, in der ein Text verstanden und weitergegeben wird. Aus diesen Interpretationen entstehen psychologische und affektive Wirkungen auf den Leser. Die Analyse der Texte verlangt eine Methodik, in die der Leser miteinbezogen wird. Auf diese Weise wird der Leser als eine aktive Instanz begriffen, 6 in der die pragmatische Dimension eines Textes verstanden wird: Die Information, die eine Aussage liefert, so Stanley Fish, ist nur ein Bestandteil der Bedeutung, denn Bedeutung ist auch das Erlebnis einer Aussage.7 Auch wenn Colin Ross und Josef Maria Frank mit ihren Mexiko-Reisebüchern bestimmte Zwecke verfolgten, wurden diese von den Lesern entweder genauso oder anders wahrgenommen. Die Umstände bzw. unterschiedliche soziokulturelle Faktoren dieser Rezeption beeinflussen diese Konkretisierung. Während Ross und Frank in Deutschland bereits einen Ruf und eine Karriere als Autoren hatten - insbesondere Ross mit seiner Popularität als Reiseberichterstatter geopolitischen Tons - wurden ihre Texte in Mexiko nie ins Spanische übersetzt und ihre Wahrnehmung bei dem mexikanischen Publikum war durch die spezifischen politischen Interessensgruppen, wie der NS-Widerstandsbewegung Alemania Libre in Mexiko-Stadt, stark beeinflusst. Bemerkenswert ist die unterschiedliche Rezeption der gleichen Texte in beiden Ländern. Während in Deutschland Mexiko ist anders wegen seiner Sachlichkeit und Distanz gegenüber dem betrachteten Objekt gelobt wird, werden Franks und Ross' Reiseberichte in Mexiko in der Zeitung Alemania Libre als „abwertend", „rassistisch" und „nationalsozialistisch" bezeichnet und ihre Autoren sofort mit Adolf Hitler in Verbindung gesetzt, obwohl bekannterweise nur Colin Ross einen direkten Kontakt zu den Nationalsozialisten vorzuwerfen ist. Die Gründe für die unterschiedlichen Haltungen gegenüber diesen Büchern lassen sich durch
4
Wolfgang Iser, Der Akt des Lesens (Stuttgart: W. Fink U T B , 1984) 38.
5
Iser, Der Akt des Lesens 37.
6
Stanley Fish, „Literatur im Leser: Affektive Stilistik," Rezeptionsästhetik, (Stuttgart: W. Fink U T B , 1975) 196. 7
Fish, „Literatur im Leser" 205.
Hrsg. Rainer Warning
98
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
den Kontext erklären. Die deutschen Rezensenten trugen Mitte des 20. Jahrhunderts nicht nur die NS-Ideologie jener Zeit in sich, sondern auch die Vorstellungen von der auf Mexiko bezogenen Reise- und Abenteurerliteratur der vorherigen Jahrzehnte. Die Auffassungen, die die Leserschaft durch diese zwei Elemente bildete, bestimmen ihre Textwahrnehmung. D a die Besprechung Josef Maria Franks Mexiko ist anders in einer konservativen Zeitschrift (Europäische Revue) veröffentlicht wurde, ist es nicht erstaunlich, dass Franks Kritik am Kommunismus nicht als ein negatives Merkmal hervorgehoben wird. Hingegen gelten im Allgemeinen der Objektivitätsgrad und die Glaubwürdigkeit der Reiseberichte von Frank und Ross — und nicht die ideologischen Züge - als ihre beachtungswürdigsten Merkmale. Die Umstände waren jedoch andere in Mexiko. Das rassistische und anti-kommunistische Element fällt inmitten einer Gesellschaft, die von dem postrevolutionären Mestizen-Diskurs tief geprägt war, sofort auf. Wichtig ist auch, den Selbstwert der Mexikaner als raza de bronce, wie José Vasconcelos alle Lateinamerikaner bezeichnete, hervorzuheben und im Kontext der Olenteignungen Mexikos durch die Weltmächte zu betrachten. Im Folgenden werden anhand der existierenden Rezensionen die „Konkretisierungen" der Reiseberichte in beiden Ländern diskutiert.
I . MEXIKO
IST ANDERS ALS P O L I T I S C H E R T E X T I N D E U T S C H L A N D
Im Jahr 1940, während des Zweiten Weltkriegs, besteht ein auffälliges Interesse an Lateinamerika-Büchern oder zumindest entsteht dieser Eindruck durch die Veröffentlichung der Sektion „Südamerika Bücher", 8 der sich die Januar-Juni-Ausgabe des prestigeträchtigen konservativen Magazins Europäische Revue1 widmete. Es gibt nicht nur die kulturellen und literarischen Gründe für diese Aufmerksamkeit, die schon im ersten Kapitel diskutiert wurden, sondern auch politische. Die Bedeutung der Region im wirtschaftlich-strategischen Sinne war zu der Zeit aufgrund der im Krieg benötigten Rohstoffe, insbesondere des Öls, sehr groß. Laut der geopolitischen Interpretation dieser Zeit war Lateinamerika von „außerordentlichem Interesse (...) nicht nur wegen der Rassefragen, sondern vor allem wegen seiner von Jahr zu Jahr wachsenden Bedeutung für die Weltwirtschaft und seiner vielfältigen politischen Kombinationen". 1 0
8 Otto von Sethe und Theodor Heuss, „Südamerika Bücher," Europäische Revue, XVI. Jhg. (1949, Januar-Juni) 107-109. 5 Die Europäische Revue galt seit ihrer Gründung in den 20er Jahren als eine konservative Zeitschrift, wechselte ab 1933 zu einer nationalsozialistischen Richtung, als sie von Goebbels Propagandaministerium beschlagnahmt wurde. Trotzdem trugen wichtige Autoren wie Theodor Heuss, Karl Vossler - prominenter Hispanist - , Aldous Huxley und Thomas Mann zum Magazin bei. Vgl. Hans-Christof Kraus, Hrsg., Konservative Zeitschriften zwischen Kaiserreich und Diktatur. Fünf Fallstudien (Berlin: Duncker & Humblot, 2003). 10 Von Sethe, „Südamerika Bücher" 108.
Kapitel III
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Als Teil dieser Sektion „Südamerika Bücher", die aber nur in dieser Ausgabe erschienen ist, wird eine kurze Rezension von Otto von Sethe über Josef Maria Franks Mexiko ist anders präsentiert, zusammen mit weiteren kurzen Besprechungen über andere Lateinamerika-Bücher wie Hans Helfritz' Mexiko früher und heute (1939) und Wolfgang Hoffmann-Harnischs Brasilien (1938). Wenn aber Franks Romane für ihre Leichtigkeit, ihren Humor und ihren Moralismus bekannt waren, so machte sein Reisebuch, in dem Frank sich mit politischen, sozialen und historischen Aspekten Mexikos befasst, einen ernsthaften, objektiven Eindruck auf die Leser. Zuerst fällt auf, dass Mexiko ist anders als ein Uberblick einer von „Rassen" bewohnten Region rezipiert wird, was sowohl Colin Ross' als auch Josef Maria Franks Verständnis der mexikanischen Gesellschaft jener Zeit entspricht: Eine aus der Mischung und Konfrontation ethnischer Gruppen entstehenden Nation. „Erdteil dreier Rassen" bezeichnet Otto von Sethe Südamerika und beschreibt es weiter mithilfe von Aussagen, die nicht nur dem rassistischen Zeitgeist des Nationalsozialismus, sondern auch dem des abendländischen Rassengedankens entsprechen: „Man könnte auch von sechs Rassen oder mehr sprechen, wenn man neben Weißen, Roten und Schwarzen in Südamerika noch die Splitter von Gelben und Braunen und die Mischlinge mitzählen wollte".11 Von Sethe erörtert weiter diese rassistische Frage und hebt insbesondere Franks Sorge über die Zukunft des „weißen Mannes" im postrevolutionären Mexiko hervor. Auch wenn Frank eine harte Kritik an der Unterdrückung der ausländischen bzw. europäischen Elemente zugunsten der Indigenen in Mexiko äußert, versucht der Rezensent die Wirkung und Breite dieser Politik zu minimieren: „Eine Mehrheit haben die Indios aber nur, wenn man die Mischlinge zu ihnen rechnet, die sich heute selbst zu den Indios schlagen und die Abstammung von den Weißen verleugnen".12 Von Sethe bezieht sich auf Franks Aussagen in Mexiko ist anders, in denen der Autor darauf hinweist, dass viele Mestizen sich selber als Indios sehen. Ebenso wie Frank bezeichnet Von Sethe diese Selbstwahrnehmung als heuchlerisch und lehnt somit die Tatsache ab, dass die Indigenen eine „Mehrheit" der Bevölkerung bildeten — denn die „Mischlinge" seien keine authentischen, „reinblutigen" Indigenen. Trotz Franks Äußerungen über eine dem „weißen Manne" feindliche Atmosphäre in Mexiko, greift Von Sethe auf das Beispiel anderer lateinamerikanischer Länder zurück, in denen das Verdrängen der Europäer nicht erfolgreich war, so der Rezensent.13 Ohne sie direkt zu nennen, verweist er vermutlich damit auf Brasilien, Chile, Uruguay und Argentinien, wo die Bevölkerung Anfang des 20. Jahrhunderts stark durch europäische Einwanderer geprägt war.14 Diese Länder waren wegen ihrer deutschen „Kolonien" schon längst in Deutschland bekannt. Auf diese Weise zeigt sich Von Sethe skeptisch gegenüber Frank und v.a. gegenüber der mexikanischen
11
Von Sethe, „ S ü d a m e r i k a Bücher" 108.
12
Von Sethe, „ S ü d a m e r i k a Bücher" 108.
13
Von Sethe, „ S ü d a m e r i k a Bücher" 109.
14
Leslie Bethell, ed., Historia de América Latina,
c. 1 8 7 0 - 1 9 3 0 (Bacelona: Crítica, 1991) 1 1 0 - 1 1 1 .
B d . 7 A m é r i c a Latina: E c o n o m í a y Sociedad,
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Enteignungspolitik, welche hier mit einem rassistischen Charakter verstanden wird, den sie eigentlich nie hatte: „Und wird die Politik gegen die Weißen auf die Dauer Erfolg haben? Die Entwicklung in anderen südamerikanischen Staaten, m u ß das als fraglich erscheinen lassen".15 Diese Sorge geht über das Politische hinaus und weist auch auf das religiöse Element hin. Nicht nur Frank, sondern auch der britische Autor D. H . Lawrence befürchtet in seinem Roman The Plumed Serpent (1927), dass die Unterdrückung des Christentums durch die Politik von Lázaro Cárdenas im postrevolutionären Mexiko zu der Wiederentstehung der aztekischen Religion führen könnte." 5 Von Sethe mildert aber diesen Fatalismus ab, indem er schreibt: „Hand in Hand mit der Politik gegen den Weißen geht die Zurückdrängung des Christentums. Aber noch sitzt die christliche Religion tief im Herzen gerade der gehätschelten Indios, und es ist sehr fraglich, ob man sie daraus verdrängen kann". 17 Durch seine Rhetorik versucht er offensichtlich alle fatalistischen Töne zu minimieren. Mit den Wörtern „Herzen" und „gehätschelt" bildet er eine gewisse Emotionalität um das Bild der Indios und zeigt sie als brav und ungefährlich, im Gegensatz zu der aggressiven Konnotation des aztekischen Kultes. Seine Wahrnehmung von Josef Maria Franks Interpretationen des postrevolutionären Mexikos bleibt misstrauisch. Bemerkenswert ist auch, wie von Sethe das Zurückdrängen der westlichen Zivilisation in Mexiko als unmöglich betrachtet und vor allem wie er historische Prozesse, wie die Eroberung und Kolonisierung durch die Spanier, als positiv für die Entwicklung Mexikos und des ganzen südamerikanischen Kontinents interpretiert: Trotz mancher gegenteiliger Anzeichen, vor allem in Mexiko, kann aber wohl nicht bezweifelt werden, daß der Charakter des Landes auch in Z u k u n f t durch die Geschichte, das heißt durch Spanier und Portugiesen, allgemein also durch die weiße Rasse und durch den christlichen Glauben bestimmt werden wird und daß die Entwicklung, die seit Cortez und Pizarro eingesetzt hat, kaum endgültig rückgängig gemacht werden kann. 1 8
Im Vordergrund dieser Rezension stehen schließlich auch die positiven Merkmale von Franks Mexiko ist anders, welche sich von der Realitätsferne der Romantik und fiktiven Elementen distanzieren. Von Sethe schätzt sowohl die „lebhafte" Natur dieser Reiseschilderung, als auch das „impressionistische" sehr hoch, wobei mit „impressionistisch" die direkte hautnahe Erfahrung des Autors gemeint ist: „Der Zerstörung der
15
Von Sethe, „Südamerika Bücher" 109. Hiermit bezieht sich Von Sethe anscheinend auf den Guerra Cristera von 1926-1929, währendessen Mitglieder der mexikanischen katholischen Kirche verfolgt und viele Tempel geschlossen wurden. Sowohl bei ihm als auch bei Frank geht es um ein Missverständnis oder eine Verfälschung der historischen Ereignisse, da dieser Krieg gegen die Kirche von Präsident Plutarco Elias Calles gefuhrt wurde, und nicht von Lázaro Cárdenas. 17 Von Sethe, „Südamerika Bücher" 109. 18 Von Sethe, „Südamerika Bücher" 109. 16
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in Europa noch häufigen pseudoromantischen Vorstellungen eines TrommelrevolverGangstertums in Mexiko widmet Josef Maria Frank sein impressionistisch gehaltenes, lebhaftes Buch ,Mexiko ist anders'".19 Objektivität war für das damalige Genre des geopolitischen Reiseberichtes sehr wichtig und für einen Autor war es auch entscheidend, eine solche Wirkung zu erzielen, um auf dem Buchmarkt ernst genommen zu werden: „Bei allem Eindringen in wichtige Einzelfragen bewahrt er sich immer Distanz und damit einen selbständigen Standpunkt".20 Zu dieser Sachlichkeit, die Frank bereits auf den ersten Seiten seines Reiseberichts hervorhebt, gehört die Abwesenheit von Phantasie und romantischen Tönen. In seiner Beschreibung von Mexiko ist anders zeigt Von Sethe deutlich seine starke Ablehnung des romantischen Geistes. „Pseudoromantische Vorstellungen eines TrommelrevolverGangstertums" sind in die Welt der Abenteuer-Romane des vorherigen Jahrhunderts, zu den Jugendlektüren der Generation von Josef Maria Frank und Colin Ross zählen, einzuordnen. Die Assoziierung mit einem „Trommelrevolver-Gangstertum" verbindet sich mit kindlichen, spielerischen Konnotationen. Autoren geopolitischer Reiseberichte schienen alle abenteuerlichen Töne vermieden zu haben, da diese angesichts der Anspannungen, welche die Konfiguration der damaligen Welt mit sich brachte, als démodé wirkten. Hier wäre es sinnvoll, auf das Beispiel Colin Ross' zurückzugreifen und sich daran zu erinnern, wie er auch fiir seine Objektivität und seine Ähnlichkeit zu Humboldt gelobt wurde. Ein klarer Blick und Rationalität werden von der Kritik dieser Zeit gegenüber Sensibilität und Emotion favorisiert. Deshalb soll sich das Reisebuch des 20. Jahrhunderts dem Geist der Moderne anpassen und dadurch von der Gattung des 19. Jahrhunderts und der Abenteuerliteratur distanzieren, wie es aus Theodor Heuss' Worten herauszulesen ist: „Die subjektive Empfänglichkeit des empfindsamen Reisenden vermittelt Reiz, Anschauung, wenn nicht Kenntnisse, so doch Erkenntnisse".21 In diesem Kontext muss beachtet werden, inwiefern die politische Atmosphäre zu Beginn des Zweiten Weltkrieges den Wunsch auf objektive Analyse hätte anspornen können. In Zeiten von Revolutionen wie denen in Mexiko und Russland, und der Rivalität zwischen kapitalistischen Weltmächten (Großbritannien und den USA), faschistischen Diktaturen (Deutschland und Japan) und der Sowjetunion blieb die Frage, wem es möglich wäre, sich wirtschaftlich und politisch durchzusetzen. In diesem Sinne rückten die Entwicklungen von Regionen wie Lateinamerika bzw. Mexiko in den Mittelpunkt der Reiseberichterstatter - und deren Leser.
19 20 21
Von Sethe, „Südamerika Bücher" 108. Von Sethe, „Südamerika Bücher" 108. Theodor Heuss, „Südamerika Bücher," Europäische Revue, XVI. Jhg. (1949, Januar-Juni) 107.
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2. EINE ANGSTERREGENDE REZEPTION: D I E BEWEGUNG ALEMANIA LIBRE STELLT SICH IN MEXIKO-STADT GEGEN COLIN
Ross UND JOSEF MARIA FRANK
Obwohl die Rezeption von Der Balkan Amerikas und Mexiko ist anders in Deutschland beschränkt gewesen sein mag, war dies trotz der Inexistenz spanischer Übersetzungen in Mexiko-Stadt anders. Diese Reiseberichte gewannen an Aufmerksamkeit unter den in Mexiko lebenden anti-nationalsozialistischen Exilanten, insbesondere unter der Bewegung Alemania Libre. Wie bereits diskutiert, hatten die Werke von Ross und Frank in Deutschland eine gewisse Berühmtheit, insbesondere die Werke und die zahlreichen Reisen von Colin Ross. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass deren jeweilige Reiseberichte über Mexiko den NS-Widerstand in Mexiko-Stadt über den einen oder anderen Weg erreichten. Schon damals wurde in der Zeitung Alemania Libre, Organ der bereits erwähnten Anti-NS-Bewegung22 berichtet, dass diese Bücher an vielen Orten in Mexiko-Stadt zu finden waren. In mehreren Ausgaben aus dem Jahr 1942 finden sich insgesamt vier Hinweise zu den hier untersuchten Reiseberichten in unterschiedlichen Texten, die aber nicht als strikte Rezensionen klassifiziert werden können. Vielmehr handelt es sich um Artikel, welche diese Bücher in kleinen Essays oder Reportagen thematisieren und eher als eine Art Aufruf an die mexikanischen Staatsbürger gegen die nazifascistas und deren Gefahr für Lateinamerika und Mexiko gelesen werden können. Diese Artikel erscheinen zumeist unterschriftslos; nur einer von ihnen wird von Rudolf Fürth (pseudonym von Rudolf Feistmann) unterschrieben. Die inhaltliche und stilistische Ähnlichkeit dieser Texte erlaubt die Vermutung, dass alle von der gleichen Person verfasst worden sind. Der Fatalismus dieser Texte ist nicht überraschend. Alemania Libre zählte etwa 30.000 Abonnenten und wurde in Kanada, den USA, England und Lateinamerika verkauft.23 Auffällig ist, dass sie auch mexikanische Provinzstädte und kleinere Hauptstädte in Mittelamerika erreichte, weshalb ihr Wirkungspotential relativ groß war. Alemania Libre widmete sich sorgfältig dem Denunzieren faschistischer Aktivitäten in Mexiko, der Verbreitung eines positiven Bildes des „authentischen",
22 Die Zeitung Alemania Libre hatte Alexander Busch als Chefredakteur und Antonio Castro Leal, ehemaliger Rektor der UNAM in den 20er Jahren, als juristischen Repräsentanten. Diese Zeitschrift gehörte zu einem Netz unterschiedlicher Anti-NS-Gruppen, die sich in Mexiko-Stadt Anfang der 40er Jahren organisiert hatten. Dazu gehörten der Heinrich-Heine-Klub, die Liga ProCultura Alemana, und der Verlag „El Libro Libre", der Texte der in Mexiko exilierten deutschen Autoren kommunistischer Gesinnung (Anna Seghers, Ludwig Renn, Bruno Frank, etc.) publizierte, zusammen mit anti-NS-Propaganda-Biichern wie El libro negro del terror nazi en Europa (México: El Libro Libre, 1943). Alemania Libre wurde von 1941 bis 1946 veröffentlicht, im Zusammenhang mit einer Fassung in deutscher Sprache Freies Deutschland. Deren Erscheinen hörte nach der Auflösung der Exilanten-Gruppen und der Rückkehr vieler ihrer Mitglieder nach Deutschland auf. Mehr dazu siehe: Markus Patka, Zu Nahe der Sonne (Berlin: Aufbau, 1999) und Adrián Herrera Fuentes, „Viaje al país de los aztecas": la experiencia mexicana de José María Frank, Magisterarbeit, Tecnológico de Monterrey, 2008. 23 Hans Kaufmann und Dieter Schiller, Hrsg., Geschichte der deutschen Literatur von den Anfingen bis zur Gegenwart, Bd. 10: 1917 bis 1947 (Berlin: Volk und Wissenvolkseigener Verlag, 1973) 474.
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d.h. nicht-nationalsozialistischen, Deutschlands und vor allem versuchte sie das mexikanische Publikum von der Wichtigkeit des Kampfes gegen das NS-Regime und den nazifascismo zu überzeugen, da diese eine Bedrohung für Mexiko und Lateinamerika darstellten. 24 Zumal diese Themen in der Rezeption von Mexiko ist anders und Der Balkan Amerikas wieder aufgegriffen werden: In allen vier Texten wiederholt sich die gleiche Thematik. Dabei ist festzustellen, dass weder Franks noch Ross' Texte direkt zitiert, sondern eher durch falsche Übersetzungen umformuliert werden. Teilweise werden Fragmente aus ihrem Kontext entnommen. Durch Änderungen in der spanischen Ubersetzung werden antimexikanische und rassistische Töne übertrieben oder hinzugefügt, die an vielen Stellen der deutschen Fassung weniger stark oder gar nicht vorhanden sind. Durch diese Strategie gelingt es dem neuen Vermittler, Der Balkan Amerikas und Mexiko ist anders mit den Zielen von Alemania Libre zu verquicken und Themen wie Kolonialismus, Rassismus und Ausbeutung der Ressourcen zu betonen. Diesen Themen gegenüber waren die mexikanischen Nationalisten der neu entstandenen postrevolutionären Republik besonders sensibel. Die unterschiedlichen Zitate aus Mexiko ist anders und Der Balkan Amerikas werden nie auf Deutsch weitergegeben, sondern übersetzt. Sie werden aus dem linguistischen Co-Text (Kontext), zu dem sie ursprünglich gehören, separiert und verlieren dadurch einen Teil der Bedeutungswerte, die sie innerhalb des originalen Intratextes und soziologisch-historischen Kontextes hatten. 25 Durch ihre Einfügung als Intertexte in einen spanischen Text, werden Ross' und Franks Zitate in einem textuellen und historisch-zeitlichen Kontext neu interpretiert, in dem sie andere Werte gewinnen 26 und sich dadurch aus der antifaschistischen Sicht der Zeitschrift kritisieren lassen. Anhand der von Lopez de Mariscal vorgeschlagenen Terminologie der ideologischen diskursiven Strategien 27 kann man diese Verarbeitung den folgenden Mechanismen zuordnen: 1. Addierung oder Fügung. Neue Aussagen werden zu den ursprünglichen hinzugefügt. 2. Ersatz oder Substitution. Manche Aussagen werden durch andere Aussagen ersetzt. 3. Suppression oder Verdrängung. Manche Elemente des ursprünglichen Textes werden gestrichen.
' 24 Adrián Herrera Fuentes, „'Die Sonne und Freiheit einer zweiten Heimat': La comunidad alemana exiliada en México a través de su prensa (1941-1946)," México como punto de fuga real o imaginario, eds. Di Stefano y Peters (Frankfurt: Meidenbauer, 2011) 224. 25 Eine Übersetzung findet sich laut Martínez Fernández „fuera del co-texto lingüístico en el que están insertas, perdiendo parte de los valores significativos adquiridos en relación con el contexto (en el doble sentido de co-texto o conjunto textual - intratextual - y situación histórica y social - contexto situacional)." Vgl. José Enrique Martínez Fernández, La intertextualidad literaria (Madrid: Cátedra, 2001) 94. 26
Martínez Fernández, La intertextualidad 94. Blanca López de Mariscal, Relatos y relaciones de viaje al Nuevo Mundo en el siglo XVI (Madrid: Polifemo, 2004) 182. 27
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Der neue Kontext, in dem Frank und Ross rezipiert und neu interpretiert werden, besitzt bestimmte Bedingungen. Die Zeitschrift Alemania Libre hatte eine starke antifaschistische, kommunistische Ausprägung. Zu dem Zeitpunkt als die hier untersuchten Reiseberichte kommentiert wurden (1942), stand die mexikanische Regierung kurz davor, Deutschland den Krieg zu erklären. Vor diesem Hintergrund lässt sich verstehen, weshalb die Leser sich nicht auf das Zitieren und Rekontextualisieren beschränkten, sondern darüber hinaus die Originale ihrem eigenen ideologischen Kontext anpassten, indem sie die ideologischen Züge von Frank und Ross emphatischer erscheinen liessen. Der Übersetzer hatte den Vorteil, dass seine Leser keinen Zugang zu den ursprünglichen Texten hatten und ihnen auch keine Angabe darüber gegeben wurden. Dies verhinderte, das übersetzte Zitat mit dem Original vergleichen zu können. Durch diese Strategien und andere sprachlichen Merkmale wurden in den Lesern spezifische Emotionen geweckt. Angst, Empörung, Nationalstolz und vor allem die Vermittlung einer gewissen Dringlichkeit, sich gegen die Nationalsozialisten wehren zu müssen, sollten dazu beitragen, mit diesen kleinen Essays beim Publikum auf die Gefahr des Nationalsozialismus hinzuweisen und die öffentliche Unterstützung für eine Teilnahme Mexikos am Zweiten Weltkrieg zu gewinnen. Die Zeitschrift Alemania Libre kümmerte sich intensiv darum, fast in jeder Ausgabe die Orte in der mexikanischen Hauptstadt und in anderen Städten zu benennen, wo NS-Bücher oder NS-Propagandamaterial verteilt wurden, oder gewisse Institutionen aufzulisten, die faschistische Ideen propagierten. Darunter befanden sich selbstverständlich die deutschen Schulen, welche im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des NS-Widerstandes standen. Im Februar 1942 wurde in einer Nachricht die Alexander-von-Humboldt-Schule in Mexiko-Stadt mit Josef Maria Frank in Verbindung gebracht, in der sogenannte „Schutzmaßnahmen" der Schule beschrieben werden. Diese Maßnahmen bestanden darin, NS-Schulbücher von Fächern wie Geschichte, Ethnologie und Rassenkunde in der Schule zu bewahren und Schüler davon abzuhalten, jene Titel mit nach Hause zu nehmen. In den darauffolgenden Zeilen wird Josef Maria Franks Beurteilung dieser Schulen wiedergegeben: „El escritor nazi José Maria Franc (sic) las califica en su libro de viajes sobre México como "uno de los puestos activos más fuertes del nacionalsocialismo".28 Auch wenn Frank in seinem Reisebericht Bilder der deutschen Schule präsentiert und kurz darüber berichtet, erwähnt er tatsächlich nie deren Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus. Wie im sechsten Kapitel dargelegt wird, verwendet Frank nie das Wort „Nazi" und verteidigt hingegen die Idee, dass in deutschen Institutionen in Mexiko-Stadt keine Propaganda verteilt wurde. Die politische Neigung der in Mexiko lebenden Deutschen thematisiert er auch nicht. Obwohl Franks Werke außerhalb des deutschen Sprachraums kaum bekannt waren, ist die Tatsache, dass er angeblich „Nazi" war, der einzige Grund dafür, weshalb auf ihn und sein Werk hingewiesen werden sollte. Deshalb wird er emphatisch mit dem Adjektiv „nazi" beschrieben.
28
„Los colegios alemanes, centros de propaganda nazi," Alemania Libre 21. Februar, 1 9 4 2 : 2 - 3 .
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Ein kleiner Verein deutscher Frauen wurde ebenfalls von Alemania Libre beobachtet. Dieser Verein verfugte über eine kleine Bibliothek und öffentliche Bücherregale, oder wie es diese Zeitung nannte, eine „biblioteca circulante", in der „sowohl antidemokratische Bücher als auch die wichtigsten Propagandaschriften des Nationalsozialismus verteilt wurden". 29 Unter dieser „Hetzliteratur" befanden sich sowohl Bücher gegen „die mexikanische Demokratie", als auch gegen „England und die USA". Zu diesen Titeln gehörten auch „el libro de Colin Ross 'México, los Balcanes de América y un libro del escritor José María Frank; en estas dos obras se fustiga a México del modo más salvaje".30 Hier werden zwei Wörter metaphorisch verwendet, die an die spanische Kolonisation und an die Versklavung der Indigenen erinnern: „salvaje" (wild, aggressiv) und „fustigar" (auspeitschen), die im Spanischen in Bezug auf Tiere oder Sachen verwendet werden können und hier als Metapher zur Sklaverei erscheinen. Diese Rhetorik bezieht sich auf den kolonialistischen Ton, in der Alemania Libre diese Texte interpretierte. Darüber hinaus wollte man durch diese Sprachmittel die Grausamkeit der NS-Armee und der Verfolgung und Vernichtung aller für die Nazis als minderwertig geltenden sozialen und ethnischen Gruppen in den Konzentrationslagern evozieren. Die Brutalität des Genozids war 1942 bereits außerhalb Europas bekannt. Es scheint, dass hiermit den mexikanischen Lesern vermittelt werden sollte, dass die Nationalsozialisten Mexiko aus einer ähnlichen Perspektive betrachteten. In den folgenden Artikeln von März und September 1942 werden weiter die Inhalte von Mexiko ist anders und der Balkan Amerikas diskutiert, wobei auffällig ist, dass keine Details über Franks oder Ross' Leben erscheinen: Was für Autoren waren sie? Welche Titel hatten sie schon veröffentlicht? Wann und wo waren sie in Mexiko gewesen? Wegen des Mangels an Informationen wird ein vages Bild der Reisenden geschaffen, die aber stets nur als „Nazi" bezeichnet und als „Gesandte von Goebbels" getadelt werden. Aus diesem Grund verschwand der Wert der Textauszüge in ihrem ursprünglichen Kontext schnell. Am 15. März 1945 erschien von Rudolf Fürth der Artikel „La opinion que los nazis tienen de México", eine Zusammenfassung einer Radiosendung, die am Vortag über Radio Nacional ausgestrahlt und in Der Balkan Amerikas kurz kommentiert wurde. El doctor Goebbels, ministro de propaganda de Hitler, envió a México hace algunos años a u n o de sus agentes, llamado Collin (sic) Ross. Este escritor nazi i n f o r m ó sobre su viaje
29
Das ursprüngliche Zitat lautet: „El ,Hogar' del grupo femenil alemán del movimiento nazi en México sostiene entre otras cosas una biblioteca circulante en la que se reparten continuamente libros contra la democracia, así como los escritos propagandísticos más importantes del nacionalsocialismo (...). Entre ellos está el conocido libro ,La Casa Blanca convertida en la casa judía', el libro de Colin Ross .México, los Balcanes de América' y un libro del escritor José María Frank; en estas dos obras se fustiga a México del modo más salvaje." Aus „Biblioteca circulante de la Quinta Columna," Alemania Libre 7. März, 1942: 2. Übersetzung von mir angefertigt. 30 „Biblioteca circulante de la Quinta Columna," Alemania Libre 7. März, 1942: 2. Für das originale spanische Zitat siehe Note 29. Der Titel von Ross Buchs wird in den verschiedenen Artikeln anders angegeben.
106
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus a Mexico en su libro "El Balean de America". Ya el título del libro es un ultraje a México, pues con el nombre de Balcán el hitleriano Ross quiere significar "desorden, caos, falta de cultura." Pero todavía contiene este libro otras insolencias que revelan la verdadera "estimación" que los nazis sienten por México. Para Ross, el agente nazi, "no existe una nación mexicana". Este escritor nazi escribe textualmente en su libro "En siglos no existirá todavía una nación mexicana. México es un concepto sin contenido". 3 '
Im Artikel wird 17 Mal das Wort „nazi" erwähnt, entweder als Adjektiv oder als Substantiv. Und wie man an diesem Zitat sehen kann, galt Colin Ross nicht, wie in Deutschland, als der mutige Reisende, der Humboldt ähnelte, sondern als bloßer „escritor nazi", „hitleriano" oder „agente nazi". Aus der Semantik dieser Wörter entsteht ein aggressives und feindliches Bild des Autors. Die Phonetik des Wortes „hitleriano" verstärkt dieses Gefühl, denn eine Kombination von explosiven Konsonanten, die im Spanischen nicht üblich sind, muss ausgesprochen werden. Außerdem taucht fünf Mal das Wort „México", das achtzehn Mal im ganzen Artikel erscheint, und zwei Mal „nación mexicana" im Zusammenhang mit semantisch negativen Wörtern wie „ultraje" und „insolencias" auf. Zudem wurde der Autor als Mexiko-Gegner dargestellt und ihm Beleidigungen gegen Mexiko zugeschrieben. Durch die Verweigerung der Existenz einer „mexikanischen Nation" wurden in den Lesern Gefühle des Nationalstolzes angeregt und geweckt. Es darf nicht vergessen werden, dass sich in dieser Periode Mexiko als moderne, unabhängige Nation zu etablieren versuchte. Bemerkenswert ist in dem oben angegebenen Zitat auch der Hinweis auf Ross' Verleugnung des Konzepts von Mexiko als (homogener) Nation. Es handelt sich an dieser Stelle offensichtlich um einen deutlichen Fall von Bedeutungsänderung durch Entkontextualisierung, da Ross eigentlich nie über die Inexistenz eines Mexikos spricht, sondern von einem Land, das aus einer Vielzahl und Vielfalt von Nationen und Kulturen entstand. Er behauptet: „Mexiko ist ein Begriff ohne Inhalt, oder vielmehr einer mit allzu vielen Inhalten".32 Dies wird aber im Artikel nicht erwähnt und Ross' Wörter werden vereinfacht. Von dem Originalabsatz werden nur ein paar Zeilen verwendet, um diese dem Zweck des neuen Kontexts anzupassen. Ideen des Mischlingsdiskurses, sowie der Nationalisierung und Enteignung der Bergbauwerke und des Öls waren während der Cardenas-Regierung auch noch Anfang der 40er Jahre Teil der öffentlichen Diskussion. Von daher ist es nicht verwunderlich, dass Alemania Libre Zitate von Ross mit sensibleren politischen Themen der Zeit verbindet, etwa der Unabhängigkeit (als Synonym der wirtschaftlichen Autonomie) und dem bereits erwähnten Stolz der Mestizen: El hitleriano Ross escribió palabra por palabra: "La conquista española fue también prudente y humana". La forma democrática del régimen de México tampoco les gusta a los nazis. Declaran sin rodeos que no están conformes con ella. El nazi Ross se atreve a escribir sobre este asunto las palabras siguientes: "Aplicando erróneamente las ideas de la
31 32
Rudolf Fürth, „La opinión que los nazis tienen de México," Alemania Libre 15. März, 1942: 6. Colin Ross, Der Balkan Amerikas (Leipzig: Brockhaus, 1937) 135.
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Revolución Francesa, México se dio u n régimen democrático, que de n i n g ú n m o d o le es adecuado." Y el nazi inclusive argumenta su opinión: "México es u n país colonial de color regido durante siglos p o r u n a clase de señores blancos". 3 3
Einerseits wird die Figur von Ross durch Aussagen wie „este escritor nazi" (dieser Nazi-Schriftsteller) minimiert und abwertend behandelt, andererseits aber wird seinen Worten große Wichtigkeit zugeschrieben. Die Zitate werden eingeführt mit Aussagen wie „Escribió palabra por palabra" (er schrieb Wort für Wort) oder „escribió textualmente" (er schrieb wörtlich), um auf die vermeintliche Authentizität der Zitate hinzudeuten. Es wird offensichtlich nicht erwünscht, den Lesern den Eindruck zu vermitteln, es gäbe eine Verfälschung des Inhalts. Außerdem werden interessanterweise „die Nazis" und „Ross" gleichgestellt: Aus der Perspektive dieses Artikels repräsentiert alles, was Ross zu einem Thema meint, automatisch die Ideologie des Nationalsozialismus. In dem oben angeführten Zitat taucht eine Erwähnung der spanischen Kolonialperiode und Ross' vermeintliche Abwertung des „régimen democrático" in Mexiko auf, in der Ross die Kolonialzeit positiv bewertet, und das nach der Unabhängigkeitsbewegung entstandene Regime negativ einschätzt. Aber durch einen Vergleich mit dem Originaltext lässt sich feststellen, dass es sich hier um eine absichtliche Bedeutungsänderung und Manipulierung des Originals handelt. Durch eine detaillierte Lektüre von Ross' Text werden starke kolonialistische, proeuropäische Töne - und erstaunlicherweise nicht pro-nationalsozialistische oder deutsche - entlarvt. Es wird deutlich, dass Ross über die positiven Aspekte der Kolonialzeit, nämlich den Bau der Haziendas und Kathedralen und die Rolle der spanischen humanistischen Geistlichen (wie z.B. Bartolomé de las Casas) und deren Einsatz fiir die Indigenen spricht. 34 Zwar kritisiert Ross auch die Regierungsformen, die es in Mexiko bis zu seinem Besuch gab, aber er spricht nie über Demokratie. Auch wenn er sich auf die Französische Revolution bezieht, geht es eigentlich um die Zeit der Unabhängigkeitsbewegung (1810-1821) und nicht um die moderne post-revolutionäre Regierungsform. 35 Ross kritisiert die Ikonen der mexikanischen Geschichte, indem er die Unabhängigkeit Mexikos dem Konservativismus der katholischen Elite zuschreibt, die den Liberalismus der spanischen Verfassung von
33
Fürth, „La opinión que los nazis tienen de México" 6. „Sicher war die spanische Herrschaft hart, vor allem im Anfang, unter der Militärdiktatur, die auf die Konquista folgte. Aber sie war auch weise und meschenfreundlich. Neben dem Soldaten stand von Anfang an der Priester. Der war nicht nur der eifernde, das Feuerscheit der Inquisition schwingende Zelot, sondern auch der große Menschenfreund, der den Indianer nicht nur vor den Übergriffen der Soldateska schütze, wo er vermochte, sondern auch vor den verderblichen Folgen einer dem roten Manne unverständlichen und fremden Zivilisation und Kultur" (Ross, Der Balkan Amerikas 56). 34
35 „Der landläufigen Ansicht nach wurde der Abfall Neu-Spaniens vom Mutterland durch die Aufklärung und die demokratischen Ideen herbeigeführt, die als Folge der großen Französischen Revolution auch auf das lateinische Amerika übergriffen" (Ross, Der Balkan Amerikas 60).
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
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Cádiz verabscheuten. 36 Außerdem stellt der Autor die Verwirklichung der Ziele der mexikanischen Revolution (nämlich die Emanzipation der ärmeren Massen) in Frage und hält ihren linksorientierten Diskurs für heuchlerisch und widersprüchlich. 37 Im Allgemeinen lässt sich hier feststellen, dass die Interpretation von Ross' Zitaten vereinfacht wurde und deren Weitergabe verfälscht und entkontextualisiert ist. Außerdem werden dem Autor unterschiedliche Aussagen zugeschrieben, die so in Der Balkan Amerikas nicht auffindbar sind. In einem anderen Artikel vom 7. März 1942, betitelt „Lo que piensan los nazis del pueblo mexicano", werden ähnliche Merkmale in Josef Maria Franks Texten identifiziert. Hier gibt es allerdings einen Fokus auf den Aspekt der Rasse und die „Qualität" der Mexikaner zur Führung ihres souveränen unabhängigen Landes. Dieser Artikel ist auch - wie fast alle in dieser Publikation - von einem starken Sensationalismus geprägt. „Se ruega su reproducción" steht am Ende jeder Ausgabe, mit der Bitte, die Inhalte der Zeitschrift - kostenlos - weiterzugeben. Nachdem der vermeintliche Rassismus und das kolonialistische Denken von Josef Maria Frank dargestellt werden, erreicht dieser Fatalismus seinen Höhepunkt am Ende des Textes: En una serie de artículos mostraremos, a partir del siguiente número, lo que significaría la victoria del imperialismo nazi para las diversas capas de la población, para la iglesia, para los obreros y empleados, los campesinos, la clase media, los industriales, los profesionales libres, los intelectuales, en una palabra: para todo México. 3 8
Praktisch zeitgleich taucht am 16. September 1942 derselbe unterschriftslose Artikel mit einem noch provokanteren Titel auf, „México para los mexicanos? ¡No! Afirman los voceros de Hitler" 39 , in dem durch die Nutzung paratextueller Elemente (Frage und Ausrufungszeichen) starke und tief bewegende Aussagen suggeriert werden. Vor einer ersten vollständigen Lektüre lässt bereits das Publikationsdatum viel über den Inhalt des Textes erahnen. Es wird offensichtlich das Ziel verfolgt, den mexikanischen Nationalstolz gerade an dem Feiertag der Unabhängigkeitsbewegung aufzurütteln und ein starkes Gefühl von Angst und Empörung in den Lesern zu wecken. Dieses Datum ist von großer Bedeutung für den mexikanischen Patriotismus, besonders in dem Jahr, in dem Mexiko sich offiziell dem Krieg gegen die faschistische Achse angeschlossen hatte. Die Strategie, die diesmal gegen Frank benutzt wird,
36 „Dies ist die Geschichte des Freiheitskampfes' Neu-Spaniens. Im Grunde handelte es sich dabei kaum um Freiheit, wenigstens nicht für die Massen des Volkes. [...] Das Ganze war lediglich eine großangelegte Intrige der Kirche, die fiir ihre Herrschaft fürchtete" (Ross, Der Balkan Amerikas 62). 37 „Die indianischen Peonen, die Land und Befreiung vom Druck des fremden Kapitals fordern, sind im Grunde nationale Sozialisten. Aber sie fechten unter der marxistischen oder kommunistischen Fahne, die ihre Führer umso heftiger schwingen, je mehr sie die öffentliche Aufmerksamkeit von ihren privaten Geschäften ablenken wollen" (Ross, Der Balkan Amerikas 14).
„Lo que piensan los nazis del pueblo mexicano," Alemania Libre 7. März, 1942: 6. „Mexico para los mexicanos? ¡No! Afirman los voceros de Hitler," Alemania Libre (1942, 16. September): 2. 38
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unterscheidet sich kaum von den vorigen Artikeln: Verfälschung des Originaltextes, Entkontextualisierung und Einfügung fremder Elemente verdrehen den originalen Sinn und Zweck, wodurch ein negatives, feindliches Bild von Frank kreiert40 und ihm eine Wichtigkeit zugeschrieben wird, die er in Deutschland nie hatte. Dadurch entstehen stark kolonialistische, rassistische und die Mexikaner abwertende Töne, die im originalen Mexiko ist anders nicht in der dargestellten Weise auftauchen oder tatsächlich nie vorkommen. Im Folgenden werden die Originale mit den Auszügen aus den Artikeln verglichen und erörtert. Gerade am 15. September und im Kontext der von Cárdenas durchgeführten Enteignungsserie ist es sehr provokant, die Abhängigkeit Mexikos von ausländischem Kapital in Zusammenhang mit der vermuteten Unfähigkeit der Mexikaner zur Selbstbestimmung als Nation anzusprechen. Erst wird Josef Maria Frank als direkter Gesandter von Hitler dargestellt, dessen Aufgabe darin bestehe, dem „deutschen Volk" (el pueblo alemán) über die Notwendigkeit und Nutzbarkeit der Eroberung Mexikos zu berichten: Aparte de sus espías y saboteadores clandestinos, Hitler envió a México algunos escritores nazis para que convencieran al pueblo alemán a través de sus 'impresiones de viaje', de la necesidad y la utilidad de la conquista de dicho país. 41
Auf diese Weise gilt Frank nicht nur als Informant, sondern auch als das Sprachrohr Hitlers (wie er im Titel des Artikels genannt wird) gegenüber der deutschen Nation. Laut dieser Interpretation in Alemania Libre soll Mexiko ist anders einen wichtigen Aufruf zur Eroberung Mexikos durch Deutschland darstellen. Franks Titel wird eine Wichtigkeit und Rolle zugeschrieben, die sehr übertrieben sein mag, insbesondere wenn man die tatsächliche Position des Autors und den Entstehungskontext betrachtet. Bemerkenswert ist die Assoziierung von Mexiko ist anders mit Konzepten wie „Conquista", die auf die Spanische Eroberung verweist, oder kolonial geprägten Substantiven wie „necesidad" (Notwendigkeit) und „utilidad" (Nützlichkeit). Auf einem pragmatischen Niveau erweckt dieser Zusammenhang nationalistische Gefühle und bezieht damit auch die nationalsozialistische Lebensraumrhetorik mit ein. Im Folgenden werden Franks Zitate, so wie sie in den Artikeln in Mexiko in der Übersetzung wiedergegeben wurden, in Anführungszeichnen aufgelistet und kurz kommentiert: "Lo que ha llegado a ser México - me refiero a lo bueno," aclara el autor, "nos lo debe en última instancia, exclusivamente a los extranjeros. México vive de nuestras realizaciones.
40
Hier wird z.B. erwähnt, dass Ross und Frank als Gesandte und Spione von Goebbels nach Mexiko gereist waren. Auch wenn Ross Unterstüzung und einen guten Ruf in der NS-Elite genoß, darf man nicht vergessen, dass Josef Maria Frank in Wirklichkeit im Auftrag der Hamburg-AmerikaLinie nach Mexiko reiste. 41 „¿México para los mexicanos?" 2.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus Sin nosotros se moriría de hambre; se iría al diablo, malgastaría y derrocharía sus riquezas (Frank)" ...] El pueblo mexicano carece de madurez para la independencia nacional. "¿México para los mexicanos? ¡Pero si el mexicano es inepto para ello! (Frank). 42
Dieses Zitat muss in zwei Teile getrennt werden. Auf einer Seite finden sich die dem Autor zugeschriebenen Worte, mit Anfiihrungszeichnen markiert und mit entsprechendem Quellenhinweis (Frank) und auf der anderen Seite stehen die Kommentare des Rezipienten. Diese paratextuelle Strategie präsentiert kurz und knapp die dem Autor zugeschriebene Ideologie ohne einen freien Interpretationsraum zu lassen oder den Ursprungskontext genauer zu erklären. Die erste Person Plural - „nosotros... los extranjeros" [wir die Ausländer], „nuestras realizaciones" [unsere Realisierungen] 43 — konstruiert gegenüber dem Leser eine von ihm getrennte Entität, die im Gegensatz zu den „Anderen", der mexikanischen Leserschaft, steht. Dies hat in der nationalen Vorstellung Mexikos eine große Wirkung, wenn man hier das Bild des Fremden - wie die Legende von Malinche — miteinbezieht. Der fatalistische und der stark abwertende Ton wird ganz deutlich durch einen spezifisch aggressiven Sprachgebrauch hervorgehoben: „se moriría de hambre", „se iría al diablo", „malgastaría y derrocharía". Auf diese Weise wird der Mexikaner als unverantwortlich, abhängig und zum Fortschritt unfähig dargestellt und somit will der Artikel Minderwertigkeitskomplexe der Leser erwecken. Auffällig ist auch die Betonung der Fortschritte des Landes („Lo que México ha llegado a ser") und der direkte Hinweis auf die Unabhängigkeit („la independencia nacional"). Um diese quasi obsessive Betonung zu verstehen, muss man den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels beachten, und den Diskurs der nationalen Souveränität miteinbeziehen, der die Amtszeiten der mexikanischen Präsidenten Cárdenas (1934-1940) und Ávila Camacho (1940-1946) prägte. In der Tat stammt dieses Zitat aus einem Dialog zwischen Frank und einem englischen Investor, der ihn auf dem Schiff nach Mexiko traf. In Mexiko ist anders steht wörtlich: „Hallo, hallo", unterbrach Herr Z. aus México City. „Sie gehen zu weit, Señor! Was Mexiko geworden ist, im Guten meine ich, verdankt es schließlich doch nur uns Fremden. Die Revolutionen, die politischen Krachs, die Streiks und das Wedeln mit der falschen roten Flagge und so - das verdankt es allerdings sich selber. Was soll denn aus Mexiko werden ohne uns - wir haben den Gewinn, stimmt, aber wir tragen auch das Risiko, von unserem Gewinn aber lebt Mexiko. O h n e uns würde es verhungern, zum Teufel gehen, verschlampen, verlottern. Mexiko dem Mexikaner - ? Der ist ja noch gar nicht reift dazu, der Mexikaner - 1 '. 44
42
"¿México para los mexicanos?" 2. Das Wort „realizaciones" gibt es im Spanischen nicht. Es handelt sich um einen „falschen Freund", welcher in der Ubersetzung vorgenommen wurde. Auf Deutsch kann man „Realisierung" als ein erreichtes Ziel oder als die Verwirklichung eines Projekts verstehen. Eine korrekte spanische Ubersetzung wäre hier „logros". 44 Josef Maria Frank, Mexiko ist anders (Berlin: Wegweiser-Universitas, 1938) 14. 43
Kapitel III
111
In fast novellistischer Weise, typisch für den Erzählstil, den Frank in seinem Reisebericht benutzt, stellt der Autor einen Dialog mit einem sogenannten deutschen Herrn Z. dar, der im Land ein Handelsgeschäft betrieb und der nach einem mehrmonatigen Urlaub in Deutschland nach Mexiko zurückkehrte.45 Durch die Figur des Herrn Z. und die Namenskodierung, durch die die tatsächliche Identität dieser Person verschwindet, repräsentiert Frank nicht nur den ausländischen Investor, sondern auch den aus Europa stammenden Mexikaner. Die Worte dieser Figur gewinnen Anfang der 40er Jahre, kurz nach der Enteignung der Ölindustrie im Jahr 1938, an Bedeutung. Frank ironisiert durch diesen Deutsch-Mexikaner den Mangel an Loyalität eines dort ansässigen Ausländers zu Mexiko: Trotz seines mexikanischen Passes sieht er sich nicht als Mexikaner. Die Worte, die er zitiert, sind nicht die eigenen, sondern diejenigen dieser metonymischen Figur. Diese Trennung zwischen dem Ich-Erzähler (Frank) und der fiktiven Figur (Herr Z.) wird in der Wiedergabe von Alemania Libre nicht gemacht, sodass diese deutlich provokanten Aussagen in der Rezeption als persönliche Deklarationen von Josef Maria Frank gelten, auch wenn der Autor in diesem Teil des Textes noch keine Meinung ausdrückt. Ein anderes provokantes Thema erscheint in den folgenden Zeilen, in denen die Integrität des mexikanischen Territoriums erwähnt und damit ein vermutlicher Eroberungswillen NS-Deutschlands angedeutet wird. Dieses Motiv ist sehr sensibel, wenn man betrachtet, dass Mexiko im vorangegangenen Jahrhundert fast die Hälfte seines Gebietes nach einem dreijährigen Krieg und einer Besatzung an die USA46 abgeben musste. Obwohl nicht direkt behauptet, wird durch das Nutzen eines typischen Begriffs des NS-Regimes - der „espacio vital" (Lebensraum) - ein Anschluss suggeriert: 3 . - M é x i c o posee demasiado espacio vital. " C a s i 7 millones de seres viven en este M é x i c o , que es cuatro veces mayor en extensión que Alemania, y que abarca alrededor de dos millones de kilómetros cuadrados de espacio vital" (Frank). 4 7
Die Wahl des Wortes „seres" (Wesen) fällt auf, da es hier mehrere Konnotationen hat. Im Spanischen kann sich dieses Wort auf Menschen oder Tiere beziehen, wird hier allerdings deutlich in einem abwertenden Sinne benutzt. Die Erwähnung des Lebensraumes bezieht sich auf den nationalsozialistischen Expansionismus in Osteuropa, der zur Annektierung deutschsprachiger Gebiete wie Schlesien, Böhmen und Österreich geführt hatte. Das gleiche Konzept rechtfertigte eine rassisch
45
„Dann saß da noch ein Deutsch-Mexikaner, Im- und Exportmann, Herr Z. aus México-City,
der von seinem Heimaturlaub, einmal sechs Monate in sechs Jahren, zurückkehrte" (Frank,
ist anders 12). 46
Mexiko
Hier ist die „Guerra México-Estados Unidos" oder „Invasión Nortamericana" gemeint, wie
sie in der mexikanischen Historiographie gennant wird. Das gleiche Ereignis wird als „The Mexican War" in der amerikanischen Geschichtsschreibung bezeichnet. 47
"¿México para los mexicanos?" 2.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
begründete, gewaltsame Expansion des Dritten Reiches nach Osteuropa.48 Obwohl Frank auch den Begriff benutzt, verwendet er kein bedeutungsähnliches Adjektiv wie „demasiado" (zu viel). Zudem fügt er ein wichtiges paratextuelles Element hinzu, nämlich die Anführungszeichnen. Dies zeigt, dass Frank dieses Wort im Sinne von „Territorium" verwendet und dass er damit auf einen bei der deutschen Leserschaft bereits bekannten Terminus zur Parallelisierung zurückgreift. Aus Sicht der Sprachpragmatik dient dieser Begriff dazu, eine konkrete kommunikative Funktion zu erfüllen. „Lebensraum" wird schon von Goethe in den Wahlverwandtschaften (1809) verwendet, um auf die „Zeit-, Raum und Spanne des Lebens"49 hinzudeuten. Aber zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde dieser Terminus von Friedrich Ratzel, Professor der Geographie und Mitbegründer des annexionistischen Alldeutschen Verbandes, in einem geographisch-expansionistischen Sinne genutzt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er von General Karl Haushofer wiederrum gebraucht, um die Expansion nach Osten bevölkerungspolitisch und militärstrategisch zu legitimieren.50 Die Tatsache, dass in der Ubersetzung das Adjektiv „demasiado" verwendet wird, gibt Franks Text eine kolonialistische, expansionistische Konnotation. Eingebettet in den neuen Kontext kann es zu einer neuen Interpretation kommen, die den Leser glauben lässt, dass Mexiko „zu viel Lebensraum" hätte und dass dieses Territorium von NS-Deutschland annektiert werden könnte. Dieser Anschluss wird durch den Vergleich der Fläche beider Länder deutlich. Schließlich benutzt Frank in seinem Text auch kein Wort, das dem spanischen „seres" ähnelt, sondern einfach „Menschen", auf Spanisch „personas" oder „seres humanos". Es handelt sich hier um eine absichtlich verfälschte Ubersetzung. Interessanterweise folgt im Original eine Beschreibung der Landschaft, die seine Faszination für die Größe und Reichhaltigkeit des Landes zeigt: Fast 17 Millionen Menschen leben so in diesem Mexiko, das viermal grösser ist als Deutschland und beinahe 2 Millionen Quadratkilometer „Lebensraum" umfaßt: riesige Bergwelten, Weizen- und Maisfelder, Zuckerrohr- und Tabakweite, von Pulque-Agaven überlaufene vulkanische Hochebene und von Kakteen überströmte Halbwüste. 51
Die Mischung der Ethnien oder mestizaje, und der Indigenismus, die im Mittelpunkt des kulturellen und politischen Diskurses Mexikos nach dem Revolutionskrieg standen, tauchen wie in den anderen Artikeln aus Alemania Libre wieder auf und stellen den am ausführlichsten behandelten Aspekt dar. Im Vergleich zu den bereits kommentierten Zitaten wird in diesem Teil noch auffälliger, inwieweit der Originaltext manipuliert wurde. Durch die Veränderung der Worte Franks werden
48 Cornelia Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus Gruyter, 1998) 375. 49 Schmitz-Berning, Vokabular 375-376. 50 Schmitz-Berning, Vokabular 376. 51 Frank, Mexiko ist anders 234.
(Berlin und New York: De
Kapitel III
113
seine Ideen mit dem nationalsozialistischen Rassismus und der Judenverfolgung verknüpft; Themen, die in Mexiko bei einem gewissen Teil der Bevölkerung nicht unbekannt waren. Das Bewusstsein der in Europa durchgeführten Judenverfolgung zeigt sich durch die Veröffentlichung von Büchern wie El libro negro del terror nazi en Europa (1943) 52 und durch die Bildung von Hilfsgruppen für jüdische Flüchtlinge zum Ende der 30er Jahren in Mexiko, wie dem Comité Pro Refugiados und später dem Comité Central Israelita de México.53 Dass Frank mit dem NS-Rassismus verbunden wird, wird durch die Beifügung des Terminus „raza inferior" in der Übersetzung unterstellt. Obwohl Frank niemals diese Worte („minderwertige Rasse") verwendet, wird in diesem Artikel auf den Terminus „Untermenschen" der rassistischen NS-Rhetorik54 zurückgegriffen, der in Bezug auf slawische Völker und Juden zur Gewalterregung in Propagandaheften verwendet wurde.55 Diese Zuschreibung ist eine Provokation für den mexikanischen Leser im Kontext des mexikanischen postrevolutionären Patriotismus, im Zuge dessen der Wert des „Eigenen" und des „Nationalen" heraufgesetzt wurde. Wenn das mexikanische Volk als „eine Gefahr" („un peligro") bezeichnet wird, steckt dahinter die Botschaft, Mexikaner würden im Falle einer Invasion der Nationalsozialisten als Feinde betrachtet werden und ein ähnliches Schicksal wie die europäischen Juden erleiden: 5.- Los indios y mestizos mexicanos son una raza inferior que representa un peligro para Europa. "Los dos grupos son igualmente peligrosos. Los indios de México son portadores de una temible masa hereditaria. La raza india es un factor potencial que puede hacerse sentir alguna vez en Europa, y de manera desagradable. Y los mestizos son una desdicha para ellos mismos (Frank)".56
Die Identifizierung der Entsprechung dieses Zitates im Originaltext von Mexiko ist anders war unmöglich, da es sich eher um eine Paraphrase handelt, die unterschiedlichen Zeilen und Ideen aus dem Kapitel „Vom Mexikaner und dem armen Milliardär wider Willen" 57 zusammenbringt, in dem Frank die Ethnien des Landes beschreibt. Analysiert man das Zitat aus Alemania Libre, fällt sofort die Absicht auf, unter den Lesern den Eindruck zu erwecken, Indigene und Mestizen würden in Deutschland als eine wirkliche Gefahr - so wie die Juden und andere Minderheiten - empfunden. Josef Maria Frank spricht im Laufe seines Reiseberichts nie explizit die ethnische und politische Verfolgung im Dritten Reich an. Aus der Perspektive
El libro negro del terror nazi en Europa (México: El Libro Libre, 1943). Haim Avni, „Cárdenas, México y los refugiados: 1938-1940," Estudios interdisciplinarios de América Latina y el Caribe 3.1 (1992), ohne Seitenzahl, online, Zugriff am 09.10.13. 54 Horst Dieter Schlösser, Sprache unterm Hakenkreuz (Köln u.a.: Böhlau Verlag, 2013) 244. 55 Vgl. mehrere Autoren, „Bilder von Mensch und Gesellschaft: Rasseideal und «Volksgemeinschaft»," Hans-Jörg Czech und Nikola Doli, Hrsg., Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930-1945 (Dresden: Sandstein Verlag, 2007) 324. 52 53
56 57
"¿México para los mexicanos?" 2. Frank, Mexiko ist anders 71.
114
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
der Pragmatik wirkt diese Parallelisierung im Artikel von Alemania Libre angsterregend. Fünf verschiedene Konzepte innerhalb eines kurzen Absatzes deuten auf eine sehr starke Betonung der Angst hin: „peligro" (Gefahr), „peligroso" (gefährlich), „temible" (furchterregend), „desagradable" (unangenehm) und „desdicha" (Elend). Auch wenn dieses Thema im vierten und fünften Kapitel vertieft wird, ist Franks Darstellung der ethnischen Gruppen hier erwähnenswert, da sie in der Tat immer unterschiedlich und widersprüchlich ist. Seine Wahrnehmung wird tief von der Schilderung anderer Autoren seiner Zeit beeinflusst, insbesondere von D. H. Lawrence. Uber mexikanische Indigene behauptet Frank: Ihrer Rasse sehr stolz bewußt, Fremden gegenüber starr-schweigsam ablehnend, ernst und verschlossen, durchaus intelligent und gelehrig und arbeitsam, doch ohne individuellen Ehrgeiz und völlig stammes- oder sippengemeinschaftlich verankert, ohne dabei auch nur im Unterbewußtsein etwa „kommunistisch" zu sein, wie der mexikanische Marxist es ihm so gerne einreden möchte, sind sie sensitive Träger einer gefährlichen Erbmasse, die aus grausam dumpf lähmendem, uraltem Opferkult und einer dann folgenden brutalen Ausbeutung, Erniedrigung und Beleidigung aufwuchs. [...] Aber sie sind auch Arbeitermasse in der Industrie, in den Bergwerken und an den Bohrtürmen, in den neu aufwachsenden Fabriken und Handwerksbetrieben. Sie stellen in der Gemeinschaft also Mexikos Proletariat dar, gefährlich, weil es fast die Hälfte der Bevölkerung ausmacht. 58
Auch wenn Frank über „eine gefährliche Erbmasse" spricht, wird in Alemania Libre nie erwähnt, in welchem Zusammenhang dies im Originaltext steht. Frank spricht über das Erbe eines „Opferkultes", das nach den von den Indigenen erlebten Erniedrigungen und Demütigungen auf gewaltige Weise wieder auferstehen könnte. So ähnlich ist es bei D. H. Lawrence. Außerdem stellen die mexikanischen Indigenen als organisiertes Proletariat für den Autor eine Gefahr dar. Wie im fünften Kapitel diskutiert wird, lehnt Josef Maria Frank den Kommunismus stark ab. Zwar spricht Frank - und auch Colin Ross - über die Bedrohung, die die Emanzipation der Indigenen für Europa und die „Weißen" mit sich bringen könnte, aber es wird erstaunlicherweise in der Übersetzung ignoriert, wie diese Gefahr im Zusammenhang mit dem Kommunismus gebracht59 wird. Auch wenn die Zeitung Alemania Libre eine kommunistische Ausprägung hatte, wird in diesem Artikel die Diskussion um das „Proletariat" und die Gefahr des Kommunismus, eine stetige Obsession sowohl bei Frank als auch bei Ross, nicht thematisiert. Stattdessen legt die Weitergabe des Originals den Schwerpunkt auf ethnische bzw. rassistische Aspekte, weil auf diese Weise ein breiteres Publikum angesprochen werden konnte. Schließlich wird auch auf die Ölenteignung Bezug genommen, ein in den 40er Jahren sehr sensibles und politisch polemisches Thema, das im gegenwärtigen Mexiko noch immer zu kontroversen Diskussionen fuhrt. In Alemania Libre wird also weiter damit provoziert: 58 55
Frank, Mexiko ist anders 75. Vgl. Kapitel V.
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La liberación económica de México del imperialismo extranjero constituye también un peligro para Alemania. "El golpe asestado al capital petrolero es una amarga señal de alarma, no sólo para el capitalismo mundial, sino para la raza blanca en su conjunto". 60 Ironischerweise lässt sich weder am Text von Frank, noch historisch belegen, dass die mexikanische wirtschaftliche Autonomie eine Gefahr für Deutschland gewesen wäre. Das Dritte Reich hatte eigentlich kein direktes Interesse an der mexikanischen Ölindustrie und war tatsächlich zusammen mit Japan bis zur Kriegserklärung Mexikos - also sogar nach der Enteignung von 1 9 3 8 - einer der zentralen Abnehmer des mexikanischen Öls. 61 Obwohl ihn das Thema sehr interessierte, thematisiert Frank diese Beziehung nicht in seinem Reisebericht. Die staatliche Enteignung war während seiner Reise noch nicht vollendet, 62 wie sich durch seine anderen Schriften bestätigen lässt. 63 Interessanterweise war Frank trotz der Enteignungen von ausländischem Kapital sehr optimistisch hinsichtlich der Position der Deutschen in Mexiko. W i e im sechsten Kapitel dieser Arbeit dargelegt wird, lobt Frank das Prestige und das gute Bild der Deutschen unter den Mexikanern. In der bereits analysierten Rezeption von Mexiko ist anders und Der Balkan kas in der Zeitung Alemania
Ameri-
Libre in Mexiko lassen sich deutliche Verfälschungs- und
Adaptierungsprozesse erkennen. Dies geschieht durch die Entkontextualisierung der Originaltexte oder die Einfügung von Elementen, die Teil des Originals sind. Die Übersetzungen, die Fragmente umgestalten, entsprechen nicht in allen Fällen dem ursprünglichen Stil der Autoren. Die Editoren von Alemania
Libre wollten dadurch
Emotionen bei der mexikanischen Leserschaft wecken und deren Sympathie für den K a m p f gegen den Nationalsozialismus gewinnen. Auf diese Weise konnte die Teilnahme Mexikos am Zweiten Weltkrieg gerechtfertigt werden. Diese absichtliche Fehlinterpretation und Neugestaltung vereinfacht die ursprüngliche Natur dieser Reiseberichte und gibt interessanterweise den Autoren und ihren Texten eine Wichtigkeit und Bekanntheit, die ihnen in Deutschland nicht zuteil wurde. Auch wenn Frank und Ross vom Rassismus, Eurozentrismus und Kolonialismus ihrer Zeit beeinflusst waren, galten ihre Texte in Deutschland nie als koloniale Texte oder „expansionistische Propaganda" für das Deutsche Reich und gegen Mexiko und die Mexikaner. Ross' Interesse für Mexiko war nur marginal im Vergleich zu seinem Interesse für andere Regionen der Welt; etwa die U S A und Südamerika. Die in N S -
„¿México para los mexicanos?" 2. Zu diesem Thema siehe das Kapitel IV „Die Öllieferungen Mexikos and Deutschland nach der Enteignung der ausländischen Olgesellschaften und der Abbau der deutsch-mexikanischen Konfrontation 1938/39" bei Klaus Volland, Das Dritte Reich und Mexiko. Studien zur Entwicklung des deutsch-mexikanischen Verhältnisses 1933-1942 unter besonderer Berücksichtigung der Ölpolitik (Frankfurt am Main und Bern: Peter und Herbert Lang, 1976) 109-120. 62 Frank, Mexiko ist anders 149. 63 Sein Stück Mexikanische Tragödie. Schauspiel in 3 Akten (Ahn & Simrock, 1948), erstmalig in einem kleinen Provinztheatet in Kufstein (Österreich) aufgeführt, thematisiert die Intrigen um die Ölenteignung im Jahr 1938. Das Stück ist schnell in Vergessenheit geraten. 60 61
116
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Deutschland veröffentlichten Rezensionen zu den jeweiligen Reiseberichten suggerieren eine andere Richtung und Funktion dieser Texte bei der deutschen Leserschaft und auf dem Buchmarkt, die bereits dargelegt wurden. Von Beginn an wird deutlich, dass während des Rezeptionsprozesses in Mexiko der ursprüngliche Kontext nicht bekannt gemacht oder gar absichtlich ignoriert wurde. Der Wert der Texte wurde so in einer bestimmten Weise manipuliert, wodurch eine mehr oder weniger neue Lektüre entsteht, die die eigentlichen Absichten entweder missversteht oder sie komplett verfälscht darstellt. Alemania Libre verfolgte ein politisch anti-nazistisches und pro-kommunistisches Programm, dessen Ziel sich in fast jedem Artikel der fünfjährigen Publikation zeigt. Hinsichtlich der Weitergabe von Mexiko ist anders und Der Balkan Amerikas muss ein zusätzlicher Faktor beachtet werden: Die Verweigerung der öffentlichen Meinung der Teilnahme Mexikos am Zweiten Weltkrieg. Der damalige Präsident Manuel Avila Camacho hatte nicht die Unterstützung aller Sektoren der Gesellschaft für die Kriegserklärung gegen das nationalsozialistische Deutschland bekommen,64 da viele der Ansicht waren, dass Mexiko sich keinem Krieg anschließen sollte, der das Land nicht direkt beträfe. Danach folgten bereits bekannte Ereignisse: Zwei mexikanische Olschiffe wurden im Mai 1942 vermutlich von deutschen U-Booten im Golf von Mexiko versenkt. Alemania Libre trug durch seinen Journalismus dazu bei, das mexikanische Publikum von der Wichtigkeit dieses Krieges zu überzeugen. NSWiderstandsgruppen wie die Bewegung Freies Deutschland hatten die Unterstützung der mexikanischen Regierung bekommen, wodurch deutlich wird, dass sie durch die Propaganda in ihrer Zeitung den mexikanischen Staat unterstützen wollten. Die Sprache der in diesem Teil analysierten Artikel drückt viele Emotionen und Ängste aus, die Alemania Libre bei der mexikanischen Leserschaft zu erwecken versuchte. Auch wenn Colin Ross sich einen Namen in der NS-Elite gemacht hatte, so scheint die Perzeption seines wahren Gewichts und insbesondere seines MexikoTexts von Alemania Libre übertrieben dargestellt worden zu sein. Das gleiche gilt für Josef Maria Frank, dessen Werke nicht so oft wie Ross' Berichte veröffentlicht wurden und der nicht so ausgedehnte Reisen unternommen hatte. Die Tatsache, dass beide Texte in der deutschen Literaturgeschichte verschollen sind, und dass ihre Veröffentlichung nicht über Deutschland und das Jahr 1945 hinausging, erklärt sich auf mehreren Ebenen. Die Annährung von Colin Ross an die NSDAP und sein Selbstmord ließen ihn aus politischen Gründen außerhalb eines literarischen Kanons. Sein Reisebericht Der Balkan Amerikas, der von dem Erfolg seiner anderen Titel überschattet blieb, beinhaltet keine ästhetischen oder poetischen Merkmale, durch die er ein Teil dieses Kanons hätten werden können. Obwohl Frank sich nicht im NS-Regime engagierte, erlaubte ihm seine politische Ambiguität im Dritten Reich produktiv zu schreiben und sich ein Publikum zu schaffen. Damit ein Text später rezipiert wird, oder damit diese Rezeption in breiteren
64 Blanca Torres, México en la Segunda Guerra Mundial, Historia de la Revolución Mexicana 19 (México: El Colegio de México, 1977) 85.
Kapitel III
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Teilen einer Gesellschaft oder einer Kultur stattfinden kann, muss ein Text eine semantische Mehrdeutigkeit haben und hinsichtlich der Werte eines kulturellen Systems anpassungsfähig sein, um seine Kontinuität ermöglichen. 65 Obwohl Ross und Frank zu ihrer Zeit mit ihrer Interpretation der mexikanischen Realität ein nicht zu unterschätzendes Publikums erreichten, führte ihre prägende Zugehörigkeit zum damaligen Zeitgeist dazu, dass ihre Texte heute in Vergessenheit geraten sind, denn die Werte, die diese Autoren verkörperten - nicht nur ästhetische und literarische, sondern auch weltanschauliche —, werden anders wahrgenommen. Genauso wie das von ihnen bereiste Mexiko nicht mehr den Werten der Reise- und Abenteuerliteratur der vorherigen Jahrhunderte entsprach, stellten Colin Ross und Josef Maria Frank nach ihren Aufenthalten fest, dass Mexiko nicht mehr ihren Erwartungen entsprach.
65
Bernhard Zimmermann, „El lector como productor: en torno a la problemática del método
de la estética de la recepción," Estética de la recepción, ed. José Antonio Mayoral (Madrid: Arco, 1987) 52.
KAPITEL IV REISE INS L A N D D E R A Z T E K E N " : R H E T O R I K U N D Ä S T H E T I K IN D E R R E P R Ä S E N T A T I O N D E R G E S C H I C H T E M E X I K O S
I . FASZINATION FÜR DIE MEXIKANISCHE ANTIKE - DAS AZTEKISCHE REICH
Es gibt kaum einen ausländischen Reisenden, der in Mexiko war und der nicht die Spuren des aztekischen Reiches gesucht hätte. Bereits in der Renaissance regten die präkolumbianischen Kulturen Amerikas die Vorstellung der europäischen Gelehrten an, sogar auch derjenigen, die nie in der Neuen Welt waren. 1 Im 19. Jahrhundert wurden die präkolumbianischen Kulturen Lateinamerikas zu beliebten Motiven und Themen bei Autoren wie Karl May oder Franz Hermann Goedsche. 2 Ihre fiktiven Erzählungen, in denen sich sowohl Faszination als auch Neugier zeigen, basieren entweder auf dem damaligen Forschungstand über diese Kulturen 3 oder auf dem damals populären Bild der präkolumbianischen Welt, auch wenn diese Perspektiven durchaus stereotypisiert und widersprüchlich waren. Diese Erzählungen, von Abenteuer und Exotismus geprägt, boten ausreichendes Lesematerial für ein enthusiastisches Publikum bis weit ins 20. Jahrhundert. Nach der Unabhängigkeit Mexikos 1821 und dem Revolutionskrieg (19101920) wurden die präkolumbianischen Kulturen der Vergessenheit entrissen, 4 um die Identität des Landes neu zu gestalten, trotz wichtiger Unterschiede bei diesem
1
Ein Beispiel ist der deutsche Jesuitenpater Athanasius Kircher, der sich auf die Bibel u n d auf
Autoren wie José de Acosta u n d Sir Walter Raleigh bezog, u m die H e r k u n f t u n d Charakteristika von amerikanischen Tieren u n d Menschen in Werken wie Aca Nöe (1675) u n d Turris Babel (1679) darzulegen. Vgl. Christian Fausto Moräes dos Santos y Juscelino Pereira N e t o , „A natureza americana ñas obras Turris Babel e Arca Nöe do Jesuíta Athanasius Kircher," Revista Brasileira de Historia
das
Religióes IV. 10 (2011), online, Zugriff a m 15.10.13. 2
Karl Mays R o m a n Das Waldröschen (1883) u n d H e r m a n n Goedsches Puebla oder der Schatz
von Inkas (1880). Vgl. Matthias W i t z m a n n , Eigenes und Fremdes. Hispanoamerika deutschen Abenteuer3
(1850-1914)
in Bestsellern der
( M ü n c h e n : Verlag Dr. H u t , 2006) 315.
Franz Trellers R o m a n e Der Enkel der Könige u n d Eine versunkene Welt, vgl. W i t z m a n n , Eigenes
und Fremdes 4
und Reiseliteratur
316.
In der Kolonialzeit -
insbesondere im 17. u n d
18. J a h r h u n d e r t -
w u r d e bereits die
präkolumbianische Geschichte von den in Mexiko geborenen Spaniern (criollos) verwendet, u m sich von den europäischen Spaniern auszudifFerenzieren. Vgl. E n r i q u e Florescano, „ D e la patria criolla a la historia de la nación," Secuencia 52 (2002): 7-39.
120
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Prozess in beiden historischen Umbrüchen. In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts brachte die Trennung von der spanischen Krone die Notwendigkeit mit sich, die Ursprünge der neuen Nation zu suchen. Manche liberalen Historiker wie José Luis Mora verstanden die Unabhängigkeitserklärung von 1821 als Anfangspunkt des neuen Mexiko, während andere wie der konservative Historiker Lucas Alamán es eher mit der spanischen kolonialen Herrschaft verbanden. 5 Aber viele mexikanische Mestizen fühlten sich laut Benedict Anderson nicht den spanischen Konquistadoren, sondern vielmehr den zerstörten Kulturen der Azteken, Mayas, Tolteken u n d Zapoteken zugehörig. 6 Diese Tendenz, die von Autoren wie Carlos Maria Bustamante und Fray Servando Teresa de Mier vertreten wurde, wird von Enrique Florescano als „historischer Nationalismus" bezeichnet. 7 Es gab andere mexikanische Patrioten, wie Carlos Maria Bustamante, die die Herkunft des unabhängigen Mexikos in die vorhispanische Welt zurückverfolgten und die spanische Kolonialzeit als einen Abbruch in der mexikanischen Geschichte interpretierten. 8 Zur Legitimierung dieser Kontinuität verfasste Bustamante den Titel Galería de antiguos príncipes mejicanos (1821), in dem er die neue mexikanische unabhängige Regierung als Nachfolger der vorhispanischen Herrscher (etwa die Azteken, die Tolteken und die Chichimeken) auffasst. 9 Auf diese Weise fungiert Bustamantes Genealogie laut Monika Wehrheim „como punto de referencia en el pasado y sirve para exaltar la patria procurándole una antigüedad tan valiosa como la greco-romana para los europeos". 10 José María Morelos y Pavón, einer der Protagonisten des mexikanischen Unabhängigkeitskrieges, rief in seiner Rede zur Eröffnung des Chilpancingo Kongresses (1813) die alten aztekischen Könige hervor und verwies auf Mexiko mit dem historischen aztekischen Namen „Anahuac". 11 Zwar wurden die zeitgenössischen Indigenen nach der Revolution rhetorisch und symbolisch im intellektuellen Diskurs wieder aufgegriffen, aber sie standen nicht wie die Mestizen im Mittelpunkt der postrevolutionären Nationenbildung, 1 2 sondern nur als Teil des neuen mexikanischen Nationalismus und als Basis des Mestizo-Diskurses. Einerseits wurde die Notwendigkeit gesehen, die Indigenen in die Modernität zu integrieren, andererseits erscheinen die alten Kulturen Mexikos als wichtiges Element der postrevolutionären Kunstästhetik. Während Philosophen wie Antonio Caso in Nuevos discursos a la nación mexicana (1932) für die Verwestlichung
5 Monika Wehrheim, „La galería de antiguos príncipes mexicanos de Carlos María Bustamante: propuestas para un imaginario nacional," Literatura de la independencia, independencia de la literatura (Frankfurt y Madrid: Iberoamericana-Vervuert, 2013) 176. 6 Benedict Anderson, Imagined Communities (London and New York: Verso, 2006) 154. 7 Vgl. Enrique Florescano, „De la patria criolla" 23. 8 Wehrheim, „La galería" 176. 9 Wehrheim, „Lagaleria" 183. 10 Wehrheim, „La galería" 183. " Florescano, „De la patria criolla a la nación" 21. 12 Patricia Funes, Salvar la nación. Intelectuales, cultura y política en los años veinte latinoamericanos (Buenos Aires: Prometeo, 2006) 146.
Kapitel IV
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bzw. „Zivilisierung" der zeitgenössischen Indigenen plädierte — denn sie seien in ihrer Ursprungsform nur eine Last für die Modernisierung Mexikos, 13 - zeigte die mexikanische Kunst ein großes Interesse an Archäologie, Volkskunst und indigenen Motiven, das sich in der staatlich geförderten Wandmalerei der Epoche, z.B. bei den Wandgemälden von Diego Rivera, manifestierte. 14 Auch dessen Frau Frida Kahlo integrierte aztekische Motive in ihre Ästhetik, wie die Verwendung von blutigen Herzen, Knochen und Symbolen der aztekischen Göttin Coatlicue in Kahlos Gemälden bestätigt. 15 In Europa und insbesondere in Deutschland blieb das Bild der Azteken als Metonymie für Mexiko bis weit ins 20. Jahrhundert anscheinend unverändert in der kollektiven Vorstellung. Aus diesem Grund ist es nicht erstaunlich, dass der Reiz des präkolumbianischen Mexikos in der Vorstellung von Colin Ross und Josef Maria Frank noch tief verwurzelt war. Franks Reisebericht trägt den prägnanten Titel „eine Reise ins Land der Azteken" - ein Versprechen, das Verlangen seiner Leser nach Exotismus zu erfüllen. Wie tief die prokolumbianische Antike durch die Verbreitung literarischer Abenteuerwerke in der europäischen Mentalität verankert war, zeigt sich auch bei Ralph Ross, dem jüngsten Kind von Colin Ross. So musste sein Vater während seiner Reise aus „historisch-geopolitischen Zwecken" archäologische Monumente besichtigen, um die brennende Neugier seines Nachwuchses zu erfüllen: „Wenn ich schon nicht nach Chichen Itzä soll-du wirst es später bereuen, nicht hingefahren zu sein—, will ich mir wenigstens Mitla gründlich ansehen!", 16 beschwerte sich das Kind bei seinem ermüdeten Vater. Die Worte von Ross' Sohn gelten als Ausdruck des Interesses für das alte Mexiko. Wer in dieses Land reisen wollte, musste sich auch mit dessen Geschichte und den übriggebliebenen Monumenten der alten Kulturen auseinandersetzen. Der Zusammenhang zwischen dem Aztekischen Reich und dem Bild Mexikos bestätigt sich in der Ästhetik paratextueller Aspekte. Colin Ross' Band Der Balkan Amerikas (1937) ist mit intensivem Gelb und Grün geschmückt, den Farben von Montezumas Kopfschmuck, wobei das Grün der Feder des Quetzals das auffälligste Merkmal darstellt. Das Gelbe kann mit dem Sonnenlicht (Huitzilopochtli — der Sonnengott, obwohl Blau eher die Farbe dieses Gottes war 17 ), mit der Wüste (der
13
Monica Chávez González, „Antonio Caso y los paradigmas de la nación mexicana," Cuicuilco 11.30(2004): 11-12. 14 Entscheidend für die Übernahme dieser ästhetischen Tendenz war bei Rivera seine Teilnahme an einer Exkursion nach Yukatan im Jahr 1921 in Begleitung von Bildungsminister José Vasconcelos und zusammen mit anderen Künstlern. Vgl. Sven Schlünzig, „Die Kunst von Diego Rivera vor dem Hintergrund unstabiler gesellschaftlicher Verhältnisse und sich wandelnder politischer Ziele," Der Revolutionsmythos in Mexiko, Hrsg. Raina Zimmering (Würzburg: Königshausen & Neumann, 2005) 58. 15 Janice Heiland, „Aztec Imageiy in Frida Kahlo's Painting. Indigeniry and Politicai Commitment," Woman's Art Journal 11.2 (1990-1991): 8. 16 Colin Ross, Der Balkan Amerikas (Leipzig: Brockhaus, 1937) 202. Vgl. Anhang IV. 17 Eulalio Ferrer, „El color entre los pueblos nahuas," Estudios de cultura náhuatl 31 (2000): 219.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Reisende durchquerte die Wüste Chihuahuas an der Seite Pancho Villas 18 ), aber auch mit den Darstellungen vieler Götter assoziiert werden.19 Auf dem Titelblatt des Buches sieht man geometrische Figuren, die an Motive verschiedener mesoamerikanischer Pyramiden erinnern, etwa Teotihuacän, Mitla oder Glichen Itza. Bei Mexiko ist anders (1938) von Josef Maria Frank sind die große Zeichnung eines Quetzal coatlKopfes und der bereits erwähnte Untertitel aufschlussreich für die Assoziationen, die der Autor oder sein Verleger bei seinen Lesern hervorbringen wollte. Es lässt sich hier eine sehr deutliche Marketingstrategie erkennen, die darauf abzielte, die Aufmerksamkeit und das Interesse des Publikums durch Anknüpfung an bereits fest in der Gesellschaft verankerte Vorstellungen zu gewinnen. Das Motiv des Aztekischen taucht mehrere Male in den Texten auf und wird mit den damaligen sozialen Zuständen in Mexiko, insbesondere mit der Mexikanischen Revolution, in Verbindung gebracht. Dies zeigt sich nicht nur durch das Interesse der Autoren für die mexikanische Archäologie, sondern auch durch die Auslegung aztekischer Mythen, um das zeitgenössische Mexiko zu verstehen. In diesem Abschnitt liegt der Schwerpunkt aber auf der Analyse der Passagen, in denen das historische Aztekenreich und uralte mexikanische Artefakte beschrieben werden. Bei der Auseinandersetzung mit der Welt der Azteken wird nicht nur Faszination, sondern auch Abscheu zum Ausdruck gebracht. Colin Ross und Josef Maria Frank zeigen Faszination für Schönheit, Krieg, Disziplin und absolute Herrschaft - Schlüsselkonzepte eines nationalsozialistischen Diskurses, die sich in der künstlerischen Ästhetik jener Zeit vielfach finden lassen.
a) „Ein wahrer Balkan Amerikas ": das mexikanische Hochplateau als Wiege der Azteken Bevor Colin Ross sich ausführlich mit der aztekischen Geschichte befasst, werden Überlegungen zur Relevanz des prähispanischen Elements für die Gegenwart des Landes und sogar des ganzen Kontinents angestellt. Ross wirft die Frage auf, warum man sich für Mexiko interessieren sollte. Er vergleicht erstens das Land mit den mächtigen USA und den boomenden südamerikanischen Staaten, die damals in Europa viel eher als zukünftige Weltmächte, wie Ross selber in seinem Südamerika (1927) prognostizierte, und beliebte Migrationsziele galten: Wir Europäer und insbesondere wir Deutsche wissen von Mexiko nicht viel und erst recht nicht von Mittelamerika. Warum sollten wir uns auch darum bekümmern? Dieses Gebiet erscheint so abgelegen, rückständig und bedeutungslos neben der Weltmacht, die
Vgl. die biographischen Angaben im Kapitel II. Die Gottheit Teocozauhco war gelb, oder Izcozauhqui, dessen Name „el Cariamarillo" (der mit gelbem Gesicht) bedeutete. Xihuitl, der Gott des Feuers, wurde laut Berichten von Bernardino de Sahagün mit gelben Federn am Rücken repräsentiert. Die Farbe grünblau war für die Azteken eine primäre Farbe, außerdem ist Grün die Farbe von Jade und Smaragd, zwei der wichtigsten Edelsteine in der aztekischen Kunst und Handwerk. Siehe: Ferrer, „El color" 216-217. 18
19
Kapitel IV
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im nördlichen Amerika entstand, neben den großen Reichen, die auf seiner südlichen Hälfte im Entstehen begriffen sind.20
Aber die historische Relevanz Mexikos lag nach Ross' Einschätzung darin, dass das Land die Wiege der prähispanischen Kulturen ist, die sich in diesem geographischen Kontext entwickelten und die den Grundstein für die kulturelle und zivilisatorische Entwicklung des ganzen Kontinents und selbstverständlich des damaligen Mexikos legten. Zur Erklärung dieses Zusammenhangs zieht Ross eine Parallele zwischen dem mexikanischen Hochland, wo die Azteken ihre Hauptstadt gründeten, und dem europäischen Balkan. Durch diesen geographischen Zusammenhang werden zwei den Lesern bereits bekannte Aspekte präsentiert, die Ross mit der mexikanischen Geschichte verbindet: die zeitgenössische europäische Geschichte und die griechische Antike. Bereits in der Einführung von Der Balkan Amerikas wird deutlich, wodurch der Titel, der unmittelbar den Vergleich mit dem europäischen Balkan nahelegt, motiviert ist. Man darf nicht vergessen, dass Colin Ross' auffälligste Fähigkeit darin bestand, gegenwärtige soziopolitische Umstände mit kulturell-historischen und geographischen Fakten zu verknüpfen. Folglich wurden seine Bücher als geopolitische Essays bezeichnet, und seine Texte besaßen nicht nur ausführliche derartige Erklärungen, sondern auch geschichtsbezogene Interpretationen voller Parallelen zu anderen Ländern und Kulturen. Dass Ross zum Vergleich auf diese osteuropäische Region zurückgreift, erklärt sich durch seine aktive Rolle als Journalist im BalkanKrieg zwischen 1913 und 1914, zwanzig Jahre vor seiner zweiten Mexiko-Reise. Infolgedessen konnte er aus einer politisch-historischen Sicht Ähnlichkeiten erkennen und Metaphern wie „der Balkan Amerikas" prägen. Laut Ross war das Mexiko jener Zeit „ein ärgerliches, unübersichtliches Land oder vielmehr Ländergemisch, mit seinen ewigen Unruhen und Revolutionen, ein wahrer Balkan Amerikas".21 Hier handelt es sich um den ersten Vergleich mit dem europäischen Balkan, wobei Ross in beiden Regionen ähnliche sozio-demographische Merkmale, wie z.B. das konfliktreiche Miteinanderleben verschiedener ethnischer Gruppen an ein und demselben geographischen Ort, gegeben sieht. So wie der Balkan in Europa, gilt das moderne Mexiko für Ross als ein „Ländergemisch". Diese Assoziierung der Mischung mit einem unangenehmen Durcheinander drückt sich durch die negativ konnotierten Adjektive „unübersichtlich" und „ärgerlich", aber auch durch das Verhältnis zwischen „Ländergemisch", „Unruhen" und „Revolutionen" aus, das das damalige Mexiko mit seinem Revolutionskrieg, aber auch mit dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches und Österreich-Ungarn verbindet. In diesem Sinne wird nicht nur die mexikanische Revolution, die er als „Ringen der Rassen"22 bezeichnet, evoziert, sondern auch das
Ross, Der Balkan Amerikas 11. Ross, Der Balkan Amerikas 11. 22 Ross, Der Balkan Amerikas 13. Ross' und Franks Wahrnehmung der mexikanischen Revolution wird im fünften Kapitel genauer dargelegt. 20 21
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
aztekische Reich. Wie Österreich-Ungarn und das türkische Reich, hielten die Azteken viele unterschiedliche Völker unter einem Staat zusammen. Ross verbindet also die Idee der ethnischen Vielfalt mit dem Mangel an Ordnung und Uneinigkeit, eine Konnotation, die an die nationalsozialistische Ideologie erinnert, welche die „unreinen Elemente" von der deutschen Bevölkerung und Gesellschaft auszuschließen versuchte, um eine einheitliche „Volksgemeinschaft" zu etablieren.23 Auch wenn diese erste Beschreibung des Landes sehr abwertend klingen mag, sieht Ross ausgerechnet in den prähispanischen Kulturen der Vergangenheit Mexikos den Grund dafür, dass sich Europäer und Deutsche für das mittelamerikanische Land interessieren sollten. An dieser Stelle ist die große Faszination für Altertümer und klassische Zivilisationen in der NS-Ästhetik erwähnenswert, da deren ehemaliger zivilisatorischer Glanz eine Basis und ein Modell für eine utopische NS-Gesellschaft und Architektur lieferte.24 Hitler mochte sogar die Wurzeln der „Germanen" bei den Griechen und Römern sehen.25 In Ross' Mexikobild gilt die Vergangenheit des Landes - die Azteken — als Schlüssel fiür seine Gegenwart, denn in seiner Interpretation, handelt es sich um zwei untrennbare Einheiten — Geschichte und Gegenwart, und zum Teil auch die Zukunft - , die sich gegenseitig bedingen und somit nicht unabhängig voneinander existieren können. So wie Edward Said in Bezug auf moderne Interpretationen der Geschichte erklärt, „even as we must fully comprehend the pastness of the past, there is no just way in which the past can be quarantined from the present. Past and present inform each other, each implies the other and [...] each co-exists with the other."26 Die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart wird von Ross durch die Geographie erklärt. Dass Mexiko bzw. das zentrale Hochplateau als ein Balkan gilt, scheint für den Autor eine reine und absolute („unwillkürliche") Wahrheit zu sein, die er allmählich durch seine Überlegungen entdeckt: „ Unwillkürlich drängt sich mir dieser Vergleich auf, aber je mehr ich ihn durchdenke, desto stärker, fast bestürzend überkommt mich die Richtigkeit dieser Parallele".27 Aber bei diesem Vergleich mit dem Balkan verharrt der Autor nicht auf
23 Dem Nationalsozialismus zufolge war die Egalität nicht das Ziel, „aber ein fairer Interessenausgleich, Schutz für gefährdete Berufszweige und mehr soziale Mobilität. Und vor allem sollte dadurch mehr Gleichheit entstehen, dass das gesamte Volk hoch motiviert dem Staat und der Gemeinschaft dienen und - im Sinne des propagandistischen Slogans .Gemeinnutz geht vor Eigennutz' - freiwillig das nationale Interesse vor persönliche Begehrlichkeiten setzen sollte". Vgl. Thomas Rohkrämer, Die fatale Attraktion des Nationalsozialismus. Über die Popularität eines Unrechtsregimes (Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2013) 179. 24 Wie z.B. architektonische Elemente der Antike bei Albert Speers Entwürfen und die Evokation griechischer Schönheitskultur bei Leni Riefenstahls Filmen. 25 Volker Losemann, „Nationalsozialismus und Antike - Bemerkungen zur Forschungsgeschichte," Antike undAltertumswissenscha.fi in derZeit von Faschismus und Nationalsozialismus. Kolloquium Universität Zürich 14.-17. Oktober 1998, Hrsg. Beat Näf (Cicero: Mandelbachtal und Cambridge, 2001) 71. 26 Edward Said, Culture and Imperialism (London: Vintage, 1994) 2. Hervorhebung von mir vorgenommen. 27 Ross, Der Balkan Amerikas 11. Hervorhebung von mir vorgenommen. Gemeint sind die Parallelen zwischen dem Balkan und Mexiko.
Kapitel IV
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einem abwertenden Niveau, nach dem Mexiko wie der Balkan als Pulverfass und Ursprung von „ewigen Revolutionen und Unruhen" gilt. Er geht weiter in die Antike hinein und parallelisiert die altgriechische Klassik und die präkolumbianischen Zivilisationen zur Erläuterung des kulturellen Gewichts Mesoamerikas für die zukünftige Entwicklung des Kontinents. So wie der Balkan die Wiege der klassischen griechischen Kultur war, war das mexikanische Hochplateau der Ursprungsort der Azteken. Diese Strategie erinnert an die unsystematische und spontane Assoziation, die viele Reisende in Lateinamerika vom 16. Jahrhundert bis zum 19. Jahrhundert knüpften, so wie es beispielsweise bei Alexander von Humboldts Amerika-Expedition der Fall war. 28 Den Vergleich zwischen alt-griechischer Klassik und präkolumbianischer Zivilisation leitet der Autor mit einer rhetorischen Frage ein, die er danach im Zuge von acht Sätzen beantwortet, in denen allmählich der Ton seiner Bewunderung steigt und zum Ausdruck der Parallelisierung eine historische Perspektive eingenommen wird: Ist nicht das mexikanische Hochland genau so (sie) die Wiege amerikanischer Kunst und Kultur wie Hellas die des Abendlandes? So wenig wir auch von der vorkolumbianischen Geschichte wissen, das eine erscheint doch ziemlich sicher, daß in Mexiko der erste Mais gezüchtet und angebaut wurde, daß hier Wurzel und Wiege der Maiskultur liegen, die bestimmend wurde für beide Amerika, die dem Staatswesen der Inkas genauso ihren Stempel aufdrückte wie Kunst und Kultur der Mayas; die Lebensgrundlage der Azteken wie der Tolteken war, aller indianischen Stämme bis hoch nach Norden hinauf, und die selbst heute Wirtschaft wie Zivilisation der Vereinigten Staaten entscheidend beeinflußt. 29
Der Autor schätzt die Bedeutung Mexikos für den ganzen Kontinent hoch ein, da es der Ursprung der Kultur in Amerika sei. Durch Sprachbilder wie „Wurzel" und „Wiege" erschafft er einen hohen semantischen Gehalt: Ursprung, Quelle, Anfang. Dies dient ihm dazu, seiner Reise einen hohen Wert beizumessen, indem er sie wie eine Expedition ins Herz der Zivilisation Amerikas („wie Hellas des Abendlandes") versteht. W i e bereits angedeutet können hier leicht Bezüge zur nationalsozialistischen Rhetorik gefunden werden, wo Konzepte wie „Boden" und „Rasse" zur Erklärung des Ursprungs und der Einheit sowie zur .Säuberung' einer Nation und zur Kriegspropaganda dienten. Insbesondere war „Rasse" ein zentrales Schlüsselwort der nationalsozialistischen Weltanschauung, das für die Ideologie der „Höchstwertigkeit der Arier, des Untermenschentums der Juden und für die Rassenhygiene mit ihrem nordischen Zuchtziel" stand. 30 Diese aus rassistischer Territorialideologie gespeisten Begrifflichkeiten sollten im Dritten Reich die Annektierung ganzer Regionen (Sudetenland, Elsass, Osterreich,
28 Alexander von Humboldt zieht z.B. klassische Gottheiten, Mythen und künstlerische Werke zur Beschreibung und Einschätzung der ursprünglichen Kulturen Amerikas heran. Vgl. Oliver Lubrich, „,Wie antike Bronzestatuen'. Zur Auflösung des Klassizismus in Alexander von Humboldts amerikanischem Reisebericht." Germanisch-romanische Monatsschrift 85 (2004): 19-39. 29 Ross, Der Balkan Amerikas 12. Hervorhebung von mir vorgenommen. 30 Cornelia Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus (Berlin und New York: De Gruyter, 1998) 481.
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etc.) und die Eroberung Osteuropas und Russlands auf der Suche nach einem „germanischen Staat" (Boden), der sich rücksichtslos bis zum Ural ausdehnen sollte,31 rhetorisch verstärken. Auf diesem besetzten „Boden" sollte nach Hitlers Vorstellungen ein der „rassisch stärksten Nation" (den Deutschen) unterworfenes Europa als eine einheitliche Weltmacht entstehen, 32 in der es keinen Platz für „minderwertige" Völker gab. Ein Beispiel ist hier die „jüdische Rasse", die nach biologischen und kulturellen Kriterien in der „Rassenkunde" - zur NS-Zeit eine Universitätsdisziplin - als „Gegenrasse" konstruiert wurde. 33 Ebenso stand die Einheit von Boden und Volk (Rasse) im Augenmerk des kolonialen Diskurses.34 Hier zieht Ross durch die Verwendung von diesen Begriffen sowohl den kolonialen als auch den nationalsozialistischen Diskurs heran. In dieser Geographie sieht interessanterweise Ross den Mais als das einheitliche Element zwischen dem mexikanischen Hochland und dem ganzen Kontinent. Für ihn hat der Mais eine historisch übergreifende Relevanz, denn er prägte nicht nur die alten Zivilisationen Amerikas in Kunst, Kultur und Politik, sondern sogar die „Wirtschaft und Zivilisation" 35 der USA, die Colin Ross sehr gut kannte. Die linguistische Konstruktion des oben diskutierten Zitats zeigt durch die rhetorische Frage und die darauffolgende achtsätzige Antwort die Wichtigkeit, die der Autor der historischen Rolle der aztekischen Kultur und vor allem ihrem geographischen Kontext schenkte. Schließlich vergleicht Colin Ross die Entwicklung und das Schicksal der „indianischen Zivilisation" mit der griechischen Kultur. Durch diese Parallele kann der Autor der vorkolumbianischen Kultur einen Referenzrahmen geben und ihr darüber hinaus einen dem antiken Griechenland ähnlichen zivilisatorischen Wert zuschreiben. In dieser Hinsicht ist der Vergleich zwischen Mexiko und dem europäischen Balkan einerseits abwertend, und zwar, wenn das Land mit Chaos und Krieg assoziiert wird, andererseits aber auch positiv, da sich in beiden Regionen der Ursprung der zukünftigen Kulturen befindet. In diesem Kontext besitzt die Analogie mit dem Balkan und Hellas eine aufschlussreiche Ambivalenz. Auch wenn der Vergleich aufwertend klingen mag, vergisst der Autor doch das fatale Schicksal des aztekischen Reiches nicht: Die hellenistische Zivilisation, die sich von Isthmus von Korinth aus über die ganze Balkaninsel (sie) verbreitete, erlag fremdrassigem Eindringen, wurde unterworfen u n d überlagert u n d durchdrang und durchsetzte doch die Eindringlinge und Eroberer, ähnlich erging es der indianischen Zivilisation mit der europäischen Invasion?6
31 Hans Dieter Schlosser, Sprache unterm Hakenkreuz. Eine andere Geschichte des Nationalsozialismus (Köln, Weimar und Wien: Böhlau, 2013) 282. 32 Schlosser, Sprache unterm Hakenkreuz 283. 33 Schlosser, Sprache unterm Hakenkreuz 224. 34 Ein Beispiel dafür ist der 1926 veröffentlichte koloniale Roman „Volk ohne Raum" von Hans Grimm, Sympathisant der Nationalsozialisten. Vgl. Woodruff Smith, „The Colonial Novel as Politicai Propaganda. Hans Grimm's Volk ohne Raum," German Studies Review 6.2 (1983): 215-235. 35 Ross, Der Balkan Amerikas 12. 36 Ross, Der Balkan Amerikas 11-12.
Kapitel IV
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Nichtsdestotrotz erkennt Ross die Kraft dieser Kulturen an, indem beide Kulturen wie vormals die Griechen die entsprechenden Eroberer auch ihrerseits prägten („durchdrangen") und ihre kulturellen Elemente in die Zukunft extrapolierten. Interessanterweise wird hier eine Analogie zwischen drei Etappen der Geschichte gebildet: das Verhältnis zwischen Römern und Griechen in der Antike; die Rolle der Türken auf dem Balkan im Ersten Weltkrieg; und das Verhältnis zwischen Spaniern und Azteken bei der Eroberung Mexikos. Damit spricht der Autor den Azteken eine Kraft zu, die sich über die Jahrhunderte fortsetzte und die er in seiner Interpretation der Mexikanischen Revolution wiederfindet, wenn er in dem aus dem Revolutionskrieg entstandenen Prozess eine „Rückindianisierung" des Landes sieht. Die „Wiederauferstehung" der indigenen Kultur wird er später durch die Metapher von den Göttern Huitzilopochtli und Quetzalcoatl erklären. 37
b) Der aztekische
Menschenopferkult
Auch wenn die zivilisatorische Kraft der Azteken von Ross durch den Vergleich mit den alten Griechen positiv dargestellt wird, haben die Azteken auch ein anderes, nämlich ein blutiges, gewalttätiges und beängstigendes Gesicht, das sowohl Ross als auch Frank tief beeindruckt: das Menschenopfer. Obwohl die Tapferkeit der Azteken ausfuhrlich dargestellt und gelobt wird, dient diese blutige Seite der indigenen Religion dazu, die europäische und die vorkolumbianische Kultur deutlich voneinander zu unterscheiden. So wie es bei Chronisten wie Bemal Diaz del Castillo der Fall ist, „the key to the exclusion or blockage is a native practice that does not fall in the category of familiar European vices [...] that seems to Bemal Diaz an unmitigated horror marking an absolute difFerence between his culture and the culture of the other". 38 Wenn Frank und Ross sich mit dem aztekischen Opferkult befassen, erhalten ihre Texte eine Farbkodierung, in denen Rot eine Atmosphäre des Schreckens verbreitet. Diese Technik steht nicht nur für eine Literarisierung, sondern auch für die Einstellung beider Autoren gegenüber den Azteken. Auch wenn Colin Ross den Menschenopferkult der Azteken zu relativieren versucht, 39 scheint dieser für ihn eine sehr große Dimension zu haben, die er sogar spekulativ mit Zahlen untermauert. Dabei geht er von „geringen" Anfangszahlen
37
Dieser Aspekt wird später in diesem Kapitel diskutiert.
38
Stephen Greenblatt, Marvelous Possessions. The Wonder of the New World (Oxford: Clarendon,
1988) 131-132. 35
„Menschenopfer und in Verbindung damit Kannibalismus hat es bei vielen, im Übrigen
kulturell wie zivilisatorisch hochstehenden Völkern gegeben" (Ross, Der Balkan Amerikas Bartolomé de las Casas greift bei seiner Verteidigung der Indigenen in seiner Brevísima
49). Fray relación
de la destrucción de las Indias auch auf Beispiele der europäischen Antike zurück, wo ebenfalls das Menschenopfer praktiziert wurde, etwa die vorrömischen Zivilisationen Europas. Vgl. Adrián Herrera Fuentes, „Lecturas subversivas: Los libros de Padre Mier y el Padre Las Casas," Libros y
128
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
aus, die sich seiner Einschätzung nach im Laufe der Entwicklung vertausendfachten. Seine Rhetorik enthüllt seine erschrockene (und auch erschreckende) Verblüffung: Unter der Herrschaft der kriegerischen Azteken nahmen die anfangs spärlichen Opfer immer mehr zu. Priester und Volk steigerten sich in einen immer wilderen Blutrausch hinein. Die Veranlassungen, bei denen Menschen hingeschlachtet werden mußten, wurden immer nichtiger. Die Zahl der Opfer stieg von Mal zu Mal. Sie wuchs in die Hunderte, in die Tausende, ja, wenn man den Berichten trauen darf, in die Zehntausende. Eine Wolke von Blutdurst begann über Tenochtitlän zu schweben. 40
Ross benutzt nacheinander Augmentative („immer" + Adjektiv) oder Verben, die semantisch mit einer stetig zunehmenden Todeszahl („steigen", „hineinsteigern", „hinschlachten") assoziiert sind, und die stark die Vorstellung der Leser über eine zunehmende Aggressivität der Azteken („kriegerisch", „wild") prägen. Diese hyperbolische Weise über die Zahl der Opfer zu sprechen führt auch dazu, ein rhetorisch wichtiges Bild zu kreieren: der „rote" Aspekt des Blutes. Auffällig ist, wie Colin Ross dies auch durch Wörter ausdrückt, die den Sinn einer irrationalen Sucht mit sich tragen: „Rhitdurst" und „Blutrausch1'. Sein Schock erinnert an die absolute Dissonanz zwischen dem christlichen Abendmahl, im Sinne eines symbolischen Opfers des Christus, und dem aztekischen Opferkult bei Bemal Diaz del Castillo: „That his own religion centered on expiatory sacrifice and upon the symbolic eating and drinking of his god's body and blood does not inhibit Bemal Diaz' horrified response to what his culture construed as the weirdly literal Aztec equivalents".41 Colin Ross' Rhetorik weist aber durch die prägende Symbolik des Blutes gleichzeitig auch auf den Militarismuskult des Dritten Reiches hin. „Blut" und „Opfer" beziehen sich auf den Tod, dessen Bild bereits im patriotischen Diskurs des 19. Jahrhunderts in der Ästhetisierung des Krieges eine bedeutende Rolle spielte. Dies zeigt sich zum Beispiel bei Heinrich von Kleist, der schrieb „Der Tod fürs Vaterland ist ewiger".42 Im Nationalsozialismus hat der Tod eine Transzendenz in die Ewigkeit und sowohl Kunst als auch Propaganda glorifizierten stets Opferbereitschaft und Tod.43 Joseph Goebbels zeigt sich von seinem Roman Michael (1942)44 bis zu dem als heroisch verstandenen Selbstmord der gesamten Familie Goebbels „für den Führer" in der Stilisierung des Todes, Krieges und Gewalt gefangen.45 Wohl versucht Ross ein abscheuliches Bild der Azteken zu erzeugen, aber durch das Sprachbild des
lectores en la Nueva Espana, eds. Bianca Lopez de Mariscal y Judith Farre (Monterrey: Tecnologico de Monterrey, 2005). 40 Ross, Der Balkan Amerikas 50. 41 Greenblatt, Marvelous Possessions 134. 42 Zitiert in Rohkrämer, Die fatale Attraktion 218. 43 Rohkrämer, Die fatale Attraktion 218. 44 Joseph Goebbels, Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern (München: Frz. Eber Nachf. Verlag, 1942). 45 Rohkrämer, Die fatale Attraktion 231.
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Blutes und des Todes betont er die Wichtigkeit der Menschenopfer für die Glorifizierung der aztekischen Götter. Auch in dieser Hinsicht kann also eine Analogie zum Dritten Reich gezogen werden, denn im Nationalsozialismus dienten der Tod und das Opfern von Soldaten und gemeiner Bevölkerung ebenso zur Glorifizierung des NS-Reiches. Auch wenn dies sich während des Zweiten Weltkriegs intensivierte, lässt die Entstehung des Kults an SA-Stürmfiihrer Horst Wessel, dessen im Jahr 1 9 3 0 begangener Tod von Joseph Goebbels instrumentalisiert wurde, die Existenz eines Todeskults von NS-Helden, die sich für den „Führer", das Volk und die Heimat opferten, schon kurz vor der Machergreifung bestätigen. 46 Genauso wie die Nazis den Tod ihrer „Helden" propagandistisch ausnutzen, fungierte bei den Azteken das Opfern der Kriegsgefangenen zur Ehre des aztekischen Pantheons und zur Konsolidierung des aztekischen Staates. Colin Ross' Idee einer stetig zunehmenden Anzahl von Toten („Die Zahl der Opfer stieg von Mal zu Mal") gilt als eine Anspielung auf den Krieg: auf die mexikanische Revolution, die Ross selber betrachtete, und den Konflikt zwischen mexikanischem Staat und katholischer Kirche, der zum Krieg der Cristeros ( 1 9 2 6 - 1 9 2 9 ) in der Amtszeit von Plutarco Elias Calles ( 1 9 2 4 - 1 9 2 8 ) führte. Noch stärker als das literarische Werk von Colin Ross ist allerdings dasjenige von Josef Maria Frank durch den „blutigen" Aspekt der Azteken geprägt. Das M o tiv des Opferkultes bringt letzterer Autor wiederholt zum Ausdruck, insbesondere dann, wenn es darum geht, für die gegenwärtigen Streitigkeiten und Widersprüche des Landes eine Erklärung zu finden. Stark inspiriert und beeinflusst durch die Lektüre von D . H. Lawrence The Plumed
Serpent (1926) 4 7 stellt Frank ein dunkles, ge-
walttätiges Mexikobild dar, das sprachlich einerseits bizarr, andererseits durch Adjektive angsterregend wirkt. Beispielsweise sei Mexiko ein „merkwürdiges Land und Volk zwischen den amerikanischen Wendekreisen", das als „Produkt vieler unheilvoll zusammenwirkender Kräfte" entstanden ist. Diese Rhetorik vermittelt unmittelbar einen erschreckenden Effekt, der an das Bild der gefiederten Schlange auf dem Einband des Buches erinnert, das einen toltekischen Quetzalcoatlskopf mit Federn und Zähnen repräsentiert (s.o.). Darüber hinaus erklärt Frank zu Mexiko: „da ist der grausam aufspringende Widerstand im alten, schweren indianischen Blut, schlimme Erbmasse aus jener Urväterzeit, die der Blutgier Huitzilopochtlis die Hunderttausende ausgerissener zuckender Herzen
in die Opferschale legte". 48 Dieses Zitat erlaubt viele
Interpretationen: auf der einen Seite findet sich der Einfluss von D . H. Lawrence Roman, der die Auferstehung des alten aztekischen Opferkultes und die Etablierung einer den Europäern feindlich gesinnten, indigenen Republik thematisiert. 49 Diese Lektüre scheint bei Frank einen tiefen Eindruck hinterlassen zu haben. Indem Frank
46
Jay W. Baird, To die for Germany. Heroes in the Nazi Pantheon (Bloomington and Indianapolis:
University Press, 1991) 73-87. 47 D. H. Lawrence, The Plumed Serpent (London: Penguin, 1968). Ursprünglich 1926 veröffentlicht.
48
Josef Maria Frank, Mexiko ist anders (Berlin: Wegweiser-Universitas, 1938) 78.
49
Siehe Adrián Herrera Fuentes, Viaje al país de los aztecas: la experiencia mexicana de José María
Frank, Magisterarbeit, Tecnológico de Monterrey, 2008.
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sich jedoch auf diesen englischen Autor bezieht, übernimmt er nicht nur seine Ideen, sondern verarbeitet zugleich dessen Eindrücke, indem er seine eigene Interpretation schafft, die er sprachlich sehr genau und bildhaft konstruiert. Er wiederholt die farbige Kodierung des Roten, so wie Ross es macht, geht aber rhetorisch noch darüber hinaus. Durch das Adjektiv „merkwürdig" erhält Franks Vorstellung von Mexiko eine misstrauische Konnotation,50 denn es geht hier eher darum, das Land als bizarr und fremd zu beschreiben.51 Infolgedessen kreiert Frank noch dazu einen angsterregenden Effekt, indem er Mexiko als Resultat vieler Widersprüche darstellt, die als „grausam" gelten und mit dem Bild des aztekischen Gottes Huitzilopochtli verbunden werden. Die vermeintliche Tendenz zur Gewalt hält Frank für praktisch unvermeidbar, da er ihren Ursprung in einer uralten und biologisch bestimmten Quelle zu finden glaubt. Diese fände sich laut dem Reisenden in der Genetik („Blut"), deren unberechenbare Altertümlichkeit („schlimme Erbmasse aus jener i/rväterzeit") den „grausam aufspringenden Widerstand" zu einem fixierten, unveränderbaren Element macht („altes, schweres indianisches Blut"). Auf diese Art verknüpft der Autor seine Ideen mit dem längst verwurzelten Stereotyp der Azteken als ein menschenopferndes Volk. Gleichzeitig bezieht er auch genetisch-darwinistische Ideen ein, die den NS-Rassendiskurs stark prägten.52 Bereits hier hebt Josef Maria Frank die schon erwähnte Farbkodierung hervor, die er künftig in seinen Passagen über die Indigenen verwenden wird, und zwar durch Wörter wie „Blut", „Blutdurst" und „Herz". Besonders auffällig ist auch der Bewegungseffekt der „ausgerissenen zuckenden" Herzen, mit dem er eine abschreckende Wirkung von Schock und Ekel bei seinen Lesern erzeugen konnte.
c) Kriegerische Disziplin und zivilisatorischer Glanz Der aztekische Menschenopferkult begleitet Ross' und Franks Vorstellung durch die ganze Erzählung. Zumindest wird er immer dann evoziert, wenn die Autoren sich mit den Azteken beschäftigen oder eine Erklärung für den unruhigen politischen Zustand des Landes zu finden versuchen. Beide Autoren sind sehr darum bemüht, den Lesern ein möglichst genaues Bild der aztekischen Geschichte und Kultur zu vermitteln, da die Reiseberichte auch als illustrative Werke zu dem besuchten Land dienten. Im Fall von Mexiko ist anders zitiert Frank sogar Klassiker wie William H. Prescott The History of the Conquest of Mexico (1843) und zeigt zumindest Grund-
50 Merkwürdig: Staunen, Verwunderung, manchmal auch leises Misstrauen hervorrufend; eigenartig, seltsam. Vgl. „merkwürdig," Duden Online Lexikon, Zugriff am 29.07.2103. 51 Früher fungierte das Adjektiv „merkwürdig" zur Beschreibung von wertvollen, auffälligen zu merkenden Ereignissen, so bedeutete dieses Wort laut Grimms Wörterbuch einst „notatu dignus, notatione dignus oder resmemorabiles. Vgl. „merkwürdig" bei Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, 16 Bde. in 32 Teilbänden, Leipzig, 1854-1961. Quellenverzeichnis. Leipzig, 1971. Online-Version vom 29.07.2013.
Roger Griffin, Modernism and Fascism. The Sense of a Beginning under Mussolini and Hitler (London: Palgrave-McMillan, 2007) 329. 52
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kenntnisse der Historia Verdadera de la Conquista de la Nueva España (1568) von Bemal Díaz del Castillo. Das mexikanische, und darunter insbesondere das aztekische Altertum, erweckt nicht nur Neugier und Interesse bei Frank und Ross, sondern auch eine interessante widersprüchliche Haltung, die zwischen Bewunderung und Angst schwankt, und sich genau am Text festmachen lässt. „Im Anfang also waren die Azteken", 53 schreibt Josef Maria Frank in einer biblisch klingenden Aussage zu Beginn des mit „Wo kamen bloß die Azteken her?" betitelten Kapitels. Hier versucht er sich den Ursprung dieser alten Zivilisation zu erklären, indem er Parallelen zwischen den Azteken und den ihm schon bekannten Kulturen zieht. Moderne Indigene erscheinen ihm physisch ähnlich zu den Tataren, Eskimos, Malaysiern und Chinesen zu sein, während er deren Architektur mit Ägypten und deren Glaubensvorstellungen mit der christlichen Religion vergleicht. Durch diese Analogie suggeriert Frank eine mögliche Migration. Trotzdem ist die Frage des Ursprungs der Azteken, „die alte Kreuzworträtselfrage der aufgeregten Wissenschaftler, die es aber leider bisher auch noch nicht herausbekommen haben". 54 Frank blickt tief verwirrt und erstaunt auf die alten aztekischen Artefakte im Nationalmuseum in Mexiko-Stadt und drückt dies typographisch deutlich durch Ausrufezeichen aus. „Zum Donnerwetter", exklamiert der Autor mit einer umgangssprachlichen Redewendung, „genau so und nicht anders sah man es ja schon in Aegypten! Dies da in Indien und Siam und das in Ostasien! Jenes in der Benin-Abteilung des Berliner Völkerkundemuseums und dies wieder in einem Stockholm-Museum als Eskimoarbeit! Zum Donnerwetter, wo kamen bloß diese Azteken her?". 55 Die signalisierten Ähnlichkeiten zu anderen älteren Kulturen aus drei Kontinenten betonen sein Erstaunen und heben die Rätsel der aztekischen Herkunft hervor. Dieser Vergleich hat einerseits die Funktion, die Neugier seiner Leser anzuregen. Andererseits dient er aber auch dazu, die teils wilde, teils mysteriöse Prägung zu unterstreichen, die Frank den Azteken geben wollte. Es ist auch bemerkenswert, wie der Autor einen bestimmten Sprachkodex verwendet, indem er in ein familiäres oder umgangssprachliches Ausdrucksregister wechselt und sein Bewundern nicht nur mit den entsprechenden Ausrufungszeichnen markiert, sondern auch mit Demonstrativpronomen, die an die Richtung des Blickes und an Bewegungen der Hände und des Kopfs erinnern. Es ist der zivilisatorische Glanz, der Frank hauptsächlich interessiert. Er beschreibt nicht nur ausführlich die aztekische Geschichte, sondern erläutert auch in mehreren Passagen, wie die aztekische Gesellschaft funktionierte, und zeichnet sowohl ihren Aufstieg als auch ihren Niedergang als „Macht" in Mesoamerika nach. Interessanterweise bezeichnet Frank die Wanderung durch den amerikanischen Raum als „abenteuerlich" und schreibt den Azteken sogar heroische Merkmale zu:
53 54 55
Frank, Mexiko ist anders 83. Frank, Mexiko ist anders 83. Frank, Mexiko ist anders 84.
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
132
So drängten sie immer südlicher, besiegten Nation
auf Nation,
bauten Stadt auf
Stadt,
u m sie immer wieder zu verlassen und weiter zu wandern, bis sich endlich ihre alte Prophezeiung ihnen erfüllte: sie sahen den Adler mit der Schlange in den Fängen, mit der Sonne entgegen ausgebreiteten Flügeln auf dem Nopalkaktus sitzend. 5 6
In diesem Zitat erschafft Frank durch den Bewegungseffekt der Adverbien („wieder" / „weiter") und durch die Wiederholung der mit der Präposition „auf' verbundenen Substantive („Nation auf Nation", „Stadt auf Stadt") ein Bild der Azteken als dynamisches, hoch aufstrebendes Volk. Den aztekischen Drang auf der Suche nach der Verwirklichung einer Prophezeiung empfindet er auf eine fast mystische Weise, und ihn erstaunt das Bestreben, die Kraft und den Willen eines ganzen Volkes einem mystischen, religiösen Ziel unterzuordnen. Parallelen mit nationalsozialistischen Idealen sind bereits hier allgegenwärtig, auch wenn in den darauffolgenden Beschreibungen noch deutlichere Elemente auftauchen, die dem NS-Ideal einer mystisch-militärischen, einheitlichen Gesellschaft unter einem Führer ähneln. Dieses von den Azteken lange gesuchte Schicksal erinnert an den nationalsozialistischen Glauben an die Erneuerung der Gesellschaft und an die Verwirklichung einer gesellschaftlichen Utopie, an ein Ideal also, das der Faschismus stets propagierte und das nach dieser Interpretation der aztekischen Geschichte mit der Konkretisierung der regionalen Macht der Azteken verglichen werden kann. 57 Man kann diese Erneuerung mit dem Wandel des aztekischen Volkes, das sich vom barbarischen, „kriegerischen" Volkstamm zu einer „selbst- und zielbewussten" hohen Zivilisation wandelte, identifizieren. In seiner Beschreibung akzentuiert Josef Maria Frank die Werte einer stark militärisch geprägten Gesellschaft: Es dauerte nicht mehr lange - sie waren ja zäh, Strapazen gewohnt, dazu verschlagen u n d kriegerisch, hart im N e h m e n und härter i m Geben, selbst- und zielbewusst
- , u n d schon
hatten sie die umliegenden indianischen Nationen sich unterjocht u n d zu Lehensknechten gemacht. 5 8
Auffällig und bedeutungsvoll sind Adjektive wie „zäh" und „hart", die eine Verinnerlichung der Rhetorik der Hitlerjugend erkennen lassen. Hitlers Formulierung „flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl" galt im NS-Militarismus als Prinzip einer körperlichen kriegsbereiten Jugend. 59 Das Ideal der aztekischen Gesellschaft beschreibt Frank (auch) im weiteren Verlauf des Textes mit großem Erstaunen, und er lenkt seine Aufmerksamkeit auf
56
Frank, Mexiko ist anders 91. Hervorhebung von mir vorgenommen.
Roger Griffin erklärt, Faschismus sei „a revolutionary species of political modernism (...) whose mission is to combat the allegedly degenerative forces of contemporary history (decadence) by bringing about an alternative modernity and temporality (a new order and a new era) based on the rebirth, or palingenesis, of the nation" (Modernism and Fascism 181). 57
58
Frank, Mexiko ist anders 92. Hervorhebung von mir vorgenommen.
59
Rohkrämer, Die fatale Attraktion
228.
Kapitel IV
133
Tenochtitläns Glanz und Größe, die er durch Augmentative, Zahlen und hyperbolische Adjektive sprachlich untermauert. Dadurch soll beim Leser das Bild eines mächtigen Reichs entstehen, denn Frank wollte durch die Übertreibung mit Zahlen und die Verwendung lokaler Präpositionen („von...bis zum", „bis tief hinunter"), die die Größe des aztekischen Reiches beschreiben und dadurch beeindruckender machen, die Vorstellung seiner Leserschaft anregen: Tenochtidan wurde immergrößer, wurde zurprunkenden Stadt der sechzigtausend Wohnhäuser und Paläste, der schwimmenden Gärten, Tierparks und riesigen Tempelpyramiden des Labyrinths der Kanäle und der dreihunderttausend Menschen in der Stadt aus Stein und Lehmziegel. Das Reich aber hatte Macht vom Adantischen bis zum Stillen Ozean und sogar bis tief hinunter nach Guatemala.60 Die Faszination für eine der NS-Ideologie ähnelnden, streng geordneten, kriegerisch und mythologisch basierten Gesellschaft hört bei dieser Beschreibung aber nicht auf. Frank vertieft diesen Aspekt, indem er einen unerbittlichen Aztekenstaat darstellt, in dem es keinen Platz für unmoralisches bzw. korruptes Verhalten gibt. Seine Darstellung zeigt eine Gesellschaft, die sich frei von allen moralischen Unreinheiten und allem moralischen Übel verwirklicht. Andererseits scheint seine Idealisierung bzw. Mystifizierung der aztekischen Welt ein Muster des nationalsozialistischen allmächtigen Staates zu sein: Bestechend vorbildlich war ihre, wie behauptet wird, unbestechlich gewesene Rechtsprechung auf Grund eines strengen und peinlichen Gesetzbuches, das den einzelnen wie besonders die Gesellschaft zu schützen bestrebt war; alle Verbrecher gegen die Gesellschaft wurden ohne Rücksicht auf Person und Rang mit dem Tode bestraft, Diebstahl und Maßoder Gewichtsfälschung beispielweise, jeder Mord, auch der an einem Sklaven, aber auch Trunksucht bei zeugungsfähigen Männern - Greise dagegen durften sich betrinken genauso wie Verschwendung des elterlichen Vermögens.61 Frank zeigt sich beeindruckt, und die Verwendung ordnungsbezogener Wörter („streng", „peinlich", „ohne Rücksicht" „bestraft", usw.) und der deutliche Verweis auf das Trunksuchtverbot weisen auf seine Wertschätzung der sozialen und moralischen Disziplin der Azteken hin. Im aztekischen Individuum identifiziert Frank Werte einer sportlichen Körperhygiene, die sich in NS-Deutschland ausbreitete, 62 obwohl sich ihr Ursprung am Ende des 19. Jahrhunderts befindet. 63 Die Azteken waren
Frank, Mexiko ist anders 92. Hervorhebung von mir vorgenommen. Frank, Mexiko ist anders 99. Hervorhebung von mir vorgenommen. 62 Im Dritten Reich hatte die „Leibvergottung" um den männlichen „arischen" Körper eine starke Wirkungsmacht. Vgl. Rohkrämer, Die fatale Attraktion 288. 63 Ein Beispiel davon ist die Ästhetisierung von athletischen Körpern in Leni Riefenstahls Olympia (1936). Vgl. Susan Sontag, „Faszinierender Faschismus," Im Zeichen des Saturn (Frankfurt: Fischer, 1990) 96-125. 60 61
134
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
also für Frank „spartanisch streng erzogen, sportlich und kriegerisch geübt, in allem dem Staat, der Gesellschaft, zuerst verpflichtet",64 womit noch einmal ein deutlicher Bezug zu den alten Griechen („spartanisch") hergestellt wird. Obwohl in seinem Text keine konkreten Beweise für NS-Sympathien zu finden sind, wird in dem Text von Josef Maria Frank doch deutlich, dass er verschiedene nationalsozialistische Ideale verinnerlichte, die im Text durch sein idealisiertes Bild einer aztekischen Gesellschaft zum Ausdruck gebracht werden. Er legt auf das aztekische Element Mexikos großen Wert. Auch wenn seine Beschreibungen manchmal repetitiv wirken, Lücken oder falsche Informationen aufweisen - sei es wegen des damaligen Forschungstands oder aufgrund der bloßen Ignoranz des Autors —, widmet Frank diesem Thema achtzehn Seiten, und zeigt auch deutlich, dass er sich für die Abfassung dieses Kapitels auf Lektüren wie die Chroniken von Bemal Diaz del Castillo und das klassische Werk The Conquest of Mexico von William S. Prescott stützte. Colin Ross hingegen bietet eine kürzere, aber präzisere Einführung in die aztekische Kultur. Zudem lässt er im Gegensatz zu Frank tiefe, ausdifferenzierte Kenntnisse der präkolumbianischen Kulturen erkennen. Sogar sein Sohn Ralph war von der Mayakultur begeistert. Colin Ross erwähnt, dass er in den USA zu einem Professor der Universität Chicago mit dem Namen Thompson, dem Leiter archäologischer Expeditionen in Yukatan,65 Kontakt hatte. Seine differenzierten Kenntnisse des prähispanischen Mexikos lassen viel von Colin Ross' hoher sozialer Stellung und Bildung erahnen. Seine Position, aber auch sein Studium des Ingenieurwesens, wirken sich in der Darstellung insbesondere dort aus, wo genauere objektivere Einblicke gegeben werden, die sich markant von den bildreichen, emotionalen Beschreibungen Josef Maria Franks unterscheiden. Colin Ross' Betrachtung der Azteken und der vorhispanischen Kulturen im Allgemeinen zeigen sich auf eine sehr rationale Art. Nichtsdestotrotz tauchen zwischendurch auch Eindrücke von Ross als Reisendem auf, die die Neugier des Autors beweisen. Genauso wie Josef Maria Frank war Colin Ross vom Altertum der indigenen Völker fasziniert. Das Aufeinandertreffen mit der gewaltigen Natur bzw. der breiten Steppe auf der Autofahrt nach Mexiko-Stadt ruft in ihm ein Gefühl der Faszination hervor, das ihn dazu bringt, die Idee einer unberührbaren, maßlosen Ewigkeit rhetorisch mit Repetition („Stamm auf Stamm" / „Volk auf Volk" / „Rasse auf Rasse") und Klimax („Seit Hunderten / Tausenden / vielleicht Zehntausenden...") zu formulieren: „Wir folgen der großen amerikanischen Völkerstraße, die seit Hunderten, seit Tausenden, vielleicht seit Zehntausenden von Jahren Stamm auf Stamm zog, Volk auf Volk, Rasse auf Rasse'1.66 Neben „Stamm" verwendet Ross hier Schlüsselwörter der NS-Rhetorik wie „Volk" und „Rasse", um die von ihm reflektierten Ideen in die Realität einzuordnen. Das Wort „Volk" war schon bei den Nationalbewegungen des 19.
64 65 66
Frank, Mexiko ist anders 99. Ross, Der Balkan Amerikas 199. Ross, Der Balkan Amerikas 43. Hervorhebung von mir vorgenommen.
Kapitel IV
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Jahrhunderts emphatisch überhöht, wurde aber im nationalsozialistischen Diskurs stets gebraucht und semantisch streng mit „Rasse" verbunden. 67 Diese Verquickung lässt Ross durch die Verwendung dieser Wörter - zusammen mit „Stamm" — als Synonyme zeigen. Jedenfalls tragen diese sprachlichen Mittel die Vorstellung einer unfassbaren uralten namenlosen Masse mit sich, die für den Reisenden und seine Leser auch eine mysteriöse Herkunft hat. Darüber hinaus stellt der Kontrast zwischen einer gewaltigen Natur („Steppe", „Prärie") und einer den prähistorischen Fundstücken nach hochentwickelten Kultur ein probates Mittel dar, um den Triumph der Zivilisation über die Natur zu verdeutlichen: Es ist die breite Straße, die v o m Norden des Kontinents über die Steppe und Prärie a u f das mexikanische Hochplateau fuhrt. Nach Süden zu verengt es sich schlauchartig, bricht jäh ab, so daß sie die südwärts ziehenden Völker hier haltmachen m u ß t e n , sich niederließen und jene hohen Kulturen Staunen
gründeten, vor deren Trümmern wir Heutigen in
ratlosem
stehen. 6 8
Stetig erinnert Ross an die mysteriöse Atmosphäre, die bei ihm die Idee des Aztekischen ausstrahlt. Und vor allem betont er die Omnipräsenz der aztekischen Spuren, die dem Reisenden überall in Mexiko begegnen: „Mexiko ist so reich an Tempeln, Pyramiden und Gräbern", erklärt er erstaunt, „daßman
sie gar nicht auf-
zusuchen braucht, daß man ihnen gar nicht entgehen kann". 6 9 Die Vergangenheit sei also für den Reisenden unvermeidbar. Ross erzeugt den Effekt einer allgegenwärtigen Vergangenheit mit zwei nebeneinanderstehenden Nebensätzen, die sich durch Repetition gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken. Dieses mythologische, fast magische Denken verstärkt sich an der Stelle, wo Ross sich erlaubt, über die Herkunft des amerikanischen Menschen zu theorisieren, wobei abermals ,NS-Töne' aufgegriffen werden. So lassen sich bei Ross' Idee der Ewigkeit und des Heroismus einer „Rasse" und eines „Volkes", die sich durch die riesige „menschenleere Prärie" bewegte und eine glänzende Zivilisation gründete, Parallelen zu den damals populären NS-ArierMythologien sowie zu der faschistischen Obsession der Ewigkeit und des Millenarismus 70 finden:
67
Unter „Volk" verstanden die Nationalsozialisten: „eine durch Rasse und gemeinsamen Volks-
boden geprägte naturhafte Gemeinschaft von gemeinsamer Abstammung, Geschichte, Sprache und Kultur, die einer starken Führung und steter Erziehung und Ausrichtung bedarf." Vgl. Cornelia Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus
642.
68
Ross, Der Balkan Amerikas 4 3 . Hervorhebung von mir vorgenommen.
69
Ross, Der Balkan Amerikas 4 5 . Hervorhebung von mir vorgenommen.
70
Die „Ariosophie", eine gnostische nationalistische Bewegung, die am Anfang des 20.
Jahrhunderts in Österreich und Deutschland entstanden ist, behauptete, dass die arische Rasse kontaminiert wäre und dass die Welt durch Krieg purifiziert werden sollte, um eine neue Welt zu gestalten. Anhänger dieser Bewegung nahmen 1919 an der Gründung der N S D A P teil. Vgl. Griffin, Modernism
and Fascism 139.
136
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko i m Nationalsozialismus Wenn man an die zur Zeit der Entdeckung fast menschenleere Prärie denkt, (...) so fragt man sich freilich, woher denn eigentlich die Menschenmassen kamen, die Mexiko in immer erneutem Zuzug von Norden her besiedelten. Die landläufige Ansicht geht dahin, daß sie über die Beringstraße von Asien her einwanderten (...) Allein, etwas in mir wehrt sich gegen die Hypothese von Asien als Menscheitswiege. Warum soll das Leben nur einen Ursprung haben, wenn es überhaupt einen hat und nicht „ewig" ist, etwas über unser
Forschen und Begreifen
Hinausgehendes?71
Und genauso rätselhaft wie der Ursprung der aztekischen Kultur und der amerikanischen Völker ist die monumentale, „gewaltige" Architektur der aztekischen Pyramiden, die der Autor stets mit den ägyptischen vergleicht. Hierin lässt sich eine Art von Orientalismus erkennen, der an den Diskurs vieler Reisender wie Alexander von Humboldt 7 2 oder Christoph Kolumbus 73 erinnert. Ross betont aber gleichzeitig das Mysterium der Entstehung der prähispanischen aztekischen Bauwerke, indem er erklärt, dass es sich in Mexiko nicht nur um eine einzige Kultur handele, sondern um mehrere, 74 deren einzelne Identitäten im Lauf der Geschichte verschwinden: Auf der Plattform der Pyramide soll ein dem Sonnengott geweihter Tempel gestanden haben. Allein, wer weiß dasi Man weiß ja nicht einmal, welches Volk diese Pyramide errichtete, man schreibt sie den Tolteken zu, allein, sie mag auch einer früheren Periode
angehören. Jedenfalls fand bereits Cortez (sie) sie in ungefähr dem gleichen Zustand vor wie heute wirP Der Zweifel wird hier stets durch rhetorische Fragen („wer weiß das?"), Adverbien („nicht einmal") und Modalverben (soll, mag) markiert. Infolgedessen regt dies auf pragmatischer Ebene die Neugier, aber auch das Zweifeln an. Noch wichtiger scheint für Ross die Idee der Ewigkeit zu sein, die sich in der oben zitierten Textstelle wiederholt: die Pyramide soll sich im Laufe der unmessbaren Jahrhunderte kaum verändert haben. Uber das Mysteriöse und Unfassbare hinaus wird auch das Motiv der Monumentalität der Pyramide verwendet, die bei Ross den Sinn der Ewigkeit und der transzendentalen Macht über das Individuum hat, etwa derart, dass der alte Bau einen großen Eindruck auf den Menschen macht. Bemerkbar ist hier, dass er die Sonnenpyramide in Teotihuacän als Bau mit „ungeheurer Wucht" empfindet:
Ross, Der Balkan Amerikas 43-44. Hervorhebung von mir vorgenommen. Vgl. Oliver Lubrich, .„Überall Ägypter'": Alexander von Humboldts orientalistischer Blick auf Amerika," Germanisch-Romanische Monatsschrift 85 (2004): 19-39. 73 Blanca López de Mariscal, „La visión de Oriente en el imaginario de los textos colombinos," 71
72
Revista de Humanidades: Tecnológico de Monterrey 20 (2006): 131-150. 74 „Auch andere Länder sind reich an Ruinen und Altertümern, Ägypten vor allem, das einen stets zum Vergleich herausfordert. Dort handelt es sich aber im Allgemeinen nur um eine sich wandelnde und entwickelnde Kultur" (Ross, Der Balkan Amerikas 44). 75 Ross, Der Balkan Amerikas 45. Hervorhebung von mir vorgenommen.
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Teotihuacan aber ist in einen Talkessel gebettet. Kakteen und Agavengelände umgeben die Sonnenpyramide. Aus ihnen heraus erhebt sich der breit hingelagerte Bau mit ungeheurer Wucht. Vielleicht liegt es auch an der Form. Die ägyptischen Pyramiden sind spitz und steil, die mexikanischen breit und stumpf. Außerdem sind sie in Terrassen gestuft, und eine zuerst eindrucksvoll breite, später sich immer mehr verengende Treppe fuhrt auf sie hinauf. Die Stufen dieser Treppen sind außerordentlich steil und schmal. Grüne Eidechsen huschen über sie hin. Wer zu Schwindel neigt, sieht sich lieber nicht um.76 Ross kreiert an dieser Stelle eine effektreiche Darstellung der Größe, die auf die kontrastreichen Dimensionen hinweist. Zum Beispiel die Beschreibung der Treppen, in der der optische Eindruck des plötzlichen radikalen Verengens mit den Worten „eindrucksvoll breit" anfängt und dann mit „außerordentlich schmal" aufhört. Beide Adverbien sind positiv konnotiert, ein Merkmal, das viel über die persönliche Bewunderung des Reisenden aussagt. Hier wird das durch die Pyramide dargestellte Bild der Ewigkeit mit der Macht einer auf Dauer siegreichen Natur kontrastiert. Die Kakteen und Agavengelände umschließen das monumentale Gebäude, während grüne Eidechsen in ihren Steinen leben. Auch wenn die Zivilisation, die Teotihuacan errichtete, spurlos verschwand, erhebt sich trotzdem die Pyramide als Menschenwerk über die Natur und scheint jenseits der messbaren Zeit zu stehen. Noch einmal taucht hier der Bezug auf die ewige, über den Menschen herrschende architektonische Ästhetik des Nationalsozialismus und Faschismus auf, wie sie sich auch in monumentalen Gebäuden jeder Art in Deutschland und Italien zeigte. 77 Diese Schönheit und Monumentalität, aber auch die spektakuläre Darstellung vieler Aspekte des sozialen Lebens - so wie Kunst, Politik, Sport und Architektur - diente dem Regime dazu, ihre Bürger zu der Uberzeugung zu bringen, dass sie in einer großen Zeit lebten. 78 Und so scheint auch Ross die Azteken zu präsentieren: als Menschen, die einen hohen zivilisatorischen Glanz erreichten. Während Josef Maria Frank sich in seinem literarischen Werk ausführlich mit der Funktionsweise der aztekischen Gesellschaft befasst, widmet Colin Ross diesem Aspekt nicht allzu viele Passagen. Kurz und knapp beschreibt er seinen Lesern die Paradoxien des politischen Systems, und geht noch darüber hinaus, indem er in diesem die Ursprünge der damaligen mexikanischen Politik findet: Der aztekische Staat war eine seltsame Mischung von Demokratie und Tyrannis, von kommunistischer Agrarverfassung und Plutokratie, von Schönheitskult und Blutdurst,
Ross, Der Balkan Amerikas 45. Hervorhebung von mir vorgenommen. Viele italienische und deutsche Architekten entwarfen Projekte unter den Regierungen von Mussolini und Hitler, die von der Ästhetik des Faschismus inspiriert wurden. Adalberto Libera z.B. baute Curzio Malapartes Haus in Capri, Giusseppe Terragni konstruierte die Casa del Fascio in Como (1936), und Mies van der Rohe entwarf 1933 ein Projekt für die deutsche Reichsbank. Bis zu seiner Emigration nach Amerika im Jahr 1938 versuchte Van der Rohe unter den Schutzschirm des NS-Staates zu kommen. Vgl. Roger Griffin, Modernism andFascism 20-29. 78 Rohkrämer, Die fatale Attraktion 143. 76 77
138
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus von höchster Verfeinerung und raffinierter Grausamkeit. (...) Der Herrscher des Gesamtreiches war nicht etwa ein Kaiser oder König, sondern eine Art lebenslänglicher Präsident, der zwar gewählt wurde, aber in der Regel von den Mitgliedern ein und derselben Familie, also eine Regierungsform, die manche Ähnlichkeit mit den Diktaturen der späteren mexikanischen Republik besitzt.79
Obwohl er eher an der mexikanischen Gegenwart interessiert ist, greift Colin Ross den architektonischen Glanz des aztekischen Reiches auf. Tief besorgt über den Lauf der mexikanischen Politik jener Zeit, in der er einen immer größer werdenden Einfluss des Kommunismus findet,80 stellt Ross dagegen das vormalige Tenochtitlän in einer sehr idealisierten Weise dar und vergleicht es mit der zeitgenössischen Mexiko-Stadt: Der Blick von Fuß des Popocatepetl gehört heute noch zu den schönsten der Welt, damals muß er überwältigend gewesen sein. Die Stadt lag in jener Zeit noch inmitten eines Sees, der inzwischen trockengelegt wurde. Es gab keine rauchenden Fabriken, keine rußigen Bahnhöfe, keine ärmlichen Proletarierviertel. Tenochtitlän war eine Wunderstadt schimmernder Paläste und strahlender Tempel, voll Gärten und singender Vögel, von Kanälen durchzogen, die Gondeln beführen, bis zum Rande beladen mit dufiender Blumenlast.81 Die vorliegende Darstellung zeigt einen starken Kontrast zwischen der damaligen Mexiko-Stadt und dem historischen Tenochtitlän. Letztere Stadt war ein „Wunder", wo sich absolute Schönheit, utopische Perfektion, das Unmögliche und die Nostalgie einer verlorengegangen Welt spüren lassen, was sich mit der Ästhetik des Wunders in den Darstellungen der Neuen Welt aus dem 16. Jahrhundert verbindet. 82 Auch wenn der Blick von den Bergen ins Hochtal noch immer einer der „schönsten der Welt ist", betont Ross seine Nostalgie gegenüber der verlorenen Stadt durch eine sinnliche Beschreibung, die optische und auditive Elemente sowie den Geruchsinn einbezieht. Die „rauchenden Fabriken", die „rußigen Bahnhöfe" und die „ärmlichen Proletarierviertel" stehen in starkem Kontrast zu den „schimmernden Palästen", „strahlenden Tempeln", den „singenden Vögeln" und dem Blumenduft. Auf der einen Seite stehen Begriffe wie „Licht", „Grün", „Leben" und „Duft", auf der anderen Seite Bilder der Dunkelheit, Armut und Schmutz. Somit wird Mexiko-Stadt zur Antithese von Tenochtitlän. Der Lauf der Geschichte und die sich später „aufdrängenden" Elemente radierten jene idealisierte, paradiesische Vergangenheit aus, so wie es auch mit der hellenistischen Zivilisation geschah - und hier muss man Ross' Vergleich mit dem Balkan, aber auch seine Nostalgie wieder aufgreifen. „Der große Platz ist das einzige was von Tenochtitlän, der Hauptstadt des einst so gewaltigen Aztekenreiches, noch übrig ist, der Platz allein, der leere Platz",83 beklagt Ross emphatisch durch Hyperbaton und Repetition.
75 80 81 82 83
Ross, Der Balkan Amerikas 49. Im fünften Kapitel wird seine Wahrnehmung der mexikanischen Revolution diskutiert. Ross, Der Balkan Amerikas 53. Hervorhebung von mir vorgenommen. Greenblatt, Marvehus Possessions 79. Ross, Der Balkan Amerikas 47.
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Nostalgie und Faszination, Erstaunen und Bewunderung sind nur ein Teil des widersprüchlichen Empfindens von Colin Ross. Die „blutdurstige" Religion der Azteken, die auch seine Zeitgenossen stark beeindruckte, schockierte ihn andererseits auch zutiefst. An der Stelle, an der er die Entdeckung des Opfersteins in Mexiko-Stadt erwähnt, scheint es, als ob er eine Metapher des postrevolutionären Mexikos gefunden hätte, indem das indigene Element zumindest offiziell wieder an Wichtigkeit gewinnt. Durch das Bild des wiederentdeckten Steins erschafft er also eine Metapher des indigenen Aufstands. Das rote Blut des aus dem Leib gerissenen Herzens verbindet sich mit der roten Haut des Indigenen - und auch mit den brutalen Konsequenzen des mexikanischen Revolutionskrieges. Auf dem Platz, über den wir jetzt fahren, fand man im Jahre 1791 den riesigen Opferstein des großen Teocalli. Erschrocken begrub man ihn wieder. Eine spätere Epoche, weniger abergläubisch, holte ihn wieder aus der Erde; heute steht er im Nationalmuseum. Es ist ein mächtiger, reliefumkleideter flacher Zylinder. In der Mitte hat er eine Vertiefung, in die der Priester im scharlachroten Mantel das Herz legte, das er dem nackten, zuckenden Opfer mit bluttriefenden Händen aus dem Leib gerissen, nachdem er ihn mit dem haarscharfen Obsidian Messer geöffnet hatte. 84
Josef Maria Frank und Colin Ross zeigen Respekt und Erstaunen gegenüber den Azteken und gegenüber den historischen Indigenen Mexikos im Allgemeinen. Im Gegensatz dazu erschreckte sie jedoch die brutale aztekische Religion, die Colin Ross, Kenner vieler anderer Kulturen der Welt, aber gleichzeitig auch relativierte. Mysterium, Monumentalität und Ewigkeit einer kriegerischen, hart disziplinierten Gesellschaft erinnern an die Ideale eines „sozialen NS-Ethos". Nichtsdestotrotz waren die historischen Indigenen anders als die „Indios", die Ross und Frank während ihrer jeweiligen Aufenthalte in Mexiko trafen. Die Konsequenzen der mexikanischen Revolution und ihre Widersprüche sowie die kommunistischen Tendenzen unter Cárdenas' Regierung und die Etablierung ethnischer Diskurse in Mexiko, etwa des Indigenismus und des Mestizismus, prägten die Eindrücke der Autoren über die zeitgenössischen Indigenen und die mexikanische Gesellschaft. D a dies ausführlich in den Reiseberichten thematisiert wurde, soll es in den folgenden Teilen dieses Kapitels noch ausführlich dargelegt werden. Die Kontinuität der kolonialen Geschichte Mexikos und ihre Interpretation sind allerdings auch für den hiesigen Abschnitt relevant. Als gute Kenner der Ereignisse der Conquista und der darauffolgender Kolonialzeit lenkten sowohl Josef Maria Frank als auch Colin Ross ihre Aufmerksamkeit auf eine wichtige historische Figur: den Konquistador Hernán Cortés.
84
Ross, Der Balkan Amerikas 50. Hervorhebung von mir vorgenommen.
140
D e u t s c h e Reiseliteratur über M e x i k o im Nationalsozialismus
Cortés y la Malinche (1924-1926) von José demente Orozco. Escuela Nacional Preparatoria. Antiguo Colegio de San Ildefonso. Mexiko-Stadt. (Bild von Alba Herrera Rivas. Hier verwendet mit Genehmigung der Fotografin).
Kapitel IV
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2. HERNÁN CORTÉS. D E R TRIUMPH DES WILLENS ODER D O N QUIJOTE
In der mexikanischen Vorstellung hat Hernán Cortés einen besonderen Platz. Erstens gilt er als Konquistador und Zerstörer des aztekischen Reiches, als Auslöser der Ausbeutung der Indigenen und der Gräueltaten von den Spaniern in der Kolonialperiode. Diego Rivera, der kommunistische Ideen hatte, repräsentiert den spanischen Konquistador immer mit kriegerischen Motiven, imposant und mit einer selbstbewussten Haltung, bewaffnet mit Schwert, Helm und Ritterrüstung, wie es zum Beispiel auf dem Wandbild im Palacio Cortés (Cuernavaca) zu sehen ist. Dort empfängt Cortés die Tribute der Indigenen umgeben von seinen Soldaten.85 Außerdem befindet sich auf dem berühmten Fresko „Sueño de una tarde dominical en la Alameda" im Hotel del Prado (Mexiko-Stadt) eine Darstellung von Cortés, auch mit Militärausrüstung, auf welcher gezeigt wird, wie er auf den Knien liegend mit blutigen Händen betet. Hiermit weist Rivera deutlich auf die Gräueltaten und Verbrechen der Conquista hin.86 Neben dieser mit Gewalt verbundenen Darstellung des Konquistadors wird Hernán Cortés aber auch mit einer schöpferischen Kraft assoziiert, d. h. mit einer Figur, die durch seine Ehe mit seiner indigenen Geliebten Malinche als symbolischer Vater des modernen mexikanischen Volk gilt. Der Maler José Clemente Orozco, Kollege von Diego Rivera, aber durch seine eher stalinistisch-kommunistische Einstellung ideologisch von ihm distanziert, stellte in den 20er Jahren auf einem Fresco in der Escuela Nacional Preparatoria (Mexiko-Stadt) Hernán Cortés neben der Malinche dar, Hand in Hand und nackt, als Symbol des ersten Mestizo-Ehepaars auf amerikanischen Boden. Die nackte und athletisch gebaute Figur des Konquistadors bringt eine biologische Symbolik hervor, die im Zusammenhang mit dem ebenfalls nackten Körper der schwangeren Malinche auf die erschaffende Kraft ihrer Sexualität hinweist. Als Vater und Mutter stehen Cortés und Malinche über dem kleineren Leichnam eines Indigenen, wodurch Cortés als gewaltige und dominierende symbolische Vaterfigur gezeigt wird. Bei dem Versuch, nach der mexikanischen Revolution die mexikanische Geschichte und Identität neu zu interpretieren, spielte die Figur Cortés eine bedeutende Rolle, und zwar nicht nur in der Kunst der sogennanten muralistas, sondern auch im literarischen Diskurs, wie etwa José Vasconcelos in seinem Essay La raza cósmica (1925) zeigt. Auch wenn sich während und nach dem Revolutionskrieg ein gewisser Grad an Hispanophobie unter dem mexikanischen Volk nicht vermeiden ließ,87 betonten Intellektuelle wie Vasconcelos dennoch stets die Wichtigkeit, zum 85
Jorge Gum'a Lacrox, Hernán
Cortés y Diego
Rivera
(México: U N A M - Instituto de
Investigaciones Históricas, 1971) 56. 86
Gurría Lacrox, Hernán Cortés y Diego Rivera 61.
87
Wahrend des Revolutionskriegs wuchs die Ausländerfeindlichkeit in Mexiko deutlich,
wobei spanischstämmige Zuwanderer nicht ausgeklammert blieben. Zwischen 1911 und 1940 wurden 1.200 Spanier unter Berufung auf Artikel 33 der mexikanischen Verfassung aus Mexiko ausgewiesen. Yankelevich erläutert: „Las tres facciones revolucionarias que se disputaron el poder
142
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Wiederaufbau des neuen Mexikos auf die spanischen Wurzeln zurückzugreifen. Obwohl das Bestreben meist auf den künstlerischen Diskurs beschränkt blieb, versuchte das Land sich von den ausbeuterischen wirtschaftlichen Umständen unter den Zwängen des US-amerikanischen und englischen Kapitals des Porfiriato zu befreien. Bei José Vasconcelos findet sich ein Entwurf einer neuen lateinamerikanischen bzw. mexikanischen Mestizo-Identität. Er diskutiert die lado latino (lateinische Seite) der mexikanischen Kultur und unterscheidet in der Entstehung aller amerikanischen Republiken zwischen romanisch und angelsächsisch geprägten Völkern, zwischen einem spanisch- und einem englischgeprägten Raum, indem er gängige Vorstellungen des 19. Jahrhunderts übernimmt. Er kritisiert die Hispanophobie seiner Zeitgenossen insofern, als er auch im spanischen Element der mexikanischen Kultur hohe Werte identifiziert.88 Beispiele fur diese Werte findet er nicht nur in den relevantesten Autoren des spanischen Siglo de Oro, sondern auch — und insbesondere - in der Figur der Eroberer. Vasconcelos hebt ihre Gleichstellung gegenüber dem spanischen König hervor, in der er eine Aufwertung der Individualität des „einfachen Mannes", 89 also desjenigen, der weder zum Adel noch zur Unterschicht des Volkes gehört, gegeben sieht. Er erkennt in diesen historischen Figuren den Ursprung des modernen Individuums, das sich durch das eigene Streben und nicht durch das Erbe eines adligen Titels in die Geschichte einschreibt. José Vasconcelos behauptet von Cortés und anderen spanischen Konquistadoren, sie seien weder césares (Kaiser) noch lacayos (Lakaien), sondern vielmehr „grandes capitanes" (Großkapitäne), die danach strebten, ihre eigenen Ziele nach ihrem eigenen Willen zu erreichen: Los hombres libres que se llamaron Cortés y Pizarro y Alvarado y Belalcázar no eran Césares ni lacayos, sino grandes capitanes que al ímpetu destructivo adunaban el genio creador (...) Todos ellos se sentían los iguales ante el rey, c o m o se sintió el Cid, como se sentían los grandes escritores del siglo de oro, c o m o se sienten en las grandes épocas todos los hombres libres. 90
Seine Begeisterung für die Selbstbestimmung des Individuums erinnert an die Idee des in der Renaissance verbreitetem Anthropozentrismus, aber auch an die Idee eines Helden, der durch seine Freiheit und seinen Willen nicht nur zerstört, sondern auch eine neue Welt gestaltet. Somit vereinen sich zerstörerische und schöpferische Charakteristika in ein und derselben Figur (Hernán Cortés). Auch wenn es im Kontext des Nationalsozialismus widersprüchlich klingen mag, da der Faschismus im Allgemeinen die Massen verteidigte und Individualität ablehnte,
entre 1 9 1 3 y 1916 — Zapatistas, carrancistas y villistas - tenían grandes diferencias, pero acordaban en su hostilidad hacia los españoles" (39). Vgl. Saul Yankelevich, „Hispanofobia y revolución: Españoles expulsados de México (1911-1940)," Hispanic American Historical Review 1 (2006): 29-59. 88 85 90
José Vasconcelos, La raza cósmica (Buenos Aires: Espasa-Calpe, 1948) 23. Vasconcelos, La raza cósmica 22. Vasconcelos, La raza cósmica 22.
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gab es in NS-Deutschland einen Kult um die Figur eines „Führers" als eine Art Massenheld, der sein ganzes Volk in eine utopische Zukunft hineinbringen sollte. Wie es Susan Sontag erläutert, „schließt" die „Begeisterung für die Gemeinschaft (...) die Suche nach einem absoluten Führer nicht aus".91 Der Konquistador - oder „Führer" - als individueller Massenheld zerstörerischer und schöpferischer Natur scheint bei Vasconcelos einer der Grundsteinen der neuen mexikanischen Nation zu sein, indem er die europäische Zivilisation in Mexiko einführte und dadurch den Anstoß zur Entstehung einer neuen Nation gab. Diese Interpretation ähnelt dem Konzept, das durch die Analyse der Figur Hernán Cortés bereits bei Colin Ross erkennbar wurde. Bei Josef Maria Frank scheint das Bild von Cortés hingegen sowohl kritischer als auch trivialer zu sein, obwohl auch dieser Autor eine gewisse Bewunderung gegenüber dem Eroberer zum Ausdruck bringt - und im Übrigen auch eine emphatische Emotionalität, welche jedoch nicht mit der ernsthaften Perspektive Colin Ross' vergleichbar ist. a) Hernán Cortés oder der Triumph des Willens Der Triumph des Willens ist neben Olympia der bekannteste Film - oder Dokumentarfilm, wie ihn Susan Sontag bezeichnet - von Leni Riefenstahl, der den Parteitag von 1934 in Szene setzt. Es handelt sich nicht nur um eine Verfilmung des Parteitages, sondern auch um eine Inszenierung, bei der eine „radikale Transformation der Realität" stattfindet und „Geschichte zum Theater wird".92 Der Titel greift auf Nietzsches Buch Wille zur Macht (1906) 93 zurück, welches die NS-Propaganda zur Begründung der Ewigkeit des Reiches ausnutzte: Es ist unser Wunsch und Wille, dass dieser Staat und dieses Reich bestehen sollen in den kommenden Jahrtausenden. Wir können glücklich sein zu wissen, dass diese Zukunft restlos uns gehört. 94
In der nationalsozialistischen Ideologie steht der Wille für die Macht des kollektiven Strebens, die von einem „Führer" - insbesondere Adolf Hitler - in die Ewigkeit geleitet werden soll. In diesem Sinne verkörperte der „Führer" eine Art Messias, und zwar nicht nur für die Partei, sondern für das Schicksal der ganzen Nation. Wie Roger Griffin durch seine Interpretation von Riefenstahls Film erklärt, „Hitler embodied the promise of becoming part of a revitalization movement that would turn the nation into a source of secular immortality, of transcendence, of a
" Sontag, „Faszinierender Faschismus" 117. 92 Sontag, „Faszinierender Faschismus" 104. 93 Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht. Versuch einer Umwerthung Alfred Kröner, 1922). 94 Adolf Hitler bei Leni Riefenstahl, Der Triumph des Willens (1935).
aller Werthe (Leipzig:
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new nomos, and a new Community". 95 Aus dieser Perspektive handelt es sich nicht nur um einen individuellen, sondern auch um einen kollektiven Willen: der des „Führers" und der des Volkes. Interessanterweise taucht ein solches Konzept auch bei Colin Ross' Darstellung von Hernán Cortés auf, auch wenn auffällige Unterschiede und Partikularitäten beachtet werden müssen. Während Colin Ross sich in der Hafenstadt Veracruz am Golf von Mexiko aufhält, muss er daran denken, wie es für Cortés und sein Heer gewesen sein muss, die Nacht in der feuchten Hitze am Meer zu verbringen: D i e Nacht in Vera C r u z war unerträglich heiß. D i e Moskitos surrten. Aber es waren nicht so sehr die s u m m e n d e n Stechmücken
u n d die feuchte Schwüle,
die mich wach hielten,
als der Gedanke an die sechshundert, die vor vier Jahrhunderten an der gleichen Stelle wochenlang lagerten, ohne Steinmauern, die die sengende Sonne abhalten, ohne Netze gegen die Pest der Moskitos, ohne Chinin gegen das Fieber.96
Tropische Naturelemente, die Krankheiten (Malaria) und wilde Natur (Moskitos, Stechmücken, Schwüle) assoziieren lassen, bilden eine Szene, die im Gegensatz zum romantischen Bild eines Abenteuers steht. 97 Colin Ross, der als Reisender an unangenehme und gefährliche Reiseumstände gewöhnt gewesen sein dürfte, verwendet diese Beschreibung, um seine Bewunderung für die spanische Expedition nach Mexiko zum Ausdruck zu bringen: es sei nicht die lästige tropische Natur, die ihn wach hielt, sondern die Vorstellung, wie durch den Willen („Willenskraft") und die Intelligenz („Kühnheit") eines „Führers" (Cortés), der sich gegen alle Schwierigkeiten durchsetzte, das „Unmögliche" verwirklicht werden konnte. Dieses gemeinsame Projekt, das nichtdestotrotz aus dem individuellen Streben entstand, rechtfertigte laut Ross alle Gräueltaten, die danach kamen: Sechshundert M a n n in den S a n d d ü n e n in Laubhütten, ohne genügend Proviant, ohne Hilfsmittel, aber unter einem Führer, der entschlossen war, ein wohlgeordnetes riesiges Reich zu erobern, dessen Bevölkerung nach Millionen, dessen Heere nach Hunderttausenden zählten. M a n m a g es drehen und deuteln, wie m a n will, der Zug des Cortez bleibt Wunder an Willenskraft
und Kühnheit.
ein
Nein, nicht nur das: auch an Klugheit, an diploma-
tischem Geschick, an Grausamkeit, Niedertracht und Gemeinheit. Aber vielleicht war all
das zusammen nötig, um das Unmögliche zu vollbringen Auch wenn Der Balkan Amerikas tatsächlich zwei Jahre vor Kriegsanfang veröffentlicht wurde, erscheint eine Parallelisierung zur deutschen Geschichte vor diesem Hintergrund unvermeidbar. Doch können die Beschreibungen von Colin Ross anders 95
Griffin, Modernism andFascism 275.
56
Ross, Der Balkan Amerikas 51. Hervorhebung von mir vorgenommen. Dies weist auf die Warnungen Colin Ross zu potentiellen Emigranten in seinem
97
Auswanderer ABC hin. Vgl. Kapitel I. 98
Ross, Der Balkan Amerikas 51. Hervorhebung von mir vorgenommen.
Südamerika
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interpretiert werden. Obwohl der Bezug auf ein nationalsozialistisches „Ethos" deutlich erkennbar ist, tauchen im Text auch Merkmale des Abenteuerbildes des 19. Jahrhunderts auf. Es ist nicht zu vergessen, dass die Reise- und Forschungskultur der Romantik und der Aufklärung den individuellen Geist hervorhob, und darunter vor allem die Konfrontation zwischen Individuum und Natur, sowie den ,Siegeszug' des menschlichen Geistes über die Natur durch die Eroberung, Erforschung und Erkundung der natürlichen Elemente. Dies ist zum Beispiel in dem folgenden Zitat ausgedrückt, in dem Hernán Cortés allein stehend vor der aztekischen Hauptstadt beschrieben wird. Hernán Cortés, als Symbol der europäischen Kultur und Zivilisation (er wird als „Spanier" bezeichnet, wo Ross seine Leserschaft wohl auf deren gemeinsamen Herkunft aufmerksam macht), drängt sich nicht nur in die wilde mexikanische Natur (Schnee, Berge, Kälte) ein, sondern auch versucht, mit seinem Heer die dort lebenden Zivilisationen zu erobern: So erreichte Cortez die Hochebene, so gewann er die Bundesgenossenschaft der Tlaxcalaner, und so zog er in das mit Mexiko verbündete Cholula, an der Spitze eines jetzt bereits gefahrlich großen Heeres und in bedrohliche Nähe der Hauptstadt (...) In Cholula hatte Montezuma Cortez samt seinen Leuten ermorden wollen. Aber der Spanier kam ihm zuvor, schlachtete kaltblütig 2000 Indianer ab und festigte durch diese Schreckenstat seinen Ruf noch mehr. Dann zog er durch den Paß. Die Azteken hatten den Weg durch gefällte Bäume zu sperren versucht. Es schneite. In der Nacht war es bitter kalt. Aber als das
Heer Amecameca erreicht hatte, sah es vor sich im Tal Tenochtitldn
liegen
Die Bildung von kurzen Sätzen („So erreichte Cortez die Hochebene, so gewann er die Bundesgenossenschaft der Tlaxcalaner, und so zog er...") beschreibt aufsteigend die erreichten Ziele des Konquistadors. Durch diese Erzähltechnik erzeugt Colin Ross einerseits Spannung beim Leser, kontrastiert andererseits aber auch das Individuum gegenüber einer Masse: abgesehen von einer einzigen Erwähnung von Moctezuma wird nur auf die Person von Cortés direkt (zwei Mal) oder indirekt - durch Personalpronomen und Metonymien wie „Der Spanier", „seinen R u f ' , „an der Spitze" (fünf Mal) — Bezug genommen, wodurch er aus der Masse („Tlaxcalaner", „Azteken", „Indianer", „Heer") hervorgehoben wird. Erstaunlicherweise wird Moctezuma in der ganzen Passage,100 in der Colin Ross die Geschichte der Eroberung Mexikos erzählt, nur vier Mal erwähnt; Cuauhtémoc nur drei Mal. Offensichtlich spielte Cortés für Colin Ross die führende Rolle in diesem Teil der mexikanischen Geschichte. Durch sieben direkte Erwähnungen des Konquistadors wird Cortés im Gedächtnis des Lesers an erster Stelle positioniert. Somit zeigt sich Colin Ross von der Kühnheit und dem Selbstbewusstsein von Cortés angetan, welche der Autor stets rhetorisch betont. Ein häufiges Motiv ist dabei der „unbeugsame Wille" des Spaniers, aber auch seine Kraft, Massen auf seine Seite zu ziehen und gegen seine Feinde zu mobilisieren.
99 100
Ross, Der Balkan Amerikas 52. Hervorhebung von mir vorgenommen. Ross, Der Balkan Amerikas 51-54.
146
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko i m Nationalsozialismus Aber der unbeugsame Wille eines Mannes, der sich weder von Menschen noch vom Schicksal besiegen ließ, brachte ein neues, stärkeres Heer auf die Beine und führte es von neuem gegen Tenochtitlán, diesmal nicht in der Maske des Gastfreundes, sondern von vornherein als Feind und Gegner.101
Uber den „unbeugsamen Willen" hinaus scheint fiir Colin Ross noch bewundernswert zu sein, wie Hernán Cortés als eine Art mystischer Kämpfer nicht nur die ohnmächtigen Azteken besiegte, deren Größe der Autor zur Betonung des Mutes des Konquistadors hyperbolisch beschreibt, sondern auch gegen eine Idee ankämpfte, die religiös und mystisch oder auch militärisch klingen mag: „das Schicksal". In diesem Sinne gilt die Geschichte für Ross als eine durch „Kraft" und „Willen" erfassbare und formbare Entität. Also steht die Figur des Individuums gegen den Lauf der Geschichte - oder des Schicksals - in der Vorstellung des Autors im Mittelpunkt. Auch wenn diese Idee mit dem Mystizismus der NS-Ideologie assoziiert werden kann, lässt sich dieses Ideal auch auf den Geist der Romantik und der Aufklärung zurückfuhren, von dem Colin Ross als Reisender und Abenteuer offensichtlich beeinflusst war.
b) Herndn Cortés: Don Quijote und Hollywood-Star Josef Maria Frank geht auf die Geschichte der Eroberung Mexikos ausführlicher ein. Doch seine Perspektive auf Hernán Cortés scheint weniger ideologisch geprägt zu sein, auch wenn sie nicht frei von eigenen Gefühlen ist. Mit deutlich mehr literarischen und filmischen Kenntnissen als Ross - denn bei Frank finden sich stetige Vergleiche und Erwähnungen von populären Texten und Filmen der 30er Jahre - vergleicht der Autor Hernán Cortés mit dem Hollywood-Schauspieler Douglas Fairbanks und mit Don Quijote de la Mancha. Josef Maria Frank thematisiert die Geschichte der spanischen Eroberung Mexikos in einem legeren Ton und verwendet einen umgangssprachlichen Stil. Er widmet diesem Thema, 102 das Colin Ross nur in fünf Seiten zusammenfasst, ganze 30 Seiten. Ebenso wie Colin Ross schreibt auch Frank Hernán Cortés eine zentrale Rolle zu, setzt sich aber mit ihm ausführlicher auseinander und zieht, wie bereits erwähnt, Parallelen zu Figuren der damaligen Volkskultur. Als Schriftsteller und Drehbuchautor waren Josef Maria Frank die Sprache und der Stil der Filmindustrie und des Journalismus seiner Zeit bekannt, und er verwendet deren bzw. dessen Jargon ausfuhrlich. So führt er sein Kapitel über Hernán Cortes zum Beispiel mit einer Art journalistischer Schlagzeile ein: „Der Weltgeschichte phantastischster Filmstoff: Cortez mit der Handvoll schwankender Abenteurer-Gestalten erobert und vernichtet das Millionenreich Montezumas". 103 Anschließend berichtet er, wie ihm erzählt wurde, dass in Hollywood das Interesse bestand, einen Film mit der Geschichte des Cortés zu
101 102 103
Ross, Der Balkan Amerikas 53. Hervorhebung von mir vorgenommen. Frank, Mexiko ist anders 97-117. Frank, Mexiko ist anders 97.
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drehen, der ein „ B o m b e n s t o f f (...) für die ganze Welt" und „ein Bombengeschäft"104 werden sollte. Laut der von Frank berichteten Anekdote wurde das Filmprojekt nicht angenommen, denn das Thema schien „so unwahrscheinlich", dass das Publikum sich nie darauf einlassen würde.105 Frank basiert seine Kenntnisse des Cortés und der Eroberung Mexikos auf William H. Prescotts Bestseller History ofthe Conquest ofMexico (1843),106 der interessanterweise drei Jahre vor dem Anfang des Krieges zwischen den USA und Mexiko veröffentlicht wurde. Frank bezeichnet Prescotts Werk als „eines der spannendsten Bücher der Welt".107 Dies entpuppt nicht nur die Begeisterung des Reisenden für die Geschichte der Eroberung, sondern zeigt auch deutlich die affektive Dimension, mit welcher der Autor dieses Thema erfasste: Enthusiasmus und Erschrecken, Sympathie, aber auch Ablehnung. Zumal wird Cortés bei Frank nicht nur als heroischer Konquistador Mexikos bezeichnet, sondern auch als ein „Gauner", der gleichzeitig ein „schlauer Mann" war, der Mexiko zum Reichtum und Ruhm Spaniens und dessen König Karls V. erobert hatte, und der außerdem ein „Köpfchen mit Phantasie" besaß, das noch den „genialsten Romanautor" übertreffe. Wie in vielen Passagen seines Reiseberichtes zeigt Josef Maria Frank einen hohen Grad an Affektivität, der sich in fast jedem Abschnitt über den Konquistador rhetorisch bestätigt: Cortez war ein bedenkloser, doch denkstarker Abenteurer, ein skrupelloser Streber und manchmal sogar ein ausgesprochener Gauner, der nach moderner Rechtsauffassung manche seiner Aktionen mit manchen Jahren Zuchthaus hätte liquidieren müssen. Aber er war ein sehr schlauer Mann, dazu ein „Köpfchen " mit Phantasie-, mit noch mehr Phantasie, als der genialste Romanautor aufiveisen könnte. Mehr: er war ein gründlicher Kenner der menschlichen Seelen und ein virtuoser Spieler mit ihnen, die er wie gezinkte Pokerkarten mit geschickter Volte mischte und stets mit seinen Bluffs und Tricks gewann. Noch mehr: er ging immer aufs ganze und ganz aufs letzte; er hatte auch keine Angst davor, sein Letztes, sein Leben dabei zu verlieren - er war im Grunde genommen dadurch, daß er stets alles aufs Spiel setzte, so arm, daß er nie etwas zu verlieren und immer alles zu gewinnen hatte. Und schließlich: er war ein Mann vor allem mit Glück, immer wieder Glück, trotz allem Pech, das auch ihn verfolgte -bis zu seinem tragischen Lebensende, das ausklang in Demütigung und in Vertreibung.108
Cortés wird als eine historische Figur porträtiert, die aufgrund einer Kombination aus positiven Eigenschaften, umstrittener Ethik, einem glückvollen Leben und unglaublichen Erfolgen eine nahezu romanhafte Figur darstellt. Und dieses Bild verschärft Josef Maria Frank noch durch die Verwendung einer Film-Rhetorik: Dass Cortez mit seiner Handvoll Landsknechte das Unvorstellbare gelang, dieses mächtige und, abgesehen von seiner Blutopfermanie, immerhin doch hochstehende Volk, seinen Frank, Mexiko ist anders 97. Frank, Mexiko ist anders 98. 106 William H. Prescott, History ofthe Conquest of Mexico (Philadelphia: J. B. Lippincott, 1843). 107 Frank, Mexiko ist anders 98. 108 Frank, Mexiko ist anders 103. Hervorhebung von mir vorgenommen. ,0
/>fwgemeinschaftsgeist, Stammessitten, Gesang, Tanz, Medizinmann, Besprechungen, heimliche Riten u n d auch die schon erwähnte Vielfalt ihrer magischen Gifte u n d Zaubergetränke.58
Aus einer semantischen Sicht weisen die herausgehobenen Wörter auf eine Gruppe, und nicht auf ein konkretes Individuum hin. Deshalb ist „Indianer" nicht individualisiert. Der Begriff steht für einen identitätslosen Menschen, der sich von den anderen nicht trennen bzw. als Individuum unterscheiden lässt. Zur Betonung dieser Anonymität wird emphatisch die Zugehörigkeit des „Indianers" zu einem Stamm betont (fünf Mal werden kollektive Substantive — „Stamm, Sippe, Familie, D o r f - verwendet), und es wird auf die Ausübung von gewissen Gewohnheiten hingewiesen, die für gewöhnlich mit primitiven Kulturen assoziiert werden: traditionelle Tänze, Schamanismus, Rituale und Magie. Insbesondere die Idee des Magischen („magischen Gifte", „Zaubergetränke") verquickt semiotisch den „Indianer" mit dem Bereich der Imagination. Darum erscheinen der „Indianer" sowie seine Magie als ungreifbar bzw. als nicht real.
54
„Indianer," Der neue Brockhaus 474. „Indianer," Der große Brockhaus. Handbuch des Wissens in zwanzig Bänden, 3. Band (F. A. Brockhaus: Leipzig, 1931) 64. 56 „Indianerschlitten," Der neue Brockhaus 474. 57 „Indianerbuch," „Indianerspiel," und „Indianertanz" bei Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 5. Band (Mannheim, Leipzig, Wien und Zürich: Dudenverlag, 1999) 1925. 58 Frank, Mexiko ist anders 323. Hervorhebung von mir vorgenommen. 55
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Bei Ross wird der Sinn des Fantastischen durch pittoreske, exotische Bilder ersetzt, auch wenn er wie Frank die Bindung zur Natur betont. „Indianer" kommt in Der Balkan Amerikas im Zusammenhang mit Beschreibungen vor, in denen körperliche Schönheit und Natur als idyllisch dargeboten werden. Auf dem Weg nach Xochimilco, einen von Seen und Kanälen geprägten Vorort von Mexiko-Stadt, erzählt Ross: „Fährt man im Auto nach Xochimilco, so überfallen einen unterwegs Scharen brauner, bildhübscher Indianermädchen, die einen unter ihren Sträußen gleichsam begraben, sobald man anhält und den Wagen verläßt".59 Die indigenen Mädchen tauchen hier in Zusammenhang mit der Natur (hier die Blumensträuße) idealisiert („bildhübsch") auf. Diese Verbindung enthüllt außerdem die Idee einer Rückkehr zur idyllischen Unschuld durch die Erwähnung von Indianerkindern. Ein Bezug auf Natur, eine im Zusammenhang mit dem Indigenen verbreitete übliche Assoziierung in literarischen Darstellungen,60 zeigt sich in den üppigen Pflanzen und Gewässern, wo hübsche Kinder, deren physische Merkmale stets betont werden, wie tierartige Subjekte (d.h. „wie Frösche") spielen: Unmittelbar hinter den Ojos de Agua wird die Kanal- und Inselwelt aber wie mit einem Schlage einsam und traumverloren. Die Rinne, die wir entlang staken, ist so mit Wasserlilien durchsetzt, daß wir kaum durchkommen. Ein paar splitternackte Indianerjungen, deren nasse Haut in der Sonne bronzen glänzt, plumpsen wie Frösche vom Ufer in die schlammige Flut.S1
Das idyllische Verhältnis zur Natur wiederholt sich bei Frank, der mit Überraschung über „eine ganze Menge von Indianerstämmen" spricht, die außerhalb der Dörfer, im Dschungel leben und auf Bekleidung verzichten. So „[gehen] die Lacandonen in Chiapas z.B. (...) fast ganz nackt oder nur in einer Art Ueberzughemd (sie), das sie sofort wieder ablegen, wenn sie dem Pueblo den Rücken gekehrt haben". 62 Hier wirkt die Verwendung vom spanischen Wort für „Dorf' als ein semantisches Mittel, die Imagination der Leser anzuregen und eine exotische Atmosphäre zu schaffen. Diese textuellen Elemente enthüllen allerdings auch, dass sich hinter der natürlichen Schönheit eine ganz bestimmte Auffassung des Magischen und des Abenteuerlichen verbirgt. Bei seiner Exkursion nach Xochimilco beschreibt Colin Ross seine Suche nach einem Mann, der angeblich wisse, wo der legendäre Schatz Montezumas zu finden sei: „Dort sollte ein alter Indianergärtner wohnen, der von dem versenkten Schatz Montezumas wußte". 63 Die Andeutung, sich auf der Suche von Spuren einer Legende zu finden, von deren Existenz nur ein „alter Indianer" (Weisheit, Antike) weiß, bildet ein deutliches literarisches Motiv, das sich
55
Ross, Der Balkan Amerikas 142. Hervorhebung von mir vorgenommen. In Hermann Goedsches Roman Puebla oder der Schatz der Ynkas (1880) werden die Komantschen und Apachen als „Naturmenschen" bezeichnet. Vgl. Matthias Witzmann, Eigenes und Fremdes 270. 61 Ross, Der Balkan Amerikas 143. Hervorhebung von mir vorgenommen. 62 Frank, Mexiko ist anders 323. 63 Ross, Der Balkan Amerikas 142. 60
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offensichtlich mit dem Leitfaden einer abenteuerlichen Erzählung verbinden lässt. Ganz ähnlich verbindet auch Frank den Terminus „Indianer" mit uralten, unfassbaren, fiktionsartigen Figuren, wenn er beispielsweise von einem Besuch eines „Indianermarktes" berichtet und betont, dass die Kunden und Verkäufer eine Familie von „Indianerin], die Urenkel der Urenkel Montezumas"64 seien. Das Wort „Indianer" entlarvt, inwieweit die Indigenen in den Reiseberichten durch sprachliche Mittel mit Natur, Boden und historischen Mythen verquickt werden. Die Semiotik des Begriffs dient Frank und Ross dazu, die von ihnen beschriebenen „Indianer" in einen engen Bezug zur Literatur und Fiktion zu stellen, um auf diese Weise die Vorstellungskraft ihrer Leserschaft anzuregen, zumal auf den „Indianer in den Texten hauptsächlich zusammen mit Elementen zur Emphase seines Exotismus und seiner Primitivität Bezug genommen wird. Als Colin Ross einen indigenen Wochenmarkt besucht, beschreibt er: „Tamazunchale wimmelte von Indianern, die mit Eseln, Bananen, Mais, Körben, Decken und Töpfen aus der Umgebung gekommen waren".65 Hier erwähnt der Reisende Objekte der Landwirtschaft und des bäuerlichen Lebens, die erlauben, die „Indianer" mit ländlichen Umgebungen zu assoziieren, denn als naturbezogene Subjekte können Indigene nach dem Stereotyp in einem städtischen Umfeld nicht dargestellt werden. Darüber hinaus tauchen „Indianer" dort im Text auf, wo Ross sie mit anderen Völkern vergleicht. Zum Beispiel bestätigt Ross bei seiner Beschreibung des Pulque, eines typischen alkoholischen Getränks, das aus Agaven gebraut wird, der „Pulque gehört zur Nahrung des mexikanischen Indianers, genau so (sie) wie rohes Seehundfleisch zu der des Eskimos". 66 Der Vergleich mit dem Fleisch eines wilden Tieres verstärkt zudem den „rohen" bzw. „primitiven" Aspekt der Indianer. Dieselbe Betonung der Primitivität der Eingeborenen wird deutlich, wenn Josef Maria Frank über die Reaktion der Indigenen gegenüber einem Fotoapparat berichtet. In diesem Zitat zeigt sich diese durch den Widerspruch zwischen einem modernen Objekt und einem bäuerlichen Instrument: „Mit schrillen Schreien heben die Indianer ihre Stakstangen bedrohlich gegen die Kamera"? Die aggressive Rückmeldung mit Stangen, die an Eingeborene Nordamerikas auf einem Kanu im Fluss erinnern, bezeugt die Verwurzelung von Franks literarischem Diskurs im Genre der „Indianerromane", und verstärkt zudem die Auffassung von Indigenen als zivilisationsresistente Subjekte. Aber für Frank scheinen „Indianer" auch Authentizität zu zeigen. Als er „Mexikos Indianer" mit den nordamerikanischen Indigenen vergleicht, behauptet er: „Mexikos Indianer sind mir hundertmal lieber als die von den Reservationshäuptlingen und Thomas Cooks Gefolgschaft für die Fremdenindustrie vermantschten USA.Indianer".68 Indigene seien für ihn kein Konzept der Tourismusindustrie bzw. kein
64 65 66 67 68
Frank, Mexiko ist anders 309. Ross, Der Balkan Amerikas 37. Hervorhebung von mir vorgenommen. Ross, Der Balkan Amerikas 119. Hervorhebung von mir vorgenommen. Frank, Mexiko ist anders 304. Hervorhebung von mir vorgenommen. Frank, Mexiko ist anders 27. Hervorhebung von mir vorgenommen.
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artifizielles, ökonomisches Konstrukt. Der „Indianer", ein naturverbundenes und darum „authentischeres" Wesen, sei laut dem Autor im „großen und ganzen ein naiver, gutartiger Naturbusche, wenn man ihn „indianisch" anfaßt". 69 Hier weist Frank auf die Möglichkeit hin, dass der „Indianer" korrumpiert werden und ihm dadurch seine „Authentizität" entzogen werden könnte. Der Indianer „hat noch ein Gesicht, wenn auch manchmal ein bedrückendes, und eine Seele, wenn auch eine dumpf und dunkel in uraltem Blutbann verstrickte". 70 Es scheint, als ob der Autor die Indigenen Mexikos als noch lebendige, unbescholtene Wesen („gutartiger Naturbusche") ansieht, die sich praktisch am Anfang der menschlichen Geschichte befinden. Diese Vorstellung ruft den guten Wilden, le bon sauvage, hervor, der in der Reiseliteratur vom 16. Jahrhundert bis zum 18. Jahrhundert zum Ausdruck der natürlichen Gutherzigkeit des Menschen und zur Kritik der moralischen Verkommenheit Europas auftaucht. 71 Auf eine ähnliche Weise kontrastiert hier Frank den „gutartigen Naturbuschefn]" Mexikos mit dem zur Ware gewordenen nordamerikanischen „USA-Indianer". Obwohl der IndianerbegrifFbis zu diesem Punkt nur in Verbindung mit den positiven Konnotationen des Exotismus, des Fiktiven und des Imaginären vorkommt, versucht Josef Maria Frank, die real existierenden Indigenen Mexikos von den Indianern der populären Vorstellung abzutrennen. Er erklärt, dass Mexikos Indianer „keine Einheitliche Masse", und die unterschiedlichen „Indianer-Nationen" 72 genau voneinander zu unterscheiden seien. 73 Außerdem entmythifiziert er die allgemeine Vorstellung des „Indianerlebens", denn dieses sei, „gar nicht so romantisch, so unterhaltsam und spannend, wie es in den unterhaltsamen und spannenden Indianergeschichten steht. Es ist sogar im Grunde genommen sehr langweilig und monoton-, mehr noch: es ist nicht nur von einer außerordentlichen Primitivität der Lebensform, es ist auch schwer, überaus schwer'74 An dieser wie auch an anderen Stellen seines Reiseberichts versucht Frank, sich von der Fiktion zu entfernen, auch wenn die Zitate zeigen, dass der „Indianer" bei ihm und bei Ross semiotisch gesehen ein fiktives und fantastisches Wesen, wie die Indianerfiguren der Literatur, symbolisiert. Indem „Indianer" semantisch ein fiktives, imaginatives Subjekt bezeichnet, versucht Colin Ross den Idealismus loszuwerden. Zwar gehört sein „Indianer" zur Welt der Bücher und des Fantastischen, wo Harmonie mit der Natur und körperliche Schönheit aufzufinden sind. Indem dem Indigenen durch die Bezeichnung „Indianer" ein weitabgewandter, naturbezogener Charakter zugeschrieben wird, erscheint es Ross allerdings unmöglich, dass diese Individuen sich in die Logik des postrevolutionären Mexikos verankern. Deshalb gilt der „Indianer" für Ross als inkompetent
69
Frank, Mexiko ist anders 27. Hervorhebung von mir vorgenommen. Frank, Mexiko ist anders 28. Hervorhebung von mir vorgenommen. 71 Tzvetan Todorov, Nous et les autres. La réflexion française sur la diversité humaine (Paris: Seuil, 1989) 303. 72 Hiermit verwendet Frank eine Übersetzung der US-amerikanischen Bezeichnung Indian Nations. Damit übernimmt er wiederum die Rhetorik der Abenteuerliteratur. 73 Frank, Mexiko ist anders 74. 74 Frank, Mexiko ist anders 328. Hervorhebung von mir vorgenommen. 70
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für die moderne Landwirtschaft: „Die Indianer haben das ihnen zugeteilte Gemeinschaftsland vielfach heruntergewirtschaftet und verkommen lassen".75 In diesem Sinne sei auch der „Indianer" jemand, der nicht an die Zukunft denkt, sondern nur schnelles Geld verdienen möchte. 76 Wenn Ross erklärt, dass die Indigenen nach dem Absturz des Hazienda-Regimes unfähig seien, das Land genauso produktiv zu bewirtschaften wie während der Diaz'schen Diktatur, rechtfertigt der Autor die Überlegenheit des Landwirtschaftssystems unter Diaz' Regime und die Überlegenheit der „weißen Rasse" als effektivere Landwirte. Der große Unterschied zwischen unfähigem Eingeborenen und fähigem Großgrundbesitzer gilt als Rechtfertigung des Kolonialismus. Schließlich erscheint der „Indianer" bei Ross als eine entfremdete Figur, die sich nach der Emanzipation des Revolutionskrieges gegen die Überlegenheit der Weißen stellt. Hinter dem Konzept des „Indianers" mit seinen positiven Merkmalen - Natur, uralte Vergangenheit, Gutherzigkeit - versteckt sich eine primitive Tendenz zu blutigen Gräueltaten und zum Widerstand. In diesem Zusammenhang steht „Indianer" für den Indigenen, der gegen die „weiße Herrschaft" rebelliert. Als Colin Ross in Xochimilco einen alten Indigenen nach dem Standort des Schatzes von Montezuma fragt, weigert sich der alte Mann, ihm diese Information zu verraten: A m Ufer steht inmitten flammender Rosenbeete eine ärmliche Hütte. Ein uralter Indianer steigt gerade in einen winzig schmalen wackligen Einbaum (...) Er blickt an mir vorbei verständnislos ins Leere. Er leugnet, Spanisch zu können, aber ich lese in seinen Augen ganz deutlich, daß er mich versteht. Ich lese noch mehr. Ich lese blutigen Hohn. „Weißt du nicht", steht da, „daß Guatimozin sich lieber die Füße am langsamer Feuer verkohlen ließ, als ein Wort zu verraten? Glaubst du, ich würde dir Fremdem etwas sagen, selbst wenn ich es wüßte!" 77
Die Beschreibung dieser Episode ist reich an Kontrasten. Auf der einen Seite steht die Schönheit der Natur („flammende Rosenbeete"), welche paradoxerweise durch ihre Farbe (rot=Flammen) die Bedeutung des Blutes und der Gewalt konnotiert. Aus einer „ärmlichen Hütte" kommt ein „uralter Indianer" (ein Hinweis auf die Azteken). Durch die Ablehnung, Spanisch zu reden, wird eine Metapher zum Widerstand gegen den Kolonialismus oder zur Ablehnung der kolonialen Macht erschaffen, deren Bedeutung durch die direkte Konfrontation mit dem Reisenden noch verstärkt wird. Spanisch, die Sprache der europäischen Konquistadoren, und Colin Ross, der gewissermaßen eine Allegorie zu den Konquistadoren bildet, sind hiermit als Symbole der Conquista zu interpretieren. Die Ablehnung aller Kommunikation und der Blick des „Indianers" gelten als ein metaphorisches Echo des Anti-Kolonialismus: die Suche
75
Ross, Der Balkan Amerikas 128. „Das ist ja Elend [...] daß der Indianer nicht an die Zukunft denkt. Es ist immer wieder dasselbe bei jeder Landverteilung. Da wird zunächst alles Holz geschlagen, mögen es auch Obstbäume sein; denn das bringt sofort Geld" (Ross, Der Balkan Amerikas 118). 77 Ross, Der Balkan Amerikas 143. Hervorhebung von mir vorgenommen. 76
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nach einem Schatz (Öl, Gold, Boden) und die Vermeidung, dass er von „Weißen" (Europa, Amerika) gefunden wird. Hier muss daran erinnert werden, dass Ross sich im Mitte der 30er Jahre in Mexiko aufhielt — in der Amtszeit von Cárdenas, der die Enteignung vieler Haziendas, und später diejenige der Ölindustrie durchführte. Das Wort „Indio" befindet sich schon in Der Große Brockhaus von 1931, aber erscheint dort nur als die spanische Form von „Indianer". 78 Frank und Ross verwenden trotzdem diesen spanischen Terminus anders als „Indianer". Während der letztere Begriff also auf einer Metaebene eine wenn auch imaginäre, so doch auch aktive Figur bezeichnet, steht das Konzept „Indio" hingegen für das passive Subjekt der modernen mexikanischen Geschichte. Im Unterschied zu dem naturbezogenen und exotischen „Indianer", enthüllt sich beim „Indio" eine politische Bedeutung. An Stellen, wo beide Begriffe gleichzeitig verwendet werden, zeigt sich der Übergang von der einen zu der anderen Bedeutung. Im folgenden Abschnitt aus Franks Reisebericht erscheint der Indianer als wild und gewalttätig, was durch die geographische Angabe noch zusätzlich betont wird, weil der „Norden" Mexikos (Chihuahua, Sonora und Coahuila) einer der wichtigsten Brennpunkte des mexikanischen Revolutionskrieges war. Auch dort verübten die Apaches und Comanches bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Überfälle: Da hatten oben im Norden Indianer eine Hazienda überfallen und die Besitzer getötet, die amerikanische Presse kabelte einen Schauertext in die Welt. Zufallig erfuhr ich über den Fall selbst von neutraler Seite Näheres - und es enthüllte sich ein typisches Musterbeispiel der Folgen dieser tragischen mexikanischen Enteignungspolitik, der Fall einer kommunalpolitischen Selbsthilfeaktion aufgeputschter landloser Indios. [...] der Grund und Boden befand sich in Form von Großgütern astronomischer Ausmaße in der Hand von nur einigen wenigen Großgrundbesitzern, der Indio war nichts weiter als ein hoffnungsloser Landproletarier ohne Recht und Eigentum.79 Hingegen wird der Begriff des „Indio" mit der Revolution und ihrer Ideologie assoziiert, indem der Autor eine kriegsbezogene Rhetorik verwendet. Obwohl Bezeichnungen wie „aufgeputscht", „kommunalpolitisch" und „Landproletarier" auf ein aktives Subjekt hinweisen, das gegen das System rebelliert — Revolution als Aufstand des Proletariats und Diktatur des Proletariats, Konzepte die den Marxismus evozieren - , ruft die Verwendung spezifischer Adjektive eine neue Konnotation der mexikanischen Bauern hervor: landlos, hoffnungslos, ohne Recht und Eigentum gelten die „Indios" als die Opfer des Systems. Frank unterscheidet deutlich zwischen „Indio" und „Indianer". Wohl handelt es sich um das gleiche Objekt (Indigene), semiotisch ist dieses aber von anderen Symbolen geprägt. In einer Beschreibung der Reaktion der Indigenen gegenüber Erdbeben, die häufig im zentralen Hochland und an der Pazifikküste Mexikos
78 79
„Indio," Der Große Brockhaus (1931) 75. Frank, Mexiko ist anders 24. Hervorhebung von mir vorgenommen.
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auftreten, beleuchtet Frank, wie der „Indio" gleichgültig und ohne Angst darauf reagiert. Der „Indio" wird mit typischen, pittoresken Merkmalen dargestellt: zutiefst religiös (Namenspatron, Madonna), mit folklorischer Bekleidung (Poncho, Serap), arm (er bewohnt ärmliche Hütten) und dementsprechend auch schwach, passiv und indifferent. Selbst diejenigen „Indios" in der Nähe von Urbanen Bereichen oder in Dörfern - „Landpueblos", wie sie Frank auf eine exotisierende Weise nennt, als wolle er durch diesen Pleonasmus ein noch konkreteres Signifikat als das deutsche Wort verwenden - , sind höchstens marginal mit der verwestlichten, städtischen Kultur des modernen Mexikos verbunden. In diesem Sinne ist für Frank das indigene Verhältnis zur Religion durch Aberglauben geprägt, und das indigene Haus stellt lediglich eine primitive Behausung dar: Der Indio in den kleinen Landpueblos oder am Rande der Städte nimmt es nicht so tragisch. Er riskiert in seiner primitiv-bebensicher gebauten Lehmhütte mit leichtem Blätter-, Maisstroh- oder Ziegeldach höchstens eine Beule oder einen geschundenen Knochen; warm und stoßdämpfend in Poncho und dicken Serap gerollt, dreht er sich in seiner stoischen Indioruhe auf seiner Matte auf die andere Seite, mit einem Fluch über seinen Namenspatron und einem Stoßgebet zur Madonna, ihn doch ruhig ausschlafen zu lassen. 80
Im gleichen Abschnitt findet sich eine kurze, doch kontrastvolle Beschreibung der Reaktion des „Indianers" gegenüber dem Erdbeben. Im Gegenteil zum „Indio" interpretieren die tief in den Bergen lebenden „Indianer" das Erdbeben aus der Perspektive einer durch Aberglauben geprägten Religion, in der die Anwesenheit eines Schamanen eine weitaus wichtigere Rolle spielt, als diejenige der katholischen Ikonen des Indios. So wie bei dem „Indianer", den Colin Ross in Xochimilco trifft, sind in dieser Passage Zeichen einer aggressiven primitiven Religion zu finden, die auf Angst und Aberglaube basiert: Den Indianer tief in den Bergen stört es schon mehr, wenn auch anders; Erdbeben sind ihm unheildrohende Vorzeichen betrüblicher Zukunftsgeschehnisse, und nur der Medizinmann freut sich dann, er bekommt Klienten und kann liquidieren. 81
Der Begriff „Indio", der in der Gegenwartssprache im Grunde die Indigenen Lateinamerikas bezeichnet, steht bei Ross und Frank für das Objekt der mexikanischen Revolution. Obwohl viele Indigene aktiv an den militärischen Aufständen teilnahmen, enthüllt dieses Konzept eher eine manipulierbare, oft passive Figur der Politik. In diesem Sinne verstanden ist der „Indio"-Begriff mit dem Ideologischen, oder auch Realpolitischen zu assoziieren - in Gegensatz zum „Indianer'-Begriff, der eher an Natur und Fiktion angeknüpft ist. Außerdem bezieht sich der „Indio"-Begriff für beide Autoren auf die Revolution. So wurde bei Josef Maria Frank Folgendes erklärt:
80 81
Frank, Mexiko ist anders 66-67. Hervorhebung von mir vorgenommen. Frank, Mexiko ist anders 67. Hervorhebung von mir vorgenommen.
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Ein Mexikaner sagte mir: ,Sehen Sie, amigo, in Mexiko gibt es nur zwei Möglichkeiten, Sie sind Kapitalist oder ein armer H u n d
[...] So ein armer,
heimat-
und
landloser
Indio aber, der nicht einmal die paar Centavos für einen Tequilaschnaps, nicht einen Zigarettenstummel hat, und ohne Sandalen Baumwollhosen
herumlaufen m u ß in
und vielleicht gar ohne einen wärmenden
einmal
zerrissenen
Poncho, und d e m die ,jefes' von
den syndikalistischen Büros immer zu predigen, daß alles einmal dem Indio, ihm selber gehört und der Kapitalist es ihm gestohlen habe. 8 2
Hier wird der soziale Zustand des Indios mit großer Ironie beschrieben, welche sich in der Übertreibung seiner Armut zeigt. Hyperbolisch wird die Armut mehrere Male durch die adverbiale Konstruktion „nicht einmal" betont, die sich dreifach wiederholt. Ein weiterer insistierender bzw. intensivierender Effekt wird zudem durch die Verwendung des Adverbs „gar" erzielt. Doch die Darstellung der Armut im obigen Zitat bezieht sich auf den Mangel an Genussmitteln (Tequila) und stereotypischer, folklorischer Bekleidung (Poncho, Baumwollhose, Sandalen), und deshalb erscheint diese Beschreibung als ironisch. Diese Ausdrucksweise erinnert an die Form, in der die Wandmalerei der Epoche die Indigenen als Opfer der Geschichte darstellt. Frank scheint dies nicht geglaubt zu haben, denn trotz der Position der „Indios" im offiziellen Diskurs, scheint der Indigene fiir Frank ein nicht-reflektierendes Objekt zu sein, wie sich im Folgenden zeigt: - sehen Sie, Senor, dieser Indio sagt sich manchmal, wenn er nicht im Bauch und im K o p f einen Rausch und r u n d u m eine Reihe stämmiger ,companeros' hat: Bueno - ich will mir einen Teil von meinem Gestohlenen wiederholen, ich habe Hunger, ich brauche einen Poncho. Ich werde zur M a d o n n a beten und ihr, wenn es gelingt, eine Kerze bringen, die Madonna
wird mir schon helfen ,83
Der „Indio" ist kompromiss- und ideologielos. Er folgt nach Franks Auffassung dem eigenen Impuls und einer abergläubischen Wahrnehmung seiner Religion. Auch wenn der Begriff des „Indio" eine starke ideologische Bedeutung hat, wird der Indigene durch diese Bezeichnung nicht als ein überzeugter Vertreter gewisser Ideale dargestellt. Ihm wird vielmehr ein politisches Programm auferlegt. A u f diese Weise versteht auch Colin Ross die Position der „Indios" im postrevolutionären Mexiko, wie seine diesbezüglichen Anmerkungen bestätigen: Die kommunistische
Ideologie, die die heutigen Machthaber, die Gewerkschaften wie die
studentische Jugend beherrscht, fordert die Ejidoidee als kommunistisches an. Sie stellt die Behauptung von d e m kommunistisch
ursprünglichen aztekischen Wirtschaftsverfassung als einer
82 83 84
Gedankengut
veranlagten Indio auf und der kommunistischen.84
Frank, Mexiko ist anders 23. Hervorhebung von mir vorgenommen. Frank, Mexiko ist anders 23. Hervorhebung von mir vorgenommen. Ross, Der Balkan Amerikas 127. Hervorhebung von mir vorgenommen.
182
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus Dass Ross in ein und demselben Abschnitt nur einmal „Indio", aber vier Male
das Adjektiv „kommunistisch" erwähnt, zeigt seine Vorstellung eines ideologisch manipulierbaren und manipulierten Indigenen. Es zeigt gleichzeitig aber auch seine Ablehnung des Kommunismus: „Im Grunde sind die Mexikaner, wenigstens die reinblutigen mexikanischen Indios, alles andere als Bolschewiken, aber man hat sie nun einmal seit Jahren mit kommunistischer Propaganda überfuttert". 8 5 Aus dieser Perspektive ist der „Indio" ein Symbol einer gescheiterten Revolution, der es nicht gelang, ihr ideologisches Versprechen, die unteren Schichten der Gesellschaft zu emanzipieren, zu verwirklichen: Der Indio aber, der jahrzehntelang gestritten und gelitten hat, wartet weiter auf ,Tierra y Libertad', ,Land und Freiheit', die man ihm versprochen. Land, das war der eine Gedanke gewesen, der die Peonen, die Streiter Zapatas wie Villas, beseelt hatte.86 Die Passivität des Indios wird dadurch betont, dass ihm vorgeworfen wird, eine Errungenschaft nicht durch eigene Mittel erreicht zu haben, sondern durch die Versprechungen von anderen. Anders gesagt wurde dem Indio etwas versprochen (Land und Freiheit), das tatsächlich nie verwirklicht wurde. Colin Ross nutzt deutlich seine Vorstellung des „Indios" zur Verstärkung seiner Kritik an der mexikanischen Revolution. Aber auch Josef Maria Frank dient der Begriff dazu, um die ideologischen Änderungen in Mexiko zu beschreiben. Der Autor erklärt zum Beispiel, dass der Begriff „Indio" früher als Beleidigung zu verstehen war, während dieses Wort nach der Revolution zu einem rhetorischen Mittel der Politik wurde, um die mexikanische Identität zu betonen: heute spricht der Mexikaner von seinem „Bruder Indio", er sagt es wie einen Ehrentitel, und der Indio ist aktuell und modern - die Masse „Bruder Indio" wurde zur Grundmasse, die man organisatorisch zusammenzuballen versucht, um mit ihr die indianische Nation aufzubauen oder das weiße Kapital aus dem Lande zu drücken, je nachdem man es auffaßt,87 „Indio" bezieht sich hier also auf eine Masse, eine undefinierbare, jedoch manipulierbare Kollektivität im Dienste des mexikanischen Kommunismus („je nachdem man es auffaßt"). Wenn Frank und Ross über die Entstehung einer „indianischen, den Weißen feindlichen Nation" sprechen, taucht das Konzept „Indio" als Symbol eines politischen Programms auf, das die Indigenen selbst gar nicht kennen. Obwohl die Politik ambitionierter sein mag, steht der „Indio" ihr gegenüber - ebenso wie sein naturverbundenes Pendant, d.h. der „Indianer" - in einer ungewissen Position. Der „Indio" und der „Indianer" haben gemeinsam, in ihrem jeweiligen Kontext zu einer Welt zu gehören, in der die Ansprüche niedriger als diejenigen der Politik sind.
85 86 87
Ross, Der Balkan Amerikas 27-28. Ross, Der Balkan Amerikas 110. Hervorhebung von mir vorgenommen. Frank, Mexiko ist anders 319. Hervorhebung von mir vorgenommen.
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Sowohl „Indios" als auch „Indianer" zeigen Nähe zur Natur und somit zu einer Primitivität, in der ihre Bedürfnisse minimal sind, so wie Colin Ross es beispielsweise in einer malerischen Szene auf dem mexikanischen Land darstellt: W i e hatten die Indios so o f t a m Lagerfeuer gesungen, wenn der R a u c h kerzengerade in die windstille L u f t stieg, u n d die Kakteen gleich dolchbewehrten Wächtern vor d e m goldenen Purpur des A b e n d h i m m e l s standen. Leise u n d melancholisch hatte einer b e g o n n e n : „ N o quiero m a s que tener L o q u e m e quitö el patrön U n rancho y una mujer U n coyote cimarron («V)". 8 8
3. D E R MESTIZO ODER DIE U N M Ö G L I C H K E I T EINER SYNTHESE
Als im September 1910 das hundertjährige Jubiläum der Unabhängigkeit von Spanien mit der Eröffnung pompöser Monumente zelebriert wurde, begann in Mexiko eine neue Epoche. Nach fast 30 Jahren Diaz'scher Diktatur ging das 19. Jahrhundert zu Ende, in welchem die Landwirtschaft sich in den Händen von Großgrundbesitzern befunden hatte und die Ausbeutung der Bodenschätze ausschließlich von amerikanischen und englischen Olkonzernen betrieben worden war. Die mexikanische politische Spitze bestand hauptsächlich aus Technokraten, die an europäischen und amerikanischen Universitäten studiert hatten, während die Gewohnheiten der Elite von der französischen Kultur geprägt waren. Zwar war Mexiko offiziell eine unabhängige Republik gewesen, aber aufgrund der neokolonialen Verhältnisse war das Land von einer Elite beherrscht, die sich an Europa und Amerika orientierte. Die Zäsur, die den Anfang des 20. Jahrhunderts in Mexiko markiert, fand genau zwei Monate nach dem ersten Centenario de la Independencia statt. Am 20. November 1910 erhob sich Francisco I. Madero gegen das Regime von Porfirio Diaz und begann damit einen Revolutionskrieg, dessen Ende erst 10 Jahre später erfolgen würde. Die mexikanische Revolution galt für alle daraus entstandenen Regierungen als ein historischer Mythos, als Quelle vieler nationaler Symbole und kultureller Ikonen, die vom Staat aus entstanden sind. Während in den Jahren der Diktatur von Porfirio Diaz eine Europäisierung auf der elitären Ebene gefordert wurde, verstand sich das postrevolutionäre Mexiko als ein Land der Indigenen und Mestizen und als die Synthese der Kulturen, insbesondere der Spanier und der Indigenen, die im Zuge der Eroberung aufeinandergetroffen sind. In Lateinamerika sahen in den 20er Jahren mehrere Intellektuelle die Verquickung der indigenen und spanischen Erbschaft als Grundelement der modernen iberoamerikanischen Identität. Der argentinische Schriftsteller Ricardo Rojas plädierte
88
Ross, Der Balkan Amerikas
110.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
in seinem Essay Eurindia (1924) 89 für eine geistige Synthese zwischen Indianismo (indigener Vergangenheit) und Exotismo (dem spanischen Element) zur Bildung einer argentinischen Identität, die dem Einfluss der europäischen „nicht-romanischen" - europeos no latinos - Neuankömmlingen standhalten könne. Interessanterweise sah er die zeitgenössischen europäischen Einwanderer Argentiniens als „Barbaren" an, denen die „zivilisierten" präkolumbianischen Einwohner entgegenstanden.90 In Mexiko wurden ähnliche Vorstellungen vertreten. Der Bildungsminister und Schriftsteller José Vasconcelos beleuchtet in seinem Essay La raza còsmica (1925) die Auffassung von Iberoamerika als dem allerersten Ort, an dem durch die allmähliche Mischung aller „vier Rassen" der Welt (bianca, negra, roja und amanita) eine raza còsmica (kosmische Rasse) entstanden sei, in welcher der genetische „Schatz" aller Ethnien verquickt worden sei. Diese Synthese sollte Vasconcelos folgend zu der raza final (der definitiven Rasse) fuhren,91 die aber trotzdem ideologisch unter den Prinzipien des iberoamerikanischen Christentums bleiben musste. In diesem Sinne sieht z.B. Walter Mignolo das Lob Vasconcelos' für die ethnische Mischung weniger als eine epistemologische, sondern vielmehr als eine biologische Synthese, indem das indigene Element nur auf biologischer Ebene zu berücksichtigen war.92 Vasconcelos Ideen enthüllen ideologische Züge des Sozialdarwinismus und der Eugenik, die auch in vielen Ländern wie Großbritannien, Australien und den USA auf unterschiedlichen Ebenen und Intensitätsgraden durch die Migrations- und Gesundheitspolitik praktiziert wurden.93 Diese gleiche ideologische Basis wurde einige Jahre später durch die brutale Biopolitik der Nationalsozialisten in Deutschland radikalisiert, was zu einem fatalen systematischen Völkermord führte.94 In der Vasconcelos'schen Vorstellung der „definitiven Rasse" der Menschheit sollte die Vermischung zunächst zu Wohlstand und Sympathien unter den Völkern Lateinamerikas führen, damit daraufhin durch eine wahre Affinität zwischen schönen „Exemplaren" aller Ethnien ein schöner und
85 Ricardo Rojas, Eurindia. Ensayo de estética fundado en la experiencia histórica de las culturas americanas (Buenos Aires: Librería La Facultad, 1924). 50 Graciela Liliana Ferrás, „Ricardo Rojas: mestizaje y alteridad en la construcción de la nacionalidad argentina," Revista Sociedad y Economía 18 (2010): 31. 91 José Vasconcelos, La raza cósmica (Buenos Aires: Espasa-Calpe, 1948) 54. Ursprünglich 1925 veröffentlicht. 92 Walter Mignolo, La idea de América Latina 156-157. 53 Roger Griffin, Modernism and Fascism. The Sense of a Beginning under Mussolini and Hitler (Hampshire and New York: Palgrave McMillan, 2007) 329. 94 Zwar ist das Verbot der Ehe zwischen Juden mit Nicht-Juden eine der bekanntesten rassistischen NS-Richtlinien, die in den Nürnberger Rassengesetzen vom Jahr 1935 verankert wurden. Doch eine Ablehnung der Mischung zwischen Deutschen und Schwarzen fand sich auch während der Kolonialzeit in Afrika unter nationalistischen Kreisen. Bereits 1912 und 1913 wurde im Reichstag diskutiert, wie man den deutsch-afrikanischen Mischlingen die deutsche Staatsbürgerschaft verweigern könnte. Es wurde sogar versucht, ein sogenanntes .Reichsmischlingsgesezt', das die „Rassenmischung" verbietet, durchzusetzen. Vgl. Pascal Grosse, „What Does German Colonialism Have to Do with National Socialism?" Germany's Colonial Pasts, eds. Eric Ames et al (Lincoln and London: Nebraska University Press, 2005) 123.
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überlegener Menschentypus entstehen könne. Vasconcelos erläutert: „una mezcla de razas consumada de acuerdo con las leyes de la comodidad social, la simpatía y la bellleza, conducirá a la formación de un tipo infinitamente superior a todos los que han existido". 95 Unter idealen Zuständen werde dem Autor zufolge die Eheschließung von Menschen verschiedener Herkunft schönen ( hermoso ) und geistig klaren {despejado) Nachwuchs produzieren, dessen Verhalten von „überlegenen Instinkten" (instintos superiores) determiniert würde: Tan pronto la educación y el bienestar se difundan, ya no habrá peligro de que se mezclen los más opuestos tipos (...) las uniones sinceramente apasionadas y fácilmente deshechas en caso de error, producirán vástagos despejados y hermosos. La especie entera cambiará de tipo físico y de temperamento, prevalecerán los instintos superiores, y perdurarán, como en síntesis feliz, los elementos de hermosura, que hoy están repartidos en los distintos pueblos. 9 6
Während in Deutschland die Auffassung einer „reinen Rasse" und die „genetische Reinigung" von einer ethnischen Gruppe (den Deutschen = den Ariern) propagiert wurde, prophezeite Vasconcelos die Entstehung eines „überlegenen Typus" („un tipo infinitamente superior") aus der selektiven Mischung von vielen Ethnien. Einerseits war die ethnische Perfektion für die NS-Biopolitik durch eine ethnische und biologische „Reinigung" zu erlangen, andererseits in der Vasconcelos'schen Ideologie durch die ethnische Mischung und das Zusammenkommen aller „Rassen" der fünf Kontinente. In der zweiten Hälfte der 30er Jahre war Vasconcelos nicht mehr Bildungsminister Mexikos, doch Colin Ross kannte den mexikanischen Autor und seine Ideen. Ross warfVasconcelos vor, ein „Rassenverräter" zu sein, denn er sah diesen weniger als einen Befürworter der Mestizaje an, sondern vielmehr als einen Unterstützer der Indigenen und somit der Verdrängung der Weißen in Mexiko. N o c h verblüffender aber ist, wenn ein Mann wie Vasconcelos, der Unterrichtsminister unter Obregón, in seiner Schrift „Das mexikanische Problem" versichert: „Wir sind Indianer mit Blut und Seele." Vasconcelos hätte vor diesem Bekenntnis besser seinen N a m e n abgelegt; denn der weist auf älteste spanische Abstammung hin und ist gleichzeitig Symbol für die ibero-amerikanische kulturelle Einheit. 9 7
Die Tatsache, dass sich Vasconcelos trotz seiner „ältesten" spanischen Wurzel als Indianer bezeichnet, versteht Ross als einen „Rassenverrat". Der Reisende scheint auch nicht zu begreifen, dass Vasconcelos „die ibero-amerikanische kulturelle Einheit" als das Aufeinanderkommen aller razas unter dem gleichen iberoamerikanischen Geist auffasste.
95 96 97
Vasconcelos, La raza cósmica 43. Vasconcelos, La raza cósmica 42. Ross, Der Balkan Amerikas 176.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Josef Maria Frank hingegen erwähnt José Vasconcelos nie direkt. Aber er zeigt sich von der fuhrenden Rolle der Mestizen im mexikanischen Nationalismus bewusst. Als Beobachter der mexikanischen Wandmalerei und als Leser von D. H. Lawrence Roman The PlumedSerpent (1926), in dem zwei Mexikaner die britische Protagonistin Kate zu ihrer aztekischen Religion bekehren, sieht Frank die Emanzipierung der Indigenen und die entscheidende politische Rolle der Mestizen als grundlegend für die Benachteiligung der „Weißen" an. Colin Ross und Josef Maria Frank teilen die mexikanische Gesellschaft in drei ethnische Kategorien ein: Indigene, Mestizen und Weiße. Als Europäer identifizieren sie sich mit den letzteren, und es erscheint ihnen, dass die Europäer und Amerikaner immer mehr durch die nationalistische Politik verdrängt werden. Ihre Wahrnehmung der Mestizen zeigt, wie sie die mexikanische ethnische Mischung als eine „Tragödie" und als eine „Last" verstanden. An vielen Stellen ihrer Reiseberichte lehnen sie den mexikanischen Mestizo-Diskurs ab. Seinerseits spricht Colin Ross über Mexiko als ein Land, auf dem „die Erbschaft vieler, Jahrtausende alter Kulturen" lastet.98 Wenn Ross den Begriff „lasten" verwendet, versteht er diese ethnische Erbschaft als ein unangenehmes, beschränkendes Merkmal. Bei Ross ist Mexiko nicht als eine einheitliche Entität zu verstehen, denn die (im Hinblick auf Landschaft und Klima) kontrastreiche Natur des Landes und die Gegensätze der ethnischen Gruppen scheinen die von Vasconcelos proklamierte Einheit nicht zu ermöglichen: Dieses Land wie seine Bewohner sind nicht zu verstehen, wenn man nicht den Ausgang von seiner zwiespältigen Landschafi aus nimmt und den großen Unterschieden seines Klimas. Dazu kommt der noch lange nicht überbrückte Gegensatz zwischen Weiß und Rot. Gibt es heute noch keine amerikanische Rasse, kein amerikanisches Volk, so wird es auch in Jahrhunderten noch kein mexikanisches geben. „Mexiko" ist ein Begriff ohne Inhalt oder vielmehr einer mit allzu vielen Inhalten. In Mexiko leben Dutzende von Indianerstämmen, die noch kein Wort Spanisch sprechen, und in deren Adern auch nicht ein Tropfen weißes Blut fließt. Daneben aber gibt es Menschen rein kastilischer Abstammung."
Die ethnische Vielfalt wird als ein Problem verstanden, das die Existenz „eines" Volks nicht erlaubt. Aus diesem Grund verschließt sich Ross deutlich der Existenz der Mestizen, indem er über „nicht überbrückte Gegensätze zwischen Weiß und Rot" spricht und den Leser an die „dutzenden Indianerstämme" erinnert, die auch sprachlich keine Gemeinsamkeit haben. Ross vergleicht diese misslungene Mischung der ethnischen Gruppen mit einer architektonischen Allegorie - dem Palacio de Bellas Artes, dem nationalen „Kunsttheather"100 (absichtlich von Ross in Anführungszeichen geschrieben), dessen Baustil sowohl indigene als auch europäische ästhetische Strömungen erkennen lässt:
Ross, Der Balkan Amerikas 135. Ross, Der Balkan Amerikas 135. Hervorhebung von mir vorgenommen. 100 Ross, Der Balkan Amerikas 136.
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So entstanden Bauten wie das Nationaltheater, das gleichzeitig das Museum der schönen Künste ist. M a n hat für 15 Millionen Marmor und Bronze hineinverbaut in so ziemlich allen um die Jahrhundertwende bekannten Stilarten, vermischt mit aztekischen, mixtekischen und zapotekischen Motiven. 101
Das Nationaltheater ist laut Ross nicht nur eine Allegorie des Versuchs, eine Mestizen- Gesellschaft aufzubauen, sondern auch eine von dessen Scheitern. Die Baumaterialen symbolisieren die Hautfarbe der in Mexiko lebenden Ethnien (Marmor = Europäer, Bronze = Indigene), doch diese wurden „hineinverbaut" (s.o.). Durch das Präfix "hinein" wird eine erzwungene Zusammenfügung vermeintlich unpassender Elemente signalisiert. Ganz ähnlich hält Ross das allegorische Gebäude der mexikanischen Identität für „unmöglich". Die allmähliche Senkung des Palasts, die wegen seines großen Gewichts nur durch stetige technische Maßnahmen gestoppt werden kann, symbolisiert für Ross die Ablehnung dieser kulturellen Synthese seitens der Erde. Hier ist zu bedenken, wie der Boden im Werk von Ross als Symbol der vorhispanischen Kultur fungiert. Die Tatsache, dass der Boden das Gebäude gewissermaßen zum Absinken brachte, drückt für Ross die Unmöglichkeit einer ethnischen Synthese aus: Allein, es scheint, daß dies selbst für den mexikanischen Erdboden zuviel war, denn er gab einfach nach. Der ganze kostspielige Bau, an dem man von 1902-1934 gearbeitet, begann wegzusacken. Deshalb p u m p t e man Unmengen flüssigen Zementes darunter und verschwendete noch mehr Geld an einen unmöglichen Bau.102
Das nationale Kunsttheater ist bei Ross ein Symbol der Natur des Mestizen. Die in Mexiko verbreitete Tendenz zur Korruption spricht er dem Mestizen zu, indem er sie auf die Ambiguität der Mestizen-Herkunft bzw. auf dessen genetischen Zwiespalt zurückführt. Die Mischung von Blut verschiedener Ethnien führt also zu einer Korruption der Moral: Die Korruption ist überall dort besonders schlimm, wo die Ratsmitglieder Mestizen sind. Der Mestize hat eben kein Verständnis mehr für das Wesen einer blutgebundenen Gemeinwirtschaft. [...] Es ist eine uralte, immer wieder gemachte Erfahrung, daß jede kommunistische Siedlung und Wirtschaft früher oder später - meistens früher - versagen und zusammenbrechen m u ß , die nicht auf blutmäßiger oder wenigstens religiöser Gemeinschaft oder noch besser auf beiden beruht. 103
Dass Ross die Mestizen in einen Zusammenhang mit dem Kommunismus bringt, erklärt sich durch seine Wahrnehmung der mexikanischen Revolution als einem
101 102 103
Ross, Der Balkan Amerikas 136. Hervorhebung von mir vorgenommen. Ross, Der Balkan Amerikas 136. Hervorhebung von mir vorgenommen. Ross, Der Balkan Amerikas 130. Hervorhebung von mir vorgenommen.
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kommunistischen Umsturz, für welchen ihm in erster Linie Mestizen verantwortlich scheinen, so wie zum Beispiel Pancho Villa, den er als einen „Vollblutindianer" mit einem „Schuß Negerblut" beschreibt.104 Mestizen erwiesen sich seiner Vorstellung nach als unfähig für eine „Gemeinwirtschaft" (s.o.), weil der Mangel an Bewusstsein über eine bestimmte Herkunft (Blut) ihnen nicht ermöglichte, für die Gemeinde zu arbeiten. Ross liefert hier also ein biologisch-genetisches Argument gegen den Kommunismus, das seine Verinnerlichung der nationalsozialistischen Biopolitik beweist. Die NSDAP beabsichtigte, den Aufbau des Dritten Reiches auf einem politischen Projekt zu gründen, das nach der Staatsideologie als ein lebendiger, biologischer Körper gestaltet werden sollte.105 In diesem Sinne musste das Volk - als ein einziger, zusammenhängender Körper und als ethnische Gruppe - von „unreinen" und „degenerierten" Elementen befreit und geheilt werden.106 Die Sprache der rassistischen Propaganda nutzte Konzepte wie „Blut" und „Verwurzelung", die aus der Medizin und Botanik stammen, für ihre biologische Rhetorik.107 Josef Maria Frank vertritt zwar ähnliche Ansichten, aber bei ihm scheint an dieser Stelle die NS-Ideologie weniger Einfluss zu haben als der Roman The Plumed Serpent (1926) von D. H. Lawrence. Ähnlich wie für D. H. Lawrence, war für Frank die „Blutmischung" weniger ein biologischer, sondern vielmehr ein psychologischer Zwiespalt zwischen der einen und der anderen Identität. In Lawrences The Plumed Serpent wollen Don Ramön und Don Cipriano durch eine Sekte die alte aztekische Religion wiederbeleben und Christus durch die mythologischen Figuren von Quetzalcöatl und anderen aztekischen Göttern ersetzten. Obwohl Ramön und Cipriano nicht als Indigene beschrieben werden und eine westliche Bildung erfuhren, drängt sich in ihnen das indigene Element durch. D. H. Lawrence metaphorisiert eine Art Identitätskonflikt, in dem die mexikanischen Protagonisten seines Romans sich für die indigene Religion entscheiden. Lawrence stellt diesen Kult als eine Rückkehr in eine mystische Primitivität dar. Josef Maria Frank sieht seinerseits die „Blutmischung" als Grund eines Identitätskonflikts an. Sie sei dem Autor zufolge „Quell allen Unglücks" und könne zu einer Katastrophe führen, weil die Mexikaner nicht wissen, was sie eigentlich sind und wollen. Frank zufolge machte es dieser Zwiespalt Mexiko unmöglich, autonom zu fungieren. Indem die „Weißen" als nicht gemischt bzw. „rein" dargestellt werden, wird ihnen implizit auch ein solides Bewusstsein zugesprochen, womit wiederum der Kolonialismus gerechtfertigt wird: M a n besinnt sich, einmal gelesen zu haben diese Stimme eines südamerikanischen Politikers: „Menschen aus dem Okzident haben sich wie Raubvögel auf den amerikanischen Kontinent gestürzt und Indianer u n d Negern namenloses Elend gebracht. W e n n die Befreiung dieser Rassen durchgeführt ist, wird die ,Neue Welt' in die Zeit des schöpferischen Aufbaus eintreten. Der neue amerikanische Mensch wird zugleich kontinental
104 105 106 107
Ross, Der Balkan Amerikas 196. Griffin, Modernism and Fascism 317. Griffin, Modernism and Fascism 318. Richard Etlin bei Griffin, Modernism and Fascism 318.
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und universal sein!" Ein großer, imponierender und schöner Ausblick - doch, in welche Zukunftsweite gedacht? „Befreiung"? Wann aber werden diese Rassen von dem viel gefährlicheren als dem schon so gut wie ausgelöschten Blut der reinen Weißen, vom eigenen Halbblut befreit seini Vom „Menschen, der weder das eine noch das andere und in sich geteilt ist, dessen Blut der einen Rasse das und dessen Blut der anderen Rasse jenes will", dessen Blutmischung Quell allen Unglücks für sich selber und den anderen ist. Es ist noch ein weiter Weg bis zur „Befreiung"; vielleicht, daß noch ein ganzes neues Trauerspiel, vielleicht sogar noch ein die Trilogie schließendes drittes, vom Schicksal hinzudiktiert werden muß. 108
Es ist nicht zu ermitteln, wen Josef Maria Frank hier zitiert, aber es scheint sich um eine Paraphrase der Ideen von mehreren lateinamerikanischen Unabhängigkeitsideologen, wie etwa José Martí, Simón Bolívar oder José Enrique Rodó zu handeln, welche den spanischen Kolonialismus ablehnten und zur Befreiung der Schwarzen und Indigenen aufriefen. Außerdem evoziert er durch Bezeichnungen wie „der neue amerikanische Mensch" die Ideen José Vasconcelos', als dieser über die definitive iberoamerikanische Rasse spricht. Aber Frank ist sehr skeptisch gegenüber dieser „Befreiung" von der europäischen Herrschaft. Er hält diese für unrealistisch, denn Mexiko basiert seines Erachtens nicht auf einer gemeinsamen Identität, die alle Mestizen zusammenschließen könne. Bemerkenswert ist, dass Mexiko ohne Europäer aus Franks Sicht „ein Trauerspiel" werden könnte — das neu entstandene Land würde eine neue Mestizen- und Indianer-Republik mit einem fatalen Schicksal, das der „Trilogie" der mexikanischen Geschichte (vorspanische Zeit, Kolonialzeit und Gegenwart) ein „ganz neues, schließendes drittes" Kapitel gebe. Idiomatisch beinhaltet „Trauerspiel" die allgemeineie Bedeutung einer traurigen Szene und Gräueltat, 109 aber es bildet auch eine dramaturgische Metapher, die auf die Terminologie der griechischen Tragödien zurückgreift: Das „Schicksal" Mexikos wird deshalb als eine Katastrophe vorausgesagt, in der das Land sein Ende („schließendes Kapitel") sehen könne. Auf eine ähnliche Weise metaphorisiert D. H. Lawrence in seinem Roman die Rückkehr in die Primitivität. Ein abgeholzter Wald, der wieder stärker und unkontrolliert zu wachsen beginnt, symbolisiert für Lawrence die Wiederentstehung des altmexikanischen Kults und damit die Verdrängung der europäischen Zivilisation: [...] the men in Mexico are like trees, forests that the white men felled in their Coming. But the roots of the trees are deep and alive and forever sending up new shoots. And each new shoot that comes up overthrows a Spanish church or an American factory. And soon the dark forest will rise again, and shake the Spanish buildings from the face of America. ' 1 0
Zwar lässt sich Josef Maria Frank an D. H. Lawrence anknüpfen, aber er deutet weniger auf die Rückkehr in die Primitivität, sondern vielmehr auf die Wichtigkeit Frank, Mexiko ist anders 145-146. Hervorhebung von mir vorgenommen. „Trauerspiel," Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, 16 Bde. in 32 Teilbänden (Leipzig: 1854-1961). Online-Version vom 22.10.2013. 1,0 D. H. Lawrence, The Plumed Serpent (Harmondsworth: Penguin, 1968) 76. 108
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der „Weißen" für Mexiko hin, denn das Land könne laut seiner Einstellung ohne den Kolonialismus nicht mehr existieren - und hätte auch keinerlei Aussicht auf eine Zukunft.
4. DIE GÖTTERDÄMMERUNG DER WEISSEN GÖTTER. DIE MEXIKANISCHE REVOLUTION AUS EINER NATIONALSOZIALISTISCHEN PERSPEKTIVE
a) Die Paradoxien Colin Ross brach im Jahr 1 9 1 6 von El Paso (Texas) nach Chihuahua auf, weil er die Ereignisse der mexikanischen Revolution aus der Nähe miterleben wollte. In Mexiko wartete auf ihn „alles Unbekannte, alles Lockende, Ungewisse und Drohende — das Abenteuer". 1 1 1 Seine Begegnung mit Pancho Villa, dessen militärische Tapferkeit von dem Autor hoch geachtet wurde, war für ihn besonders prägend. O b Ross der Revolution aus ideologischen Gründen aus der Nähe beiwohnen wollte, ist ungewiss. Aber sein damaliges Engagement bei der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands erlaubt die Vermutung, dass ihn einige der ideologischen Hintergründe der mexikanischen Revolution durchaus gereizt haben. 1 1 2 Trotz seines ehemaligen abenteuerlichen Enthusiasmus lässt Ross 2 0 Jahre später in seinem Reisebericht eine andere Perspektive auf die Revolution erkennen. In der neu entstandenen mexikanischen Republik findet er sowohl soziale als auch ideologische Widersprüche vor, die nicht den ursprünglichen politischen Idealvorstellungen zu entsprechen scheinen. Obwohl Josef Maria Frank sich früher nie in Mexiko aufgehalten hatte, weichen dessen Bemerkungen in diesem Zusammenhang nicht von Ross' Kommentaren ab. Frank stellt fest, dass sich das Programm der Revolutionsanhänger, das die Verteilung von Ackerland forderte und zur Emanzipation der Arbeiter und Bauern aufrief, nicht verwirklichte. Ganz im Gegenteil führte die Revolution lediglich zur Bereicherung einer neu etablierten Elite, die sich an die Macht drängte, indem sie sich zum Kommunismus 1 1 3 bekannte. Sowohl Ross als auch Frank äußern sich kritisch und wenig
Ross, Das Fahrten- und Abenteuerbuch (Berlin: Büchergilde Gutenberg, 1933) 73. Bei der mexikanischen Revolution gab es tatsächlich nicht nur eine einzige Front, sondern es waren mehrere Bewegungen verwickelt, die sich in einer Zeitspanne von 10 Jahren gegenseitig bekämpften, und die unterschiedliche ideologische Orientierungen vertraten. Nichtsdestotrotz waren viele der Vorläufer der Revolution vom Marxismus inspiriert, etwa der Partido Liberal Mexicano (Partei der Mexikanischen Liberalen), der zwischen 1906 und 1908 hinter mehreren Streiks in Bergwerken in Mexiko stand, etwa hinter denen von Cananea (Sonora) und Rio Blanco (San Luis Potosí). Aktive Mitglieder dieser Partei waren die mexikanischen Kommunisten Ricardo und Enrique Flores Magón. Vgl. James D. Cockcroft, Intellectual Precursors of the Mexican Revolution, 1900-1913 (Austin, T X : University of Texas Press, 1968) 134. 111
112
113 Diese Wahrnehmung der postrevolutionären mexikanischen Politik entsprach nicht vollkommen der Realität. Die ersten Präsidenten nach Kriegsende, etwa Alvaro Obregón und Plutarco Elias Calles, erklärten sich nie als Kommunisten. Trotzdem bezeichnete die mexikanische katholische Kirche die Partido Nacional Revolucionario (später bekannt als PRI) als „sozialistisch"
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o b j e k t i v ü b e r d i e m e x i k a n i s c h e R e v o l u t i o n , d i e zurzeit ihres A u f e n t h a l t s s c h o n zu e i n e m p o l i t i s c h e n M y t h o s g e w o r d e n war. Ihre B e o b a c h t u n g e n ü b e r das n e u e M e x i k o s i n d stark e m o t i o n a l g e p r ä g t - A u f r e g u n g , Z o r n u n d I r o n i e , a b e r a u c h e i n e gewisse A n g s t u n d e i n e gewisse S o r g e p r ä g e n ihre S p r a c h e u n d d u r c h diese G e f ü h l e w e r d e n ihre z e n t r a l s t e n F r a g e n z u m A u s d r u c k g e b r a c h t : D i e V e r b r e i t u n g des K o m m u n i s m u s , d i e R ü c k k e h r d e r I n d i g e n e n in d e n ö f f e n t l i c h e n D i s k u r s , w a s zugleich als die A u f e r s t e h u n g des a z t e k i s c h e n Reiches v e r s t a n d e n w i r d , u n d d i e Z u r ü c k d r ä n g u n g d e r „ w e i ß e n Rasse". I n d e n f o l g e n d e n A b s c h n i t t e n w e r d e n diese drei A s p e k t e m ö g l i c h s t detailliert d i s k u t i e r t . D i e A u f m e r k s a m k e i t , die F r a n k u n d Ross d e m M a r x i s m u s s c h e n k e n , e n t l a r v t zwar ihre V e r i n n e r l i c h u n g nationalsozialistischer I d e e n . Ihre K r i t i k a n d e r m e x i k a n i s c h e n R e v o l u t i o n u n d a n d e r sozialistischen P r ä g u n g des P r ä s i d e n t e n Lázaro C á r d e n a s w i e d e r h o l t sich a b e r u n t e r vielen a n d e r e n i n t e r n a t i o n a l e n A u t o r e n , d i e M e x i k o zu d e m s e l b e n Z e i t p u n k t b e s u c h t e n . So s c h r e i b t beispielsweise S c h m i d t - W e l l e d e n b r i t i s c h e n A u t o r e n G r a h a m G r e e n e , A l d o u s H u x l e y u n d D . H . L a w r e n c e eine g a n z ä h n l i c h e E i n s t e l l u n g zu. 1 1 4 A b e r bei d e r Analyse d e r n a t i o n a l s o z i a l i s t i s c h e n Perspektive ist n i c h t zu vergessen, dass d i e D i f f a m i e r u n g des K o m m u n i s m u s i m R a h m e n d e r N S - P r o p a g a n d a n i c h t n u r a u s g e n u t z t w u r d e , u m in d e r Ö f f e n t l i c h k e i t d e n Krieg in O s t e u r o p a z u r e c h t f e r t i g e n , i n d e m d i e S o w j e t u n i o n als d e r g r ö ß t e F e i n d der n a t i o nalsozialistischen E x p a n s i o n s p o l i t i k R i c h t u n g O s t e n dargestellt w u r d e , 1 1 5 s o n d e r n
(Benitez 246) und die Revolution als „monstruo bolchevique" (247). Laut Katharina Niemeyer zeichnete sich die mexikanische Revolution seit dem Anfang durch ihre ideologische Ambiguität aus, einerseits wegen der wenigen Intellektuellen, die sich daran beteiligten, andererseits wegen ihrer stetigen Richtungswechsel (54). Nichtsdestotrotz war die die Amtszeit von Lázaro Cárdenas stark von sozialistischen Richtlinien charakterisiert, wie z.B. bei der Bildungspolitik (Lerner 11). Auch wenn es marxistische Tendenzen unter einigen Mitgliedern der PNR gab, „para la mayoría abrumadora del PNR [...] el socialismo implicaba más la necesidad de una reivindicación social y económica, que la postulación de un programa específico acorde con la filosofía marxista-leninista" (Medin 42). Vgl. Fernando Benítez, Lázaro Cárdenas y la Revolución Mexicana, II. El Caudillismo (México: FCE, 1977); Victoria Lerner, La educación socialista. Historia de la Revolución Mexicana 17 (México: El Colegio de México, 1979); Tzvi Medin, Ideología y praxis política de Lázaro Cárdenas (México: Siglo XXI, 1976); Katharina Niemeyer, ,„...que agita apenas la palabra': La poesía mexicana frente a la Revolución," La Revolución mexicana en la literatura y el cine, eds. Olivia Díaz-Pérez y Florian Gräfe (Madrid y Frankfurt: Iberoamericana - Vervuert, 2010) 47-69. 1U Schmidt-Welle analysiert zum Beispiel, wie Graham Greene die mexikanische Erziehungspolitik als „faschistisch" und „totalitär" erschien. Dies steht im absoluten Kontrast zu Frank und Ross'. Schmidt-Welle zufolge basiert „seine Kritik an der mexikanischen Revolution (...) auf der Annahme, es handele sich bei dieser um eine sozialistische oder kommunistische und vor allem antiklerikale Revolution". Darüber hinaus erläutert Schmidt-Welle, wie viele ausländische und mexikanische Intellektuelle in den Anstrengungen der Regierung Cárdenas die allmähliche Verwirklichung einer sozialistischen Gesellschaft sahen. Vgl. Friedhelm Schmidt-Welle, Mexiko als Metapher. Lnszenierungen des Fremden in Literatur und Massenmedien (Berlin: Tranvia-Verlag Walter Frey, 2011) 70-71. 115 Rohkrämer erklärt, wie die NS-Propaganda den „präventiven" Krieg gegen die Sowjetunion als einen Kampf für den Lebensraum und ums „völkische Überleben" stilisierte. Rohkrämer, Die fatale Attraktion 262.
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auch um die damals weithin verbreitete Angst vor dem Kommunismus weiter zu schüren und somit die Unterstützung von katholischen und bürgerlichen Kreisen zu gewinnen. 116 Das Ansinnen von Frank und Ross, das postrevolutionäre Mexiko als kommunistisch darzustellen, entspricht demnach der propagandistischen Vorgehensweise ihrer Zeit. Dementsprechend ist der Kommunismus in ihrer Vorstellung der Revolution eng mit einem ethnischen Konflikt verquickt, was aus der politischen und rassistischen Perspektive des Nationalsozialismus eine unerträgliche Konstellation darstellt. Infolgedessen versuchen Frank und Ross, die Legitimität der mexikanischen Politik zu entkräften, wobei sie ihre Kritik anhand prägender Sprachmittel verdeutlichen. Frank erklärt: Immer mehr entwickelte sich die Revolution [...] zum unerwarteten Parallelfall zur russischen Revolution. U n d da Mexikos „Proletariat", die mexikanische Masse, ja eine hauptsächlich indianische ist, entwickelte sich die Revolution weiter zum rassischen Umbruch, zur indianischen Bewegung mit dem eindeutigen Ziel: „das Gebäude des Weißen vom Antlitz Mexikos abzuschütteln!".117
Frank scheint in der mexikanischen Revolution ein falsches Modell der russischen zu erkennen. Den Begriff „Proletariat", der ursprünglich zur Bezeichnung der industriellen Arbeiterklasse geprägt wurde, verwendet er in Anfuhrungszeichen, als wolle er damit eine misslungene Adaptation eines vom ihm abgelehnten politischen Modells andeuten. Im Vergleich zur Sowjetunion führte die Revolution in Mexiko aus der Sicht der Autoren nicht zu einem politischen, sondern zu einem gewalttätigen („abschütteln") ethnischen Konflikt gegen die Europäer. Die Frage, inwiefern ethnische anstatt wirtschaftlicher Ziele verfolgt werden, und ob hinter dem kommunistischen Programm letztlich politische Heuchelei verborgen ist, steht im Augenmerk von beiden Autoren. Immer wenn die Revolution und deren Wirkungen thematisiert werden, lassen Frank und Ross einen hohen Grad an Emotionen erkennen, die sich durch textuelle und paratextuelle Einheiten untersuchen lassen. Ironie und Angst, Zorn und Aggressivität prägen den Schreibstil, wenn es um den kommunistischen Atheismus, die Korruption der mexikanischen Politiker und deren Widersprüche geht. Der von Seiten des Staates propagierte Atheismus scheint für Ross u n d Frank im Widerspruch zu der traditionellen Religiosität der Mexikaner zu stehen. Auch wenn er an anderen Stellen eine kritische Position gegenüber der Kirche Mexikos einnimmt, 118 versteht Colin Ross den Katholizismus als Symbol der westlichen Kultur bzw. als Erbe der „weißen" Europäer und deren Kultur. Deshalb interpretiert
116
Zu diesem Zweck wurden z.B. die Angriffe auf die Kirche im Spanischen Bürgerkrieg für NS-Propaganda ausgenutzt. Vgl. Rohkrämer, Die fatale Attraktion 130. 117 Frank, Mexiko ist anders 133. Hervorhebung von mir vorgenommen. 118 Zur Erklärung der Gründe der Unabhängigkeitsbewegung Mexikos behauptet Ross: „Das Ganze war lediglich eine großangelegte Intrige der Kirche, die für ihre Herrschaft fürchtete, sowie ein Kampf um die politische Futterkrippe zwischen Kreolen und Gachupines" (Der Balkan Amerikas 62).
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er die von Benito Juárez durchgeführte Trennung zwischen Staat und Kirche als einen Schlag gegen „die Herrschaft der weißen Rasse in Mexiko". 119 In der Verfolgung der katholischen Kirche während der Amtszeit von Plutarco Elias Calles sieht er außerdem den Einfluss des Kommunismus gegeben. Ross verteidigt die Auffassung des Christentums als Teil der „mexikanischen Seele": Drei Jahrhunderte lang drückte das katholische Spanien dem Land seinen Stempel auf. Trotz Unabhängigkeitskrieg, trotz der Kirchengesetze des Juárez, trotz der Revolutionen Maderos, Villas, Carranzas, Obregons und Calles' trägt die mexikanische Seele noch immer die Spuren der spanisch-katholischen Herrschaft, wie trotz allen Zerstörungstaumels der Revolutionäre noch Abertausende von Kirchen davon zeugen, daß Marx Christus nicht völlig verdrängen konnte}20
Der Kontrast zwischen Karl Marx und Christus zeigt, inwiefern Ross die historischen Ereignisse Mexikos nicht nur als Rückschlag gegen den europäischen Kolonialismus verstand, sondern auch als einen „Ringen der Rassen": Christus, als Ikone der von den Europäern aufgedrängten Religion, steht für die spanischen Konquistadoren - in der Gegenwart durch amerikanische und englische Kapitalisten ersetzt. Andererseits steht Marx, als Vertreter der „roten" Ideologie (Kommunismus), für die durch eine „proletarische" Revolution emanzipierten — übrigens rothäutigen — Indigenen. Die Stärke des Katholizismus, der über alle Etappen der Entwicklung des Landes hinweg tief in der „mexikanischen Seele" verankert blieb, wird durch die Verwendung dreier restriktiver Sätze stark betont, in denen der Autor sechs unterschiedliche historische Figuren auflistet. Dies zeigt, dass Ross das „weiße" Element (Religion) äußerst emphatisch verteidigt, womit dieser gleichzeitig auch seine Empörung gegenüber den staatlichen Versuchen zum Ausdruck bringt, die Religiosität der Mexikaner (als Symbol der europäischen Kultur) wegzudrängen. Josef Maria Frank sieht in der massiven Popularität des Kults um die Virgen de Guadalupe, Ikone des mexikanischen Katholizismus und Synthese von europäischer und indigener Religiosität, seinerseits ein interessantes Paradoxon. Auch wenn die Indigenen ftir die manipulierbare Masse der Revolution stehen, taucht hier wohl der fiktionsartige, primitive „Indianer" wieder auf, der trotz des Kommunismus seinen primitiven („seltsam christlich-heidnischen") Kult nicht verliert. Der Glaube an die Virgen de Guadalupe erweist sich aufgrund seiner kollektiven Natur als unantastbar und unlösbar - denn er gehört „allen" Mexikanern und „Indianern", die das ganze Jahr zu Verehrung dieser Maria-Erscheinung pilgern. Im folgenden Textauszug weist Frank z.B. fünf Mal auf die Kollektivität („aller", „alle Indianer", „alljährlich", „ganzen Lande", „zusammenströmen") hin.
119 120
Ross, Der Balkan Amerikas 70. Ross, Der Balkan Amerikas 135. Hervorhebung von mir vorgenommen.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus „Indianer-Madonna von Guadalupe". Es ist auch heute, in diesem Mexiko der staatlich geförderten Gottlosenpropaganda ä La Moskau, immer noch Mexikos Nationalheiligtum aller national und religiös empfindenden „Mexikaner" (und wer wäre das nicht?) und so etwas wie ein Mekka oder Lourdes für alle Indianer, die alljährlich hier aus dem ganzen Lande wallfahrend zusammenströmen und das porphyrgrüne, von Kerzenflammen und Silberfunken durchstrahlte Halbdunkel der Kathedrale mit ihrer seltsam heidnischchristlich verquickten Verehrung „ihrer" Madonna erfüllen.121
Eben jene Synthese zwischen den „Indianern" und der „Madonna", eine ikonische Referenz zu Maria-Darstellungen der europäischen religiösen Kunst, symbolisiert das oben erwähnte Paradoxon. So wie der mexikanische Mestize repräsentiert die Virgen de Guadalupe eine merkwürdige Synthese vom Paganismus und Katholizismus, die die Indigenen erfanden („ihrer"). Als indigenes Bild scheint es dem Autor widersprüchlich, dass in Mexiko alles Indigene vom Kommunismus ausgenutzt wird und dass gleichzeitig die „Indianer" mit Elementen assoziiert werden, die dieser Ideologie widersprechen. Indem Frank sich ironisch über den staatlichen Atheismus „ä la Moskau" äußert, zeigt er deutlich seine Ablehnung und seine kritische Sicht auf das Paradoxon zwischen einer kommunistischen Auffassung der Indigenen und dem frommen Katholizismus. Darüber hinaus betont er seine Wahrnehmung einer widersprüchlichen Revolution. Da in Mexiko der Katholizismus auch derartige Manifestationen überlebt, erscheint der Kommunismus gegenüber der ursprünglichen Mentalität der Mexikaner als nutzlos. Es ist zu vermuten, dass Frank mit dieser Rhetorik (auch) seine eigenen Bedenken gegenüber der kommunistischen (Ausprägung der) Revolution dämpfen wollte, denn vor dem Hintergrund der oben dargestellten Widersprüche ist nicht wahrscheinlich, dass die katholische Religion komplett ausgerottet wird. Interessanterweise sieht Frank in der postrevolutionären Politik einen Versuch, dem Kommunismus als eine Art Religion zu imponieren, was im starken Kontrast zu dem paradigmatischen marxistischen Atheismus steht. Zum Ausdruck dieses Paradoxons wird Karl Marx mit einer aztekischen Gottheit parallelisiert. Durch diese Verknüpfung wird ein klares Oxymoron erzeugt, in dem der Autor wiederum sein Konzept einer misslungenen kommunistischen Revolution betont. Da sich Religion und Marxismus gegenseitig doktrinär ablehnen, zeigt Frank eine starke Antipathie gegenüber dieser Synthese, denn aus seiner Sicht bekämpft der Kommunismus dogmatisch den Katholizismus, ein Glaubenssystem, das auch auf Dogmen basiert. Auf der gleichen Ebene steht auch der Kapitalismus im Kontrast zu der Revolution. So kritisiert Frank, wie alle mexikanischen Politiker trotz eines proletarischen Programms beabsichtigen, sich zu bereichern. Auf diese Art betrieben, ersetzt der Marxismus die Religion, indem er sich als eine Art Kult präsentiert und gleichzeitig kapitalistische Machtambitionen versteckt:
121
Frank, Mexiko ist anders 123-124. Hervorhebung von mir vorgenommen.
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Ueber Nacht war ein neuer Quetzalcoatl, „Gott Marx", in Mexiko eingezogen und hatte die Indianermadonna von Mexikos Revolutionsfahne verdrängt. Halbintellektuelle mestizische Konjunkturpolitiker hatten ihn - weniger aus Neigung als aus der Ueberlegung (sie), daß man auch mit diesem „Gott" ein politisches Geschäft, vielleicht eine Großhazienda oder ein schönes Bankkonto, „machen"könnte
- aufs schnell errichtete Gewerkschaftspodest und
bald schon auf die Blickfangsäule im Präsidentenpalast gehoben. Von der Revolutionsfahne Mexikos lächelte keine braune Madonna mehr; nun schrie ein roter Gott: „Mexiko dem Mexikaner!". 1 2 2
Die Farbe Rot evoziert den Kommunismus. Die Darstellung eines schreienden roten Gottes, der die lächelnde Maria (=Unschuld) plötzlich „über Nacht" ^unheimlich, unerwartet) auf der Revolutionsfahne mit Gewalt (=verdrängt) ersetzt, erschafft ein groteskes, angsterregendes Bild, das die vehement ablehnende Haltung des Autors gegenüber dem Kommunismus deutlich macht. Dass Frank Marx mit Quetzalcoatl vergleicht, steht im Widerspruch zu der Assoziierung, die er an anderen Stellen mit dem christlichen Messias macht. 123 Während Hernán Cortés und sein Heer die weißen Götter der aztekischen Legende, die Kultur des Abendlandes und den Kolonialismus symbolisierten, geht es hier hingegen um einen „russischen", kommunistischen und deshalb falschen Messias, der unter dem Vorwand eines gutgemeinten Indigenismus ein neues Ausbeutungssystem in Mexiko etablieren will. Hinter dem marxistischen Idealismus mexikanischer Prägung verbergen sich also Frank zufolge Kapitalismus, Reichtum und Macht („Bankkonto", „Geschäft", „Großhazienda"). An dieser Stelle ist deutlich eine Anspielung auf den staatlichen Antiklerikalismus zu erkennen: das Gewerkschaftspodest, auf das der marxistische Gott gehoben wird, und der Präsidentenpalast stehen für Allegorien eines kirchlichen Altars. Frank denunziert nicht nur den neuen ideologischen Gott mit großer Ironie, sondern auch die Absichten seiner Anhänger und deren falsche Intellektualität („Halbintellektuelle"). Durch die Gegenüberstellungen Religion vs. Atheismus und Marxismus vs. Kapitalismus stellt Frank die Authentizität der mexikanischen Revolution grundlegend in Frage. Zur Verstärkung seiner Ablehnung, verwendet er ein bekanntes Motto des nationalistischen Diskurses („Mexiko dem Mexikaner!"), das die Rückgabe der Bodenschätze an das mexikanische Volk forderte. Interessanterweise war „¡México para los mexicanos!" auch der Spruch der ultrakonservativen, faschistischen und antisemitischen Gruppen der Acción Mexicana Revolucionaria und der Goldhemden (camisas doradas)}u Da der Revolutionskrieg zur Bereicherung der sogenannten Kommunisten führte, scheint Frank die Bedeutung dieser Worte für nichtig zu erklären. Josef Maria Frank konkretisiert seine Kritik an der Revolution in der Figur von Diego Rivera. Der mexikanische Künstler hatte sich zwischen 1927 und 1928 auf
122
Frank, Mexiko ist anders 134. Hervorhebung von mir vorgenommen.
123
Vgl. Kapitel IV.
124
Alicia Gojman de Backal, Camisas, escudos y desfiles militares. Los Dorados y el antisemitismo
en México 1934-1940
(México: FCE, 2000) 316. Josef Maria Frank wusste von der Existenz dieser
Gruppe. Genaueres wird im Exkurs dargelegt.
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seinem Weg in die Sowjetunion für eine kurze Zeit in Deutschland aufgehalten, wo seine Wandmalerei in mehreren Publikationen zur Kunstgeschichte gelobt wurde. 125 Seine hohe Bekanntheit als Vertreter des mexikanischen Kommunismus und als Verknüpfungskontakt zwischen den linken Intellektuellen Mexikos, Europas und Amerikas, erlaubt die Vermutung, dass Josef Maria Frank vor seiner Mexikoreise bereits auf Rivera hingewiesen wurde. 126 Der mexikanische Künstler verkörpert einen doppeldeutigen, nicht authentischen Kommunismus. Frank erklärt, Rivera sei: ein Maler ohne Herz und ohne eigentliche Gesinnung, ein Maler kalt berechneter Tendenzen, ein malender Meisterspieler aktivistisch-linksradikaler Propaganda und Demagogie, ein malender Nur-lntellektueller mit kommunistisch-indianisch unterlegtem Text unter den effektvollen und auf schreiende Wirkung berechneten Kompositionen.127 Durch diese lange, negative Beschreibung von Rivera verleiht Frank seiner Verärgerung über den Künstler großen Nachdruck. Die absichtliche Verwendung einer Alliteration (vier nebeneinanderstehende Nominalphrasen mit ähnlichem Anfang), und insbesondere die abundante Verwendung negativer Adjektive sind besonders wirkungsvolle Stilmittel. Interessanterweise machen die zwei Komposita „aktivistischlinksradikal" und „kommunistisch-indianisch" an dieser Stelle nochmals deutlich, inwiefern Frank Kommunismus, Indigenismus und Fanatismus verquickt. Es zeigt sich auch der Vorwurf der Heuchelei („ohne Herz", „ohne eigentliche Gesinnung") des Autors gegenüber dem Künstler. Dennoch bestreitet Frank die Wirkung von Riveras Kunst. Indem er dessen Publikum als „Nur-Intellektuelle" betrachtet, scheint ausgedrückt, dass die Botschaft seiner Malerei nur auf gewisse elitäre Kreise eine Wirkung ausübt. Darüber hinaus ist deutlich zu erkennen, inwiefern die Wandmalerei Riveras den Autor negativ beeindruckte, welcher er etwa dreieinhalb Seiten widmet, 1 2 8 auf denen er die Person und deren Kunst ausführlich kommentiert. A u f diesen Seiten verwendet er 2 5 Begriffe mit einer semantischen Verbindung zum Kommunismus, etwa „marxistisch", „kommunistisch", „proletarisch", „Salon-,, oder „Jungkommunisten". 1 2 9 Dieses Insistieren bringt nicht nur Franks Obsession deutlich zu Tage. Der Autor bewirkt damit zudem den Effekt, Kommunisten in Mexiko als etwas Allgegenwärtiges darzustellen. D e m Autor zufolge ist Riveras Wandmalerei nur eine Diffamierung der „weißen Rasse", und gleichzeitig die Huldigung einer Ideologie, die der Künstler tatsächlich nicht selber praktiziere. Dies ist in der Beschreibung
125 Vgl. Olivia Díaz-Pérez, „La representación del muralismo y la Revolución mexicana en la obra de los escritores del exilio de habla alemana en México," La Revolución mexicana en la literatura y el cine, eds. Olivia Díaz-Pérez y Florian Gräfe (Madrid y Frankfurt: Iberoamericana - Vervuert, 2010) 117. 126 Díaz-Pérez, „La representación del muralismo" 117. 127 Frank, Mexiko ist anders 208. Hervorhebung von mir vorgenommen. 128 Frank, Mexiko ist anders 207-210. 129 Im folgenden Teil dieses Kapitels werden Aspekte von Franks Interpretationen der Wandmalerei Riveras dargelegt, womit der Autor dieser Arbeit sich bereits ausführlich in seiner Magisterarbeit beschäftigt hat.
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ersichtlich, die Frank von Riveras Person macht, als er ihn von einem benachbarten H a u s in Coyoacän, einem bekannten Viertel in Mexiko-Stadt, aus betrachtet, 1 3 0 denn die von Frank verwendeten Adjektive deuten viel eher a u f einen versnobten, reichen Intellektuellen denn a u f einen Proletarier hin: Und Herr Rivera machte mir den gleichen versnobten Eindruck wie seine, fraglos in Angel Inn originellste, im betont überspitzten Bauhausstil errichtete und sehrfeudale, typisch kapitalistische Bauhausvilla. Ich sah einen eleganten, gutgenährten älteren Bonvivant mit rassiger Linie und durchgeistigt zuckendem Gesicht; das, was man in Europa einen typischen Salon-Kommunisten oder auch einen .Andersherum-Kapitalisten " nennt -wenn er einen Eindruck bestimmt nicht machte, so war es der eines Proletariers oder Proletarier-Companero.131 D i e Verknüpfung von Reichtum („Bauhausvilla" in San Angel Inn, damals ein bürgerliches Viertel von Mexiko-Stadt), Snobismus („Salon-Kommunisten",
„Bon-
vivant") und Ausbeutung („feudal", „gutgenährt") fungiert als V o r w u r f eines nicht authentischen ideologischen Bekenntnis. Frank lässt durch seine Beschreibung auch einen deutlichen Hass und ein deutliches Ressentiment gegen die intellektuelle Elite erkennen. D i e paradoxe Verquickung von Marxismus und R e i c h t u m evoziert das Bild von reichen Juden, das zur Agitation gegen diejenigen, die in der Finanzwirtschaft tätig waren, schon vor 1 9 3 3 von der N S D A P und deren Anhängern propagiert wurde, 1 3 2 sie erinnert aber auch an die Diffamierung des K o m m u n i s m u s und an die vermutliche Notwendigkeit, den Krieg gegen die Sowjetunion bis zu letzten Konsequenzen zu fuhren. 1 3 3 Vor dem Beginn der sogenannten ,Operation Barbarossa' gegen die Sowjetunion im J u n i 1 9 4 1 nutzten Goebbels und Hitler die NS-Propaganda zur Verbreitung eines negativen Bildes der Sowjetunion im Z u s a m m e n h a n g mit dem Judentum. 1 3 4 Resultat davon sind etwa die Verfilmung von Lion Feuchtwangers R o m a n Jud Süß
{1940)135
130 Diese Tatsache erlaubt die Vermutung, dass Frank fiir NS-Deutschland in Mexiko spionierte oder zumindest seinen Reisebericht als propagandistisches Informationsmaterial zu Nutze bringen wollte. Es bestehen soweit aber keine Beweise, dass er dafür konkret von einer NS-Behörde beauftragt worden war, wie es ihm in der Presse des deutschen Widerstands in Mexiko-Stadt vorgeworfen wurde. Vgl. Kapitel II und III.
Frank, Mexiko ist anders 208. Hervorhebung von mir vorgenommen. Schlosser, Sprache unterm Hakenkreuz 223. 133 Im Gegensatz zu dem italienischen Faschismus war der deutsche Nationalsozialismus von Anfang an dem Kommunismus strengstens abgewandt, da Hitler im Gegensatz zu Benito Mussolini keine Ursprünge in der sozialistischen Arbeiterbewegung hatte. Vgl. Leonid Luks, Entstehung der kommunistischen Faschismustheorie. Die Auseinandersetzung der Komintern mit Faschismus und Nationalsozialismus 1921-1945 (Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1984) 200. 131
132
Jay W. Baird, To Diefor Germany 208. Die Regie führte Veit Harlan in Zusammenarbeit mit dem Propagandaminister Joseph Goebbels. Goebbels hatte eine britische Verfilmung von Feuchtwangers Roman aus dem Jahr 1934 gesehen. Auch wenn der Ursprung von dem NS-Film in Feuchtwangers Jud Süss (1925) gesehen wird, ist die Quelle der NS-Version auf eine frühere Version der originalen Legende zurückzufuhren, ein Roman von Wilhelm Hauff aus dem Jahr 1827, wo Jud Süss tatsächlich eine marginale Rolle 134
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und der dazu angefertigte Dokumentarfilm Der ewige Jude (1940), in dem Juden und Bolschewisten gleichgesetzt werden. 136 Das Bild von Diego Rivera als einem „versnobten Bonvivant" erinnert an die Geldgier, mit der viele Deutsche jüdischen Glaubens in solchen NS-Propaganda-Filmen dargestellt werden. In diesen Filmen galten die „jüdischen Bolschewisten" als parasitäre Untermenschen und Quelle des Bösen, oder, wie es Jay W. Baird erklärt: The Untermensch was a parasite, the source of all evil. He had never worked for a living but was a trader and middleman, shunning real toil. The 'Jewish-Bolshevik' had no soul and was completely devoted to the quest of gold. 137
Die Darstellung Diego Riveras als Marxist erlaubt viele Parallelen mit diesem Bild, gilt aber zudem für Frank als Symbol einer misslungenen Revolution, deren fuhrende Anhänger ihre Privilegien nicht verloren, sondern neuen Reichtum erwarben oder ihn gar vermehrten. Genauso wie Frank steht auch Colin Ross der Bereicherung der neuen Elite kritisch gegenüber. Zur Äußerung seiner Kritik verwendet er allerdings nicht die von Frank herangezogenen religiösen Symbole oder konkreten historischen Figuren, sondern benutzt andere für ihn charakteristische rhetorische Merkmale, nämlich erstens die Betonung durch das Auflisten von mehreren Substantiven, und zweitens lange Satzkonstruktionen, die ihren Effekt durch Repetitionen vermehren: All die großen Revolutionäre, die sich als Proletarier, als Marxisten und Kommunisten ausgaben und ihre persönliche Herrschaft Arbeiterregierung nannten, endeten als reiche Männer, obgleich sie als arme Schlucker angefangen hatten.138
Ross' Kritik an der Revolution und am Kontrast zwischen einem vermeintlichen Kommunismus und Kapitalismus wird durch pejorative Wörter hervorgehoben. Der Kontrast zwischen „reich" und „arm", zwischen „Mann" und „Schlucker" deutet auf den Opportunismus der Revolutionäre hin: Es scheint das Los des mexikanischen Revolutionärs zu sein, wenn ihn nicht vorher eine Kugel trifft, so endet er als Haziendado (sie) [...]. So werden die Haziendas, obgleich man ihnen den Krieg erklärt hat, wohl bestehen bleiben. Es scheint, als ob sie zum mexikanischen Landschaftscharakter ebenso unvermeidlich gehören wie die Vulkane und Agaven.139
spielt und der laut Giesen wenig anti-semitische Töne hat. Feuchtwanger distanzierte sich deutlich vom NS-Film. Vgl. Rolf Giesen, Nazi Propaganda Films (Jefferson and London: McFarland & Company, 2003) 121-123. 136 Jay W. Baird, To Die for Germany 208. 137 Jay W. Baird, To Die for Germany 210. 138 Ross, Der Balkan Amerikas 157. Hervorhebung von mir vorgenommen. 139 Ross, Der Balkan Amerikas 122. Ross missverstand das spanische Wort hacendado (Großgrundbesitzer).
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Indem er den mexikanischen Revolutionär als Opportunist beschreibt, wirft Ross der Revolution vor, nicht nur zur Bereicherung einer neuen Elite geführt, sondern auch zur Machtübernahme gewalttätiger, ungeschickter Akteure beigetragen zu haben. Die Hazienda steht für die Ausbeutung der Amtszeit von Diaz, aber auch für die Korruption der neuen Regierung. Der Vergleich zu Vulkanen und Agaven weist auf eine zerstörerische, unkontrollierbare Macht (Vulkan= Revolutionskrieg) hin, die zäh und ausdauernd ist wie ein dorniger Kaktus. Natur und kulturelle Defekte gelten somit als ewig und tief verwurzelt. Deshalb entpuppt sich die Revolution als falsch, und ihre Auswirkungen scheinen sich auf einen bloßen Wechsel der herrschenden Eliten zu beschränken - viele Haziendas bleiben, sie werden lediglich von anderen Großgrundbesitzern bzw. „Hazendados" übernommen. Paradoxerweise löste dieser neue Zustand nur Elend im mexikanischen Lande aus. Colin Ross erklärt emphatisch („so", „solch") das Scheitern der Agrarreformen: Die Landbevölkerung lebt in so elenden Verhältnissen, in solch kümmerlichen Hütten, in so sichtbarer Armut, daß man beim besten Willen nicht den Eindruck gewinnen kann, sie hätte durch die so feierlich verkündete und in der revolutionären Verfassung verankerte Agrarreform wesentlich gewonnen. 140
Josef Maria Frank und Colin Ross machen in den Auswirkungen der Revolution einen Misserfolg der Reformen aus, etwa des Artikels 27 der mexikanischen Konstitution von 1917, der die Aufteilung des Bodens und die Enteignung der Bodenschätze anordnete. Ihre Kritik denunziert auch die Berufung auf den Kommunismus als reine Propaganda, weil in ihren Augen eine Emanzipation der Arbeiterklasse nicht wirklich stattfand. Darüber hinaus führte die Anwendung der Agrarreformen zu Armut und Elend, während die Führer der Revolution die ehemaligen Haziendas für sich beschlagnahmten. Obwohl Franks und Ross' Positionen in der Rezeption von Der Balkan Amerikas und Mexiko ist anders unter den kommunistischen deutschen Kreisen in Mexiko-Stadt als Diffamierung und als NS-Propaganda gegen Mexiko verstanden wurden, vertreten die Texte der Autoren eine ähnliche kritische Meinung, wie Autoren wie Juan Rulfo oder Carlos Fuentes sie einige Jahre später propagierten. Rulfo stellte in Pedro Páramo (1955) und in El llano en llamas (1953) die armen Verhältnisse in Mexiko, den aus der Revolution entstandenen Autoritarismus und die Gesinnungslosigkeit vieler Revolutionsanhänger dar.141 Carlos Fuentes verweist seinerseits in dem Werk La muerte de Artemio Cruz (1962), das den Aufstieg eines ehemaligen Revolutionärs in die Elite beschreibt, auf die Korruption des mexikanischen Staates und den Verlust der ursprünglichen emanzipatorischen Ideale. Zur
140
Ross, Der Balkan Amerikas 113. Hervorhebung von mir vorgenommen. Aufschlussreich ist der Dialog zwischen Pedro Páramo und Tilcuate, der Heeresführer von einer Gruppe von Revolutionären. Als Pedro Páramo ihn fragt, warum sie gegen die Regierung rebellieren, antwortet ihm Tilcuate: „Pos porque otros los han hecho también" (153). Die Verwendung von wenig kultivierten Sprachformen deutet auf das Bild hin, dass Juan Rulfo von Revolutionären hatte. Vgl. Pedro Páramo (Madrid: Cátedra, 2008) 153. 141
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Zeit der Reise von Frank und Ross positionierten sich viele mexikanische Lyriker, die eine unpatriotische mexikanische Ästhetik und Kultur verteidigten, wie etwa Jorge Cuesta, gegen die kommunistisch geprägte Kulturpolitik der Regierung Cárdenas. 142 Salvador Novo kritisiert in seinem Lyrikband Poemas proletarios (1934) den staatlichen Revolutionsdiskurs und die Ästhetik der ihn vertretenden Künstler, etwa die von Diego Rivera, die der komplexen Realität des Landes nicht entspreche und ein politisches Ideal vertrete, das die Massen der Arbeiterklasse, der Bauern und Indigenen nicht erreichen könne. 143 So wie Frank und Ross erklärt auch der britische Autor Aldous Huxley, der Mexiko in den 20er Jahren bereiste, die Revolution für gescheitert, da ihm nicht plausibel erschien, dass ein teils primitives, teils semi-modernes Land eine moderne Revolution vollenden könnte. 144 Viele Autoren fanden auch die Rolle, die die Kultur der Indigenen in dem neuen Staat spielte, besonders auffallig. Insbesondere fantasierte D. H. Lawrence in The PlumedSerpent (1926) über die Entstehung einer IndigenenRepublik, in der die europäische Seite der Zivilisation Mexikos allmählich getilgt und durch aztekische Elemente ersetzt wird. Die englische Protagonistin, Kate, nimmt am Ende des Romans diese auferstandene indigene Religion auf - oder sie wird, anders herum, von der wiederauferstandenen indigenen Welt absorbiert. Damit schafft Lawrence eine deutliche Metapher zur Ausblendung des Europäischen, das auch die Auseinandersetzung der Zivilisationen signalisiert. Man kann sogar behaupten, dass der progressive Rückgang des Kolonialismus oder der neokolonialistischen Verhältnisse, der sich am Anfang der mexikanischen Revolution zu vollziehen schien, diese literarischen Darstellungen inspirierte. Colin Ross und Josef Maria Frank, der den Roman von D. H . Lawrence sehr gut kannte, nahmen eine ähnliche Haltung gegenüber Mexiko ein. Allerdings erscheint beiden Autoren der Kontrast zwischen Europa und Mexiko weniger als eine Konfrontation der Interessen, sondern vielmehr als ein ethnischer Kampf, den sie — wie im vorigen Kapitel ausgeführt wurde - durch die Legenden von Huitzilopochtli und Quetzalcoatl metaphorisieren. Darüber hinaus führte die mexikanische Revolution zur Übernahme der Macht seitens der unzivilisierten „Masse" der Indigenen und der genetisch unreinen Mestizen, sowie insbesondere zum Untergang der Weißen: eine „Götterdämmerung der weißen Götter", die insbesondere Colin Ross mit Sorge betrachtete. Indem sich beide Autoren gegenüber diesen Ereignissen positionieren und sie anhand einer ideologisch geprägten Rhetorik darstellen, entpuppt sich einerseits ihre Verwandtschaft im Rahmen ein und derselben literarischen Tendenz und Tradition, sowie andererseits ihre Verinnerlichung nationalsozialistischer Einstellungen.
142
Niemeyer, „La poesía mexicana" 62. Niemeyer, „La poesía mexicana" 63-65. 144 Friedhelm Schmidt-Welle, „La revolución mexicana en las obras de Graham Greene y Aldous Huxley," La Revolución mexicana en la literatura y el cine, eds. Olivia Díaz-Pérez y Florian Gräfe (Madrid y Frankfurt am Main: Iberoamericana - Vervuert, 2010) 100. 143
Kapitel V
201
b) „Rückindianisierung" oder die Auferstehung der alten Azteken Zwar wird die mexikanische Revolution von Frank und Ross politisch verstanden, aber die Vorstellung eines Aufeinanderprallens der in Mexiko lebenden Ethnien scheint ihnen eine größere Bedeutung zu haben. Aus dieser Perspektive ergibt die Revolution einen biologischen und mythologischen Sinn. Biologisch, indem die Ethnien als lebendige, farbige „Rassen" um ihre Dominanz in der Nation konkurrieren. Mythologisch, denn es wird durch die Verwendung eines Mythologie-Kodex die moderne mexikanische Geschichte als Epos erzählt. Wie im vierten Kapitel beleuchtet wurde, greifen sowohl Colin Ross als auch Josef Maria Frank zur Bildung von Metaphern zu den politischen, aber auch den ethnischen Konflikten auf die Figuren des aztekischen Pantheons zurück. In jeder Phase der mexikanischen Geschichte verweist Colin Ross auf die ethnischen Gruppen, die nach jeder Zäsur die Macht ergreifen. Ihre ethnische Signifikanz zeigt Ross auf, indem er systematisch auf den Phänotyp jeder der von ihm bemühten historischen Figuren hindeutet. Er spricht zum Beispiel über Benito Juárez als den ersten „vollblütigen Indianer", der die Präsidentschaft übernimmt. Ihm scheint dieses Ereignis so wichtig zu sein, dass er der Amtszeit Juárez ein ganzes Kapitel (Nr. 13) seines Reiseberichts widmet, und dieses mit „Ein Indianer herrscht erstmalig über Weiße" betitelt. Auf diese Weise erweckt die Geschichte Mexikos in der Vorstellung der Leser den Anschein eines biologischen, ethnischen Konfliktes. Der „Indianer", der einmal nur zur Fiktion gehörte, wird insofern real, als dass er diesmal nicht wie eine vage und entindividualisierte Figur auftritt. Juárez steht jedenfalls für eine konkrete Identität. Nach dem Revolutionskrieg, in dem laut dem Autor die Mestizen die „Indianer" bewaffnet haben,145 beginnt in Mexiko der Prozess einer sogenannten „Rückindianisierung". So mutmaßt der Autor, dass: wie der Kreole den Spanier verdrängte, der Mestize den Kreolen, so wird der Indianer schließlich den Mestizen beiseiteschieben. Tritt nicht eine Gegenwirkung von außen ein, so wird Mexiko schließlich wieder Indianerland werden. 146
Der Verlauf der mexikanischen Historie sei geprägt durch eine Konfrontation der biologischen „Rassen", Kreolen, Spanier, Mestizen und „Indianer". Dass Mexiko „wieder" zu einem „Indianerland" wird, erscheint Ross weniger eine Rückkehr in die aztekische Vergangenheit, sondern vielmehr eine Wiedererrichtung der Primitivität und Barbarei - man darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass die hochzivilisierten Azteken eine Religion ausübten, die für die Europäer als blutig und gewalttätig galt. Das Konzept „Indianerland" evoziert die imaginativen Prärien der Abenteuerromane, wo sich rothäutige Indigene gegen das Eindringen der weißen Europäer wehren, oder wo sie passiv deren Zivilisation und Sitten übernehmen. Allerdings geht es für Ross nach dem Revolutionskrieg nicht um den freundlichen
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Ross, Der Balkan Amerikas 180. Ross, Der Balkan Amerikas 181. Hervorhebung von mir vorgenommen.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Winnetou, der zusammen mit Old Shatterhand eine Dichotomie Zivilisierter / Unzivilisierter, Zivilisierender / Zu-Zivilisierender bildet, so wie Robinson Crusoe und Freitag in Daniel Defoes Klassiker von 1719. Ross deutet vielmehr auf die Errichtung einer Indianerrepublik hin, welche zur Verwirklichung des „indianischen Traum[s]"147 führen solle. Diese Bezeichnung, die ähnlich zu american dream ist, signalisiert Ross' ironische Wahrnehmung dieses Ideals. Nichtdestotrotz hält er die Erfüllung dieses „indianischen Traums" für eine mögliche Tatsache. „Besteht wirklich die Möglichkeit, daß Mexiko wieder rot wird?"148 fragt sich der Autor. Er beantwortet seine Frage folgendermaßen: Einem Europäer, der die Indios bisher für eine aussterbende oder bereits so gut wie ausgestorbene Rasse hielt, mag die bloße Frage grotesk erscheinen, aber wer die fortschreitende Rückindianisierung Mexikos in den letzten Jahrzehnten miterlebte, muß sie sich ernsthaft vorlegen.1""
Auf wen verweist Ross, als er über denjenigen spricht, der die neuesten Ereignisse des Landes miterlebt hat? Er deutet selbstverständlich auf sich selber hin. Dadurch legitimiert er sowohl seine Fragestellung, als auch die Plausibilität der Tatsache, vor der er seine Leserschaft zu warnen scheint: die „Rückindianisierung". Auf den ersten Blick scheint dieser Begriff nur auf die Emanzipierung der postrevolutionären Indigenen in Mexiko hinzuweisen. Es stellt sich allerdings die Frage, warum Ross Rückindianisierung anstatt Reindianiserung verwendet. Aus einer philologischen Hinsicht bedeutet das lateinische Suffix re ,Wiederholung' oder .Rückkehr', zum Beispiel zu einem Zustand oder Ort. Jedenfalls ist durch ein Verb mit dem Präfix re- nicht unbedingt eine symbolische oder tatsächliche Bewegung in die Vergangenheit, zu einem Ursprungsort oder -zustand impliziert. In diesem Sinne funktioniert das deutsche Präfix Rück- präziser: auch wenn das Morphem unter anderem auch den Sinn des lateinischen re- ausdrückt, deutet man doch deutlicher auf eine tatsächliche Bewegung zu einem Ort hin, wenn man beispielsweise über eine ,Rückkehr' oder eine .Rückgabe' spricht. Man kehrt in die Heimat zurück (Rückkehr) oder gibt eine Flasche in eine Leergutannahmestelle zurück. Rück- hat implizit die Konnotation dieser Bewegung zu einem ursprünglich Ort, während re- für etwas steht, deren originelle Essenz oder Merkmale wieder in die Gegenwart gebracht werden. Colin Ross spricht deshalb nicht über eine Reindianiserung Mexikos, weil das Land aus seiner Sicht lediglich nicht in der Gegenwart und Zukunft wieder von der aztekischen Kultur geprägt werden sollte. Wenn er über ein rac&ndianisiertes Land spricht, weist er auf eine symbolische Rückkehr oder einen Rückschritt in die Vergangenheit. Mit diesem Begriff verstärkt Ross noch deutlicher die Vorstellung, dass Mexiko vielmehr in seine aztekische
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Ross, Der Balkan Amerikas Ross, Der Balkan Amerikas Ross, Der Balkan Amerikas
182. 181. 181.
Kapitel V
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Vergangenheit zurückkehrt, als das Bild einer in das gegenwärtige Mexiko zurückgekommenen Vergangenheit zu evozieren. Somit erklärt der Reisende, wie es „durchaus möglich wäre, dass ein rückindianisiertes Mexiko ganz allgemein in die primitiven Lebensformen und die Sozialordnung zurückfallen würde". 150 Auf diese rückwärtsgewandte Bewegung wird zudem explizit mit dem Verb „zurückfallen" hingewiesen. Auch wenn Ross die „Rückindianisierung" aufgrund der schlechten Verkehrsverbindungen im Lande fiir unmöglich hält, würde die Erstehung eines „Führers indianischer Rasse" eine neue Indigenen-Republik ermöglichen: Dagegen könnte es sein, daß der indianischen Rasse ein großer Führer ersteht, der sie einst und mit einem Ruck in die andere Zeit und die Existenz einer großen, starken, selbstbewußten Nation hineinreißt. 151
Ross spielt durch Begriffe wie „großen Führer", der durch Gewalt eine geeignete Nation bildet, erkennbar auf NS-Deutschland und seinen „Führer" an. Dieses Wort erwarb in dieser Zeit eine enorme ideologische Konnotation, denn es entwickelte sich seit Mitte der 20er Jahre zur direkten Titulierung Adolf Hitlers, bis diese ab 1934 amtlich gemacht wurde. 152 Der Terminus wird von Colin Ross in die mexikanische Realität übertragen, um über die Auswirkungen der Revolution zu spekulieren. Aber die Möglichkeit, dass in Mexiko ein indigener „Führer" entstehen könne und dass weiße Europäer als benachteiligte Minderheit im Augenmerk der staatlichen Unterdrückung stünden, erscheint ihm „grotesk". Aus diesem Grund betont Ross die Unwirklichkeit dieser Tatsachen: „Die größere Wahrscheinlichkeit spricht jedoch dafür, daß ein solcher Führer, selbst wenn er die indianische Rasse erstehen sollte, eine vorübergehende Erscheinung sein wird". 153 Auf diese Weise versucht Ross, sich selbst und anscheinend auch seine Leserschaft zu beruhigen, indem er nachdrücklich auf die eingeschränkte Wahrscheinlichkeit dieses Ereignisses hinweist. Darüber hinaus würde dem Autor zufolge das Chaos einer neuen Indigenen-Republik eine „zweite Eroberung" rechtfertigen, weil sich die permanenten Auseinandersetzungen zwischen allen Machtgruppen, die in anderen Etappen der mexikanischen Geschichte stattfanden, wiederholen würden. Dementsprechend scheint es für ihn nur logisch zu sein, dass Mexiko von „Weißen" kontrolliert wird: Diese Kämpfe können zu einem völligen Chaos führen und schließlich Mexiko reif fiir eine zweite Eroberung machen, die dann nicht aus dem Osten, sondern aus dem Norden kommen würde. 154
Ross, Der Balkan Amerikas Ross, Der Balkan Amerikas 152 Cornelia Schmitz-Berning, York, 1998) 240-242. 153 Ross, Der Balkan Amerikas 154 Ross, Der Balkan Amerikas 150 151
186. Hervorhebung von mir vorgenommen. 186. Hervorhebung von mir vorgenommen. Vokabular des Nationalsozialismus (De Gruyter: Berlin und New 186. Hervorhebung von mir vorgenommen. 187.
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Deutsche Reiseliteratur ü b e r Mexiko im Nationalsozialismus
Auf diese Weise betont Ross die Unfähigkeit Mexikos zur Selbstbestimmung, denn im Nachhinein würden die Auswirkungen der Revolution das Land „reif für eine zweite Eroberung" machen. Derart drückt Ross seine Befürwortung des Kolonialismus u n d auch der Superiorität der Vereinigten Staaten u n d implizit der „weißen" Rasse aus. Zwar ist für Ross die „Wiederaufrichtung des aztekischen Reiches" auch u n wahrscheinlich, aber bevor er diese Idee beleuchtet, geht er detailliert auf den körperlichen, biologischen Aspekt der Auseinandersetzung der Ethnien ein. „Das indianische Element hat sich in biologischer Hinsicht von erstaunlicher Kraft erwiesen", 155 erklärt Ross u n d lässt damit eine deutlich darwinistisch-rassistische Sichtweise erkennen. „Es hat das Negerblut so gut wie aufgesogen". 156 Darüber hinaus untermauert er dies durch angeblich belastbare demographische Zahlen, die bei näherer Betrachtung allerdings unrealistisch zu sein scheinen. D a Ross seine Informationsquellen nicht angibt, liegt die Vermutung nahe, dass die Statistiken verfälscht sind. Offensichtlich wird damit versucht, unter den Rezipienten des Textes Angst zu erwecken. D e n Indigenen wird eine zerstörerische Kraft zugeschrieben, die darin besteht, andere G r u p p e n zu absorbieren („so gut wie aufgesogen"). Es darf nicht vergessen werden, dass Colin Ross ein deutsches Publikum adressiert, das zu jener Zeit unaufhörlich mit rassistischer Propaganda bombardiert wurde, bei der andere G r u p p e n mit großer Verachtung betrachtet u n d diskriminiert wurden. 1 5 7 Die Möglichkeit, dass die „Weißen" auf d e m amerikanischen Kontinent im Nachteil sind, stellt Ross durch Angabe von konkreten Bevölkerungszahlen dar, w o m i t er versucht, durch scheinbar objektive Argumente einen gewissen Grad an Panik unter seinen Lesern zu wecken: All diese zunehmende Idealisierung des Aztekenreiches und seiner Herrscher bliebe jedoch bedeutungslos, bewegte sich nicht auch Mexiko ethnologisch gleichzeitig in derselben Richtung. Mexiko wird rassenmäßig tatsächlich immer „röter". Im Jahre 1805 zählte die mexikanische Bevölkerung eine Million Weiße, zwei Millionen Mestizen und zweiundeinhalb Millionen Indianer. 1910 waren es an Weißen 1 150 000, an Mestizen acht Millionen und an Indianern sechs Millionen. Das heißt, die weiße Bevölkerung ist praktisch die gleiche geblieben, die indianische hat sich mehr als verdoppelt, die Mestizen aber haben sich vervierfacht. [...] Heute ist die Zahl der Weißen schätzungsweise auf eine halbe Million gesunken.™
155
Ross, Der Balkan Amerikas 184. Ross, Der Balkan Amerikas 184. 157 Wirkungsvolle Beispiele dieser rassistischen Propaganda, die auf pseudowissenschaftlichen biologischen Argumenten basierte, sind Druckschriften wie Der Untermensch (1942), in welchen russische Soldaten als „furchtbare Kreaturen" dargestellt werden. Vgl. Mehrere Autoren, „Bilder von Mensch und Gesellschaft: Rasseideal und «Volksgemeinschaft»," Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930-1945, Hrsg. Hans-Jörg Czech und Nikola Doli (Dresden: Sandstein Verlag, 2007) 324. 158 Ross, Der Balkan Amerikas 183. Hervorhebung von mir vorgenommen. 156
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Konkret wird diese Wirkung durch die Verwendung des Konjunktivs („bliebe") erzielt, der ihm dazu dient, die Plausibilität der von ihm dargestellten Hypothesen semantisch zu betonen. Somit wird Mexiko „tatsächlich immer röter". Die Tatsache, dass Colin Ross lediglich auf mutmaßliche Zahlen zurückgreift,'59 schließt nicht die Relevanz und Pertinenz des von ihm gezeichneten demographischen Panoramas aus. Der Autor vermittelt dem Leser die Wichtigkeit der von ihm prophezeiten neuen ethnischen Verhältnisse für die Gegenwart. Er spricht über das „Heute", über die Gegenwart, in der die Zahl der mexikanischen Einwohner europäischer Herkunft „gesunken" ist. Obwohl das Verb s i n k e n z.B. in Bezug auf Mengenangaben zur Bezugnahme auf eine bloße Reduzierung verwendet werden kann, erlaubt die Mehrdeutigkeit des Wortes allerdings auch, diese Tatsache wie eine Katastrophe wirken zu lassen. Auf diese Weise betont Ross zwar die sogenannte biologische Kraft der Eingeborenen, aber er suggeriert auch die Schwäche der Europäer. In diesem Sinne erweisen sich die Indigenen dem Autor zufolge als biologisch „stärker". So ist Ross' Aussage, dass Mexiko immer „röter" wird, einerseits auf die Hautfarbe der Indigenen bezogen. Andererseits wird damit aber auch auf die Verbreitung des Kommunismus hingewiesen. Da sowohl von Ross als auch von Frank im Indigenismus auch marxistische Züge identifiziert werden, ist das Adjektiv „röter" als Andeutung eines zunehmenden Eindringens der Sowjetunion zu verstehen. Die negativ konnotierte Semantik der „Rückindianisierung" zeigt sich hier also in doppelter Hinsicht. Darüber hinaus steht „rot" auch für das Blut, was Mexiko zusätzlich gefährlich und blutig erscheinen lässt. Als ob er die Spuren des britischen Autors D. H. Lawrence zurückverfolgen möchte, sucht Josef Maria Frank während seiner Reise stets Bestätigungen für die fiktionalisierte Wiederauferstehung des Aztekenreiches.160 Ahnlich wie Colin Ross, greift auch dieser Autor auf dubiose demographische Kalkulationen zurück:
159 Die Einschätzungen von beiden Autoren basieren auf einem rein ethnisch-biologischen Kriterium und entsprechen den fachlichen Zahlen des damaligen mexikanischen Zensus nicht. Weder die Volkszählung von 1930 noch die von 1940 berücksichtigen die konkrete ethnische Herkunft der mexikanischen Bevölkerungsanteile nach biologischen Kriterien, sondern nach linguistischen oder kulturellen Merkmalen oder Staatsangehörigkeit. Was die Indigenen angeht, wird im Zensus von 1940 berichtet, ob man eine oder mehr indigenischen Sprachen gebrauchte, ob man „typisch indigene Bekleidung" trug und ob man Spanisch zusätzlich zu einer indigenen Sprache sprach. Laut diesem Zensus sprachen zu Ende der 30er Jahren 1.486.717 Menschen eine indigene Sprache; 1.237.018 nur eine indigene Sprache; und 1.458.368 sprachen Spanisch plus eine oder mehrere indigenen Sprachen. Hingegen sprachen 16.708.467 Menschen nur Spanisch und/ oder nur eine nicht-indigene Fremdsprache. Mexiko zählte im Jahr 1940 eine Gesamtbevölkerung von 19.653.552 Einwohnern. Vgl. Instituto Nacional de Estadística y Geografía, Sexto Censo de Población (México: 1940), online, Zugriff am 23.10.13. 160 Die Intertextualität zwischen The Plumed Serpent und Mexiko ist anders wird im siebten Kapitel dargelegt. Thematische Ähnlichkeiten zwischen Frank und Lawrence werden auch beleuchtet in: Adrián Herrera Fuentes, „Stierkampf und indianische Märkte: Ein europäisches Bild mexikanischer Kultur in den Werken von D. H . Lawrence und Josef Maria Frank," IberoAmerikanisches Journalfür Germanistik 4 Deutsche in Lateinamerika (2010): 115-128.
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
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Der Prozentsatz der Weißen jedoch hat sich verringert. Das ist wesentlich für die Betrachtung des rassisch bestimmten, politischen Mexiko-Komplexes. Der Einfluß der Weißen schwand zahlenmäßig, wenn auch noch nicht kapitalmäßig, das Schwergewicht der Indianer verstärkte sich wie das der Mestizen ganz besonders -doch, beide halten sich zahlenmäßig schon die Waage! Bald aber wird durch Geburtenüberschuß und verminderte Kindersterblichkeit die Zahl der Indianer die der Mischlinge überflügeln,161 In diesem Zitat wird der Zusammenhang zwischen Ethnie und Politik besonders deutlich. Auch wenn Frank die wirtschaftliche Macht der Weißen noch sieht, scheint ihm ihre zahlenmäßige Abnahme in einen deutlichen Kontrast zu der nummerischen Zunahme der Indigenen zu stehen. „Verringern" und „verstärken" weisen auf extreme Entwicklungen hin. Einerseits verschwinden dem Autor zufolge die Weißen langsam, andererseits werden die Indigenen immer einflussreicher. Im Vergleich zu Ross' Einschätzung erscheinen Frank die Zahlen der Indigenen und Mestizen ausbalancierter. Trotzdem lässt der Autor sein Erstaunen über das Wachstumspotential der Eingeborenen sehr deutlich erkennen, wenn er zum Beispiel von einem „Geburtenüberschuss" spricht, der die Zahl der Mestizen schnell überschreiten solle. Diese Worte bewirken beim Leser die Vorstellung eines kontinuierlich zunehmenden Einflusses einer Ethnie, die mächtig und besonders unkontrollierbar („überflügeln") zu sein scheint. Darüber hinaus zählt Frank die Zahl der Mestizen, die sich als Indianer identifizieren, womit er die Vorstellung seiner Leser von einer kontinuierlichen Zunahme an Nicht-Weißen noch zusätzlich anreizt: „Von den 8 Millionen Mestizen leben etwa zwei Drittel als Indianer, und man kann sie auch in körperlicher und geistiger Hinsicht als solche rechnen". 1 6 2 Colin Ross zeigt sich auch darüber besorgt. Wenn es zu keiner weiteren Einflussnahme der „Weißen" kommt, wird diese permanente Steigerung laut Ross dazu führen, dass „Mexiko im Lauf der Jahrhunderte auch in biologischer Hinsicht wieder überwiegend indianisch wird". 163 Ross' und Franks Fokussierung auf die demographische Entwicklung Mexikos erinnert wiederum an einen weiteren Aspekt der nationalsozialistischen Biopolitik, welche die Vermehrung einer „rein arischen" deutschen Bevölkerung forderte und propagierte. 164 Dass Frank die Reduzierung der Kindersterblichkeit unter den Indigenen erwähnt, deutet an, dass eine ähnliche Biopolitik in Mexiko existierte, auch wenn es tatsächlich keine mit dem Nationalsozialismus vergleichbare Biopolitik
Frank, Mexiko ist anders 73-74. Hervorhebung von mir vorgenommen. Frank, Mexiko ist anders 184. 163 Ross, Der Balkan Amerikas 185. 164 Darauf weist zum Beispiel das Gemälde Bauernfamilie des NS-Künstlers Rudolf Otto hin, das eine Familie mit Vater, Mutter und zehn Kindern darstellt. Dieses Gemälde zeigt, wie sich das NS-Regime bemühte, die Geburtenrate zu steigern. Dafür gab es ein striktes Abtreibungsverbot und kinderreiche Mütter wurden mit sogenannten „Mutterkreuzen" ausgezeichnet. Vgl. K. Verbeeks Interpretation der Bauernfamilie in „Bilder von Mensch und Gesellschaft: Rasseideal und «Volksgemeinschaft»," Kunst und Propaganda im Streit der Nationen 1930-1945, Hrsg. Hans-Jörg Czech und Nikola Doli (Dresden: Sandstein Verlag, 2007) 316. 161
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in Mexiko gab. Wie an anderen Textstellen ziehen sowohl Frank als auch Ross in diesem Zusammenhang einen Vergleich zwischen dem postrevolutionären Mexiko und NS-Deutschland, wobei zu beachten ist, dass es sich um bloße Fantasien der Autoren handelt. Sozialer Darwinismus und nationalsozialistischer Reinheitswahn werden durch die stetige Erwähnung der mutmaßlichen Stärke der indigenen Biologie entlarvt. Frank und Ross bilden dadurch eine Allegorie eines Virus, der in Form des Blutes allmählich den Körper der mexikanischen Nation durchdrängt, die anderen Rassen „aufsaugt" und somit veranlasst, dass diese Nation in die Vergangenheit zurückkehrt. Aber diese virale Metapher nimmt bei Frank auch eine mythologische Form an, nämlich die des Phönix, wie sie in der griechischen Mythologie verwendet wird. Frank spricht über eine Verschmelzung zwischen „Mexikanern und Indianern", die als „eine erneuerte Rasse" eine neue Nation und eine neue Weltmacht in Rivalität mit anderen Völkern bilden soll: [Die Indianer] sind die Grundmasse des „neuen Mexikos", das - anders als damals die USA - den Ehrgeiz hat, die Indianer politisch, weltanschaulich u n d bildungsmäßig so mit Mexiko zu verschmelzen, daß Mexikaner und Indianer ein Begriff werden soll: der Begriff aus dem „die besiegte Rasse" in rassischer Neugeburt, wie einst der sagenhafte Vogel Phönix, verjüngt und sieghaft wieder auferstehen soll zur „Indianischen Nation Mexiko" - einem Machtfaktor zwischen den amerikanischen Wendekreisen und zwischen den Rassen, die nicht von dieser Welt sind und die es von dieser Welt verjagen will. 165
Diese Beschreibung und geopolitische Interpretation muss vor dem nationalsozialistischen Hintergrund sehr beeindruckend auf die deutsche Leserschaft gewirkt haben, denn es geht hier nicht um eine neue Weltmacht, die sich wie das „reinarische" NS-Deutschland als ethnisch homogen versteht, sondern um ein aus einer Synthese entstandenes Land, das zu einem „Machtfaktor" wird. Der Nebensatz „daß Mexikaner und Indianer ein Begriff werden soll" evoziert die Ideen über Mestizaje von José Vasconcelos. Auch wenn es nicht zu ermitteln ist, ob Frank einen direkten Zugriff auf La raza còsmica (1925) hatte, kannte er den Mestizo-Diskurs durch die Wandmalerei Diego Riveras und durch die Vorstellungen eines „rückindianisierten Mexikos" von D. H. Lawrence. Zudem zeigt Frank sich erstaunt, und zum Teil auch deutlich erschrocken über das neue Mexiko, wenn er es sich beispielsweise nicht als eine friedliche Nation vorstellt, sondern als eine junge und sieghafte Rasse „zwischen den amerikanischen Wendekreisen und zwischen den Rassen, die nicht von dieser Welt sind und die es von dieser Welt verjagen will". Die Verwendung einer Militärsprache („sieghaft", „verjagen") lässt vermuten, dass sowohl Frank als auch Ross in dem neuen indigenen Mexiko einen potentiellen Rivalen ihrer eigenen „Rasse" (Europäer), oder gar eine Gefahr für die politische Stabilität auf der Welt sahen.
165
Frank, Mexiko ist anders 314. Hervorhebung von mir vorgenommen.
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c) Die Götterdämmerung
der weißen Götter
Es stellt sich also die Frage, ob die Autoren in dem postrevolutionären Mexiko einen möglichen Rivalen für Europa sahen. Jedenfalls war für sie eine gewisse Feindlichkeit gegenüber US-Amerikanern und Europäern, bzw. gegenüber „Weißen" generell, spürbar. Den Grund für die Emanzipation anderer ethnischer Gruppen in Mexiko sahen Frank und Ross in dem „Rasseverrat", indem die Weißen oder Mestizen durch die Favorisierung von Indigenen ihre eigene ethnische Gruppe verraten. In den 30er Jahren verwendeten nationalsozialistische Juristen den Begriff als Definition für den Geschlechtsverkehr von „Ariern" mit „Fremdrassigen", deren Bestrafung sie zugleich forderten.166 Aber Frank und Ross nutzten das Wort in der Bedeutung „Verrat der Rasseninteressen", wie es auch in nationalistischen Schriften der 10er Jahre verwendet wurde.167 Außerdem greifen beide dadurch wiederum auf ein Substantiv der Militärsprache („Verrat") zurück. Colin Ross berichtet verblüfft, wie sich US-amerikanische Politiker und Historiker für die aztekische Kultur interessieren:168 „Man hat in der Neuen Welt den Indianer entdeckt, und so sehr man ihn früher verachtete, so sehr überschätzt man ihn heute".169 Darüber hinaus findet er noch erstaunlicher, dass Diego Rivera einen US-amerikanischen Mäzen hatte: Dwight G. Morrow, Botschafter der Vereinigten Staaten in Mexiko von 1927 bis 1930, der Rivera im Jahr 1927 beauftragte, im Palacio de Cortés in Cuernavaca eine Wandmalerei zu erschaffen. Das Paradoxon — Diego Rivera war ein „indianischer Kommunist"170 - fuhrt Ross auf den „amerikanischen Snobismus", den „Salonkommunismus" und „das theoretische Liebäugeln mit dem Bolschewismus und der Sowjetunion" zurück, die Ross zufolge eine „Verfallerscheinung der herrschenden Zivilisation"171 sei: „All diese Fälle — kann man ruhig sagen von Rasseverrat — sind nicht vereinzelt für das heutige Amerika, das nordische wie das lateinische, sondern typisch".172 Auch Josef Maria Frank zeigt sich durch den „Rassenverrat" irritiert. Er verweist außerdem auf die Widersprüche der ethnischen Verhältnisse in Mexiko: „Es stört nur verdächtig, daß die hitzigsten Durchpeitscher der „reinen Absicht" hauptsächlich — Mestizen, Rassenmischlinge sind".173 Diese von ihm diskreditierten Verräter stellt Frank als dogmatische, fanatische Ideologen dar, die eine „reine Absicht" verteidigen, auch wenn der Mestize weder für ihn noch für Ross als „rein" gilt. Darüber hinaus setzt Frank ,,reine[n] Absicht" in Anführungszeichen, und zeigt sich insofern von der Tatsache irritiert, dass Mestizen die Emanzipierung der Indigenen verteidigen, („hitzigste Durchpeitscher" - mit diesen Worten deutet
166 167 168 169 170 171 172 173
Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus 525-526. Schmitz-Berning, Vokabular des Nationalsozialismus 525. Ross, Der Balkan Amerikas 174. Ross, Der Balkan Amerikas 176. Ross, Der Balkan Amerikas 175. Ross, Der Balkan Amerikas 174. Ross, Der Balkan Amerikas 176. Frank, Mexiko ist anders 317. Hervorhebung von mir vorgenommen.
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er im Übrigen auf die Sklaverei hin), da dies für ihn eine Konträdiktion zum Prinzip der „Blutgemeinschaft" darstellt. Der „Rassenverrat" fungiert für beide Autoren als Erklärung des abnehmenden Einflusses der „Weißen" in Mexiko. Außerdem spielte er aus ihrer Sicht ab dem Beginn der Kolonialzeit immer eine Rolle. Im postrevolutionären Mexiko lenken Frank und Ross ihre Aufmerksamkeit auf Diego Rivera. Frank stempelt den mexikanischen Künstler als einen „Rassenverräter" 174 ab, der sich vom Geld verführen ließ. Colin Ross ist seinerseits verblüfft, dass Rivera trotz seiner europäischen Frau 175 und seiner „Hälfte indianische[n] Blut[es]" 1 7 6 in seiner Wandmalerei die Europäer diffamiert: Die Fresken Riveras in Cuernavaca betiteln sich: „Geschichte Mexikos, insbesondere seiner Eroberung durch Cortez." - „Glück und Ende des weißen Mannes' wäre eine bessere Bezeichnung [...] Dabei wird ohne weiteres „weiß" mit kapitalistischem Ausbeuter gleichgesetzt und „rot" mit ausgebeutetem Proletarier.177
Colin Ross zeigt sich deutlich über Riveras Malerei empört, und identifiziert darin erneut das kommunistische Element. Dass Kapitalismus für alles steht, was „weiß" ist, erscheint ihm eine Beleidigung, weil er sich als Europäer und Nationalsozialist nicht zum Kapitalismus bekannte. Es ist nicht zu vergessen, dass der freie, sogenannte
Kapitalismus der Vereinigten Staaten im Widerspruch zu
der Vorstellung eines starken, nationalsozialistischen Staates stand. 178 Josef Maria Frank äußert sich seinerseits empört über die Darstellung der „Weißen" in Diego Riveras Wandmalerei. In diesem Zusammenhang ist interessanterweise eine deutliche Zunahme in der Verwendung von negativ konnotierten Wörtern zu erkennen. Es darf nicht vergessen werden, dass Frank Hernán Cortés positiv ansieht und Rivera, der Cortés und die spanische Kolonialzeit in seiner Wandmalerei negativ darstellt, folglich auch negativ. 179 Über die Malerei des mexikanischen Wandmalers, urteilt der Autor folgendermaßen: Alle diese, von einer nordamerikanischen und auch französischen Kunstbetrachtung, wie gesagt, als „künstlerische Offenbarungen"begeistert
gerühmten Fresken, die „Mexikos
Geschichte, Werdegang und Weg" darstellen sollen, besagen im Grunde genommen alle
Frank, Mexiko ist anders 207. Diego Rivera war mit Frida Kahlo verheiratet, die keine Europäerin war. Sie wurde in Mexiko von einer mexikanischen Mutter (Matilde Calderón) und einem jüdisch-deutschen Vater (Wilhelm Kahlo) geboren. 174
175
Ross, Der Balkan Amerikas 176. Ross, Der Balkan Amerikas 173. Hervorhebung von mir vorgenommen. 178 Griffin, Modernism andFascism 327-8. 179 Franks widersprüchliche Einstellung zu Diego Rivera und Hernán Cortés lassen seine politischen Ansichten deutlich erkennen. So scheint er die Kolonialzeit und den Kolonialismus positiv wahrzunehmen, während er die mexikanische Revolution und die daraus entstandene Ideologie nachdrücklich ablehnt. 176 177
210
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
das gleiche: eine im ersten Augenblick unvorstellbare, unfaßbare Diffamierung aller weißen Hautfarbe u n d all dessen, was mit weißer Rasse nur irgendwie zusammenhängt. Es sind nicht nur Kolossalgemälde, es sind vielmehr farbige, routiniert-gekonnte u n d schamlos servierte Kolossal-Anhäufiingen aller Schmähungen, Ehrherabsetzungen der weißen Rasse, ihrer Kultur, Einrichtungen u n d Sitte. Alles in diesen Fresken ist „anti"-anti weiß, antikapitalistisch, antidemokratisch, antifaschistisch, antikirchlich, antimilitärisch-, alles, was „weiß' ist, ist nicht nur schlecht. Es ist scheußlich und ohne Scham und ohne Ehre - der Weiße auf diesen Fresken ist ein Räuber, ein Mörder, ein Folterer, ein Ausbeuter, ein Frauenschänder, ein Genüßling, ein Heuchler, ein Menschenfeind, ein Werwolf im Lammfell, Satan selber, ein Sadist, tausendmal schlimmer als der blutgierige Huitzilopochtli. 180
Die Kunst von Rivera ist für Frank keine Darstellung der Geschichte Mexikos („sollen" verwendet er im Sinne einer von ihm nicht bestätigten Information), sondern eine Diffamierung, auf die er sehr eloquent reagiert. Durch die siebenfache Wiederholung des Wortes „weiß" versucht der Autor deutlich, in seiner Leserschaft Empörung gegenüber den vermeintlichen Beleidigungen Riveras zu wecken. Die Größe der Wandgemälde wird durch die zweifache Verwendung des Attributs „Kolossal" betont. In diesem Sinne erscheinen die äußerlichen Maße des Kunststücks genau so groß wie die Wirkung der von Frank wahrgenommenen Beleidigung Riveras gegen die „Weißen". Die Stärke seines Gefühls angesichts dieser „kolossalen" Diffamierung macht Frank mit Hilfe von 16 negativ konnotierten Substantiven deutlich, die er auf 25 Zeilen verteilt. In der Aneinanderreihung von 12 Substantiven in den letzten drei Zeilen des obigen Zitats ist eine graduelle Intensivierung der negativen Konnotationen zu bemerken. Die Liste von Schimpfwörtern, deren Inhalt aus Franks Perspektive in Bezug auf die „Weißen" in Riveras Fresken vermittelt wird, fangt mit dem banalen Bild eines „Räubers" an und hört mit „Satan", „Sadist" und „Huitzilopochtli" auf. Interessanterweise sieht Frank auch den Nationalsozialismus betroffen, denn diese Malerei sei nicht nur „antidemokratisch" und „antikapitalistisch" (USA und Großbritannien), sondern auch „antifaschistisch" und „antimilitärisch". Auf diese Weise suggeriert Frank dem deutschen Leser, dass in Mexiko durch die Revolution ein Feind Nordamerikas und Europas - und auch Deutschlands und des Faschismus — entstanden ist. Es fällt auf, dass Frank das Wort „faschistisch" im Zusammenhang mit NSDeutschland verwendet, obwohl die Anhänger der NSDAP sich selbst nicht als faschistisch bezeichneten. Die Nationalsozialisten werden aufgrund ihrer Ähnlichkeit zum italienischen Faschismus, von denen sie Sprachmittel wie „Der Führer" (= II Duce) übernahmen, 181 in der Zeitung des NS-Widerstands Alemania Libre stets als fascistas oder nazifascistas bezeichnet. So wird zum Beispiel in einem Artikel vom 7. März 1942 eine Liste von den nazifascistas, die gegen Pablo Neruda ein Attentat in einem Restaurant in Cuernavaca verübten, veröffentlicht. 182 Im Artikel „La opinión
180 181 182
Frank, Mexiko ist anders 206-207. Hervorhebung von mir vorgenommen. Schloesser, Sprache unterm Hakenkreuz 181. „Los camisas pardas en México," Alemania Libre 7. März, 1943: 4.
Kapitel V
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que los nazis tienen de México" von Rudolf Fürth, wo Franks und Ross' Reiseberichte auch kommentiert werden, steht: „Los fascistas alemanes odian a México". 183 In der Ausgabe vom 15. April 1943 der Zeitung Der Deutsch-Mexikaner wird in einer Notiz der Redaktion mitgeteilt, dass die Zeitung die „sogenannten Deutsch-Mexikaner" bekämpfen wird, die „den Kampf der Alliierten gegen den Hitlerfaschismus zu hindern" versuchen. 184 In den Artikeln der Gegner Hitlers wurden die Nationalsozialisten dem Faschismus also sprachlich gleichgesetzt. Es wird im Laufe der Ausgaben dieser Zeitungen deutlich, dass in Mexiko das Wort fascista, sowie Formulierungen wie hitleriano, als Synonym von Nationalsozialisten zu verstehen waren. Frank verwendet das Wort in dieser Bedeutung und es scheint, dass dessen Verwendung als Schimpfwort der Gegner des NS-Regimes für die Nationalsozialisten in Deutschland bekannt war. Für Colin Ross bewirkten die „Rückindianisierung" Mexikos und der „Rassenverrat" eine Verdrängung der europäischen Kultur, über dessen vermeintlichen Verfall er sich an mehreren Stellen beschwert. Hierzu greift er unter anderem metaphorisch auf die Mythologie der alten Germanen zurück, aufgrund dessen, dass die Germanenverehrung ein zentrales Element in nationalsozialistischen Ritualen darstellte, die einige Nationalsozialisten wie Heinrich Himmler praktizierten. 185 Elemente dieser Mythologie tauchten auch im Zusammenhang mit der Doktrin des Todeskults unter SS-Soldaten wieder auf, wo angeblich die mittelalterlichen Kriegerwerte der Loyalität, Ehre und Gehorsamkeit ähnlich kultiviert wurden, wie die Lobpreisung der kriegerischen Vorfahren, zum Beispiel der alten Germanen der epischen Edda}%(' Aus diesem Grund beschreibt Ross den Verlust der Vormachtstellung der Europäer und Amerikaner in Mexiko als eine „Götterdämmerung", 1 8 7 wobei er nicht nur deutlich auf die altgermanische Mythologie zurückgreift, sondern auch auf Richard Wagners gleichnamiges Stück anspielt. 188
183
Rudolf Fuerth, „La opinión que los nazis tienen de México," Alemania Libre 15. März 1942: 6. „Was wir wollen," Der Deutsch-Mexikaner. Suplemento del periódico anti-nazi Alemania Libre 15. April, 1943: 1. 185 Angelika Breil, Studien zur Rhetorik der Nationalsozialisten. Falbtudien zu den Reden von Joseph Goebbels, Dissertation, Ruhr-Universität Bochum, 2006, s. 49, online, Zugriff am 18.8.13. 186 Baird, To Diefor Germany 212. 187 Das Bild der Germanen steht also im engen Zusammenhang zu dem Arier-Mythos, den der rassistische Theoretiker Gobineau in Affinität zu den alten Germanen mit dem Begriff „Arier" bezeichnet. Vgl. Breil, Studien zur Rhetorik der Nationalsozialisten 83. 188 In seiner Studie To die for Germany (1990) fuhrt Jay W. Baird aus, wie Elemente der altgermanischen Mythologie für die NS-Propaganda verwendet wurden. Aus diesem Grund ist es nicht erstaunlich, dass Ross Metaphern wie die der „Götterdämmerung" bildet. Diese Metapher speziell bezieht sich auf den Horst-Wessel-Gedenktag, den Goebbels und Hitler am 22. Januar 1933 zelebrierten und etablierten (Baird 87). Während dieser Veranstaltung wurde Wagners Stück „Götterdämmerung" gespielt (88). Die Geschichte des jungen SA-Sturmführers Horst Wessel, der sich in den 20er Jahren der NSDAP anschloss und der 1930 angeblich von Kommunisten in Berlin tödlich verletzt wurde (80), wurde von Joseph Goebbels zum Mythos erhoben und später als Propagandafigur ausgenutzt. In der Bildung seiner Mythologie wurde er als Märtyrer mit einem 184
212
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Aber diese Metapher hat daneben auch eine Bedeutung, die über die Referenz auf die alten Germanen hinausgeht. Die „weißen Götter" deuten auf die aztekischen Legenden und auf die Ankunft der Spanier an der Küste Mexikos hin, worin Moctezuma laut des damaligen Forschungsstandes 189 die Rückkehr von Quetzalcoatl sah. Außerdem stehen diese „Götter" im Sinne von „Herrschern" auch für Kolonisierung und Eroberung, sowie gleichzeitig aber auch für höherwertige Menschen. Mit dem Begriff der „Götterdämmerung" wird das Ende des Kolonialismus in Mexiko symbolisiert, auch wenn Ross dies als eine Gefahr für Europa wahrnimmt. In der Einleitung seines Reiseberichts stellt sich Ross die Frage, ob sich die Deutschen für Mexiko interessieren sollen.190 Auch wenn er das Land „bedeutungslos", „abgelegen" und „rückständig" nennt, 191 ruft er dazu auf, die mexikanische Revolution nicht zu ignorieren. Deshalb appelliert er an erster Stelle an die Notwendigkeit zu „wissen": Viele Leute wissen heute noch nicht, was in Mexiko geschehen ist. D a r u m ist es gut, es ganz klar u n d offen heraus zu sagen: Der große Indianeraufitand, der vier Jahrhunderte auf sich warten ließ, ist endlich ausgebrochen. Das Ende der „weißen Götter" dämmert herauf. Es fragt sich nur, welche Ausmaße diese Götterdämmerung annehmen wird, ob sie sich auf Mexiko beschränken läßt, oder ob sie auch auf das übrige Lateinamerika überspringen wird [...]. Das ist das große Problem, das uns alle angeht, auch soweit wir nicht in der „Neuen Welt" wohnen oder dort Besitz haben. 192
Der Begriff „Indianeraufstand" steht für die mexikanische Revolution, was deutlich darauf hinweist, dass sich Ross diesen Krieg als einen ethnischen Konflikt vorstellte. Er verwendet eine militärische Rhetorik („ausgebrochen"), aber es ist interessant zu bemerken, wie er noch im Jahr 1936 den 1920 beendeten Revolutionskrieg als ein gegenwärtiges Ereignis darstellt: Mit Äußerungen wie „Der große Indianeraufstand ist ausgebrochen" spricht er über die Revolution nicht nur als Krieg, sondern als ein größerer Prozess, den er gleichzeitig abwertet. Auf diese Weise erschafft er die Vorstellung eines allgegenwärtigen Ereignisses, das sogar Europa erreichen könnte. Interessanterweise lässt sich hier wiederum der Rückgriff auf die Rhetorik des Sozialdarwinismus erkennen, 193 der zugleich im Diskurs des deutschen Kolonialismus — und bei der Diskussion der kolonialen Rivalität zwischen den europäischen Ländern
germanischen Helden gleichgestellt. Vgl. Jay W. Baird, „Goebbels, Horst Wessel, and the Myth of Resurrection and Return," To Die For Germany 73-107. 189 Wie bereits im vierten Kapitel erwähnt, war diese Perzeption der Konquistadoren als Götter eine spanische Konstruktion, die Felix Hintz in seiner Studie „Hispanisierung"in Neu Spanien 15191568 (Hamburg: Dr. Kovac, 2005) widerlegt. 190 Ross, Der Balkan Amerikas 11. 191 Ross, Der Balkan Amerikas 11. 192 Ross, Der Balkan Amerikas 80. Hervorhebung von mir vorgenommen. 193 Wie bereits im vierten Kapitel erwähnt, stammt der Begriff „Rassenkampf' aus Ludwig Gumplowicz, Der Rassenkampf (Innsbruck: Univetsitätsverlag Wagner, 1928). Ursprünglich 1883 veröffentlicht.
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- auftaucht. Als im Ersten Weltkrieg Russen, Franzosen u n d Engländer schwarze Soldaten aus ihren Kolonien nach Europa brachten - etwa die Maghreb-Soldaten, die in den 1920er Jahren die französischen Truppen im Rheinland verstärkten —, sprachen die Eliten in Deutschland über einen „Rassenkampf', 1 9 4 der bis zu diesem Punkt auf die Kolonien beschränkt gewesen war: So sei hier nur daran erinnert, wie der Generalleutnant Lothar von Trotha (1848-1920) die gewalttätige Unterdrückung des Herero-Aufstands in Deutsch-Südwestafrika als einen „Rassenkampf' verstand. 195 Indem Ross seine Leserschaft in dieses „Problem" (die G ö t t e r d ä m m e r u n g = Verlust der Macht) miteinbezieht, zeigt er genau, worauf in seinem Text mit dem Substantiv „Götter" verwiesen wird: u n d zwar auf die europäischen Kolonisten, u n d darunter insbesondere die Deutschen (denn sein Publikum befindet sich grundsätzlich nur in Deutschland) als „herrschende Rasse". Nichtsdestotrotz macht Ross nicht Mexiko, sondern Europa für diese Änderungen in den Machtverhältnissen verantwortlich. D e m Autor zufolge führte der Erste Weltkrieg 196 zum Verlust des europäischen Einflusses auf der Welt. Nostalgisch spricht Ross über die Vergangenheit: Mochten sich in der Epoche der großen Eroberungen Spanien, Portugal, England, Frankreich und Holland gegenseitig auch noch so sehr befehden, in dem einen Punkte waren sie sich einig: in der unbedingten Überzeugung von der Überlegenheit ihrer Rasse, Religion und Kultui und in dem festen Glauben an ihr Recht, ja ihre Pflicht zur Eroberung der Welt"}97 Diese Worte zeigen Ross' Rechtfertigung des Kolonialismus. Für ihn handelte es sich nicht u m ein Recht, sondern u m eine „Pflicht". Interessanterweise identifiziert sich Ross hier als Europäer — u n d nicht als Deutscher —, u n d sieht den europäischen Kulturkreis als insgesamt überlegen an. Der „Indianeraufstand" Mexikos ist zwar laut dem Autor einerseits ein klares Zeichen des Endes. Andererseits ist er aber auch eine Konsequenz der Schwäche Europas: „Das Ende einer jeden Herrenschicht, eines jeden herrschenden Volkes beginnt mit dem Zweifel an der eigenen Berufung. Das Ende Europas als der Weltbeherrscherin beginnt mit dem Glauben an den .Untergang des Abendlandes'". 1 9 8 Der Pessimismus u n d das Gefühl, in einer dekadenten Welt zu leben, erinnert an den Geist der 1 Oer, 20er und 30er Jahren in Deutschland u n d in Europa, der zur Entstehung von sozialen u n d kulturellen Anti-Dekadenz-Bewegungen führte, wie etwa „die bündische Jugend", die später in der Hitlerjugend aufging, oder der Naturismus
194
Pascal Grosse, „What Does German Colonialism" 127. Ingo Warnke, „Deutsche Sprache und Kolonialismus. Umrisse eines Forschungsfelds," Deutsche Sprache und Kolonialismus: Aspekte der nationalen Kommunikation 1884-1919 (Berlin u.a.: De Gruyter, 2009) 5. 196 Ross, Der Balkan Amerikas 177. 157 Ross, Der Balkan Amerikas 177. Hervorhebung von mir vorgenommen. 198 Ross, Der Balkan Amerikas 177. 195
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
und die Freiekörper-Kultur. 199 Es ist auch nicht zu vergessen, dass die Vorstellung von dem Untergang des Okzidents im nationalsozialistischen Diskurs stets zur Begründung und Rechtfertigung einer totalitären Gesellschaft ausgenutzt wurde, um diese Dekadenz und Degeneration durch brutale Mittel zu bekämpfen. 200 Infolgedessen ist es nicht erstaunlich, dass Colin Ross auch diesen „Untergang des Abendlandes" verspürt, und dass er dessen Ursache mit dem Verlust der kolonialen Herrschaft identifiziert. Als ob er sich an die systematische Diskriminierung der Juden erinnert, die im Jahr seines Aufenthalts in Mexiko schon begonnen hatte, lässt er seine Angst („schreckenerregende",) vor der Zukunft der „Weißen" erkennen. Zugleich denunziert er den Rassismus gegen die Europäer, indem er aufschlussreiche Wörter wie „benachteiligt" und „gefährdet" verwendet: Wir in Europa sind bisher noch weit vom Schuß; in Mexiko aber beginnt jeder Weiße bereits zu spüren, wie benachteiligt und gefährdet er um seiner weißen Haut willen ist. In Mexiko fängt der „Untergang des Abendlandes" an, aus einer im Salon diskutierten, angenehmes gruseln einflößenden Sensation schreckenerregende Wirklichkeit zu werden.201 Die mexikanische Revolution oder der „Indianeraufstand", wie Colin Ross diese nennt, erweist sich als ein ethnischer Krieg. Insbesondere weil im postrevolutionären Mexiko Europäer und Amerikaner („die weiße Rasse") benachteiligt wurden, erscheint die mexikanische Revolution nicht nur als bolschewistische, indigene Bewegung, sondern auch als feindlich gegen das nationalsozialistische Deutschland. Josef Maria Frank beleuchtet diese Auffassung durch die Wandmalerei Diego Riveras: „Und man entdeckt über den Bajonetten und Gewehren der ,National-Revolutionären'" - damit wird die Partei des Präsidenten Lázaro Cárdenas signalisiert - „die - nach mexikanischer Staatsauffassung also — zu bekämpfenden Embleme der Welt: das Dollarzeichen, das Christuskreuz und das Hakenkreuz". 202 Die Revolution steht also gegen die USA, die Religion und den Nationalsozialismus. Interessanterweise findet sich hier die einzige direkte Anspielung auf NS-Deutschland. Frank beschreibt weiter: Herr Trotzki mit erhobenem Zeigefinger, der auf ein Hakenkreuz weist, belehrt die außiorchenden Mexikaner-Indios, einer von ihnen trägt schon das Marxsche „Kapital" unter dem Arm davon; und über allem - übrigens ein schlechter Witz - thront Karl Marx selber, in Maske und Pose eines modernen Moses mit proletarisch-marxistischer Zehngebotetafel, wie er dem Indio den Weg ins gelobte Land eines von allen Weißen „gesäuberten IndioProletarierparadieses" zeigt.203
199 200 201 202 203
Griffin, Modernism and Fascism 144-145. Griffin, Modernism and Fascism 181. Ross, Der Balkan Amerikas 177. Hervorhebung von mir vorgenommen. Frank, Mexiko ist anders 213. Frank, Mexiko ist anders 213. Hervorhebung von mir vorgenommen.
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Hier werden Indigene („Indios") durch einen Vergleich zwischen der modernen Geschichte Mexikos und dem Judaismus als passive Objekte des Kommunismus dargestellt. Trotzki wird mit dem biblischen Moses verglichen, er trägt aber Das Kapital anstelle der Tafel mit den Zehn Geboten. Die „aufhorchenden" Indigenen werden von ihm in das „gelobte Land" - ein deutlicher Hinweis auf den Zionismus - geführt, ein von „Weißen" befreites Territorium: ein von „allen Weißen gesäubertes Indio-Proletarierparadieses" Auch wenn die Wannsee-Konferenz erst im Januar 1942 stattfand, ist es äußerst auffällig, wie Frank auf eine „ethnische Reinigung" anspielt. Gleichzeitig verbergen sich hinter dieser Symbolik zwei weitere Konzepte, denen die NS-Ideologie grundlegend abgeneigt war: der Kommunismus und der Zionismus. Auch hier, wie es im NS-Diskurs oft der Fall war, werden Judentum und Marxismus gleichgesetzt. Außerdem wird durch diese Parallelisierung angedeutet, dass die ideologischen Feinde des Nationalsozialismus hinter der mexikanischen Revolution stehen. Zusammenfassend gilt für Ross und Frank die mexikanische Revolution nicht nur als eine Rückkehr in die alte, primitive Welt der „Indianer". Die Revolution ist vielmehr als eine ethnische Auseinandersetzung zu interpretieren, die zur „Gefährdung" der europäischen Herrschaft und gleichzeitig zu einer „Rückindianisierung" des Landes fuhren könnte. Obwohl in den Reiseberichten von Frank und Ross wenige direkte Hinweise auf den Nazismus zu finden sind, entpuppen ihre Sprachbilder und rhetorischen Mittel - etwa die der Mythologie, der Abenteuerliteratur, des Kolonialismus oder des Krieges - , nicht nur die persönlichen Vorstellungen der Autoren, sondern auch ihr zweifelloses Bekenntnis zum Nationalsozialismus. Diese Ideologie hatte einen deutlichen Einfluss auf die Gestalt der Texte. Auch wenn diese Reiseberichte aus ästhetischer und ideologischer Sicht zu Recht in Vergessenheit geraten sind, beleuchtet die Analyse der beiden Werke ideengeschichtlich, wie die postrevolutionäre mexikanische Gesellschaft in Europa und insbesondere in NS-Deutschland wahrgenommen wurde.
KAPITEL VI DEUTSCHE ALS KOLONISTEN IM POSTREVOLUTIONÄREN MEXIKO
Das Bewusstsein von der deutschen Kolonisierung größerer Gebiete auf der Welt war in der kollektiven Imagination tief verankert, weil im 18. und 19. Jahrhundert politische und wirtschaftliche Schwierigkeiten massive Migrationen von deutschsprachigen Ländern aus in die USA, nach Kanada, Südamerika, Russland und Australien verursachten. Die Literatur des 19. Jahrhunderts dient als Zeugnis dieser Auswanderungswellen, wodurch sich deren Spuren verfolgen lassen. Obwohl Migration kein zentrales Thema in seinem Werk ist, berichtet Theodor Fontane in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg (1892)1 als Nebenbemerkung, Personen begegnet zu sein, deren Familien nach Amerika emigriert waren. Seinerseits machte Friedrich Gerstäcker Migration zu einem zentralen Thema in Texten wie Die Abenteuer eines Auswanderers (1845), 2 Der deutsche Auswanderer. Fahrten und Schicksale (1847), 3 oder Nach Amerika! (1855).4 Wie bereits im ersten Kapitel erwähnt, zeigt die Entstehung im Regierungsauftrag von Handbüchern, Reiseberichten und Zeitzeugnissen das Bedürfnis, nicht nur praktische Informationen für potentielle Migranten bereit zu stellen, sondern auch eine globale Vernetzung deutscher Gemeinden zu bilden, die sich durch die gemeinsame Geschichte, Kultur und Sprache verbinden ließen, auch wenn sie sich geographisch nicht nahe waren. Insbesondere die Sprache war das wichtigste Kriterium, um Deutsche sowohl in Europa als auch in Übersee zu verbinden. Sprache hatte in der Bildung eines kolonialen Selbstbewusstseins eine besondere Bedeutung. Wie Ingo W. Warnke erklärt, entsteht das kolonisatorische Selbstbild der Deutschen durch eine Vernetzung von Sprechern, die zur Bildung des Kolonialdiskurses als einem Identitätsdiskurs beitragen.5 Im Zuge der Bildung einer deutschen Nation im 19. Jahrhundert entsteht der Begriff „Auslandsdeutsche", um eine symbolische Verbindung der deutschen Emigranten mit den Deutschen, die innerhalb der Grenzen des Kaiserreiches lebten, zu 1 Theodor Fontante, Wanderungen durch die Mark Brandenburg (München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 2009). 2 Friedrich Gerstäcker, Die Abenteuer eines Auswanderers (Leipzig: Otto Wigand, 1845). 3 Gerstäcker, Der deutsche Auswanderer. Fahrten und Schicksale (Leipzig: Brockhaus, 1847). 4 Gerstäcker, Nach Amerika! (Leipzig und Berlin: Costenoble und Gaertner, 1855). 5 Ingo Warnke, „Deutsche Sprache und Kolonialismus. Umrisse eines Forschungsfeldes," Deutsche Sprache und Kolonialismus. Aspekte der nationalen Kommunikation 1884-1919, Hrsg. Ingo Warnke (Berlin: De Gruyter, 2009) 3-4.
218
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
schaffen. Dieser Terminus setzte sich laut Bradley Naranch in der Presse und in den Journalen der 1850er und 1860er Jahre zur Beschreibung der im Ausland lebenden ethnischen Deutschen durch,6 in dem sowohl die fremden als auch die familiären kulturellen Elemente zwischen Inland und Ausland kontrastiert werden. Wie Bradley Naranch erklärt, galt der Auslandsdeutsche als Repräsentant der Werte aller deutschen Regionen und als Träger der Kraft des Volkes: The Auslandsdeutsche was also the ultimate cultural colonizer, bringing the values o f hard work, spiritual vitality, classical education, and love of Order to culturally underdeveloped lands in Eastern Europe, Asia, Australia, Latin America, and the American West. 7
Durch das Bild der Deutschen als positiv mitwirkende Migranten bei der Kolonisierung (und Zivilisierung) anderer Länder, das sich in der Literatur jener Zeit verbreitete, sollte in Deutschland ein stolzes patriotisches Gefühl erweckt werden.8 Außerdem stand ihr Verhältnis zu den eingeborenen Völkern im starken Kontrast zu dem der Spanier, Briten und Franzosen, die bereits ausgebreitete koloniale Reiche hatten. In diesem Zusammenhang erscheinen zum Beispiel die Deutschen in den Reisetexten über die Karibik des 18. Jahrhunderts nicht als zerstörerische Kolonisatoren, die Völker versklaven und ermorden, sondern als Figuren, die sich auf der Suche nach „Objektivität" und „Moral" mit den ausgebeuteten Indigenen empathisch zeigen.9 Zwar wird die Kolonialpolitik des Kaiserreichs in der Weimarer Republik aufgegeben, im nationalsozialistischen Deutschland jedoch durch eine Expansionspolitik ersetzt. Nach dem Blitzkrieg 1940, der zur Besetzung Europas führte, strebte Adolf Hitler ab Sommer 1941 die Eroberung Osteuropas und der Sowjetunion an. Unter der sogenannten „Operation Barbarossa" verfolgte das Dritte Reich das Ziel, durch Vertreibung, Genozid und Landnahmen „Lebens-, Kolonial- und Siedlungsraum [zu] gewinnen",10 um den sogenannten Generalplan Ost zu verwirklichen. Laut diesem Plan sollte die eingeborene slawische Bevölkerung versklavt und vernichtet werden, um bis zum Ural Raum für die Siedlung durch die ,Arier" zu schaffen, wo mithilfe von Hochtechnologie die Landschaft mit Autobahnen, neuen Städten, Industrie und moderner Landwirtschaft verändert werden sollte.11 Dieser Expansionspolitik
6 Bradley Naranch, „Inventing the Auslandsdeutsche-. Emigration, Colonial Fantasy, and German National Identity, 1848-1871," Germany's Colonial Pasts, eds. Eric Ames, Marcia Klotz and Lora Wildenthal (Lincoln und London: University of Nebraska, 2005) 26. 7 Naranch, „Inventing the Auslandsdeutsche" 27. 8 Naranch, „Inventing the Auslandsdeutsche" 28. 9 Susanne Zantop, Colonial Fantasies. Conquest, Family, and Nation in Precolonial Germany, 1770-1870 (Durham: Duke University Press, 1997) 40. 10 Klaus Hildebrand, Das vergangene Reich: Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, 1871 - 1945 (Stuttgart: Deutsche-Verlags-Anstalt, 1995) 744. 11 Für die Konzeption des Generalplans Ost war Konrad Mayer beauftragt, der eine Gruppe von Ingenieuren, Architekten, Botanikern, Geographen und Soziologen zu diesem Zweck leitete.
Kapitel VI
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in Europa und insbesondere nach dem Osten kam im Dritten Reich zur Suche eines „Lebensraums" erste Priorität zu. Doch bis 1 9 3 8 war die Expansionspolitik Hitlers durch den Anschluss Österreichs und des Sudetenlandes noch nicht in Bewegung gesetzt worden. Josef Maria Frank und Colin Ross zeigen sich noch von der Vorstellung der abenteuerlichen Deutschen in Übersee geprägt, die im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitet wurde. Deshalb gilt bei ihnen die Figur des im Ausland lebenden Deutschen bzw. des Auslandsdeutschen als wichtiges, wenn auch zweitrangiges Motiv. T i e f beeinflusst von der Reise- und Abenteuerlust kann dieses Motiv als ein Versuch verstanden werden, die Lücke zu füllen, die der Verlust der Kolonien 1919 hinterließ. Im Kontext der Verstaatlichung der Bodenschätze unter der sozialistischen Politik der Regierung Cárdenas stehen die in Mexiko ansässigen Deutschen im Augenmerk von Josef Maria Frank und Colin Ross, geprägt von kolonialer Nostalgie. Sie stellen die Deutschen als Pioniere und positive Beiträger dar, die trotz des in Mexiko propagierten Sozialismus und trotz des negativen Bildes NS-Deutschlands im Lande leben. Indem Frank und Ross sich mit dem „Schicksal" der Deutschen in Mexiko beschäftigen, wo diese immer positiv dargestellt werden, lassen die Autoren sich an die Tradition der Reise- und Abenteuerliteratur sowie Memoiren- und Anekdotensammlungen deutscher Migranten auf der ganzen Welt anknüpfen. 12 In diesem Sinne fungieren Der Balkan Amerikas
und Mexiko
ist anders auch als Informationsquelle - auch
wenn nicht als eine sachliche - über die Situation dieser Auswanderer. Zwar widmen Ross und Frank dem Thema nur einen marginalen Platz in ihren Reiseberichten, Frank nur 11 Seiten, Ross etwa 10. Dadurch, dass es aber in separaten Kapiteln erscheint, zeigt sich, dass ihnen dieses Thema wichtig war und sie es für die Leserschaft im Buch schnell identifizierbar machen wollten. Im Laufe der Reiseberichte erzählen beide Autoren anekdotisch, wann und wie sie andere Deutsche treffen. Josef Maria Frank lernt andere Touristen in Hotels kennen, mit denen er zum Stierkampf geht, oder berichtet über deutsche Theaterveranstalter in der Hauptstadt. Ross trifft einen deutschen Arzt in den revolutionären Truppen von Carranza und die mexikanische Frau eines Deutschen, der zur vierten Generation einer Migrantenfamilie gehörte. Sie erzählt dem Autor, wo er den Schatz Montezumas in Xochimilco finden könne. Diese minimalen Anekdoten, die in den Reiseberichten verstreut sind, wirken als Zeugnis der deutschen Präsenz in Mexiko während der Revolution der 20er Jahre und in den darauffolgenden 30er Jahren. Dennoch ist eine Analyse nur in den jeweiligen Kapiteln möglich, in denen die ausführlichsten Beschreibungen zu finden sind.
Vgl. Roger Griffin, Modernism and Fascism. The Sense of a Beginning under Mussolini and Hitler (London: Palgrave-McMillan, 2 0 0 7 ) 3 2 5 - 3 2 6 . 12
Mathias Witzmann stellt durch seine Analyse mehrerer deutscher Abenteuerromane des
19. Jahrhunderts fest, wie die Deutschen als „unumstrittene Helden, die sich durch überlegene Begabung und Leistung auszeichnen", charakterisiert werden. Vgl. Witzmann, Eigenes und
Fremdes.
Hispanoamerika in Bestsellern der deutschen Abenteuer- und Reiseliteratur (1850-1914) (München: Verlag Dr. Hut, 2 0 0 6 ) 2 3 7 . Diese Tendenz bleibt bei Ross und Frank unverändert, wie es auf den folgenden Seiten dargelegt wird.
220
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus Obwohl für beide Autoren die Berichterstattung der Lage des „Deutschtums"
in gleichem Maße wichtig ist, ist ihre Wahrnehmung - insbesondere in Bezug auf ihre Position im Lande — unterschiedlich. Sie nähern sich den Deutschen aus zwei Perspektiven an. Während Colin Ross sich nur mit Kaffeefinkas und deren deutschen Betreibern beschäftigt, widmet sich Frank mehr der in Mexiko-Stadt lebenden deutschen Gemeinde. Ihre Haltung ist auch anders: Ross zeigt sich pessimistisch und angesichts der Politik Cárdenas' besorgt, durch die die deutschen Großgrundbesitzer gefährdet sind. Im Gegenteil vermittelt Josef Maria Frank ein optimistisches Panorama, in dem sich die Deutschen zufrieden zeigen und eine hohe Akzeptanz in der mexikanischen Gesellschaft genießen.
I. DER ZWIESPALT DES DEUTSCHEN KOLONISTEN W i e bereits beleuchtet wurde, versteht Colin Ross Mexiko als ein koloniales bzw. postkoloniales Land, in dem bis zum Revolutionskrieg die Wirtschaft von Europäern beherrscht wurde. Die Deutschen, die er in Mexiko trifft, zählen angeblich zu den Investoren und Pionieren, die während der Diktatur von Porfirio Díaz ( 1 8 7 7 - 1 9 1 0 ) einwanderten. 1 9 3 6 trifft Ross in Torreón einen Deutsch-Mexikaner, den er schon 1 9 1 6 während seiner ersten Reise kennengelernt hatte. Er beschwert sich bei dem Autor über die Lage der Ausländer (Franzosen, Engländer, Amerikaner und Spanier) in Mexiko. Zwar gehörte ihnen zu Zeiten der Diaz'schen Diktatur vieles, aber nach dem Revolutionskrieg waren durch Enteignungen ihre Privilegien in Gefahr. Dieser Mann, dessen Name nicht erwähnt wird, erklärt: „Dieses reichste Land der Welt gehörte uns Fremden, der Indio war gut genug, für ihn zu arbeiten". 1 3 Seine Worte sind ein deutlicher Beweis der Rolle als Kolonisten, die viele Europäer im damaligen Mexiko spielten. In diesem konkreten Fall ging es um einen Mann, der sich trotz der erworbenen mexikanischen Staatsbürgerschaft noch als „Fremder" sah. Interessant ist die Haltung Ross' gegenüber Deutschen, die sich in Mexiko assimilierten, denn er scheint diese trotz ihrer Assimilierung nicht als Mexikaner bezeichnen zu wollen. In der Hauptstadt lernt er einen Deutschen kennen, der Nachfahre ehemaliger Migranten war. Darüber erzählt Ross, jener Deutsche spreche die Sprache seiner Vorfahren nicht mehr gut: Unser Freund war ein Deutscher, der in seiner Fereteria (sie), einer kleinen Eisenwarenhandlung, den Indianern Nägel und Kochtöpfe verkaufte. Seine Familie war bereits in der vierten Generation im Lande ansässig. Seine Mutter war Mexikanerin, ebenso seine Frau. Sein Deutsch war reichlich mangelhaft, und er war das, was die Engländer „gone native" nennen.14
Colin Ross, Der Balkan Amerikas (Leipzig: Brockhaus, 1937) 105. Ross, Der Balkan Amerikas 140. Hervorhebung von mir vorgenommen. Das korrekte spanische Wort für Eisenwarenhandlung ist ferretería. 13 14
Kapitel VI
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Auffällig ist hier die deutliche Trennung zwischen „Deutscher", „Indianer" und „Mexikaner". Trotz der mangelhaften Sprachkenntnisse und seiner mexikanischen Mutter bezeichnet ihn Ross als Deutschen. Dadurch zeigt er ein Konzept nationaler Identität, das nicht von Sprache oder Geburtsort abhängig ist, sondern von genetischer Erbschaft. Dass Ross über ihn als einen gone native spricht, verweist nicht auf die Verschwindung einer Identität zugunsten einer anderen, sondern auf eine Transformation, wo der ursprüngliche Zustand nicht verloren geht. Zumeist erscheinen die Deutschen in Der Balkan Amerikas als Pioniere und Kolonisten. Obwohl die gereiste Strecke innerhalb des Landes unpräzise zu identifizieren ist, scheint das mexikanische Land, das von Ross meist besuchte Gebiet gewesen zu sein. Ross interessiert sich mehr dafür, über Großgrundbesitzer zu sprechen. In Chiapas wird er von einem Finquero, einem Besitzer einer Kaffeeplantage, zu dessen Finka „Germania" in der Region Soconusco eingeladen. Bevor Ross auf sein Treffen mit dem deutschen Finquero eingeht, beschreibt er in dem vierseitigen Kapitel „Ritt durch den Urwald" die gewaltsame Natur. In diesem Urwald kann die Familie die unfahrbaren Wege nur mit Maultieren durchqueren, um die Finka Germania zu erreichen. Ross konzentriert sich auf die Beschreibung von „Urwäldern, die aus Lianen, Orchideen und Farnen gewoben wie ein Festkleid um ihre Schultern hängen". 15 Nach einer langen Tagesfahrt wurde es mitten im Urwald dunkel und es fing an zu regnen. Auffällig ist wie Ross an dieser Textstelle im Präsens erzählt, um die abenteuerliche Spannung zu erhöhen und die Vorstellung der Leserschaft durch eine ästhetisierte Beschreibung (z.B. die Betonung der Farben) der Landschaft anzuregen. Wir sind bereits über 1000 Meter hoch. Tief unten braust ein silberblinkender Fluß. Zeitweise sieht man weiße Kaskaden wie flüssiges Mondlicht über Felsen stürzen. Urwaldbäume stehen am Abhang, die ihre Aste wie ein schimmerndes Dach breiten. Lianen, Schlingpflanzen und Farne bauen Triumphpforten und Gewölbe. 16
Aber diese langen Beschreibungen haben weniger eine semantisch-ästhetische Funktion als eine pragmatische. Mitten in der üppigen Natur, die menschenleer zu sein scheint, findet sich die deutsche Kaffeeplantage. Strategisch stehen die Deutschen in diesem Textschnitt mitten im Urwald, wo sie sich als mutige, naturherrschende Pioniere erweisen. Beleuchtend dafür ist das folgende Zitat, in dem Individualität („sich selber") und die zivilisatorische Bestrebung eines Menschen gegenüber der Natur herausgehoben werden. Besonders wichtig ist für Ross, dass dieser Mensch ein „Deutscher" ist. O h n e die Initiative der Finqueros wäre das Land noch unzugänglicher. Wer im Innern pflanzen will, m u ß sich zuerst selber eine Straße bauen oder wenigstens einen Pfad durch
15 16
Ross, Der Balkan Amerikas 203. Ross, Der Balkan Amerikas 205. Hervorhebung von mir vorgenommen.
222
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus den Urwald schlagen. Auch die Straße, auf der wir reiten, ist von d e m Deutschen gebaut, der uns zu sich geladen hat. 1 7
Die Auffassung der Deutschen als zivilisatorische Kraft wird zum Ende des Kapitels stärker verdeutlicht, als Ross sich durch den Urwald zur KafFeefinka annähert. In der folgenden Passage ist bemerkbar, wie die familiären Elemente der Zivilisation allmählich zwischen den Naturelementen auftauchen. Auffällig sind Wörter wie „Nest" und „freundliches, warmes Licht" oder das Bild eines Tales, das sich langsam verengt, welche sich an Herkunft, Geburtsort, Enge und Schutz anknüpfen: D a s anfangs breite Tal verengt sich zu einem von den Berglehnen zusammengehaltenen Kessel, der wie ein Nest zwischen den Steilhängen schwebt. Lichter blitzen auf; freundliches, warmes Licht, nicht das ungewisse
flimmernde
Blinken der großen Leuchtinsekten des
Urwaldes. Der magische Schleier, der uns eine geheimnisvolle Zauberwelt vorspiegelte, reißt. Wir sind nicht in einer Ruinenstadt, sondern in - Deutschland.
Ein
Wohnhaus, deutsche Laute, ein ganzes deutsches G u t , ein kleines Deutschland Urwald. Es heißt „Germania"und
ist die Finka unseres
deutsches
mitten im
Gastfreundes.18
Das Abenteuer im Urwald war nur ein Ritt durch eine „Zauberwelt", die schließlich zur Heimat wird. Sechs mal verwendet Ross auf Deutschland bezogene Adjektive und Substantive zur Betonung eines patriotischen Gefühls der Sicherheit und des Zuhause-Seins. Das Aufeinandertreffen zwischen Ross und anderen Deutschen fungiert als eine Erleichterung mitten in einem Land, das er als eine ausländerfeindliche „Indianer-Republik" beschrieben hatte. Seine Haltung zeigt sich insofern positiv, als dass er über die Finka eines „Gastfreundes", statt eines „Gastgebers" spricht. Sein Enthusiasmus verdeutlicht sich in der emphatischen Repetition des Adjektivs „deutsch", das er neun Mal und fast in jeder Zeile wiederholt: Es ist wunderschön, hier mitten i m mittelamerikanischen Urwald in einem deutschen H a u s e zu sitzen, nur Deutsch zu hören, mit deutsch E m p f i n d e n d e n G e d a n k e n zu tauschen und zu sehen, wie noch der letzte Arbeiter in den Cafetales einen Stempel deutschen Wesens, deutscher O r d n u n g trägt. Allein, der deutsche KafFeebau in Chiapas hat nicht nur eine deutsche, sondern auch eine mexikanische Seite. In mexikanischen Ohren klingen N a m e n wie Germania, Prussia, Hannover, H a m b u r g o , Bremen und wie die deutschen Finkas alle heißen, weniger schön. Mexikaner sind nicht sehr davon begeistert, daß sich 8 0 v. H . der großen Finkas in deutschen H ä n d e n befinden. 1 9
Ross kontrastiert das positiv konnotierte „Deutsche" (deutsche Finkas = Zivilisation, Herrschaft über die Natur, Produktivität, Ordnung), mit dem „Mexikanischen" (Revolutionär, Patriotisch), das einen aggressiven Sinn hat. Ross erinnert damit seine 17
Ross, Der Balkan Amerikas 204. Hervorhebung von mir vorgenommen.
18
Ross, Der Balkan Amerikas 206. Hervorhebung von mir vorgenommen.
" Ross, Der Balkan Amerikas 208. Hervorhebung von mir vorgenommen.
Kapitel VI
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Leser an den mexikanischen Patriotismus der Epoche, den er u n d Frank als fremdenfeindlich empfinden. Ross geht spezifischer auf die deutschen Kaffeeanbauer ein u n d betont Eigenschaften wie Treue zur Heimat. Er rechtfertigt die A n n a h m e fremder Staatsangehörigkeiten, denn diese erleichtert den Migranten das Leben in Mexiko. Interessanterweise stellt er die aufwendige Pionierarbeit im Urwald nicht weniger als eine individuelle Errungenschaft dar, sondern vielmehr als eine fiir Deutschland erledigte Aufgabe: Für den in der Heimat Lebenden ist es billig, von den Ausländsdeutschen unbedingte Treue zur alten Heimat zu fordern, und in denen, die eine fremde Staatsangehörigkeit annehmen, womöglich Verräter am Deutschtum zu sehen. Für diese selbst war es oft die einzige Möglichkeit, ihre Arbeit, auch die fiir Deutschland, in der Fremde fortsetzen zu können. Der Aufstieg der im Ausland zu Reichtum und Erfolg Gekommenen erschient in Deutschland mitunter wie ein Märchen, aber jeder, der in Ubersee lebt, zahlt seinen Preis. Der aber ist heute höher als je.20 Er identifiziert sich also mit diesen „Auslandsdeutschen", indem er sie emphatisch gegenüber den in Deutschland lebenden Deutschen verteidigt. Mit der Verwendung des Begriffs .Auslandsdeutsche", der wie bereits erwähnt bis zur NS-Zeit im Sprachgebrauch der Außenpolitik üblich war, assoziiert Ross diese Finqueros mit Deutschland: Diese sind also Landsleute, leben aber im Ausland u n d fühlen sich mit ihrer „Heimat" durch die mühsame Arbeit u n d M u t verbunden, denn Pionier zu sein, ist dem Autor zufolge kein „Märchen". Auf diese Weise will hier Ross seine Leser daran erinnern, dass die Realität nicht der märchenhaften Welt der Literatur entspricht. Zugleich möchte der Autor den Verdienst der Auslandsdeutschen erheben. Sie haben trotz wilder Natur Reichtum geschaffen u n d bleiben auch trotz der politischen Unruhen unberührt u n d stark. Dieser Kontrast wiederholt sich im folgenden Abschnitt. Hier bewegt sich der Autor von der Beschreibung einer idyllischen Natur u n d von einem durch harte Arbeit gewonnenen Wohlstand zur Darstellung aus seiner Sicht negativer Umstände: Die Schwierigkeiten des Klimas, die instabile Wirtschaftslage u n d der noch gefährlichere Sozialismus. Wie wir nach einem Tage, der uns die ganze Größe des aus dem Nichts Geschaffenen zeigte, all den aus dem Urwald gewonnenen Reichtum, auf der breiten Veranda des Herrenhauses sitzen, das in ewig blühende Gärten gebettet alle Schönheit umgibt, die Tropen nur bieten können, alle Behaglichkeit und Bequemlichkeit besitzt, die Reichtum zu schaffen vermag, kommen trotz aller Fröhlichkeit, aller angeregten Unterhaltung, doch leise die Sorgen und trüben Gedanken, die den Hausherrn und seine Frau in schlaflosen Nächten quälen, wie schwarze Vögel zu mir angeflattert. Zwei Kinder fielen dem Klima zu Opfer. Von dem einen herangewachsenen, das in Deutschland erzogen wird, hieß es sich bereits trennen. Das zweite wird bald folgen müssen. Das Schwanken der Kaffeepreise ist eine unablässige Sorge. Von heute auf morgen können der Betrieb und die wirtschaftliche
20
Ross, Der Balkan Amerikas 209. Hervorhebung von mir vorgenommen.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus Grundlage erschüttert werden. Viel schlimmer aber ist die ständige Drohung, die aus der sozialistischen Haltung des heutigen Mexikos erwächst.21 Bemerkenswert stellt Ross das deutsche Pionierpaar als resistent dar. Die Sorgen
kommen „leise" und „in schlaflosen Nächte", somit heißt es, dass trotz der Gefahren das Leiden stillschweigend in der geheimen Privatsphäre bleibt. Es entsteht dadurch das Bild geistig starker Heldenfiguren. Durch einen Spaziergang durch die Finka entlarvt sich, wie der Finquero die Situation Mexikos wahrnimmt. In seinen Worten sind unterschiedliche und widersprüchliche Konzepte erkennbar. Einerseits taucht die Anknüpfung an die deutsche Herkunft auf, andererseits zeigt sich Liebe zu Mexiko und Verständnis für die politische Situation. Einen auffalligen Kontrast bildet die Erkenntnis der Rechte der Indigenen (Indigenismus) gegenüber dem Anspruch auf das selbst erarbeitete Land (Kolonialismus). Zwar erscheint der Deutsche als Kolonist, dem sein Verdienst bei der Eroberung einer anscheinend leeren Natur bewusst ist, er zeigt sich aber auch als Mexikaner, der das Land liebt, was zweimal erwähnt wird. In den ersten zwei Zeilen wird „Ich" drei mal zur emphatischen Erklärung dieser nationalen Treue wiederholt: Ich bin selbst geborener Mexikaner. Ich liebe dieses Land, ich liebe dieses Volk. Niemand erkennt besser ah ich das Recht des Indios auf den Boden an, von dem er vertrieben wurde. Aber hier liegen die Verhältnisse anders. Chiapas war leer,; es ist es heute noch. Heute noch gibt es hier unermeßliche Strecken Urwald. Sie können hier weiterreiten, Stunden um Stunden, Tage um Tage, ohne auf eine menschliche Siedlung zu stoßen. Als die ersten Deutschen hierherkamen, fanden sie nichts vor als Wildnis. Sie haben gesehen, was sie daraus geschaffen haben. Wer hat nun Anrecht auf dieses Land?22 Dennoch existiert in diesem Finquero ein Zwiespalt zwischen beiden Nationalitäten. Auffällig ist wie er bei der Erklärung seiner Liebe zu Mexiko Formulierungen wie „dieses" Land und „dieses" Volk verwendet, mit denen eine Nähe zwischen dem „Ich" und „dem Land" erhoben wird. Aber es wird gleichzeitig über „die ersten Deutschen" gesprochen. Die Verwendung der dritten Person deutet auf die Ambiguität der nationalen Zugehörigkeit hin, denn der Finquero steht zwischen zwei unterschiedlichen Welten. Dadurch verweist Colin Ross auf den gleichen Zwiespalt, der den Mestizen dem Autor zufolge die Bildung einer soliden Synthese nicht ermöglicht - doch bei diesem deutschen Finquero findet sich diese Trennung nicht im „Blut", sondern auf einer emotionalen Ebene. Im Folgenden wird dies deutlicher ausgedrückt: Ich bin geborener Mexikaner, aber die Menschen dieses Landes erkennen mich trotzdem nicht als einen der Ihren an. Ich kann es ihnen nicht verübeln; denn ich bin dem Blut nach Deutscher und deutsch mit jedem Herzschlag. Aber in der alten Heimat sehen sie in
21 22
Ross, Der Balkan Amerikas 209. Ross, Der Balkan Amerikas 214.
Kapitel VI
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mir doch ein wenig den Ausländer. Ich zersehne mich nach Deutschland, und bin ich dort, zieht es mich mit allen Fasern hierher zurück. Ich habe hier ein Erbe zu verwalten, ein Werk auszubauen. Was bin ich in Deutschland? Ich bin Pflanzer, ich bin Tropenmensch. Hätten wir Kolonien, ich verkaufte hier alles und zöge unter die deutsche Flagge, und wenn ich wieder von unten anfangen sollte.23 Colin Ross spricht über den Preis, den jeder, der in Übersee lebt, für seinen dort erworbenen Reichtum zu zahlen hat. Die Metapher der zu zahlenden Kosten signalisiert die Härte der Arbeit von diesen Kolonisten. Darüber hinaus scheint Ross auf die Gefahr der nationalistischen Wirtschaftspolitik von Cárdenas hinzudeuten. Aber in diesem Zitat e n t p u p p t sich der Zwiespalt zwischen Mexiko u n d Deutschland, zwischen „Deutschtum" u n d „Tropenmensch" als G r u n d eines tieferen Identitätskonflikts. Zwar entsteht durch die Betonung von Werten wie M u t , Fleiß und O r d n u n g , mit denen der deutsche Kolonist inmitten des Urwalds Reichtum schuf, die Vorstellung eines starken Individuums, der die fremde Natur für sich u n d auch symbolisch für Deutschland gewinnt. D o c h dies führt zu einem Kontrast zwischen Einzelperson und Kollektivität, denn diese wird weder von den Mexikanern noch von den Deutschen völlig akzeptiert. Bemerkenswert ist die Bildung von acht Sätzen mit dem „Ich" als Subjekt, wo der dargestellte Kolonist sich zu definieren versucht: „Ich bin geborener Mexikaner", wiederholt er zum zweiten Mal auf der gleichen Seite, „ich bin ein Tropenmensch", „ich bin nach Blut Deutscher", etc. Auch wenn er seine emotionale Neigung zu Mexiko erklärte, zeigt er auch ein ähnliches Verhältnis zu Deutschland mit den Metaphern des „Blutes" u n d des „Herzschlags". D o c h der Konflikt der Identität verstärkt sich durch die rhetorische Frage, „was bin ich in Deutschland?". Er bezeichnet dieses Land als die „alte" Heimat. Deshalb wird die Distanz zwischen dem „Ich" u n d der Kollektivität der Deutschen nicht nur im Sinne des Geographischen, sondern auch des Zeitlichen metaphorisiert. „Ausländer" scheint er in beiden Ländern zu sein, doch die Verbundenheit zum mexikanischen Boden erweist sich als stärker. Dies stellt man an manchen Konstruktionen fest: Einerseits vermisst er die Heimat sehr - e r e r s e h n t sich nach Deutschland. Der Präfix zer- verstärkt in der deutschen Sprache die Intensität eines Verbs u n d schafft Bedeutung mit einer Vorstellung des Zerstörerischen, Schmerzhaften oder Erledigten. Andererseits aber vermisst er in Deutschland Mexiko, was der Kolonist so beschreibt: „[es] zieht mich mit allen Fasern hierher zurück", d.h. mit aller Stärke. Die Bindung zum mexikanischen Boden erklärt sich in der Selbstbeschreibung als „Pflanzer" u n d „Tropenmensch", denn diese Eigenschaften sind nur dort zu verwirklichen. Eine Rückkehr scheint insofern unmöglich, als Deutschland zu jenem Zeitpunkt keine eigenen Kolonien mehr hat. Diese Unwahrscheinlichkeit wird ersichtlich durch die Verwendung des Konjunktiv II: Er „zöge" unter die deutsche Flagge, „hätten" wir Kolonien. U n d an dieser Stelle weist er zum ersten Mal mit „wir" auf die Kollektivität der Deutschen hin. Genau dort, wo es u m eine unwahrscheinliche Perspektive geht.
23
Ross, Der Balkan Amerikas 214.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Interessant ist außerdem die koloniale Vorstellung, dass ein Land sich nicht auf den ursprünglichen Boden beschränken lässt, sondern wie es weithin durch Kolonien erweitert werden kann. Schließlich positioniert sich Colin Ross gegenüber dem deutschen Kolonist, dessen Namen er nicht verrät. Ross erkennt in diesem Landwirt die positiven Beiträge der Deutschen zur Entwicklung Mexikos. Auch wenn er an anderen Stellen ausführlich seine Befürwortung des Kolonialismus ausdrückt, deutet er an, dass die Arbeit der Kolonisten für das Land positiv ist und hält deren möglichen Verlust durch die Enteignungen im „indianischen Mexiko" für umstritten. Auffällig ist wie der Autor versucht, die Deutschen als Kooperatoren darzustellen, und nicht als gierige Eroberer. Dies betont er durch die Erwähnung eines „Willens" zur Mitarbeit, was die kolonialistisch-imperialistischen Töne, die sich an anderen Stellen zeigen, mäßigt oder sogar verschwinden lässt. Aber man darf nicht vergessen, dass über die „weiße Rasse" oder „Europäer" - und nicht über Deutsche — gesprochen wird, wenn Ross den Kolonialismus explizit thematisiert. Das indianische Mexiko fühlt sich reif, das deutsche U r w a l d ^ f anzutreten, aber es fragt sich, ob es wohl einen Gewinn für das Land bedeutet, die Männer hinauszudrängen, denen es so viel verdankt, und die willens sind, an dem Neuen, das im Entstehen begriffen ist, zu ihrem Teile mitzuarbeiten,24
Interessanterweise präsentiert Ross diese Kolonisierung als eine männliche Errungenschaft, die auch als ein „Erbe" gewissermaßen für die Zukunft geschaffen wurde. Somit wird hier angedeutet, wie diese Kolonisten nicht nur zu Deutschland, sondern auch zu Mexiko gehören. Indem die Deutschen als Kolonisten mit ihren Werten in der neuen Heimat mitwirkten, zeigt sich, dass es für Ross wichtiger ist, die Zugehörigkeit zur deutschen Nation durch ein idealisiertes Konstrukt von Werten zu beweisen, und nicht durch die geographische Bindung zu einer ursprünglichen Heimat. Die Ambivalenz dieser Zugehörigkeit zeigt sich im Fall von einem Großgrundbesitzer Namens Petersen, auf dessen Legende sowohl Ross als auch Frank rekurrieren, um diesen Zwiespalt zu beleuchten.
2 . T R A G Ö D I E ALS „ S C H I C K S A L " : D I E L E G E N D E D E S ALTEN P E T E R S E N
Schicksal ist ein häufiger Begriff in der Sprache der Literatur über die Auslandsdeutschen. Sowohl Frank als auch Ross, sowie viele andere Autoren von Zeitzeugnissen und Anekdotensammlungen aus den vorherigen Jahrzehnten, verwenden stets den Begriff „Schicksal" zur Erzählung des Seins und des Werdens deutscher Kolonisten. 25 Bei Frank und Ross hat „Schicksal" einen mythischen Sinn, der sich
24 25
Ross, Der Balkan Amerikas 215. Hervorhebung von mir vorgenommen. Siehe z.B. die Titel von Friedrich Gerstäcker.
Kapitel VI
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mit der Terminologie der griechischen Tragödien verbinden lässt. Das Schicksal nach Modell der klassischen Antike kann weder geändert noch vermieden werden. Als Träger von patriotischen Werten hat der „Auslandsdeutsche" durch seine Migration die Aufgabe zu erfüllen, Zivilisation und Fortschritt zu bringen. W i e es Susanne Zantop erörtert, gilt der deutsche Kolonist in der deutschsprachigen Literatur und Philosophie des 18. und 19. Jahrhunderts als fleißiger, ordentlicher, ehrlicher Kolonist mit hoher Moral, der sich den Eingeborenen gegenüber paternalistisch verhält. 2 6 Hinzu k o m m t die Auffassung des deutschen Kolonisten, durch seine schöpferische Kraft des Intellekts die „Neue Welt" zum zweiten Male zu entdecken; eine Vorstellung, die die Rezeption von Humboldts Werken in Deutschland im 19. Jahrhundert mit sich brachte. 2 7 Frank und Ross finden in einem sogenannten Hazendado Petersen ein Modell dieser Konzepte, in dem sie nicht nur einen vorbildlichen Kolonisten voller Werte sehen, sondern auch einen Held und einen Märtyrer, der dem neu entstandenen „indianischen Mexiko" zum Opfer fällt. Konkret ist über die historische Figur von Petersen wenig zu finden. Laut Naciri starb ein gewisser Pablo Petersen 1931 in der Stadt Puebla. Er war bis zu seinem Tod Landwirt von Rancho de la Rosa, wo er Weizen anbaute. Ross erzählt in Der Amerikas,
Balkan
dass er sogar eine Weizensorte erschuf, die nach ihm benannt wurde, was
Naciri auch bestätigt. Petersen war auch Vorsitzender der Landwirtschaftskammer des Bundestaates Puebla und Leiter des Handelshauses Dorenberg, Petersen
&
Cia gewesen. 28 Die Form, in der Ross und Frank auf Petersen eingehen, zeigt ihre Vorstellung des aufgeklärten „Auslandsdeutschen", der sich trotz aller Schwierigkeiten durchsetzt. In Der Balkan
Amerikas
beherrscht Petersen eine leere, unfruchtbare Natur.
Ross verdoppelt den Wert seiner Errungenschaft, indem er zwei unterschiedliche Landschaften zusammensetzt, die aber auf leere, dürre Flächen hinweisen, wo sich die Figur Petersen niederließ. „Das Land da im Süden war einst alles unfruchtbare Steppe und Wüste", erklärt mein Begleiter, „bis der alte Petersen sich darauf niederließ." Der war als junger Mann aus Deutschland gekommen und begann hier Weizen zu pflanzen. Kein Mensch glaubte, daß auf dem dürren Boden je etwas wachsen würde, aber der deutsche Landwirt ließ nicht nach, bis er eine Sorte gezüchtet hatte, die wunderbar gedieh. [...] Mit seinen Peonen kam er ebensogut (sie) aus wie mit der Stadt Puebla, der er große Stücke des durch ihn so wertvoll gewordenen Landes schenkte.25
26 Susanne Zantop analysiert dieses Modell bei Johann Heinrich Campes deutscher Adaptation von Daniel Defoes Klassiker Robinson der Jüngere (Braunschweig, 1862). Vgl. Zantop, Colonial Fantasies 114. 27 Zantop, Colonial Fantasies 168-170. 28 Katharina Naciri, Deutsche Einwanderer in der mexikanischen Provinzhauptstadt Puebla 19101945, Magisterarbeit, Freie Universität Berlin, 2003, s. 88, online, Zugriff am 10.10.2013. 25 Ross, Der Balkan Amerikas 123.
228
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Darüber hinaus wird seine individuelle Kraft insofern herausgestrichen, als er seine Gegner (die „dürre" Natur und die Ungläubigkeit der Anderen) durch seine schöpferische Kraft und seinen starken Willen besiegt. In diesem Sinne gilt der „alte Petersen" nicht als ein Konquistador, der durch Zerstörung seine umliegende Welt beherrscht und ausbeutet, sondern als ein Kolonist, der durch Arbeit und Erfindungsgeist den Boden verwandelt und mit seinen Mitmenschen großzügig umgeht. Er verkörpert Produktivität und vor allem Kreativität. Josef Maria Frank fokussiert sich mehr auf Petersens moralische Merkmale. Indem er durch seine kreative Kraft die Landschaft transformiert, scheint außerdem sein „Schicksal", die Verbreitung von gewissen nationalen, für Frank „nur" deutschen Werten zu sein. Wo man mit Deutschen in Mexico-City oder sonst wo auf dem Hochlande zusammensitzt und vom deutschen WzzzndaAoschicksal spricht, hört man den Namen „Petersen" und von seinem Schicksal. [...] Er ging gründlich wie nur ein Deutscher, stur und zäh und wissend, vor.30
An dieser Stelle ist durch Franks Rhetorik die Evokation des nationalsozialistischen Heldenkults, aber auch der anderen patriotischen Diskurse wohl identifizierbar. Zwar rufen „stur" und „zäh" die Sprache der Hitlerjugend hervor,31 aber sie lassen sich auch mit der Darstellung von populären Idolen der Zeit verbinden, etwa mit dem Boxer Max Schmeling, dessen „eiserner Willen" von seinen Biografen mit großem Enthusiasmus als deutscher Wert bezeichnet wurde. 32 Nichtsdestotrotz ist Franks Vorstellung von Petersen auch von einer gewissen Faszination für Technik und Wissenschaft geprägt. Durch das Adjektiv „wissend" verweist der Autor auf die aufklärerische, moderne Figur eines deutschen Kolonisten nach dem Humboldt'schen Modell: Es gelang ihm durch fast raffiniert ausgeklügelte Bewässerungs- und
Bewirtschaftungsmethoden
[...] in zwei Jahren das Wunder von drei Ernten in der einstigen Halbwüste zu vollbringen. Der „alte Petersen" war der weithin im Lande gerühmte
deutsche Hazendado, und er
wurde zum Lehrer und Vorbild für alle Hazendados rundum. 3 3
Dass er als „Lehrer" des Hazendados beschrieben wird, hebt seine Moral hervor und stärkt das Bild der Deutschen als gute Kolonisten, die besser als die spanischen Konquistadoren sind. Aus dem Blick beider Autoren fungiert Petersen nicht als Kolonist, sondern als Schöpfer, dessen zugeschriebene Werte mithilfe eines guten 30 Josef Maria Frank, Mexiko ist anders. Eine Reise ins Land der Azteken (Berlin: WegweiserUniversitas, 1938) 349-350. 31 Thomas Rohkrämer, Die fatale Attraktion des Nationalsozialismus (Paderborn u.a.: Schöningh, 2013) 228. 32 Heiko Luckey, Personifizierte Ideologie. Zur Konstruktion, Funktion und Rezeption von Identifikationsfiguren im Nationalsozialismus und im Stalinismus (Bonn: Bonn University Press,
2008) 118. 33
Frank, Mexiko ist anders 350.
Kapitel VI
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Rufes vermittelt werden sollen. Symbol der Kontinuität seines Vorbilds ist sein Sohn Carlos, der „junge Petersen", den Frank auch enthusiastisch und patriotisch beschreibt: D o c h Petersens Sohn Carlos, ,der junge Petersen, h a t das Erbe angetreten (...) U n d zäh u n d verbissen, wie einst sein Vater, arbeitet er weiter, im Sinne seines Vaters, des deutschen Pioniers a m Rande eines Vulkanes, Z ü c h t e r u n d von der Weizen- u n d Maiswirtschaft Besessener u n d G e r ü h m t e r im Lande; mexikanischer Bürger u n d doch: ein M a n n , dessen sichtbares W i r k e n , wie das seines Vaters, für Deutschland wirkte u n d weiterwirkt". 3 4
Auffällig ist die Bezeichnung mit einem spanischen Namen („Carlos" anstatt Karl) und der mexikanischen Nationalität, mit denen Frank dessen Zugehörigkeit zu einer neuen Kultur markieren möchte. Nichtsdestoweniger symbolisiert das Bild des alten Petersen, der in diesem Zitat zweimal erwähnt wird, die biologische und geistige („verbissen", „zäh") Anknüpfung an Deutschland. So bildet Frank ein positives und patriotisches Modell, das sich trotz des mexikanischen Elements (die Staatsbürgerschaft) und der Schwierigkeiten des postrevolutionären Landes (der Vulkan= latente Gefahr) durchsetzt. Zwar wird von beiden Autoren die Errungenschaft von Petersen mit Bewunderung behandelt, denn sie sehen darin die Verbreitung eines transzendentalen Patriotismus. Aber auf der gleichen Ebene wird sein Tod bedauert und glorifiziert. Laut der von Frank und Ross überlieferten Geschichte beging Petersen nach der Enteignung seiner Hazienda Selbstmord, indem er vom Turm der Stadtkathedrale heruntersprang. Frank beschreibt seinen Tod mit einer bildreichen Vokabel: „Der alte Petersen [...] stieg auf die Plattform des Turmes der alten Kathedrale - e r blickte sich noch einmal um, zu seinem zerschlagenen Lande, und dann sprang er hinunter in die Tiefe, auf den harten Steinboden, der nun seinen Körper zerschlug ,35 Auf diese Weise erscheint Petersens Selbstmord als ein schmerzhaftes Ereignis, in dem die Zerteilung seines toten Körpers mit der Zerstörung seiner Schöpfung (Hazienda) durch die Verwendung des gleichen Verbs parallelisiert wird, als ob Petersen und sein „Lebenswerk" - wie es Ross nennt — das gleiche Subjekt wären. Während Colin Ross mit wenigen Details Petersens Tod beschreibt, fokussiert er sich vielmehr auf die Transzendenz seines Todes und des Verlusts der Hazienda: D a ß er persönlich es verlieren sollte, k o n n t e er verschmerzen, nicht aber, daß sein Lebenswerk v e r k o m m e n u n d wieder Wüste werden sollte. Das war das Schicksal so m a n c h e r enteigneter Hazienda geworden. So sprang er v o m T u r m auf die Plaza hinunter. G a n z Puebla schritt hinter seinem Sarge, Weiße wie Indianer. 3 6
34 35 36
Frank, Mexiko ist anders 350. Frank, Mexiko ist anders 350. Hervorhebung von mir vorgenommen. Ross, Der Balkan Amerikas 123-124.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Bemerkenswert wird das „Lebenswerk" Petersens an erste Stelle positioniert, mit dem Ross Petersens Hingabe an seine Hazienda hervorheben will. Damit weist er auf die bereits benannten patriotischen Werte wie Fleiß und schöpferische Kraft hin. In diesem Sinne ist diese historische Figur insofern transzendent, als deren Errungenschaft nicht nur für Deutschland, sondern auch für Mexiko verbleibt, denn Petersen schien - wie es der Autor beschreibt - von „ganz Puebla" geliebt gewesen zu sein. Bei Frank und Ross erscheint das „Schicksal" Petersens als erfüllt - einerseits durch die Verwirklichung eines positiven kolonisatorischen Projekts, andererseits durch ein tragisches Ende. Petersen gilt hier als Opfer einer größeren Bedrohung: der mexikanischen Enteignungspolitik. Dies lässt sich an die Kaffez-Finqueros anknüpfen, die Ross in Chiapas besucht. Der Reisende behauptet in dieser Passage, die Leiden der „Deutschen in Übersee" zu kennen. Hier lässt sich die Frage stellen, was dieses Schicksal symbolisieren kann: Ob es darum geht, sich für die Verbreitung deutscher Werte durch eine positive Kolonisation zu opfern? Oder den Preis für die Sünde, sich von dem sicheren Boden der Heimat getrennt zu haben, zahlen zu müssen? Aus dieser Perspektive scheint der Fall von dem Sohn Petersens aufschlussreich: dieser Zwiespalt, den Colin Ross schon bei den Kaffeebauern in Chiapas beschreiben hatte. Colin Ross beschreibt den jungen Petersen, der mit „Freude" die Arbeit seines Vaters fortsetzt, auf die folgende Weise: Er ist in Mexiko geboren und ist Mexikaner, aber er hat in Deutschland Landwirtschaft studiert. Er ist in seinem Herzen Deutscher und hängt doch mit aller Liebe an dem Lande seiner Geburt, das ihm Heimat ist. Mit brennendem Interesse verfolgt er seine politischen und wirtschaftlichen Probleme. Daß die Mexikaner seine Haltung und Einstellung zu würdigen verstehen, zeigte sich anläßlich der letzten landwirtschaftlichen Ausstellung in Puebla. Auf ihr wurde die von dem alten Petersen gezüchtete Weizensorte prämiert, und der junge hielt einen Vortrag. Es war ein rein landwirtschaftlicher Vortrag ausschließlich über Weizenzüchtung und Weizenbau. Aber als er geendet hatte, da brachen die Zuhörer in minutenlangen Beifall aus, und Rufe wurden laut: „Viva Alemania! Viva Hitler!".37 Besonders auffällig ist die emotionale Gebundenheit an Mexiko, die Ross betont, auch wenn er Petersens geistige Zugehörigkeit zu Deutschland nicht beiseitelässt. W i e aber Petersen von anderen Mexikanern wahrgenommen wird, scheint im Gegenteil zu Petersens eigenen Gefühlen zu stehen, denn nach seinem Vortrag ertönen nationalsozialistische Rufe vom mexikanischen Publikum aus: „Viva Alemania! Viva Hitler". Dabei verwendet Ross das Spanische, mit dem er den Ursprung dieser Exklamationen verdeutlichen will. Diese Zeilen beinhalten einen doppelten Sinn. Die Hochrufe auf Deutschland und Hitler erweisen sich als Abgrenzung und Identifikation. Als Abgrenzung, denn Ross verdeutlicht durch diese Episode, dass der Deutsche im Ausland trotz persönlicher Treue zum Land nicht von anderen als Mexikaner
37
Ross, Der Balkan Amerikas 124.
Kapitel VI
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wahrgenommen wird. Als Identifikation, denn der junge Petersen wird unmittelbar mit Hitler assoziiert. A u f einer Fachveranstaltung, die sonst allenfalls technisches Interesse weckt, bricht Begeisterung gegenüber der Person des Vortragenden aus. Die Aussage, „daß die Mexikaner seine Haltung und Einstellung zu würdigen verstehen" verweist auf das Charisma des jungen Petersen und auf die dem Autor zufolge bereits etablierte Identifikation von Deutschland mit Hitler. Dass Ross an dieser Stelle nicht bewusst den jungen Petersen mit dem Nationalsozialismus verquicken will, auch wenn er an vielen Stellen seine Verinnerlichung des NS-Diskurses zeigen lässt, ermöglich nicht nur eine einzige Interpretation. A u f der einen Seite könnte es als Distanz zur Ideologie verstanden werden, auf der anderen Seite als Ausdruck einer nicht gelungenen Akzeptanz der Figur Petersen in Mexiko als Mexikaner.
3. JOSEF MARIA FRANK UND DIE DEUTSCHEN SCHICKSALE IN DER HAUPTSTADT
Im Gegensatz zu Ross, der das ganze Land im Auto von Norden bis Süden befuhr, beschränkt sich Frank wegen seiner Veracruz-Mexiko-Route mehr auf das Leben der Deutschen in der mexikanischen Hauptstadt und in den umliegenden Großstädten. Trotz des Eindrucks, in Mexiko sei eine sozialistische Republik gegründet worden, bildet Josef Maria Frank eine optimistische Darstellung des Lebens der Deutschen in Mexiko. Dieser Optimismus zeigt sich, indem er sie als frohe, arbeitsame Menschen darstellt und ein positives Verhältnis zwischen Deutschen und anderen Mexikanern präsentiert. Diese Deutschen erscheinen als freundlich und zufrieden, aktiv in den Aktivitäten der deutschen Gemeinde. Zwar in enger Verbindung zu Mexiko, aber in permanentem Kontakt zu Deutschland. Obgleich im Fall des „alten Petersen" von einem tragischen Schicksal die Rede war, enthüllt dieser Begriff in diesem Fall einen positiven Sinn. Es geht nicht um die fatale Erfüllung einer Tragödie, sondern um die Verwirklichung eines gemeinschaftlichen Ideals, wo nicht nur jedermann von Prosperität und einer guten Position genoss, sondern auch von Prestige unter den Mexikaner. Diese Gemeinde bildet das, was Frank als die deutsch-mexikanische „Volksgemeinschaft" bezeichnet, wo er auf ein zentrales Wort der NS-Ideologie zurückgreift. 38 Frank zeigt sich insofern stolz und erfreut, als er das gute Ansehen Deutschlands in Mexiko beschreibt und es mit dem schlechten R u f der Engländer und Amerikaner kontrastiert. Im Laufe des Reiseberichts erwähnt Frank stets die „Gefährdung", die für viele Ausländer - insbesondere Europäer und Amerikaner - in Mexiko bestehe. Die Tatsache, dass er sich erst gegen Ende seines Reiseberichts mit diesem Thema beschäftigt - u n d über keine Gefahr mehr geredet wird
spricht für
seinen Versuch, der deutschen Leserschaft das positive Bild der Deutschen und des
38
Volksgemeinschaft verwies im Nationalsozialismus auf eine „aus Blutsgemeinschaft, Schicksals-
gemeinschaft, nationalsozialistischer Glaubensgemeinschaft hervorgegangene Lebensgemeinschaft, in der Klassen, Parteien, Standesgegensätze und individuelle Interessen zugunsten des gemeinsamen Nutzens aller Volksgenossen aufgehoben sein sollen." Vgl. Cornelia Schmitz-Berning, Vokabular des Nationabozialismw
(Berlin und New York: De Gruyter, 1998) 654.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
nationalsozialistischen Deutschlands im Ausland zu vermitteln. Interessant ist auch, dass dazwischen in acht Seiten mehrere Zeitungsschlagzeilen hinzugefügt werden, die über den Lauf der Enteignung der britischen und amerikanischen Investitionen in der Ölindustrie Mexikos berichten. Diese absichtliche paratextuelle Strategie unterbricht zwar den Lauf der Erzählung, bildet aber einen großen Kontrast zu dem gegenüberstehenden positiven Bericht der deutschen „Schicksale" in Mexiko. „Nun ist man als Deutscher doch froh, daß Mexikos Deutsche nicht wie U S A und England hier Kapital in erster Linie gewannen, um es dann letzten Endes doch zu verlieren" erklärt der Autor mit Stolz, „daß sie stattdessen hier gewannen, was ihnen niemand, auch der mexikanischste ,Mexikaner', nicht nehmen kann und auch nicht nehmen wird: Ansehen und Achtung". 3 9 Seine Worte zeigen einen stark geprägten Patriotismus, aber sie fungieren vielmehr als Mittel, den Lesern zu erinnern, die Deutschen seien „bessere" Ausländer bzw. Kolonisten im Vergleich zu Engländern und Amerikanern. „Ansehen" und „Achtung" gelten als abstrakte Werte, die nicht wie Geld erfassbar sind. „Deutsche Arbeit am Rande eines Vulkanes", betitelt Frank einen Teil seines Kapitels, wo der Vulkan als Metapher zu den permanenten, bedrohlichen Unruhen der Politik Mexikos fungiert, welche die Deutschen mit ihrer Arbeit durchstehen. Arbeit und Fleiß gehören zu Eigenschaften, die im Diskurs der Abenteuerliteratur des 19. Jahrhunderts auffindbar sind, 40 welche aber auch in der NS-Propaganda als große Tugenden der Deutschen dargestellt werden. 41 Frank spricht von über 4 . 0 0 0 deutschen Staatsbürgern im ganzen Mexiko, von denen die Hälfte in der Hauptstadt lebt. 42 Seine Einschätzung nähert sich den historischen Zahlen. Im Jahr 1 9 3 8 sollen laut Silke Nagel 4 . 4 7 1 Deutschen im ganzen Mexiko gelebt haben. 4 3 Auch an dieser Stelle übernimmt Frank seine Vorstellungen aus D . H. Lawrences Roman The Plumed
Serpent (1927). Der Autor zitiert in deutscher Übersetzung
einen Textausschnitt, in dem Lawrence erläutert, dass nur der „Weiße" hoher Moral in Mexiko leben und überleben kann. Wenn dieser „Weiße", der den rothäutigen M a n n zur westlichen Zivilisation zu bekehren versucht, keine moralische Stärke hat, besteht die Gefahr, dass er bei seiner zivilisatorischen Mission seine Seele verliert.
Frank, Mexiko ist anders 347. Witzmann, Eigenes und Fremdes 237. 41 Zu diesem Zweck dient der propagandistische Film Der Ewige Jude (1940), in dem die Juden des Warschauer Ghettos als „arbeitsunfähig" beschimpft werden. Dies wird verdeutlicht durch eine Szene, in der ein jüdischer Mann bei der Aufräumung von Trümmern anscheinend ahnungslos und unbeweglich steht. In der darauffolgenden Sequenz werden halbnackte deutsche Männer gezeigt, die an einer körperlichen Aufgabe konzentriert arbeiten. Dieser Film wurde zwei Jahre nach der Veröffentlichung von den hier untersuchten Reiseberichten aufgeführt, aber diese Auffassung der Deutschen als arbeitsames Volk schien v.a. im patriotischen Diskurs und in der Unterhaltungsliteratur gut etabliert zu sein. 42 Frank, Mexiko ist anders 347. 43 Silke Nagel, Ausländer in Mexiko. Die Kolonien der deutschen und US-amerikanischen Einwanderer in der mexikanischen Hauptstadt 1890-1942 (Frankfurt am Main: Vervuert, 2005) 140. 39
40
Kapitel VI
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Die Verwendung dieses Zitats dient Frank dazu, die Position der Deutschen als Leitfigur zu bezeichnen. In diesem Sinne entsprechen diese Deutsch-Mexikaner dem idealisierten patriotischen Bild des Auslandsdeutschen des 19. Jahrhunderts, das sie nicht nur als prosperierende Menschen darstellt, sondern auch als exemplarische Vorbilder für andere Völker: 44 Lawrence hat Recht. Was sich an Weißen in Mexiko durchsetzte und hielt, sind „Menschen mit moralischem Rückgrat". Es ist ein Kompliment für den deutschen Menschen, daß die mexikanischen Deutschen sich am stärksten und wichtiger, stabilsten durchsetzen. 45
Interessanterweise schreibt er die Errungenschaften der Deutsch-Mexikaner auch den in Europa lebenden Landsleuten zu. Stärke und Stabilität erscheinen attraktiv und lobenswert, zumal der Kontext des Nationalsozialismus in Erwägung gezogen wird, wo im Volk Gefühle von Sicherheit und Stabilität verbreitet wurden. 4 6 Die Tatsache, dass Frank die Deutschen mit Amerikanern und Engländern kontrastiert, ruft alte Ressentiments des verlorenen Ersten Weltkrieges hervor. Durch diesen Kontrast scheint der Autor den allgemein verletzten Nationalstolz seiner Leser zu erheben. Die Verbindung zu einer erfolgreichen Gemeinde im fernen Ausland sollte außerdem dazu dienen, die Auffassung eines gemeinsamen grenzenlosen „Deutschtums" zu evozieren. Seit dem Anfang des Nationalsozialismus wurde die Vorstellung einer gemeinsamen Nation ins Konzept der Volksgemeinschaft verhüllt, wo jeder Teil der Gesellschaft durch seinen eigenen Beitrag zum gemeinsamen Wohlstand mitwirken sollte. 47 Der Enthusiasmus und der Optimismus, die jedes Projekt zur Bildung einer Volksgemeinschaft begleiteten, tauchen interessanterweise auch bei Frank auf, als wolle er damit die Allgegenwärtigkeit - nicht nur in Deutschland, sondern auch in Übersee — der nationalsozialistischen sozialen Utopien hervorheben. Dies lässt sich deutlich zeigen in den Gesprächen, die Frank mit mehreren Leuten führt. Es handelt sich nicht um reiche deutsche Hazendados, sondern zumeist und an erster Stelle um einfache Menschen, womit er ein breiteres Publikum in Deutschland ansprechen und mit dem sich dieses Publikum besser identifizieren konnte. Beleuchtet von diesem Enthusiasmus ist ein Gespräch, das Frank mit einem deutschen Angestellten in Mexiko-Stadt führt. Über ihn erklärt der Autor, dass er in Mexiko 3 0 0 Pesos bzw. 2 1 0 Reichsmark verdiene. Frank fragte ihn, ob er sich in Mexiko langweile:
Langweilig ist es gar nicht, no. Es gibt genug Arbeit, daß es nicht langweilig werden kann, und die Arbeit ist interessant. Dann haben wir die , Volksgemeinschaft', es ist immer etwas
Naranch, „Inventing the Auslandsdeutsche" 30. Frank, Mexiko ist anders 333. 46 Hitler erklärte in einem Interview am 27. Januar 1934, dass der Staat in einen einzigen Organismus verwandelt werden sollte, in dem es „keine Verantwortungslosigkeit, keine einzige Zelle, die nicht mit ihrer Existenz für das Wohlergehen und Wohlbefinden der Gesamtheit verantwortlich wäre" gäbe. Vgl. Röhkrämer, Die fatale Attraktion 183. 44
45
47
Röhkrämer, Die fatale Attraktion
187.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus los, im .Deutschen Haus' ist ebenfalls immer Betrieb, Langeweile ist nicht! Man hat seine Freunde, seine Skat-Ecke, ab und zu wird getanzt, Rundtanz, jawohl, und dann wird Deutschland gehört, auf kurzer Welle, klar wie nebenan im Zimmer, Abend für Abend. Ich bin zufrieden hier.4S An erster Stelle wird der Wert der Arbeit herausgehoben, und danach die Unter-
haltung in der deutschen Gemeinde. Hier zeigt Frank, was am wichtigsten im Leben seines Gesprächspartners zu sein schien. Auffällig ist wie der Absatz mit „Ich bin zufrieden hier" endet, nachdem eine Beschreibung der gemeinsamen Unterhaltung gemacht wird, wo die Verbindung zu Deutschland eine wichtige Position besitzt. Diese Unterhaltung findet auffällig nur unter Deutschen statt, und die Bindung zur Heimat wird durch das Radiohören verstärkt. In diesem Sinne ist die Betonung der Häufigkeit des Radiohörens (,Abend für Abend") das auffälligste Merkmal, das im engsten Zusammenhang mit der Freude des Sprechers und dessen Ursprung steht. Interessanterweise wird in diesem Zitat ein Schlüsselkonzept der nationalsozialistischen Rhetorik nicht beiseitegelassen: Die Volksgemeinschaft. Im NS-Diskurs war die Auffassung eines enggebundenes Volkes unter der Leitung eines Führers — oder Volksgemeinschaft - von großer Bedeutung. Es wurde auf allen möglichen Wegen versucht, etwa durch Organisationen wie der Hitlerjugend, dem Bund Deutscher Mädel oder der Bewegung Kraft-durch-Freude, unter den Bürgern das Gefühl zu erwecken, zu einer egalitären Gesellschaft zu gehören, wo es keine sozialen Unterschiede gäbe. 49 Auf diese Weise hat der Text die pragmatische Funktion, die Illusion eines gemeinsamen Wohlstands zu porträtieren, wo das individuelle Streben auf eine Kollektivität - Quelle aller Freude - gerichtet ist. Josef Maria Frank weiß von dem schlechten Ruf, den NS-Deutschland in manchen Kreisen hatte — vermutlich in kommunistischen Kreisen. Trotzdem versucht er zu betonen, wie die Deutschen „zur angesehenen Spitzengruppe der Ausländerkolonien" gehörten. Somit wird ihre führende, elitäre Position unter den wirtschaftlichen Verhältnissen Mexikos jener Zeit betont, aber Frank bewirkt damit eine Erhebung seines eigenen nationalen Stolzes - aber auch den seiner Rezipienten in Deutschland: Die Situation dieser Deutschen dürfte wohl am kennzeichnendsten beleuchtet werden, wenn darauf hingewiesen wird, daß die Deutschenkolonien Mexikos zur angesehenen Spitzengruppe der Ausländerkolonien gehört, trotz dieser und jener offiziellen und nicht offiziellen Gegenpropaganda, und daß sie in ihrer kulturellen und sozialen Organisation sogar zweifellos an der Spitze marschiert. Der Deutsche ist angesehen; er ist - wie mir viele Mexikaner sagten-, „fair, klar, aufrichtig, zuverlässig - Qualität", und das entscheidet auch in Mexiko.50
48 49 50
Frank, Mexiko ist anders 348. Hervorhebung von mir vorgenommen. Rohkrämer, Die fatale Attraktion 178. Frank, Mexiko ist anders 348. Hervorhebung von mir vorgenommen.
Kapitel VI
235
Bemerkenswert sind die Adjektive, die auf moralische und materielle Merkmale („Qualität") hinweisen. Dadurch erwirkt Frank den industriellen Glanz und den technologischen Fortschritt, die Deutschland seit mehreren Jahrzenten genoss, und die er zur Erhebung des nationalen Selbstbewusstseins glorifiziert als eine Art patriotische Kompensation. Aber es darf auch nicht vergessen werden, dass dies auch traditionelle Handwerker- und Kaufmannswerte sind, und dass viele Deutsche, die in Mexiko einigermaßen wohlhabend wurden, solchen Berufen nachgingen. 51 Wie Zeugenaussagen der Epoche enthüllen, war dieser Patriotismus von besonderer Bedeutung, um insbesondere unter den Jugendlichen den Eindruck zu erwecken, dass Deutschland noch einen wichtigen Platz auf der Welt hatte.52 Indem Frank auf diese Weise das Leben anderer Deutsche in Mexiko darstellt, verfolgt er das gleiche Ziel. Außerdem wirkt diese Passage als ein Zeitzeugnis der deutschen Gemeinden in Mexiko in den 30er Jahren. Die von Frank erwähnte Volksgemeinschaft steht für die gleichnamige Organisation, die sich um die deutsche Gemeinde Mexiko-Stadts bildete und die bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1942 existierte. 53 Auch wenn Frank das Leben einfacher Menschen darstellen will, betont er in seiner Beschreibung der deutschen Schule in Mexiko-Stadt deren privilegierte und elitäre Natur: Die ,deutsche Faschistenschulewie man sie wohl nennt, genießt ein solches Ansehen daß, wer von den Mexikanern es sich nur leisten kann, seine Kinder ihr zuschickt; Offiziere und höchste Staatsbeamte tun es, ein Vertrauensvotum für deutsche Bildungsstärke und eine Verbeugung dieses Mexikos vor dieser Schule. 54
Wiederum steht der Patriotismus an erster Stelle. Bemerkenswert sind Wörter wie „Vertrauensvotum" und „Verbeugung", da auf diese Weise die Nähe zu einer politischen Elite den Eindruck erzeugt, die Deutschen stünden im Vorteil in der nach der Revolution entstandenen Republik. Die „Verbeugung" vermittelt einen kolonialistischen Sinn, in dem ein zivilisatorisches Verhältnis zwischen Deutschen und Mexikanern existiert, wo zweite in einer niedrigeren Stufe stehen und die ersten als Vorbild betrachten. Diese Auslandsdeutschen gelten insofern als Träger der Zivilisation und Bildung, interessanterweise aber nur der mexikanischen Eliten, derjenigen, die sich es „leisten können". Seine Worte erinnern an den Bericht eines mexikanischen Beamten, der 1933 vom mexikanischen Bildungsministerium beauftragt wurde, nationalsozialistische Propaganda in der deutschen Schule zu suchen. Laut seinem Bericht wurde dort kein NS-Programm verfolgt, und er fand sogar gut, dass die mexikanischen Schüler die Disziplin der Deutschen erlernen konnten. 55
51 52 53 54 55
Silke Nagel, Ausländer in Mexiko 164, 176 und 177. Rohkrämer, Die fataU Attraktion 194. Nagel, Ausländer in Mexiko 310. Frank, Mexiko ist anders 351. Hervorhebung von mir vorgenommen. Nagel, Ausländer in Mexiko 292.
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Auffällig ist wie Frank in Anfuhrungszeichen über die „deutsche Faschistenschule" spricht, als wolle er damit diese Institution von der Ideologie distanzieren. Dies wiederholt sich, als er auf die Escuela Nocturna Karl Volps (Karl-Volps-Abendschule) verweist. Hier wurde seit den 1 Oer Jahren die deutsche Sprache unterrichtet. Deren Schüleranzahl stieg über die Jahre an, insbesondere in den 30er Jahren, als der Pharmakonzern Bayer Sprachkurse für mexikanische Ärzte förderte, was dazu führte, dass dort sogar kostenlose Kurse für das breite Publikum angeboten wurden. 56 Uber diese Schule behauptet Frank, dass dort keine Ideologie, sondern eher das eigentliche Bild Deutschlands propagiert wurde: Es wird in dieser Abendschule nur deutscher Sprachunterricht erteilt, nichts weiter. Würde hier nur der Versuch etwa einer Propaganda unternommen, so wäre es um wenige Stunden später zu Ende mit dieser Schule. Das Erstaunliche aber ist: alle diese Mexikaner sehen plötzlich Deutschland anders, so, wie es ist - und nicht, wie sie es lasen. U n d sie sind stolz darauf, diese Schule besuchen zu dürfenP
Es wiederholt sich hier die Auffassung eines missionarischen Ziels. Demgegenüber werden die Mexikaner als dankbare passive Empfänger geschildert (siehe im Zitat die Verwendung von Modalverb „dürfen"), die dort über das tatsächliche Bild Deutschlands unterrichtet werden. Es stellt sich die Frage, ob Frank sich von der NS-Ideologie zu distanzieren versucht oder eine deutliche Trennung zwischen Deutschsein und Nationalsozialismus markieren wollte. Dies erscheint als widersprüchlich, denn es entpuppt sich an anderen Stellen seines Textes, wie weit er den Nazismus und seine Rhetorik verinnerlicht hatte. Josef Maria Frank betont zwar bei der Sprach- und der deutschen Schule die Abwesenheit aller Versuche, die Mexikaner ideologisch zu indoktrinieren. Die Bezeichnung „faschistisch", wie bereits erklärt wurde, wurde in den deutsch- und spanischsprachigen Zeitschriften aus linker Feder in Bezug auf die Nationalsozialisten gebraucht. Offensichtlich war für Frank das Wort „faschistisch" schlecht konnotiert, denn diese wirkte unter der mexikanischen kommunistischen Propaganda als Bezeichnung eines ideologischen Feindes, wie Frank bei seiner Beschreibung der Wandmalerei Diego Riveras darstellt. Aber wie ist tatsächlich Deutschland für Josef Maria Frank am Ende der 30er Jahre? Was wird damit gemeint, wenn er über Mexikaner spricht, die „plötzlich" Deutschland „anders" sehen, „so, wie es ist - und nicht, wie sie es lasen"? Es geht hier offensichtlich darum, der Leserschaft den Eindruck zu geben, dass Deutschland im Ausland ein positives Bild hatte und dass dort andere Deutsche durch ihre Werte (Arbeit, Fleiß, Disziplin) zur Entwicklung von anderen Ländern beitrugen. Interessant ist aber wie Frank die deutsche Schule nicht als Propagandazentrum sieht, auch wenn wenige Jahre später die Bewegung Alemania Libre in Mexiko-
56 57
Nagel, Ausländer in Mexiko 283. Frank, Mexiko ist anders 352. Hervorhebung von mir vorgenommen.
Kapitel VI
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Stadt diese als eine nationalsozialistische Institution bezeichnet. 58 Obwohl Frank die Propaganda in der Schule für inexistent erklärt, spricht er eher über eine positive Verbreitung des Bildes NS-Deutschlands. Wenn die Schüler über das „wahre" Deutschland erfahren, heißt es dann, dass diesen die positive Seite gezeigt wurde. Dass Frank und Ross den ideologischen Aspekt weit hinter der Darstellung dieser Werte lassen, verweist auf deren ältere, über den Nationalsozialismus hinausgehende Natur. Es wird deutlich, dass beide Autoren die schlechte Reputation des Nationalsozialismus im Ausland kennen. Aber durch das Lob der mexikanischen deutschen Gemeinden verteidigen sie interessanterweise nicht NS-Deutschland explizit, sondern ihren deutschen Patriotismus. 59 Frank beschränkt sich nicht ausschließlich darauf, die Verbindung zwischen Deutschland und Auslandsdeutschen zu verstärken. Wie bereits erwähnt, zeigt er sich auch interessiert daran, die Zusammenhänge zwischen der deutschen Kolonie und Mexiko auf eine positive Weise herauszuheben. Aussagekräftig ist eine Art Liebeserklärung, mit der Frank seinen Reisebericht schließt: Mag Mexikos Gesichtsausdruck sich wandeln, wie er will, er wird dieses Ansehen des Deutschen im Mexikaner nicht zerstören können. Das ist Trost und Zuversicht. Denn: auch die Deutschen in Mexiko lieben dieses Mexiko, dieses merkwürdigste Land zwischen den amerikanischen Wendekreisen und sein Volk, dies rätselvolle tragisch umstrickte Volk zwischen Noch und Schon; diesen leidschweren Erben einer nicht überwundenen Vergangenheit und einer ungeklärten Zukunft. 6 0
Frank erwähnt einen deutsch-mexikanischen Patriotismus, der aus einer guten Reputation als NebenefFekt entsteht. Auffällig ist wie Frank deren Stärke betont: Die Geschichte mag sich zwar ändern, wie sie „will", und die Zukunft gilt dem Autor zufolge als „ungeklärt". Aber demgegenüber erscheint die Position der Deutschen als unzerstörbar, ewig und stabil. Indem Frank die ferne Geographie des Landes („zwischen den Wendekreisen"), die Mentalität seines Volkes („rätselvoll", „tragisch umstrickt") und seine Geschichte („nicht überwundene Vergangenheit", „ungeklärte Zukunft") als schwer präsentiert, erzeugt er implizit ein Bild der dortigen Deutschen als stark und resistent, denn die Gemeinden werden trotz dieser Gegebenheiten das Land weiterhin „lieben" und in ihm weiter leben. Aus der Perspektive des Autors erweist sich das „Auslandsdeutschtum" als ein Kollektiv hartnäckiger Kolonisten, die über die Grenzen hinaus nicht nur für ein patriotisches Ideal wirken, sondern auch zugunsten der sie beherbergenden Nationen. Dieser Patriotismus gilt dann als
58
K. B. Wolter, „Die Deutsche Schule. Aus dem Referat von K. B. Wolter ,Die sozialen und kulturellen Einrichtungen der Deutschen in Mexiko'," Der Deutsch-Mexikaner. Organ der demokratischen Deutschen von Mexiko. Suplemento del periódico antinazi Alemania Libre 15. Mai, 1943: 3. 59 Es ist nicht zu vergessen, wie Josef Maria Frank nach dem Krieg in seinen eigenen Texten sich vom Nationalsozialismus abzuwenden versuchte. Vgl. Kapitel II. 60 Frank, Mexiko ist anders 352.
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bidirektional: sie sind patriotisch für Deutschland, aber auch für Mexiko. Dennoch erklärte am 22. Mai 1942 die Regierung von Manuel Avila Camacho (1940-1946) NS-Deutschland und den Achsenmächten den Krieg.61 Wie Josef Maria Frank auf diesen historischen Wechsel in den Beziehungen zwischen Deutschland und Mexiko, die er so sehr idealisierte, reagierte, ist nicht bekannt.
61 Blanca Torres, México en la Segunda Guerra Mundial, Historia de la Revolución Mexicana 19 (México: El Colegio de México, 1977) 89.
KAPITEL VII D. H. LAWRENCES THEPLUMED SERPENT UND MEXIKO IST ANDERS
I . REALITÄT UND FIKTION
In anderen Teilen dieser Arbeit wurde bereits erwähnt, wie sich Ross' und Franks Reiseberichte mit anderen literarischen und nicht-literarischen Reiseberichten in Verbindung bringen lassen. Im Hinblick auf die Ziele dieser Dissertation soll zwar im Folgenden keine umfassende Genealogie zwischen den hier untersuchten und anderen Mexiko-Texten aus der gleichen Epoche vorgenommen werden. Zur besseren literarischen Situierung empfiehlt es sich aber dennoch, die Verwandtschaft von Ross' und Franks Texten zu ähnlicher Mexiko-Literatur hinsichtlich entsprechender Motive, Themen, sowie die spezielle Lexik der Texte in ihren groben Zügen aufzuzeigen. Zukünftige Forschungen könnten sich darüber hinaus damit befassen, den Fokus auf den kaum untersuchten Korpus der deutschen geopolitischen Reiseberichte der NS-Zeit zu legen und ihre Parallele zu Reisetexten aus anderen Kulturräumen, etwa England, USA und Frankreich zu ziehen. So darf man zum Beispiel das Verhältnis zwischen dem englischen Autor D. H. Lawrence und Josef Maria Frank nicht beiseite lassen, denn der Roman The Plumed Serpent (1926), den Lawrence im Zusammenhang mit einem seiner Mexiko-Aufenthalte verfasste, wird von Josef Maria Frank als Quelle sowohl für seinen Reisebericht, als auch für sein eigenes Verständnis des post-revolutionären Mexikos verwendet. D. H. Lawrences Mexiko-Texte zirkulierten in Deutschland in den 20er und 30er Jahren. 1927 erschien Lawrences Anekdotensammlung Mornings in Mexico in Deutschland. Es wurde übersetzt von Else Jaffe-Richthofen und Teile davon wurden im gleichen Jahr in der Zeitschrift Europäische Revue publiziert,1 in der interessanterweise auch Josef Maria Franks Mexiko ist anders im Jahr 1942 rezensiert wurde. The Plumed Serpent, 1926 in England erschienen, wurde als Die gefiederte Schlange von Georg Goyert übersetzt und bei dem renommierten Insel-Verlag in Leipzig veröffentlicht.2 Josef Maria Frank hatte diese Version gelesen und benutzt, um für ihn wichtige Textpassagen daraus zu zitieren. Beweis dafür ist die Danksagung an den Insel-Verlag, die er auf dem hinteren Umschlagblatt macht.3
1
D . H. Lawrence, „Morgens in Mexiko" Europäische
2
D . H. Lawrence, Die gefiederte
3
Josef Maria Frank, Mexiko
Schlange ist anders
Revue
3.1 (1927, April).
(Leipzig: Insel, 1932) Übersetzung von Georg Goyert. (Berlin: Wegweiser-Universitas, 1938) 354.
240
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Josef Maria Frank hatte vor der Verfassung seines eigenen Reiseberichts The Plumed Serpent gelesen. Wahrscheinlich ließ er sich auch von letzterem Titel inspirieren, als er auf das Titelblatt von Mexiko ist anders ein Zeichen mit dem Kopf des vorhispanischen Gottes aus dem Quetzalcóatl-Tempel in Teotihuacán aufdrucken ließ. Erst im letzten Kapitel des Reiseberichts erkennt Frank deutlich die Autorität des englischen Mexiko-Spezialisten an. Bevor er seine Ausführungen über das Schicksal der Deutschen in Mexiko darlegt, zitiert Frank die Worte von Owen, paradoxerweise eine sozialistische amerikanische Romanfigur, wo erklärt wird, dass Ausländer nur in Mexiko überleben und den Prozess der „Rückindianisierung" - wie Colin Ross den mexikanischen Patriotismus bezeichnete - überstehen könnten, wenn sie „moralisches Rückgrat" besäßen. Frank, der stets seine Sorgen bezüglich der Zukunft des „weißen Mannes" in Mexiko ausdrückt und den Einfluss des Kommunismus im Amt des Präsidenten Lázaro Cárdenas mit kritischen Augen beobachtet, gründet seine Beobachtungen auf die Erfahrungen von D.H. Lawrence: „Lawrence hat recht (sie)", erklärt Frank, als er in den in Mexiko ansässigen Deutschen die Menschen mit „moralischem Rückgrat" erkennt. Dieser kleine Satz — Lawrence hat Recht — zeigt, wie sehr Josef Maria Frank dem englischen Autor vertraute, dessen Roman er als eine Basis für seinen eigenen Text nimmt. So wie Ross und Frank von der Terminologie der Abenteuerliteratur geprägt sind und deren Terminologie, darunter etwa Konzepte wie „Indianer",4 anwenden, fungiert The Plumed Serpent insofern als Modell für Frank, dass er des Öfteren Zitate des englischen Autors zur Rechtfertigung seiner Positionen benutzt und diese sogar als Quelle zur Bildung seiner eigenen Meinung über das post-revolutionäre Mexiko heranzieht. Das Ausmaß, mit dem Frank Lawrence als Mexiko-Experte huldigt, wird umso deutlicher, wenn er den englischen Autor zum „Romancier der rätselvollen mexikanischen Seele"5 erklärt: Wohl kaum ein dichterisch Schreibender vor ihm war der rätselvollen mexikanischen Seele, der Seele dieser merkwürdig bedrückenden und wiederum merkwürdig anziehenden Landschaft und ihre, in seiner nicht überwundenen Vergangenheit und nicht zu überwindenden Blutmischung tragisch verstrickten „halberschaffenen" Volkes, so auf den Grund gekommen wie er. Er kannte dieses Land, das er liebte wie Jack London sein Kalifornien, und er kannte die Menschen dieses Landes; er hatte sie wie mit Röntgenaugen beobachtet - in vierzehn Jahren, die für die konkrete und abstrakte Ernte eines innig und bewußt gelebten Tropenlebens genügen. Er hatte auch die Weißen Mexikos, seine „Fremden", die Ausländer im Lande scharf beobachtet.6
Die Tatsache, dass Frank in der Wirklichkeit Passagen aus einem fiktionalen Text zu finden versucht, spricht für eine Verinnerlichung des Romans, da Frank hier die Fiktion nicht mehr von der Realität unterscheidet. Zwar schreibt Lawrence einen fiktionalen Roman, aber seine „Röntgenaugen", seine vermeintliche Liebe für Mexiko, 4 5 6
Dieser Aspekt wird im fünften Kapitel der vorliegenden Dissertation vertieft. Frank, Mexiko ist anders 268. Frank, Mexiko ist anders 333.
Kapitel VII
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die Auseinandersetzung mit Themen, die auch Frank interessierten, und die Tatsache, dass Lawrence anscheinend vierzehn Jahre in Mexiko gelebt hat, 7 machen aus dem Roman einen vertrauenswürdigen Text, auf welchen der Reisende zurückgreifen kann, als ob es sich um einen realen Bericht handele. Die gefiederte Schlange ist laut Frank der „aufschlußreichste Roman des heutigen Mexiko". 8 Obwohl viele Kritiker The Plumed Serpent als ein gutes Beispiel eines Reiseberichts 9 betrachten, gilt dieser Text literarisch gesehen als fiktional. Es stellt sich die Frage, warum Josef Maria Frank diesen Roman derart realitätsnah interpretiert. Frank vermischt Realität und Fiktion beständig miteinander: Einerseits interpretiert er die Realität Mexikos aus der Sicht seiner ideologischen Einflüsse, und er legt vor allem den Fokus dorthin, wo Lawrences Einstellungen zu seiner eigenen Auffassung passen. Andererseits betrachtet er Mexiko aus einer gänzlich fiktionalen Perspektive. In diesem Sinne verschwindet das binäre Verhältnis Realität / Fiktion, denn Frank interpretiert The Plumed Serpent als einen Bericht der Realität und sieht darin nicht nur ein bloßes literarisches Werk.
2. D . H . LAWRENCE IN MEXIKO
Mexiko taucht in den Jahren nach der Revolution häufig als Reiseziel und als Motiv literarischer Reiseberichte in der englischsprachigen Literatur auf. Graham Greene, Aldous Huxley, John Reed, Jack Kerouac und Sybille Bedford sind nur die bekanntesten Beispiele. So wie bei anderen Autoren und Intellektuellen aus anderen Ländern, waren die Gründe für die Reiselust der oben genannten unterschiedlich. In den 20er und 30er Jahren überwog das Interesse an der mexikanischen Revolution als Verwirklichung sozialistischer Ideales (so wie bei Reed), wobei die Folgen der Revolution teilweise scharf kritisiert wurden (Huxley und Greene). Es darf auch nicht vergessen werden, dass Englands wirtschaftliche Interessen in Mexiko groß, und dass britische Ölkonzerne von dem Enteignungsprozess von Lázaro Cárdenas betroffen waren. Aus diesen politischen Gründen soll Graham Greene in Mexiko als Informant des britischen Geheimdienstes fungiert haben, wie Schmidt-Welle erklärt. 10 D . H . Lawrence reiste viel und hatte eigentlich vorgehabt, in die U S A
7 Frank scheint zwar das Werk von D. H. Lawrence gut zu kennen, zeigt aber unpräzise Kenntnisse bezüglich dessen Biographie. Frank behauptet, dass Lawrence vierzehn Jahre in Mexiko gelebt hatte und eine Hazienda am Sayula-See (Jalisco) besaß. In Wirklichkeit hielten sich Lawrence und seine Frau Frieda nur 1924 bis 1926 in Mexiko auf, wo sie nicht nur in Jalisco, sondern auch in Oaxaca wohnten. Zwar fing Lawrence seinen Roman The Plumed Serpent (zunächst „Quetzalcöatl" betitelt) am Sayula-See zu schreiben an, aber er besaß dort keine Hazienda. Vgl: John Worthen, „Biography," D. H. Lawrence, http://www.dh-lawrence.org.uk/biography.html (veröffentlicht von The University of Nottingham), Zugriff am 01.11.13.
Frank, Mexiko ist anders 333. David Ellis, „Here and now in Sardinia: the art of Lawrence's travel writing," D. H. Lawrence non-fiction, eds. David Ellis and Howard Mills (Cambridge: University Press, 1988) 114. 10 Friedrich Schmidt-Welle, Mexiko als Metapher. Inszenierungen des Fremden in Literatur und Massenmedien (Berlin: Tranvia - Verlag Walter Frey, 2011) 68. 8 9
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
einzuwandern. In diesem Land hatte er viel Kontakt zu den Navajo-Indigenen im Bundestaat New Mexico. Nach seinem Aufenthalt in den USA ging er 1923 mit seiner Frau Frieda Lawrence nach Mexiko, konkret an den Chapala-See in Jalisco und nach Oaxaca. In Oaxaca erkrankte er 1924 an Malaria und Dysenterie, und musste von seiner Frau unter schweren Umständen wieder in die USA gebracht werden." Es ist auch bekannt, dass er während seiner Erkrankung in Mexiko ein Erdbeben erlebte. Diese negativen Erfahrungen scheinen einen tiefen Eindruck in ihm hinterlassen zu haben.12 Zurück in den USA, verfasste er die bereits erwähnte Anekdotensammlung Mornings in Mexico (1927) und veröffentlichte 1926 den Roman The Plumed Serpent, den er schon 1924 in Mexiko mit dem Titel Quetzalcöatl zu schreiben anfing. Lawrence war nach seinem Aufenthalt in Mexiko davon überzeugt, dass die indigene Bevölkerung des Landes sich nur durch die Rückkehr zu ihrer alten Religion regenerieren könnte: [...] these people need religion, and the religion they need-the only religion they can understand, in fact-is the ancient religion of their forefathers, and not this alien religion which four centuries of effort have failed to impose on them. 13
Die Rückkehr zu dem alten aztekischen Kult ist das Hauptthema seines Romans. The Plumed Serpent handelt von einer irischen Frau, Kate Leslie, die nach Mexiko reist. Kate wird in Mexiko 40 Jahre alt und befindet sich aus diesem Grund in einer existenziellen Krise. Erstens fühlt sie sich vom mexikanischen Alltag, von der mexikanischen Bevölkerung und von dem post-revolutionären Patriotismus schockiert. Der Roman beginnt mit der Schilderung eines Stierkampfes, den sie bald verlassen muss, denn sie ist von dem grausamen Spektakel tief angeekelt. Nach dem Stierkampf lernt sie zufällig den General Cipriano Viedma kennen, einen Indigenen, der Englisch mit britischem Akzent spricht, da er nicht nur in Oxford studiert hat, sondern auch von einem englischen Priester in Oaxaca adoptiert worden ist. Kurz danach lernt sie bei einer „Tea-Party" einer englischen Archäologin den Großgrundbesitzer Don Ramön kennen. Zufallig war auch Don Cipriano dort eingeladen. Diese beiden Mexikaner freundeten sich schnell mit Kate an. Beide waren so gut gebildet, dass die englische Archäologin sie als eine absolute Ausnahme unter den Mexikanern vorstellt: „I assure you, they are both entirely the exception among Mexicans. Oh, but entirely the exception!".14 Obwohl Mexiko Kate ängstigt, erwächst in der Protagonistin allmählich eine gewisse Faszination für das Land und dessen indigene Bevölkerung. Mexikaner im Allgemeinen findet sie sympathisch, sie kann aber ihren fanatischen Patriotismus
" Aldington, Introduction, The Plumed Serpent by D. H. Lawrence (London: Penguin, 1968) 9. Aldington, Introduction 9. 13 Aldington, Introduction 9. 14 D. H. Lawrence, The Plumed Serpent (London: Penguin, 1968) 35. Ursprünglich 1926 veröffentlicht. 12
Kapitel VII
243
nicht aushalten. Diese Einstellung zeigt sich beispielsweise bei der Beschreibung eines jungen mexikanischen Studenten, der ihr die Fresken von Diego Rivera erklärt: H e could laugh with real hot young amusement, and he was n o fool. Until it came to these maniacal ideas of socialism, politics, and La Patria. Then he was as mechanical as a mousetrap. Very tedious. 1 5
Aus diesen Gründen schwankt sie dazwischen, nach Europa zurückzukehren oder in Mexiko zu bleiben. Sie entscheidet sich zu bleiben, und eines Tages verlässt sie Mexiko-Stadt und zieht zum Sayula am Chapala-See (Jalisco), wo ihr mexikanischer Freund Don Ramon eine Hazienda besitzt. Dort kommt sie mit einer Gruppe in Kontakt, die den Kult um Quetzalcöatl und andere alte aztekische Götter wieder aufleben lässt. Diese erneuerte Religion wird von ihren mexikanischen Freunden (Ramön und Cipriano) geführt. Am Ende des Romans zeigt sich Kate von dem Kult erfasst und verliebt sich in den Indigenen Don Cipriano.
3 . THE PLUMED SERPENTAUS
INTERTEXT IN MEXIKO IST ANDERS
Wie bereits erwähnt, gilt dieser Roman Josef Frank als ein wahrer Bericht des zeitgenössischen Mexikos. Zwar versucht Frank einen sachlichen, von der fiktionalen Literatur deutlich abgetrennten Reisebericht zu schreiben, aber es besteht ein auffälliges intertextuelles Verhältnis zwischen beiden Texten. Was wiederholt sich von Lawrences Roman in Mexiko ist anders? Der Reisebericht zeigt einerseits viele Motive, die typisch für viele europäische Mexiko-Reiseberichte jener Epoche sind, etwa die Darstellung eines Stierkampfs oder eines indigenen Marktes, 16 oder die Kritik an der Mexikanischen Revolution, die in anderen Kapiteln dieser Dissertation diskutiert wird. Der Einfluss von The Plumed Serpent zeigt sich in vielen Formen an mehreren Stellen der textuellen Einheit von Mexiko ist anders. Dabei kann man nicht von einer Uberschneidung der Texte ausgehen, denn The Plumed Serpent ist elf Jahre früher als Mexiko ist anders erschienen. Außerdem haben sich beide Autoren nie getroffen und es konnte dementsprechend zu keinem direkten gegenseitigen Einfluss kommen. Dennoch greift Josef Maria Frank in unterschiedlichen Formen a u f D . H. Lawrence zurück. Im Folgenden wird die Verwendung von The Plumed Serpent als Intertext dargelegt - es soll beleuchtet werden, wie und wo der Roman für Frank als Quelle nicht nur für Zitate in Mexiko ist anders (1938), sondern auch für Plagiate,
15
Lawrence, The Plumed Serpent 39. Zu diesem Thema vgl. den folgenden Artikel, in dem diese Motive bei Lawrence und Frank untersucht werden: Herrera Fuentes, „Stierkampf und indianische Märkte: Ein europäisches Bild mexikanischer Kultur in den Werken von D. H. Lawrence und Josef Maria Frank," IberoAmerikanisches Journalfür Germanistik 4 Deutsche in Lateinamerika (2010): 115-128. Für Beispiele anderer englischsprachiger Autoren vgl. Schmidt-Welle, Mexiko ab Metapher (2011). 16
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Paraphrasen und Subtexte fungiert. Schließlich wird gezeigt, wie diese Indizien auf ein direktes Verhältnis zwischen beiden Texten hinweisen können.
a) Zitate Josef Maria Frank zitiert The Plumed Serpent insgesamt fünf Mal auf Grundlage der deutschen Version Die gefiederte Schlange aus dem Jahr 1932. Nicht alle diese Zitate sind relevant, die folgenden Ausfuhrungen fokussieren die relevantesten Abschnitte. Die ideologischen Parallelen zwischen Lawrence und Frank sind bei zwei konkreten Themen deutlich erkennbar: einerseits die Vorstellung, dass sich in dem postrevolutionären Mexiko die Primitivität der alten Kulturen ausdrückt, andererseits die Idee, dass die Auferstehung des alten Mexikos als ein Angriff auf die westliche Zivilisation zu verstehen ist. Wenn Frank seine Ausfuhrungen zu diesen Themen rechtfertigen will, greift er auf Zitate aus The Plumed Serpent zurück. Trotz der ideologischen Ähnlichkeiten haben die zitierten Teile aus The Plumed Serpent in dem ursprünglichen Kontext eine andere Auswirkung als im Reisebericht, in dem Frank die Interpretation nur selektiv durchführt oder auf seine eigene Perspektive beschränkt. Architektonisch sieht Josef Maria Frank in der Hauptstadt die Zeichen des alten Mexikos versteckt. Diese Vorstellung wird bei der Beschreibung von Mexiko-Stadt suggeriert. Während eines Spaziergangs im Zentrum der Hauptstadt kontrastiert Frank die moderne und koloniale Architektur mit der zeitgenössischen politischen Situation: M a n bewunderte noch eben einen bezaubernden altspanischen Patio, wie ein Stück aus einer bunten Alhambra-Phantasie, begeisternd schöne Balkongitter und glasierte Kacheln eines alten Palacio: da stockt man unvermittelt vor einem modernsten Betonklotz, vor Hochhäusern, die in ehrlich sachlichem oder marmorverkleidetem Jugendstil aufsteigen. 17
Aber diese faszinierte Beschreibung (s.o. die Betonung auf „bezaubernd", „begeistern", „in... Jugendstil aufsteigen") wird von einer großen „kommunistischen Studentendemonstration" 1 8 unterbrochen, und Frank lenkt seine Aufmerksamkeit auf die Menge der Demonstranten. Auffällig sind die Platten, die man dabei spielt. Es sind „alte, in Europa längst abgelegte marxistische Ladenhüter". 19 Nachdem Frank auf diese „chaotische" Demonstration trifft, geht er weiter zum Nationalmuseum. Dort betrachtet er, wie amerikanische Touristen und Indigene von ehrenamtlichen jungen „Studentenkommunisten" durch die alten aztekischen Artefakte geführt werden. Diese Museen-Führer sind auch damit beauftragt, den Besuchern die Fresken von Diego Rivera im Nationalpalast zu zeigen:
17 18 15
Frank, Mexiko ist anders 202. Frank, Mexiko ist anders 203. Frank, Mexiko ist anders 203.
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Sie zogen zum Nationalpalast u n d stiegen die breite Freitreppe hinauf - z u r grellen Demagogie der mit raffiniertester Bilderbuchmal- u n d Hasstechnik marxistisch .gemeisterten' Kolossalfresken Diego Riveras, des smart-eleganten mestizischen Freundes jenes bekannten Herrn Trotzki. 20 D i e s e Passage d e u t e t a u f eines d e r h ä u f i g s t e n M o t i v e bei F r a n k u n d Ross h i n : d i e A s s o z i i e r u n g des K o m m u n i s m u s m i t d e n A z t e k e n . D i e s e I d e e eines m o d e r n e n , d u r c h a u s sozialistischen M e x i k o s , in d e m d i e a n g e b l i c h e P r i m i t i v i t ä t der A z t e k e n z u m A u s d r u c k k o m m t , w i e d e r h o l t sich bei D . H . L a w r e n c e . W i e F r a n k sieht a u c h K a t e Leslie i n The Plumed
Serpent in der W a n d m a l e r e i D i e g o Riveras n u r p o l i t i s c h e
P a r o l e n d e r R e v o l u t i o n u n d k e i n e K u n s t : „They are t o o ugly. T h e y defeit their o w n e n d s " u n d „ T h e y are like v u l g ä r a b u s e , n o t a r t at all". 2 1 U n d a u c h K a t e reflektiert n a c h e i n i g e n T a g e n in M e x i k o - S t a d t ü b e r die Aggressivität d e r alten Z i v i l i s a t i o n e n M e x i k o s , d i e sich h i n t e r d e r Fassade des m o d e r n e n L a n d e s v e r b i r g t . U n d a u c h i n L a w r e n c e s R o m a n w i r d dieser Z u s a m m e n h a n g d u r c h e i n e a r c h i t e k t o n i s c h e
und
l a n d s c h a f t l i c h e B e s c h r e i b u n g d e r H a u p t s t a d t a n g e d e u t e t , die F r a n k in s e i n e m Reiseb e r i c h t z u r V e r v o l l s t ä n d i g u n g seiner e i g e n e n Sicht zitiert - u n d s e l b s t v e r s t ä n d l i c h z u r R e c h t f e r t i g u n g d e r e i g e n e n Position, dass M e x i k o - S t a d t „eine t u r b u l e n t e S t a d t " sei, „ m a n sage, w a s m a n will, es ist eine g e f ä h r l i c h t u r b u l e n t e S t a d t " , 2 2 b e t o n t d e r A u t o r u n d f ü g t i m A n s c h l u s s das f o l g e n d e Z i t a t h i n z u :
M a n erinnert sic\\ jäh, wie las man doch noch bei D. H . Lawrence in seinem ausgezeichneten Mexiko-Roman von der „Gefiederten Schlange": „... unter dem weit blauen Himmel ragte der Popocatepetl in die Luft, riesenhaft, schneebedeckt. Aus seinem Gipfel stieg Schlangenhaft eine lange, dunkle Rauchsäule. Der Ixtaccihuatl, die weiße Frau, glitzerte in scheinbarer Nähe. Da standen die beiden Ungeheuer, gigantische, furchtbare Wächter des mexikanischen Tales, dieser hohen, blutigen Wiege der Menschheit ... äußerlich war es sicher sehr nett: mit den Villen Vorstädten, den schönen Straßen im Zentrum der City, den tausenden Automobilen, den Tennis- und Bridge-Partien. Herrlich schien jeden Tag die Sonne, und große, helle Blüten schmückten die Bäume. Ein reiner Festtag! Bis man allein mit ihm war. D a n n vernahm man das leise, wütende Surren eines nachtgefleckten Jaguars. Eine schwere Last drückte den Geist nieder: die großen Windungen der Schlange der Azteken, der Schlange der Toltecs, die sich um einen wand u n d auf der Seele lastete. U n d vor die hellste Sonne legte sich dunkler Nebel aus wütendem, machtlosem Blut, und die Wurzeln der Blumen standen in vergossenem Blut. Der Geist der Stadt war grausam, niederdrückend, zerstörend ,.." 23
20
Frank, Mexiko ist anders 205. Lawrence, The Plumed Serpent 59. 22 Frank, Mexiko ist anders 205. 23 Frank, Mexiko ist anders 205. Der Originaltext lautet: „...under the blue sky of the distance, Popocatepetl stood aloof, a heavy giant presence under heaven, with a cape of snow. And rolling a long dark roll of smoke like a serpent. Ixtaccihuatl, the White Mountain, glittered and seemed near, but the other mountain, Popocatepetl, stood farther back, and in shadow, a pure cone of atmospheric shadow, with glinting flashes of snow. There they were, the two monsters, watching gigantically and 21
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Frank schließt für ihn irrelevante Zeilen aus dieser Passage aus und konzentriert sich auf die Beschreibung der Vulkane und auf die oberflächliche Modernität der Stadt. Bemerkenswert ist sein emotives Verhältnis zu Lawrences Roman, an den er sich „jäh" erinnert und den er als „ausgezeichnet" beschreibt. Im Originaltext geht es um eine Überlegung des Erzählers, mit der sich Frank identifiziert. Im Roman ereignet sich diese Passage, nachdem sich die Protagonistin Kate Leslie von dem bei ihrem Stierkampfbesuch erlittenen Schock zu erholen versucht. Kate kontrastiert stets das nette Verhalten der Mexikaner mit der Gewalt der mexikanischen Geschichte und Gegenwart - aber sie betont auch die brutalen Verhältnisse in Mexiko: Kriminalität, die Folgen des Revolutionskrieges und die politischen Unruhen. Auch bei Lawrence ist die Schönheit der Hauptstadt eine oberflächliche Fassade: „Superficially, Mexico might be all right". Für Kate steckt die Brutalität der Geschichte und der Gegenwart (z.B. die Demonstrationen kommunistischer Studenten bei Frank) hinter dem sanften Gesicht Mexikos (die schöne Architektur). Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied zwischen dem Zitat im originalen Kontext von Lawrences Romans einerseits, und der Übersetzung im neuen Kontext von Mexiko ist anders andererseits. So bezieht sich Frank auf den Kommunismus, während Lawrences Text an der Stelle frei von allen politischen Konnotationen bleibt und sich mehr auf den metaphysischen Aspekt bezieht. Während die aztekische Vergangenheit für Frank die Basis für feine kommunistische Republik bereitete, ist die präkolumbianische Antike bei Lawrence ein grundlegendes und altes, wenn auch gewalttätiges Element des mexikanischen Geistes. Es geht in The Plumed Serpent nicht so sehr um Politik als vielmehr um die mexikanische Seele: A n d then the undertone was like the low, angry, snarling purring of some jaguar spotted with night. There was a ponderous, down-pressing weight upon the spirit, the great folds of the dragon ofthe Aztecs, the dragon of the Toltecs winding around one and weighing down the soul. And on the bright sunshine was a dark stream of an angry, impotent blood, and the flowers seemed to have their roots in spilt blood. The spirit of place was cruel, down-dragging, destructive. 24
Auffällig sind Motive, die sich auf Blut („blood"), Ärger („angry, snarling purring") und Dunkelheit (die Farbe des Jaguars, die Nacht) beziehen, die sich sowohl im
terribly over their lofty, bloody cradle of men, the Valley of Mexico. [...] Superficially, Mexico might be all right: with its suburbs of villas, its central fine streets, its thousands of motor-cars, its tennis and its bridge-parties. The sun shone brilliantly every day, and big bright flowers stood out from the trees. It was a holiday. Until you were alone with it. And then the undertone was like the low, angry, snarling purring of some jaguar spotted with night. There was a ponderous, down-pressing weight upon the spirit: the great folds of the dragon of the Aztecs, the dragon of the Toltecs winding around one and weighing down the soul. And on the bright sunshine was a dark stream of an angry, impotent blood, and the flowers seemed to have their roots in spilt blood. The spirit of place was cruel, down-dragging, destructive" (Lawrence, The Plumed Serpent 55). 24
Lawrence, The Plumed Serpent 55.
Kapitel VII
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originalen als auch im übersetzten Text befinden. Die Anspielung auf den geistlichen Aspekt zeigt sich in beiden Versionen durch Wörter wie „spirit" / „Geist" und durch die Darstellung der Vulkane Popocatepetl und Iztaccihuätl als zwei „furchtbare Wächter", oder wie sie Lawrence nennt, „two monsters, watching gigantically and terribly over their lofty, bloody cradle of men, the Valley of Mexico". 25 In der Übersetzung fehlt allerdings ein wichtiges Wort, das den geistlichen Charakter von The Plumed Serpent entpuppt: die Beschreibung von Quetzalcöatls als „dragon", und nicht als „serpent" oder „Schlange", wie es im deutschen Text steht. Das Bild eines Drachens ist repräsentativ für die christliche Ikonografie, gilt es doch als Symbol des Teufels im Buch der Apokalypse. Das Symbol ist auch sehr präsent in der Christianisierung der Britischen Inseln - wo Lawrence her kam Saint George kämpft in der populären Darstellung gegen einen Drachen. Auf diese Weise verbindet Lawrence die aztekische Gottheit mit dem christlichen Teufel, und durch diese religiöse Anspielung, die sich deutlich von den politischen Konnotationen in Franks Text unterscheidet, trennt sich The Plumed Serpent von Mexiko ist anders. Ein bedeutender Kritikpunkt gegen die Mexikanische Revolution ist für Josef Maria Frank die ungleiche Verteilung der Ackerländer und die Verfolgung der Kirche. Widersprüchlich findet er, dass nur einige Haziendas zerteilt wurden - ausgespart blieben dagegen diejenigen der ehemaligen Präsidenten wie Plutarco Elias Calles und Alvaro Obregön. Er sah auch ein Paradoxon in der Verfolgung der katholischen Kirche. Trotz der Frömmigkeit der Mexikaner wurden viele Kirchen geschlossen - und sie wurden seitens des Staates nur für den Tourismus gut erhalten. Symbole für diese Themen sind die Haziendas und die Kirchen als architektonische Artefakte. Frank widmet diesem Thema ein kleines Kapitel mit dem Titel „Zwischen zerbröckelnden Kirchen und zerfallenden Hazienden", in dem er die Bedeutung dieser Gebäude für die Prägung der mexikanischen Landschaft erklärt: „Sie heben sich überall, unerwartet und unvermutet, aus dieser merkwürdigen und so sprunghaften Landschaft ", 26 Schließlich deutet Frank kritisch auf den misslungenen Versuch der Revolution hin, den Boden unter den armen Indigenen zu teilen: „ Es gibt immer noch eine ganz schöne Menge Großhazienden. Und wenn sie heute nicht gestorben sind, werden sie auch morgen und übermorgen noch leben. Sie liegen in Mexiko". 27 Dieses Kapitel fängt Frank mit einem Zitat aus The Plumed Serpent an: Mexiko [...] großes, steiles, wildes Land! In jeder Landschaft mit einer schönen Kirche, die sich gleichsam aus d e m Nichts erhebt. Von Revolutionen zerrissene Landschaft mit großen Kathedralen, deren Kuppeln an Blasen erinnern, die bersten wollen; deren Zinnen u n d T ü r m e wie die zitternden Pagoden einer unwirklichen Rasse anmuten - wie Geister, die darauf warten, daß man sie verjage, empor über den Lehm- und Strohhütten der Eingeborenen. Herrliche, verfallene Hazienda mit verfallenen Alleen, die nach ihrem
25
Lawrence, The Plumed Serpent 55.
26
Frank, Mexiko ist anders 268.
27
Frank, Mexiko ist anders 270.
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vergangenen Glänze führen. U n d die großen und die kleinen Städte, die die Spanier hervorzauberten aus dem Nichts. Steine leben und sterben mit dem Geiste der Erbauer. Der Geist der Spanier in Mexiko stirbt - in der Mitte der Plaza sammeln sich wieder die Eingeborenen, die besiegte Rasse. 28
Herausgenommen aus dem originalen Kontext fungiert dieser Absatz als Ausgangspunkt zu weiteren Ausführungen über die bereits erwähnten Themen. Josef Maria Frank weicht dabei allerdings erneut von The Plumed Serpent ab, indem er den Fokus auf die Politik und nicht auf das Geistige legt. Der Erzähler im Roman erklärt mit schwerem Pessimismus, wie die „weißen Menschen" ( white men) ihren Geist in Mexiko aufgaben und verloren: „White men had had a sould, and lost it". 29 D. H. Lawrence bedauert, dass die in Mexiko lebenden Ausländer, und im Allgemeinen die „weiße Rasse", ihren Charakter durch den Kolonialismus verloren hätten: „And all the efforts of white men to bring the soul of the dark men of Mexico into final clinched being has resulted in nothing but the collapse of the white man". 30 Aber was meint der Autor genau mit „Kollaps"? Lawrence spielt hier deutlich auf den Verlust der wirtschaftlichen Macht an, und der weiter oben genannte Verlust des Geistes kann aus einer breiteren Perspektive als der Niedergang des Kolonialismus verstanden werden. Lawrence, der seinen ganzen Roman mit einem religiösen, mystischen Ton verfasste, sieht in den Folgen der Mexikanischen Revolution (Zergliederung der Ackerländer in ausländischen Händen, Verfolgung des Katholizismus) einen geistigen Misserfolg: „Seeking to save another man's soul, the white man lost his own, and collapsed upon himself'. Lawrence begreift den Kolonialismus als eine moralische Aufgabe. Die Europäer hätten aufgrund ihrer moralischen Überlegenheit die Pflicht und das Recht, die Welt zu erobern und über andere Kulturen zu herrschen. Der spanische Kolonialismus wird in The Plumed Serpent als der „Anfangspunkt" der Zivilisation in Mexiko verstanden: „And the cities of Mexico, great and small, that the Spaniards conjured up out of nothing. Stones live and die with the spirit of the builders". 31 Auffällig sind hier die Begriffe ,Steine' (stones) und .Erbauer' ( builders ) als architektonische Metaphern für
28 Frank 268. Der Originaltext lautet: „Mexico! The great, precipitous, dry, savage country, with a handsome church in every landscape, rising as if it were out of nothing. A revolution broken landscape, with lingering, tall, handsome churches whose domes are like inflations that are going to burst, and whose pinnacles and towers are like the trembling pagodas of an unreal race. Gorgeous churches waiting, above the huts and straw hovels of the natives, like ghosts to be dismissed. And noble ruined haciendas, with ruined avenues approaching their broken splendor. And the cities of Mexico, great and small, that the Spaniards conjured up out of nothing. Stones live and die with the spirit of the builders. And the spirit of Spaniards in Mexico dies, and the very stones in the building die. The natives drift into the centre of the plazas again, and in unspeakable empty weariness the Spanish buildings stand around, in a sort of dry exhaustion" (Lawrence, The Plumed Serpent 86). 29 30 31
Lawrence, The Plumed Serpent S3. Lawrence, The Plumed Serpent 83. Lawrence, The Plumed Serpent 83.
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die Entstehung Mexikos - als ob es keine Zivilisation vor der spanischen Eroberung gegeben hätte. In diesem Teil des Romans geht es deutlich um eine Rechtfertigung des Kolonialismus, wie sie auch Colin Ross in Der Balkan Amerikas (1937) anspricht, und wie sie viele französische und englische Autoren, etwa Joseph Conrad und andere, thematisieren.32 In diesem Sinne ist der von Frank zitierte Absatz als eine Klage zu verstehen, in der Lawrence den Verlust der europäischen kolonialen Herrschaft über Mexiko bedauert und den Kolonialismus als eine moralische und geistliche Aufgabe versteht. Diese Vorstellung kann man besser nachvollziehen, wenn man auf Vokabular wie conjure (zaubern) und spirit (Geist) achtet, das Lawrences mystisches Verständnis der Kolonisierung durch die Europäer verdeutlicht, so wie es insbesondere die Betrachtung von Steinen (Synekdoche für Gebäude) als lebendige Objekte zeigt: „And the cities of Mexico, great and small, that the Spaniards conjured up out of nothing. Stones live and die with the spirit of the builders".33 Ahnlich wie es bei dem weiter oben diskutierten Zitat der Fall ist, ignoriert Josef Maria Frank auch an dieser Stelle wieder die implizite Religiosität von Lawrences Text in seinem Reisebericht und wandelt dessen ursprüngliche geistliche Bedeutung in einen politischen Sinn um.
b) Plagiate, Paraphrasen und
Anspielungen
Obwohl D. H. Lawrence in Mexiko ist anders einen großen Stellenwert hat, lassen sich erstaunlicherweise einige textuelle Ähnlichkeiten zwischen Franks Reisebericht und The Plumed Serpent aufzeigen, die auf Paraphrase oder Plagiate hinweisen. Zwar tauchen ähnliche Motive auch in der übrigen ausländischen Mexiko-Literatur der Revolutionszeit auf, aber in dem Fall von Josef Maria Frank ist deutlich erkennbar, inwiefern er - bewusst oder unbewusst — Teile aus The Plumed Serpent ohne weitere Hinweise übernahm, wobei die Grenze zwischen einem Plagiat und einer Paraphrase nicht in allen Fällen einfach zu ziehen ist. An anderen Stellen wird darüber hinaus deutlich, dass The Plumed Serpent generell als Subtext für Mexiko ist anders fungiert zu haben schien, denn an diesen Stellen ist kein direktes Zitat oder keine direkte Paraphrase zu erkennen, es gibt allerdings Anspielungen, die auf den Einfluss von Lawrence auf Frank hindeuten. Bemerkenswert ist Franks Hetze gegen die Vermischung der Rassen, konkret gegen die vermeintlichen inneren Widersprüche der Mestizos, die er in einem Kapitel über den Konflikt um die politischen und wirtschaftlichen Interessen in Mexiko darlegt. Seine Zeilen waren insbesondere deshalb relevant, weil sie auch in der deutsch-mexikanischen Zeitung Alemania Libre zu einiger Polemik führten,34 wobei
32 33 34
Vgl. Edward Said, Culture and Imperialism (London: Vintage, 1994) 28. Lawrence, The Plumed Serpent 86. Vgl. den Teil aus Kapitel III über die Rezeption von Mexiko ist anders in Alemania Libre.
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sie dem Reisenden zugeschrieben wurden, ohne zu bemerken, dass der Abschnitt seinen Ursprung in Lawrences Roman hat. Der Text aus dem Reisebericht lautet: Wann aber werden diese Rassen von dem viel gefährlicheren als dem schon so gut wie ausgelöschten Blut der reinen Weißen, vom eigenen Halbblut befreit sein? Vom „Menschen, der weder das eine noch das andere und in sich geteilt ist, dessen Blut der einen Rasse das und dessen Blut der anderen Rasse jenes will", dessen Blutmischung Quell allen Unglücks für sich selber und den anderen ist.35
Die Anführungszeichen deuten auf ein Zitat hin, für welches Frank aber keine Quelle angibt. Auf den ersten Blick scheint es, dass es sich um einen Absatz aus dem Roman handelt, wobei die anderen Zeilen als eine Paraphrase erscheinen. Diese Ideen, die auf einen Dialog aus dem Kapitel „Fortieth Birthday" aus The Plumed Serpent zurückzuführen sind, tauchen im Roman nicht mit den gleichen, jedoch mit sehr ähnlichen Worten auf. Diese Ähnlichkeit zeigt sich in Mexiko ist anders nicht nur an der gleichen Vorstellung der „Rassenmischung", sondern auch an der Verwendung von SchlüsselbegrifFen, die auch in The Plumed Serpent auftauchen. Bei Lawrence geht es um eine Passage, in der die Protagonistin Kate nach ihrem 40. Geburtstag zu einem Abendessen bei Don Ramón in Tlalpan eingeladen wird. Am Tisch diskutieren die Gäste über das Schicksal des mexikanischen Volkes und der Nation. Owen, der amerikanische sozialistische Freund von Kate, spricht sich für das Recht der Mexikaner aus, die Zukunft des eigenen Landes selbst zu bestimmen, und betont die Notwendigkeit der Mexikaner, sich von dem ausländischen Einfluss zu befreien. Darauf antwortet eine Figur namens Toussaint sehr kritisch, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass er Mexikaner europäischer Herkunft ist. Auffällig sind seine rassistischen Äußerungen über die Vermischung der Ethnien: "They are at the mercy of something worse than outsiders," said Toussaint. "Let me tell you. They are at the mercy of their own natures. It is this way. Fifty percent of the people in Mexico are pure Indian: more or less. Of the rest, a small proportion are foreigners or Spaniard. You have then the mass which is on top, of mixed blood, Indian and Spaniard mixed, chiefly. These are the Mexicans, those with the mixed blood. [...] I myself have French, Spanish, Austrian, and Indian blood. Very well! Now you mix blood of the same race, and it may be all right. Europeans are all Aryan stock, the race is the same. But when you mix European and American Indian, you mix different blood races, and you produce the half-breed. Now, the half-breed is a calamity. For why? He is neither one thing nor another, he is divided against himself. His blood of one race tells him one thing, his blood of
another race tells him another. He is an unfortunate,
a calamity to himself. And it is hopeless."36
Die zweite Hälfte des deutschen Texts, in der Frank Anführungszeichnen verwendet, sind eine deutliche Paraphrase des herausgehobenen englischen Zitats. 35 36
Frank, Mexiko ist anders 146. Lawrence, The Plumed SerpentlQ.
Hervorhebung von mir vorgenommen.
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Außerdem sind Schlüsselbegriffe wie „Halbblut" / „half breed" und „Unglück" / „calamity" erkennbar, die auf ein direktes Verhältnis zwischen beiden Texten hindeuten. Der fiktionale Text fungiert auf diese Weise als ein Beleg für die Realität des mexikanischen Volkes, so wie Josef Maria Frank sie versteht. Und bei diesem Übernahmeprozess (d.h. die Integrierung des Originaltextes) bleibt ein Teil des Schlüsselvokabulars erhalten. Eine weitere Paraphrasierung von Textpassagen aus The Plumed Serpent lässt sich an den zwei Stellen auffinden, an denen Josef Maria Frank seiner Leserschaft die ethnische Vielfalt Mexikos erklärt. Die erste Stelle befindet sich nahe am Anfang, wo Frank über „Mexikos Indianer" als „keine einheitliche Masse"37 spricht. Mexikanische Indigene seien laut Frank eher mehrere „Indianer-Nationen", die noch ihre „alten Sprachen" sprechen, „die sich nicht weniger voneinander unterscheiden wie die Sprachen europäischer Nationen".38 Gegen Ende des Reiseberichts thematisiert er diese Vielfalt erneut und erklärt sie als ein Problem, nicht nur für das Verständnis, sondern auch für das Zusammenleben: „so wenig sie ihre Sprache verstehen, so wenig verstehen sie auch sich selber [...]. Es scheint ein weiter Weg von hier zur .Nation', es scheint günstigstenfalls nur ein Weg möglich zu einem indianischen .Nationalitätenstaat'".39 Diese Vorstellungen haben ihren Ursprung in The Plumed Serpent, in dem der Erzähler nicht nur die Sprachenvielfalt, sondern auch den Vergleich zu den europäischen Nationen anspricht, während Kate Leslie auf einem Fluss nach Sayula fährt und die halbnackten Körper indigener Männer mit erotischem Erstaunen betrachtet: The wild, sombre, erect men of the north! The too-often degenerate men of Mexico Valley, their heads thorugh the middle of their ponchos\ The big men in Tlascala, selling ice-cream or huge half-sweetened buns and fancy bread! The quick little Indians, quick as spiders, down in Oaxaca! The queer-looking half-Chinese natives towards Vera Cruz! The dark faces and the big black eyes on the coast of Sinaloa! The handsome men of Jalisco, with a scarlet blanket folded on one shoulder! They were of many tribes and many languages, and far more alien to one another than Frenchmen, English, and Germans are. Mexico! It is not really even the beginning of a nation: hence the rabid assertion of nationalism in the few. And it is not a race. Yet it is a people. There is some Indian quality which pervades the whole.40
Frank scheint den Vergleich Mexikos mit Europa von Lawrence übernommen zu haben: So, wie Frank die indigenen Sprachen mit den Sprachen der „europäischen Nationen" vergleicht, parallelisiert auch Lawrence die Unterschiede unter Stämmen und ihren Sprachen mit der Differenz zwischen Franzosen, Engländern und Deutschen. Der Unterschied zwischen beiden Passagen ist, dass Frank in dieser 37 38 35 40
Frank, Mexiko ist anders 74. Frank, Mexiko ist anders 74. Frank, Mexiko ist anders 318. Lawrence, The Plumed Serpent 83.
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Vielfalt das Scheitern einer einzigen „Nation" erkennt, während Lawrence das indigene Element als prägend für „das Ganze" (the whole) beschreibt und darin kein grundsätzliches Problem für Mexiko sieht. Man darf nicht vergessen, dass Frank Mexiko aus einer essentialistischen, nationalsozialistischen Perspektive betrachtet, aus welcher die beschriebene Vielfalt im starken Gegensatz zu Schlüsselkonzepten der NS-Ideologie wie Einheit und Reinheit steht. Demgegenüber versucht Lawrence in seinem Roman, im indigenen Element die Quintessenz der mexikanischen Seele zu finden, welche Mexiko, dessen Einwohner und sogar die ausländische Reisende Kate Leslie grundlegend prägt. In The Plumed Serpent wollen ein ,Mestizo Hazendado' (Don Ramön Carrasco) und ein General der mexikanischen Armee indigener Abstammung (Don Cipriano Viedma, der auch in Oxford studierte) die alte Religion der Azteken wieder einfuhren. Auch wenn sie eine unterschiedliche ethnische Herkunft haben und deutlich von der europäischen Zivilisation geprägt sind, haben beide eine Verbindung zum aztekischen Mystizismus. Am Ende des Romans wird sogar Kate Leslie von diesem Mystizismus berührt, denn sie traut sich nicht, Mexiko zu verlassen - denn bevor sie wieder nach Southampton geht, erklärt ihr Cipriano seine Liebe. „You won't let me go!",41 antwortet Kate auf seine Liebeserklärung.
4 . EPILOG: W A S Q U E T Z A C Ö A T L IN M E X I K O SAH
Josef Maria Frank schließt seinen Reisebericht zwar mit einer Überlegung zu deutschen Migranten in Mexiko, bei welcher er optimistisch auf ihre Zukunft im Land eingeht. Dennoch durchzieht die Idee, dass die Tage des „weißen Mannes" in Mexiko gezählt seien, fast den ganzen Reisebericht. Wie im Laufe dieser Dissertation dargelegt wurde, sehen Colin Ross und Josef Maria Frank in Mexiko die Rückkehr der alten präkolumbianischen Verhältnisse in einem kommunistischen Staat. Auch wenn D. H. Lawrence sich nicht so tiefgreifend von einem politischen Standpunkt beeinflusst zeigt, sondern das Thema vielmehr aus einer religiösen, geistigen Perspektiven heraus angeht, verschafft die Thematik von The Plumed Serpent dem deutschen Reisenden Josef Maria Frank eine literarische Basis, um seine Ansichten zu legitimieren. Ganz am Ende von Mexiko ist anders fügt er einen Text aus The Plumed Serpent hinzu, in dem in Form einer langen (133 Versen), von Don Ramön verfassten und als „What Quetzalcoatl Saw in Mexico" betitelten Hymne die Rückkehr des weißen Gottes nach der Revolution beschrieben wird. In diesem Text fragt Quetzalcoatl die Mexikaner, wer alle diese Fremden (stränge faces) im Land seien. Das Volk antwortet, es seien Ausländer, die die Fabriken, das Ol, die Ackerländer und ihre Früchte besäßen. Der Gott fragt sie, ob sie Gefallen an der Technologie und den Produkten der Fremden finden würden, und die Mexikaner antworten begeistert: „How nice if we could take all these things away from the foreigners, and / possess them! / Take back our lands and silver and oil, take the trains and the factories / and the automobiles / And play
41
Lawrence, The Plumed Serpent 462.
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with them all the time! / How nice!". 4 2 Diese Strophe, die auf die Enteignung des ausländischen Kapitals hinweist, wird gefolgt von der Antwort Quetzalcöatls, der sich über die Reaktion ärgert und die Mexikaner wegen der Sünde verflucht, den Ausländern die Ländereien und Produkte abgenommen zu haben: Oh, fools! Mexicans and peons! / W h o are you, to be masters of machines which you cannot make? / Which you can only break? / Those that can make are masters of these machines. / Not you, poor boobs. [...] Oh, dogs and fools, Mexicans and peons! Wateryhearted, with wishy-washy knees. / Sulky in spirit, and inert. / What are you good for, but to be slaves, and rot away?43
D . H. Lawrence entlarvt in diesem langen Gedicht seine pro-kolonialistischen Ansichten. Abgesehen von dem Paradoxon, dass diese Hymne von den Anhängern der neuen Religion gesungen werden sollte, sind diese Verse eine deutliche Anspielung auf die politische Debatte nach der Mexikanischen Revolution. An dieser Stelle ist Josef Maria Franks Unterhaltung mit ausländischen Unternehmern auf dem Schiff nach Veracruz heranzuziehen, bei der sich ein gewisser Mr. Füller über den nationalistischen Wahn in Mexiko beschwert: „Sie gehen zu weit, Senor! Was Mexiko geworden ist, im Guten meine ich, verdankt es schließlich doch nur uns Fremden". 4 4 In der Hymne „What Quetzalcoatl Saw in Mexico" erkannte Josef Maria Frank zwei zu ihm passende Vorstellungen, nämlich erstens die Darstellung der Mexikaner als Kinder („and play with them all the time"), die mit ausländischer Technologie und ausländischen Gütern spielen, welche sie selbst nicht herstellen können, und zweitens der auffällige Hinweis auf den Kolonialismus („What are you good for, but to be slaves, and rot away?"). Trotzdem gibt Frank nicht die ganze Hymne wieder. Aus der Übersetzung wählt er 6 6 Verse aus, darunter insbesondere die ersten Zeilen, die wie beschrieben die Rückkehr des irritierten Gottes und die Haltung der Mexikaner gegenüber den Ausländern beschreiben, sowie weitere Passagen aus der Mitte des Textes, in welchen durch eine direkte Anspielung auf die biblische Apokalypse der Tag des Jüngsten Gerichts als Bestrafung für die Enteignungen evoziert wird:
Seht! Ihre großen Drachen fesselt die Welt, / doch im Kosmos regen sich wütend die Drachen. / Der Drachen der enttäuschten Toten, / die schlafen im schneeweißen Norden, / schlägt im Schlaf mit dem Schweif, / die Winde heulen, die kalten Felsen raunen. / Die Geister der kalten Toten pfeifen ins Ohr der Welt: Seid bereit zum Gericht! 45
Lawrence, The Plumed Serpent 270. Lawrence, The Plumed Serpent 270. 44 Frank, Mexiko ist anders 14. 45 Frank, Mexiko ist anders 354. Der Originaltext lautet: „Lo! The universe tangles its great dragons, / The dragons in the cosmos are stirring with anger again./ The dragon of the disappointed dead, that sleeps in the snow-white north / Is lashing his tail in his sleep; the winds howl, the cold rocks round. / The Spirits of the cold dead whistle in the ears of the world. / Prepare for doom", (Lawrence, The Plumed Serpent 271). 42
43
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Auffällig ist die Figur des Drachens als Symbol des christlichen Antichristus. Aber in diesem Fall wird dieser als eine strafende Figur verstanden, und nicht als eine böse Entität, die die Welt korrumpieren will. Außerdem weist die Erwähnung des kalten „Nordens" auf die geographische Lage der Vereinigten Staaten und England hin. Der Drache und seine Bestrafung der Mexikaner können deshalb als eine Anspielung auf die politischen Maßnahmen der kolonialen Mächte gegen Mexiko aufgefasst werden. Es ist aufschlussreich, dass Josef Maria Frank seinen Reisebericht gerade auf diese Weise beendet. Auch wenn NS-Deutschland kein koloniales Interesse in Mexiko verfolgte, scheint der Autor sich mit den Engländern und Amerikanern zu identifizieren - allerdings nicht politisch oder weltanschaulich, sondern als Angehöriger der gleichen weißen, und somit „arischen" Rasse. Die vorliegenden Ausfuhrungen zeigen neue Forschungsmöglichkeiten und -fragen auf: Welche literarischen Mexiko-Texte aus dem englischen Sprachraum wurden in NS-Deutschland rezipiert? Welcher Zusammenhang besteht zwischen den geopolitischen Reiseberichten aus der NS-Zeit und den Reiseberichten anderer Kulturräume? Insofern ist dieses Kapitel nicht nur als eine Untersuchung der wenigen, jedoch relevanten Spuren von D. H. Lawrences The Plumed Serpent in Mexiko ist anders zu verstehen, sondern auch als ein erster Schritt, um eine breitere textuelle Genealogie zwischen dem deutschen Reisebericht aus der NS-Zeit und der Weltliteratur aufzuzeigen.
EXKURS: JOSEF MARIA FRANK UND DIE MEXIKANISCHEN FASCHISTEN
Im zweiten Kapitel wurde gezeigt, wie sich Josef Maria Frank in persönlichen Dokumenten, die nach dem Krieg verfasst wurden, von dem Nationalsozialismus distanziert, indem er diese Epoche verdrängt. Wie bereits erwähnt wurde, finden sich in Mexiko ist anders keine direkten Hinweise des Autors auf NS-Deutschland. Trotzdem erlaubt die Analyse vieler Passagen seines Reiseberichts Rückschlüsse auf die Verinnerlichung der NS-Ideologie und- Weltanschauung seitens Josef Maria Franks. Außerdem sympathisierte Frank offensichtlich mit einer faschistischen Gruppe in Mexiko: Den Camisas Doradas. 1933 wurde die Acción Revolucionaria Mexicanista gegründet, eine paramilitärische Organisation, die als nationalistisch, anti-kommunistisch, ausländerfeindlich und insbesondere als anti-semitisch definiert werden kann.1 Da ihre Mitglieder nach italienischem und deutschem Vorbild goldene Hemden trugen, war diese Gruppe als Camisas Doradas bekannt.2 Sie waren offen antisemitisch und Gegner des Präsidenten Lázaro Cárdenas und seiner sozialistischen Politik, durch die laut dieser Organisation ein „kommunistischer Staat" in Mexiko gegründet worden sei.3 Ihr Leiter war Nicolás Rodríguez, der General Saturnino Cedillo zwischen 1937 und 1938 bei der Planung eines Aufstands gegen das Regime Cárdenas unterstützte.4 Josef Maria Frank äußert sich zwar nicht detailliert über diese Organisation, jedoch stellen die drei Hinweise auf die „Goldhemden" (Camisas Doradas), die in Form kurzer Kommentare in seinem 354-Seitigen Reisebericht erscheinen, einen eindeutigen Beleg fur die Befürwortung des Autors fiir eine NS-nahe Bewegung in Mexiko dar. Die wenigen Hinweise auf diese mexikanische, faschistische Bewegung, in denen Frank seiner Leserschaft keine weiteren Erklärungen über das politische Programm dieser Gruppe gibt, entlarven einerseits die Richtung seines politischen Credos und seinen Anti-Kommunismus, andererseits erlaubt ihm die Kürze seiner Kommentare, mehrdeutig zu bleiben. Die Camisas Doradas beschreibt er als eine Bewegung, die sich zwischen der Konfrontation von Cristeros und der mexikanischen Armee entwickelte.
1 Alicia Gojman de Backal, Camisas, escudos y desfiles militares. Los Dorados y el antisemitismo en México 1934-1940 (México: FCE, 2000) 203. 2 Luis González, Los artífices del cardenismo. Historia de la Revolución Mexicana 14 (México: El Colegio de México, 1979) 91. 3 Gojman, Camisas, escudos y desfiles militares 358. 4 Gojman, Camisas, escudos y desfiles militares 358-359.
256
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus [...] zwischen ihnen beiden [die Cristeros und die Regierung tauchten schon die „Goldhemden" auf, die „Vertreter einer neuen, rein national, sozialfaschistisch betonten Umbruchbestrebung, die heute - beispielweise im Norden, dem alten Umsturzherd Mexikos, in Chihuahua und in Tamaulipas unter Führung des früheren Landwirtschaftsminister Cedillo - schon weit über 100 000Anhänger zählen soll.5 Aus dieser Beschreibung kann man einen versteckten Verweis auf den National-
sozialismus herauslesen. In der zweiten Zeile steht dessen Name durch ein K o m m a getrennt, als wolle ihn der Autor nicht schnell identifizierbar machen. Die Wörter „national" und „sozialfaschistisch" haben unterschiedliche Konnotationen und Bedeutungen, wenn sie separiert erscheinen. Wohl verstanden sich diese Camisas
Dora-
das als eine nationalistische Bewegung, aber der Bezug auf den Nationalsozialismus wird durch die Kommata und den Begriff „faschistisch" verborgen — ein Adjektiv, das vielmehr Assoziationen mit Italien weckt. Es ist schwer zu glauben, dass der damalige deutsche Leser wissen konnte, wer genau die „Goldhemden" waren. Auffallig ist auch Franks überhöhte Einschätzung bezüglich der Anzahl der Camisas Doradas,6
die es in
Mexiko in den 30er Jahren gab. Obwohl diese Bewegung als eine marginale Erscheinung in der mexikanischen Geschichte gilt, die keine Auswirkungen hatte und deren Versuch, gegen Präsidenten Lázaro Cárdenas 1 9 3 8 zu putschen, scheiterte, 7 will der Autor sie als eine große Organisation darstellen. In diesem ersten Hinweis ist er noch vorsichtig, sich unmittelbar als Sympathisant zu zeigen, aber an den folgenden einschlägigen Textstellen drückt er seine Befürwortung deutlicher aus. Der zweite Hinweis ist an der Stelle zu finden, als Frank heftig mit einem Mann, der bei der Redaktion einer Gewerkschaftszeitung arbeitet, über die Widersprüche in der zeitgenössischen Politik diskutiert. Dieser Mann verteidigt die sozialistischen Tendenzen der Regierung Cárdenas, wohingegen Frank dessen Maßnahmen — insbesondere die Agrar- und Enteignungspolitik sowie die Gewerkschaftsrechte - in Frage stellt. Er fragt, weshalb die Regierung die Lage der Landwirtschaft als optimal darstelle, wenn wegen der schlechten Baumwollernte im Norden „sich sogar die bewaffneten „Goldhemden" unter dem früheren Landwirtschaftsminister Cedillo sammeln sollen". 8 Der Mann antwortet nicht und dreht sich um, und Frank berichtet: „Ich wollte gerade fragen, was er zum Beispiel von den „Goldhemden", die ich da und dort gesehen hatte, halte, und ob das stimme, diese Gerüchte, die um Cedillo kursieren. Leider war er verschwunden". 9 Wiederum will Frank diese Bewegung als omnipräsent („da und dort") zeigen. Die Tatsache, dass sein Gesprächspartner nicht mehr diskutieren wollte, nimmt der Autor als
Frank, Mexiko ist anders 140. Hervorhebung von mir vorgenommen. Der Anhänger der Camisas Doradas Jesús L. García behauptete in Konferenzen, die er in den USA propagandistisch für seine Bewegung hielt, dass es die Bewegung mit ca. 500 000 zählte. Vgl. Gojman, Camisas, escudos y desfiles militares 360. 7 Gojman, Camisas, escudos y desfiles militares 367. 8 Frank, Mexiko ist anders 233. 9 Frank, Mexiko ist anders 233. 5
6
Exkurs. Josef Maria Frank u n d die mexikanischen Faschisten
257
Anlass, dessen Argumente als schwach zu verwerfen - und den Aufstand der Goldhemden zu rechtfertigen. Den dritten Hinweis auf die „Goldhemden" gibt Frank in seinen Reiseberichten, nachdem er die Wandmalerei von Diego Rivera stark kritisiert. Frank erklärt, dass nicht bestritten werden soll, dass auch: ein anderes, ehrlich und gut meinendes, national- und rassenstolz fühlendes Mexiko, auch das der überall und offen sichtbaren „Goldhemden", sich zu dieser Problemlösung der „indianischen Nation Mexiko" als der einzig möglichen gegenüber weiterem Ausverkauf und Abgleiten in die Abhängigkeit vom internationalen Big-Business-Kapital bekennt. 1 0
Indem er das Credo der „Goldhemden" als „ehrlich" und „gut meinend" bezeichnet, wird die Sympathie des Autors für diese Bewegung ersichtlich. Das Adjektiv „rassenstolz" ist ein deutlicher Verweis auf den patriotischen Ethnozentrismus der Epoche — den nicht nur die Nationalsozialisten vertaten. Dem Autor und dieser Gruppe war insbesondere der Anti-Kommunismus gemeinsam. Was Frank zu ignorieren scheint, ist, dass die Camisas Doradas sich nicht gegen die USA oder Großbritannien („Big-Business-Kapital") stellten, sondern gegen jüdische Unternehmer osteuropäischer Herkunft, die in den 20er Jahren nach Mexiko eingewandert waren. 11 Dennoch konnte es aus der Sicht des Autors eine Lösung für Mexiko geben, die auch als „national und rassenstolz" galt, ohne kommunistisch zu sein. Wie im vierten und fünften Kapitel der vorliegenden Arbeit erwähnt wird, setzt Frank den Indigenismus mit dem Kommunismus gleich. Interessant ist aber, dass Frank die Bewegung als eine „überall und offen sichtbare" Gruppe beschreibt, auch wenn sich die Gemeinschaft von Saturnino Cedillo und Nicolás Rodríguez laut Forschungen von Alicia Gojman zumeist im Norden Mexikos entwickelte, 12 während sich Frank zumindest gemäß seinem Reisebericht nie im Norden Mexikos aufgehalten hat. Durch diese übertriebenen und teilweis falschen Bemerkungen deutet der Autor an, dass es auch in Mexiko einen Platz für faschistische Bewegungen gäbe. Seine unpräzissen Aussagen lassen einen an der Wahrhaftigkeit der von ihm geschilderten Fakten zweifeln.
10 11 12
Frank, Mexiko ist anders 317. Gojman, Camisas, escudos y desfiles militares 286. Gojman, Camisas, escudos y desfiles militares 336.
ZUSAMMENFASSUNG
I . Z U R Ü C K ZUM A N F A N G S P U N K T
Im Artikel „México para los mexicanos? ¡No! Dicen los voceros de Hitler" aus der Zeitung Alemania Libre, die am 15. September 1942 die Reiseberichte von Colin Ross und Josef Maria Frank für das mexikanische Publikum kommentierte — und interpretierte steht geschrieben: La apropiación violenta de las riquezas naturales de México y el sojuzgamiento de su pueblo, con el fin de llevar a cabo su ilimitado saqueo, significó, desde el comienzo, en los planes guerreros del nazi-fascismo, un objetivo de primera magnitud. 1
Aus der Perspektive der Widerstandsbewegung/l/í»MW¿z Libre, die sich in MexikoStadt organisierte, bestand in den 40er Jahren die Gefahr, dass die mexikanische Geschichte sich wiederholen könnte - doch diesmal wären nicht die Spanier, die Franzosen oder die US-Amerikaner die „Ausbeuter" des mexikanischen Reichtums, sondern die deutschen Nationalsozialisten. Die hier untersuchten Reiseberichte dienten laut diesem Artikel dazu, Informationen und Eindrücke für eine „Zweite Eroberung" Mexikos durch NS-Deutschland zu sammeln. Dem Artikel zufolge: El nazifascismo quiere emprender esta "segunda conquista de México." Si Hitler obtuviera en Europa la victoria sobre el heroico Ejército de la Unión Soviética, crecería en enormes proporciones el peligro para México. La independencia nacional y la libertad del pueblo mexicano están, en consecuencia, indisolublemente ligadas al aniquilamiento del nazifascismo en los campos de batalla europeos. 2
Obwohl NS-Deutschland tatsächlich keine „apropiación violenta de las riquezas naturales de México" beabsichtigte - die Nationalsozialisten bestrebten eher durch den Generalplan Ost das Reich in Osteuropa auszudehnen - , zeigt dieser Artikel, wie durch Schlüsselworte des mexikanischen Patriotismus („independencia", „libertad", „pueblo mexicano") versucht wurde, die mexikanische Leserschaft über die Notwendigkeit der Teilnahme Mexikos am Zweiten Weltkrieg zu überzeugen. Zwar ruft 1 „¿México para los mexicanos? ¡No! Dicen los voceros de Hitler," Alemania Libre 15. September, 1942: 2. 2 „¿México para los mexicanos?" 2.
260
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
dieser Artikel viele der historischen traumatischen Ereignisse in der mexikanischen Mentalität hervor (den spanischen Kolonialismus, den Verlust der Hälfte des Territoriums an die USA im Jahre 1848), aber es ist auffällig, inwiefern das Schicksal des Landes im strikten Zusammenhang mit der Sowjetunion dargestellt wird. Aussagekräftig sind diese Worte in Hinblick auf das Bild Mexikos, das in den 20er und 30er Jahren existierte. Aufgrund des Exils republikanischer Flüchtlinge des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) und der Politik von Lázaro Cárdenas, erschien Mexiko als ein sozialistisches Land. In der zweiten Hälfte des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts genoss der Sozialismus die Sympathie vieler linksorientierter Intellektuellen, sogar in den USA.3 Nach dem Revolutionskrieg gestaltete sich Mexiko in der Imagination von vielen Schriftstellern in eine Art sozialistisches Paradies um. Dieser enthusiastische Blick auf Mexiko und auf seine Revolution bestätigt sich in Werken von Reisenden wie John Reed, des Filmemachers Sergei Eisenstein oder des französischen Surrealisten André Breton.4 Der mexikanische Staat, der in den 1930ern eine flexible Asylpolitik betrieb, nahm viele kommunistische, anti-nazistische deutsche Intellektuelle auf, die im spanischen Bürgerkrieg an der Seite der Republikaner gekämpft hatten. Sie drückten in ihren Mexiko-Schriften eine große Sympathie für die mexikanische Revolution und die daraus entstandene Republik aus, auch wenn viele von ihnen erst nach ihrer Rückkehr nach Deutschland (in die DDR) über Mexiko schrieben. Es darf nicht vergessen werden, wie in diesem Zusammenhang die Revolution - oder zumindest die Vorstellung davon - mit dem bolschewistischen Aufstand von 1917 parallelisiert wurde. In den Augen der linksorientierten Intellektuellen galt Mexiko als „die Sonne einer zweiten Heimat".5 Eine der Studien, die im deutschen Sprachraum über das deutsche Exil geschrieben wurden - Brücken nach Mexiko (1989) —, zeigt in ihrem Untertitel die Idealisierung dieses Verhältnisses: „Traditionen einer Freundschaft".6 Allerdings erhoben sich viele kritischen Stimmen gegen die unvollendeten Projekte der Revolution und die Zustände Mexikos. Im englischen Sprachraum kritisierten einige Schriftsteller die Folgen der anti-kirchlichen Einstellung des Präsidenten Plutarco Elias Calles (1924-1928) und die Guerra Cristera (Graham Greene),7 die aus ihrer Sicht vorhandene Primitivität der Indigenen (D. H. Lawrence)8 oder den Misserfolg der Verteilung des Ackerlandes und die Korruption (Aldous Huxley).9 Diese Einstellungen scheinen zwar auf den ersten Blick von einem gewissen Ethnozentrismus geprägt zu sein, aber auch innerhalb Mexikos äußerten sich viele
Ian Frazer, Travels in Siberia (New York: Picador, 2010) 56-57. Vgl. Friedhelm Schmidt-Welle, Mexiko als Metapher. Inszenierungen des Fremden in Literatur und Massenmedien (Berlin: Tranvia-Walter Frey, 2011). 5 Luise Heuer, „Auslandsdeutsche und Nazis in Mexiko," Alemania Libre (1942, 15. Juli): 15-16. 6 Wolfgang Kiessling und Rainer Thuss, Brücken nach Mexiko: Traditionen einer Freundschaft (Berlin: Dietz, 1989). 7 Schmidt-Welle, Mexiko als Metapher 65. 8 Schmidt-Welle, Mexiko als Metapher 65. ' Schmidt-Welle, Mexiko als Metapher 65. 3 4
Zusammenfassung
261
Intellektuelle gegen die postrevolutionären Regierungen. Wie es Katharina Niemeyer erörterte, stellten sich Lyriker wie Jorge Cuesta und Salvador Novo nicht nur gegen die Politik, sondern auch gegen die offizielle Ästhetik der 20er und 30er Jahre. 10 In der mexikanischen Literatur der folgenden Jahrzente sind ähnliche kritische Einstellungen bei wichtigen Autoren wie Juan Rulfo, Carlos Fuentes und Rosario Castellanos auffindbar. In der vorliegenden Dissertation wurde gezeigt, dass auch in NS-Deutschland eine Rezeption der mexikanischen Revolution und des postrevolutionären Mexikos stattfand. Der Balkan Amerikas und Mexiko ist anders verlangen eine komplexere Lektüre, in der zwar Parallelen zur NS-Ideologie und anderen Diskursen des deutschen Kulturraums gezogen werden können. Aber in einem breiteren Hinblick lassen sie sich auch mit anderen kritischen Stimmen jener Zeit assoziieren. Die Reiseberichte über Mexiko aus dem Nationalsozialismus sind keine „kolonialen" Texte, die im nationalsozialistischen Deutschland als expansionistische Propaganda instrumentalisiert werden sollten. Obwohl Colin Ross ein berühmter Reiseschriftsteller war, galt Der Balkan Amerikas tatsächlich als ein randständiger Text innerhalb seines gesamten Werkes. Zwar hatte Josef Maria Frank belletristische Romane verfasst, aber es gelang ihm nicht einmal in der Auffassung literarischer Ästhetik der NS-Literaturhistoriker aufzufallen. Deshalb ist es schwer anzunehmen, dass sein Werk Mexiko ist anders eine politische Auswirkung hätte erreichen können. Trotzdem scheint es, dass dieser Reisebericht von einem gewissen Publikum gerne gelesen wurde, weil davon 1942 eine zweite Edition erschien. Interessant ist, dass Frank sich nach dem Krieg als Lateinamerika-Spezialist präsentierte, wahrscheinlich in der Hoffnung, durch Konferenzen über die von ihm bereisten Ländern (Mexiko, Kuba, Venezuela, Kolumbien) Geld zu verdienen. Wie seine persönlichen Briefe der 60er und 70er Jahre zeigen, hatte er nicht wenige finanzielle Schwierigkeiten. Man darf nicht vergessen, dass Colin Ross' und Josef Maria Franks Texte als geopolitische Reiseberichte gelesen wurden. Sie fungierten zwar als Propaganda, aber paradoxerweise nicht für das Dritte Reich, sondern für die deutsch-mexikanische NS-W¡derstandsbewegung ^/íttmtzm Libre. Somit half diese Organisation dem mexikanischen Staat dabei, die Teilnahme Mexikos am Zweiten Weltkrieg zu legitimieren. In Der Balkan Amerikas und Mexiko ist anders wird die mexikanische Revolution als ein Zeichen des Untergangs des Kolonialismus betrachtet, denn Ross und Frank verstanden diese als einen Aufstand der Indigenen und Mestizen gegen das ausländische Kapital (der Europäer und der Amerikaner). Man darf nicht vergessen, dass bei diesen Autoren die Vorstellung der „Weißen" als absolute Herrscher der Welt und Träger der Zivilisation tief verinnerlicht war. Dies lässt sich nicht unbedingt durch den ideologischen Hintergrund des Nationalsozialismus erklären - diese Vorstellung entsprach auch dem Zeitgeist und kann bis zum Anfang des europäischen
10 Katharina Niemeyer, ,„...que agita apenas la palabra': La poesía mexicana frente a la Revolución," La Revolución mexicana en la literatura y el cine, eds. Olivia Díaz-Pérez y Florian Gräfe (Madrid y Frankfurt: Iberoamericana - Vervuert, 2010) 47-69.
262
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Kolonialismus im 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Aus diesem Grund interpretierten sie die Verdrängung der Europäer in Mexiko als ein Zeichen für den Untergang des Abendlandes. Zwar mögen ihre Aussagen aus der heutigen Perspektive rassistisch und ethnozentrisch klingen, aber zeitgenössische Intellektuelle wie der mexikanische Philosoph Samuel Ramos kritisierten ebenfalls den Versuch, die Idee der Existenz von einem „reinen Mexikaner" herbeizuzwingen u n d die Verleugnung der europäischen Wurzeln in der mexikanischen Kultur durchzusetzen. 11 Während Colin Ross auf die in Mexiko lebenden Deutschen sehr pessimistisch eingeht, sieht Frank das Schicksal der „mexikanischen Deutschen" nicht in Gefahr — im Gegenteil idealisiert er ihre Rolle im Lande und ihr Verhältnis zu den Mexikanern. Wenn man sich mit den Texten von Colin Ross und Josef Maria Frank beschäftigt, entpuppen sich ihre Texte als Erscheinungen einer Diktatur, von der sie Züge und Merkmale angenommen haben, so wie die Rassenideologie, die Asthetisierung des Todes und Heldentums, die Sprache der Hitlerjugend und der antikommunistischen und antisemitischen NS-Rhetorik. Aber ein genaueres Hingucken erlaubt, weitere Kodierungen zu entschlüsseln und somit die „Verwandtschaft" von Ross und Frank mit anderen Zeichen - sowie sie Jurij M. Lotman verstand - zu entdecken: Die Sprache und Vorstellungen der Abenteuerliteratur des 19. Jahrhunderts; Sprachbegriffe, die im Kaiserreich zur Zeit des Kolonialismus geprägt wurden; Figuren der aztekischen Mythologie, die als Metapher zur Geschichte verwendet werden. Man darf nicht vergessen, dass Colin Ross und Josef Maria Frank am Ende des 19. Jahrhunderts geboren und vor dem Ersten Weltkrieg ausgebildet wurden. Als sie zur Schule gingen, besaß Deutschland noch Kolonien. Die Literatur von Karl May und Eduard Stucken war populär. Zu diesem Zeitpunkt brach die mexikanische Revolution aus und auch nach Deutschland wurde, durch die Literatur von Autoren wie D. H. Lawrence, aus Mexiko ein Bild jenes Landes vermittelt. Frank und Ross, als Zeitzeugen dieser Epoche - und Träger der Ideologie und des Zeitgeistes der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - , stellen anhand der Wörter, Metaphern, Vorstellungen und Konzepte, die sie aus all diesen Texten erwarben, das postrevolutionäre Mexiko von Lázaro Cárdenas (1934-1940) dar.
2 . ZUKÜNFTIGES FORSCHUNGSPOTENTIAL
Diese Dissertation eröffnet andere Forschungsmöglichkeiten für Lateinamerikanisten, Komparatisten und Germanisten. Während der Ermittlung von Daten wurde festgestellt, dass zwischen 1933 und 1945 andere auf Lateinamerika bezogene Texte - Reiseberichte, Memoiren und Romane - in deutscher Sprache existierten. Im Nationalsozialismus wurde der Reisebericht ein geopolitischer Essay, dessen Formen
11
Samuel Ramos, El perfil del hombre y la cultura en México (México: Espasa-Calpe, 1992) 6667. Ursprünglich 1934 veröffentlicht.
Zusammenfassung
263
und Inhalte aus einer historischen und literaturwissenschaftlichen Perspektive weiterhin erforscht werden können. Die Transition zwischen Abenteuerliteratur und einer „sachlichen" geopolitischen Reiseliteratur, wie sie in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts gesehen wurde, eröffnet ein weiteres Forschungsfeld zur Untersuchung des Transfers von ästhetischen und inhaltlichen Merkmalen von der belletristischen Literatur des 19. zu sachlichen Texten des 20. Jahrhunderts. Auch in Lateinamerika fand eine Rezeption des europäischen Faschismus statt, so wie es in Europa eine Rezeption Lateinamerikas gab, die sich in Zeitungen, Reisetexten und Essays untersuchen lässt. Es bleibt noch zu erforschen, welche Position die lateinamerikanischen Intellektuellen und Künstler gegenüber dem Nationalsozialismus einnahmen und ob sie ihre Stellungnahme in Gedichten, Romanen oder Briefe ausdrückten. Der Faschismus blieb in Lateinamerika nicht unbeachtet — und als Thema hat er bereits in Romanen der zeitgenössischen lateinamerikanischen Literatur (Volpi, Pacheco, Bolano) fungiert. Obwohl Oliver Lubrich in mehreren Anthologien 12 zeigte, dass NS-Deutschland durch die Feder vieler ausländischer Autoren dargestellt wurde, bleibt meiner Kenntnis nach noch die Frage, ob es spanischsprachige, lateinamerikanische Intellektuelle gab, die Deutschland in den 30er oder 40er Jahren beschrieben, ohne Antwort. Die vorliegende Dissertation zeigt, wie Reiseberichte aus einer philologischen und rhetorischen Perspektive gelesen werden können, die die Vorstellungen der 1930er Jahre in Mexiko und in Deutschland — aber auch die zu der Zeit verbliebenen Zeichen anderer Jahrzehnte — entlarven kann. Obwohl durch eine genaue Textanalyse festzustellen ist, dass sowohl Ross als auch Frank die Rhetorik und die Ästhetik der nationalsozialistischen Ideologie verwendeten, kann man diese Reiseberichte nicht nur als isoliertes Symptom des Faschismus lesen. Beide Autoren greifen auf Wörter, Stil, Vorstellungen und Figuren anderer Epochen und Texte zurück, um ihre Gedanken ihrer Leserschaft in einer verständlichen Kodierung zu vermitteln. Frank und Ross wollten Mexiko darstellen, wie es „eigentlich" war - deshalb Mexiko ist anders - . Doch die Brücken, die Frank und Ross durch die Poetik ihrer Texte mit ihrer Leserschaft schlugen, und die im Nationalsozialismus die Rezeption ihrer Werke ermöglichten, verschwanden nach dem Krieg schnell. Aus der heutigen Sicht gäbe es kaum einen Leser, der ihre Rhetorik verstehen und vor allem durch eine unmittelbare Rezeption - wie sie Wolfgang Iser verstand - konkretisieren könnte.
12
Oliver Lubrich, Reisen ins Reich (Frankfurt: Eichborn, 2004), Berichte aus der Abwurfzone (Frankfurt: Eichborn, 2005) und Unter Deutschen (Berlin: Aufbau, 2013).
ANHANG I. TABELLEN
T A B E L L E I. T H E M A T I S C H E G L I E D E R U N G V O N C O L I N R O S S ' DER BALKAN
DER
BALKAN
AMERIKAS
AMERIKAS
(1937)
Seitenzahl: 2 7 2 ERKENNBARE SEKTION
KAPITEL
THEMATISCHER INHALT (ÜBERWIEGEND)
LITERARISCHE FORMEN (ÜBERWIEGEND)
Im Auto durch Mexiko
1. Der Pan American Highway 2. Die Straße nach Panama 3. Im mexikanischen „Pittsburgh" 4. Durch die Orchideenwildnis der Tierra Caliente 5. Begegnung mit dem Minister 6. Uber die Sierra
persönliche Erzählung, Politik
Anekdote
persönliche Erzählung, Politik
Anekdote
persönliche Erzählung
Anekdote
persönliche Erzählung
Anekdote
persönliche Erzählung, Politik persönliche Erzählung, Politik
Anekdote Anekdote
Vom weißen Gott bis zum Ende der weißen
7. Die Tempelpyramide der
Geschichte
Essay
8. Der Blutaltar Uitzilopochtlis
Geschichte
Essay
9. Der weiße wider den roten
Geschichte, ethnische
„Gefiederten Schlange"
Götter
Gott 10. Drei Jahrhunderte weißer Herrschaft 11. Europa verliert einen Kontinent
Verhältnisse Geschichte, ethnische Verhältnisse Geschichte, ethnische Verhältnisse, Politik
Essay Essay Essay
12. Die Regierung der ewigen Revolution und der Krieg
Geschichte
Essay
mit U S A 13. Ein Indianer herrscht erstmalig über Weiße 14. Machtträume u m das Karibische Meer 15. Das Heraufziehen der Weißen-GötterDämmerung
Geschichte, ethnische Verhältnisse Geschichte Geschichte, ethnische Verhältnisse
Essay Essay
Essay
268
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Das Erlebnis der Revolution
Der Kampf um den Boden
Mais und Maschine in Mexiko
Nach Chiapas
16. Der Indianeraufetand bricht los
Geschichte, ethnische Verhältnisse
Anekdote, Essay
17. Fahrt ins Abenteuer
persönliche Erzählung
Anekdote, Essay
18. Der Bluttraum von Pancho Villa
persönliche Erzählung, Politik
Anekdote, Essay
19. Der zerschossene Spiegel im Deutschen Klub von Torreön
persönliche Erzählung, Politik, ethnische Verhältnisse
Anekdote, Essay
20. Ein Stückchen Erde
persönliche Erzählung, Politik
Anekdote, Essay
21. Die mexikanische Agrarreform
Politik, ethnische Verhältnisse
Essay, Reportage
22. Die Hazienda — vom Haziendado aus gesehen
Politik, ethnische Verhältnisse
Essay, Reportage
23. Die Tragödie des Deutschen
Politik, ethnische Verhältnisse
Essay, Reportage
24. Ejido - der Weg ins Freie
Politik
Essay, Reportage
25. Zwiespältiges Mexiko
Politik, ethnische Verhältnisse
Essay, Reportage
26. Die schwimmenden Blütenbeete der Azteken
Politik, ethnische Verhältnisse
Reportage
27. Die Schatzkammer der Erde
Politik
Essay
28. Der Ölkrieg
Politik
Essay
29. Das rotschwarze Banner
Politik
Essay
30. Politik mit Pistolen
Politik
Essay
31. Der „Untergang des Abendlandes" in Mexiko
Politik, ethnische Verhältnisse
Essay
32. Die Stunde des Mestizen
Politik, ethnische Verhältnisse
Essay
33. Wiederaufrichtung des Aztekenreiches?
Politik, ethnische Verhältnisse
Essay
34. Der Schatten des großen Nachbarn
Politik
Essay
35. Chinesische Götzen in der zapotekischen Totenstadt
persönliche Erzählung, Politik, ethnische Verhältnisse
Anekdote, Essay, Reportage
Anhang I. Tabellen
36. Ritt durch den Wald 37. Auf der deutschen Finka
persönliche Erzählung, ethnische Verhältnisse persönliche Erzählung, ethnische Verhältnisse
269
Anekdote Anekdote
persönliche Erzählung, 38. Das deutsche Urwalderbe
Politik, ethnische
Anekdote, Essay
Verhältnisse Mittelamerika
39. Ostasien an der pazifischen Küste 40. Die Zöllnerinnen von Ayutla
persönliche Erzählung, ethnische Verhältnisse persönliche Erzählung
41. Das „Pompeji Amerikas"
Geschichte
42. Der „König der Indianer
persönliche Erzählung,
und Sohn Gottes" 43. Das deutsche Haus zwischen den Vulkanen 44. Der Mayaschatz in der Pfarre von Chichicastenango 45. Brücke und Barre zwischen zwei Kontinenten und zwei Ozeanen 46. Das Konstantinopel der Neuen Welt 47. Die Lebensader einer Weltmacht
ethnische Verhältnisse persönliche Erzählung, ethnische Verhältnisse
Anekdote Anekdote Essay, Reportage Reportage Anekdote, Reportage
persönliche Erzählung, ethnische Verhältnisse
Anekdote,
Politik
Essay
persönliche Erzählung, Politik, ethnische Verhältnisse Politik
Reportage
Essay, Reportage Essay
T A B E L L E I I . T H E M A T I S C H E G L I E D E R U N G V O N J O S E F M A R I A F R A N K S MEXIKO
MEXIKO
IST ANDERS
IST ANDERS
(1938)
Seitenzahl: 3 5 4 ERKENNBARE SEKTION
KAPITEL
THEMATISCHER INHALT (ÜBERWIEGEND)
LITERARISCHE FORMEN (ÜBERWIEGEND)
I. Unterwegs nach Mexiko
II. Kleines Kolleg über Mexiko
Mexiko? Yes, Sir!
persönliche Erzählung, Politik
Anekdote
Von den „Räuberpistolen" zur Wirklichkeit
Politik
Anekdote, Essay
So fuhr kein Kolumbus und reiste kein Cortez
persönliche Erzählung
Anekdote
Zwischenstation Cuba: die Business- und Amüsierinsel der westindischen Tropen
persönliche Erzählung, Politik, ethnische Verhältnisse
Anekdote, Essay
Geschichte
Essay
Geschichte
Essay
Was man über Mexiko wissen muß „Blutige Wiege" indianischer Menschheit — und eine spanische Silbergrube Kampf um „Mexiko dem Mexikaner" — von der
Geschichte, ethnische
Indianermadonna zum
Verhältnisse
Essay
Götzen Karl Marx Mexiko zwischen „ C T M " und „USA" - Im Hintergrund das Silber und das Öl III. Reise durch Mexiko
Schäbiges Foyer eines phantastischen Landes Der Bahn-Trip der Tausend Wunder Zwischen Kathedralen, Geschäftstempeln, Aztekengöttern und entarteter Kunst Schwimmende Gärten und ein Weekendparadies — Im Hintergrunde „des Vulkans"
Politik
Essay
persönliche Erzählung, Gesellschaft, Gebräuche und Sitten.
Anekdote, Essay
persönliche Erzählung
Anekdote, Essay
persönliche Erzählung, Politik
Anekdote, Essay
persönliche Erzählung, Politik, Gesellschaft, ethnische Verhältnisse
Anekdote, Essay
272
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Drei Mexikanerinnen und ein Problem
Gesellschaft, Gebräuche und Sitten, ethnische
Anekdote, Essay
Verhältnisse
Von Pulque-Rausch, Liebeszauber durch Zigaretten
Gesellschaft, Gebräuche
und alt-indianischen
und Sitten.
Anekdote, Essay
Zaubertränken Zwischen zerbröckelnden Kirchen und zerfallenden
Geschichte, Politik
Essay
Geschichte, Archäologie
Anekdote, Essay
Hazienden Zum neunten Weltwunder der Pyramiden von Teotihuacän Unterwegs zum aktuellen
Politik, Gesellschaft,
Indianer von heute
ethnische Verhältnisse
Der „Bruder Indio" privat - u n d anders als in den Indianergeschichten Die Fremden, die Deutschen und deutsche Schicksale in Mexiko Epilog:
Politik, Gesellschaft, ethnische Verhältnisse Politik, Gesellschaft, ethnische Verhältnisse Text aus D . H.
Was Quetzalcoatl
Lawrences Roman The
in Mexiko sah
Plumed Serpent (1926)
Anekdote, Essay
Anekdote, Essay
Anekdote, Essay
ANHANG II. BRIEFE AUS DEM BESTAND JOSEF MARIA FRANKS IM DEUTSCHEN LITERATURARCHIV, MARBACH AM NECKAR
TRANSKRIPTION. BRIEF VON JOSEF MARIA FRANK AN ERICH KÄSTNER. 27. NOVEMBER, 1946.
Josef Maria Frank (13b) Kiefersfelden - Obb. Bei Frau Grette Pazze, Buchberg Den 27. Nov. 46 Herrn Dr. Erich Kästner Redaktion „Die Neue Zeitung" München Schellingstr. 39 Lieber Erich Kästner! Seien Sie mir nicht böse, daß ich Sie mit einer Bitte behelligen muß; aber ich sehe keine andere Möglichkeit und —ich setze meine Hoffnung auf Sie. Heute wurde mir mitgeteilt, daß ab 1. Dezember die weitere .Belieferung 1 mit der „Neuen Zeitung" eingestellt werde und nur mehr Behörden und dergl. mit ihr rechnen dürften. Da ich nun (Gottseidank) keine Behörde bin, andererseits aber die „Neue Zeitung" für mich in Austria die einzige Brücke nach drüben und darüber hinaus ebenso unentbehrliches Material wie Kultur-und Niveau-Oase unserem schauerlichen .Blätterwäldchen' gegenüber ist, dürfte ich also ab Dez.-falls sich kein Ausweg findet—ohne .Brücke' und ohne Kultur-Oase sein, was Sie bestimmt doch nicht wollen. Können Sie mir von dort aus Ihr-wie man so unschön sagt: .Geschätztes Blatt' (das ich aber wahrhaftig so lieb gewonnen habe, daß ich untröstlich wäre, es entbehren zu müssen) an meine obenstehende bayrische .Ausweichadresse' ab 1. Dez. bis auf weiteres expedieren lassen? Das wäre überaus nett von Ihnen, und ich wäre zu Gegendiensten gerne bereit (aber Sie werden ja die Austria-Blättchen dort haben und wohl auch über-haben?); lassen Sie mir bitte mitteilen, wieviel und wohin ich zu zahlen habe, es wird dann umgehend erledigt. Im Voraus schönsten Dank für Ihre liebe Bemühung, mit der Sie mir wirklich einen Dienst erweisen. Ich dachte, von Ihnen gelegentlich mal zu hören, vielleicht sogar —wie s. Z. besprochen—Ihren Besuch mal hier genießen zu dürfen. Aber Sie big-man werden ja soviel zu tun haben, daß Sie kaum zu ,sowas' kommen (Sie tun mir leid und ich bedauere Sie,
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daß Sie so eingespannt sein werden, aber so is' det un mal...) Aber schreiben Sie mir doch mal, wie es Ihnen so geht und was Sie von den alten Freunden und Bekannten wissen. Ich lebe hier, hoch oben auf den Bergen, landschaftlich wundervoll, was die .Kalorchen' angeht nun austrahaft [SIC] höchst mäßig und sonst wie zwischen hohen Zäunen: ich höre und sehe so gut wie nichts von der ,Welt draußen (Sie werden mich beneiden, aber auf die Dauer ist so ein paradiesischer Zustand verteufelt auf die Nerven gehend; man ist doch ein .irdischer Mensch') Ich war kürzlich zu Drehbucharbeit mit Luis Trenker in Italien (eine höchst abenteuerliche und aufschlußreiche Expedition, bei der man die allzu vielen Amtsschimmel in den europäischen Ställen unentwegt wiehern hörte, und die dann auch erfolglos, wie das mehrschte heute, was man .unternimmt', ausging-der einzige Gewinn [GESCHNITTEN] waren etliche Flaschen Chianti, eine Salami, ein Dutzend Zitronen, zwo Flaschen Grappaschnaps und eine Schachtel Sacharin... - m i t den Drehbüchern müssen wir warten, bis die diversen Amtsschimmel in Rom und Wien. (Seite 2) sich über die weiteren Aufenthaltsgenehmigungen usw. in ihren Instanzenbereitern geeinigt haben; und aus den geplanten Winterfilmen werden nun ja wohl Sommerfilme werden, wenn überhaupt noch was draus wird...). Aber - die Reise führte mir handgreiflich ad oculos, wie dringendst nötig und bild-verändernd wie weitend solche Sprünge ,über die Grenzen' sind. Aber-es gibt heute immer nur ,abers'- der grandiose Kuddelmuddel dürfte ja wohl weiterhin höchst erfolgreich der einzige Erfolg) Knüppel zwischen die Beine werfen. Ich hatte die Absicht, wieder wie einst im Mai als globetrottender Reporter bald loszuziehen und das europäische und außereuropäische Pulverfaß (dem nur das Faß fehlt, um komplett zu sein) reponierend zu beäugend, aber - ich habe die Seifenblase nun aufgegeben, es ist z. k. Dabei wäre es wirklich lohnend, diesen komischen Globus, von dem G. B. S. nicht unübel meint, daß er wahrscheinlich nur eine Quarantänestation für von anderen Planeten verwiesene Geisteskranke ist, wieder einmal zu umtörnen und davon zu berichten. (Aber die Amtsschimmel...!) Mir geht es sonst, wie es einem in Austria ansässigen Reichsdeutschen eben geht, Sie werden ja im Bilde sein (gesperrte Guthaben, monatl. 150 Schilling für Lebensunterhalt, Kaloriennot wie nirgends in Europa, ka Fett, ka Zucker, ka Schnaps, ka Wein, schlechtes Brot, wenig Kartoffeln und viele ungelernte Politiker - es scheint mir überhaupt die .Epoche der Ungelernten' zu sein, drum! Transfer der AuslandsTantiemen und Buchhonorare unmöglich - und dazu: das Damoklesschwert des Problems der .deutschen Guthaben im Ausland', es ist also beschi...) Aber man lebt und - Hauptsache: man arbeitet, die Arbeit macht Freude, und wenn man richtig mittenmang ist, vergißt man den anderen Schiet und Kram bestens. Drei neue Bühnenstücke liegen vor, darunter eine sehr interessante und nicht inaktuelle moderne „Mexikanische Tragödie" um Mexikos Freiheitskampf, Menschenrechte, Kapitalsdiktatur und Ol, sowie eine frech-bedeutsame Komödie
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um Maria Stuarts und Bothwells Rehabilitierung (sie war nämlich auf Grund neuester Untersuchungen stichhaltig bewiesen tatsächlich unschuldig und keine Gattenmordanstiftering, wenn auch ein Biest ansonsten), so etwas wie der Versuch einer ad absurdum-Führung jener weltgeschichtlichen Wahrheiten, die nur leben, weil die Toten schweigen'-bei mir rollen sie ihren Prozess wieder auf und gewinnen mit einer überraschenden Enthüllungspinte also in der letzten Instanz; Titel des Kindes „Ein gewisser Herr Bothwell". (Wissen Sie flir sowas, auch das erste, eine Bühne im Reich? Und einen neuen, guten Bühnenverlag? Ich werde voraussichtlich die Stücke in der kommenden Spielzeit in der Schweiz und in Osterreich uraufführen lassen, wo man sehr interessiert ist; aber ich möchte auch in Deutschland nicht vergessen werden, obschon ich von den Tantiemen ja, wie gesagt, nichts habe.) Und sonst arbeite ich am Roman „Sebastian und das 20. Jahrhundert", der mich wohl noch eine Weile im Trab halten wird, umso mehr als der Verlust des meisten, mühsam zusammengetragenen Materials, nun doch schmerzlichst spürbar wird; im Augenblick arbeite ich am 3. Teil des Buches, der „Berliner Apokalypse" und zwar am ,Bombenkapitel': „Die Nacht von Berlin", wo ich kaleidoskopisch in einem Wirbel von Geschehnissen und Figuren alles was ich dazu zu berichten habe, aussagen will. Ich glaube, daß es nötig ist (auch wenn es manchem nicht ,schmecken' wird). Sie sehen, ich lasse mir Einfalls-und Arbeitslust durch nichts zerteppern und arbeite, bei allem Skeptizismus, doch ohne Resignieren, gelassen weiter und hoffe auf den Tag, der noch einmal kommen wird. Es muß ja einmal besser werden! (Seite 3) Und was machen Sie nun, mein Lieber? Schreiben Sie an größeren Arbeiten? Wollen Sie nicht einen neuen „Fabian" auf die Beine setzen? Es müßte Sie doch reizen—mein Gott, welch (¡) eine Fülle von Material, Erleben, Geschehen, Gedanken wartet, um .verdichtet' zu werden—lassen Sie uns nicht zu lange warten! Was machen überhaupt die Verlage im Reich? Manchmal kommt es mir so vor, als ob sie gar nichts machten und nur ständig planen. Es scheint mir dieselbe Geschichte wie mit den deutschen Bühnen, die dauernd nach neuen .deutschen Stücken' schreien und — sich nicht um sie bemühen. Schreibt man einmal diesem oder jenem Intendanten, dann hört man: Noch nicht an der Zeit! Wir müssen erst mal mit der Auslandsliteratur bekannt machen... deutsche Autoren sind zur Zeit noch sehr riskant... wir müssen außerdem Klassiker bringen, Sie verstehen, schon aus Besetzungsgründen... usw., usw. (Und inzwischen müssen wir uns ins Ausland verlagern und in die Schweiz mit unseren Uraufführungen flüchten. Es ist ja durchaus nicht unwillkommen, aber es vergrämt und verbittert.) Wie sieht es in München darin aus? Herr Petzet von den Kammerspielen schrieb mir kürzlich, daß sich Engel für meine „Mexikanische Tragödie" interessiere, die ich Ihnen schicken soll; aber zugleich schreibt er, daß sie nicht recht wissen, ob sie ihren festgelegten Spielplan überhaupt .durchhalten' können. Tje, ich weiß nicht recht, ob man daraufhin den Leutchen überhaupt etwas ,anbieten' soll. Schließlich wollen wir ja nicht nur ,anbieten', sondern auch aufgeführt werden -wenigstens noch halbwegs
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bei Lebzeiten (was man ja schließlich verstehen kann; wir leben ja schließlich auch von diesem Beruf). Kennen Sie Bühnen im Reich, die wirklich Stücke suchen? (Und nicht nur so tun!) Für einen Hinweis wäre ich Ihnen dankbar. Jedenfalls melden Sie sich doch einmal-ich würde mich sehr freuen, von Ihnen wieder mal zu hören. Was macht Jonny? Und die andere ,Gilde'? Stimmen diese ,Gerüchte' um Mischa Bohnen? Ich las davon in der Berliner Presse. Grüßen Sie Kiaulehn sehr, sehr lieb von mir—seine „Seeschlange" hat mir riesigen Spaß gemacht; er soll öfters schreiben bzw. veröffentlichen (es scheint ja, den letzten Nummern nach, der Fall zu werden, sehr schön). Ich hörte im Münchener Radio kürzlich eine Vorankündigung eines Vortrages von Dr. Felix Buttersack; ist er Ihnen ein Begriff (er war z. Z. bei Scherl)? Lebt er in München? (Ein sehr sympathischer Kerl!) Frau Schwill schrieb mir aus Stuttgart, daß Sie ihren Mann und sie an den „Pinguin" geholt haben; das freute mich sehr zu hören, beide sind überaus fleißige und geschickte Menschen und verdienen es, protegiert zu werden. (Frau Schwill suchte ich — und nur ein Zufall ließ ihren Brief tatsächlich bei mir landen.) Auch von Frau Hank hörte ich von Ihnen, sie hat Sie wohl in München aufgesucht, - Ja, auch ich würde gerne wieder mal mit Ihnen ,klönen' (nicht: jammern; sondern: plaudern); aber — weiß, wann es mich wieder mal nach München treibt. Kommen Sie mal nach hier in die Berge, die stabil schön sind und bleiben -wie die Wälder hier und die Seen und Gottes unpolitische Kreatur rundum... Alles Gute für Sie und einen herzlichen Gruß! Ihr alter, Josef Maria Frank [UNTERSCHRIFT] p.s. Was ist mit Verhoeven dort los? Sind die bayerischen Staatsschauspiele ,aktiv'? Haben Sie Raum und Ensemble, um anspruchsvolles Theater spielen zu können? Wenn ja - können Sie ihn mal auf meinen „Bothwell" aufmerksam machen?
TRANSKRIPTION. BRIEF VON JOSEF MARIA FRANK AN ERICH KÄSTNER. JANUAR 1947.
(13b) Kiefersfelden-Obb. Bei Frau Grete Pazze, Buchberg Januar 1947 Lieber Erich Kästner! Am 28. Nov schrieb ich Ihnen einen-wie ich glaube: sogar langen und netten Brief, auf den ich aber leider bis dato keine Antwort bekommen habe. Haben Sie ihn nicht erhalten? Ich hatte ihn an die ,NZ' adressiert-und ich kann mir nicht denken, daß Sie ihn nicht erhalten haben sollten. Aber ich kann mir denken, daß Sie im Drang der redaktionellen Geschäfte ihn ganz vergessen haben (was ich trotzdem sehr bedaure). Ich hatte Sie u. a. in dem Brief auch gebeten, mir von dort die Möglichkeit zu vermitteln, daß ich die ,Neue Zeitung', die für mich in Österreich drüben die einzige Kulturbridge zum Reich darstellt, weiter bekomme. Es gelang mir, bis jetzt das auch so zu schaffen. Nun erhalte ich aber die Mitteilung, daß ich ab 1 .Jan.47 das Abonnement gestrichen bekomme, da ich weder Geschäftsmann noch eine Behörde sei (was mich auch freut; ich meine: letzteres, nicht daß ich die Zeitung nun nicht mehr bekommen soll, das stimmt mich im Gegenteil traurig). Ist es zu viel verlangt, denn ich Sie nun—sozusagen in höchster Not—nochmal mahne und bitte, mir zu helfen, was Ihnen doch bestimmt nicht schwer sein wird. Man möge mir doch per Post ab Nr. 1 / 1947 die Zeitung an die oben stehende Adresse schicken, von wo aus auch prompt die Bezahlung erfolgen wird. Kann man ferner dem ,Simpl' auf diese Weise bekommen? Und ähnliches? (Ich bin hier in Austria förmlich ausgehungertnicht nur kalorienmäßig, gerade auch in geistiger Kost; man bekommt hier wirklich nichts oder nur sinnlos und zwecklos bedrucktes Papier, es ist scheußlich. Wenn meine Schweizer Freunde mir nicht ab und zu mal ein neues Buch oder Zeitungen und Zeitschriften schickten, lebte ich hier komplett auf dem Mond-es ist höchste Zeit, wieder mal das Domizil zu wechseln. Doch-wohin? Ich möchte wieder arbeiten, richtig arbeiten; das tue ich zwar: Bühnenstücke und so; aber-das genügt nicht, man braucht doch mehr: im Leben drin stehen, mittendrin, und wieder anfassen können, mit Schwung und Daseinlust, wie Sie Glücklicher! Tirol hängt mir schon zum Halse heraus—nichts wie Berge und Knödelköpfe und demokratisch getarnte Nazis und
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kirchlich gesegneter Austrofaschismus, das ist zu viel auf nüchternen Magen; und— wann ist man mal nicht nüchtern?) Wie geht es Ihnen? Wie ging es Ihnen? Aus Ihrem Feuilleton entnahm ich, daß Sie wieder mal in Berlin waren. Wir war es dort? Was macht Jonny, der old-time-gang? Und die anderen? Schreiben Sie mir doch mal, diktieren Sie mir mal fünf Minuten Privatissimum und intime Berolinensa in die Maschine, Gott (wenn es einen gibt) soll Sie dafür segnen! Inzwischen wünscht Ihnen alles, alles Gute zum Neuen Jahre der (hoffentlich) Erfüllungen am laufenden Bande mit altfreundschaftlichem Gruß Ihr ziemliche unglücklicher [UNTERSCHRIFT] Josef Maria Frank
T R A N S K R I P T I O N . BRIEF V O N E R I C H K Ä S T N E R A N J O S E F MARIA FRANK. 29. JANUAR, 1947.
München, den 29.1.47 EK/ro Herrn Josef Maria Frank Kiefersfelden / Obb. Bei Frau Grete Pazze Buchberg Lieber Josef Maria Frank, Besten Dank für Ihre beiden Briefe. Den Brief aus dem November hatte ich nicht etwa vergessen, sondern ich fuhr Anfang Dezember bis Weihnachten nach Berlin und Dresden und fiel Anfang Januar einem Rheumatismus anheim, in welchem ich mich zur Zeit noch befinde. O b es mir gelingen wird, Ihnen ein erneutes Abonnement der NS zu verschaffen, weiß ich nicht. Ich wage es zu bezweifeln, da die Auflagen immer weiter gedrosselt und die Abonnements nicht nach Verdienst und Würdigkeit, sondern nach Gesichtspunkten aufrechterhalten werden, die sich meiner Kenntnis und meinem Einfluss durchaus entziehen. Ich will's trotzdem versuchen. Jonny geht es gut. Reggy, Heini, Bohnen, Winterstein usw. gehören nach wie vor zu seinen Stammgästen. Sogar Kemnitzer, der bis November 46 in einem Internierungslager war, ist zurückgekommen und versucht, sich einzugliedern. Die Etage über dem Lokal wird vom (!) ihm dazu gestarteten Bühnenclub bewohnt. Es gab eine Eröffnungsfeierlichkeit, an der alles dran war. Auch sonst sind die Berliner, nicht zuletzt unsere alten Freunde und Bekannten, rege am Werk. Soweit Sie nicht arbeiten, versuchen Sie ihre Existenz auf etwas krummere Art und Weise zu sichern. Wenn ich Ihnen sage, daß ein Paar, allerdings sehr schicke, Damenhalbschuhe RM 3.800,- und mehr kosten, werden Sie, ohne die Reserven Ihrer Phantasie in Anspruch nehmen zu müssen, sich ein Bild davon machen können, wie teuer es ganz allgemein auf dem noch sehr durch-löcherten Berlin Pflaster geworden ist.
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Da die Münchener Elektrizitätswerke gerade wieder einmal eine Stromsperre über einen Teil der Stadt verhängt haben und da ich gerade in diesem Teile der Stadt den Brief an Sie diktiere, muß ich leider schliessen. Es ist so finster geworden, daß man die fremde Hand nicht vor den Augen sieht. Mit den besten Grüßen und Wünschen, Ihr Dr. Erich Kästner
ANHANG III. ARTIKEL AUS ALEMANIA LIBRE
TRANSKRIPTION V O N / M É X I C O PARA LOS MEXICANOS? ¡NO! DICEN LOS VOCEROS DE HITLER," Alemania Libre 15. September, 1942: 2.
Mucho tiempo antes de que los submarinos alemanes se dedicasen a hundir barcos mercantes mexicanos desarmados y se convirtieran los litorales de México en su base de operaciones, ya habían preparado ese ataque los dirigentes nazis. Hermann Rauschning, ex Presidente nazi del Senado de Danzig, y antiguo amigo de Hitler, testimonia en su libro —"Hitler me dijo"- que "México ha ocupado un lugar importante en los proyectos americanos de Hitler." El máximo caudillo nazi conceptuó siempre a México como "el país más rico del mundo". La apropiación violenta de las riquezas naturales de México y el sojuzgamiento de su pueblo, con el fin de llevar a cabo su ilimitado saqueo, significó, desde el comienzo, en los planes guerreros del nazi-fascismo, un objetivo de primera magnitud. "Alemania sería grande y rica si se apoderase de las minas mexicanas," le confesó Hitler a Rauschning. Aparte de sus espías y saboteadores clandestinos, Hitler envió a México algunos escritores nazis para que convencieran al pueblo alemán a través de sus "impresiones de viaje," de la necesidad y la utilidad de la conquista de dicho país. En 1936 visitó México Colin Ross, y dos años más tarde le tocó el turno a José María Frank. A su regreso publicaron en Alemania dos obras tituladas, respectivamente: "México es distinto" y "El Balcán de América." Los conceptos expuestos en ambos libros pueden especificarse, esencialmente, en esta forma: 1 "-México es uno de los países del mundo más ricos en primeras materias. Su subsuelo goza de enormes riquezas, como petróleo, plata, oro, plomo, cobre, zinc, etc. "La fertilidad de Chiapas es indescriptible. Cinco cosechas de maíz en medio año no constituyen un hecho excepcional. Alrededor de cinco millones de plantas de café, en su mayoría propiedad de finqueros alemanes, producen una de las mejores clases mundiales de esta bebida. Se cultivan el algodón y plantaciones henequeneras. Hay plantaciones de cocoteros, naranjales, limoneros, mangos, caña de azúcar, maderas de construcción, maderas colorantes y maderas finas." 2°- No obstante los mexicanos están incapacitados para fomentar la explotación de estas riquezas. "Lo que ha llegado a ser México - m e refiero a lo bueno, aclara el autor-, nos lo debe, en última instancia, exclusivamente a los extranjeros. México vive de nuestras realizaciones. Sin nosotros se moriría de hambre; se iría al diablo, malgastaría y derrocharía sus riquezas." (Frank)
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3 o - México posee demasiado espacio vital. "Casi 17 millones de seres viven en este México, que es cuatro veces mayor en extensión que Alemania, y que abarca alrededor de dos millones de kilómetros cuadrados de espacio vital." (Frank). 4 o - El pueblo mexicano carece de madurez para la independencia nacional. "¿México para los mexicanos? ¡Pero si el mexicano es inepto para ello!" (Frank) "No existe un pueblo mexicano", "Transcurrirán siglos, y todavía no existirá un pueblo mexicano." (Ross). 5 o - Los indios y mestizos mexicanos son una raza inferior, que representa un peligro para Europa. "Los dos grupos son igualmente peligrosos. Los indios de México son portadores de una temible masa hereditaria. La raza india es un factor potencial que puede hacerse sentir alguna vez en Europa, y de manera desagradable. Y los mestizos son una desdicha para ellos mismos." (Frank) 6 o - La liberación económica de México del imperialismo extranjero constituye también un peligro para Alemania. "El golpe asestado al capital petrolero es una amarga señal de alarma, no sólo para el capitalismo mundial, sino para la raza blanca en su conjunto." (Frank). 7 o - Por ello, México debe ser sometido nuevamente por la raza blanca. "México está madurando para una segunda conquista." (Ross). El nazi-fascismo quiere emprender esta "segunda conquista de México." Si hitler (sic) obtuviera en Europa la victoria sobre el heroico Ejército de la Unión Soviética, crecería en enormes proporciones el peligro para México. La independencia nacional y la libertad del pueblo mexicano están, en consecuencia, indisolublemente ligadas al aniquilamiento del nazi-fascismo en los campos de batalla europeos.
ERWÄHNUNG V O N JOSEF MARIA FRANKS MEXIKO 1STANDERS in „Los colegios alemanes. Centros de propaganda nazi," Alemania Libre 21. Februar, 1942: 1+.
"Alemania Libre" ha sabido por una fuente fidedigna que la jefatura de los nazis en México ha ordenado "medidas de protección" para las escuelas alemanas. Estas medidas fueron discutidas en una reunión secreta celebrada entre el Director del Colegio Alemán de México, D. F., W. Schroeter, y el nuevo jefe nazi de México y Director del Colegio Alemán de Puebla, Fritz Theiss, sesión a la que asistieron también otros jefes nazis. Las "medidas de protección" consisten en que los libros escolares nazis de la Alemania nazi, Historia, Etnología y Ciencias de las Razas, no deben ser entregados a los alumnos más que durante las horas de clase. Al final de la hora deben ser recogidos, [y] han de quedar guardados en la escuela para que no caigan en "manos incompetentes." Todas las circulares y las comunicaciones de la Organización en el extranjero y los demás escritos de propaganda, deben ser sacados de la escuela y llevados a un lugar seguro. Los colegios alemanes, desde hace mucho, tienen un papel especial en la red parda de la propaganda y espionaje nazi. El escritor nazi José María Frank los califica en su libro de viajes sobre México como "uno de los puestos activos más fuertes del nacional-socialismo." Los profesores de estos colegios son miembros del partido nazi ilegal y de la "comunidad alemana" nazi. Diversos maestros de las escuelas alemanas actúan en lugar destacado de la jefatura nazi; algunos pertenecen a la red especial del espionaje; otros a la organización de la Gestapo, extendida por todo el país, y que conspira contra el pueblo mexicano y su libertad. Las medidas citadas más arriba para las escuelas alemanas se extienden también a los colegios alemanes de Guadalajara y Monterrey. En los círculos nazis, circula la noticia de que un maestro de Guadalajara y otro de Monterrey, que se pronunciaron en contra de la propagación de las doctrinas hitlerianas sobre las razas en sus respectivas escuelas, han vuelto a ser metidos "en cintura" mediante amenazas de terror.
TRANSKRIPTION VON ,LO QUE PIENSAN LOS NAZIS DEL PUEBLO MEXICANO," Alemania Libre 7. März, 1942: 6.
"¿México para los mexicanos? ¡Pero si el mexicano no está nada maduro para eso!" A esta conclusión llegó el escritor nazi José María Frank en su libro „México es distinto" — es decir, distinto de como lo han visto y descrito los grandes alemanes no nazis. Este libro, resultado de un viaje a México que emprendió Frank por encargo del Dr. Goebbels, no es la única obra en la literatura nazi sobre la América Latina. Los libros nazis sobre el continente ibero-americano están escritos desde el "punto de vista político determinado racialmente," que ha de servir para fundamentar sus planes de conquista, sometimiento y saqueo de México y de toda la América Latina. "Lo que ha llegado a ser México - dice Frank — (me refiero a lo bueno), nos lo debe en fin de cuentas a nosotros los extranjeros exclusivamente. México vive de nuestros logros. Sin nosotros se moriría de hambre, se iría al diablo, malgastaría y derrocharía sus riquezas." "Maduros" para dominar a México están solo "los blancos." Pero, por desgracia, "el porcentaje de los blancos ha disminuido." "La totalidad de la raza blanca se halla amenazada." ¿Por qué? Por el aumento en población "de los indios y de los mestizos." Los dos grupos, dice Frank, son "igualmente peligrosos." "Los indios de México son portadores de una cruel masa hereditaria que surgió de un cruento y aletargador culto de sacrificios. Representan el proletariado de México, peligroso porque constituye casi la mitad de la población." La raza india es un factor de potencia que alguna vez puede fácilmente hacerse sentir en Europa de manera desagradable." "Su raciocinio es el gran peligro." "Los bastardos," "esa gente, esos mestizos que se acicalan para parecer más indios," son tratados por Frank con un desprecio no menor. "Ellos - brama Frank - han dado a la comuna india la tierra de los hacendados. Ellos inventaron la divisa del 'indianismo' y la de 'México para los mexicanos'." L o s MESTIZOS SON LA DESDICHA DE MÉXICO
Los mestizos, afirma el escritor nazi, son la desgracia de México. El país sufre "la carga de esta mezcla de sangre de medio México, enemiga en sí misma, mezcla de sangre de razas opuestas y hostiles entre sí: media sangre. Y la media sangre es una desgracia. La sangre de una raza quiere esto; la sangre de la otra raza, lo de más allá. Un hombre así es una desgracia para sí mismo. Es un desesperado. Y eso es México."
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"México no tiene remedio" — sostiene Frank. Por tanto, si el pueblo mexicano es incapaz de gobernarse a sí mismo, ¿dónde, pues, está la "salvación", en opinión de los nazis? En la raza señorial "aria", contesta otro escritor nazi, Colin Ross, en su libro "Los Balcanes de América": "Para que México se libre del caos ininterrumpido de sus revoluciones, contrarrevoluciones, pronunciamientos y sublevaciones, no veo más que dos posibilidades: o se restaura el dominio de los blancos, o se resuscita el imperio azteca." Para Colin Ross, el extranjero blanco ya es el amo arraigado en la tierra, y el indio es un extraño. En una conversación con un nazi propietario de un cafetal, Colin Ross pone en boca del nazi las siguientes palabras: "Vea usted, ya tengo ahí abajo acomodados un grupo de agraristas, indios y mestizos extranjeros que, sin más ni más, han anidado en mi terreno. N o me es permitido echarlos."
L o s MEXICANOS N O Q U I E R E N C O M P R E N D E R A LAS RAZAS SUPERIORES
Para poder echarlos, es preciso restaurar el dominio de los blancos. ¿Qué aspecto tendría la cosa? El agregado militar alemán en Ankara, coronel Hans Rohde, se encarga de decírnoslo. En una tertulia, manifestó: "Bulgaria es el México de los Balcanes: sus campesinos tienen demasiado gusto por la libertad. No quieren comprender a las razas superiores. Por suerte, tenemos el medio de hacerles entrar en razón, y si el ejemplo de Polonia no les basta para mantenerse quietos, peor para ellos." Pero nadie ha dado expresión al "criterio racial" de los nazis frente a los mexicanos y los países latinoamericanos en forma más aguda que uno de los colaboradores más íntimos de Hitler, el Dr. Robert Ley, Jefe del Frente Alemán del Trabajo y carcelero mayor de la clase obrera alemana. Durante una discusión en la conferencia de la Oficina Internacional del Trabajo, en Ginebra, el Dr. Ley declaró lo siguiente: "Imaginad la estupidez de que países idiotas como México, Cuba, Uruguay y Bolivia, hayan de tener los mismos derechos e igual voto que Alemania e Italia." La suerte que amenaza a México en el caso de una victoria nazi, sería la misma que la "señorial raza aria" ha proporcionado a las razas inferiores de los checos, eslovacos, polacos, serbios, franceses, belgas... "degenerados" y racialmente "inferiores". Una victoria de Hitler significaría para el pueblo de México la pérdida total de su independencia y una esclavitud peor que las conocidas por este país en su atormentada historia. En una serie de artículos mostraremos, a partir del próximo número, lo que significaría la victoria del imperialismo nazi para las diversas capas de la población, para la iglesia, para los obreros y empleados, los campesinos, la clase media, los industriales, las profesiones liberales, los intelectuales, en una palabra: para todo México.
ERWÄHNUNG VON DER BALKAN AMERIKAS (COLIN ROSS) U N D MEXIKO IST ANDERS (JOSEF MARIA FRANK) in „Biblioteca circulante de la Quinta Columna," Alemania Libre 7. März, 1942: 2.
El "Hogar" del grupo femenil alemán del movimiento nazi en México sostiene, entre otras cosas, una biblioteca circulante en la que se reparten continuamente libros contra la democracia, así como los escritos propagandísticos más importantes del nacional-socialismo. La más reciente distribución de libros se efectuó el pasado miércoles 4 de marzo entre las 4 y las 6 de la tarde. Entre los libros prestados, figuran escritos de excitación contra la democracia mexicana, así como contra los Estados Unidos e Inglaterra. Entre ellos, está el conocido libro "La Casa Blanca convertida en la Casa Judía," el libro de Colin Ross "México, los Balcanes de América" y un libro del escritor José María Frank; en estas dos obras se fustiga a México del modo más salvaje. En la biblioteca circulante se hallan expuestos, además, los escritos del Dr. Atl: "Paz Germana a Paz Judaico-Británica," "La Derrota de Inglaterra" y otros. El Dr. Atl ha sido denunciado por sus actividades subversivas al Procurador General de la República por el presidente del Comité Anti-Sinarquista, señor Félix Díaz Escobar. El verdadero nombre del Dr. Atl es Gerardo Murillo.
TRANSKRIPTION VON RUDOLF FÜRTH, ,LA O P I N I Ó N Q U E LOS NAZIS T I E N E N D E M É X I C O , " Alemania Libre 15. März, 1943: 6.
El artículo que insertamos a continuación fue difundido el 30 de marzo en el curso de una emisión del Movimiento "Alemania Libre" en Radio Nacional Los hitleristas han tratado repetidas veces de manifestarse como amigos de México. Pero no es otra cosa que una de sus numerosas maniobras de engaño. Los nazis mienten: ni son ni fueron ni serán nunca amigos de México. Al contrario: los fascistas alemanes odian a México. Desprecian al pueblo mexicano. El doctor Goebbels, ministro de Propaganda de Hitler, envió a México hace algunos años a uno de sus agentes, llamado Colin Ross. Este escritor nazi informó sobre su viaje a México en su libro "El Balcán de América." Ya el título del libro es un ultraje a México, pues con el nombre de Balcán, el hitleriano Ross quiere significar "desorden, caos, falta de cultura." Pero todavía contiene este libro otras insolencias que revelan la verdadera "estimación" que los nazis sienten por México. Para Ross, el agente nazi, "no existe una nación mexicana." Este escritor nazi escribe textualmente en su libro: "En siglos no existirá todavía ninguna nación mexicana. México es un concepto sin contenido." En otro párrafo de su libro, el nazi Ross ultraja al ejército mexicano. Escribe: "El ejército mexicano surgió de traición. Este espíritu de traición se ha conservado desde entonces en el ejército mexicano." Así piensan los hitlerianos sobre el valiente ejército mexicano. El hitleriano Ross escribió palabra por palabra: "La conquista española fue también prudente y humana." La forma democrática del régimen de México tampoco les gusta a los nazis. Declaran sin rodeos que no están conformes con ella. El nazi Ross se atreve a escribir sobre este asunto las palabras siguientes: "Aplicando erróneamente las ideas de la revolución francesa, México se dio un régimen democrático, que de ningún modo le es adecuado." Y el nazi inclusive argumenta su opinión. Dice y confirma: "México es un país colonial de color regido durante siglos por una clase de señores blancos." Y bajo ese régimen debiera haber quedado, según la opinión de los nazis, quienes dicen como Ross: "México no está maduro para la independencia." ¿Y por qué? El nazi lo fundamenta en la razón siguiente: "México no ha formado aún una nueva cultura adecuada al país."
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En la opinión de los hitlerianos, los mexicanos son una "baja raza mixta." Los nazis desprecian al indio. El ministro nazi, Ricardo Darré, escribió al pie de la letra: "El indio es de índole cruel y alevosa. No hay compasión de los 'pobres' indios. Son ladrones y bandidos. Hay que exterminarlos." Esto lo escribió verbalmente el ministro hitleriano Ricardo Darré. Los nazis son enemigos del pueblo mexicano. Sus teorías contienen una significación seria. Tras ellos se esconden fines imperialistas de conquista. Es muy característico lo que escribe el nazi Ross: "México está madurando para una segunda conquista. México necesita una nueva clase superior de mirada perspicaz." Otro escritor nazi fantasea sobre la "resurección del vierreinato." Son precisamente los nazis quienes, como agentes de la plutocracia alemana, tienen la intención de dominar y saquear a México. El mismo Hitler, en una plática con su antiguo amigo germano Rauschning, lo declaró sin rodeos, francamente, diciendo: "¡Ese Eldorado de México! Ah, si fuésemos dueños de ese país, pronto acabarían todas nuestras dificultades. Alemania sería grande si se apoderase de las minas mexicanas." Los hitlerianos odian a México y anhelan codiciosamente los tesoros del país. Los hitlerianos desprecian al pueblo mexicano y a su magnífica cultura. Execran a este pueblo admirable que hizo tantos sacrificios por la libertad, la democracia y la independencia nacional. Los nazis calumnian a los mexicanos también por haber demostrado a todos los hombres, y entre ellos aún a nosotros, los alemanes libres, que la libertad se consigue y se conserva sólo luchando intrépidamente.
ANHANG IV. FOTOGRAFIEN
j Obwohl Colin Ross als Amerika-Spezialist in NS-Deutschland galt, lässt sich die Relevanz von Der Balkan Amerikas für sein gesamtes Reisewerk begründen: die Nachbarschaft von Mexiko zu den USA, die Enteignung der Ölindustrie und die Auswirkungen der Revolution. M a n darf nicht vergessen, dass Länder wie Mexiko dem Dritten Reich wichtige Rohstoffe lieferten und dass der zunehmende Einfluss des Kommunismus ein zentrales Thema für den Nationalsozialismus war. (Colin Ross. Der Balkan Amerikas. Leipzig: Brockhaus, 1937)
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Deutsche Siedler in einer Kaffeefinka im Bundesstaat Chiapas. „Auf der Veranda der Finka Germania lauschten wir den Stimmen der alten Heimat, die aus dem Lautsprecher zu uns drangen." {Der Balkan Amerikas, 1937)
Anhang IV. Fotografien
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,Der deutsche Farmer ist sehr beliebt bei seinen Leuten." Die deutschen „Schicksale" sind ein häufiges Motiv in der deutschen Reiseliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts. (Foto aus Der Balkan Amerikas, 1937)
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Familie Ross in einer Urwald-Exkursion (Chiapas). Von links nach rechts: Renate (Tochter), Ralph (Sohn), Lisa (Frau) und Colin Ross. (Foto aus Der Balkan Amerikas, 1937)
A n h a n g IV. F o t o g r a f i e n
„Ralph, der Archäologe". Das jüngste Kind von Colin Ross starb als Soldat im Zweiten Weltkrieg. (Foto aus Der Balkan Amerikas,
1937)
301
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
.Renate, die Zoologin". Ross' Tochter war Universitätsstudentin als sie mit ihrer Familie nach Mexiko reiste. (Foto aus Der Balkan Amerikas, 1937)
A n h a n g IV. F o t o g r a f i e n
ISA (SÜD STAA TEN)
MEXIKO
WESTINDIEN
MfTTELAMERIKAN. STAATEMI
^ Weiße A lodUnet und j Neger und ® Indunermuchlinge ' NegermUchlmge J«de Figur bedeutet eine Million Meoicheo
NORD- U. ZENTRALSTAATEN SÜDAMERIKAS Rassenkarte von „Zwischenamerika 1 ' Eine „Rassenkarte" vom amerikanischen Kontinent. (Aus Der Balkan Amerikas, 1937, 258)
303
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Colin Ross im mexikanischen Revolutionskrieg, ca. 1914. (Foto aus Das Fahrten- und Abenteuerbuch, 1933, 84)
Anhang IV. Fotografien
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Bild oben: Die Holelbedienung verabschiedet sich t on Dr. Colin Roß. Bild links: Siaatsjugeml,
Siamesische
Colin Ross in Japan (ca. 1940). Aufnahmen aus seinem Film „Das neue Asien". (Aus Der Ausländsdeutsche XXIX ]hg„ H . 4, April, 1941: 104)
306
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
MEXIKO
IST
ANDERS
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Jeitl tftria frasfc
• CCHXLrt SUnOI litHK
Wahrend in Mexiko Josef Maria Franks Reisebericht als rassistische und kolonialistische Propaganda angesehen wurde, galt dieser Text in Deutschland als Porträt einer vermutlichen Zurückdrängung westlicher Kultur außerhalb Europas. In biographischen Schriften ernannte sich Frank selber als Spezialist im mittelamerikanischen und karibischen Raum. Dennoch publizierte er nur drei Reisetexte über Lateinamerika. (Josef Maria Frank. Mexiko ist anders. Berlin: Wegweiser-Universitas, 1938)
Anhang IV. Fotografien
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Josef Maria Frank in Haiti (ca. 1935). (Foto aus Paradies mit Vorbehalt, 1936)
Anhang IV. Fotografien
Die nationalsozialistische Flagge im deutschen Ruderklub in Xochimilco bei Mexiko-Stadt. (Foto aus Mexiko ist anders, 1938)
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D e u t s c h e Reiseliteratur ü b e r M e x i k o i m N a t i o n a l s o z i a l i s m u s
Die jüngsten deutschen Jahrgänge Mexikos mit mexikanischen Kindern auf dem H o f e der Deutschen Schule in Mexico-City Die deutsche Schule in Mexiko-Stadt. In der Bibliothek der Alexander-von-HumboldtSchule befindet sich ein Exemplar von Mexiko ist anders. (Foto aus Mexiko ist anders, 1938)
Anhang IV. Fotografien
311
Die ifidiartùdic Familie: Schwei g»am bcgut*dnet »e einen eben erhandelten Truthahn Mexikos „Indianer". (Foto aus Mexiko ist anders, 1938)
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
kommunistisdie Jungstudcntcn-Demonstration beim
Alamedi-Park
Eine Demonstration von kommunistischen Studenten in Mexiko-Stadt. (Aus Mexiko ist anders, 1938)
A n h a n g IV. Fotografien
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Der ewige Schnecrikken des 5286 m hohen Ixtaccihuatl im kühlen Lande Die Vulkanen Popocatepetl und Iztaccihuatl hinterließen einen tiefen Eindruck bei D. H. Lawrence und fungieren in seinem Roman The Plumed Serpent (1926) als Symbole der aztekischen Vergangenheit. Josef Maria Frank greift auch darauf zurück. {hm Mexiko ist anders, 1938).
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Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
Eine Seite in Riveris Bilderbuch für den „Bruder
Indio" im
Nationalpalast
Karl Marx in Mosesmaske als Wegweiser ins gelobte Indioparadies!
Frank kommentiert Diego Riveras Wandmalerei: .Eine Seite in Riveras Bilderbuch für den .Bruder Indio' im Nationalpalast: Karl Marx in Mosesmaske als Wegweiser ins gelobte Indioparadies!". (Aus Mexiko ist anders, 1938).
Anhang IV. Fotografien
315
Blid« 7ur Plattform der MondpvramiJc Die vorhispanische Architektur wird mit Erstaunen von Ross und Frank kommentiert. Die Darstellung der aztekischen Welt als eine totalitäre Gesellschaft ist auffällig. (Fotos aus Mexiko ist anders, 1938)
QUELLENVERZEICHNIS
A R C H I V E U N D BIBLIOTHEKEN
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PERSONENREGISTER
Aeldert, Ludwig 31 Alamán, Lucas 120 Alarcón, Pedro de 71 Avila Camacho, Manuel 110, 116, 238 Bartels, Alfred 21, 24, 31, 73, 89, 95 Baudrillard, Jean 48 Becker, O. E. H. 36 Bedford, Sybille 241 Bibra, Ernst von 170 Blumenbach, Johann Friedrich 165 Boccacio, Giovanni 76 Bodenreuth, Friedrich 33 Bolaño, Roberto 263 Brecht, Bertolt 24 Brentano, Lujo 80 Breton, André 13, 260 Buffon, Graf von 165 Bürger, Berthold 27 Buñuel, Luis 13 Burckhardt, Jakob 80 Burkart, Josef 28, 40 Bustamante, Carlos Maria 120 Calderón, Matilde 209 Calles, Plutarco Elias 16, 100, 129, 190, 247, 260 Canetti, Elias 23 Cárdenas, Lázaro 11, 15, 16, 17, 42, 106, 109, 110, 139, 150, 157, 163, 191, 200, 214, 219, 220, 225, 240, 255, 256, 260, 262 Carranza, Venustiano 193, 219 Carrington, Leonora 13 Caso, Antonio 120 Castellanos, Rosario 261 Castillo, Bernal Díaz del 54, 127, 128, 134, 152, 155 Castro Leal, Antonio 77, 102 Cedillo, Saturnino 255, 256, 257
193,
100, 179, 241,
131,
Conrad, Joseph 161, 249 Cortés, Hernán 39, 54, 58, 139, 140, 141150, 152, 155, 161, 162, 169, 195, 208, 209 Cruz, Sor Juana Inés de la 47 Cuesta, Jorge 200, 261 Defoe, Daniel 202, 227 Díaz, Porfirio 37, 39, 41, 178, 183, 220 Diderot, Denis 50 Diesel, Roben 80 Dostojewski, Fjodor 76 Duthendey, Max 32 Eber, Elk 172 Eisenstein, Sergei 41, 260 Fairbanks, Douglas 146, 148, 149 Fechter, Paul 24, 31 Federmann, Niklas 169 Fernández de Lizardi, José Joaquín 50 Feuchtwanger, Lion 13, 17, 76, 197, 198 Flaubert, Gustav 161 Flores Magón, Enrique 190 Flores Magón, Ricardo 190 Foehse, Ludwig 170 Fontane, Theodor 30, 217 Forster, Georg 50 Frank, Bruno 76, 10 Freud, Sigmund 83 Frey, W. 170 Friedrich, Caspar David 30 Fuentes, Carlos 199, 261 Fugger (Familie) 169 Fürth, Rudolf (Feistmann, Rudolf) 102, 105, 211 Gagern, Friedrich von 32 Gamio, Manuel 163 Garbo, Greta 26, 71, 75 Garcilaso, El Inca 162 Gellhorn, Martha 47
Deutsche Reiseliteratur über Mexiko im Nationalsozialismus
330
Gerstäcker, Friedrich 28, 38, 60, 88, 170, 217, 2 2 6
Kästner, Erich 24, 27, 68, 69, 2 7 5 , 2 7 9 , 2 8 1 -
282
Gobineau, Arthur de 211
Kennedy, John F. 96
Goebbels, Joseph 17, 23, 26, 27, 98, 105,
Kerouac, Jack 41, 47, 2 4 1
109, 128, 129, 197, 2 1 1 , 2 8 9 , 2 9 3
Khevenhüller, Carl 28, 4 0
Goedsche, Franz Hermann 119, 170, 174, 175
Kieling, Andreas 34
Goethe, Johann Wolfgang von 30, 76, 112
Kino, Padre 4 0
Goldschmidt, Alfons 13, 4 2
Kisch, Egon Erwin 13, 17, 24, 57
Gothein, Eberhard 8 0
Kolumbus, Christoph 136, 167, 2 7 1
Goyert, Georg 2 3 9
Konsag, Ferdinand 4 0
Graf, Georg Engelbert 35
Kühn, Eusebius Franz 4 0
Graun, Karl Heinrich 4 0
Langer, Norbert 31
Greene, Graham 13, 41, 191, 200, 2 4 1 , 2 6 0
Las Casas, Bartolomé de 54, 107, 127, 161
Griese, Friedrich 2 5
Laske, Gotthard 7 2
Grimm, Hans 25, 126
Lawrence, D. H. 13, 20, 22, 28, 41, 51, 59,
Großen, Friedrich der 4 0 Gumplowicz, Ludwig 150, 2 1 2 Habsburg, Maximilian von 4 0 Härtung, Joana von 6 6 Hauff, Wilhelm 197 Hauptmann, Gerhard 2 4 Haushofer, Karl 52, 84, 112 Helfritz, Hans 99 Herold, Heinrich 170 Hess, Rudolf 52, 8 4 Hesse, Hermann 81 Heuss, Theodor 98, 101 Hidalgo, Miguel 54 Himmler, Heinrich 211 Hindenburg, Paul von 67 Hinsehe, Max 3 6 Hitler, A d o l f p a s s i m . Hoffmann-Harnisch, Wolfgang 99 Homer 47, 63 Humboldt, Alexander von 28, 30, 36, 40,
100, 114, 129, 151, 161, 162, 186, 188, 189, 191, 200, 205, 207, 2 3 2 , 2 3 3 , 2 3 9 257, 2 6 0 , 262, 272, 3 1 3 Lawrence, Frieda 241, 2 4 2 Lessing, Carl Friedrich 30, 7 6 Linden, Walter 31 Madero, Francisco I. 183, 193 Malinche 110, 140, 141 Mann, Heinrich 23, 81 Mann, Thomas 24, 98 Martin, Heinrich (Enrico Martínez) 4 0 Marx, Karl 150, 157, 193, 194, 195, 2 1 4 , 271, 3 1 4 Maugham, Somerset 162 May, Karl 26, 38, 39, 60, 88, 119, 170, 171, 172, 174, 2 6 2 Mayer, Konrad 2 1 8 Miegel, Agnes 25 Mier, Fray Servando Teresa de 120, 127 Miller, Oskar von 80
44, 48, 50, 54, 77, 88, 89, 92, 101, 106,
Möller, Eberhard Wolfgang 25
125, 136, 166, 169, 170, 2 2 7 , 2 2 8
Montezuma / Moctezuma 40, 121, 145, 146,
Huxley, Aldous 13, 41, 98, 191, 200, 241, 260
152, 175, 176, 178, 212, 2 1 9 Mora, Luis 120
Jesus Christus 153, 154, 155
Morelos y Pavón, José María 120
Johst, Hans 8 6
Morrow, Dwight G. 2 0 8
Juárez, Benito 158, 167, 171, 193, 2 0 1
Mühlenpfordt, Eduard 28, 30, 4 0
Kahlo, Frida 121, 157, 2 0 9
Müller, Hermann 8 2
Kahlo, Wilhelm 2 0 9
Müller, Karl 31
Kaléko, Mascha 23, 2 7
Muschg, Walter 3 2
Kant, Immanuel 165, 166
Mussolini, Benito 137, 197
Karl V. von Spanien 54, 147
Nadel, Joseph 21, 95
Personenregister Nadler, Josef 31, 32, 73, 89 Neruda, Pablo 210 Nietzsche, Friedrich 143 Nooteboom, Cees 48 Novo, Salvador 200, 261 Nowack, Wilhelm 36 Obregón, Alvaro 190, 247 Ocken, Hermann 80 Oehlke, Waldemar 21, 30, 32, 33, 73, 89 Orozco, José d e m e n t e 140, 141 Otto, Rudolf 206 Pabst, Georg Wilhelm von 83 Pacheco, José Emilio 263 Peter, Lisa 80 Petersen, Carlos "der junge" 229, 230, 231 Petersen, Pablo "der alte" 226, 227, 228, 229, 230, 231 Pfefferkorn, Ignaz 40 Philipp III. von Spanien 162 Pistorius, Franz 170 Poma de Ayala, Guamán 162 Prescott, William H. 54, 130, 134, 147 Puschkin, Alexander 76 Quetzalcóatl, Ce Acátl Topiltzin 152 Raleigh, Sir Walter 119, 166 Ramos, Samuel 262 Ratzel, Friedrich 112 Reed, John 13, 41, 241, 260 Rehfus-Oberländer, Carl 31 Reinhard, Johann Christian 30 Riefenstahl, Leni 25, 124, 133, 143, 169 Rivera, Diego 15, 66, 121, 141, 157, 195, 196, 197, 198, 200, 207, 208, 209, 210, 214, 236, 243, 244, 245, 257, 314 Rodríguez, Nicolás 255, 257 Rojas, Ricardo 183, 184 Rosenberg, Alfred 73 Ross, Charles 80 Ross, Colin (Urgrossvater) 80 Ross, Friedrich 80 Ross, Fritz 84 Ross, Gustav 80 Ross, Ludwig 80
331
Ross, Ralph Colin 85 Rulfo, Juan 199, 261 Sáenz, Moisés 163 Sartorius, Carl Christian 30, 40 Schikowski, John 42 Schinkel, Karl Friedrich 40 Schirmer, Johann Wilhelm 30 Schmeling, Max 228 Schüler, Else-Lasker 23 Seghers, Anna 13, 17, 24, 102 Sepúlveda, Juan de 161 Serge, Victor 13, 41 Sitting Bull 170 Speer, Albert 124, 171 Spoerl, Heinrich 26 Staden, Hans 169 Steffel, Matthäus 40 Steuben, Fritz 26, 60, 171 Stucken, Eduard 32, 154, 174, 2 6 2 Taut, Franz 31 Toledano, Vicente Lombardo 42 Traven, B. 41, 42 Treller, Franz 119, 170 Trotha, Lothar von 150, 213 Trotski, Leon 157, 214, 215, 245 Tucholsky, Kurt 81 Ullstein (Familie) 27, 82, 84 Ullstein, Hilda 84 Varo, Remedios 13 Vasconcelos, José 22, 42, 98, 121, 141, 142, 143, 163, 184, 185, 186, 189, 207 Vespucci, Amerigo 166 Villa, Pancho 14, 42, 56, 57, 59, 81, 122, 182, 188, 190, 1 9 3 , 2 6 8 Virgil 47 Volpi, Jorge 263 Vossler, Karl 98 Wagner, Richard 211 Weber, Max 80 Weiser (Familie) 169 Wessel, Horst 129, 211, 212 Zischka, Anton 87