Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten im Strafrecht [1 ed.] 9783428527854, 9783428127856

Lässt sich einem Individuum, das durch ein inkriminiertes Verhalten eine Kausalkette in Gang gesetzt hat, ein dadurch ve

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German Pages 479 Year 2008

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Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten im Strafrecht [1 ed.]
 9783428527854, 9783428127856

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Schriften zum Strafrecht Heft 198

Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten im Strafrecht Von

Fedor Strasser

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

FEDOR STRASSER

Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten im Strafrecht

Schriften zum Strafrecht Heft 198

Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten im Strafrecht

Von

Fedor Strasser

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-12785-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Abhandlung wurde im Sommersemester 2007 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung konnten in den Fußnoten Rechtsprechung und Schrifttum bis einschließlich März 2008 berücksichtigt werden. Herrn Professor Dr. Rudolf Rengier gebührt mein besonderer Dank für eine vorbildliche Betreuung dieser Arbeit. Er hat die Abfassung mit viel Verständnis begleitet und die Arbeit durch anregende Kritik stetig gefördert. Meinen Ansichten stand er dabei immer offen gegenüber – ungeachtet der damit verbundenen Divergenzen zu seinen eigenen Modellen und Auffassungen. Besonderen Dank möchte ich auch Herrn Professor Dr. Jörg Eisele für die rasche und eingehende Zweitbegutachtung aussprechen.1 Mein innigster Dank gilt schließlich meinen Eltern, Renate und Dr. Franz Strasser, deren rückhaltlose Förderung und Unterstützung mir auf meinem Lebensweg stets zuteil wurden. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Ravensburg, im April 2008

1

Fedor Strasser

Schroeder, JZ 2000, 353 mag seine Empfindungen haben; ich habe die meinen.

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

Erster Teil Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten in der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik

38

1. Kapitel Grundlagen 1. Abschnitt: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten . . . . . . . .

38 38

2. Kapitel Die Zurechnung von Retterverhalten 2. Abschnitt: Der Retter als Schädiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72 72

3. Abschnitt: Der Retter als Geschädigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

3. Kapitel Die Zurechnung von Fluchtverhalten

246

4. Abschnitt: Der Flüchtende als Geschädigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 5. Abschnitt: Der Flüchtende als Schädiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253

4. Kapitel Die Zurechnung von Verfolgerverhalten

256

6. Abschnitt: Der Verfolger als Geschädigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 7. Abschnitt: Der Verfolger als Schädiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292

10

Inhaltsübersicht

Zweiter Teil Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten bei den erfolgsqualifizierten Delikten

294

5. Kapitel Das Unmittelbarkeitskriterium der erfolgsqualifizierten Delikte

295

8. Abschnitt: Die Bedeutung des sogenannten Unmittelbarkeitskriteriums . . . . . . 295

6. Kapitel Die Zurechnung von Fluchtverhalten

306

9. Abschnitt: Fluchtfälle in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 10. Abschnitt: Die Lösung von Fluchtfällen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 11. Abschnitt: Entwicklung des eigenen Lösungsmodells für Fluchtfälle . . . . . . . . 361

7. Kapitel Die Zurechnung von Retterverhalten

374

12. Abschnitt: Retterfälle in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 13. Abschnitt: Die Lösung von Retterfällen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 14. Abschnitt: Übertragung des eigenen Lösungsvorschlags auf die Retterfälle . . . 395

8. Kapitel Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Tatbestand mit strafbegründender schwerer Folge

413

15. Abschnitt: Die Zurechnung von Flucht- und Retterverhalten beim Tatbestand der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . 413 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

Erster Teil Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten in der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik

38

1. Kapitel Grundlagen

38

1. Abschnitt Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten A. Der Kausalzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ursächlichkeit als logischer Schluss – conditio-sine-qua-non . . . . . . . II. Naturalistisch geprägter Ursachenzusammenhang – Die Formel der gesetzmäßigen Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der praktische Syllogismus Bernsmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die genetische Kausalerklärung Puppes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Zurechnungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Adäquanztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Versari-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Regressverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die klassische Lehre vom Regressverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die neuere Lehre vom Regressverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Naucke, Welp, Wehrle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsprechung und überwiegende Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Schutzzweckzusammenhang als Risikozusammenhang im engeren Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Bedeutung des Vertrauensgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Risikoverwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatbestandsmäßig missbilligtes Verhalten (Frisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38 38 38 40 44 46 50 51 52 54 54 55 56 56 58 59 62 63 65

12

Inhaltsverzeichnis 2. Risikoverwirklichung als Element der objektiven Zurechnung . . . . . . . 3. Risikoverwirklichung und Adäquanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Trennung oder Verschmelzung der Kriterien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfungsreihenfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65 67 67 68

C. Zwischenergebnis und Gang der weiteren Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . .

70

2. Kapitel Die Zurechnung von Retterverhalten

72

2. Abschnitt Der Retter als Schädiger A. Einführung in die denkbaren Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Retter schädigt das Opfer des Primärschädigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Schädigung des Opfers tritt durch den Transport ins Krankenhaus ein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die allgemeine Teilnahme am Straßenverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Inanspruchnahme von Sonderrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Schädigung tritt durch aktives Retterverhalten ein . . . . . . . . . . . . . . a) Leicht fahrlässiges Fehlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grob fahrlässiges Fehlverhalten (Leichtfertigkeit) . . . . . . . . . . . . . . . c) Gröblichstes Fehlverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Überschießende Behandlungsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fehlbehandlung nach bereits behobener Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Rettung erfolgt auf Kosten eines anderen Hilfsbedürftigen . . . 3. Die Schädigung tritt durch Unterlassen des Retters ein . . . . . . . . . . . . . a) Fahrlässiges Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorsätzliches Unterlassen bei Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorsätzliches Unterlassen bei eintretender Lebensgefahr für den Retter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vorsätzliches Unterlassen bei Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Retter ist zugleich Erstschädiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Retter schädigt einen unbeteiligten Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Retter schädigt einen anderen Retter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Der Retter schädigt das Opfer des Primärschädigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgrenzung Folgeschaden – Zweitschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Schädigung des Opfers im Spiegel der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . 1. Strafrechtliche Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland . . 2. Strafrechtliche Rechtsprechung in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72 72 73 73 73 73 73 73 73 73 74 74 74 74 74 75 75 75 75 76 76 76 76 76 77 78

Inhaltsverzeichnis

13

3. Überblick der zivilrechtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Würdigung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das allgemeine Lebensrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriffsbestimmung „Risiko“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriffsbestimmung „allgemeines Lebensrisiko“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Maßstab zur Bestimmung des allgemeinen Lebensrisikos . . . . . . . 4. Das Verhältnis des allgemeinen Lebensrisikos zum sozialadäquaten Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Allgemeines Lebensrisiko und strafrechtliche Zurechnung . . . . . . . . . . . a) Die allgemeine Teilnahme am Straßenverkehr (oben Fall 1) . . . . . . b) Die Inanspruchnahme von Sonderrechten (oben Fall 2) . . . . . . . . . . IV. Lösungsmodelle des Schrifttums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliche Ablehnung einer Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Donatsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kienapfel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Differenzierung zwischen aktivem Tun und Unterlassen des Retters . . a) Rudolphi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schmoller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rengier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Differenzierung nach dem Grad des Verschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Burgstaller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rengier, Wolter, Cramer/Sternberg-Lieben . . . . . . . . . . . . . . . . b) Folgeproblem: Der Zusammenhang zwischen Enderfolg und Fehlverhalten des Retters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Äquivalenzgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) In dubio pro reo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vermutung der Kausalbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wahrscheinlichkeitsquote von mindestens 50% . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Kriterium der Steuerbarkeit bei Otto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Zuordnung zu Verantwortungsbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Trennung von der Unerlaubtheit des Erst- und des Zweitrisikos bei Namias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Differenzierende Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schünemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maiwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Frisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Puppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82 82 85 85 86 86 87 88 89 91 92 92 92 92 93 93 93 94 95 96 99 99 99 99 100 101 101 102 102 103 107 109 110 112 112 114 115 120

14

Inhaltsverzeichnis V.

Entwicklung des eigenen Lösungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwirklichung der gesetzten Ausgangsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fortwirken der gesetzten Ausgangsgefahr bei leicht fahrlässigem Fehlverhalten (oben Fall 3 und Fall 9 lit. a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überschießende Behandlungsfolgen (oben Fall 6) . . . . . . . . . . . . . . . c) Fehlbehandlung nach bereits behobener Gefahr (oben Fall 7) . . . . . d) Angriffsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Grob fahrlässiges Fehlverhalten (oben Fall 4 und Fall 9 lit. b) . . . . f) Gröblichstes Fehlverhalten (oben Fall 5 und Fall 9 lit. c) . . . . . . . . . g) Die Rettung erfolgt auf Kosten eines anderen Hilfsbedürftigen (oben Fall 8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Vorsätzliches Unterlassen bei Pflichtenkollision (oben Fall 10) . . . i) Vorsätzliches Unterlassen bei eintretender Lebensgefahr für den Retter (oben Fall 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Vorsätzliches Unterlassen bei Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens (oben Fall 12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Gewinn des Lösungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Absehbarer Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Annex zur vorsätzlichen Primärschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorsätzliche Körperverletzung als Primärschädigung . . . . . . . . bb) Primärschädigung mit Tötungsvorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rettung auf Kosten eines anderen Hilfsbedürftigen . . . . . (2) Scheitern der Revokation bei Einbindung von Dritten . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123 123 126

C. Der Retter ist zugleich Erstschädiger (oben Fall 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. BGH NJW 1955, 1487 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. BGH JR 1989, 382 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Eigenes Lösungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

149 150 150 150 151 153

126 128 129 130 130 132 135 138 140 141 143 143 144 144 145 145 147 148

D. Der Retter schädigt einen unbeteiligten Dritten (oben Fall 14) . . . . . . . . . . . 155 E. Der Retter schädigt einen anderen Retter (oben Fall 15) . . . . . . . . . . . . . . . . 157 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Inhaltsverzeichnis

15

3. Abschnitt Der Retter als Geschädigter

158

A. Einführung in die denkbaren Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der rechtlich verpflichtete Retter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Garantenpflichtige Retter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Familienangehörige: Eltern und Geschwister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Amtlich verpflichtete Retter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliche Verpflichtung nach § 323 c StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rettung bei fehlender rechtlicher Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rettung eigener Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der in der Steuerungsfähigkeit eingeschränkte Retter . . . . . . . . . . . . . . . . . .

158 159 159 159 159 159 159 160 160

B. Die Fallgruppen im Spiegel der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Strafrechtliche Rechtsprechung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. BGHSt 39, 322 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Strafrechtliche Rechtsprechung in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Überblick über die zivilrechtliche Rechtsprechung in Deutschland . . . . . .

160 160 160 162 165 169

C. Psychisch vermittelte Kausalität und Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Determinismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Indeterminismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Konklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Popper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermittelnde Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Differenzierung zwischen Informationsverarbeitung und Entscheidungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Willensfreiheit als normative Setzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

173 174 174 175 177 177 178 178 179

D. Einordnung in die Systematik der Selbstgefährdungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 E. Vorfindbare Lösungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Generelle Ablehnung der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Roxin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. K. Günther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Diel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Generelle Zurechnung ohne weitere Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

185 185 185 187 188 189 192

16

Inhaltsverzeichnis III. Zurechnung unter dem Gesichtspunkt der Steuerbarkeit der Gefahrenquelle durch den Erstverursacher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zurechnung unter dem Aspekt der bewussten Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . V. Zurechnung auf der Grundlage der Bestimmung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine eigenverantwortliche Selbstgefährdung bei gesetzlicher Hilfspflicht sowie bei Vernünftigkeit der Rettungsaktion . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung alleine am Maßstab des § 35 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zurechnung auf der Grundlage der Wertungsmaßstäbe der §§ 34 StGB, 228 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bestimmung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung unter dem Gesichtspunkt des Zwangs (§ 240 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zurechnung unter dem Gedanken der fahrlässigen mittelbaren Täterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Relativierende Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Relativität des Freiheitsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Abhängigkeit der Freiheit von der Art der zuzurechnenden Verantwortlichkeit bei Biewald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

F. Entwicklung des eigenen Lösungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Exkurs: Die Psychologie des Hilfeverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der innere Widerspruch einer Zurechnungslehre unter der Prämisse der „fehlenden rechtlichen Verpflichtung zur Hilfe aber sozial erwünschten Rettungsaktion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umfang der Gefahrtragungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Berufsmäßige Retter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Normative Regelungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Grad der Wahrscheinlichkeit der unzumutbaren Eigengefährdung und Standpunkt der Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Private Retter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. „Vernünftige“ Rettungsaktionen jenseits des rechtlich Gebotenen? . . . III. Die strafrechtliche Relevanz des Vorverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Räumliche und zeitliche Konnexität mit dem Gefahrenfeld . . . . . . . . . . . . . V. Rettertätigkeit und der Aspekt der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das eigene Lösungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Normative Korrespondenz zwischen Pflichtverletzung des Gefahrverursachers und Schutzanspruch des Retters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Zuordnung der Entstehung der Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zurechnungsbegründung der normativen Korrespondenz . . . . . . . . . c) Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

195 196 197 197 200 201 204 206 208 208 210 213 213

216 216 216 216 219 220 221 221 224 226 228 228 230 230 232 236

Inhaltsverzeichnis 3. Lösung der Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtlich verpflichtete Retter (oben Fälle 1–3) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rettung bei fehlender rechtlicher Verpflichtung (oben Fall 4 a und b) c) Rettung eigener Güter (oben Fall 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der in der Steuerungsfähigkeit eingeschränkte Retter (oben Fall 6) 4. Der Gewinn des Lösungsmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 237 237 238 241 241 244

G. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

3. Kapitel Die Zurechnung von Fluchtverhalten

246

4. Abschnitt Der Flüchtende als Geschädigter

246

A. Zivilrechtliche Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 I. OLG Köln NJW-RR 2000, 1553 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 II. BGH NJW 2002, 2232 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 B. Sozialgerichtliche Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 C. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 I. Exkurs: Fluchtreflex und Bewegungssturm aus medizinischer Sicht . . . . . 249 II. Fluchtschäden und strafrechtliche Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

5. Abschnitt Der Flüchtende als Schädiger

253

A. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 B. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

4. Kapitel Die Zurechnung von Verfolgerverhalten

256

6. Abschnitt Der Verfolger als Geschädigter A. Überblick über die zivilrechtliche Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verfolgung durch Hoheitsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfolgung durch Private . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

256 256 256 260 262

18

Inhaltsverzeichnis

B. Der Herausforderungsgedanke im zivilrechtlichen Schrifttum . . . . . . . . . . . 263 I. Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 II. Weiterentwicklungen des Schrifttums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 C. Behandlung im strafrechtlichen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zurechnungsbejahende Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Biewald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Puppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schünemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zurechnungsnegierende Ansichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Roxin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lewisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Krey, Köhler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die differenzierende Sichtweise M. Ottos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Aspekt der emotionalen Unfreiwilligkeit bei M. Otto . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265 266 266 266 268 268 268 269 270 271 271 274

D. Die Handlungsqualität der Flucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 E. Entwicklung der eigenen Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das nemo-tenetur-Prinzip und Fluchtverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausprägung und Gehalt des nemo-tenetur-Prinzips im formellen und materiellen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Flucht als Ausfluss des Selbstbegünstigungsprivilegs? . . . . . . . . . . . 2. Einschränkung des Selbstbegünstigungsprinzips durch § 36 StVO? . . . 3. Einschränkung des Selbstbegünstigungsprinzips durch § 113 StGB? . . 4. Einschränkung des Selbstbegünstigungsprinzips durch § 142 StGB? . . 5. Einschränkung des Selbstbegünstigungsprinzips durch §§ 145 a i.V. m. 68 b I Nr. 1 StGB? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Einschränkung des Selbstbegünstigungsprinzips durch § 323 c StGB? 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lösung der Fälle von Verfolgung durch Hoheitsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Lösung der Fälle von Verfolgung durch Privatpersonen . . . . . . . . . . . . . . . .

277 277 277 277 279 280 283 284 285 285 287 288 290

F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

7. Abschnitt Der Verfolger als Schädiger

292

A. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 B. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292

Inhaltsverzeichnis

19

Zweiter Teil Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten bei den erfolgsqualifizierten Delikten

294

5. Kapitel Das Unmittelbarkeitskriterium der erfolgsqualifizierten Delikte

295

8. Abschnitt Die Bedeutung des sogenannten Unmittelbarkeitskriteriums

295

A. Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 B. Rengier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 C. Ferschl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 D. Vorherrschende Literaturansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 E. Eigene Ansicht: Das Unmittelbarkeitskriterium als eigenständiges einschränkendes Merkmal der objektiven Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

6. Kapitel Die Zurechnung von Fluchtverhalten

306

9. Abschnitt Fluchtfälle in der Rechtsprechung A. Körperverletzung mit Todesfolge – § 227 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. BGH bei Dallinger MDR 1954, 150 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. BGH NJW 1971, 152 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. BGH NJW 1992, 1708 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. BGHSt 48, 34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

306 306 306 307 308 310

B. Freiheitsberaubung mit Todesfolge – § 239 IV StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 I. BGHSt 19, 382 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 II. LG Konstanz v. 17.11.2004 – 2 Ks 55 Js 2303/04 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 C. Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge – § 178 StGB . . . . . 314 D. Brandstiftung mit Todesfolge – § 306 c StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 E. Annex zur Nacheile (Verfolger-Fall): Raub mit Todesfolge – § 251 StGB . . 315 F. Würdigung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316

20

Inhaltsverzeichnis 10. Abschnitt Die Lösung von Fluchtfällen in der Literatur

A. Körperverletzung mit Todesfolge – § 227 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abstellen auf den Körperverletzungserfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Körperverletzungserfolg als Durchgangserfordernis . . . . . . . . . . . . 2. Der Teilerfolg des Grunddelikts als Mindestbedingung . . . . . . . . . . . . . 3. Der Erfolg der Zusatzgefahren des § 224 StGB als ausreichendes Moment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Erfordernis der Durchgangskausalität im Falle der Mitursächlichkeit des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abstellen auf die Letalität der Körperverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Letalitätserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historisches Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Trennung in tatbestandliche und außertatbestandliche Gefährdungsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Quantitätsirrtum bei identischem Risiko und Rechtsblindheit . . . . . . . . III. Abstellen auf die Körperverletzungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Vorzugswürdigkeit der Handlungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wortsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Normgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Teleologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beurteilung als Gefährdungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schröder: Fiktive Vorsatzlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Horn/Wolters: Kenntnis der Umstände, die die Sorgfaltspflichtwidrigkeit hinsichtlich des Lebens des Opfers begründen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sowada: Duales System von Durchgangskausalität hinsichtlich § 223 StGB oder Kenntnis der Umstände, die die lebensgefährdende Behandlung begründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Wolter: Zwangsläufige oder unbeherrschbare Todesgefährlichkeit . . . . 7. Rengier: Situation des Nötigungsnotstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Paeffgen: Differenzierung nach anhaltendem und punktuellem Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Hobe: Abstellen auf die spezifische Streuaggressivität . . . . . . . . . . . . . . 10.Ferschl: Differenzierung zwischen genereller und spezieller Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.Abschließende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319 319 319 319 321 322 324 325 325 326 327 327 330 330 330 331 332 333 335 339 341

343 345 348 350 352 353 355

B. Freiheitsberaubung mit Todesfolge – § 239 IV StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 I. Widmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 II. Paeffgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

Inhaltsverzeichnis

21

III. Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 IV. Ferschl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 V. Abschließende Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360

11. Abschnitt Entwicklung des eigenen Lösungsmodells für Fluchtfälle

361

A. Die wesentliche/unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf . . . . . . . . . . 361 B. Eigenes Lösungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konfrontationszusammenhang in einem geschlossenen System . . . . . . . . . III. Lösung der Rechtsprechungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Körperverletzung mit Todesfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vollendete Körperverletzung mit Todesfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Versuchte Körperverletzung mit Todesfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Freiheitsberaubung mit Todesfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Todesverursachung durch den Erfolg der Freiheitsentziehung . . . . . b) Todesverursachung durch die Handlung der Freiheitsentziehung . . c) Sonderkonstellation: Tod der flüchtenden Ersatzgeisel . . . . . . . . . . .

363 363 364 368 368 368 369 370 370 371 371

C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372

7. Kapitel Die Zurechnung von Retterverhalten

374

12. Abschnitt Retterfälle in der Rechtsprechung

374

A. Der Retter als Schädiger: Körperverletzung mit Todesfolge – § 227 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 I. BGH bei Dallinger MDR 1976, 16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 II. BGHSt 31, 96 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 B. Der Retter als Geschädigter: Brandstiftung mit Todesfolge – § 306 c StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 C. Fehlgehende Befreiungsaktionen: Geiselnahme mit Todesfolge – §§ 239 b II i.V. m. 239 a III StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 I. Von der Polizei erkannte Geiselnahme: BGHSt 33, 322 (obiter dictum) . . . 380 II. Von der Polizei nicht erkannte Geiselnahme: BGHSt 33, 322 . . . . . . . . . . . 381

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Inhaltsverzeichnis 13. Abschnitt Die Lösung von Retterfällen in der Literatur

A. Der Retter als Schädiger: Körperverletzung mit Todesfolge – § 227 StGB I. Vertreter der Letalitätslehre und der Erfolgslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rengier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Hobe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ferschl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Puppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

382 382 382 383 384 385 386

B. Der Retter als Geschädigter: Brandstiftung mit Todesfolge – § 306 c StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 I. Rengier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 II. Schünemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 C. Fehlgehende Befreiungsaktionen: Geiselnahme mit Todesfolge – §§ 239 b II i.V. m. 239 a III StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Von der Polizei erkannte Geiselnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Von der Polizei nicht erkannte Geiselnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Maßstab des Organisationskreises bei Krehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

392 392 393 394

14. Abschnitt Übertragung des eigenen Lösungsvorschlags auf die Retterfälle

395

A. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 B. Falllösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Retter als Schädiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fehlerhaftes Retterverhalten in der Heilbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Primärtäter als pflichtwidrig handelnder Retter . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Annex zur Exzesskonstellation bei mehreren Tatbeteiligten . . . . . . . aa) Argumentation des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehlgehende Befreiungsaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umfang und Pflicht polizeilicher Eingriffshandlungen . . . . . . . . . . . b) Tödlicher Schuss aus der Dienstwaffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tödlicher Schuss aus der Waffe des Erpressungsopfers . . . . . . . . . . d) Tödlicher Schuss aus der Täterwaffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ungewollte Auswirkungen einer erforderlichen Nothilfemaßnahme . . . II. Der Retter als Geschädigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

396 396 396 398 398 400 401 401 404 404 405 407 408 409 410

C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411

Inhaltsverzeichnis

23

8. Kapitel Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Tatbestand mit strafbegründender schwerer Folge

413

15. Abschnitt Die Zurechnung von Flucht- und Retterverhalten beim Tatbestand der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB)

413

A. Die Struktur des Tatbestandes der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 B. Der Stand der Diskussion um die Zurechnungsbegründung von Retterund Fluchtfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 I. Retterfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 II. Fluchtfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 C. Bewertung und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 I. Bewertung des Schrifttums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 II. Einordnung der Retter- und Fluchtfälle in das Zurechnungsmodell . . . . . . 418 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474

Abkürzungsverzeichnis A.2d a. A. abl. Abs. abw. AcP a. E. a. F. AG AK Alt. AMG Anm. arg. ARSP Art. ArztR AT Aufl. BA BayObLG BayVBl. Bd. BGB BGBl. BGB-RGRK BGE BGH BGHR BGHSt BGHZ Breith BSG BSGE

West’s Atlantic Reporter, Second Series anderer Ansicht ablehnend Absatz abweichend Archiv für die civilistische Praxis am Ende alte Fassung Amtsgericht Alternativ-Kommentar Alternative Arzneimittelgesetz Anmerkung argumentum aus Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel Arztrecht Allgemeiner Teil Auflage Blutalkohol Bayerisches Oberstes Landgericht Bayerische Verwaltungsblätter Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichtes Bundesgerichtshof BGH-Rechtsprechung in Strafsachen, hrsg. von den Richtern des Bundesgerichtshofes Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Breithaupt – Sammlung von Entscheidungen aus dem Sozialrecht Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts

Abkürzungsverzeichnis BT BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BW BWPolG bzgl. bzw. ca. CCC Colo. DAR DDR ders. d.h. d.i. dies. Dig. Diss.iur. DJT ebd. etc. e. V. EvBl evtl. f. FamRZ ff. FG Fla.App. Fn. FS GA gem. GerS GG ggf. grds. Gruchot GS HansOLG h. M.

Besonderer Teil Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Baden-Württemberg Polizeigesetz für Baden-Württemberg bezüglich beziehungsweise circa Constitutio Criminalis Carolina 1532 Colorado Deutsches Autorecht Deutsche Demokratische Republik derselbe das heißt das ist (veraltet; im Sinne von: das heißt, das bedeutet) dieselbe(n) Digesten iuristische Dissertation Deutscher Juristentag ebendort et cetera eingetragener Verein Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (Österreich) eventuell folgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht fortfolgende Festgabe Florida District Court of Appeal Fußnote Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafsachen gemäß Der Gerichtssaal Grundgesetz gegebenenfalls grundsätzlich Gruchot – Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts Gedächtnisschrift Hanseatisches Oberlandesgericht herrschende Meinung

25

26 hrsg. Hrsg. i. d. F. i. d. R. i. S. i. S. d. i.V. m. i. w. S. JA JBl JGG JK JR JRE Jura JuS JW JZ KG KJ KK krit. L lat. LBG LG lit. LK LKW LM LPartG LPK LR m MDR m. E. MedR MEPolG MK m.w. N. n. F.

Abkürzungsverzeichnis herausgegeben Herausgeber in der Fassung in der Regel im Sinn im Sinne des in Verbindung mit im weiteren Sinn Juristische Arbeitsblätter Juristische Blätter (Österreich) Jugendgerichtsgesetz Jura-Kartei Juristische Rundschau Jahrbuch für Recht und Ethik Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kammergericht Kritische Justiz Karlsruher Kommentar kritisch Lernbogen der Juristischen Schulung (JuS) lateinisch Landesbeamtengesetz Landgericht litera (lat.: Buchstabe) Leipziger Kommentar Lastkraftwagen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs von Lindenmaier-Möhring Lebenspartnerschaftsgesetz Lehr- und Praxiskommentar Löwe/Rosenberg Meter Monatsschrift für deutsches Recht meines Erachtens Medizinrecht Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen neue Fassung

Abkürzungsverzeichnis NJW NJW-RR NK N.N. Nr. NStZ NStZ-RR NVwZ N.Y. NZM NZV NZWehrr OEG OGH ÖJZ OLG ÖStGB OWiG P.2d Pa.Super. PKW PrStGB Rdnr. RG RGSt RGZ Rspr. s. S. s. a. SchwZStr scil. SG SGB SGb. sic SK s. o. So.2d sog. SpuRt

27

Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungsreport Zivilrecht Nomos-Kommentar nomen nescio (lat.: den Namen weiß ich nicht) Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungsreport Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht West’s New York Supplement Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht Neue Zeitschrift für Wehrrecht Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz) Oberster Gerichtshof (Österreich) Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Österreichisches Strafgesetzbuch Gesetz über Ordnungswidrigkeiten West’s Pacific Reporter, Second Series Pennsylvania Superior Court Personenkraftwagen Preußisches Strafgesetzbuch Randnummer(n) Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechtsprechung siehe Seite siehe auch Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht scilicet (lat.: nämlich, ergänze) Soldatengesetz Sozialgesetzbuch Die Sozialgerichtsbarkeit sic (lat.: tatsächlich so) Systematischer Kommentar siehe oben Southern Reporter, Second Series sogenannte(r) Zeitschrift für Sport und Recht

28 SSt StraFo StG StGB StGB-E StPO str. StrÄG StrK StrRG StV StVE StVG StVO s. u. u. a. UA überw. usw. u. U. v. v. a. VBlBW VersR vgl. VRS vs. VVDStRL VwGO VwVfG wistra WK WS WStG WzS z.A. z. B. ZDG ZfRV ZIS

Abkürzungsverzeichnis Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten Strafverteidiger Forum Strafgesetz (Österreich) Strafgesetzbuch Strafgesetzbuch-Entwurf Strafprozessordnung streitig Strafrechtsänderungsgesetz Strafkammer Gesetz zur Reform des Strafrechts Strafverteidiger Straßenverkehrs-Entscheidungen Straßenverkehrsgesetz Straßenverkehrsordnung siehe unten unter anderem Urteilsausfertigung überwiegend und so weiter unter Umständen vom vor allem Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Versicherungsrecht vergleiche Verkehrsrechts-Sammlung versus Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer und Strafrecht Wiener Kommentar Wintersemester Wehrstrafgesetz Wege zur Sozialversicherung zur Ausbildung zum Beispiel Zivildienstgesetz Zeitschrift für Rechtsvergleichung (Österreich) Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik (http://www.zisonline.com)

Abkürzungsverzeichnis zit. ZRP ZStaatsW ZStW z. T. zust. zutr. ZVR

zitiert Zeitschrift für Zeitschrift für Zeitschrift für zum Teil zustimmend zutreffend Zeitschrift für

Rechtspolitik die gesamte Staatswissenschaft die gesamte Strafrechtswissenschaft

Verkehrsrecht (Österreich)

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„Zurechnung Imputation heißt allerdings, daß das Meinige in einer Handlung zu erkennen sei, aber nicht auf diese ganz abstracte Weise.“ G. W. F. Hegel, Vorlesungen über Rechtsphilosophie (1818–1831), Dritter Band, Nach der Vorlesungsnachschrift von H. G. Hotho, S. 355

Einleitung Jemand begeht eine Körperverletzung, die eine sofortige ärztliche Behandlung erfordert. Dem behandelnden Arzt unterläuft ein Kunstfehler, der Patient verstirbt. Jemand verursacht einen Brand. Bei dem Versuch, bedrohte Personen oder Wertgegenstände zu retten, kommen ein Angehöriger der Feuerwehr und ein helfender Passant ums Leben. Das bedrohte oder misshandelte Opfer versucht, dem Täter zu entkommen, verletzt sich bei der riskanten Flucht aber tödlich. Der Beschuldigte flieht vor der Polizei, bei der Verfolgung verletzt sich einer der Beamten. Trägt ein Schädiger Verantwortung für ein nachfolgendes Fehlverhalten eines Dritten? Ist die Schädigung eines Retters, eines Flüchtenden oder eines Verfolgers eine Sache desjenigen, der diese Handlungsweisen veranlasst hat? Oder ist unsere Rechtsordnung nicht von dem Menschenbild geprägt, nach dem jede Person grundsätzlich zu freier Selbstbestimmung fähig ist und sich demzufolge sowohl im Guten als auch im Bösen nur für ihr eigenes Handeln selbst verantwortlich zeichnen muss?1 Ist das Prinzip der Eigenverantwortung nicht die fundamentale rechtliche Ordnungsmaxime?2 Mit der Zurechnungsproblematik von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten sieht sich der Jurist mit einer Fragestellung konfrontiert, die nicht nur von subtiler rechtlicher Dogmatik geprägt, sondern oftmals auch von allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen getragen wird. Auch handelt es sich nicht alleine um eine Problemstellung der deutschsprachigen Strafrechtsdogmatik, die Schwierigkeiten, die sich dem Juristen stellen, sind vielmehr universeller Natur und finden sich beispielsweise ebenso – in einem ähnlichen Gewand – in den angloamerikanischen Rechtskreisen3 wieder. Geht es doch zum einen um die Frage, ob und auf welcher rechtlichen Grundlage sich fehlerhaftes oder durch eine 1 2 3

Siehe P. Fuchs, S. 1. Vgl. Sch/Sch/Cramer/Heine, Vorbem §§ 25 ff. Rdnr. 6. Hierzu siehe insbesondere Kirschner, S. 54–96; Perkins/Boyce, S. 794–809.

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Einleitung

Konfliktsituation geprägtes Hilfsverhalten anderer Personen, seien es Ärzte oder eingreifende Polizisten, dem Täter, der durch ein inkriminiertes Verhalten die Kausalkette in Gang gesetzt hat, strafrechtlich zurechnen lässt.4 Zum anderen stellt sich eine Zurechnungsproblematik für das Feld des Fluchtverhaltens. Hier kann einerseits die Verletzung, die das Opfer auf der Flucht vor seinem Häscher erleidet, zur Disposition der Zurechnung stehen, andererseits die Frage nach der Verantwortung des Flüchtenden für die Schädigung des Verfolgers zu beantworten sein. Die gesamte Problematik stellt sich sowohl im Rahmen der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik als auch für die Begründung der Erfolgsqualifikation. Das Feld der Zurechnung fehlsamen Retterverhaltens lässt sich zum einen in die Zweitschädigung des Opfers durch den Retter – speziell durch den behandelnden Arzt – beim Versuch der Abwendung der vom Primärschädiger gesetzten Gefahr, andererseits in die Schädigung des Retters selbst bei der Durchführung der Hilfsmaßnahme untergliedern. Damit stellt sich für die Schädigung durch den Retter – nicht nur im Hinblick auf die Differenz des Schuldgehalts zwischen Versuch und Tatvollendung5 –, sondern ebenso im Rahmen der Fahrlässigkeit und der Erfolgsqualifikation die Frage, warum die Tatschuld von der Kunstfertigkeit des Arztes abhängen soll.6 Insbesondere die Schädigung des Retters bei seinen Hilfsbemühungen stellte bisher eine leidenschaftlich diskutierte Frage der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik dar, wobei sich die Diskussion oft auf die Berufsgruppe der Feuerwehrleute oder auf Angehörige konzentriert, die in selbstloser Weise in den Brandherd eilen und hierbei verletzt oder getötet werden. Mit der Neugestaltung der Brandstiftungsdelikte durch das Sechste Strafrechtsreformgesetz vom 26. Januar 19987 hat das Problem eine völlig neue Dimension erfahren, da der Gesetzgeber in § 306 c StGB nicht mehr voraussetzt, dass sich etwa der Retter 4 Auch Koriath beginnt seine jüngste Untersuchung mit dieser elementaren Fragestellung, vgl. Koriath, Zurechnung 2007, S. 11 („Um die richtige Antwort auf diese Frage streiten sich Juristen seit nunmehr 200 Jahren – ein Streit, der offenbar nicht enden will.“). Allerdings löst Koriath – im Gegensatz zu seiner ansonsten gewinnbringenden Darstellung der Zurechnungsproblematik – den eingangs gestellten Problemfall in seiner Arbeit nicht auf; dies ist schade. 5 Vgl. Zielinski, Schreiber-FS, S. 533 ff. 6 Vgl. in diesem Sinn Armin Kaufmann, ZStW 80 (1968), 34 (51); Struensee, GA 1987, 97 (105). Die Abhängigkeit der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit vom Zufallsmoment der effektiven Erfolgsverursachung, stellt, dies sei bereits hier hervorgehoben, keinen Verstoß gegen das Schuldprinzip dar. Ein Verstoß würde nur dann vorliegen, wenn auch ohne Bezug auf den Verhaltensverstoß – und damit ohne Bestehen des Risikozusammenhanges – der Erfolgseintritt die Strafe auslösen würde; und keineswegs verlangt das Schuldprinzip, dass jegliche schuldhafte Rechtswidrigkeit ihre Strafe finden muss – es fordert also auch nicht, dass jede folgenlose Fahrlässigkeit eine Sühne findet; vgl. Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 41 (44, 53). 7 BGBl. 1998 I S. 164, berichtigt S. 704 (in Kraft ab 01.04.1998).

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zur Zeit der Tat in der in Brand gesetzten Räumlichkeit befunden haben muss. In der Literatur wird der Meinungsstand in Bezug auf die allgemeine Fahrlässigkeitsdogmatik häufig völlig unreflektiert auf die Erfolgsqualifikation mit ihrer regelrechten Explosion des Strafrahmens übertragen8 – womit dem Umstand, dass es sich um ein neues, noch klärungsbedürftiges Problem handelt9, nicht Rechnung getragen wird.10 Neben der Frage der Zurechenbarkeit fehlgehenden Retterverhaltens steht die dogmatisch eng verknüpfte Beurteilung des Opferverhaltens und damit die Frage nach der Zurechenbarkeit von Fluchtverhalten. Das strafrechtliche Schrifttum behandelt diese Problematik fast ausschließlich im Rahmen der Erfolgsqualifikation, bei welcher das verängstigte Opfer beim Versuch, seinem Peiniger zu entkommen, tödlich verunglückt. Nach den beiden höchstrichterlichen Leitentscheidungen aus den Jahren 197011 und 199212 hat der BGH nun mit einer neuartigen Sichtweise – BGHSt 48, 3413 – seine bisherige restriktive Argumentation in Abkehr gestellt. Ein Fanal. Eine im strafrechtlichen Schrifttum weitgehend vernachlässigte Konstellation stellt die Schädigung des Verfolgers dar – in der zivilrechtlichen Judikatur und Literatur eingehend erörtert unter dem Begriff der Nacheile. Die Problematik der Zurechenbarkeit von Retter-, Flucht- sowie Verfolgerverhalten ist nicht allein eine Frage diffiziler theoretischer Dogmatik, ihr kommt darüber hinaus ganz erhebliche praktische Bedeutung zu.14 Neben einer 8 Siehe beispielsweise die Fallbearbeitungen von Strauß, S. 69 (72 f.); Gössel, Fälle und Lösungen, S. 183 (192) sowie Rudolphi, Fälle, S. 148 ff. Auch Liesching setzt sich in seiner Arbeit lediglich mit der Grundsatzfrage der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik auseinander, vgl. Liesching, S. 129 ff. 9 Vgl. Wessels/Hettinger, BT 1, Rdnr. 973. Siehe auch MK/Radtke, § 306 a Rdnr. 46. 10 Eine deutliche Differenzierung hinsichtlich der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik und des spezifischen Brandstiftungsrisikos lässt sich bei Kreß/Weißer, JA 2006, 115 (119 ff.) finden. Ein entsprechendes Problembewusstsein zeigen nun Schmidt/ Priebe, BT I, Rdnr. 547 a. 11 Fall „Rötzel“ BGH NJW 1971, 152. 12 Fall „Fenstersturz“ BGH NJW 1992, 1708. 13 Urteil v. 9. Oktober 2002 („Hetzjagd“). Nunmehr gefestigt durch Urteil des BGH v. 10. Januar 2008 – 5 StR 435/07. 14 Dies hervorhebend auch Schmoller, Triffterer-FS, S. 223 und Burgstaller, Jescheck-FS, S. 357 (358). Den selbstlosen Einsatz des Retters spiegelt eine Nachricht der Onlineausgabe der Westdeutschen Zeitung vom 4. Februar 2005 wider (): „Wuppertal. Die Nacht auf Freitag, es ist kurz vor eins: Dichte Rauchschwaden steigen an der Freiligrathstraße in Heckinghausen in den Himmel. Im Dachgeschoss eines gelb getünchten Gebäudes in einer Reihe von Zweifamilienhäusern toben die Flammen. Um 0.54 Uhr geht bei der Feuerwehr ein Notruf ein, wenig später sind Löschfahrzeuge am Einsatzort. Zu diesem Zeitpunkt hat ein 43 Jahre alter Familienvater in letzter Sekunde eine Katastrophe verhindert und seine Tochter (7) und seinen Sohn (6) aus dem Haus gerettet. Der Mann selbst ist schwer verletzt und wird sofort in die Bochumer Spezialklinik Bergmannsheil gebracht, wo

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schadensrechtlichen Haftungsfrage drängt sich immer auch die Beurteilung strafrechtlicher Verantwortlichkeit auf. Im Gegensatz zur anders gelagerten Problematik der Folgeschäden15, von Namias in seiner Arbeit umfassend behandelt, liegt bisher weder eine umfassende Monographie zur Behandlung der Zurechnung der durch den Retter hervorgerufenen Zweitschäden noch zur Schädigung des Retters selbst vor. Auch eine grundlegende Aufarbeitung der Flucht- und insbesondere der Verfolgerproblematik wurde in strafrechtlicher Sicht – abgesehen von der nunmehr zu den Verfolgerfällen vorliegenden Arbeit von M. Otto16 – bislang nicht geleistet. Gerade durch den neuartigen Ansatz der höchstrichterlichen Rechtsprechung erscheint es erforderlich, die bisherige Dogmatik zur Erfolgsqualifikation grundlegend zu überdenken und sich mit den Antworten, die bisher gegeben wurden, auseinanderzusetzen. Der einstige Einwurf Hänles, das Feld der erfolgsqualifizierten Delikte sei weithin schon eine Tabula rasa17, wirkt dieserhalb rückblickend betrachtet als verfehlt und lässt die notwendige Weitsichtigkeit vermissen. Für das Gebiet der „herausgeforderten“ Verfolgung bleibt zu beantworten, inwieweit die zivilrechtlichen Erkenntnisse berechtigterweise zur Klärung der Frage strafrechtlicher Verantwortung übertragen werden können. Ziel dieser Arbeit ist somit zum einen die eingehende Zusammenschau der einschlägigen Rechtsprechung und die Sortierung der weit gefächerten, im Grundsätzlichen wie im Detail gleichermaßen divergierenden, teils emotional gefärbten literarischen Ansichten in Meinungsströmungen und deren Bewertung. Da insbesondere das Feld der „Retterproblematik“ sowohl in der österreichischen Judikatur als auch in deren Literatur einen gewichtigen Stellenwert einnimmt, kann nicht darauf verzichtet werden, auch diese Aspekte in die vorliegende Bearbeitung miteinzubeziehen. Um mit Roxin zu sprechen – in Zeiten Ärzte sich um seine Brandwunden kümmern. Nachmittags ist von der Polizei zu hören, dass der 43-Jährige außer Lebensgefahr ist. [. . .] Vieles deutet darauf hin, dass ein technischer Defekt für das Feuer verantwortlich ist. Die Ermittlungen hierzu dauern an“ – Angenommen es handelte sich nicht um einen technischen Defekt, sondern der Brand wurde fahrlässig oder gar vorsätzlich gelegt, so stellt sich die Frage der Zurechnung. Auch die Schädigung des Verfolgers stellt keine Seltenheit dar – neben den zahlreichen Zivilrechtsfällen ist hier an das Gladbecker Geiseldrama zu denken, in dessen Verlauf bei der Verfolgung der Täter einer der Polizeibeamten mit seinem Fahrzeug tödlich verunglückte, vgl. hierzu sowie den Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Vorgänge im Zusammenhang mit den Geiselnahmen in Gladbeck/Bremen, Bremische Bürgerschaft Drucksache 12/667 S. 7. 15 Siehe zur begrifflichen Differenzierung 2. Abschnitt, B.I. 16 M. Otto hält eine strafrechtliche Verantwortung für Verfolgerschäden durchaus für möglich (siehe unten 6. Abschnitt, C.III.1.), die konsequente Auseinandersetzung mit dem Gebiet der erfolgsqualifizierten Delikte unterbleibt allerdings. 17 Siehe Hänle, S. 2.

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immer enger werdender internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Strafrechts und besonders seiner „allgemeinen Lehren“ kann sich eine Darstellung der kriminalpolitischen und dogmatischen Grundlagen des Strafrechts nicht mehr auf die nationale Literatur beschränken.18 Auch erscheint es hilfreich, auf Grund der umfangreichen deutschen zivilrechtlichen Judikatur, deren Kasuistik zur Veranschaulichung und für das Verständnis der Problematik zumindest überblicksartig darzustellen. Darüber hinaus werden die herrschenden Lösungsansätze kritisch hinterfragt und die Problematik einer eigenständigen dogmatischen Beurteilung zugeführt, um eine umfassende – bisher fehlende19 – Theorie zur Verfügung zu stellen, die einen Maßstab dafür liefert, wann jemandem welches Segment eines Schadensverlaufs objektiv zuzuordnen ist. Dabei wird sich zeigen, dass weder die Zurechnung fehlsamen ärztlichen Retterverhaltens mit der Klassifizierung nach Verschuldensgraden oder Verhaltensmodalitäten noch die Zurechnung der Schädigung des Retters mit den widerstreitenden Postulaten von dessen Unfreiheit oder eigenverantwortlicher Selbstgefährdung zufriedenstellend gelöst werden. Die Lösung der Kunstfehlerproblematik ist vielmehr in der Frage zu suchen, welche fortwirkende Ausgangsgefahr mit der Primärschädigung gesetzt wurde und welche Intention der eingetretenen Zweitschädigung zu Grunde lag.20 Erleidet der Retter bei seinen Hilfsbemühungen eine Schädigung, so muss für die Zurechnungsproblematik einem Konzept der normativen Korrespondenz zwischen der Sorgfaltspflicht des Gefahrverursachers und dem Schutzanspruch des Helfenden Geltung verschafft werden.21 Für die Problematik der Verfolgerschäden im Rahmen der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik wird die Bedeutung und Auswirkung des Selbstbegünstigungsprinzips in seiner Relation zum Verfolger herausgehoben.22 Für den Bereich der Erfolgsqualifikation wird die Eigenständigkeit dieser Deliktsgruppe dargelegt, als deren Konsequenz ein von der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik divergierender Lösungsweg beschritten wird, der die Geschlossenheit der Tatsituation zur Voraussetzung erhebt, um so dem aus dem Unmittelbarkeitskriterium erwachsenden Restriktionsbedürfnis gerecht zu werden. Nicht zuletzt ist es Ziel dieser Arbeit, durch die Einbeziehung bestimmter Retterkonstellationen in die Frage der Abgrenzung von Zuständigkeiten – sowohl auf dem Gebiet des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts als auch auf dem der erfolgsqualifizierten Delikte –, mit denen ersichtlich noch keine Auseinandersetzung stattgefunden hat, Vorarbeit für einen weiteren wissenschaftlichen 18 19 20 21 22

Vgl. Roxin, AT I, Vorwort zur vierten Auflage S. VII. Vgl. Röh, S. 101. Siehe 2. Abschnitt, B.V. Siehe 3. Abschnitt, F.VI.2. Siehe 6. Abschnitt, E.I.

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Diskurs leisten bzw. der hochgradig komplexen Diskussion wahrhaft neue Aspekte hinzufügen zu können. Methodisch gliedert sich die Arbeit in zwei Hauptteile: Die Behandlung der Retter-, Flucht- und Verfolgerproblematik in der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik und auf dem Gebiet der erfolgsqualifizierten Delikte, d.h. Tatbeständen mit strafschärfender schwerer Folge. Eine Arbeit über erfolgsqualifizierte Delikte, so konstatiert Rengier, muss notwendig Schwerpunkte bilden, da sich Fragen von grundlegender Tragweite stellen, die ihrerseits wieder monographisch ausgearbeitet werden könnten.23 Dies gilt im gleichen Maße für die vorliegende Untersuchung. Die Arbeit beschränkt sich daher ausschließlich auf die Untersuchung der Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten. Nicht näher dargestellt werden können verwandte Konstellationen, insbesondere die Zurechnung von Folgeschäden bzw. Spätfolgen24 oder des fehlerhaften Verhaltens des Opfers im Bezug auf die Heilbehandlung25. Die Darstellung des Ersten Teils beginnt mit einer Darlegung der Grundlagen der Zurechnung, wobei insbesondere die interessanten Zurechnungsmodelle von Bernsmann und Puppe näher betrachtet werden und die Bedeutung des Risikozusammenhanges herausgearbeitet wird. Der Erste Teil fährt mit der Schädigung durch den Retter (2. Abschnitt) sowie der Schädigung des Retters (3. Abschnitt) fort. Die Abschnitte 4 bis 5 und 6 bis 7 behandeln die Fluchtund Verfolgerschäden, wobei auch hier zwischen der Schädigung des Flüchtenden und der Schädigung durch den Flüchtenden einerseits und der Schädigung des Verfolgers und der Schädigung durch den Verfolger andererseits differenziert wird. Der Zweite Teil untersucht zunächst in einem 8. Abschnitt das „Wesen“ des Unmittelbarkeitszusammenhanges, wobei insbesondere die Einbettung in die allgemeine Zurechnungslehre durch Rengier gewürdigt wird. Sodann untergliedert sich die Darstellung in die Behandlung der Flucht- und Retterfälle bei den erfolgsqualifizierten Delikten, wobei auch hier nach der Schädigung des Flüchtenden (Abschnitte 9 bis 11), der Schädigung durch den Retter und der Schädigung des Retters selbst (Abschnitte 12 bis 14) differenziert wird. Die Schädigung durch den Retter ist hierbei nicht nur durch ärztliches Fehlverhalten gekennzeichnet, sondern kann auch in Form der fehlgehenden Befreiungsaktion aus einer Bemächtigungssituation durch die Polizei in Erscheinung treten; die

23

Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 6. Siehe hierzu insbesondere die Arbeit von Namias. 25 Dazu näher Schmoller, Triffterer-FS, S. 223 (249 ff.); Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 168 ff.; Ferschl, S. 162 jeweils m.w. N. Für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt vgl. OLG Celle NJW 2001, 2816; für die Erfolgsqualifikation siehe BGH NStZ 1994, 394. Zur umfangreichen österreichischen Rechtsprechung siehe den Fundstellennachweis bei Reitmaier, S. 128 Fn. 521. 24

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Schädigung des Retters selbst steht vor allem für den Tatbestand der Brandstiftung mit Todesfolge zur Diskussion. Abschließend gilt es in einem 15. Abschnitt zu untersuchen, inwieweit die gewonnenen Erkenntnisse auf einen Tatbestand mit strafbegründender schwerer Folge übertragen werden können. Die Arbeit schließt mit einer thesenartigen Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der Untersuchung.

Erster Teil

Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten in der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik 1. Kapitel

Grundlagen 1. Abschnitt

Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten A. Der Kausalzusammenhang I. Die Ursächlichkeit als logischer Schluss – conditio-sine-qua-non

Die Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang, dem „Zement des Universums“, bildet nicht nur die Grundlage naturwissenschaftlicher Forschung, sondern ist gleichfalls für den Juristen von elementarer Bedeutung. Im Gegensatz zur Kausalerkenntnis der Naturwissenschaft, welche durch die Lehren der Quantenphysik und der Relativitätstheorie eine grundlegende Neubestimmung erfahren hat, bietet die Äquivalenztheorie dem Juristen nach wie vor ein Werkzeug zur Feststellung von Ursächlichkeit im Rechtssinne. Denn die Geltung lediglich statistischer Gesetze im subatomaren Bereich, wie sie von Heisenberg in seiner Unschärferelation1 aufgezeigt wurde, hindert nicht, dass sich die Rechtswissenschaft in ihrem Metier der Ordnung des gesellschaftlichen Zusammenlebens auf kausale Gesetzlichkeiten mit absoluter Gewissheit verlassen können muss.2 Abgesehen davon, dass die Erkenntnisse der modernen Physik in Anwendung auf makroskopische Stoffmengen eine zu vernachlässigende Unschärfe aufweisen, liegt eine Rezeption durch die Rechtswissenschaft schon des-

1 Siehe Heisenberg, Universitas 1954, 225 (235). Die Unschärferelation sucht die Annahme der Begrenztheit des Raum-Zeit-Gebildes der Relativitätstheorie mit der Unbestimmtheitsrelation der Quantentheorie zu vereinen, vgl. Heisenberg ebd. Siehe zur Unschärferelation auch Rothenfußer, S. 31 f. 2 Vgl. Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 3; siehe auch Scholl, JZ 1992, 122 (123).

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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halb fern, da bisher keine Fälle aufgetreten oder auch nur gedacht worden sind, in denen die probabilistischen Erkenntnisse der Quantenmechanik eine Rolle spielen könnten.3 Als Axiom der Kausalerklärung dient dem Juristen ein logischer Schluss, bei welchem im Wege eines Eliminations- bzw. Wegdenkverfahrens4 ein hypothetischer, um die Handlung des Täters reduzierter, Sachverhalt gebildet wird. Sodann wird geprüft, ob mit diesem fiktiven Sachverhalt der konkrete Erfolg plausibel gemacht werden kann. Als kausal, d.h. conditio-sine-qua-non, stellt sich damit jede Handlung dar, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der konkrete Erfolg entfiele.5 Im Hinblick auf Unterlassungstaten muss danach gefragt werden, ob die unterlassene Handlung hinzugedacht werden kann, ohne dass der Erfolg (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) entfiele; gelingt dies nicht, gelangt man zu (Quasi-6)Kausalität. Als ursächlich wird mit diesem Verfahren alles begründet, was irgendwie zu dem konkreten Erfolg beigetragen hat, die jeweiligen Kausalfaktoren sind gleichwertig, d.h. äquivalent. In der Rechtsprechung des Reichsgerichts wird das Eliminationsverfahren der conditio-sine-qua-non-Formel erstmals im Jahre 1910 konkret angewendet.7 Der Bundesgerichtshof hat die Äquivalenztheorie übernommen und seit der Heranziehung in einer Entscheidung aus dem Jahr 19518 konsequent beibehalten.9 Die sprachlich wohl diffizilste Formulierung findet sich in einer zivilrechtlichen Entscheidung10 aus dem gleichen Jahr: „Als conditiones sine quibus non sind 3 Vgl. Scholl, JZ 1992, 122 (123); Schünemann, JA 1975, 787 (795); Maiwald, S. 87 ff.; Heisenberg, Universitas 1954, 225 (231); Lukas, S. 136 f.; Frister, AT, 9. Kapitel, Rdnr. 35 f.; a. A. aber Rothenfußer, S. 33 f. (insbesondere 34 Fn. 130). Für das Konzept einer „Granger-Kausalität“ (vgl. Scholl, JZ 1992, 122 [123]) besteht somit kein Bedürfnis. Allerdings kann sich auch für den Juristen das Problem ergeben, dass der ursächliche Zusammenhang nur durch den Ausschluss anderer möglicher Ursachen bestimmt werden kann, siehe hierzu die Rechtsprechungsnachweise unten in Fn. 27. 4 Siehe Lackner/Kühl, Vor § 13 Rdnr. 10; Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 73. Im anglo-amerikanischen Recht als „but-for-causation“ bezeichnet: „The consequence would not have followed but for the act of the accused“, siehe Kirschner, S. 13. 5 Etwaige Reserveursachen sind auf Kausalitätsebene daher unbeachtlich, siehe nur Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 23; Schatz, NStZ 2003, 581 (582 Fn. 20). Für die Frage der objektiven Sorgfaltswidrigkeit sind von dieser Prämisse jedoch – in einem gewissen Rahmen – Ausnahmen zuzulassen; vgl. auch unten 2. Abschnitt, Fn. 218. 6 Vgl. Sch/Sch/Stree, § 13 Rdnr. 61; Reyes, ZStW 108 (1993), 105 (115); Sofos, S. 202 ff.; Guldimann, SchwZStr 59 (1945), 108 (140); Wessels/Beulke, AT, Rdnr. 711; Kölbel, JuS 2006, 309 (310). Gegen das Verständnis der quasi-kausalen Verursachung aber Engisch, Kausalität, S. 30; Dencker, S. 46; Rothenfußer, S. 45 f.; Koriath, Zurechnung 2007, S. 128 ff. 7 RGSt 44, 137 (139). 8 BGHSt 1, 332 (333). 9 Nachweise bei Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 8 Fn. 17. 10 BGHZ 2, 138 (141).

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

nur diejenigen Ereignisse anzusprechen, die nicht weggedacht werden können, ohne daß der sich dann ergebende Zustand überhaupt nicht mehr in die für die rechtliche Wertung in Betracht kommende Erfolgskategorie fällt, oder daß zum mindesten der konkrete Erfolg innerhalb dieser Kategorie in einer Weise verändert wird, die für die rechtliche Würdigung erheblich ist.“ Die Formulierung beruht auf der grundlegenden Ausarbeitung Traegers11, der bereits herausgearbeitet hat, dass durch die Forderung, nur diejenigen kausalen Umstände zu Bedingungen zu erklären, die den Erfolg für die juristische Würdigung anders gestalten, der Boden einer reinen kausalen, sachverhaltsbeschreibenden Betrachtung verlassen wird, indem ein juristisches Werturteil, ein teleologisch ausgerichtetes Normwidrigkeitsurteil, eingeschoben wird.12 Zieht man die Äquivalenztheorie auf die Konstellationen des Fehlverhaltens des Opfers oder eines Dritten heran, so muss man konstatieren, dass der ursächliche Zusammenhang durch ein solches Verhalten nicht unterbrochen werden kann. Die drei Entitäten der Kausalerklärung, Ursache, Wirkung und der Zusammenhang zwischen beidem, stehen nicht in Frage. Erforderlich ist nur, dass das Verhalten des Täters nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass gleichzeitig auch der Erfolg entfiele.13 Der Kausalzusammenhang ist entweder vorhanden oder nicht vorhanden, keinesfalls kann er unterbrochen werden.14 Jedes andere Verständnis würde ein nicht existierendes Naturgesetz etablieren. Quod erat demonstrandum. II. Naturalistisch geprägter Ursachenzusammenhang – Die Formel der gesetzmäßigen Bedingung

Das schlichte Eliminationsverfahren der conditio-sine-qua-non-Formel gelangt in Fällen der Doppelkausalität an seine Grenze. Wirken mehrere Bedingungen kausal, aber alternativ auf einen Erfolg, so lässt sich jede dieser Bedingungen hinwegdenken, ohne dass der Erfolg entfiele. Schulbeispiel bildet der 11

Vgl. insbesondere Traeger, S. 43, 46. Siehe Traeger, S. 42. Bezogen auf das berühmte Vasenbeispiel lässt sich feststellen, dass derjenige, der die Vase bemalt hatte, die sodann vom Schrank heruntergestoßen wird und in Stücke zerspringt, keine Bedingung für die juristisch interessierende Seite des Erfolgs (scil.: Tatbestandes) gesetzt hat, obgleich der Erfolg in seiner vollen konkreten Bestimmtheit ein anderer ist, indem bemalte Scherben statt unbemalter auf dem Boden liegen, s. Traeger, S. 41; krit. Rothenfußer, S. 63 f. 13 Klarstellend RG JW 1936, 50 (Nr. 19). Fortführung in BGHSt 3, 62 (63); BGHSt 4, 360 (361 f.). 14 Siehe Mayer, S. 74; Larenz, NJW 1955, 1009 (1012); Reyes, ZStW 105 (1993), 108 (114); M.-K. Meyer, S. 110; Wolters, Fälle, S. 12 und Hertel, NJW 1966, 2418 sowie Kion, JuS 1967, 499 (500) entgegen BGH NJW 1966, 1823 (1824); Lackner/ Kühl, Vor § 13 Rdnr. 11; Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 77; Roxin, AT I, § 24 Rdnr. 27; Ebert, AT, S. 47 (Beispiel 7 a); P. Fuchs, S. 13. Zur Bedeutung des sog. Regressverbots siehe unten B.III. 12

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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Fall, dass A und B jeweils unabhängig voneinander eine tödlich wirkende Menge Gift in das Getränk des C schütten und dieser daran stirbt. Nun ließe sich die Dosis Gift des A oder des B aus dem Sachverhalt eliminieren, der Gifttod des C könnte dennoch erklärt werden, da sich bei Wegdenken nur einer Giftmenge dennoch eine tödlich wirkende Dosis Gift im Getränk befand und diese den Tod des C herbeigeführt hat.15 Als Konsequenz ließe sich nur wegen versuchter Tat verurteilen – ein offensichtlich unbilliges Ergebnis. Daher muss die Äquivalenzformel für die Fälle der alternativen Kausalität dahin abgewandelt werden, dass „von zwei oder mehreren Umständen, trotzdem sie einzeln weggedacht den juristisch relevanten Erfolg zwar gänzlich unverändert lassen, jeder Umstand als Bedingung im Rechtssinne gelten, wenn die beiden oder die mehreren Umstände selbständig entscheidende Bedingungen im Verhältnis zueinander sind, wenn sie also insgesamt nicht weggedacht werden können, ohne daß der juristisch bedeutsame Erfolg entfiele“16. Weiter wird gegen die Äquivalenzformel vorgebracht, dass sie in ihrer Methode zirkelschlüssig sei, da man mit ihr nichts feststellen könne, was man nicht ohnehin schon wisse. Die Aussage, beim Wegdenken eines Ereignisses würde das andere entfallen, setzt die Kenntnis des Kausalzusammenhangs bereits voraus.17 Zudem sei die Zahl der Bedingungen, die nach ihrer Aussage mit einem Erfolg verknüpft seien, theoretisch unendlich, so dass die Lehre einem regressus ad infinitum erliege.18 In der Wissenschaft weitgehend durchgesetzt19 hat sich aus diesen Erwägungen die auf Engisch zurückgehende „Formel von der gesetzmäßigen Bedingung“. Danach ist ein Verhalten für einen Erfolg kausal, wenn zwischen beiden eine gesetzmäßige Beziehung in der Weise besteht, „daß sich an jenes Verhalten als zeitlich nachfolgend Veränderungen in der Außenwelt angeschlossen haben, die mit dem Verhalten und untereinander in ihrer Aufeinanderfolge (natur-)gesetzmäßig verbunden waren und die ausgemündet sind in irgendeinen Bestandteil des konkreten Sachverhaltes, der dem Strafgesetze gemäß als Erfolg abgegrenzt ist“20 – kürzer formuliert: Ein Verhalten ist dann kausal für einen Erfolg im Sinne der Bedingungstheorie, wenn dieser Erfolg mit dem Verhalten durch eine Reihe von zeitlich nachfolgenden Veränderungen in der Außenwelt gesetzmäßig verbunden ist.21

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Siehe Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 13. Traeger, S. 47 f. Vgl. Erb, JuS 1994, 449 (450). Vgl. Otto, AT, § 6 Rdnr. 17. Vgl. Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 15. Engisch, Kausalität, S. 21. Vgl. Otto, AT, § 6 Rdnr. 31.

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

Der nicht zu leugnende Vorteil dieser Formel liegt darin, dass sie das Erfordernis eines (natur-)gesetzlichen Zusammenhanges deutlicher als die Äquivalenzformel hervorhebt.22 Der Anwender wird nicht in die Irre geführt, denn dort, wo die Kausalitätsfeststellung zu Problemen führt, treten diese augenfällig zutage.23 Auch lassen sich mit ihr die Fälle alternativer Kausalität ohne Schwierigkeiten lösen.24 Weiter reichen ihre Vorzüge jedoch nicht. Denn auch die Formel der gesetzmäßigen Bedingung setzt die Kenntnis des in Frage kommenden Kausalgesetzes bereits voraus.25 Schwierigkeiten ergeben sich daher, wenn die naturwissenschaftlich relevanten Wirkungsfaktoren nicht genau feststehen und lediglich mit einer Art „Black Box“26 durch das Ausscheiden anderer möglicher Kausalfaktoren auf ein Kausalgesetz geschlossen werden kann.27 Ein weiteres Problemfeld für die Lehre der gesetzmäßigen Bedingung stellt der Bereich psychischer Kausalität dar, denn es existieren keine allgemein anerkannten Gesetze darüber, inwieweit menschliche Entscheidungen durch äußere Umstände beeinflusst werden.28 Das Problem der Willensfreiheit sei hier zunächst zurückgestellt29, schließlich werden auch Deterministen eine sichere Prognose darüber verweigern, wie sich Abläufe in der Psyche eines Menschen entwickeln werden.30 Dennoch lässt sich auch für den Bereich der psychisch vermittelten Abläufe eine gewisse Regelhaftigkeit i. S. eines Bedingungszusammenhanges begründen.31 Man wird es hier genügen lassen müssen, wenn ex post eine „spezifische psychische Reaktionsweise“32, ein Motivationszusammenhang festgestellt werden kann.33 Maßgebliches Instrument ist das wissen22

So Ebert/Kühl, Jura 1979, 561 (563). Vgl. Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 75; Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 15. Otto, Jura 1992, 90 (94) spricht von einem pädagogischen Gewinn der Formel. 24 Dazu Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 82. 25 Vgl. Ebert/Kühl, Jura 1979, 561 (563); siehe auch Bartholme, JA 1994, 373 (374); Dencker, S. 30. 26 Kritisch Hassemer, Produktverantwortung, S. 33. Beachtliche Einwände gegen Hassemer erhebt Hilgendorf, JZ 1997, 611. Bezugspunkt ist hier nicht die „(rohe) Handlungskausalität“, sondern die rein naturwissenschaftliche „Ereignis-Kausalität“; vgl. Koriath, Zurechnung 2007, S. 126. 27 Siehe Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 75. Zu nennen sind hierzu LG Saarbrücken JZ 1971, 507 („Contergan“); BGHSt 37, 106 („Lederspray“); BGHSt 41, 206 („Holzschutzmittel“); BGH NJW 1995, 2933 („Weinverschnitt“); OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 610 („Hausausbau“); sowie Spanischer Oberster Gerichtshof NStZ 1994, 37 („Speiseöl“). Auch Krankheits- und Heilungsprozesse erlauben lediglich eine Beurteilung auf probabilistischer Grundlage, vgl. Puppe, AT 1, § 2 Rdnr. 30. 28 Vgl. Otto, AT, § 6 Rdnr. 33. Siehe auch Walter, Schroeder-FS, S. 131 (135). 29 Hierzu siehe unten 3. Abschnitt, C. 30 Vgl. Dencker, S. 32. 31 Siehe Engisch, Weltbild, S. 114 f., 138 f. 32 Engisch, Kausalität, S. 28. 23

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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schaftlich gesicherte Erfahrungswissen über Motivationsprozesse34, wobei das psychische Erlebnis des Beeinflussten selbst und damit seine eigenen Aussagen zu Grunde zu legen sind.35 Allerdings sind die Selbstempfindungen nicht als Beweis zu verstehen, denn die wahrhaftige Selbsteinschätzung, (nicht) beeinflusst gewesen zu sein, ist keine Bedingung der (Nicht-)Beeinflussung. Vielmehr ist darin ein Beweiszeichen dafür zu sehen, dass die betreffende Information vor dem Einwirken nicht bekannt war, die Idee zur Tat sich noch nicht gebildet hatte.36 Der Umstand, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich der betreffende Wille möglicherweise spontan, d.h. ohne Außeneinflüsse gebildet hat, steht der grundsätzlichen Anerkennung von Motivationszusammenhängen nicht entgegen; denn eine im konkreten Fall rein theoretische Möglichkeit bleibt prozessual ohne Bedeutung, da das Beweiswürdigungsrecht dem Richter untersagt, seine Feststellungen hierauf zu stützen.37 Vom Blickfeld der Erkenntnisgewinnung bzw. richterlichen Beweiswürdigung drängt sich zudem eine elementare Verknüpfung der Felder der physischen und psychischen Kausalaussagen auf. Die Aufklärung eines vergangenen Umstandes setzt stets das Mittel der Kommunikation und damit eine ununterbrochene Anwendung der Regeln über Psychisches voraus. Gleichgültig, ob über einen äußeren Umstand oder eine psychische Kausalaussage Beweis erhoben wird, stets geht dies mit einer Kommunikation mit Zeugen, Sachverständigen oder dem Angeklagten einher. Auch wenn also nur über einen physischen Ablauf eine Entscheidung getroffen wird, werden hierzu psychische Regelhaftigkeiten benötigt.38 Wir können somit festhalten, dass im physischen Bereich der gesetzmäßige Zusammenhang dadurch ermittelt wird, indem zunächst gefragt wird, ob ein allgemein anerkanntes Naturgesetz existiert (generelle Kausalität), sodann ist festzustellen, ob der konkrete Sachverhalt unter dieses Kausalgesetz subsumiert werden kann (konkrete Kausalität).39 In Ausnahmefällen ist der Ursachenzu33 Hierzu Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 75; SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 42 d; Jakobs, AT, 7/27; Hoyer, Rudolphi-FS, S. 95 (102); NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 131 spricht von „geheimnisvollen psychischen Gesetzen“. Zur Problematik der Vereinbarkeit psychischer Kausalität mit dem Postulat der Willensfreiheit siehe unten 3. Abschnitt, C. 34 Siehe Otto, Jura 1992, 90 (95). 35 Vgl. NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 131. 36 So Schulz, Lackner-FS, S. 39 (50 f.). 37 Vgl. Schulz, Lackner-FS, S. 39 (46); Meyer-Goßner, § 261 Rdnr. 2. 38 Dazu siehe eingehend Dencker, S. 31 ff. 39 Siehe Otto, Jura 1992, 90 (94); SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 42. Entgegen Armin Kaufmann, JZ 1971, 569 (574) handelt es sich bei allgemeinen Kausalgesetzen nicht um Elemente des objektiven Tatbestandes, mit der Folge, dass sich die freie Überzeugungsbildung des Gerichts darauf beschränken würde, zu prüfen, ob ein anerkannter Erfahrungssatz existiert, sondern um Aussagen über die Wirklichkeitsstruktur, die der

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

sammenhang durch den Ausschluss aller anderen möglichen Wirkungsfaktoren festzustellen. Für den psychischen Bereich benötigen wir den Nachweis der Wirksamkeit des konkreten Ereignisses als Motiv für die bestimmte Handlung einer Person. III. Der praktische Syllogismus Bernsmanns

In der Heranziehung von Motiven zur Festlegung eines gesetzmäßigen Zusammenhangs sieht Bernsmann40 einen Zirkelschluss der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung begründet, den die conditio-sine-qua-non-Formel für außerpsychische Sachverhalte enthält. Die petitio principii bestehe darin, dass eine gesetzmäßige Beziehung im generellen vorausgesetzt werde, deren Vorliegen erst bewiesen werden müsse, wobei der entscheidende Unterschied zwischen psychischer und physischer Verursachung darin liege, dass bei erstgenannter der Beweis (derzeit) niemandem auch nur annäherungsweise gelingen dürfte.41 Denn es erscheine so gut wie ausgeschlossen, dass ein Psychologe, der dem eigenen Anspruch auf „Wissenschaftlichkeit“ genügen wolle, sich in der Lage sehe, einen einmaligen historischen psychischen Vorgang in foro in den Zusammenhang eines allgemeinen (Kausal-)Gesetzes zu stellen.42 Es sei nicht möglich, aus der Beschreibung statistisch wahrscheinlicher Abläufe eine den Ansprüchen der Erfahrungswissenschaften (und damit der Formel von der gesetzmäßigen Bedingung) gerecht werdende Antwort auf die Subsumtion eines auf Motiven beruhenden Falles unter ein allgemeines (Natur-)Gesetz zu geben. Denn ein solches Verfahren würde sich von einer „Laienpsychologie“ nur durch die Ermittlung mittels wissenschaftlicher Instrumentarien unterscheiden.43 Zur Klärung des Handlungsverstehens will Bernsmann ein auf Aristoteles zurückgehendes Schlussverfahren heranziehen, den sog. praktischen Syllogismus. Dieser praktische Schluss lässt sich schematisch folgendermaßen darstellen:44

freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegen. Der Richter, der in einem fragwürdigen Fall die Kausalität bejaht, setzt sich nicht über allgemeine Erfahrungssätze hinweg, weil diese gerade nicht existieren. Richterliche Fallentscheidung erschöpft sich nicht in der Deduktion aus dem Strafgesetz, sondern leistet eigenständige Konkretisierung an und aus den Besonderheiten des zu entscheidenden Einzelfalles. Vgl. Otto, Jura 1992, 90 (94); Hassemer, Produktverantwortung, S. 45; gegen Armin Kaufmann auch SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 42 c. 40 Bernsmann, ARSP 1982, 536. 41 Vgl. Bernsmann, ARSP 1982, 536 (546 Fn. 52). So auch NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 125. 42 Vgl. Bernsmann, ARSP 1982, 536 (545) (Hervorhebung im Original). 43 Vgl. Bernsmann, ARSP 1982, 536 (545) (Hervorhebung im Original). 44 Siehe Bernsmann, ARSP 1982, 536 (548).

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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1. P will, dass der Erfolg E eintritt. 2. P glaubt (hält es für zweckrational), dass in der Situation S die Ausführung der Handlung H eine Bedingung für den Eintritt von E ist und dass S besteht. 3. Also macht sich P daran, H zu tun; führt P H aus. Obwohl mit diesem Syllogismus lediglich gesetzmäßige Bedingungen durch i. S. des praktischen Schlusses logische ersetzt werden45, sieht Bernsmann darin ein verlässliches Mittel zur Gewinnung einer lückenlosen, zum Täter zurückführenden Zurechnungskette.46 Der für die Zurechnung notwendige und ausreichende Zusammenhang gründe darin, dass der Täter prämissennotwendige Bewusstseinsinhalte seines Gegenübers ganz oder z. T. beeinflusse. Wenn der Sinn einer Handlungswahl nur unter Rückgriff auf eine Täterhandlung verstehbar ist, ist der Täter am Zustandekommen der Handlung beteiligt, da er Handlungs-Sinn bzw. Handlungs-Wissen liefert.47 Eine sinnverwandte non-kausale Zuschreibungsregel findet sich bei Koriath, der gleichsam eine Gleichsetzung von statistischen Wahrscheinlichkeiten mit einer konstanten Verknüpfung, einem Gesetz für nicht gangbar hält.48 Er will darauf abstellen, dass (1) zwischen den Interaktionspartnern eine intellektuell reflektierte Kommunikation stattgefunden hat, wobei (2) die Informationen des einen Interaktionspartners Bestandteile der Gründe für die Handlung des anderen Interaktionspartners darstellen, (3) der zweite Beteiligte den Entschluss fasst, nachdem der erste interveniert hat und (4) muss es die Absicht des Intervenierenden sein, dass sein Gegenüber die Handlung ausführt.49 Der Schwachpunkt eines solchen praktischen Syllogismus besteht darin, dass zwar eine logische Beziehung zwischen den Zielen, den Vorstellungen und den Handlungen einer Person aufgezeigt wird, nicht aber eine Beziehung zu etwaigen Fremdeinflüssen auf diese Zielsetzungen oder Vorstellungen. Damit beschränkt sich der praktische Schluss lediglich auf das letzte Glied der psychischen Kausalkette.50 Gerade aber die Elimination von möglichen Fremdeinflüssen bildet das entscheidende Postulat zur Erklärung psychischer Ursachen im Strafrecht. Somit bleibt der praktische Syllogismus in seiner Erklärungskraft trivial51, zumal eine 4. Prämisse hinzuzufügen ist, nämlich für P darf nicht ir-

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Dies stellt Bernsmann selbst fest, vgl. Bernsmann, ARSP 1982, 536 (550). Zustimmend ebenfalls Kindhäuser, Gefährdung, S. 56. Vgl. Bernsmann, ARSP 1982, 536 (550). Vgl. Koriath, Kausalität, S. 194 ff. Vgl. Koriath, Kausalität, S. 224. Siehe Puppe, GA 1984, 101 (108 Fn. 34). Vgl. NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 127.

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

gendein hinreichender Grund bestehen, in der Situation S die Handlung H nicht zu tun.52 IV. Die genetische Kausalerklärung Puppes

Auch Puppe erhebt Einwände gegen den Erkenntnisgewinn der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung. Ihrer Ansicht nach bietet das Abstellen auf einen gesetzmäßigen Zusammenhang kein gewinnbringendes Mittel, um eine Ursache von einer Nichtursache zu unterscheiden. Denn schon durch das Postulat einer „gesetzmäßigen“ Bedingung erspare man sich die logische Bestimmung des Bedingungsverhältnisses zwischen Einzelursache und Erfolg. Der Ausdruck „Bedingung“ habe ohne die Bestimmung notwendig oder hinreichend nicht mehr den Sinn einer logischen Abhängigkeit, sondern bezeichne nur noch einen vorhergehenden oder begleitenden Umstand.53 Das Wegdenkverfahren der conditio-sine-qua-non-Formel hält Puppe für „Unsinn im strengsten Sinne des Wortes“54. Ein solches Verfahren stelle einen eklatanten Widerspruch dar, da es nicht möglich sei, nach Naturgesetzen eine Aussage über einen Verlauf zu machen, der in Wirklichkeit nicht abgelaufen sei, dabei aber nichts hinzuzudenken, was in Wirklichkeit nicht geschehen sei.55 Da die conditio-sine-qua-non-Formel als Ursachen nur notwendige Erfolgsbedingungen („Nur wenn . . ., dann . . .“; p q56) anerkenne, sei sie nicht in der Lage, Reserveursachen richtig zu beurteilen, die Existenz von Ersatzursachen müsse die Kausalität ausschließen.57 Die Anwendung des Topos vom Erfolg in seiner konkreten Gestalt sei zirkelschlüssig, da der Anwender durch nichts gehindert werde, die präsumtiven Umstände selbst in die Erfolgsbeschreibung aufzunehmen.58 Puppe will mit ihrem Kausalmodell bereits hinreichende Erfolgsbeziehungen („Immer wenn . . ., dann . . .“; p ! q) heranziehen, da unter dieser Betrachtung Kausalität auch dann festgestellt werden könne, wenn Reserveursachen be52

Vgl. NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 127. Vgl. Puppe, GA 1994, 297 (302 f.). 54 Puppe, SchwZStr 107 (1990), 141 (146). 55 Vgl. Puppe, SchwZStr 107 (1990), 141 (146). 56 Die Formel q ! p lässt sich äquivalent umformen in die Formel Nicht p ! Nicht q, womit man das Kausalitätskriterium der conditio-sine-qua-non-Formel in ihrer bekannten Formulierung erhält: Ereignis p ist genau dann notwendige Bedingung und damit kausal für Ereignis q, wenn Ereignis p nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass Ereignis q entfiele, oder kürzer, wenn Ereignis q ohne Ereignis p nicht hätte stattfinden können; vgl. Rothenfußer, S. 13 ff. Zur Aussagelogik (Junktorenlogik) siehe näher Röhl, S. 103 ff. 57 Siehe Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (868, 888); Erb, JuS 1994, 449 (450). 58 Vgl. Puppe, SchwZStr 107 (1990), 141 (143 Fn. 2); dies., ZStW 92 (1980), 863 (873). Kritisch auch Hilgendorf, GA 1995, 515 (524). 53

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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stehen, die den gleichen Erfolg herbeigeführt hätten.59 Als Erfolg will sie keinen Zustand verstehen, sondern vielmehr die Veränderung von Zuständen, und zwar ausschließlich solche, die für ein Rechtsgut nachteilig sind.60 Die Berücksichtigung hinreichender Bedingungen führt aber zu dem Ergebnis, dass nun auch Ersatzursachen für den Erfolg kausal zu werden scheinen, denn auch diese sind Bedingungen, die nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten eine hinreichende Mindestbedingung für den Erfolg geschaffen haben.61 Puppe erkennt die Problematik und führt als Ausweg das sog. Nahwirkungserfordernis an. Es müsse danach gefragt werden, über welche zeitlich und örtlich benachbarten Ereignisse Ursache und Erfolg miteinander verknüpft seien. Jedes frühere Stadium bildet sodann die Grundlage und Bedingung des späteren, es entsteht eine Ursachenkette, eine sog. genetische Kausalerklärung.62 Ein Kausalnexus wird erst dadurch exakt beschrieben, dass zwischen zwei Sachverhalten eine kinetische gesetzmäßige Entwicklung von dem einen zum anderen beschrieben wird.63 Ein feststehender Kausalprozess wird nach diesem Verfahren vom Erfolg aus rückwärtsgehend entwickelt. Von jedem Umstand ist zu prüfen, ob er aus der genetischen Kausalkette gestrichen werden kann und der Erfolg dennoch aus den verbleibenden Kausalgliedern ableitbar ist. Auf diese Weise gelingt der Ausschluss von Reserveursachen, da sich diese von realen Ursachen dadurch unterscheiden, dass die Reserveursachen mit dem Erfolg nicht durch eine lückenlose Kette von Zwischenursachen verbunden sind. Es genüge daher, dass das Täterverhalten notwendiger Bestandteil einer von möglicherweise mehreren hinreichenden und tatsächlich erfüllten Erfolgsbedingungen sei.64 Der Kern von Puppes Modell liegt somit darin, aus einer bereits aufgestellten kausalen Erklärung ein bestimmtes Ereignis hinwegzudenken, um zu prüfen, ob die Erklärung ohne dieses noch schlüssig ist. Nicht geht es darum, sich Tatsachen aus der Welt wegzudenken und dann festzustellen, was ohne sie geschehen wäre.65 Eher beiläufig erwähnt Puppe, dass dieses Modell mit dem Modell der Erklärung des Begriffs der Einzelursache von Mackie übereinstimme.66

59 Vgl. Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (888). Ganz ähnlich nun auch Koriath, Zurechnung 2007, S. 150 („conditio per quam“). 60 Vgl. Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (880). 61 Siehe Erb, JuS 1994, 449 (451). 62 Siehe Puppe, ZStW 92 (1980), 863 (889). Später benennt Puppe diese Stringenz mit dem Begriff des Durchgängigkeitserfordernisses, vgl. Puppe, ZStW 99 (1987), 595 (612); sowie NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 236. 63 Vgl. Puppe, ZStW 99 (1987), 595 (612). Zustimmend Jakobs, AT, 7/78. 64 Vgl. Puppe, ZIS 2007, 234 (240). 65 Vgl. Puppe, SchwZStr 107 (1990), 141 (151); dies., NStZ 2004, 554 (555). 66 Siehe Puppe, SchwZStr 107 (1990), 141 (151 Fn. 12).

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

Das Modell Mackies67 der Inus-Formel grenzt ebenfalls hinreichende und notwendige Bedingungen voneinander ab. Mackie bildet zur Veranschaulichung einen alltäglichen Fall: Es möge ein Haus in Brand geraten sein. Bevor das Haus durch das Feuer völlig zerstört worden ist, konnte der Brand gelöscht werden. Um die Ursache des Unglücks zu ermitteln, werden Fachleute mit der Untersuchung der Ruine beauftragt. Die Ermittlungen der Experten ergeben, dass ein Kurzschluss im Dachgeschoss des Hauses den Brand verursacht hat. Die Frage lautet: Welche Bedeutung hat die Aussage der Fachleute?68 Mackie formuliert: Der Kurzschluss ist ein nicht hinreichender (insufficient) aber notwendiger (necessary) Teil einer komplexen Bedingungsmenge (set of conditions), die selbst als ganze nicht notwendig (unnecessary) aber hinreichend (sufficient) für den Brand ist.69 Aus den Anfangsbuchstaben der Adjektive lässt sich das Akronym inus bilden, welches namensgebend für diese Theorie ist. Gemeint ist damit, dass von der Gesamtmenge der für den Brand erforderlichen Bedingungen, d.h. des kausalen Feldes, der Kurzschluss zwar keine hinreichende Bedingung (außer einem Kurzschluss gibt es noch weitere Umstände, die den Brand verursachen – Sauerstoff in der Luft, brennbares Material vor Ort etc. –), aber eine notwendige Bedingung darstellt (die anderen Ursachen alleine hätten kein Feuer ausgelöst). Die komplexe Bedingungsmenge ihrerseits ist zwar hinreichend für den Brand, aber nicht notwendig (es sind zahllose andere komplexe Bedingungsmengen denkbar, die den Brand ebenfalls verursachen könnten).70 Gliedert man diese komplex anmutende Aussage in ihre einzelnen Elemente auf, so lassen sich folgende Definitionen festlegen: Im Hinblick auf die komplexe Bedingungsmenge gelangt man zur Aussage, dass ein Hausbrand auch durch andere Umstände als das Zusammentreffen von Kurzschluss, Sauerstoff und brennbarem Material verursacht werden kann, z. B. durch das Wegwerfen einer brennenden Zigarette. Die Einzelursache der Bedingungsmenge stellt wiederum einen nicht hinreichenden Teil dieser Menge dar, da der Teil einer Ursache nie für sich und alleine einen hinreichenden Grund für den Erfolgseintritt darstellt. Diese Aussagen stellen aber allesamt zwar treffende, aber für die Definition des Ursachenbegriffes überflüssige Trivialaussagen dar.71 Als entscheidendes Element der Kausalitätsdefinition Mackies lässt sich neben diesen Allgemeinplätzen extrahieren, dass der auf sein Kausalsein zu untersuchende Umstand ein notwendiger Teil der Gesamtbedingung sein muss.72 Die67

Mackie, American Philosophical Quarterly 2 (1965), 245. Siehe Mackie, American Philosophical Quarterly 2 (1965), 245. 69 Mackie, American Philosophical Quarterly 2 (1965), 245: „In this case, then, the so-called cause is, and is known to be, an insufficient but necessary part of a condition which is itself unnecessary but sufficient for the result“ (Hervorhebungen im Original). Vgl. auch Koriath, Kausalität, S. 33. 70 Siehe Koriath, Kausalität, S. 33. 71 Instruktiv Samson, Rudolphi-FS, S. 259 (262 ff.). 72 Vgl. Samson, Rudolphi-FS, S. 259 (264). 68

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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ser Aussagegehalt deckt sich vollständig mit der conditio-sine-qua-non-Formel, denn ein Umstand ist dann notwendig, wenn ohne ihn der Erfolg nicht eingetreten wäre.73 Dennoch geht Puppe, die ihr Kausalmodell von Mackie ableitet, davon aus, dass mit ihrem Modell eine andere Aussage als mit der conditio-sine-qua-nonFormel verbunden ist. Während die conditio-sine-qua-non-Formel ein konkretes Ereignis wegdenken müsse, gehe es bei ihrer Theorie allein darum, bei einem abstrakten Kausalgesetz die abstrakt noch erforderlichen Elemente zu ermitteln.74 Dem ist allerdings entgegen zu halten, dass auch Puppe beim Streichen redundanter Teilelemente ein abstraktes Gesetz suchen muss, das den Eintritt des konkreten Erfolges generell zu erklären vermag.75 Damit unterscheidet sich ihr Verfahren aber nicht von der Wegdenkmethode der conditio-sine-qua-non-Formel, denn auch Puppe muss für ihre Erklärung ein Kausalgesetz für einen hypothetischen Sachverhalt bilden. Ein weiterer Einwand gegen die Theorie Puppes lässt sich in dem Umstand erblicken, dass es nicht gelingen wird, einen Kausalverlauf in unendlich viele Zwischenschritte zu zerlegen, um auszuschließen, dass im Einzelfall nicht doch an irgendeiner Stelle eine andere, unbekannte Zwischenursache den nächsten Schritt des Geschehens ausgelöst hat.76 Denn man kann zwischen zwei noch so dicht benachbarte Zustände immer wieder eine neue Zwischenursache einschieben und diese zumindest theoretisch mit einer entsprechenden Reserveursache konkurrieren lassen.77 Damit kann auch Puppe keine Regeln darüber angeben, wie genau der Kausalverlauf zu beschreiben ist. Die letztlich willkürliche Entscheidung wird also nur an anderer Stelle getroffen.78 Fraglich ist auch, ob es sich tatsächlich um eine für das Rechtsgutsobjekt nachteilige Veränderung handeln muss, oder ob nicht vielmehr jede im Gesetz typisierte Veränderung zur Erfolgsbestimmung ausreicht. Denn wenn das Vorliegen eines objektiven gesetzlichen Straftatbestandes zu bejahen ist, bedarf es keiner eigenen Wertung des Rechtsanwenders darüber, ob er die Veränderung als nachteilig empfindet. Das Adjektiv ist mithin strenggenommen überflüs-

73

Siehe Samson, Rudolphi-FS, S. 259 (265). Vgl. Samson, Rudolphi-FS, S. 259 (265). 75 Hierzu Samson, Rudolphi-FS, S. 259 (266). 76 Vgl. Erb, JuS 1994, 449 (452). 77 Vgl. Erb, JuS 1994, 449 (451). Mit der gedanklichen Teilbarkeit raumzeitlicher Geschehensabläufe in eine unendliche Menge von Abschnitten geht gleichzeitig etwa die Unmöglichkeit der Bestimmung des unmittelbaren Ansetzens zur Tatbestandsverwirklichung einher, vgl. Rath, JuS 1998, 1106 (1107). 78 So auch Binns, S. 93. Kritisch auch Koriath, Zurechnung 2007, S. 111. 74

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

sig.79 Durch das Hereinziehen einer Wertung i. S. der Nachteiligkeit in den juristischen Kausalbegriff wird die Grenze von Kausalität und normativ-objektiver Zurechnung verwässert. Es ist zu bedenken, dass die Trennung von Kausalität und Zurechnung eine dogmatische Errungenschaft darstellt, die nicht vorschnell wieder preisgegeben werden sollte.80 Jedenfalls würde durch eine solche Erfolgsbestimmung ein strafrechtlich spezifisches Kausalmodell geschaffen, ein im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht unproblematisches Vorgehen.81 Sowohl der praktische Syllogismus als auch die genetische Kausalerklärung führen die Kausalerkenntnis somit nicht weiter als die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung. B. Der Zurechnungszusammenhang Die objektive Zurechnung ist im Gesetz nicht geregelt, vielmehr ist ihre Klärung der Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen.82 Man mag den Einwand erheben, dass das Gesetz nur ein Verursachen fordere, z. B. in den §§ 222, 227, 229 StGB, sich demnach in objektiver Hinsicht mit der Kausalität begnüge.83 Dem ist entgegenzuhalten, dass wir auch sonst gehalten sind, das, was der Gesetzgeber, dem synthetischen Sprachgebrauch folgend, in einem Wort zusammenfasst, wissenschaftlich analysierend in mehrere Begriffe aufzulösen, z. B. das Tatbestandsmerkmal „wegnehmen“ in § 242 StGB.84 Darüber hinaus setzt auch der Gesetzgeber die Differenzierung von Kausalität und objektiver Zurechnung im Strafrecht als selbstverständlich voraus, denn ansonsten könnte die Anstiftung nicht von der Täterschaft unterschieden werden, wenn die Kausalität im Sinne einer contitio-sine-qua-non bereits die Erfolgszurechnung erschöpfte.85

79 Siehe Hilgendorf, GA 1995, 515 (527). Hilgendorf will das Kriterium der Nachteiligkeit nur für Erfolgsmodifikationen (scil.: außertatbestandliche zusätzliche Merkmale) heranziehen, vgl. Hilgendorf, GA 1995, 515 (532). Rothenfußer verwendet das Merkmal des Nachteils als Zurechnungsaspekt, so dass durch die deliktischen Tatbestände die tatbestandsmäßige Rechtsgutbeeinträchtigung lediglich zusätzlich verboten wird, vgl. Rothenfußer, S. 95 sowie unten B.VI. 80 Vgl. Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 22. Kritisch auch Schünemann, GA 1999, 207 (219). A. A. Renzikowski, GA 2007, 561 (572 ff.). 81 In diese Richtung Hilgendorf, GA 1995, 515 (527). 82 Siehe Ebert/Kühl, Jura 1979, 561. 83 Die Frage wirft Honig, Frank-FG, S. 174 (180 Fn. 1) auf; ebenso Kühl, AT, § 17 Rdnr. 54. 84 Vgl. Honig, Frank-FG, S. 174 (180 Fn. 1). Krümpelmann, Bockelmann-FS, S. 443 (450 Fn. 44): „Der Sprachsinn des Wortes ,durch‘ ist nicht auf Kausalvorgänge festgelegt, sondern kann auch als „unter Vermittlung von . . .“ verstanden werden. 85 Vgl. Otto, Lampe-FS, S. 492 (494 f.).

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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Während das ontologische Prinzip der Kausalität besagt, dass, wenn A ist, so B ist (oder sein wird), besagt das axiologische Prinzip der Zurechnung, dass, wenn A ist, B sein soll.86 Das Wesen der Zurechnung liegt demnach nicht in einer Art Billigkeitskorrektur gegenüber der Verantwortlichkeit für den rein naturalistischen Kausalzusammenhang, sondern in einer viel prinzipielleren Erkenntnis: Mit ihr soll ein Urteil über menschliche Verantwortung an sich gewonnen werden, dieses bezieht sich immer auf ein Willenssubjekt nicht nur als reiner Verursacher, sondern gerade als Urheber, d.h. als Herr seines Tuns.87 Die objektive Zurechnung als Tatzurechnung (imputatio facti) bildet einen Teilaspekt der Zurechnung, ihre Ergänzung findet sich in der subjektiven Zurechnung zur Schuld (imputatio juris).88 I. Die Adäquanztheorie

Auf dem Gebiet des Privatrechts wird durch die Verwendung der Adäquanztheorie im Wege einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung die Schadenszurechnung für gänzlich unwahrscheinliche Kausalverläufe eingegrenzt.89 Damit vermeidet die Adäquanztheorie zwar den regressus ad infinitum der Äquivalenztheorie90 – im Strafrecht, wo keine Strafe ohne Schuld begründet wird, hat sich diese Theorie jedoch nicht durchgesetzt, zumal seit der Einführung von § 18 (§ 56 a. F.) StGB im Jahre 1953 auch für erfolgsqualifizierte Delikte wenigstens Fahrlässigkeit vorausgesetzt wird.91 Die Unzulänglichkeit der Adäquanztheorie liegt überdies darin, dass sie versucht, mit einer Wahrscheinlichkeitsprognose die Zu-

86 Instruktiv Kelsen, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 6 (1955), 125 (134 f.). 87 Vgl. Larenz, NJW 1955, 1009 (1012). 88 Vgl. Larenz, NJW 1955, 1009 (1012); Naucke, ZStW 76 (1964), 409 (426 f.). Zur Differenzierung siehe auch bereits Honig, Frank-FG, S. 174 (179 Fn. 2). 89 Siehe Palandt/Heinrichs, Vorb v § 249 Rdnr. 58 ff. mit umfassenden Nachweisen zur Rechtsprechung. Im Sozialrecht herrschend ist die Theorie der wesentlichen Bedingung. Im Gegensatz zur Adäquanztheorie nimmt diese Theorie keine Betrachtung bezogen auf den Zeitpunkt des schadensstiftenden Verhaltens (ex tunc), sondern in rückschauender Sicht (ex nunc) vor. Im Wege einer wertenden Betrachtung nach der Frage der wesentlichen Bedingung lassen sich auch außergewöhnliche Umstände zurechnen, s. Wallerath, NJW 1971, 228 (229); K. Köhler, WzS 2002, 262, 297 (298). Für das Strafrecht ist die Theorie der wesentlichen Bedingung ohne Bedeutung, vgl. Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 89 sowie unten 2. Abschnitt, B.IV.3.c) zur Lehre von Birkmeyers. 90 Vgl. Saito, Roxin-FS, S. 261 (263). 91 Vgl. Tröndle/Fischer, Vor § 13 Rdnr. 16 b; Lackner/Kühl, Vor § 13 Rdnr. 9. Zudem behandelt die Strafgerichtsbarkeit die Problematik inadäquater Bedingungszusammenhänge nicht im Rahmen der Kausalität, sondern verortet diese unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit, so bereits RGSt 29, 218; siehe dazu unten 2. Abschnitt, B.II.4.

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

rechnung zu entscheiden.92 So gibt es Fälle, in denen trotz Adäquanz des Erfolgseintritts eine Zurechnung unangemessen ist, etwa dann, wenn der Erfolg eintritt, weil sich das Opfer extrem leichtfertig verhalten hat93 oder die Handlung als sozialadäquat94 zu beurteilen ist. Auf der anderen Seite lässt sich auch bei geringster Wahrscheinlichkeit nicht per se die Zurechnung ausschließen. So hat die zivilrechtliche Rechtsprechung95 verweigert, die Adäquanztheorie durch die Vorgabe fester Wahrscheinlichkeitswerte zu operationalisieren. Diese Entscheidung ist nachvollziehbar, denn ansonsten ließe sich der Betreiber eines Atomkraftwerkes bei einem Unfall, der nach der Sicherheitsanalyse nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 10–12 zu erwarten ist, nicht haftbar machen.96 Die Würdigung solcher komplexer rechtlicher Sachverhalte vermag eine Wahrscheinlichkeitsprognose nicht zu bewältigen.97 Dem Adäquanzprinzip fehlt es somit am – für eine Erfolgszurechnung notwendigen – normativen Bezugspunkt.98 II. Das Versari-Prinzip

Beschäftigt man sich näher mit der Literatur zur Zurechnung ärztlichen Fehlverhaltens zum Erstschädiger oder der Haftung für Schäden des Verfolgers, so stößt man immer wieder auf den Einwand, hier würde eine Versari-Haftung wiederbelebt.99 Insoweit soll hier kurz aufgezeigt werden, welcher Zurechnungsgedanke sich hinter dem Schlagwort der Versari-Haftung verbirgt. Die Rechtsregel „versanti in re illicita imputantur omnia, quae sequuntur ex delicto“ wird von Liebs100 mit „wer sich auf verbotenem Felde bewegt, dem werden alle schlimmen Folgen, die das mit sich bringt, zugerechnet“ übersetzt. Dies stellt die erste und reinste Gestalt des Versari-Prinzips dar.101 Die von den Postglossatoren aus dem kanonischen Recht übernommene Theorie hatte eine 92 Siehe Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 42. Dies hat auch der BGH erkannt, wenn er von einem „inneren Zusammenhang“ spricht und damit ein über die Adäquanz hinausreichendes Kriterium einführt, vgl. Larenz NJW 1958, 627; BGHZ 25, 86 (90); BGH NJW 1963, 1671 (1672). 93 Vgl. Hilgendorf, Weber-FS, S. 33 (45). 94 In diesem Sinn SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 55; Wolter, GA 1977, 257 (261); Schünemann, GA 1999, 207 (213 f.); Saito, Roxin-FS, S. 261 (263). 95 BGHZ 18, 286 (288). 96 Siehe hierzu Scholl, JZ 1992, 122 (124). 97 Siehe auch M. Otto, S. 5. 98 Vgl. Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 87/88. 99 In strafrechtlicher Hinsicht Diel, S. 236; Rudolphi, JuS 1969, 449 (554); SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 63; Namias, S. 59; Frisch, S. 397. Auf dem Gebiet des zivilen Schadensrechts Hermann Lange, NZV 1990, 426. 100 Liebs, V Nr. 16 (S. 238). Siehe auch Hassemer, Einführung, S. 190 Fn. 37. 101 Vgl. Küpper, Zusammenhang, S. 16.

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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doppelte Aufgabe, einerseits sollten die ungewollten Folgen einer vorsätzlichen Handlung, andererseits auch diejenigen Schuldmomente erfasst werden, die außerhalb der eigentlichen Handlung liegen, wie Vorbereitungsakte oder die Auswahl der Umstände.102 Frei von Schuld ist der Täter nur dann, wenn sowohl res, locus, tempus und modus seines Verhaltens erlaubt sind.103 In der strafrechtlichen Literatur wird das Versari-Prinzip oftmals unter dem Aspekt der historischen Entwicklung der erfolgsqualifizierten Delikte oder deren Berechtigung überhaupt diskutiert.104 Hierbei wird auf spätere Entwicklungsstufen des Versari-Prinzips Bezug genommen, dem nun ein Gefährlichkeitsgedanke innewohnte: Die Übertretung gewisser Normen enthält eine spezifische Pflichtwidrigkeit, die erfahrungsgemäß mit größter Wahrscheinlichkeit mit der Verletzung bestimmter Rechtsgüter verknüpft ist.105 Ein solches Rechtsverständnis mag zunächst Befremden hervorrufen, doch ist ein solcher Haftungsgedanke dem deutschen Recht keineswegs fremd. Im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 678 BGB) findet sich dieses Prinzip in seiner reinsten Gestalt wieder. Dennoch kann der Versari-Gedanke in dieser Form für das Strafrecht keine Geltung beanspruchen. Dies liegt zum einen daran, dass bereits auf der Ebene des Tatbestandes eine strafrechtliche Zufallshaftung106 ausgeschlossen werden muss, zum anderen gilt im Rahmen der Schuld das Prinzip der Teilbarkeit des Unrechtsbewusstseins; einem Täter werden nicht schon alle Normbrüche bei einer Tat zugerechnet, wenn ihm ein ein102

Siehe Bindokat, JZ 1977, 549 (551). Siehe Bindokat, JZ 1977, 549 (551). Der Jäger, der zu einer unerlaubten Zeit jagt und statt des Wildes einen Menschen tötet, kann sich somit auch durch größte Umsicht nicht entschuldigen. 104 Insbesondere Küpper, Zusammenhang, S. 14 ff.; Lorenzen, S. 35 ff.; Ferschl, S. 30; Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 14; Schubarth, ZStW 85 (1973), 754 (757 ff.). 105 Vgl. Küpper, Zusammenhang, S. 16. 106 Mit dem Ausdruck Zufallshaftung wird hier ein vom Täter nicht determinierter Kausalverlauf gemeint, den man auch als nicht beherrschbaren Zufall bezeichnen mag. Dieser nicht beherrschbare Zufall (Begrifflichkeit bei Toepel, S. 145 Fn. 65) ist von einem beherrschbaren Zufall zu unterscheiden, dessen Charakteristikum darin liegt, dass er zum kausalen Feld gehört, z. B. ein seinerseits fehlerhaftes Verhalten des Opfers in der konkreten Schadenssituation, vgl. Toepel, S. 128, 145 Fn. 65 und KKOWiG/Rengier1, § 10 Rdnr. 37; in diese Richtung auch OGH SSt 31/124 (S. 385): „Für die Beurteilung, ob bei einem Unfall das Verhalten des Dritten die strafrechtliche Haftung des schuldhaft handelnden Täters ausschließt, kommt es daher nicht darauf an, ob der Unfall bei anderem Verhalten des Dritten, sondern nur darauf, ob er bei anderem Verhalten des Täters vermieden worden wäre“; sowie BGHSt 17, 299: Leitsatz: „Fährt jemand an eine Kreuzung gleichgeordneter Straßen (StVO § 13 Abs. 1) so schnell heran, daß er seiner Wartepflicht gegenüber einem von rechts kommenden Verkehrsteilnehmer nicht genügen kann, so ist er auch für einen dadurch mit herbeigeführten Zusammenstoß mit einem von links kommenden und ihm gegenüber wartepflichtigen Fahrzeug verantwortlich“. Sinngleich Puppe, ZIS 2007, 247 (250). Abw. nun KK-OWiG/Rengier, § 10 Rdnr. 37. 103

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

zelner Normbruch bekannt oder vermeidbar unbekannt ist. Es gilt auch beim Unrechtsbewusstsein kein versari in re illicita.107 Der Einwand Bindokats108, das Erfordernis der Vertrauensverletzung beuge einer Zufallshaftung vor, mag nicht zu überzeugen, denn auch dann, wenn der Täter das Vertrauen in die Einhaltung des Rechtsfriedens enttäuscht, lässt sich ihm kein unbegrenzter Gefahrenbereich zuordnen, sondern eine strafrechtliche Verantwortlichkeit lässt sich nur innerhalb der vom Täter gesetzten Streubreite109 seines unerlaubten Tuns bestimmen. Alle Auswirkungen des versari in re illicita unter Strafe zu stellen, hieße die Schuld gänzlich durch den Aspekt der Prävention zu ersetzen. Damit würde eine rechtsstaatliche Errungenschaft der neueren Strafrechtsentwicklung, die als solche von niemandem bestritten wird, wieder rückgängig gemacht.110 III. Das Regressverbot

1. Die klassische Lehre vom Regressverbot Die Lehre von der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs geht auf Goltdammer zurück. Bereits 1867 formulierte er: „Freie Handlungen dritter Personen, die zwischen der ursprünglichen Handlung des ersten Thäters und dem schließlich eingetretenen Erfolge als wirkende oder mitwirkende Ursachen des letzteren liegen, unterbrechen den Kausalzusammenhang, können also dem ersten Thäter nicht zugerechnet werden“111. Frei solle die Handlung des Dritten dabei sein, wenn dieser durch keine von dem Ersthandelnden ausgehenden Umstände getäuscht und damit verhindert wurde, zu erkennen, welche Folgen seine Handlung haben könne.112 Frank schließlich bedient sich der Differenzierungstypik von Vorbedingungen, Bedingungen und Ursachen. Das von Frank113 entwickelte sog. Regressverbot verneint den Ursachenzusammenhang einer Vorbedingung für den Erfolg, wenn an die Vorbedingung eine freie und bewusste (vorsätzliche und schuldhafte) Bedingung anknüpft, die den Erfolg herbeiführt.114 Innerhalb einer Kausalitäts107

So Jakobs, AT, 19/27 m.w. N. Bindokat, JZ 1977, 549 (551 f.). 109 Der Begriff der Streubreite wird wohl erstmals von Jakobs, AT1, 8/80 unter dem Gesichtspunkt der aberratio ictus verwendet. Im Anschluss führen diese Begrifflichkeit an: AK/Zielinski, §§ 15, 16 Rdnr. 59, 64 und jüngst BGH NStZ 1998, 294 (295) zur Problematik der Autobombenfälle, bei denen das Tötungsmittel zwar an der Stelle wirkt, wo der Täter es sich vorgestellt hat, aber dennoch das falsche Opfer getroffen wird. 110 Siehe Roxin, ZStW 96 (1984), 641 (645 ff.). Eine zurückhaltende Relativierung findet sich bei Bindokat, JuS 1985, 32 Fn. 5. 111 Goltdammer, GA 15(1867), 15 (19). 112 Vgl. Goltdammer, GA 15 (1867), 15 (19). 113 Frank, § 1 Anm. III 2 a). 114 Vgl. Frank, § 1 Anm. III 2 a) (S. 14). 108

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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reihe wird die entferntere Bedingung (causa remota) durch die Setzung der späteren, unmittelbar auslösenden Bedingung (causa proxima) nachträglich aufgehoben. Kein Fall des Regressverbots liegt vor, wenn die später tätig werdende Person unzurechnungsfähig ist oder nicht vorsätzlich (wenn auch fahrlässig) handelt.115 Letztlich ist Franks Regressverbot eine materiell nichts anderes ausdrückende Formel für die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs.116 Eine so verstandene Unterbrechung des kausalen Bedingungszusammenhangs ist weder mit der Äquivalenztheorie noch mit dem Verständnis von Kausalität als gesetzmäßigem Zusammenhang zu vereinbaren.117 So hat sich auch bereits das RG118 von der Geltung eines Regressverbots distanziert: „Das fahrlässige Handeln aber ist auch bei diesem Zusammentreffen nach der von den Strafsenaten des Reichsgerichts vertretenen Meinung als eine Bedingung des schließlichen Erfolgs für diesen eine Ursache, und das Gegenteil trifft nur dann zu, wenn das zum fahrlässigen Tun hinzutretende vorsätzliche Handeln derart ist, daß nunmehr der Erfolg überhaupt nicht mehr auf das fahrlässige Tun zurückzuführen ist.“119 2. Die neuere Lehre vom Regressverbot Die moderne Variante des Regressverbots sieht dieses nicht mehr als Aspekt der Unterbrechung des Kausal- bzw. Ursachenzusammenhangs, sondern des Zurechnungszusammenhangs an. Zunehmend wird darüber hinaus die Haftungssperre nicht mehr nur für fahrlässiges Erstverhalten mit vorsätzlichem Anschlussverhalten diskutiert, sondern die Problematik auch auf vorsätzliches Erstverhalten120 und fahrlässiges Zweithandeln121 bezogen. Es kann in dieser Darstellung keine umfassende Bearbeitung der Regressproblematik erfolgen, dies würde den gesetzten Rahmen bei weitem sprengen. Vielmehr sollen im Folgenden die wesentlichen Hauptströmungen und ihnen entgegenstehende Einwände kurz dargestellt werden.

115

Vgl. Frank, § 1 Anm. III 2 a) (S. 15). Vgl. Guldimann, SchwZStr 59 (1945), 108 (131 f.). In diesem Sinn auch M. Otto, S. 56. 117 Siehe hierzu die Ausführungen oben A.I. sowie Roxin, Tröndle-FS, S. 177; Puppe, Jura 1998, 21 (26); Ebert, AT, S. 47 (Beispiel 7 a); Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 77; M. Otto, S. 53. 118 RGSt 64, 370 (373). 119 Nicht mehr auf die Vorbedingung zurückzuführen ist der Erfolg in den Fällen der abgebrochenen bzw. überholenden Kausalität. Weitere – umfassende – Nachweise zur Ablehnung des Regressverbots durch das RG finden sich bei Guldimann, SchwZStr 59 (1945), 108 (132 f.). 120 So Trüg, JA 2001, 365 (367 Fn. 13). 121 Insbesondere Diel, S. 300 ff. und passim; Kretschmer, Jura 2000, 267 (273) will die Problematik offenbar auch auf fahrlässiges Drittverhalten verstanden wissen. 116

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

a) Jakobs Jakobs122 will dann einen Zurechnungsausschluss annehmen, sofern sich der Erstverursacher seiner sozialen Rolle gemäß verhalten hat und dieses Verhalten unabhängig von dem (unerlaubt) riskanten Verhalten des Dritten sinnvoll bleibt. Diese Sichtweise bietet aber nur für die Konstellationen der Mitwirkung an fremden unerlaubten Handlungen durch äußerlich neutrales bzw. berufsneutrales Verhalten ein hilfreiches Werkzeug. Für die hier interessierende Fallgruppe des fehlerhaften Opfer- oder Retterverhaltens ergibt sich kein Gewinn, da in diesen Konstellationen das fehlerhafte soziale Verhalten des Erstverursachers grundsätzlich123 feststeht. Auch ist fraglich, ob sich das Abstellen auf die soziale Rolle der Ersthandlung, d.h. das Fehlen eines deliktischen Sinns überhaupt objektiv-äußerlich bestimmen lässt oder ob hierfür nicht vielmehr zu fragen ist, wie der Ersthandelnde sich in Anbetracht der ihm gestellten Sachlage zu verhalten hat, was zu einer personalen Straftatlehre führen würde.124 Aber selbst dann würde jede Einbeziehung eines Verhaltens in einen deliktischen Zusammenhang diesem Verhalten konsequenterweise eine deliktische Bedeutung verleihen.125 b) Naucke, Welp, Wehrle Naucke126 will die Zurechenbarkeit des Erfolges zu einem fahrlässig handelnden Erstverursacher verneinen, wenn der Zweitverursacher vorsätzlich handelt. Die Lösung schafft mit der Vorsatz-Fahrlässigkeitsgrenze zwar einen konkreten Maßstab, doch ist zu bedenken, dass Vorsatz auch eine Folge von besonderer Aufmerksamkeit und Fahrlässigkeit eine Folge von Gleichgültigkeit den Tatsachen gegenüber sein kann.127 Dass beim Zusammenwirken mehrerer Personen der Aufmerksame stets, der nicht Aufmerksame dagegen nie haften soll, lässt sich schwerlich darlegen.128 Die tragende Begründung der Ansicht besteht in der Annahme, dass dann, wenn die vorsätzliche Veranlassung von Vorsatztaten keine Täterschaft begründe, sondern lediglich Teilnahme, dürfe die fahrlässige Veranlassung auch keine fahrlässige Täterschaft darstellen, vielmehr nur straflose fahrlässige Bei122 123 124

Jakobs, AT, 24/15. Zu der abweichenden Fallgruppe siehe unten 3. Abschnitt, F.III. Siehe dazu Freund, JuS 2000, 754 (757); MK/Freund, Vor §§ 13 ff. Rdnr.

24 ff. 125 126 127 128

Vgl. Kindhäuser, AT, § 11 Rdnr. 39. Naucke, ZStW 76 (1964), 409. Siehe Jakobs, AT, 24/14. Vgl. Jakobs, AT, 24/14.

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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hilfe.129 Dieser Argumentation steht entgegen, dass dem Fahrlässigkeitsdelikt das Einheitstäterprinzip zu Grunde liegt, also die Tatherrschaft keine Rolle spielt.130 Denn jeder, der sich sorgfaltswidrig verhält, setzt schon für sich allein eine unerlaubte Gefahr und begründet dadurch die Erfolgszurechnung, falls sich die Gefahr im Schaden realisiert. Eine Unterscheidung zwischen Täterschaft und Beihilfe ist im Fahrlässigkeitsbereich weder deskriptiv möglich noch normativ legitim.131 Legt man diese Prämisse zu Grunde, dann kann man aus der fehlenden Strafbarkeit der fahrlässigen Teilnahme im Vorsatzbereich nicht auf die fehlende Schutzwürdigkeit im Fahrlässigkeitsbereich schließen.132 Weiter wird vorgetragen, die Erfolgsherbeiführung durch den vorsätzlich handelnden Zweittäter stelle allein dessen Willenstat dar und sei für den Ersthandelnden nicht beherrschbar und somit von diesem unabhängig.133 Indessen liegt der Kern des fahrlässigen Handlungsunrechts typischerweise gerade in der sorgfaltswidrigen Ingangsetzung eines nicht beherrschbaren aber vorhersehbaren Geschehensablaufs.134 Das Kriterium der Beherrschbarkeit muss darüber hinaus in seiner Korrelation mit der Pflichtverletzung des Ersthandelnden in Frage gestellt werden. Lässt A seinen geladenen Revolver ungesichert liegen und nutzt B diesen für eine vorsätzliche Tat, so lässt sich nicht erklären, warum in diesem Fall das Regressverbot eingreifen soll, nicht aber in dem Fall, wenn B den gefundenen Revolver fahrlässig abfeuert. Für den A ist das Geschehen gleichermaßen unbeherrschbar.135 Die Divergenz der Ergebnisse ließe sich nur unter dem Grundsatz rechtfertigen, dass kein Bedürfnis bestehe, den fahrlässig Beteiligten zu bestrafen, wenn die Erfolgsherbeiführung an dem vorsätzlich handelnden Täter gesühnt werde.136 Solche Erwägungen wohnen objektiven Zurechnungskriterien aber nicht inne, sie mögen Platz allenfalls bei § 153 a oder dem Gedanken des § 154 a137 StPO greifen.138 Auch mit Blick auf Grenzfälle mittelbarer Täterschaft, bei denen eine Werkzeugeigenschaft des vorsätzlich voll deliktisch

129

Siehe Mayer, S. 74; zustimmend Köhler, AT, S. 195. Vgl. Bock, Jura 2005, 673 (677). 131 Vgl. NK/Puppe1, Vor § 13 Rdnr. 163; Puppe, ZIS 2007, 234 (237); dies., ZIS 2007, 247 (249 f.); Donatsch, SchwZStr 105 (1988), 361 (375). Kritisch aber Eschenbach, Jura 1992, 637 (644). 132 Vgl. Roxin, Tröndle-FS, S. 177 (183); Puppe, Jura 1998, 21 (26); SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 72. 133 Hierzu Naucke, ZStW 76 (1964), 409 (428). Zur Beherrschung als Zurechnungsaspekt siehe bereits Honig, Frank-FG, S. 174 (187). Zum Aspekt der Steuerbarkeit bei Otto siehe unten 2. Abschnitt, B.IV.4. 134 Vgl. Walther, S. 41 f.; Daxenberger, S. 140. 135 Siehe Roxin, Tröndle-FS, S. 177 (182); kritisch auch Kühl, AT, § 4 Rdnr. 78; Kindhäuser, AT, § 11 Rdnr. 42 f. 136 Vgl. Naucke, ZStW 76 (1964), 409 (424). 137 So Puppe, Jura 1998, 21 (25) im Zusammenhang mit schweren ärztlichen Kunstfehlern. 130

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

handelnden Täters und damit auch dessen Beherrschbarkeit anerkannt ist („Täter hinter dem Täter“), lässt sich das Konstrukt der fehlenden Beherrschbarkeit des Vorsatztäters als allgemeiner Zurechnungsausschluss nicht halten.139 Welp140 und Wehrle141 wollen bereits von dem Vorliegen einer Sorgfaltswidrigkeit im Falle der unvorsätzlichen Beteiligung an einem Vorsatzdelikt absehen. Ein solches Verhalten sei stets sozialadäquat, denn niemand müsse auch bei der größten Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung bei seinem Tun darauf Rücksicht nehmen, dass dessen gedankliches oder sachliches Substrat von einem anderen zu kriminellen Aktionen missbraucht werden könnte.142 Diese These der Sozialadäquanz stellt aber nur eine Behauptung dar, die unbewiesen bleibt.143 Denn aus der Erkenntnis, dass menschliche Willensentschlüsse als frei anzusehen144 und unberechenbar sind, lässt sich im Gegenteil gerade schließen, dass es in bestimmten Situationen durchaus Sorgfaltspflichten zur Verhinderung fremder Straftaten geben kann.145 Wer bei einem Handgemenge einem der Involvierten ein Messer reicht, kann nicht darauf vertrauen, dass dieses nicht zum Zustechen verwendet werde.146 Das Argument des allseits gültigen Prinzips der Sozialadäquanz vermag kein Regressverbot zu tragen. c) Rechtsprechung und überwiegende Lehre Der BGH sieht den Ursächlichkeits- bzw. Zurechnungszusammenhang nicht durch ein vorsätzliches Eingreifen eines Dritten zwangsläufig als unterbrochen an. Entscheidend, so der BGH, sei vielmehr, ob der eingreifende Dritte mit seinem Verhalten an die Handlung des Erstverursachers anknüpfe, d.h. das Verhalten die gleiche Angriffsrichtung aufweise und gleichsam nur dazu diene, das Werk des Erstverursachers zu vollenden.147 138 In diesem Sinn auch Schliebitz, S. 98: „Den Täter zu schonen, bloß weil zusätzlich der Arzt belangt werden kann, ist kriminalpolitisch nicht angezeigt“ (Hervorhebung im Original). 139 Hierzu Eschenbach, Jura 1992, 637 (642). 140 Welp, S. 285 f. 141 Wehrle, S. 84. 142 Vgl. Welp, S. 285 f. 143 Siehe Roxin, Tröndle-FS, S. 177 (180). 144 Dazu siehe eingehend unten 3. Abschnitt, C. 145 Klarstellend Jescheck/Weigend, AT, § 54 IV.2. Richtigerweise hat das AG Neustadt/Aisch daher eine Mutter wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, deren 15-jähriger Sohn wiederholt mit dem PKW der Mutter Spritztouren durchführte und den Tod von vier Menschen verursachte (Stuttgarter Zeitung v. 08.11.2005, S. 16). 146 So insbesondere Roxin, Tröndle-FS, S. 177 (180); Puppe, Jura 1998, 21 (27). 147 Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1956, 526 („Gnadenschuss“); jüngst BGH NStZ 2001, 29. Siehe auch Schmidt, AT, Rdnr. 196. Dies gilt auch im Fall der Risikoverringerung einer auf das Opfer zulaufenden Ursachenreihe. Daher bleibt der Schlag mit dem Knüppel, der durch das Eingreifen des R, vor dem Auftreffen auf dem Kopf des

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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Soweit die Konstellation in der Literatur angesprochen wird, wird auch hier überwiegend darauf abgestellt, ob der Dritte die Handlungsfolgen ohne Gemeinsamkeit mit dem Erstverursacher ins Schädigende umlenkt. Fehlt es an solch einem Willkürakt des Zweithandelnden, wird sich für eine Zurechnung ausgesprochen.148 Entscheidend ist richtigerweise eine wertende Beurteilung im Einzelfall.149 IV. Der Schutzzweckzusammenhang als Risikozusammenhang im engeren Sinn

Auf dem Gebiet des Zivilrechts bietet die Frage nach dem Schutzzweck der Norm in ständiger Rechtsprechung und nach überwiegender Literaturansicht150 das zentrale Instrument zur Ermittlung des Haftungszusammenhangs. Der geltend gemachte Schaden muss unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen, es muss sich um Nachteile handeln, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwehr die verletzte Norm – zumindest auch – erlassen worden ist.151 Für das Strafrecht wurde dieser Lehre insbesondere von Rudolphi152 Gehör verschafft. Das Schutzzweckverständnis kann hierbei als engerer Risikozusammenhang, der die Reichweite des Schutzzwecks der Norm zum Gegenstand hat, verstanden werden.153 Als Element des Risikoverwirklichungszusammenhangs lassen sich zwei Schutzzweckzusammenhänge unterscheiden: Zum einen der Schutzzweck der das erlaubte Risiko begrenzenden Sorgfaltsnorm (z. B. eine Verhaltensnorm der StVO), zum anderen der Schutzzweck des Straftatbestandes (z. B. eines Verletzungs- oder Tötungsdelikts).154 Charakteristikum und zugleich auch Schwachpunkt des reinen Abstellens auf den Topos des Schutzzwecks einer Norm bildet der Umstand, dass die Besinnung auf den Schutzzweck der Norm nur dort hilfreich ist, wo ein ganz spezifisches Risiko erfasst ist, wie z. B. in einzelnen Normen des Verkehrsstraf-

B auf dessen Schulter abgelenkt wird, alleine das Werk des Angreifers, vgl. Wessels/ Beulke, AT, Rdnr. 194. 148 Vgl. Jakobs, AT, 7/59; Trüg, JA 2001, 365 (367); Wessels/Beulke, AT, Rdnr. 192; Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 70. Für das Zivilrecht Deutsch, JZ 1972, 551 (553); ders., Haftungsrecht, S. 109. Auch die anglo-amerikanische Sichtweise spricht sich in diesen Fällen gegen das Prinzip des novus actus interveniens, d.h. gegen das Regressverbot, aus; vgl. Kirschner, S. 68 ff. 149 So auch Otto, Jura 1992, 90 (98); Schünemann, JA 1975, 715 (718). Zu weitgehend aber Krey, AT 1, Rdnr. 309. 150 Vgl. Palandt/Heinrichs, Vorb v § 249 Rdnr. 62 mit näheren Nachweisen. 151 Siehe Palandt/Heinrichs, Vorb v § 249 Rdnr. 62; Wessels, AT, Rdnr. 197. 152 Rudolphi, JuS 1969, 549. 153 Siehe Reitmaier, S. 97, 112. 154 Differenzierung nach Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 87, der den Schutzzweck des Straftatbestandes als „Reichweite des Tatbestandes“ deklariert.

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

rechts.155 Bei offenen Tatbeständen, denen diese ausdrückliche Begrenzung nicht immanent ist, z. B. die §§ 222 und 229 StGB, ergibt der Rückgriff auf den Schutzzweck der Norm keinen Gewinn.156 Denn der Schutzzweck ist hier für eine ganze Gruppe von Normen gemeinsam zu ermitteln, wobei die Zwecke des in Frage kommenden Delikts sowie des Strafrechts insgesamt viel stärker ins Gewicht fallen.157 Will man Fälle, in denen ein Retter zu Schaden kommt oder aber der Enderfolg erst durch ein fehlerhaftes Retterverhalten herbeigeführt wird, allein durch das Abstellen auf den Schutzzweck der Norm beurteilen, so gerät man schnell in einen Bereich subjektiv geprägter Werturteile. Veranschaulichen lässt sich die Problematik an dem sog. Pocken-Fall158 des BGH: Der A, wissenschaftlicher Assistent in einer Universitätsklinik, kam nach einer Studienreise an Pocken erkrankt zurück. Neben anderen Personen wurde auch der Klinikseelsorger G infiziert, der sich zur Betreuung der Erkrankten freiwillig in die Quarantäne begeben hatte. Roxin spricht sich in diesem Fall entgegen dem BGH gegen eine Strafbarkeit des A wegen fahrlässiger Körperverletzung aus. Roxin159 argumentiert mit dem Schutzzweck der Norm: Die Ansteckung des Seelsorgers liege außerhalb des Schutzzwecks der Norm, da sie dem Berufsrisiko des Seelsorgers und damit dessen Risikobereich zuzuweisen sei.160 Rudolphi kommt im selben Fall, ebenfalls unter Rückgriff auf den Schutzzweck der Norm, zum entgegengesetzten Ergebnis. Rudolphi161 hält es für 155 Siehe Otto, Spendel-FS, S. 271 (279); ders., Jura 1992, 90 (97). Gegen das Heranziehen einer solchen generellen Sorgfaltsnorm zur Bestimmung der Sorgfaltspflichtverletzung i. S. des StGB können richtigerweise keine Bedenken bestehen, vgl. Herzberg, NStZ 2005, 602 (605). Kritisch aber Frisch, S. 82. 156 Vgl. Otto, Maurach-FS, S. 91 (98 Fn. 28); ders., Spendel-FS, S. 271 (279); ders., Jura 1992, 90 (97); ders., Schlüchter-GS, S. 77 (84); ders., Übungen, S. 195; Puppe, Erfolgszurechnung, S. 101; dies., Jura 1997, 624; Christmann, Jura 2002, 679 (682); Larenz, Honig-FS, S. 79 (84 f.) hinsichtlich § 823 BGB. Frisch, S. 81 spricht gar von der Unbrauchbarkeit des Topos vom Schutzzweck als inhaltlich leitendes Rechtsfindungsinstrument bzw. ders., NStZ 1992, 1 (4) von „nichtssagenden Schutzzweckbehauptungen“. Kritisch gegenüber der Normzwecklehre für die Folgenzurechnung auf dem Gebiet des Zivilrechts Sourlas, S. 88 ff. 157 Vgl. Burgstaller, Strafrechtstheorie, S. 383 (390); Toepel, S. 144; zustimmend: Hopfinger, S. 25; Burtscher, S. 18. Dies erklärt auch die unterschiedliche Behandlung von „Schockschäden“, die im Zivilrecht unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. Palandt/Heinrichs, Vorb v § 249 Rdnr. 71; BGHZ 93, 351; LG Gießen NJW 1987, 711; OLG Stuttgart NJW-RR 1989, 477) einen Schadensersatzanspruch begründen können, während im strafrechtlichen Schrifttum die Zurechnung abgelehnt wird (vgl. Roxin, AT I, § 24 Rdnr. 44; Lukas, S. 87 und Reitmaier, S. 135 jeweils m.w. N.). 158 BGHSt 17, 359. 159 Roxin, Honig-FS, S. 133 (143 Fn. 26); Roxin/Schünemann/Haffke, Fall 7, S. 131 (141). 160 Entsprechend Huber, S. 35: „Die Verurteilung hinsichtlich des Klinikseelsorgers ist hingegen abzulehnen, da der Klinikseelsorger um die Gefahr wusste und sich dieser trotzdem aussetzte, wobei anzunehmen ist, dass er dies eigenverantwortlich tat“. 161 Rudolphi, JuS 1969, 449 (557).

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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erforderlich, den Seelsorger bei der Ausübung seiner kirchenrechtlichen Dienstpflicht in den Schutzbereich der fahrlässigen Körperverletzung einzubeziehen. Wer hat Recht? Aus der Divergenz der Beurteilungen können wir entnehmen, dass es bei solch offenen Tatbeständen nicht um die Ermittlung des Schutzbereichs einer ganz bestimmten Norm gehen kann, sondern um Fragen der Grenzen der Zurechnung eines Erfolges zu einer Person.162 Dies lässt sich mit der isolierten Frage nach dem Schutzbereich der Norm aber nicht zutreffend beurteilen, will man nicht dem Einwand der Willkürlichkeit ausgesetzt sein. Mit der Norm, um deren Schutzzweck es geht, kann nur die vom Täter missachtete Sorgfaltsnorm gemeint sein, welche, wenn nicht auf den tatbestandlichen Erfolg abgestellt wird, allein die Frage nach dem Pflichtwidrigkeits- oder Risikozusammenhang, mithin dem zurechenbaren Kausalverlauf zum Erfolg, sein kann.163 Das Spezifikum der Zurechnung bildet der Weg zum Erfolgseintritt.164 Einen noch weitergehenden Einwand gegen die Arbeit mit dem Schutzzweck der Norm erhebt Namias, der das Kriterium schlicht für unbrauchbar deklariert. Sein Vorwurf geht dahin, dass die Frage nach dem Schuttzweck einer Norm so lange zirkelschlüssig sei, bis nicht ein Verfahren zur Ermittlung des Schutzzwecks etabliert werde.165 Der Zirkel liege darin, dass die Feststellung, dass sich im Erfolg nicht das vom Täterverhalten gesetzte unerlaubte Risiko realisiert habe, durch die Untersuchung ermittelt werde, ob sich im Erfolg das vom Täter gesetzte unerlaubte oder vielmehr ein erlaubtes allgemeines Lebensrisiko realisiert habe, womit der zu ermittelnde spezifische Zusammenhang in dem Verfahren benutzt werde, der zu seiner Ermittlung diene.166 Die Aussage über die Nicht-Betroffenheit des Schutzzwecks der Norm sei damit nicht das Ergebnis eines Prüfungsverfahrens, sondern einfach der Reflex der Feststellung, dass sich im Erfolg ein erlaubtes allgemeines Lebensrisiko verwirklicht habe. Der Einwand Namias hat Gewicht. Betrachtet man beispielsweise die Formulierung, 162 Richtig gesehen von Otto, NJW 1980, 417 (419). Allerdings kann man aus den entgegengesetzten Wertungen auf einer gemeinsamen Grundlage nicht den Schluss einer Unvereinbarkeit des § 222 StGB mit Art. 103 II GG ziehen, wie dies jüngst Schmitz fordert, vgl. MK/Schmitz, § 1 Rdnr. 47 f. sowie MK/Duttge, § 15 Rdnr. 37. Denn die Allgemeingültigkeit des Pflichtwidrigkeits- und Missbilligungsmerkmals macht es unhaltbar, seine Ausdrücklichkeit zum Anlass des Unbestimmtheitsvorwurfs zu machen. Ansonsten gäbe es nur verfassungswidrige Straftatbestände, weil in schlechthin jedem das Pflichtwidrigkeits- und Missbilligungsmerkmal, geschrieben oder ungeschrieben, eine Voraussetzung bildet und insofern „unbestimmt“ ist, als es eine Wertung fordert, über die man oft streiten kann, vgl. Herzberg, NStZ 2005, 602 (604). Haft spricht von einer „Kapitulation des Nullum-Crimen-Grundsatzes vor der praktischen Notwendigkeit“, vgl. Haft, AT, S. 179. 163 Siehe Puppe, Erfolgszurechnung, S. 101 ff. 164 Klarstellend Frisch, S. 85. 165 Vgl. Namias, S. 87. 166 Vgl. Namias, S. 88.

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

wie man sie bei M. L. Müller findet, so wird der Zirkelschluss augenscheinlich. M. L. Müller führt an: „Eine Tatsache ist schuldhaft verursacht (bedingt), wenn sie durch ein schuldhaftes Verhalten, und zwar in Verwirklichung der Gefahr verursacht (bedingt) ist, deretwegen das Verhalten schuldhaft war.“167 Der circulus vitiosus kann nach Namias nur dadurch vermieden werden, dass a) ein methodisches Verfahren angegeben wird, welches zeigt, wie man zur Bewertung eines vom Täterverhalten ausgelösten Risikos als erlaubt oder unerlaubt gelangt, und dann b) mit einem weiteren Verfahren gezeigt wird, auf Grund welcher Kriterien man unterscheiden kann, ob sich im Erfolg das erlaubte oder unerlaubte Risiko realisiert hat.168 V. Die Bedeutung des Vertrauensgrundsatzes

Der Vertrauensgrundsatz stellt einen Verhaltensgrundsatz des Straßenverkehrsrechts dar, nach welchem jeder grundsätzlich auf verkehrsgerechtes Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmer vertrauen darf.169 Es handelt sich dabei um einen Satz des Rechts, nicht der allgemeinen Erfahrung, da es gerade nicht der allgemeinen Erfahrung entspricht, dass andere ihre Sorgfaltspflicht einhalten.170 Heute wird der Grundsatz nicht mehr allein auf den Straßenverkehr beschränkt, sondern stellt einen allgemeinen Grundsatz des Rechts dar.171 Es fragt sich, ob mit diesem Grundsatz des Vertrauen-Dürfens Fallkonstellationen der Haftung des Ersttäters für Zweitschädigungen, insbesondere für ärztliche Kunstfehler an Unfallopfern, beurteilt werden können. Rudolphi geht diesen Weg. Seine Argumentation richtet sich dahin, auf Grundlage des allgemeinen Vertrauensgrundsatzes dürfe der Erstschädiger grundsätzlich darauf vertrauen, dass Dritte sich pflichtgemäß verhalten, er mithin grundsätzlich nicht mit pflichtwidrigen Schädigungen durch Dritte zu rechnen brauche. Dies führt Rudolphi172 zu einem Zurechnungsausschluss, was er mit einer ansonsten eintretenden versari in re illicita begründet.173

167

M. L. Müller, S. 58. Vgl. Namias, S. 88. 169 Siehe Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rdnr. 149. 170 Vgl. Puppe, Jura 1998, 21 (22). 171 Siehe Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 43 Rdnr. 72; Sch/Sch/Cramer/SternbergLieben, § 15 Rdnr. 151 m.w. N. Beachtung findet der Vertrauensgrundsatz insbesondere beim arbeitsteiligen Zusammenwirken mehrerer Personen, vgl. Kretschmer, Jura 2000, 267 (270). 172 SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 73. 173 Vgl. SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 73. Auch Jakobs will dem Vertrauensgrundsatz eine Zurechnungsregel zukommen lassen, da er ihn als Unterfall des Regressverbots ansieht, vgl. Jakobs, AT, 7/51. 168

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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Das Vorgehen Rudolphis begegnet indessen Bedenken. Man muss sich vergegenwärtigen, dass der Vertrauensgrundsatz in seinem Gehalt allein impliziert, dass der Bürger sich nicht jederzeit auf Pflichtverletzungen anderer einrichten muss, mögen diese nach allgemeiner Erfahrung auch nicht unwahrscheinlich sein.174 Der Vertrauensgrundsatz beschränkt somit lediglich nicht positivierte Sorgfaltspflichten, nicht aber kommt ihm eine zurechnungsbeurteilende Funktion zu.175 Legt man dieses Verständnis zu Grunde, so lässt sich die Einschränkung des Vertrauensgrundsatzes in Fällen, in denen der Ersttäter sich selbst pflichtwidrig verhalten hat, richtig einordnen.176 Denn in diesen Fällen führt die Einschränkung zu einem verschärften Sorgfaltsmaßstab. Steht aber bereits eine Sorgfaltspflichtverletzung fest, so hat sich der Vertrauensgrundsatz in der Konstitution der Sorgfaltsregel erschöpft, eine weitergehende Zurechnungsregel wohnt ihm nicht inne.177 VI. Die Risikoverwirklichung

Ist die Zurechnung eines Erfolges nicht primär allein in der Frage nach dem Schutzzweck der Norm zu lozieren, sondern in dem Zusammenhang zwischen pflichtwidrigem Verhalten und tatbestandsmäßigem Erfolg, so ist gewissermaßen nach der „Kausalität der Sorgfaltspflichtverletzung“178 zu fragen. Der Täter muss eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen und diese sich in tatbestandskonformer Weise in dem Erfolg niedergeschlagen haben; kurz, es muss ein rechtlich relevantes Risiko und ein Risikozusammenhang gegeben sein.179 174

Vgl. Puppe, ZStW 99 (1987), 595 (611). Vgl. Puppe, ZStW 99 (1987), 595 (611); dies., Jura 1998, 21 (24); Kühl, AT, § 4 Rdnr. 50; Schieffer, S. 179. Gerade dahin gehend aber Sinn, S. 20, der in den Kunstfehlerfällen gleichfalls den Vertrauensgrundsatz als Zurechnungsmodell zu Grunde legt; allerdings ordnet er das Drittverhalten nach seiner Typik (jedenfalls in den Fällen einer nicht lebensgefährlichen Primärverletzung) dem genuin belastenden und nicht dem primär entlastenden – freistellenden – Drittverhalten zu; vgl. Sinn, S. 19 ff. Krit. zur Freistellung durch „Macht“ und der Vereinbarkeit des Modells mit der strafrechtlichen Zurechnungslehre Jakobs, ZStW 119 (2007), 1002 ff. 176 Siehe Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rdnr. 150, 215; Jakobs, AT, 7/ 54. 177 Eingehend Puppe, Jura 1998, 21 (23). 178 Diese Begrifflichkeit verwendet Puppe in ZStW 99 (1987), 595 (601). 179 Siehe Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rdnr. 173; Lackner/Kühl, § 15 Rdnr. 41; Tröndle/Fischer, Vor § 13 Rdnr. 17; Kühl, AT, § 17 Rdnr. 47; Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 46 ff.; 63; Reyes, ZStW 105 (1993), 108 (129 f.); Wessels/Beulke, AT, Rdnr. 179; Jäger, AT, Rdnr. 55; Krey, AT 1, Rdnr. 298; Samson, Lüderssen-FS, S. 587; Voßgätter, S. 87; Kölbel, JuS 2006, 309 (310); Dreher, S. 16; Jäger, Zurechnung, S. 7. Die Terminologie ist nicht einheitlich, z. T. wird von „Risikozusammenhang“ (Burgstaller, S. 96) oder „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“ (Kühl, AT, § 17 Rdnr. 47) gesprochen, teils auch von „Rechtswidrigkeitszusammenhang“ (Ebert/Kühl, Jura 1979, 561 [571]), ohne dass damit eine systematische Einordnung bei der Rechtswidrigkeit gemeint ist; siehe aber auch Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 43 Rdnr. 83. 175

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

Jüngst wird von Rothenfußer Kritik an diesem Zurechnungsverständnis geübt. Seine Sichtweise geht dahin, die Bewertung einer Handlung als missbilligte Gefahrschaffung stelle eine abgeleitete Wertung einer zuvor festgestellten Rechtsgutbeeinträchtigung dar. Die Erfolgszurechnung werde daher von der Bewertung der Handlung als unerlaubt abhängig gemacht, statt von ihrer Bewertung als Rechtsgutbeeinträchtigung, aus welcher sich dieses Rechtswidrigkeitsurteil erst als Folge ergebe.180 Gefragt werden müsse daher, ohne dass die Erfolgszurechnung von einer Bewertung als unerlaubt abhängig gemacht werde, ob eine Rechtsgutbeeinträchtigung vorliege. Diese will Rothenfußer anhand des Merkmals des „Nachteils“ bestimmen. Ein Nachteil solle dann nicht vorliegen, wenn das Opfer zu einer entschädigungslosen Duldung verpflichtet werde – hier versage der Gesetzgeber ersichtlich den Schutz. Mangels Eingriffs in den Zuweisungsgehalt könne der Haftungsausschluss dann bereits auf der Tatbestandsebene erfolgen, so dass viele Rechtfertigungsgründe bereits Teil des Tatbestandes würden, da die wenigsten eine Entschädigungspflicht vorsähen (z. B. § 32 StGB, §§ 227, 228 S. 1 BGB).181 Zu Recht wird dem Modell Rothenfußers aber entgegen gehalten, dass die vermögensrechtliche Folge des Rechtsguteingriffs nichts über die materielle Bewertung des Rechtsguteingriffs selbst auszusagen vermag. Die Schutzwürdigkeit eines Rechtsguts kann daher nicht nach den vermögensrechtlichen Folgen seiner Verletzung bestimmt werden.182 An der Frage nach einer missbilligten Gefahrschaffung und deren Verwirklichung im Erfolg ist daher mit guten Gründen festzuhalten. Die Frage nach einem rechtlich relevanten Risiko steht in Zusammenhang mit der Beurteilung eines Verhaltens als sozialadäquat und der Terminologie des allgemeinen Lebensrisikos.183 Ist durch den Täter eine rechtlich relevante Gefahr geschaffen worden, ist darüber hinaus die Frage nach dem Risikozusammenhang zu stellen. An diesem kann es fehlen, wenn Dritte oder das Opfer selbst in einer Weise an das Ersthandeln des Täters anknüpfen, die ihrerseits eine völlig neue Gefahr schafft und mit der Ersthandlung in keinem Wertungszusammenhang mehr steht. Im Gegensatz zum Schutzzweckzusammenhang als Risikozusammenhang im engeren Sinn kann insoweit von einem Risikozusammenhang in einem erweiterten Verständnis ausgegangen werden.184 Ob es sich bei dieser Risikoverwirklichung um eine Frage des Handlungsunrechts oder der Auch Engisch, Kausalität, S. 68 differenziert bereits zwischen der „Gefährlichkeit“ und der „Verwirklichung der Gefahr“ innerhalb seines Systems der adäquaten Kausalität und macht dieses damit zum deutlichsten Vorläufer einer modernen Theorie der objektiven Zurechnung, vgl. Reyes, ZStW 105 (1993), 108 (130 Fn. 57). 180 Vgl. Rothenfußer, S. 94 ff. 181 Vgl. Rothenfußer, S. 90 ff. 182 Siehe Jäger, Zurechnung, S. 18. 183 Dazu siehe ausführlich unten 2. Abschnitt, B.III. 184 Vgl. Reitmaier, S. 97 f.; Lewisch, Casebook, S. 105 (Nr. 202).

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

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Erfolgszurechnung handelt, wird in jüngerer Zeit, vor allem infolge der neuen Sichtweise Frischs, heftig diskutiert.185 1. Tatbestandsmäßig missbilligtes Verhalten (Frisch) Frisch hält bei den Erfolgsdelikten die Behaftung eines Verhaltens mit einem missbilligten Risiko der Erfolgsherbeiführung für ein Wesensmerkmal des tatbestandsmäßig-verbotenen Verhaltens.186 Die Folgenzurechnung sei dann nichts weiter als die Konsequenz des Gegebenseins eines tatbestandsmäßigen Verhaltens dieser Art.187 Die Verortung der objektiven Zurechnung in der Erfolgszurechnung setze zu spät an, der richtige Standort sei die Kategorie des tatbestandsmäßigen Verhaltens, denn anderenfalls würde bezogen auf den Kreis von Handlungen, die – trotz einer gewissen Risikosteigerung – in der Regel gut ausgehen, die Verknüpfung der Strafbarkeit mit dem Erfolgseintritt als unerträgliches „Glück-Pech-Strafrecht“ empfunden.188 Der Erfolg werde bei solcher Sachlage als Folge des Zusammentreffens unglücklicher Umstände, nicht aber als Realisierung einer unwertigen Handlung empfunden.189 Soll eine eingetretene Folge dem Täter zurechenbar sein, ersetzt diese Zurechnung nicht eine der Zurechnung zu Grunde liegende Pflichtverletzung – bzw. die Schaffung einer missbilligten Gefahr –, sondern setzt diese gerade voraus.190 2. Risikoverwirklichung als Element der objektiven Zurechnung Die Verortung der Zurechnungsproblematik in das Handlungsunrecht hat in der überwiegenden Literatur keine Gefolgschaft gefunden. Mit Recht. Denn Handlungs- und Erfolgsunwert sind bei den Erfolgsdelikten unlöslich miteinander verknüpft, es geht somit im Ergebnis immer um die Zurechnung oder Nichtzurechnung des Erfolges.191 185 K. Günther, StV 1995, 78 (79) hält die Frage der Lokalisierung keineswegs für müßig, da sich bei Feststellung eines tatbestandsmäßig missbilligten Verhaltens diesem „mannigfaches unbestimmtes Unheil“ zuordnen lasse. Die Evidenz der Problematik relativierend: Radtke, S. 292 Fn. 470 sowie Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 51. Schünemann, GA 1999, 207 (216) spricht von einem „müßigen Streit“; a. A. freilich Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (74 Fn. 28). 186 Siehe Frisch, S. 33 ff.; ders., Roxin-FS, S. 213 (232 ff.), ders., NStZ 1992, 1 (5). Ebenso MK/Freund, Vor §§ 13 ff. Rdnr. 324 ff. 187 Vgl. Frisch, S. 474, ders., Roxin-FS, S. 213 (234). 188 Vgl. Frisch, S. 489. 189 Vgl. Frisch, S. 489. 190 Vgl. Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (71 f.). 191 Siehe Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 51; zustimmend Hirsch, Meurer-GS, S. 3 (14 Fn. 32). Die Replik auf die Kritik Roxins findet sich bei Frisch, Roxin-FS, S. 213 (233 ff.); zur entsprechenden Duplik Roxins siehe ebenfalls Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 51. Puppe erhebt auch gegen Frisch den Einwand der Manipulierbarkeit, denn, so

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

Frisch ist zwar darin zuzustimmen, dass für die rechtliche Bewertung eines Verhaltens die Untersuchung der Relation dieses Verhaltens zu einem Erfolg erforderlich ist, nicht aber in der Folgerung, dass die Untersuchung der Beziehung zwischen der Handlung und dem konkret zurechenbaren Erfolg im Einzelfall schon im Verhaltensunrecht und nicht erst im Erfolgsunrecht anzusetzen hat.192 Treffend stellt Namias fest, dass „der Bezug der Handlung zu allen (ex ante feststellbaren) möglichen unerwünschten Geschehensabläufe [sic] (als mehrfache Alternativen der Erfüllung ein und desselben Tatbestandes) und nicht vielmehr zu dem jeweils in concreto eingetretenen Erfolgsgeschehen entscheidend ist. [. . .] Schon die theoretische Möglichkeit der Realisierung einer durch die Handlung ausgelösten und nach normativen Kriterien als zurechenbar qualifizierten Gefahr ist hinreichender Grund für die Rechtsordnung, das betreffende Verhalten zu verbieten, und reicht somit für die Qualifizierung des Verhaltens als sorgfaltswidrig aus.“193 Tatbestandsmäßiges Verhalten wird durch die Norm bzw. den Gesetzgeber festgelegt. Ob eine darunter zu subsumierende erfolgsverursachende Handlung noch als sozialadäquat oder rechtlich missbilligte Risikoverwirklichung anzusehen ist, kann nicht auf Verhaltensebene geklärt werden, sondern nur im Wege der objektiven Erfolgszurechnung im Bezugssystem des konkreten Einzelfalles. Andernfalls bliebe die Bedeutung des Erfolgsunrechts völlig im Dunkeln, seine Einbindung in das strafrechtliche Unrechtsurteil ließe sich normentheoretisch nicht bewältigen.194 Die Relation der Handlung zum jeweils eingetretenen Erfolg ist somit nicht für den Handlungs-, sondern für den Erfolgsunwert relevant.195 Fraglich ist weiter, ob die Systematik Frischs mit der Versuchsdogmatik zu vereinbaren ist196 und in welcher Weise sich eine solche Systematik in die allgemeine StrafrechtsPuppe, ob man zu dem Ergebnis kommt, dass sich ein unerlaubtes Risiko in dem Erfolg realisiert hat, im Hinblick auf das das Verhalten verboten ist, wird davon abhängen, welche Faktoren der gegebenen Gesamtgefahr man zu einer Risikoschaffung zusammenfasst und welche man wie auf wie viele verschiedene Risikoschaffungen verteilt. Die Lösung liege in der Regel der genetischen Kausalerklärung, da mit ihr das gesetzte Risiko als erlaubtes oder unerlaubtes unter Zugrundelegung des wirklichen Kausalverlaufs bewertet werden könne, vgl. Puppe, GA 1994, 297 (316). 192 Eingehend Namias, S. 125 f. 193 Namias, S. 128. 194 Vgl. Voßgätter, S. 95. Kritisch auch Koriath, Zurechnung 2007, S. 164. 195 Siehe Namias, S. 131. 196 Hierzu Namias, S. 130 f.: „Der mit Tötungsvorsatz schießende Täter fügt dem Opfer nur eine leichte Verletzung zu. Das Opfer stirbt jedoch nicht infolge der Verletzung, sondern kommt auf dem Weg ins Krankenhaus bei einem Verkehrsunfall ums Leben. In dieser Konstellation weist die von Frisch vertretene Systematik eine Schwäche auf, denn danach müsste hier schon die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens nach § 212 StGB verneint werden. Damit würde aber selbst das Verhaltensunrecht des Tötungsdelikts fehlen, das für die Versuchstrafbarkeit [sic] jedoch unabdingbar ist“. Indessen hebt Frisch ausdrücklich hervor, dass der untaugliche Versuch als Sonderfall des tatbestandsmäßigen Verhaltens beurteilt werden muss, vgl. Frisch, S. 42.

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

67

lehre einfügen lässt – dies dürfte nur über das Konzept einer personalen Straftatlehre gangbar sein. 3. Risikoverwirklichung und Adäquanz a) Trennung oder Verschmelzung der Kriterien? Abschließend bleibt zu klären, inwieweit neben dem Kriterium des Risikozusammenhangs die objektive Vorhersehbarkeit von Erfolg und Kausalverlauf (eigenständige) Relevanz hat.197 Burgstaller spricht sich in seiner Monographie für ein Konzept aus, das auf ein adäquates Zurechnungskriterium verzichten will. „Es ist nämlich davon auszugehen, dass ein Erfolg sinnvollerweise nur solange als Verwirklichung des von der verletzten Sorgfaltsnorm bekämpften Risikos angesehen werden kann, als sein Eintritt nicht außerhalb jeder Erfahrung liegt. Sieht man die Dinge so, ist die Lehre vom Risikozusammenhang ohne weiteres in der Lage, das Adäquanzerfordernis nicht nur zu ergänzen, sondern schlechthin zu ersetzen.“198 Auch Roxin plädiert für eine Ausfüllung des fahrlässigen Tatbestandes alleine durch das Kriterium der objektiven Zurechnung – die objektive Sorgfaltswidrigkeit hat hiernach gänzlich in der objektiven Zurechnung aufzugehen.199 Demgegenüber ist Kienapfel der Ansicht, „daß es durchaus Fälle gibt, bei denen der eingetretene Erfolg [. . .] zwar innerhalb des Risikozusammenhanges, aber außerhalb des Adäquanzzusammenhanges liegt, weil eine strafrechtliche Haftung für diesen Erfolg mit Rücksicht auf die ganz außergewöhnlichen, von niemandem kalkulierbaren Umstände unbillig erscheint“200. Daher plädiert er für ein selbständiges Eliminationsverfahren neben der Frage der Risikoverwirklichung.201 Entsprechend argumentiert Maiwald, der hervorhebt, dass die objek197

Dass diese Frage in der einschlägigen Literatur zumeist offenbleibt, stellt zutreffend Triffterer, Bockelmann-FS, S. 201 (204) fest. Zwar nehmen die meisten Vertreter der objektiven Zurechnung eine Prüfung der Zurechnung und daneben der objektiven Vorhersehbarkeit vor; nicht klar wird hierbei jedoch, ob die objektive Vorhersehbarkeit zweifach (innerhalb der Zurechnung und als Fahrlässigkeitselement) geprüft wird, vgl. Triffterer ebd. 198 Burgstaller, S. 78. 199 Vgl. Roxin, AT I, § 24 Rdnr. 10. Für das japanische Recht Yamanaka: „Die objektive Sorgfaltswidrigkeit sollte innerhalb des Fahrlässigkeitsbegriffs keine selbständige Bedeutung besitzen, sondern im Kriterium der objektiven Zurechnung aufgehen“ (Hervorhebung im Original), siehe Yamanaka, ZStW 102 (1990), 928 (944). 200 Kienapfel, ZVR 1977, 162 (166) (Hervorhebungen im Original). Als Beispiele führt er u. a. an: OLG Stuttgart VRS 18, 365 (der Überholte erleidet einen Herzinfarkt) und OLG Karlsruhe NJW 1976, 1853 (nach harmlosem Auffahrunfall stirbt der Geschädigte infolge einer Herzinsuffizienz durch die Aufregung an mangelnder Blutversorgung). Insoweit kritisch P. Fuchs, S. 23. 201 Vgl. Kienapfel, ZVR 1977, 162 (167); siehe auch ebd. Fn. 96.

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

tive Zurechnung den Gegenstand rechtlicher Bewertung bildet, ohne selbst Teil der Bewertung zu sein. Die Funktion des Zurechnungszusammenhangs besteht demgemäß darin, vor der Bewertung als Recht oder Unrecht die Kriterien dafür anzugeben, wann der Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg so beschaffen ist, dass der Person der Erfolg als ihre Tat zugerechnet werden kann.202 Die ex post zu treffende objektive Zurechnung ersetzt somit nicht die ex ante zu prüfende objektive Sorgfaltswidrigkeit.203 Die widerstreitenden Positionen stellen indessen nur eine façon de parler dar. Denn für die Frage der Realisierung der geschaffenen Gefahr im Erfolg bedarf es auch einer wertenden Betrachtung dahingehend, inwieweit der eingetretene Erfolg vom allgemeinen Lebensrisiko204 erfasst oder über einen atypischen Kausalverlauf vermittelt wurde. Die Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos vermag mangels modellhafter Erfolgsverwirklichung bereits den Zurechnungszusammenhang nicht zu begründen.205 Für den atypischen Erfolgseintritt ist diese Bewertung nicht zwingend. Ob man die Wertung der Adäquanz allerdings innerhalb der Begriffsbildung des Risikozusammenhangs oder in einem danebenstehenden, gesonderten Prüfungspunkt vornimmt, ist nicht fallentscheidend. Wichtig ist alleine, dass diese – eigenständige, da von der isolierten Zurechnungsfrage zu trennende – Wertung nicht unterbleibt.206 Der Klarheit der Systematik dient mehr ein von der Frage des Zurechnungszusammenhanges ausdrücklich losgelöster Prüfungspunkt der Adäquanz.207 Dieses Verständnis wird in dieser Arbeit zu Grunde gelegt.208 b) Prüfungsreihenfolge Erfolgt eine systematische Trennung der Frage des Risikozusammenhanges und der der Adäquanz, gilt es deren Prüfungsreihenfolge zu bestimmen. Da, wie dargelegt, die Frage der Risikoverwirklichung eine der Bemessung der objektiven Sorgfaltswidrigkeit vorgelagerte Ebene bildet, die zunächst, unter Berücksichtigung der Sozialdadäquanz, den Gegenstand der rechtlichen Bewertung bezeichnet, erscheint es sinnvoll, vorderhand den Risikozusammenhang und in einem weiteren Schritt die Adäquanz im Rahmen der objektiven Sorgfaltswid202

Vgl. Maiwald, JuS 1984, 439 (442 Fn. 22). Ausdrücklich Schünemann, GA 1999, 207 (218). 204 Dazu siehe unten 2. Abschnitt, B.III. 205 Siehe unten 2. Abschnitt, B.III.5. 206 Ein eingehendes Plädoyer für eine objektive – und damit eine der Schuldebene vorgelagerte – Haftungsbegrenzung liefert Maurach, GA 1960, 97 (insbesondere 101 ff.). 207 So nachdrücklich auch Reitmaier, S. 81 ff. 208 Zur Auswirkung der Adäquanzbetrachtung auf die Strafbarkeit des Primärschädigers wegen fehlerhaften ärztlichen Hilfsverhaltens siehe unten 2. Abschnitt, B.V.2.f). 203

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

69

rigkeit zu untersuchen.209 Diese Sichtweise scheint auch der BGH in bestimmten Fällen seiner Beurteilung zu Grunde zu legen, wenn er ausdrücklich den Aspekt der objektiven Zurechnung von dem nachgeordneten Kriterium der Vorhersehbarkeit trennt.210 Für dieses Vorgehen spricht auch der Umstand, dass die Frage der objektiven Vorhersehbarkeit eine speziellere Ausrichtung als die allgemeine Bestimmung des Risikozusammenhanges aufweist. Denn für das Voraussehbarkeitskriterium ist eben auch Sonderwissen des Täters zu berücksichtigen.211 Darüber hinaus können Fallkonstellationen vorliegen, bei denen die Frage der Adäquanz zu vernachlässigen und sich die rechtliche Beurteilung alleine anhand des isolierten Zurechnungszusammenhanges zu bemessen hat, etwa in Fällen der gescheiterten Revokation212 oder für den Fall, dass der schweren Folge strafbegründende Wirkung zukommt213 – auch diese Besonderheit spricht für die hier dargelegte Prüfungsreihenfolge. Erfolgt die Elimination der Verantwortung letztlich in der Prüfung der Vorhersehbarkeit, so – und dies gilt es hervorzuheben – wird nicht die gleiche Wertung wie im Rahmen der objektiven Zurechnung – aber eben nur später – getroffen. Denn auch wenn beiden Institutionen eine Wertung zu Grunde liegt, so sind sie doch artverschieden. Mit der Zurechnung wird gewissermaßen abstrakt eine Aussage über den Gegenstand der Beurteilung getroffen, das ist gewissermaßen das „objektive“ an der objektiven Zurechnung; die (objektive) Vorhersehbarkeit des Erfolgs in seinen wesentlichen Zügen214 bildet demgegenüber die – am (objektivierten) Täter ausgerichtete – Beurteilung im konkreten Einzelfall.215

209 Für diese Prüfungsreihenfolge ausdrücklich Kienapfel, BT I, § 80 Rdnr. 77 sowie ders., ZVR 1977, 162 (167); ebenso wohl auch Steininger, ÖJZ 1981, 365 (370); Jescheck/Weigend, AT, § 55 II.3. Angleichung an die h. M. und damit Prüfung des Adäquanzzusammenhangs vor dem Risikozusammenhang aber Kienapfel, AT, Z 26 Rdnr. 13 (so seit der 5. Aufl.); siehe auch Kienapfel/Höpfel, AT, Z 26 Rdnr. 13; Reitmaier, S. 68; Lewisch, Casebook, S. 105 (Nr. 202). 210 Vgl. BGH NJW 1976, 568. Dazu unten 6. Abschnitt, A.III. A. A. Wessels/Beulke, AT, Rdnr. 667, die die Sorgfaltspflichtverletzung und die objektive Vorhersehbarkeit als untrennbar miteinander verknüpft sehen. 211 Vgl. Kühl, AT, § 17 Rdnr. 40; Roxin, AT I, § 24 Rdnr. 61 ff., § 11 Rdnr. 40, 56; Wessels/Beulke, AT, Rdnr. 670; Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rdnr. 139; Lukas, S. 206 f.; siehe auch die Nachweise unten 10. Abschnitt, Fn. 269. 212 Dazu siehe unten 2. Abschnitt, Fn. 363. 213 Siehe unten 15. Abschnitt, A. 214 Vgl. unten 2. Abschnitt, B.V.2.f). 215 Vgl. auch Koziol, AT, S. 168 f. Auch Wolter, GA 1977, 257 (264 ff.) spricht sich für eine strikte Trennung des Prinzips der Adäquanz von dem der objektiven Zurechnung aus; allerdings sieht Wolter die Adäquanz im Gegensatz zur hier dargelegten Ansicht als vorgeschalteten Filter an.

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1. Teil, 1. Kap.: Grundlagen

Für den Tatbestand des fahrlässigen Erfolgsdelikts lässt sich damit der folgende Aufbau festhalten (Prüfungsschema): 1. Taterfolg 2. Tathandlung 3. Kausalität 4. Objektive Zurechnung (Risikozusammenhang) a) Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr (Sorgfaltspflichtverletzung216) b) Niederschlag der geschaffenen Gefahr in tatbestandskonformer Weise im Taterfolg 5. Objektive Sorgfaltswidrigkeit a) Objektive Vorhersehbarkeit des wesentlichen Kausalverlaufs217 und des Taterfolgs218 b) Objektive Vermeidbarkeit des Erfolgs (Erfolgseintritt auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten?)219 C. Zwischenergebnis und Gang der weiteren Untersuchung Zur Annahme einer Kausalität im Rechtssinne ist zu klären, ob der zu beurteilende Sachverhalt unter ein allgemeines Naturgesetz subsumiert werden kann oder ein erfahrungswissenschaftlich gesicherter Motivationszusammenhang festzustellen ist. Die Kausalerklärungen von Bernsmann und Puppe leisten keinen weitergehenden Erkenntnisgewinn gegenüber der Formel der gesetzmäßigen Bedingung. Gegenstand strafrechtlicher Zurechnung ist nicht eine reine Außenweltveränderung, sondern Objektivationen von Personen, deren Sinn bezogen auf die

216 Fehlt es im Ergebnis am Risikozusammenhang, so lässt dies die Sorgfaltspflichtverletzung als solche allerdings unberührt, vgl. Küper, Lackner-FS, S. 247 (263 ff.); a. A. Namias, siehe unten 2. Abschnitt, B.IV.6. 217 Zu diesem Erfordernis siehe näher unten 2. Abschnitt, B.V.2.f). 218 Zur Prüfung der objektiven Vorhersehbarkeit innerhalb der objektiven Sorgfaltswidrigkeit siehe Kuhlen/Roth, JuS 1995, 711 (713 Fn. 26) sowie unten 2. Abschnitt, Fn. 313. 219 Konsequenterweise handelt es sich auch hierbei um ein Element der objektiven Sorgfaltswidrigkeit, vgl. Maiwald, JuS 1984, 439 (442 Fn. 23); siehe auch ders., Miyazawa-FS, S. 465 (477 f.); der dort genannte Fall des „abgemilderten Erfolgs“ stellt sich nach der hier vertretenen Auffassung für den rettend Intervenierenden allerdings als reine Risikoverringerung und damit als bereits nicht zurechnungsbegründend dar, siehe bereits oben Fn. 147.

1. Abschn.: Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten

71

Strafrechtsordnung zu ermitteln ist.220 Allein eine wertende Betrachtung ist in der Lage, in einer unendlichen und ununterscheidbaren naturalistischen Kausalreihe einem bestimmten Ereignis Erfolgsqualität zukommen zu lassen.221 Mittel dieser Betrachtung ist die Frage nach der Risikoverwirklichung, d.h. es muss eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen worden sein, die sich in tatbestandskonformer Weise im Erfolg niedergeschlagen hat. Dies ist eine Frage der Erfolgszurechnung, nicht des Handlungsunrechts. Neben der Bestimmung des Zurechnungszusammenhangs steht ergänzend und nachfolgend die Prüfung der objektiven Vorhersehbarkeit in Form der Adäquanz. Im Folgenden wird die Fallgruppe fehlerhaften Retterverhaltens in der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik untersucht. Hierbei wird differenziert, ob der Retter Schädiger (2. Abschnitt) oder Geschädigter (3. Abschnitt) ist. Die Abschnitte 4 und 5 beinhalten die Zurechnungsproblematik von Fluchtschäden, die Abschnitte 6 und 7 die der Verfolgerschäden.

220 221

Vgl. Otto, Maurach-FS, S. 91 (92). Vgl. Münzberg, S. 26.

2. Kapitel

Die Zurechnung von Retterverhalten 2. Abschnitt

Der Retter als Schädiger A. Einführung in die denkbaren Fallkonstellationen Fehlerhaftes Retterverhalten kann in einer Vielzahl divergierender Lebenssachverhalte auftreten. Die Schädigung des vom Primärtäter verletzten Opfers kann zum einen auf dem Transportweg ins Krankenhaus, zum anderen bei der ärztlichen Behandlung geschehen. Die Schädigung kann wiederum in verschiedenen Fahrlässigkeitsgraden, in aktivem Tun oder in einem Unterlassen liegen. Neben der zusätzlichen Schädigung des Opfers kann auch ein unbeteiligter Dritter oder ein Retter einen Schaden erleiden. Schließlich kann sich die Schädigung aus einer Situation der Pflichtenkollision oder einem Unterlassen bei Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens ergeben. Wesensmerkmal all dieser Konstellationen ist das Vorliegen einer objektiv zurechenbaren und strafbaren Primärverletzung.1 Um einen Überblick über die verschiedenen Fallkonstellationen zu erlangen, werden diese zunächst systematisch dargestellt und jeweils mit einer kurzen Falldarstellung verdeutlicht. Die Frage richtet sich jeweils dahin, ob dem Primärschädiger auch die Zweitschädigung durch den Retter, d.h. der Tod des Opfers, zugerechnet werden kann.

1 Man kann insoweit von konkreten Verletzungsdelikten sprechen. Demgegenüber sind generelle Risikodelikte dadurch gekennzeichnet, dass für eine strafrechtliche Haftung keine entsprechende Primärverletzung vorausgesetzt wird, so genügt beispielsweise bei den §§ 5, 95 AMG die generelle Eignung der Gesundheitsschädigung; vgl. Wolter, Schroeder-FS, S. 431 (434 ff.).

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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I. Der Retter schädigt das Opfer des Primärschädigers

1. Die Schädigung des Opfers tritt durch den Transport ins Krankenhaus ein a) Die allgemeine Teilnahme am Straßenverkehr Fall 1: A hat fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, bei welchem B verletzt wurde. B wird mit dem Krankenwagen – ohne Verwendung des Blaulichts und mit dem Verkehrsfluss angepasster Geschwindigkeit – ins Krankenhaus transportiert. Auf dem Weg wird dem Krankenwagenfahrer die Vorfahrt genommen und es kommt zu einem schweren Unfall. B verstirbt an den Folgen dieses Unfalls.

b) Die Inanspruchnahme von Sonderrechten Fall 2: A hat fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, bei welchem B schwer verletzt wurde und schnellstmöglichst ins Krankenhaus verbracht werden muss. B wird mit dem Krankenwagen – unter Inanspruchnahme der Sonderrecht nach § 35 StVO – ins Krankenhaus transportiert. In einer Kurve verliert der Fahrer wegen der hohen Geschwindigkeit die Kontrolle über den Krankenwagen und es kommt zum Unfall. B verstirbt an den Folgen dieses Unfalls.

2. Die Schädigung tritt durch aktives Retterverhalten ein a) Leicht fahrlässiges Fehlverhalten Fall 3: A hat fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, bei welchem B schwer verletzt wurde. Dem behandelnden Arzt unterläuft bei der schwierigen Operation am geöffneten Schädel ein leichter Kunstfehler, an dessen Folgen B verstirbt.

b) Grob fahrlässiges Fehlverhalten (Leichtfertigkeit) Fall 4: A hat fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, bei welchem B schwer verletzt wurde. Dem behandelnden Arzt unterläuft ein grober Behandlungsfehler, da er übersieht, dem B das notwendige blutverdünnende Medikament zu verabreichen. B verstirbt an einem Blutgerinnsel.

c) Gröblichstes Fehlverhalten Fall 5: A hat fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, bei welchem B schwer verletzt wurde. Der behandelnde Arzt näht bei der Notoperation nachlässigerweise ein gro-

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten ßes Operationswerkzeug mit in den Körper ein. Kurze Zeit später verstirbt B an inneren Blutungen, die das zurückgelassene Werkzeug verursachte.

d) Überschießende Behandlungsfolgen Fall 6: A hat fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, bei welchem B verletzt wurde. Als der behandelnde Arzt den Bruch behandelt, entdeckt er eine bereits vor dem Verkehrsunfall entstandene Thrombose im Oberschenkel und rät dem B, diese gleich mitbehandeln zu lassen. B willigt auch in diese Behandlung ein. Bei der Behandlung der Thrombose verblutet B.

e) Fehlbehandlung nach bereits behobener Gefahr Fall 7: A hat fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, bei welchem B verletzt wurde. Nachdem die Unfallverletzungen erfolgreich behandelt wurden, rät der behandelnde Arzt dem B zu ausgedehntem Lauftraining, um schnell wieder zu Kräften zu kommen. Der behandelnde Arzt bedenkt nicht den Herzfehler des B, dieser erleidet beim Joggen einen tödlichen Herzinfarkt.

f) Die Rettung erfolgt auf Kosten eines anderen Hilfsbedürftigen Fall 8: A rammt aus Nachlässigkeit mit seiner Yacht das Kanu, in dem sich die beiden Nichtschwimmer B und C befinden. Durch die Kollision zerbirst das Kanu, es bleibt nur eine größere Planke zurück, die Schwimmwesten werden durch die Strömung weggetrieben. A hat die Kollision nicht bemerkt und fährt weiter. B und C versuchen verzweifelt, auf der Planke Halt zu finden, doch die Planke vermag nur eine Person zu tragen. R, ebenfalls Nichtschwimmer, hat das Geschehen vom Ufer aus mit einem Fernglas beobachtet und erkennt die dramatische Situation. R hat kein Boot zur Verfügung, auch sonst besteht keine Möglichkeit, rasch Hilfe herbeizuholen. Daher schießt R mit seinem Präzisionsgewehr auf den B, um so dem C die Herrschaft über die Planke zu sichern und diesen dadurch zu retten. Der getroffene B ertrinkt.

3. Die Schädigung tritt durch Unterlassen des Retters ein a) Fahrlässiges Unterlassen Fall 9: A hat fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, bei welchem B verletzt wird. Der behandelnde Arzt erkennt wiederum in den Kategorien (a) leicht fahrlässig, (b) grob fahrlässig und (c) auf Grund gröblichsten Fehlverhaltens die aufgetretene Hirnblutung nicht und behandelt den B nur hinsichtlich einer Gehirnerschütterung. B stirbt an den Folgen der Hirnblutung.

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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b) Vorsätzliches Unterlassen bei Pflichtenkollision Fall 10: A verursacht fahrlässig einen Verkehrsunfall, bei welchem B und C schwer verletzt werden. Sie müssen beide sofort an einen Respiratoren angeschlossen werden. Da das Provinzkrankenhaus nur über ein Exemplar verfügt, entscheidet sich der diensthabende Bereitschaftsarzt, den B als den jüngeren Patienten an das Gerät anzuschließen und den C in ein anderes Krankenhaus zu verlegen. C erstickt noch während des Transports.

c) Vorsätzliches Unterlassen bei eintretender Lebensgefahr für den Retter Fall 11: A hat fahrlässig einen Brand verursacht. R eilt in das Obergeschoss um ein von den Flammen bedrohtes Kind zu retten. Er findet das Kind und nimmt dieses auf seinen Rücken, sieht aber zu seinem Entsetzen, dass ihm das Feuer den Rückweg versperrt. Er muss das Kind zurücklassen und rettet sich selbst durch Herablassen an der Dachrinne. Das Kind kommt ums Leben.

d) Vorsätzliches Unterlassen bei Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens Fall 12: A hat fahrlässig einen Gebäudebrand verursacht. B und sein Kleinkind C sind von den Flammen im zweiten Stockwerk eingeschlossen. Eine Gruppe junger, kräftiger Männer hat sich unterhalb des Fensters versammelt und fordert den B auf, den C in ihre Hände herabzuwerfen. Obwohl B erkennt, dass C in der Wohnung der sichere Feuertod droht, kann sich B nicht dazu durchringen, sein Kind aus über sechs Metern Höhe herabzuwerfen und zögert, bis ihn und sein Kind die Flammen erreicht haben. B springt in Todesangst allein hinab. C kommt in den Flammen um. Hätte A das Kind zu den auffangbereiten Personen herabfallen lassen, wäre C mit Gewissheit am Leben geblieben.

II. Der Retter ist zugleich Erstschädiger

Fall 13: Der behandelnde Arzt lässt pflichtwidrig ein Operationsinstrument in der Wunde des Patienten zurück und vernäht diese. Währenddessen erkennt er seinen Fehler, verabreicht eine neue Narkose und öffnet die Wunde erneut, um das Instrument herauszuholen. Obwohl er hierbei legis artis handelt, stirbt der Patient an den Folgen der Narkose.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten III. Der Retter schädigt einen unbeteiligten Dritten

Fall 14: A hat fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, bei welchem B schwer verletzt wird. Auf der rasanten Fahrt ins Krankenhaus verschuldet der Fahrer des Krankenwagens einen Verkehrsunfall, bei welchem C, ein entgegenkommender Fahrzeugführer, tödlich verletzt wird. IV. Der Retter schädigt einen anderen Retter

Fall 15: Der Waldarbeiter A hat durch fahrlässiges Verhalten beim Baumfällen seinen Arbeitskollegen B schwer verletzt. B kann nur dadurch geborgen werden, dass sich auf einer Lichtung der Sanitäter S von einem Hubschrauber aus abseilt. Durch einen Fehler des Piloten R verliert S beim Abseilen den Halt und stürzt tödlich.

B. Der Retter schädigt das Opfer des Primärschädigers I. Abgrenzung Folgeschaden – Zweitschaden

Bei Folge- und Zweitschäden handelt es sich um Fallgruppen, bei denen ein gesetzter Erstschaden notwendig für die Kausalerklärung eines weiteren Schadens ist. Der Unterschied der beiden Gruppen liegt in der Pluralität der beteiligten Personen.2 Folgeschäden umfassen Sachverhalte, bei denen aus einem Primärschaden ein weiterer Schaden erwächst, ohne dass das Fehlverhalten einer Person dazwischentritt3, beispielsweise der Primärschaden zu einem Dauerschaden führt und dieser lange Zeit später weitere Rechtsgutsverletzungen herbeiführt, z. B. einen tödlichen Sturz.4 Demgegenüber sprechen wir von Zweitschäden, wenn zwischen Erst- und Zweitschaden das sorgfaltswidrige Verhalten einer Person tritt, beispielsweise das Unfallopfer ärztlich falsch behandelt wird.5 Soweit in dieser Arbeit fehlerhaftes Retterverhalten untersucht wird, sind damit ausschließlich Zweitschäden gemeint. II. Die Schädigung des Opfers im Spiegel der Rechtsprechung

Zunächst soll in einer Gesamtschau ein Überblick der einschlägigen Rechtsprechung vermittelt werden, um zu prüfen, ob sich aus der Kasuistik der Gerichte eine Dogmatik zur Lösung der Zurechnungsproblematik gewinnen lässt. 2

Jakobs, AT, 7/55 setzt beide Fallgruppen fälschlicherweise gleich. Siehe Namias, S. 15 f. 4 Vgl. Rudolphi, JuS 1969, 449 (555). 5 Vgl. Namias, S. 15 f.; Lackner/Kühl, § 15 Rdnr. 43 sprechen von einem „Drittschädigungseffekt“. Klare Differenzierung in diesem Sinn auch von Roxin, Gallas-FS, S. 241 (253 ff.). 3

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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Die Darstellung erfolgt hierbei chronologisch, um die Entwicklung der Rechtsprechung aufzuzeigen. Im Anschluss an die Darstellung der deutschen Rechtsprechung in Strafsachen werfen wir einen Blick auf die Entwicklung der strafrechtlichen Judikatur Österreichs, die sich, gemessen an den deutschen Veröffentlichungen, in einer erstaunlichen Häufigkeit mit der Zurechnungsproblematik auseinanderzusetzen hatte. Darüber hinaus treten auch in der deutschen Zivilgerichtsbarkeit entsprechende Fallkonstellationen gehäuft auf. 1. Strafrechtliche Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland Den Entscheidungen OLG Celle NJW 1958, 271 und OLG Hamm NJW 1973, 1422 lag jeweils die Situation der fahrlässigen Verursachung eines Verkehrsunfalls zu Grunde, der sich zum Tode führende Behandlungskomplikationen anschlossen. Da durch das Tatgericht Kunstfehler des behandelnden Arztes jeweils nicht festgestellt wurden, begnügten sich die Revisionsgerichte mit Ausführungen im Wege eines obiter dictum. Das OLG Celle legte hierbei dar, dass schwere ärztliche Kunstfehler des Arztes der strafrechtlichen Verantwortung entgegenstünden, da solche nicht im Rahmen der gewöhnlichen, dem Täter bekannten Erfahrung, sondern außerhalb des gewöhnlichen Laufs der Dinge liegen würden.6 Entsprechend behandelt das OLG Hamm die Problematik unter dem Aspekt der Voraussehbarkeit.7 Auch in einem Urteil des OLG Stuttgart8 wird die Problematik lediglich in einem obiter dictum gewürdigt. Da sich das OLG dezidiert mit der Problematik auseinandersetzt und die Entscheidung quasi den Präzedenzfall der deutschen Rechtsprechung darstellt, erscheint eine genauere Darlegung unumgänglich. Dem Urteil liegt stark verkürzt der folgende Sachverhalt zu Grunde: Die Angeklagte verursachte fahrlässig einen Verkehrsunfall, bei welchem ein 13jähriges Mädchen schwer verletzt wurde. Die behandelnden Ärzte diagnostizierten schwere Schädelverletzungen. Nachdem das Mädchen zunächst bewusstseinsklar war und mit seinen Eltern sprechen konnte, verschlechterte sich in den darauf folgenden Tagen der Gesundheitszustand zunehmend. Als der Zustand lebensbedrohlich wurde, entschlossen sich die Ärzte zur Öffnung des Schädels. Dabei zeigte sich ein ausgeprägtes Hirnödem. Nach der Verlegung in eine neurologische Fachklinik verstarb das Kind infolge des Hirnödems. Das OLG Stuttgart bestätigte die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung.

Das OLG stellt fest, dass die Strafkammer Behandlungsfehler der Ärzte wegen nicht rechtzeitigen Erkennens verletzungsbedingter Komplikationen als möglich ansah, Behandlungsfehler aber letztlich offen ließ. Die Entscheidungs-

6 7 8

Vgl. OLG Celle NJW 1958, 271 f. Siehe OLG Hamm NJW 1973, 1422 (1423). OLG Stuttgart JZ 1980, 618.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

gründe enthalten eine klare Untergliederung in die Frage des Zurechnungszusammenhangs und die Frage der Vorhersehbarkeit. Sehr ausführlich nimmt das OLG zur Frage der Zurechnung Stellung. Es ist der Ansicht, dass die Zurechnung nicht durch ein mögliches Fehlverhalten der Ärzte unterbrochen werde, solange die „Drittschädigungseffekte“9 noch in den Schutzzweck der verletzten Norm fielen, d.h. die Behandlung noch auf die vom Unfall hervorgerufenen Leiden zurückzuführen sei. „Falls in dieser Situation der Arzt keine oder nicht die richtige Maßnahme trifft, handelt es sich allenfalls um die Modifizierung des bereits vom Erstverursacher gesetzten Risikos, nicht aber um eine die Erstursache suspendierende Neueröffnung einer vom Ausgangsrisiko unabhängigen Ursachenkette. Auch ist dieses Ergebnis keineswegs unbillig; denn wer pflichtwidrig eine Gefahr setzt, die sich alsdann in dem damit eröffneten Erfolg realisiert, kann von seiner Verantwortung dafür nicht schon dadurch frei werden, daß andere – wenn auch pflichtwidrig – zu [sic] Abwendung eben dieser Gefahr nichts oder nichts Wirksames unternommen haben.“10 Kongruent urteilt das OLG hinsichtlich der (objektiven) Vorhersehbarkeit. Unter Zugrundelegung der generellen Vorhersehbarkeit sei der Tod des Mädchens als vorhersehbar zu betrachten, da selbst bei einem Behandlungsfehler „im Grunde nicht mehr geschieht, als daß sich das durch die Pflichtwidrigkeit geschaffene tödliche Risiko letztendlich doch noch realisiert“11. Das Gericht distanziert sich darüber hinaus klar von der Differenzierung mittels des Richtmaßes des Grades der Abweichung vom allgemeinen Behandlungsstandard. Richtmaß könne allein das durch die Erstverletzung geschaffene Ausgangsrisiko sein.12 2. Strafrechtliche Rechtsprechung in Österreich Ebenfalls mit einem obiter dictum nimmt die Rechtsprechung Österreichs ihren Anfang. In der Entscheidung OGH EvBl 1957, 499 (Nr. 328) ließ sich nicht klären, ob der Tod des Verkehrsunfallopfers durch eine falsche Bluttransfusion oder von einer durch den Unfall hervorgerufenen Thrombose verursacht wurde. Anstatt die Problematik der Zurechnungsebene zuzuordnen, beschäftigt sich der 9

OLG Stuttgart JZ 1980, 618 (620). OLG Stuttgart JZ 1980, 618 (620) (Hervorhebungen vom Verfasser). Eine Differenzierung zwischen aktivem und passivem Retterverhalten erscheint dem OLG Stuttgart somit unwesentlich. Gerade diesen, vom OLG Stuttgart deutlich hervorgehobenen, Gradmesser der fortwirkenden Ausgangsgefahr verkennen Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 43 Rdnr. 95, wenn sie darlegen, dass die Einhaltung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt nicht den Schutz der körperlichen Integrität vor ärztlichen Fehldiagnosen und Fehltherapien bezwecke. 11 OLG Stuttgart JZ 1980, 618 (621). 12 Vgl. OLG Stuttgart JZ 1980, 618 (621). 10

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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OGH ausschließlich mit der Frage des Kausalzusammenhangs. Somit ist es auch konsequent, wenn er ausführt, „für die Frage des Kausalzusammenhanges zwischen der Handlung des Täters und dem eingetretenen Erfolg kann daher das Dazwischentreten eines fahrlässigen Verhaltens eines Dritten nur dann eine Rolle spielen, wenn dieses Verhalten nicht selbst erst durch die Handlung des Angeklagten ausgelöst worden ist und bereits für sich allein, also ohne Zutun des Täters geeignet war, den Erfolg herbeizuführen“13. Die Handlung des Arztes stelle lediglich eine durch die Handlung des Täters veranlasste Zwischenursache dar.14 Die Entscheidung OGH ÖJZ 1970, 522 (Nr. 304) behandelt die Konstellation der tödlichen Schädigung im Wege eines unsachgemäßen Transports ins Krankenhaus. Auch hier setzt sich der OGH lediglich mit der Frage des Kausalzusammenhanges auseinander – und rezipiert die in OGH EvBl 1957, 499 dargelegte Sichtweise. Mit der Entscheidung OGH SSt 47/1 nimmt der OGH erstmals eine Trennung zwischen der Kausalfrage und der Frage der Erfolgszurechnung vor. Nach einem Raufhandel wurde das Opfer von den behandelnden Ärzten irrtümlich nach Hause entlassen, da sie den entstandenen, zum Tode führenden Schädelbruch nicht erkannten.15 Die Erfolgszurechnung bejaht der OGH auch dann, „wenn sich zwischen die Tathandlung und den Erfolg ein fahrlässiges Verhalten eines Dritten – hier des behandelnden Arztes – schiebt, das unter den vom Täter herbeigeführten Umständen nach den Erfahrungen des täglichen Lebens nicht gerade ungewöhnlich ist“16. Die Zurechnung unter Zugrundelegung des Vorhersehbarkeitskriteriums will der OGH bis zur Grenze einer singulären Verletzung der Sorgfaltspflicht durch den behandelnden Arzt festschreiben.17 Ein Fall ärztlichen Unterlassens hatte das Urteil OGH ZVR 1977, 340 zum Gegenstand. Die Ärzte erkannten nach einem schuldhaften Verkehrsunfall die Brüche nicht vollzählig, was zu einer verfrühten Entlassung führte, an deren Folge die Patientin verstarb. Der OGH will für die kausale Verknüpfung als ausreichend erachten, dass „die Tat des Angeklagten zumindest eine im Zeitpunkt des Erfolgseintrittes hierfür noch wirksame (Mit-)Bedingung bedeutete“18.

13

OGH EvBl 1957, 499. Vgl. OGH EvBl 1957, 499. 15 Der Angeklagte ist eines erfolgsqualifizierten Delikts beschuldigt. Da der OGH eine für diese Deliktsgruppe typische Unmittelbarkeitsbeziehung nicht problematisiert, wird die Entscheidung im Fahrlässigkeitsteil dieser Arbeit dargestellt. 16 OGH SSt 47/1 (S. 5 f.). 17 Siehe OGH SSt 47/1 (S. 5). Zustimmend, da ebenfalls auf die objektive und subjektive Vorhersehbarkeit abstellend Liebscher, ZVR 1976, 179 (180). 18 OGH ZVR 1977, 340. 14

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Beachtung verdient die Entscheidung OGH SSt 48/68. Das Gericht setzt sich hier explizit in einem obiter dictum mit den Folgen eines groben Behandlungsfehlers auseinander. Allerdings fällt der OGH in seiner Argumentation wieder auf die schlichte Erörterung des Bedingungszusammenhangs zurück. Nach Ansicht des OGH wird der Bedingungszusammenhang nur dann negiert, wenn das spätere Ereignis das Weiterwirken des früheren völlig aufhebt.19 „Im vorliegenden Fall war aber selbst dann, wenn die Operation unsachgemäß durchgeführt worden sein sollte, ja selbst bei grober Fahrlässigkeit des Operateurs – die gar nicht behauptet wurde –, die ursprüngliche Bedingung, nämlich die Schußverletzung, für den Erfolg jedenfalls Mitursache.“20 Eine über die Äquivalenztheorie hinausgehende Erörterung findet nicht statt. Rund zwei Jahre später führt das OLG Wien21 in einem obiter dictum dagegen aus: „Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß ausschließlich eine äußerst selten auftretende Perforation der Speiseröhre durch das Gastroskop letztlich den Tod der Verunglückten bewirkt hat, liegt gegenständlich eine erhebliche Abweichung des vorstellbaren vom tatsächlichen Kausalablauf vor, sodaß der Angekl rechtsrichtig nur der Eintritt einer schweren in der Regel komplikationslos abheilenden Körperverletzung der Elisabeth K, nicht aber deren Tod zugerechnet werden durfte“22. Im Jahr 1992 ergänzt der OGH die schlichte Prüfung des Bedingungszusammenhanges oder der Vorhersehbarkeit durch das Kriterium der Risikoverwirklichung. Die Entscheidung OGH JBl 1992, 46423 leitet damit eine dezidiertere Prüfung der Zurechnungsproblematik ein und verdient infolgedessen Aufmerksamkeit. Das Urteil vom 15.5.1991 geht von folgendem Sachverhalt aus: Der Angeklagte versetzte dem Opfer vorsätzlich einen Messerstich in den Bauch. Bei der ambulanten Behandlung im Spital konnte der behandelnde Arzt keine Verletzung tieferliegender Strukturen oder eine Eröffnung des Bauchraumes feststellen. Nach Vereinbarung eines Kontrolltermins wurde der Verletzte nach Hause entlassen. In der Nacht traten beim Verletzten allerdings starke Schmerzen auf, weshalb er am nächsten Morgen erneut das Krankenhaus aufsuchte. Dort wurde eine stationäre Behandlung eingeleitet und eine Bauchoperation durchgeführt, bei welcher sich das wahre Ausmaß der Verletzung zeigte. In den nächsten Tagen verschlechterte sich der Zu19

Vgl. OGH SSt 48/68 (S. 267). OGH SSt 48/68 (S. 267). Die Angeklagten sind auch hier eines erfolgsqualifizierten Delikts beschuldigt. Da der OGH eine für diese Deliktsgruppe typische Unmittelbarkeitsbeziehung nicht problematisiert, wird die Entscheidung im Fahrlässigkeitsteil dieser Arbeit dargestellt. 21 OLG Wien ZVR 1980, 170. 22 OLG Wien ZVR 1980, 170 (171) (Hervorhebung im Original). 23 Der Angeklagte ist eines erfolgsqualifizierten Delikts beschuldigt. Da der OGH eine für diese Deliktsgruppe typische Unmittelbarkeitsbeziehung nicht problematisiert, wird die Entscheidung im Fahrlässigkeitsteil dieser Arbeit dargestellt. 20

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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stand des Patienten, weshalb noch zwei weitere Bauchoperationen stattfanden. Der Patient verstarb in den nächsten Tagen im septischen Schock auf Grund einer nach der Stichverletzung aufgetretenen Bauchfellentzündung. Der OGH bestätigte die Verurteilung wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 87 II ÖStGB).

Der OGH stellt fest, dass weder der Adäquanzzusammenhang noch der Risikozusammenhang unterbrochen ist. Seine Begründung legt das Gericht auf zwei Schienen dar. Zunächst führt der OGH aus, dass es nicht ganz außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung liege, dass eine Bauchstichverletzung deshalb zum Tode führe, weil bei der ersten ärztlichen Untersuchung die Notwendigkeit einer unverzüglichen Operation nicht erkannt werde, wobei der OGH auch ein grobes Fehlverhalten von der Adäquanz umfasst sehen will.24 Dieses schlichte Kriterium der Voraussehbarkeit ergänzt das Gericht nun aber durch die Prüfung des Risikozusammenhangs i. S. des Schutzzweckes der Norm. „Im Rahmen einer auf Fallgruppen abzustellenden Betrachtungsweise ist bei Mitverursachung eines Enderfolges durch ärztliche Kunst-(Diagnose- und Behandlungs-)Fehler daran festzuhalten, daß grundsätzlich alle adäquaten Komplikationen des Behandlungsgeschehens in die Risikosphäre des Verletzungsverursachers fallen und kein hinreichender Anlaß dafür besteht, menschlicher Unzulänglichkeit bei der ärztlichen Behandlung eine entscheidende Sonderstellung einzuräumen. Erstreckt sich nämlich der Schutzzweck des Verletzungsverbots auch auf die Abwendung der verletzungsbedingten Risiken der Heilbehandlung25, dann stellt der Verantwortungsbereich der dabei tätig werdenden Ärzte kein geeignetes Kriterium einer Grenzziehung bei der Risikozurechnung dar. Auf Grund der umfänglichen Schutzfunktion bleibt vielmehr auch bei der Mitverursachung des Enderfolges durch Fahrlässigkeit der behandelnden Ärzte der Zusammenhang der Tat mit dem Enderfolg in der Regel enthalten, weil keineswegs gesagt werden kann, es habe sich darin nicht die Gefahr der Körperverletzung, sondern eine ganz andere Gefahr manifestiert.“26 Manifestiert man aus dem Schutzzweck des Verletzungsverbots eine umfängliche Schutzfunktion, dann ist es nur konsequent, wenn man – wie der OGH ausführt – nicht danach differenziert, ob das ärztliche Fehlverhalten als leicht oder grob fahrlässig zu beurteilen ist. Denn auch ein grobes Fehlverhalten „würde nicht unbedingt die aus der Verletzung unmittelbar resultierende Gefahr derart dominieren, daß der Zusammenhang zwischen Enderfolg und Täterverhalten ganz in den Hintergrund träte“27. 24

Siehe OGH JBl 1992, 464 (465). So auch Löschnig-Gspandl/Schick, S. 76. 26 OGH JBl 1992, 464 (465). 27 OGH JBl 1992, 464 (465). Für diese Sichtweise wohl auch Löschnig-Gspandl/ Schick, S. 76. 25

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

3. Überblick der zivilrechtlichen Rechtsprechung Die Rechtsprechung des RG behandelt die Auswirkung aktiven fehlsamen Arztverhaltens zum Erstverursacher konsequent unter dem Gesichtspunkt der Unterbrechung des ursächlichen Zusammenhanges. In ständiger Rechtsprechung legt das RG dar, dass dieser durch ein ärztliches Fehlverhalten nicht unterbrochen werde, dies sei nur im Falle eines gröblichsten Verstoßes gegen die Regeln der ärztlichen Kunst der Fall.28 Dieselbe Sichtweise legt das RG im Falle des ärztlichen Versäumnisses zu Grunde.29 Die Nachkriegsrechtsprechung verortet die Problematik richtigerweise in den Bereich des Zurechnungszusammenhanges, führt die Sichtweise des RG jedoch stetig fort und nimmt eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges nur im Falle völlig fehlsamen und unsachgemäßen Vorgehens durch den behandelnden Arzt an.30 Ausdrücklich stellt das OLG Hamm klar, dass eine haftungsrechtlich-wertende Zuordnung alleine zum nachbehandelnden Arzt mehr als die Bejahung eines groben Behandlungsfehlers erfordere.31 In gleicher Weise will das OLG Köln VersR 1994, 987 den Zurechnungszusammenhang32 im Fall ärztlichen Unterlassens grundsätzlich nicht unterbrochen wissen.33 Die Grenze für die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges setzt das Gericht auch hier höher als einen groben Behandlungsfehler an. 4. Würdigung der Rechtsprechung Die Dogmatik der Rechtsprechung vermag im Ergebnis nicht zu überzeugen. Wir wollen die einzelnen Argumentationskriterien noch einmal zusammenfassen. Die Strafgerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland bedient sich zur Beurteilung der Zurechnungsproblematik überwiegend des Kriteriums der Vorhersehbarkeit. Mit einem leichten oder mittleren Kunstfehler des eingeschalteten Arztes müsse gerechnet werden, nicht jedoch mit einem groben Kunstfehler. Diese Ansicht fügt sich konsequent in die Linie der strafrechtlichen Rechtsprechung, die speziell in den Fallgruppen auftretender Operationskomplikationen 28 Vgl. RG JW 1921, 741; RG JW 1936, 1356; RG JW 1937, 990; einschränkend in einem obiter dictum aber RG JW 1913, 322. 29 Vgl. RG JW 1911, 754; RGZ 102, 230. 30 Siehe OLG Braunschweig VersR 1987, 76; OLG Celle VersR 1987, 941; BGH NJW 1989, 767; OLG Hamm VersR 1992, 610; OLG Hamm NJW 1996, 789. Vgl. auch jurisPK-BGB/J. Lange/Schmidbauer, § 823 Rdnr. 58. 31 Vgl. OLG Hamm VersR 1992, 610 (612). 32 An späterer Stelle spricht das OLG wieder von der Unterbrechung des Kausalzusammenhanges, OLG Köln VersR 1994, 987 (989 unten). 33 Vgl. OLG Köln VersR 1994, 987 (989).

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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mit dem Kriterium der Vorhersehbarkeit arbeitet.34 Indessen ist das Korrektiv der Vorhersehbarkeit für die Frage der Zurechenbarkeit unzulänglich. Denn vorhersehbar ist alles und nichts, je nachdem, welche Maßstäbe man an die Wahrscheinlichkeit des vorherzusehenden Geschehens anlegt.35 Es leuchtet nicht ein, warum gerade ein grober Behandlungsfehler außerhalb der gewöhnlichen Lebenserfahrung liegen soll, tritt dieser in der alltäglichen Gerichtspraxis immerhin ständig auf und zeichnet verantwortlich für die Dogmatik der Beweislastumkehr im Zivilprozess.36 Die Unzulänglichkeit wird des Weiteren dadurch intensiviert, dass die Rechtsprechung in den genannten Fällen die Vorhersehbarkeit nicht auf den konkreten Geschehensablauf, sondern lediglich auf den Erfolg in seinem Endergebnis bezieht, ein Kausalverlauf lässt sich damit beliebig verallgemeinern.37 Für die generelle Vorhersehbarkeit spielt es aber gerade keine Rolle, ob der Fehler bloß „fahrlässig“ oder „grob fahrlässig“ begangen wurde.38 Berechtigt erscheint auch der Einwand Diels, die anführt, dass die Klassifizierung in die Grade des leichten bzw. groben Kunstfehlers nur einem medizinischen Fachmann möglich sein wird. Wie soll dann der einzelne Normadressat dazu fähig sein, die Klassifizierung auf den vorherzusehenden Kausalverlauf zu übertragen?39 Im Übrigen sei auf die bereits oben 1. Abschnitt, B.I. vorgebrachten Bedenken gegen eine isolierte Adäquanzbetrachtung verwiesen. Die Strafgerichtsbarkeitsentscheidungen aus Österreich begnügen sich zum großen Teil mit der Erörterung des Kausalzusammenhanges. Diese Sichtweise 34 Siehe nur OLG Stuttgart NJW 1956, 1451; OLG Köln NJW 1956, 1848; BGH GA 1960, 111; OLG Hamm VRS 18, 356; BGH VRS 20, 278; OLG Stuttgart NJW 1982, 295 sowie BVerfG GA 1969, 246. Vgl. in diesem Zusammenhang auch BayObLG bei Janiszewski NStZ 1982, 239. Beruht die Komplikation, etwa eine Infektion, auf der geschwächten Konstitution des Patienten, so handelt es sich jedenfalls um kein allgemeines Lebensrisiko [dazu siehe unten III.5.a)]. 35 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 106; Ebert, JR 1982, 421 (422). 36 So auch Wolter, S. 347 Fn. 65, der hervorhebt, dass grobe Kunstfehler eines Arztes durchaus objektiv und subjektiv vorhersehbar sein können. Anzumerken ist, dass das ÖStGB in § 88 II Nr. 2 ein spezielles Ärzteprivileg enthält, das den Arzt bei fehlendem schweren Verschulden und einer nicht über 14 Tage dauernden Gesundheitsschädigung von der Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung freistellt. Greift diese Ausnahmeregelung nicht, trifft auch den Arzt die Strafbarkeit – der grobe Behandlungsfehler stellt damit keine singuläre Ausnahmeerscheinung der allgemeinen Lebenserfahrung dar, sondern ist dem Rechtsbewusstsein inhärent. 37 Dazu Namias, S. 81; Puppe, Erfolgszurechnung, S. 106. 38 Vgl. Holzer/Posch/Schick/Schick, S. 119. Indes will auch Deutsch, Haftungsrecht, S. 109 f. enger auf die Fortleitung der Gefahr als auf die allgemeine Voraussehbarkeit abstellen. 39 Vgl. Diel, S. 232 f.; siehe auch Th/P/Reichold, Vorbem § 284 Rdnr. 32. Eine Diskrepanz deckt auch Henkel, NJW 1956, 1451 auf: Das Gericht sah in der Anordnung der Bettruhe keinen Kunstfehler, somit musste nach ärztlicher, fachwissender Sicht nicht mit einem tödlichem Verlauf gerechnet werden. Demgegenüber soll der Normadressat auf Grundlage der allgemeinen Lebenserfahrung immer mit einer gewissen Disposition zur Thrombosebildung rechnen müssen.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

ist systematisch rückständig und bleibt in ihrer Dogmatik auf dem Stand vor der Überwindung des klassischen Regressverbots.40 Lediglich die Entscheidungen OLG Stuttgart JZ 1980, 618 und OGH JBl 1992, 464 durchdringen die Problematik mit Prüfung eines Schutzzweckzusammenhangs tiefer. Aus der reinen Argumentation mit dem Schutzzweck der Norm lässt sich bei einem offenen Tatbestand wie der fahrlässigen Tötung allerdings keine Lösung der Zurechnungsproblematik gewinnen41, insofern ist die explizite Prüfung eines Schutzzweckzusammenhangs durch die Gerichte verfehlt. Denn ebenso wie sich die Vorhersehbarkeit mittels des anzulegenden Maßstabs beliebig definieren lässt, so lässt sich auch mit der Definition einer „umfänglichen Schutzfunktion“42 nahezu unbegrenzt subsumieren. Begrüßenswert an beiden Entscheidungen – auch der Entscheidung OGH ZVR 1977, 340 – ist, dass sie sich von einer Differenzierung nach der Schwere des Kunstfehlers distanzieren und das bereits durch den Primärverletzer hervorgerufene Ausgangsrisiko in den Vordergrund ihrer Betrachtung stellen.43 Im Gegensatz zu den frühen zivilrechtlichen Entscheidungen, die sich allenfalls mit der Unterbrechung des Kausalverlaufs beschäftigen, zeigt sich in den jüngeren zivilrechtlichen Entscheidungen ebenfalls die Konzentration auf das gesetzte Schadensrisiko, dessen Wirkung nur durch ein gröblichstes ärztliches Fehlverhalten verdrängt werden soll.44 Damit schreibt die zivilrechtliche Judikatur eine erheblich weitere Zurechnung als die korrespondierende deutsche Strafgerichtsbarkeit fest. Eine klare Dogmatik lässt sich dennoch nicht ausmachen, zumal nicht zu erkennen ist, unter welchem Aspekt der Zurechnungszusammenhang letztlich geprüft wird. So spricht der BGH von einem „Einstehen“45 des Beklagten für das Fehlverhalten des Arztes, das OLG Hamm von einem „nicht lediglich äußerlichen, gleichsam zufälligen Zusammenhang“46 bzw. von einem „Haftungszusammenhang“47. Soll hiermit der Schutzzweckzusammenhang oder der Risikozusammenhang i. S. der Fortwirkung der geschaffenen Ausgangsgefahr gemeint sein?48 40 Die falsche Verortung der Problematik in den Kausalbereich kritisiert auch Burgstaller, S. 117. 41 Siehe oben 1. Abschnitt, B.IV. 42 OGH JBl 1992, 464 (465). 43 Auch Wolter, Schroeder-FS, S. 431 (436, 442) misst dieser Sichtweise nun für das Kernstrafrecht Bedeutung zu. Krit. aber Wichtl, ZVR 1980, 97 (99). 44 Homann, JuS 2002, 554 (556) gebraucht den Begriff der „groben Leichtfertigkeit“. 45 BGH NJW 1989, 767 (768). 46 OLG Hamm VersR 1992, 610 (612). 47 OLG Hamm NJW 1996, 789 (790). 48 Für zweiteres wohl OLG Hamm VersR 1992, 610 (612), das hervorhebt, dass das gesetzte Schadensrisiko lediglich vergrößert, nicht aber ein zusätzliches Risiko eigener Art geschaffen wurde.

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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Übereinstimmend lässt sich dagegen feststellen, dass sowohl die deutsche Straf-49 und Zivil-50 als auch die österreichische Strafjudikatur51 keine Differenzierung zwischen aktivem und passivem Fehlverhalten in Bezug auf die Zurechnungsproblematik vornehmen. Wie sich später zeigen wird, ergibt sich dadurch eine gravierende Diskrepanz zu gewichtigen Meinungen des Schrifttums. III. Das allgemeine Lebensrisiko

Im Folgenden werden die verschiedenen Fallgruppen untersucht, die in Verbindung mit fehlerhaftem Retterverhalten gebracht werden, wobei auch hier mit Retterverhalten überwiegend das Verhalten von Ärzten verstanden wird. Zunächst betrachten wir die Gruppe derjenigen Fälle, in denen das Vorliegen eines fehlerhaften Retterverhaltens fraglich erscheint. In der Judikatur und Literatur wird diese Fallgruppe einheitlich mit dem Begriff des „allgemeinen Lebensrisikos“ deklariert. Der typische Fall stellt die Konstellation dar, in der das vom Täter schuldhaft verletzte Opfer auf Grund eines Unfalls des es transportierenden Krankenwagens geschädigt wird. Hierbei wird noch zu untersuchen sein, ob es sich um eine normale Teilnahme am Straßenverkehr oder eine solche unter Nutzung von Sonderrechten handelt, des Weiteren inwieweit ein mögliches Verschulden des Fahrers für die Einordnung in diese Fallgruppe von Bedeutung ist. Um die strafrechtliche Zurechnung für diese Fallkonstellation bestimmen zu können, wollen wir zunächst die Begrifflichkeit des allgemeinen Lebensrisikos näher untersuchen. 1. Begriffsbestimmung „Risiko“ Mit dem Begriff „Risiko“ wird im Allgemeinen die Möglichkeit eines unerwünschten Erfolges umschrieben.52 Damit stellt ein „Risiko“ einen Komplex von Erfolgsbedingungen dar, die zu einem Erklärungszusammenhang gehören.53 Für den Bereich der Jurisprudenz ist allerdings eine Spezifikation erforderlich. Denn hier interessieren nicht alle nachteiligen Ergebnisse, die aus einem Geschehen erwachsen können, sondern ausschließlich Folgen, die Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung sein können. Der Begriff Risiko ist in diesem Sinn zu verstehen als die Möglichkeit, rechtliche Nachteile zu erleiden.54

49 50 51 52 53 54

Siehe oben Fn. 10. Siehe oben Fn. 33. Vgl. oben Fn. 18. Vgl. Mädrich, S. 36. Siehe Jakobs, Küper-FS, S. 53 (54 Fn. 4). Siehe Mädrich, S. 36.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Der Zweck besteht in der Erklärung von Schadensverläufen, die unter eine juristische Norm subsumierbar sind.55 2. Begriffsbestimmung „allgemeines Lebensrisiko“ Durch den Zusatz „Leben“ könnte die Begrifflichkeit „Risiko“ eine Konkretisierung auf den Bezugspunkt der Art der unerwünschten Folge erhalten. Sprechen wir beispielsweise von „Anlagerisiko“, so bezieht sich dieses in unserem Sprachgebrauch auf die Möglichkeit, finanzielle Nachteile zu erleiden, mit dem Begriff „Verletzungsrisiko“ beziehen wir uns auf die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit. Bildet das Bezugsobjekt des „Lebensrisikos“ mithin die Gefahr, dass ein Mensch sein Leben verliert?56 Dass dies eine Verkürzung und Missinterpretation des Begriffes darstellen würde, zeigt sich aber mit Blick auf die Literatur und Rechtsprechung sowie den allgemeinen Sprachgebrauch. Denn „Lebensrisiko“ wird hier als die Möglichkeit, rechtlich relevante Nachteile jeder Art zu erleiden, verstanden.57 Bezugspunkt ist somit das Dasein des Menschen im Sinne der natürlichen Existenz als Lebewesen.58 Mit dem Zusatz des Adjektivs „allgemeines“ werden bestimmte Gefahren von anderen abgegrenzt. Bezeichnet werden Risiken, denen der Geschädigte ohnehin – ständig oder zumindest latent –, d.h. auch ohne das Primärverhalten des Verletzers, ausgesetzt ist. Der Komplementärbegriff stellt somit ein „gesteigertes“ oder „zusätzliches“ Risiko dar. Das allgemeine Lebensrisiko kann infolgedessen als negativer Zurechnungsgrund verstanden werden, dessen Inhalt nicht nur reflexiv über äußere Momente wie den des Schutzbereichs der Norm gefüllt wird. Es kennzeichnet vielmehr einen Bereich der Zuweisung des Schadens an den Inhaber des Rechtsguts selbst. Dieser Bereich wird von der normalen Haftung wegen Gefährdung oder Verschuldens nicht durchbrochen.59 3. Der Maßstab zur Bestimmung des allgemeinen Lebensrisikos Es bleibt zu klären, anhand welchen Maßstabs das allgemeine Lebensrisiko zu bestimmen ist. Möglich wäre sowohl eine Anknüpfung an einen individuellen als auch an einen kollektivistischen Maßstab. Die normale Fahrt mit einem Pkw oder der Flug mit einer Passagiermaschine lässt sich generell betrachtet als Alltagserscheinung des täglichen Lebens einstufen. Was aber, wenn das Opfer 55

In diesem Sinn Jakobs, Küper-FS, S. 53 (54 Fn. 4). Die Frage wirft auf Mädrich, S. 36. 57 Siehe nur Palandt/Heinrichs, Vorb v § 249 Rdnr. 88; Palandt/Sprau, § 651 f Rdnr. 5 sowie die Nachweise bei Mädrich, S. 37. 58 Siehe Mädrich, S. 37. 59 Vgl. Deutsch, VersR 1993, 1041 (1046). 56

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in seinem Lebenszuschnitt die Fahrt mit einem Auto oder die Reise mit einem Flugzeug wegen der Angst, einen Unfall im Straßenverkehr zu erleiden, oder aus Flugangst stets zu vermeiden trachtet – ist damit der Kreis des allgemeinen Lebensrisikos überschritten?60 Die Antwort ist in einer Betrachtung des sozialen Gefüges menschlichen Miteinanders zu finden. Mädrich will hierzu auf die Überlegungen Zeuners zurückgreifen. Zeuner bezieht seine Überlegungen auf den Gesichtspunkt des Verschuldens im Zivilrecht. Er will zur Klärung der Verantwortlichkeit des Einzelnen nicht auf dessen jeweilige Individualität, sondern auf eine generelle Betrachtung unter Zugrundelegung eines Begegnungsverhältnisses – als Aspekt der Begegnung und des gegenseitigen Ausgleichs im sozialen Raum – abstellen.61 Eben diesen Gedanken überträgt Mädrich zur Bestimmung des Maßes des allgemeinen Lebensrisikos.62 Dies ist folgerichtig, denn auch das allgemeine Lebensrisiko erlangt nicht dadurch einen anderen Stellenwert, dass der Einzelne bestimmte Verhaltensweisen individuell beurteilt oder sein Leben nach bestimmten Maximen führt. Die Abwägung der zumutbaren, d.h. latenten Risiken, muss kollektivistisch erfolgen, dies stellt eine zwangsläufige Folge einer gerechten Abgrenzung sozialer Interessensphären dar.63 Somit macht es keinen Unterschied, ob der Verletzte das Autofahren als Teufelswerk ansieht oder ein leidenschaftlicher Anhänger des Motorsports ist.64 4. Das Verhältnis des allgemeinen Lebensrisikos zum sozialadäquaten Verhalten Wir haben festgestellt, dass mit dem allgemeinen Lebensrisiko eine Summe von alltäglichen Geschehen bezeichnet wird, deren Risiken das Individuum in der Struktur des gesellschaftlichen Miteinanders stets oder zumindest latent ausgesetzt ist und die mit Blick auf die Erhaltung und Förderung des gesellschaftlichen Lebens als hinnehmbar zu bestimmen sind. Es fragt sich, inwieweit der Gedanke des allgemeinen Lebensrisikos in der Lehre der sozialadäquaten Handlung aufgeht. Bilden wir den Fall, dass A seinem Nebenbuhler B möglicht unauffällig ein Übel zufügen will. In der Hoffnung, der B werde einen Unfall erleiden, rät der A seinem Nebenbuhler zu einer Busreise nach Spanien. Tatsächlich verunglückt der Bus und B wird verletzt. Die Lehre der sozialadäquaten Handlung würde das Verhalten des A als mit den faktischen Ordnungsverhältnissen des geschichtlich gewordenen Gemeinschaftsgefüges in Einklang ste60 61 62 63 64

Vgl. Frisch, S. 393 f. Vgl. Zeuner, JZ 1966, 1 (8). Siehe Mädrich, S. 46. Hierzu Mädrich, S. 46 f. und ihm zustimmend Frisch, S. 394. Vgl. Mädrich, S. 46.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

hend65 beurteilen.66 Für die Frage nach dem allgemeinen Lebensrisiko ist allein wichtig, ob B normalerweise (latent) den Gefahren einer Busreise ausgesetzt ist. Da eine Busfahrt keine gesteigerte Schadensmöglichkeit darstellt, würde auch diese Ansicht zur Straflosigkeit des A führen. Damit drängt sich die Folgerung auf, dass die Begriffe des sozialadäquaten Verhaltens und des allgemeinen Lebensrisikos auswechselbar sind. Dem ist jedoch nicht der Fall. Der Begriff des allgemeinen Lebensrisikos ist vielmehr weitgehender. Zur Verdeutlichung führt Mädrich einen alten Fall des Landgerichts Hannover an: Ein 13-jähriger Junge hatte noch nach 20 Uhr in einer Gaststätte als Kegeljunge gearbeitet, wobei er die umgefallenen Kegel wieder aufrichtete. Einer der Gäste warf seine Kugel zu früh und traf den noch auf der Bahn befindlichen Jungen.67 Beurteilt man den Sachverhalt unter dem Aspekt der Sozialadäquanz, so muss das Verhalten des Gastwirts als inadäquat beurteilt werden, da die Beschäftigung des Jungen zu dieser Uhrzeit gegen ein Reichsgesetz verstieß. Dennoch muss der Gastwirt nicht für den Schaden durch die vorzeitig geworfene Kugel haften, denn es handelt sich um die Realisierung einer der Gefahren, die dem Jungen während seiner Arbeit stets drohte – die Verletzung unterfällt dem allgemeinen Lebensrisiko.68 5. Allgemeines Lebensrisiko und strafrechtliche Zurechnung Nachdem Inhalt und Bedeutung des allgemeinen Lebensrisikos geklärt sind, wollen wir untersuchen, inwieweit folgende Konstellationen eines missglückten Retterverhaltens eine strafrechtliche Zurechnung zum Primärschädiger begründen. Als Ausgangspunkt dient die schuldhafte Verursachung eines Verkehrsunfalls, bei welchem das Opfer Verletzungen erleidet. Bei der Fahrt ins Krankenhaus wird bei einem Unfall des Krankenwagens der Verletzte erneut geschädigt, so dass er verstirbt. Für die Frage nach einer möglichen fahrlässigen Tötung des Primärschädigers wollen wir danach differenzieren, dass (a) der Krankenwagen mit normaler Geschwindigkeit am Straßenverkehr teilgenommen hat und der Fahrer des Krakenwagens unverschuldet in den Unfall verwickelt wurde (siehe bereits oben Fall 1) und dass (b) der Krankenwagen unter Ausnutzung von Sonderrechten mit riskanter Fahrweise die Fahrt zum Krankenhaus antritt und in-

65

Vgl. Mädrich, S. 93. Eigentlich müsste man bei dieser Fallkonstellation früher ansetzen und feststellen, dass es sich allenfalls um eine straflose Teilnahme an einer freien Selbstgefährdung handelt, vgl. Schünemann, GA 1999, 207 (220). 67 Sachverhalt dargestellt bei Mädrich, S. 42 sowie Hermann Lange, Gutachten 43. DJT, S. 40. 68 Siehe Mädrich, S. 93. Zu ergänzen wäre: sofern der Kegeljunge nicht vor Übermüdung in exponierter Lage eingeschlafen ist, vgl. Zimmermann, JZ 1980, 10 (14 Fn. 57). 66

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folge der erhöhten Geschwindigkeit der Fahrer schuldhaft die Kontrolle über den Krankenwagen verliert (siehe bereits oben Fall 2). a) Die allgemeine Teilnahme am Straßenverkehr (oben Fall 1) Wenden wir uns zunächst der Fallvariante (a) zu: Die normale Teilnahme am Straßenverkehr stellt zwar ein gewisses Gefahrenpotential dar, dennoch unterfällt dieses dem allgemeinen Lebensrisiko. In der Abwägung zwischen Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Lebens und den Gefahren des Straßenverkehrs muss die Teilnahme am Straßenverkehr als alltägliche – latente – Gefährdung eingestuft werden. Denn würde man hierin ein gesteigertes Risiko sehen, wäre die Folge eine nahezu unbegrenzte Zuschreibung von Verantwortlichkeit, sei es unter den Verkehrsteilnehmern untereinander oder gegenüber der Automobilindustrie. Wird somit für das Opfer diese alltägliche Gefahr einer Teilnahme am Straßenverkehr begründet, kann dies kein zurechenbares Unrecht darstellen.69 Diese latente Gefahr erfährt auch – dies wird in der Literatur bisweilen nicht problematisiert – durch den Transport in einem Rettungswagen keine bzw. lediglich eine unwesentliche Variation. Zwar mag der Patient eventuell liegend transportiert werden, dennoch erfolgt auch in dieser Position eine Sicherung bzw. Arretierung, die der mittels eines Sicherheitsgurtes in einem normalen PKW entspricht.70 Der Umstand, dass diesem begründeten latenten Risiko ein schuldhaftes Verhalten des Primärschädigers vorausging, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern.71 Frisch führt hierzu ein zweckrationales Argument an: Man kann die Unwertigkeit eines strafbaren Verhaltens nicht dadurch demonstrieren, dass man 69 Siehe Jakobs, AT, 7/79; Rudolphi, JuS 1969, 449 (555); SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 63; Otto, JuS 1974, 702 (709); Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 160; Roxin, Honig-FS, S. 133 (137); Schmoller, Triffterer-FS, S. 223 (239); Kienapfel, ZVR 1977, 162 (164); Burgstaller, S. 126; Donatsch, S. 196; Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 95/96; Herzberg, ZStW 85 (1973), 867 (876); Lanz, S. 192 sowie Krümpelmann, Bockelmann-FS, S. 443 (451 mit Fn. 46) und Gallas, Bockelmann-FS, S. 155 (163). Zur deckungsgleichen Sichtweise des anglo-amerikanischen Schrifttums siehe die Nachweise bei Kirschner, S. 61 Fn. 213 f. 70 Dieser Sicherheitsaspekt lässt sich aus einem Bericht über einen Crashversuch des ADAC mit einem Rettungsfahrzeug entnehmen; vgl. die Presseinformation des Deutschen Feuerwehrverbandes zu Anforderungen an Rettungsfahrzeuge, abrufbar unter der Adresse ; siehe auch . 71 Richtig Namias, S. 59; Ferschl, S. 161; Hermann Lange, JZ 1976, 198 (206); Deutsch, VersR 1993, 1041 (1044); Lukas, S. 81; Geisler, S. 307. Frisch, S. 439 weist darauf hin, dass ansonsten gleiche Risikoschaffungen ungleich behandelt würden. Siehe auch ausführlich Hardtung, Lehrskript Strafrecht AT, 2. Kapitel: Das vorsätzliche vollendete Handlungsdelikt, S. 18 ff. (Stand 3. Januar 2007), abrufbar unter .

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

den Täter auf die Folgen verweist, die das Opfer auf dem Weg ins Krankenhaus erleidet.72 Frisch zieht diese „Sinngehaltsprobe“73 freilich zur Bestimmung des rechtlich-missbilligten Verhaltens heran74, doch können wir diesen Gedanken ebenso für die Frage der Erfolgszurechnung nutzbar machen, da sich bei Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr (hier: Verkehrsunfall) die Frage stellt, ob sich die Risikoverwirklichung mit dem Eintritt einer Gefahr des allgemeinen Lebensrisikos erklären lässt – was aus zweckrationaler Sicht nicht gangbar ist, sondern einen Rückfall in die Versari-Lehre bedeuten würde. Da einerseits normgerechtes Verhalten das Lebensrisiko auslösen und andererseits normwidriges Verhalten es hemmen kann, vermag es nicht Zweck der Norm zu sein, allgemeine Lebensrisiken zu verhindern.75 Das stets latente allgemeine Lebensrisiko kann vom Täter weder durch erfahrungsgemäß schädigende Handlungen erhöht, noch durch Vermeidung solcher Handlungen verringert werden, die Gefahrrealisierung stellt keine „modellhafte Erfolgsverwirklichung“76 dar. Damit hat eine Zurechnung zum Primärschädiger auszubleiben; sowohl für den Fall des sofortigen Todes im Unfallzeitpunkt als auch für den Fall, dass sich die durch den Täter zugefügten Verletzungen erst durch den Unfall zum Tode weiterentwickeln. Zwar hat dieser eine Gefahr geschaffen, die im Zeitpunkt des Verkehrsunfalls auch noch fortwirkt, doch fehlt der Schädigung durch den Ver72 Vgl. Frisch, S. 397. Übereinstimmend bereits L. M. Müller, S. 57 und ihm folgend Engisch, Kausalität, S. 61: „Aber der eingetretene Erfolg ist trotzdem kein solcher, auf welchen das Verhalten als rechtsnormwidrig bezogen werden kann, denn er gehört nicht zu den Tötungserfolgen, mit Rücksicht auf deren Möglichkeit das Verhalten verboten war, er tritt nicht in Verwirklichung der Tötungsgefahr ein, deretwillen das Verhalten des A rechtsnormwidrig war.“ Auch Hermann Lange, Gutachten 43. DJT, S. 50 führt diesen Gedanken bereits an: „– Es ist, ähnlich wie im Vertragsrecht, stets zu fragen, ob man sich die verletzte Pflicht bei vernünftiger Betrachtung als auch mit Rücksicht auf die eingetretene Folge aufgestellt denken kann“. 73 Frisch, S. 427. 74 Siehe zur Systematik Frischs oben 1. Abschnitt, B.VI.1. 75 Siehe Jakobs, Studien, S. 93. Als Beispiel der Hemmung führt er den Fall an, dass der zu Hause Verletzte einen geplanten Flug aufgeben muss und dieses Flugzeug dann abstürzt. Die Problematik der Krankenwagenfälle für den Bereich des vorsätzlichen Primärverhaltens diskutiert Wolter, ZStW 89 (1977), 649 (684). Auch er hält einen Verkehrsunfall für Zufall bzw. allgemeines Lebensrisiko. Den Ausschluss einer Vollendungsstrafbarkeit erreicht er dadurch, dass er als Ausgangspunkt seiner Betrachtung den Standpunkt der Versuchsbeendigung wählt. Wenn man von diesem Standpunkt mit Hilfe eines ärztlichen Sachverständigen eine objektive Prognose über die Überlebenschancen des Opfers nach Abschluss der Primärverletzungen vornehme, so könne nur Versuch in Betracht kommen, da von dieser Urteilsbasis die Rettung des Opfers ernsthaft möglich erscheine und sich der konkrete Erfolg als Zufall darstelle, vgl. Wolter, ZStW 89 (1977), 649 (690); ders., Grundfragen, S. 103 (127). Gegen vorsätzliche oder fahrlässige vollendete Tötung in diesem Fall auch Ebert, AT, S. 48 f. (Beispiel 5). Abgesehen hiervon dürfte die Situation keine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf darstellen bzw. müsste der Planverwirklichung des Täters entsprechen; siehe zu diesen Kriterien unten 11. Abschnitt, A. 76 Jakobs, Studien, S. 92 f.

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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kehrsunfall die notwendige Relation zur Ausgangsgefahr. Diese steht in keinem inneren Zusammenhang zur Gefahrschaffung – resultiert nicht aus dem Versuch der Abwendung der geschaffenen Gefahrenlage –, sondern bleibt in ihrer Erscheinung ein Produkt des gesellschaftlichen Zufalls. b) Die Inanspruchnahme von Sonderrechten (oben Fall 2) Anders ist jedoch die Fallvariante (b) zu beurteilen. Denn eine riskante Fahrt unter Missachtung von Geschwindigkeitsbegrenzungen und Rotlichtzeichen stellt keine alltägliche Integration in den Straßenverkehr mehr dar, dies belegt schon die für solche Fahrten erforderliche Ermächtigung (vgl. § 35 V a StVO). So haben Rettungswagen, die mit Blaulicht und Martinshorn im Einsatz sind, ein achtfach höheres Unfallrisiko als normale PKW.77 Der Primärtäter veranlasst daher grundsätzlich ein gesteigertes Risiko, ein Sonderrisiko, das nicht mit dem Verweis auf ein allgemeines Lebensrisiko von der Zurechnung befreien kann.78 Ob darüber hinaus ein Zurechnungsausschluss aus anderen Umständen, beispielsweise eines (groben) Fehlverhaltens des Rettungsfahrers ausgeschlossen ist, soll an dieser Stelle noch nicht geklärt werden.79 Hier gilt es nur festzustellen, dass es sich grundsätzlich um keine Gefahrensituation innerhalb des Komplexes des allgemeinen Lebensrisikos handelt.80

77 Vgl. die Presseinformation des Deutschen Feuerwehrverbandes zu Anforderungen an Rettungsfahrzeuge, abrufbar unter . 78 Von einem allgemeinen Lebensrisiko und damit einer Fall 1 entsprechenden Situation könnte man allenfalls dann sprechen, wenn der Unfall des Krankenwagens ausschließlich auf einem Fremdverschulden beruht, d.h. obwohl die Sonderrechte des § 35 V a StVO vom Fahrer des Krankenwagens genutzt werden, der Unfall von diesem jedoch in keiner Weise verschuldet wird; siehe auch Kerle, S. 132. Entsprechende Konstellationen dürften in der Praxis jedoch höchst selten sein, zumal weder die Sonderrechte des § 35 StVO noch das Wegerecht des § 38 StVO keine bedingungslose freie Fahrt ohne Rücksicht auf den übrigen Verkehr gewähren; vgl. Pießkalla, NZV 2007, 438 (439 f.). 79 Siehe dazu unten B.V.2.e). 80 So auch Schmoller, Triffterer-FS, S. 223 (239 Fn. 57); Kienapfel, ZVR 1977, 162 (164); Jakobs, AT, 7/79 Fn. 131 g; Geppert, Jura 2001, 490 (494, 495); Heinrich/Reinbacher, Jura 2005, 743 (749); Puppe, Jura 1997, 624 (626); Schliebitz, S. 99 f.; Frister, AT, 10. Kapitel, Rdnr. 23; sinngleich Derksen, S. 229 Fn. 212; Leukauf/Steininger, § 80 Rdnr. 26 und Heinrich, AT I, Rdnr. 249, die die Lösung über die Adäquanzbeurteilung suchen. Für das Zivilrecht siehe nur Coester-Waltjen, Jura 2001, 412 (413). A. A. Frisch, S. 392; Geisler, S. 307; Lukas, S. 81 f. Lewisch, Casebook, S. 111 (Nr. 219); Otto, JuS 1974, 702 (709) – für eine Zurechnung und damit gegen ein allgemeines Lebensrisiko nun aber Otto, Lampe-FS, S. 492 (507 f.); ders., SchlüchterGS, S. 77 (94).

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten IV. Lösungsmodelle des Schrifttums

Stellt sich die Schädigung als Ausfluss des allgemeinen Lebensrisikos dar, so kann – wie dargestellt – keine Zurechnung begründet werden. Die weitere Untersuchung gilt somit den Fallgruppen, die durch ein ärztliches Fehlverhalten jenseits des Feldes des allgemeinen Lebensrisikos gekennzeichnet sind – insbesondere der Kunstfehlerproblematik während der krankenhäuslichen Behandlung. Die jeweiligen Ansichten hierzu werden einzelnen Meinungsströmungen zugeordnet. 1. Grundsätzliche Ablehnung einer Zurechnung a) Donatsch Donatsch will zur Beurteilung der Zurechnungsproblematik den Vertrauensgrundsatz heranziehen. Er hält den Vertrauensgrundsatz – wie die h. M.81 – in allen menschlichen Lebensbereichen für anwendbar. Danach sei davon auszugehen, dass sich grundsätzlich jedermann pflichtgemäß verhalte. Für Donatsch ist damit nicht einzusehen, warum für die Bemessung des höchstzulässigen Risikos ein allfälliges Fehlverhalten Dritter in Rechnung gestellt werden soll.82 Diese strikte Anwendung des Vertrauensgesichtspunktes führt Donatsch zu einem umfänglichen Ausschluss der Zurechnung fehlerhaften Retterverhaltens, unabhängig davon, ob dieses als grob oder auch nur als leicht fehlerhaft zu qualifizieren ist. Für einen Kunstfehler hat dieser Ansicht nach der Primärschädiger nur dann einzustehen, wenn aus der Perspektive ex ante Anzeichen erkennbar sind, welche fehlerhaftes Drittverhalten möglich erscheinen lassen, der Vertrauensgrundsatz mithin nicht anwendbar ist.83 b) Kienapfel Auch Kienapfel, so ist er zu verstehen, will eine generelle zurechnungsausschließende Position vertreten. Zunächst stellt er zwar fest, dass der Erstverursacher prinzipiell auch für den Tod einzustehen habe, der im Zuge einer verletzungsbedingten Operation eintrete. Sodann schränkt er die so etablierte Zurechnung aber wieder ein, indem er diese Risikozurechnung für den Fall eines ärztlichen Kunstfehlers begrenzt wissen will. „Ein solcher Kunstfehler begründet ein Sonderrisiko, das das mit der Primärverletzung verbundene Risiko in der Weise überlagert, daß diese Risikosteigerung nicht dem Erstverursacher,

81 82 83

Dazu oben 1. Abschnitt, B.V. Vgl. Donatsch, S. 196. Vgl. Donatsch, S. 196.

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sondern allein dem behandelnden Arzt bzw. seinen Hilfspersonen zuzurechnen ist.“84 c) Stellungnahme Die Argumentation Donatschs ist schon aus den oben (1. Abschnitt, B.V.) dargelegten Gründen nicht haltbar. Denn für den Primärschädiger steht die Berufung auf den Vertrauensgrundsatz schon deshalb außer Frage, da bereits ein pflichtwidriges Verhalten seinerseits existiert. Bei vorhandener Sorgfaltspflichtverletzung kann dem Vertrauensgrundsatz keine darüber hinausgehende zurechnungsbeurteilende Funktion zukommen. Bei Kienapfel findet keine nähere Begründung dahin gehend statt, wodurch ein zurechnungsausschließendes Sonderrisiko – wozu er den ärztlichen Kunstfehler rechnet – gekennzeichnet sein soll. Die Argumentation Kienapfels offenbart vielmehr eine Zirkelschlüssigkeit, wenn er ein paar Zeilen später ausführt: „Für den Erstverursacher aber entfällt mangels objektiver Zurechenbarkeit des fremden Risikos schon der Tatbestand des auf diesen Erfolg abstellenden Fahrlässigkeitsdelikts, erfolgsqualifizierten Delikts bzw. Vorsatzdelikts.“85 2. Differenzierung zwischen aktivem Tun und Unterlassen des Retters a) Rudolphi Auch Rudolphi sucht die Lösung in der grundsätzlichen Heranziehung des Vertrauensgrundsatzes.86 Er differenziert folgendermaßen: Bei fehlerhaftem Retterverhalten durch aktives Tun stellt sich das Sekundärverhalten des Retters, unabhängig davon, ob es schwerer, mittlerer oder leichter Art ist, nicht mehr als Realisierung der sich bereits in der Primärverletzung verwirklichten rechtswidrigen Gefahr, sondern als die Verwirklichung der rechtlich nicht missbilligten Möglichkeit dar, dass der Unfallverletzte infolge eines pflichtwidrigen Ver-

84 Kienapfel, ZVR 1977, 162 (164). Entsprechend argumentiert Derksen, S. 230, der anscheinend jegliches „deliktisches“ Retterverhalten nicht zurechnen will, da das Primärverhalten nur das „Bindeglied zweier deliktischer Entwürfe“ darstelle, was „kein relevantes Thema der Zurechnung“ darstelle. 85 Kienapfel, ZVR 1977, 162 (164). Auch Medicus, JuS 2005, 289 (290) findet für seinen Beispielsfall – Tod des Opfers des von A verschuldeten Unfalles auf Grund ärztlichen Behandlungsfehlers – einen schnellen Lösungsweg: „Denn im Strafrecht muss sich das Verschulden des Täters regelmäßig (Ausnahme: bloße Bedingungen der Strafbarkeit) auf allle [sic] Tatbestandsmerkmale beziehen, und hierzu gehört bei § 222 StGB die Verursachung des Todes eines Menschen. In dieser Hinsicht fehlt aber eine Fahrlässigkeit des A“. Warum der Fahrlässigkeitsvorwurf entfallen soll, bleibt unbegründet. 86 Vgl. bereits oben 1. Abschnitt, B.V.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

haltens des Arztes Schäden erleidet.87 Die Eröffnung der Möglichkeit von Drittschädigungen beim Fehlen besonderer auf sie hinweisender Umstände wird, so Rudolphi, von der Rechtsordnung nicht missbilligt.88 Anders sei jedoch im Falle eines bloßen Unterlassens des Retters zu entscheiden. Hier verwirkliche sich beim Tod des Opfers die vom Täter pflichtwidrig geschaffene Gefahr und das fehlerhafte Unterlassen des Retters sei dem Primärtäter als Unrecht zuzurechnen.89 Die Zurechnung für den Bereich des Unterlassens begründet Rudolphi mit der entsprechenden Problematik bei den Vorsatzdelikten.90 Denn hätte der Täter vorsätzlich gehandelt, so könnte er Straffreiheit durch Rücktritt nur dadurch erlangen, dass er selbst oder mit Hilfe eines Arztes den Todeseintritt tatsächlich verhindere. Dass sich der Arzt selbst gegebenenfalls nach §§ 212, 13 StGB oder § 323 c StGB strafbar mache, ändere an dem Rücktrittsrisiko des § 24 StGB nichts. Was für die vorsätzlichen Delikte Rechtens ist, müsse aber auch für den Bereich der fahrlässigen Delikte gelten.91 b) Schmoller Schmoller vertritt ebenfalls die Ansicht, dass ein nachträgliches Fehlverhalten, das sich in der Nichtabwendung des Erfolgs erschöpft, die Zurechnung zum Erstverursacher generell unberührt lässt.92 Für ihn ist allein maßgeblich, inwieweit sich das Ausgangsrisiko im eingetretenen Erfolg niedergeschlagen hat.93 Konsequenterweise führt ihn dies zur Feststellung, dass selbst eine vorsätzliche bloße Nichtabwendung des Erfolgs den Zurechnungszusammenhang nicht unterbricht.94 Auch eine eventuelle Garantenstellung des nichteingreifenden Retters ändere an der Zurechnung nichts.95 In allen Fällen verwirkliche sich die im Ausgangsrisiko mitenthaltene Gefahr, dass es aus irgendeinem Grund doch nicht zur Erfolgsabwendung seitens des Dritten – aus welchen Gründen auch immer – komme.96 87

Vgl. Rudolphi, JuS 1969, 449 (556). Vgl. Rudolphi, JuS 1969, 449 (556). Zu den Einwänden gegen die Argumentation mit dem Vertrauensgesichtspunkt siehe oben 1. Abschnitt, B.V. und 2. Abschnitt, B.IV.1.c). 89 Siehe Rudolphi, JuS 1969, 449 (556); SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 74. 90 Vgl. Rudolphi, JuS 1969, 449 (556); SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 74. 91 Vgl. Rudolphi, JuS 1969, 449 (556). Auch Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 165 spricht dem Erfolgsabwendungsrisiko „Gewicht“ zu. 92 Siehe Schmoller, Triffterer-FS, S. 223 (232). 93 Vgl. Schmoller, Triffterer-FS, S. 223 (233). Sinngleich Kindhäuser, AT, § 11 Rdnr. 47. 94 Vgl. Schmoller, Triffterer-FS, S. 223 (232). 95 Übereinstimmend Reitmaier, S. 133 Fn. 545. 96 Siehe Schmoller, Triffterer-FS, S. 223 (234); Kindhäuser, AT, § 11 Rdnr. 47. So auch ausdrücklich Renzikowski, S. 109 f., da das nachfolgende Unterlassen das bereits 88

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c) Rengier Der Gruppe der Befürworter einer strikten Trennung zwischen aktivem Tun und Unterlassen ist auch Rengier zuzuordnen. Für den Bereich des aktiven Tuns nimmt Rengier eine Zweiteilung vor: Für vorsätzliches, schadensvertiefendes Drittverhalten sei der Erstverletzer niemals verantwortlich.97 Bei fahrlässigem nachträglichen Drittverhalten soll nach Rengier lediglich ein grobes Fehlverhalten die Zurechnung ausschließen, nicht aber ein leicht fahrlässiges, da dieses eine so verbreitete Erscheinung sei, dass damit immer zu rechnen sei.98 Ist das Fehlverhalten des Dritten als Unterlassen zu qualifizieren, befürwortet Rengier zwar eine grundsätzliche Zurechnung bei bloßer Nichtabwendung, schränkt aber gleichzeitig eine Haftung des Ersttäters für jedwedes Unterlassen als zu weitgehend ein. Daher differenziert er danach, ob der Dritte zur Abwendung bzw. Rettung verpflichtet ist, sei es als Garant oder gem. § 323 c StGB und die Versorgung übernommen hat. Liege eine solche Übernahme bei rechtlicher Verpflichtung vor, sei es gerechtfertigt, das Unterlassen denselben Zurechnungskriterien zu unterwerfen, wie sie für den Bereich des aktiven Tuns herausgearbeitet worden seien.99 Für den hier interessierenden Bereich des (fahrlässig) fehlerhaften Retterverhaltens ergibt sich – für das passive Retterverhalten – dann eine Zurechnung, wenn das Unterlassen ohne rechtliche Verpflichtung zur Abwendung erfolgt oder eine rechtliche Verpflichtung zur Abwendung besteht, diese aber nicht übernommen wurde oder eine rechtliche Verpflichtung zur Abwendung besteht und das Unterlassen bei übernommener Versorgung als leicht fahrlässig zu qualifizieren ist.100 im Ausgangsrisiko enthaltene Risiko, dass er Erfolg nicht von dritter Seite abgewendet wird, nicht modifiziere. 97 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 164; ähnlich Burgstaller, S. 117; ders., Jescheck-FS, S. 357 (363 f.). Der Ansicht kann in dieser kategorischen Deutlichkeit nicht zugestimmt werden. Es muss im Einzelfall darauf abgestellt werden, ob sich das Zweithandeln als willkürlich darstellt oder aber die gleiche Angriffsrichtung aufweist, vgl. zu dieser Problematik („Gnadenschuss“) oben 1. Abschnitt, B.III.2.c). Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges hat demgegenüber zwingend in folgendem Fall vorzuliegen: A veranlasst in mittelbarer Täterschaft den B zu einer Körperverletzung an C. Wenn B nun dem C zu Hilfe kommen will, daran aber von A gehindert wird und C deshalb verstirbt, so begründet die Intervention des A für diesen keine Strafbarkeit wegen § 222 oder § 227 StGB, denn die Veranlassung der Körperverletzung und die Verhinderung der Rettungsaktion stellen zwei in Realkonkurrenz stehende Taten dar, so dass der Tod des C nicht zweimal zum Ansatz gebracht werden kann; A ist vielmehr wegen Körperverletzung in Tatmehrheit mit einem vorsätzlichen Tötungsdelikt strafbar, vgl. Ingelfinger, JuS 1995, 321 (325). 98 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 164; ders., Jura 1986, 143 (144); ders., Roxin-FS, S. 811 (815). 99 Siehe Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 162. 100 In diesem Sinne versteht wohl auch Schmoller Rengier, vgl. Schmoller, Triffterer-FS, S. 223 (230 f.).

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

d) Stellungnahme Die kategorische Zurechnung im Falle pflichtwidrigen Unterlassens, wie sie Rudolphi und Schmoller proklamieren, vermag nicht zu überzeugen. Die Konsequenz der vorgeschlagenen Lösung offenbart bereits unter Ausblendung subtiler juristischer Dogmatik ihre Fragwürdigkeit. Warum soll eine Zurechnung dann ausgeschlossen sein, wenn der operierende Arzt infolge eines Konzentrationsfehlers bei einer schwerwiegenden Operation einen falschen Schnitt macht, nicht aber dann, wenn derselbe Arzt eine an sich leichte Operation aus Bequemlichkeit oder Ignoranz nicht vornimmt?101 Es ist nicht ersichtlich, inwiefern der Modus des Verhaltens des Eingreifenden das vom Primärtäter verwirklichte Unrecht bestimmen soll.102 Stellt sich das garantenpflichtwidrige Unterlassen103 des „Retters“ als vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft bewirkt dar, so wohnt diesem im Gegensatz zur fahrlässig getätigten Primärverletzung ein Angriffsmoment singulärer Art inne und muss Eingang in die normative Würdigung des Geschehens finden. Jede andere Beurteilung würde ein dem Gerechtigkeitsgefühl schlechthin widerstrebendes Ergebnis darstellen.104 Auch der Verweis auf das Rücktrittsrisiko durch Rudolphi erscheint bedenklich. Zutreffend weist Diel darauf hin, dass es schwer nachzuvollziehen ist, warum es dem Ersthandelnden zum Nachteil gereichen soll, dass der Dritte die Abwendung des Schadens unterlässt.105 Denn hat der unterlassende Dritte eine Garantenstellung inne, so sieht sich die Argumentation einem Bruch mit § 13 StGB ausgesetzt, der das Unterlassen dem aktiven Tun bei Vorliegen der genannten Kriterien gerade gleichsetzt.106 Der Verweis auf den Gedanken des § 24 StGB geht von einer Übertragbarkeit dieser Norm auf den Fahrlässigkeitsbereich aus. Problematisch hierbei ist aber, dass aus den auf Vorsatzdelikte zu-

101 Zu einem Fall vorsätzlicher Schädigung durch den behandelnden Arzt, der aus sachfremden Erwägungen eine Verlegung des Patienten verzögerte, vgl. BGH NStZ 2004, 35. 102 Siehe Tiedemann, Anfängerübung, S. 216. So auch P. Fuchs, S. 169. 103 Zu den Voraussetzungen der Garantenstellung im Hinblick auf Ärzte siehe unten Fn. 111. 104 So auch Burgstaller, S. 118: „Wenn bei einer dieser Varianten (scil.: Variante 1 = falscher Schnitt; Variante 2 = Aufschub der Operation aus Bequemlichkeit auf den nächsten Tag) die objektive Zurechnung des Todes gegenüber dem fahrlässigen Unfallverursacher zu entfallen hat, dann sicher bei der ersten [sic].“ (scil.: es muss heißen, dies lässt sich auch aus der weiteren Argumentation Burgstallers erkennen, „. . . bei der zweiten.“); ders., Jescheck-FS, S. 357 (365). Ebenso hält Puppe die Unterscheidung für allzu äußerlich, NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 252. Ablehnend auch Sch/Sch/ Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 102; Maiwald, JuS 1984, 439 (444); Lewisch, Casebook, S. 112 (Nr. 221). 105 Vgl. Diel, S. 234. 106 Siehe auch Lukas, S. 79 f.

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geschnittenen Rücktrittsvoraussetzungen schwerlich Rückschlüsse auf das Fahrlässigkeitsdelikt gezogen werden können. Denn für den Bereich der Vorsatztat ist es sicherlich angebracht, dem Täter das Risiko des von ihm vorsätzlich in die Welt gesetzten Unrechts grundsätzlich zuzuschreiben. Bei den Fahrlässigkeitsdelikten fehlt es aber an einer entsprechenden Enttäuschung der Rechtsordnung.107 Dem Fahrlässigkeitsdelikt wohnt schon keine Möglichkeit eines Versuchs inne. Die Argumentation mit dem Rücktrittsrisiko müsste daher nicht nur die fehlende Vergleichbarkeit des verwirklichten Unrechts, sondern darüber hinaus auch die entsprechende Anwendung auf eine Deliktsstruktur, der eine Versuchskonstellation fremd ist, in ihre Erläuterung miteinbeziehen. Eine derartige Auseinandersetzung erfolgt aber gerade nicht. So bleibt die Argumentation in ihrer Idee hinter einem allgemeinen Rechtsgedanken, der auch den Fahrlässigkeitsdelikten immanent ist, zurück und damit ein Sophisma.108 Der Ansicht Rengiers ist kritisch entgegenzuhalten, dass sie für eine Gleichbehandlung des Unterlassens neben der gesetzlichen Verpflichtung auch die tatsächliche Übernahme durch den Retter fordert. Dies hat die Konsequenz, dass, solange der Dritte bzw. der Retter die Versorgung nicht übernommen hat, ihm damit keine Beherrschbarkeit109 des Tatgeschehens zukommt, auch keine Verlagerung des Verantwortungsbereichs stattfinden kann. Damit sieht sich die Lösung den gleichen Bedenken ausgesetzt wie die Vorschläge von Rudolphi und Schmoller. Auswirkung hat das Modell Rengiers in den Fällen des vorsätzlichen nachträglichen Unterlassens, während in den Fällen des fahrlässigen Unterlassens schwerlich Fälle vorstellbar sind, bei welchen ein aus Garantenpflicht begründetes fahrlässiges Versäumnis ohne vorherige Übernahme in Erscheinung treten könnte. Es überzeugt nicht, warum nur im Falle der Übernahme durch den Dritten eine differenzierte Beurteilung erfolgen soll. Denn wenn es richtigerweise grundsätzlich schon keinen Unterschied machen kann, ob der Dritte den Schaden durch aktives Tun oder Unterlassen herbeiführt, kann es für das Unterlassen nicht noch weiter darauf ankommen, ob die Abwendung zuvor übernommen wurde oder nicht, zumal Rengier auch lediglich nach § 323 c StGB zur Abwendung verpflichtete Retter seinem Modell unterstellt.110 Für die Haftung aus 107 Jakobs sieht das Charakteristikum der Fahrlässigkeitstaten in der fehlenden Folgenkenntnis und der damit einhergehenden Akzeptabilität der Folgen im Tatzeitpunkt, siehe Jakobs, AT, 8/5. 108 Kritisch auch Diel, S. 233 ff.; Ferschl, S. 159. 109 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 162. 110 Demgegenüber will Rengier offenbar im Falle des vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikts auch ohne Übernahme einen Übergang der Beherrschbarkeit annehmen, da ein Garant das Geschehen in gleicher Weise beherrsche wie ein aktiver Täter, siehe Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 163. Zur Frage, ob ein vorsätzliches Un-

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

§ 323 c StGB spielt die Übernahme aber keine Rolle.111 Einem solchen Verständnis liegt der Gedanke der Ursache als Kraft und damit als Beherrschung zu Grunde. Gewiss bewirkt der Unterlassende den Erfolg nicht durch realen Krafteinsatz, doch hindert dies nicht die Feststellung, dass das Unterlassen einer bestimmten Handlung (hier die Übernahme) und der Erfolgseintritt in einem gesetzmäßigen Zusammenhang stehen.112 Schließlich wird auch sonst ersichtlich nirgends aus dem Postulat der Wirkkraft die Konsequenz gezogen, die Zurechnung auf Grund eines Unterlassens mangels Kausalität abzulehnen.113 Denn die Unterlassung als Negation einer getätigten Handlung ist naturwissenschaftlich betrachtet nicht ein Nichts, sondern als Negativum, als negative Größe zu verstehen. Die Größe liegt hier allein nicht in kinetischer Bewegungsenergie, sondern in Form der Zustandsenergie – als potentielle Energie – vor.114 Darüber hinaus stellen Tun und Unterlassen beide Organisationen für die Außenwelt dar, so dass sich auch insoweit ein Gleichlauf aufdrängt.115 Legt man dieses Verständnis zu Grunde, so kann es für die Beurteilung der Zurechnung eines pflichtwidrigen Unterlassens des Dritten zu einem Primärschädiger nicht darauf ankommen, ob bei bestehender Garantenstellung oder allgemeiner Hilfspflicht die Versorgung übernommen wurde oder nicht. Für die Zurechnung entscheidend muss vielmehr sein, ob sich im Erfolg noch das pflichtwidrige Verhalten des Primärschädigers verwirklicht, wobei die Handlungsqualität des nachfolgenden Drittverhaltens nicht allein ausschlaggebend, sondern danach zu fragen ist, ob das nachfolgende Verhalten gleichsam eine neue Angriffsrichtung aufweist, die das Fortwirken des Ausgangsrisikos überlagert.

terlassen im Rahmen des § 323 c StGB einen Angriff darstellen kann, siehe unten Fn. 294. 111 Im Fall von ärztlichem Unterlassen wird zudem, zumindest soweit es sich um Bereitschaftsärzte handelt, allein durch die Übernahme des Postens die Garantenstellung i. S. von § 13 StGB begründet, vgl. BGHSt 7, 211 (212); Sch/Sch/Stree, § 13 Rdnr. 28 a; Kühl, AT, § 18 Rdnr. 74; Kamps, S. 105; Kröger, S. 37 ff.; Blei, MayerFS, S. 119 (138, 142 f.); Stree, Mayer-FS, S. 145 (160); Otto/Brammsen, Jura 1985, 592 (595). A. A. Schünemann, Grund und Grenzen, S. 353; einschränkend auch Roxin, AT II, § 32 Rdnr. 73 ff. 112 Dazu SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 43; Puppe, GA 1994, 297 (304). 113 Siehe Puppe, Jura 1997, 408 (412); Binns, S. 100. 114 Vgl. Spendel, JZ 1973, 137 (139). Siehe auch Sofos, S. 203 Fn. 690. 115 Siehe zu diesem Gedanken Jakobs, Zurechnung, S. 38. Boldt, ZStW 68 (1956), 335 (349): „Die von der ,potentiellen Finalität‘ ausgehende Gleichstellung von Unterlassen und Handeln ist ein Vollzug der sozialen Erfahrung, daß beide in gleicher Weise die Wirklichkeit gestalten“ (Anführungszeichen im Original).

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3. Differenzierung nach dem Grad des Verschuldens a) Thesen aa) Burgstaller Während Burgstaller leicht fahrlässiges nachträgliches Fehlverhalten – aktiver und passiver Natur – stets zurechenbar hält116, konzentrieren sich seine Ausführungen auf die Konstellation des grob fahrlässigen Fehlverhaltens. Burgstaller, der die Problematik richtigerweise in den Bereich des Risikozusammenhangs verortet, ist der Ansicht, dass grobes nachträgliches Fehlverhalten ein derart großes erlebnismäßiges Gewicht erhalte, das den Zusammenhang zwischen Enderfolg und Primärtäterverhalten ganz in den Hintergrund treten lasse.117 Dann bestehe von den Zwecken des Strafrechts – generalpräventiv oder spezialpräventiv – her aber kein Bedürfnis mehr, den Enderfolg zusätzlich auch noch dem Täter des Ausgangsdelikts zuzurechnen.118 Als grob fahrlässig versteht Burgstaller einen auffallenden und ungewöhnlichen Sorgfaltsverstoß, der den Erfolgseintritt nicht bloß als entfernt möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich erwarten lässt.119 Burgstaller stellt somit mit seiner Argumentation die grobe Fahrlässigkeit dem Vorsatz gleich.120 Lewisch ergänzt die Ansicht Burgstallers für den Fall, dass mehrere Personen einzeln betrachtet nicht grob sorgfaltswidrig agieren. Dennoch soll auf Grund der Addition des leicht fahrlässigen Fehlverhaltens ein Gewicht entstehen, das in seinem Zusammenwirken derart dominiert, dass es in seiner Gesamtheit ebenso wie bei einem singulären grob fahrlässigen Fehlverhalten das Primärverhalten gänzlich in den Hintergrund drängt.121 bb) Rengier, Wolter, Cramer/Sternberg-Lieben Die Sonderbeurteilung der groben Fahrlässigkeit als zurechnungsausschließendes Quantum durch Burgstaller hat in der Literatur eine breite Gefolgschaft

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Vgl. Burgstaller, Jescheck-FS, S. 357 (364 f.). Vgl. Burgstaller, S. 119; ders., Jescheck-FS, S. 357 (365); ders., Fälle und Lösungen zum Strafrecht (hrsg. von Kienapfel), S. 110 (122). Zustimmend Fuchs, AT I, S. 103 f.; Liebscher, ZVR 1981, 87. 118 Siehe Burgstaller, S. 119; ders., Jescheck-FS, S. 357 (365). Seiler hält den Zurechnungsausschluss in Fällen des grob fahrlässigen Fehlverhaltens für die „gerechtere Lösung dieses Zurechnungsproblems“, vgl. Seiler, Wesener-FS, S. 447 (458). 119 Siehe Burgstaller, Jescheck-FS, S. 357 (365 f.). 120 So auch Deutsch für schwerste Fehler des zweitbehandelnden Arztes: lata culpa plane dolo comparabitur (Dig. 11.6.1.1) [Grobe Fahrlässigkeit steht Vorsatz gleich, vgl. Liebs, C 113; M 1], Deutsch, NJW 1989, 769. 121 Vgl. Lewisch, ZVR 1995, 98 (99). 117

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

gefunden.122 Neben Rengier123 hat sich dieser Ansicht vor allem Wolter angeschlossen. Anders als Rengier, der mit der Vorhersehbarkeit argumentiert124, bezieht sich Wolter auf den Vertrauensgrundsatz. Bei wertender Betrachtung realisiere sich nicht mehr die Gefahr des durch die Körperverletzung begründeten Todesrisikos, sondern eine andere Gefahr.125 „Mit Blick auf die strafrechtlichen Verhaltensnormen wird man auf das Ausbleiben derartig pflichtwidriger Schädigungen ausnahmslos vertrauen können. [. . .] Hinsichtlich der Herbeiführung des Todeserfolgs ist die Verantwortung auf den behandelnden Arzt übergegangen.“126 Eine entsprechende wertende Betrachtung findet sich bei Weinberger, der ausführt, durch den grob fahrlässigen Eingriff des Arztes sei der „Ablauf der Tatfolgen“ unterbrochen.127 Cramer/Sternberg-Lieben räumen zwar ein, dass ein Fehlverhalten Dritter bei der Bemühung, die vom Täter geschaffene Gefahr abzuwenden, den Täter grundsätzlich nicht entlaste, da der Erfolg erfahrungsgemäß auch erst bei der herausgeforderten Abwehr der geschaffenen Gefahr eintreten könne. Die Gefahr eines groben Behandlungsfehlers liege aber nicht mehr in der gesetzten Ausgangsgefahr, so dass eine Zurechnung unterbleiben müsse.128 b) Folgeproblem: Der Zusammenhang zwischen Enderfolg und Fehlverhalten des Retters Sieht man mit den referierten Ansichten im Fall des grob fahrlässigen Anschlussverhaltens die Zurechnung zum Primärschädiger als verdrängt an, so schließt sich die Frage an, mit welcher Gewissheit von der kausalen Verknüp-

122 Siehe nur Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 143 [damit begründet er allerdings eine Friktion zu seiner Lösung im „Gnadenschuss-Fall“ (ebd. § 11 Rdnr. 70), was auch Schumann/Schumann, Küper-FS, S. 543 (552 Fn. 55) erstaunt]; Wessels/Hettinger, BT 1, Rdnr. 304 (für § 227 StGB); Stree, JZ 1983, 75 (76); Hirsch, JR 1983, 78 (82); Bacher, S. 64; Ebert, AT, S. 51 (Beispiel 14); für aktives Fehlverhalten zustimmend Reitmaier, S. 132 f. Auf dem Gebiet des Zivilrechts nimmt insbesondere Larenz, AT, § 27 III.4. eine Abwägung nach dem Grad des Verschuldens vor. 123 Siehe oben B.IV.2.c). 124 Ebenso LK/Jähnke, § 222 Rdnr. 9 sowie Lukas, S. 217. 125 Vgl. Wolter, Zurechnung, S. 347; (knapp) ders., GA 1984, 443 (444). Jüngst scheint Wolter aber auch der Argumentation des OLG Stuttgart, das sich gegen eine Differenzierung nach dem Quantum des Fehlverhaltens ausspricht, offen gegenüber zu stehen, vgl. Wolter, Schroeder-FS, S. 431 (insbesondere 436); siehe auch oben Fn. 43. 126 Wolter, Zurechnung, S. 347 (Hervorhebung im Original). Ähnlich Jakobs, AT, 7/ 55, der hochgradiges unvernünftiges Fehlverhalten als Exzess betrachtet, auf dessen ausbleiben man vertrauen dürfe. 127 Siehe Weinberger, S. 165. 128 Vgl. Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rdnr. 169. Sinngleich Sch/Sch/ Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 102. Auch nach Krey, AT 1, Rdnr. 300 liegt ein grob fahrlässiges ärztliches Fehlverhalten außerhalb des Verletzungsrisikos.

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fung des schädigenden Zweitverhaltens mit dem Enderfolg für einen Zurechnungsausschluss zum Primärschädiger auszugehen bzw. in welcher Weise ein non liquet zu beurteilen ist.129 aa) Äquivalenzgedanke Denkbar wäre zunächst der Rückgriff auf die Äquivalenztheorie, womit auch sonst die Beziehung eines Kausalzusammenhangs geklärt wird. Dann müsste bei Wegdenken des nachträglichen ärztlichen Fehlverhaltens der Enderfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen. In diesem Sinn argumentiert der OGH.130 Indessen begegnet diese Betrachtung Bedenken. Während im Rahmen der Erfolgszurechnung das Erfordernis einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit des Täterverhaltens zum Erfolg im Fall eines non liquet dem Täter zugute kommt, würde es sich hier gerade entgegengesetzt verhalten. Hier würde ein Äquivalenzerfordernis dazu führen, dass Schwierigkeiten, einen Kausalzusammenhang zwischen dem ärztlichen Fehlverhalten und dem Enderfolg als unzweifelhaft zu erweisen, notwendigerweise zu Lasten des Primärschädigers gehen würden. Das Misslingen des geforderten Nachweises bedeutet stets, dass der Enderfolg dem Primärschädiger zugerechnet werden muss, da ein kausales grob fahrlässiges Fehlverhalten unter dieser Voraussetzung keine Zäsurwirkung entfalten kann.131 bb) In dubio pro reo Im Gegenzug könnte man geneigt sein, bereits die – auf konkrete Anhaltspunkte gestützte – Möglichkeit, dass der Enderfolg ohne das nachträgliche grob fahrlässige Verhalten nicht eingetreten wäre, als ausreichend zu erachten und zu Gunsten des Primärschädigers einen Zurechnungsausschluss zu erheben.132 Insoweit würde gewissermaßen ein Gleichlauf zum Institut der hypothetischen

129 Das Recht der unerlaubten Handlung kann freilich § 830 I 2 BGB heranziehen, vgl. zu einem derartigen Fall, bei dem der bei einem Verkehrsunfall Verletzte beim anschließenden Transport ins Krankenhaus erneut einen Verkehrsunfall erlitt und sich nicht mehr klären ließ, inwieweit der Schaden von dem einen oder von dem anderen der für die Unfälle Verantwortlichen verursacht worden ist, BGHZ 55, 86; siehe auch OLG Koblenz MedR 2006, 61. 130 Vgl. OGH SSt 51/25 (S. 110); OGH EvBl 1987, 505 (506). 131 Hierzu Burgstaller, Jescheck-FS, S. 357 (369 f.); P. Fuchs, S. 184. 132 In diesem Sinn Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 169 in Bezug auf Opferverhalten. So auch das Erstgericht in der in ZVR 1977, 340 mitgeteilten Entscheidung für ärztliches Unterlassen. Kritisch Reitmaier, S. 133 Fn. 548.

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Einwilligung133 vorliegen. Im Strafprozess ist hinsichtlich der „Kausalität des Aufklärungsfehlers“ dort in dubio pro reo davon auszugehen, dass die Einwilligung auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung erfolgt wäre.134 cc) Vermutung der Kausalbeziehung Burgstaller135 hält die Zurechnungseinschränkung, wie sie sich aus der Heranziehung des in-dubio-pro-reo-Gedankens ergibt, als zu weitreichend.136 Er ist der Ansicht, dass die Annahme einer kausalen Beziehung zwischen dem Fehlverhalten des Arztes und dem Enderfolg dann gerechtfertigt sei, wenn die Kausalbeziehung zwar zu vermuten, aber nicht sicher sei. Ohne nachträgliches Fehlverhalten hätte der Erfolg wahrscheinlich unterbleiben müssen.137 Denn in diesem Fall, so Burgstaller, sei das Risiko für den Erfolg bereits sozialpsychologisch immens dominant. Mit einer einfachen Wahrscheinlichkeit will sich auch Fuchs jedenfalls in den Fällen der groben Fahrlässigkeit begnügen.138 So sehr der Vorschlag Burgstallers um Präzisierung bemüht ist, so wenig wird er Nutzen für die Praxis bringen. Wie soll der konkrete Unterschied zwischen einer nicht ganz sicheren zu einer doch (überwiegend) wahrscheinlichen Kausalbeziehung zu bestimmen sein? Welches Maß an Gewissheit soll für eine zu vermutende Wahrscheinlichkeit genügen?139 Nicht überzeugend ist des Weiteren der Vorschlag Fuchs’, in den Fällen grober Fahrlässigkeit eine einfache Wahrscheinlichkeit ausreichen zu lassen, denn die Frage des ursächlichen Zusammenhangs ist von naturalistischer Bedeutung und kann damit nicht aus dem Gewicht des Fehlverhaltens bestimmt werden. dd) Wahrscheinlichkeitsquote von mindestens 50% Ferschl140 will sich für die Frage nicht mit einer bloßen Wahrscheinlichkeit zufriedengeben. Sie schlägt vor, eine kausale Beziehung bei einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 50 % anzunehmen. Bei dieser Quote werde sicherge133 Die Figur der hypothetischen Einwilligung begegnet freilich im Hinblick auf das Simultaneitätsprinzip gravierenden Bedenken. 134 Siehe nur Ulsenheimer, Arztstrafrecht, § 1 Rdnr. 132. 135 Burgstaller, Jescheck-FS, S. 357 (370). 136 Vgl. Burgstaller, Jescheck-FS, S. 357 (370). 137 Vgl. WK/Burgstaller, § 6 Rdnr. 72. Zustimmend Triffterer, AT, S. 153; P. Fuchs, S. 185; Kerle, S. 82. 138 Siehe Fuchs, AT I, S. 103 f. 139 Die fehlende Präzisierung der Formel auch hervorhebend Reitmaier, S. 134, die im Ergebnis aber dennoch dem Modell zustimmt. 140 Ferschl, S. 172. Ferschl bezieht ihre These auf dazwischentretende Ereignisse im Rahmen der Körperverletzung mit Todesfolge, vgl. näher unten 10. Abschnitt, A.III.10.

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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stellt, dass das dazwischentretende Ereignis mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für den Erfolg verantwortlich sei. Ferschl begründet ihre Argumentation damit, dass es um eine „umgekehrte Risikoerhöhung“ gehe, nämlich zu Gunsten des Täters, hierfür sei eine strengere Handhabung als die Angabe einer reinen Wahrscheinlichkeit erforderlich.141 Indessen begegnet auch die Angabe einer konkreten Mindestwahrscheinlichkeit Bedenken. Eine solche prozentuale Quote wird sich schwerlich aus einem nie in absoluten Kriterien sprechenden Sachverständigengutachten entnehmen lassen.142 Vielmehr wird sich aus der retrospektiv auszusprechenden Prognose kraft Natur der Sache gerade die Angabe einer konkreten (Mindest-)Wahrscheinlichkeit unter Wahrung der Seriosität des Sachverständigen verbieten.143 Letztlich wird man es daher in Übereinstimmung mit den in Fn. 132 genannten Autoren unter dem in-dubio-pro-reo-Gesichtspunkt für ausreichend zu erachten haben, bereits die begründete Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen der Zweitschädigung und dem fehlerhaften Retterverhalten – je nach dem anzulegenden Quantum des Fehlverhaltens – als Freistellung für den Primärschädiger anzusehen.144 c) Stellungnahme Um die nach dem Grad des Verschuldens differenzierenden Ansichten beurteilen zu können, erscheint es erforderlich, sich zunächst ein Bild von der Begrifflichkeit des groben Behandlungsfehlers zu machen. Burgstaller liefert mit seiner Argumentation zwar eine kurze Umschreibung, doch begnügt er sich mit einer Wahrscheinlichkeitsbetrachtung.145 Nach Stef141 M. E. versteht Ferschl Burgstaller falsch, wenn sie der Ansicht ist, Burgstaller proklamiere schon bei einer Wahrscheinlichkeit von unter 50% eine kausale Beziehung zwischen nachträglichem Fehlverhalten und Erfolg. Denn wenn Burgstaller von einer zu vermutenden Wahrscheinlichkeit spricht, kann er damit schwerlich eine Wahrscheinlichkeit von unter 50% meinen. Im Gegenteil wird Burgstaller, so verstehe ich ihn, sogar eine weit höhere Wahrscheinlichkeit als 50% für erforderlich halten. Lewisch, der die Beurteilung Burgstallers heranzieht, sieht jedenfalls eine Wahrscheinlichkeit von 30% nicht für ausreichend an, vgl. Lewisch, Casebook, S. 106 (Nr. 204). 142 Dazu Mitterdorfer, S. 13. 143 Vgl. Burgstaller, Jescheck-FS, S. 357 (369). 144 Siehe auch Kirschner, S. 62 Fn. 216. 145 Harsche Kritik übt deswegen Diel, S. 230. Ihr Einwand, die Unbestimmtheit des Begriffs des groben Behandlungsfehlers trage die Gefahr in sich, dass die Bestrafung des Primärtäters dadurch zum Spielball des jeweiligen politischen Kalküls und damit völlig willkürlich werde, ist unzutreffend. Die Begrifflichkeit des groben Behandlungsfehlers hat in der (zivilrechtlichen) Rechtsprechung im Einklang mit der medizinischen Entwicklung über Jahrzehnte durchaus eine diffizile dogmatische Ausarbeitung erfahren, dazu siehe sogleich unten. Die Problematik dürfte eher darin liegen, den entsprechenden Sachverhalt in die Kategorisierung eines leichten bzw. mittleren oder

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

fen/Dressler146 kommen für einen groben Behandlungsfehler vor allem Verstöße gegen elementare Behandlungsregeln, gegen elementare Erkenntnisse der Medizin und Fehler, die aus objektiv ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich sind, weil sie einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfen, in Frage.147 Für den Bereich den Unterlassens ist darunter ein grundloses Nichtanwenden einer Standardmethode zur Bekämpfung bekannter Risiken zu verstehen.148 In jedem Fall verbietet sich allerdings eine punktuelle Betrachtung, die alleine auf den Verstoß gegen die Erkenntnisse und Erfahrungen der Medizin gerichtet ist. Vielmehr ist eine ganzheitliche Beurteilung der Gesamtumstände des Falles vorzunehmen, die ein an sich grobes Fehlverhalten möglicherweise in einem „milderen Licht“ erscheinen lassen kann.149 Beispielhaft werden für grob fahrlässiges Fehlverhalten bei Leukauf/Steininger genannt: Transfusion mit Blut unverträglicher Blutgruppen, falscher Anschluss an Narkosegeräte und das Zurücklassen chirurgischer Instrumente und Hilfsmittel im Körper.150 Für den Bereich des Unterlassens können die bei Ulsenheimer genannten Beispiele angeführt werden, etwa das Unterlassen eindeutig gebotener und möglicher Diagnoseuntersuchungen oder das Verlassen des Patienten nach einer Operation, bevor dessen Atemstörung behoben oder die Verantwortung von einem ebenso kompetenten Arzt übernommen worden ist.151 Die genannten Beispiele können allerdings nicht alleine der Kategorie des groben Behandlungsfehlers zugeschrieben werden, sondern gehen zumindest zum Teil – etwa das Zurücklassen von Operationsinstrumenten oder auch die hier ergänzend zu nennende Verabreichung eines kontraindizierten Medikaments – in den Bereich der von der zivilrechtlichen Judikatur erhobenen Klassifizierung des gröblichsten Behandlungsfehlers über. Hierzu ist auch der von Jäger gebildete Fall zu rechnen, bei welchem der behandelnde Arzt zur Einrenkung der Schulter ein Muskelrelexanz spritzt, dabei aber übersieht, dass eine Beatmung des Patienten zwingend erforderlich ist, da auch die Atemmuskulatur durch das Medikament erschlafft.152 aber eines groben Behandlungsfehlers konkret einzuordnen. Dieser wertungsmäßigen Schwierigkeit kann dadurch begegnet werden, dass für die Beurteilung der Haftungsfrage des Primärschädigers die eindeutiger zu subsumierende Kategorie eines gröblichsten Behandlungsfehlers herangezogen wird, wie es insbesondere durch die zivilrechtliche Rechtsprechung erhoben wird. Zur Zäsurwirkung eines gröblichsten nachträglichen Fehlverhaltens in zurechnungsrelevanter Weise bzw. als Aspekt der Vorhersehbarkeit siehe ausführlich unten B.V.2.f). 146 Steffen/Dressler, Rdnr. 519 ff. 147 Vgl. Steffen/Dressler, Rdnr. 522 m.w. N.; siehe auch BGH NJW 1998, 814 (815); Th/P/Reichold, Vorbem § 284 Rdnr. 32. 148 Siehe OLG Köln NJW-RR 1992, 474. 149 Siehe Ulsenheimer, Arztstrafrecht, § 1 Rdnr. 29. 150 Vgl. Leukauf/Steininger, § 88 Rdnr. 19. 151 Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht, § 1 Rdnr. 30 mit umfassenden Nachweisen.

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Das von Burgstaller eingebrachte Kriterium des großen erlebnismäßigen Gewichts des nachträglichen Fehlverhaltens vermag indessen die Zurechnungsfrage nicht zu klären. Denn das Konstrukt setzt an der falschen Stelle an. Dogmatisch weist das Modell Burgstallers eine auffallende Nähe zur Übergewichtstheorie Bindings153 und zur Lehre von der wirksamsten Bedingung von Birkmeyers154 auf. Danach soll Ursache im Sinne des Strafrechts diejenige sein, welche mehr als die übrigen Bedingungen zur Hervorbringung des Erfolges beigetragen hat155, bzw. Ursache ist nur die menschliche Tätigkeit, die den zum Erfolg hinwirkenden Kräften das Übergewicht über die abhaltenden gewährt156. Zu Recht wird diesem Verständnis entgegengehalten, dass die Lehre dort nicht passt, wo ein Ringen dieser Art nicht stattfindet und dass sie unbillig ist, wo das Übergewicht von einer an sich geringfügigen Bedingung herbeigeführt wird. „Ringt der eine Retter mit dem Mörder, entwindet der andere diesem den Revolver, und löst sich in seiner Hand dabei ein Schuß, der den Angefallenen tötet, so wäre die alleinige Haftung des zweiten Retters unbillig, auch wenn ihn grobe Fahrlässigkeit treffen sollte.“157 Maßt man dem Zweithandeln erlebnismäßiges Gewicht zu, so impliziert dies lediglich, dass dieses Verhalten als gravierende Störung der Rechtsordnung verstanden wird und seinerseits eine Sorgfaltspflichtverletzung darstellt. Gefragt werden muss aber nicht danach, ob neben dem Täter noch ein Dritter (erlebnismäßig erheblich) für den Erfolg verantwortlich ist, sondern danach, ob sich das gesetzte Ausgangsrisiko im eingetretenen Erfolg niedergeschlagen hat. Den Bezugspunkt der Beurteilung muss also die Ausgangsgefahr bilden.158 Der Verweis auf ein fehlendes Strafbedürfnis des Primärverursachers ist kein Zurech152

Vgl. Jäger, AT, Rdnr. 42. Vgl. Binding, Normen 1, S. 116. 154 Vgl. von Birkmeyer, GerS 37 (1885), 257 ff. Zur sozialrechtlichen Sicht siehe bereits oben 1. Abschnitt, Fn. 89. 155 Siehe von Birkmeyer, GerS 37 (1885), 257 (272). 156 Siehe Binding, Normen 1, S. 116. Die Übereinstimmung seines Modells mit der Lehre Bindings hebt von Birkmeyer selbst hervor, vgl. von Birkmeyer, GerS 37 (1885), 257 (274). 157 Heinrich Lange, AcP 156 (1957), 114 (122 Fn. 50). Zur Beurteilung ungewollter Auswirkungen erforderlicher Nothilfemaßnahmen siehe unten 14. Abschnitt, B.I.4. 158 In diesem Sinn Schmoller, Triffterer-FS, S. 223 (232 f.); Namias, S. 163. NK/ Puppe, Vor § 13 Rdnr. 253: „Der Satz, nur den relativ Schlimmsten beißen die Hunde, ist ebensowenig gerecht, wie der, nur den Letzten beißen die Hunde“; das entspreche weder den Notwendigkeiten der Gefahrenbekämpfung in einer hochkomplexen Industriegesellschaft, noch der Praxis unserer Rechtsprechung, vgl. NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 163. Da auf das Fortwirken der Ausgangsgefahr abzustellen ist, geht die Kritik Diels, S. 229 insoweit fehl, als sie hervorhebt, dass § 15 StGB keine Abstufung in irgendwelche Fahrlässigkeitsgrade enthalte. Ob das nachträgliche Fehlverhalten verschiedenen Graden der Fahrlässigkeit zugewiesen werden darf, ist für das hier interessierende Fortwirken der geschaffenen Ausgangsgefahr durch das Primärverhalten nicht ausschlaggebend. 153

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

nungsaspekt159, ebenso wenig die von Wolter angedachte Lösung über den Vertrauensgrundsatz160. Des Weiteren lässt sich mit einem Quantum des erlebnismäßigen Gewichts keine logische Zurechnungsbeurteilung vornehmen. Zum einen hat jedes kausale Verhalten, welches bis zum Erfolg fortwirkt, schon aus diesem Grund ein erlebnismäßiges Gewicht.161 Zum anderen führt eine entsprechende Abwägung der Gewichte in anderen Konstellationen zu untragbaren Ergebnissen: Angenommen, beide Erfolgsverursacher handeln grob fahrlässig, so entsteht eine Pattsituation, bei der unter Ablehnung einer „doppelten“ Erfolgszurechnung die Straflosigkeit beider Beteiligter die Folge sein müsste.162 Oder umgekehrt könnte sich der Zweitverursacher durch ein überwiegendes Verschulden des Erstverursachers entlasten, dies würde den Zweitverursacher de facto von der Sorgfaltspflicht freistellen.163 Der schlichte Verweis auf ein überwiegendes Verschulden des Zweitverursachers ist damit als untauglich anzusehen. Notwendig wäre vielmehr die Angabe eines Kriteriums, wann eine Gefahr dieselbe und wann sie eine andere ist.164 Erblickt man dieses Kriterium aber in der Schwere 159 Siehe zur dahingehenden Kritik bereits oben 1. Abschnitt, B.III.2.b). Zustimmend aber Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 143. 160 Der Vertrauensgrundsatz dient lediglich der Bestimmung der Sorgfaltspflicht, siehe ausführlich oben 1. Abschnitt, B.V. 161 Siehe Diel, S. 228. 162 Vgl. Wehrle, S. 99 Fn. 39 (Anführungszeichen im Original). Das nachträgliche Fehlverhalten müsste, um ein höheres erlebnismäßiges Gewicht zu erlangen, ein vorsätzliches sein; vgl. den Gedanken von Schmoller, Triffterer-FS, S. 223 (233 Fn. 38). Dagegen will Lewisch, Casebook, S. 105 f. (Nr. 203) für den Zurechnungszusammenhang alleine auf die Schwere des nachträglichen Fehlverhaltens abstellen, unabhängig davon, ob die Primärschädigung fahrlässig oder vorsätzlich erfolgte – dann fragt sich aber, an welchem Maßstab die Prämisse des „erlebnismäßigen Gewichts“ zu erheben ist, wenn der Grad der Primärschädigung für diese Beurteilung gerade außen vor bleiben soll. Daher will auch Larenz, AT, § 27 III.4. den Verantwortungsgrad des Erstschädigers in seine haftungsrechtliche Beurteilung miteinbeziehen: „Bei der Abwägung der Verantwortungsgrade sollte auch der Grad des Verschuldens des Erstschädigers eine Rolle spielen. Wer vorsätzlich einen anderen körperlich verletzt, sollte ihm auch für solche Folgeschäden einstehen, die erst aus einer grob fahrlässig falschen ärztlichen Behandlung entstehen“; in diese Richtung geht auch die englische Zivilrechtsprechung, vgl. Lüer, S. 152. Ebenso will P. Fuchs den Verschuldensgrad des Erstverursachers der Quantität des nachträglichen Fehlverhaltens gegenüberstellen – eine Unterbrechung des strafrechtlichen Risikozusammenhanges liege jedenfalls dann vor, wenn das nachträgliche Fehlverhalten die Schwelle der „normalen“ Fahrlässigkeit nicht überschreite und die Primärschädigung ihrerseits nicht durch ein grob pflichtwidriges Fehlverhalten begründet worden sei; vgl. P. Fuchs, S. 180 ff. Auch Kerle will den Unrechtsgehalt der Primärtat als wesentliches Element der Zurechnungsbeurteilung ansehen: Handelt es sich um eine fahrlässige Primärschädigung soll bereits ein leicht fahrlässiges nachträgliches Fehlverhalten entlasten; handelt der Primärtäter vorsätzlich, so entlastet ihn ein grob fahrlässiges Anschlussverhalten des Dritten; vgl. Kerle, S. 82. 163 Vgl. NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 253. 164 Vgl. Maiwald, JuS 1984, 439 (442 Fn. 20).

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des Kunstfehlers, so ist kein zusätzlicher Gesichtspunkt gewonnen.165 Nicht zuletzt begibt man sich mit einer „Gefahrenquantifizierung“ auf ein Feld, das jede richterliche Wertung offenlässt.166 4. Das Kriterium der Steuerbarkeit bei Otto Im Gegensatz zum Beherrschbarkeitskriterium, wie es von den Verfechtern des modernen Regressverbots vorgebracht wird167, erkennt Otto, dass es keine absolute Herrschaft über einen Geschehensablauf – insbesondere bei den Fahrlässigkeitsdelikten – geben kann.168 Dennoch will auch er das Kriterium der Ursächlichkeit durch ein Kriterium der Steuerbarkeit des Geschehens ersetzten. Die Steuerbarkeit will er durch die „Schaffung oder Vergrößerung einer Gefahrensituation für ein tatbestandlich geschütztes Rechtsgut, aus der sich die Rechtsgutverletzung als Realisierung der begründeten Gefahr selbständig entwickelt“169, verstanden wissen. Die Steuerungsmöglichkeit des ursprünglich Tätigen ende dort, wo eine andere Person – im Rechtsinne frei – das Geschehen bewusst ihren eigenen Plänen gemäß gestalte oder den zuvor Handelnden aus dem Einflussbereich auf das Risiko ausschließe. Ob der ursprünglich Tätige das Eingreifen des Nachfolgers vermutet habe oder nicht, sei gleichgültig, solange er keinen Einfluss auf den Willen des Nachfolgers ausgeübt habe.170 Den Bezugspunkt seiner Betrachtung bildet somit nicht der Enderfolg, sondern die Steuerbarkeit des vom Täter in Gang gesetzten Kausalverlaufs, mithin des Verhaltens, für welches er auf Grund einer Sorgfaltspflichtverletzung verantwortlich ist. Der Bereich des steuerbaren Verhaltens ist weiter als der des bewusst gesteuerten Verhaltens, da das bewusst gesteuerte Verhalten im konkreten Fall nur einen Teilbereich des steuerbaren Verhaltens erfassen kann.171 Konsequenterweise führt dies Otto zu einer ablehnenden Haltung im sog. „GnadenschussFall“ 172. Unlängst wurde das Prinzip der Steuerbarkeit von Hilgendorf aufgegriffen, der, ebenfalls Vertreter dieses Prinzips, eine Abgrenzung nach supervenienten und nicht supervenienten Folgen vornehmen will.173 Soll das Strafrecht generalpräventiv wirken, dann muss sich die Verantwortlichkeit des Täters auf solche 165

Vgl. Maiwald, JuS 1984, 439 (442 Fn. 20). Siehe Holzer/Posch/Schick/Schick, S. 120. 167 Siehe oben 1. Abschnitt, B.III.2.b). 168 Vgl. Otto, AT, § 6 Rdnr. 45; ders., Lampe-FS, S. 492 (499 f.); ders., Übungen, S. 195. 169 Otto, Maurach-FS, S. 91 (101) (Hervorhebungen im Original). 170 Vgl. Otto, Maurach-FS, S. 91 (97). 171 Vgl. Otto, Lampe-FS, S. 492 (500). 172 Siehe oben 1. Abschnitt, B.III.2.c). 173 Vgl. Hilgendorf, Weber-FS, S. 33 (46). 166

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Folgen beschränken, die er nicht nur voraussehen, sondern auch grundsätzlich steuern konnte; bei einem hinzukommenden174, nicht einmal ungefähr steuerbaren Verhalten, mache die Subsumtion unter eine strafrechtliche Verbotsnorm keinen Sinn.175 Für die Fälle eines nachträglichen ärztlichen Fehlverhaltens führt dies Otto zu folgender Ansicht: Zunächst hebt er hervor, dass auch dann, wenn durch den Dritten eine neue Gefahr begründet wurde, es nicht möglich sei, die Verantwortung automatisch dem Letztverursacher zuzuweisen.176 „Der Erstverursacher trägt danach die Verantwortung für Rechtsgutsbeeinträchtigungen, die sich erst durch ein anknüpfendes pflichtwidriges oder pflichtgemäßes Verhalten Dritter realisieren, die aber bereits in der Erstgefährdung angelegt waren und durch deren Verbot auch vermieden werden sollten.“177 Die Grenze für die Realisierung der Ausgangsgefahr soll ein hinzukommendes grob pflicht- oder sachwidriges Verhalten Dritter begründen.178 Denn in diesem Fall sei die spätere Gefahr die relevante, da das Verhalten nicht mehr als Versuch der Gefahrenabwehr anzusehen sei, sondern außerhalb des durch die Typik der Gefahr gesteckten Rahmens der Ausgangsgefahr liege.179 Dagegen soll ein ärztliches Fehlverhalten leichten oder mittleren Grades – unabhängig, ob durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen bewirkt – die Zurechnung nicht ausschließen, da sich hier eine Gefahr realisiere, die in jener Rettungshandlung angelegt sei, in die der Ersttäter den Zweittäter versetzt habe.180 Das Vorgehen Ottos sieht sich grundlegenden Bedenken ausgesetzt.181 In den Fällen des fehlerhaften Arztverhaltens wird deutlich, dass das von Otto etablierte System der Steuerbarkeit aufgeweicht wird und seine Stringenz verliert. So muss sich Otto in diesen Fällen mit einer „Wertung“182 begnügen. Es lässt sich bei Zugrundelegung der Steuerbarkeit nicht nachvollziehen, warum diese im Falle eines leichten Kunstfehlers gegeben sein soll, es im Falle eines grob 174

Supervenire (lat.: hinzukommen). Siehe Hilgendorf, Weber-FS, S. 33 (46). 176 Vgl. Otto, AT, § 6 Rdnr. 50. 177 Otto, AT, § 6 Rdnr. 50. 178 Siehe Otto, AT6, § 6 Rdnr. 58; ders., Wolff-FS, S. 395 (409); ders., Jura 1992, 90 (98); ders., JuS 1974, 702 (709); ders., Schlüchter-GS, S. 77 (94). 179 Vgl. Otto, Jura 1992, 90 (98). 180 Vgl. Otto, Wolff-FS, S. 395 (409). Entsprechend will Otto in den Fällen eines vorsätzlichen Unterlassens Dritter unter den Voraussetzungen des § 13 I StGB keinen Zurechnungsausschluss anerkennen, da die Haftung des Ersttäters nicht unter dem Vorbehalt des Nichteingreifen Dritter stehe und der Zweittäter den in eine bestimmte Weise festgesetzten Geschehensablauf gerade nicht ändere. Es gehe nicht um die normative Gleichwertigkeit verschiedener Verhaltensweisen, sondern um die reale Steuerung des Geschehens; vgl. Otto, Lampe-FS, S. 491 (505); ders., AT, § 6 Rdnr. 57. 181 Kritisch insbesondere Renzikowski, S. 206. 182 Otto, AT6, § 6 Rdnr. 58; ders., Jura 1992, 90 (98). 175

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fahrlässigen Kunstfehlers aber an der Rückführbarkeit des Geschehens auf den Primärtäter fehlen soll. Die ärztliche Tätigkeit ist gleichsam in beiden Fällen auf die Abwehr der Gefahr gerichtet und damit entweder für den Primärtäter nicht mehr steuerbar oder aber gerade in der Ausgangsgefahr angelegt. Den Bereich der Gefahrenabwehr würde das nachfolgende Verhalten erst überschreiten, wenn dem geschädigten Rechtsgut in Verletzungsabsicht gegenübergetreten wird – dann sieht sich das Opfer einer neuen Angriffsrichtung ausgesetzt. 5. Die Zuordnung zu Verantwortungsbereichen Eine andere Meinungsgruppe sucht die Lösung in der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen zu finden. Soweit der ärztliche Eingriff das Ausgangsrisiko verändert183, sieht Renzikowski den Verhaltensmaßstab des Arztes dadurch gekennzeichnet, dass dieser zur Beachtung der Grundsätze der ärztlichen Kunst unabhängig davon verpflichtet sei, ob die Verletzung des Patienten auf einer Naturursache oder einem deliktischen Verhalten beruhe.184 Renzikowski, der die Problematik im Zusammenhang mit der fahrlässigen mittelbaren Täterschaft behandelt, geht davon aus, dass der Hintermann den Zurechnungsdefekt entweder selbst herbeiführen müsse oder zumindest einen Beitrag zu einem bereits defektbehafteten Verhalten zu leisten habe.185 Damit gelangt er – ausdrücklich unabhängig von einem etwaigen Vertrauensgesichtspunkt – zu der Annahme, dass das Fehlverhalten des Arztes nicht als Fehler des Primärschädigers angesehen werden könne.186 Der Sichtweise liegt somit der Gedanke der Trennung von Verantwortungsbereichen zu Grunde.187 Bei der hier untersuchten Zurechnungsproblematik geht es aber nicht darum, inwieweit einem Primärschädiger das Verhalten des Zweitschädigers in irgendeinem Sinne als sein Unrecht zuzurechnen ist188, sondern es fragt sich, ob die geschaffene Ausgangsgefahr als Unrecht des Primärschädigers bis zum Erfolg fortwirkt.189 Wenn in dieser Arbeit die Rede von der Zurechnung fehlerhaften Retterverhaltens ist, so ist eben dieser Fortwirkungsaspekt im Rahmen der Risi183 Fehlt es hieran, dann nimmt Renzikowski das Weiterwirken des geschaffenen Risikos an. Die fehlerhafte Rettungsbemühung schaffe kein zusätzliches Risiko, vgl. Renzikowski, S. 110. 184 Vgl. Renzikowski, S. 271. 185 Vgl. Renzikowski, S. 269. 186 Renzikowski, S. 269: „Der Fehler des Arztes ist nicht auch sein Fehler“ (Hervorhebung vom Verfasser). Ähnlich argumentiert Koriath, Zurechnung 1994, S. 458 mit dem Verweis auf die „normalsprachliche“ Verwendung von Begrifflichkeiten. 187 In diese Richtung auch Köhler, AT, S. 196. 188 Siehe in diesem Zusammenhang Puppe, Jura 1998, 21 (26); dies., ZIS 2007, 247 (248 f.); Otto, Wolff-FS, S. 395 (406). 189 Dies ist ein universeller Aspekt. Auch bei der Zurechnung kollektiven Verhaltens zu einem Individuum muss es sich – unabhängig von dem zu Grunde gelegten

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koverwirklichung gemeint. Dann ist aber nicht nachvollziehbar, warum der Primärschädiger bereits dadurch frei werden soll, dass andere bei dem Versuch, die Primärgefahr abzuwenden, fehlerhaft handeln.190 Mit dem Übergang in einen anderen, mit Fehlern belasteten Verantwortungsbereich, wird nicht gleichsam die geschaffene Gefahr in ihrem Fortwirken obsolet.191 Daher nimmt auch Jakobs, der gleichfalls das Sozialleben nach Risikosphären untergliedert, eine Einschränkung vor. Zwar durchlaufe der vom Primärschädiger verletzte Patient mit der ärztlichen Behandlung eine weitere Risikosphäre, doch stelle diese Behandlung eine weitere normative Garantie dahin dar, dass ein bestimmter Schadensverlauf ausbleibe. Bewerte das Recht den Schutz eines Rechtsguts durch mehrere Personen für sinnvoll, so könne eine Verlagerung des Verantwortungsbereichs erst dann stattfinden, wenn der Zweitschädiger die Rolle verlasse, die er zu erfüllen habe.192 Jakobs wählt hierfür das Quantum des „hochgradig unvernünftigen Verhaltens“193, womit er wohl den gleichen Maßstab wie Burgstaller für die Zäsurwirkung zu Grunde legt.194 6. Die Trennung von der Unerlaubtheit des Erst- und des Zweitrisikos bei Namias Eine Sonderposition zur Lösung der Zweitschadensfälle nimmt Namias ein. Er will den Vertrauensgrundsatz nicht nur auf die Bestimmung der sorgfaltsgemäßen Handlung an sich beschränkt wissen195, sondern vertritt eine Ausdehnung auch auf den Bereich der Erfolgszurechnung, um nicht dem Prinzip des versari in re illicita zu verfallen.196 Maßstab für die Beurteilung der Zurechnung bildet für Namias die Frage, ob sich die realisierende Gefahr – abstrakt betrachtet197 – als erheblich oder unerModell (vgl. hierzu Vogel, Cahiers de défense sociale 2002, 151) – immer um auf das Individuum rückführbare individuelle Verantwortlichkeit handeln. 190 So auch Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 102. Siehe auch Namavic|v ius, JA 2007, 190 (193 f.). 191 Siehe auch Haft, AT, S. 57 der in diesen Fällen gleichfalls die Zurechnungsbegrenzung durch das Verantwortungsprinzip nicht heranzieht, da der Arzt in seiner Entscheidung zu helfen nicht frei sei, so dass es bei den allgemeinen Grundsätzen der Gefahrverwirklichung verbleibe. 192 Vgl. Jakobs, AT, 7/55. Siehe auch C. Hübner, S. 221 f. 193 Jakobs, AT, 7/55. 194 Vgl. Jakobs, AT, 7/55 Fn. 100. 195 Siehe oben 1. Abschnitt, B.V. 196 Vgl. Namias, S. 112 f. Siehe zur Ansicht Rudolphis oben B.IV.2.a). Rudolphi differenziert allerdings weitergehend zwischen Tun und Unterlassen. 197 Diesen Aspekt hebt Namias deutlich als wesentliches Differenzierungskriterium zu der von Frisch proklamierten Lösung über das Verhaltensunrecht – abhängig vom konkreten Einzelfall – hervor; vgl. insbesondere Namias, S. 126 Fn. 135, S. 173.

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heblich für die „Lebensplanung“ qualifizieren lässt.198 Die Handlung des Täters muss auch mit dem zweiten Erfolg, d.h. dem nachträglichen Fehlverhalten in Beziehung gesetzt werden, auf diesen Erfolg muss sich der Informationsstand des Täters beziehen.199 Nur in diesem Fall könne die Sorgfaltsnorm als Einschränkung der Handlungsfreiheit gerechtfertigt werden. Erheblich für die Lebensplanung sind nach Namias Umstände, die erkennbar in dem Enderfolg ihren Niederschlag finden können und zum Zeitpunkt der Primärhandlung bereits vorhanden sind – dies entzieht dem Täter die Vertrauensgrundlage. Wenn die sich im Zweitschaden realisierende Gefahrenlage durch das zufällige Mitwirken eines zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlung nicht vorhandenen Umstandes komplettiert werde, dann entscheide sich die Erheblichkeit für die Lebensplanung nach der Art des mitwirkenden Umstands – diese sei dann gegeben, wenn der Umstand entweder häufig auftrete oder wenn es zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlung Indizien gäbe, die auf die Mitwirkung des Umstands hingewiesen haben würden.200 Namias bezieht seine exemplarische Falldarstellung lediglich auf die Kategorie der Folgeschäden, nicht auf die hier interessierenden Zweitschäden.201 Konsequenterweise müsste er aber folgendermaßen zu verstehen sein: Das Hinzutreten eines ärztlichen Kunstfehlers stellt einen zum Zeitpunkt der Primärhandlung noch nicht komplettierten Umstand dar202. Fraglich ist daher, ob der Rechtsgenosse auf das Ausbleiben dieses Umstands vertrauen durfte. Bei einem leichten Behandlungsfehler wird man aber davon ausgehen können, dass er nicht ungewöhnlich ist und häufiger auftritt. Damit dürfte er für die Lebensplanung erheblich sein. Bei einem groben ärztlichen Kunstfehler wird dies wohl so nicht angenommen werden können. Da für sein Hinzutreten zum Zeitpunkt der Primärhandlung keine konkreten Indizien bestanden, wird man ihn nicht als erheblich für die Lebensplanung ansehen und damit nicht zurechnen können. Die Systematik Namias ist kritisch zu würdigen. Zwar ist Namias in seiner Kritik an Frisch zu folgen203, doch sein dahingehender Vorwurf, die Ableitung der Unerlaubtheit des Zweitrisikos aus dem Erstschaden stelle ein versari in re illicita dar, vermag nicht zu überzeugen. Ein „Risiko-Splitting“204 dahin, dass der per se festgestellte Verstoß gegen die Sorgfaltsnorm seine Legitimation im Hinblick auf den konkreten Kausalverlauf nur dann erhalte, wenn er auch im Bezug auf den Zweiterfolg als abstrakte Sorgfaltspflichtverletzung bestimmt 198 199 200 201 202 203 204

Vgl. Namias, S. 173. Siehe Namias, S. 172. Siehe Namias, S. 174. Zur Differenzierung siehe oben 2. Abschnitt, B.I. Vgl. Namias, S. 164. Vgl. oben 1. Abschnitt, B.VI.2. NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 251.

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werden könne, stellt eine gleichsam schizophrene Aufspaltung des Täterverhaltens dar. Zu Recht führt Puppe205 an, dass das Zweitrisiko nicht ohne das Erstrisiko besteht, das Erstrisiko bilde die Ursache des Zweitrisikos.206 Bei der strafrechtlichen Zurechnung kann es nur darum gehen, die Haftung des Täters für Folgen, die aus dem gesetzten und missbilligten Erstrisiko erwachsen, zu beurteilen, nicht aber ist es angebracht, ein bereits im Risikozusammenhang stehendes Verhalten durch einen anderen Bezugspunkt seiner normverstoßenden Wirkung wieder zu entkleiden. Die Begrenzung der Zurechnung gründet in einer Beschränkung der Haftung, nicht aber in einer – über die fehlende Erfolgszurechnung vermittelten – Ausweitung der Handlungsfreiheit. 7. Differenzierende Lösungen a) Schünemann Schünemann lehnt eine strikte Trennung nach der Schwere des Kunstfehlers ab.207 Seine Differenzierung geht dahin, die Fälle, in denen sich das vom Ersttäter geschaffene Risiko im Erfolg verwirklicht, von den Fällen des allgemeinen Lebensrisikos abzugrenzen. Diese Sichtweise führt Schünemann zu einem sehr weit verstandenen Feld des allgemeinen Lebensrisikos. Nach Schünemann soll sich bei einem fehlerhaften Arztverhalten stets das spezifische, vom Ersttäter zu verantwortende Risiko auswirken, wenn die Behandlung durch eine lebensgefährliche Verletzung bedingt ist. In diesem Fall sei auch ein grober Kunstfehler zuzurechnen. Etwas anderes soll dann gelten, wenn die Operation nach einer nicht lebensgefährlichen Verletzung durchgeführt wird: „Hier wird auf der Basis des allgemeinen Lebensrisikos eine neue, vom Ersttäter nicht mehr zu verantwortende Gefahr begründet, so dass selbst bei einem unverschuldeten Narkosezwischenfall mit Todesfolge keine Zurechnung an den Ersttäter stattfindet“208. Die Sonderbehandlung der lebensgefährlichen Behandlung bei Schünemann lässt sich mit dem Gedanken des Bedingungsquantums bei Jakobs in Bezug auf den Schadensverlauf in Verbindung setzen. Jakobs ist der Ansicht, dass dann, wenn der Bedingungszusammenhang perfekt ist, d.h. schon eine hinreichende Quantität aufweist, alles, was noch hinzukommt, für die Risikoverwirklichung 205

NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 251. Das erkennt auch Namias, zieht daraus jedoch die falsche Schlussfolgerung. Namias, S. 111 (Hervorhebung im Original): „In Folgeschaden-Fällen, bei denen der Erstschaden immer ein notwendiges Durchgangsstadium des Folgeschadens ist, kann man praktisch die zweite von der ersten Gefahr nicht isolieren. Untersucht man aber die in Betracht kommende Handlung nur im Hinblick auf diese zweite Gefahr, dann fehlt es im Falle, daß die im Folgeschaden sich realisierende Gefahr eine fernliegende ist, schon an einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung.“ 207 Siehe Schünemann, JA 1975, 715 (719). 208 Schünemann, JA 1975, 715 (719). 206

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irrelevant ist.209 Übertragen wir diese Prämisse auf unseren Fall der lebensgefährlichen Verletzung, so könnte man geneigt sein, davon auszugehen, dass auf Grund der lebensgefährlichen Verletzung der Tod ohne die Vornahme einer ärztlichen Behandlung bereits perfekt ist – das (grob) fehlerhafte Arztverhalten würde dann nur noch eine bloße Variation des Risikos, einen Austausch des Risikos darstellen.210 Beachtlich an der Sichtweise Schünemanns ist der differenzierte Blick auf das vom Ersttäter geschaffene Risiko. Erstmalig hebt Schünemann hervor, dass bei Schaffung einer lebensgefährlichen Verletzung auch ein grober Kunstfehler der Möglichkeit einer Zurechnung nicht kategorisch entgegenstehen muss. Den Schwachpunkt an der Ansicht Schünemanns stellt allerdings die Überdehnung des Bereichs des allgemeinen Lebensrisikos dar.211 Sich nach einer schuldhaften Verletzung in ärztliche Behandlung zu begeben kann nicht als stets latent wirkende Gefahr unseres Alltags betrachtet werden.212 Um ein allgemeines Lebensrisiko würde es sich nur dann handeln, wenn sich der Geschädigte jederzeit, also ohne Vermittlung durch die Handlung des Ersttäters, einer solchen Operation unterzogen hätte. Dies ist nicht der Fall, denn eine Operation hegt eine Gefährdungsschwelle213, die weit über der der allgemeinen Teilnahme am Straßenverkehr liegt. Mit gewissen Komplikationen ist stets zu rechnen. Darüber hinaus steht schon die tatbestandliche Qualifizierung einer Operation als Körperverletzung durch die Rechtsprechung, die ihre Rechtfertigung durch Einwilligung findet, dem Verständnis der Subsumtion unter das allgemeine Lebensrisiko entgegen.

209 Vgl. Jakobs, Lackner-FS, S. 53 (68). Entsprechend People vs. Saaverda-Rodriguez 971 P.2d 223 (Colo. 1998): „Defendant is not relieved of liability, even in the face of grossly negligent medical treatment, if the original wound likely have been fatal without the treatment. If the wound inflicted upon the victim would probably not have been fatal, but the victim dies as a result of the physician’s grossly negligent treatment, the physician’s gross negligence is an intervening act that relieves the defendant of criminal liability for the death“ (Hervorhebung vom Verfasser). In diese Richtung auch eine ältere Entscheidung des Kentucky Court of Appeals, vgl. Kirschner, S. 62 f. 210 So jedenfalls die Auffassung des Appellationsrichters in der in GA 4 (1856), 565 mitgeteilten Entscheidung des Preußischen Ober-Tribunals. Ablehnend Preußisches Ober-Tribunal ebd. S. 567 sowie Goltdammer, GA 15 (1867), 15 (20), die jeweils eine Unterbrechung des Ursachenzusammenhangs proklamieren. Für Goltdammer resultiert die Unterbrechung in einer dazwischengeschalteten freien – da vom Ersthandelnden nicht täuschungsbedingt herbeigeführten – Handlung des Dritten (vgl. zum Regressverbot Goltdammers oben 1. Abschnitt, B.III.1.). 211 Auch bei Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 142 findet sich eine dahingehende Argumentation: „. . ., so müsste man schon die Zuziehung von Ärzten prinzipiell als fahrlässig ansehen. Das wäre natürlich abwegig“. 212 In diesem Sinn auch Puppe, Jura 1998, 21 (25). 213 Vgl. Mädrich, S. 43.

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b) Maiwald Speziell für den Bereich eines fehlerhaften, unbewussten ärztlichen Fehlverhaltens etabliert Maiwald die Begrifflichkeit der Blindheit. Bezogen auf das Verhältnis zum Verhalten des Primärschädigers geht Maiwald davon aus, dass das nachträgliche Fehlverhalten jedenfalls für den Ersttäter insofern beherrschbar ist, als das unbewusste Fehlverhalten nicht als freie Entscheidung gegen rechtliche Normen, sondern als blind in dem Sinne zu bezeichnen ist, dass der Retter sich nicht der möglichen Konsequenzen seines Verhaltens bewusst ist.214 Maiwald stellt selbst fest, dass mit diesem Verständnis noch nicht die Zurechnung zum Ersttäter hinreichend begründet wird, denn auch der Ersttäter handelt – unbewusste Fahrlässigkeit seines pflichtwidrigen Verhaltens vorausgesetzt – blind im Hinblick auf den Erfolg.215 Aus diesem Grund ergänzt Maiwald sein Prinzip durch das System von der Kumulation zweier Fahrlässigkeiten. Das Primärverhalten addiere sich mit dem nachträglichen Fehlverhalten, so dass von einer Kumulation, nicht von einer Alternativität auszugehen sei. Maiwald will dies nicht als (scil.: fahrlässige) Mittäterschaft verstanden wissen, sondern als Teilverantwortlichkeit.216, bei der aus der Sicht des Opfers es gerade das Zusammenwirken der beiden Fehlerquellen ist, das den schädlichen Erfolg herbeiführt. Legt man dieses Verständnis zu Grunde, so ist es folgerichtig, dem Maß des hinzutretenden Fehlverhaltens keine entscheidende Bedeutung zukommen zu lassen. Nach Maiwald gilt für den Fall des Hinzutretens einer groben Fahrlässigkeit des Retters: „Sie unterscheidet sich von der leichten und ,mittleren‘ Fahrlässigkeit nur graduell: Unter dem hier entscheidenden Blickwinkel der Blindheit im Hinblick auf den Erfolg ist jedenfalls bei unbewusster Fahrlässigkeit keine andere Betrachtung angebracht“217. Zu bemängeln an der Sichtweise Maiwalds ist die fehlende Herleitung und inhaltliche Kennzeichnung des Aspekts der Teilverantwortlichkeit. Maiwald will von solch einer Teilverantwortlichkeit bereits dann ausgehen, wenn die fahrlässig Handelnden nicht Mittäter gem. § 25 II StGB sind. Durch diese Herabsetzung umgeht Maiwald gleichsam die Auseinandersetzung mit der konstruktiven Möglichkeit einer fahrlässigen Mittäterschaft. Auf der anderen Seite stellt sich natürlich die Frage, was denn eine Teilverantwortlichkeit im Sinne Maiwalds darstellen soll, wenn nicht eine fahrlässige Mittäterschaft. Denn will man sich nicht zur fahrlässigen Mittäterschaft bekennen, so kann Maiwald m. E. nur in dem Sinne verstanden werden, dass er dem jeweils fahrlässig Handelnden den exkulpierenden Verweis auf das ohnehin fahrlässige Verhalten seines Gegenübers verwehren will. 214 215 216 217

Vgl. Maiwald, JuS 1984, 439 (441). Vgl. Maiwald, JuS 1984, 439 (441). Vgl. Maiwald, JuS 1984, 439 (441). Maiwald, JuS 1984, 439 (442) (Anführungszeichen im Original).

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Mit solch einem Verfahren ließe sich tatsächlich eine Dogmatik erstellen, mit der man auch ohne eine fahrlässige Mittäterschaft beispielsweise Fälle pflichtwidriger Gremienentscheidungen einer Zurechnung zugänglich machen könnte, indem man dem jeweils pflichtwidrig handelnden Stimmberechtigten beim Zusammentreffen mit anderem218 pflichtwidrigen Stimmverhalten den Verweis auf das rechtmäßige Alternativverhalten versagt.219 Hierin liegt aber auch ein entscheidender Unterschied zu den Fällen eines nachträglichen fehlerhaften Retterverhaltens. Während bei einer Gremienentscheidung die Abstimmung durch die Mitglieder als ein einheitlicher Akt anzusehen ist, handelt es sich bei anschließendem Retterverhalten um ein zeitlich gestuftes Geschehen. Man kann hier dem Primärtäter denknotwendig nicht den Verweis auf das rechtmäßige Alternativverhalten versagen und dadurch eine Zurechnung begründen, denn das Retterverhalten ist gerade durch das nicht rechtmäßige Primärverhalten bedingt. c) Frisch Bei Frisch findet sich eine umfangreiche und diffizile Behandlung der Problematik, wobei er das Problem in den Bereich des Handlungsunrechts als der Frage nach der rechtlichen Missbilligung des tatbestandlichen Verhaltens verortet.220 Grundlegend für die Ansicht Frischs ist die Differenzierung nach handlungsunspezifischen – d.h. überschießenden – und handlungsspezifischen Behandlungsfolgen.221 Wenden wir uns zunächst der Fallgruppe zu, die Frisch der Gruppe der handlungsunspezifischen Folgen zurechnet. Charakteristikum dieser Fälle ist, dass die durch den ärztlichen Kunstfehler herbeigeführte Folge über das hinausgeht, was ohne die ärztliche Behandlung zu erwarten war.222 Frisch will diese 218 Anders freilich bei fehlerhaftem Verhalten des Opfers, vgl. BGHSt 11, 1. Die sog. „Vermeidbarkeitstheorie“ (vgl. Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 99 a) bildet demnach keinen Freibrief für Spekulationen jeglicher Art und beliebige Hypothesenbildung; das Hinzutreten eines Dritten bzw. Ersatztäters stellt jedenfalls eine unbeachtliche Ersatzbedingung (siehe nur Frisch, S. 565) bzw. eine „unabhängige Risikobeziehung“ [so Schatz, NStZ 2003, 581 (585)] dar. 219 In den Gremiumsfällen liegt regelmäßig keine kumulative oder alternative Kausalität vor, siehe Weißer, S. 109 ff.; Deutscher/Körner, wistra 1996, 327 (333 f.). 220 Die kritische Auseinandersetzung mit diesem Standpunkt findet sich oben 1. Abschnitt, B.VI.2. Frisch hält seine eigene Systematik allerdings nicht immer konsequent durch, wie Hendrik Schneider aufdeckt; vgl. Hendrik Schneider, S. 208 i.V. m. Fn. 253, 254, S. 210 Fn. 257, S. 213. 221 Siehe Frisch, S. 425. 222 Für das Zivilrecht sind hierzu zu nennen: BGHZ 25, 86 und BGH NJW 1963, 1671. Der BGH stellt hier fest, dass die Behandlungsfolge in einem inneren Zusammenhang mit der Unfallverletzung stehen muss (BGHZ 25, 87 [90]) bzw. das Risiko innerhalb des Gefahrenfeldes liegen muss, auf das der Verletzte wider seines Willens durch den Unfall verbracht worden ist (BGH NJW 1963, 1871 [1872]).

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Gruppe der überschießenden Behandlungsfolgen dem Feld des allgemeinen Lebensrisikos zuweisen, da es mit dem Ansehen des institutionalisierten Gesundheitswesens schwer zu vereinbaren sei, wollte man schon in der Herbeiführung einer Operationssituation einen wegen der Gefahr ärztlicher Kunstfehler prinzipiell missbilligten Akt sehen.223 Die Einbeziehung dieses Risikos in die Verbotsnorm komme wegen der Andersartigkeit der Setzung der statistischen Gefahr, durch einen ärztlichen Kunstfehler betroffen zu werden, von vornherein nicht in Betracht.224 Eine ähnliche Sichtweise liegt der Ansicht Schmollers zu Grunde, der bei entsprechend gravierendem Fehlverhalten des Arztes dann keine Zurechnung mehr vornehmen möchte, wenn das Fehlverhalten ebenso für Objekte gefährlich ist, die sich zuvor noch nicht in einer besonderen Gefahrenlage befunden haben, so dass im Einzelfall der Umstand, dass gerade ein Objekt betroffen war, das vom Primärtäter zuvor in eine Gefahrenlage gebracht wurde, im Wesentlichen als „Zufall“ erscheint.225 Während für Frisch bei einer lebensgefährlichen Verletzung der Weg zu einer handlungsunspezifischen Folge versperrt ist, müsste Schmoller bei entsprechend gravierendem Fehlverhalten auch hier von „Zufall“ für den Betroffenen sprechen – ein schwerlich nachvollziehbares Ergebnis, denn ein gesunder Mensch wird wohl niemals einer entsprechenden Situation ausgesetzt sein, denn er ist schließlich gesund. Das Risiko, einem (schweren) ärztlichen Fehlverhalten zu erliegen, kann nicht isoliert einer abstrakten Betrachtung zugeführt und damit dem Zufall unterstellt werden, sondern ist durchaus ein situationsspezifischer Aspekt, der gerade bei schweren Verletzungen einzutreten vermag. Die Gruppe der Fälle, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der ärztliche Kunstfehler zur Nichtabwendung einer Folge führt, die bereits durch die Verletzungshandlung angelegt war, in Richtung auf diese Folge also bereits eine aufweisbare Gefahr bestand – von Frisch als handlungsspezifische Folgen bezeichnet –, wird bei ihm in vier Konstellationen unterteilt: (a) Das Unterlassen der Rettungskräfte, (b) Fehler bei der Abwendung durch die Rettungskräfte, (c) Verdrängung der vom Täter geschaffenen Gefahr und (d) Fehlbehandlung nach be-

223 Vgl. Frisch, S. 426. In einem entsprechenden Sinn verstehe ich Derksen, S. 235 f., der die „Scheidelinie der Zurechnung“ danach ausrichten will, ob sich der Schadensverlauf aus „der primären Schädigung oder aus dem Schutzbetrieb abrufbarer Folgenbegrenzung“ erklären lässt; „Weiterungen, die aus dem tolerierten Risiko der verfügbaren Gefahrabwendungseinrichtungen entstehen, sind nicht dem Täter zurechenbar, weil der Schadensverlauf sich aus normgemäßen gesellschaftlichen Prozessen erklären läßt [. . .], nur das Selbstverständnis der nicht risikofreien Sozialwelt verdeutlicht“ (Hervorhebungen im Original). 224 Vgl. Frisch, S. 427. 225 Vgl. Schmoller, Triffterer-FS, S. 223 (236).

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reits behobener Gefahr. Im Folgenden sollen die einzelnen Fallgruppen näher untersucht werden. (a) Für das Unterlassen von Rettungsmaßnahmen hält Frisch eine Zurechnung generell für erforderlich. Denn die Verbotsnorm umfasse auch die Gefahr bzw. das Risiko, dass die vom Täter durch seine Verletzungshandlung geschaffene Gefahr nicht mehr erfolgreich entkräftet werde.226 Das ärztliche Unterlassen – und zwar auch ein vorsätzliches – hebe nicht die Möglichkeit einer Verdeutlichung des Sinngehalts des Gefährdungsverbots auf, sondern gebe nur Anlass, auch weitere Normsinngehalte (Pflicht des Arztes) zu verdeutlichen.227 Für Frisch gibt es somit keinen vernünftigen Grund, jemanden etwas zu gestatten und damit seine Handlungsfreiheit zu erweitern, was nur durch Inpflichtnahme Dritter und durch gewisse Belastungen des Opfers wieder ausräumbar ist.228 Insoweit stimmt die Lösung Frischs mit dem von Rudolphi begründeten Modell überein. (b) Unterlaufen dem Arzt Fehler bei der Abwendung der vom Täter geschaffenen Gefahr, so stellt dies in Bezug auf handlungsspezifische Folgen kein allgemeines Lebensrisiko dar. Um Missverständnissen vorzubeugen, grenzt Frisch diese Fallgruppe von der der handlungsunspezifischen Behandlungsfehler ab. Im Gegensatz zu diesen Fällen bilde hier der Kunstfehler keine eigenständige Gefahr, die neben die vom Täter gesetzte Gefahr trete.229 Ebenso wie im Fall unvermeidbarer Behandlungsrisiken stelle auch das Risiko einer fehlerhaften Behandlung im Zuge der Gefahrenabwendung ein Rest-Risiko dar, das noch als vom Täter geschaffenes missbilligtes Risiko anzusehen sei.230 „Ein Teilaspekt der Gefahr, daß der durch die Handlung des Täters angelegte Tod (oder die sonstige schwere Folge) nicht mehr abgewendet wird, liegt auch in der angesichts menschlicher Fehlsamkeit gar nicht zu leugnenden Möglichkeit begründet, daß es zu Abwendemaßnahmen kommt, die mehr oder weniger unvollständig oder fehlerhaft sind und deshalb gegen das vom Täter geschaffene Risiko nichts ausrichten.“231 Damit gelangt Frisch auch zu einer grundsätzlichen Zurechnung grob fahrlässigen Fehlverhaltens. Im Gegensatz zur Meinungsgruppe, die die Zurechnung auf leicht fahrlässiges Fehlverhalten begrenzen will, ermöglicht die Differenzierung nach handlungsspezifischen und handlungsunspezifischen Behandlungsfolgen eine differenziertere Betrachtung. Denn einerseits greift die grundsätzliche Zurechnung leicht fahrlässigen Fehlverhaltens zu weit, wenn dieses nämlich auf keiner 226 227 228 229 230 231

Vgl. Frisch, S. 431. Vgl. Frisch, S. 432. Vgl. Frisch, S. 432 Fn. 204. Siehe Frisch, S. 434. Vgl. Frisch, S. 434 f. Frisch, S. 435 (Hervorhebung vom Verfasser).

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

handlungsspezifischen Behandlung beruht, auf der anderen Seite wird die Grenze zu eng gesteckt, nämlich auch bei grober Fahrlässigkeit verwirklicht sich ein vom Täter angelegtes (Rest-)Risiko, soweit nur eine handlungsspezifische Folge im Raume steht.232 Diese differenzierte Sichtweise ist eine der grundlegenden Errungenschaften der Dogmatik Frischs. (c) Vor diesem Hintergrund erschließen sich die weiteren von Frisch behandelten Fallgruppen. Eine Variation bzw. Verdrängung der vom Täter geschaffenen Gefahr sieht Frisch dann, wenn das Handeln des Täters nur den Anlass und die Gelegenheit zu einer eigenständigen fremden Risikoschaffung bildet, die geeignet ist, das vom Täter gesetzte Risiko nicht „zum Zuge“233 kommen zu lassen. Frisch führt beispielhaft einen falschen Schnitt, der zum Verbluten führt, an. Gleiches soll gelten, wenn ein Medikament verabreicht wird, das kontraindiziert ist und deswegen den Tod herbeiführt oder es infolge eines Narkosefehlers zum irreversiblen Herzstillstand kommt.234 Auch eine Konstellation, die einem Strafbefehl des AG Leutkirch235 zu Grunde lag, dürfte in diese Fallgruppe einzuordnen sein: Die Angeklagte236 hatte schuldhaft einen Verkehrsunfall verursacht. Der Geschädigte erlitt eine Beckenfraktur und einen offenen Wadenbeinbruch am linken Bein. Im Krankenhaus verstarb der Geschädigte, da die behandelnden Ärzte nicht ausreichend berücksichtigten, dass er Marcumarpatient (Marcumar ist ein blutverdünnendes Medikament) war.237 Charakteristikum der genannten Fälle ist, dass es sich zwar um eine handlungsspezifische Folge handelt, aber das vom Täter geschaffene Risiko durch die fehlerhaften ärztlichen Maßnahmen gleichsam „überholt“238 wird. Nach Frisch handelt es sich daher nicht mehr um ein Teilmoment der vom Täter geschaffenen missbilligten Gefahr.239 Ein auf die ultima ratio beschränktes Strafrecht könne den hier auftauchenden Gefahren nicht durch das rigorose Verbot von im Einzelfall gar nicht mit einem aufweisbaren Risiko belasteten Auslöseoder Förderungsaktionen, sondern nur durch entsprechende Anforderungen an die jeweilige Tätigkeit selbst entgegentreten.240

232

Vgl. Frisch, S. 443. Frisch, S. 437. 234 Vgl. Frisch, S. 437. Übereinstimmend Geisler, S. 317. 235 AG Leutkirch v. 20.11.2003 – Cs 33 Js 21146/02 (rechtskräftig seit 13.12.2003 – unveröffentlicht). 236 Der Erlass des Strafbefehls steht der Eröffnung des Hauptverfahrens gleich, siehe Schmehl/Vollmer, S. 151. 237 Das Gericht lehnte aus diesem Grund ohne jegliche Problematisierung die Zurechnung des Todes ab. 238 Frisch, S. 437. Für Ausprägung des allgemeinen Lebensrisikos in diesem Fall Ebert, AT, S. 53 (Beispiel 20). 239 Vgl. Frisch, S. 438. 240 Vgl. Frisch, S. 438 f. 233

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(d) Ist die vom Täter gesetzte Gefahr bereits behoben und tritt dann infolge einer Fehlbehandlung der Tod des Patienten ein, so ist nach Frisch der Kreis der missbilligten Risikoschaffung „gesprengt“241. Für solche Risiken gelte dasselbe wie im Fall der Behebung von körperlichen Beeinträchtigungen, die von vornherein nicht lebensgefährlich seien und nur auf Grund ärztlichen Versehens zum Tode des Opfers führen würden. Die anfangs gegebene, inzwischen aber beseitigte unmittelbare Lebensgefahr ist hier für die Bewertung bedeutungslos. Es handelt sich um ein weiteres Risiko, das neben dem ursprünglichen Risiko steht.242 In Zweifelsfällen muss nach Frisch unter Heranziehung des in dubio pro reo Grundsatzes davon ausgegangen werden, dass das ursprüngliche Risiko bereits gebannt war.243 Die Ausführungen Frischs stellen ohne Zweifel eine Bereicherung für die Diskussion der Zurechnung fehlerhaften Retterverhaltens dar. Dennoch kann Frisch nicht in allen Punkten zugestimmt werden. Bedenken begegnet zunächst das zu weite Verständnis des Umfangs des allgemeinen Lebensrisikos. Die Subsumtion handlungsunspezifischer Behandlungsfolgen unter das allgemeine Lebensrisiko geht ebenso wie bei Schünemann244 fehl. Eine Person einem operativen Eingriff auszusetzen, kann nicht mehr als latente Gefahr des Alltags verstanden werden. Einen Arzt zur Behandlung hinzuzuziehen, stellt zwar einen erlaubten Zustand dar245, daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass dadurch, dass in einem Kausalverlauf ein erlaubtes Verhalten vorkommt, auch der Zustand, in dem dieses Verhalten vorgenommen wird, als Ganzes zum Erlaubten und damit zum allgemeinen Lebensrisiko wird.246 Wichtig ist, sich klarzumachen, dass dann, wenn die Rechtsordnung zur Bekämpfung bereits vorhandener Gefahren riskantes Verhalten erlaubt oder gar gebietet, sie damit aber noch nicht diese Gefahren selbst erlaubt.247 Die Lösung muss vielmehr innerhalb des Risikozusammenhanges des vom Täter geschaffenen Risikos mit dem Erfolg gesucht werden. Dabei bietet sich die Frage nach einem inneren Zusammenhang, wie sie sich bereits bei BGHZ 25, 86 findet, als Kriterium an.248 Auch die Ausführungen zum Unterlassen der Rettungsmaßnahmen überzeugen nicht. Die Bedenken, die gegen eine generelle Zurechnung in diesem Fall 241

Frisch, S. 440. Siehe Frisch, S. 440. Sinngleich Kindhäuser, AT, § 11 Rdnr. 54. 243 Vgl. Frisch, S. 441. 244 Siehe oben B.IV.7.a). 245 Insoweit liegt Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 142 richtig. 246 Dazu Puppe, Jura 1998, 21 (24). 247 Vgl. Puppe, Jura 1998, 21 (24). 248 Mit dem Erfordernis eines inneren Zusammenhanges beschäftigt sich auch Larenz, NJW 1958, 627. 242

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

sprechen, wurden bereits oben unter B.IV.2.d) dargelegt. Fernerhin wird noch zu untersuchen sein, inwieweit eine abweichende Beurteilung der Fallgruppe der Variation bzw. Verdrängung der vom Täter geschaffenen Gefahr vorzunehmen ist. d) Puppe Puppe zieht zur Lösung der Zurechnungsproblematik die von ihr entwickelte genetische Kausalerklärung heran.249 Im Kern nimmt auch sie eine Differenzierung zwischen handlungsspezifischen und handlungsunspezifischen Behandlungsfolgen vor, scheidet handlungsunspezifische Behandlungsfolgen aber nicht über das allgemeine Lebensrisiko, sondern mit Hilfe der ihr eigenen Kausalerklärung aus. Mittel der Kausalerklärung Puppes ist die Zerlegung des tatsächlichen Kausalverlaufs in seine einzelnen Zwischenursachen. Für das Zurechnungselement muss eine genetisch auf das Täterverhalten rückführbare Kausalkette gegeben sein. Das Täterverhalten muss gleichsam mit seinen unerlaubten Eigenschaften mit dem Erfolgseintritt derart verknüpft sein, dass jedes Glied dieser Kette ein unerlaubtes Element enthält.250 Diese lückenlose Kette unerlaubter Eigenschaften will Puppe mit dem Ausdruck des Durchgängigkeitserfordernis bezeichnen.251 An diesem Durchgängigkeitserfordernis fehlt es, wenn der Kausalverlauf, nachdem er in unerlaubter Weise angestoßen worden ist, in einen erlaubten Kausalverlauf übergeht, denn dann wird das Täterverhalten nicht mehr zwingend benötigt, um den Erfolg zu erklären. Tritt zu irgendeinem Zeitpunkt ein erlaubter Zustand, d.h. eine Gefahr des allgemeinen Lebensrisikos ein, so spielt es für die Nicht-Zurechnung des Erfolges zum Primärtäter keine Rolle, wenn die Gefahr erneut in eine unerlaubte (scil.: durch die fehlerhafte Behandlung) übergeht.252 Bezogen auf ärztliche Kunstfehler ergibt sich folgendes Bild: Angenommen, das durch den Primärschädiger verletzte Unfallopfer wird mit einer schweren Schädelverletzung ins Krankenhaus eingeliefert, wobei der behandelnde Arzt 249

Siehe zur inhaltlichen Dogmatik ausführlich oben 1. Abschnitt, A.IV. Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 105; dies., Jura 1997, 624 (625). 251 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 105. 252 Siehe NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 237; dies., Erfolgszurechnung, S. 104 ff.; dies., Jura 1997, 624 (628). Namias kritisiert an diesem Verfahren, dass Puppe den Umfang des Begriffs des erlaubten Risikos mit jenem des allgemeinen Lebensrisikos gleichstellt. Das allgemeine Lebensrisiko sei aber nur ein leicht feststellbarer Sonderfall der Oberkategorie des erlaubten Risikos. Daher könne mit dem Durchgängigkeitserfordernis auch nur eine Aussage im einfachen Fall der Mitwirkung eines allgemeinen Lebensrisikos getroffen werden, vgl. Namias, S. 109 f. Mir erschließt sich die Kritik Namias nicht, denn zum einen ist nicht erkennbar, warum man die Begriffe nicht gleichsetzen können soll, zum anderen handelt es sich nur um eine Begrifflichkeit, die der normativ zu Grunde liegenden Wertung keine andere Bedeutung verleiht. 250

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bei der lebensrettenden Operation fahrlässig eine Hirnader verletzt, was zu einer tödlichen Hirnblutung führt. Prüft man nun die Durchgängigkeit der Sorgfaltspflichtverletzung hin zum Erfolg, so lässt sich feststellen, dass die Unachtsamkeit des Primärschädigers notwendiger Bestandteil der kausalen Erklärung der Unfallkollision ist (1. Glied), die Kollision erklärt die Schädelverletzung (2. Glied), die Schädelverletzung die gefährliche Operation (3. Glied) und der Kunstfehler erklärt den schließlichen Tod (4. Glied). Man könnte fragen, ob Zweifel an der Durchgängigkeit darin begründet sind, dass von dem Zeitpunkt an, in dem der Patient der Behandlung durch den Arzt anvertraut wird, die Sorgfaltspflichtverletzung, sprich das Unfallgeschehen, nicht mehr zur Erklärung des Todes notwendig sein könnte. Hierbei ist allerdings zu bedenken, dass das vom Erstschädiger pflichtwidrig geschaffene Risiko den Grund dafür bildet, dass der Patient dem Zweitrisiko, der gefährlichen Operation, überhaupt ausgesetzt wurde. Nur um der unerlaubten Lebensgefahr willen, die der Unfallverursacher mit der Schädelverletzung herbeigeführt hat, ist der Arzt berechtigt und vielleicht auch verpflichtet, im Gehirn des Patienten mit einem Skalpell zu arbeiten. Damit erweist sich die kausale Erklärung des Zweitschadens von der Sorgfaltspflichtverletzung des Erstschädigers an als eine Kette unerlaubter Zustände, das Durchgängigkeitserfordernis ist erfüllt.253 Als Gegenbeispiel führt Puppe den Fall an, dass der das Unfallopfer untersuchende Arzt einen Dauerschaden entdeckt, beispielsweise einen Leistenbruch. Er rät dem Patienten, auch diesen bei dieser Gelegenheit operieren zu lassen. Dabei begeht der Arzt einen Kunstfehler. Unter diesen Umständen – so Puppe – wird zur Erklärung des Zweitschadens zwar der Unfall an sich benötigt, aber von dem Moment an, in dem der Patient in die Klinik eingeliefert worden ist, benötigt man nur noch diese Tatsache, aber keine anderen Folgen des Unfalls.254 Die Begegnung mit einem Arzt stellt ein erlaubtes Risiko dar, das Durchgängigkeitserfordernis wird ab diesem Zeitpunkt nicht mehr erfüllt, die genetische Kette ist unterbrochen. Die von Puppe gewonnene Lösung deckt sich mit dem Ergebnis, wie es Frisch bei den handlungsunspezifischen Folgen erreicht. Anders als Frisch geht Puppe an die Fallgruppe heran, die Frisch als Verdrängung bzw. Variation des gesetzten Risikos bezeichnet. Puppe hält das Durchgängigkeitserfordernis auch dann für erfüllt, wenn dem Arzt beispielsweise ein Narkosefehler unterläuft. Zumindest in Fällen schwieriger Operationen oder Behandlungen könne nicht a limine von einem erlaubten Risiko ausgegangen werden.255 Geht die Kausalkette aber nicht in einen Normalzustand

253 254 255

Vgl. Puppe, Jura 1998, 21 (24). Vgl. Puppe, Jura 1998, 21 (24) (Hervorhebungen vom Verfasser). Siehe Puppe, Erfolgszurechnung, S. 109; dies., Jura 1998, 21 (25).

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

des alltäglichen Lebens über, so ist der Durchgängigkeitszusammenhang nicht unterbrochen.256 Unter Zugrundelegung eines genetischen Durchgängigkeitszusammenhanges ist es konsequent, wenn Puppe ausführt, es gebe keinen rationalen Grund, einem Ersttäter zu erlauben, einen anderen dem Risiko eines solchen, und sei es auch einem groben, ärztlichen Kunstfehler, auszusetzen.257 „Aus der Reihenfolge der Verfehlungen, die beide den Zweitschaden verursacht haben, folgt kein normativer Gesichtspunkt, unter dem der Erstverursacher besser zu stellen ist als der Zweitverursacher.“258 Es seien beide für den Erfolg strafrechtlich verantwortlich, wobei einerseits der Erstschädiger sich darüber beklagen möge, dass erst der Arzt mit seiner Unachtsamkeit ihm die weitere Verantwortung aufgebürdet habe, andererseits der Arzt darüber klagen möge, dass der Erstschädiger durch die Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit des Patienten ihn erst in die Notwendigkeit versetzt habe, erhöhten Sorgfaltsanforderungen gerecht werden zu müssen.259 Zwar ist der Erfolg erst über ein Verhalten eines anderen eingetreten, war in diesem Sinn also noch nicht vollständig determiniert.260 Aus diesem Umstand lässt sich eine zweiseitige Betrachtung der Erfolgskausalität vornehmen: Vom Standpunkt ex post ist die Primärschädigung Bestandteil der Kausalerklärung des Erfolges. Vom Standpunkt ex ante ist noch nicht sicher, ob der über die Zweitschädigung vermittelte Erfolg eintritt. Aber eine mögliche Entlastung des Täters könne auch vom Blickpunkt ex ante nach Puppe nur dann in Frage kommen, wenn die objektive Erfolgswahrscheinlichkeit, die der Ersttäter durch sein Handeln gesetzt hat, gering war – diese Entlastung ist von einem Vertrauen auf die Einhaltung der Sorgfaltsnormen durch die Rechtsgenossen unabhängig, hat seinen Grund vielmehr in der Frage nach dem objektiven Gewicht des Tatbeitrages innerhalb des Prozesses, der zum Zweitschaden geführt hat.261 Grobe Kunstfehler sind im Massenbetrieb einer Klinik keine Seltenheit262, so dass 256

Siehe Puppe, Erfolgszurechnung, S. 109, 143. Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 142. 258 Puppe, Erfolgszurechnung, S. 142 f. So auch Kindhäuser, AT, § 11 Rdnr. 44: „Es würde den Opferschutz konterkarieren, wenn sich jemand zur Entlastung eigenen schädigenden Verhaltens auf das von anderen begangene Unrecht berufen könnte“ sowie Rdnr. 51. 259 Vgl. Puppe, Jura 1998, 21 (25). 260 Vgl. Puppe, NStZ 1983, 22 (23 f.). 261 Vgl. Puppe, NStZ 1983, 22 (24). Die Argumentation mit der objektiven Tatgefährlichkeit vom Standpunkt ex ante wurde von Puppe in späterer Zeit für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt soweit überblickbar nicht mehr vertreten; allerdings findet auch nirgends eine Distanzierung von dieser Betrachtung statt. 262 Puppe nennt beispielshaft den „Metastasen-Fall“ von BGH NJW 1987, 2940. Die statistischen Angaben über die jährliche Zahl von ärztlichen Behandlungsfehlern insgesamt in Deutschland variieren. Das Robert Koch Institut geht derzeit von etwa 40 000 Vorwürfen vermuteter medizinischer Behandlungsfehler aus, was bei einer An257

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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vom Blickpunkt ex ante nicht schlechthin von einer geringen Wahrscheinlichkeit eines solchen Zweitschadens ausgegangen werden kann. Die objektive Gefährlichkeit der Ersthandlung hat die Bedingung dafür gesetzt, dass der nicht determinierte Schadensprozess überhaupt ablaufen konnte.263 Eine Abwägung der Schwere der Verschuldensgrade könne nach Puppe nur in der Strafzumessung Platz greifen, nicht aber für die Bestimmung des Zurechnungszusammenhanges.264 Im Ergebnis bleibt festzustellen, dass Puppe mit ihrem Durchgängigkeitserfordernis durchaus sachgerechte Ergebnisse erzielt, insbesondere wenn sie Narkosefehler in die genetische Kette einbindet und damit im Gegensatz zu Frisch keine Variation oder Verdrängung des gesetzten Ausgangsrisikos erhebt. Indessen sieht sich jedoch ihr Instrument, die Zerlegung eines Kausalverlaufs in Zwischenschritte, grundlegenden Bedenken ausgesetzt.265 Auf die in diesem Zusammenhang geübte Kritik sei auf oben 1. Abschnitt, A.IV. verwiesen. Auch die Frage nach der objektiven Tatgefährlichkeit der Primärschädigung im Verständnis eines nach Puppe nicht vollständig determinierten Kausalverlaufs wird in dieser Arbeit einer anderen Betrachtung unterzogen. Denn bevor der Enderfolg auf seine Determination hin untersucht wird, muss zunächst danach gefragt werden, inwieweit das Retterverhalten – auch in seiner Fehlsamkeit – durch das gesetzte Ausgangsrisiko normativ bedingt und in diesem damit bereits potentiell angelegt – determiniert – war. V. Entwicklung des eigenen Lösungsmodells

1. Ausgangslage Unsere bisherige Betrachtung hat gezeigt, dass die Frage der Zurechnung fehlerhaften Retterverhaltens innerhalb der Prüfung des Risikozusammenhanges zu beantworten ist. Stellt sich der Eintritt des Zweitschadens als Bestandteil des allgemeinen Lebensrisikos dar, so fehlt es an der Rückführbarkeit des Zweitschadens auf die Primärschädigung und damit am erforderlichen Zurechnungszusammenhang. erkennungsrate von 30% einer Anzahl anerkannter medizinischer Behandlungsfehler von etwa 12 000 pro Jahr entspricht, vgl. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 04/01, einsehbar unter . Demgegenüber geht der Allgemeine Patienten-Verband e. V. von 25 000 Medizin-Toten durch ärztliche Behandlungsfehler jedes Jahr aus, wobei die weit überwiegende Zahl durch Hygienemängel und fehlerhafte Medikamentenvergabe erreicht werde, vgl. . 263 Siehe Puppe, NStZ 1983, 22 (24). 264 Siehe Puppe, NStZ 1983, 22 (24). 265 Auch Otto, Schlüchter-GS, S. 77 (83) will nur dem Ergebnis beipflichten, weniger dem Lösungsweg.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Für den Bereich der fehlerhaften ärztlichen Behandlung ist eine generelle Zurechnung von unterlassenen Behandlungsmaßnahmen ebenso wenig gangbar wie ein Abstellen auf das Schwereverhältnis der Verschuldensgrade von Erst- und Zweitschädiger. Auch die sonstigen Lösungsvorschläge des Schrifttums konnten nicht voll umfänglich überzeugen. Wenn wir die Frage nach dem Risikozusammenhang des Primärverhaltens mit dem Erfolg beantworten wollen, ist von grundlegender Bedeutung, sich klar zu machen, dass der Kern der Problematik in der Frage liegt, inwieweit das vom Primärtäter geschaffene Risiko seinen Fortgang im weiteren Kausalverlauf und damit im Enderfolg gefunden hat. Es geht also darum, zu bestimmen, in welcher Weise das durch die Einwirkung des Täters geschaffene Ausgangsrisiko wertungsmäßig266 die Situation und damit das konkrete Ereignis trägt, in dem der Kunstfehler eintritt. Eine der Kunstfehlerproblematik korrespondierende Frage stellt sich im Rahmen der substanzverletzenden Beseitigungshandlung von aufgeklebten Plakaten oder von Graffiti-Sprühereien. Hier kann die Besonderheit darin liegen, dass der Auftrag des Klebers oder der Farbe an sich keine Substanzverletzung darstellt, da eine chemische Reaktion, die zu einer dauerhaften Verbindung mit der Grundfläche führt, ausbleibt. Dennoch wird sich die aufgebrachte Substanz oftmals nur mittels aggressiver Reinigungsmittel oder mit Hilfe von Sandstrahlern restlos beseitigen lassen. Solch eine Beseitigungshandlung kann einerseits zwangsläufig zu einer Substanzverletzung führen; andererseits kann diese aber auch gerade durch eine nicht professionelle und damit fahrlässig unrichtige Verwendung der Beseitigungsmittel hervorgerufen werden. Auch hier stellt sich damit die Frage, inwieweit insbesondere eine durch fahrlässiges Reinigungsverhalten hervorgerufene Substanzverletzung als zurechenbare Sachbeschädigung des Ersthandelnden zu qualifizieren ist.267 Die Rechtsprechung bezieht in diesen Fällen klar Position: Der erheblichen Verletzung der Substanz stehe es gleich, wenn diese derart in Mitleidenschaft gezogen werde, dass eine Reinigung zwangsläufig zu einer solchen Substanzverletzung führe.268 Für den Fall der unvermeidbaren Reinigungsschäden findet

266

Siehe auch Schünemann, GA 1999, 207 (219). Durch § 303 II StGB (geändert durch das 39. StrÄG v. 01.09.2005 – BGBl. 2005 I S. 2674) hat die Problematik insoweit eine „Entschärfung“ erfahren, da es nun jedenfalls möglich ist, das nicht substanzverletzende Aufkleben oder Besprühen als erhebliche und andauernde Veränderung des Erscheinungsbildes anzusehen; siehe auch Rengier, BT I, § 24 Rdnr. 26. Wessels/Hillenkamp scheinen demgegenüber den Standpunkt zu vertreten, die Problematik sei zwingend dem Abs. 2 zuzuordnen, vgl. Wessels/Hillenkamp, BT 2, Rdnr. 25. 268 Vgl. OLG Dresden NJW 2004, 2843; OLG Düsseldorf NJW 1999, 1199; KG NJW 1999, 1200; LG Itzehoe NJW 1998, 468; BayObLG StV 1999, 543; BayObLG StV 1997, 80; OLG Köln StV 1995, 592 (593); offengelassen von BGHSt 29, 129 267

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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die Judikatur überwiegend Zustimmung.269 Demgegenüber werden vereinzelt Einwände vorgebracht. Maiwald – der sich mit seiner Kritik allerdings wohl insbesondere auf Fälle bezieht, die durch eine Ungeschicklichkeit der Reinigungsperson gekennzeichnet sind und damit über die Judikatur zur zwangsläufigen Reinigungsschädigung hinausreichen – sieht in der Streckung des Tatbestandes auch auf Reinigungsschäden eine seltsame Konstruktion, die „normtheoretisch ein Unding“ sei.270 Denn sowohl als Bestimmungs- als auch als Bewertungsnorm müsse eine rechtliche Regelung bereits zum Zeitpunkt des Täterhandelns die Rechtmäßigkeit oder Unrechtmäßigkeit erkennen lassen.271 Nachtatverhalten anderer soll nach dieser Sichtweise die Strafbarkeit nicht begründen können.272 Noch weitergehend wird in der misslungenen Reinigung eine Selbstbeschädigung durch den Eigentümer gesehen, die dem Sprayer, der lediglich einen „sachkörperbezogenen Eingriff“ geleistet habe, nicht anzulasten sei.273 Indessen muss in diesen Fällen danach abgestellt werden, inwieweit der Ersthandelnde durch seine Einwirkungshandlung eine Reinigung angelegt hat, die ex ante betrachtet zu einer zwangsläufig schädigenden Reinigungsmaßnahme führen muss. Ist eine solche Entwicklung unabwendbar, so ist der Erfolg dem Ersthandelnden gerade deswegen zuzurechnen, da er mit einer sachkörperbezogenen Einwirkung den Verlauf angelegt hat.274 Man wird sogar noch weiter gehen müssen und auch ungeschickte, d.h. fahrlässige, Reinigungshandlungen in die Zurechnung grundsätzlich einzubeziehen haben. Denn wer Ausgangsgefahren hervorruft, hat einzukalkulieren, dass andere bei der Abwendung fehlsam agieren.275 Der Tatbestand muss somit als gestreckter Tatbestand verstanden werden, d.h. die Vorhandlung ist nicht isoliert zu betrachten, sondern in einer Gesamtschau in Relation mit der Reinigungshandlung zu setzen. Dabei lässt sich festhalten, dass der Täter durch seinen pflichtwidrigen Eingriff (vgl. (131). Siehe auch MK/Wieck-Noodt, § 303 Rdnr. 44. Zur Vorsatzproblematik siehe AG Freiburg StV 1982, 582. 269 Siehe nur Rengier, BT I, § 24 Rdnr. 20; ders., Roxin-FS, S. 811 (815): „Versteht sich die Zurechnung ohnehin von selbst“; Eisenschmid, NJW 2005, 3033 (3034); Eisele, JA 2000, 101 (102); Mersson, NZM 1999, 447 (448). 270 Vgl. Maiwald, JZ 1980, 256 (259) sowie ders., JR 1982, 298 (299). 271 Hierzu Maiwald, JuS 1977, 353 (356). Zustimmend NK/Zaczyk, § 303 Rdnr. 12. 272 Siehe Seelmann, JuS 1985, 199 (200). Kritisch auch Schittenhelm, NStZ 1995, 343. 273 So insbesondere Schroeder, JR 1987, 359 (360) und zustimmend Momsen, JR 2000, 172 (173). 274 Vgl. ausdrücklich – allerdings alleine in Bezug auf Reinigungsmaßnahmen, die zwangsläufig zu einer Substanzverletzung führen – Behm, JR 1988, 360 (361); ders., StV 1982, 596; ders., Sachbeschädigung, S. 196. Zustimmend J. Wilhelm, JuS 1996, 424 (425); Ingelfinger, S. 23 ff. Siehe auch BGHZ 20, 275 (280) mit den Begrifflichkeiten der „Anfälligkeit“ und „Schadensanlage“. 275 Richtig Rengier, Roxin-FS, S. 811 (815).

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§§ 823 I276, 1004 I277 BGB) jedenfalls den status quo beeinträchtigt hat. Die Reinigungshandlung stellt eine zulässige – als Ausdruck der Achtung des Integritäts- bzw. Aufenthaltsinteresses am ursprünglichen Zustand der Sache – und damit zwangsläufige Folge der Beeinträchtigung des status quo dar, so dass sie in dieser Störung bereits angelegt ist.278 Die Parallele zur Zurechenbarkeit ärztlichen Fehlverhaltens ist damit offensichtlich.279 Auch dort hat der Primärtäter durch seine pflichtwidrige Einwirkung eine Ausgangsgefahr geschaffen, deren Wirkung es abzuwenden gilt. Wenn Puppe280 in diesem Zusammenhang von determinierten und nicht determinierten Kausalverläufen spricht, liegt dem die richtige Sichtweise zu Grunde. Allerdings bezieht sie sich mit ihrer Differenzierung auf den Eintritt des Zweitschadens. Wir wollen hierbei früher ansetzen und nach der Determination des Verhaltens des Retters an sich fragen. 2. Verwirklichung der gesetzten Ausgangsgefahr a) Fortwirken der gesetzten Ausgangsgefahr bei leicht fahrlässigem Fehlverhalten (oben Fall 3 und Fall 9 lit. a) Jede geschaffene Gefahrenlage ist prinzipiell in ihrer Weiterentwicklung determiniert.281 Der Primärschädiger, der pflichtwidrig durch seine Einwirkung eine Gefahr für das verletzte Opfer gesetzt hat, hat damit gleichzeitig auch die Bedingung für das Verhalten eines Retters gesetzt, da es unserer gesellschaft276 Siehe statt aller Palandt/Sprau, § 823 Rdnr. 7 („Verunstaltung“). Deutlicher noch Palandt/Sprau63, § 823 Rdnr. 8: Verunstaltung ohne dass Substanzverletzung vorliegen muss. 277 Vgl. BGHSt 29, 129 (133). 278 Nahe Dölling, JR 1984, 35 (38). Zur Frage, ob die Vollendung mit dem Auftrag der Farbe bzw. des Klebers oder erst mit dem Vollzug der Reinigung begründet wird, siehe Ingelfinger, S. 21 ff.; Mogg, S. 40 ff. sowie Dölling, JR 1984, 35 (38) und Satzger, Jura 2006, 428 (432, 435). 279 Dies ausdrücklich hervorhebend Behm, JR 1988, 360 (361). Nicht überzeugend Momsen, JR 2000, 172 (173), der eine Gleichsetzung desavouiert, da es an einer primären Rechtsgutverletzung und sogar an einer Gefährdung fehle. Der sachkörperbezogene Eingriff stellt nach der hier vertretenen Ansicht indessen sehr wohl eine angelegte Ausgangsgefahr dar. Bedenklich auch Schroeder, JR 1988, 363, der den Gedanken Behms zum Parallelfall der zum Tode führenden Flucht des seiner Freiheit Beraubten (vgl. Behm, JR 1988, 360 [361]) dahin versteht, Behm proklamiere in diesem Fall ein vorsätzliches Tötungsdelikt. Diese Interpretation erschreckt – wird der Fall von Behm doch allein zur Frage der allgemeinen Zurechnung herangezogen, die sich ersichtlich nur auf eine fahrlässige Tötung oder eine Freiheitsberaubung mit Todesfolge beziehen kann. 280 Puppe, NStZ 1983, 22 (23 f.). 281 Siehe Krümpelmann, Bockelmann-FS, S. 443 (462).

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lichen Ordnung und rechtlichen Erwartung entspricht, dass ein Verletzter Hilfe erfährt, sei es von Privatpersonen am Unfallort oder im Wege berufsmäßig durchgeführter Hilfe im Krankenhaus. Angelegt oder determiniert, um mit Puppe zu sprechen, ist somit eine Hilfeleistung zur Behebung der vom Primärschädiger gesetzten Gefahr.282 Die Streubreite der gesetzten Gefahr beinhaltet grundsätzlich auch das Risiko, dass die notwendige Hilfeleistung nicht optimal bzw. fehlerfrei verläuft, denn determiniert wurde die Hilfeleistung in all ihrer menschlichen Unvollkommenheit. Die fehlerhafte Hilfeleistung bildet dabei keine isolierte Gefahr, die von der Ausgangsgefahr losgelöst betrachtet werden kann. Anders als bei einem Versari-Prinzip, bei welchem eine Zuschreibung von Verantwortlichkeit alleine aus einer kausalen Rückführbarkeit des Zweitschadens begründet wird, hat der Primärtäter hier durch sein pflichtwidriges Verhalten eine Gefahr gesetzt, die solange fortwirkt283, bis sie beseitigt wird – sei es durch erfolgreiche Hilfemaßnahmen oder einen Angriff auf das Rechtsgut, der die gesetzte Gefahr verdrängt. Denn in diesem Fall verwirklicht sich alleine die Einwirkung dieses Angriffs im Erfolg, für den die Primärschädigung zwar die Ursache, nicht aber die determinierte Bedingung darstellen kann. Darin liegt auch der Unterschied zu Folgeunfällen, die nach Absicherung der Gefahrenlage entstehen; dort wird die Gefahrenlage beseitigt und der Folgeunfall kann nicht mehr auf die spezifische Streubreite der Gefahrenlage zurückgeführt werden.284 Hier aber ist mit der Schaffung der Gefahrenlage gleichzeitig das Risiko einer fehlgehenden Behandlung mitangelegt, dieses weitergehende Risiko ist bereits mit der Zufügung der ursprünglichen Verletzung geschaffen285, der Arzt bleibt mit der Behandlung innerhalb der vom Primärschädiger 282 Mit dem Begriff der Determination in diesem Zusammenhang ist damit eine zu erwartende Verhaltensweise der Umwelt gemeint, die sich nicht als bloßer Zufall darstellt. 283 Trotz Fortwirken der gesetzten Gefahr und der damit einhergehenden objektiven Zurechnung kann es auf Grund des ne-bis-in-idem-Grundsatzes an einem staatlichen Strafanspruch fehlen, wenn beispielsweise nach rechtskräftiger Verurteilung wegen Körperverletzung schließlich doch noch der Tod des Opfers eintritt. Hier wird die Zurechnungslehre durch das Prozessrecht überlagert – eine „Vervollständigungsklage“ ist nach ganz h. M. nicht statthaft, vgl. Lukas, S. 82 f., 221 Fn. 741. Regelmäßig wird ein erhöhtes Lebens- und Verletzungsrisiko jedoch durch die entsprechende Bestrafung des Täters wegen der vorsätzlichen oder fahrlässigen Herbeiführung der Primärverletzung mit abgegolten, vgl. Roxin, Gallas-FS, S. 241 (254), Schünemann, JA 1975, 715 (720); zust. Burgstaller, S. 127 ff. sowie SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 77 m.w. N.; krit. Lukas, S. 83 f. 284 Richtig Fuchs, AT I, S. 102; Reitmaier, S. 115; Lewisch, Casebook, S. 111 (Nr. 218); OGH EvBl 1970, 518 (obiter dictum). Unrichtig, da Versari-Prinzip: BGHSt 4, 360 (Verantwortlichkeit des Gefahrverursachers für Unfall infolge der verfrühten Aufhebung der Gefahrsicherung durch die Polizei); ablehnend auch Köhler, AT, S. 196 Fn. 191; Maurach/Zipf, AT 1, § 18 Rdnr. 67. 285 So ausdrücklich auch Holzer/Posch/Schick/Schick, S. 118.

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geschaffenen und fortwirkenden Gefahrenlage.286 Die gesetzte Ausgangsgefahr bildet eine signifikante „Dichte der Erfolgsbeziehung“287 zum Erfolgseintritt. In Übereinstimmung mit der überwiegenden Ansicht des Schrifttums und der Dogmatik der Rechtsprechung ist somit leicht fahrlässiges Retterverhalten dem Primärschädiger zuzurechnen. Wegen der Irrelevanz der Verhaltensmodalität des Retterverhaltens288 hat dies auch für den Fall des leicht fahrlässigen Versäumnisses zu gelten – auch insoweit besteht Übereinstimmung mit der Judikatur und der vorherrschenden Literaturansicht. b) Überschießende Behandlungsfolgen (oben Fall 6) Legen wir dieses Verständnis zu Grunde, so können wir bereits jetzt diejenigen Fälle ausscheiden, die nicht durch das Primärtäterverhalten determiniert wurden. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn es nicht um die Behandlung der von dem Primärschädiger herbeigeführten Verletzungen geht, also beispielsweise bei Gelegenheit der ärztlichen Behandlung ein anderes körperliches Leiden erkannt wird und bei der Behandlung desselben ein Kunstfehler auftritt. Diese handlungsunspezifischen bzw. überschießenden Folgen können nicht auf die Primärschädigung zurückgeführt werden, denn die Behandlung beruht nicht auf einer verletzungsadäquaten Abwendung des geschaffenen Gefahrenmoments, sondern resultiert allein aus der Begegnung mit einem Arzt.289 Der Zu286 Vgl. Holzer/Posch/Schick/Schick, S. 120. Dies hat auch für reflexartige Hilfsmaßnahmen zu gelten, wenn beispielsweise von einem Baugerüst (infolge nachlässiger Sicherung) ein Ziegelstein herabfällt und der R durch Hochhalten seiner Kollegmappe den Stein so ablenkt, dass er A nur an der Schulter und nicht am Kopf trifft – und zwar gerade auch dann, wenn es dem R theoretisch möglich gewesen wäre, den Stein vollkommen an A vorbeizulenken; siehe auch Wessels/Beulke, AT, Rdnr. 194 sowie Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 94; Röh, S. 101 (Fall 16). Selbst eine Auswechslung des Schadensverlaufs (dem Retter selbst ist der Erfolg dann zwar objektiv zuzurechnen, aber es greift § 34 StGB ein; siehe unten Fn. 345) wird dem Gefahrverursacher – soweit sich der Verlauf noch im Rahmen der objektiven Vorhersehbarkeit bewegt – im Ergebnis zuzuschreiben sein, etwa wenn der R den A zur Seite stößt und dieser sich dadurch verletzt; siehe auch Röh, S. 101 (Fall 16 A), der die Frage aber letztlich offenlässt. 287 Wolf, S. 39. Denn die Gefahr der fehlerhaften Heilbehandlung wurde ausschließlich durch das pflichtwidrige Primärverhalten gesetzt, vgl. Wolf, S. 50. Siehe auch Hermann Lange, Gutachten 43. DJT, S. 53: „Wenn einem Unfallgeschädigten durch ärztliche Fehltherapie ein weiterer Schaden entsteht, so ist der Zusammenhang mit der Pflichtwidrigkeit ein sachlich-innerer, weil das Verhalten des Arztes zur Behebung des eingetretenen Schadens bestimmt war“. 288 Siehe ausführlich oben B.IV.2.d). 289 Übereinstimmend Burgstaller, S. 126 f. (Sorgfaltsnorm bezweckt nicht die Hintanhaltung der Entdeckung bisher unbekannter Leiden). Für das Zivilrecht ebenso Larenz, NJW 1958, 627 (628) sowie BGHZ 25, 86 und BGH NJW 1963, 1671 (fehlender innerer Zusammenhang), vgl. oben Fn. 222.

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sammenhang ist nicht „sachlich-innerer“ Art, sondern allein „zeitlich-äußerer“ Gestalt.290 Demgegenüber sind Schädigungen, die im Wege der indizierten Behandlung einer nicht lebensgefährlichen Verletzung auftreten – z. B. durch einen Narkosefehler – und zum Tode führen, durch das Primärtäterverhalten determiniert. Entgegen Frisch wird das vom Primärtäter gesetzte Risiko nicht in einer Weise verdrängt bzw. variiert, dass der Zurechnungszusammenhang zu verneinen wäre. Denn wie Puppe feststellt, ist die Behandlung auch hier gerade durch die Primärschädigung indiziert.291 Schließlich hat der Primärtäter durch sein pflichtwidriges Verhalten die Notwendigkeit der Narkose miteröffnet – und diese birgt stets ein nicht zu vernachlässigendes Risiko in sich.292 Auch diese Eingriffe dienen daher der Abwendung des vom Ersttäter verursachen Gefahrenfeldes und sind somit in der Ausgangsgefahr angelegt. c) Fehlbehandlung nach bereits behobener Gefahr (oben Fall 7) Ebenso erlischt das Gefahrenfeld dann, wenn nach bereits behobener Gefahr ein handlungsspezifischer Fehler unterläuft.293 Das gesetzte Risiko lebt nach seiner Beseitigung – wie beim Folgeunfall – nicht wieder auf, der dennoch eintretende Erfolg ist nicht mehr auf den Primärtäter rückführbar. Von einer Behebung der gesetzten Gefahr muss dabei bereits dann ausgegangen werden, wenn das Opfer wieder in das allgemeine Alltagsleben eingegliedert ist und an diesem teilnimmt, insbesondere wenn die notwendige Medikation abgeschlossen ist. In Fall 7 trifft dies zu; nicht zur Voraussetzung ist zu erheben, dass der Genesene 290

Siehe Hermann Lange, Gutachten 43. DJT, S. 53 f. Vollkommen richtig daher RGZ 66, 407 (409): „Die Narkose war das durch den Unfall unabweisbar gewordene Mittel, ohne welches die Verletzung nicht behoben werden konnte“; zust. Wolf, S. 48. 292 So auch ausdrücklich Jäger, AT, Rdnr. 43. Krümpelmann, Jescheck-FS, S. 313 (328), stellt klar, dass in einem solchen Fall das allgemeine Lebensrisiko stets auszuschließen ist, unabhängig von der Schwere der Krankheit des Patienten. Die anästhesiebedingte Sterblichkeit konnte in den vergangenen 20 Jahren indessen deutlich gesenkt werden und die Letalität wird heute mit einem Todesfall auf 45 000–220 000 Anästhesien beziffert, vgl. Schulte-Sasse/Bruns, ArztR 2007, 116 (124). 293 Entsprechende Fallgruppen sind allerdings schwer konstruierbar. Die ästhetische Behandlung von erheblichen Entstellungen erfolgt nicht nach behobener Gefahr in diesem Sinne als Fortwirken der vom Täter gesetzten Einwirkung; denn wenn die Rechtsordnung dem Opfer den Eingriff im Hinblick auf § 226 I Nr. 3 StGB zumutet, geht sie davon aus, dass das Opfer nach dem Eingriff wieder in sein natürliches, soziales Lebensumfeld integriert ist. A. A. Engisch, Kausalität, S. 61, der in dem Fall, dass das durch schwere Brandverletzungen geschädigte Opfer „eigentlich schon wieder hergestellt ist“, dann aber bei einer Narkose zur Durchführung der Transplantation verstirbt, von einem fehlenden Rechtswidrigkeitszusammenhang ausgeht. Wie Engisch auch Derksen, S. 235. Ob ein ärztliches Fehlverhalten in dieser Situation die Erfolgsqualifikation begründet, ist eine andere Frage. 291

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in Bezug auf körperliche Schwerstarbeit seine volle Leistungsfähigkeit wieder erlangt hat. Daher steht der Herzinfarkt beim Joggen der Annahme der behobenen Gefahr nicht entgegen. d) Angriffsverhalten Zum anderen hat der Primärschädiger solches Verhalten nicht determiniert, das nicht mehr als Hilfeleistung anzusehen ist, wenn also dem Verletzten in einer neuen Angriffsrichtung – gleichgültig ob durch aktives Tun oder Unterlassen294 – gegenüber getreten wird. Vorsätzliches, rechtswidriges und schuldhaftes Schädigungsverhalten stellt ohne Zweifel ein Angriffsverhalten dar, das nicht durch den Primärschädiger determiniert wurde und diesem nicht zugerechnet werden kann.295 Fraglich bleibt zunächst, wie grob fahrlässiges bzw. gröblichstes Fehlverhalten zu bewerten ist. e) Grob fahrlässiges Fehlverhalten (oben Fall 4 und Fall 9 lit. b) Man könnte davon ausgehen, dass sich der Verletzte in solch einer Situation einem Schädigungspotential ausgesetzt sieht, das einem auf Angriff angelegten Verhalten gleichzusetzen ist. Indessen ist aber zu bedenken, dass auch grob fahrlässiges Fehlverhalten in seiner Intention noch auf Abwendung und Aufhaltung der vom Primärtäter gesetzten und fortbestehenden Gefahr gerichtet und damit katechontisch296 ist. Es ist gleichsam blind in dem Sinn, dass es keine bewusste, d.h. keine intendierte Entscheidung gegen rechtliche Normen beinhal294 Dem Unterlassen wohnt eine Angriffsrichtung inne, wenn es durch einen Garantenpflichtigen i. S. des § 13 StGB vorsätzlich erfolgt. Echte Unterlassungen (§§ 323 c, 138 StGB) können nach richtiger Ansicht keinen Angriff darstellen, denn nur wer für die Abwendung des Erfolges einzustehen hat, weil ihm der Erfolg zugerechnet wird, kann das betreffende Rechtsgut angreifen, vgl. zu diesem sehr str. Feld Roxin, AT I, § 15 Rdnr. 11 ff. mit umfassenden Nachweisen zur Gegenmeinung sowie Sch/Sch/ Lenckner/Perron, § 32 Rdnr. 10. Zu einer Zurechnungsdurchbrechung bei fehlender Garantenstellung aber vorsätzlichem Unterlassen tendiert Lewisch, Casebook, S. 112 (Nr. 221). Das Zunichtemachen einer bereits realisierbaren Rettungsmöglichkeit stellt sich nach h. M. richtigerweise als aktiver Eingriff dar, siehe Otto, AT, § 9 Rdnr. 8; Jäger, AT, Rdnr. 335. 295 Übereinstimmend Perkins/Boyce, S. 803. 296 Das oder der „Katechon“ ist ein griechisches Partizip, das im griechischen Originaltext des Zweiten Briefs an die Thessalonicher 2,6–7 als Aufhalter des Antichristen gedeutet wird. In den rechtswissenschaftlichen Diskurs wurde die Formulierung durch Bernhard Schlink eingeführt, der von der „katechontischen Funktion des Verwaltungsrechts“ spricht und damit ein Hinhalten und Verzögern der technischen Entwicklung durch das Verwaltungsrecht – wodurch Raum zur Reflexion geschaffen wird – zum Ausdruck bringen möchte; vgl. Schlink, VVDStRL 48 (1990), 235 (259 ff.). Die Begrifflichkeit wird auch in dieser Arbeit i. S. von abwenden, aufhalten bzw. bewahren verwendet.

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tet. Eine Angriffsrichtung und damit eine trennbare Gefahr ist ihm nicht inhärent.297 Dies hat in gleicher Weise für Fälle des riskanten Krankentransports unter Inanspruchnahme von Sonderrechten (vgl. oben Fall 2) zu gelten, soweit das Fehlverhalten des Fahrers als grobe Fahrlässigkeit anzusehen ist. Damit verbietet sich eine Gleichsetzung mit vorsätzlichem Schädigungsverhalten, denn grob fahrlässiges Fehlverhalten steht näher dem Lager fahrlässigen Fehlverhaltens als dem des auf Schädigung abzielenden Verhaltens.298 Daran ist auch dann festzuhalten, wenn das grob fahrlässige Fehlverhalten in seiner Auswirkung einem vorsätzlichen Schädigungsverhalten gleichkommt; Maßstab muss der Kontext bleiben, welche Intention mit dem auf Abwendung gerichteten Verhalten des Retters verfolgt wird. Diese Sichtweise beherrscht im Übrigen auch die strafrechtliche Beurteilung in England. Auch dort kommt in den Leitentscheidungen als wesentlicher Aspekt zum Ausdruck, dass die vom Primärtäter gesetzte Ursache noch fortwirken, zum Zeitpunkt des Erfolgseintritts wirksam, „operating“ sein muss. Die vom Täter hervorgerufene Gefahr müsse zum Todeszeitpunkt einen „signifikanten Beitrag“ zum Tod des Opfers geleistet haben, auf eine Abwägung der Gewichte der verschiedenen Kausalbeiträge komme es daher grundsätzlich nicht an. Entscheidend sei alleine, ob die vom Täter ausgelösten gefährlichen Kräfte noch fortbestehen würden.299 Vor diesem Hintergrund ist in Fall 4 daher im Ergebnis von keinem zurechnungsunterbrechenden Interventionsakt durch den grob fahrlässig handelnden Retter auszugehen.

297 Zumindest für die unbewusste grobe Fahrlässigkeit zustimmend Maiwald, JuS 1984, 439 (441). Sinngleich auch Koziol, AT, S. 171. 298 Richtig daher auch Deutsch, Haftungsrecht, S. 112: „Jedoch fehlt es an dem bewußten oder sogar vorsätzlichen Dazwischentreten des Dritten, das die Haftung eher auf sich zieht als ein schwerer, das bisherige Risiko nicht fortsetzende [sic] Fehler des an zweiter Stelle Tätigen“. 299 Siehe Mansdörfer/Paul, S. 34 f. sowie eingehend zur Entwicklung der englischen Rechtsprechung Kirschner, S. 71 ff. In einigen strafrechtlichen Kodifikationen findet sich eine explizite Regelung der Problematik der unsachgemäßen Heilbehandlung. Section 225 („Death from treatment of injury“) des kanadischen Criminal Code führt an: „Where a person causes to a human being a bodily injury that is of itself of a dangerous nature and from which death results, he causes the death of that human being notwithstanding that the immediate cause of death is proper or improper treatment that is applied in good faith.“; section 166 („Causing injury the treatment of which causes death“) des neuseeländischen Crimes Act 1961: „Every one who causes to another person any bodily injury, in itself of a dangerous nature, from which death results, kills that person, although the immediate cause of death be treatment, proper or improper, applied in good faith.“ Auffällig ist, dass diese Regelungen eine gewisse Gefährlichkeit der vom Täter zugefügten Verletzung verlangen, doch auch unterhalb dieser Schwelle soll dem Täter der Erfolg – auch bei grob fahrlässigem ärztlichen Fehlverhalten – nach den Grundsätzen der „operating and substantial cause“ zugerechnet werden; vgl. Kirschner, S. 78.

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Auf Grund des Gleichlaufs der Beurteilung der Verhaltensmodalitäten hat dies in gleicher Weise für Fälle des grob fahrlässigen Unterlassens zu gelten, so dass auch in Fall 9 lit. b eine Zuschreibung des Fehlverhaltens zum Primärschädiger vorzunehmen ist. Der Zurechnungszusammenhang lässt sich daher mit den Ansatzpunkten der Frage nach der Vorschädigung des betroffenen Rechtsguts und der Intention des eingreifenden Dritten bestimmen.300 f) Gröblichstes Fehlverhalten (oben Fall 5 und Fall 9 lit. c) Die gleichen Grundsätze wie für grob fahrlässiges Fehlverhalten müssen auch für gröblichstes Fehlverhalten gelten, denn auch dieses Verhalten ist noch auf Abwendung gerichtet und im Hinblick auf den Schädigungsprozess blind. Entgegen der zivilrechtlichen Judikatur ist damit selbst in diesem Fall der Zurechnungszusammenhang zu bejahen. Der aus diesem Verständnis folgenden weitreichenden Zurechnungsbegründung muss in Fällen gröblichsten ärztlichen Fehlverhaltens als Korrektiv das Kriterium der objektiven Vorhersehbarkeit dienen.301 Die objektive Vorhersehbarkeit ist hierbei auf den Kausalverlauf in seinen wesentlichen Zügen zu beziehen.302 Als vorhersehbar sind solche Ereignisse anzusehen, die, auch ohne gerade die Regel zu bilden, nach der gewöhnlichen Erfahrung des Lebens als möglich erscheinen.303 Die Vorhersehbarkeit entfällt damit jedenfalls für solche Ereignisse, die so sehr außerhalb der gewöhnlichen Erfahrung liegen, dass sie der Täter auch bei den nach den Umständen gebote-

300 In eine ähnliche Richtung gehend Büchler, MDR 1997, 709 (710). Freilich muss das – wenn auch grob fahrlässige – Fehlverhalten gerade auf Abwendung der vom Primärverursacher gesetzten Gefahrenlage gerichtet sein, daran fehlt es beispielsweise, wenn der Fahrer des Krankenwagens ob der schweren Verletzungen des Opfers unter Sonderrechten eine riskante Fahrt vornimmt, dies aber nicht im Bestreben, dem Opfer die schnellst mögliche Hilfe zukommen zu lassen, sondern allein aus Freude an riskanter Fahrweise jenseits der Gebote der Straßenverkehrsordnung. 301 Zur Prüfungsreihenfolge siehe oben 1. Abschnitt, B.VI.3.b). 302 Wie hier Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rdnr. 180; Lackner/Kühl, § 15 Rdnr. 46; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, § 1 Rdnr. 233; Triffterer, Bockelmann-FS, S. 201 (220) m.w. N.; BGHSt 39, 322 (324); BGH NJW 2001, 1075 (1077); BGHSt 49, 166 (174 f.); OLG Stuttgart NJW 1982, 295 (296); OGH SSt 46/67 (insbesondere S. 209) sowie Rudolphi, JuS 1969, 449 (552) für das Element der subjektiven Vorhersehbarkeit (der Hinweis Triffterers, Bockelmann-FS, S. 201 [220 Fn. 52], Rudolphi beziehe sich mit der subjektiven Vorhersehbarkeit alleine auf den Erfolgseintritt an sich, stellt ein falsches Verständnis Rudolphis dar, denn dieser will lediglich ausschließen, dass der Täter den zum Erfolg führenden Kausalverlauf in all seinen Einzelheiten vorhergesehen haben muss). Krit. aber MK/Duttge, § 15 Rdnr. 108. 303 Siehe RGSt 65, 135 (136).

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nen Überlegungen nicht ins Auge zu fassen braucht.304 Einheitliche oder klare Richtpunkte für die Grenzziehung zwischen dem noch „gewöhnlichen“ und damit voraussehbaren und dem jenseits aller Lebenserfahrung liegenden Ursachenverlauf lassen sich indessen in der Judikatur nicht feststellen.305 Diese Beurteilung der Vorhersehbarkeit kann sich allerdings nicht auf eine bloß generelle Betrachtung beziehen. Konsequenterweise wäre dann nämlich mit jeder Handlung auch eine generelle Erkennbarkeit der Gefahren verbunden, da der Mensch niemals absolut sicher sein kann, dass seine Handlung keinen negativ zu bewertenden Erfolg kausal verursachen wird.306 Als Maßstab hat demnach die Adäquanz, nicht dagegen schon die bloße Denkbarkeit der Tatbestandsverwirklichung zu dienen.307 Die isolierte Frage nach der Höhe des Wahrscheinlichkeitsgrades bzw. der Umfassung von der allgemeinen Lebenserfahrung ist insoweit unzureichend. Hinzuzufügen ist vielmehr eine normative Bewertung, nämlich die Frage, ob der Täter rechtlich verpflichtet war, die durch sein Verhalten eröffnete Möglichkeit des erfolgsvermittelnden Geschehens in Rechnung zu stellen und um der Vermeidung dieser Möglichkeit willen sein Verhalten anzupassen bzw. zu unterlassen.308 Das Feld der gewöhnlichen Lebenserfahrung ist somit nicht an einem Quantum der Nähe oder Ferne309 des Geschehensablaufs zu einem Wahrscheinlichkeitsgrad zu bemessen, sondern danach, ob der Täter wertungsmäßig betrachtet die eröffnete Möglichkeit seinem Verhalten zu unterstellen hatte.310 So erlangt das Kriterium der objektiven Vorhersehbarkeit in Fällen gröblichsten ärztlichen Fehlverhaltens Bedeutung. Trotz einer Rettungsintention des eingreifenden Retters werden schwerste Nachlässigkeiten, jedenfalls solange der Primärtäter über kein Sonderwissen verfügt, nicht mehr in der konkreten Situation als vorhersehbar zu bewerten sein. Man denke etwa an einen Arzt, der die 304

Vgl. BGHSt 12, 75 (78). Siehe Ulsenheimer, Arztstrafrecht, § 1 Rdnr. 233; OLG Stuttgart JZ 1980, 618 (620). Für das österreichische Recht siehe Reitmaier, S. 73, die zudem treffend darlegt, dass sich die Literatur in diesem Punkt sehr zurück hält und damit begnügt, Entscheidungen der Judikatur aufzuzählen – entsprechendes gilt in Deutschland. 306 Dazu siehe Giezek, Gössel-FS, S. 117 (119); Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 41 (53). 307 So ausdrücklich OLG Stuttgart NJW 1982, 295 (296). 308 Siehe Giezek, Gössel-FS, S. 117 (121 Fn. 10). In diesem Sinn auch Rothenfußer, S. 41: „Entscheidend ist deshalb allein, ob und in welchem Umfang vom Handelnden erwartet wird, daß er mit dem Eintritt bestimmter Folgen seiner Handlung rechnet und sein Verhalten danach ausrichtet“ (Hervorhebung im Original). 309 Man denke an den Störfall eines Kernkraftwerkes, siehe oben 1. Abschnitt, Fn. 96. 310 In diesem Sinn Giezek, Gössel-FS, S. 117 (120 f.). Eine gewisse Streubreite der Beurteilungstendenz liegt dabei in der Natur der Sache; vgl. Armin Kaufmann, ZfRV 1964, 41 (49): „Es ist a priori ausgeschlossen, axiologische Erwägungen bruchlos in intellektuelle Tatsachenprognosen zu transferieren“. 305

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rettende Operation in (voll-)trunkenem Zustand ausführt311 oder auf einem Fachgebiet tätig wird, wofür ihm jegliche Ausbildung und Kenntnis mangelt.312 Obwohl hier ein katechontischer Eingriff vorliegt, ist eine schwerste bzw. gröblichste Nachlässigkeit von dem Primärtäter nicht in Rechnung zu stellen. Denn unter dem Gesichtspunkt der gewöhnlichen Lebenserfahrung stellen solche gravierenden Nachlässigkeiten Umstände dar, auf deren Ausbleiben sich unter gesellschaftlichen Gesichtspunkten, denen ein geordnetes Miteinander der interaktiven Personenkreise zu Grunde liegt, vernünftigerweise verlassen werden darf. Auch wenn der Primärtäter auf Grund der Unvollkommenheit menschlichen Handelns ein fehlsames Retterverhalten ins Kalkül zu ziehen hat, so stellt der Hinzutritt eines gröblichsten Anschlussverhaltens doch ein solches Quantum dar, das der Primärtäter, will man nicht einer rein generellen Betrachtung die Türe öffnen, nicht der Beurteilung und Erwartung von seiner Umwelt zu unterstellen hat. Es fehlt daher trotz der objektiven Zurechnung an der generellen Vorhersehbarkeit und damit letztlich an der objektiven Sorgfaltspflichtwidrigkeit.313 Dies hat auch für das Zurücklassen des medizinischen Instruments in Fall 5 und entsprechend für den Fall des gröblichsten Unterlassens in Fall 9 lit. c zu gelten. Im Ergebnis wird damit ein deckungsgleiches Resultat dazu erzielt, wie es die Zivilrechtsprechung auf dem Wege der Negierung des Zurechnungs- bzw. „Haftungszusammenhanges“ im Hinblick auf ärztlich vermittelte Zweitschäden erreicht.

311 Hierzu ist auf eine SPIEGEL Online Meldung vom 31.01.2008 hinzuweisen: Ein Arzt war während einer Operation mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,4 Promille zusammengebrochen; vgl. . 312 Auch Perkins/Boyce, S. 803 ziehen in diesen Fällen die Zurechnungsgrenze. Ähnlich Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 102 die bei „besonders schwerwiegenden Abweichungen von den medizinischen Standards“ keine Zurechnung mehr vornehmen wollen. 313 Die objektive Vorhersehbarkeit wird hier als Voraussetzung innerhalb der objektiven Sorgfaltswidrigkeit geprüft, so auch Kuhlen/Roth, JuS 1995, 711 (713 Fn. 26); siehe auch Heinrich/Reinbacher, Jura 2005, 743 (746 Fn. 40). Zur hier vorgenommenen Trennung zwischen objektiver Zurechnung und objektiver Sorgfaltswidrigkeit vgl. Maiwald, JuS 1984, 439 (442) sowie oben 1. Abschnitt, B.VI.3.a). Auch Triffterer, AT, S. 150 will einen ganz außergewöhnlichen Kunstfehler von der Adäquanz ausnehmen; weiter aber wohl ebd., S. 153, wenn er sich für die „generelle Anerkennung“ des Vorschlag Burgstallers ausspricht. Im Sinne der hier vertretenen Lösung auch Prosser, Torts, S. 279: „There undoubtly is a line to be drawn, short of the highly unusual varieties of medical misconduct, such as, for example, the infliction of an intentional injury, or the misperformance of an entirely independent and unrelated operation, which cannot fairly be regarded as normal incidents of the risk; but the few cases which have approached the problem have been far from affording any very reliable guide to the location of the line“.

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Im Gegensatz zur Gefahrenquantifizierung zwischen einem einfachen und einem groben Behandlungsfehler wird sich die gröblichste Nachlässigkeit in ihrem Umfang eindeutiger und unzweifelhafter gerichtlich314 bestimmen lassen, womit dem Einwand der Streubreite richterlicher Wertung und deren Beliebigkeit die Basis entzogen werden kann. Immerhin wird eine leichter fassbare Grenze geschaffen. Man mag hiergegen einwenden, dass sich die Abgrenzungsfrage lediglich auf die Abgrenzung von grober Fahrlässigkeit zu gröblichsten Fehlern verschiebt, was letztlich erneut eine Wertungsfrage ist. Dabei gilt es allerdings zu bedenken, dass die Abgrenzung von grober zu gröblichster Fahrlässigkeit auf der Zurechnungsebene keine Relevanz erlangt und daher in Fällen gescheiterter Revokation oder Tatbeständen mit objektiver Bedingung der Strafbarkeit, bei denen es auf die objektive Vorhersehbarkeit gerade nicht ankommt315, zu keinen beliebigen Ergebnissen führen kann. Bei den übrigen Tatbeständen ist die Abgrenzung nur dahingehend relevant, ob die objektive Vorhersehbarkeit entfallen kann. Diese Entscheidung ist aber ihrerseits – im Fall der gröblichsten Fahrlässigkeit – ohnehin keineswegs vorgezeichnet, sondern vielmehr eine richterliche Einzelabwägung, ausgerichtet an der konkreten Sachverhaltskonstellation und dem Wissenstand des Primärschädigers. Im Folgenden sollen nun weitere Fallkonstellationen untersucht werden, mit denen, soweit ersichtlich, in der Literatur noch keine Auseinandersetzung stattgefunden hat. g) Die Rettung erfolgt auf Kosten eines anderen Hilfsbedürftigen (oben Fall 8) Ausgangspunkt muss hier der Umstand sein, dass durch das pflichtwidrige Verhalten des Primärschädigers jeweils auf die beiden Hilfsbedürftigen eingewirkt wurde. Fehlt es an einer vorherigen Einwirkung auf den letztlich Geschädigten, so handelt es sich um die unten316 behandelte Fallgruppe der Schädigung eines Unbeteiligten durch den Retter. Durch das Rammen des Kanus, in dem sich B und C befanden, liegt die erforderliche Einwirkung vor. Das Verhalten des R wird in den allgemeinen Lehren des Strafrechts üblicherweise ausschließlich isoliert, d.h. ohne Drittwirkung betrachtet. Wir wollen es jedoch in einen Sachverhalt einbinden, der dadurch gekennzeichnet ist, dass dem Verhalten des R eine pflichtwidrige Gefahrschaffung durch den Primärverursacher vorausging, die den R zu seinem Eingriff veranlasste. Wäre der R nicht eingeschritten, so wären B und C ertrunken und A hätte sich wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen in Tateinheit strafbar ge314 315 316

Hierzu Ulsenheimer, Arztstrafrecht, § 1 Rdnr. 29. Siehe oben 1. Abschnitt, B.VI.3.b). Siehe D.

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macht.317 Führt das Eingreifen des R dazu, dass A wegen der vorsätzlichen Tötung des B im Sinne eines Regressverbots straffrei ausgeht, oder ist er dennoch der fahrlässigen Tötung an B strafbar? Zunächst gilt es, das Verhalten des R zu würdigen. Wir wollen bei unserem Sachverhalt zunächst nicht davon ausgehen, dass B und C um die Planke kämpfen, denn dann wäre zu prüfen, inwieweit jeweils ein Angriff auf den anderen vorliegen würde und der Schuss des R als Nothilfe zu bewerten wäre.318 Wenn sich also B und C vergeblich bemühen, auf der Planke Halt zu finden, ohne dem jeweils anderen das Ergreifen der Planke zu verwehren, so kann sich der aktiv handelnde R nicht auf rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) berufen, denn soweit Leben gegen Leben steht, ist eine Abwägung schlechthin ausgeschlossen.319 Auch eine Entschuldigung gem. § 35 I StGB scheidet aus, da es an der erforderlichen Nähebeziehung fehlt. Allenfalls könnte dem R als Entschuldigungsgrund ein übergesetzlicher entschuldigender Notstand zugebilligt werden.320 Problematisch hierbei ist, dass durch den Eingriff die Gefahr lediglich von einer Person auf die andere abgelenkt wird. Andererseits ist die Situation dadurch gekennzeichnet, dass nicht entweder B oder C der Tod durch Ertrinken drohte, sondern ohne das Eingreifen des R beide den sicheren Tod gefunden hätten. Im Verhältnis zu dem durch die Tat verhinderten Unheil stellt sich die Tötung des B letztlich als das wesentlich geringere Übel321 dar, als tragic choice – R ist durch übergesetzlichen Notstand entschuldigt. In Relation zu der Beurteilung des Verhaltens des Primärschädigers muss aber danach gefragt werden, ob das Verhalten des R zur Rettung des C der rechtlichen Erwartung entsprach und damit durch die Primärschädigung determiniert wurde. Um diese Frage zu beantworten, hilft es danach zu fragen, ob sich R im Falle der Untätigkeit strafbar gemacht hätte. Da die Tötung eines der um ihr Leben Kämpfenden nicht aus § 34 StGB gerechtfertigt ist, muss die Frage verneint werden. Denn ein Unterlassen ist immer i. S. von § 34 StGB gerechtfertigt, d.h. weist keinen Omissivdeliktscharakter auf, wenn die vorzunehmende aktive Eingriffshandlung ihrerseits nicht aus § 34 StGB gerechtfertigt gewesen wäre.322 In diesem Fall trifft den Unterlassenden nicht der Vor317

Vgl. Sch/Sch/Eser, § 222 Rdnr. 6. Dazu siehe unten im Anschluss an den Ausgangsfall. 319 Siehe nur Lackner/Kühl, § 34 Rdnr. 8; Sch/Sch/Lenckner/Perron, § 34 Rdnr. 24; Roxin, AT I, § 16 Rdnr. 33; Koch, JA 2005, 745 (747); umfassend Küper, JuS 1981, 785 (insbesondere 792 ff.). Ausdrücklich bestätigt durch BVerfG NJW 2006, 751 (757 ff.). 320 Näher Sch/Sch/Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rdnr. 115. 321 Demgegenüber will Kühl, AT, § 12 Rdnr. 100 auf dieses Erfordernis verzichten. 322 § 34 StGB erlangt in den Fällen des Unterlassens somit mittelbare Bedeutung. Alleine aus einem Handlungsrecht i. S. d. § 35 StGB folgt also nicht immer automatisch auch eine Handlungspflicht; vgl. auch Sieg, Jura 1986, 326 (330 Fn. 35) sowie 318

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wurf, eine gebotene Handlung zur Rettung unterlassen zu haben. Ohne rechtliche Erwartung stellt sich das – in seiner reflexiven Auswirkung für ein Rechtsgut bewusst schädigende – Verhalten des R gegenüber dem A damit wie ein dazwischentretendes Angriffsverhalten dar323, so dass eine Zurechnung auszuscheiden hat.324 Denn die Missbilligung der vollendeten Interessenverletzung in Fällen des (übergesetzlich) entschuldigenden Notstands325 schlägt auch insoweit durch. A hat sich in Fall 8 daher nicht strafbar gemacht.326 Dies hat auch dann zu gelten, wenn B und C im Beispielsfall um die Planke kämpfen. Setzt man mit Koriath voraus, dass das Notwehrrecht ein schuldhaftes Verhalten erfordert327, so scheidet eine Nothilfehandlung des R schon aus dieM. Otto, S. 83: „Während alles, was geboten ist, stets auch erlaubt sein muß, ist längst nicht alles, was erlaubt ist, auch geboten“. 323 Dies hat selbst dann zu gelten, wenn durch ein pflichtwidriges Verhalten ein Geschehen in Gang gesetzt wird, das den Eintritt eines Schadens für eine sehr große Zahl von bedrohten Rechtsgütern begründet und daher nur durch ein Eingriffsverhalten abgewendet werden kann. Zum Beispiel (angelehnt an den Burdick/Wheeler Roman „Fail-Safe“): Wird pflichtwidrig ein nuklear bestückter Bomber auf ein Ziel angesetzt, dessen Besatzung (pflichtgemäß) auf Funkanweisungen nicht mehr reagiert, so stellt sich auch hier der angeordnete Abschuss des Bombers durch den Inhaber des Rechts der Letztentscheidung in Relation dazu als Angriff dar. Würde der pflichtwidrig Handelnde dagegen selbst den Abschuss anordnen, so handelt es sich um die unten C. behandelte Konstellation, in der der Retter zugleich Erstschädiger ist; siehe auch die folgende Anmerkung. 324 Wäre die Eingriffshandlung allerdings aus § 34 StGB gerechtfertigt, so müsste diese, da sie auf Grund der rechtlichen Erwartung als durch die Primärschädigung determiniert anzusehen wäre, eine Zurechnung zum Primärschädiger begründen; wie hier ausdrücklich Luzón, JRE 2 (1994), 353 (366) und wohl auch NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 187. Handelt der Primärschädiger selbst nach § 34 StGB gerechtfertigt, so handelt es sich auch in diesem Fall um eine der unten C. zuzuordnenden Fallkonstellation. Dem Gedanken der actio illicita in causa steht der Einwand einer zurechnungsunterbrechenden eigenverantwortlichen Selbstgefährdung (vgl. unten 3. Abschnitt, Fn. 826) hier nicht entgegen; dahingehende Differenzierung auch bei Zielinski, S. 287 Fn. 46; wie hier auch Sch/Sch/Lenckner/Perron, § 34 Rdnr. 42; Jakobs, AT, 21/84; Küper, Notstand, S. 40 ff.; Delonge, S. 139; a. A. Eue, JZ 1990, 765 (768). 325 Siehe Hruschka, JR 1979, 125 (127). 326 Da das Verhalten des R wie dargelegt rechtswidrig ist, verbleibt einem Dritten das Nothilferecht (siehe auch Koch, JA 2005, 745 [748]). Angenommen ein naher Angehöriger Z des B kommt zum Geschehen hinzu und sieht den R auf den B Ziel nehmen. Wenn der Z nun seinerseits rettend eingreift, indem er den R schädigt, um diesen von seinem Schuss abzuhalten, so lässt sich auch diese Schädigung durch den Z dem A nicht zurechnen. Es handelt sich um eine Konstellation der Schädigung eines anderen Retters bzw. eines unbeteiligten Dritten. Hierbei fehlt es an jeglicher durch Einwirkung geschaffenen Ausgangsgefahr in Bezug auf diesen, siehe unten D. und E. Auch unter dem Aspekt der Schädigung des Retters lässt sich keine (in normativer Korrespondenz begründete) Zurechenbarkeit begründen, denn das Verhalten des R entsprach nicht der rechtlichen Erwartung, siehe ausführlich zu diesem Gedanken unten 3. Abschnitt, F.VI.2. 327 Vgl. Koriath, JA 1998, 256 (258 ff.). Dagegen Maultzsch, JA 1999, 429 (431); Roxin, AT I, § 15 Rdnr. 10.

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sem Grund aus, denn B handelt jedenfalls nach § 35 I StGB entschuldigt. Wenn man dem nicht folgt, fehlt es wegen des Umstands, dass B, bevor er seinen Angriff auf C startete, nicht alleiniger, sondern nur Mitbesitzer der Planke war, an einer gerechtfertigten Notwehrhandlung, denn nur ein Verhalten, einen Teil der Planke zurückzuerobern, wäre von der Notwehr umfasst, nicht aber die Erlangung der Herrschaft über die gesamte Planke.328 Die Gefahr, zusammen mit B und der Planke unterzugehen, beruht nicht auf einer Angriffshandlung des B, sondern einzig auf der Kollision mit A. Der Schuss des R stellt somit eine überschießende Nothilfehandlung dar, da damit der Verlust jeglichen Besitzes an der Planke durch B verbunden ist. h) Vorsätzliches Unterlassen bei Pflichtenkollision (oben Fall 10) Anders ist die rechtliche Würdigung im Respiratoren-Fall gelagert. Zwar greift für den garantenpflichtigen329 Bereitschaftsarzt auch hier § 34 StGB nicht ein, da sich zwei gleichrangige Rechtsgüter, das Leben der Schwerverletzten, gegenüberstehen.330 Nach h. M. ist ein Täter eines Unterlassungsdelikts aber auch außerhalb von § 34 StGB gerechtfertigt, wenn ihn zwei gleichrangige Handlungspflichten treffen, von denen er nur eine durch die Nichtbefolgung der anderen erfüllen kann.331 Das Recht kann dem Betroffenen nichts Unmögliches abverlangen, daher muss der Verpflichtete eine Wahlmöglichkeit haben, mit der Folge, dass dann, wenn er wenigstens eine Handlungspflicht erfüllt, das Unwerturteil über die Verletzung der anderen entfallen muss. Damit handelt der Arzt in unserem Beispielsfall durch den Anschluss des jüngeren332 Patienten an das Beatmungsgerät gerechtfertigt.333 328

Vgl. Maultzsch, JA 1999, 429 (432). Für den Bereitschaftsarzt ist die Garantenstellung mit der Ausübung des Dienstes an sich begründet, vgl. bereits oben Fn. 111 sowie Hilgendorf, Fallsammlung, S. 83 Fn. 12. 330 Es sei klargestellt dass § 34 StGB auch keine Höherbewertung des „jüngeren“ gegenüber dem „älteren“ Leben zulässt, vgl. stellvertretend Roxin, AT I, § 16 Rdnr. 33. 331 Siehe Sch/Sch/Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rdnr. 71/72 ff.; Roxin, AT I, § 16 Rdnr. 115 ff. Gegen die Einordnung als Entschuldigungsgrund (so beispielsweise Tröndle/Fischer, Vor § 32 Rdnr. 11) lässt sich vorbringen, dass in Bezug auf die verletzte Handlungspflicht ein durch Unterlassen begangener rechtswidriger Angriff vorliegen würde, der zur Notwehr und Nothilfe berechtigen und damit praktisch jede Rettung blockieren würde, vgl. Sch/Sch/Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rdnr. 73; Kühl, AT, § 18 Rdnr. 137. Hier nur einen Schuldausschluss anzunehmen, wäre zudem systemwidrig, denn die gesetzlichen Schuldausschließungsregeln – etwa die §§ 19, 20, 35 I StGB – erfassen nur individuelle Defizite; die Unmöglichkeit, beide Rettungspflichten zu erfüllen, ist aber eine generelle, sie besteht für jedermann, vgl. Schlehofer, S. 72. 332 Die Entscheidung, den jüngeren Patienten anzuschließen, ist von der Rechtsordnung insoweit akzeptiert, da sie nicht von offenkundig sachfremden Gesichtspunkten getragen wird und daher nicht willkürlich ist, siehe Hilgendorf, Fallsammlung, S. 84. 329

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Dadurch, dass der Arzt zumindest eine Handlungspflicht erfüllt, entspricht er der rechtlichen Erwartung.334 Seine Intention ist nicht nur auf Schadensbegrenzung der vom Primärschädiger angelegten Gefahrenlage gerichtet, sondern entspricht einzig dem rechtlichen Handlungsgebot. Daher stellt diese Verhaltensweise in ihrer normativen Bewertung kein Angriffsverhalten auf das Rechtsgut des verstorbenen Schwerverletzten dar. Diese Beurteilung ist zugleich leitend für die Relation des Hilfsverhaltens zur Pflichtwidrigkeit des Primärschädigers. Entspricht die Hilfsmaßnahme in der konkreten Situation dem abverlangten Handlungsgebot, so stellt sie sich – auch in ihrer reflexiv-schädigenden Auswirkung – als vorangehend in der Primärschädigung angelegt und damit als normativ-rückführbar auf diese dar. Diese Konzeption ist die notwendige Konsequenz eines effektiven Rechtsgüterschutzes, der über den Tatbestand zugleich das Verbot impliziert, verletzungsträchtige Kollisionslagen, in denen die Tendenz zur Rechtsgutsverletzung zwangsläufig angelegt ist, zu unterbinden. Das Tolerieren der gebotenen Gefahrenabwehr, einschließlich der schädlichen Folgen, durch das Recht nach der Entstehung des Konflikts, steht dem Verhinderungsinteresse dabei nicht entgegen.335 Somit bleibt festzuhalten, dass auch das Verhalten des Retters in dieser Konfliktsituation bereits durch die Primärschädigung determiniert wurde. Ebenso wie im Fall eines gröblichsten ärztlichen Fehlverhaltens besteht auch hier zu Gunsten des Primärschädigers allenfalls die Möglichkeit, bei bestehendem Zurechnungszusammenhang die objektive Vorhersehbarkeit des Geschehensablaufs zu begrenzen. Infolge des Eintritts zweier Verletzungen mit identischem Behandlungsbedürfnis und einer fehlenden Kapazität des Krankenhauses gerade in Bezug auf dieses Rettungsinstrumentarium dürfte die Verneinung der Vorhersehbarkeit nicht fern liegend sein. Hierfür spricht insbesondere der Umstand, dass der Schädiger eben auch die „konkrete Art und Weise der Erfolgsverwirklichung“336, zumindest in seinen wesentlichen Zügen, objektiv voraussehen konnte. Will man nicht einer generellen Betrachtung den Weg ebnen, was insbesondere zu einer Überdehnung der Voraussehbarkeit durch die Rechtspre-

333 Hilgendorf möchte in der ersten Auflage seiner Fallsammlung im Fall der Pflichtenkollision bereits die Zumutbarkeit der unterlassenen Handlungspflicht und damit den Tatbestand einer Tötung durch Unterlassen verneinen, vgl. Hilgendorf, Fallsammlung1, S. 54 ff.; anders aber nun ders. in der vierten Auflage, der eine Unzumutbarkeit nun nur noch dann annimmt, wenn eigene Interessen des Handelnden massiv beeinträchtigt würden, vgl. Hilgendorf, Fallsammlung, S. 82. 334 Vgl. Kühl, AT, § 18 Rdnr. 137. Hätte der Arzt in der Situation überhaupt nicht gehandelt, so hätte er sich rechtswidrig verhalten. 335 Wie hier Küper, Notstand, S. 56, 69; in Bezug auf den verschuldeten Notstand insoweit auch richtig Bertel, ZStW 84 (1972), 1 (15 f.). Siehe in diesem Zusammenhang auch oben Fn. 247. Entgegen Hruschka, JR 1979, 125 (127 f.) bedarf es zur Erfassung dieses Verhinderungsinteresses keines speziellen Gefährdungstatbestands. 336 OLG Stuttgart NJW 1982, 295 (296).

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chung337 führt, so spricht vieles für eine Restriktion unter dem Gesichtspunkt der Atypik, zumindest in derart gelagerten Fallkonstellationen. i) Vorsätzliches Unterlassen bei eintretender Lebensgefahr für den Retter (oben Fall 11) Dadurch, dass der Retter hier in eine Situation der akuten Gefahr für das eigene Leben geraten ist, wurde für diesen eine Situation i. S. d. § 35 I StGB begründet. Das Zurücklassen des zuvor bereits aufgenommenen Kindes ist dabei als Unterlassen zu werten, da von einer realisierbaren Rettungschance338 noch nicht ausgegangen werden kann. Die Garantenstellung des R lässt sich damit begründen, dass dieser durch sein Handeln die Steuerung des weiteren Geschehensablaufs übernommen hat und sich an die Situationsveränderung des Hilfsbedürftigen die objektiv begründete Erwartung der Fortsetzung der Hilfsmaßnahme knüpft.339 Stellt sich dieses Unterlassen als tatbestandsmäßige und rechtswidrige Tötungshandlung (§§ 212, 13 StGB) dar, so lässt sich auf Grund der Entschuldigung gleichsam kein Angriffsverhalten in diesem erblicken.340 Denn der Retter entscheidet sich hier alleine für den Erhalt seiner eigenen Integrität. Dieser Konflikt mit der Entscheidung zu Gunsten der Selbsterhaltung fällt in die Zuständigkeit des Gefahrverursachers. Denn ebenso wie dieser bei offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit der Rettungsaktion nicht erwarten kann, dass die Rechtsordnung dem Retter ein Hilfsgebot aufbürdet, hat er zu akzeptieren, dass bei nachträglichem Entstehen einer entschuldigenden Notstandssituation der Retter den Entscheidungskonflikt zu Gunsten seiner eigenen Selbsterhaltung auflöst, so dass der Enderfolg – hier der Tod des Kindes – alleine auf den Gefahrverursacher rückführbar ist. Die Interessenverletzung durch den Retter ist alleine durch den Selbsterhalt gekennzeichnet und damit gleichsam zwangsläufig vorgezeichnet341, worin der Unterschied zu Fall 8 besteht – dort ist das Eingriffs337

Vgl. Ulsenheimer, Arztstrafrecht, § 1 Rdnr. 233. Siehe bereits oben Fn. 294 a. E. 339 So ausdrücklich BGH NStZ 1994, 84 (85); siehe auch Jung, JuS 1994, 262; Blei, Mayer-FS, S. 119 (140); Joecks, § 13 Rdnr. 31. Einschränkend noch BGHSt 26, 35 (39); kritisch auch Stree, Mayer-FS, S. 145 (158); Schünemann, Grund und Grenzen, S. 352; Arzt, JA 1980, 712 (713); Hoyer, NStZ 1994, 85; Mitsch JuS 1994, 555 (556); SK/Rudolphi, § 13 Rdnr. 64; Kühl, AT, § 18 Rdnr. 75 f.; Roxin, AT II, § 32 Rdnr. 61 f.; Bärwinkel, S. 122 und wohl auch Philipps, S. 178, die allesamt die Begründung eines Gefahrenmoments fordern. 340 Wertet man das Unterlassen alleine als tatbestandsmäßig und rechtswidrig – soweit man die Zumutbarkeit nicht als Tatbestandsmerkmal ansieht – i. S. d. § 323 c StGB, so fehlt es bereits auf Grund des Charakters einer echten Unterlassung an einem Angriffsverhalten, siehe oben Fn. 294. 341 Auch im Hinblick auf das erfolgsqualifizierte Delikt kommt dem Aspekt der Selbsterhaltung maßgebliche Bedeutung zu. Kann sich der vorsätzlich geschädigte 338

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verhalten nicht von der rechtlichen Erwartung gedeckt und damit weder zwangsläufig vorgezeichnet noch von der Selbsterhaltung gedeckt. Einziges Korrektiv kann auch hier alleine die fehlende objektive Vorhersehbarkeit des Erfolges sein. j) Vorsätzliches Unterlassen bei Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens (oben Fall 12) Zuletzt gilt unser Augenmerk der Konstellation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Retter die an sich mögliche Rettungshandlung vorsätzlich und rechtswidrig unterlässt, dies aber aus einer entschuldigenden inneren Lähmung zu normgemäßem Verhalten. Durch das Nicht-Herabwerfen seines Kindes hat der B in Fall 12 den tatbestandlichen Erfolg eines Totschlags durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) verwirklicht. Der Ursachenzusammenhang liegt darin begründet, dass der konkret eingetretene Erfolg – der Flammentod des Kindes – bei gebotenem Verhalten nicht eingetreten wäre.342 Ferner hat B auch vorsätzlich gehandelt, da er die Abwendung der drohenden Rechtsgutverletzung durch Vornahme der riskanten Rettungshandlung zumindest für möglich hielt.343 Auch hier gilt, dass eine Handlungspflicht des B nur dann nicht besteht, wenn der Hinabwurf des Kindes seinerseits nicht aus § 34 StGB gerechtfertigt gewesen wäre. Da sich die Gefahbzw. in Gefahr gebrachte alleine durch eine tödliche Schädigung eines Mitinvolvierten seinerseits retten, so begründet dies für den Gefahrbegründer eine Strafbarkeit wegen des erfolgsqualifizierten Delikts, vgl. auch Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 184, 189 sowie unten Fn. 355; zur anders gelagerten Variante der intendierten Tötung des Geiselnehmers siehe aber unten 14. Abschnitt, Fn. 130. Keine Zurechnung dagegen, wenn der Gefährdete einen außerhalb der Streubreite der Gefahrschaffung stehenden Dritten (dazu siehe unten D.) schädigt: T stößt den O mit Körperverletzungsvorsatz ins Wasser, später kommt zufällig der R mit seinem Boot des Wegs, hat bereits den Rettungsring in den Armen, erkennt dann aber den O und sieht aus persönlichen Gründen von einer Rettung ab. Wenn nun der O mit seiner mitgeführten Waffe auf den R schießt (tödlich), so dass der Rettungsring ins Wasser fällt, dann keine Zurechnung des Todes zu T. 342 Der Umstand, dass die Rettungshandlung mit einer geringsten Wahrscheinlichkeit zu einem Fenstersturztod geführt hätte, kann die Kausalität der Unterlassung für den Flammentod nicht beseitigen, siehe Spendel, JZ 1973, 137 (140); a. A. Ulsenheimer, JuS 1972, 252 (253 Fn. 10). Der BGH gelangt jedenfalls mit der Annahme, dass das Kind beim Herabwerfen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit am Leben geblieben wäre, zur Begründung der Kausalität, vgl. BGH JZ 1973, 173; kritisch zu „dieser verfehlten Begründung zum richtigen Resultat“ Spendel, JZ 1973, 137 (140). 343 Siehe Spendel, JZ 1973, 137 (142). Der BGH hatte in der Originalentscheidung das Vorliegen bedingten Tötungsvorsatzes mit verfehlter Begründung verneint, da er davon ausgeht, dass dieser nicht bejaht werden könne, wenn sich der Täter des Erfolges der unterlassenen Rettungshandlung nicht sicher gewesen sei, BGH JZ 1973, 173 (174).

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renlage und die Abwehrhandlung auf dasselbe Rechtsgut und auf dieselbe Person beziehen, tritt an die Stelle der Güterabwägung eine Risikoabwägung für das betroffene Rechtsgut.344 Bei dieser Betrachtung wäre der Wurf aus dem Fenster interessengemäß gewesen, weil dadurch die Chance, das Leben des Kindes zu retten, im Verhältnis zur Ausgangssituation des sicheren Flammentodes erheblich verbessert worden wäre. Selbst wenn sich das in dem Wurf345 liegende geringe Risiko verwirklicht hätte, hätte B mit dem Hinabwerfen eine erlaubte Handlung begangen. Da die gebotene Handlung damit aus § 34 StGB erlaubt gewesen wäre, kann ihr Unterlassen nicht rechtmäßig gewesen sein. B handelt daher rechtswidrig. Für die Beurteilung der Schuld des B wird man davon auszugehen haben, dass die Rechtsordnung in solch extremen Konfliktsituationen nicht von einem Vater die riskante, aus seiner Sicht möglicherweise zum Tode führende, Rettungshandlung verlangen kann. Für ihn stellt sich alleine die Wahl zwischen der Szylla und der Charybdis. Denn psychologisch gesehen muss B für den Wurf aus dem Fenster eine ungleich stärkere Willensenergie aufbringen als bei passivem Verhalten.346 Daher ist die praktische Konsequenz zu ziehen und der Ausschluss der Schuld wegen Unzumutbarkeit der Vornahme der gebotenen Handlung vorzunehmen.347 Wie aber wirkt sich dieses Ergebnis auf die Beurteilung der Strafbarkeit des Primärverursachers A, der durch sein fahrlässiges Verhalten den Brand verursachte, aus? Hierbei wird man davon auszugehen haben, dass sich das Unterlassen des B – auch wenn es tatbestandlich und rechtswidrig erfolgt – wegen der fehlenden Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens im Verhältnis zur Fortwirkung der durch A geschaffenen Gefahrenlage nicht als zurechnungsausschließendes Angriffsverhalten auf C bewerten lässt. Denn das Unterlassen ist alleine durch einen Gewissenskonflikt gekennzeichnet. Würde man hierin im Verhältnis zu A einen Angriff durch B sehen, so entstünde ein Wertungswiderspruch zu der Konstellation, in der ein nicht garantenpflichtiger Außenstehender bei zumutbarer Hilfeleistung untätig bleibt und damit § 323 c StGB verwirklicht. Eine solche Untätigkeit kann nach dem hier vertretenen Verständnis keinen Angriff darstellen348 – dann darf aber das Unterlassen in einer Konfliktsituation durch einen Garanten, der wegen Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens entschul-

344

Vgl. Spendel, SchwZStr 107 (1990), 154 (160 f.). Der Wurf des Kindes stellt im Gegensatz zu der oben Fn. 286 genannten Konstellation des herabfallenden Ziegelsteins keine reine Risikoverringerung dar, denn es wird eine eigenständige Ursachenreihe eröffnet; vgl. Kühl, AT, § 4 Rdnr. 55. 346 Vgl. Ulsenheimer, JuS 1972, 252 (256). 347 Siehe Ulsenheimer, JuS 1972, 252 (256). Kritisch, aber dies „durchaus vertretbar“ haltend Spendel, JZ 1973, 137 (143). Gegen das Institut der Unzumutbarkeit an sich Momsen, der alleine die §§ 20, 21, 46 StGB heranziehen will, vgl. Momsen, S. 450 ff. 348 Siehe oben Fn. 294. 345

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digt handelt, ebenso nicht als die Zurechnung intervenierender Angriff gewertet werden. Die Strafbarkeit des A lässt sich jedoch auch hier durch die fehlende Vorhersehbarkeit des Geschehensablaufs ausschließen. Das vollständige Unterlassen einer an sich möglichen und erfolgversprechenden Rettungsmaßnahme stellt einen Umstand dar, der normativ betrachtet dem eines gröblichsten349 ärztlichen Fehlverhaltens gleichkommt, so dass eine entsprechende Gleichbehandlung der beiden Fallgruppen nahe liegt. 3. Der Gewinn des Lösungsmodells a) Absehbarer Einwand Man mag gegen das hier vorgeschlagene Lösungsmodell den Einwand erheben, eine Zurechnung auch grob bzw. gröblichsten fahrlässigen Fehlverhaltens ginge haftungsrechtlich-normativ zu weit. Hierbei gilt es aber zu bedenken, dass – wie dargestellt350 – selbst Konstellationen auftreten können, in denen ein vorsätzliches Unterlassen – unabhängig von einer rein äußerlichen naturalistischen Betrachtung – die Zweitschädigung bedingt, aber dennoch den Zurechnungszusammenhang nicht auszuschließen vermag. Wird der Zurechnungszusammenhang einerseits durch das Quantum der geschaffenen Gefahrenlage, andererseits durch die Intention des auf Abwendung gerichteten Retterverhaltens oder der unausweichlichen Pflichtenkollision des Retters bestimmt, so lässt sich nicht alleine durch die Schwere des nachträglichen Fehlverhaltens eine Zäsurwirkung festschreiben. Denn die pflichtwidrige geschaffene Gefahr ist eben erst dann aufgehoben, wenn sie durch den Retter erfolgreich beseitigt wurde oder sich das geschädigte Rechtsgut eines von der Primärschädigung unabhängigen Angriffs ausgesetzt sieht. Es geht somit nicht darum, dem Primärschädiger ein fremdes (Fehl-)Verhalten als eigene Tatschuld zuzuweisen, sondern die Tatschuld ist potentiell bereits in der fahrlässigen Primärschädigung angelegt. Nur mit einem solchen Verständnis lässt sich einerseits das fahrlässig begangene nachträgliche Fehlverhalten und andererseits das vorsätzliche Unterlassen des Retters in einer Situation der Pflichtenkollision oder unzumutbaren Verhaltenserwartung in einem einheitlichen System beurteilen. Damit gelingt es, eine umfassende Theorie zu begründen, die präzise festlegt, wann welches Segment eines Schadensverlaufs wem objektiv zuzuordnen ist, um eine Forderung Röhs351 aufzugreifen. 349 350 351

Vgl. oben B.V.2.f). Siehe oben die Lösungen der Fälle 10–12. Dazu Röh, S. 101.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Eine Entlastung des Primärschädigers kann demnach alleine dann stattfinden, wenn die negative Substanz des nachträglichen Fehlverhaltens in einem angemessenen Verhältnis zur Setzung der Ausgangsgefahr steht bzw. diese überwiegt.352 Die Freistellung kann sich dabei jedoch nicht ausschließlich nach dem Quantum der gegenüberstehenden Verschuldensgrade bemessen – in die Beurteilung der gegenüberstehenden Substanzen von Primär- und Zweitschädigung hat eben auch einzufließen, dass der Primärschädiger durch seine Pflichtwidrigkeit neben dem Primärschaden das katechontische intervenierende Drittverhalten mitbegründet hat. Anders als die Pflichtwidrigkeit des Primärschädigers wird das Fehlverhalten des Intervenierenden – auch wenn dieses in seiner schädigenden Pflichtwidrigkeit seinerseits eine Enttäuschung des Rechts darstellt – daneben von einer Intention geleitet, nämlich dem Bestreben der Abwendung der von der Primärschädigung ausgehenden und andauernden Gefahr. Die gegenüberstehenden Fahrlässigkeiten von Primär- und Zweitschädiger sind in ihrer Natur insoweit nicht kongruent. Alleine mit einem (überwiegenden) Verschulden des Retters lässt sich demnach nicht das Gewicht von den Schultern des Primärschädigers nehmen. Als Korrektiv des so begründeten Zurechnungszusammenhangs kann alleine in Ausnahmefällen die mangelnde Vorhersehbarkeit dienen. Zu denken ist hierbei an gröblichst fehlsames Retterverhalten oder ein vorsätzliches Unterlassungsverhalten in spezifischen Extremsituationen. Dieses Quantum wird sich im Gegensatz zur diffizilen Unterscheidung von leicht und grob fahrlässigem Fehlverhalten unschwer bestimmen lassen, womit der richterlichen Würdigung ein orientierungsfähiger Maßstab an die Hand gegeben wird. b) Annex zur vorsätzlichen Primärschädigung aa) Vorsätzliche Körperverletzung als Primärschädigung Auch wenn die Figur der objektiven Zurechnung – insbesondere in der Rechtsprechung – für die Dogmatik des vorsätzlichen Begehungsdelikts nicht so etabliert ist wie beim Fahrlässigkeitsdelikt, so lässt sich doch für das Vorsatzdelikt als Übereinstimmung auch hier die Risikorealisierung ausmachen, zumal auch die Rechtsprechung die Begrifflichkeit zunehmend anführt.353 Es ist also auch hier die Frage der Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr und die Verwirklichung dieser im konkreten Erfolg als zentraler Zurechnungsaspekt von Bedeutung.354 352 Siehe die interessanten Ausführungen Hassemers, Lenckner-FS, S. 97 (108), ohne sich allerdings mit der Retterproblematik auseinanderzusetzen. 353 Siehe nur Lackner/Kühl, Vor § 13 Rdnr. 14. Vgl. auch Schünemann, GA 1999, 207 (219 ff.); Rengier, Roxin-FS, S. 811 (812 f.) sowie Kahlo, Küper-FS, S. 249 (267 f.).

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Liegt der Primärschädigung eine vorsätzliche Körperverletzung zu Grunde und kommt das Tatopfer auf Grund eines Verkehrsunfalls oder fehlerhaften (leicht – grob – gröblichsten fahrlässigen) Arztverhaltens zu Tode, so ergeben sich keine Abweichungen zur herausgearbeiteten Systematik, wie sie für die fahrlässige Primärschädigung entwickelt wurde. Die Grundsätze können ohne Einschränkung auf die Fallgruppe übernommen werden. bb) Primärschädigung mit Tötungsvorsatz Agiert der Primärschädiger jedoch mit Tötungsvorsatz, so können sich Abweichungen zur Fallgruppe der fahrlässigen Primärschädigung ergeben. Unser Augenmerk gilt hier zunächst der Fallgruppe der Rettung auf Kosten eines anderen Hilfsbedürftigen – hier wurde für den Fall der fahrlässigen Primärschädigung von einem als Angriffsverhalten zu wertenden Eingriff durch den Retter ausgegangen und damit ein Zurechnungsausschluss begründet. (1) Rettung auf Kosten eines anderen Hilfsbedürftigen Handelt es sich hingegen um eine vorsätzliche Primärschädigung – etwa in unserem Beispielsfall 8 rammt A das Kanu von B und C vorsätzlich in Tötungsabsicht – so ist dieses Verhalten leitend für die Bestimmung, ob sich das Rettungsverhalten als Angriff darstellt. Dass der Retter von der Art der Primärschädigung keine Kenntnis hat, ist insoweit nicht von Bedeutung; denn die Frage nach dem Angriffsaspekt bemisst sich nach normativen Gesichtspunkten und nicht nach der tatsächlichen Ausrichtung. Auch wenn das Recht den aktiven Eingriff in Form des tödlichen Schusses nicht erwartet, wird man im Gegensatz zur fahrlässigen Primärschädigung hier schwerlich von einer neuen Angriffsrichtung ausgehen können. Denn bereits das Verhalten des A war auf Tötung von B und C zielgerichtet und die Tötung des B durch R resultiert in einem rein reflexiven Angriffsverhalten, dessen Intention in seiner Gesamtheit nicht im Angriff, sondern in der Rettung liegt. Daher muss hier die Tötung des B dem A zugerechnet werden.355 Die abweichende Beurtei354

Vgl. Tröndle/Fischer, Vor § 13 Rdnr. 17. Übereinstimmend für den Fall, dass ein Opfer die Tötung begeht, um sich auf Kosten anderer in entschuldigender Weise zu retten M. Heinrich, S. 249 f.; Blei, AT, S. 259; LK/Roxin, § 25 Rdnr. 65; Roxin, Täterschaft, S. 149; entsprechend für das erfolgsqualifizierte Delikt Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 184, 189 (Fallgruppe 6). Mit dieser Beurteilung lässt sich auch der „Gnadenschuss-Fall“ (siehe oben 1. Abschnitt, Fn. 147) einordnen: Sieht man in dem erlösenden Todesschuss eine Rettungsaktivität (Tatfrage), so lässt sich diese in Korrelation mit der vorsätzlichen, auf Tötung gerichteten Primärschädigung nicht als Angriffsverhalten deklarieren. Allerdings muss die Rettungsaktivität der unmittelbaren Abwendung einer vom Täter akut bewirkten unerträglichen Situation – beispielsweise furchtbarer Qualen – dienen; keine 355

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

lung gegenüber dem Fall der fahrlässigen Primärschädigung resultiert somit in dem Umstand, dass bei einer vorsätzlichen Primärschädigung die hierzu in Relation zu setzende Rettungsmaßnahme ihre Angriffsrichtung verliert. Die Frage der Zuordnung eines intervenierenden Retterverhaltens in die Kategorie der Angriffsrichtung hat sich am Wesen der Primärschädigung zu bemessen. Soweit davon auszugehen ist, dass sich der Kausalverlauf als unwesentliche Abweichung von der Vorstellung des A darstellt, bzw. er von der Planverwirklichung356 erfasst ist, liegt auch der subjektive Tatbestand vor.357 A ist unter dieser Voraussetzung eines vollendeten und eines versuchten Tötungsdelikts strafbar. Eine entsprechende Beurteilung ist darüber hinaus in den Fällen angebracht, in denen das vom Retter geschädigte Opfer selbst Bestandteil der Bedrohung ist. Zur Verdeutlichung soll folgender Beispielsfall dienen: Terroristen haben ein voll besetztes Passagierflugzeug in ihre Gewalt gebracht und steuern damit auf ein Atomkraftwerk zu. Die Schutzhülle des Atomkraftwerks würde einem Einschlag nicht standhalten, die radioaktive Verseuchung von hunderttausenden Menschen wäre die Folge. Daher entschließt sich der Pilot eines Abfangjägers als ultima ratio zum Abschuss der Maschine. Neben den Terroristen kommen alle Passagiere und die gesamte Besatzung ums Leben.

Stellt man sich die Frage, ob den weiteren Mitgliedern der terroristischen Vereinigung, die als Mittäter des geplanten Anschlags anzusehen sind, der Tod der Passagiere und der Besatzungsmitglieder als vollendete vorsätzliche Tötung zuzurechnen ist, so erlangt auch hier die intendierte Schädigung grundsätzliche Bedeutung. Der Akt der Terroristen war auf vorsätzliche Tötung aller an Bord befindlichen Personen ausgerichtet; der Abschuss des Piloten kann auch in diesem Fall als entschuldigt – auf Grund übergesetzlichen Notstands358 – angesehen werden. Auch wenn der intervenierende Eingriff des Piloten nicht der rechtlichen Erwartung unterstellt werden kann, sondern lediglich einen übergesetzlichen Entschuldigungsgrund für diesen bildet, verliert der rettende Akt in

Zurechnung daher im von Röh, S. 101 gebildeten Fall: Die Eltern des unerlaubt mit HIV infizierten Opfers töten dieses, um es vor den Qualen eines langsamen AIDSTodes zu bewahren. 356 Siehe zu diesem Aspekt noch näher unten 11. Abschnitt, A. 357 Verneint man den subjektiven Tatbestand wegen wesentlicher Abweichung des Kausalverlaufs von der Vorstellung des A, so steht dies der grundsätzlichen Annahme einer fahrlässigen Tötung nicht entgegen; vgl. auch hierzu unten 11. Abschnitt, A.; Tatfrage wäre wiederum die objektive Vorhersehbarkeit. 358 Das BVerfG hat sich in seiner Entscheidung zu § 14 III Luftsicherheitsgesetz bewusst mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt, siehe BVerfG NJW 2006, 751 (759). Eine im Vordringen befindliche Auffassung will demgegenüber eine Rechtfertigung des Piloten über die Grundsätze des Defensivnotstandes erreichen [siehe die Nachweise bei R. Merkel, JZ 2007, 373 (384 Fn. 71 f.) sowie jüngst Rogall, NStZ 2008, 1 (2 ff.)]; m. E. zu Recht ablehnend R. Merkel, JZ 2007, 373 (385).

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Relation zu der von den Terroristen intendierten Schädigung seinen Angriffscharakter. Auf Grund der Ausrichtung an der Angriffsrichtung der Terroristen verliert der auf Abwendung gerichtete Eingriff sein ansonsten zurechnungsunterbrechendes Schädigungspotential.359 (2) Scheitern der Revokation bei Einbindung von Dritten Eine weitere mögliche Fallkonstellation bildet der Fall der gescheiterten Revokation. Der vorsätzlichen Schädigung kann eine Rettungsintention nachfolgen. Als Beispiel soll der Fall dienen, dass A mit Tötungsvorsatz auf B einsticht, sich dann aber angesichts des schwerverletzten B, von Reue getrieben, zur Rettung entschließt. A transportiert den B auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus360 und übergibt sein Opfer dem behandelnden Arzt. Dieser erkennt in dem B seinen Nebenbuhler und verzögert daher mit Tötungsvorsatz die notwendige Operation. B verstirbt. Schliebitz will selbst im Fall des unechten Unterlassens (13 StGB) durch den Dritten davon ausgehen, dass sich die nicht erfolgte Abwendung als das nicht revozierte Risiko der Primärschädigung, d.h. als misslungener Rücktritt und damit als vollendete Tötung darstellt. § 13 StGB betreffe allein die Strafbarkeit des behandelnden Arztes, habe auf den Rücktrittswilligen aber keine Drittwirkung.361 Vorhersehbar müsse für den Täter alleine die Erfolgsherbeiführung, nicht auch das Misslingen der Rettung sein. Eine andere Beurteilung sei im Ausnahmefall nur angebracht, wenn zum Zeitpunkt der Primärschädigung eine hohe Revokationswahrscheinlichkeit bestehe.362 359 Fraglich ist, ob den Tätern auch der Tod von Menschen, die von herunterfallenden Trümmerteilen erschlagen werden, zuzurechnen ist. Da durch das Ingangsetzen der Passagiermaschine als Waffe auch für die Bodenbevölkerung eine Gefahrenquelle (z. B. auch auf Grund eines Kampfes an Bord, der zum Absturz führt) mittelbar begründet wurde, liegt es nahe, den Tod dieser Personen zumindest als fahrlässige Tötung zuzurechnen. Es handelt sich insoweit um eine an die Figur der aberratio ictus angelehnte Fallkonstellation, allerdings mit der Besonderheit, dass der Tod der Insassen der Passagiermaschine – wie dargestellt – eine Strafbarkeit wegen vollendeter vorsätzlicher Tötung begründet. Zur Fallkonstellation der mittelbaren Gefahrschaffung für einen Dritten siehe unten D. 360 Wird der A unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt, so stellt sich der Tod des B als Ausprägung des allgemeinen Lebensrisikos dar; siehe näher unten Fn. 382. 361 Vgl. Schliebitz, S. 97 f. Anders verfährt Schliebitz, wenn der Retter aktiv handelt. Hier solle bereits alleine das grob fahrlässige Fehlverhalten ein – vom Grad der Vorschädigung unabhängiges – neues Risiko setzen, für welches der Primärtäter nicht hafte, vgl. Schliebitz, S. 99 f. Gegen diese Kategorisierung nach Fahrlässigkeitsgraden siehe bereits oben B.IV.3.c). 362 Vgl. Schliebitz, S. 98 f.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Dieser Betrachtung kann nicht gefolgt werden. Zwar trägt der Täter grundsätzlich das Revokationsrisiko, insoweit ist Schliebitz zuzustimmen.363 Doch gilt hier zu bedenken, dass das Verhalten des Arztes als neues Angriffsverhalten zu bewerten ist. Der Arzt will nicht etwa das Leid des B verkürzen364 oder dem Primärtäter die endgültige Erfolgsherbeiführung lediglich abnehmen. Sein Motiv ist mit dem des Primärtäters nicht verknüpft, es stellt sich diesem gegenüber als willkürlich dar. Daher greift für den A der Zurechnungsausschluss ein. Eine Vollendungsstrafbarkeit hat auszuscheiden. Die Strafbarkeit wegen Versuchs bemisst sich an § 24 I 2 StGB365 – die notwendige Verhinderungsbemühung dürfte erfüllt sein, so dass der A insoweit straffrei verbleibt. 4. Zwischenergebnis Damit können wir als Zwischenergebnis Folgendes festhalten: (1) Verwirklicht sich in dem Zweitschaden ein allgemeines Lebensrisiko, so ist eine Zurechnung an den Primärtäter nicht statthaft, es fehlt an der modellhaften Erfolgsverwirklichung. (2) Für die Frage der Zurechnung fahrlässigen Retterverhaltens ist nicht entscheidend, ob das Verhalten des Zweitschädigers als aktives Tun oder in Form des Unterlassens auftritt. (3) Maßstab zur Beurteilung der Zurechnung fehlsamen fahrlässigen Retterverhaltens bildet das Fortwirken der geschaffenen Gefahrenlage. Hierfür ist die gesetzte Ausgangsgefahr in Relation zur Intention des eingreifenden Verhaltens zu setzten. Ist dieses katechontisch geprägt und lässt sich nicht als Angriffsverhalten bewerten, so ist es bereits in der Primärschädigung angelegt und zurechenbar.

363 Da ein gröblichstes fehlerhaftes Arztverhalten den Zurechnungszusammenhang nicht zu unterbrechen vermag, sondern allenfalls die objektive Vorhersehbarkeit in diesem Fall zu verneinen sein kann [vgl. oben B.V.2.f)], trägt der mit Tötungsvorsatz handelnde Primärschädiger auch bei gröblichstem Fehlverhalten des Arztes das Revokationsrisiko. Denn insoweit spielt alleine die Zurechnungsebene eine Rolle. Dem Täter wird alleine die Gefahrschaffung, nicht auch die gescheiterte Revokation vorgeworfen. Vorhersehbar muss in diesem Fall alleine die Erfolgsherbeiführung, nicht auch das Scheitern der Rettung sein; insoweit übereinstimmend Schliebitz, S. 98. Auch in diesem Fall zeigt sich der Vorteil, die Frage der Zurechnung von der der Adäquanz zu trennen. 364 Zu einem solchen Fall siehe die Abwandlung des „Gnadenschuss-Falles“ durch Kölbel, JuS 2006, 309 (313 i.V. m. Fn. 34). 365 Der Anwendungsbereich der Norm bezieht sich nicht nur auf den Nichteintritt des Erfolges, sondern auch auf die Fälle eines nicht zurechenbaren Erfolgseintritts; siehe Roxin, AT II, § 30 Rdnr. 284 sowie die Nachweise unten in Fn. 382.

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(4) Handlungsunspezifische, d.h. überschießende Zweitschäden, die nur bei Gelegenheit des Kontaktes mit dem Arzt entstehen, sind von dem Primärtäter nicht determiniert und somit nicht zurechenbar. Dasselbe gilt für Zweitschäden, die nach vollständig behobener Ausgangsgefahr eintreten. (5) Neben leichten sind auch grobe Behandlungsfehler dem Primärschädiger zurechenbar, dies auch dann, wenn es sich um keine lebensgefährlichen Verletzungen handelt (Variation des gesetzten Risikos). In den Ausnahmefällen der gröblichsten Behandlungsfehler ist eine Straflosigkeit über die fehlende objektive Voraussehbarkeit zu erreichen. Im Falle eines non liquet führt hierbei die begründete Möglichkeit eines kausalen Zusammenhangs zwischen der Zweitschädigung und dem (gröblichsten) fehlerhaften Retterverhalten zur Freistellung des Primärschädigers. (6) Erfolgt die Rettung auf Kosten eines anderen Hilfsbedürftigen, so lässt sich, soweit das Eingriffsverhalten rechtlich nicht erwartet ist, keine Zurechnung zum fahrlässig handelnden Primärschädiger begründen, wohl aber zum mit Tötungsvorsatz schädigenden Primärtäter. (7) Im Falle vorsätzlichen Unterlassens bei Pflichtenkollision, Gefahr für die Integrität des Retters oder bei Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens wird der Zurechnungszusammenhang zum Primärschädiger nicht unterbrochen. Eine Beschränkung der Strafbarkeit kann über die fehlende objektive Vorhersehbarkeit erreicht werden. Im Weiteren werden anders geartete Konstellationen dargestellt, bei denen das Primärtäterverhalten mit dem Fehlverhalten eines Retters in Verbindung steht. Zur Lösung sollen die bisher gewonnenen Erkenntnisse herangezogen werden. C. Der Retter ist zugleich Erstschädiger (oben Fall 13) Interessant an dieser Fallkonstellation ist zum einen, dass der Arzt hier seine eigene Erstschädigung abwenden will, zum anderen der Umstand, dass ein schuldhaftes Verhalten nur in Bezug auf die erste Operation festgestellt werden kann, während die Komplikation nach der zweiten Operation direkt keine schuldhafte Grundlage hat. Insoweit handelt es sich eigentlich überhaupt nicht um fehlerhaftes Retterverhalten, da die rettende Operation lege artis durchgeführt wurde. Dennoch soll die Konstellation auf Grund ihrer nahen Beziehung zu den typischen Fällen fehlerhaften Retterverhaltens behandelt werden. Da sich die Rechtsprechung bereits mit entsprechenden Konstellationen zu beschäftigen hatte, sollen zunächst die höchstrichterlichen Entscheidungen näher untersucht werden. Im Anschluss hieran blicken wir auf das einschlägige Schrifttum, das die Dogmatik der Rechtsprechung einer weiteren Konkretisierung zugeführt hat.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten I. Rechtsprechung

1. BGH NJW 1955, 1487 Dem Urteil vom 10.6.1955 lag verkürzt dieser Sachverhalt zu Grunde: Der Angeklagte, ein Arzt, führte unter Assistenz eines weiteren Arztes und einer Schwester eine Kaiserschnittoperation durch. Während der Operation geriet ein zum Spreizen der geöffneten Bauchdecke verwendeter sog. Roux-Haken, ohne dass die Ärzte es wahrnahmen, in den Leib der Patientin und wurde dort eingenäht. Rund einen Monat später wurde die Patientin zur Entfernung des Hakens erneut operiert. Im Anschluss an diese zweite Operation entwickelte sich bei ihr eine Thrombose, diese führte zu einer Lungenembolie, der die Patientin erlag. Der BGH bestätigte die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung.

Der BGH sah den ursächlichen Zusammenhang darin begründet, dass die durch die zweite Operation ausgelöste Lungenembolie ihre Bedingung in dem Zurücklassen des Roux-Hakens hatte. Damit erweist sich das Zurücklassen als kausal für den Tod der Patientin.366 Das Verschulden des Angeklagten liege in einer Verletzung der Aufsichts- und Überwachungspflicht der Schwester. Die fehlende Überwachung sei auch ursächlich für den Tod der Patientin, da eine sofortige Wiederöffnung der Operationswunde – anders als eine später vorgenommene entsprechende Operation – gegenüber dem Krankheitsverlauf nach der normal abgeschlossenen Operation die Thrombose- und Emboliegefahr nicht erhöht hätte. Eine solche unmittelbare Zweitoperation, bei welcher keine neue Narkose hätte eingeleitet werden müssen, stelle seinem Wesen nach nur eine Fortsetzung der ersten Operation dar.367 2. BGH JR 1989, 382 Der BGH ging in seinem Urteil vom 12.11.1986 von folgendem Sachverhalt aus: Der Angeklagte, ein Arzt, führte an einem dreieinhalb Monate alten Säugling eine Leistenoperation durch. Hierbei operierte er irrtümlich die rechte Leistengegend, obwohl eine Leistenbruchoperation auf der linken Seite durchgeführt werden sollte. Im Laufe der Operation erkannte der Angeklagte, dass er keinen Leistenbruch vor sich hatte. Nach beendeter Operation wurde er von den Eltern des Kindes zur Rede gestellt. In Anbetracht der Gefahr eines jederzeitig auftretenden Leistenbruchs auf der linken Seite riet der Angeklagte den Eltern, die notwendige Operation sogleich, noch am selben Morgen vorzunehmen. Obwohl zwischen zwei Halothan-Narkosen grundsätzlich ein zeitlicher Abstand von 60 Stunden angezeigt ist, hielt der Angeklagte in diesem Fall einen kürzeren zeitlichen Abstand nicht von vornherein für unvertretbar. So wurde bereits ca. 40 Minuten nach dem Erwachen des Säuglings aus der Narkose die erneute Narkose eingeleitet und die Operation in der linken Leistengegend lege artis durchgeführt. Als die Operation beendet war, waren jedoch 366 367

Vgl. BGH NJW 1955, 1487. Vgl. BGH NJW 1955, 1487.

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Atemtätigkeit und Herzschlag des Kindes zum Erliegen gekommen. Trotz eingeleiteter intensiv-medizinischer Notmaßnahmen verstarb das Kind kurze Zeit später an Sauerstoffmangel. Der BGH beanstandete die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung nicht.

In seinen Entscheidungsgründen führt der BGH aus, dass der Tod des Säuglings durch pflichtwidriges und vorwerfbares Verhalten verursacht wurde. Die unterlassene Abtastung des Säuglings vor dem ersten Schnitt und die darauf zurückzuführende Operation der falschen Bauchseite sei für den Tod des Säuglings ursächlich. Das Gericht ließ offen, ob dem Arzt in Bezug auf die zweite Operation ein Pflichtverstoß vorzuwerfen war, der darin gesehen werden könnte, dass die ohne Einhaltung eines Sicherheitsabstandes durchgeführte Operation nicht in einer für solche Notfälle besonders ausgerüsteten Klinik stattfand.368 Jedenfalls habe der Angeklagte durch sein pflichtwidriges Verhalten bei der ersten Operation die Notwendigkeit geschaffen, dass binnen kurzer Zeit ein zusätzliches Narkoserisiko einzugehen war. Die fehlerhafte Operation der rechten Leistengegend habe die von dem Leistenbruch ausgehende lebensbedrohende Gefahr einer Brucheinklemmung durch den Wundschmerz erhöht. „Der Angeklagte hat somit durch seine rechtswidrige und schuldhafte Körperverletzung, nämlich den ersten Eingriff an der falschen Seite, eine zusätzliche Gefahr für das Leben des Kindes geschaffen. Diese bestand darin, daß das gerade operierte Kind unter wesentlicher Unterschreitung des sonst üblichen Sicherheitsabstandes den Narkoserisiken der zweiten um 10.45 Uhr eingeleiteten Operation ausgesetzt war. Da diese Gefahr sich in dem Tod des Säuglings verwirklicht hat, besteht unter dem – die Kausalitätshaftung einschränkenden – rechtlichen Gesichtspunkt strafrechtlicher Zurechenbarkeit kein Grund, dem Angeklagten den durch seine Pflichtwidrigkeit herbeigeführten Tod nicht nach § 222 StGB anzulasten.“369 II. Literatur

Mit der Problematik der misslingenden Fehlerkorrektur durch pflichtgemäßen Eingriff beschäftigt sich, soweit erkennbar, einzig Krümpelmann370. Krümpelmann, der sich intensiv mit der Argumentation des BGH im Urteil BGH JR 1989, 382 auseinandersetzt, zieht für seine Ausführungen das erstinstanzliche Urteil des LG Wuppertal371 ergänzend heran. Im Gegensatz zur Strafkammer, die den Täter für nahezu jede Folge aus dem Grundrisiko der Fehlerkorrektur nach dem Prinzip der Vorhersehbarkeit verantwortlich machte, 368

Vgl. BGH JR 1989, 382 (383). BGH JR 1989, 382 (383) (Hervorhebung vom Verfasser). 370 Krümpelmann, JR 1989, 353. 371 LG Wuppertal v. 18.4.1985 – 22 Kls 12 Js 176/81 (163/82 II) (unveröffentlicht – in Auszügen wiedergegeben bei Krümpelmann, JR 1989, 353). 369

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

habe der BGH eine Zwischenprüfung eingebracht. Der Senat blendet die generelle Vorhersehbarkeit beim Ersteingriff aus, indem er den von der Kammer angenommenen Haftungsrahmen durch die Zwischenprüfung einer Risikoerhöhung aus der Narkosefolge beim Zweiteingriff reduziert.372 Krümpelmann bemängelt bei der Argumentation des BGH, dass sich nicht erkennen lasse, welche zeitliche Struktur dem Urteil der Gefahrerhöhung zu Grunde liege, die Perspektive ex ante oder ex post. Sollte die Gefahrerhöhung auf der Grundlage der früher unerkennbaren, aus der Sicht der Hauptverhandlung aber zur Verfügung stehenden Tatsachen, also ex post gebildet werden, so läge dem das Prinzip der Risikoerhöhungstheorie373 zu Grunde.374 Damit bliebe für die Gefahrerhöhung nur noch die Funktion der Überbrückung einer nicht aufgeklärten Kausalbeziehung. Sie wäre dann nicht mehr normative Einschränkung, sondern eine Verschärfung der Zurechnung nach dem Kausalverlauf.375 Krümpelmann will daher die Beurteilung der Gefahrerhöhung auf den Zeitpunkt des Zweiteingriffs (Fehlerkorrektur) verstanden wissen. Nach dieser Ansicht scheiden alle Folgen aus, die sich durch den Zweiteingriff aus damals unerkennbaren Umständen entwickelt haben.376 Im Folgenden verdeutlicht Krümpelmann die Konsequenzen, die sich beim Neuansatz der Risikoerhöhung des BGH unter dem Verständnis der Bezugnahme auf den Zeitpunkt der Fehlerkorrektur ergeben, anhand von Beispielsfällen:377 (1) Der angerichtete Schaden des Ersteingriffs lässt sich nicht wieder beheben.378 (2) Der nicht beseitigte Schaden frisst bis zum zweiten Eingriff weiter und kann dann nicht mehr beherrscht werden, z. B. ein nicht ausreichend beseitigtes Karzinom hat bei der Nachoperation schon Metastasen gebildet. (3) Der erste Eingriff liegt auch ohne den Behandlungsfehler an der Grenze der Belastbarkeit des Patienten, und jede Nachbehandlung führt in die Zone erkennbarer Überforderung, z. B. die Entfernung eines in der Leibeshöhle vergessenen Instruments erhöht die bereits mit dem Ersteingriff verbundene erhebliche Embolieneigung.

372

Siehe Krümpelmann, JR 1989, 353 (357). Grundlegend Roxin, ZStW 74 (1962), 411 (430 ff.). 374 Vgl. Krümpelmann, JR 1989, 353 (357). 375 Vgl. Krümpelmann, JR 1989, 353 (357). 376 Vgl. Krümpelmann, JR 1989, 353 (357). 377 Krümpelmann, JR 1989, 353 (357 f.). 378 Anmerkung des Verfassers: Z. B. das Verbluten des Patienten kann auch in der Notoperation nicht mehr verhindert werden. 373

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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In den beiden ersten Beispielen ist es nach Krümpelmann das erkennende Anwachsen des Ausgangsschadens, das die Folge zeitigt. Auch wenn der Zweiteingriff für sich keine Gefahrerhöhung bedeute, sogar, wenn er die wachsende Gefahr vermindere, komme eine Enthaftung nicht in Betracht. Beim dritten Beispiel bedeute die Korrektur eine Gefahrerhöhung, so dass das neue Kriterium des BGH die Zurechnung eröffne.379 Problematisch bleibt auch bei diesem Verfahren, wie vorzugehen ist, wenn der Ersteingriff keine Gefahrerhöhung, d.h. keine anwachsende Gefahr schafft, sondern lediglich das erneute Grundrisiko der Wiederholung des Eingriffs begründet.380 Krümpelmann hält es hier erforderlich, nach der konkreten Risikohöhe der Korrektur abzustufen.381 III. Eigenes Lösungsmodell

Ausgangspunkt unserer Überlegung muss auch hier der Umstand sein, dass durch den Ersteingriff pflichtwidrig eine Gefahr für den Patienten geschaffen wurde, nämlich die Gefahr, dass zur Beseitigung der Folgen des Kunstfehlers ein zweiter Eingriff erforderlich, determiniert wird. Dieser zweite Eingriff stellt schon deshalb eine Gefahrerhöhung – und keine Ausprägung des allgemeinen Lebensrisikos – dar, da jeder medizinische Eingriff mit einem Restrisiko belastet ist, über welches der Patient bereits vor dem Ersteingriff aufgeklärt wird und dies durch seine Unterschrift auf dem Aufklärungsbogen anerkennt. Dies gilt insbesondere für operative Eingriffe.382 Ohne 379

Vgl. Krümpelmann, JR 1989, 353 (358). Vgl. Krümpelmann, JR 1989, 353 (358 Fn. 31). 381 Vgl. Krümpelmann, JR 1989, 353 (358 Fn. 31). 382 Eine andere Situation stellt sich dar, wenn der fahrlässige Primärschädiger das Opfer selbst ins Krankenhaus transportiert und hierbei unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt wird, an dessen Folgen das Opfer verstirbt. Hier fehlt es an einer modellhaften Gefahrverwirklichung, da der Erfolg lediglich in der allgemeinen Teilnahme am Straßenverkehr resultiert – es wurde mithin nur ein allgemeines Lebensrisiko begründet, siehe bereits oben B.III.5.a). Handelte der Primärtäter mit Tötungsvorsatz, will das verletzte Opfer nun aber zur Rettung ins Krankenhaus verbringen, wobei auch hier ein unverschuldeter Verkehrsunfall den Tod des Opfers herbeiführt, so handelt es sich um eine § 24 I 2 StGB unterfallende Konstellation, vgl. Wessels/Beulke, AT, Rdnr. 646; Kühl, AT, § 16 Rdnr. 82; Sch/Sch/Eser, § 24 Rdnr. 70. Unrichtig wäre es, hier § 24 I 1 2. Alt. StGB zur Anwendung zu bringen, denn ebenso wie dem Täter der Tod durch den Verkehrsunfall nicht objektiv zuzurechnen ist, ist ihm auch die Nichtvollendung der Tötung nicht zuzurechnen. Aus § 24 I 2 StGB lässt sich erkennen, dass vom beendeten Versuch nur strafbefreiend zurücktreten kann, wer sich „ernsthaft bemüht“ – und das wiederum bedeutet, dass der tatsächliche Grund für die Nichtvollendung auch bei § 24 I 1 2. Alt. StGB vom Täter ernsthaft, also objektiv zurechenbar verursacht werden muss, vgl. hierzu SK/Rudolphi, § 24 Rdnr. 27 c; Bloy, JuS 1987, 528 (533) sowie Hardtung, Lehrskript Strafrecht AT, 6. Kapitel: Das Versuchsdelikt, S. 17 Rdnr. 107 (Stand 31. Januar 2007), abrufbar unter . Str. ist 380

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Kunstfehler wird der Patient diesem Risiko aber nur einmal ausgesetzt bzw. bei unverschuldeten Komplikationen auch mehrfach, dann fehlt es aber an einem pflichtwidrig handelnden Zurechnungssubjekt. Wenn sich der im Ersteingriff angerichtete Schaden nicht mehr beseitigen lässt (Fallbeispiel 1 von Krümpelmann) oder dieser sich bis zum Zweitschaden weiterfrisst (Fallbeispiel 2 von Krümpelmann), dann ist ein Zurechnungszusammenhang begründet. Die geschaffene Gefahr wirkt hier bis zum Enderfolg fort. Schwieriger ist die von Krümpelmann genannte Fallgruppe 3 – zu der auch die Entscheidung BGH NJW 1955, 1487 gerechnet werden kann –, bei der es an einer anwachsenden Gefahr fehlen und lediglich das erneute Risiko des Ersteingriffs gesetzt werden soll. Hierbei ist aber zu bedenken, dass ohne das pflichtwidrige Verhalten beim Ersteingriff ein Zweiteingriff nicht erforderlich geworden wäre. Das Grundrisiko der erneuten Operation kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist mit dem fehlerhaften Ersteingriff in Relation zu setzen: Der Patient wird einem Operationsrisiko auf Grund fehlerhafter Behandlung mehrfach ausgesetzt, darin ist bereits eine Gefahrerhöhung zu sehen.383 Mit diesem Verständnis wird das vom BGH in der Entscheidung BGH JR 1989, 382 geschaffene Zwischenglied der Risikoerhöhung zwar weitgehend obsolet, dennoch ist die hier vertretene Ansicht nicht mit einer Risikoerhöhungslehre, wie sie insbesondere von Roxin384 vertreten wird, gleichzusetzen. Denn die Risikoerhöhungslehre versagt dem Täter grundsätzlich den entlastenden Verweis auf den im Wesentlichen gleichen Erfolgseintritt bei rechtmäßigem Alternativverhalten. Dieses Argumentationsmuster greift aber in den Fällen misslungener Fehlerkorrektur schon deshalb nicht Platz, da bei rechtmäßigem Alternativverhalten der über die Fehlerkorrektur vermittelte Erfolg gerade nicht eingetreten wäre. In der Sache handelt es sich daher vielmehr um eine der Kategorie der „actio illicita in causa“ zuzuordnende Konstellation, ohne dass die typischerweise notwehrspezifischen Einwände385 gegen dieses Konstrukt hier – und in Bezug auf Erfolgsdelikte im Allgemeinen – Platz greifen können.386

dagegen, ob das Erfordernis der objektiv zurechenbaren Erfolgsverhinderung ein kollusives Zusammenwirken zwischen Täter und Retter erfordert; vgl. einerseits BGHSt 31, 46 (50), andererseits Bloy, JuS 1987, 528 (535). Zum Problem der antizipierten Verhinderungsmaßnahme beim beendeten Versuch siehe auf der einen Seite BGHSt 44, 204, auf der anderen Seite Herzberg, NJW 1989, 862 (867 ff.); Scheinfeld, JuS 2006, 397. 383 So ausdrücklich auch Wachsmuth, Bockelmann-FS, S. 473 (477) aus medizinischer Sicht: „Dazu ist zu sagen, daß jeder Zweiteingriff ein erhöhtes Risiko in sich birgt, [. . .]“ (Hervorhebung im Original). 384 Vgl. Roxin, ZStW 74 (1962), 411 (430 ff.); ders., AT I, § 11 Rdnr. 88 ff. 385 Siehe unten 3. Abschnitt, Fn. 826. 386 Wie hier ausdrücklich auch Dencker, JuS 1979, 779 (782) („Eingriffsübermaß“). Siehe auch Küper, Notstand, S. 44 Fn. 134.

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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Geht man damit allein mit dem pflichtwidrigen Ersteingriff von einer determinierten Gefahrerhöhung aus, so kommt dem Aspekt der Vorhersehbarkeit in Bezug auf den Zurechnungszusammenhang keine Relevanz zu. Entgegen Krümpelmann bedarf es zur Bestimmung der Gefahrerhöhung daher auch keines Abstellens auf den Zeitpunkt des Zweiteingriffs. Hierin, dies sei klargestellt, liegt kein Versari-Prinzip, sondern der Eintritt des durch die Fehlerkorrektur vermittelten Erfolgs gründet in der durch den fehlerhaften Ersteingriff gesetzten und damit fortwirkenden Gefahrschaffung. Das Risiko des Zweiteingriffs lieg somit in der Streubreite der Ausgangsgefahr, womit sich sowohl in den genannten BGH-Fällen als auch in unserem Beispielsfall 13 die Zurechnung begründen lässt. D. Der Retter schädigt einen unbeteiligten Dritten (oben Fall 14) Während in den Fallkonstellationen der Rettung auf Kosten eines anderen Hilfsbedürftigen (oben Fall 8), des vorsätzlichen Unterlassens bei Pflichtenkollision (oben Fall 10), der eintretenden Lebensgefährdung für den Retter (oben Fall 11) und des vorsätzlichen Unterlassens bei Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens (oben Fall 12) jeweils eine pflichtwidrige Gefahrschaffung für das letztlich geschädigte Opfer durch den Primärschädiger verursacht wurde, ist die Konstellation der Schädigung eines unbeteiligten Dritten dadurch gekennzeichnet, dass es an einer gefahrschaffenden Einwirkung auf den unbeteiligten Dritten fehlt. In Fall 14 hat der A durch sein pflichtwidriges Verhalten die Hilfeleistung anderer Personen, hier in Bezug auf den B, determiniert. Es galt, die für B geschaffene Ausgangsgefahr in ihrem Fortwirken zu unterbinden. Dass bei dieser Hilfeleistung allerdings ein Unbeteiligter geschädigt wurde, stellt sich für den pflichtwidrigen Verursacher als unbeherrschbarer Zufall dar, zu dem er keinen Anstoß gegeben hat. Insoweit fehlt es an einer dahingehenden Determination, so dass die Schädigung nicht auf den Primärschädiger rückführbar ist.387 Für 387 Gleiches gilt, falls ein vorsätzlicher, aber gerechtfertigter Eingriff in das Rechtsgut eines unbeteiligten Dritten erfolgt – beispielsweise wenn man eine zwangsweise Blutentnahme zur Rettung eines Schwerstverletzten als nach § 34 StGB gerechtfertigt ansieht (sehr str., vgl. Sch/Sch/Lenckner/Perron, § 34 Rdnr. 41 e). Die fehlende Einwirkung auf das Rechtsgut des Dritten führt insofern zu einer abweichenden Beurteilung gegenüber dem Fall der Schädigung zweier Rechtsgüter, die eine Konfliktsituation für den Retter begründet, siehe hierzu oben Fn. 324. Im Übrigen lässt sich mit dieser Sichtweise auch die – unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigte oder entschuldigte – Rettungsfolter (vgl. bereits im Hinblick auf die Androhung einer solchen LG Frankfurt NJW 2005, 692 sowie BVerfG NJW 2005, 656) bei einem Mittäter im Rahmen einer polizeilichen Vernehmung nicht als zurechnungsrelevanter und damit körperverletzungsbegründender Vorgang für den ebenfalls schweigenden Tatkomplizen verstehen. Die nordamerikanische Judikatur entscheidet in ähnlich gelagerten Fallkonstellation oftmals anders: Schießt der Bankräuber A mit Tötungsvorsatz auf

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

die Schädigung eines unbeteiligten Dritten ist der Primärschädiger somit nicht verantwortlich, da er in Bezug auf diesen nicht eingewirkt und damit keine Ausgangsgefahr gesetzt hat.388 Diese Beurteilung hat allerdings nur dann seine Gültigkeit, wenn es eben an jeglicher Einwirkung auf den Dritten fehlt. Dies ist dann nicht der Fall, wenn sich auch der Dritte in der Streubreite der begründeten Gefahrenquelle befindet und sich damit einer mittelbaren Einwirkung ausgesetzt sieht. Zum Beispiel: A liebt es, in seiner Hängematte im Garten ein Nickerchen zu halten. Terrorist T weiß dies und will den A töten. Deshalb wirft er über den Gartenzaun eine Handgranate, um den schlafenden A zu töten. Die Ehefrau F des A hat das Geschehen beobachtet und will ihren Mann retten. Daher rennt sie zu der Granate und wirft diese, so weit sie kann, weg. Die Granate landet in des Nachbars N Garten und explodiert kurz darauf. N, der sich gerade in seinem Garten aufhält, stirbt.

Durch das Platzieren der Handgranate hat der T eine Gefahrenquelle begründet. Darin unterscheidet sich der Fall zu dem Fall der isolierten Herbeiführung einer Primärschädigung. Wird lediglich eine Primärschädigung gesetzt, wird in Bezug auf Dritte keine Gefahrenquelle begründet. Ganz anders liegen die Umstände jedoch, wenn der Täter eine Gefahr setzt und lediglich darauf hofft, dass ein bestimmtes Opfer getroffen wird. In diesem Fall begründet das Eingreifen des Retters, im Beispielsfall das Verhalten der F, für den Täter den Fall einer aberratio ictus.389 Gleiches hat folglich auch dann zu gelten, wenn der Weg eines Geschosses zwar nicht abgelenkt wird, aber ein Austausch des Zielobjekts eintritt. Zielt der Terrorist T beispielsweise auf den Politiker P, der Leibwächter L des P stößt diesen aber zur Seite, so dass der hinter dem P stehende Mitarbeiter des P, der

den Polizisten P, der das Feuer erwidert und dadurch den Tatkomplizen B des A tötet, so soll die Tötung des B dem A zuzurechnen sein; vgl. eingehend Perkins/Boyce, S. 804 ff.; siehe auch Kirschner, S. 210, 214 Fn. 913. Benützt der Täter das spätere Opfer jedoch als „Schutzschild“, so liegt die erforderliche Einwirkung vor, vgl. unten 14. Abschnitt, Fn. 134. 388 Im Ergebnis ebenso Ferschl, S. 177 Fn. 259; MK/Radtke, § 306 c Rdnr. 15. A. A. Prosser, Torts, S. 277 ohne nähere Begründung: „The risk of rescue, if only it be not wanton, is born of the occasion. The emergency begets the man. [. . .] And wether the rescuer succeeds in injuring himself, or the person rescued, or a stranger, the original wrongdoer is still liable“ (Hervorhebung vom Verfasser); siehe auch ders., Kausalzusammenhang, S. 37: „Das sind zumindest keine Möglichkeiten, von denen man erwarten darf, daß ein einsichtiger Mensch beim Autofahren sie in Betracht zieht, über sie nachdenkt und sie vor Augen hat. Sie müssen gerechtfertigt [scil.: zugerechnet] werden, indem man sie ,normale‘ Folgen nennt, was anscheinend nur bedeutet, daß sie nicht übermäßig vom Verhalten des Beklagten gelöst sind“ (Anführungszeichen im Original). 389 Im Fall der Objektindividualisierung kommt hier nach richtiger Ansicht am Zielobjekt nur Versuch und hinsichtlich des ungewollt geschädigten Zweitobjekts nur eine Fahrlässigkeitstat (Tatfrage) in Betracht, vgl. Wessels/Beulke, AT, Rdnr. 250 ff.

2. Abschn.: Der Retter als Schädiger

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M, tödlich getroffen wird, so handelt es sich auch in diesem Fall um einen der aberratio ictus. Durch das Abfeuern des Geschosses hat der T eine Gefahrenquelle begründet, der sich auch der M mittelbar ausgesetzt sah. E. Der Retter schädigt einen anderen Retter (oben Fall 15) Auch hier können wir feststellen, dass der Primärtäter durch sein pflichtwidriges Verhalten die Hilfeleistung für das verletzte Opfer determiniert hat. Ebenso wie im Fall der Schädigung eines unbeteiligten Dritten liegt aber in Bezug auf die Interaktion zwischen den Helfern keine vom Primärtäter gesetzte Ausgangsgefahr vor. Gesetzt wurde nur das Risiko, dass die Abwendung der Ausgangsgefahr fehl geht. Insoweit lässt sich keine Zurechnung zum Primärschädiger begründen. Fraglich bleibt allerdings, inwieweit sich eine Haftung aus dem Gedanken der Zurechnung von Verletzungen von zur Rettung verpflichteten Personen, die diese im Einsatz erleiden, herleiten lässt. Diese Problematik wird im folgenden Abschnitt behandelt, so dass wir den Beispielsfall innerhalb des nächsten Abschnitts erneut aufgreifen und einer abschließenden Lösung zuführen werden.390 F. Ergebnis Eine Zurechnung des zum Tode führenden Retterverhaltens zum fahrlässig oder mit Körperverletzungsvorsatz handelnden Primärschädiger hat in folgenden Fällen zu unterbleiben: (1) Die Zweitschädigung stellt eine Ausprägung des allgemeinen Lebensrisikos dar. (2) Es handelt sich um eine überschießende (handlungsunspezifische) Behandlungsfolge. (3) Die Zweitschädigung tritt nach bereits behobener Gefahrenlage ein. (4) Die Rettung erfolgt durch aktiven, nicht gerechtfertigten Eingriff auf Kosten eines anderen Hilfsbedürftigen. (5) Der Retter schädigt einen unbeteiligten Dritten, ohne dass der Täter für den Dritten eine Gefahrenquelle begründet hat. Demgegenüber wirkt die vom Primärschädiger fahrlässig oder mit Körperverletzungsvorsatz geschaffene Gefahrenlage im Zweitschaden (Tod) fort, wenn:

390

Siehe unten 3. Abschnitt, F.VI.3.b).

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

(1) Der Retter handelt leicht, grob oder gröblichst fahrlässig. Im Fall des gröblichsten Fehlverhaltens kann die objektive Vorhersehbarkeit entfallen. (2) Der Retter unterlässt vorsätzlich in einer Situation der Pflichtenkollision. In diesem Fall kann jedoch die objektive Vorhersehbarkeit entfallen. (3) Der Retter unterlässt nach bereits aufgenommener Rettung, um einer drohenden Schädigung seiner eigenen Integrität vorzubeugen. Eine Korrektur kann über die fehlende objektive Vorhersehbarkeit erfolgen. (4) Der Retter unterlässt vorsätzlich in einer Situation der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens. In diesem Fall kann jedoch die objektive Vorhersehbarkeit entfallen. (5) Dem Retter gelingt es nicht, die mit dem Ersteingriff geschaffene Gefahrenlage zu beseitigen. Die Gefahr wirkt hier unabhängig von der fehlenden Pflichtwidrigkeit des Zweiteingriffs fort. Handelt der Primärschädiger mit Tötungsvorsatz, so hat eine Zurechnung auch in dem Fall der Rettung auf Kosten eines anderen Hilfsbedürftigen zu erfolgen. Scheitert das Revokationsbemühen des Vorsatztäters allerdings wegen der Verwicklung in einen Verkehrsunfall oder stellt sich das Verhalten des hinzugezogenen Dritten als Angriffsverhalten dar, so scheidet eine Strafbarkeit wegen Tatvollendung aus. Die Frage der Versuchsstrafbarkeit hat sich an § 24 I 2 StGB zu bemessen. 3. Abschnitt

Der Retter als Geschädigter A. Einführung in die denkbaren Fallkonstellationen Auch zur Auseinandersetzung mit der Frage der Zurechnung der Schädigung des Retters zu einem Primärschädiger sollen wiederum einführende Fallvarianten einen Überblick vermitteln. Die beiden Hauptgruppen stellen einerseits die Fälle der Rettung bei rechtlicher Verpflichtung zur Hilfeleistung und andererseits die der Rettung ohne rechtliche Verpflichtung dar. Darüber hinaus kann es sich um die Rettung rettereigener Güter oder eine Rettungsmaßnahme bei eingeschränkter Steuerungsfähigkeit des Retters handeln – letztere Konstellation lag der Leitentscheidung BGHSt 39, 322 zu Grunde.

3. Abschn.: Der Retter als Geschädigter

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I. Der rechtlich verpflichtete Retter

1. Garantenpflichtige Retter a) Familienangehörige: Eltern und Geschwister Fall 1: A verursacht (fahrlässig oder vorsätzlich) einen Verkehrsunfall, in den das Fahrzeug der Familie B verwickelt wird. Das Fahrzeug bleibt schwer beschädigt liegen, im Motorraum ist ein Brand entfacht. Explosionsgefahr besteht nicht.391 Die Flammen drohen sich auszubreiten. Eilig befreien der Vater B und sein volljähriger Sohn C die auf dem Rücksitz eingeklemmte 5-jährige Tochter bzw. Schwester. Hierbei ziehen sich B und C tiefe Schnittwunden an abstehenden Karosserieteilen zu.

b) Amtlich verpflichtete Retter Fall 2: A hat einen Brand verursacht. In dem Haus werden Menschen von den Flammen eingeschlossen. Der mit einem Schutzanzug und Sauerstoffgerät ausgestattete Feuerwehrmann R rutscht auf dem vom Löschwasser nassen Boden aus und bricht sich das Bein.

2. Rechtliche Verpflichtung nach § 323 c StGB Fall 3: A hat einen Verkehrsunfall verursacht. Passant R befreit einen Schwerverletzten aus seinem Fahrzeug. Hierbei zieht er sich tiefgehende Schnittwunden an Glassplittern zu. II. Rettung bei fehlender rechtlicher Verpflichtung

Fall 4 a): A hat einen Brand verursacht. Das Gebäude steht in Flammen und könnte nur noch mit Schutzausrüstung betreten werden. Dennoch begibt sich der Passant R in die Flammen, um eingeschlossene Personen zu retten. R kommt in den Flammen um.

Fall 4 b): Terrorist T zielt auf A, trifft aber den sich bewusst schützend in die Schusslinie werfenden Leibwächter R, der an den Schussverletzungen verstirbt.

391 Entgegen weit verbreiteter Ansicht können brennende Autos nicht explodieren; vgl. hierzu „Brennende Autos explodieren nie“, SPIEGEL Online v. 27.04.2005 .

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten III. Rettung eigener Güter

Fall 5: A hat einen Brand verursacht. Das Gebäude steht in Flammen. Um seine Autogrammsammlung zu retten, eilt R in das Gebäude. Schon nach wenigen Metern wird R infolge der Kohlenmonoxidgase ohnmächtig und verstirbt.

IV. Der in der Steuerungsfähigkeit eingeschränkte Retter

Fall 6: A hat einen Brand verursacht. Das Gebäude steht in Flammen. Der stark alkoholisierte Passant R vermag wegen seiner Trunkenheit die Sachlage nicht mehr richtig zu beurteilen. Er eilt in den Brandherd, um Personen zu retten, kommt in den Flammen jedoch zu Tode.

B. Die Fallgruppen im Spiegel der Rechtsprechung I. Strafrechtliche Rechtsprechung in Deutschland

1. BGHSt 39, 322 Das deutsche strafrechtliche Grundsatzurteil zur Problematik stellt die Entscheidung BGHSt 39, 322 dar. Die Entscheidung soll an dieser Stelle auf der Grundlage der zum Tatzeitpunkt gültigen Rechtslage behandelt werden, so dass sich die Zurechnungsproblematik auf das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt der fahrlässigen Tötung beschränkt. Die Beurteilung im Hinblick auf das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt bildet für uns den Grundstock zur Behandlung der korrespondierenden Zurechnungsproblematik für das erfolgsqualifizierte Delikt, deren Darstellung im Zweiten Teil dieser Arbeit erfolgt. Dem Urteil des BGH vom 8.9.1993 liegen die folgenden Feststellungen zu Grunde: In einem Wohnhaus fand eine Feier mit etwa 30 teilnehmenden Gästen statt. Alle Personen konsumierten erhebliche Mengen an Alkohol. In Ausführung eines bereits vor Mitternacht erwogenen Gedankens zündete der Angeklagte gegen 1.30 Uhr in einem der Zimmer im Obergeschoss ein Kleidungsstück an, um damit das Gebäude in Brand zu setzen. Im Obergeschoss hielten sich zu diesem Zeitpunkt ein schlafender Gast und der 12-jährige Sohn der Gastgeber auf. Das Feuer breitete sich unter starker Rauchentwicklung rasch aus, wobei es dem Kind gelang, sich über ein Vordach zu retten. Der Gast hingegen verstarb an einer Kohlenmonoxydvergiftung. Zur Tatzeit wies der Angeklagte eine Blutalkoholkonzentration vom maximal 2,1 ‰ auf. Der 22-jährige Sohn der Gastgeber, der sich zum Zeitpunkt der Brandlegung außerhalb des Hauses aufhielt, entschloss sich, in das Obergeschoss zu gelangen. Das Motiv seines Entschlusses ließ sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen. Entweder wollte er irgendwelche Sachen vor dem Feuer in Sicherheit bringen oder seinen 12jährigen Bruder retten, von dem er ausging, dass er sich noch im Obergeschoss

3. Abschn.: Der Retter als Geschädigter

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aufhalte. Im Flur des Obergeschosses brach er bewusstlos zusammen und verstarb an einer Kohlenmonoxydvergiftung. Er hatte zu diesem Zeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 2,17 ‰.

Im Jahre 1993 lag der Bestimmung der besonders schweren Brandstiftung, § 307 StGB, folgende Formulierung zu Grunde, die auch zum Tatzeitpunkt Gültigkeit hatte: Die Schwere Brandstiftung (§ 306) wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft, wenn 1. der Brand den Tod eines Menschen dadurch verursacht hat, daß dieser zur Zeit der Tat in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten sich befand, (. . .) Der BGH bestätigte die Verurteilung wegen besonders schwerer Brandstiftung gem. § 307 Nr. 1 StGB a. F. zum Nachteil des verstorbenen Gastes. Hinsichtlich des 22-jährigen Sohnes konnte § 307 StGB a. F. nicht zur Anwendung kommen, da sich der Sohn zur Zeit der Tat nicht in dem in Brand gesetzten Gebäude befand.392 Bezüglich des Sohnes bestätigte der BGH die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung. Das Gericht hebt hervor, dass durch die „Freiwilligkeit“393 der Rettungshandlung der Ursachenzusammenhang zwischen der vorsätzlichen Brandlegung und dem späteren Tod nicht unterbrochen wurde. Der Angeklagte habe auch voraussehen können, dass sein Verhalten zum Tode eines Rettungswilligen führen konnte.394 In der konkreten Lage sei es erkennbar gewesen, dass sich Angehö-

392 Mit der Änderung der Brandstiftungsdelikte durch das 6. StrRG im Jahr 1998 wurde der Argumentation, § 307 Nr. 1 StGB a. F. führe den Tod des Retters nicht als schweren Fall an, was generell gegen eine Zurechnung von Retterschäden spreche, der Boden entzogen. Siehe zu dieser (nun überholten) Argumentation Schünemann, JA 1975, 715 (721); Roxin, AT I3, § 11 Rdnr. 113. Roxin will nun aus § 306 c StGB eine gesetzgeberische Entscheidung gegen die Zurechenbarkeit von Retterschäden erkennen, da, so Roxin, die Unterstellung des Retterschadens nur bei Leichtfertigkeit des Täters gegen eine generelle Zurechnung spreche. Hätte der Gesetzgeber im Retterschaden eine typische und zurechenbare Gefahrverwirklichung gesehen, so wäre es nicht verständlich, warum dieser Fall dann nicht bei allen Formen der Fahrlässigkeit als erfolgsqualifiziertes Delikt behandelt würde, siehe Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 139. Aus dem geänderten Wortlaut der Bestimmung der Brandstiftung mit Todesfolge lässt sich jedoch keine gesetzgeberische Entscheidung im Hinblick auf Retterschäden entnehmen, von der auf das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt geschlossen werden könnte. Denn § 306 c StGB umfasst mit der neuen Tatortformel eine Vielzahl von Konstellationen, beispielsweise die Tötung durch herunterstürzende Baumaterialien oder Explosionen, die Zurechnung von Retterschäden stellt sich demgegenüber neu und ist ihrerseits klärungsbedürftig, siehe auch Sch/Sch/Heine, § 306 c Rdnr. 5; Tröndle/Fischer, § 306 c Rdnr. 4. 393 BGHSt 39, 322 (324) (Anführungszeichen im Original). 394 Vgl. BGHSt 39, 322 (324).

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

rige der Familie unter Gefährdung ihres Lebens zur Rettung von Sachwerten oder Angehörigen ins brennende Haus begeben könnten.395 Diese Ausführungen ergänzt der BGH mit einer zurechnungsrelevanten Abgrenzung zu den im Heroinspritzen-Fall396 aufgestellten Grundsätzen: Anders als im Fall einer bewussten, eigenverantwortlichen und gewollten Selbstgefährdung handle es sich hier um einen Fall, in dem der Täter durch sein deliktisches Verhalten einen Dritten zu einer sich selbst gefährdenden Handlung veranlasst habe. „Einer Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit wegen bewußter Selbstgefährdung des Opfers bedarf es insbesondere dann, wenn der Täter durch seine deliktische Handlung die naheliegende Möglichkeit einer bewußten Selbstgefährdung dadurch schafft, daß er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder ihm nahestehender Personen begründet und damit für dieses ein einsichtiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen schafft.“397 Darüber hinaus bringt der BGH ein rein wertungsorientiertes Argument ein: Ebenso wie dem Täter bei Gelingen der Rettungsmaßnahme die Erfolgsabwendung zugute komme, habe er auch im Falle des Misserfolgs dafür einzustehen.398 Diese Grundsätze will der BGH nur in Fällen eines von „vornherein sinnlosen oder mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbundenen Rettungsversuchs“ eingeschränkt wissen – welcher hier ersichtlich nicht vorliege.399 2. Stellungnahme Betrachtet man die Argumentationsstränge des BGH, so lassen sich zwei Hauptargumente ausmachen: Für den Täter sei es vorhersehbar, dass der Retter auf Grund eines Rettungsentschlusses auch unter Gefährdung des Lebens zur Bergung von Personen oder Wertsachen das Haus betreten würde, und zum anderen müsse sich der Täter, ebenso wie ihm das Gelingen der Rettungsmaßnahme zugute komme, auch deren Misslingen anrechnen lassen.

395 Vgl. BGHSt 39, 322 (324). Wenn der BGH ebd. auf S. 326 davon spricht, dass „Hilfe objektiv geboten“ gewesen sei, darf dies nicht dahin verstanden werden, dass eine rechtliche Handlungspflicht für den Bruder bestand. In Anbetracht des schnell ausgebreiteten Feuers und der starken Rauchentwicklung bestand eine zu hohe Eigengefährdung für einen privaten Retter, als dass eine Hilfe rechtlich noch zu fordern gewesen wäre. Die Hilfe war also im Sinn von „Gefahr im Verzug“ geboten, konnte dem Bruder aber nicht abverlangt werden. Zum hinnehmbaren Gefährdungsgrad für Retter siehe ausführlich unten F.II.1. 396 BGHSt 32, 262. 397 BGHSt 39, 322 (325). 398 Siehe BGHSt 39, 322 (325 f.). 399 Siehe BGHSt 39, 322 (326).

3. Abschn.: Der Retter als Geschädigter

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Das isolierte Abstellen auf die Vorhersehbarkeit, dass der Retter bei Vorliegen eines einsichtigen Motivs eine waghalsige, wenn auch nicht völlig unvernünftige Rettungsaktion unternehmen würde, begegnet Bedenken. Insoweit ist dem Einwand Diels400, die eine solche Wertung nach der Qualität der Dritthandlung als zu unbestimmt kritisiert, beizupflichten. Auch Roxin sieht die Gefahr der Beliebigkeit einer solchen Abgrenzung.401 Denn wenn der BGH das Verhalten des Bruders nicht als offenkundig unvernünftig klassifiziert, fragt man sich, welche Steigerung der Unvernünftigkeit das Verhalten noch hätte erfahren können; immerhin nahmen die anderen Gäste gerade wegen des viel zu hohen Risikos davon Abstand, in das Obergeschoss vorzudringen. Exemplarisch lässt sich diese Friktion anschaulich an zwei anglo-amerikanischen Rechtsfällen, die bei Hart/Honoré402 angeführt sind, verdeutlichen: „In an American case plaintiff ’s intestate [Erblasserin des Klägers] discovered a fire lit through defendant’s [Beklagten] negligence and, to prevent it spreading to her house, raked some dry leaves towards the fire. However, her clothes caught fire and she suffered burns from which she died. Recovery was allowed on the ground that despite her intervention defendant’s negligence was the proximate cause [nächste Ursache403] of the death. On the other hand it was held that no action lay when defendant negligently started a fire which threatened plaintiff ’s building and she wrenched her shoulder in getting buckets of water to put the fire out. In nearly all these cases the court adduces the foreseeability [Vorhersehbarkeit] of the intervening act as the reason for the decision, saying that in the first case the raking of the leaves was one of the intervening causes which the appellant with reasonable diligence might have foreseen while in the second case defendant had no reason to anticipate [vorauszusehen] that plaintiff would hurt herself through the method adopted in extinguishing the fire.“

Die Verbrennung durch das Zusammenrechen von trockenem Laub, um die Ausbreitung eines Feuers zu unterbinden, soll von der Vorhersehbarkeit erfasst sein, nicht jedoch die Verletzung, die durch das Herbeiholen von Löschwasser verursacht wird. Ein schwer verständliches Ergebnis, das offenbar dem Bestreben einer jeweiligen Einzelfallgerechtigkeit entwächst. Bei den beiden Rechtsfällen handelt es sich freilich um anglo-amerikanische Judikatur, so dass die Divergenz der Ergebnisse dem BGH nicht entgegengehalten werden kann. Auch handelt es sich bei der Entscheidung BGHSt 39, 322 um die bisher ein-

400

Vgl. Diel, S. 244; übereinstimmend Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 115. Siehe Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 117. 402 Hart/Honoré, S. 145 f. (Hervorhebungen im Original). 403 „Nächste Ursache“ (proximate cause) ist die Bezeichnung, unter der die amerikanische Judikatur die Haftung des Täters auf einen gewissen Kreis von Folgen beschränkt, indem grundsätzlich nur für „nächste“, nicht für „entferntere“ (remote) Ursachen gehaftet wird. Der Begriff entspricht ungefähr dem deutschen der „adäquaten Verursachung“. 401

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

zige strafrechtliche Entscheidung404 zur Problematik, so dass keine Vergleichsfälle zur Verfügung stehen. Anhand der amerikanischen Rechtsfälle lässt sich aber die Angreifbarkeit des isolierten Abstellens auf die Voraussehbarkeit der jeweiligen Rettungshandlung und deren Beurteilung als verständlich demonstrieren. Ein solches Verfahren sieht sich immer der Gefahr ausgesetzt, unter Verzicht auf eine klare Dogmatik einer ergebnisorientierten Lösung den Weg zu ebnen.405 Überdies stellt die Vorhersehbarkeit des Erfolges nur eine notwendige Voraussetzung der Tatbestandsmäßigkeit dar, sie reicht zu deren Begründung aber nicht aus – denn nicht auf alles, was als kausal verursachte Folge vorhersehbar ist, hat man sich vermeidend einzustellen.406 Ob und inwieweit Handlungen zur Vermeidung vorhersehbarer Erfolge zu unterlassen sind, ist vielmehr ein eigenständiges Wertungsproblem.407 Die bloße Schaffung eines einsichtigen Motivs kann somit keine Zurechenbarkeit begründen.408 Auch die weitergehende Argumentation des BGH, der Täter müsse sich das Fehlgehen des Rettungsunternehmens zuschreiben lassen, da ihm schließlich auch das Gelingen der Erfolgsabwendung zugute komme409, vermag nicht zu überzeugen. Es mutet paradox an, ein Verbot bestimmter Verhaltensweisen, die geeignet sind, selbstgefährdende Drittverhaltensweisen auszulösen, damit zu fundieren, dass der positive Ertrag solcher Drittverhaltensweisen dem Auslösenden zugute kommt.410 Denn die Tatsache, dass den Täter nicht eingetretene Folgen nicht belasten, stellt eine Trivialität dar.411 In Fällen, in denen der Retter einer nicht mehr im Gebäude befindlichen Person – so auch im vorliegenden Fall – zu Hilfe kommen will, stellt sich darüber hinaus die Frage, ob nach der Argumentation des BGH der Retter weiterhin mit dem Todesrisiko des Retters belastet werden soll, wo diesem Risiko keine Chance auf Erfolgsabwendung mehr gegenüber steht.412 Die von Gerechtigkeitsempfinden getragene Wertung des BGH geht hier ins Leere. Auch in Fällen, in denen eine Person zu gefähr404 Dies stellen auch Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 im Jahre 1995 und Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 116 im Jahre 2005 fest. 405 Dahingehende Kritik bei Bindzus/Ludwig, JuS 1998, 1123 (1125). Die Gefahr von Billigkeitserwägungen jenseits einer spezifischen dogmatischen Behandlung sieht auch Cancio Meliá, „wenn ,kausale Intensitäten‘ je nach Fall anders ,abgewogen‘ werden oder wenn offensichtlich Vorhersehbares zum Zufall erklärt wird“, siehe Cancio Meliá, ZStW 111 (1999), 357 (363) (Anführungszeichen im Original). 406 Vgl. Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (71). Übereinstimmend Schünemann, GA 1999, 207 (214). 407 Vgl. Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (71). 408 So auch NK/Neumann, § 222 Rdnr. 10; Hohmann/Sander, BT II, § 4 Rdnr. 8; MK/Duttge, § 15 Rdnr. 154. 409 Übereinstimmend bereits Wolter, Zurechnung, S. 345. Dem BGH zustimmend Fahl, JA 1998, 105 (111). 410 Siehe Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (74). 411 Vgl. Derksen, NJW 1995, 240 (241). 412 Vgl. Sowada, JZ 1994, 663 (664). Sinngleich Degener, S. 367.

3. Abschn.: Der Retter als Geschädigter

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lichen Rettungsaktionen schreitet, obgleich der Täter selbst bereits erfolgsabwendungsgeeignete Schritte eingeleitet hat, verliert das Argumentationsmuster des BGH schnell an Plausibilität.413 Auf der anderen Seite gibt es eine Vielzahl selbstgefährdender Verhaltensweisen mit fremdbegünstigender Tendenz – beispielsweise jemand bittet einen Bekannten und drängt ihn zur Eile, der Bekannte verunglückt infolge der überstürzten Ausführung des Auftrages –, bei denen eine Erfolgshaftung des begünstigten Veranlassers offensichtlich ausscheidet, denn hier fehlt es am „unausweichlichen Zwang“414. Damit bleibt die Schlussfolgerung des BGH415, es sei sachgerecht, den Retter in dieser Situation in den Schutzbereich strafrechtlicher Vorschriften einzubeziehen, inhaltsleer, weitergehende Gründe für die Sachgerechtigkeit dieser Annahme werden nicht geliefert.416 Im Ergebnis stellt sich die Argumentation des BGH als dogmatisch zu wenig durchdrungen und abgesichert dar.417 Wir wollen daher zunächst einen Blick auf die strafrechtliche Judikatur Österreichs, insbesondere des österreichischen Obersten Gerichtshofs werfen, als auch auf korrespondierende zivilrechtliche Rechtsprechung, bevor wir die vielschichtigen Lösungsansätze der Literatur näher würdigen. II. Strafrechtliche Rechtsprechung in Österreich

Die österreichische Judikatur nimmt ihren Ausgang mit einer Entscheidung vom 17.08.1956418. Ein Arbeiter war einem Arbeitskollegen, der auf Grund einer Nachlässigkeit des Arbeitgebers zu Schaden gekommen war, zu Hilfe gekommen und erlitt bei seinen Hilfsbemühungen selbst Verletzungen. Der OGH stellt in den Entscheidungsgründen klar, dass keine Unterbrechung des Kausalzusammenhanges vorliege, da dies nur dann der Fall sei, wenn der Erfolg durch eine nicht vom Täter veranlasste Zwischenursache (§ 134 StG) vorgenommen werde. Zu der Problematik, wie ein eventuell unvernünftiges Verhalten des Ret413

Siehe Derksen, NJW 1995, 240 (241). Degener, S. 366 f. 415 BGHSt 39, 322 (325). 416 Siehe Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (73). Derksen, NJW 1995, 240 (241) spricht gar von einem Zirkelschluss. Kritisch auch Hellmann, Roxin-FS, S. 271 (282). 417 Treffend Radtke, ZStW 119 (2007), 69 (83 f.): „Lediglich punktuell bei spezifischen Konstellationen der Erfolgszurechnung, etwa bei der Verantwortlichkeit des Täters für sog. Retterschäden, greift der BGH auf die dazu in der Wissenschaft unterbreiteten Zurechnungskriterien zurück und reduziert die komplexen Modelle im Sinne des schon beschriebenen Herausbrechens von Einzelaspekten auf das für seine Entscheidung Relevante“. Dem BGH – abgesehen von der Konkurrenzlösung – zustimmend aber Alwart, NStZ 1994, 84. Generell zustimmend auch Krey, AT 1, Rdnr. 324; Frister, AT, 10. Kapitel, Rdnr. 28. 418 OGH SSt 27/49. 414

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ters zu bewerten ist, führt der OGH aus: „Daß Walter B. bei seiner Hilfeleistung unvorsichtig gehandelt hat, mag richtig sein, ist aber rechtlich schon deshalb bedeutungslos, weil seine Handlung ein Akt der Nothilfe und daher jedenfalls gerechtfertigt war.“ Die Bestimmung des Kausalzusammenhanges ergänzt der OGH in der Folgeentscheidung OGH JBl 1959, 164 durch Ausführungen zum Rechtswidrigkeitszusammenhang. Diesen bestimmt der OGH dadurch, dass es „eine notwendige und regelmäßige Begleiterscheinung jedes größeren Brandes sei, daß sich zur Rettung von Menschen und Gut freiwillige oder berufsmäßige Helfer einfinden, die sich hiedurch [sic] naturgemäß selbst gefährden. Wenn daher eine Strafbestimmung gegen fahrlässige Herbeiführung einer Feuersbrunst eine erhöhte Strafe bei schwerer körperlicher Beschädigung oder beim Tod eines Menschen vorsieht, so ist es klar, daß damit neben den unmittelbar durch das Feuer betroffenen Personen (z. B. den Insassen des brennenden Hauses) auch jene Helfer zu verstehen sind.“419 In einem obiter dictum grenzt der OGH seine Rechtsprechung zu dem Fall ab, bei welchem die zu einem Unfall heraneilende Rettungsmannschaft auf der Anfahrt einen Unfall erleidet. In diesem Fall handle „es sich um zwei selbständige Ereignisse, von denen das eine nur Anlass, nicht Ursache des anderen ist. [. . .] Hingegen ist im vorliegenden Fall der Feuerwehrmann Opfer gerade jenes Ereignisses, nämlich des Brandes, geworden, dessen schuldhafte Herbeiführung bzw. Vergrößerung dem Angeklagten zur Last liegt.“420 Die Sichtweise wird mit den Entscheidungen OGH ZVR 1961, 66 und OGH SSt 32/102 fortgeführt. Das Gericht zielt hierbei maßgeblich darauf ab, dass die vom Angeklagten geschaffene Gefahrenlage noch fortdauert und damit mit der Rettungshandlung eine „Geschehenseinheit“421 bildet bzw. die Rettungshandlung eine „regelmäßige Begleiterscheinung“422 der geschaffenen Gefahrenlage darstellt.423 Diese Argumentation lässt freilich vermissen, dass aus dem Auftreten einer regelmäßigen Begleiterscheinung nicht automatisch, d.h. ohne rechtliche Einordnung, auf ein Strafbedürfnis geschlossen werden kann. 419

OGH JBl 1959, 164. OGH JBl 1959, 164 (Hervorhebungen vom Verfasser). Zu der Behandlung der vom OGH genannten Fallgruppe siehe unten F.IV. 421 OGH ZVR 1961, 66. 422 OGH SSt 32/102 (S. 291). 423 Die Entscheidung OGH ZVR 1961, 66 hebt hervor, dass der Zeck der Verkehrsvorschriften in der Hintanhaltung von Gemeingefahren liege. Burgstaller, S. 116 sah darin einen Ansatzpunkt dafür, dass der OGH in Zukunft bei der Übertretung von Sorgfaltsnormen, die lediglich Individualgefahren vorbeugen wollen, die Zweitschädigung nicht mehr zurechnen werde. Indessen hat die Rechtsprechung die Differenzierung in späteren Entscheidungen nicht wieder aufgegriffen, so dass dieser keine dogmatische Bedeutung zugemessen werden kann, in diesem Sinn wohl auch Reitmaier, S. 118 Fn. 463. 420

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Den Gesichtspunkt der Geschehenseinheit legt auch das OLG Wien424 seiner Argumentation zu Grunde. Der zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Kritik Burgstallers, der, wie Roxin, für einen generellen Ausschluss der Zurechnung zum Primärverursacher plädiert425, hält das OLG entgegen, dass zumindest für den Fall, in dem sich die Schädigung des Retters in einem einheitlichen Unfallgeschehen zur Ausgangsgefahr darstellt, eine einschränkende Beurteilung nicht angebracht ist. „Muß doch jemand, der sein unbeleuchtetes Fahrzeug zur Nachtzeit in der Mitte einer Straße abstellt, damit rechnen, daß dieses, allen Vorschriften zur Sicherheit des Straßenverkehrs [. . .] auf das gröblichste widersprechende Verhalten das Eingreifen dritter Personen nach sich zieht, mögen diese in Erfüllung ihrer Berufspflicht als Organe der Straßenaufsicht handeln oder spontan eingreifen.“426 Eine nähere Auseinandersetzung mit dem Risikozusammenhang findet nicht statt, das Gericht stellt lediglich fest, dass die Verletzung des helfenden Gendarms einen dem Angeklagten objektiv zurechenbaren Erfolg darstellt, „der sich unmittelbar aus der von ihm geschaffenen speziellen Gefahrenlage ergab, da diese als risikoerhöhendes Moment noch nicht beseitigt war“.427 Erstmalig 1991 hatte der OGH428 über die Fallkonstellation zu entscheiden, dass sich das Opfer im Wege der Rettung eigener Güter Verletzungen zuzieht.429 Der Angeklagte verursachte schuldhaft einen Verkehrsunfall, da er beim Einbiegen in einen Güterweg den Blinker nicht betätigte, so dass sein Fahrzeug von einem nachfolgender LKW im Zuge eines Überholmanövers gestreift wurde. Hierdurch kam der LKW von der Fahrbahn ab und stieß gegen einen Hochspannungsmast, der abgerissen wurde und auf das Führerhaus fiel. Nachdem der Lenker des LKW und sein Beifahrer das Fahrzeug bereits verlassen hatten, zog sich das Opfer bei dem Versuch, aus dem LKW, der zu brennen begonnen hatte, die Fahrzeugpapiere herauszuholen, durch Berührung der unter Spannung stehenden Fahrzeugtüre schwere Verbrennungen zu.

Der OGH verwies mit seiner Entscheidung vom 20.3.1991 die Strafsache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück. Maßgebliches Gewicht misst der OGH nämlich der Frage zu, ob das Opfer von Mitarbeitern eines in der Nähe befindlichen Sägewerks ausdrücklich und lautstark aufgefordert wurde, sich nicht in das Fahrzeug zu begeben. „Die Abstandnahme von dieser Beweisaufnahme verkürzte Verteidigungsrechte und widersprach der Ver424

OLG Wien ZVR 1977, 267. Siehe Burgstaller, S. 113 ff. Zur Sichtweise Roxins siehe näher unten E.I.1. 426 OGH Wien ZVR 1977, 267 (268). 427 OGH Wien ZVR 1977, 267 (268). 428 OGH ZVR 1992, 30. 429 Dass auch diese Fallgruppe der Retterproblematik zuzurechnen ist, wird von Lewisch, ZVR 1995, 98 (100) klargestellt. 425

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

pflichtung des Berufungsgerichts zur Erforschung der materiellen Wahrheit und verletze sohin das Gesetz in der Bestimmung des § 3 StPO.“430 Das Gericht weist darauf hin, dass es zwar zutreffen mag, „daß ein Täter sich nicht auf einen Ausschluss des Risikozusammenhanges berufen kann, wenn eine unter dem unmittelbaren Schock eines Unfalls stehende Person versucht, aus einem in Brand geratenen Fahrzeug ihre Kfz-Papiere zu bergen, ohne dabei das damit verbundene Risiko zu bedenken und warnende Zurufe zu beachten. Anders liegt aber der Fall, wenn jemand ein solches Fehlverhalten setzt, obwohl er sich voll bewußt ist, daß das Fahrzeug, aus dem er Urkunden retten will, unter Stromspannung steht und, nachdem er dieses bereits verlassen und sich eine nicht unbeachtliche Wegstrecke vom Unfallsort [sic] entfernt hat, erst nach einer gewissen Zeitspanne zu diesem Zweck dorthin zurückkehrt“431. Ein solches Verhalten will der OGH nicht nur als grob fahrlässig, sondern als für jeden vernünftig denkenden Menschen schlechthin unbegreiflich verstanden wissen. Dann erlange das Fehlverhalten ein derart dominantes Gewicht, dass der erforderliche normative Zusammenhang zwischen dem Primärverhalten des Täters und dem Erfolg nicht mehr bestehe.432 Auch die Argumentation der österreichischen Judikatur lässt eine klare Dogmatik vermissen. Die Rechtsprechung stellt zuweilen allein darauf ab, ob eine Situation der Hilfsbedürftigkeit vorliegt, die Frage nach der Angemessenheit oder Gefahrträchtigkeit wird kaschiert (vgl. insbesondere OGH SSt 27/49). Begnügt wird sich mit der Feststellung, dass eine noch andauernde Gefahrensituation besteht und die Rettungsmaßnahme zeitlich und örtlich dieser Situation zugewiesen werden kann. Dies hat zur Folge, dass der OGH seine zu den Folgeunfällen entwickelte Dogmatik ohne Reflexion auf die Kategorie der Retterfälle überträgt. Zutreffend stellt Burgstaller433 fest, dass die Argumentation in der Entscheidung OGH ZVR 1961, 66 (fast) wörtlich mit deren der FolgeunfallEntscheidung OGH SSt 31/124 übereinstimmt.434 Damit verliert der OGH aus 430

OGH ZVR 1992, 30 (31). OGH ZVR 1992, 30 (31) (Hervorhebung im Original). 432 Vgl. OGH ZVR 1992, 30 (31). 433 Burgstaller, S. 113 Fn. 92. 434 OGH ZVR 1961, 66: „Der Zweck der Verkehrsvorschriften, wie ja überhaupt aller Vorschriften zur Hintanhaltung von Gemeingefahren, ist nicht nur der, die Sicherheit der unmittelbar durch ein Verkehrs- oder sonst gemeingefährliches Ereignis Betroffenen, sondern auch all jener zu gewährleisten, die bei Fortdauer der durch ein solches Ereignis geschaffenen Gefahrenlage betroffen werden können. [. . .] Für die bei der Rettungshandlung unterlaufene Verletzung des K. ist somit der Angeklagte strafrechtlich nicht minder verantwortlich als für die aufs erste entstandenen Unfallfolgen“; OGH SSt 31/124 (S. 386): „Vorliegend aber ist dieser Rechtswidrigkeitszusammenhang deswegen gegeben, weil der Zweck der Verkehrsvorschriften, wie ja überhaupt aller Vorschriften zur Hintanhaltung von Gemeingefahren, nicht nur der ist, die Sicherheit der unmittelbar durch ein Verkehrs- oder gemeingefährliches Ereignis Betroffenen, sondern auch all jener zu gewährleisten, die bei Fortdauer der durch ein solches 431

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den Augen, dass in den Retterfällen eine Person sich – anders als der vom Folgeunfall Betroffene – der Gefahr bewusst selbst aussetzt.435 Gerade dies bildet aber die zentrale Problemlage. Insbesondere eine Auseinandersetzung mit dem Feld der Berücksichtigung der Selbstverantwortlichkeit und der Frage nach der Zuschreibung von Verantwortlichkeit selbst bei freier Selbstgefährdung unterbleibt vollkommen.436 Lediglich die Entscheidung OGH ZVR 1992, 30 lässt erkennen, dass das Gericht der Frage des Gefahrenbewusstseins des Retters grundlegende Bedeutung zukommen lässt. Damit ist aber nicht direkt die Vernünftigkeit oder Unvernünftigkeit seiner Handlung angesprochen.437 III. Überblick über die zivilrechtliche Rechtsprechung in Deutschland

Nachdem sich der Blick auf die deutsche und österreichische Strafrechtsjudikatur als dogmatisch nicht gewinnbringend erwiesen hat, wollen wir zur Beurteilung der Schädigung des Retters auch die – umfängliche – deutsche Ziviljudikatur überblicksartig heranziehen.438 Hierbei darf freilich nicht aus den Augen gelassen werden, dass dem Zivil- und Strafrecht verschiedene Zwecke zu Grunde liegen. Das Zivilrecht ist um gerechten Schadensausgleich bemüht, es ist auf die Bedürfnisse des Geschädigten zugeschnitten und damit insgesamt restitutionsorientiert. Demgegenüber ist das Strafrecht in erster Linie auf den Täter zugeschnitten, es ist präventionsorientiert.439 Vor einer vorschnellen AnEreignis geschaffenen Gefahrenlage betroffen werden können. Der Angeklagte ist daher für den Folgeunfall, d.i. für die durch das Überfahren des auf der Straße liegenden Mopeds entstandene tödliche Verletzung des Hermann J. und die leichte Verletzung des Johann M., nicht minder verantwortlich als für die primär entstandenen Unfallfolgen, die er schuldhaft herbeigeführt hat“ (Hervorhebung im Original). 435 Siehe Burgstaller, S. 113; Reitmaier, S. 118 f. 436 Dahingehende Kritik auch bei Burgstaller, S. 113 f. Zustimmend Reitmaier, S. 119. 437 Siehe Lewisch, ZVR 1995, 98 (100). 438 Nicht näher behandelt wird die Konstellation, in der sich der Retter bewusst einer Verletzung durch Einwilligung unterzieht (BGHZ 101, 215 – „Nieren-Fall“). Hier sollen ausschließlich Fälle behandelt werden, in denen sich der Retter auf Grund einer akuten Notsituation einer Gefährdung unterzieht, darüber hinaus gehende Konstellationen können hier vernachlässigt werden. Dies gilt auch für Fälle eines Einschreitens ohne konkrete Gefahr für Rechtsgüter (Bändigung durchgehender Pferde, vgl. RGZ 29, 120; RGZ 50, 219; siehe auch Lüer, S. 148; Tiley, The Modern Law Review 30 [1967], 25 [38] – hier wird es zudem grundsätzlich bereits an der strafrechtlichen Relevanz des Vorverhaltens fehlen). 439 Zu dieser vergleichenden Betrachtung siehe Namias, S. 76 ff.; Rudolphi, JuS 1969, 449 (556 Fn. 54); Roxin, Gallas-FS, S. 241 (248, 259); ders., Honig-FS, S. 133 (145); Schünemann, JA 1975, 715 (720); Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (777 Fn. 26) sowie Burgstaller, S. 115. M.E. bleibt fraglich, ob es zwingend erforderlich ist, dem Geschädigten grundsätzlich einen privaten Schuldner zuzuweisen, denn gem. §§ 2 I Nr. 13 lit. a), 13 SGB VII greift in Nothilfefällen die gesetzliche Unfallversicherung (zuvor reichsverordnungsrechtliche Regelung), so auch bei Verhinderung eines Bankraubes – LG Arnsberg VersR 1961, 209. Der Schutz umfasst auch Sachschä-

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gleichung des Strafrechts an zivilrechtliche Grundsätze ist daher Vorsicht geboten.440 Ein strafrechtlicher Schuldvorwurf ist etwas grundlegend anderes als eine Verurteilung auf Schadensersatz.441 Die reichsgerichtliche Rechtsprechung stellt sich wenig differenziert dar. Dem RG genügt zur Bejahung des Verursachungszusammenhangs der Umstand, dass eine bestimmte Berufsausübung oder eine Maßnahme erfahrungsgemäß mit Fehlern verbunden ist. Solche Fehler seien demjenigen zuzurechnen, der die jeweilige Handlung verursacht habe, solange nicht die geringsten Anforderungen an ein vernünftiges Handeln außer acht gelassen würden.442 Auch soll die sittliche Pflicht, anderen Personen zu Hilfe zu kommen, dem Helfenden keine Nachteile bringen.443 Die moralische Anschauung leitet in der Folge auch das OLG Stuttgart444. Es führt aus: „Es ist also unerheblich, daß im vorliegenden Fall für den Kläger wegen Unzumutbarkeit der Hilfeleistung keine Rechtspflicht zur Hilfeleistung bestanden hat (vgl. § 330 c StGB). Auch kann es dahingestellt bleiben, ob für ihn eine moralisch-ethische Pflicht zur Hilfeleistung bestanden hat. Auf jeden

den in Ausnahme zu dem allgemeinen Grundsatz der gesetzlichen Unfallversicherung, die grundsätzlich lediglich Personenschäden abdeckt, vgl. näher Ristow, S. 23 ff. 440 Vgl. Namias, S. 78. Dies gilt natürlich auch in die umgekehrte Richtung, insbesondere im Hinblick auf § 823 II BGB i.V. m. einem strafrechtlichen Schutzgesetz, vgl. hierzu unten 15. Abschnitt, Fn. 9. 441 Vgl. Walther, StV 2002, 367 (370); Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rdnr. 203 a. E.; M. Otto, S. 43 f. Abgesehen von den verschiedenen Rationes der Rechtsgebiete, bietet das Zivilrecht in der Figur des mitwirkenden Verschuldens (§ 254 BGB) eine Regulierungsmöglichkeit, der im Strafrecht kein bzw. in der Strafzumessung ein höchst unzureichendes Äquivalent gegenübersteht, siehe P. Fuchs, S. 65. Für die Identität zivilrechtlicher und strafrechtlicher Fahrlässigkeit allerdings Herzberg, NStZ 2005, 602 (605), der die Kriterien der realen Bestrafung (§§ 153, 153 a, 376, 383 II StPO; §§ 46 a, 60 StGB) als ausreichenden Filter ansieht. Gegen Herzberg lässt sich einwenden, dass – soll der funktionale Zusammenhang zwischen Unrecht und Rechtsfolge weder im Strafrecht noch im Zivilrecht zerschnitten werden – für die Frage nach dem „Zur-Verantwortung-Ziehen“ eine Orientierung an dem jeweiligen Rechtsgebiet erforderlich ist. Für das Strafrecht müssen daher Handlungs- und Zurechnungsbegriff bereits den spezifischen strafrechtlichen Voraussetzungen entsprechen; vgl. Voßgätter, S. 135 m.w. N. sowie S. 166. 442 Vgl. RG Gruchot 70, 551. Ähnlich die durch das Urteil des Court of Appels of New York aus dem Jahr 1921 begründete „rescue doctrine“, vgl. Wagner vs. International Railway Company 232 N.Y. 176 (180 ff.): „The wrong that imperils life is a wrong to the imperiled victim; it is a wrong also to his rescuer [. . .] The wrongdoer may not have foreseen the coming of a deliverer. He is accountable as if he had. [. . .] Errors of judgement, however, would not count against him, if they resulted from the exitement and confusion of the moment“. Diese Sichtweise leitet auch die Lösung der strafrechtlichen Beurteilung, vgl. Perkins/Boyce, S. 798 f. Siehe zur „rescue doctrine“ auch Keeton/Keeton, Torts, S. 345 ff.; Lüer, S. 146 f. sowie Stoll, S. 186 ff. 443 Siehe RGZ 164, 125. 444 OLG Stuttgart NJW 1965, 112.

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Fall bestand für seine Hilfeleistung rechtfertigender Anlaß, ja sein Verhalten ist sogar moralisch hoch zu bewerten. Wenn auch ein solches Eingreifen unter den gegebenen Umständen erheblichen Mut und Unerschrockenheit erforderte, so kann dem LG doch nicht darin beigetreten werden, daß die Möglichkeit eines solchen Eingreifens vom Standpunkt eines objektiven Beobachters so entfernt erscheinen mußte, daß es nach der Auffassung des Lebens vernünftigerweise nicht mehr in Rechnung gezogen werden konnte“445. Das OLG Köln446 nimmt eine Abgrenzung entsprechend der ständigen Rechtsprechung in Verfolgungsfällen447 vor. In seinem Leitsatz führt das Gericht aus: „Wer sich bei der Hilfeleistung nach einem Verkehrsunfall eine Verletzung zuzieht (hier: Abriß der linken Achillessehne auf dem Weg zur Notrufsäule), hat gegen den Unfallverursacher nur dann einen Schadensersatzanspruch, wenn die Hilfeleistung mit einem gesteigerten Risiko verbunden war“. Entsprechend bejaht das OLG Karlsruhe448 den haftungsrechtlichen Ursachenzusammenhang, da sich der Kläger zum Eingreifen „herausgefordert“ fühlen durfte. „Bei Gefahr für Leib oder Leben wird das Eingreifen opferbereiter Dritter, und zwar nicht nur in den Fällen rechtlicher oder sittlicher Pflicht zur Rettung, allerdings nahezu zwangsläufig herausgefordert.“449 Zum Grad des Verschuldens des Helfers führt das OLG Karlsruhe an, dass ein etwaiges Mitverschulden vollständig hinter dem groben Verschulden der Beklagten zurücktreten würde.450 Fehlt es entsprechend der Haftungsgrundsätze in den Verfolgerfällen an einem gesteigerten Risiko, so ist es konsequent, wenn der BGH451 den Zurechnungszusammenhang in einem Fall verneint, bei welchem der Kläger, Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, beim Aufrollen der benutzten Feuerwehrschläuche mit dem Fuß umknickte. Denn beim Aufrollen der Schläuche könne nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger in einer Situation der Anspannung oder Hektik oder einer sonstigen einsatzbedingten Gefahrsteigerung befunden habe.452 „Nicht der Zusammenhang mit dem Rettungseinsatz, sondern die Aktualisierung des von dem Brandstifter herausgeforderten erhöhten Verletzungsrisiko rechtfertigt die Übernahme der Schadenslast durch diesen.“453 445 OLG Stuttgart NJW 1965, 112 (113). Kritisch gegenüber der Argumentation des OLG Stuttgart Lüer, S. 147. 446 OLG Köln NJW-RR 1990, 669. 447 Dazu siehe ausführlich unten 6. Abschnitt, A. 448 OLG Karlsruhe VersR 1991, 353. 449 OLG Karlsruhe VersR 1991, 353 (354). 450 Vgl. OLG Karlsruhe VersR 1991, 353 (354). Dagegen hätte sich ein Ersatzanspruch gegen den Geschäftsherren an §§ 683, 680 BGB zu messen, da die Vorschrift des § 680 BGB – als Privileg für den Geschäftsführer – auch für Ansprüche des Geschäftsführers gegen den Geschäftsherren Geltung erlangt, vgl. BGHZ 43, 188 (194); Palandt/Sprau, § 680 Rdnr. 1. 451 BGH NJW 1993, 2234. 452 Vgl. BGH NJW 1993, 2234 (2235).

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Handelt es sich bei der Rettungsmaßnahme um einen aussichtslosen Rettungsversuch, so soll auch dies einem Zurechnungszusammenhang nicht kategorisch entgegenstehen. „Will ein opferbereiter Dritter einen PKW-Fahrer, der schuldhaft mit seinem PKW auf Bahngleisen zum Stehen gekommen ist, kurz vor Annäherung eines Zuges aus dem PKW herausziehen, was ihm nicht gelingt, so daß beide getötet werden, so ist der Zurechnungszusammenhang zwischen dem Erstunfall des PKW-Fahrers und der Tötung des Dritten nicht deshalb zu verneinen, weil es sich möglicherweise um einen aussichtslosen Rettungsversuch gehandelt hat.“ Das OLG ist der Ansicht, dass bei dem Rettungsmanöver „Handlungen aufgrund von Fehleinschätzungen des Helfers, die ihrerseits durch die besonderen auf dem Willen und die Entschlusskraft einwirkenden Umstände herausgefordert werden, nicht auszugrenzen“454 seien455. „Verdeutlicht wird dieses Ergebnis, wenn man sich die Situation des Retters vergegenwärtigt, der rechtzeitig mit seinen Bemühungen beginnt und es lediglich verabsäumt, im richtigen Moment den Versuch abzubrechen. Hier käme man nicht auf den Gedanken, den Rettungsversuch in seiner letzten Phase deswegen als völlig ungeeignet zu qualifizieren.“456 Demgegenüber lässt das OLG Stuttgart457 jüngst ein sehr restriktives Zurechnungsverständnis erkennen. Der Beklagte geriet mit seinem PKW bei einem Wendemanöver von der Straße ab. Das Fahrzeug blieb zwar auf der abfallenden bepflanzten Böschung hängen, ragte jedoch mit dem Heck noch in die Fahrbahn hinein. Die Klägerin passierte die Unfallstelle und kam dem Beklagten zu Hilfe. Gemeinsam versuchten sie, das Fahrzeug von der Fahrbahn zu schaffen. Ohne Rücksprache mit dem Beklagten löste die Klägerin die Handbremse des Fahrzeugs, da sie den Eindruck hatte, dass ein Zurückschieben des Fahrzeugs sonst zwecklos sei. Nachdem das Fahrzeug plötzlich in Bewegung geriet und drohte, den Abhang hinunter zu rutschen, versuchte die Klägerin das Fahrzeug dadurch aufzuhalten, dass sie in das Fahrzeug sprang und die Handbremse wieder anzuziehen versuchte. Dabei rollte der PKW mit der Klägerin die Böschung hinunter. Die Klägerin wurde aus dem Fahrzeug herausgeschleudert und unter dem Fahrzeug eingeklemmt, sie erlitt schwere Verletzungen.

Das OLG Stuttgart ist der Ansicht, dass der Beklagte die Klägerin nicht durch den von ihm verursachten Unfall zur Selbstgefährdung veranlasst habe. In den Entscheidungsgründen führt das OLG an, dass davon nur dann auszugehen sei, wenn „entweder der Bekl. zu 1 die Kl. zur Mithilfe aufgefordert hätte, obwohl es für ihn ersichtlich gewesen ist, dass sie dadurch erheblich gefährdet 453 BGH NJW 1993, 2234 (2235) (Hervorhebung vom Verfasser). Tritt die Schädigung während der Brandbekämpfung auf, so rechnet der BGH die Verletzung dem Brandverursacher zu, vgl. BGH NJW 1996, 2646. 454 OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 1365. 455 Entsprechend auch OLG Karlsruhe NZV 1990, 230. 456 OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 1365 (1366). 457 OLG Stuttgart VersR 2003, 341.

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wird, oder die Kl. aufgrund einer vom Bekl. zu 1 verursachten Notlage geholfen hätte, da dann die Notsituation selbst Aufforderungscharakter hat“458. Dieser Aufforderungscharakter besteht nach der Ansicht des OLG aber nur dann, wenn das Eingreifen des Helfers unter den gegebenen Umständen verständlich und billigenswert erscheint.459 Das Gericht hielt weder eine Aufforderung zur Hilfeleistung460 noch eine von dem Beklagten verursachte Notlage mit Aufforderungscharakter für gegeben. Letzteres deshalb nicht, da zum Zeitpunkt des Eintreffens der Klägerin nicht einmal das Fahrzeug des Beklagten gefährdet war. Zum Zeitpunkt, als die Klägerin in das Fahrzeug hineinsprang, drohte zwar dem Fahrzeug des Beklagten Gefahr, doch sei eine solche Aktion zur Rettung eines Sachwerts weder verständlich noch billigenswert.461 Die zivilrechtliche Rechtsprechung zeigt ein uneinheitliches Bild. Zum einen wird in Anlehnung an die „Herausforderungsrechtsprechung“ darauf abgestellt, dass sich die Situation für den Helfer als gesteigerte Gefahrenlage darstellen muss. Andererseits wird jüngst eine explizite Aufforderung oder eine „Notlage mit Aufforderungscharakter“ gefordert, wobei demgegenüber gerade auch gewisse Fehleinschätzungen und Fehlleistungen als durch die Gefahrensituation adäquat herausgefordert angesehen werden. Inwieweit das Bestehen einer „sittlichen oder moralisch-ethischen Pflicht“ in den jüngeren Entscheidungen noch als Begründungsgrundlage herangezogen wird, lässt sich nicht erkennen. Eine dogmatische Differenzierung zwischen helfenden Privatpersonen und berufsmäßigen Rettern findet nicht statt. C. Psychisch vermittelte Kausalität und Willensfreiheit Die Fälle, in denen sich auf Grund einer Handlung des Erstverursachers ein hinzugekommener Retter zum Eingreifen veranlasst fühlt, sind dadurch gekennzeichnet, dass in den Kausalzusammenhang die Willensentscheidung eines handelnden Subjekts eingebunden ist. Bereits oben (1. Abschnitt, A.II.) haben wir festgestellt, dass die Fälle einer solchen psychisch vermittelten Kausalität in ihrer Erklärung eines Motivationszusammenhanges auf die Heranziehung von Motivationsprozessen beschränkt ist. Dieses Spezifikum stellt zugleich das Besondere als auch die Problematik der psychisch vermittelten Kausalität dar.462 Denn mit der Grundlage der Motivationsprozesse gelangt man zur Erkenntnis, dass die Handlung des Erstverursachers zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Willensbildung des Eingreifenden und die darauf 458

OLG Stuttgart VersR 2003, 341 (342). Vgl. OLG Stuttgart VersR 2003, 341 (342). 460 Ein Hilferuf begründe keinen rechtsgeschäftlichen Auftrag, aber eine auftragslose Geschäftsführung, siehe RGZ 167, 85 (88). 461 Siehe OLG Stuttgart VersR 2003, 341 (342). 462 So auch Forst, S. 3. 459

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

gründende Verletzung des Retters darstellt, dieser sich vielmehr auch anders hätte entscheiden können. Dann erscheint es aber problematisch, den Erstverursacher per se haftungsrechtlich für die Verletzung des Retters verantwortlich zu machen.463 Auf der anderen Seite würde bei der Annahme, dass Willensakte eines Individuums vollständig – auch wenn hierüber keine gesicherte Prognose abgegeben werden kann – in einen naturgesetzlichen Kausalnexus eingebunden und folglich vorherbestimmt seien, die Problematik der psychisch vermittelten Kausalität gleichsam redundant und erwiese sich bei Negierung der Willensfreiheit als reines Scheinproblem.464 Die Antwort auf diese Frage gründet daher untrennbar in der Frage nach der Willensfreiheit des Menschen an sich, die sich somit nicht als reines Glasperlenspiel darstellt. Vermöge dessen soll an dieser Stelle der Streit um die Willensfreiheit in ihren Grundzügen beleuchtet und dargelegt werden, inwieweit die Frage der Determination oder Indetermination der Willensentschlüsse für die Behandlung der psychischen Kausalität und das Strafrecht insgesamt Bedeutung hat. I. Determinismus

Dem Determinismus liegt die Auffassung zu Grunde, dass alles Geschehen in der Welt eine Ursache hat. Für diese Sichtweise streitet die Argumentation, dass der Mensch als Bestandteil der Natur in seinem Verhalten und seinen Handlungen ebenso wie alle Vorgänge in der Natur durch kausale Gesetze bestimmt ist. Der Mensch könne nicht aus dem Naturzusammenhang herausgelöst werden, denn dann wäre er selbst durch nichts bestimmt, aber dazu fähig, den Lauf der Dinge zu bestimmen. Ferner wäre eine Psychologie des Handelns oder eine Soziologie des menschlichen Verhaltens unmöglich, wenn menschliche Handlungen unabhängig von bestimmenden Umständen wären.465 Die uns frei erscheinende Entscheidung stellt sich unter dieser Prämisse lediglich als Ergebnis eines vorgezeichneten Kampfs der widerstreitenden Motive dar. II. Indeterminismus

Demgegenüber sind die Indeterministen der Ansicht, unser unmittelbares Erleben sage uns, dass wir – wenigstens im Normalfall – als Handelnde frei seien und uns für unsere Willenshandlungen persönlich verantwortlich fühlen. Der Wunsch erscheint danach als Ursache des Willens, der Wille als Ursache der Handlung. Anstatt diese Zeilen zu schreiben, wäre es mir zur gleichen Zeit möglich gewesen, ein Buch zu lesen. Unter diesem Bewusstsein ist es kaum möglich, uns entgegen dieser Erfahrung aus unmittelbarem Erleben und entge463 464 465

In diesem Sinn Forst, S. 3. Vgl. auch Forst, S. 8. Gute Zusammenstellung der Argumente bei Weinberger, S. 154 f.

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gen dieser allgemeinen Gewissheit davon zu überzeugen, dass wir in Wirklichkeit gar keine Willensfreiheit besitzen.466 Mehr noch, schon das In-Frage-Stellen-Können setze Freiheit voraus. Sollte die Lehre des Determinismus eine Erkenntnis sein, müsste es geistige Freiheit geben, denn ein unfreies Wesen kann sich in dieser seiner Unfreiheit nicht erkennen. Der Beweis der Freiheit sei immerhin denkmöglich, der Beweis der Unfreiheit aber denkunmöglich.467 Neben diesem Aspekt wird zunehmend die Entwicklung des physikalischen Denkens, vor allem die Theorie der Mikroprozesse, die eine lediglich stochastische Bestimmung von Kausalverläufen erlaubt, als Grundlage für die Indeterminiertheit herangezogen. Angenommen wir haben zwei Systeme – A1 und A2 – vor uns, die wir für ununterscheidbar gleich halten, und diese sich dann unter gleichen Umständen verschieden verhalten, dann lässt sich das unterschiedliche Verhalten von A1 und A2 als bloßer Zufall betrachten, der mithin lediglich probabilistische Aussagen erlaubt.468 III. Das Dilemma

Die Extrempositionen führen zu einem Dilemma. Auf der Grundlage des Determinismus kann von einer Handlung als „gewillkürtem Verhalten“, von einem den Kausalverlauf überdeterminierten Vorsatz, von einer Vermeidbarkeit nicht gesprochen werden. Auch sinken Figuren wie die eigenverantwortliche Selbstgefährdung, der freiwillige Rücktritt und die Anstiftung in sich zusammen.469 466

Vgl. Weinberger, S. 154. Vgl. Arthur Kaufmann, JZ 1967, 553 (560). 468 Siehe Weinberger, S. 157. Im Gegenzug wird dasselbe Beispiel von den Vertretern des Determinismus zur Begründung ihrer Auffassung herangezogen, denn – so die Deterministen – aus dem verschiedenen Verhalten der Systeme A1 und A2 lasse sich gerade die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Systeme beweisen. Die indeterministische Deutung der geschilderten Betrachtung könne nur dann gelten, wenn wir voraussetzen dürften, dass wir absolut alle Eigenschaften der Systeme A1 und A2 erkannt und zwischen A1 und A2 eine absolute Übereinstimmung in allen Eigenschaften festgestellt hätten. Es sei aber unbestreitbar, dass es nie möglich sei, absolute Gleichheit aller Eigenschaften zweier Objekte festzustellen, und es könne auch nicht daran gezweifelt werden, dass es Eigenschaften von Systemen gebe, die nicht direkt, sondern nur in ihren Auswirkungen wahrgenommen werden können, vgl. Weinberger, S. 157. Dass es auch bei maximal möglicher Information über den Zustand eines Systems ausgeschlossen ist, alle einer Messung zugänglichen und daher zu seiner Beschreibung notwendigen Eigenschaften gleichzeitig exakt anzugeben, ist eine Konsequenz der Heisenbergschen Unschärferelation, siehe auch Rothenfußer, S. 31 ff. 469 Vgl. Hillenkamp, JZ 2005, 313 (317 f.). Auch von den elementaren Grundsätzen des Privatrechts verbliebe nur mehr ein Torso, Vertragsfreiheit, Eigentumsfreiheit, Ehefreiheit und Testierfreiheit verlören ihre Existenz, vgl. die ironischen Ausführungen Walters, Schroeder-FS, S. 131 (139). Nur vereinzelt findet eine Beurteilung der Konsequenzen einer solchen Negierung des freiheitlichen Menschenbildes statt. Wenn das Recht nicht mehr dem Schutz rechtlich gesicherter gleicher Freiheit dient, so wäre gerecht alleine das, was dem Überlebensinteresse dient und damit das was der sich durchsetzenden Gruppe nützt, indem es sie schützt – gerecht wäre das Recht des Stär467

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Auf der anderen Seite stellen neuere Experimente der Hirnforschung das Postulat der Willensfreiheit in Frage und ersehen in ihr eine Illusion. Ein richtungsweisendes Experiment auf diesem Gebiet wurde von dem amerikanischen Neurobiologen Benjamin Libet in den 1980er Jahren durchgeführt. Die Probanden wurden gebeten, innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums zu einem beliebigen Moment entweder einen Finger der rechten Hand oder das Handgelenk zu bewegen, während gleichzeitig die Gehirnaktivität in Form eines Bereitschaftspotentials (BP) aufgezeichnet wurde. Dabei mussten die Probanden den Zeitpunkt ihres Entschlusses nach einer Art Oszilloskopuhr festhalten. Libet fand heraus, dass die Gehirnaktivität, die dazu führte, dass die Person eine der beiden Handlungen ausführte, etwa eine halbe Sekunde vor dem Moment einsetzte, in dem der Proband sich bewusst dazu entschloss, was darauf hinweist, dass die Entscheidung in Wirklichkeit auf einer unbewussten Ebene stattfindet und erst später in eine „bewusste Entscheidung“ übersetzt wird.470 Die Hirnaktivität scheint dem Denkprozess vorzueilen. Die Versuche wurden von den beiden Psychologen Patrick Haggard und Martin Eimer wiederholt und dahingehend variiert, dass sie für die Probanden neben der Aufgabe, zu einem frei gewählten Zeitpunkt eine vorgegebene Taste zu drücken (fixed choice), eine freie Wahl einführten, in der sich die Versuchspersonen entscheiden konnten, die linke oder rechte Taste zu drücken (free choice). Der Beginn des BP unterschied sich bei freier Wahl und fixierter Wahl nicht signifikant voneinander und wurde auch hier durchschnittlich 530 Millisekunden vor dem Beginn der Reaktion aufgebaut.471 Sowohl die Sichtweise des Determinismus als auch des Indeterminismus sehen sich einem Paradoxon ausgesetzt. Denn der Determinismus sagt letztlich, dass alles so geschieht, wie es geschieht. Damit kann man eine deterministische Welt nicht von einer indeterministischen unterscheiden. Jede Annahme eines freien Willens wäre, ebenso wie jede Annahme des Gegenteils, bereits vorbestimmt. Eine deterministische Welt könnte damit von sich annehmen, eine indeterministische Welt zu sein. Auch eine indeterministische Welt könnte sowohl keren. Der Humanismus, für den die Hirnforscher eintreten, erweist sich somit selbst als Ironie; vgl. K. Günther, KJ 2006, 116 (130 ff.); Wolff, JZ 2006, 925 (930). 470 Hierzu Libet, Haben wir einen freien Willen?, in: Geyer (Hrsg.), Hirnforschung und Willensfreiheit – Zur Deutung der neuesten Experimente, S. 268; Hillenkamp, JZ 2005, 313 (318 f.). Dem Experiment lässt sich entgegenhalten, dass es nicht zeigt, dass es keinen freien Willen gibt, denn dies wäre nur dann der Fall, wenn Entscheidungen singuläre, zeitlich genau bestimmbare Ereignisse wären. Aber aus der alltäglichen Erfahrung weiß man, dass Entscheidungsprozesse durchaus komplex und langwierig sein können. Die „bewusste Entscheidung“ könnte einfach als die letzte Stufe eines Entscheidungsprozesses angesehen werden, der früher begonnen hat, vgl. Helmrich, Wir können auch anders: Kritik der Libet-Experimente, in: Geyer (Hrsg.), Hirnforschung und Willensfreiheit – Zur Deutung der neuesten Experimente, S. 92 (94 f.); Walter, Schroeder-FS, S. 131 (141) – kritisch aber Roth, Lampe-FS, S. 43 (53 f.). 471 Vgl. Roth, Lampe-FS, S. 43 (49).

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den Determinismus als auch den Indeterminismus annehmen, ohne ihn aber entscheiden zu können. Das Vorhandensein von Willensfreiheit ist erkenntnistheoretisch und empirisch weder beweisbar noch endgültig widerlegbar.472 Um mit Kant zu sprechen: „Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann; denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann; denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.“473 IV. Konklusion

1. Popper Popper sucht das Dilemma auf der Ebene des wissenschaftlichen Argumentierens zu lösen. Er ist der Ansicht, wenn wir von Kausalität sprechen, können wir nur von der kausalen Determination wiederholbarer typischer Vorgänge sprechen. Niemals dürfe der Gedanke der Gesetzmäßigkeit in naturwissenschaftlichem Sinn dort angewendet werden, wo das Interesse für das Individuelle bestehe.474 Denn „wenden wir den Gedanken auch dort an, so gehen wir weit über das hinaus, wozu wir aufgrund der Wissenschaft berechtigt sind: Wir wenden den alten animistischen genetischen Kausalbegriff an: Wir treiben Kausalmetaphysik“475. „Sagen wir von diesem Vorgang, er sei kausal determiniert, so können wir entweder (und mit Recht) meinen, daß alles, was wir von diesem Vorgang beschreiben können, vermutlich psychologisch erforschbar ist, gehen wir aber weiter, behaupten wir etwa, daß ein genau solches Individuum wie Bach in genau derselben Situation ebenfalls die Matthäus-Passion geschrieben hätte, so stellen wir unfalsifizierbare und deshalb metaphysische Behauptungen auf. Wir werden weder ein genau solches Individuum wie Bach mehr finden, noch eine genau solche Situation, wie die, in der Bach die Matthäus-Passion geschrieben hat.“476 Das Individuelle kann nach Popper somit wissenschaftlich

472 Siehe Lackner/Kühl, Vor § 13 Rdnr. 26; Roxin, ZStW 96 (1984), 641 (642). Nach Roxin ebd. und Baumann, ZStW 70 (1958), 227 (241) wird die Frage wahrscheinlich immer ungeklärt bleiben. 473 Kant, KrV, A VII. 474 Die Bedeutung des Individuellen hebt auch Koriath, Kausalität, S. 199 hervor, wenn er darlegt, dass ein und derselbe Vorgang ebenso regelgeleitet (determiniert) wie individuell (indeterminiert) sein kann, beispielsweise seien die Regeln des Schachspiels oder die Harmonielehren der Musik unabänderlich, dennoch verlaufen weder alle Spiele oder Melodien gleich, es bleibe genug Bewegungsfreiheit, um intelligent oder dumm zu spielen oder um schön oder hässlich zu komponieren; übereinstimmend Hochhuth, JZ 2005, 745 (751). 475 Popper, S. 402. 476 Popper, S. 403.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

überhaupt nicht erfasst werden. Erforschbar sollen nur wiederholbare Vorgänge sein. Indessen ist fraglich, ob das Freiheitsproblem tatsächlich im Wege der sprachlichen Analyse des Gebrauchs von Wörtern oder der Bedeutung wissenschaftlicher Begriffe oder der Abgrenzung wissenschaftlicher Erklärungsleistungen zu lösen sein soll.477 Ein solch analytisches Erklärungsmodell scheint nicht zu befriedigen. Wir wollen im Folgenden Ansätze betrachten, die die Problematik ganzheitlich zu lösen versuchen. 2. Vermittelnde Ansichten a) Die Differenzierung zwischen Informationsverarbeitung und Entscheidungsprozessen Diese Ansicht geht davon aus, dass aus physikalischer und kybernetischer Sicht das geistige Leben in der Aufnahme, Speicherung, Verarbeitung und Weitergabe von Informationen, d.h. von Signalen, die durch physikalische Energie übertragen werden und zu Reizungen im lebendigen Organismus führen, besteht. Die Informationen werden entweder durch die Erbanlagen (Gene, Instinkte, Triebe) dem Körper zugeführt oder werden durch die Sinnesorgane aufgenommen und gegebenenfalls durch Lernprozesse aufgearbeitet.478 Eine Entscheidung erfolgt erst nach entsprechender Informationsverarbeitung, wobei diese Verarbeitung nach den kausalen Gesetzen der Makrophysik verläuft. Die Freiheit bestehe darin, dass das Ich nur nach den eigenen Informationen und nach eigener Informationsverarbeitung eine Entscheidung zum Wollen und Handeln treffe und nicht durch von außen kommende Einflüsse unter Umgehung der eigenen Informationsverarbeitung und unter Umgehung der eigenen Bewertung gesteuert und im Sinne eines äußeren Zwangs zu Handlungen veranlasst werde.479 Folglich bildet die kausale Gesetzmäßigkeit die unabdingbare Voraussetzung zur Willensfreiheit, denn ohne sie gäbe es keine Gedanken, keine Entscheidung, keinen Willen, ja nicht einmal Leben und damit auch keine Freiheit.480 Diese Auffassung, die den Menschen lediglich auf der Stufe der materiellkörperlichen Ebene in den naturgesetzlichen Kausalnexus eingebunden sehen will, sieht sich aber der bereits oben genannten Problematik ausgesetzt, dass es denknotwendig nicht erklärbar ist, wie der freie Wille in diesem Fall auf das in

477 478 479 480

Vgl. Koriath, Kausalität, S. 52. Siehe Schiebeler, S. 314. Siehe Schiebeler, S. 318. Siehe Schiebeler, S. 318.

3. Abschn.: Der Retter als Geschädigter

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sich geschlossene Kausalgefüge auf der materiell-körperlichen Ebene wirken können soll.481 b) Die Willensfreiheit als normative Setzung Das rechtliche Urteil über die Willensfreiheit ist nicht davon abhängig, ob Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen philosophisch oder psychologisch beweisbar sind, sondern allein davon, ob es teleologisch angemessen ist, dass der Mensch als frei und verantwortlich behandelt wird. Damit nimmt die Handlungsfreiheit im Recht nicht die Rolle eines realen Faktums, sondern einer normativen Setzung an.482 Es geht bei der Annahme menschlicher Entscheidungsfreiheit nicht um eine Seinsaussage, sondern um ein rechtliches Regelungsprinzip483, um eine soziale Spielregel484. Die Willensfreiheit gründet auf der immer wieder bestätigten Beobachtung, dass dieser Begriff ein allgemeines Organisationsprinzip aller Gesellschaften und Gesellschaftsteile dieser Epoche enthält.485 Die individuelle Verantwortung kann nur in einem empirisch-pragmatischen Sinne verstanden werden, als Fehlgebrauch eines Könnens, das wir uns wechselseitig praktisch zuschreiben.486 Dem Menschen wird nicht darum zugerechnet, weil er frei ist, sondern der Mensch ist frei, weil ihm zugerechnet wird.487 Willensfreiheit ist also als Metapher dafür zu nehmen, dass der Wille und nur dieser nicht als naturwissenschaftliches, sondern als normatives Konstrukt die Orientierung leitet.488 Das Schuldprinzip gründet also nicht in einer Doktrin der 481

Zu Recht kritisch Forst, S. 7. Vgl. Roxin, ZStW 96 (1984), 641 (650 f.); Mosbacher, JR 2005, 61. 483 Vgl. Roxin, ZStW 96 (1984), 641 (650); Lackner/Kühl, Vor § 13 Rdnr. 26. 484 Vgl. Roxin, AT I, § 3 Rdnr. 55. Man mag mit Eduard Kohlrausch von einer „staatsnotwendigen Fiktion“ der Schuld sprechen, siehe Kohlrausch, Güterbock-FG, S. 1 (26); Joecks, Vor § 13 Rdnr. 56; Schünemann, Grundfragen, S. 153 (161 Fn. 18); kritisch zu diesem Ausspruch aber Roxin, ZStW 96 (1984), 641 (651): „Denn die Alternative zur Schuldstrafe ist nicht Sanktionslosigkeit, sondern die Maßregel. Da ein reines Maßregelrecht eine sowohl umfassendere als auch längerdauernde Sanktionierung ermöglichen würde, liegt die wesentliche rechtspolitische Funktion des Schuldprinzips gerade darin, der Prävention im Interesse der bürgerlichen Freiheit eine Schranke zu setzen. Die Annahme menschlicher Entscheidungsfreiheit ist daher nicht, wie Kohlrausch einmal sagte, eine staatsnotwendige Fiktion, sondern im Gegenteil, ein die Staatsmacht in Schranken haltendes, freiheitsverbürgendes Rechtsprinzip“ (Hervorhebungen im Original) sowie Lüderssen, Ändert die Hirnforschung das Strafrecht?, in: Geyer (Hrsg.), Hirnforschung und Willensfreiheit – Zur Deutung der neuesten Experimente, S. 98 (101); kritisch gegenüber der „Günstigkeitsthese“ Roxins aber Geisler, S. 53 ff. 485 Siehe Naucke, § 7 Rdnr. 34. 486 Vgl. Schreiber, Der Nervenarzt 48 (1977), 242 (245). 487 Vgl. Kelsen, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 6 (1955), 125 (137, 146). 488 Vgl. Jakobs, ZStW 117 (2005), 247 (264). Siehe auch Hruschka, S. 39 f.; Bieri, S. 332 ff., 360. 482

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Willensfreiheit, sondern hat das innenpolitische Ziel, einzelne Menschen in begrenztem Umfange vor dem Anpassungsdruck der Umwelt zu schützen.489 Die Argumentation wollen wir mit Kant490 beschließen: „Wir haben den bestimmten Begriff der Sittlichkeit auf die Idee der Freiheit zuletzt zurückgeführt; diese aber konnten wir als etwas Wirkliches nicht einmal in uns selbst und in der menschlichen Natur beweisen; wir sahen nur, daß wir sie voraussetzen müssen, wenn wir uns ein Wesen als vernünftig und mit Bewusstsein seiner Kausalität in Ansehung der Handlungen, d. i. mit einem Willen begabt, uns denken wollen, und so finden wir, daß wir aus ebendemselben Grunde jedem mit Vernunft und Willen begabten Wesen diese Eigenschaft, sich unter der Idee seiner Freiheit zum Handeln zu bestimmen, beilegen müssen“. Auf dieser Sichtweise fußt auch die Rechtsprechung des BGH491: „Schuld ist Vorwerfbarkeit. Mit dem Unwerturteil der Schuld wird dem Täter vorgeworfen, daß er sich nicht rechtmäßig verhalten, daß er sich für das Unrecht entschieden hat, obwohl er sich rechtmäßig verhalten, sich für das Recht hätte entscheiden können. Der innere Grund des Schuldvorwurfs liegt darin, daß der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden, sobald er die sittliche Reife erlangt hat und solange die Anlage zur freien sittlichen Selbstbestimmung nicht durch die in § 51 StGB genannten krankhaften Vorgänge vorübergehend gelähmt oder auf Dauer zerstört ist.“

Für die psychisch vermittelte Kausalität ergibt sich daraus, dass die Willensfreiheit bereits notwendig angenommen werden muss, um die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Handlungssubjekts überhaupt rechtfertigen zu können. Darüber hinaus ist die Annahme der Willensfreiheit spezifische Voraussetzung dafür, dass psychisch vermittelte Kausalverläufe als besondere Zurechnungsproblematik eingestuft werden können und müssen.492 Lässt sich beispielsweise feststellen, dass ohne das Vorhandensein eines bestimmten Außenweltanreizes (z. B. einer Anstiftungshandlung) ein Tatenschluss und damit eine Tat nicht entstanden wäre, so lässt sich dieser Umstand auch als notwendige Bedingung und damit als psychisch kausal verstehen. Die Annahme des freien Willens impliziert also keineswegs die Voraussetzungslosigkeit der Willensbildung493; die Erstreckung des Kausalprinzips auf die Willensbildung hat vielmehr zur Folge, dass die Handlung in Form von Handlungsmotiven zusätzliche kausale Anknüp489

Vgl. Naucke, § 7 Rdnr. 40. Kant, Grundlegung, S. 106 f. (= S. 449 f. Ak, = S. 102 f. Orig.). Nach Röhl, S. 124 „das Klügste, was über das Kausalitätsproblem und damit über das Problem der Willensfreiheit gedacht wurde“. 491 BGHSt 2, 194 (200 f.). 492 Für den Deterministen steht die Geltung des Kausalgesetzes im psychischen Bereich ohnehin außer Zweifel, vgl. Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 31. 493 Siehe Dencker, S. 40. 490

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fungspunkte erhält, wodurch der Kreis der notwendigen Bedingungen über die Existenz des Handelnden, des Aufenthalts zur gegebenen Zeit am gegebenen Ort usw. erheblich ausgeweitet wird494. Die Freiheit des menschlichen Willens kann aber Grund dafür sein, die Zurechnung trotz Kausalität zu verneinen oder zu modifizieren.495 Dies gilt es zu verinnerlichen. Im Folgenden soll nun die Problematik der Retterunfälle in ihrer Beziehung zur allgemeinen Systematik der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung näher untersucht werden und eine Einordnung in diese Kategorie vorgenommen werden. Das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit hat sich zunehmend als selbständiges Element der objektiven Zurechnung entwickelt und bildet eine notwendige Ergänzung zu der Grundformel des Risikozusammenhangs.496 Über den Aspekt der Gefahrschaffung und deren Realisierung im Erfolg stellt sich damit zusätzlich die Frage, inwieweit dieser Erfolg als Ausdruck einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung anzusehen ist. D. Einordnung in die Systematik der Selbstgefährdungsfälle I. Rechtsprechung

Das im Jahre 1984 ergangene sog. Heroinspritzenfall-Urteil497 des BGH stellt das Grundsatzurteil zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung dar. Dort hatte der BGH festgestellt, dass eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdungen nicht dem Tatbestand eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts unterfallen, wenn sich lediglich das mit der Gefährdung bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Selbstgefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, macht sich nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar. Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung beseitigt somit bereits die Tatbestandsmäßigkeit des Täterverhaltens.498 Für die Fallgruppe der Retterunfälle hat der BGH seine Aussage im Urteil BGHSt 39, 322 relativiert, indem er feststellt, dass es einer Einschränkung des Grundsatzes der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung dann bedarf, wenn der 494 Vgl. Rothenfußer, S. 37 f. Fehlgehend daher Pothast, JA 1993, 104 (106 ff.), wenn er Willensfreiheit „als Fähigkeit zu außerkausaler (oder kontrakausaler) Selbstbestimmung“ definiert. 495 Vgl. Dencker, S. 42. 496 Siehe Kühl, AT, § 4 Rdnr. 83; Kretschmer, Jura 2000, 267 (275). 497 BGHSt 32, 262. Siehe hierzu Kühl, AT, § 4 Rdnr. 86 ff. 498 Demgegenüber hatte der BGH die Selbstgefährdungsproblematik in BGHSt 17, 359 noch in der Rechtfertigungsebene in Form der Einwilligung verortet. Ein Beleg dafür, dass sich die strafrechtliche Zurechnungslehre noch nicht vom Naturalismus emanzipiert hatte, vgl. Schünemann, Grundfragen, S. 1 (22 Fn. 36). Kritisch auch Rutkowsky, NJW 1963, 164: „Die Erörterungen zu § 226 a StGB [heute § 228 StGB] erscheinen überflüssig und abwegig“.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Täter ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder nahestehender Personen begründet und damit für den Retter ein einsichtiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen liefert.499 Der Weg des BGH besteht somit darin, zwar nicht das Vorliegen einer freiwilligen Selbstgefährdung zu verneinen, sondern vielmehr eine Ausnahme vom Grundsatz der Nichtzurechnung bei bewusster Selbstgefährdung zu machen.500 Von einer schematischen Übertragbarkeit der Grundsätze der bewussten Selbstgefährdung auf jegliche Konstellationen, in denen durch deliktisches Verhalten eines Täters ein Dritter zu einer sich selbst gefährdenden Handlung veranlasst wird, hat unlängst auch das OLG Celle501 abgesehen. Dort hatte sich das Opfer eines Verkehrsunfalls einer notwendigen Operation unter Bezugnahme auf eine Mortalitätsquote von 5 bis 15% nicht unterzogen. Das OLG Celle zieht auch für diese Variante die in BGHSt 39, 322 aufgestellten Grundsätze heran, wonach in Fällen der Vorgabe eines einsichtigen Motivs für die Vornahme der Selbstgefährdung eine differenzierte Betrachtung angebracht ist. II. Literatur

Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Abgrenzung zwischen einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und einer motivierten Selbstgefährdung im Sinne der Rechtsprechung von BGHSt 39, 322 findet sich ersichtlich nur bei Frisch502 und Walther503. Walther differenziert danach, ob die eigenverantwortliche Selbstgefährdung als „anzapfen“ einer gelieferten Gefahrenquelle anzusehen ist.504 Die Selbstgefährdung sei zwar durch eine andere Person gefördert, veranlasst oder ermöglicht worden (beispielsweise durch Beschaffen von Drogen), diese andere Person schaffe aber nur eine abstrakte Selbstgefährdungsgefahr, eine Anknüpfungsgefahr, an die der Rechtsgutinhaber selbst eigenverantwortlich anknüpfe (etwa durch den Konsum der Rauschmittel). In diesen Fällen agiert der Rechtsgutinhaber, er betätigt sich gewissermaßen als Unternehmer, sei es in Form der Einnahme von Drogen oder der Ausführung einer gefährlichen Wettfahrt.505 Demgegenüber könne bei Retterunfällen nicht von einem eigenverantwortlichen Anzapfen einer Gefahrenquelle ausgegangen werden, denn hier gehe es um ein reaktives Verhalten. Der Retter handelt in Ansehung des unmittelbaren Ein499 500 501 502 503 504 505

Siehe hierzu bereits oben B.I.1. Kritisch Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (75 f.). OLG Celle NJW 2001, 2816. Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (74 ff.). Walther, StV 2002, 367. Vgl. Walther, StV 2002, 367 (368). Vgl. Walther, StV 2002, 367 (368).

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drucks des Unfallgeschehens nicht als Unternehmer einer Selbstgefährdung, sondern in engem Zusammenhang mit dem emotionalen und psychischen Prozess der Bewältigung einer außergewöhnlichen Notsituation bzw. eines Viktimierungserlebnisses.506 Demgegenüber übt Frisch Kritik an der Klassifizierung, wie sie vom BGH vorgenommen wird. Für ihn mag die „phänomenologische Umschreibung des Unterschieds“ und die hierauf aufbauende Präzisierung des Selbstgefährdungsgrundsatzes nicht zu überzeugen.507 Die Lösung des BGH setze auf der systematisch falschen, nämlich der sekundären Ebene der Zurechnung des Erfolges an.508 Damit könne man die phänomenologischen Distinktionen innerhalb der Selbstgefährdungsfälle nur zufällig erfassen, „wenn nämlich die danach naheliegenden Differenzierungskriterien zufällig deckungsgleich mit den für die Konstitution des Rechts und rechtlicher Verbote maßgebenden Kriterien sein sollten“509. Nach Frisch erfordert jedes Verbot zu seiner Fundierung ein (Schutz-) Interesse der betroffenen Gutsträger am Unterbleiben der Handlungen, in deren Gefolge es – durch das veranlasste oder geförderte Handeln des Gutsträgers selbst – zu Beeinträchtigungen seiner Güter kommen kann. Wenn man – so Frisch – die Perspektive der sekundären Zurechnungslehre und den Topos der Selbstgefährdung verlasse, könne man unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze der Legitimierbarkeit von Verboten trotz einer bewussten Selbstgefährdung des Retters das Täterhandeln als rechtlich-missbilligtes Verhalten ansehen.510 Die Bedenken, die gegen eine Verortung der Zurechnungslehre in den Bereich des Handlungsunrechts angezeigt sind, wurden bereits oben (1. Abschnitt, B.VI.2.) dargelegt. Darüber hinaus bietet die Einordnung Frischs keinen Paradigmenwechsel, der in seiner Stringenz einen Gewinn gegenüber einer Lösung innerhalb der Erfolgszurechnung bieten würde. Denn Frisch verlagert die Problematik lediglich, die Fragestellung bleibt indessen dieselbe – wenn der BGH danach fragt, ob für das Opfer ohne Einverständnis eine Gefahrenlage begründet wird, steht dies deckungsgleich zur Frage nach der Legitimierbarkeit und Fundierung von Verboten bei Frisch.511 Ohne einen Erfolg und seine Rückführ506 In diesem Sinn Walther, StV 2002, 367 (369). Den Verarbeitungsprozess bezeichnet Walther mit dem in der anglo-amerikanischen Forschung eingebürgerten Begriff des coping. 507 Siehe Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (76). 508 Siehe Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (77). 509 Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (78). 510 Vgl. Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (78 f.). 511 Zu Recht kritisch auch Koriath, Zurechnung 1994, S. 495 f. sowie Haas, Die strafrechtliche Lehre von der objektiven Zurechnung – eine Grundsatzkritik, in: Kaufmann/Renzikowski (Hrsg.), Zurechnung als Operationalisierung von Verantwortung, S. 193 (202).

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barkeit auf ein Verhalten kann von einer – ex ante betrachtet – tatbestandsmäßigen Handlung nicht gesprochen werden. Alle Gesichtspunkte, die der objektiven Zurechnung entgegenstehen, fließen also in die retrospektive Ermittlung des rechtlich-missbilligten Risikos ein, denn nur solche Verhaltensweisen können verboten werden, die sich ex post betrachtet als rückführbare Ursache einer Rechtsgutverletzung erweisen.512 Dies erkennt auch Frisch, wenn er eingesteht, dass es nicht unmöglich sei, im Rahmen der Zurechnung zur Erfassung der maßgebenden Differenzierungskriterien zu gelangen. Voraussetzung sei jedoch, dass „sie auch die Gesamtproblematik der Rechts- und Verbotsbegründung in sich aufnimmt, also die Frage des Rechtsinhalts und der Begründbarkeit und Reichweite von Verboten und die Konsequenzen der Verbotsverletzung samt der Erfolgszurechnung im engeren Sinne unter einem Etikett zusammenschließt“513. Dass es möglich ist, solch einem Verständnis der Zurechnungslehre gerecht zu werden, soll im weiteren Verlauf der Darstellung herausgearbeitet werden. Die Ausführungen Walthers heben in ihrer Begrifflichkeit die vom BGH vorgenommene Distanzierung von einer generellen Dogmatik straflosen Veranlassens eigenverantwortlicher Selbstgefährdung anschaulich hervor. Denn wenn der BGH auf das fehlende Einverständnis der Gefahrschaffung und die verständliche Motivierung zur Rettung eigener oder nahestehender Rechtsgüter abstellt und damit eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung in Abrede stellt, so lässt sich hier bezeichnend von einem reaktiven Verhalten sprechen, welchem die Rechtsordnung grundsätzlich nicht den Schutz verwehren darf. Wenn also im Fortgang dieser Arbeit von eigenverantwortlicher Selbstgefährdung gesprochen wird, ist dieses unter dem Verständnis eines reaktiven Verhaltens aufzufassen, bei welchem die Selbstgefährdung nicht in souveräner Anknüpfung an eine Gefahrenlage zu verstehen ist, welche bezeichnenderweise die charakteristische Typik eigenverantwortlicher Selbstgefährdung darstellt. Nachdem das Charakteristikum und die systematische Stellung der Retterfälle innerhalb der Gruppe mit Selbstgefährdungsbezug herausgearbeitet wurden, gilt es im Folgenden die breit gestreuten literarischen Ansichten näher zu untersuchen. Um dem Leser den Überblick zu erleichtern, werden die entsprechenden Ansichten übergeordneten Meinungsströmungen zugeordnet.

512 Instruktiv Renzikowski, S. 120 f. Siehe auch Dreher, S. 17; Hendrik Schneider, S. 212 f. 513 Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (79) (Hervorhebung im Original).

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E. Vorfindbare Lösungen in der Literatur I. Generelle Ablehnung der Zurechnung

1. Roxin Eine grundlegende Auseinandersetzung mit der Retterproblematik hat Roxin Anfang der 1970er Jahre vorgenommen. Unter Aufgabe seiner früheren Ansicht514 zeichnet Roxin eine grundlegende Sichtweise, an deren restriktivem Verständnis er bis heute festhält. Roxin hält das „naturgemäß grobschlächtige Mittel des Strafrechts zur Erfassung derartiger Fallkonstellationen [für] ungeeignet“515. In seiner Darstellung nimmt er eine Trennung zwischen den Fallgruppen der einerseits privaten Rettungswilligen ohne gesetzliche Hilfspflicht (a) und andererseits der berufsmäßigen Helfer bzw. rechtlich516 Verpflichteten (b) vor. Bei fehlender rechtlicher Verpflichtung zur Hilfe (a) sieht Roxin Schädigungen des Retters nicht mehr vom Schutzzweck der fahrlässigen Tötung bzw. der fahrlässigen Körperverletzung erfasst. Zum einen unterfalle eine freiwillige Selbstgefährdung517 schon nicht dem Zweck des Gesetzes, Menschen vor einer solchen Selbstgefährdung zu bewahren.518 Zwar hat der Erstverursacher eine Gefahrenlage geschaffen, doch ist diese für den Retter – für sich genommen – nicht unmittelbar gefährlich. Die Gefährlichkeit entsteht erst dadurch, dass sich der Retter freiverantwortlich in die Gefahrensituation begibt. Erst das selbstgefährdende Verhalten begründet die Gefahr.519 Zum anderen sieht Roxin die Gefahr einer unzumutbaren Kon514 In der 2. Auflage seiner Monographie „Täterschaft und Tatherrschaft“ ging Roxin noch von einer Zurechenbarkeit von Schädigungen aus, die ein freiwillig handelnder Retter erleidet. Roxin, Täterschaft2, S. 547: „Die Frage hätte jedoch unabhängig davon lauten müssen, ob die Sorgfaltspflicht des Arztes sich überhaupt darauf erstreckte, jemanden vor Gefährdungen zu bewahren, die ein anderer freiwillig bei genauer Einsicht in die Sachlage auf sich nahm. Man wird das im vorliegenden Fall bejahen können, weil der Seelsorger einer Gewissenspflicht folgte, für deren Entstehung der Arzt die Verantwortung trug und deren Befolgung ihn auch unter rechtlichen Aspekten nicht von den Konsequenzen seines Tuns entlastet“. 515 Vgl. Roxin/Schünemann/Haffke, Fall 7, S. 131 (142). 516 Aus § 323 c StGB oder Garantenstellung. 517 An der Freiwilligkeit kann es nach Roxin fehlen, wenn der Retter in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt ist oder der Rechtsgedanke des § 35 StGB eine Freiwilligkeit der Handlung ausschließt, Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 117. 518 Siehe Roxin, Gallas-FS, S. 241 (247); ders., AT I, § 11 Rdnr. 115. Aus diesem Umstand lehnt auch Lewisch in den Retterfällen die Zurechnung schlechthin ab, vgl. Lewisch, ZVR 1995, 98 (101); ders., Casebook, S. 107 ff. (Nr. 207 f., 210). Auch Kerle will auf eine strafrechtliche Ahndung verzichten, zumindest soweit zivilrechtliche Ausgleichsansprüche geltend gemacht werden können; vgl. Kerle, S. 131. 519 Vgl. Lewisch, ZVR 1995, 98 (100). Siehe auch P. Fuchs, S. 135, 137.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

fliktlage: Wer aus eigenem Entschluss seine Gesundheit oder sein Leben aufs Spiel setze, werde in einen ausweglosen Konflikt gestürzt, wenn er sich vor die Frage gestellt sehe, ob er es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, dass er durch seinen ihm von niemandem abverlangten Wagemut möglicherweise Dritte (den Unfallverursacher) in Kriminalstrafe stürze.520 Auch habe der Gefahrverursacher keinen Einfluss auf den Entschluss des Retters – dies verbiete, dem Verursacher die strafrechtlichen Folgen aufzubürden.521 Kongruent bestehe für den Verursacher der Gefahrenlage der Konflikt, dass er es sich überlegen müsse, ob er überhaupt Hilfe herbeihole, deren Misslingen ihn möglicherweise strafrechtlich belasten würde522 – damit würde in vielen Fällen in unerwünschter Weise von einer Hinzuziehung abgesehen.523 Diese kriminalpolitischen Erwägungen führen Roxin zu einer Begrenzung des strafrechtlichen Schutzbereichs bei fahrlässiger Gefahrverursachung.524 Eine andere Argumentation legt Roxin in den Fällen der rechtlichen Handlungspflicht (b) zu Grunde. Diese Konstellationen unterfallen nicht der freiwilligen Selbstgefährdung, da deren Vornahme durch rechtliche Pflicht angeordnet oder aber dienstlich geboten ist. Hier müsse eine Fahrlässigkeitsbestrafung deswegen ausscheiden, da der Gesetzgeber, der das rechtliche Handlungsgebot ausgesprochen habe, nicht die Verantwortung für ein etwaiges Fehlgehen einer dritten Person zuschreiben dürfe. Es dürfe sinnvollerweise keine gesetzlichen Gebote geben, die Dritte in Kriminalstrafe stürzen.525 Denn das Eingreifen des Retters werde nicht allein durch den Unfall, sondern auch durch die Anordnung des Gesetzgebers herbeigeführt.526 Würde eine Zurechnung ausgelöst, so sei das Verhalten des Gesetzgebers widersprüchlich, da der Staat dann selber an dieser – von ihm erst geschaffenen – Straftat beteiligt wäre.527 Zum anderen seien Berufspflichten in einem erweiterten Sinn ebenfalls freiwillig, weil sie mit der Ergreifung des Berufes auf Grund eines freien Willensentschlusses übernommen wurden.528 Die Schädigung stellt sich dann als Folge des selbst gewählten Berufsrisikos dar.529 520 Vgl. Roxin, Honig-FS, S. 133 (143). Ebenso sehen Preuß, S. 153 und ihm folgend Fiedler, S. 186 die Freiheit des Helfers durch einen solchen Konflikt als betroffen an. 521 Siehe Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 115. 522 Siehe Roxin, Honig-FS, S. 133 (143). 523 Vgl. Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 139. 524 Eine andere Beurteilung hält sich Roxin für die Fälle vor, in denen der Tod des Hilfepflichtigen vom Unfallverursacher beabsichtigt ist. In diesem Fall könne ein normativ verstandener Finalismus den Weg zu einer Strafbarkeit eröffnen, vgl. Roxin, Honig-FS, S. 133 (146 ff.). 525 Vgl. Roxin, Gallas-FS, S. 241 (247). 526 Vgl. Roxin, Honig-FS, S. 133 (142). Ebenso Fuchs, AT I, S. 104 f. 527 Vgl. Roxin/Schünemann/Haffke, Fall 7, S. 131 (140); Roxin, Honig-FS, S. 133 (143).

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Soweit keine Anhaltspunkte für eine fehlende Freiverantwortlichkeit des Helfers zu erkennen sind, schließt Roxin damit jegliche Zurechnung zum Unfallverursacher im Falle der fahrlässigen Verursachung aus.530 Der Argumentation Roxins hat sich Burgstaller531 voll umfänglich angeschlossen, so dass auch er den strafrechtlichen Risikozusammenhang in Fällen fahrlässiger Herbeiführung der Primärgefahr grundsätzlich verneint. 2. K. Günther Zu einer grundsätzlichen Ablehnung strafrechtlicher Zurechnung gelangt auch K. Günther. In Fällen berufsmäßiger oder gesetzlicher Verpflichtung scheint auch K. Günther davon auszugehen, dass die Rechtsordnung den Täter nicht mit solchen Risiken belasten dürfe, für die andere schon aus Rechtsgründen einzustehen haben.532 Bei fehlender Handlungspflicht legt K. Günther eine freiwillige und eigenverantwortliche Risikoübernahme zu Grunde. Für ihn macht eine Abgrenzung nach vernünftigen und unvernünftigen Rettungshandlungen – wie sie sich auch in den Entscheidungsgründen von BGHSt 39, 322 (326) wiederfindet – wenig Sinn.533 Aus psychologischen Gesichtspunkten hält er ein argumentum a minore ad maius dahingehend für angebracht, dass dann, wenn ein nicht nahestehender und vernünftig handelnder Retter in den Schutzbereich einbezogen sei, müsse dies eigentlich erst recht für den unvernünftig Handelnden gelten, wenn er nahe stehe und aus seiner Verzweiflung heraus gar nicht mehr wisse, was er tue.534 Aus diesem Grund will K. Günther eine Beurteilung nach der Vernünftigkeit der Rettungsmaßnahme nur heranziehen, um „Selbstgefährdungsexzesse“ von der Zurechnung auszuschließen.535 Ansonsten müsse davon ausgegangen werden, dass die gesellschaftliche Erwünschtheit (und zivilrechtliche Kompensa528 Siehe Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 139. Eine andere Beurteilung sieht Roxin ebd. in den Fällen eines Zwangsdienstes (z. B. des Wehrdienstes) für angebracht. Es bleibt allerdings bei dem Hinweis auf diese Fallgruppe, eine Einbeziehung in das Lösungsschema unterbleibt. 529 Zustimmend Otto, Wolff-FS, S. 395 (411). Insoweit stimmt auch Kerle mit Roxin überein, vgl. Kerle, S. 130. Eine entsprechende Argumentation findet sich auch bei Brunner, S. 64 f.; Stratenwerth, Schw. BT II, § 28 Rdnr. 15, dort allerdings in Bezug auf den Begriff der Gemeingefahr des schweizerischen StGB. 530 Entsprechend restriktiv bereits Rutkowski, NJW 1963, 165: „Der BGH hätte [. . .] den Angeklagten [. . .] freisprechen müssen, weil es keinen Straftatbestand gibt, wenn sich die Kausalität darin erschöpft, daß sich einem Dritten die Gelegenheit bietet, sich in eine Gefahr zu begeben“. 531 Burgstaller, S. 114 ff.; ebenso P. Fuchs, S. 136 ff. 532 Vgl. K. Günther, StV 1995, 78 (80). 533 Vgl. K. Günther, StV 1995, 78 (81). 534 Vgl. K. Günther, StV 1995, 78 (81). 535 Vgl. K. Günther, StV 1995, 78 (81).

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tionsfähigkeit) der selbstgefährdenden Erfüllung positiver Pflichten alleine nicht ausreiche, um denjenigen, der die Erfüllung freiwillig auf sich nehme, über die verdiente moralische Achtung und die zivilrechtliche Restitutionsmöglichkeit hinaus auch strafrechtlich zu schützen.536 Der Maßstab müsse vielmehr sein, ob eine der Tatherrschaft vergleichbare Asymmetrie zwischen dem Gefahrverursacher und dem Retter vorliege.537 Daran wird es nach K. Günther aber regelmäßig fehlen, denn legt man, so ist er zu verstehen, ein solches Maß einer restriktiven Form der fiktiven fahrlässigen mittelbaren Täterschaft538 zu Grunde, so wird es an einer Werkzeugobjektivierung des Retters fehlen, da diesem immer ein noch ausreichendes Maß an Entschlussfreiheit verbleibt.539 3. Diel Diel folgt in ihrer Darlegung dem kriminalpolitischen Argument Roxins. Wenn der Retter durch eine unvernünftige Handlungsweise die Strafbarkeit des Ersthandelnden heraufbeschwören könne, so berge dies einen unzumutbaren Gewissenskonflikt für den Retter, da er bei Vornahme der Rettungsaktion stets ein eventuelles Strafbarkeitsrisiko einer anderen Person einkalkulieren müsse.540 Auch eine Zurechnungsbegründung über die Schaffung eines Unglücksfalles will Diel nicht anerkennen. Denn das Abstellen auf eine gesetzliche Handlungspflicht gehe deshalb fehl, da der Normadressat allein der Hilfspflichtige sei, damit werde das Eingreifen nicht allein durch den Unglücksfall, sondern gerade auch auf Grund der gesetzlich angeordneten Rettungspflicht erforderlich.541 Auch sei die Heranziehung der Hilfspflicht als Zurechnungskriterium zweifelhaft, denn von einem juristischen Laien könne nicht erwartet werden, dass er vor der Vornahme seiner Handlung zunächst die Strafbarkeit eines möglichen Retters nach § 323 c StGB oder aus unechter Unterlassungsstrafbarkeit in Betracht ziehe.542 Der Verzicht auf die Verständigung eines Retters wäre dann für den Erstverursacher günstiger.543 Weiter sprächen systematische und verfassungsrechtliche Erwägungen gegen eine Zurechnung: Das Abstellen auf eine Interessenabwägung zwischen den einander gegenüberstehenden Rechtsgütern unter Berücksichtigung des Grades ihrer Gefährdung – der Vernünftigkeit der Rettungsmaßnahme – sei unter dem Aspekt des verfassungsrechtlichen Be536

Siehe K. Günther, StV 1995, 78 (81). Siehe K. Günther, StV 1995, 78 (81). 538 Siehe zu diesem Konzept auch näher unten E.V.5. 539 Vgl. K. Günther, StV 1995, 78 (80 f.). K. Günther bezieht keine Stellung zur grundsätzlichen Möglichkeit einer fahrlässigen mittelbaren Täterschaft. 540 Vgl. Diel, S. 243 f. 541 Vgl. Diel, S. 245. 542 Vgl. Diel, S. 245. 543 So bereits Schünemann, JA 1975, 715 (721). 537

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stimmtheitsgebots eine rein einzelfallorientierte Interessenabwägung, wobei es diesbezüglich seitens der Vertreter dieser Ansicht unterbleibe, konkretisierende Kriterien zu entwickeln.544 Systematisch sei es unzulässig, die Fälle der Teilhabe an einer vorsätzlichen Selbstgefährdung bzw. Selbstschädigung unter dem Grundsatz der Straflosigkeit fahrlässiger Teilnahme an einer vorsätzlichen Selbstschädigung anders zu beurteilen, wie die Verletzung eines Retters.545 In allen Fällen beruhe die Schädigung auf einer bewussten, gewollten und in eigener Verantwortung gesteuerten – d.h. ohne Vorliegen eines den §§ 19–21 StGB, § 3 JGG entsprechenden Verantwortlichkeitsmangels – Herbeiführung des Schadens.546 4. Stellungnahme Die referierten Ansichten müssen kritisch gewürdigt werden. Soweit Roxin von einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung des Retters ausgeht, verkennt er, dass es sich bei den Konstellationen nicht um das klassische Feld der Selbstgefährdungsfälle handelt, sondern um die Typik eines reaktiven Verhaltens des Retters, der nicht als Unternehmer an eine Ausgangsgefahr anknüpft547. Insoweit muss eine differenziertere Betrachtung der Frage der Eigenverantwortlichkeit erfolgen. Wir wollen hier zunächst davon ausgehen, dass es sich um eine Sonderkonstellation innerhalb der unter dem Schlagwort der „Selbstgefährdung“ georteten Fallgruppen handelt. Soweit es nicht um die Rettung rettereigener Güter geht lässt sich daher gleichsam von einer „eigenhändig vollzogenen Fremdverwaltung“548 als Ausdruck der Selbstaufopferung bzw. gefährdung im Fremdinteresse sprechen. Die Klärung der Frage, ob von einer frei verantwortlichen Selbstgefährdung ausgegangen werden kann, wird in der weiteren Darstellung dieser Arbeit erfolgen. Aber auch die kriminalpolitischen Argumente Roxins wissen nicht zu überzeugen. Wenn Roxin davon ausgeht, dass für den Retter eine unzumutbare Konfliktlage dahingehend bestehe, durch sein möglicherweise fehlgehendes Eingreifen den Verursacher keiner höheren Strafe zuführen zu wollen, so lässt sich dies unter praktischen Gesichtspunkten schwerlich nachvollziehen. Denn Retter, die in ernsthafte Gefahr geraten oder Verletzungen erleiden, werden gegenüber dem 544

Vgl. Diel, S. 246. Vgl. Diel, S. 248. 546 Siehe Diel, S. 248. 547 Siehe oben D. Dies hervorhebend auch Donatsch, SchwZStr 105 (1988), 361 (379 Fn. 53) sowie Frister, AT, 10. Kapitel, Rdnr. 18, 28. Auch die Existenz „paternalistischer Sorgfaltspflichten“ widerspricht der Allgemeingültigkeit des Dogmas der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung; vgl. Puppe, ZIS 2007, 247 (252 f.). Für eine Gleichsetzung allerdings Lukas, S. 194 f. 548 Jakobs, ZIS 2006, 589. 545

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Verursacher sicherlich keine freundlichen Gefühle hegen549, insbesondere bei Rettungsaktionen zu Gunsten nahestehender Personen mutet das Argument geradezu lebensfremd an.550 Der Bezugspunkt ihrer Eingriffsentscheidung wird der des Mitgefühls mit dem bedrohten Opfer sein, nicht aber eine Reflexion darüber, inwieweit der Eingriff dem Verursacher nachteilige Folgen bereiten könnte. Abgesehen davon wird das Gebot der Sekunde keine Zeit für derart subtile Überlegungen bieten, wird der Rettungsentschluss vielmehr einem spontanen Entschluss entspringen.551 Die fehlende Einflussnahmemöglichkeit auf das Verhalten des Retters bildet keine singuläre Erscheinung, sondern findet sich auch in den Fällen der mittelbaren Täterschaft, in denen der mittelbare Täter das Werkzeug zu einem rechtswidrigen Angriff auf das Opfer veranlasst, damit das Opfer das Werkzeug im Rahmen der erforderlichen Verteidigung schädigt. Auch hier darf der mittelbare Täter die Verteidigung des Opfers nicht hindern, dennoch werden ihm die Folgen der Verteidigung objektiv zugerechnet. Es sind also durchaus Konstellationen vorfindbar, in denen die Rechtsordnung dem Täter solche Folgen objektiv zurechnet, die er später nicht mehr abwenden darf.552 Auch der Hinweis auf eine Konfliktlage des Gefahrverursachers, Hilfe herbeizuholen und sich dadurch selbst einer möglichen zusätzlichen Strafbarkeit zuzuführen, bleibt ein oberflächliches Argument. Für den Täter wird die Gefahr, sich durch das Herbeiholen von Hilfe einer Fahrlässigkeitsstrafe auszusetzen, nicht so sehr ein Motiv zum Unterlassen sein. Vielmehr wird die Gefahr, durch ein solches Unterlassen eine viel strengere Vorsatzstrafe (§ 13 StGB) zu verwirken, gerade zum Handeln, d.h. zur Hilfsmaßnahme motivieren.553 Schon aus diesem Grund vermag die Argumentation, die Haftung für Retterschäden führe zu einem unerwünschten Verhalten des Gefahrverursachers, nicht zu überzeugen.554 Darüber hinaus sind solche vermeintlichen Nützlichkeitserwägungen der Straffreiheit des Gefahrverursachers sowohl in die eine als auch in die andere Richtung führbar. Zutreffend stellt Puppe fest, dass mit einer solchen Ar549 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 261; Degener, S. 365. Puppe ist der Ansicht, dass eine solche Betrachtung vielleicht für einen Heiligen, nicht aber für einen Brandmeister angebracht sei. 550 So Degener, S. 365; Kerle, S. 129. 551 Vgl. auch Lukas, S. 55 f. 552 Hierzu SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 80. 553 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 262; Tiedemann, Anfängerübung, S. 215. So auch Kerle, S. 129. 554 Dasselbe Argumentationsmuster führt Roxin auch zum Ausschluss der actio illicita in causa in Fällen der verschuldeten Herbeiführung einer nach § 34 StGB rechtfertigenden Notstandslage an; vgl. Roxin, AT I, § 16 Rdnr. 64. Auch hier ist der Gefahrverursacher aber gehalten, durch die Rettungshandlung den schwereren Erfolgsunwert und damit eine entsprechend höhere Bestrafung abzuwenden – richtig daher Luzón, JRE 2 (1994), 353 (365 f.).

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gumentationsweise die Hemmschwelle für den Täter gesenkt und die Straftatprävention konterkariert werden könnte. Wenn sich der Täter nämlich darauf verlassen kann, bei Verursachung einer Gemeingefahr jedenfalls nicht für Retterschäden verantwortlich gemacht zu werden und auf ein abwendendes Verhalten der Retter zu seinen Gunsten vertrauen kann, so wird der Täter gerade weniger Skrupel zur Durchführung seines Vorhabens beanspruchen.555 Abgesehen von der Institution des Rücktritts vom Versuch sollte das Strafrecht von Nützlichkeitserwägungen absehen, da ansonsten die Gefahr besteht, in gewisser Weise käuflich zu werden.556 Letztlich überzeugt auch nicht der Verweis auf die freiwillige Berufswahl des Retters.557 Die gesetzliche Verpflichtung bzw. die Berufspflicht regelt nur, bei wem sich die Hilfeleistung auswirkt, nicht aber, wer für die Entstehung der gefahrbegründenden Situation verantwortlich ist. Mit der Aussage einer gesetzlich angeordneten Hilfspflicht wird nur eine Bekundung dahin getroffen, eine Gefahr bestehen zu müssen, in keiner Weise aber wird über die Entstehung der konkreten Gefahr558 und die Verteilung des Folgerisikos559 entschieden. Ganz im Gegenteil, gerade der Umstand, dass die Rechtsordnung in bestimmten Situationen eine Einstandspflicht statuiert, scheint es erforderlich zu machen, dass die verpflichteten Personen vor pflichtwidrig heraufbeschworenen Situationen geschützt werden.560 Durch die Übertragung von gefährlichen Aufgaben auf bestimmte Berufsgruppen wird die Gefahrenbewältigung nicht zu „deren Sache“561. Schließlich wird die Haftung auch sonst nicht mit der Argumentation der freiwilligen Berufswahl ausgeschlossen, z. B. bei Delikten gegenüber Kriminalbeamten, die ebenfalls bewusst einen mit besonderen Gefahren verbundenen Beruf gewählt haben – für indirekte Schädigungen über das Retterverhalten kann nichts anderes gelten.562 K. Günther ist entgegen zu halten, dass eine täterschaftsvergleichbare Asymmetrie denknotwendig nicht zu etablieren ist, zumal K. Günther auch im Fall BGHSt 39, 322 – es stand eine Rettung nächster Familienmitglieder im Raum – eine solche Asymmetrie nicht für gegeben hält. Damit wird der Retter immer als außerhalb des vom Täter beherrschten Feldes angesehen werden müssen, dem eine Werkzeugeigenschaft nicht zugeschrieben werden kann. Die täter555

Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 262. Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 262. 557 Zu Recht ablehnend Noak/Collin, Jura 2006, 544 (547). 558 Vgl. Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (17, 31); Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (81); ders., S. 476 ff.; Liesching, S. 131; LK/Schroeder, § 16 Rdnr. 182; Lukas, S. 56. 559 Vgl. Degener, S. 365; Lewisch, ZVR 1989, 161 (166); Wehrle, S. 92 Fn. 28; Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (211). 560 Siehe Frisch, S. 478; Ferschl, S. 282; Lukas, S. 57. 561 Murmann, Jura 2001, 258 (260). 562 Siehe Tiedemann, Anfängerübung, S. 215; Frisch, S. 476. 556

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

schaftsvergleichbare Asymmetrie bleibt ein Konstrukt, das kein Abgrenzungskriterium liefert, da keine Fälle vorstellbar sind, die nach dem Verständnis K. Günthers von solch einem System erfasst werden können. Darüber hinaus ist nicht erkennbar, welche Faktoren die täterschaftliche Stellung begründen sollen. Im Hinblick auf ein Fahrlässigkeitsdelikt begründet jegliche Sorgfaltspflichtverletzung eine denkbare Zurechnung, unabhängig von einer Steuerungs- oder Beherrschungsstellung, wie sie den Fällen der mittelbaren Täterschaft eigen ist. Auch eine Beherrschung durch das Aus-der-Hand-geben des Geschehens kann nicht herangezogen werden, da es an einem Anstoß, einem Einwirken auf den Retter fehlt, dessen Verhalten freier Lauf gelassen werden soll. K. Günthers Gedankengang stellt sich somit nicht nur im Ausgangspunkt, sondern auch in seiner Folgerichtigkeit als bedenklich dar. Wenn Diel von einer willkürlichen Ungleichbehandlung der verschiedenen Fallbereiche eigenverantwortlicher Selbstgefährdung ausgeht, so übersieht sie, dass in den Fällen der Retterschädigung dem reaktiven Handeln des Helfenden ein gesetzlich verankertes Motiv, nämlich die normative Hilfspflicht, zu Grunde liegen kann. Dann aber ist es nicht nur gerechtfertigt, sondern gerade geboten, diese Fallgruppe einer eigenständigen Dogmatik zuzuordnen.563 II. Generelle Zurechnung ohne weitere Differenzierung

Eine konträre Sichtweise spricht sich für eine generelle Zurechnung aus. Kennzeichen dieser Ansicht ist ein Verzicht auf eine weitergehende Differenzierung nach dem Grund des Einschreitens und der Un- oder Vernünftigkeit der Rettungsmaßnahme. So gehen Jescheck/Weigend564 ohne nähere Begründung davon aus, dass bei einer Selbstverletzung durch gefährliche Rettungshandlungen, die der Täter mit einer Straftat ausgelöst hat, die objektive Zurechnung stets zu bejahen sei, unabhängig davon, ob eine Rettungspflicht bestehe.565 Die Gefährdung des Helfers gehöre zur Risikosphäre des Täters. Dieser Sichtweise liegt wohl die Ansicht zu Grunde, solche Eigengefährdungen seien gesellschaftlich betrachtet „verkehrsnotwendig“.566 Stellt man auf den vagen Begriff der Verkehrsnotwendigkeit ab, so offenbart sich jedoch die Frage, was unter der Verkehrsnotwendigkeit in diesem Sinn zu 563

Siehe oben D. Jescheck/Weigend, AT, § 28 IV.4. 565 Dieser Ansicht ist auch Geppert, Jura 2001, 490 (495) zuzurechnen, der es bei einer jedenfalls sittlich-moralischen Verpflichtung für „wohl nur billig und gerecht“ hält, den Retter in den strafrechtlichen Schutzbereich einzubeziehen. Er sei daher „nicht geneigt“ ein weit verstandenes Selbstverantwortungsprinzip in diesen Fällen als gerechte Zurechnungslösung anzusehen. 566 So ausdrücklich P. Frisch, S. 151. 564

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verstehen ist. P. Frisch sieht beispielsweise die religiöse Betreuung durch einen Klinikseelsorger nicht in dem Maße für erforderlich, um „die äußere Existenz der Menschen und damit den Bestand der menschlichen Gesellschaft zu gewährleisten“567. Demgegenüber soll der Besuch des Pockenkranken durch nahe Angehörige, von der Verkehrsnotwendigkeit umfasst sein.568 Damit gerät die Differenzierung aber in einen Bereich der willkürlichen Bestimmung, die sich, anders als die Umgrenzung des allgemeinen Lebensrisikos569, nicht in gleicher Weise in einem kollektivistischen Sinn nachvollziehbar typisieren lässt, sondern den jeweiligen Wertvorstellung des Betrachters unterworfen wird. Eine andere Position, namentlich Meindl570 und Mitsch571, will einen Haftungsgedanken des bürgerlichen Rechts heranziehen. Wenn der Täter auf Grund rechtlichen Gebots zur Hilfe verpflichtet oder zumindest an der Durchführung der Rettungsaktion interessiert sei, so handle der Retter quasi als „Geschäftsführer ohne Auftrag“ gem. § 683 BGB. Wenn der Retter sein Leben aufwende, so habe der Täter dafür einzustehen.572 Diese Argumentation – ihr scheint ein kathartisches Bedürfnis zu Grunde zu liegen, d.h. der durch ein deliktisches Verhalten tatsächlich eingetretene Schaden bedarf zu seiner Beilegung einer außergewöhnlichen Reaktion573 – ist eine 567

P. Frisch, S. 152. Zustimmend Fiedler, S. 188. Vgl. P. Frisch, S. 153. 569 Siehe oben 2. Abschnitt, B.III.3. 570 Meindl, JA 1994, 100 (103). 571 Mitsch, JuS 1995, 888 (889). Völlig gegensätzlich aber noch ders., Rechtfertigung, S. 49: „Auch ohne Verwahrung gegen fremde Einmischung begrenzt die Eigenverantwortlichkeit der Selbstgefährdung bereits die Eingriffspflicht des Dritten, sodaß das Strafrecht aus dieser Konstellation [scil.: Retterschäden] weitgehend herausgehalten werden kann“. 572 Siehe Meindl, JA 1994, 100 (103). In diese Richtung auch Kindhäuser, AT, § 11 Rdnr. 58; ders., LPK, Vor § 13 Rdnr. 156. 573 Vgl. Dornseifer, Kaufmann-GS, S. 427 (429). Eine Extremposition nimmt hier die kalifornische Rechtspraxis ein. Nachdem Ende Oktober 2006 fünf Feuerwehrleute bei der Bekämpfung eines Waldbrandes in Südkalifornien ums Leben gekommen sind, klagt die Staatsanwaltschaft des Bezirks Riverside County nun den mutmaßlichen Brandstifter wegen Mordes an und könnte damit auch die Todesstrafe beantragen; vgl. die Nachrichten unter vom 27.10.2006 und vom 03.11.2006. Dieses an das Talionsprinzip erinnernde Vorgehen wird anscheinend auch von der amerikanischen Rechtslehre nicht in Frage gestellt, wie die Ausführung des Rechtsprofessors Robert Weisberg von der Stanford University in der Los Angeles Times zeigen: „It would be perfectly plausible for a prosecutor to seek the death penalty in a case where five firefighters died“; vgl. (Abruf im November 2006); übereinstimmend das Statement des prominenten Rechtsanwalts Peter Giannini ebd.: „Consequently, once arson is established, it is difficult for a defense lawyer to argue that the death of a firefighter is an unlikely consequence. That is like shooting a gun into a crowd and saying, ,I did not intend anyone to get hit‘“. 568

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Tour de force durch die Rechtsgebiete. Angreifbar ist diese Meinung deswegen, weil sie von einem falschen Verständnis der dem Täter obliegenden Verpflichtung ausgeht. Meindl und Mitsch legen ihrer Argumentation den Fall zu Grunde, dass der Täter vorsätzlich eine Rechtsgutsbeeinträchtigung herbeiführt und der Retter gewillt ist, die Gefährdung, die von dieser Vorsatztat ausgeht, zu beseitigen. Für einen Vorsatztäter besteht aber keine rechtliche Verpflichtung zur Hilfeleistung.574 Zwar kann der Täter seiner Bestrafung durch Rücktritt entgehen, dies ist ein Entgegenkommen der Rechtsordnung, eine Pflicht wird dem Täter aber nicht auferlegt, da die strafrechtliche Ahndung ausschließlich durch das Verletzungsdelikt erfolgt.575 Diese Sichtweise hält auch systematischen Einwänden stand. Der Einwand E. Wilhelms, dies hätte untragbare Konsequenzen bei Zweifeln am Zeitpunkt des Tötungsvorsatzes – in dubio pro reo müsste bei der Subsumtion unter das Begehungsdelikt (primäres Verletzungsdelikt) der Tötungsvorsatz verneint werden, während bei der Frage nach der Garantenstellung (nachfolgendes Untätigbleiben) derselbe angenommen werden müsse576 – ist dahingehend angreifbar, dass auch dann, wenn man wegen der nicht auszuschließenden Vorsätzlichkeit der Gefahrschaffung eine Garantenstellung aus Ingerenz verneint, dennoch eine Verurteilung wegen Unterlassens auf Grund mehrdeutiger Tatsachengrundlage möglich bleibt: Es steht fest, dass eine vorsätzliche Tötung entweder durch Tun oder Unterlassen begangen wurde, wobei zwischen beiden Begehungsweisen ein normatives Stufenverhältnis besteht.577 Das Argument der Strafbarkeitslücke vermag die Sichtweise der Rechtsprechung daher nicht zu erschüttern. Gegen die Ansicht der Rechtsprechung ließe sich weiter mit dem Hinweis auf die Auswirkung auf die Strafbarkeit Dritter streiten: Wird dem Täter nach einem vorsätzlichem Angriff sein soeben gefasster Entschluss, das Opfer zu retten, ausgeredet, so käme nur eine Anstiftung zur unterlassenen Hilfeleistung in Betracht. Aber auch wegen dieser Sachlage lässt sich keine Garantenstellung des Begehungstäters schlüssig ableiten. Denn der Unterlassende ist nur eines unechten Unterlassungsdelikts strafbar, wenn sein Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch Tun entspricht. Als Gleichstellungskriterium müsste hier die Garantenstellung angesehen werden – wird aber aus der vorsätzlichen Begehungstat die Garantenpflicht für eine gleichgerichtete 574 Siehe Otto, Lampe-FS, S. 492 (512); Frellesen, S. 201 mit umfassenden Nachweisen zur älteren Judikatur und Literatur. A. A. Helmut Schneider, NStZ 2004, 91 (92); Roxin, AT II, § 32 Rdnr. 193 jeweils m.w. N. 575 Siehe BGH NStZ-RR 1996, 131; BGH bei Holtz MDR 1982, 102 (103) sowie eingehend Stein, JR 1999, 265. Offengelassen von BGH NStZ 2003, 312 (313 Rdnr. 7). 576 Vgl. E. Wilhelm, NStZ 2005, 177 (179). 577 Siehe Montenbruck, S. 124 ff.; Stein, JR 1999, 265 (268) sowie BGH NStZ 2004, 89 (91 Rdnr. 14).

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Unterlassungstat hergeleitet, so wird der Begehungstäter letztlich sich selbst gleichgestellt. Das von ihm verwirklichte Unrecht wird gleichsam doppelt bewertet, denn auch in der Unterlassungssituation ist der Täter sich nicht nur gleich, sondern er bleibt der identische Begehungstäter.578 Da somit für den Vorsatztäter keine normative Rechtspflicht zur Hilfeleistung besteht, kann diese auch nicht von einem Retter im Wege einer „aufopfernden Geschäftsführung“ übernommen werden. Der Gedanke der Geschäftsführung ohne Auftrag ist in dieser Allgemeinheit nicht auf das Strafrecht übertragbar; eine Zuschreibung von Retterunfällen lässt sich mit ihm nicht fundieren. III. Zurechnung unter dem Gesichtspunkt der Steuerbarkeit der Gefahrenquelle durch den Erstverursacher

Schünemann579 will alle rechtlich nicht gebotenen Rettungsaktionen von der Zurechnung ausschließen, da es sich, soweit keine Hilfspflicht besteht, um das „Privatvergnügen“ des Retters handelt. Eine Zurechnung sei hier nicht gangbar, was Schünemann mit einer „Vorsatzprobe“ belegt: Wer eine Gefahrenlage schaffe, um einen potentiellen Retter vorsätzlich zu gefährden, könne allenfalls für dessen rechtlich erzwungene, nicht aber für dessen freiwillige Selbstgefährdung als mittelbarer Täter haften, arg. a fortiori müsse dies auch für die Fahrlässigkeit gelten, da es widersinnig wäre, diese schärfer als die Vorsatztat zu bestrafen. Bei den rechtlich gebotenen Rettungshandlungen differenziert Schünemann danach, ob für die Schädigung des Retters eine vom Erstverursacher geschaffene oder gesteuerte Gefahrenquelle ursächlich ist. Nur in diesem Fall sei eine Zurechnung gangbar, dagegen trage das reine Ausliefern von Personen an bereits vorhandene Gefahrenquellen eine Zurechnung nicht.580 Eine fahrlässige Brandverursachung ist demnach eine vom Täter geschaffene Gefahrenquelle, demgegenüber dem Sprung des Retters in die Nordsee, um unbeaufsichtigte Kinder vor dem Ertrinken zu retten, eine nicht vom Täter begründete oder gesteuerte Gefahrenlage zu Grunde liegt.581 Die Differenzierung Schünemanns ist allzu äußerlicher Natur. Für die Beurteilung der Zurechnung auf Grund einer pflichtwidrigen Handlung des Täters bildet dieses pflichtwidrige Verhalten den Bezugspunkt. Es ist nicht nachvoll578 Instruktiv Otto, Gössel-FS, S. 99 (103). Dies übersehen Freund, NStZ 2004, 123 (124); Theile, JuS 2006, 110, wenn sie aus der Inpflichtnahme des fahrlässig-rechtswidrig eine Gefahr Verursachenden in einem erst-recht-Schluss die Inpflichtnahme des Vorsatztäters fordern. 579 Schünemann, JA 1975, 715 (722). 580 Vgl. Schünemann, JA 1975, 715 (722). 581 Jüngst will Schünemann für den Bereich der Brandfälle aber eine gravierende Einschränkung vornehmen, vgl. unten 13. Abschnitt, B.II.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

ziehbar, warum die Beurteilung des Täterverhaltens davon abhängen soll, welcher Mittel der Umwelt der Täter sich bedient oder was den Bezugspunkt der Pflichtwidrigkeit bildet. Die Gefahren der Nordsee können nicht anders beurteilt werden als die Gefahren durch das Inbrandsetzen eines Gebäudes. Der Täter greift jeweils pflichtwidrig in seine Umgebung ein, wobei nicht nur das Meer als nicht vom Täter geschaffene Gefahrenquelle, sondern auch die Begebenheiten des kausalen Feldes der Brandstiftung – ein ausgetrockneter Wald, Baumaterialien oder starke Winde – zu bezeichnen sind. Die Gefahrenquelle wird vielmehr erst durch das Verhalten des Täters als eine solche begründet. Dies stellt den Bezugspunkt der Zurechnung dar, nicht der Input als die Grundlage der Täterhandlung.582 Ansonsten entstünde eine kriminalpolitische Friktion – warum sollte der Kraftfahrzeugführer, welchem nur ein sehr geringer Sorgfaltsverstoß zur Last gelegt werden kann, für sämtliche Rettungsaktionen des Feuerwehrmannes einzustehen haben, während sich die Aufsichtsperson, welcher unter Umständen eine gröbere Unachtsamkeit als dem Lenker vorgeworfen werden muss, für einen Retterunfall auf keinen Fall zu verantworten haben, da die Gefahrenquelle weder von ihr gesteuert noch geschaffen wurde?583 Die naturalistische Differenz, ob die Gefahr zum Gut oder das Gut zur Gefahr kommt, kann daher nicht als Zurechnungsdifferenz erwiesen werden.584 IV. Zurechnung unter dem Aspekt der bewussten Fahrlässigkeit

Eine radikale Lösung der Retterproblematik findet sich bei Köhler. Er will die Fälle der Retterveranlassung danach beurteilen, ob sich das Verhalten des Veranlasser in Bezug auf die Schädigung des Retters als schwere, d.h. als objektiv evidente-typische Gefahrerhöhung darstellt. Dieser evidenten Gefahrerhöhung müsse subjektiv die bewusste Fahrlässigkeit entsprechen.585 Unbewusste Fahrlässigkeit würde keine Schuld im strafrechtlichen Sinn begründen.586 Für Köhler hat dies die Konsequenz, dass die strafrechtliche Zurechnung auf Fälle objektiver Schwere – er spricht auch von dominanter Typizität – des „überformenden Gefahren-Verhaltenszusammenhanges“ und damit auf typische notpflichtige, zumutbare Rettungsaktionen zu beschränken ist.587 Die Eröffnung einer hochgefährlich ungesicherten Anlage stelle beispielsweise ein solches Maß an objektiver Schwere bzw. bewusster Fahrlässigkeit dar.588 Gegen das 582 Wie hier auch Frisch, S. 479; Diel, S. 244 Fn. 244; SK/Rudolphi, Vor § 1 Rdnr. 81; Lukas, S. 54 f. 583 Zu Recht kritisch P. Fuchs, S. 141. 584 Siehe Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (15 f. Fn. 56 Anm. 3). 585 Vgl. Köhler, AT, S. 195 f. 586 Siehe Köhler, AT, S. 182. 587 Siehe Köhler, AT, S. 197. 588 Siehe Köhler, AT, S. 196.

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bisherige Verständnis der strafrechtlichen Fahrlässigkeit sei ein klärender Gesetzgebungsakt notwendig. „Die offene Strafmaßnorm über die folgenlose Einstellung bei geringer Schuld (§ 153 StPO) könnte aber vorläufig generell angewendet werden, um die mangelnde Strafbarkeit schlichter Fahrlässigkeit durchzusetzen.“589 Ein solches Verständnis der strafrechtlichen Sorgfaltspflicht wird von der Strafrechtspolitik aber richtigerweise nicht aufgegriffen590 und soll hier nicht der Lösung der Retterproblematik zu Grunde gelegt werden. Denn es gilt zu bedenken, dass es vorwerfbar gleichgültiges und rücksichtsloses Verhalten geben kann, das als Bedenken- und Gedankenlosigkeit und damit als unbewusste Fahrlässigkeit in seinem Unrechtsgehalt dem der bewussten Fahrlässigkeit gleichstehen oder diesen sogar überwiegen kann.591 V. Zurechnung auf der Grundlage der Bestimmung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung

Die Mehrheit der Literaturmeinungen strebt eine differenzierte Betrachtung an. Die Autoren suchen die Zurechnungsproblematik in der Frage nach dem Vorliegen einer freiwilligen, eigenverantwortlichen Selbstgefährdung. Welcher Maßstab dabei das Kriterium zur Bestimmung der Selbstgefährdung bildet, wird uneinheitlich beantwortet und führt zu einer mannigfachen Zersplitterung des Meinungsspektrums. Wir wollen die vertretenen Ansichten in ihre Hauptströmungen untergliedern und inhaltlich näher durchleuchten. 1. Keine eigenverantwortliche Selbstgefährdung bei gesetzlicher Hilfspflicht sowie bei Vernünftigkeit der Rettungsaktion Eine gewichtige Position der Literatur – insbesondere Frisch592 – differenziert ebenso wie Roxin danach, ob der Retter auf Grund einer gesetzlichen oder beruflichen Handlungspflicht tätig wird, oder ob es sich um eine Rettungsaktion bei fehlender gesetzlicher Verpflichtung zur Hilfe handelt. Im Gegensatz zu Roxin legt diese Meinungsgruppe aber ein gänzlich anderes Argumentationsmuster zu Grunde und gelangt damit zu einem abweichenden Ergebnis. Frisch legt seiner Argumentation freilich das Verständnis zu Grunde, dass es sich nicht um eine Frage der Erfolgszurechnung, sondern des tatbestandsmäßi589 Köhler, AT, S. 182 (Hervorhebung im Original). Richtigerweise ist davon auszugehen, dass von den Vorschriften der §§ 153, 153 a StPO in der Praxis bereits angemessen Gebrauch gemacht wird, siehe Jähnke, Schlüchter-GS, S. 99 (106). 590 Siehe hierzu MK/Hardtung, § 222 Rdnr. 83. Kritisch auch Sauer, S. 144 f. 591 Siehe dazu auch unten 10. Abschnitt, A.III.2. 592 Frisch, S. 472 ff. Von Wolter, GA 1991, 531 (536) als Kabinettstück der Monographie Frischs bezeichnet.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

gen Verhaltens handelt.593 In Bezug auf den rechtlich verpflichteten Retter – aus strafrechtlich bewehrter Pflicht, aus öffentlich-rechtlicher oder zivilrechtlicher Pflicht – geht Frisch nicht von einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung aus, da der Retter in seiner Entscheidung nicht frei, vielmehr zur Vornahme der riskanten Handlung verpflichtet sei und daher überhaupt nicht anders handeln könne (scil.: dürfe).594 Frisch gründet seine Argumentation in einer systembezogene Betrachtung595, wobei er davon ausgeht, dass es nicht zum Verantwortungsbereich des Retters gehöre, sich vor solchen Gefahren selbst zu schützen, indem er den Gefahrenherd meide. Darüber hinaus würden diese Personen Schutz davor bedürfen, durch die vermeidbare Schaffung entsprechender Auslösesachverhalte unnütz in Situationen gebracht zu werden, in denen sie derartige Rettungshandlungen zu erbringen haben würden.596 Weiter tritt Frisch der Argumentation Schünemanns entgegen, es stelle eine Normfriktion dar, dass es für den Täter günstiger sei, dem Rechtsgut möglichst wenig Chancen zu lassen, um keine Rettungsaktion zu begründen.597 Das Ausmaß, so Frisch, der Strafwürdigkeit eines bestimmten Täterhandelns mit Blick auf die Interessen eines bestimmten Opfers sei von vornherein kein brauchbares Kriterium für die Entscheidung über die Missbilligungswürdigkeit des Verhaltens in Bezug auf eine andere Person.598 Der Einwand Frischs ist berechtigt. Denn der Schutz des jeweils bedrohten Rechtsguts ist unabhängig von der Bedrohung weiterer Personen; dies ist eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit.599 So darf der Schutz des Retters nicht auf Kosten des primär geschädigten, ebenso schutzwürdigen, Rechtsguts erkauft werden. Dem lässt sich auch durch die Subsumtion unter den strafrechtlichen Normenkatalog Rechnung tragen. Das massive Vorgehen des Täters gegen das Opfer stellt eine Tathandlung dar, die entsprechend geahndet werden muss. Die Sanktion wird daher nicht hinter einer solchen zurückbleiben dürfen, die für eine – in ihrer Intention geringeren – Schädigung angezeigt ist, die zusätzlich einen Retterunfall zu verantworten hat.600 Für die Fälle der fehlenden rechtlichen Verpflichtung geht Frisch gleichsam von einem grundsätzlich tatbestandsmäßig-missbilligten Verhalten aus, mithin 593

Vgl. Frisch, S. 474, 489; so auch MK/Freund, Vor §§ 13 ff. Rdnr. 386 f. Vgl. Frisch, S. 475. Ebenso Zaczyk, S. 57 Fn. 191; Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 101; Renzikowski, S. 196. 595 Dazu siehe bereits oben D.II. 596 Vgl. Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (80 f.). 597 So Schünemann, JA 1975, 715 (721). 598 Vgl. Frisch, S. 480. 599 Eine Auswirkung der Interessenbewertung eines Rechtsguts mit negativer Wirkung für ein anderes Rechtsgut ist alleine in Situationen des Notstandes statthaft. 600 Eingehend Frisch, S. 480 f. Entsprechend Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (15 f. Fn. 56 Anm. 2). 594

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für unser Verständnis von einer Zurechenbarkeit des Erfolges. Im Gegensatz zu den Konstellationen, in denen die Gemeinschaft selbst überhaupt kein Interesse an entsprechenden Gefährdungshandlungen des Retters habe – Frisch nennt hierzu den Suizidversuch601 – sei in den hier maßgeblichen Fällen die Gemeinschaft in hohem Maße an der Vornahme der Rettungsaktion interessiert, verzichte aus wohlerwogenen Gründen aber auf die Statuierung einer Rechtspflicht zur Hilfe.602 Daher habe die Rechtsordnung das erwünschte Verhalten aus normativen Gründen in Rechnung zu stellen und auf dieser Grundlage den Lebensschutz potentieller Retter zu gewährleisten. Der berechtigten Erwartung der Retter auf das Ausbleiben von Auslösesituationen stehe auf der Seite des Veranlasserhandelns nichts gegenüber, was als unangemessener Eingriff in die Freiheit des Täters zu beurteilen sei, da sich dieser schon auf Grund des verbotenen Auslöseverhaltens außerhalb der rechtlichen Freiheit bewege.603 Diese weitergehende Missbilligung des Veranlasserhandelns will Frisch jedoch nicht unbegrenzt verstanden wissen. Die Grenze sei dort zu setzen, wo unvernünftige, nach den Maßstäben der Rechtsordnung in der Situation falsche Aktionen, vorgenommen würden. Hier sei die spezifische Bedingung für die Missbilligung von Verhaltensweisen nicht mehr erfüllt.604 Eine entsprechende Sichtweise legt Rudolphi dar. Der sich selbst Gefährdende sei dann in den Schutzbereich der strafrechtlichen Normen einzubeziehen, wenn er rechtlich verpflichtet gewesen sei, sich in Gefahr zu begeben. Der Retter sei in seiner Entscheidung dann nicht frei.605 Bei fehlender rechtlicher Verpflichtung nehme die Rechtsordnung auf den Helfenden zu dessen Schutz Rücksicht, nicht aber stelle dies eine mangelnde Schutzwürdigkeit des zu rettenden Rechtsguts dar. Daher sei der trotz fehlender Verpflichtung tätig werdende Helfer dann in den Schutzbereich einzubeziehen, wenn eine Abwägung der einander gegenüberstehenden Rechtsgüter einschließlich des Grades ihrer Gefährdung ergebe, dass der verfolgte Rettungszweck höher zu bewerten sei als die Selbstgefährdung.606

601 Hierzu ist anzumerken, dass ein Suizid gesellschaftlich nicht ignoriert wird, sondern nach h. M. ein polizeiliches Einschreiten erfordert, vgl. Reichert, Polizeirecht BW, Rdnr. 241. 602 Vgl. Frisch, S. 483 f. 603 Vgl. Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (82 f.). 604 Vgl. Frisch, S. 485. Ebenso SK/Wolters/Horn, § 306 c Rdnr. 4. 605 Siehe Rudolphi, JuS 1969, 449 (557); ders., Fälle, S. 152. Ebenso LK/Schroeder, § 16 Rdnr. 182. 606 Siehe Rudolphi, JuS 1969, 449 (557); ders., Fälle, S. 150. Deckungsgleich argumentieren Derksen, NJW 1995, 240 (241); LK/Schroeder, § 16 Rdnr. 182 und Sch/ Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rdnr. 168. Weitergehend, d.h. nicht auf den Maßstab der Vernünftigkeit rekurrierend, wohl Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 101 c, die auf die entscheidungsleitende innere Menschenpflicht abstellen.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Eine noch weitergehende Zurechnung vertritt Jakobs. Jakobs, so ist er zu verstehen, will bei mittelbar verursachendem Verhalten darauf abstellen, ob es Ausdruck einer deliktischen Planung sei, d.h. enttäuschendes Verhalten darstelle.607 In diesem Fall sei zuzurechnen. Da bei gesetzlicher Verpflichtung dem unmittelbar Verursachendem – dem Retter – die Verursachungshandlung geboten ist, habe das Recht selbst die Alternative der Enttäuschung gewählt.608 Ansonsten sei ein bloßes Auslösen einer unmittelbaren Verursachungshandlung ohne deliktische Intention grundsätzlich keine zurechenbare Handlung, es stelle vielmehr Mutwillen – rechtlich fehlerhaftes Verhalten – des Rettenden dar. Anders sei die Situation jedoch dann zu würdigen, wenn der Schöpfer der Gefahrenlage Garant auch hinsichtlich der Vermeidung solcher mutwilliger Handlungen sei oder der Mutwillige aus verständlicher Schwäche heraus handele.609 Damit gelangt Jakobs über die Fälle der rechtlichen Verpflichtung auch dann zu einer Zurechnung, wenn der Retter zwar mit Blick auf die Abwägung der gegenüberstehenden Interessen nicht vernünftig, aber doch noch aus der Gefahrenlage heraus objektiv betrachtet verständlich und erklärlich handelt. Nur gänzlich unverständliche – mutwillige – Verhaltensweisen schließen somit eine Zurechnung aus.610 2. Bestimmung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung alleine am Maßstab des § 35 StGB Ein anderes Verständnis der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung legen Bernsmann/Zieschang zu Grunde. Einer Selbstgefährdung werde durch einen von außen kommenden Druck dann die Freiwilligkeit genommen, wenn es sich um eine der in § 35 I 1 2. Alt. StGB beschriebenen Situationen handle.611 In diesem Fall sei die Rettungshandlung ähnlich wie im Fall der Schuldunfähigkeit eine unfreiwillige Handlung und damit eine determinierte Rettungshandlung.612 Außerhalb des Einzugsbereichs von § 35 StGB stehe in der Regel le607

Vgl. Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (20 ff.). Vgl. Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (32). Die Begrifflichkeit der „Enttäuschung“ geht auf Luhmann zurück, der das Recht definiert als Struktur eines sozialen Systems, die auf kongruenter Generalisierung normativer Verhaltenserwartungen beruht. Wer diesen Erwartungen nicht entspricht, enttäuscht daher mit seinem Verhalten, vgl. Luhmann, S. 53 ff. (insbesondere 105); siehe auch Reyes, ZStW 105 (1993), 108 (116 f.). 609 Vgl. Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (16, 34). Siehe auch ders., AT, 21/114a. 610 Zustimmend Wolter, Zurechnung, S. 345; ders., JuS 1981, 168 (175). 611 Ebenso Radtke, S. 297 ff., der allerdings mit der Heranziehung von § 35 StGB nicht die Zurechnung bei berufsmäßig verpflichteten Rettern ausschließen will, da diesen überhaupt kein freiheitsrelevanter Handlungsspielraum zur Verfügung stehe. 612 Siehe Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (779). Das von Bernsmann, ARSP 1982, 536 erhobene non-kausale Verursachungsschema (siehe oben 1. Abschnitt, A.III.) wird nicht herangezogen. Eine Affinität für diesen Lösungsansatz lässt auch Hellmann, Roxin-FS, S. 271 (282 f.) erkennen. 608

3. Abschn.: Der Retter als Geschädigter

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diglich der Verlust ersetzbarer eigener oder fremder Güter auf dem Spiel. Solche Gefahren seien nicht „notstandsfest“, denn der Verlust eines noch so großen reinen Vermögenswertes rechtfertige oder entschuldige keine gravierende Verletzung oder gar eine Tötung.613 In Bezug auf die Schädigung eines Retters habe dies die Konsequenz, dass eine Trennung zwischen bestehender und fehlender rechtlicher Verpflichtung zur Rettung obsolet werde. Es sei vielmehr alleine danach zu fragen, ob der Retter einem Angehörigen oder einer nahestehender Person in vitaler Gefahr zu Hilfe komme. In diesem Fall erübrige sich auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit oder Vernünftigkeit der Rettungsaktion, die unfreiwillige Selbstgefährdung könne nicht dadurch wieder zu einer freiwilligen gemacht werden.614 Bernsmann/Zieschang tragen die unfreiwillige Selbstgefährdung somit nicht durch die Bestimmung der rechtlichen Pflicht oder die Abwägung der gegenüberstehenden Rechtsgüter, sondern allein nach dem Nähegrad von Opfer und Retter. Für berufsmäßige Helfer, ebenso für „Zufallszeugen“ eines Unglücks als potentielle Täter eines unechten Unterlassungsdelikts oder einer Strafbarkeit wegen § 323 c StGB, ist dieses Näheverhältnis zu verneinen. Ihrem Handeln wird unter dem Verständnis des § 35 StGB nicht die Freiwilligkeit ihrer Handlung genommen, sie gefährden sich selbstverantwortlich. Die Rechtsordnung dürfe einen Helden, der einem anderen in Gefahren ohne Rücksicht auf die eigene Person beisteht, grundsätzlich nicht als unfrei betrachten, denn dies würde den Retter auf die Rolle eines bloßen Opfers der Pflichterfüllung und – noch schlimmer – des Gefahrverursachers reduzieren.615 3. Zurechnung auf der Grundlage der Wertungsmaßstäbe der §§ 34 StGB, 228 BGB Sowada zieht zur Bestimmung der Freiverantwortlichkeit nicht die Exkulpationsregel des § 35 StGB heran, sondern will auf die Regeln der Einwilligung zurückgreifen.616 Der Einwand gegen die Heranziehung von § 35 StGB – mit der Konsequenz des (im Einzelfall vom Zufall abhängenden) Näheerfordernisses – hat Gewicht, denn diese Norm ist konstruktiv auf Entschuldigungsgesichtspunkte von Fremdschädigungen festgelegt.617 Ein Sachgrund für die Anwendung dieses Verant-

613

Vgl. Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (779). Vgl. Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (779). 615 Vgl. Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (779). Ebenso Otto, JK 94, Vor § 13/ 3 ohne allerdings klar Stellung zu beziehen. 616 Vgl. Sowada, JZ 1994, 663. 617 Vgl. Sowada, JZ 1994, 663; Amelung, NStZ 1994, 338; Jakobs, AT, 21/97; Kreß/Weißer, JA 2006, 115 (120). 614

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

wortlichkeitsmaßstabes im Bereich der Selbstgefährdung bzw. Selbstverletzung des Retters ist insoweit nicht ersichtlich, es geht nicht um die Frage, ob der Täter die Möglichkeit hatte, die dem Einbruch in eine fremde Rechtssphäre entgegenstehenden normativen Schranken zu erkennen und zu befolgen.618 Mit dem Abstellen auf die Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Opfers anstatt auf dessen Schuldfähigkeit gelangt Sowada zu der Frage, inwieweit das in § 216 StGB genannte Kriterium des ernstlichen Verlangens für die Bestimmung der Freiverantwortlichkeit heranzuziehen ist, so dass bereits eine dem § 21 StGB entsprechende Schuldminderung – beispielsweise durch Alkoholisierung – zur Annahme eines unfreien Handlungsentschlusses führen würde.619 Sowada verneint die Heranziehung von § 216 StGB mit dem Verweis darauf, dass es ansonsten zu einer doppelten Extension seines Anwendungsbereichs kommen würde, die Vorschrift müsste einerseits auf Selbstschädigungen als auch auf Gefährdungen angewendet werden, denen keine absichtliche Todesherbeiführung zu Grunde liegt.620 Damit genügt ein dem § 21 StGB entsprechender Zustand des Opfers nicht, um zur Annahme eines absoluten Verantwortungsdefekts zu kommen. Nach dem Verständnis Sowadas ist eine – wenn auch wie im Fall BGHSt 39, 322 unter Alkoholeinfluss vorgenommene – gefährliche Rettungsaktion somit grundsätzlich als freiverantwortliche Selbstgefährdung zu betrachten. Diesen ersten Prüfungsschritt ergänzt Sowada durch einen zweiten, mit dem er danach fragt, inwieweit Retterunfälle von dem Schutzbereich der strafrechtlichen Normen umfasst sind, wobei Sowada als Anknüpfungspunkt die durch den Rettungszweck bestimmte Schutzwürdigkeit des Opfers wählt.621 Im Bezug auf die auf Grund einer Rechtspflicht vorgenommenen Rettungshandlungen geht Sowada von einer grundsätzlichen Zurechnung aus, da die Rettungshandlung unmittelbar durch den Primärtäter ausgelöst wurde, der das auf einer Rechtspflicht beruhende Rettungsverhalten Dritter als eine Art Geschäftsgrundlage des sozialen Zusammenwirkens in Rechnung stellen muss.622 Diesen Grundsatz will er auch nicht durch eine erhöhte Gefahrtragungspflicht nach 618 Siehe Christmann, Jura 2002, 679 (681). Dagegen lässt sich zur Beurteilung der Zwangswirkung des Täters auf das Opfer innerhalb eines geschlossenen Systems § 35 I 1 StGB – ohne dass das Näheerfordernis Bedeutung erlangen würde – nutzbar machen; vgl. unten 11. Abschnitt, B.II. 619 Vgl. Sowada, JZ 1994, 663. 620 Vgl. Sowada, JZ 1994, 663 (664). 621 Vgl. Sowada, JZ 1994, 663 (664). 622 Vgl. Sowada, JZ 1994, 663 (665). Die Argumentation mit der „Geschäftsgrundlage des sozialen Zusammenwirkens“ kann wohl nicht mit dem von Meindl und Mitsch erhobenen Gedanken einer „Geschäftsführung ohne Auftrag“ (dazu oben E.II.) gleichgesetzt werden. Der Ansicht Sowadas liegt eine ganzheitliche normative Betrachtung zu Grunde, die nicht auf die Heranziehung von zivilrechtlichen Grundsätzen rekurriert. Kritisch zur Formulierung Sowadas aber Diel, S. 245, die ein solches Haftungsprinzip dem Strafrecht für fremd hält.

3. Abschn.: Der Retter als Geschädigter

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§ 35 I 2 StGB eingeschränkt wissen, da Personen, die im Gemeinwohl erhöhte Gefahren zu tragen haben, zugleich eines besonderen Schutzes vor vermeidbarer Inanspruchnahme bedürfen.623 Inwieweit Sowada hierbei von einer unfreien Selbstgefährdung oder aber von einer freiwilligen Selbstgefährdung, die durch den normativen Gedanken der Zuschreibung von Verantwortlichkeit in einem sozialen Zusammenleben überlagert wird, ausgeht, lässt sich nicht klar erkennen.624 Für die Konstellationen der Rettung ohne gesetzliche Verpflichtung hält auch Sowada eine Abwägung für erforderlich. Im Gegensatz zu den Autoren, die sich mit einer schlichten Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen begnügen (dazu oben E.V.1.), legt Sowada seinem Modell explizit den Wertungsmaßstab des § 34 StGB zu Grunde. Damit ist eine Zurechnung dann anzunehmen, wenn das vom Retter verfolgte Erhaltungsinteresse bei einer an § 34 StGB angelehnten Betrachtung die mit dem Rettungsvorhaben verbundene Gefahr wesentlich überwiegt.625 Allerdings ergänzt Sowada dieses Modell dahingehend, dass auch diejenigen Fälle, in denen sich die Rettungschancen und das Retterrisiko die Waage halten, als zurechenbar erachtet werden müssen.626 Der Grund liege darin, dass die Zurechnungsproblematik nicht darin gründe, inwieweit durch einen Notstand in die Rechtsgüter unbeteiligter Dritter eingegriffen werden dürfe, sondern darum, bis zu welcher Grenze der Verursacher einer Gefahrenlage mit den Schadensfolgen normativ belastet werden dürfe. Die Interessenlage ähnle insoweit den Fällen des durch einen Menschen ausgelösten Defensivnotstands – § 228 BGB –, bei denen die Rechtmäßigkeit der Abwehrhandlung auch dann angenommen werde, wenn das zu erhaltende Gut das aufgeopferte nicht wesentlich überwiege. Eine Einschränkung will Sowada in Anlehnung an die Beurteilung fehlerhaften Opferverhaltens dann vornehmen, wenn das Handeln des Retters als eine der groben Fahrlässigkeit entsprechende Obliegenheitsverletzung erscheint.627 Die Frage allerdings, ob für das Abwägungsmodell das individuelle Affektionsinteresse oder eine kollektivistische Betrachtung maßgeblich ist, löst Sowada nicht auf.628 Im Zweifelsfall müsse jedenfalls in dubio pro reo von der Verfolgung eines unter kollektivistischem Blickpunkt achtenswerten Interesses ausgegangen werden.629 623

Siehe Sowada, JZ 1994, 663 (665). „Überhaupt erscheint die Annahme der Freiwilligkeit einer rechtlich gebotenen Rettungshandlung unter normativen Aspekten zweifelhaft“, Sowada, JZ 1994, 663 (665 Fn. 21). 625 Vgl. Sowada, JZ 1994, 663 (665). 626 Vgl. Sowada, JZ 1994, 663 (665). 627 Vgl. Sowada, JZ 1994, 663 (666). In dieser Hinsicht, auch mit dem Hinweis auf Fehlreaktionen in existentiellen Gefahrensituationen, nähert sich Sowada der Auffassung Jakobs’, ZStW 89 (1977), 1 (34) an. 628 Siehe Sowada, JZ 1994, 663 (667). 629 Vgl. Sowada, JZ 1994, 663 (668). 624

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

4. Bestimmung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung unter dem Gesichtspunkt des Zwangs (§ 240 StGB) Auch andere Autoren widersetzen sich dem Argument der fehlenden „Notstandsfestigkeit“ von Bernsmann/Zieschang630 und wollen die Eigenverantwortlichkeit im Falle eines unfrei machenden Drucks verneinen. Für die Bestimmung eines solchen Zwangsverhältnisses wird nicht erst § 35 StGB rekurriert, sondern § 240 StGB nutzbar gemacht. Amelung sieht den Retter in gleichem Maße einem nötigenden Druck i. S. des § 240 StGB ausgesetzt, als ob der Täter den Retter unter der Drohung der Tötung der hilfsbedürftigen Person zur selbstgefährdenden Handlung veranlasst hätte. In diesem Fall sei auf Grund der Nötigung die Freiwilligkeit der Selbstgefährdung zu verneinen, nichts anderes dürfe gelten, wenn der Täter zwar nicht auf eine Selbstgefährdung des Retters abgezielt habe, diesen aber ungezielt, d.h. durch unvorsätzlich bewirkten Zwang in eine Lage versetze, in der er sich genötigt sehe.631 Auch in dieser Situation sei die Entscheidung des Retters als aufoktroyierter Konflikt defizitär, so dass die Anerkennung der Solidarität als gültiges Prinzip der Rechtsgemeinschaft eine „Privatisierung“ der Konfliktentscheidung verbiete und eine Haftung des Verursachers der Defektsituation gebiete.632 Während der Inhaber des bedrohten Gutes auf Grund der Verpflichtung seiner Mitmenschen zur Achtung fremder Rechtsgüter grundsätzlich Freiheit in dem Sinn genieße, dass er von der Schutzlast für seine Güter befreit werde, schaffe die Rückverlagerung dieser Last auf ihn Unfreiheit. Der Gefährdete müsse selbst die Integrität seiner Güter herstellen, auf deren Bestand er einen von der Rechtsordnung anerkannten Anspruch habe.633 Auch bei der Rettung von (eigenen) Sachwerten befinde sich der Retter daher in einem rechtswidrigen Handlungszwang. Die Rechtsordnung garantiere den störungsfreien Besitz einer Sache. Die Rettung von Sachwerten dürfe nicht als unvernünftig angesehen werden, nur weil ein Unbeteiligter die Integrität des Retters als höherwertig gegenüber dem Sachwerte ansehe. Der Retter habe Anspruch auf Achtung beider Rechtsgüter – seiner Integrität und der Sache.634 Stelle der Täter den Retter vor die rechtswidrige Alternative, Eigentum oder Leben zu riskieren, nehme er ihm 630

Siehe oben E.V.2. Vgl. Amelung, NStZ 1994, 338. Sinngleich MK/Freund, Vor §§ 13 ff. Rdnr. 388 f. sowie SK/Hoyer, Anh. zu § 16 Rdnr. 44 f., der in der rechtlichen Verpflichtung bzw. in der Nötigungssituation zugleich einen Risikoanhaltspunkt sieht, mit dem er den Vertrauensgrundsatz für ausgeschlossen hält. Zustimmend auch Kreß/Weißer, JA 2006, 115 (120). 632 Siehe Murmann, S. 439 f., 481 f. 633 Vgl. Amelung, Eser-FS, S. 3 (13 f.). 634 Vgl. Amelung, NStZ 1994, 338. 631

3. Abschn.: Der Retter als Geschädigter

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die aus rechtlich garantierter Sorglosigkeit erwachsende Freiheit.635 Die Untergrenze des Schutzes vor Zwangssituationen werde objektiv durch die Gesamtheit aller rechtlich garantierten Güter bestimmt.636 Der Retter handelt damit im Rechtssinne unfrei, die konkrete Gefährdung eines rechtlich geschützten Gutes stellt Zwang dar. Zu einem objektiv vernünftigen Umgang mit Rechtsgütern, die ihm zur freien Disposition überlassen sind, sei der Rechtsgutsträger nicht verpflichtet. Damit stelle sich die aus der Rückschau „unvernünftig“ erscheinende Abwägung im Rechtssinne gerade als erzwungen dar.637 Die Frage nach der Unvernunft einer Handlung sei rechtlich nur für die Beantwortung der Frage nach der Vorhersehbarkeit des Retterverhaltens von Interesse.638 So könne alleine dann, wenn die unter Zwang entstandene Abwägung in einem gravierenden Maß unverständlich und unerwartet sei, die Haftung mangels Vorhersehbarkeit entfallen.639 Sei sie aber vorhersehbar, so entfalle nicht die Erfolgszurechnung als solche, vielmehr könne sie lediglich auf Ebene der Strafzumessung unter dem Aspekt, dass das Opfer nicht willkürlich die Strafobergrenze der vom Täter verwirkten Strafe nach oben verschieben dürfe, Beachtung finden. Aber auch hier sei in die Bewertung die Frage miteinzubeziehen, inwieweit dem Täter die Verantwortung für das Ausmaß von Fehlern des Opfers zuzuschreiben sei.640 Im Ergebnis hält Amelung die Entscheidung BGHSt 39, 322 jedenfalls für richtig entschieden.641 Dem lässt sich freilich entgegenhalten, dass aus dem Umstand, dass die Rechtsordnung den Bestand gewisser Rechtsgüter garantiert, nicht gleichsam darauf geschlossen werden kann, dass die Rechtsordnung die Rechtsgüter auf die gleiche Stufe setzt und gleichwertigen Schutz garantiert. Ganz im Gegenteil lässt sich insbesondere aus § 35 StGB erkennen, dass die Rechtsordnung sehr wohl das Verhältnis der Rechtsgüter zueinander regelt und Sachwerten ein geringeres Erhaltungsinteresse zuweist.642 Dies berücksichtigt auch Puppe. Sie geht davon aus, dass sowohl in den Fällen der rechtlichen Verpflichtung als auch dann, wenn für den Retter eine Hilfeleistung lediglich angezeigt ist, dieser nur in einem äußerlichen Sinn freiwillig handeln mag, in Wahrheit aber ge635 Vgl. Amelung, GA 1999, 182 (197); ders., Eser-FS, S. 3 (14). Zustimmend MK/ Hardtung, § 222 Rdnr. 23. 636 Vgl. Amelung, GA 1999, 182 (202). 637 Siehe Amelung, Eser-FS, S. 3 (15). Entsprechend Radtke, S. 299. 638 Vgl. Amelung, GA 1999, 182 (197). 639 Vgl. Amelung, Eser-FS, S. 3 (15). 640 Vgl. Amelung, Eser-FS, S. 3 (15). 641 Siehe Amelung, Eser-FS, S. 3 (14) für „die Zurechnung des Todes“. Eine Auseinandersetzung mit der neuartigen Problematik des § 306 c StGB findet allerdings nicht statt, so dass offen bleibt unter welchen Tatbestand Amelung überhaupt subsumiert. 642 Siehe auch Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (779).

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

nötigt ist.643 Im Gegensatz zu Amelung lässt sie jedoch nicht den Erhaltungskonflikt im Bezug auf jegliches rechtlich geschützte Gut ausreichen, sondern geht nur dann von einer Nötigungssituation aus, wenn der Geschädigte einen vernünftigen oder respektablen Grund hatte, sich in Gefahr zu begeben.644 Sie zieht die Grenze dort, wo das objektiv falsche Verhalten des Retters seine Ursache nicht in der gefahrbedingten psychischen Überlastung hat, sondern in andersartigen Motivationen – beispielsweise in der Absicht, öffentlich seinen Mut zur Schau zu stellen oder eine Wette zu gewinnen – die als mutwillig645 beurteilt werden müssen.646 Vor solchen Motivationen verdiene der „Retter“ keinen Schutz.647 Auch bleibt offen, wann und unter welchen Voraussetzungen der Fehler des Retters als „im Einzelfall so groß und unerwartet“648 anzusehen sein soll, dass die Vorhersehbarkeit zu entfallen habe. Denn wird für die Bewertung der Abwägungsentscheidung nicht auf einen kollektivistischen, sondern einen individuellen Maßstab abgestellt, so ist nicht erkennbar, anhand welcher Kriterien das grobe Missverhältnis zu bemessen sein soll. 5. Zurechnung unter dem Gedanken der fahrlässigen mittelbaren Täterschaft Degener legt seinem Lösungsvorschlag explizit das Konstrukt einer fahrlässigen mittelbaren Täterschaft zu Grunde.649 Für ihn ist fahrlässiger mittelbarer Täter, wer die Zwangslage des Retters durch rechtswidriges Auslöseverhalten begründet. Im Hinblick auf den Handlungszwang ist bei der Abwägung der kontrastierenden Belange neben der abstrakten und konkreten Wertigkeit der Güter das Ausmaß der jeweils drohenden Gefahren zu berücksichtigen.650 Für Degener ist damit das Überwiegen des Rettungsinteresses gegenüber dem Integritätsinteresse des Retters ebenso wie die gesetzliche Hilfspflicht nicht der Haftungsgrund, sondern eines von mehreren denkbaren, nicht zwingenden An-

643

Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 173; dies., ZIS 2007, 247 (253). Siehe Puppe, ZIS 2007, 247 (251 f.). 645 Puppe bedient sich der von Jakobs, ZStW 89 (1977), 1 (32 f.) verwendeten Begrifflichkeit. 646 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 267. 647 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 267 (Anführungszeichen im Original). Das Verhalten des Käthchens von Heilbronn in Kleists Stück, die sich in die brennende Burg begibt, um das vermeintliche Futteral mit des Ritters Bild zu retten, kann ob seiner Mutwilligkeit keine Zurechnung begründen, vgl. NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 186. 648 Amelung, Eser-FS, S. 3 (15). 649 Vgl. Degener, S. 362, 375. 650 Vgl. Degener, S. 371. 644

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zeichen für einen zur Unfreiheit führenden Motivationsdruck.651 Hierbei seien auch situationsbedingte Fehleinschätzungen zu berücksichtigen, da der Sekundus in einen Entscheidungs- und Handlungszwang versetzt werde, der eine genauere Überprüfung des Anlasses und des Risikoausmaßes oftmals nicht ermögliche. Die Entlastung des Erstverursachers könne erst bei „Mutwillen“ des Sekundus stattfinden.652 Da Degener die Lösung unter der Begrifflichkeit der fahrlässigen mittelbaren Täterschaft sucht, begibt er sich auf unsicheres Terrain. Degener hält die fahrlässige mittelbare Täterschaft mit dem Verständnis der Fahrlässigkeit als eines strukturgleichen Ablegers der Vorsätzlichkeit für ein nützliches und anschauliches Hilfsmittel und will diese daher akzeptieren.653 Aus dem Grundtypus der Fahrlässigkeitsdelinquenz ergebe sich, dass es auch täterschaftliche Steuerung unterhalb von Willenswerk und Erfolgsstreben gebe.654 Demgegenüber steht die ganz überwiegende Lehre diesem Konstrukt ablehnend gegenüber, da es bei der Fahrlässigkeit am bewussten Einsatz eines anderen fehlt.655 Auch die Rechtsprechung hat die Figur nicht anerkannt.656 Abgesehen von der grundsätzlichen Stellungnahme zur fahrlässigen mittelbaren Täterschaft muss jedenfalls festgestellt werden, dass für diese Konstruktion überhaupt kein Bedürfnis besteht, da die fahrlässige Verursachung allein schon die Täterschaft begründet.657 Dies räumt auch Degener ein, der konstatiert, dass die Frage nicht überschätzt werden dürfe. „Es handelt sich um ein typologisches Problem, dessen Lösung die Sachfrage nicht beeinflussen kann.“658 Dem ist beizupflichten. Durch die Verwendung eines höchst umstrittenen Konstrukts wird der stark diskutierten Retterproblematik jedenfalls kein Dienst erwiesen. Aus diesem Grund ist auch die von Forst für das Deliktsrecht erhobene Lösung abzulehnen. Er knüpft mit seinem Modell ausdrücklich an das Institut der mittelbaren Täterschaft an.659 Das „Modell der mittelbaren Verursachung“ soll 651

Vgl. Degener, S. 371. Vgl. Degener, S. 373. Zu einem anderen Ergebnis würde K. Günther, StV 1995, 78 (80) unter Zugrundelegung einer fahrlässigen mittelbaren Täterschaft gelangen, vgl. oben E.I.2. Das Konstrukt liefert also gerade kein objektives Bewertungskriterium, sondern unterliegt individuellen Bewertungsmaßstäben. 653 Siehe Degener, S. 336. 654 Vgl. Degener, S. 336, 354. Ebenfalls befürwortend Otto, Jura 1998, 409 (413). 655 Siehe nur Baumann, JuS 1963, 85 (92); Jescheck/Weigend, AT, § 62 I.2.; Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 48 Rdnr. 2; LK/Roxin, § 25 Rdnr. 220. 656 Siehe BayObLG NStZ 1994, 136 (138); OLG Braunschweig NJW 1997, 3254 (3255). 657 Klarstellend LK/Roxin, § 25 Rdnr. 220; Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 48 Rdnr. 2; Jescheck/Weigend, AT, § 62 I.2; NK/Schild1, Vor §§ 25 ff. Rdnr. 225; Sch/Sch/ Cramer/Heine, Vorbem §§ 25 ff. Rdnr. 114. 658 Degener, S. 336. 659 Vgl. Forst, S. 129. 652

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

in den Fällen Platz greifen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass der Zweitverursacher rechtlich zur Handlung verpflichtet ist, denn hier sei auf Grund des Sanktionsdrucks der Entscheidungsprozess derart präformiert, dass die Willensfreiheit so weit in den Hintergrund trete, dass die eingetretene Rechtsgutsverletzung „zumindest auch als die Tat des Erstverursachers zu werten ist“660. Der objektiven Zurechnung will Forst die subjektive Bewertung der Situation durch den Retter zu Grunde legen, denn dies sei Ausfluss des Gedankens der mittelbaren Verursachung.661 Dem Modell will Forst aber keine apodiktische Bedeutung zumessen, so dass er in Ausnahmefällen auch dann eine Zurechnung vornehmen will, wenn die Willensautonomie des Zweitverursachers wertend betrachtet nicht durch das Vorverhalten des Erstverursachers eingeschränkt wurde.662 In diesen Fällen soll ein „Modell der fahrlässigen Verursachung“ herangezogen werden, nach welchem eine Zurechnung bei der Kumulation von objektiver Sorgfaltspflichtverletzung, objektiver Vorhersehbarkeit und objektiver Vermeidbarkeit der Rechtsgutverletzung gangbar sei.663 Dem Lösungsvorschlag ist eine bemerkenswerte Subtilität nicht abzusprechen, doch gerade dadurch wird der Aspekt der fahrlässigen mittelbaren Täterschaft mit der Bildung weiterer Verästelungen und Untergruppen noch weiter von einer anerkannten Dogmatik entfernt und kann ob seiner Vagheit zumindest für das Strafrecht keine Grundlage bilden. VI. Relativierende Beurteilung

1. Die Relativität des Freiheitsbegriffs Die vorangehend aufgeführten Meinungen haben die selbstgefährdende Handlung des Retters dadurch der Zurechnung zum Verursacher der Gefahrenquelle unterzogen, dass sie von einer fehlenden Freiverantwortlichkeit im Rechtssinne des agierenden Helfers in der konkreten Situation ausgingen, sei es durch eine allgemeine normative Betrachtung oder durch die explizite Heranziehung des Rechtfertigungsgrundes des § 34 StGB, der Exkulpationsregel des § 35 StGB oder des § 240 StGB. Dem liegt die Ansicht zu Grunde, dass der Retter in der konkreten Situation überhaupt nicht anders handeln konnte. In Bezug auf eine rechtliche Verpflichtung führt Frisch an, dass in der Rettungssituation selbst „von einer freien, eigenverantwortlichen Entscheidung des Retters schon deshalb keine Rede sein [kann], weil dieser zur Vornahme der riskanten Handlung ja verpflichtet ist, also (im Rahmen des Rechts) überhaupt nicht anders handeln

660 661 662 663

Forst, S. 131 f. Vgl. Forst, S. 134. Vgl. Forst, S. 143. Vgl. Forst, S. 169.

3. Abschn.: Der Retter als Geschädigter

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kann“664. Verdeutlicht man sich jedoch, dass auf den Retter nicht mit vis absoluta eingewirkt wird, so müsste es eigentlich heißen, dass der Retter nicht anders handeln darf.665 Geht man jedoch von diesem Verständnis aus, so lässt sich die Zurechnung nicht mit der fehlenden Freiverantwortlichkeit begründen, vielmehr drängt sich eine rechtspolitisch-normative Beurteilung auf. Indessen ist die Argumentation mit der fehlenden Freiverantwortlichkeit in den Retterfällen keine unproblematische Lösung, denn die weitere Untersuchung wird uns zeigen, dass gerade in Extremsituationen eine Relativität des Freiheitsbegriffs angezeigt ist. Aus diesem Anlass sucht eine differenzierende Ansicht die Problematik nicht über das Konstrukt der ermangelnden Freiverantwortlichkeit zur Lösung zu bringen, sondern legt der Begründung von Zurechnung in diesen Fällen ein anderes Verständnis zu Grunde. Die Relativität des Freiheitsbegriffs verdeutlicht Amelung an einem Beispielsfall666: A, B und C sind in einer Höhle verschüttet. Ihnen droht der Tod durch nachrutschendes Gestein und giftige Gase. A kann sich nur retten, indem er C, der vor ihm unter einem Stein eingeklemmt ist und den Ausgang versperrt, so gewaltsam hervorzieht, dass C verblutet. Auch B ist unter einem Stein gefangen, wird aber durch Hilfe von außen gerettet, weil auf sein Flehen hin der Notarzt N ihm den eingeklemmten Fuß amputiert.

Betrachtet man eine etwaige Strafbarkeit des A, so wird man zu dem Ergebnis gelangen, dass er sich auf entschuldigenden Notstand i. S. des § 35 I 1 StGB berufen kann. Man wird sagen müssen, dass er in einer Zwangslage handelte, d.h. er entschied sich nicht frei gegen das strafbewehrte Tötungsverbot. Aber auch N würde freigesprochen werden, weil er durch die Einwilligung des B gerechtfertigt ist. Zwar gilt eine Einwilligung grundsätzlich nur dann als wirksam, wenn sie freiwillig erklärt wird667, doch würde niemand die Rechtfertigung des N an der Zwangslage scheitern lassen, in der B seine Einwilligung erteilt hat.668 Diese Gegenüberstellung zeigt, dass Freiheit und Zwang auf der 664 Frisch, S. 475 (Hervorhebung vom Verfasser). Ebenso Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 43 Rdnr. 73; Fiedler, S. 188; Renzikowski, S. 196; MK/Duttge, § 15 Rdnr. 155; NK/Puppe, Vor § 13 Rdnr. 186; Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (212, 215). Siehe auch die Zusammenschau bei Biewald, S. 210 Fn. 81. 665 Richtig erkannt von K. Günther, StV 1995, 78 (80 Fn. 16). Auch Frister, AT, 10. Kapitel, Rdnr. 18 f. hebt hervor, dass die Autonomie einer Person, die sich zur Rettung eines anderen selbst gefährdet, durch die rechtliche Missbilligung der die Notwendigkeit der riskanten Rettung begründeten Handlung an sich in keiner Weise beeinträchtigt wird. 666 Siehe Amelung, GA 1999, 182 (184). 667 Siehe Sch/Sch/Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rdnr. 45 ff. 668 Vgl. Amelung, GA 1999, 182 (184). Amelung stellt klar, dass N durch die Einwilligung, nicht durch die Notstandslage gerechtfertigt wurde, denn würde man den Fall dahingehend abwandeln, dass N trotz des Widerspruchs des B das Bein amputiert, so wäre dieser nicht gerechtfertigt, vgl. Amelung, GA 1999, 182 (185 Fn. 14

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Vorder- und auf der Rückseite einer Strafnorm offenbar etwas Unterschiedliches bedeuten. Für A als Normadressaten weist die Situation den Weg zum schuldausschließenden Notstand, während dieselbe Situation dem Normbenefiziar B noch so viel Entscheidungsspielraum lässt, dass die erteilte Einwilligung als freiwillig angesehen wird.669 2. Die Abhängigkeit der Freiheit von der Art der zuzurechnenden Verantwortlichkeit bei Biewald Biewald beschäftigt sich in seiner Monographie umfassend mit der Frage, welchen Einfluss die Bewertung einer Handlung als pflichtgemäß oder pflichtwidrig auf die Freiheit des Handelnden hat. Dabei differenziert Biewald folgendermaßen: Zwang zu einem pflichtwidrigen Verhalten beseitigt, jedenfalls soweit er in der Androhung von Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit des Handelnden selbst oder einer nahestehenden Person besteht, die Freiheit des pflichtwidrig handelnden Subjekts670; der rechtswidrige Zwang zu einer pflichtwidrigen Handlung beseitige die für die Freiheit zum Regelverstoß charakteristische Abwesenheit jedweder Notwendigkeit.671 Der Bedrohte befindet sich in einer Situation völliger Heteronomie, wobei dem Täter jegliche Berechtigung zu seinem Handeln fehlt, ganz im Gegensatz zu einem gesetzlichen Verhaltensgebot, welches auf eine Ermächtigung rückführbar ist.672 Die Zurechnung wird durch die necessitas cum adjunctione (Notstandslage) ausgeschlossen.673 Dies entspricht der Regelung de lege lata, wobei mit der Entschuldigung nach h. M. ein Rest von Freiheit trotz der von außen induzierten Begrenzung des Handlungsspielraums verbleibt.674 m.w. N.). Dass es richtig ist, dem B auch in dieser Extremsituation die fortwährende Autonomie seiner Entscheidung zuzuschreiben, lässt sich im Übrigen damit fundieren, dass der Gesetzgeber gerade in solchen Situationen naher Todesgefahr die rechtliche Autonomie voraussetzt und schützt; vgl. § 2250 II BGB. 669 Vgl. Amelung, GA 1999, 182 (184 f.). Die Differenz lässt sich damit erklären, dass im Kontext der Entschuldigung danach zu fragen ist, wann eine Strafe sinnlos ist, weil in der gegebenen Situation die Normbefolgung nicht erwartet werden konnte (siehe auch unten Fn. 726); im Kontext der Einwilligung ist dagegen darüber zu entscheiden, in welchen Situationen die Rechtsordnung dem Einwilligenden die Möglichkeit eröffnet, seine Interessen durch einen Verzicht auf den Normschutz zu verfolgen; vgl. Amelung/Eymann, JuS 2001, 937 (939). 670 Vgl. Biewald, S. 177. 671 Siehe Biewald, S. 177, 193. 672 Siehe zu dieser (moralphilosophischen) Argumentation Stemmer, S. 108, 110, 114. 673 Vgl. Biewald, S. 92, 177. 674 Siehe Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (778 Fn. 40); Jescheck/Weigend, AT, § 43 III.2.b); SK/Rudolphi, § 35 Rdnr. 2. Siehe auch Lackner/Kühl, § 35 Rdnr. 1; Sch/Sch/Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rdnr. 108. Schematisch lassen sich die freiwilligkeitseinschränkenden Faktoren in den Zwang i. w. S. und den Irrtum einteilen, siehe

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Eine andere Beurteilung sei bei der Betrachtung pflichtgemäßen Verhaltens angebracht. Hier schließe die Androhung staatlichen Zwangs – sei es auch hinsichtlich wichtiger Rechtsgüter – die Zurechenbarkeit zur Verantwortung wegen regelgemäßen Verhaltens nicht aus.675 Dies folge aus der Logik der rechtlichen, mit Sanktionen verbundenen Verhaltensnormen. Innerhalb des Systems dürfe kein Selbstwiderspruch dadurch geschaffen werden, dass durch das Aufstellen von mit Sanktionen verbundenen Pflichten, die der Erhaltung der Freiheit der Rechtssubjekte dienen, die Freiheit der Rechtssubjekte bei der Einhaltung dieser Gesetze beseitigt würde. Die Rettung eines Ertrinkenden muss auch im Angesicht drohender Strafe bei Nichtrettung oder die Erfüllung eines Vertrags angesichts der Möglichkeit der Zwangsvollstreckung als Ausdruck von Freiheit verstanden werden.676 Ein System kategorischer Imperative könne nicht die Freiheit der Rechtssubjekte bei der Einhaltung der Pflicht verneinen, andererseits die Freiheit im Fall von Pflichtverstößen zur Voraussetzung zu erheben.677 Durch rechtmäßig hoheitlichen Zwang zu einer pflichtgemäßen Handlung wird die Freiheit nicht berührt, denn der Zwang beeinträchtigt nicht das Vermögen, regelgemäß zu handeln, er verstärkt vielmehr nur die von den praktischen Gesetzen ohnehin ausgehende Notwendigkeit.678 Der Ausweg bestehe auch nicht darin, der Pflicht eine ähnliche Wirkung zuzusprechen wie unwiderstehlicher physischer Kraft679 oder die Pflicht als solche (nicht die Androhung) als einer Notstandslage vergleichbar anzusehen680, denn die Zurechnung von Verantwortlichkeit für Pflichterfüllung setzt, ebenso wie die Zurechnung von Verantwortlichkeit wegen Pflichtverstoßes, Freiheit voraus. Die Rechtspflichten sind „juridische Gesetze der Freiheit“, sie können nur unter der Annahme von Freiheit überhaupt bestehen.681 Der wirkliche Gehalt der Freiheit hierzu Gutmann, S. 30 mit dem Nachweis weiterer Untergliederungen. Im Übrigen führt auch die widerrechtliche Drohung i. S. von § 123 BGB lediglich zur Anfechtbarkeit der Willenserklärung, stellt aber keinen genuinen Nichtigkeitsgrund dar; vgl. Palandt/Heinrichs, § 123 Rdnr. 25. Siehe auch MK/Schlehofer, Vor §§ 32 ff. Rdnr. 127. 675 Vgl. Biewald, S. 177. 676 Vgl. Biewald, S. 177. 677 Vgl. Biewald, S. 182; so auch Bernsmann, ARSP 1982, 536 (543 f.). 678 Siehe Biewald, S. 193. 679 Dazu Biewald, S. 178. 680 Dazu Biewald, S. 180. In diese Richtung aber Puppe, Erfolgszurechnung, S. 264 f. 681 Vgl. Biewald, S. 182. Der Ausschluss der Verantwortlichkeit des Vordermanns (Retters) wegen Pflichtgemäßheit hätte die Konsequenz, dass die Teilhabe des Hintermanns (Verursacher) als Rettung des Opfers gedeutet werden könnte. Die Teilhabe des Hintermanns an dem Vorgang wäre auch in Bezug auf die Rettung eine unmittelbare Handlung – damit wäre die Verursachung der Notlage angesichts des angenommenen Zurechnungsausschlusses der Pflichtgemäßheit ihrerseits als unfrei anzusehen und eine Zurechnung von Verantwortlichkeit ausgeschlossen, vgl. Biewald, S. 183. Insoweit Biewald zustimmend Murmann, S. 440 Fn. 487: „Dabei ist die Rettungshandlung als solche nicht etwa unfrei“.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

ist, sich entscheiden zu können. Damit steht für Biewald fest, dass die Verantwortlichkeit des Hintermanns als Täter in den Retterfällen in einer anderen Begründung gefunden werden muss.682 Mit Biewald ist die Freiheit des unmittelbar Handelnden/Vordermanns – sprich des Retters – in einem zweifachen Sinn zu verstehen. Sie ist abhängig von der Art der zuzurechnenden Verantwortlichkeit. Im Hinblick auf die Verantwortlichkeit des Vordermanns ist dieser als frei anzusehen, im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit des Hintermanns – des Verursachers der Gefahrensituation – ist die pflichtgemäße Handlung des Vordermanns nicht als frei zu werten, dadurch stellt sich die Handlung des Hintermanns als unmittelbare Handlung dar.683 Das pflichtgemäße Verhalten des Vordermanns steht mit anderen Worten im Rahmen der Zurechnung von Verantwortlichkeit wegen pflichtwidrigen Verhaltens des Hintermanns einem durch Naturgesetze determinierten Vorgang gleich.684 „Damit folgt, daß das Verhalten des Hintermanns als Ausdruck eines unmittelbar auf das Ereignis in der Welt gerichteten Willens, also als unmittelbare Handlung bezüglich des zuzurechnenden Ereignisses zu verstehen ist. Denn da die Vornahme oder Nichtvornahme der Körperaktivität des Vordermanns nicht als (regelverstoßend-freie) Handlung zu verstehen ist, ist das Verhalten des Hintermanns im Kontext der Zurechnung von Verantwortlichkeit wegen pflichtwidrigen Verhaltens der zeitlich letzte als (regelverstoßend-freie) Handlung zu deutende Teil des Vorgangs vor dem Ereignis in der Welt.“685 Die an sich mittelbare Handlung des Hintermanns wird nach diesem Verständnis zu einer unmittelbaren.686 Dies, so stellt Biewald klar, sei keine ad hoc-Annahme zur Erklärung eines rechtlichen Randproblems, sondern verweise auf einen grundlegenden Zusammenhang von Freiheit und Norm. Denn Freiheit „gibt“ es nicht unabhängig von kategorischen Normen, Freiheit ist ein „normatives Konzept“.687

682

Vgl. Biewald, S. 177. Vgl. Biewald, S. 186 f., 208. Ein ähnlicher Gedankengang in Bezug auf die Wirksamkeit der Einwilligung in Dreiecksbeziehungen findet sich bereits bei Rönnau. Dieser will die Wirksamkeit der Einwilligung relativ zur eingreifenden Person bestimmen: Trifft die vom Nötiger bedrohte Person (Gutsinhaber) auf einen eingriffsbereiten Dritten, der durch seinen Eingriff den Gutsinhaber aus der vom Nötiger geschaffenen Zwangslage befreien möchte, so ist die Einwilligung dem eingriffsbereiten Dritten gegenüber wirksam, im Verhältnis zum Nötigenden ist die Einwilligung allerdings als unwirksam zu betrachten; für diesen begründet dies eine Strafbarkeit in mittelbarer Täterschaft mit dem Gutsinhaber (!) als Werkzeug; vgl. Rönnau, Jura 2002, 665 (674). Auch das OLG Schleswig spricht im „Nieren-Fall“ explizit von der „Relativierung der Freiwilligkeit“, vgl. OLG Schleswig, NJW 1987, 710 (711). 684 Vgl. Biewald, S. 194. 685 Biewald, S. 203 (Hervorhebung im Original). 686 Siehe Biewald, S. 207. 687 Vgl. Biewald, S. 187 f. (Anführungszeichen im Original). 683

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Diese Grundsätze sollen auch in den Fällen der Rettung eigener Güter gelten. Zwar sei der Vordermann nicht zur Rettung eigener Güter verpflichtet, doch der Erhalt dieser sei ihm durch Obliegenheit geboten.688 „Dem Vordermann ist schon bei einfachem Überwiegen des Wertes des abwendbaren Schadens über dem Wert des Schadens, der durch die abwendungsgeeignete Handlung verursacht würde, die Vornahme der schonendsten abwendungsgeeigneten Handlung durch Obliegenheit geboten.“689 Mit der Bewertung der Handlung des Vordermanns als obliegenheitsgemäß stehe fest, dass diese Handlung nicht als pflichtwidrig zu bewerten sei, damit sei wiederum das Verhalten des Hintermanns als eine unmittelbar auf das zuzurechnende Ereignis gerichtete Handlung zu verstehen.690 Die Ausführungen Biewalds zeigen, dass das Vorgehen der h. M. – die Argumentation mit der unfreien Handlung des rechtlich verpflichteten Retters – im Kontext des gesamten Straftatsystems eine gewisse Irregularität aufweist. Es ist in der Tat schwer nachvollziehbar, warum der unter rechtlichem Druck handelnde Retter als unfrei angesehen werden soll, nicht aber dann, wenn er sich gegen das an ihn herangetragene Gebot entschließt. Schließlich befindet er sich jeweils in der gleichen tatsächlichen und rechtlichen Situation. Das Recht erwartet von dem Retter in der Gefahrensituation, dem rechtlichen Gebot nachzukommen und damit die rechtlich betrachtet richtige Entscheidung zu treffen. Dieser Entscheidungsprozess kann aber schwerlich unfreiwillig ablaufen, unabhängig davon, welche Entscheidung der Helfer trifft. Die Lösung der Problematik muss in einer über den Freiheitsgedanken hinausgehenden Betrachtung gefunden werden. F. Entwicklung des eigenen Lösungsmodells I. Exkurs: Die Psychologie des Hilfeverhaltens

Um die Frage nach der Freiheit oder Unfreiheit des Retters bzw. den Sinn dieser Frage beurteilen zu können, ist es erforderlich, sich mit den Aspekten des inneren Empfindens von Helfern in Extremsituationen vertraut zu machen. Mit den Motiven des Helfens in akuten Notsituationen haben sich Bierhoff, Klein und Kramp näher beschäftigt. In einer empirischen Studie aus dem Jahre 1989 sind sie der Frage nachgegangen, welche Motive für die Erste Hilfe bedeutsam und welche von diesen Motiven besonders zentral sind. Es wurde eine Versuchsgruppe mit 150 Teilnehmern gebildet. Den Befragten wurden bestimmte Szenarien (Zusammenstoß zweier Autos, gestürzter Radfah688 689 690

Vgl. Biewald, S. 253. Biewald, S. 266. Vgl. Biewald, S. 257 ff.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

rer, Lastwagen mit Brückenpfeiler kollidiert) vorgegeben. Sie sollten angeben, welche Risiken und Vorteile in den jeweiligen Situationen mit dem Helfen verbunden waren. In einer Inhaltsanalyse wurden diese offenen Antworten in eine Reihe von Kategorien eingeordnet. Auf diese Weise konnten förderliche und hemmende Ursachen hilfreichen Verhaltens identifiziert werden. In einem weiteren Schritt wurden zehn Vorteile und neun Risiken ausgewählt, die einer heterogenen Gruppe von 62 Personen vorgelegt wurden. Die Befragten sollten angeben, wie wahrscheinlich bestimmte Vorteile und Risiken für Helfer bei einem schweren Verkehrsunfall sind (1 = besonders unwahrscheinlich; 5 = besonders wahrscheinlich).691 Bei den Vorteilen des Helfens ist als Ergebnis festzuhalten, dass die Ausprägung „Gewissen“, d.h. Verantwortungsgefühl bzw. Gefühl moralischer Verpflichtung, mithin ein Handeln in Übereinstimmung mit dem Gewissen, den höchsten Mittelwert (M = 4,0) erzielte. Einen relativ hohen Mittelwert (M = 3,4) erreichte die Vorgabe „Helfer können Kenntnisse zeigen“. Dann folgen drei Vorteile des Helfens, deren Mittelwerte im mittleren Skalenbereich (Streuung um den Mittelwert 3,0) liegen: „Mitgefühl“, „Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung wegen unterlassener Hilfeleistung“ und „Steigerung des Selbstwertgefühls durch Hilfe“. Etwas niedrigere Mittelwerte finden sich schließlich noch für „Solidarität zeigen“ (M = 2,9) und „Anerkennung erhalten“ (M = 2,8), während „Neugier befriedigen“, „persönliche Kontakte knüpfen“ und „materielle Vorteile“ als relativ unwahrscheinliche Motive des Helfens erscheinen.692 Die Resultate wurden durch eine Repräsentativumfrage an 2000 ausgewählten Bundesbürgern durch das EMNID-Institut im Wesentlichen bestätigt.693 Was die Risiken des Helfens angeht, so erscheint als wichtigste Möglichkeit, dass Helfern bei der Ersten Hilfe Fehler unterlaufen könnten (M = 3,7). Eine größere Bedeutung haben noch die Aussicht, in ein juristisches Nachspiel verwickelt zu werden (M = 3,2), materielle Einbußen zu erleiden, die Gefahr, in die sich die Helfer selbst begeben könnten (M = 3,0) und die Möglichkeit, dass die Helfer durch die Hilfeleistung körperlich oder geistig überfordert werden (M = 2,9). Geringere Bedeutung wird den Aspekten „Zeitverlust vermeiden“, „belästigt werden“ und „zurückgewiesen werden“ beigemessen.694 Welche Aussage kann der Jurist aus der Studie gewinnen? Zum einen lässt sich unschwer erkennen, dass das altruistische Verhalten auf die eine oder andere Art auch eigennützig sein kann.695 Zum anderen zeigt sich aber auch, dass das Strafrecht auf die Ausprägung der moralischen Motivation keinen entschei691 692 693 694 695

Siehe hierzu Bierhoff, S. 104 f. Vgl. Bierhoff, S. 105. Vgl. Bierhoff, S. 105. Vgl. Bierhoff, S. 106. Siehe dazu auch Kargl, GA 1994, 247 (257).

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denden Einfluss hat; immerhin lag der Mittelwert bei der Kategorie der Vorteile sub specie für die Ausprägung des „Gewissens“ über demjenigen von „Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung wegen unterlassener Hilfeleistung“. Und auch bei den Risiken des Helfens wurde die Gefahr von Fehlern bei der Hilfeleistung höher eingestuft als die Gefahr, in ein juristisches Nachspiel verwickelt zu werden. Die Studie deckt damit den Kerngehalt der Moralphilosophie, nach der jede Moralität mit äußerem Zwang unvereinbar ist. Moral ist im Wesentlichen von innen her bestimmt, sie entsteht aus persönlicher Reflexion, nicht aus gesellschaftlichen Konventionen und führt zu beständigen Prinzipien, nach denen ein Mensch sein Leben führt. Die moralische Pflicht setzt sich per definitionem gegen den äußeren Zwang als innere Pflicht durch.696 Zwar lässt sich dem der Studie zu Grunde liegenden Sachverhalt nicht eindeutig entnehmen, ob die Hilfeleistung rechtlich angezeigt, d.h. der Retter rechtlich zur Hilfe verpflichtet ist, aber unabhängig davon zeigt sich, dass für die Mehrzahl der Probanden in einer Notsituation die Motivation zur Hilfeleistung nicht in einer strafbewehrten Verhaltensobliegenheit besteht, sondern dem Gewissen des Handelnden entspringt. Damit ist aber zugleich fraglich, ob generell von der Unfreiheit des Helfenden bei gesetzlicher Hilfspflicht gesprochen werden kann, denn wenn das Recht auf den Entscheidungsprozess nicht die maßgebliche Einflussnahme ausübt, kann die Unfreiheit jedenfalls nicht alleine durch das Recht bestimmt werden. Liegt der Unfreiheit aber eine moralische Konfliktsituation zu Grunde, so wird eine etwaige Unfreiheit unabhängig von einer rechtlichen Pflicht bestimmt. Die Unfreiheit wird dann außerhalb des rechtlichen Systems überhaupt bewirkt. Dabei vermag in Übereinstimmung mit Otto eine rein moralisch-sittliche Pflicht gerade nicht die Freiheit im Rechtssinne zu begrenzen.697 Bei Vorliegen einer Rechtspflicht zur Hilfeleistung könnte allenfalls von einer Vermutung für die Unfreiheit des Handelnden ausgegangen werden. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang die Formulierung Radtkes, der bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 35 StGB bzw. bei Bestehen einer Rettungspflicht von einer „Unfreiwilligkeitsvermutung“ spricht.698 Freilich sieht sich seine Auffas696 Vgl. Kargl, GA 1994, 247 (260). Bei der moralischen Pflicht handelt es sich offenbar um eine Urregel im Sinn einer universell angeborenen vorrechtlichen Überzeugung, die ihrerseits die Grundlage für menschliche Rechtsordnungen bildet; siehe Bech/von Bredow, DER SPIEGEL 31/2007, 108 (112 f.) unter Anführung der Pilotstudie Ernst-Joachim Lampes. Das Erfordernis einer auf dem moralischen Instinkt aufbauenden Rechtsordnung lässt sich damit begründen, dass die meisten Menschen im Hinblick auf ihr Fortkommen und ihren Status zwar nicht bereit sind, „über Leichen zu gehen“, „aber sie strengen sich auch nicht gerade an, moralische Großtaten zu vollbringen“. Der angeborene Moralinstinkt ist schwach; vgl. Bech/von Bredow ebd. S. 116 unter Zitierung Matthias Mahlmanns. 697 Siehe Otto, JK 94, Vor § 13/3. Siehe hierzu auch OLG Frankfurt am Main StV 1989, 107. 698 Vgl. Radtke, S. 298 ff., 430.

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sung, eine grob eigensorgfaltspflichtwidrige Rettung beseitige nicht die Unfreiheitsvermutung, sondern die objektive Vorhersehbarkeit des Erfolgs699, Bedenken ausgesetzt; denn auch unvernünftige Handlungen sind grundsätzlich vorhersehbar, d.h. von der allgemeinen Lebenserfahrung erfasst, man denke nur an die Eltern, die ihr Kind in den Flammen verloren sehen700. Dem Gedanken einer solchen Unfreiheitsvermutung, zumindest im Kontext einer rechtlichen Pflicht, steht aber, wie von Biewald dargelegt, entgegen, dass im Falle eines rechtlichen Gebots die Handlung des Helfers zumindest in Relation mit dem Helfer selbst als Bezugspunkt richtigerweise nicht als unfrei im Rechtssinne gewertet werden kann. II. Der innere Widerspruch einer Zurechnungslehre unter der Prämisse der „fehlenden rechtlichen Verpflichtung zur Hilfe aber sozial erwünschten Rettungsaktion“

Wie aus der bisher erfolgten Darstellung ersichtlich ist, bezieht sich der Diskussionsstand um die Verantwortlichkeit des Täters für Retterschäden im Wesentlichen auf zwei unterschiedliche Rettertypen, einerseits diejenigen, die zur Rettung rechtlich verpflichtet sind, andererseits Retter, die ohne Rechtspflicht tätig werden. In Bezug auf die zweite Fallgruppe wird nach einem Vernünftigkeitsmaßstab differenziert, ob in Ermangelung einer Rechtspflicht dennoch von einer sozialen Erwünschtheit der Rettungsaktion ausgegangen werden kann, da sub specie eines Chancen-Risiko-Saldos die Handlung als sinnvoll angesehen wird. Die Literatur hat dieses von ihr geschaffene Abwägungskonstrukt nie näher dahingehend hinterfragt, welche Fallkonstellationen von solch einer sozialen Erwünschtheit umfasst sein sollen. 1. Umfang der Gefahrtragungspflicht Zunächst bleibt zu klären, wie weit eine rechtliche Verpflichtung reicht, d.h. in welchem Ausmaß dem Retter ein gefahrbedrohter Umgang mit seiner Integrität abverlangt wird. a) Berufsmäßige Retter aa) Normative Regelungsansätze Bereits die hinlängliche Ansicht, berufsmäßige Retter, insbesondere Feuerwehrleute und Polizisten, seien verpflichtet, im Vollzug ihres Dienstes Gefahren 699

Vgl. Radtke, S. 299. Siehe auch Radtke/Hoffmann, GA 2007, 201 (218). Es sei an die in dem Prolegomenon (Fn. 14) genannte Zeitungsmeldung erinnert. 700

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für Leib oder Leben hinzunehmen701, erweist sich bei näherer Prüfung als schwer aus dem Gesetz zu begründen.702 Bernsmann weist darauf hin, dass bis auf vereinzelte Regelungsansätze grundsätzlich keine einschlägigen gesetzlichen Regelungen vorfindbar sind. Er führt folgende singuläre Regelungen an:703 § 6 WStG: „Furcht vor persönlicher Gefahr entschuldigt eine Tat nicht, wenn die soldatische Pflicht verlangt, die Gefahr zu bestehen.“

§ 103 LBG/Berlin: „1Die Polizeivollzugsbeamten haben neben den allgemeinen Beamtenpflichten die sich aus dem Wesen des Polizeivollzugsdienstes und ihrer dienstlichen Stellung ergebenden besonderen Pflichten. 2Sie haben das Ansehen der Polizei und Disziplin zu wahren und sich rückhaltlos für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und für den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung von Berlin einzusetzen.“

§ 214 LBG/Rheinland-Pfalz: „Neben den allgemeinen sich aus diesem Gesetz ergebenden Pflichten hat der Polizeibeamte die im Wesen des Polizeidienstes begründeten besonderen Pflichten. Er hat das Ansehen der Polizei zu wahren, Dienstzucht zu halten und sich rückhaltlos für den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzusetzen.“

Die Aufzählung lässt sich mit § 27 III ZDG und § 117 I LBG/Hamburg ergänzen. § 27 III ZDG: „Er muss die mit dem Dienst verbundenen Gefahren auf sich nehmen, insbesondere, wenn es zur Rettung anderer aus Lebensgefahr oder zur Abwendung von Schäden, die der Allgemeinheit drohen, erforderlich ist.“

§ 117 I LBG Hamburg: „Der Polizeivollzugsdienst hat seine Amtspflichten unter Einsatz seiner Person, notfalls auch seines Lebens, zu erfüllen.“

Seit dem Wegfall der Rechtsfigur des besonderen Gewaltverhältnisses durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.03.1972704 können Pflichten zum Einsatz von Gesundheit und Leben nicht mehr mit der Einord701 Siehe nur Otto, Pflichtenkollision, S. 80; Timpe, JuS 1985, 35; BGH NJW 1964, 730 (731) für berufstypische Gefahren und wohl auch Zippelius, JuS 1983, 659 (663). 702 Vgl. Bernsmann, Blau-FS, S. 23 (39). In diesem Sinn auch Lewisch, Casebook, S. 108 (Nr. 208): „. . . begründet die Pflicht zur Rettung keine Pflicht zur Selbstaufopferung“. 703 Vgl. Bernsmann, Blau-FS, S. 23 (43 f.). 704 BVerfGE 33, 1.

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nung einer Person in ein besonderes Gewaltverhältnis begründet werden.705 Fraglich ist, ob durch die genannten Bestimmungen eine erforderliche Konkretisierung stattgefunden hat. Dies ist zu verneinen. § 6 WStG ermangelt es schon an einem eigenständigen Regelungsgehalt, da er den Umfang der soldatischen Pflicht voraussetzt und damit lediglich auf eine anderweitige Regelung verweist. Doch selbst wenn man die Regelung als Grundlage der Gefahrtragungspflicht ansehen möchte, fehlt es an einer ausreichend konkretisierenden Rechtspflicht, sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit aufs Spiel zu setzen.706 Gleiches gilt für die landesgesetzlichen Regelungen von Berlin und Rheinland-Pfalz. Die Verpflichtung, sich „rückhaltlos . . . einzusetzen“, erlaubt schwerlich den Schluss auf die Pflicht, hierbei das Leben und die körperliche Unversehrtheit aufs Spiel zu setzen, keinesfalls können ihr Aussagen zu den tragenden Gefahren und zu ihrer Begrenzung entnommen werden.707 Ebenso regelt § 27 III ZDG nicht den hinzunehmenden Gefährdungsgrad oder die Relation zwischen den abzuwendenden und den auf sich zu nehmenden Gefahren.708 Schließlich bietet auch § 117 I LBG/Hamburg keine tragfähige Grundlage. Zwar wird die Pflicht zum Einsatz des Lebens in aller Deutlichkeit ausgesprochen, und aus der Formulierung „notfalls“ ergibt sich auch, dass die Lebensgefährdung nur als ultima ratio verlangt wird. Gleichwohl kann die Selbstgefährdungspflicht nicht als hinreichend konkretisiert angesehen werden. Die Voraussetzungen dieser Pflicht sind nämlich nur mit dem pauschalen Hinweis auf die „Amtspflichten“ umrissen. Welche dieser „Amtspflichten“ – die jedenfalls bei an der Bedeutung des Grundrechts auf Leben orientierter Auslegung nicht sämtlich dessen Einsatz erfordern können – hierfür in Betracht kommen sollen, bleibt offen. Somit stellt sich auch hier die gesetzgeberische Entscheidung, gegenüber welchen Rechtsgütern das Leben der Polizeibeamten notfalls nachrangig sein soll, als unvollständig dar.709 Hinsichtlich der Festlegung der Grenzen einer gesetzlichen Gefahrtragungspflicht ermangelt es damit an jeglicher ausreichend konkretisierten normativen Regelung.710 Besondere, d.h. gesteigerte Gefahrtragungspflichten, die eigene

705

Umfassend Sachs, BayVBl. 1983, 460 (461 ff.). Vgl. Sachs, BayVBl. 1983, 489 (491). Gleiches gilt für § 7 SG, so dass sich der – allgemein angenommene, siehe nur Zippelius, JuS 1983, 659 (662); Pawlik, JZ 2004, 1045 (1053) m.w. N. – Einsatz des Lebens durch den Soldaten im Verteidigungsfall als durchaus fragwürdig erweist; vgl. Sachs, BayVBl. 1983, 489 f. (insbesondere Fn. 83, 86). 707 Vgl. Sachs, BayVBl. 1983, 489 (493). 708 Vgl. Sachs, BayVBl. 1983, 489 (492). 709 Vgl. Sachs, BayVBl. 1983, 489 (494). 710 Siehe Bernsmann, Blau-FS, S. 23 (43). 706

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Gesundheit rettungshalber aufs Spiel zu setzen, lassen sich somit nicht nachweisen.711 Jedenfalls für den Bereich der gravierenden Gefahrbegründung für das Leben oder die Gesundheit des im Dienstverhältnis Stehenden kann eine gesetzliche Anordnung keinen Bestand haben. Dies ist Ausfluss des allgemeinen – mit Verfassungsrang ausgestatteten – Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck. Entsprechend stellt sich eine dennoch ergehende Weisung an den Dienstuntergebenden vor diesem Hintergrund als unverbindlich dar.712 bb) Grad der Wahrscheinlichkeit der unzumutbaren Eigengefährdung und Standpunkt der Beurteilung Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck hat auch die Beurteilung des Wahrscheinlichkeitsgrades der drohenden Eigengefährdung zu leiten. Will man einerseits dem bedrohten Rechtsgut die weitestgehende Hilfe zukommen lassen, andererseits das Integritätsinteresse des Retters wahren, so kann die bloße entfernte Möglichkeit eines Eigenschadens des Retters nicht ausreichen. Erforderlich und ausreichend ist vielmehr eine sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergebende hinreichende Wahrscheinlichkeit der Realisierung der Gefahr – mithin das Vorliegen einer konkreten Gefahr, die den Eintritt des Eigenschadens ernstlich befürchten lässt.713 Klärungsbedürftig bleibt schließlich die Frage, von wem und wie dieses Ausmaß der Gefährdung zu bestimmen ist. Denkbar ist eine Prognose (1) objektiv – ex ante, (2) objektiv – ex post, (3) subjektiv – ex ante und (4) subjektiv – ex post. Zieht man für die Bestimmung der Gefahrprognose die insoweit inhaltsgleiche Problemstellung auf der Schuldseite und damit die Irrtumsproblematik heran, so spricht dies nicht nur für eine Betrachtungsweise ex ante, sondern zugleich für eine subjektive Beurteilung.714 Allerdings wird mit diesem Vorgehen keiner rein subjektiven Betrachtungsweise das Wort geredet. Eine Objektivierung hat vielmehr dahingehend zu erfolgen, dass der Retter seine Erkenntnisfähigkeiten und -möglichkeiten voll ausschöpft und die so gewonnene Erkenntnis unter Anspannung aller seiner geistigen Kräfte sorgfältig und gewissenhaft würdigt. Die Prognose des Ausmaßes der Gefährdung unterliegt damit einer objektivierten subjektiven Betrachtungsweise ex ante.715

711 Vgl. Sachs, BayVBl. 1983, 489 (494); Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (779); Radtke, S. 303. 712 So ausdrücklich auch Peterson, NZWehrr 1989, 239 (240 f.). 713 Wie hier Peterson, NZWehrr 1989, 239 (247 f.). 714 Vgl. Peterson, NZWehrr 1989, 239 (246). 715 Siehe Peterson, NZWehrr 1989, 239 (246 f.).

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

b) Private Retter Entsprechend ist für den privaten Retter zu entscheiden. Bei Rechtspflichten, die aus § 323 c StGB oder Garantenstellung resultieren, ist mit Auftreten einer nennenswerten konkreten Gefahr für die leibliche Unversehrtheit die Grenze der Zumutbarkeit der Hilfeleistung überschritten.716 Dies muss auch für den Leibwächter gelten, dessen Übernahme des Schutzes717 für eine Person nicht so weitreichend sein kann, sich bewusst in die Schusslinie des Attentäters zu werfen. Die rechtliche Pflicht, den eigenen Tod oder eine schwere Verletzung in Selbstaufopferung herbeizuführen, lässt sich rechtsstaatlich, auch im Hinblick auf § 35 I 2 StGB, nicht erheben.718 Dies ist letztlich eine Folge des gesellschaftsvertraglich organisierten Staates, der in erster Linie ein Instrument zur Bewahrung individueller Freiheiten, insbesondere individueller Rechte und Interessen bildet und daher nie zur letztgültigen Rechts- und Interessenaufhebung, d.h. zur Aufgabe der individuellen Existenz verpflichten darf.719 Ansonsten würde sich die Rechtspflicht nicht als Interessenbewertung darstellen, der als Ausdruck des kategorischen Imperativs praktische Vernünftigkeit zukommt.720

716 Vgl. Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 323 c Rdnr. 21; Sch/Sch/Stree, Vorbem §§ 13 ff., Rdnr. 156; Tröndle/Fischer, § 323 c Rdnr. 7; Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (779); Radtke, S. 301; BGH NStZ 1994, 29; OLG Köln VRS 24, 54 (58). Für private Retter so auch ausdrücklich Otto, Pflichtenkollision, S. 80. Sehr str. ist, ob es sich bei der Zumutbarkeit und damit der Gefahrenprognose um ein Tatbestandsmerkmal oder um ein Schuldmerkmal (mit der Folge des § 17 StGB) handelt, vgl. Tröndle/Fischer, § 323 c Rdnr. 9 m.w. N. 717 Bemerkenswert insoweit die Vereidigungsformel für die neuen Rekruten der Schweizergarde: „Ich schwöre, treu, redlich und ehrenhaft zu dienen dem regierenden Papst (Name des Papstes) und seinen rechtmäßigen Nachfolgern, und mich mit ganzer Kraft für sie einzusetzen, bereit, wenn es erheischt sein sollte, selbst mein Leben für sie hinzugeben. [. . .]“ (Hervorhebung vom Verfasser), vgl. Eintrag „Schweizergarde“. 718 In diesem Sinn auch Sch/Sch/Lenckner/Perron, § 35 Rdnr. 25; Roxin, AT I, § 22 Rdnr. 41. Daher wird nach richtiger Ansicht selbst im Fall der Absichtsprovokation dem Provokateur, soweit ein Ausweichen und Schutzwehr nicht erfolgsversprechend sind, das Notwehrrecht als solches nicht versagt, zumindest soweit das Leben oder elementare Integritätsinteressen des Provokateurs betroffen sind; vgl. Sch/Sch/ Lenckner/Perron, § 32 Rdnr. 57; Bockelmann, Honig-FS, S. 19 (29 und passim); Stuckenberg, JA 2001, 894 (903 Fn. 171 m.w. N.); abl. Roxin, AT I, § 15 Rdnr. 67. Zur – fragwürdigen – Konstruktion der actio illicita in causa in diesen Fällen siehe BGH NJW 2001, 1075 (Fall des auf andere Weise verschuldeten Angriffs) und bereits Baumann, MDR 1962, 349; berechtigte Kritik bei Roxin, AT I, § 15 Rdnr. 75 ff. mit umfassenden Nachweisen zur ablehnenden Haltung; siehe auch unten Fn. 826. 719 Siehe Momsen, S. 281. 720 Vgl. Momsen, S. 536.

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2. „Vernünftige“ Rettungsaktionen jenseits des rechtlich Gebotenen? Vor diesem Hintergrund erscheint es schwer vorstellbar, welche Sachverhalte, bei denen keine Handlungspflicht besteht, gleichwohl noch als vernünftig im Sinne der Chancen-Risiko-Abwägung anzusehen sein sollen.721 Denn wenn sich die Handlung bereits nach Subsumtion unter die Handlungspflicht als unzumutbar erwiesen hat, erscheint es widersinnig, dieselbe Handlung noch als sozial erwünscht und damit als vernünftig anzusehen. Die rechtliche Beurteilung kann nicht bei Verlassen des Feldes der rechtlichen Gebotenheit eine andere Einschätzung erhalten, denn die rechtliche Beurteilung haftet der jeweiligen Handlung an und trägt die Kategorisierung fort. Ansonsten entstünde ein Spannungsbereich, der in den Vorwurf münden müsste, dass das Recht dem bedrohten Rechtsgut nicht den angemessenen Schutz zugewiesen hat. Man muss daher davon ausgehen, dass bei einer Festlegung der Reichweite der jeweiligen Rettungspflichten, die einerseits die Möglichkeiten des Retters zur Rettung und andererseits seine Fähigkeiten zum Selbstschutz ernsthaft berücksichtigen, kein Raum für eine „vernünftige“ Rettungshandlung jenseits des rechtlich Gebotenen besteht.722 III. Die strafrechtliche Relevanz des Vorverhaltens

Von grundlegender Bedeutung für die Beurteilung von Retterschäden ist die Frage nach der strafrechtlichen Relevanz des Vorverhaltens. Die Problematik stellt sich insbesondere bei der Ausübung von (Risiko-)Sportarten723 und der Durchführung von Suizidversuchen. Frisch will solches selbstgefährdendes Verhalten nicht als tatbestandsmäßig missbilligtes Verhalten ausweisen. Seine Argumentation geht – bezogen auf Selbsttötungsversuche – dahin, dass der sich selbst Gefährdende in der notstandsähnlichen Ausnahmesituation von einer mit Strafe bedrohten Norm nicht mehr erreicht werden könne, bzw. bei riskanten Eigengefährdungen von einer Bagatellisierung seines Verhaltens ausgehe und damit einer potentiellen Bestrafung die Grundlage entziehe.724 Dies stelle keine Kapitulation des Rechts vor gewissen Angriffen auf Rechtsgüter dar, sondern der Verzicht auf die Einstellung in den Tatbestand trage nur dem Umstand Rechnung, dass Verhaltensweisen, denen strafrechtlich von vornherein nicht aussichtsreich entgegengewirkt 721

Wohl erstmalig wirft Radtke, S. 304 diese Frage auf. Überzeugend Radtke, S. 304 f., 430; ders., ZStW 110 (1998), 848 (880); MK/ Radtke, § 306 c Rdnr. 21. Zustimmend Liesching, S. 132. 723 Kretschmer, SpuRt 2002, 4 bezieht seine Gegenüberstellung explizit auf Selbstgefährdung im Sport, freilich ohne klarzumachen, dass die dargestellten Meinungsströmungen auf anderen Sachverhaltskonstellationen gründen. 724 Vgl. Frisch, S. 492. 722

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

werden könne, in den strafrechtlichen Tatbeständen jedenfalls dann nichts zu suchen haben würden, wenn die Feststellung solcher Ungeeignetheit des Strafmittels für die ganze Klasse dieser Verhaltensweisen gelte.725 Die Argumentation Frischs mag in Bezug auf Suizidversuche noch in gewisser Weise nachvollziehbar sein, jedoch kann sie das Feld der Selbstgefährdungen, insbesondere im Sport, nicht tragen. Hier von einer Nichterreichbarkeit des Verursachers auf Grund subjektiver Bagatellisierung auszugehen, müsste bedeuten, auch in anderen ganzen Deliktsklassen, beispielsweise des Betäubungsmittelstrafrechts, von einer fehlenden strafrechtlichen Relevanz auszugehen; denn auch hier wird der Konsument oder Dealer sein Verhalten bagatellisieren, da er es als Ausdruck seines Rechts auf Rausch oder der mündigen Entscheidung der Konsumenten ansehen wird. Solche Nützlichkeitserwägungen tragen stets die Gefahr in sich, dass das Recht käuflich wird.726 Im Gegensatz hierzu spricht sich vor allem die zivilrechtlich ausgerichtete Literatur für eine Zurechnung aus. Die Autoren erkennen, dass sich aus dem Faktum der Selbsttötung an sich kein deliktisch relevanter Sachverhalt bilden lässt, entscheidend sei aber die Art und Weise der Ausführung des Suizidentschlusses.727 Hieraus lasse sich eine Gefahrvermeidungspflicht dahin aufstellen, auch bei erlaubter Betätigung keine sozialinadäquaten Notlagen herbeizuführen, auf Grund derer für andere die zumindest sittliche Verpflichtung zum selbstgefährdenden Eingreifen bestehe.728 Der Lebensmüde muss also im „stillen Kämmerlein“ aus dem Leben scheiden, und der Bergwanderer hat sich adäquat auszurüsten, will er nicht als Reflex seines Verhaltens inhärente strafrechtliche Verantwortung auf sich laden. Für das Strafrecht hat sich Biewald dieser Auffassung angeschlossen; für seine Konstruktion geht er davon aus, dass eine Pflicht bestehe, keine Notlagen entstehen zu lassen, womit er die unmittelbare Handlung des Hintermanns – Gefahrschaffers – begründet.729 Diese Ansicht ist abzulehnen und auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Gedankens einer Risikoerhöhung rettbar. Denn ein erlaubtes gefahrstiftendes Verhalten kann nicht dadurch, dass ein anderer bei einer Rettungsaktion einen 725

Vgl. Frisch, S. 492. Siehe zu diesem Einwand in anderem Zusammenhang bereits oben E.I.4. Von der psychologischen Nichterreichbarkeit kann nur dann ausgegangen werden, wenn – die Denkunmöglichkeit einer solchen Norm einmal beiseite gestellt – die Furcht vor dem angedrohten Strafübel die aus der Gefahrensituation unmittelbar resultierende Angst nicht überwiegen kann; vgl. Küper, Brett des Karneades, S. 13 ff. 727 Siehe Zimmermann, FamRZ 1979, 103 (108); Lüer, S. 147 f. mit Verweis auf die Wertung des § 679 BGB; kritisch aber Siedler, S. 105 f. Eine korrespondierende Argumentation findet sich bei der Problematik der Schädigung des Verfolgers, vgl. hierzu ausführlich unten 6. Abschnitt, A. 728 Vgl. Forst, S. 56; Lang, S. 157; Zimmermann, FamRZ 1979, 103 (108); ders., JZ 1980, 10 (13 f.); Gehrlein, VersR 1998, 1330 (1334). 729 Vgl. Biewald, S. 206 Fn. 74. Zur Systematik Biewalds siehe oben E.VI.2. 726

3. Abschn.: Der Retter als Geschädigter

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Schaden erleidet, nachträglich zu einer zurechenbaren und damit missbilligten Handlung werden.730 Einer solchen Handlung müsste eine implizite Missbilligung anhaften, die im Falle einer misslungenen Hilfsmaßnahme wieder auflebt und die Zurechnung begründet. Eine solche Relation zwischen an sich nicht strafbewehrtem Verhalten und einem bestimmten Erfolg ist dem (Straf-)Recht aber – abgesehen von hierfür exakt bestimmten Tatbeständen mit dem Merkmal der objektiven Bedingung der Strafbarkeit – fremd. Ansonsten müsste beispielsweise der Sportler auf ein per se nicht missbilligtes Verhalten verzichten, nur um keinen zugkräftigen Anlaß für Außenstehende zur Hilfeleistung mit möglicherweise schädlichen Folgewirkungen zu begründen.731 Damit würde die Handlungsfreiheit unzumutbar eingeschränkt und eine vordergründige Scheinfreiheit geschaffen, der eine ständige latente Strafbegründung innewohnt. Man mag hiergegen einwenden, dass – wie im 1. Abschnitt unter B.III.2.b) dargelegt – in bestimmten Situationen durchaus eine Sorgfaltspflicht dahin bestehen kann, sich auf das Verhalten fremder Personen einzustellen, so dass ein an sich rein äußerlich betrachtetes alltägliches Verhalten seine Sozialadäquanz verlieren kann. Hierbei ging es jedoch um die Erkennbarkeit fremder Straftaten. Demgegenüber stellt sich die freiverantwortliche Selbsttötungshandlung als alleine gegen den Suizidenten gerichtet dar. Eine Missbilligung fremder Güter lässt sich darin grundsätzlich gerade nicht erblicken, womit sich auch ein entsprechender Sorgfaltsmaßstab nicht erheben lässt.732 Eine andere Beurteilung ist allenfalls für solche Selbsttötungsversuche mit Appellcharakter gangbar, die signifikanterweise provokativ in aller Öffentlichkeit durchgeführt werden. Denn hier stellt der Täter den riskanten Einsatz Dritter von vornherein in Rechnung und setzt sich im Vertrauen auf eine in letzter Linie erfolgende Klärung der Situation der Gefährdung aus.733 730 Siehe Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (777) sowie Burger, SpuRt 2007, 149 (152 i.V. m. Fn. 43). 731 Mit Recht kritisch Degener, S. 374 f. und Schumann, S. 70 Fn. 2. Eine pflichtwidrige Handlung liegt natürlich vor, wenn beispielsweise der Skifahrer die ausgeschriebenen Pisten verlässt. Eine Pflichtwidrigkeit kann auch darin begründet sein, dass ein erfahrener Bergsteiger einen unerfahrenen Wanderer mit auf eine schwierige Bergtour nimmt und dieser wegen Überforderung beim Abseilen verunglückt – hier ist jedoch die die Pflichtwidrigkeit ausschließende Eigengefährdung des Teilnehmenden im Hinblick auf Wissen und Risiko der Gefahr im Einzelfall konkret zu bestimmen, vgl. Reitmaier, S. 123 ff. (insbesondere 127). 732 Wie hier Frisch, S. 492 f. Dem Verhalten kann auch keine zweckveranlassende, auf Nachahmung gerichtete Intention beigemessen werden, denn diese Gefahr ist weder objektiv betrachtet bezweckt noch wird sie subjektiv vom Suizidenten bezweckt sein. 733 Vgl. Frisch, S. 493. Für eine Zurechnung ist dann aber jedenfalls das Bestehen einer rechtlichen Handlungspflicht mit entsprechendem Schutzanspruch Voraussetzung, siehe ausführlich unten F.VI.2. Für Privatpersonen wird es an einer Hilfeleistungspflicht i. S. d. § 323 c StGB in Ermangelung eines Unglücksfalles regelmäßig fehlen, vgl. Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 323 c Rdnr. 7, bzw. die Zumutbarkeit der

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Wir können damit im Ergebnis festhalten, dass der Frage nach der Zurechenbarkeit eines Retterschadens zwingend die Klärung der strafrechtlichen Relevanz des Ausgangsverhaltens voranzugehen hat. Fehlt es an der tatbestandlichen Missbilligung dieses Verhaltens, kann auch keine Strafbarkeit bei der Involvierung eines Retters eintreten.734 IV. Räumliche und zeitliche Konnexität mit dem Gefahrenfeld

Wenn wir uns die Frage nach der Zurechenbarkeit von Retterschäden stellen, geht es darum, sich klarzumachen, von welchen Konstellationen auszugehen ist, genauer gesagt, ob auch Schäden auf dem Weg zur Gefahrenquelle oder solche nach der Beseitigung der Gefahr überhaupt der Gruppe der Retterschäden zugerechnet werden können. In einem obiter dictum hatte der OGH735 klargestellt, dass ein Unfall, den die Rettungsmannschaft auf dem Weg zum Unfallort erleidet, ein anderes Ereignis darstelle und schon deshalb keine Zurechnung begründen könne.736 Auch in der Entscheidung OGH ZVR 1961, 66737 wird dem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang der Rettungsaktion mit dem Unfallgeschehen unter der Begrifflichkeit der Geschehenseinheit grundlegende Bedeutung beigemessen. Soweit die Konstellation in Deutschland erörtert wird, wird bei räumlicher Distanz zum Verletzten738 schon aus diesem Umstand die Zurechnung verneint, wobei hier vom allgemeinen Lebensrisiko und nicht vom Vorliegen des spezifischen Rettungsrisikos ausgegangen wird.739 Richtigerweise trägt die ArgumenHilfeleistung in Abrede zu stellen sein, siehe Rengier, BT II, § 42 Rdnr. 17 i.V. m. § 8 Rdnr. 18 ff.; unrichtig daher Medicus, JuS 2005, 289 (292). Dagegen kann es für die Polizei geboten sein, Maßnahmen zur Verhinderung der Selbsttötung zu ergreifen, vgl. § 28 I Nr. 2 c) BWPolG, wobei dem Selbstbestimmungsrecht des Suizidenten leitende Bedeutung für die Frage der Verhältnismäßigkeit zukommt, siehe Deger, NVwZ 2001, 1229 ff. 734 Wie hier auch Tiley, The Modern Law Review 30 (1967), 25 (44 f.). Dies hat selbstverständlich auch dann zu gelten, wenn sich das primäre Unfallgeschehen als höhere Gewalt i. S. des § 7 II StVG bzw. als unabwendbares Ereignis nach alter Rechtslage darstellt. Und ebenso für den Fall, dass objektiv überhaupt kein Unglücksfall eingetreten ist, sondern lediglich – unverschuldet – ein solcher Eindruck entstanden ist; vgl. das Beispiel bei Medicus, JuS 2005, 289 (292): Bergsteiger kehrt nicht in sein Quartier zurück, da er nach der anderen Seite hin abgestiegen ist; Medicus ebd. will hier allerdings eine Haftung nach § 823 I BGB für verunglückte Rettungskräfte annehmen. 735 OGH JBl 1959, 164. 736 Siehe bereits oben B.II. Dem OGH zustimmend Kienapfel, ZVR 1977, 162 (164); Burgstaller, S. 110; Leukauf/Steininger, § 80 Rdnr. 26; Kerle, S. 132. 737 Siehe bereits oben B.II. 738 Zimmermann, JZ 1980, 10 (14) nennt als Beispiel den Fall, dass sich der Retter auf dem Anmarsch zum Berg auf ebener Erde bei einem Sturz das Bein bricht. 739 Vgl. Zimmermann, JZ 1980, 10 (14) m.w. N.

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tationslinie mit dem allgemeinen Lebensrisiko aber etwa nur diejenigen Fälle, in denen der Krankenwagen in verkehrskonformer Weise den Unfallort ansteuert. Bei einer riskanten Blaulichtfahrt kann aber – unabhängig davon, ob sich berufsmäßige Retter im Fahrzeug befinden – nicht mehr von einer alltäglichen latenten Gefahr ausgegangen werden.740 Den gebildeten Beispielen lässt sich freilich schwerlich entnehmen, welcher Sachverhalt genau zu Grunde gelegt wird. Will man nicht einem versari in re illicita verfallen, so erscheint es nicht nur berechtigt, sondern vielmehr erforderlich, eine Grenze zu ziehen.741 Wenn der OGH von der Verschiedenheit der Ereignisse spricht, ist dies ein gewinnbringender Aspekt. Wir können diesen Gedanken dahin ergänzen, dass der Retter in den „Bannkreis“, d.h. in die Streubreite der vom Verursacher gesetzten Gefahr gelangen muss, damit überhaupt eine Zurechnung zur kritischen Erörterung steht. Bei fehlender zeitlicher und insbesondere räumlicher Konnexität kann davon nicht ausgegangen werden, denn der Retter ist mit der über den Verursacher geschaffenen Gefahr überhaupt noch nicht in Berührung gekommen. Der Aufmarsch zum Berg oder insbesondere die Rettungsfahrt zum Unfallgeschehen muss sich zwar nicht zwangsläufig als Ausprägung des allgemeinen Lebensrisikos darstellen, doch kann hier mit Roxin von einer berufsspezifischen Gefahr gesprochen werden, die alleine dem Berufsrisiko des tätig Werdenden innewohnt. Eine Relation mit dem geschaffenen Gefahrenfeld kann wegen fehlender Konnexität nicht begründet werden. Eine solche liegt nur dann vor, wenn der Retter Opfer der geschaffenen Gefahrenquelle wird. Die Anfahrt liegt noch außerhalb dieses Feldes.742 Dies unterscheidet den Fall von denjenigen, in denen das vom Primärtäter geschädigte Opfer durch einen Kunstfehler geschädigt wird – dort wurde auf das Opfer eingewirkt, so dass die Gefahr fortwirkt, auch wenn es nun räumlich von dem Schädigungsort verbracht wurde. Gerade diese (mittelbare) Einwirkung auf den Retter fehlt, solange er die Gefahrenquelle noch nicht erreicht hat – ob wir überhaupt, d.h. bei Erreichen des Gefahrenfeldes, von einer Einwirkung auf den Retter ausgehen können, kann an dieser Stelle noch dahinstehen. Damit können wir auch den Fall von BGH NJW 1993, 2234743 einordnen, bei welchem ein Retter nach gelöschtem Brand beim Aufrollen des Wasserschlauches Schaden erlitt. Der BGH sprach hier aus, dass es an einer einsatzbedingten

740

Siehe oben 2. Abschnitt, B.III.5.b). Auch bei BGHZ 101, 215 (222 f.) lesen wir: „Wann das Opfer desjenigen, der den eingetretenen Schaden mindern oder ihn jedenfalls eindämmen will, noch Rettung und Nothilfe ist, bedarf einer Wertung, die den inneren Bezug zur Herausforderungslage und sicherlich auch zeitliche und örtliche Zusammenhänge berücksichtigen muß“. 742 Wie hier Wolter, S. 342 f. Eine Zurechnung zum Verursacher lässt sich auch nicht unter dem Aspekt begründen, dass ein Retter (der Fahrer) einen anderen Retter (den Beifahrer) schädigt, vgl. oben 2. Abschnitt, E. 743 Siehe näher zum Sachverhalt oben B.III. 741

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Gefahrsteigerung mangelte.744 Dem ist zuzustimmen, denn mit Abschluss der Löscharbeiten war die Gefahrenquelle beseitigt, so dass der Retter nicht mehr Opfer dieses Gefahrenfeldes werden konnte, die räumliche Nähe spielt insofern keine Rolle mehr. V. Rettertätigkeit und der Aspekt der Einwilligung

Nach dem Stand der bisherigen Untersuchung müssen wir insofern von einer freiwilligen Handlung des Helfenden ausgehen, als die Freiheit durch ein rechtliches Handlungsgebot gerade nicht ausgeschlossen wird. Im Zusammenhang mit Retterschäden wird indessen, um die Straflosigkeit des Gefahrverursachers zu entwickeln, immer wieder ein argumentum a maiore ad minus angeführt. Wenn die Teilnahme am Suizid oder auch an einer vorsätzlichen Selbstverletzung prinzipiell nicht strafbar sei, müsse dies auch für die Mitwirkung an einer vorsätzlichen Selbstgefährdung gelten.745 Die Argumentation erscheint auf den ersten Blick plausibel, offenbart bei näherer Betrachtung aber einen Denkfehler. Problematisch könnte hier zunächst sein, dass das Opfer nicht vor der Handlung des Täters mit ihr einverstanden ist, sondern sich erst nachträglich den daraus entstehenden Folgen aussetzt.746 Auf Grund dieses konstruktiven Aspekts lässt beispielsweise der BGH im „Nieren-Fall“ die Einwilligung der Mutter in die Entnahme ihrer Niere nicht auch gegenüber dem ursprünglich fehlerhaft handelnden Arzt gelten – mit der Einwilligung in die Operation habe die Mutter nicht auch darin eingewilligt, dass der fehlerhaft handelnde Arzt sie in eine Lage gebracht habe, in der sie zur Rettung ihres Kindes das Opfer an ihrer Gesundheit zu erbringen habe.747 Dass der Vortrag des argumentum a maiore ad minus nicht stimmig ist, zeigt sich jedenfalls abgesehen davon, dass die Selbsttötung ein Rechtsgut betrifft, über welches der Inhaber nicht durch Einwilligung disponieren kann und dass die unbewusste Selbstgefährdung überhaupt nicht thematisiert wird748, an fol744 Emmerich, JuS 1993, 1060 (1061) geht davon aus, dass sich in dem Unfall das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht hat. Der BGH gebraucht die Begrifflichkeit jedoch nicht. 745 Siehe nur Schünemann, JA 1975, 715 (721); Ebert, AT, S. 50 – allerdings einschränkend mit Verweis auf BGHSt 39, 322; Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 115 i.V. m. Rdnr. 107. Roxin ebd. will das Argument allerdings nur auf die rechtlich überschießenden Rettungsaktionen, d.h. die das durch § 323 c StGB gebotene Risiko übersteigen, heranziehen; weitergehend aber ders. ebd. Rdnr. 139 (dazu bereits ausführlich oben E.I.1.). Zur Fragwürdigkeit der Klassifizierung einer Kategorie der nicht handlungspflichtigen aber sozial dennoch erwünschten Rettungsaktionen siehe oben F.II. 746 Vgl. Schünemann, GA 1999, 207 (222). 747 Vgl. BGHZ 101, 215 (224). 748 Genau gesehen von Frisch, NStZ 1992, 1 (5).

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gender Friktion: Schädigt der Rechtsgutinhaber ein eigenes Rechtsgut, so hört das Objekt in dem Moment, in dem der Inhaber es der Zerstörung preisgibt, auf, das Rechtsgut zu repräsentieren.749 Es verliert seinen Status als geschütztes Objekt. Ganz anders aber stellt sich die Situation bei der Gefährdung eines eigenen Rechtsguts dar. Denn hier hat der Rechtsgutsinhaber das Interesse an dem Objekt nicht vollständig verloren, er hofft vielmehr, die Situation ohne Schädigung zu bestehen.750 Der Erfolg stellt sich als die Realisierung eines vom Opfer eingegangenen Risikos dar, nicht als das Ziel der Handlung.751 Die Selbstgefährdung stellt in diesem Zusammenhang kein Minus, sondern ein Maius zur Selbstverletzung dar.752 Das Gleichsetzen der Risikokenntnis mit der „Willigung“753 in den Verlust ist demnach eine Fiktion.754 Dem Gefahrverursacher wird darüber hinaus kein überlegenes Sachwissen über den weiteren Ablauf des Geschehens zukommen, so dass auch keine Fremdgefährdung zu Grunde gelegt werden kann. Hat das Opfer aber sichere Kenntnis von den Folgen seines Handelns, so fehlt es schon begrifflich an einem „Risiko“ und damit an einer bloßen Gefährdung755 – für einen Erst-RechtSchluss bleibt dann kein Raum. Im Übrigen ließe sich der Erst-Recht-Schluss leicht ad absurdum führen. Denn mit derselben Berechtigung müsste man folgern, dass ein Verhalten, das sich als Beihilfe zu einer fremden Vorsatztat darstelle, auch nur Beihilfe sein könne, wenn die Haupttat lediglich fahrlässig begangen wurde. In diesen Fällen eröffnet § 25 I StGB indes die Zurechnung zum Hintermann als mittelbarem Täter.756 749

Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 257 f. Hierzu Puppe, Erfolgszurechnung, S. 258; dies., ZIS 2007, 247 (249); Renzikowski, S. 195; Donatsch, SchwZStr 105 (1988), 361 (372, 376); Gidl, ZVR 1978, 289 (292). Krey, AT 1, Rdnr. 325 hält das Argumentieren mit der Straflosigkeit der Beteiligung am freiverantwortlichen Suizid bei den Retterfällen für gänzlich deplaziert. Kritisch auch Otto, Geerds-FS, S. 603 (621): „Das Handeln in Kenntnis einer bestimmten Gefahrensituation kann nicht verallgemeinernd als Rechtsschutzverzicht interpretiert werden. Die ,Einwilligung‘ in die eigene Gefährdung bedeutet nicht automatisch den Verzicht auf Rechtsschutz“ (Anführungszeichen im Original). 751 Vgl. Zaczyk, S. 53. 752 Vgl. NK/Puppe Vor § 13 Rdnr. 184. Ebenso Schmidt, AT, Rdnr. 185; Jäger, Zurechnung, S. 10 f. 753 Fiedler, S. 72. 754 Vgl. Fiedler, S. 72; Walther, S. 35; Zaczyk, S. 51. Zaczyk ebd. zeigt die generelle Problematik einer Einwilligungslösung bei einer Selbstgefährdung auf: Auf Grund der Offenheit des Verlaufs eines Geschehens, zu welchem Täter und Opfer beitragen, fehlt es – vom Täter aus betrachtet – im Hinblick auf den Erfolg an jenem willensgestifteten Zusammenhang, zu dem – vom Opfer aus gesehen – ein zustimmender Wille (Einwilligung) gebildet werden könnte. 755 Vgl. Christmann, Jura 2002, 679 (681); Otto, Gössel-FS, S. 99 (112). Siehe in diesem Zusammenhang auch Dencker, NStZ 1992, 311 (313); Herzberg, JA 1985, 265 (270). 756 Siehe Renzikowski, S. 195. 750

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

So sehr der Erst-Recht-Schluss in seiner Klarheit zunächst besticht, hinterlässt er doch bei näherem Zusehen in einem grundsätzlichen Punkt nicht auszuräumende Zweifel. VI. Das eigene Lösungsmodell

1. Ausgangslage Die bisherige Erörterung hat gezeigt, dass eine Argumentation mit dem selbst gewählten Berufsrisiko und mit dem Verbleib des Handlungsrisikos beim Retter als Konsequenz des gesetzlichen Handlungsgebots eine Prämisse darstellt, die nicht gangbar ist. Demgegenüber hat uns die Arbeit Biewalds aufgezeigt, dass es sachlogisch nicht korrekt ist, auf Grund eines rechtlichen Handlungsgebots von der Unfreiheit des rechtlich verpflichteten Helfers zu sprechen – ein Umstand, der sich auch mit Hilfe der Auswertung psychologischer Interaktionsvorgänge aufdrängt. Der Verursacher der Gefahrenquelle hat nicht die Entscheidung des Retters verursacht, denn diese ist per definitionem als causa libera gerade unverursacht. Der Verursacher hat jedoch das psychische Material für diese Entscheidung beigebracht.757 Betrachten wir den Vorschlag Biewalds, die Freiheit nach der Art der zuzurechnenden Verantwortung zu bestimmen, nicht allein unter rechtsphilosophischen Gesichtspunkten, sondern legen den Maßstab der praktischen Jurisprudenz zu Grunde, so sieht sich die Ansicht zumindest der Gefahr ausgesetzt, den Vorwurf eines „Freiheits-Splittings“ zu nähren. Zu den Gefahren eines solchen Splittings, das die identische Verhaltensweise an verschiedenen Bezugspunkten ausrichtet, wie wir es in anderem Zusammenhang bei Namias vorgefunden haben, wurde bereits Stellung genommen (vgl. oben 2. Abschnitt, B.IV.6.). Insbesondere gilt zu bedenken, dass eine Willensentschließung in Bezug auf einen rechtlichen Beurteilungsmaßstab entweder freiwillig oder unfreiwillig ist, sie kann aber nicht freiwillig und unfreiwillig zugleich sein.758 Nicht die Freiwil757 Siehe hierzu die Ausführungen von Joerden, S. 117 f. im Bezug auf die Anstiftung. In diese Richtung nun auch der OGH in einer zivilrechtlichen Entscheidung: „Dabei ist zwischen den Interessen des Schädigers und des (meist auch zu dessen Gunsten tätig werdenden) Retters/Schadensbegrenzers abzuwägen, weil grundsätzlich der Willensentschluss des Letzteren in Bezug auf die Gefahren und Risiken, die er mit der geplanten Rettungshandlung auf sich nehmen will, frei ist und vom (Erst-)Täter meist nicht beeinflusst werden kann. Je höher dabei die mit der Rettungshandlung abzuwendende Gefahr oder Beeinträchtigung ist, umso eher wird die Willensbetätigung des Retters durch das schädigende Verhalten des Ersttäters veranlasst sein . . .“; siehe OGH EvBl 2000, 842 (843). 758 Vgl. Mitsch, Rechtfertigung, S. 577; MK/Schlehofer, Vor §§ 32 ff. Rdnr. 128. Anders freilich, wenn die Verhaltensweise in Relation zu unterschiedlichen rechtlichen Beurteilungsmaßstäben steht, d.h. es die „Vorder- und Rückseite“ einer Strafnorm zu bewerten gilt, vgl. oben E.VI.1. a. E.

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ligkeit ist hier relativierbar, sondern allenfalls die anknüpfenden Rechtsfolgen.759 Wenn Biewald davon spricht, dass im Rahmen der Zurechnung von Verantwortlichkeit wegen pflichtwidrigen Verhaltens des Gefahrverursachers das pflichtgemäße Verhalten des Retters einem durch Naturgesetze determinierten Vorgang gleichstehe, so erscheint ein solches Prinzip nicht unproblematisch. Denn die Bedenken gründen in der Frage nach der durch Einwirkung geschaffenen Determination. Zwar sind wir im Zusammenhang mit der Zurechnung von Zweitschäden (Schäden durch den Retter) davon ausgegangen, dass der Primärtäter mit der Erstschädigung gleichsam die Hilfeleistung eines Retters, d.h. den Versuch der Abwendung, determiniert hat, so dass bei Fehlgehen der Hilfeleistung grundsätzlich eine Zurechnung vorzunehmen ist, da die Gefahrenlage weiter besteht und indessen allenfalls durch einen Angriff auf das geschädigte Rechtsgut ihre Zurechnungskraft verlieren würde. Die Determination wurde hier in Relation zur Einwirkung – die nicht alleine im Sinne einer rein kinetischen Einwirkung zu verstehen ist, sondern normativ, d.h. auch unechtes Unterlassen umfassend – auf das primär geschädigte Rechtsgut betrachtet.760 Die Einwirkung auf das primär geschädigte Rechtsgut kann darüber hinaus auch durch die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht mittelbar bewirkt werden, beispielsweise durch das Wegwerfen einer Bananenschale oder das Nichträumen eines vereisten Gehweges761 – hier wird der Geschädigte unbewusst Opfer der Gefahrenquelle bzw. kann dieser nicht ausweichen, er handelt blind im Hinblick auf die Konfrontation mit der Gefahr.762 Bei der Schädigung des Retters fehlt es aber an jeder primär angelegten direkten oder mittelbaren Einwirkung auf den Helfenden – zumindest wenn wir nicht das fragwürdige Konzept einer fahrlässigen mittelbaren Täterschaft zu Grunde legen.763 Denn die Einwirkung lag lediglich auf das primär verletzte oder gefährdete Rechtsgut vor, dies mag den Helfer zur Rettungsmaßnahme veranlasst haben, doch tritt dieser von außen bewusst in ein determiniertes Sys759 So ausdrücklich Mitsch, Rechtfertigung, S. 577. Ablehnend wohl Schlehofer, siehe Mitsch, Rechtfertigung, S. 596 Fn. 4. 760 Auch eine Täuschung stellt eine Einwirkung dar, so dass ein dadurch veranlasster Willensmangel die Unwirksamkeit der Einwilligung zur Folge haben kann – und dies wohl nicht nur bei einem rechtsgutsbezogenen Irrtum, sondern auch bei Motivirrtümern; vgl. Kühl, AT, § 9 Rdnr. 37 ff.; Rönnau, Jura 2002, 665 (674); Mitsch, Rechtfertigung, S. 507 ff. 761 Wie hier auch Niebaum, Haftung, S. 109: „Das In-Verkehr-Bringen oder das InVerkehr-Halten der Gefahrenquelle bedingt erhöhte Rücksichtspflichten“. 762 Siehe auch unten 11. Abschnitt, Fn. 320. 763 Daher spielt es in Bezug auf die Retterschädigung auch keine Rolle, ob das Verhalten des Täters als fahrlässig oder vorsätzlich zu beurteilen ist. Wie hier auch Kerle, S. 131.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

tem hinzu, ohne dass die Verletzung des Retters selbst bereits in der Primärschädigung potentiell angelegt wäre. Unter diesem Verständnis scheint es verfehlt, von einer Determination der Verletzung des Retters zu sprechen (im Gegensatz zur Determination einer möglichen Schädigung durch den Retter in Bezug auf die Abwendung der durch Einwirkung geschaffenen fortwirkenden Ausgangsgefahr). Fehlt es aber an einer Einwirkung auf den Retter, so weist dies nicht zwangsläufig den Weg zu einem Zurechnungsausschluss. Denn die Rechtsordnung könnte durch ihr Handlungsgebot eine Zuweisung zur geschaffenen Gefahrenlage vornehmen und mit diesem Relationsverhältnis eine Zurechnung begründen.764 2. Normative Korrespondenz zwischen Pflichtverletzung des Gefahrverursachers und Schutzanspruch des Retters a) Die Zuordnung der Entstehung der Gefahr Auf Grund der Komplexität des gesellschaftlichen Systems ist es erforderlich, dass die Rechtsordnung das einzelne Individuum in die Erhaltung von Rechtswerten miteinbezieht.765 Wenn die Rechtsordnung dem Hilfspflichtigen ein Handlungsgebot aufgibt, so erachtet sie in diesen – und nur in diesen – Fällen den Einsatz der Rechtsgüter des Retters als zumutbar und erforderlich zum Schutz des bedrohten Gutes. Ein solches Gebot stellt ebenso wie eine ethische Norm keinen Selbstzweck dar, sondern hat den Sinn, das gemeinschaftliche,

764 Wir haben es also nicht mit einer logischen, sondern mit einer wertenden Beurteilung zu tun. Allein der freie Willensentschluss des Geschädigten beendet nicht notwendig die Zurechenbarkeit des Erfolges zum Erstverursacher, vgl. Coester-Waltjen, Jura 2001, 412 (415). Dies gilt auch dann, wenn die Rettung weniger impulsiv als überlegt ausgeführt wird. Anschaulich hierzu die Ausführungen des Richters Benjamin Cardozo in der Entscheidung Wagner vs. International Railway Company des Court of Appeals of New York aus dem Jahre 1921, 232 N.Y. 176 (180 f.): „In this case the plaintiff walked more than 400 feet in going to Herbert’s aid. He had time to reflect and weight; impulse had been followed by choice; and choice, in the defandant’s view, inctercepts and breaks the sequence. We find no warrant for thus shortening the chain of jural causes. [. . .] Continuity in such circumstances is not broken by the exercise of volition“. 765 Anders in einem liberalen Staat mit überwiegend autonomer Aufgabenverteilung. Hier ist es alleine Aufgabe der Polizei, in Not- und Unglücksfällen die erforderlichen Maßnahmen des aktiven Rechtsgüterschutzes zu treffen. Der Wandel dieser Entwicklung wurde relativ spät vollzogen, erst 1935 wurde in Deutschland die unterlassene Hilfeleistung durch den Gesetzgeber strafrechtlich sanktioniert; vgl. näher Kratzsch, S. 384 i.V. m. Fn. 175. Im anglo-amerikanischen Recht findet dagegen der Individualismusgedanke bis heute Ausdruck – es gibt dort keinen allgemeinen Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung; geahndet werden kann sie nur in Vermont (mit einem Bußgeld von $ 100); siehe Reimann/Ackmann, S. 98 Fn. 59.

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soziale Zusammenleben von Menschen mit Mitmenschen zu gewährleisten und in gewisse Bahnen zu lenken.766 Dem Recht kommt damit in erster Linie die Aufgabe der Gestaltungskraft, nicht alleine der Bewertung zu.767 Die Pflicht, einen bestimmten drohenden Erfolg zu verhindern, d.h. rettend einzugreifen, bildet zugleich den axiologischen Grund für die Pflicht, die Hervorbringung eines solchen Ereignisses zu unterlassen. Die bestehende Pflicht eines Subjekts zu aktiver Abwendung eines in einer Notlage drohenden Schadens fordert a fortiori also immer die Auferlegung der Pflicht, von entsprechenden Schädigungen Abstand zu nehmen.768 Hierbei können die strafrechtliche Norm und ihre Zurechnung als normative Muster einer strafrechtlichen Interpretation des sozialen Geschehens verstanden werden – sie kennzeichnen Verantwortungssphären für die Gestaltung der sozialen Welt und leisten damit die strafrechtliche Zuschreibung von Rechtsverletzungen.769 Wenn das Recht eine Handlungspflicht – bemessen an den individuellen Fähigkeiten des Helfers – begründet, so muss danach gefragt werden, auf wen die Situation rückführbar ist. Das bedrohte Rechtsgut, der Normbenefiziar, kommt hierfür, soweit er nicht selbst die gefahrbegründende Situation pflichtwidrig geschaffen hat, nicht als Zurechnungsobjekt in Betracht. Die Entstehung der Gefahr ist alleine auf den pflichtwidrigen Verursacher der Gefahrenlage rückführbar.770 Denn er weist den Retter als Reflex seines schuldhaften Verhaltens der Rolle zu, die die Rechtsordnung zum Schutz des bedrohten Rechtsguts für ihn definiert. Die Materialisierung der Zuschreibung rührt in einer standardisierten Rollenerwartung.771 Durch die Zuordnung wird die Rechtsstellung und Funktion des Rechtsguts im Sozialprozess vorgezeichnet, die Einbuße des Verletzten stört den Ablauf der vom Gesetzgeber gewollten Ordnung – die Dynamik der Güterordnung wird in Bahnen gelenkt, die den Zwecken des Gesetzes zuwiderlaufen.772 Damit hat sich aber nicht der Retter dafür zu rechtfertigen, dass er seine eigenen Rechtsgüter in Gefahr gebracht hat, sondern der Verursacher der Gefahr hat sich dafür zu rechtfertigen, dass er den Retter in eine Situation ge-

766

Vgl. Simon, S. 47. Vgl. Krümpelmann, Jescheck-FS, S. 313 (315). 768 Siehe Hruschka, JuS 1979, 385 (386): In praeceptis affirmativis virtute includuntur praecepta negativa – Eine Rettungshandlungspflicht qua Pflicht, einen Schaden abzuwenden, ohne die Pflicht, die Zufügung dieses Schadens zu unterlassen, kann nur bei Strafe eines immanenten Wertungswiderspruchs gedacht werden. 769 Vgl. Müssig, Rudolphi-FS, S. 165. Siehe auch Kratzsch, Oehler-FS, S. 65 (69): „Unrecht und objektive Zurechnung sind Elemente einer sozialen Organisation von Handlungen und als solche in deren Struktur- und Wirkungszusammenhänge eingebunden“ (Hervorhebungen im Original). 770 Vgl. oben E.I.4. 771 Siehe zu diesem Gedanken auch Dornseifer, Kaufmann-GS, S. 427 (440). 772 Vgl. hierzu Krümpelmann, Bagatelldelikte, S. 97 f. 767

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

bracht hat, in der er sich zum Einschreiten entschlossen hat, um dem an ihn herangetragenen rechtlichen Handlungsgebot nachzukommen.773 Eine mit dem Retter- bzw. Opferverhalten begründete Unrechtsminderung würde somit nur dann im Raum stehen, wenn dem Opfer ein Vorwurf gemacht werden könnte, nämlich die Vorhaltung, eine Obliegenheit zum Schutz der eigenen Rechtsgüter vernachlässigt zu haben.774 Dieser Vorwurf kann aber nicht erhoben werden, da der Retter dem rechtlichen Handlungsgebot nachgekommen ist – die rechtliche Erwartung kann sich nicht zugleich als obliegenheitswidrig in Bezug auf das Integritätsinteresse des Retters darstellen. b) Zurechnungsbegründung der normativen Korrespondenz Entspricht der Retter dem rechtlichen Handlungsgebot bzw. bewegt sich im Rahmen desselben, so genießt er einen Schutzanspruch, nicht pflichtwidrig in eine Lage versetzt zu werden, in der ihm ein mit gewissen Gefahren verbundenes Verhaltensgebot auferlegt wird.775 Denn die Reichweite der an den Täter gerichteten Strafnorm als Bestimmungs- bzw. Verhaltensnorm ist nicht nur danach zu bestimmen, was dem Täter sinnvollerweise verboten werden muss, sondern darüber hinaus auch danach, worauf sich das Opfer – der Retter – aus viktimodogmatischer Perspektive sinnvollerweise verlassen darf.776 Diesem Schutzanspruch steht auf der anderen Seite die Sorgfaltspflicht des Verursachenden gegenüber, der seinerseits dem Handlungsgebot unterliegt, keine gefahrbegründenden Situationen pflichtwidrig zu schaffen.777 Der für die Zurechnung entscheidende normative Zusammenhang zwischen der Sorgfaltspflicht auf der einen und dem Schutzanspruch auf der anderen Seite liegt in der interaktiven Wechselwirkung zwischen diesen beiden Positionen.778 Dieser Zusammenhang ist folglich normativ, da ihm eine rechtliche Gestaltungskraft zugewiesen ist. Der verwirklichte Erfolg gehört deshalb zum Unrecht, weil er aus einer Gefährdetheit erwachsen ist, bei der dem Gefährdeten ein Schutzanspruch auf die

773 So auch Puppe, Erfolgszurechnung, S. 264. Entsprechend für die Gefahrenzurechnung im Polizeirecht Hollands, S. 159 f.: „Denn für das Recht ist das Handeln Dritter, soweit es sich innerhalb des rechtlichen Standards bewegt, bei der Zurechnung überhaupt nicht ,sichtbar‘. [. . .] Hier wie dort bewegen sich die kausal beteiligten Dritten innerhalb des rechtlichen Erlaubten; ihr Handeln wird, wenngleich kausal, vom Recht bei der Zurechnung gar nicht wahrgenommen, solange es sich im Schatten des rechtlichen Standards bewegt“ (Anführungszeichen im Original). 774 Siehe auch Hörnle, JZ 2006, 950 (957). 775 Wie hier ausdrücklich Frisch, Nishihara-FS, S. 66 (80 f.); Sowada, JZ 1994, 663 (665). 776 Siehe Amelung, Eser-FS, S. 3 (7). 777 Siehe nur Frisch, S. 478; Ferschl, S. 282. 778 Vgl. Erb, JuS 1994, 449 (455).

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Berücksichtigung seiner Situation zukommt. Die Pflichtverletzung des Täters stellt sich dann zugleich als die Nichtbeachtung dieses Schutzanspruchs dar.779 Der eingetretene Erfolg – die Verletzung des Retters – bildet demnach nicht alleine ein bloßes Kausalresultat der Handlung des Gefahrschaffers, sondern umschreibt zugleich den Verlust normativ gewährter Interessen des Retters780, „der materielle Gehalt des Unrechts ist die Verletzung menschlicher Interessen“781. Der Haftgrund kann damit nicht nur in einem Eingriff in einen fremden Organisationskreis liegen, sondern kann auch durch eine enttäuschte Verhaltenserwartung, die durch eine vertrauensbegründende Verbindung der Organisationskreise veranlasst wurde, begründet werden.782 Der Unrechtsgehalt resultiert in einer Enttäuschung der gegenseitigen Rollenerwartung. Auch zur Fundierung anderer Rechtsinstitute, insbesondere der Garantenlehre, wird die soziologische Rollentheorie herangezogen.783 Während dort der Einwand im Raum steht, der Rollenbegriff sei zu weit und bilde lediglich ein interpretationsbedürftiges Bündel von Erwartungen an die soziale Position, so dass für die Vielzahl der Lebenssachverhalte eine Vielzahl von Verhaltensmustern bestehe, was eine Durchnormierung gewissermaßen unmöglich mache und sich eine Garantenpflicht für eine konkrete Person in einer bestimmten Situation nicht begründen lasse784, lässt sich dieser Einwand für unser Korrespondenzverständnis entkräften. Die sozialen Rollen sind hier nämlich klar strukturiert. Dem Gefahrverursacher ist missbilligt, pflichtwidrig eine Situation herbeizuführen, die für den Retter eine rechtliche, d.h. zumindest nach § 323 c StGB bestehende, Handlungspflicht begründet; dem Retter ist bei Bestehen einer rechtlichen Handlungspflicht ein Einschreiten vorgegeben. Jeweils lässt sich die soziale Rolle mit ihrer Verhaltenserwartung an der rechtlichen Handlungspflicht eindeutig und universell bestimmen und damit auch die darauf aufbauende Korrespondenzbeziehung. Mit der Ausrichtung an einer vorgegebenen Handlungspflicht gelingt es darüber hinaus, den konkreten Erfolg – die jeweilige Schädi779

So auch Krümpelmann, Bockelmann-FS, S. 443 (450). In diesem Sinn Krümpelmann, Jescheck-FS, S. 313 (315). Dies übersieht Reitmaier, wenn sie aus dem Umstand, dass eine allein kausale Verursachung der Retterschädigung ohne Pflichtwidrigkeit keine Zurechnung zu begründen vermag, den Schluss zieht, dass die aus Sicht des Täters vom Zufall abhängige Verantwortlichkeit – da im Einzelfall auf Pflichtwidrigkeit beruhend – für den Erfolg einen Verstoß gegen das Verbot der Versari-Haftung darstelle, vgl. Reitmaier, S. 120 f. 781 Mezger, GerS 89 (1924), 207 (248). 782 Siehe näher Müssig, Rudolphi-FS, S. 165 (176). Die Verbindlichkeit lässt sich – in Bezug auf die Missbilligung fremder Güter – damit bestimmen, „den eigenen Bereich der freien Organisation wie auch immer in für andere Personen gefahrlosem Zustand zu halten“, vgl. Jakobs, Zurechnung, S. 21. 783 Vgl. Bärwinkel, S. 91 ff.; Philipps, S. 132 ff. Siehe auch Otto/Brammsen, Jura 1985, 530 (535 ff.). 784 Vgl. Otto/Brammsen, Jura 1985, 530 (535 f.). 780

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gung des Retters – in die Zurechnung einzubeziehen. Es findet dann nicht nur eine gleichsame „Einspiegelung des tatbestandlichen Erfolgs“785 über einen allgemeinen Gewährleistungsanspruch statt, sondern vielmehr wird gerade der konkrete Erfolg in die Zurechnung einbezogen. Der Erfolgsunwert der Retterschädigung als vom Gefahrschaffer angestoßener Handlungsimpuls stellt sich hierbei indessen nicht schon allein dadurch als Unrechtsaspekt dar, dass er sich seinem materiellen Gehalt nach als individuelle Interessen- oder Rechtsgutsverletzung offenbart.786 Eine solche Sozialschädlichkeit alleine begründet noch keine Rechtswidrigkeit.787 Der Unrechtsaspekt im materiellen Sinn setzt vielmehr Unrecht im formellen Sinn voraus, d.h. es muss einen Normbezug aufweisen.788 Dieser Normbezug ist am Maß einer Bewertungsnorm zu messen, deren Maßstab in einem Nicht-sein-sollen zu bestehen hat.789 Die Bewertungsnorm ist hierbei auf einen objektiven sozialen Zustand gerichtet – bevor in einem weiteren logischen Verfahren die Transkription in eine imperative Bestimmungsnorm erfolgt.790 Als eine solche Bewertungsnorm lässt sich der den Strafgesetzen inhärente Dualismus, so sie neben der Handlung einen davon geschiedenen Erfolg voraussetzen, verstehen. Diesem Dualismus liegen zwei aufeinander bezogene Bewertungsnormen zu Grunde, von denen die eine als Verhaltensnorm die Vornahme der den Verletzten bedrohenden Handlung, die andere als Schutznorm die Beeinträchtigung der dem Verletzten 785

Siehe zu diesem Einwand C. Hübner, S. 189. Zur Bedeutung des Erfolgsunwerts für die Unrechtslehre siehe Stratenwerth, Schaffstein-FS, S. 177 ff. Dass es sich beim Erfolg um keine bloße objektive Bedingung der Strafbarkeit handelt, lässt sich schon daran erkennen, dass es nicht plausibel erscheint, dass eine objektive Bedingung der Strafbarkeit nicht nur das Ob der Strafe bestimmt, sondern auch die Strafhöhe und die Auswahl der Strafe aus völlig unterschiedlichen Strafrahmen. Dies vermag vielmehr allein ein Merkmal zu leisten, das das kriminelle Gewicht mitbestimmt und daher den Erfolg zum Unrecht zählt; vgl. Erb, S. 160; Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 59. 787 Vgl. Gallas, Bockelmann-FS, S. 155 (162); Jakobs, AT, 1/8; Lesch, S. 247 sowie Voßgätter, S. 167 f., die hervorhebt, dass sich die Unrechtsebene nicht auf die Instrumentalisierung sozialpsychologischer Beziehungen beschränken darf. In diese Richtung aber von Liszt, Gutachten 26. DJT, S. 281 (284). 788 Die Tragweite dieses rechtlichen Sollens steht allerdings mit der zu Grunde liegenden materiellen Wertung in einer Wechselwirkung, die den sachlichen Unrechtsgehalt bestimmt, siehe näher Gallas, ZStW 67 (1955), 1 (23 f., 38 Fn. 76). 789 Instruktiv Gallas, Bockelmann-FS, S. 155 (162) sowie ders., ZStW 67 (1955), 1 (20 ff., 38 ff.) unter Verweis auf Welzel, ZStaatsW 97 (1937), 381 (382). 790 Vgl. Mezger, GerS 89 (1924), 207 (245); Brammsen, S. 98 sowie Voßgätter, S. 168 ff. Dagegen ließe sich bereits die dem Unrecht zu Grunde liegende Norm als Imperativ und damit auch als Bestimmungsnorm ansehen; vgl. Roxin, AT I, § 10 Rdnr. 93. Die Frage gilt es hier jedoch nicht zu beantworten. Denn entscheidend ist alleine jedenfalls die Rückführbarkeit jeder Bestimmungsnorm auf eine entsprechende Bewertungs- bzw. Schutznorm, siehe Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 49. Handlungsunrecht und Erfolgsunrecht sind folglich streng aufeinander bezogen, vgl. Rudolphi, Grundfragen, S. 69 (83). 786

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gewährleisteten Unversehrtheit missbilligt.791 Der Widerspruch gegen das Recht als Bewertungsnorm stellt sich damit als „Herbeiführung eines rechtlich mißbilligten Zustands, nicht [als] rechtlich mißbilligte Veränderung eines Zustands“792 dar. Unrecht („schlechter Zustand“) innerhalb einer sozialen Handlungsorganisation ist damit jeder vom Täter zu verhindernde Zustand des Strafrechtssystems, den dieses nicht mehr tolerieren kann.793 Der Schutzanspruch des Retters entwächst in Folge dessen nicht alleine einem sozialen bzw. sozialethischen Korrespondenzprinzip, sondern gründet in einer – berechtigten – rechtlichen, d.h. normbezogenen Erwartungshaltung. Das durch den Gefahrschaffer begründete Risiko bewegt sich nicht nur außerhalb der „sozialen Erträglichkeit“ – ein von Herzberg gebrauchtes Kriterium794 –, sondern vielmehr jenseits des durch das Recht tolerierten Zustands. Die Wahl des pflichtwidrigen Verhaltens durch den Täter führt zugleich dazu, dass sich der Retter einem mit Gefahren verbundenen Handlungsgebot ausgesetzt sieht; insofern besteht ein funktionaler Zusammenhang zwischen der Missachtung des Rechts durch den Gefahrverursacher, der Verletzung des rechtlichen Schutzanspruchs und damit letztlich der Rechtsgutverletzung. Es liegt eine Brücke vom Handlungs- zum Erfolgsunrecht vor.795 Die Zurechnung wird damit nicht alleine aus der Wirkungsmacht des Rechts aufgezeigt796, sondern auch aus der Sicht des Verletzten und damit aus dessen Polarität zum Täter begründet.797 Diese „normative Korrespondenz“798 begründet eine Zuständigkeit des Verursachers und damit eine Zurechnung, wenn der Retter sich innerhalb des rechtlichen Handlungsgebots bewegt – er ist dann der einzige, der sich pflichtgemäß i. S. der Normerwartung verhält und daher das Schutzbedürfnis für sich beanspruchen kann.799 Die Zurechnung korrespondiert also mit dem jeweils gezogenen Pflichtenkreis.800

791

Vgl. Gallas, Bockelmann-FS, S. 155 (162). Mezger, GerS 89 (1924), 207 (245 f.); zust. Krümpelmann, Bagatelldelikte, S. 71. 793 Vgl. Kratzsch, S. 121, 186, 389; siehe auch Roxin, AT I, § 10 Rdnr. 93 Fn. 143. Freilich muss der „Zustand“ gerade über eine Handlung bzw. ein rechtlich relevantes Unterlassen vermittelt worden sein; vgl. Sinn, S. 286 f. 794 Vgl. Herzberg, S. 305. 795 Siehe auch Erb, S. 169. 796 So aber nun Jakobs, ZStW 107 (1995), 843 (844 ff.); vgl. auch Sinn, S. 242. Gewichtige Einwände, insbesondere die Zirkularität der Begrifflichkeiten Jakobs’ hervorhebend, führt Sacher, ZStW 118 (2006), 574 (589 ff.) an. 797 Dies hervorhebend neben Gallas, Bockelmann-FS, S. 155 (161 f.) auch Krümpelmann, Jescheck-FS, S. 313 f.; ders., Bagatelldelikte, S. 66–98; Würtenberger, S. 65; Küper, GA 1980, 201 (215 ff.) sowie Wolter, Zurechnung, S. 28. 798 Erb, JuS 1994, 449 (456) und bereits Krümpelmann, Jescheck-FS, S. 313 ff. 799 In diesem Sinn auch Ferschl, S. 283 (in Zeile 1 ebd. handelt es sich [„Täter“] um eine Begriffsverwechslung). 800 Insoweit übereinstimmend SK/Wolters/Horn, § 306 c Rdnr. 4. 792

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Insoweit begegnet auch die objektive Vorhersehbarkeit des Erfolges keinen Bedenken, denn das pflichtgemäße Verhalten des Retters an sich, dem eine latente Gefährdung inhärent ist, hat der Gefahrverursacher stets in Rechnung zu stellen.801 Mit der Begründung der Zuständigkeit des Verursachers wird dieser gleichsam angehalten, darauf zu achten, nicht kausal für schadensstiftende Willensbetätigungen eines anderen zu werden, die das Recht von diesem einfordert; dies ist Ausdruck der generellen präventiven Funktion des Strafrechts.802 c) Einschränkungen Zu beachten gilt hierbei allerdings, dass die Retterhandlung, so sie im Kontext eines Handlungsgebots vorgenommen wird, überhaupt offensichtlich geeignet ist, den Schaden abzuwenden – das Zusammenrechen von trockenem Blattlaub, um das Ausbreiten eines Feuers zu verhindern im von Hart/Honoré803 mitgeteilten Sachverhalt, erfüllt diese Voraussetzung nicht. Ebenso darf die Verhaltensweise des Retters nicht reziprok zur Ausdehnung und Intensivierung der Gefahrenlage stehen. Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn sich der Retter trotz offensichtlichem Benzinaustritt eine Zigarette ansteckt und damit die Gefahrenquelle – auch in Bezug auf ihn selbst – neu definiert. Nicht nur die Aufnahme der Hilfeleistung, sondern auch die einzelnen Verhaltensweisen in Ausführung derselben müssen der rechtlichen Erwartung entsprechen, d.h. dürfen sich nicht als unvernünftig bzw. leichtfertig darstellen. An der objektiven Eignung fehlt es auch für den Fall, dass der Retter getäuscht wird: Angenommen der durch den Primärschädiger in Gefahr geratene Hilfsbedürftige erlaubt sich dem Retter gegenüber einen „Scherz“ und gibt wider besserem Wissen an, dass sich in dem in Brand stehenden Gebäude noch Hilfsbedürftige befinden sollen. Kommt der Retter infolgedessen bei der vermeintlichen Rettungsaktion zu Schaden, so fehlt es auch hier an der Rückführbarkeit auf den Primärschädiger. Man wird daher verallgemeinernd sagen können, dass sich im Fall einer reinen Anscheinsgefahr (bzw. erst recht bei einer Scheingefahr804), zu deren Entstehen der Primärschädiger nicht beigetragen hat, keine zurechnungsbegründende normative Korrespondenz festmachen lässt, da es an der objektiven Eignung der Rettertätigkeit fehlt.805 801 Dagegen kann die Vorhersehbarkeit der durch den Retter vermittelten Einwirkung auf einen Hilfsbedürftigen restriktiver beurteilt werden, da hier eben auch dieser Geschehensablauf in seinen wesentlichen Zügen der Adäquanz zu genügen hat; vgl. hierzu den Rspiratoren-Fall oben 2. Abschnitt, B.V.2.h). 802 Vgl. Wagner, JBl 1984, 525 (526) für das Deliktsrecht. Denn: „Die Akzeptanz des Strafrechts beruht auf Prävention, das ist unsere stabile normative Verständigung“, Hassemer, ZIS 2006, 266 (269). 803 Siehe oben B.I.2. 804 Zur Differenzierung siehe Reichert, Polizeirecht BW, Rdnr. 224 f.

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Darüber hinaus muss die Schädigung des Retters jenseits des allgemeinen Lebensrisikos angesiedelt sein. Stürzt der Retter beim Versuch, Hilfe herbeizuholen, ohne dass der Sturz auf spezifische Anspannung und Hektik zurückzuführen ist – beispielsweise ein Umknicken beim normalen Gehen – so verwirklicht sich in der Verletzung alleine ein allgemeines Lebensrisiko, das keine Zurechnung zum Gefahrverursacher zu begründen vermag. Mit diesem Wissen um die normative Wechselbezüglichkeit der Verhaltensmusters des Gefahrbegründers und des sich innerhalb der rechtlichen Erwartung bewegenden Retters liegt uns das Rüstzeug zur Lösung der eingangs angeführten Fallgruppen zur Hand. Im Einzelnen: 3. Lösung der Fallgruppen a) Rechtlich verpflichtete Retter (oben Fälle 1–3) Besteht für den Retter ein rechtliches Gebot zum Einschreiten – sei es auf Grund einer Garantenstellung806, Amtspflicht oder allgemeinen Hilfspflicht nach § 323 c StGB – und stellt sich die zur Schädigung des Retters führende Handlung als noch von der rechtlichen Hilfspflicht umfasst dar, so gründet die Zurechnung in der normativen Korrespondenz zwischen der Missachtung der Sorgfaltspflicht durch den Gefahrverursacher und dem Schutzanspruch des verpflichteten Retters. Die jeweilige Gefahrtragungspflicht für den Retter bemisst sich nach seiner Stellung – so wird für einen zur Brandbekämpfung ausgebildeten und mit Schutzkleidung ausgerüstetem Feuerwehrmann eine weiterreichende Garantenpflicht festgeschrieben als für einen sonstigen garantenpflichtigen Retter.807 Da in den Beispielsfällen 1 bis 3 keine nennenswerte konkrete Gefahr für die Retter bestand und damit eine rechtliche Hilfspflicht bestand, ist die Zurechnung der Retterverletzungen zum Gefahrverursacher begründet.

805 Eine zurechnungsbegründende normative Korrespondenz lässt sich in dem Beispielsfall allerdings in Bezug auf den Täuschenden begründen. Dass die Rettertätigkeit objektiv gesehen auch in diesem Fall untauglich ist, steht einer Zurechnung hier nicht entgegen, denn das nach verständlicher Würdigung begründete Hilfsgebot in der konkreten Situation lässt sich hier direkt auf die Täuschung und damit auf die Pflichtwidrigkeit zurückführen. 806 Fraglich ist, ob im Beispielsfall 1 auch für den Bruder eine Garantenstellung bestand. Das LG Kiel hat sich unlängst gegen eine generelle Garantenstellung unter Geschwistern ausgesprochen, vgl. LG Kiel NStZ 2004, 157. Tatsächlich besteht für das Verhältnis zwischen Geschwistern kein gesetzlicher Regelungssatz im Gegensatz zu den §§ 1353, 1626, 1631, 1793, 1800 BGB; 2 LPartG. Indessen wird man trotz Fehlens eines speziellen Rechtssatzes bei durch Blutsbande verbundenen nächsten Familienangehörigen in aller Regel eine Garantenstellung anzunehmen haben, siehe Lackner/Kühl, § 13 Rdnr. 10; BGH NJW 1964, 731 (732). 807 Siehe auch Radtke, S. 303.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Tritt eine Kombination der Fallgruppen der Schädigung des Retters und der Schädigung durch den Retter ein808, so sind die jeweils herausgearbeiteten Lösungswege zu kombinieren. Ist also dem Gefahrverursacher die Schädigung des Retters in normativer Korrespondenz zuzurechnen, kann ihm auch eine weitere Schädigung im Wege der Heilbehandlung desselben Retters zuzurechnen sein, diese Zurechnungsfrage bemisst sich nach den in Abschnitt 2 dargelegten Grundsätzen. b) Rettung bei fehlender rechtlicher Verpflichtung (oben Fall 4 a und b) Dagegen sind – wenn auch menschlich nachvollziehbar – unverhältnismäßige Wagnisse dem Retter nach rechtlichen Maßstäben nicht vorgegeben, womit sich über die Wechselwirkung von Sorgfaltspflicht und normativem Handlungsgebot keine Relation begründen lässt.809 Zwar mag der Retter einem innerlichen Handlungszwang unterliegen, für eine Zuschreibung der gegenüberstehenden Verhaltensweisen von Gefahrverursacher und Retter auf der Grundlage einer normativen Korrespondenz bedarf es aber einer kollektivistischen Bewertung der jeweiligen Handlungsweisen. Nur wenn das Recht das Verhalten des Retters seiner Erwartung unterstellt – und diese Bewertung lässt sich nicht individuell, sondern allein kollektivistisch beurteilen – lässt sich die einhergehende Gefährdung auf den Gefahrverursacher rückführen. Im Sinne eines kategorischen Imperativs könnte es schließlich schwerlich widerspruchsfrei gedacht oder zumindest gewollt werden, strafrechtliche Verantwortlichkeit für ein Verhalten zu übernehmen, welches die Rechtsordnung ob seines Risikos negiert. In Fall 4 a) lässt sich daher im Ergebnis keine Zuschreibung zum Gefahrverursacher vornehmen. Auch in den Fällen, in denen sich der Retter in einer der § 35 StGB entsprechenden Situation befindet, kann richtigerweise keine Zurechnung begründet werden. Der Gedanke Ottos, in solch einer Situation einen „erweiterten Selbsterhaltungstrieb“810 zu sehen, der der Situation der riskanten Flucht vor Gewalt entspreche und damit die Zurechnung begründe811, muss sich ebenfalls an objektiven Kriterien messen lassen. Objektiv betrachtet kann jedoch kein selbsterhaltensadäquater Vorgang ausgemacht werden, da sich der Retter gerade erst zur Gefahrenquelle hinbewegt. Auch wenn man die bedrohten, fremden Rechtsgüter 808 Beispiel (Abwandlung des Falles RGSt 29, 218): Durch pflichtwidriges Hantieren mit Feuerwerkskörpern verbrennt einem helfenden Feuerwehrmann die Hose und allerlei darunter. Während der erforderlichen Hauttransplantation unterläuft dem Arzt ein zum Tode führender Kunstfehler. 809 Im Ergebnis ebenfalls Derksen, S. 233. 810 Otto zieht diesen Schluss nicht, aber er lässt sich aus seiner Argumentation herleiten, vgl. Otto, Wolff-FS, S. 395 (411). 811 Zum Selbsterhaltungstrieb in Fluchtfällen siehe unten 4. Abschnitt, C.II.

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der erweiterten Integrität des Retters und damit dem Bereich der Selbsterhaltung zuordnen möchte, so müssen für die Zurechnungsproblematik, die einen Drittbezug und daher eine objektive Bewertung aufweist, die immanenten widerstreitenden Interessen dieser Selbsterhaltung in Ansatz gebracht werden. Die Integrität des Retters muss auch in diesem Fall dem Wert der bedrohten Rechtsgüter gegenübergestellt werden. Von daher hätte auch im Fall BGHSt 39, 322 – unter Außerachtlassung der Alkoholisierung des Retters – eine Zurechnung des Todes des Bruders und damit eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung unterbleiben müssen, da infolge des weiträumig ausgebreiteten Feuers kein gesetzliches Hilfsgebot mehr bestand, welches die Grundlage für eine normative Korrespondenz bilden würde.812 Eine andere rechtliche Beurteilung könnte sich – Tatfrage – für einen professionellen Feuerwehrmann ergeben, dem auf Grund seiner Schutzausrüstung und seines Beurteilungsvermögens des Brandherdes ein Betreten des Hauses wegen erhöhter Gefahrtragungspflicht geboten sein kann – insoweit käme einer verbindlichen813 Weisung eines Vorgesetzten grundlegende Bedeutung zu. Das Modell der normativen Korrespondenz leitet auch die Lösung im Leibwächter-Fall (oben Fall 4 b). Obwohl sich der Retter hier bewusst in die Schusslinie wirft, wird die Fallkonstellation auch unter dieser Voraussetzung in der Literatur alleine im Hinblick auf die aberratio ictus untersucht.814 Indessen handelt es sich auch hier um eine Retterkonstellation, die eine Beschäftigung mit dem Aspekt der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung unabdingbar macht.815 Festzustellen gilt, dass das Verhalten des Leibwächters nicht der rechtlichen Erwartung entsprach, denn wie bereits oben dargelegt816, kann das Recht keine Selbstaufopferungspflicht dahin erheben, den sicheren oder höchstwahrscheinlichen Tod auf sich zu nehmen, ja noch nicht einmal schwerste Verletzungen hat der Retter hinzunehmen. Ein in der normativen Korrespondenz gründenden Schutzanspruch des Retters lässt sich damit nicht proklamieren – das Dazwischenwerfen muss als eigenverantwortliche Selbstgefährdung bewer812

Die unzumutbare Risikohöhe hebt auch Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 117 hervor. Siehe oben F.II.1.a)aa) a. E. 814 Siehe Wolter, Grundfragen, S. 103 (128 ff.); Hardtung, Lehrskript Strafrecht AT, 2. Kapitel: Das vorsätzliche vollendete Handlungsdelikt, S. 31 Rdnr. 192 ff. (Stand 3. Januar 2007), abrufbar unter . Differenzierter Husak, Notre Dame Journal of Law, Ethics & Public Policy 10 (1996), 65 (82 f.): Grundsätzlich Zurechnung; nicht aber wenn A eine Bombe auf B wirft und der Retter sich in Erwartung eines Märtyrertodes auf die Bombe wirft, obwohl er sie auch hätte entschärfen können. 815 Das Charakteristikum dieses Falles liegt zwar in der bewussten Hinnahme einer Verletzung oder Tötung, aber es fehlt an einer vor dem Eingriff erteilten Einwilligung in die Schädigung, wie es im „Nieren-Fall“ von BGHZ 101, 215 der Fall war, siehe auch oben Fn. 438. 816 Oben F.II.1.b). 813

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

tet werden. Für den Terroristen T hat es bei einer Strafbarkeit wegen eines versuchten Tötungsdelikts an A zu verbleiben. Diese Sichtweise beansprucht darüber hinaus Geltung für die Fälle der Selbstaufopferung. Die Entnahme der Niere der Mutter – BGHZ 101, 215 – kann mangels rechtlicher Verpflichtung zu diesem Schritt für den pflichtwidrig die Notwendigkeit der Maßnahme herbeiführenden Arzt keine strafrechtliche Haftung begründen. Gleiches gilt für Fälle der Selbstaufopferung im Straßenverkehr, bei welcher ein Verkehrsteilnehmer eine objektive Gefährdung auf sich nimmt, um eine Verletzung eines anderen (pflichtwidrig handelnden) Verkehrsteilnehmers zu verhindern. Auch hier lässt sich ohne rechtliche Handlungspflicht keine die strafrechtliche Zurechnung begründende Korrespondenz erheben. Seine Schäden kann der sich Aufopfernde alleine im Wege der zivilrechtlichen Haftung zum Ansatz bringen, wobei hier der Regelung des § 7 II StVG zentrale Bedeutung zukommt.817 Nicht in die Zuständigkeit des Verursachers fällt es des Weiteren, wenn der Retter – sei es auch bei Ausübung einer handlungspflichtigen Rettungsaktion – von einem anderen Retter pflichtwidrig geschädigt wird (oben 2. Abschnitt, A.IV. Fall 15); denn den Bezugspunkt der Schädigung stellt hier das pflichtwidrige Verhalten des anderen Retters dar, dem der Geschädigte ausgesetzt ist, und nicht die risikobehaftete Handlungspflicht des Helfers an sich.818 Auch im umgekehrten Fall, d.h. bei einer zwischengeschalteten Pflichtwidrigkeit, lässt sich richtigerweise keine Zuschreibung zum Gefahrverursacher vornehmen. Beispiel: Der Gefahrverursacher führt eine Notlage herbei – der Retter R1 handelt riskant, d.h. jenseits des rechtlichen Handlungsgebots – dies veranlasst den Retter R2 seinerseits dem R1 zu Hilfe zu kommen, wobei R2 einen Schaden erleidet. Auch hier ist der Anlass des Eingriffs des zweiten Retters R2 ausschließlich das Verhalten des ersten Retters R1 und nicht die von der ursprünglichen Gefahrschaffung ausstrahlende rechtliche Handlungspflicht. Eine Korrespondenzbeziehung ließe sich hier allenfalls zwischen dem Verhalten von R1 und R2 feststellen, wobei allerdings fraglich wäre, worin die ausstrahlende Pflichtwidrigkeit (strafrechtliche Relevanz des Vorverhaltens) des R1 zu sehen sein sollte. 817 Siehe hierzu BGHZ 38, 270; OLG Frankfurt am Main MDR 1976, 1021; OLG Hamm DAR 2001, 127; Martinek/Theobald, JuS 1997, 805 (807 f.) (zu § 7 II StVG a.F) und Friedrich, NZV 2004, 227 (zu § 7 II StVG n. F.); siehe auch Breith 2002, 889 und KG NZV 2003, 483. 818 Siehe zu dieser Konstellation bereits oben 2. Abschnitt, E. Richtig entschieden daher BGHSt 3, 62 – Keine strafrechtliche Verantwortung des Hilfsbedürftigen für Schädigung des Retters während der Hilfsbemühungen durch einen Dritten. Abzulehnen LG Nürnberg-Fürth NJW 1999, 3721: Haftung des Angreifers (A) aus unerlaubter Handlung, wenn ein Dritter (D) dem Angegriffenen (O) zu Hilfe kommen will, aber seinerseits von einem Vierten (V) – der in keiner mittäterschaftlichen Verbindung mit dem A steht – angegriffen wird.

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c) Rettung eigener Güter (oben Fall 5) Wenn wir eine Zurechnung in Bezug auf den rechtlich verpflichteten Retter im Wege einer normativen Korrespondenz etablieren, müsste die Zurechnung im Falle der Rettung eigener Güter ausscheiden, denn deren Rettung ist gesetzlich nicht vorgegeben. Da es für den Verursacher der Gefahrenquelle aber oftmals vom Zufall abhängen und nicht steuerbar sein wird, ob rettereigene oder retterfremde Güter betroffen sind, müssen wir unser Modell für diese Fallgruppe erweitern. Um eine Friktion zu vermeiden, muss das rettereigene Gut fiktiv als fremde Sache angesehen werden und nun die Subsumtion dahingehend erfolgen, ob die Rettung einem gesetzlichen Handlungsgebot unterfallen würde. Damit weist sich zugleich der Weg, ob der Wert des zu rettenden Gutes individuell oder kollektivistisch zu bestimmen ist. Verlangt die Rechtsordnung die Aufopferung für ein Gut, so kann der impliziten Güterabwägung nur ein kollektivistisches Verständnis zu Grunde liegen. Die Güterabwägung hat sich an § 34 StGB zu orientieren, so dass für den Retter individuell höchst zu bewertende Güter – seien es Familienfotos oder wichtige Geschäftsunterlagen – in der Abwägung auch unter Berücksichtigung der drohenden Gefahren grundsätzlich nicht höher als die Integrität des Retters zu beurteilen sind und damit bei entsprechender Gefahrverwirklichung keine Zurechnung festgeschrieben werden kann.819 Hätte der Bruder in der Entscheidung BGHSt 39, 322 das brennende Haus nachweisbar zur Rettung eigener Rechtsgüter betreten, müsste die Zurechnung auch für diesen Fall negiert werden, da die körperliche Unversehrtheit und das Leben des Retters höher wiegen als jeglicher Sachwert. d) Der in der Steuerungsfähigkeit eingeschränkte Retter (oben Fall 6) Die Entscheidung BGHSt 39, 322 wies eine Besonderheit auf, die die Problematik der Zurechnung mit einer weiteren Schwierigkeit belegt: Der Retter hatte eine Blutalkoholkonzentration von 2,17 ‰. Die alkoholische Intoxitation erreicht damit den Schwellenwert, der grundsätzlich eine verminderte Schuldfähigkeit i. S. des § 21 StGB nahelegt.820 Dieser Umstand veranlasst Autoren, die der Zurechnung von Retterschäden grundsätzlich ablehnend gegenüber stehen, unter dieser Voraussetzung dennoch eine Zurechnung vorzunehmen. So lesen wir bei Roxin821: „Das Urteil dürfte 819 Wie hier Rudolphi, Fälle, S. 150 f; Haft, Fallrepetitorium, Nr. 1494; ders., BT II, S. 227; Gropp/Küpper/Mitsch, Fallsammlung, S. 212. 820 Siehe nur Tröndle/Fischer, § 20 Rdnr. 19. 821 Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 117. Entsprechend wohl auch Messner, der das Fehlen von Beurteilungsmängeln als zentrales Element der Eigenverantwortlichkeit betont, vgl. Messner, ZVR 2005, 43 (44 und auch 48).

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

im Ergebnis nur deshalb richtig sein, weil man annehmen muß, daß das Opfer infolge seiner Trunkenheit das Risiko nicht hinreichend übersehen hat“. Auch Ferschl822 argumentiert entsprechend: „Eine Abwägung der Tatbeiträge ist allerdings dann nicht geboten und dem Täter dementsprechend immer der Tod zuzurechnen, wenn der Retter für seine Handlung nicht voll verantwortlich ist“. Eine entsprechende Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit dürfte oftmals naheliegen, wenn Retter nächsten Personen – z. B. die Eltern ihrem Kind – zur Hilfe eilen, die Ausnahmesituation stellt sich dann auf Grund der asthenischen Erregung als affektgleiche Handlung dar.823 Wir sind für unser System bisher von der uneingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Retters ausgegangen. Müssen auch wir eine kategorische Zurechnung vornehmen, wenn der Retter beispielsweise hochgradig alkoholisiert ist? Indessen wollen wir an unserem Modell festhalten und eine Zurechnung auch für diese Fälle – soweit nicht eine rechtliche Handlungspflicht besteht oder die Rettung eigener Güter der Abwägung nach § 34 StGB standhält und jeweils auch die Ausführung der Hilfspflicht der rechtlichen Erwartung entspricht – ausschließen, denn die Alkoholisierung fällt nicht in die Zuständigkeit des Verursachers. Er hat die eingeschränkte Steuerungsfähigkeit nicht herbeigeführt; ganz im Gegensatz zu einem Gastwirt beispielsweise, der an Gäste weiterhin Alkohol ausschenkt, obwohl erkennbar ist, dass diese zu keinem selbstverantwortlichen Handeln mehr fähig sind. Für diese Sichtweise streitet auch eine Lösungsmöglichkeit, die bei Bernsmann/Zieschang angedacht wird: Unter der Prämisse, dass der Retter für eine etwaige Fremdschädigung nach § 323 a StGB gehaftet hätte, ist umgekehrt davon auszugehen, dass der Retter actio illicita in causa für die Selbstgefährdung bei (nicht auszuschließender) Trunkenheit einzustehen hat.824 Auch eine asthenische Schuldminderung kann mangels personaler Einwirkung auf den Retter grundsätzlich nicht dem Gefahrverursacher zugewiesen werden, dies hat auch für Kinder oder sonst in der Schuldmündigkeit eingeschränkte Individuen zu gelten. Denn beispielsweise im Vergleich zum Überlassen gefährlicher Gegenstände825 fehlt es hier an einem direkt risikostiftenden Verhalten.826 Allein auf Grund der subjektiven Unfähigkeit des Opfers kann ein 822

Ferschl, S. 282 (Hervorhebung im Original). Sinngleich Jäger, AT, Rdnr. 50. Vgl. auch Tiley, The Modern Law Review 30 (1967), 25 (27). A. A. K. Günther, StV 1995, 78 (80). 824 Vgl. Bernsmann/Zieschang, JuS 1995, 775 (777 Fn. 25). 825 Siehe BGH NJW 1963, 101 (Verkauf eines Wurfpfeils mit Metallspitze an 10Jährigen); BGH NJW 1973, 615 (Überlassen von Kaliumchlorat an 15-Jährigen) sowie einerseits OLG Düsseldorf VersR 1996, 118 und andererseits BGHZ 139, 43 (Verkauf von jugendfreien Feuerwerkskörpern an Kinder im Grundschulalter). 826 Selbst bei einem risikostiftenden Verhalten ist an den Adressaten grundsätzlich die Autonomieerwartung zu richten. Setzt der Provozierte seinerseits zu einem rechtswidrigen Angriff an, so stellt diese Reaktion eine eigenverantwortliche Selbstgefähr823

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sich sonst ergebender Zurechnungsausschluss nicht – jedenfalls solange nicht die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft begründet sind827 – wieder zurückgenommen werden.828 Eine allein fahrlässige Herbeiführung eines asthenischen Affekts begründet noch keine kategorische Zuständigkeit des Gefahrverursachers.829 Nur wenn der Gefahrverursacher die Rolle des mittelbaren Täters vorsätzlich herbeiführt und damit gezielt auf den Retter einwirkt, indem er die asthenische Erregung bewusst setzt, kann die Zuständigkeit und damit die Zurechnung begründet werden. Erforderlich hierfür ist aber jeweils, dass der Täter die Gefahr gerade mit dem Willen setzt, dass die Empathieperson des bedrohten Guts Zeuge der (bevorstehenden) Schädigung wird und die asthenische Erregung, ebenso wie die Schädigung des Retters, vom Vorsatz des Täters umfasst ist.830 Auch unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist damit keine andere rechtliche Bewertung des Falles BGHSt 39, 322 angebracht. Die die Steuerungsfähigkeit einschränkende Alkoholisierung des Retters fällt nicht in die Zuständigkeit des Brandverursachers und Anzeichen für eine affektgleiche asthenische Erregung sind den Feststellungen nicht zu entnehmen. dung dar, die den Zurechnungszusammenhang unterbricht und daher auch keine Strafbarkeit des Provokateurs aus actio illicita in causa zu begründen vermag; siehe nur Roxin, JZ 2001, 667 (668); Eisele, NStZ 2001, 416 (417); Engländer, Jura 2001, 534 (537); Sch/Sch/Lenckner/Perron, § 32 Rdnr. 61; Sch/Sch/Lenckner, Vorbem §§ 32 ff. Rdnr. 23 sowie Bockelmann, Honig-FS, S. 19 (27). 827 Dies wäre beispielsweise dann der Fall, wenn der Gefahrverursacher dem späteren Retter ohne dessen Wissen Drogen verabreicht, so dass der Retter in der Gefahrensituation die Gefahr nicht mehr realistisch einzuschätzen vermag und – wie vom Gefahrverursacher geplant – infolgedessen bei der Rettung ums Leben kommt. 828 Ausdrücklich Lewisch, ZVR 1995, 98 (102). Eine andere Beurteilung hält Lewisch ebd. nur in den Fällen, in denen der Retter selbst Unfallbetroffener ist, für gangbar. 829 Mithin begründen Schockschäden grundsätzlich keine strafrechtliche Haftung, siehe bereits oben 1. Abschnitt, Fn. 157. Daher wird man richtigerweise auch keine Zurechnung alleine damit begründen können, dass die sich unvernünftig verhaltende Person auf Grund eines Unfalls unter unmittelbarem Schock steht. In diese Richtung aber die Ausführungen des OGH in der Entscheidung OGH ZVR 1992, 30 (31); vgl. oben B.II. (Fn. 431). Für den Fall, dass die unter Schock stehende Person nicht lediglich ein Unfallzeuge ist, sondern der zuvor unmittelbar Geschädigte, lässt sich für eine Zurechnung zwar anführen, dass hier immerhin eine Einwirkung, die den Schock setzte, vorliegt. Dennoch erscheint jedenfalls die objektive Vorhersehbarkeit (Hervorrufen eines Schockes; darauf beruhende unverständliche Rettungsaktion) äußerst fraglich. 830 Entsprechende Fallvarianten sind allerdings schwer zu konstruieren. Zu denken ist hier etwa an den Fall, dass der sadistische Täter die Eltern mit Waffengewalt in Schach hält und vor ihren Augen deren Kind mit Benzin überschüttet und anzündet. In diesem Fall findet also ein Gleichlauf mit einer durch Täuschung bewirkten Einwilligung statt; vgl. oben Fn. 760. In beiden Fällen ist von einer freiwilligen – da dem einwirkenden Täter zuzuschreibenden – Rechtsgutspreisgabe nicht mehr auszugehen. Siehe auch Roxin, AT I, § 13 Rdnr. 104 der in einer solchen Fallvariante von seinem ansonsten strikten Zurechnungsverständnis in den Retterfällen abweicht.

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1. Teil, 2. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

4. Der Gewinn des Lösungsmodells Das hier vorgeschlagene Modell steht insoweit dem Konzept Radtkes nahe, als die Existenz einer zurechnungsbegründenden Situation der sozialen Erwünschtheit oder Verständlichkeit der Rettungsmaßnahme jenseits des rechtlich Gebotenen in Abrede gestellt wird. Daher geht die Zurechnungslösung, wie sie Frisch erhebt, in diesem Punkt zu weit, denn für den Fall der überschießenden Rettungsaktionen, d.h. bei Fehlen einer rechtlichen Handlungspflicht, lässt sich kein normatives zurechnungsbegründendes „In-Rechnung-Stellen“ auf der Prämisse einer „sozialen Erwünschtheit“ erheben. Nur mit dieser Desavouierung gelingt es, die fragwürdige Differenzierung des BGH dahin, ob es sich um ein offensichtlich unverhältnismäßiges Wagnis oder aber um ein Handeln unter der Schaffung eines (noch) einsichtigen Motivs handelt, zu vermeiden. Die Schaffung eines einsichtigen Motivs darf alleine für die Kategorisierung innerhalb der Gesamtbegrifflichkeit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung leitend sein – die Feststellung, dass es sich um ein reaktives Verhalten handelt, begründet mithin alleine noch keine Zuschreibung von Verantwortlichkeit. Die Zuschreibung von Verantwortlichkeit ist vielmehr dann gerechtfertigt, wenn sich der Retter im Gegensatz zum Gefahrverursacher im Rahmen der Normerwartung bewegt und damit alleine einen Schutzanspruch für sein Verhalten beanspruchen kann. Fehlt es an dieser Voraussetzung, so lässt sich keine normative Korrespondenz zwischen der Rollenerwartung der Beteiligten begründen, womit bereits die Zurechnung auszuscheiden hat. Die Korrektur über den Maßstab der angenommenen Unvorhersehbarkeit des unvernünftigen Retterverhaltens bei Radtke wird nicht benötigt. Insoweit besteht auch eine Nähe zur Ansicht Amelungs, der gleichsam einen Schutzanspruch des Retters aus dessen Erwartung in Relation zur Enttäuschung durch den Gefahrverursacher begründet.831 Im Gegensatz zu Amelung wird aber aus der Relation des Täterverhaltens und des Schutzanspruchs des Opfers nicht die Unfreiheit des durch Zwanges gebeugten Opfers hergeleitet. So bleibt die Autonomie des Retters gewahrt und dessen Entschlussfassung als causa libera erhalten – womit dem von Biewald dargelegten Freiheitsverständnis entsprochen wird. Gegenüber Biewald wird allerdings nicht die Konsequenz gezogen, alleine aus dem pflichtgemäßen Verhalten des Retters einen im Sinne eines Naturgesetzes determinierten Vorgang zu begründen; denn ein solches Ingangsetzen lässt sich alleine im Fall eines durch Einwirkung gekennzeichneten Kontaktes bzw. bei Blindheit gegenüber der Gefahrenlage erheben. Nicht die Determiniertheit, sondern die normative Korrespondenz als Ausdruck des über die Gefahrenlage geschaffenen Interaktionsmusters zwischen Verursacher und Retter begründet die strafrechtliche Zurechnung. 831

Siehe Amelung, Eser-FS, S. 3 (7).

3. Abschn.: Der Retter als Geschädigter

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Mit der Zurechnungsbeschränkung der normativen Korrespondenz auf Fälle einer rechtlichen Handlungspflicht bzw. auf einen Abwägungsmaßstab der Rettung eigener Güter anhand von § 34 StGB lässt sich schließlich eine ausreichende inhaltliche Konkretisierung erreichen. Bereits Gimbernat Ordeig führt sein Zurechnungsprinzip auf die „ratio des Verbotenseins des Verhaltens“832 zurück, womit er gleichfalls die konkrete Beziehung zwischen Täter und Opfer hervorhebt. Die Kritik Ulsenheimers an diesem Modell, das Norminterpretierungsverfahren sei zu unbestimmt und führe zu zufälligen Ergebnissen, es könne daher nicht als allgemeine Richtschnur herangezogen werden833, können wir entkräften. Denn mit der hier vorgenommenen Zurechnungsbeschränkung wird ein objektiv bestimmbarer Maßstab geliefert, der unter Verzicht auf wertungsabhängige Kriterien („noch verständliche Rettungshandlung“) ein klar umgrenztes Zurechnungsfeld leitet. G. Ergebnis Für die Zurechnung von Retterschäden können wir als Ergebnis festhalten: (1) Voraussetzung einer Zurechnung sind die strafrechtliche Relevanz des Vorverhaltens (unabhängig von einer Differenzierung nach Fahrlässigkeit und Vorsatz) und die zeitliche und örtliche Konnexität des Retterverhaltens zum Gefahrenfeld. (2) Der handlungspflichtige Retter handelt frei. Die Zurechnung gründet in einer normativen Korrespondenz zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung des Gefahrverursachers und dem Schutzanspruch des rechtlich verpflichteten Retters. Eine sozial erwünschte, vernünftige Rettungsunternehmung jenseits des rechtlichen Handlungsgebots existiert nicht. (3) Die fehlgehende Rettung rettereigener Güter begründet unter dem Abwägungsmaßstab des § 34 StGB eine Zurechnung in normativer Korrespondenz. Das rettereigene Gut muss der an § 34 StGB orientierten Interessenabwägung standhalten, d.h. alleine im Falle eines Überwiegens des Wertes des Sachguts gegenüber der widerstreitenden Gefährdung für die Gesundheit des Retters kann eine Zurechnung begründet werden. (4) Die eingeschränkte Steuerungsfähigkeit des Retters hat auf das Zurechnungsmodell grundsätzlich keinen Einfluss. Eine andere Bewertung ist nur dann angebracht, wenn der Defekt in die Zuständigkeit des Gefahrverursachers fällt, d.h. die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft begründet werden. 832

Gimbernat Ordeig, S. 133. Vgl. Ulsenheimer, Verhältnis, S. 117 f.; gegen Ulsenheimer Krümpelmann, Jescheck-FS, S. 313 (335 Fn. 63). 833

3. Kapitel

Die Zurechnung von Fluchtverhalten 4. Abschnitt

Der Flüchtende als Geschädigter Fälle, in denen das Opfer in panischer Angst vor dem Täter flieht und hierbei geschädigt wird, werden uns insbesondere im Rahmen der erfolgsqualifizierten Delikte eingehend beschäftigen. Für die Deliktsstruktur der reinen Fahrlässigkeit oder den Normalfall eines vollendeten vorsätzlichen Begehungsdelikts wurde die Problematik der Fluchtschäden in der deutschen strafrechtlichen Judikatur bisher nicht erörtert.1 Um uns das notwendige Vorverständnis für die Beurteilung erfolgsqualifizierter Delikte zu verschaffen, sollen zunächst Entscheidungen aus dem allgemeinen Zivilrecht und dem Sozialrecht näher untersucht werden, die sich mit der Zurechnungsproblematik im Rahmen der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik auseinandersetzen. A. Zivilrechtliche Judikatur I. OLG Köln NJW-RR 2000, 1553 Die Klägerin ließ sich an einer Tankstelle von dem Beklagten im Auto mitnehmen. Da der Beklagte Alkohol konsumiert hatte, wollte er sich einer Polizeikontrolle durch Flucht entziehen. Die Klägerin geriet durch das Verhalten des Beklagten in Panik und sprang aus dem fahrenden Fahrzeug. Hierbei zog sie sich einen Bruch des Sprunggelenks zu.

Das OLG sah das Verhalten des Beklagten im Hinblick auf die Verletzung der Klägerin zumindest als fahrlässig an. Unter Rekurs auf die „Herausforderungsrechtsprechung“2 stellt das Gericht fest, dass Willensentschlüsse des Verletzten den Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und

1 Siehe auch Kühl, JZ 2003, 637 (639). Kirschner weist auf eine australische Entscheidung hin, bei welcher der Angeklagte, der seine Frau mit murder-Absicht angegriffen hatte und diese darauf hin auf der Flucht mit tödlichen Folgen aus dem Badezimmerfenster gestürzt war, wegen vollendeten Mordes verurteilt wurde, vgl. Kirschner, S. 50 Fn. 166. 2 Siehe ausführlich unten 6. Abschnitt, A.

4. Abschn.: Der Flüchtende als Geschädigter

247

der Verletzungsfolge dann nicht unterbrechen, wenn sie durch das Fehlverhalten des Schädigers herausgefordert worden sind und eine nicht ungewöhnliche Reaktion darstellen. Das Verhalten der Klägerin sei keine ganz ungewöhnliche Reaktion gewesen, da sie nicht voraussehen konnte, wie sich der Beklagte nach der Nichtbeachtung der Polizeikontrolle als nächstes verhalten würde. Wäre die Klägerin weiter im Wagen geblieben, so wäre sie in eine Flucht involviert geblieben, die auf Grund ihrer Eigendynamik unvorhersehbare Risiken in sich geborgen hätte. In der Sprunggelenksverletzung habe sich ein Risiko verwirklicht, das zu dem auslösenden Ereignis in durchaus angemessenem Verhältnis stehe. Die Voraussehbarkeit eines Sprungs aus einem fahrenden PKW stellt bereits das RG3 fest. Der Angeklagte hatte durch sein fahrlässiges Verhalten das Opfer möglicherweise zu einem rettenden Sprung aus einem fahrenden Kraftwagen veranlasst. Dieses Verhalten sei vorhersehbar, da der Angeklagte durch sein Verhalten das um sein Leben fürchtende Opfer zu seinem Verhalten bestimmt habe. II. BGH NJW 2002, 2232 Der Beklagte lebte von seiner Ehefrau, der Zeugin S, getrennt. Die S unterhielt nach der Trennung eine freundschaftliche Beziehung zum Bruder des Klägers. Am Abend des 30.5.1997 hielt sich die S in der Einzimmerwohnung ihres Freundes auf, wobei ihr der Kläger Gesellschaft leistete. Sein Bruder hatte die Wohnung verlassen, um Getränke zu holen. Zur selben Zeit suchte der Beklagte die Wohnung des Freundes seiner Ehefrau auf und verlangte laut schimpfend Einlass. Er trat die Wohnungstür und sodann die Tür zum Wohnzimmer ein. Der Kläger riss darauf das Fenster auf und sprang aus ca. acht bis zehn Metern Höhe in die Tiefe. Dabei zog er sich erhebliche Verletzungen zu.

Der BGH hebt in seinem Urteil hervor, dass das Verhalten des Beklagten adäquat kausal für den eingetretenen Schaden sei, da das Toben des Beklagten geeignet gewesen sei, eine in der Wohnung befindliche Person im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zu verängstigen und zum Sprung aus dem Fenster zu veranlassen. Der Kläger musste auf Grund des Verhaltens des Beklagten mit einem körperlichen Angriff rechnen, zumal der Beklagte den Bruder des Klägers nicht persönlich kannte und damit zu rechnen war, dass er den Kläger für den Nebenbuhler halten würde.4 Das Verhalten des Klägers sei durch den Beklagten herausgefordert worden. Zwar handle es sich im vorliegenden Fall nicht um den Fall der 3 RG DAR 1938, 197; siehe auch LK/Träger/Schluckebier, § 239 Rdnr. 38. Krit. zu einem Vorhersehbarkeitsverständnis des Geschehens in seinen „wesentlichen Zügen“ MK/Duttge, § 15 Rdnr. 108. 4 Vgl. BGH NJW 2002, 2232 (2233).

248

1. Teil, 3. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

„Nacheile“, doch kämen die genannten Erwägungen indes nicht nur in diesen Fällen zum Tragen, sondern seien vielmehr Ausdruck eines auf rechtlichen Wertungen beruhenden Zurechnungsverständnisses, das allgemein gelte.5 „Wenn der Kl. zum Schutz vor den befürchteten Gewalttätigkeiten den Sprung aus dem Fenster wagte, war dies eine zumindest verständliche und unter dem Gesichtspunkt des Selbstschutzes auch im Ansatz billigenswerte Motivation, die auf der schon angebahnten Linie des Verhaltens des Bekl. lag und sich als Folge des Veraltens des Bekl. darstellte, und dies auch dann, wenn der Kl. entsprechend dem Vortrag des Bekl. von athletischer Statur sein sollte.“6 Für das Verschulden des Beklagten hält es der BGH nicht für maßgeblich, ob der Beklagte mit der Anwesenheit des Klägers in der Wohnung seines Nebenbuhlers und mit dem schädigenden Sprung aus dem Fenster rechnete oder rechnen musste.7 Ein Verschulden sei dem Beklagten schon deshalb vorzuwerfen, da er die Verletzung irgendeiner Person etwa beim Eintreten der Türen in Betracht ziehen musste. „Eine Verwechslung des Tatopfers (error in persona) wäre schon nach allgemeinen Grundsätzen unerheblich.“8 B. Sozialgerichtliche Judikatur Das BSG hatte sich bereits in mehrfachen Fällen mit der Frage auseinanderzusetzen, inwieweit Verletzungen auf der Flucht eine Gewalttat im Sinne des Gewaltopferentschädigungsgesetzes (OEG) darstellen und damit entschädigungspflichtig sind.9 In ständiger Rechtsprechung geht das BSG davon aus, dass der tätliche Angriff10 bis zur Rettung andauert und als schädigendes Ereignis die Folge von Stürzen auf dem Fluchtweg zum Rettungsort einschließt. Die auf der Flucht vor einer Gewalttat erlittenen Sturzverletzungen sind damit keine Unfallverletzungen, sondern Schädigungen infolge dieser Gewalttat, wenn die 5

Vgl. BGH NJW 2002, 2232 (2233). BGH NJW 2002, 2232 (2233 f.). 7 Für die strafrechtliche Zurechnung einer Schädigung auf Grund einer Anscheinsgefahr, die durch gewaltsames Eindringen in eine fremde Wohnung gesetzt wird, spricht sich jedenfalls Puppe, Erfolgszurechnung, S. 174 f. aus. 8 BGH NJW 2002, 2232 (2234); zust. Krauss, JA 2003, 3 (5). 9 § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG lautet: „Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtsmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes“. 10 Ein tätlicher Angriff setzt nach der Ansicht des BSG voraus, dass jedenfalls der Wille des Täters auf unmittelbare Einwirkung auf eine Person gerichtet ist. Daran fehlt es dann, wenn der Täter nur auf eine Sache (beispielsweise eine Wohnungstür) einwirkt und ihm in Hinblick auf die Anwesenheit von Personen die Kenntnis und damit die feindselige Willensrichtung fehlt; vgl. BSGE 56, 234 (236 f.) unter Verweis auf den Angriffsbegriff des RG in RGSt 59, 264 (265). 6

4. Abschn.: Der Flüchtende als Geschädigter

249

Flucht eine den Umständen entsprechende Reaktion und gerade keine unverständliche Verhaltensweise und Überreaktion darstellt.11 Diese Sichtweise erfährt darüber hinaus im Schrifttum grundlegende Zustimmung12, wobei sich hier auch eine über die Auffassung des BSG hinausreichende Extension des Angriffsverständnisses – unter Verzicht auf das einschränkende Merkmal der feindseligen Willensrichtung13 – vorfinden lässt. C. Stellungnahme I. Exkurs: Fluchtreflex und Bewegungssturm aus medizinischer Sicht

Medizinisch betrachtet lassen sich zwei Gruppen von Angst- und Schreckreaktionen unterscheiden, „kindliche“ und „primitive“ Reaktionsformen.14 Die „kindliche“ Reaktionsform ist durch einen Rückfall auf ontogenetisch ältere Reaktionsformen gekennzeichnet, der Betroffene stottert, stammelt oder wimmert und fällt damit auf frühkindliche Reaktionsmuster zurück. Demgegenüber kommt es bei der „primitiven“ Reaktionsform zu einem Rückgriff auf phylogenetisch alte Abwehrmechanismen.15 In Extremsituationen tragen diese Verhaltensmuster den Stempel der Reflexreaktion. Die weitläufigste Form ist durch den Fluchtreflex gekennzeichnet. Ziel jeder Flucht ist die Entfernung aus der drohenden Gefahr. Geschieht dies überlegt, so stellt es eine sinnvolle Verhaltensweise und oftmals die beste Art der Rettung dar. In einer Angst- und Schrecksituation geschieht dies allerdings unüberlegt, und eventuell entgegenstehenden Hindernissen wird keine Beachtung geschenkt – damit kann die kopflose Flucht statt der gewünschten Sicherheit in neue, möglicherweise noch größere Gefahren führen. Stehen keine Fluchtwege offen, so kann es zum Bewegungssturm kommen: Es geht dem Betroffenen dann wie dem Vogel, der sich in ein Zimmer verflogen hat und der nun in rascher Folge reflexartig eine Unzahl von Bewegungen durchführt, um sich einen Ausweg zu bahnen – in der judikativen Praxis führt ein solches Verhaltensmuster zu den gewissermaßen falltypischen Sprüngen aus dem Fenster.16 11 Siehe BSG NJW 1993, 880; BSG Beschluss v. 29.09.1993 – 9 BVg 3/93 [Juris]; BSGE 81, 41 (45 f.); BSGE 90, 6 (9 f.). 12 Vgl. Schulz-Lüke/Wolf, § 1 Rdnr. 101; Kunz/Zellner, § 1 Rdnr. 10 und auch Weintraud, S. 104. 13 Siehe Geschwinder, SGb. 1985, 95 (96 f.) im Hinblick auf Schockschäden; krit. S. Kunz, S. 120. 14 Vgl. Guggenbühl, Angst- und Schreckreaktionen in Katastrophen, in: Faust (Hrsg.), Angst – Furcht – Panik, S. 218 (220 f.). 15 Vgl. Guggenbühl, Angst- und Schreckreaktionen in Katastrophen, in: Faust (Hrsg.), Angst – Furcht – Panik, S. 218 (221). 16 Vgl. Guggenbühl, Angst- und Schreckreaktionen in Katastrophen, in: Faust (Hrsg.), Angst – Furcht – Panik, S. 218 (221).

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1. Teil, 3. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

Auch wenn im psychologischen und psychiatrischen Schrifttum hierbei oftmals von einem „reflexartigen“ Verhalten gesprochen wird17, gilt es zu bedenken, dass es sich um impulsive Abwehr und Kurzschlussverhaltensweisen handelt, die einer „Zwischenzone“ zuzuordnen sind.18 Denn unter einer Reflexhandlung – die nicht dem rechtlichen Handlungsbegriff unterfällt – wird alleine eine Bewegung verstanden, bei der ein äußerer Reiz auf peripher-subkortikaler Ebene in Erscheinung tritt und von einem sensorischen Zentrum unmittelbar auf ein motorisches Zentrum übergeht und somit das handlungssteuernde Willenselement einer Reaktion nicht miteinbezogen wird.19 Demgegenüber fehlt es den Fluchtreaktionen und dem Bewegungssturm an diesen biologischen Funktionen. Diese Verhaltensweisen bilden in ihrer Ausformung als Primitivreaktionen einen Zwischenbereich, gelagert zwischen Reflexreaktionen und Persönlichkeitsreaktionen.20 Die durch Angst und Panik gekennzeichneten Primitivreaktionen lassen sich in Explosivreaktionen und Kurzschlusshandlungen untergliedern. Deren Unterschied liegt im Wesentlichen darin, dass sich Explosivreaktionen als eine elementare motorische Entladung äußern, während Kurzschlusshandlungen eine kompliziertere Struktur aufweisen. Kurzschlusshandlungen sind kompliziertere Abläufe, die trotz des Auftretens eines affektiven Impulses noch ein geordnetes, sinnvolles Ganzes darstellen. Obwohl diese Handlungen weder von den oberen Schichten der Persönlichkeit noch von rationalen Überlegungen oder gegenläufigen Darstellungen emotionaler Art gesteuert, gebremst oder kontrolliert werden können, bewegen sie sich trotz allem innerhalb eines allgemeinen Persönlichkeitsrahmens – sie stellen also zumindest Persönlichkeitsäußerungen dar21, werden aber alleine durch den Selbsterhaltungstrieb geleitet. II. Fluchtschäden und strafrechtliche Zurechnung

Der Zurechenbarkeit von Fluchtschäden, wie sie von der zivil- bzw. sozialgerichtlichen Rechtsprechung vorgenommen wird, ist im Ergebnis zuzustimmen. Allerdings stellt sich die Zurechnungsbegründung als spezifisches Kriterium der Risikoverwirklichung dar und nicht – wie von der Rechtsprechung gesehen – als schlichter Aspekt der Vorhersehbarkeit. 17

Siehe Schewe, S. 27 ff. Siehe auch Sch/Sch/Lenckner/Eisele, Vorbem §§ 13 ff. Rdnr. 40. 19 Vgl. Silva-Sánchez, JRE 2 (1994), 505 (506); OLG Hamm NJW 1975, 657. Die Hervorrufung eines solchen Reflexes müsste folglich wohl als vis absoluta des Angreifers oder Bedrohers gewertet werden. Eingehend zur Abgrenzung von automatisierten Verhaltensweisen und Reflex siehe G. Merkel, ZStW 119 (2007), 214 (216 ff.). 20 Vgl. Silva-Sánchez, JRE 2 (1994), 505 (510 ff.). 21 Siehe ausführlich Silva-Sánchez, JRE 2 (1994), 505 (511). So auch OLG Hamm NJW 1975, 657. 18

4. Abschn.: Der Flüchtende als Geschädigter

251

Das Verhalten des gehetzten oder bedrohten Opfers entspringt dem elementaren Selbsterhaltungstrieb22, sich der Gefahr zu entziehen.23 Der Täter nimmt dem Opfer seinen Freiraum, so dass sich das Opfer der normwidrigen Einwirkung nur durch Flucht und einer damit eventuell verbundenen Selbstgefährdung zu entziehen vermag.24 Die Fluchtreaktion steht daher in einem direkten Motivationszusammenhang mit dem Täterverhalten.25 Soweit der Fluchtschaden in ausreichender zeitlicher und örtlicher Konnexität mit dem pflichtwidrigen Verhalten26 des Täters eintritt, besteht kein Anlass, diesen von der Zurechnung als Folge des „übermächtigen Drucks des Selbsterhaltungstriebs“27 auszunehmen.28

22 Der Selbsterhaltungstrieb steht als Oberbegriff für das Umfassen aller Triebe, die auf die Erhaltung des eigenen Seins ausgerichtet sind. Neben dem Nahrungs- ist dies insbesondere der Schutztrieb, siehe Wundt, S. 236. 23 So explizit Wessels/Hettinger, BT 1, Rdnr. 301. Das RG zieht die Begrifflichkeit des „Selbsterhaltungstriebs“ zum Ausschluss der Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens und damit als Entschuldigungsgrund heran, vgl. RGSt 66, 222 (225). Im konkreten Fall ging es um eine eidliche Falschaussage. 24 Siehe Derksen, S. 239. 25 Vgl. Frister, AT, 9. Kapitel, Rdnr. 37. 26 In den zivilrechtlichen Entscheidungen lag pflichtwidriges Verhalten vor. Sieht man in der Flucht vor der Polizeikontrolle (OLG Köln NJW-RR 2000, 1553) auf Grund des nemo-tenetur-Prinzips kein pflichtwidriges Verhalten (zu diesem Aspekt siehe unten 6. Abschnitt, E.I.), so lag es wenigstens in der Freiheitsberaubung der Mitfahrerin. Der Täter, der die Türe seines vermeintlichen Nebenbuhlers eintrat, verwirklichte jedenfalls einen Hausfriedensbruch. An dem Konnexitätserfordernis fehlt es jedoch in folgendem Fall: A verdächtigt den B wider besseres Wissens einer Straftat (§ 164 StGB), B flieht, um sich der Festnahme zu entziehen, verletzt sich dabei aber tödlich. Abgesehen davon, dass sich die Festnahme nach dem strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff (vgl. § 113 III StGB) als rechtmäßig darstellt, fehlt es auch an einer solchen normwidrigen Einwirkung durch den A. Denn der Selbsterhaltungstrieb wird alleine in einer von Übermacht gekennzeichneten Konfrontation mit dem Täter (A) geweckt, nicht aber schon bei der bloßen Erduldung einer rechtmäßigen Diensthandlung. 27 Ulsenheimer, JuS 1972, 252 (254). 28 So auch die (knappen) Ausführungen des BGH im „Rötzel-Fall“, vgl. BGH NJW 1971, 152 (153); zustimmend Laue, JuS 2003, 743 (746, 747); Wolter, JA 2007, 354 (359). Gewissermaßen spiegelbildlich zur Zurechenbarkeit von Fluchtschäden steht die mangelnde Verantwortlichkeit des Opfers für ungewollte Auswirkungen im Rahmen einer zulässigen Verteidigungshandlung, vgl. BGHSt 27, 313 und BayObLG NStZ 1988, 408 sowie Kühl, AT, § 7 Rdnr. 112 f. m.w. N. Von einem allgemeinen Lebensrisiko könnte nur dann gesprochen werden, wenn das Opfer auf der Flucht zwar einen Schaden erleidet, dieser aber alleine die Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos darstellt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Erregung des Opfers nicht zur Schädigung beiträgt, beispielsweise dann, wenn das Opfer auf der Flucht von einem herunterfallenden Dachziegel erschlagen wird; siehe auch Kirschner, S. 61 mit Nachweisen zum anglo-amerikanischen Schrifttum. Flieht das verängstigte Opfer dagegen unvorsichtig, so ändert auch ein mitwirkendes Verschulden eines Dritten grundsätzlich nichts an der Zurechnung des Todes, so beispielsweise wenn das Opfer unvorsichtig auf die Straße rennt und dort von einem zu schnell fahrenden Fahrzeug erfasst wird; vgl. auch Morgenstern, Jura 2002, 568 (571) für „Taumeln auf die Fahrbahn“.

252

1. Teil, 3. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

Denn in dem Fluchtschaden realisiert sich gerade das durch den Angriff oder die Bedrohung gesetzte (Entwicklungs-)Risiko. Die Streubreite der pflichtwidrigen Einwirkung erfasst auch diesen, über den Selbsterhaltungstrieb vermittelten, Geschehensverlauf. Der Selbsterhaltungstrieb stellt sich somit als Gegenpol zum zurechnungsbegrenzenden Institut der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung dar. Denn das Opfer will sich nicht selbst gefährden, sondern alleine seine Integrität sichern. Dieses Bestreben ist für den Täter grundsätzlich auch vorhersehbar. Eine Einschränkung wird man allenfalls vornehmen müssen, wenn die Fluchtreaktion in völlig unverhältnismäßiger Relation mit dem Entwicklungsrisiko des Angriffs oder der Bedrohung steht – beispielsweise der Sprung aus dem 5. Stock eines Hauses bei mäßiger Gefahrenlage –, in diesem Fall hat der Täter auf Grund der Atypik des Verhaltens des Opfers das Fluchtverhalten nicht in Rechnung zu stellen, womit die objektive Vorhersehbarkeit zu verneinen ist.29 Ein entsprechendes Verständnis legt auch der OGH der Beurteilung eines spezifischen Fluchtfalles zu Grunde. Nach Ansicht des OGH30 fehlt es in derartigen Fällen nämlich darüber hinaus oftmals auf Grund der Panikreaktion am für eine ausschließlich eigenverantwortliche Handlung erforderlichen vollen Bewusstsein in Bezug auf das Verletzungsrisiko, weshalb Erwägungen zum Autonomieprinzip schon deshalb nicht Platz greifen können.31 Auch jenseits der deutschen und österreichischen Strafrechtsjudikatur findet sich eine entsprechende Beurteilung der Fluchtfälle. In den anglo-amerikanisch geprägten Rechtskreisen wird – entsprechend der Bedeutung des Selbsterhaltungstriebs – hervorgehoben, dass die Fluchtreaktion mit ihren Risiken als „na-

29 Im Rahmen der erfolgsqualifizierten Delikte fehlt es in diesem Fall (mäßige Gefahrenlage) an der erforderlichen Konfrontationswirkung in einem geschlossenen System und damit am Unmittelbarkeitszusammenhang, siehe unten 11. Abschnitt, B.II. Während also beim erfolgsqualifizierten Delikt die Zurechnung entfällt, bleibt diese beim allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikt bestehen und eine Freistellung des Täters kann sich lediglich über die fehlende objektive Vorhersehbarkeit ergeben. Ausschlaggebend kann dies bei einem Tatbestand mit strafbegründender schwerer Folge – beispielsweise § 231 StGB – werden: Legt man den Maßstab des erfolgsqualifizierten Delikts an, entfällt der Unmittelbarkeits- und damit der Zurechnungszusammenhang zur schweren Folge; begnügt man sich jedoch mit der allgemeinen objektiven Zurechnung, so kann sich der Täter auch nicht mit dem Verweis auf die fehlende objektive Voraussehbarkeit entlasten, da diese bei Tatbeständen mit objektiver Bedingung der Strafbarkeit gerade keine Bedeutung erlangt; siehe zur Entscheidung unten 15. Abschnitt, C.II. 30 OGH JBl 1996, 804 (805). Das Vergewaltigungsopfer sprang in Panik aus der versperrten Wohnung des dritten Stockes in die Tiefe und erlitt schwere Verletzungen. 31 Übereinstimmend Perkins/Boyce, S. 796. Diese Erwägungen hat die österreichische Rechtsprechung bei den Retterschäden nicht herangezogen. Zur Bedeutung des pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustands siehe unten 9. Abschnitt, A.IV.

5. Abschn.: Der Flüchtende als Schädiger

253

tural consequence“, d.h. als „natürliche Folge“ des Angriffsverhaltens zu bewerten ist.32 Bemerkenswert ist hierbei, dass dieses Zurechnungsverständnis in einigen Strafgesetzbüchern ausdrücklich klargestellt wird. So heißt es beispielsweise in section 222 (5) (c) („Homicide“) des kanadischen Criminal Code: „A person commits culpable homicide when he causes the death of a human being, by causing that human being, by threats or fear of violence or by deception, to do anything that causes his death.“

– Und ganz entsprechend in section 160 (2) (d) („Culpable Homicide“) des neuseeländischen Crimes Act 1961: „Homicide is culpable when it consists in the killing of any person by causing that person by threats or fear of violence, or by dexeption, to do an act which causes his death.“

5. Abschnitt

Der Flüchtende als Schädiger Nachdem die grundsätzliche Zurechnung für die Schädigung des Flüchtenden festgestellt wurde, bleibt zu klären, ob auch Schäden, die der Flüchtende im Rahmen der Flucht einem Dritten zufügt, von der Zurechenbarkeit erfasst sein sollen. So kann der Flüchtende eine unbeteiligte Person umrennen und dadurch verletzen oder der mit dem PKW Fliehende mit einem entgegenkommenden, unbeteiligten Fahrzeug kollidieren. A. Literatur Die Problematik hat ersichtlich noch keine strafrechtliche Aufarbeitung erfahren. Einzig Wagner33 untersucht diese Konstellation näher, allerdings unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten. Auch bezieht er sich mit seiner Untersuchung auf die Konstellation des vor einer Polizeikontrolle Flüchtenden. Seine Argumentation geht dahin, eine Zurechnung und damit eine Haftung für den durch den Flüchtenden verursachten Schaden dann anzunehmen, wenn sich die Ver32 Vgl. die umfassenden Nachweise bei Kirschner, S. 89 ff.; siehe auch Shute, The Modern Law Review 55 (1992), 584. In der anglo-amerikanischen Dogmatik haben sich in den Fluchtfällen eine Vielzahl von Grundsätzen („The reasonable act test“; „The well-founded apprehension test“; „The natural consequence test“; „The foresight test“) entwickelt, die sich jedoch weitgehend überschneiden und folglich grundsätzlich zu übereinstimmenden Ergebnissen führen, vgl. ausführlich Yeo, Journal of Criminal Law 57 (1993), 390. 33 Wagner, JBl 1984, 525 (531 f.).

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1. Teil, 3. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

folgung als Exzess darstellt.34 Soll heißen, auch das polizeiliche Handeln in der Verfolgungssituation muss Maß und Ziel haben. Erscheint die Verfolgung als zu riskant, so liegt ein Verfolgungsexzess vor. Die Haftung gründe dann in der Gewalt über eine Gefahrenquelle, denn mit der Aufnahme der Flucht sei eine Gefahr in die Welt gesetzt worden, die durch die unverhältnismäßige Verfolgung aufrechterhalten und sogar gesteigert werde. Die Exekutivorgane dürfen sich nicht vom Jagdfieber leiten lassen, sondern müssen die unangemessen gewordene Verfolgung aufgeben; von ihnen ist zu erwarten, dass sie einen „kühlen Kopf“ bewahren.35 Übertragen wir die Grundsätze Wagners auf die uns interessierenden Fallgruppen der Flucht vor Gewalt, so müsste Wagner auch hier eine Zurechnung vornehmen. Denn für den Täter gibt es kein Recht, sein Opfer zu verfolgen oder durch sein pflichtwidriges Verhalten zu einer riskanten Flucht zu verleiten. Die Verfolgung bzw. die Bedrohung, stellt also, da sie rechtswidriges Verhalten darstellt, einen Exzess dar, der hier nicht nur in der Aufrechterhaltung der Verfolgung, sondern bereits in der Aufnahme der Verfolgung oder der Veranlassung zur Flucht an sich zu sehen ist. B. Stellungnahme Indessen kann die Argumentation Wagners nicht auf das Strafrecht übertragen werden. Denn der leitende Gesichtspunkt seiner Systematik liegt in der vermögensrechtlichen Restitution des unbeteiligt geschädigten Dritten. Mit der Haftung des Verfolgers will Wagner verhindern, dass „der Flüchtende ein anderes Fahrzeug von der Fahrbahn drängt und selbst entkommt, bevor der Verfolger das Kennzeichen des Fluchtautos ablesen kann. In diesem Fall bliebe der Schaden ohne Haftung des Verfolgers am völlig unschuldigen Dritten hängen, der sicher weniger nahe daran ist, den Schaden zu tragen, als der den Exzeß setzende Verfolger.“36 Vielmehr ist die Schädigung eines unbeteiligten Dritten durch den Verfolgten den gleichen Grundsätzen zu unterstellen, wie wir sie oben für die Schädigung eines unbeteiligten Dritten durch den Retter (2. Abschnitt, D.) ausgearbeitet haben. Demnach kann auch hier mangels fehlender Schaffung einer durch Einwirkung gesetzten Ausgangsgefahr in Bezug auf den Dritten keine Zurechnung erfolgen, wenn das fliehende Opfer einen Dritten – der außerhalb der Streubreite

34

Vgl. Wagner, JBl 1984, 525 (531). Vgl. Wagner, JBl 1984, 525 (531). Auch das OLG Düsseldorf fordert – selbst bei provokantem Verhalten des Fliehenden –, dass der Polizeibeamte Ruhe zu bewahren habe und keine übersteigerten Risiken eingehen dürfe – etwa das Festklammern an einem anfahrenden PKW; vgl. OLG Düsseldorf Schaden-Praxis 1997, 95. 36 Wagner, JBl 1984, 525 (531). 35

5. Abschn.: Der Flüchtende als Schädiger

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der Ausgangsgefahr steht – schädigt.37 Die Schädigung stellt sich für den Verursacher der Flucht als unbeherrschbarer und nicht kalkulierbarer Zufall dar.38

37 Für den Dritten besteht die Möglichkeit einer Entschädigung nach dem OEG, vgl. Kunz/Zellner, § 1 Rdnr. 10. 38 A. A. insoweit der District Court of Appeal of Florida, der von manslaughter ausgeht, wenn das durch gezielt auf es abgegebene Schüsse in Panik geratene Opfer mit dem PKW davonrast und einen Fußgänger überfährt; vgl. Wright vs. State 363 So.2d 617 (Fla.App. 1978). Eine solche Sichtweise ist nur dann angezeigt, wenn sich auch der Dritte in der Streubreite der gesetzten Ausgangsgefahr bewegt, etwa wenn der Täter wahllos in eine Menschenmenge schießt und dadurch eine Massenpanik verursacht, die dazu führt, dass Menschen totgetrampelt oder erdrückt werden. Abgesehen davon kann es selbstverständlich Sorgfaltspflichten zur Verhinderung Straftaten Dritter geben, deren Verletzung die Zurechnung begründen kann; vgl. den Fall von BGHSt 49, 1 sowie bereits oben 1. Abschnitt, Fn. 145.

4. Kapitel

Die Zurechnung von Verfolgerverhalten 6. Abschnitt

Der Verfolger als Geschädigter Auch für die Fallgruppe der Verfolgerschäden existiert keine strafrechtliche Rechtsprechung. Lediglich in der zivilrechtlichen Judikatur hat die Fallgruppe eine umfassende Behandlung erfahren. Um die Problematik einer strafrechtlichen Würdigung unterziehen zu können, müssen wir uns zunächst ein Bild von den Leitentscheidungen der zivilrechtlichen Judikatur verschaffen, wobei wir nach der Verfolgung durch Hoheitsträger und durch Privatpersonen differenzieren. A. Überblick über die zivilrechtliche Judikatur I. Verfolgung durch Hoheitsträger

(1) BGH VersR 1967, 580: Der Beklagte steuerte nachts seinen nicht ordnungsgemäß beleuchteten PKW. Ein Funkstreifenwagen gab dem Beklagten darauf Stoppzeichen. Dieser kam der Aufforderung jedoch nicht nach, da er über keine Fahrerlaubnis verfügte. Es entwickelte sich bei hoher Geschwindigkeit eine Verfolgungsjagd, bei welcher der Fahrer des Funkstreifenwagens in einer scharfen Kurve die Kontrolle über das Fahrzeug verlor. Der Polizeiwagen schlug gegen einen Baum und gegen einen Strommasten. Die Insassen wurden z. T. schwer verletzt. Der BGH begründet die Zurechnung mit der Verpflichtung der Polizeibeamten, den Beklagten zu stellen. „Ihre Reaktion war damit durch das Verhalten des Bekl. veranlaßt und nicht ungewöhnlich.“ Gemäß § 2 a StVO a. F.1 sei der Beklagte verpflichtet gewesen, dem berechtigten Haltegebot der Polizeibeamten Folge zu leisten. Der BGH hebt hervor, dass mit dem Haltegebot auch das Abbrechen der Flucht, nachdem der Beklagte sich wegen Nichtbefolgung des Haltegebots strafbar gemacht habe, erfasst sei. „Der Satz, jeder Täter dürfe sich durch die Flucht dem Strafanspruch des Staates entziehen, bedeutet nur, daß er 1

Entspricht dem heutigen § 36 V StVO.

6. Abschn.: Der Verfolger als Geschädigter

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nicht schon wegen seines Fliehens rechtswidrig handelt, besagt aber nicht, daß er nicht gegen andere Gebote oder Verbote der Rechtsordnung verstoßen und in diesem Zusammenhang auch haftbar werden kann.“2 (2) BGHZ 57, 25: Der Beklagte wollte sich als Benutzer der Bahn ohne Fahrtausweis der Feststellung seiner Personalien durch Flucht entziehen. Der verfolgende Betriebsoberaufseher der Deutschen Bundesbahn stürzte auf einer Treppe und zog sich einen komplizierten Schenkelhalsbruch des Beines zu. In der klassischen Entscheidung vom 13.7.1971 verwendet der 6. Zivilsenat des BGH ersichtlich erstmals das Herausforderungserfordernis: „Hierfür ist entscheidend, daß der Beklagte, für ihn erkennbar, durch sein Weglaufen ohne Notwendigkeit in zurechenbarer Weise eine Lage erhöhter Verletzungsgefahr für den Kläger geschaffen hat, indem er die mit dem Gesetz in Einklang stehende Verfolgung durch den Kläger herausforderte, obgleich er die nicht unerhebliche Gefährdung voraussehen und vermeiden konnte“.3 Dem Herausforderungserfordernis ist dem BGH zufolge nicht bereits genügt, wenn sich der Verletzte tatsächlich zum Eingreifen hat bewegen lassen. „Außer dieser psychischen Verursachung ist notwendig, daß sich der Eingreifende zum Handeln herausgefordert fühlen durfte, und zwar überhaupt und gegebenenfalls in der gewählten Art und Weise.“4 Eine unter dieser Prämisse erhobene Zurechnung beschränkt sich auf das gesteigerte Risiko der Verfolgung5, welches der BGH hier annimmt, da der Kläger zur Verfolgung eine steile, langgezogene Treppe mit hoher Geschwindigkeit hinablaufen musste. Mit der Heranziehung des Herausforderungsgedankens ist es für die Rechtsprechung nun möglich auch dann einen Zurechnungszusammenhang anzunehmen, wenn während der Verfolgung keine Strafbarkeit des Flüchtenden an sich begründet wird.6 2 BGH VersR 1967, 580 f. Sinngleich argumentiert der OGH in der ersichtlich einzigen (zivilrechtlichen) österreichischen Entscheidung zur Problematik der hoheitlichen Verfolgungsschäden. OGH JBl 1987, 785 (786): „Solange er aber diese durch seine Flucht geschaffene Gefahrenlage für den Verfolger aufrecht erhielt, verletzte er diese auch dem Schutz seines Verfolgers dienende Rechtspflicht und erscheint es daher sachlich gerechtfertigt, ihn auch mit der Haftung für einen Schaden am verfolgenden Kfz der Kl zu belasten“. 3 BGHZ 57, 25 (28) (Hervorhebung im Original). 4 BGHZ 57, 25 (31) (Hervorhebung vom Verfasser). 5 Vgl. BGHZ 57, 25 (32). 6 Das OLG Düsseldorf hatte unter Verweis auf die straflose Selbstbegünstigung die Zurechnung verneint, wenn nach begonnener Verfolgung ein Rotlichtzeichen missachtet wird – im Zeitpunkt des Unfalls des verfolgenden Polizisten sei die Verkehrsübertretung bereits beendet gewesen, auch sei sie nicht ursächlich für die Verfolgungsfahrt gewesen, vgl. OLG Düsseldorf VersR 1970, 713 (714). Nicht aufgeklärt hatte das OLG Düsseldorf, ob die verfolgenden Polizeibeamten die flüchtende Person durch polizeiliche Weisung zum Anhalten aufgefordert haben – die Missachtung dieser Weisung könnte dann nach der Rechtsansicht des BGH VersR 1967, 580 die Zurechnung

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(3) BGH NJW 1971, 1982: Am 13.7.1971 entschied der 6. Zivilsenat einen weiteren Verfolgungsfall: Die Beklagte sollte im Hauptgesundheitsamt eine Untersuchung auf Geschlechtskrankheiten durchführen lassen. Da sie die Untersuchung verweigerte, verfügte das Amt die Einweisung in die Dermatologie des städtischen Krankenhauses. Dorthin wurde die Beklagte in einem polizeilichen Transportfahrzeug gefahren. Beim Aussteigen ergriff sie die Flucht. Der Polizeimeister B. verfolgte sie. Als er einen feuchten, frisch geschnittenen Rasen überquerte, glitt er aus, stürzte und zog sich einen Muskelriss zu. Der BGH führt aus, dass eine im Grundsatz gebotene Haftung für die bei dem Eingreifenden eingetretenen Verletzungsfolgen jedenfalls in Fällen der Verfolgung auf die gesteigerte Risiken der Verfolgung zu beschränken ist. Im Gegensatz zur Entscheidung vom selben Tag sieht der BGH die Verletzung hier als Verwirklichung eines normalen Risikos an. „Nach den Feststellungen des Tatrichters glitt der Polizeibeamte aus, als er einen feuchten, frisch geschnittenen Rasen überquerte. Damit hat sich nicht das besondere gesteigerte Risiko der Verfolgung verwirklicht.“7 (4) BGHZ 63, 189: Ein Polizeiobermeister wollte den Beklagten festnehmen, damit dieser einen Jugendarrest antritt. In einem unbemerkten Moment sprang der Beklagte aus dem Badfenster 2 m in die Tiefe. Der Polizeiobermeister sprang dem Beklagten hinterher und zog sich einen Fersenbeinbruch zu. Das Gericht zieht seinen Grundsatz heran, dass maßgeblich darauf abzustellen sei, ob sich der Verletzte zum Eingreifen herausgefordert fühlen durfte. Sinn dieser Einschränkung sei, jenseits von § 254 BGB zu verhindern, dass das Haftungsrisiko ins Unermessliche wachsen könne. „Nur dann, wenn eine Verfolgung überhaupt und deren konkrete Durchführung derart ist, daß der Verfolgte mit ihr nicht rechnet und nicht zu rechnen braucht, scheidet eine Haftung bereits im Grundsatz aus.“8 Der BGH geht davon aus, dass sich der Verletzte zur Verfolgung herausgefordert fühlen durfte, da die Verfolgung nicht außer Verhältnis zu seinem Zweck stand und der Verletzte den Sprung wagte, nachdem der Beklagten diesen Weg mit Erfolg genommen hatte.9 (5) BGH NJW 1976, 568: Nur zwei Jahre später hatte der BGH einen korrespondierenden Fall zu entscheiden. Der Polizeibeamte wollte den Beklagten dem Antritt des Jugendarrestes zuführen. Der Beklagte floh durch ein Toilettenfenster. Der Polizeibeamte zog sich einen Fersenbeintrümmerbruch zu, als er dem Beklagten aus einer Höhe von 4,05 m nachsprang. begründen; harsche Kritik wegen dieses Versäumnisses und der daraus resultierenden Folgen deshalb von Weingart, VersR 1971, 193. Zur Auswirkung der polizeilichen Weisung auf das Selbstbegünstigungsprivileg siehe unten E.I.2. 7 BGH NJW 1971, 1982 (1983). 8 BGHZ 63, 189 (193). 9 Vgl. BGHZ 63, 189 (195).

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Das Gericht hält auf Grund der Risikohöhe wohl bereits das Erfordernis des Herausgefordert-fühlen-dürfens nicht für gegeben, jedenfalls aber sei die Vorhersehbarkeit zu verneinen, da selbst der 31-jährige, sportliche und trainierte Polizeibeamte den Sprung aus rund vier Metern Höhe auf einen asphaltierten Boden nicht wagen durfte.10 (6) BGH NJW 1990, 2885: Der alkoholisierte Beklagte steuerte einen PKW, ohne über eine Fahrerlaubnis zu verfügen. Einer zivilen Polizeistreife fiel das Fahrzeug wegen eines defekten Rücklichts und starker Geräuschentwicklung auf. Der Beklagte bog in einen zu seinem Wohnort führenden, unbefestigten Waldweg ein und befuhr diesen mit hoher Geschwindigkeit. Das folgende Polizeifahrzeug kam nach mehreren hundert Metern von der schneeglatten Fahrbahn ab und prallte gegen eine Baumreihe. Der BGH verneinte in diesem Fall den Zurechnungszusammenhang, da sich der Beklagte nicht bewusst gewesen sei, dass er verfolgt worden sei, noch habe er dies unter den vorliegenden Umständen – Zivilfahrzeug der Polizei, kein Signalhorn, kein Blaulicht – erkennen können. Die Verneinung des Herausforderns durch den BGH ist konsequent, denn würde man alleine das verkehrswidrige Führen des verfolgten Fahrzeuges oder seine hohe Geschwindigkeit ausreichen lassen, so liefe dies zumindest unter der Prämisse einer Herausforderungssituation auf eine Haftung für das versari in re illicita hinaus.11 (7) OLG Saarbrücken NJW-RR 1992, 472: Der Beklagte wollte sich einer Bestimmung des Alkoholwerts auf dem Polizeirevier entziehen und floh zu Fuß. Im Laufe der Verfolgungsmaßnahme zog sich ein Polizeibeamter Verletzungen zu, da er stürzte, nachdem der Beklagte überwältigt worden war. Das Gericht geht davon aus, dass sich das gesteigerte Risiko der Verfolgung verwirklicht hat und nicht das normale Verfolgungsrisiko, das zum allgemeinen Lebensrisiko dessen gehört, der die Verletzung erleidet.12 Weiter führt das OLG aus „daß die Flucht des Bekl. als nicht unter Strafe gestellte versuchte Selbstbegünstigung straflos war und der Bekl. wohl als berechtigt angesehen werden muß, sich der Feststellung des Blutalkoholgehalts zu entziehen, ändert nichts an der haftungsrechtlichen Zurechenbarkeit. Denn nicht darauf, ob die Flucht ohne

10 Kritisch Händel, NJW 1976, 1204: „Bei der Schnelligkeit, mit der sich ein solches Fluchtgeschehen abspielt, kann dem Polizeibeamten, der pflichtbewußt eine solche Flucht vereiteln will, doch wohl kaum zugemutet werden, erst die Tiefe vom Fenster zum Hof genau abzuschätzen, um vielleicht bei 2 oder 3 m den Sprung zu wagen, bei 4,05 m jedoch nicht mehr, gleichzeitig aber den Flüchtenden verschwinden zu sehen“. Gleichgelagerte Kritik auch bei Stürner, VersR 1984, 297 (301). 11 Vgl. Hermann Lange, NZV 1990, 426 (427). 12 Vgl. OLG Saarbrücken NJW-RR 1992, 472 (473).

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Herausforderung einer gefahrenträchtigen Verfolgung rechtmäßig gewesen wäre, kommt es an, sondern darauf, ob der Flüchtende eine Gefahrenlage schuf, indem er den Verfolger zu einer Selbstgefährdung herausforderte“.13 (8) OLG Nürnberg NZV 1996, 411: Der Beklagte war von einer Polizeistreife auf den Seitenstreifen gelenkt worden. Als sich der Polizeiobermeister dem Fahrzeug näherte, gab der Beklagte Vollgas und fuhr davon. Die Polizeibeamten nahmen die Verfolgung auf, verloren jedoch den PKW aus den Augen. Der Beklagte hatte sich in einer Seitenstraße versteckt und den ihn verfolgenden Polizeiwagen vorbeifahren lassen. Im Lauf der weiteren vermeintlichen Verfolgungsfahrt verunglückte der Polizeiwagen. Das OLG verneint den Zurechnungszusammenhang, da nicht ersichtlich ist, dass in der Phase des Unfalls der Beklagte hätte erkennen müssen, dass durch sein Fluchtverhalten die verfolgenden Polizeibeamten immer noch einem erhöhten Risiko ausgesetzt wurden. Es fehlte an dem unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang.14 (9) BGHZ 132, 164: Der Beklagte wurde wegen mehrerer PKW-Aufbrüche und Diebstähle aus Wohnungen dem Haftrichter vorgeführt. Nach der richterlichen Vernehmung nutzte der Beklagte ein Gespräch der Polizeibeamten mit dem Haftrichter zur Flucht. Er sprang aus einem etwa 4 m über dem Erdboden gelegenen Fenster im ersten Obergeschoss des Gerichtsgebäudes. Der 31 Jahre alte Polizeibeamte W verletzte sich beim verfolgenden Sprung aus dem Fenster. Auch hier hebt der BGH hervor, dass der Grund für die Haftung nicht in der Flucht als solcher liege, sondern vielmehr darauf beruhe, dass der Fliehende durch die Art seiner Flucht in vorwerfbarer Weise den Verfolger zu der selbstgefährdenden Reaktion herausgefordert habe.15 Im Gegensatz zur Entscheidung BGH NJW 1976, 568 sieht der BGH den Unterschied, der die Zurechnung begründet, darin, dass es hier nicht lediglich um die Festnahme eines Jugendlichen, dessen Wohnsitz und Aufenthalt bekannt waren, zur Verbüßung eines Wochenendarrestes, sondern um die Aufklärung und Ahndung gewichtiger Straftaten ging.16 II. Verfolgung durch Private

(1) BGH NJW 1964, 1363: Der Beklagte verursachte unter erheblichem Alkoholeinfluss einen Verkehrsunfall und fuhr, ohne anzuhalten, mit hoher Ge13

OLG Saarbrücken NJW-RR 1992, 472 (473). Vgl. OLG Nürnberg NZV 1996, 411 (412). Die Bedeutung der räumlichen und zeitlichen Konnexität wurde in dieser Arbeit bereits oben im 3. Abschnitt, F.IV. herausgearbeitet. Diese Prämisse erhebt auch Geltung in den Verfolgerfällen. 15 Vgl. BGHZ 132, 164 (168). 16 Vgl. BGHZ 132, 164 (169). 14

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schwindigkeit davon. Der Kläger, der den Vorgang beobachtet hatte, nahm mit seinem Fahrzeug die Verfolgung auf. Nachdem die Jagd durch zwei Ortschaften geführt hatte, verunglückten beide Fahrzeuge an einer Straßenbaustelle. In den Entscheidungsgründen zieht der BGH die Parallele zu den Retterfällen. Er stellt fest, dass kein grundsätzlicher Unterschied zu diesen Fällen bestehe. „Der wiederkehrende Hinweis, daß der Retter aus einer Gefahr für Leib und Leben mit seinem Eingreifen einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht nachkomme, ist nicht dahin zu verstehen, daß sich die Haftung des Schuldigen auf solche Fälle beschränke. Er verdeutlicht vielmehr nur, daß in derartigen Gefahrenlagen das Eingreifen opferbereiter Dritter nahezu zwangsläufig herausgefordert wird, so daß hierbei erlittene Verletzungen unzweifelhaft adäquate Folgen der unerlaubten Handlung sind.“17 Bei Fahrerfluchten hält es der BGH für nicht ungewöhnlich, wenn nach einem offenbar nicht ganz unbedeutenden Verkehrsunfall unbeteiligte Kraftfahrer die Verfolgung des Schuldigen aufnehmen. Der Kläger sei gem. § 127 StPO befugt und unstreitig auch bestrebt gewesen, den Beklagten zu stellen. „Das Recht des § 127 StPO wird von ihnen (scil.: den Kraftfahrern) vielfach in der Überzeugung ausgeübt, daß die motorisierten Verkehrsteilnehmer einander in den typischen Notlagen beistehen und daß sie insbesondere gegenüber unverantwortlichen handelnden Fahrern zusammenhalten sollten.“18 Mit dieser „ Kameradschaftlichkeit der Straße“19 begründet der BGH dann auch die Zurechnung, da der Kläger durch sein freiwilliges Eingreifen sein Verhalten an die Handlungsweise des Beklagten geknüpft hatte. „Da der Beklagte gleichwohl sein verbotenes Tun nicht aufgab, sondern es gerade im Hinblick auf den Verfolger auf die Gefahr hin verstärkte, daß dieser verunglückte, hat er den schließlich eingetretenen Schaden in rechtswidriger, zurechenbarer Weise durch seine unerlaubte Handlung herbeigeführt.“20 (2) BGH VersR 1981, 161: Der Beklagte beschädigte mit seinem Fahrzeug ein anderes geparktes Fahrzeug und beging Unfallflucht. Der Kläger, ein Zollassistent z. A., nahm die Verfolgung auf und verunglückte auf eisglatter Fahrbahn. Der BGH stellt fest, dass die Verfolgung außerhalb der Amtspflicht des Klägers lag. Dennoch habe der Beklagte durch seine Unfallflucht den Kläger in eine typische Herausforderungssituation gebracht, wobei er sich besonders angesprochen fühlen musste.21 „Im Fall des Bekl. deuten die Feststellungen des Strafurteils (dessen milde Entscheidung außer Betracht zu bleiben hat) immer-

17 18 19 20 21

BGH NJW 1964, 1363 (1364). BGH NJW 1964, 1363 (1364). BGH NJW 1964, 1363 (1364). BGH NJW 1964, 1363 (1364). Vgl. BGH VersR 1981, 161 (162).

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1. Teil, 4. Kap.: Die Zurechnung von Verfolgerverhalten

hin darauf hin, daß es einen besonders rücksichtslosen und unbelehrbaren Verkehrsdelinquenten dingfest zu machen galt.“22 III. Zusammenfassung

Die Argumentation der zivilrechtlichen Rechtsprechung lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass nicht die Handlung der Flucht an sich als rechtswidrig betrachtet wird, sondern die mit der Flucht geschaffene Gefährdung, deren Einfluss der Verfolger durch eine nachvollziehbare Zwangswirkung unterworfen wird. Die Zwangswirkung ist hierbei in einem Herausgefordert-fühlendürfen begründet. Darüber hinaus muss sich die Gefahrenlage als gesteigertes Risiko der Verfolgung darstellen, womit allgemeine Berufs- oder Lebensrisiken ausgeschlossen werden. Der Maßstab des Herausgefordert-fühlen-dürfens bemisst sich insbesondere nach dem Grad der drohenden Gefahren – ein Sprung aus einer Höhe von 2 m stellt demnach grundsätzlich im Gegensatz zu einem Sprung aus einer Höhe von 4 m ein vertretbares Risiko dar – andererseits ist der mit der Verfolgung verbundene Zweck in Relation zur Gefahr zu setzen – die Aufklärung und Ahndung gewichtiger Straftaten rechtfertigt die Eingehung eines höheren Risikos. Ist sich der Verfolgte seiner Verfolgung nicht bewusst oder fehlt bezüglich der Schädigung des Verfolgers die erforderliche unmittelbare zeitliche und räumliche Konnexität mit dem Verhalten des Flüchtenden, so lässt sich kein Zurechnungszusammenhang herstellen. Diese für die Verfolgung durch Exekutivorgane erhobenen Grundsätze werden auch auf die Beurteilung der Schädigung im Rahmen der Verfolgung durch Private übertragen. Das Kriterium des Herausgefordert-fühlen-dürfens wird hier in einer allgemeinen Beistandspflicht der Verkehrsteilnehmer untereinander begründet. Nicht klar zu erkennen ist allerdings die dogmatische Einordnung des Herausforderungsgedankens in den Deliktsaufbau. Zunächst scheint es, als ordne der BGH den Gedanken der Herausforderung dem Verschuldensprinzip unter, wenn er ausführt, dass Grundlage der Haftung sei, „daß der Verfolgte durch seine Flucht ohne Notwendigkeit in zurechenbarer Weise eine Lage erhöhter Verletzungsgefahr für den Verfolgten [sic, richtig: Verfolger] (B) geschaffen hat, indem er dessen (mit dem Gesetz in Einklang stehende) Verfolgung und die damit verbundene Gefährdung voraussehen und vermeiden konnte“23. Vom Kriterium der Vorhersehbarkeit unterscheidet er dann aber wiederum das Kriterium der Herausforderung. „Die auf wertender Grundlage gebotene Einschränkung 22 23

BGH VersR 1981, 161 (162). BGH NJW 1976, 568 (Hervorhebung vom Verfasser).

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der Haftung findet insbesondere Ausdruck darin, daß der Senat [. . .] nur ein solches Dazutreten (Eingreifen) des Verfolgenden für die objektive Zurechnung ausreichen läßt, das vom Verhalten des Verfolgten ,herausgefordert‘ wird“24. Die Differenzierung des BGH zwischen objektiver Zurechnung und Vorhersehbarkeit wird letztlich daraus ersichtlich, dass er offen lässt, ob die Rechtsverletzung dem Verfolgten objektiv zuzurechnen ist. Denn jedenfalls scheide die Haftung deswegen aus, weil der Verfolgte nicht mit der konkreten Verfolgung rechnen musste.25 Konsequenz der Differenzierung durch den BGH ist jedenfalls der Umstand, dass er davon auszugehen scheint, dass es Fälle geben kann, in denen die objektive Zurechnung zwar zu bejahen ist, die Haftung aber dennoch am Verschuldenserfordernis scheitern kann.26 Mit dieser Sichtweise liegt der BGH auf der Linie der hier vertretenen Auffassung, die ebenfalls eine Differenzierung der Kategorien der objektiven Zurechnung und der objektiven Vorhersehbarkeit beansprucht.27 B. Der Herausforderungsgedanke im zivilrechtlichen Schrifttum I. Ursprung

Das Herausforderungskriterium wurde von Larenz erstmalig 1959 auf dem Karlsruher Forum erwähnt und ein Jahr später in der 6. Auflage seines Lehrbuchs des Schuldrechts näher ausgeführt.28 Der BGH hat sich – wie wir in den rezipierten Entscheidungen erkennen konnten – dieser Prämisse bedient und diese dahingehend erweitert, dass sich zum einen der Verfolger zu seinem Verhalten herausgefordert fühlen durfte und zum anderen, dass sich gerade das gesteigerte Risiko der Verfolgung realisierte oder – negativ formuliert – die Haftung entfällt, wo sich bloß ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht hat, da hierfür der Verfolgende selbst einzustehen hat. Das Merkmal geht damit über einen rein „inneren Zusammenhang“ hinaus; die Verknüpfung von Flucht und Verfolgung gründet in einer vom Flüchtenden geschaffenen Gefahrenlage, ob derer sich der Verfolger in einer Lage erhöhter Verletzungsgefahr zum Handeln entschlossen hat, weil er sich herausgefordert fühlen durfte.29 Der Ausdruck „Herausforderung“ weist dabei auf ein gewisses Maß impulsiver Dringlichkeit 24 BGH NJW 1976, 568 (569) (Anführungszeichen im Original; Hervorhebung vom Verfasser). 25 Vgl. BGH NJW 1976, 568 (569); siehe auch Siedler, S. 108 f. 26 So versteht auch Siedler, S. 109 den BGH. 27 Siehe insbesondere oben 1. Abschnitt, B.VI.3. 28 Nachweis bei Weber, Steffen-FS, S. 507 (514 Fn. 34). 29 Vgl. Weber, Steffen-FS, S. 507 (514).

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hin, das der Handlung des Geschädigten den Charakter von ihm selbst zu verantwortender Geschehensgestaltung nimmt.30 II. Weiterentwicklungen des Schrifttums

Zutreffend weist Martens31 darauf hin, dass sich die Fälle der Unrechtsverfolgung von denjenigen der Nothilfe in ihren psychologischen Antriebskräften unterscheiden. In Fällen der Nothilfe entstehen von selbst Widerstände der Selbsterhaltung und des Schutzes für eigene Rechtsgüter. Durch die Flucht wird dagegen eine bestimmte Automatik ausgelöst, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Verfolgende seinen Einsatz an dem Aufwand des Flüchtenden ausrichtet, dieser wiederum erhöht seine Fluchtanstrengungen, um zu entkommen. Es bildet sich eine Wechselwirkung, wobei sich Jagdfieber und Freiheitsdrang andererseits in ihrer Gefährlichkeit kumulieren. Martens zieht hieraus die Konsequenz, um dem Geflecht zahlreicher Wertungskriterien gerecht zu werden, müsse ein selbständiger Pflichtwidrigkeitstatbestand entwickelt werden.32 Ob so weit zu gehen ist, sei hier dahingestellt. Jedenfalls sind die entscheidenden Wertungen in den Fragen nach dem Grund der Veranlassung, nach dem Grad des auf den Verfolger ausgeübten psychischen Drucks, nach dem Verhältnis der schon entstandenen und noch durch den Täter drohenden Schäden einerseits zu den Gefahren, welche die konkrete Verfolgungssituation mit sich bringt, andererseits, zu suchen.33 Niebaum will gar das Kriterium der Herausforderung insgesamt aufgeben, zu fragen sei alleine, ob sich der Verfolger im Sinne der Kausalität veranlasst fühlen durfte.34 Hierbei übersieht Niebaum allerdings, dass „Herausforderung“ in diesem Sinn kein Tatsachen- sondern ein Wertungsbegriff ist.35 Zwar verdeckt die Bezeichnung „Herausforderung“ eher die von der Rechtsprechung selbst verlangte wertende Beurteilung, statt sie zu steuern, auf ein herausforderndes Verhalten im umgangssprachlichen Sinne kommt es aber gerade nicht an.36

30 Vgl. Zimmermann, JZ 1980, 10 (12). Der BGH nimmt sogar eine Zurechnung im Verhältnis zum Versicherungsnehmer an, vgl. BGH VersR 1981, 40: „Der Schutzzweck der Vorschriften über die Sicherung von Kraftfahrzeugen gegen Schwarzfahrer umfaßt auch Schäden aus einem Unfall, den der Schwarzfahrer bei dem Versuch, sich der Festnahme durch die Polizei zu entziehen, mit dem gestohlenen Fahrzeug herbeiführt“, a. A. aber in einem ähnlich gelagerten Fall OLG Düsseldorf VersR 1970, 713. 31 Martens, NJW 1972, 740 (746). 32 Siehe Martens, NJW 1972, 740 (746). 33 Siehe Comes, NJW 1972, 2022 (2025). 34 Vgl. Niebaum, NJW 1976, 1673 (1674); in ders., Haftung, S. 114 ff. wird die Forderung offenbar nicht aufrechterhalten. 35 Siehe BGH-RGRK/Steffen, § 823 Rdnr. 95. 36 Siehe Staudinger/Schiemann, § 249 Rdnr. 49.

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Koriath verwendet bezüglich der Herausforderungsrechtsprechung ein nicht kausales Zuschreibungsmodell37. Da der Herausgeforderte seine Handlung aus einem klar bestimmten Grund, einem teleologischen Motiv heraus vorgenommen habe, seien die Verfolgerfälle als Untergruppe der Interaktionsfälle zu behandeln.38 Neben einem Interaktionsvorgang muss sich nach Koriath dann auch feststellen lassen, dass es die Absicht des Intervenierenden war, den anderen zu seinem Verhalten zu veranlassen. Diesen Zusammenhang verneint Koriath, da der Flüchtende allein eigene Ziele erreichen wollte. Das Verhalten des Herausforderers könne damit nicht als Grund im normalen Sprachgebrauch und dem hier verstandenen Sinn interpretiert werden.39 Das Verhalten war zum einen nicht final darauf gerichtet, den Herausgeforderten zu beeinflussen. Die Herausgeforderten handelten vielmehr, weil ihre Rolle ihnen ein solches Verhalten eben vorschreibt.40 Zwar könne auch schlichtes Verhalten einen Grund liefern, doch sei der Flüchtende für die Konsequenzen einfach nicht zuständig, da kein Grund geliefert wurde.41 Die Bedenken gegen eine solche non-kausale Zuschreibungsregel wurden bereits oben (1. Abschnitt, A.III.) dargelegt. Darüber hinaus lässt sich aus dem Umstand, dass eine Rolle ein bestimmtes Verhalten vorschreibt, nach der hier vertretenden Ansicht nicht gegen eine Zurechnung argumentieren, ganz im Gegenteil, gerade diese Prämisse kann eine Zuschreibung im Wege einer „normativen Korrespondenz“ begründen.42 C. Behandlung im strafrechtlichen Schrifttum Die Problematik wird in der strafrechtlichen Literatur zum Großteil nur vereinzelt diskutiert, wobei man sich oftmals mit sporadischen Ausführungen begnügt.43 Einzig M. Otto setzt sich nunmehr differenzierter mit der Thematik auseinander. 37

Siehe bereits oben 1. Abschnitt, A.III. Vgl. Koriath, Kausalität, S. 225. 39 Vgl. Koriath, Kausalität, S. 225. 40 Vgl. Koriath, Kausalität, S. 225. 41 Koriath, Kausalität, S. 225 führt zur Begründung folgendes Beispiel an: „Wenn B auf die Frage, warum er sich eine neue Wohnung sucht, sagt, weil A ihm gekündigt hätte, dann ist die Kündigung zweifellos der Grund für sein Verhalten. Wenn B aber auf die Frage, warum er sich einen neuen Wagen kauft, sagt, weil er mit A auf einer Kreuzung kollidierte, wobei sein Wagen völlig zerstört worden sei, dann ist vielleicht der Unfall oder vielleicht auch einfach der Wunsch des B, wieder einen Wagen zu fahren, statt zu Fuß zu gehen, nicht aber das Verhalten des A der Grund für seine Entscheidung“. M. E. lässt sich mit diesem Beispiel schwerlich für die Verfolgerfälle argumentieren. 42 Siehe oben 3. Abschnitt, F.VI.2. 43 Dass hier noch viele Fragen offen sind, stellt auch Huber, S. 146 fest. Inwieweit die Dogmatik des Zivilrechts auf das Strafrecht überragen werden kann lässt sich den knappen Ausführungen bei Fahl, JA 1998, 105 (112) nicht entnehmen. 38

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1. Teil, 4. Kap.: Die Zurechnung von Verfolgerverhalten I. Zurechnungsbejahende Ansichten

1. Biewald Biewald zieht sein für die Retterfälle entwickeltes Zurechnungsmodell auch für die Verfolgerfälle heran.44 Auf Grund der Doppelbewertung des Freiheitsbegriffs sei die pflichtgemäße Verfolgung des Polizeibeamten im Zusammenhang mit der Frage nach der Verantwortlichkeit des Verfolgten für Schäden in Verwirklichung des eingegangenen Risikos nicht als unmittelbare Selbstschädigung deutbar. Deshalb sei dem Flüchtenden die Flucht verboten, soweit eine riskante Verfolgung möglich und zu erwarten sei. Ein Verstoß gegen dieses Gebot begründe die Haftung für Schäden des Verfolgers, die Flucht stellt sich dann als unmittelbare Schädigungshandlung zu Lasten des Polizeibeamten dar.45 Eine Erörterung privater Verfolgungsmaßnahmen nimmt Biewald nicht vor. Die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Selbstbegünstigungsprinzip im Strafrecht wird nicht näher diskutiert. 2. Puppe Puppe stellt zunächst zutreffend fest, dass niemand verpflichtet ist, an seiner eigenen Bestrafung mitzuwirken. Sie zieht daraus allerdings den Schluss, dass dies nicht bedeute, dass der Flüchtende gerechtfertigt sei, wenn er fremde Rechtsgüter verletze oder gefährde, um seine Bestrafung oder seine Festnahme zu verhindern. Denn nur die Verletzung des staatlichen Strafanspruchs gegen einen anderen sei als reflexive Fremdbegünstigung von der Straffreiheit der Selbstbegünstigung erfasst, nicht aber die Gefährdung oder Verletzung weiterer Rechtsgüter.46 „Steht der Täter vor der Alternative, entweder seine Strafverfolgung zu dulden oder erneut fremde Rechtsgüter zu verletzen, so muß er die Strafverfolgung dulden.“47 Für den Fall, dass sich der Verfolgte an die Verkehrsregeln gehalten habe, könne keine Zurechnung vorgenommen werden, da sich dann lediglich ein erlaubtes Risiko realisiere. Verhalte sich der Verfolgte jedoch verkehrswidrig und gefährde dadurch den Verfolger oder Dritte, so sei diese Gefährdung eine unerlaubte und begründe die Zurechnung des Verletzungserfolges auch dann, wenn sie für den Täter das einzig erfolgsversprechende Mittel gewesen sei, sich der Festnahme zu entziehen.48 Daran ändere 44

Siehe zur Lösung Biewalds oben 3. Abschnitt, E.VI.2. Vgl. Biewald, S. 210 f. 46 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 176. 47 Puppe, Erfolgszurechnung, S. 176. 48 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 176. So auch Maurach/Zipf, AT 1, § 18 Rdnr. 67, die allerdings unabhängig von einer etwaigen Verkehrswidrigkeit durch den Flüchtenden von einer „sozial inadäquaten, verbotenen Gefahr“ für den Verfolger ausgehen. 45

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sich auch nichts dadurch, dass der Verfolger allgemeingültige Verkehrsregeln außer Kraft setze. „Denn er (scil.: der Verfolgte) hat den Interessenskonflikt herbeigeführt, den die Rechtsordnung dahin entschieden hat, daß sie eine grundsätzlich unerlaubte Gefährdung erlaubt und eine grundsätzlich unzumutbare Selbstgefährdung zumutet.“49 Ohne hier abschließend zur Auswirkung des Selbstbegünstigungsprinzips Stellung zu nehmen (siehe ausführlich unten E.I.), offenbart die Sichtweise Puppes doch eine in sich widersprüchliche Aufspaltung; denn wenn einerseits proklamiert wird, der Flüchtende sei nicht verpflichtet, sich aktiv der Strafverfolgung zu stellen, andererseits aber eine dadurch bedingte Gefährdung des Verfolgers von der Selbstbegünstigung ausgenommen wird, so verbleibt von der Selbstbegünstigung nur ein Torso, der die Selbstbegünstigung im Falle der Verfolgung insgesamt negiert.50 Zwar ist eine unterschiedliche Beurteilung einer Handlungsweise und damit eine Aufspaltung in bestimmten Fällen durchaus möglich. Zu denken ist hierbei insbesondere an den Tatbestand des § 231 StGB bei welchem die schwere strafbegründende Folge auch in einer gerechtfertigten Notwehrhandlung liegen kann und damit gerade die objektive Bedingung der Strafbarkeit gesetzt wird.51 In diesem Fall liegt aber ein gestrecktes Geschehen vor, die nachfolgende Notwehrhandlung vermag ein früheres – latent – missbilligtes Verhalten, nämlich die vorgelagerte Beteiligung an der Schlägerei, nicht zu kompensieren.52 Freilich ist, um einen solchen Geschehensablauf rechtlich zu sanktionieren, eine explizite gesetzliche Regelung von Nöten – was mit dem Tatbestand des § 231 StGB geschehen ist. Für die Fluchtfälle ist aber kein Tatbestand beispielsweise einer „weisungswidrigen Flucht mit Verletzungs- bzw. Todesfolge“ existent, weshalb das Fluchtgeschehen insoweit rechtlich nicht fassbar ist. Darüber hinaus setzt Puppe in Bezug auf die Schädigung des Verfolgers eine pflichtwidrige Gefährdung durch den Flüchtenden voraus – auch insoweit trägt der Gedanke, in der Schädigung des Verfolgers eine objektive Bedingung der Strafbarkeit zu sehen, nicht; denn in Bezug auf den Eintritt der strafbegründenden Folge müsste das Verschuldenserfordernis gerade zurücktreten.

49 Puppe, Erfolgszurechnung, S. 176. Auch Schieffer will den aus „naturalistischer Sicht“ zurechenbaren Erfolg im Fall einer durch einen Dritten vermittelten Verantwortungskonkurrenz weiterhin nicht durch das „Übermaßverbot“ eingeschränkt wissen; somit gelangt auch er in den Verfolgerfällen zur Zurechnung; vgl. Schieffer, S. 89 f., 313. 50 Dahingehende Zweifel auch bei Puppe selbst, ohne allerdings von ihrem Modell Abstand zu nehmen, vgl. NK/Puppe1, Vor § 13 Rdnr. 171. 51 Siehe nur BGHSt 33, 100; BGH JR 1994, 369 mit zust. Anmerkung Stree, JR 1994, 370; Rengier, BT II, § 18 Rdnr. 8; a. A. H.-L. Günther, JZ 1985, 585 (587). 52 Vgl. Zopfs, Jura 1999, 172 (180 f.). Zur korrespondierenden Beurteilung beim verschuldeten rechtfertigenden Notstand siehe oben 2. Abschnitt, Fn. 324.

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1. Teil, 4. Kap.: Die Zurechnung von Verfolgerverhalten

3. Schünemann Die Verfolgerfälle löst Schünemann nach dem von ihm bereits für die Retterfälle entwickelten Modell.53 Für die Zurechnung stellt er darauf ab, ob der Fliehende eine zusätzliche Gefahrenquelle geschaffen hat. Als Beispiel hierfür nennt Schünemann das Ansägen einer über den Fluss führenden Hängebrücke.54 Dass die Differenzierung nach geschaffenen und bereits vorhandenen Gefahrenquellen allzu äußerlicher Natur ist, wurde bereits kritisch betrachtet.55 Darüber hinaus hat das Ansägen einer Hängebrücke einen über die eigentliche Verfolgerproblematik hinausgehenden Bezug. Verunglückt der Verfolger auf der manipulierten Brücke, so haben wir es nicht mehr mit einer „Herausforderungskonstellation“ zu tun, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Verfolger ohne zusätzliche Einwirkung des Fliehenden eine Schädigung erleidet, sondern vielmehr mit der normalen Konstellation der Begehung einer Straftat durch vorsätzliches, zielgerichtetes aktives Verhalten.56 II. Zurechnungsnegierende Ansichten

Auf der anderen Seite steht eine Strömung, die die Zurechnung des Verfolgerschadens ablehnt. Die Autoren legen diesem Zurechnungsausschluss jeweils völlig unterschiedliche dogmatische Beurteilungen zu Grunde. 1. Roxin Auch Roxin überträgt seine Retter-Dogmatik auf die Fluchtfälle: Die typischen Risiken der Berufsausübung sind dem Verantwortungsbereich des Berufsträgers zuzuweisen, denn der Gesetzgeber muss wiederum das Berufsrisiko tragen, oder aber der Verfolger wird aus freiem Belieben tätig, dann handelt es sich nur um die straflose Veranlassung einer straflosen Selbstgefährdung.57 Begrüßenswert an der Sichtweise Roxins ist, dass er zumindest in jüngerer Zeit

53

Siehe oben 3. Abschnitt, E.III. Vgl. Schünemann, JA 1975, 715 (722). 55 Siehe oben 3. Abschnitt, E.III. 56 Dahingehend auch Lewisch, ZVR 1989, 161 (168 Fn. 34). Sch/Sch/Stree, § 13 Rdnr. 35 a will in diesem Fall offenbar eine Garantenstellung für ein unechtes Unterlassungsdelikt erheben, wenn der Täter zusätzliche Maßnahmen getroffen hat, die ein nicht ohne weiteres erkennbares Risiko bei der Verfolgung hervorrufen. 57 Vgl. Roxin, Gallas-FS, S. 241 (249); ders., AT I, § 11 Rdnr. 140. So wohl auch P. Fuchs, S. 138 i.V. m. 142. Eine andere Beurteilung könne nach Roxin allenfalls dann angedacht werden, wenn die Verfolgung der Wiedererlangung einer Diebesbeute diene und sich daher als Notwehr darstelle, siehe Roxin, Gallas-FS, S. 241 (249 Fn. 26). 54

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das Kriterium der straflosen Selbstbegünstigung hervorhebt, wonach es mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht zu vereinbaren sei, dem Delinquenten aufzugeben, sich aktiv der Strafverfolgung zu stellen.58 2. Lewisch Lewisch kritisiert die Argumentation Roxins59 – niemandem dürften Folgen zugerechnet werden, wenn er die den Schaden auslösende Handlung, z. B. bei Verfolgungsfällen, nicht beeinflussen könne – dahin, dass der Flüchtige den Verfolger zwar nicht rechtlich an der Verfolgung hindern könne, er es aber durchaus physisch in der Hand habe, durch die Aufgabe seiner Flucht den Verfolger seiner Selbstgefährdung zu entziehen.60 Aber auch Lewisch hält die Ähnlichkeit der Retterkonstellationen und der Verfolgerkonstellationen für so nahe, dass die Überlegungen der Helferfälle herangezogen werden können.61 Dies führt ihn zu dem Ergebnis, dass ein „Zwang“ (scil.: Berufspflicht) zur Verfolgung nicht überbewertet werden dürfe. Die Verfolgung stelle sich ja nun keineswegs als physisch zwanghaft oder auch als Willensbeugung dar.62 Deshalb seien die Gründe, die für eine Erfolgszurechnung sprächen, noch schwächer als in Retterkonstellationen, in denen der Täter immerhin eine genuine Gefahr geschaffen habe, der sich der Retter sodann eigenständig aussetze.63 „Indem sich nun der Polizist selbst einer Gefahr ausgesetzt hat, ja sie in concreto – und das ist ein wichtiger Gesichtspunkt – durch seine Verfolgung überhaupt erst entstehen hat lassen, liegt die Verfolgungshandlung grundsätzlich außerhalb des rechtlichen Verantwortungsbereichs des Flüchtigen. In gewissem Sinn lässt sich daher der Verfolger als ,Tatherr der Selbstgefährdung‘ bezeichnen.“64 Die Selbstverantwortlichkeit der Entscheidung bleibe auch dadurch erhalten, dass der erhöhten Gefährlichkeit der Situation in aller Regel auch eine erhöhte Einsicht des Verfolgers in die Gefährlichkeit der Situation gegenüberstehe.65 Die Missachtung eines Haltegebots oder eine andauernde Geschwindigkeitsüberschreitung reiche zur Zurechnungsbegründung gleichsam

58

Siehe Roxin, AT I, § 11 Rdnr. 140. Vgl. Roxin, Gallas-FS, S. 241 (249). 60 Siehe Lewisch, ZVR 1989, 161 (166). 61 Dazu bereits oben 3. Abschnitt, Fn. 518 62 Siehe Lewisch, ZVR 1989, 161 (166). 63 Siehe Lewisch, ZVR 1989, 161 (167 Fn. 31). 64 Lewisch, ZVR 1989, 161 (167) (Anführungszeichen im Original). Zustimmend Reitmaier, S. 122, die hervorhebt, dass es konkret die Verfolgung ist, die alle sich im eingetretenen Erfolg verwirklichenden Risiken schafft. Daher könne man nicht einwenden, dass die gefährliche Lage bereits zuvor durch die Flucht eingeleitet wurde. 65 Vgl. Lewisch, ZVR 1989, 161 (168). 59

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nicht aus. Denn der Inhalt der Geschwindigkeitsbeschränkung oder des Haltegebots habe für sich genommen nicht den Zweck, Schäden eines möglichen Verfolgers hintanzuhalten – das Anhaltegebot beziehe sich nur auf einen engen örtlichen Schutzbereich, nämlich den Anhaltebereich selbst, und auch die Geschwindigkeitsbegrenzung wolle nicht Verletzungen eines Verfolgers verhindern.66 Damit liegen für Lewisch auf Grund des Prinzips der Eigenverantwortlichkeit Verfolgungsschäden weder im Risikozusammenhang einer konkreten Sorgfaltsnorm, noch gebe es eine generelle Sorgfaltsnorm, Verfolger keiner deliktstypischen Gefahr auszusetzen. Ansonsten würde der rechtliche Stellenwert der Selbstgefährdung beseitigt.67 3. Krey, Köhler Krey erkennt die Bedeutung des nemo-tenetur-Grundsatzes und legt diesen seiner Argumentation zu Grunde. Wenn eine Zurechnung von Fluchtschäden stattfinden würde, so würde dies der Wertentscheidung unserer Rechtsordnung nicht gerecht, die eine Flucht des Beschuldigten bei drohender Festnahme nicht missbillige.68 „Es wäre sachwidrig und ungerecht, z. B. den fliehenden Ladendieb wegen Fahrlässiger Tötung zu bestrafen, wenn ein Polizeibeamter bei der Verfolgung unglücklich stürzt und stirbt.“69 Auf der gleichen Linie argumentiert Köhler, soweit es sich um typisch notpflichtige, zumutbare Verfolgungen handelt.70 Es fehle wegen des Selbstbegünstigungsmotivs an der Zumutbarkeit des Verbleibens. „In der Kollision mit derjenigen Gefahr, die aus der dem pflichtigen Verfolger zumutbaren Aktion resultiert, entfällt daher mangels Zumutbarkeit der strafrechtliche Pflichtwidrigkeitszusammenhang.“71 Damit ist der Kern des Problems – als der Frage nach den Auswirkungen des Selbstbegünstigungsprinzips – erkannt. Zu erörtern bleibt allerdings der genaue Umfang des Selbstbegünstigungsprinzips im Rahmen der Verfolgerfälle, insbesondere die Bedeutung von strafbewehrten polizeilichen Weisungen.

66

Vgl. Lewisch ZVR 1989, 161 (166); ders., Casebook, S. 111 f. (Nr. 220). Siehe Lewisch, ZVR 1989, 161 (168) sowie ders., Casebook, S. 111 (Nr. 220). Übereinstimmend Kerle, S. 134. 68 Vgl. Krey, AT 1, Rdnr. 327. 69 Krey, AT 1, Rdnr. 327. Sinngleich Koriath, Kausalität, S. 225 f. und (knapp) Frisch, NStZ 1992, 62 (65). 70 Zum Modell Köhlers, der die Zurechnung auf Fälle bewusster Fahrlässigkeit beschränken will, siehe oben 3. Abschnitt, E.IV. 71 Köhler, AT, S. 197. 67

6. Abschn.: Der Verfolger als Geschädigter

271

III. Die differenzierende Sichtweise M. Ottos

1. Der Aspekt der emotionalen Unfreiwilligkeit bei M. Otto Um eine Zurechnung von Verfolgerschäden zu begründen, ist zunächst die Schaffung eines rechtlich missbilligten Risikos von Nöten. Um die Frage der rechtlichen Missbilligung der Flucht beantworten zu können, geht M. Otto von dem folgenden Gedankenexperiment aus: „Die Ausgestaltung der Strafprozeßordnung [sic] geht beispielsweise mit den Festnahmerechten davon aus, daß [sic] jemand, der einer Straftat dringend verdächtig ist, festgenommen werden darf. Dies legt den folgenden Schluß [sic] nahe: Wenn die Festnahme rechtlich gebilligt wird, kann es die Flucht nicht auch sein“72. Dass es sich bei dieser Schlussfolgerung allerdings um eine vorschnelle Einsicht handelt, stellt M. Otto sogleich fest. Die Schaffung eines rechtlich missbilligten Risikos will er vielmehr durch das Verhältnis des konkreten Verhaltens des Flüchtenden zu dem konkret entstandenen Schaden des Verfolgers bestimmen. Es müsse daher durchaus Konstellationen geben, die auch die Inkaufnahme eines erhöhten und vorhersehbaren Risikos von einer Zurechnung ausschließen.73 Dennoch geht M. Otto hier zunächst bei der Flucht von einem nicht sozialadäquat anerkannten Verhalten aus. Dies will er mittelbar aus § 121 StGB herleiten, auch wenn der Fliehende nur zur Verfolgung veranlasse, ohne die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der gewalttätigen Einwirkung zu erfüllen.74 Um einerseits der spezifischen Verfolgerproblematik gerecht zu werden, deren Wesen gerade in der Vermittlung des Schadens über ein Zweithandeln besteht, andererseits die konkreten Umstände des Einzelfalls ausreichend zu berücksichtigen, will M. Otto eine weitere Prüfungsstufe anschließen, nämlich die Frage nach dem Ausschluss der Zurechnung wegen einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung.75 Genauso wie Lewisch sieht M. Otto in den Verfolgerfällen eine evidente Nähe zu den Retterfällen. Bei beiden Konstellationen handle es sich grundsätzlich um solche der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung.76 Denn würde man dem Retter die Freiwilligkeit seines Tuns als solche absprechen, würde dies bedeuten, ihm zu unterstellen, er sei lediglich das Werkzeug des Brandstifters gewesen.77 Ebenso liege eine freiwillige Selbstgefährdung vor, wenn der Verfolger die Fähigkeit besitze, Wesen, Bedeutung und Tragweite des gestatteten Rechtsguteingriffs zu erfassen. Da der Verfolger wisse, dass er nicht handeln müsse 72

M. Otto, S. 77. Vgl. M. Otto, S. 78. 74 Vgl. M. Otto, S. 88. 75 Dazu M. Otto, S. 97. 76 Siehe M. Otto, S. 125. 77 Vgl. M. Otto, S. 122 unter Anführung des von Bernsmann/Zieschang genannten Falles des Hubschrauberpiloten von Tschernobyl Anatoli Grischtschenko. 73

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und die Verfolgung zudem gefährlich sei, liege diese Voraussetzung auch hier vor.78 Der Verfolger handele somit intellektuell betrachtet freiwillig. Denn für diese Komponente sei lediglich zu prüfen, ob die mit der Handlung verbundene Gefahr erkannt wurde oder zumindest hätte erkannt werden können.79 Das Vorliegen einer intellektuell freiwilligen Selbstgefährdung stelle allerdings nur einen Ansatzpunkt für die Beurteilung der Verfolgerfälle dar. Vielmehr müsse auch die psychische und emotionale Situation des Verfolgers berücksichtigt werden und daher der Begriff der Freiwilligkeit über die intellektuelle Komponente hinaus auf die emotionale Seite erweitert werden. Konnte demnach der Verfolger aus emotionalen Gründen nicht anders handeln, war er nicht frei und es handelt sich um keine freiwillige Selbstgefährdung.80 Die Bestimmung der emotionalen Freiwilligkeit soll danach sowohl nach objektiven als auch nach subjektiven Kriterien bestimmt werden. In objektiver Hinsicht sei zunächst die Verständlichkeit der Verfolgung Voraussetzung, d.h. die Aufnahme der Verfolgung müsse aus der Sicht eines objektiven Beobachters unter Zugrundelegung der besonderen Umstände verständlich bzw. nachvollziehbar sein und dem Beobachter „normal“ erscheinen. Die Verfolgung müsse zwar nicht rechtlich, wohl aber ethisch geboten sein. Außerdem seien bei der Abwägung nicht nur die unmittelbaren Folgen der jeweiligen Handlung, also der Selbstgefährdung selbst sowie der zu verhindernden Flucht, einzubeziehen, sondern auch die entfernteren. Hinsichtlich der Verfolgung eines Schwerverbrechers seien daher auch Aspekte wie das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung oder aber eine besonders gefährdete Gesamtlage miteinzubeziehen.81 Weiter müsse die Verfolgung in ihrer Intention sowie ihren Folgen den Vorstellungen der Rechtsordnung entsprechen, sie müsse sozial anerkannt sein.82 Daran soll es etwa fehlen, wenn das Ziel der Verfolgung in der Verabreichung einer Tracht Prügel besteht. In subjektiver Hinsicht müsse weiterhin auf Seiten des Verfolgers eine entsprechende subjektiv emotionale Zwangslage vorhanden sein. Es dürfen somit keine sachfremden und nicht zwangsbezogenen Motive vorliegen, etwa das Bestreben, eine schnellere Beförderung durch das Zeigen besonderen Diensteifers zu erreichen.83 Voraussetzung für eine Einschränkung der Kriterien der freiwilligen Selbstgefährdung ist demnach im Ergebnis, dass die Selbstgefährdung zum einen allge78 79 80 81 82 83

Vgl. M. Otto, S. 139 f. Vgl. M. Otto, S. 146. Siehe M. Otto, S. 145. Vgl. M. Otto, S. 147 ff., 164 f. Siehe M. Otto, S. 152 ff. Siehe M. Otto, S. 158 ff.

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273

mein verständlich und zudem sozial anerkannt ist. Weiterhin muss auf Seiten des Verfolgers auch eine entsprechende subjektiv emotionale Zwangslage vorliegen. Angewendet auf den privatrechtlichen Verfolgerfall von BGH NJW 1964, 1363 [oben Fall (1)] führt dies M. Otto zu diesem Ergebnis: Die Verfolgung des Unfallverursachers ist zunächst eine intellektuell freiwillige Selbstgefährdung. Für die Frage der emotionalen Freiwilligkeit ist die allgemeine Verständlichkeit der Verfolgung zu bestimmen. Da es ausgereicht hätte, sich das Kennzeichen zu notieren, insbesondere da über § 7 StVG auch bei Nichtermittlung des Fahrers eine Halterhaftung möglich ist, ist die überschießende Verfolgungshandlung nicht mehr verständlich. Trotz des verwirklichten Tatbestands des § 142 StGB durch den Flüchtigen sei ein emotionaler Zwang zum Handeln hier nicht ersichtlich. Eine andere Beurteilung sei alleine dann angebracht, wenn der Unfallverursacher erkennbar alkoholisiert und daher zu befürchten sei, dass er weitere – möglicherweise schwere – Unfälle verursache.84 Im hoheitlichen Verfolgerfall des „Bahnhofstreppen-Falles“ von BGHZ 57, 25 [oben Fall (2)] gelangt M. Otto zu einem gegensätzlichen Ergebnis85: Auch hier soll es sich zunächst um einen – auf intellektueller Ebene – Fall der Selbstgefährdung durch den Kontrolleur handeln. Allerdings sei die Verfolgung hier verständlich gewesen – die Ergreifung stellte die einzige Möglichkeit der Haftbarmachung des Schwarzfahrers dar –, zumal sie zunächst nicht übermäßig gefährlich erschienen sei. Zudem sei die Verfolgung sozial anerkannt gewesen, denn sie habe dem Zweck gedient, die Personalien des Täters festzustellen, um die drohenden Sanktionen durchsetzen zu können. Daher handelt der Kontrolleur emotional unfreiwillig. Der „Fenstersprung-Fall“ von BGH NJW 1976, 568 [oben Fall (5)] wird demgegenüber abweichend beurteilt. Die Personalien des Flüchtenden seien bekannt gewesen, daher wäre eine nachträgliche Durchsetzung des Arrestes problemlos möglich gewesen. Auch der riskante Sprung aus einer Höhe von über 4 m stehe der Annahme emotionalen Zwanges entgegen – unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles könne das Verhalten des Verfolgers nicht als verständlich gewertet werden.86 M. Otto hält somit in spezifischen Fällen eine Strafbarkeit aus dem allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikt durchaus für begründbar. Die – bei der grundsätzlichen Annahme einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Verfolgerfälle – konsequente Auseinandersetzung mit der Problematik im Rahmen der erfolgsqualifizierten Delikte unterbleibt.

84 85 86

Vgl. M. Otto, S. 161 f. Vgl. M. Otto, S. 162 f. Vgl. M. Otto, S. 164.

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2. Stellungnahme Völlig zu Recht zieht M. Otto aus dem von ihm gebildeten Gedankenexperiment keine voreiligen Schlüsse. Abgesehen von dem in diesem Fall gewichtig erscheinenden Einwand des nemo-tenetur-Prinzips kann alleine aus einer rechtlichen Billigung eines Verhaltens nicht im Umkehrschluss auf die Missachtung der konträren Verhaltensweise geschlossen werden. Wie wir oben [2. Abschnitt, B.V.2.g)] gesehen haben, kann eine Verhaltensweise – etwa ein entschuldigter Eingriff – durch das Recht zwar toleriert bzw. gebilligt werden, daraus resultiert aber nicht im Umkehrschluss, dass ein Unterlassen der entsprechenden Handlung seinerseits rechtlich missbilligt würde. Weniger überzeugend erscheint dagegen der Versuch, aus § 121 StGB die soziale Inadäquanz der Flucht abzuleiten. M. Otto stellt zutreffend fest, dass die Flucht an sich straflos ist.87 Sodann führt er allerdings an, dass „die Regelung des § 121 StGB hinreichend deutlich macht, daß [sic] eine Flucht von der Rechtsordnung nicht als sozialadäquates Verhalten anerkannt wird“. Dass für diese Einsicht gerade ein Tatbestand herhalten muss, der über ein reines Fluchtgeschehen hinaus die gewaltsame und zielgerichtete Einwirkung auf geschützte Rechtsgüter sanktioniert, stellt ein sehr bedenkliches Auslegungsverständnis dar. Ist die Beurteilung der – gewaltlosen – Flucht nicht vielmehr im Lichte des nemo-tenetur-Prinzips zu durchleuchten und daher möglicherweise gerade ein rechtlich nicht missbilligtes, sozialadäquates Verhalten? Insoweit ist eine dezidierte Prüfung des Umfangs und der Auswirkung des Selbstbegünstigungsprinzips erforderlich – wir werden uns im Fortgang der Arbeit eingehend mit dieser Fragestellung auseinanderzusetzen haben, insbesondere die bereits erwähnte polizeiliche Weisung ist diesbezüglich ein zentrales Problemfeld. Die Lösung M. Ottos hat jedenfalls die unbefriedigende Konsequenz, dass die soziale Inadäquanz des Fluchtverhaltens, trotz anerkannter Straflosigkeit der Flucht an sich, aus einem gewaltdeliktischen Tatbestand hergeleitet wird. Trotz Tatbestandslosigkeit soll die Flucht sozial inadäquat sein. Diese grundsätzliche Einordnung vermag M. Otto aber selbst nicht durchzuhalten. Denn er führt einen Beispielsfall88 an, in dem trotz tatbestandlicher Verwirklichung eines Straftatbestands dennoch – auf Grund von Rechtfertigung – eine strafrechtliche Zuschreibung des Verfolgerschadens zu unterbleiben hat: Ein Kraftfahrer rast verkehrsgefährdend über öffentliche Straßen und wird deshalb von einer Polizeistreife verfolgt, die jedoch mit ihrem Streifenwagen in einer Kurve von der Straße geschleudert wird. Der Fahrer des verfolgten PKW ist der einzige Spezialist, der in der Lage ist, einen besonderen Typ Bombe zu entschärfen, die jederzeit explodieren kann. In diesem Fall, so M. Otto, könne die Verfolgung 87 88

Siehe nur M. Otto, S. 88, 136, 176. Vgl. M. Otto, S. 172.

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eines gerechtfertigten Flüchtigen nicht allgemein verständlich sein und eine Zurechnung müsse daher unterbleiben.89 Darüber hinaus begegnet das Konstrukt der emotionalen Unfreiwilligkeit Bedenken. Denn letztlich wird auch hier trotz fehlender rechtlicher Verpflichtung eine dennoch sozial verständliche Handlungsweise kreiert. So überträgt M. Otto sein Modell auch ausdrücklich auf die Retterfälle: Der Retter handle zwar intellektuell frei, d.h. in vollem Bewusstsein der Gefahrenlage. Dennoch soll auch die Gefährdung des eigenen Lebens – zumindest im Hinblick auf die Rettung des Lebens eines anderen – „stets sowohl aus der Sicht eines objektiven Beobachters als auch aus der Sicht der Allgemeinheit verständlich sein“90. „Diese Gefährdung des eigenen Lebens ist damit auch im Interesse der Allgemeinheit, da das menschliche Leben das höchste uns überhaupt vorstellbare Rechtsgut ist.“91 Die Ablehnung einer solchen Zurechnungslehre unter der Prämisse einer „fehlenden rechtlichen Verpflichtung zur Hilfe aber sozial erwünschten Rettungsaktion“ haben wir bereits herausgearbeitet (vgl. oben 3. Abschnitt, F.II.). Auch die um Differenzierung bemühte Lösung durch M. Otto mag daher im Ergebnis nicht zu überzeugen. Um eine sachgerechte Lösung zu finden, gilt es zunächst die Handlungsqualität des Fluchtverhaltens zu bestimmen. Im Anschluss daran werden wir den Gehalt des Selbstbegünstigungsprinzips konkretisieren und untersuchen, inwieweit eine Einschränkung durch spezifische gesetzliche Regelungen angezeigt sein könnte. D. Die Handlungsqualität der Flucht Um die Problematik der Fluchtfälle einer abschließenden Beurteilung zuführen zu können, muss zunächst geklärt werden, ob das Fluchtverhalten als aktives Tun oder als Unterlassen zu qualifizieren ist. Die Frage kann nicht dahinstehen92, denn bei Vorliegen eines Unterlassens müsste über die Klärung der Herausforderungsproblematik hinaus eine aus der Garantenstellung erwachsende Garantenpflicht konstruiert werden.93 An solch einer Garantenstellung dürfte es aber regelmäßig fehlen.94 89

Vgl. M. Otto, S. 172. M. Otto, S. 168. 91 M. Otto, S. 168. 92 So aber Martens, NJW 1972, 740 (743) und wohl auch Deutsch, JZ 1975, 375 (377). 93 Für die Notwendigkeit der Differenzierung auch Leitermeier, S. 11. 94 Siehe Sch/Sch/Stree, § 13 Rdnr. 35 a: „So entsteht für den Dieb keine Garantenpflicht zur Abwendung von Körperschäden, die auf den Bestohlenen infolge eines Sturzes bei der Verfolgung zukommen“. Vgl. auch M. Otto, S. 175 ff., der gleichfalls eine Garantenpflicht verneint; allerdings wird das Vorliegen einer Garantenpflicht geprüft, ohne zuvor die Handlungsqualität der Flucht bestimmt zu haben. 90

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Betrachten wir das Weglaufen, Davonlaufen oder allgemein gesehen das Sichentfernen unter dem Kriterium des Kraftaufwandes95, so muss dieses als aktives Tun angesehen werden, unabhängig davon, dass der Energieaufwand entgegen den typischen Verletzungshandlungen hier weg vom verletzten Rechtsgut geführt wird. Darüber hinaus wendet der Fliehende aber nicht nur kinetische Energie auf, sondern startet eine an sich fremdgesteuerte psychische Motorik des Verfolgers, die sich im Wege einer in vollem Bewusstsein und ohne Zwang eingegangen Gefährdung in einer Selbstschädigung umsetzt.96 Ist das Nichtstehenbleiben danach als Unterlassen zu werten? Die Außerachtlassung der Belange des Verfolgers als Unterlassungsdelikt anzusehen, liegt bei natürlicher Betrachtung wenig nahe, müsste dann jedes Fahrlässigkeitsdelikt im Hinblick auf die „Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt“ ein tatbestimmendes Unterlassungselement enthalten.97 Die Aspekte der Flucht und des Sichnichtstellens müssen vielmehr insgesamt auf ihren sozialen Sinn und den Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit untersucht werden.98 Hiernach lässt sich insbesondere danach fragen, durch welches Verhalten die eigentliche Gefahr für das Rechtsgut droht.99 Auf die Verfolgerfälle angewandt ergibt sich daraus, dass die konkrete Verletzung weitaus am stärksten durch das Davonlaufen gefördert wird. Das Nichtstehenbleiben als solches erscheint dagegen für die Verletzung weit weniger relevant.100 Das Sichnichtstellen hält lediglich die Gefahr aufrecht, die allgemein darin besteht, dass ein Vorverhalten des Verfolgten Auslöser allgemeiner Verfolgungsmaßnahmen ist, die erst über das Davonlaufen konkretisiert werden und damit zur konkreten Verletzung führen.101 Damit ist der Vorgang der Flucht insgesamt als aktives Tun anzusehen, die Frage nach einer wie auch immer gearteten Garantenpflicht tritt nicht zu Tage.102

95

Vgl. Engisch, Kausalität, S. 29. Vgl. Martens, NJW 1972, 740 (743). 97 Vgl. Leitermeier, S. 13. 98 So auch die h. M. in Rechtsprechung und Schrifttum, vgl. Lackner/Kühl, § 13 Rdnr. 3 mit umfangreichen Nachweisen. 99 Vgl. Leitermeier, S. 16, 22. 100 Vgl. Leitermeier, S. 17, 22 f. 101 Vgl. Leitermeier, S. 17. 102 Wie hier (ohne Begründung) Trechsel, Art. 286 Rdnr. 6. 96

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E. Entwicklung der eigenen Ansicht I. Das nemo-tenetur-Prinzip und Fluchtverhalten

1. Ausgangslage a) Ausprägung und Gehalt des nemo-tenetur-Prinzips im formellen und materiellen Recht Nach dem übergeordneten Rechtsgrundsatz nemo tenetur se ipsum accusare und nemo tenetur se ipsum prodere ist niemand verpflichtet, sich selbst anzuklagen oder gegen sich selbst Zeugnis abzulegen.103 Obgleich weder in der Strafprozessordnung noch in der Verfassung explizit niedergeschrieben, handelt es sich um einen allgemein anerkannten Grundsatz rechtlicher Ordnung.104 So bezeichnet auch das BVerfG den nemo-tenetur-Satz als „selbstverständlichen Ausdruck einer rechtsstaatlichen Grundhaltung [. . .] die auf dem Leitgedanken der Achtung vor der Menschenwürde beruhe“105. Welzel106 sieht in dem „natürlichen Recht auf Selbstschutz bei der Gefahr der Bestrafung“ gar ein „Naturrecht“, während Geilen107 die „kriminalpolitische Fragwürdigkeit“ einer Bestrafung angesichts der „übermächtigen Motivationskraft der Selbstbegünstigung“ heraushebt und damit von der psychologischen Unerreichbarkeit einer entgegenstehenden Strafsanktion ausgeht. Im Prozessrecht kommt dieser Grundsatz dadurch zum Tragen, dass niemand verpflichtet ist, aktiv an seiner Überführung oder Verurteilung mitzuwirken. So besteht keine Mitwirkungspflicht an der Atemalkoholprüfung108, der Beschuldigte/Betroffene ist gem. §§ 136 I 2, 163 a IV 2 StPO, 46 I OWiG, der Angeklagte gem. § 243 IV 1 StPO über sein Schweigerecht zu belehren109, und auch 103

Vgl. Meyer-Goßner, Einl Rdnr. 29 a. Siehe die umfassende Darstellung bei SK-StPO/Rogall, Vor § 133 Rdnr. 130 ff. sowie Nothhelfer, S. 109–111. Für verfassungsrechtliche Garantie aus Art. 20 III GG Geppert, BA 28 (1991), 31 (31, 36). Siehe auch Art. 14 III lit. g) des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (ratifiziert durch die Bundesrepublik Deutschland mit Gesetz vom 15.11.1973 – BGBl. 1973 II S. 1534): „Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte [. . .] darf nicht gezwungen werden, gegen sich selbst als Zeuge auszusagen oder sich schuldig zu bekennen.“ – womit nach einhelliger Ansicht bereits der Beschuldigte Schutz genießt, siehe Matt, GA 2006, 323 (326 Fn. 31). 105 BVerfGE 56, 37 (43). 106 Welzel, JZ 1958, 494 (496). 107 Geilen, FamRZ 1964, 385 (388). 108 Siehe die Richtlinie für die Blutentnahme und die Atemalkoholprobe, einsehbar unter . 109 Heftig umstritten ist, ob für den Beschuldigten bzw. für den Angeklagten auch ein „Recht zur Lüge“ besteht. Befürwortend Fezer, Stree/Wessels-FS, S. 663 (681); Bosch, S.190 ff. Ablehnend KK-StPO/Boujong, § 136 Rdnr. 20; Meyer-Goßner, § 136 104

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im Zivilprozess findet die Wahrheitspflicht ihre Grenze, wenn eine Partei strafbare Handlungen offen legen müsste110. Fernerhin ist § 111 OWiG dahin auszulegen, dass der Betroffene nur dann zur Offenbarung seiner Personalien verpflichtet ist, sofern er sich dadurch nicht in der Sache selbst belasten würde.111 Ist die Verweigerung der aktiven Mitwirkungspflicht von der Selbstbelastungsfreiheit umfasst, so darf dem Beschuldigten schließlich aus diesem Verhalten auch kein belastendes Beweisanzeichen entgegengehalten werden.112 In materieller Hinsicht erfasst § 145 d II Nr. 1 StGB nicht solche Handlungen, durch die die Ermittlungsarbeit der Strafverfolgungsbehörden lediglich behindert wird, ohne dass der Tatverdacht zugleich auf eine unbeteiligte Person gelenkt wird.113 § 164 I StGB steht nicht einem sog. modifizierten Leugnen entgegen, d.h. wenn der Beschuldigte über das bloße Leugnen hinaus lediglich die logische Folge seines Leugnens ausspricht114. Selbst dem bereits Verurteilten wird auf Grund des menschlichen Freiheitsdrangs die Selbstbefreiung nicht angelastet.115 Wie wir bereits aus dem Nachweis der zivilrechtlichen Rechtsprechung ersehen konnten, wird der an den Flüchtigen gerichtete Vorwurf dahin erhoben, dass nicht die Flucht an sich, sondern die in der Flucht liegende Gefährdung des Verfolgenden missbilligt wird.116 Neben Teilen des strafrechtlichen Schrifttums (siehe oben C.I.1.–2.) hat sich vor allem in der zivilrechtlichen Literatur eine

Rdnr. 18; Torka, S. 139; LR/Hanack, § 136 Rdnr. 41; Keller, JR 1986, 30 (31); einschränkend auch SK-StPO/Rogall, Vor § 133 Rdnr. 72. Siehe auch Kölbel, Selbstbelastungsfreiheiten, S. 25 ff. 110 Vgl. Musielak/Stadler, § 138 Rdnr. 3; Th/P/Reichold, § 138 Rdnr. 7. 111 Vgl. OLG Stuttgart Die Justiz 1987, 73 (75); Roxin, Strafverfahrensrecht, § 25 Rdnr. 8, SK-StPO/Rogall, Vor § 133 Rdnr. 71; KK-OWiG/Rogall, § 111 Rdnr. 61; Matt, GA 2006, 323 (324 f.). 112 Siehe im Hinblick auf die Verweigerung einer freiwilligen Speichelprobe BGHSt 49, 56 sowie BVerfG NJW 1996, 1587 (1588). Siehe auch LG Regensburg StraFo 2003, 129. 113 Siehe Rengier, BT II, § 51 Rdnr. 11; Tröndle/Fischer, § 145 d Rdnr. 9; Fahrenhorst, JuS 1987, 707 (709). 114 Siehe Rengier, BT II, § 50 Rdnr. 19; Tröndle/Fischer, § 164 Rdnr. 3 a; Fahrenhorst, JuS 1987, 707 (708); Keller, JR 1986, 30 m.w. N. 115 Vgl. Helmut Schneider, S. 188; Rengier, BT II, § 54 Rdnr. 7. Bezeichnenderweise anders § 237 DDR-StGB. 116 Entsprechend die Zivilrechtsjudikatur des OGH; vgl. OGH JBl 1987, 785 (786) – hoheitliche Verfolgung; OGH EvBl 1997, 271 (272) – private Verfolgung. Eine entsprechende Argumentation findet sich – bezogen auf die Garantenstellung aus Ingerenz – bei Stein, JR 1999, 265 (272), der darlegt, dass eine Handlungspflicht dahin, andere Interessen, namentlich das Leben oder die Gesundheit Dritter, zu wahren, keine Instrumentalisierung darstelle, wobei die Freiheit von Selbstbelastungszwang nicht berührt sei, da nicht die Förderung der Strafverfolgung, sondern ausschließlich die Gefahrenabwehr den Grund für die Auferlegung der Handlungspflicht bilde.

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breite Zahl von Autoren dieser Sichtweise angeschlossen.117 Die rechtswidrige Handlung des Flüchtenden wird dabei in der Nichtbefolgung der in der Verfolgung inzidenter liegenden Anordnung, sich zu stellen, gesehen.118 Bei der privaten Verfolgung ergebe sich die Duldungspflicht des Verfolgten, sich zu stellen, aus dem Selbsthilferecht des Verfolgers gem. § 229 BGB119 bzw. aus § 127 StPO oder gar nur aus einer „Kameradschaftlichkeit der Straße“120. Neben den bereits genannten kritischen Stimmen des strafrechtlichen Schrifttums, meldet nur eine geringe Zahl von zivilrechtlich ausgerichteten Autoren unter Verweis auf das Selbstbegünstigungsprinzip Bedenken gegen eine Zurechnung an.121 b) Flucht als Ausfluss des Selbstbegünstigungsprivilegs? Betrachten wir die Flucht in ihrem sozialen Kontext, so könnte man dahin argumentieren, dass zufolge des nemo-tenetur-Prinzips vom Beschuldigten allein kein Verhalten mit direkter Überführungsrelevanz erwartet bzw. eine entsprechende Passivität nicht sanktioniert werden darf. Ebenso wie mit der Lüge liefert der Beschuldigte mit der Flucht allerdings ein Indiz, welches für seine Täterschaft spricht und mithin indirekt seine Überführung sogar unterstützt.122 Die Vornahme der Flucht wäre nach diesem Verständnis gerade kein Ausfluss

117 Siehe nur Strauch, VersR 1992, 932 (935): „Allein die §§ 257 Abs. 3 S. 1, 258 Abs. 6, 120 Abs. 1 StGB bewirken weder eine strafrechtliche noch eine zivilrechtliche Immunität für alle Folgehandlungen“; Staudinger/Schiemann, § 249 Rdnr. 50: „Erlaubtes Verhalten schließt aber eine zivilrechtliche Verantwortung nicht notwendigerweise aus, wie das Beispiel der Verkehrspflichtverletzung zeigt [. . .]“; Deutsch, Haftungsrecht, S. 114: „An dieser Stelle wird das Risiko der Schadenstragung auch nicht unangemessen hoch, denn nicht die Flucht, sondern eine gravierende, noch nicht abgeschlossene Straftat wird derart belastet“; sowie Leitermeier, S. 108 f., der im Rahmen der Zumutbarkeit ausführt: „Nach herrschender Meinung handelt es sich hierbei lediglich um einen speziellen Entschuldigungsgrund, der nur bei der Strafvereitelung (§ 257 StGB a. F. 1. Alt. bzw. jetzt § 258 Abs. 5 StGB) eingreift“; Hermann Lange, JZ 1976, 198 (206): „Aber derjenige, der sich berechtigter Verfolgung entzieht, begeht doch insoweit eine rechtswidrige Handlung, als er den Verfolger einem besonderen Risiko aussetzt“; Wagner, JBl 1984, 525 (529): „Das Interesse am Handlungsspielraum des einzelnen, das gegen eine Haftung des Erstverursachers spricht, kann nicht durchdringen, weil der Übeltäter kein anerkanntes Interesse an der Flucht hat, sondern diese von der Allgemeinheit mißbilligt wird“. Im Ergebnis übereinstimmend auch Siedler, der eine Interessenabwägung zwischen dem Freiheitsinteresse des Flüchtenden und dem bedrohten Integritätsinteresse des Verfolgers proklamiert, vgl. Siedler, S. 110 f. 118 Vgl. Leitermeier, S. 75. 119 Vgl. Leitermeier, S. 78. 120 BGH NJW 1964, 1363 (1364). 121 Kritisch vor allem Kötz/Wagner, Rdnr. 202 sowie J. Hübner, JuS 1974, 496 (501). Restriktiv auch OLG Düsseldorf VersR 1970, 713. 122 Siehe Torka, S. 140.

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eines solchen Selbstbegünstigungsprinzips. Denn das Fluchtverhalten würde kein Verhalten zur Abwehr des staatlichen Strafanspruchs darstellen, sondern dessen Durchsetzung vielmehr fördern. Die erlaubte selbstbegünstigende Abwehr der Überführung würde somit nicht in der Flucht, sondern in dem Verzicht auf diese liegen. Dennoch knüpft die Flucht direkt an die Ratio der Selbstbezichtigungsfreiheit, ist doch die erfolgreiche Flucht in dem Sinne selbstbegünstigend, dass der Täter auf diese Weise der negativen Veränderung seines status quo entgeht, indem er weiterhin persönliche Freiheit vor Kriminalstrafe oder deren Durchsetzung genießt.123 Dieses Ergebnis korrespondiert mit der Regelung des § 112 II Nr. 2 StPO – auch hier ist die Flucht an sich nicht verboten, allenfalls kann die Pflicht des Beschuldigten, die Durchführung des Strafverfahrens zu erdulden, durch Inhaftnahme vorbeugend gesichert werden.124 Auch für die Strafzumessung darf die Flucht dem Täter nicht angelastet werden.125 Den ganzen Inhalt des Prinzips der Selbstbezichtigungsfreiheit gibt daher die Begrifflichkeit einer „Strafverfolgungsentziehungsfreiheit“ treffend wieder.126 Im Ergebnis ist damit auch die Flucht grundsätzlich als Bestandteil der Selbstbezichtigungsfreiheit vom Selbstbegünstigungsprivileg umfasst. In der weiteren Untersuchung bleibt zu prüfen, ob es nicht gesetzliche Gebote gibt, die im Einzelfall der Selbstbegünstigung entgegen stehen können. Der Blick wendet sich hierbei zunächst auf die bereits in der zivilrechtlichen Rechtsprechung angesprochene polizeiliche Weisung. Auch die §§ 113, 142, 145 a i.V. m. 68 b I Nr. 1 und 323 c StGB müssen näher untersucht werden. 2. Einschränkung des Selbstbegünstigungsprinzips durch § 36 StVO? Gem. § 36 I 1 StVO sind Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten zu befolgen. Nach § 36 V 1 StVO dürfen Polizeibeamte Verkehrsteilnehmer auch zur Verkehrskontrolle einschließlich der Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit anhalten; diese Anweisungen sind gem. § 36 V 4 zu befolgen.127 Die Normen sind nach § 49 III Nr. 1 StVO, § 24 StVG bußgeldbewehrt. 123 Vgl. Torka, S. 140. Daher ist auch keine Differenzierung nach noch zu Verurteilenden und bereits Verurteilten vorzunehmen – für diese Sichtweise streitet insbesondere die straflose Selbstbefreiung, die nicht § 120 StGB unterfällt. Siehe auch M. Otto, S. 86. 124 Vgl. Torka, S. 140 f. 125 Vgl. Tröndle/Fischer, § 46 Rdnr. 49; Torka, S. 140; Schäfer, Rdnr. 376. 126 In diesem Sinn Torka, S. 140. 127 Polizeiliche Weisungen stellen Verwaltungsakte in Form der Einzelverfügung i. S. d. § 35 S. 1 VwVfG dar. Das Haltegebot ist unverzüglich zu befolgen, da die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gem. § 80 II Nr. 2 VwGO entfällt; vgl. Dvorak, JR 1982, 446 (449).

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Auf Grund der Bußgeldbewehrung der §§ 49 III Nr. 1 StVO, 24 StVG könnte sich der Schluss aufdrängen, der gesetzgeberische Wille sehe mit jener Vorschrift das Selbstbegünstigungsprinzip als überlagert an. Das Fluchtverhalten würde sich demnach als rechtswidrig darstellen, bzw. das Sichstellen als zumindest zumutbar erscheinen. Nach § 35 I StVO ist die Polizei bei der Erfüllung hoheitlicher Aufgaben bei dringender Gebotenheit von den allgemeinen Verkehrsordnungsvorschriften befreit, so dass sie ihrerseits rechtmäßig handelt. Umfasst ist damit auch die Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, wenn dies niemanden gefährdet oder schädigt.128 Insbesondere eine Geschwindigkeitsüberschreitung des verfolgenden Polizeifahrzeugs soll nach § 35 I StVO gedeckt sein.129 Von daher müsste sich zumindest für den Fall der polizeilichen Verfolgung – soweit kein Verfolgungsexzess130 vorliegt – unter der Prämisse einer normativen Korrespondenz, wie sie im 3. Abschnitt entwickelt wurde, eine Zurechnung zum pflichtwidrig Flüchtenden aufdrängen. Indessen wäre eine solche Beurteilung vorschnell. Denn es ist zunächst die Systematik der Absätze des § 36 StVO näher zu untersuchen. § 36 I StVO bezieht sich auf Grund der in § 6 I Nr. 3 StVG enthaltenen Ermächtigung alleine auf Maßnahmen zur Erhaltung der Ordnung und Sicherheit im Straßenverkehr. Die Vorschrift betrifft folglich lediglich Weisungen eines Polizeibeamten, die auf Grund einer konkreten Verkehrssituation einem gegenwärtigen Bedürfnis zur Regelung des Verkehrs im Einzelfall dienen sollen; womit auch Weisungen erfasst werden, die dadurch unmittelbar verkehrsbezogen sind, dass sie die von einem Verkehrsteilnehmer ausgehenden und andauernden Beeinträchtigungen der Verkehrssicherheit beseitigen sollen.131 Nicht vom Regelungszweck des § 36 I StVO erfasst sind demgegenüber Anhalteweisungen, die keinem solchen aktuellen Bedürfnis zur Regelung des Verkehrs entspringen, sondern ausschließlich der Ahndung eines bereits begangenen, in seiner verkehrsbeeinträchtigenden Wirkung jedoch nicht fortdauernden Verstoßes dienen.132 Entsprechend hat der BGH133, um eine offensichtliche Friktion mit dem Selbstbegünstigungsprivileg zu vermeiden, im Jahre 1984 in einem Grundsatzurteil das Verhältnis von polizeilicher Weisungsverfügung und strafloser Selbst-

128

Vgl. Hentschel/König, § 35 StVO Rdnr. 5. Im Fall von OLG Nürnberg StVE § 35 StVO Nr. 2 ca. 120 km/h. Einschränkend AG Berlin-Tiergarten DAR 1965, 182; OLG Düsseldorf VersR 1970, 713. Eingehend zu den Befugnissen im Rahmen von Einsatzfahrten Pießkalla, NZV 2007, 438 ff. 130 Zu denken ist hier insbesondere an drittgefährdende Hochgeschwindigkeitsverfolgungsjagden, wie sie aus den Vereinigten Staaten bekannt sind. 131 Vgl. Geppert, Spendel-FS, S. 655 (662). 132 Vgl. Geppert, Spendel-FS, S. 655 (662). 133 BGHSt 32, 248. 129

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begünstigung geklärt. Dazu führt der BGH aus: „Ein – möglicherweise – Betroffener ist nicht verpflichtet, bei der Erforschung und Ahndung einer von ihm begangenen, beendeten Ordnungswidrigkeit aktiv mitzuwirken. Daß der Gesetzgeber eine solche Pflicht nicht bestimmen wollte, zeigen die von ihm eingeführten Auskunftsverweigerungsrechte für den Fall der Selbstbelastung. Dieser Grundsatz würde im Recht der Verkehrsordnungswidrigkeiten durchbrochen, wenn man einen Verkehrsteilnehmer durch Androhung einer Geldbuße zwingen wollte, allein wegen der Verfolgung einer bereits beendeten Verkehrsordnungswidrigkeit auf eine polizeiliche Weisung hin anzuhalten“134. Auch § 36 V StVO gestattet eine repressive Anhalteweisung nicht, denn es geht nicht an, dass eine repressiv ausgerichtete Weisung, die nach § 36 I StVO nicht bußgeldbewehrt ist, dadurch zu einem bußgeldbewehrten Fall des § 36 V StVO gemacht wird, indem zugleich eine allgemeine Kontrolle, z. B. der mitzuführenden Papiere, durchgeführt wird.135 § 36 V StVO will mithin nur die eindeutig bezeichneten Ausnahmen von der Grundregel des Abs. 1 zulassen.136 Damit bezieht sich das polizeiliche Weisungsrecht insgesamt ausschließlich auf konkret verkehrsregelnde Maßnahmen, nicht aber auf repressive Verfolgungstätigkeit. Bei dieser Rechtslage drängt sich die Frage auf, ob aus den gleichen Gründen strafrechtlichen Selbstbelastungsverbots die Bußgeldbewehrung und damit die Pflichtwidrigkeit des Fluchtverhaltens auch dann zu entfallen haben, wenn ein von der Polizei völlig verdachtsfrei zum Anhalten aufgeforderter Kraftfahrer weiterfährt, um sich bei der nachfolgenden Kontrolle nicht der Gefahr auszusetzen, beispielsweise wegen möglicher Trunkenheit im Straßenverkehr belangt zu werden. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass bei verdachtsfreier Verkehrskontrolle lediglich die Pflicht zum Anhalten und Warten besteht, ein Zwang zu einer besonderen Aktivität mangels Inkulpationsaktes aber fehlt.137 In den Kategorien des Strafverfahrensrechts mangelt es zu diesem Zeitpunkt an einer entsprechenden Beschuldigtenstellung, so dass es sich um eine dem Prinzip des Selbstbegünstigungsprivilegs nicht unterfallende, vorgelagerte Ebene handelt. Für einen Rechtsbrecher besteht kein Freibrief, einen Normverstoß sanktionslos fortsetzen zu dürfen.138 Nimmt nun allerdings ob der Flucht des sich der Kon134

BGHSt 32, 248 (253 f.). So ausdrücklich Geppert, Spendel-FS, S. 655 (662) sowie Seier/Rohlfs, NZV 1996, 460. 136 Siehe BGHSt 32, 248 (252 f., 255). Zustimmend Dodegge, JuS 1986, 143 (147) und für den Fall einer allgemeinen Straftat oder Ordnungswidrigkeit Dvorak, JR 1982, 446 (447) m.w. N. Einschränkend aber Hentschel, NStZ 1984, 271 (272) und Hentschel/König, § 36 StVO Rdnr. 24 sowie Janiszewski, NStZ 1983, 513 (514) und Bouska, DAR 1984, 33 (34), die die Anhalteweisung in diesem Fall auf die Kontrolle der mitzuführenden Papiere stützen wollen. 137 Vgl. Geppert, Spendel-FS, S. 655 (662). 135

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trolle entziehenden Kraftfahrers die Polizei die Verfolgung auf, so ist der verdachtsbegründende Inkulpationsakt in diesem Verhalten zu sehen. Kommt es bei der sich anschließenden Verfolgung zu einer Schädigung der Verfolger, so ist in diesem Zeitpunkt wiederum kein rechtswidriges (von der Bußgeldbewehrung des § 36 V 4 StVO umfasstes), da von der Selbstbegünstigung gedecktes, Verhalten zu sehen. Dass sich die Zeitspanne zwischen Nichtbefolgen der Weisung und der Aufnahme der Verfolgung als bußgeldbewehrt darstellt, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Damit kann festgehalten werden, dass § 36 StVO grundsätzlich dem Selbstbegünstigungsprinzip nicht entgegensteht. Auf das nemo-tenetur-Prinzip kann sich der Betroffene allerdings dann nicht berufen, wenn sein Fehlverhalten eine fortdauernde Verkehrsgefährdung darstellt – z. B. ein während der Verfolgung anhaltendes Schlangenlinienfahren – oder die Flucht im Vorgriff auf eine angeordnete verdachtsunabhängige Kontrolle erfolgt; allerdings ist nur dieser Zeitraum bußgeldbewehrt, kommt es anschließend zur Verfolgung durch die Polizeibeamten, so liegt diesem ein finaler Inkulpationsakt zu Grunde, der dem Flüchtenden das Selbstbegünstigungsprivileg eröffnet. 3. Einschränkung des Selbstbegünstigungsprinzips durch § 113 StGB? In der Flucht vor einem Exekutivorgan könnte ein gewaltsames Widerstandsleisten i. S. d. § 113 I StGB zu sehen sein. Widerstand mit Gewalt wird dabei von der Rechtsprechung und der h. M. im Schrifttum als jede durch aktives Handeln bewirkte, gegen die Person des Amtsträgers gerichtete und von diesem als körperlich empfundene Kraftentfaltung angesehen, die nach der Vorstellung des Täters dem Ziel dient, die Vollstreckungshandlung zu verhindern oder dergestalt zu erschweren, dass der Amtsträger die Diensthandlung nicht ausführen kann, ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen.139 Aber auch diese Norm ist im Lichte des Selbstbegünstigungsprinzips zu sehen. So ist anerkannt, dass Widerstand gegen die Staatsgewalt nicht angenommen werden kann, wenn polizeiliche Haltezeichen missachtet werden, ohne auf den Beamten zuzufahren.140 Insoweit erfolgt also ein Gleichlauf mit der Beur-

138 Vgl. Geppert, Spendel-FS, S. 655 (662). So auch Torka, S. 297 f.: Das Selbstbegünstigungsprivileg vermittelt kein „Recht auf ungestörte Deliktsausübung“ sowie S. 223: Nemo tenetur privilegiert gerade nicht das Vorhaben des Täters, einen Tatvorwurf (bereits) in statu nascendi nicht entstehen zu lassen. 139 Vgl. Rengier, BT II, § 53 Rdnr. 8. Eine Mindermeinung will den Begriff der Gewalt dahin einschränken, dass Leib, Leben oder Fortbewegungsfreiheit der Vollstreckungsperson angegriffen werden, d.h. der Amtsträger selbst zum Angriffsobjekt wird, siehe Sch/Sch/Eser, § 113 Rdnr. 42; Geppert, JK 97, § 113/4. 140 Vgl. Dallinger in Auseinandersetzung mit BGH bei Dallinger, MDR 1955, 144; Rengier, BT II, § 53 Rdnr. 10.

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teilung des § 36 StVO. Auch aus § 113 StGB kann in Fluchtfällen grundsätzlich nicht gegen die Straffreiheit der Selbstbegünstigung argumentiert werden. 4. Einschränkung des Selbstbegünstigungsprinzips durch § 142 StGB? § 142 StGB legt dem Unfallbeteiligten eine Wartepflicht (Abs. 1) bzw. eine Meldepflicht (Abs. 2 und 3) auf. Flieht der Täter, nachdem er einen Unfall verursacht hat, so scheint die Norm dem Verständnis eines Selbstbegünstigungsprivilegs entgegenzustehen. Sieht man den Schutzbereich des nemo-tenetur jedoch alleine auf den Schutz vor selbstbegünstigender Aktivität gerichtet, so liegen die Wartepflichten des § 142 I StGB als auf Passivität gerichtete Normbefehle außerhalb des vom Selbstbegünstigungsprinzip gewährleisteten Schutzbereichs.141 Teilt man diese Ansicht nicht, und sieht auch diese Duldung, der nur durch Flucht zu begegnen ist, als vom Selbstbegünstigungsprinzip umfasst an [siehe oben E.I.1.b)], so stellt sich bereits für § 142 I StGB die Frage der Vereinbarkeit mit dem nemotenetur-Grundsatz. Es ist heute allgemein anerkannt, dass das von § 142 StGB geschützte Rechtsgut nicht das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung darstellt, sondern alleine das private Beweissicherungsrecht der Unfallbeteiligten an der Feststellung der Unfallursachen zwecks Klärung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit.142 Die bevorzugte Behandlung von Geschädigten im Straßenverkehr wird damit begründet, dass wegen der potentiellen Schwere der Schäden ein gesteigertes Interesse an der Aufklärung und ein erhöhtes Risiko bestehe, dass die Aufklärung verhindert werde.143 Da somit weder die Vorstellungspflicht des § 142 I StGB noch die Meldepflicht des § 142 II, III StGB in staatliche Beweisverfahren eingebunden sind, sondern einem privatnützigen Informationsfluss dienen, ist der Schutzbereich des Selbstbegünstigungsprivilegs nicht unmittelbar betroffen.144 Dem mittelbaren Zwang zur Selbstbelastung ist durch eine restriktive Normauslegung gerecht zu werden.145 Aus der Norm des § 142 StGB lässt sich somit keine Wertentscheidung gegen eine grundsätzliche Unterstellung der Flucht in das Prinzip der Privilegierung der Selbstbegünstigung entnehmen. Wenn der Täter flieht, bevor er die notwendigen Feststellungen ermöglicht hat, hierbei von der Polizei verfolgt wird 141

So beispielsweise Geppert, BA 28 (1991), 31 (36). Vgl. Geppert, Jura 1990, 78; ders., JK 90, § 142/14; Rengier, BT II, § 46 Rdnr. 1; Tröndle/Fischer, § 142 Rdnr. 2; Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 142 Rdnr. 1; Lackner/Kühl, § 142 Rdnr. 1 und BVerfGE 16, 191 (193). 143 Vgl. Weigend, JR 1993, 115 (116). 144 Vgl. Geppert, BA 28 (1991), 31 (36). 145 Richtig daher OLG Zweibrücken, NJW 1989, 2765: Kein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort, wenn die Personalien festgestellt wurden, aber vor dem Eintreffen der Polizei bzw. vor der Entnahme einer Blutprobe die Flucht ergriffen wird. 142

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und es zum Unfall der verfolgenden Beamten kommt, so liegt in diesem Zeitpunkt alleine eine Beeinträchtigung privater Belange – der Feststellungsinteressen des Unfallgegners – vor, deren Abwehr nicht dem Selbstbegünstigungsprivileg unterfällt. Die Aufgabe der Flucht ist unter diesem Gesichtspunkt zumutbar und deren Fortsetzung ist als rechtswidrig anzusehen. Die Auswirkung auf die hierzu in Relation zu setzende rechtmäßige Verfolgung durch Polizeibeamte werden wir unten (E.II.) einer Lösung zuführen. 5. Einschränkung des Selbstbegünstigungsprinzips durch §§ 145 a i. V. m. 68 b I Nr. 1 StGB? Eine Ausnahme von der Straflosigkeit rechtspflegebeeinträchtigender Flucht könnte in der Sanktionierung der Entziehung der Führungsaufsicht gem. §§ 145 a i.V. m. 68 b I Nr. 1 StGB erblickt werden. Wie Helmut Schneider jedoch richtig feststellt, gründet die Norm nicht in einem für sonstige Fluchtsituationen typischen Konfrontationszusammenhang in Form eines Subordinationsverhältnisses, sondern die von den §§ 145 a i.V. m. 68 b I Nr. 1 StGB erfassten Fälle der Sanktionsabwicklung sind durch kooperative Komponenten gekennzeichnet. „Diese führen staatlicherseits zu einer gewissen Rücknahme der faktischen Kontroll- und Überwachungstätigkeit, so daß das Strafrecht gleichsam als normatives Sicherungsinstrument zur Stabilisierung staatlichen Erwartungsvertrauens gegenüber dem weisungsunterworfenen Straftäter eingesetzt wird.“146 Es wird also nicht die Flucht als solche bestraft, sondern die Zweckvereitelung der Führungsaufsicht in einem System der Symbiose, bei welcher der Staat seine dominierende Einflussnahme auf den Straftäter verringert und dieser im Gegenzug dem Erwartungsvertrauen des Staates zu entsprechen hat. In diesem System der Kooperation kann sich die Sanktionierung der Enttäuschung normgerechten Verhaltens nicht als dem Selbstbegünstigungsprivileg entgegenstehendes Prinzip darstellen. 6. Einschränkung des Selbstbegünstigungsprinzips durch § 323 c StGB? Schließlich könnte die strafbewehrte Hilfeleistungspflicht in Unglücksfällen147 dem Selbstbegünstigungsprinzip entgegenstehen. Welzel, der dem nemo-tenetur-Prinzip das Wesen eines „Naturrechts“ zuweist, hält folglich eine Hilfeleistung grundsätzlich für nicht zumutbar, wenn sie die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung heraufbeschwört, denn „sonst kämen 146

Helmut Schneider, S. 344 Fn. 43. Die nachfolgenden Ausführungen gelten entsprechend für das unechte Unterlassungsdelikt auf Grund von Ingerenz. 147

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wir bald vom Naturrecht des Selbstschutzes zur totalen Inpflichtnahme des Individuums für Gemeinschaftszwecke“148. Demgegenüber vertritt die Rechtsprechung eine differenzierende Auffassung. Für denjenigen, der durch sein Tun, wenn auch schuldlos, einen Unglücksfall mitverursacht hat, soll eine Hilfspflicht bestehen. Die Zumutbarkeit der Hilfeleistung entfalle für ihn nicht deshalb, weil er zu befürchten habe, in den Verdacht der schuldhaften Herbeiführung des Unglücksfalles zu geraten und in ein Ermittlungsverfahren verwickelt zu werden.149 Auch hält der BGH die Hilfeleistung gegenüber dem Opfer eines Verkehrsunfalls für die Ehefrau des an ihm beteiligten Kraftfahrzeugführers zumutbar, wenn die Hilfe möglich ist, ohne ihren Ehemann der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung auszusetzen – z. B. durch einen anonymen Anruf der Rettungsstelle.150 Dass die beiden Entscheidungen nicht recht miteinander harmonieren mögen, hat treffend Geilen151 erkannt. Denn während dem Ehegatten die Hilfeleistung nur dann zugemutet wird, wenn sie möglich ist, ohne den Ehegatten zu belasten – womit der Widerstreit zwischen Denunziantenrolle und Familiengemeinschaft zu Gunsten letzterer entschieden wird –, soll die Zumutbarkeit der Hilfeleistung für den Unfallverursacher nicht durch die Gefahr der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ausgeschlossen werden. Die altruistische Fremd- statt der Selbstbegünstigung wird somit (systemwidrig) stärker honoriert. Frellesen will sowohl im Fall der fahrlässigen als auch im Fall der schuldlosen Verursachung des Unglücksfalls die Zumutbarkeit der Hilfeleistung annehmen. Seine Argumentation beruht auf der Annahme, dass die grundsätzliche Wertentscheidung zu Gunsten des Opfers des Verkehrsunfalls – die bei der Rechtfertigung der Strafdrohung getroffen wurde – unterlaufen würde, wenn die Hilfeleistung gerade in Situationen, für die der Straftatbestand gerechtfertigt er148

Welzel, JZ 1958, 494 (496) (Hervorhebungen im Original). Vgl. BGHSt 11, 353. Bedenklich erscheint die Argumentation des BGH ebd. wenn er auf S. 356 f. ausführt: „Die für den Angeklagten aus seinem vorausgegangenen Tun sich ergebende Rechtspflicht zum Eingreifen war jedoch auch unter dem Gesichtspunkt des § 330 c StGB, bei dem es auf die Abwendbarkeit des Todes des V. nicht ankam [. . .], rechtlich erheblich, und zwar nicht nur deshalb, weil sie die nach der genannten Vorschrift für den Angeklagten bestehende allgemeine Hilfspflicht verstärkte, sondern auch und vor allem deshalb, weil sie den Einwand des Angeklagten, die Beistandleistung sei ihm wegen der Gefahr sofortiger Strafverfolgung nicht zumutbar gewesen, schlechthin ausschloß.“ Ob sich der Täter nach § 323 c StGB (§ 330 c StGB a. F.) strafbar gemacht hat, hängt von der Zumutbarkeit der Hilfeleistung ab, so dass die Zumutbarkeit nicht damit begründet werden kann, das Selbstbegünstigungsinteresse sei unbeachtlich, weil der Täter die Straftat des § 323 c StGB begangen habe – hier wird die petitio principii perfekt, vgl. Welzel, JZ 1958, 494 (496); Frellesen, S. 179. Der Judikatur des BGH jedoch zustimmend Geppert, JK 93, § 323 c/4 mit dem Verweis auf den Rechtsgedanken des § 35 I 2 StGB. 150 Vgl. BGHSt 11, 135. 151 Vgl. Geilen, FamRZ 1964, 385 (389). 149

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scheint, regelmäßig als unzumutbar angesehen würde.152 Es könne daher nicht der gleiche Umstand, der die Strafdrohung rechtfertige, die Erfüllung des Hilfeleistungsgebotes unzumutbar machen.153 Demgegenüber geht Torka nicht so weit. Er hält eine Einschränkung des Selbstbegünstigungsprinzips alleine in den Fällen der Bedrohung höchstrangiger Rechtsgüter – Leben, Leib und bedeutender Sachen – für angezeigt.154 Mit der Beschränkung des Zumutbarkeitsgesichtspunktes auf fundamentale Rechtsgüter, wie sie Torka proklamiert, wird ein sachgerechtes Ergebnis erzielt. Einerseits wird die Werteentscheidung des Strafgesetzbuches gewahrt, andererseits wird dem Unglücksverursacher das elementare Recht auf Selbstschutz nicht entzogen, sondern alleine in Extremsituationen im Wege einer praktischen Konkordanz eine Bewertung der gegenüberstehenden Interessen postuliert. Daher muss auch bei der Bedrohung fundamentaler Rechtsgüter grundsätzlich, d.h. soweit möglich und erfolgversprechend, eine Hilfeleistung, die die Selbstbelastungsfreiheit des Betroffenen wahrt, als ausreichend erachtet werden, beispielsweise ein anonymer Notruf.155 Mit dieser Sichtweise erschließt sich auch die Beurteilung in einer Verfolgungssituation. Nur wenn ein Unglücksfall mit schwerverletzten Personen entstanden ist, stellt sich die Flucht vor der verfolgenden Polizei als rechtswidrig dar, da das Selbstbegünstigungsprinzip in dieser Situation an seine absolute Grenze stößt. Entsprechende Fälle sind freilich schwer zu konstruieren, denn die Polizei darf auf Grund ihrer Schutzfunktion die Verfolgung erst aufnehmen, wenn sie dem bedrohten Rechtsgut, dem Verletzten, ihrerseits zu Hilfe gekommen ist. Kam sie dem Verletzten jedoch zu Hilfe, so stellt sich die Flucht des Unglücksverursachers nicht mehr als fortdauernde Bedrohung des Geschädigten dar, die Verfolgung dient korrespondierenderweise nun einem repressiven Zweck, womit dem Flüchtenden die Berufung auf das Selbstbegünstigungsprinzip von diesem Zeitpunkt an nicht verwehrt werden darf. 7. Zwischenergebnis Die Flucht vor strafrechtlicher Verfolgung ist als Ausfluss des Selbstbegünstigungsprinzips anzusehen. Denkbare Einwände gegen dieses Verständnis haben sich als unhaltbar erwiesen. Es lässt sich aus dem Nichtbefolgen einer polizeilichen Weisung grundsätzlich keine Einschränkung des nemo-tenetur-Prinzips herleiten. Einzig, wenn während der Verfolgung eine fortdauernde Gefährdung der Sicherheit des Stra152 153 154 155

Siehe Frellesen, S. 203. Siehe Frellesen, S. 203. Vgl. Torka, S. 200, 297, 303. So auch Stein, JR 1999, 265 (272).

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ßenverkehrs durch den Flüchtenden bewirkt wird, stellt sich das Verhalten des Flüchtenden als rechtswidrig und damit als bußgeldbewehrt dar. Die Konsequenz für die rechtliche Beurteilung einer Schädigung des Verfolgers in dieser Situation wird unten (E.II.) dargestellt. Darüber hinaus kann aus den Strafnormen der §§ 113, 142, 145 a i.V. m. 68 b I Nr. 1, 323 c StGB grundsätzlich nicht gegen die Straffreiheit der selbstbegünstigenden Flucht argumentiert werden. Da § 142 StGB das Schutzgut der privaten Beweissicherung umfasst, kann in der strafrechtlichen Sanktionierung eines Verstoßes gegen diese Norm keine Beschneidung des Selbstbegünstigungsprinzips ersehen werden. Die Konsequenzen, die sich für die rechtliche Bewertung eines Verfolgerunfalles ergeben, werden wir unten (E.II.) lösen. Ist somit die Flucht vom Selbstbegünstigungsprinzip des nemo tenetur se ipsum prodere erfasst, so wäre es widersinnig und sachwidrig, dennoch dieses Verhalten als Zuschreibungsgrundlage für eine reflexive Gefährdung des Verfolgenden anzusehen. Hier würde dem Flüchtenden eine Bedingung an sein Verhalten geknüpft und eine Scheinfreiheit proklamiert. Soweit dem Flüchtenden keine über die Flucht hinausgehende Regelverletzung bzw. Drittgefährdung anzulasten ist, steht dieses Verhalten in seiner Gesamtheit unter dem Prinzip der Selbstbegünstigung und muss in seinem Leitprinzip „bedingungsfeindlich“ dahin sein, dass nicht an eine potentielle Gefährdung der Verfolger, welche der Flucht innewohnt, angeknüpft werden darf. Hierfür spricht auch, dass der deutsche Gesetzgeber bewusst auf die Schaffung einer allgemeinen Verbotsnorm der Hinderung einer Amtshandlung, wie sie sich beispielsweise in Art. 286 des schweizerischen StGB156 findet, verzichtet hat. Sanktioniert werden soll nur ein gewaltsames Widerstandleisten i. S. d. § 113 StGB.157 II. Lösung der Fälle von Verfolgung durch Hoheitsträger

Für die Konstellation der Retterschäden sind wir von einer normativen Korrespondenz ausgegangen, die die Schädigungen des rechtlich verpflichteten Retters insoweit der Zurechnung unterstellt, als dieser den Schutzanspruch genießt, 156 Art. 286 Hinderung einer Amtshandlung: „Wer eine Behörde, ein Mitglied einer Behörde oder einen Beamten an einer Handlung hindert, die innerhalb ihrer Amtsbefugnisse liegt, wird mit Gefängnis bis zu einem Monat oder mit Busse bestraft“. Siehe hierzu BGE 124 127 (132): „Die Strafbarkeit der in Selbstbegünstigung begangenen Widersetzung führt somit nicht zu einem generellen, sondern nur zu einem beschränkten Fluchtverbot, wobei sich die Beschränkung aus der ausnahmslosen Pflicht ergibt, rechtmässige amtliche Anordnungen zu befolgen“; übereinstimmend Hauswirth, S. 167 f.; ablehnend Stratenwerth, Schw. BT II, § 49 Rdnr. 12 und Trechsel, Art. 286 Rdnr. 6. 157 Siehe auch Geppert, JK 97, § 113/4: „Minima non curat praetor!“ Auch § 121 I StGB erfasst ausschließlich den gewaltsamen Ausbruch, wobei sich eine lediglich gegen Sachen gerichtete Gewalt als tatbestandlich fraglich erweist, vgl. Tröndle/Fischer, § 121 Rdnr. 8.

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nicht pflichtwidrig in Gefahrensituationen gebracht zu werden, in denen die Rechtsordnung eine Handlungspflicht erhebt. Würden wir dieses Modell uneingeschränkt auf die Verfolgungsfälle übertragen, so müsste auch hier eine normative Korrespondenz mit der Folge der Zurechnung naheliegen, wenn der Verfolger seiner beruflichen Pflicht nachkommt. Die Besonderheit dieser Fälle liegt aber darin, dass die Flucht an sich als vom Selbstbegünstigungsprinzip umfasste Verhaltensweise nicht als pflichtwidrig gewertet werden kann. Im System der gegenüberstehenden Interessen stehen sich damit zwei Verhaltensweisen gegenüber, die jeweils nicht pflichtwidrig sind. Hier versagt eine normative Korrespondenz zwischen dem Schutzanspruch des Verfolgers und dem Verhalten des Verfolgten auf der anderen Seite, da sich auch der Fliehende in dieser Situation im Rahmen des rechtlich Geduldeten bewegt. Die Verletzung des Verfolgers muss damit in dessen Sphäre als Berufsrisiko verbleiben. Dem Verletzten lässt sich kein Zuschreibungsobjekt zuweisen.158 In sämtlichen oben mitgeteilten Zivilrechtsfällen der Verfolgung durch Hoheitsträger [(1)–(9)] lässt sich damit in Abkehr von der Dogmatik der zivilrechtlichen Judikatur keine Zurechnung vornehmen. Das Verhalten der Flüchtenden unterstand jeweils ohne Einschränkung dem Selbstbegünstigungsprinzip. In den Fällen der Flucht zu Fuß fehlt es offensichtlich an einer Gefährdung der Umgebung und auch in den Fluchtfällen des Straßenverkehrs lässt sich aus den dargelegten Sachverhalten keine andauernde Gefährdung der Sicherheit des Straßenverkehrs entnehmen, insbesondere kann eine reine Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit ohne hinzutretende Momente nicht ausreichend sein.159 Zu klären bleibt, welche Auswirkungen die Verwirklichung des § 142 StGB auf die Zurechenbarkeit eines Verfolgerunfalles hat. Stellen wir uns vor, A hat einen Verkehrsunfall verursacht, bei welchem das Fahrzeug des B beschädigt wurde. Eine in der Nähe befindliche Polizeistreife hat den Unfall beobachtet und macht sich auf den Weg zum Unfallort. A verweigert dem B gegenüber Feststellungen zu seiner Person und Unfallbeteiligung und ergreift mit seinem Fahrzeug die Flucht. Die Polizeibeamten nehmen die Verfolgung auf, bei welcher sie – ohne dass ein Verfolgungsexzess vorliegt – auf das Bankett geraten und infolgedessen die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren.

158 Eine andere Sichtweise wäre allerdings in folgendem Fall angezeigt: A verdächtigt den B wider besseres Wissen falsch (164 StGB); der Polizeibeamte P verletzt sich bei der Verfolgung des B (Abwandlung des oben 4. Abschnitt, Fn. 26 diskutierten Falles). Hier wird es jedoch regelmäßig auf Grund des außergewöhnlichen Kausalverlaufs an der objektiven Vorhersehbarkeit der Schädigung des Polizeibeamten für den A fehlen. 159 Im Ergebnis übereinstimmend Lewisch, Casebook, S. 112 (zu Nr. 220).

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1. Teil, 4. Kap.: Die Zurechnung von Verfolgerverhalten

Bereits oben wurde festgestellt, dass das Schutzgut des § 142 StGB alleine private Beweissicherungsrechte umfasst. Diesem Aspekt muss auch Bedeutung für die Beurteilung der Zurechnung eines Verfolgerschadens beigemessen werden. Die Verletzung des privaten Beweissicherungsrechts ist mit dem Verlassen des Unfallortes verwirklicht, es handelt sich sozusagen um eine punktuelle Strafbarkeit. Im Zeitpunkt der Flucht ist die Intention der verfolgenden Polizeibeamten somit nicht mehr primär auf die Sicherung des privaten Beweissicherungsrechts, sondern vielmehr auf die repressive Sanktionierung des Verstoßes gegen das Beweissicherungsrecht gerichtet. Diese Situation ist ob ihres repressiven Charakters aber wiederum dem Selbstbegünstigungsprinzip zu unterstellen, da dem flüchtenden Täter nicht zugemutet werden kann, sich dem staatlichen Strafanspruch zu stellen. Eine Pflichtwidrigkeit in Bezug auf die verfolgenden Beamten kann dem Flüchtenden gegenüber unter diesem Gesichtspunkt nicht zugeschrieben werden. Mangels normativer Korrespondenz verbleibt der Schaden der Verfolger bei diesen als Ausprägung des Berufsrisikos. Eine andere Beurteilung ist einzig dann angebracht, wenn sich das Verhalten des Flüchtenden im Zeitpunkt der Schädigung des Verfolgers neben der Flucht als anhaltende Gefährdung dritter Rechtsgüter – insbesondere anderer Verkehrsteilnehmer – darstellt. Hier erscheint das Fluchtverhalten nicht alleine im Licht der Selbstbegünstigung, sondern stellt einhergehend eine Beeinträchtigung gänzlich unbeteiligter Rechtsgüter dar. Fährt der alkoholisierte Flüchtige somit in den Gegenverkehr gefährdenden Schlangenlinien, so stellt sich die Flucht, wie oben dargelegt, in Hinblick auf eine Anhalteweisung nach § 36 I StVO als nicht vom nemo-tenetur-Prinzip umfasst und damit als rechtswidrig dar. Bildet das Verhalten der verfolgenden Polizeibeamten keinen Verfolgungsexzess – d.h. keine unverhältnismäßige Eigen- oder Drittgefährdung –, so verhalten sich alleine die Beamten im Rahmen der rechtlichen Erwartung. Kommt es zum Unfall (jenseits des allgemeinen Lebensrisikos160), so begründet die normative Korrespondenz161 aus pflichtwidrigem Verhalten des Flüchtigen und dem Schutzanspruch der Verfolger eine Zurechnung der Schädigung der Verfolgenden zum Flüchtenden. III. Lösung der Fälle von Verfolgung durch Privatpersonen

Im Falle der Verfolgung durch Private lässt sich schwerlich mit dem Prinzip der Selbstbegünstigungsfreiheit argumentieren, ist der nemo-tenetur-Grundsatz doch auf das Verhältnis Bürger – Staat ausgelegt.

160 Vgl. die entsprechende Konstellation bei der Schädigung des Flüchtenden oben 4. Abschnitt, Fn. 28. 161 Siehe eingehend oben 3. Abschnitt, F.VI.2.

6. Abschn.: Der Verfolger als Geschädigter

291

Allerdings liegt die Besonderheit darin, dass der Bürger nicht zur Verfolgung verpflichtet ist, sondern das Recht ihm lediglich eine Befugnis hierzu durch § 127 StPO einräumt. Insbesondere wird sich aus § 323 c StGB keine Hilfspflicht zur Verfolgung des Täters ableiten lassen, da es nur um die Wiedererlangung eines Sachwertes ohne das Merkmal einer Gemeingefahr gehen könnte162 oder aber die Hilfspflicht für das verletzte Opfer Vorrang hätte. Darüber hinaus hätte der Unglücksfall mit seinen Schadensfolgen mit der Flucht des Täters bereits sein Ende gefunden.163 Fehlt es aber an einer Rechtspflicht zur Verfolgung, so rechtfertigt dies nicht, dem Verfolger den Verfolgten als Zuordnungsobjekt einer strafrechtlichen Haftung gegenüberzustellen. Denn bei fehlender rechtlicher Verpflichtung lässt sich aus dem Korrelat von Schutzanspruch des Verfolgers und der Sorgfaltspflicht des Flüchtenden keine normative Korrespondenz dahin erheben, dem Schutzanspruch durch die Zuweisung eines Verantwortlichen Genüge zu tun. Ohne rechtliche Verpflichtung lässt sich kein wechselseitiger Schutzanspruch fundieren. Hier zeigt sich im Übrigen ein wesentlicher Vorteil gegenüber der Lösung durch M. Otto. Während dieser in dem Fall, dass der Verfolger nicht die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs intendiert, sondern dem Verfolgten vielmehr eine Abreibung verpassen will, seine Lösung dahin variieren muss, dass es in solchen Fällen an der sozialen Anerkennung der Verfolgung mangeln soll und er damit die Zurechnungsbegründung anhand von – aus Sicht des Verfolgten – Zufälligkeiten festmachen muss164, ist der Gedanke der fehlenden normativen Korrespondenz hier leistungsstärker. Denn für den Fliehenden wird oftmals nicht ersichtlich sein, welche Intention der Verfolger hegt. Wie soll er dann aber sein – nach M. Otto strafbegründendes – Verhalten daran ausrichten können? Auch in den Fällen der Verfolgung durch Private [oben Entscheidungen (1)– (2)] hätte somit unter strafrechtlichen Zurechnungsgesichtspunkten eine Zuschreibung der Verfolgerschädigung zum Flüchtenden unterbleiben müssen. F. Ergebnis Damit können wir als Ergebnis festhalten, dass sich aus der Schädigung des Verfolgers grundsätzlich keine Zurechnung zum Fliehenden begründen lässt, unabhängig davon, ob es sich um eine Verfolgung durch staatliche Hoheitsträger

162 Siehe Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 323 c Rdnr. 5. Auch aus Notstandsgesichtspunkten („Staatsnotwehr“) kann sich keine Verpflichtung zum Einschreiten des Bürgers, d.h. zum Aufhalten des Flüchtigen ergeben, vgl. auch Roxin, AT I, § 15 Rdnr. 41. 163 Vgl. Tröndle/Fischer, § 323 c Rdnr. 3; Lewisch, ZVR 1989, 161 (165 Fn. 23). 164 Vgl. oben C.III.1.

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1. Teil, 4. Kap.: Die Zurechnung von Verfolgerverhalten

oder durch Privatpersonen handelt. Auf Grund des Selbstbegünstigungsprinzips stellt sich das isolierte Fluchtverhalten nicht als rechtswidrig dar und kann damit nicht mit einem Schutzanspruch des hoheitlichen Verfolgers in zurechnungsbegründende Relation gesetzt werden. Im Fall der privaten Verfolgung fehlt es an einer Handlungspflicht zur Verfolgung, auf die eine zurechnungsbegründende normative Korrespondenz gegründet werden könnte. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt alleine in Fällen, in denen sich mit der Flucht gleichzeitig eine andauernde Gefährdung unbeteiligter Personen verwirklicht.165 Hier kann die normative Korrespondenz eine Zurechnung begründen. Voraussetzung ist die Angemessenheit der hoheitlichen Verfolgung, d.h. das Fehlen eines Verfolgungsexzesses.

7. Abschnitt

Der Verfolger als Schädiger A. Literatur Der Vollständigkeit halber bleibt die Fallgruppe der Drittschäden zu klären. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass der Verfolger Rechtsgüter eines Dritten schädigt, beispielsweise mit einem anderen Fahrzeug kollidiert. Für das Zivilrecht nimmt Deutsch eine Erörterung der Fallgruppe vor. Er will – entsprechend dem Herausforderungsgedanken – eine Zurechnung für den Fall annehmen, wenn die Verfolgung das angemessene Mittel zum angemessenen Ziel war.166 Maßstab soll also auch hier die Zweck-Mittel-Relation sein. „Im Widerspruch miteinander stehen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und die Haftung für das versari in re illicita.“167 B. Stellungnahme Mit unserem Lösungsmodell ist die Beurteilung vorgezeichnet. Die Fallgruppe ist den selben rechtlichen Grundsätzen zu unterstellen wie die Schädigung des Verfolgers. Danach gilt: Tritt die Schädigung des Dritten in einer Situation ein, in der das Fluchtverhalten alleine als Ausfluss des Selbstbegünstigungsprinzips anzusehen ist (hoheitliche Verfolgung) bzw. keine Rechtspflicht

165 Neben der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ist hier auch an eine Bemächtigungssituation von ihm Fluchtauto befindlichen Geiseln zu denken. 166 Vgl. Deutsch, JZ 1975, 375 (377). 167 Deutsch, JZ 1975, 375 (377).

7. Abschn.: Der Verfolger als Schädiger

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zur Verfolgung besteht (private Verfolgung), so lässt sich auch hier keine Zurechnung der Drittschädigung vornehmen.168 Tritt die Schädigung dagegen in einem Zeitpunkt ein, in dem der Flüchtende neben der Flucht eine Gefährdung dritter Rechtsgüter realisiert, so bleibt ihm die freistellende Wirkung des nemo-tenetur-Prinzips verwehrt. Insofern greifen nun aber die Grundsätze, die für die Schädigung eines Dritten durch einen Retter erhoben wurden.169 Demnach fehlt es an einer durch Einwirkung geschaffenen Ausgangsgefahr in Bezug auf den konkret geschädigten Dritten. Dessen Schädigung durch den Verfolger stellt sich für den Flüchtenden als Zufall dar, der keine Zurechnung zu begründen vermag. Damit haftet der Flüchtende für durch den Verfolger bewirkte Schädigungen Dritter in keinem Fall.

168 169

A. A. aber Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 43 Rdnr. 73. Siehe oben 2. Abschnitt, D.

Zweiter Teil

Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten bei den erfolgsqualifizierten Delikten Im Folgenden gilt unser Augenmerk der Zurechnungsproblematik im Rahmen der erfolgsqualifizierten Delikte. Näher beschäftigen wird uns zunächst das Wesen der erfolgsqualifizierten Tatbestände, wobei wir die Bedeutung des sog. Unmittelbarkeitskriteriums herausarbeiten werden. Da die Fluchtfälle gegenüber den Retterfällen im Rahmen der erfolgsqualifizierten Delikte eine ungleich häufigere Diskussion in Rechtsprechung und Literatur erfahren haben, beginnen wir – im Gegensatz zum Ersten Teil – unsere Darstellung mit den Fluchtfällen, insbesondere mit den Fällen der Körperverletzung mit Todesfolge, die das klassische „Schlachtfeld“ der Diskussion bilden. Bewusst wird auch hier der umfassende Nachweis der Rechtsprechung vorangestellt, um das Verständnis für die Fallvariationen zu erleichtern. Knapp können wir die Zurechnung der Schädigung des Verfolgers abhandeln, da wir einen diesbezüglichen grundsätzlichen Zurechnungsausschluss bereits im Rahmen der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik festgestellt haben (vgl. oben 6. Abschnitt, E.II.–III.). Insoweit werden wir uns mit einem abrundenden Annex zur Problematik begnügen (siehe unten 9. Abschnitt, E. und F.). Nachdem wir die Diskussion um die Retterfälle dargestellt und die Frage der Übertragbarkeit der für die Fluchtfälle gewonnenen Ergebnisse auf die Retterkonstellationen beantwortet haben, soll abschließend auch die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Tatbestände mit strafbegründender schwerer Folge geprüft werden.

5. Kapitel

Das Unmittelbarkeitskriterium der erfolgsqualifizierten Delikte 8. Abschnitt

Die Bedeutung des sogenannten Unmittelbarkeitskriteriums A. Rechtsprechung des BGH § 18 StGB als Zentralnorm der erfolgsqualifizierten Delikte regelt, dass dem Täter oder Teilnehmer hinsichtlich der besonderen Folge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fallen muss. Der Wortlaut der einzelnen Erfolgsqualifikationen bedient sich der konkretisierenden Formulierungen wie „verursacht der Täter durch . . .“1 oder „hat die . . . zur Folge, dass“2, so dass morphologisch die vermittelnde, bewirkende Person sowie das Mittel bzw. die Ursache angegeben werden.3 In Anbetracht einer „Strafrahmen-Explosion“4 beim Wechsel von der Ebene des allgemeinen Fahrlässigkeitstatbestandes zur Ebene der Erfolgsqualifikation offenbart sich das Bemühen, eine hinreichend enge Verknüpfung zwischen der Verwirklichung des vorsätzlichen Grunddelikts und der Herbeiführung der schweren Folge zu gewährleisten. Die Rechtsprechung hat hierfür in einer Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 19705 das sog. Unmittelbarkeitskriterium entwickelt und in der folgenden Judikatur etabliert. Das Gericht führt in BGH NJW 1971, 152 („Rötzel-Fall“) aus: „Auch wenn man an die Stelle der Körperverletzung im Sinne des Schädigungserfolges die 1 Siehe nur §§ 176 b, 178, 221 III, 227, 239 IV, 239 a III, 251, 306 c, 316 a III StGB. 2 Vgl. § 226 I StGB. 3 Vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden, Band 2, Eintrag „durch“ (S. 884). Also nicht nur „bei“; auf diesen Unterschied legt der Gesetzgeber Wert, wie insbesondere die Differenzierung in § 250 II Nr. 3 und § 177 IV Nr. 2 StGB zeigt. 4 Paeffgen, JZ 1989, 220 (226 Fn. 76). Greift man etwa § 227 StGB heraus, so eröffnet dieser statt Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren (§§ 223, 222, 52 StGB) einen Strafrahmen von 3 bis 15 Jahren. 5 BGH NJW 1971, 152.

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2. Teil, 5. Kap.: Unmittelbarkeitskriterium der erfolgsqualifizierten Delikte

Verletzungshandlung treten läßt, so muß doch diese unmittelbar6 die Todesfolge bewirkt haben“ (Hervorhebung im Original), und weiter ebd. auf Seite 153: „Indessen ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 226 StGB, daß hier eine engere Beziehung zwischen der Körperverletzungshandlung und dem tödlichen Erfolg gefordert ist[,] als sie ein Ursachenzusammenhang nach der Bedingungstheorie voraussetzt“. Die Auslegung des Wortes „durch“ wird somit durch die divergierenden Strafrahmenhöhen geleitet.7 In der Folgezeit finden sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Deklarierungen des „unmittelbaren (inneren) (Gefahrverwirklichungs-)Zusammenhanges“8 sowie der „Verwirklichung der der Körperverletzung anhaftenden, ihr eigentümlichen Gefahr“9. Es bleibt zu klären, auf welchem systematischen Verständnis das Unmittelbarkeitskriterium gründet und wie dieses dogmatisch einzuordnen ist. Dass es sich bei dem Restriktionskriterium um ein ausnahmsweise einschränkendes Kausalitätsmerkmal im Verhältnis zur Äquivalenztheorie handelt – wovon Ferschl10 ausgeht –, vermag indessen nicht zu überzeugen. Denn alleine aus dem Umstand, dass der BGH die Affinitätsbeziehung zwischen Grunddelikt und schwerer Folge über einen reinen Ursachenzusammenhang erhebt, lässt nicht darauf schließen, dass das Kriterium selbst als Kausalitätsmerkmal zu verstehen ist. Wenn der BGH bereits in der „Rötzel-Entscheidung“ hervorhebt, dass die Relation von Körperverletzung und tödlichem Erfolg weder über Elemente der Vorhersehbarkeit, noch alleine auf der Grundlage eines Bedingungszusammenhanges vermittelt wird11, so liegt dem vielmehr das Verständnis eines genuinen Zurechnungsaspekts zu Grunde. Dieses Ergebnis drängt sich auch durch die Erkenntnis der Überwindung des klassischen Regressverbots12 auf. Allerdings will der BGH das Unmittelbarkeitskriterium nicht apodiktisch verstanden wissen. In BGHSt 33, 322 (323) räumt er ein, dass die Affinitätsbezie6 Der Sinngehalt des Wortes „unmittelbar“ wird bei Brockhaus Wahrig, Deutsches Wörterbuch in sechs Bänden, Sechster Band mit „ohne Umweg, geradewegs, nicht durch jemanden oder etwas Drittes vermittelt, ohne Zwischenursache“ angeführt; der Begriff der Unmittelbarkeit wird im Duden Lexikon in acht Bänden, Achter Band mit „direkter Bezug von Subjekt und Objekt ohne irgendeine Art von Vermittlung“ und im Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden, Band 9 mit „Direktheit“ gekennzeichnet. Zu der Verwendung der „Unmittelbarkeit“ als Rechtsbegriff, insbesondere in zivilrechtlichen Instituten vor der Schuldrechtsmodernisierung vgl. Weyers, JZ 1991, 999. 7 Siehe auch Kudlich, ZStW 115 (2003), 1 (7). 8 BGHSt 28, 18 (20); BGHSt 33, 322 (323); BGHSt 38, 295 (298); BGH NStZ 1994, 333 (334); BGH NStZ 1997, 341. 9 BGHSt 32, 25 (28); BGH NStZ 1998, 171 (172). 10 Ferschl, S. 84. 11 Vgl. BGH NJW 1971, 152 (153). 12 Dazu siehe oben 1. Abschnitt, B.III.1.

8. Abschn.: Bedeutung des sogenannten Unmittelbarkeitskriteriums

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hung von Grunddelikt und schwerer Folge nicht in stets gleich bleibender Weise durch die Unmittelbarkeit bezeichnet werden kann, sondern vielmehr für jeden der in Betracht kommenden Straftatbestände nach dessen Sinn und Zweck sowie unter Berücksichtigung der von ihm erfassten Sachverhalte in differenzierender Weise eine Wertung getroffen werden muss.13 In der Gesamtschau der Rechtsprechung des BGH nimmt das Unmittelbarkeitskriterium jedoch nach wie vor eine entscheidende Rolle ein – eine Abkehr oder Infragestellung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ist nicht erkennbar.14 B. Rengier Demgegenüber spricht sich Rengier gegen die Typik eines Unmittelbarkeitsprinzips als Spezifikum erfolgsqualifizierter Delikte aus.15 Für ihn stellt das erfolgsqualifizierte Delikt, beispielsweise eine Körperverletzung mit Todesfolge, eine Vorschrift dar, „die irgendwo zwischen der vorsätzlichen und der fahrlässigen Tötung liegt“16. Die todeserfolgsqualifizierten Delikte schließen damit eine Lücke, die zwischen dem „Obergeschoss“ der §§ 211, 212 StGB und dem „Untergeschoss“ des § 222 StGB besteht, insbesondere bei leichtfertigen und solchen Tötungen, die knapp unterhalb des Vorsatzes liegen17, womit Rengier bereits die Grundthese bestreitet, dass es sich bei den erfolgsqualifizierten Delikten um eine Deliktsstruktur handelt, deren Wesen eine Zurechnungsproblematik eigener Art inhärent ist. Die erfolgsqualifizierten De13 Relativierend auch bereits BGH NJW 1971, 152 (153). Gerade gegen diese Sichtweise richtet sich die Kritik Bachers, der in dem Umstand, dass die Reichweite der haftungseinschränkenden Interpretation von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles abhängig gemacht wird, die rechtsstaatlich gebotene Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bei der Anwendung der erfolgsqualifizierten Delikte verletzt sieht. „Das Unmittelbarkeitskriterium ist für eine an der Struktur und dem Strafgrund der erfolgsqualifizierten Delikte orientierte Auslegung jedenfalls viel zu unbestimmt und schon deshalb ungeeignet. [. . .] Verzichtet der BGH daher weiterhin auf die Festlegung von allgemeingültigen und praktikablen Abgrenzungskriterien und deren konsequente Berücksichtigung, wird sich an der bisherigen Unberechenbarkeit und zum Teil auch Widersprüchlichkeit der Rechtsprechung insgesamt nichts ändern“, vgl. Bacher, S. 40 und S. 67. Gegen die Möglichkeit des erfolgsqualifizierten Versuchs unter Verweis auf Art. 103 II GG überhaupt Hardtung, NStZ 2003, 261 (262), siehe dazu unten 10. Abschnitt, A.I.3. 14 Siehe auch Kühl, BGH-FG, S. 237 (260). 15 Siehe Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 149, 157, 167 f., 173, 182, 185, 190, 319; ihm folgend Bartholme, JA 1994, 373 (377) und Krehl, StV 1986, 432 (433); entsprechend bereits Maiwald, JuS 1984, 439 (443). Auch Roxin, AT I, § 10 Rdnr. 114 sucht die Zurechnungsproblematik der erfolgsqualifizierten Delikte in der allgemeinen Fahrlässigkeitszurechnung selbst zu verorten; Beifall hierfür von Rengier, Roxin-FS, S. 811 (813). 16 Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 194. 17 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 132; SK/Horn/Wolters, § 227 Rdnr. 2.

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2. Teil, 5. Kap.: Unmittelbarkeitskriterium der erfolgsqualifizierten Delikte

likte stellen nach dieser These vielmehr Strafzumessungsvorschriften18 für den Fall dar, dass sich in dem Täterverhalten ein gegenüber den Regeln der Idealkonkurrenz gesteigerter Unrechts- und Schuldgehalt oberhalb der einfachen Fahrlässigkeit offenbart – in diesem Fall eröffnet beispielsweise § 227 eine Strafrahmenobergrenze auf bis zu 15 Jahre.19 Liege jedoch lediglich eine einfache Tötungsfahrlässigkeit vor, so müsse sich der Strafrahmen im Lichte des Art. 3 I GG nach unten an § 227 II StGB und nach oben hin an den Idealkonkurrenzregeln (§§ 223, 224, 222, 52 StGB) bemessen.20 Für Tatbestände, die keinen minder schweren Fall kennen (§§ 221 III, 229 II, 307 Nr. 1 StGB a. F.), fordert Rengier als einschränkendes Zusatzkriterium Leichtfertigkeit, um die Strafrahmenverschiebung im Vergleich zur Idealkonkurrenz zu rechtfertigen. Durch diese verfassungskonforme Korrektur würden die „alten“ Todeserfolgsqualifikationen den „modernen“ todeserfolgsqualifizierten Tatbeständen angeglichen, die de lege lata Leichtfertigkeit voraussetzen.21 Für solch eine verfassungskonforme Korrektur besteht seit dem 6. StrRG indessen kein Bedürfnis mehr, da der Gesetzgeber sämtlichen erfolgsqualifizierten Delikten, die kein einschränkendes Leichtfertigkeitserfordernis enthalten, einen minder schweren Fall unterstellt hat. Die Forderung Rengiers zeigt sich damit erkenntnisleitend für die Struktur der erfolgsqualifizierten Delikte de lege lata. Streitbar bleibt jedoch das Grundverständnis Rengiers, in den erfolgsqualifizierten Delikten zuvorderst Strafzumessungsregeln zu sehen und damit auf eine spezifische Zurechnungstypik, wie sie der BGH mit dem Unmittelbarkeitskriterium erhoben hat, zu verzichten. Gegen die Sichtweise Rengiers streitet die Frage, warum für Tötungen, die knapp unter der Vorsatzschwelle liegen, eine Lückenschließung durch strafzumessungsrelevante Erfolgsqualifikationen als „Zwischengeschoss“ erforderlich sein soll.22 Jedenfalls erscheint die Einbeziehung des minder schweren Falles – der nach der Ansicht Rengiers den Regelfall des Strafrahmens der einfachen Tötungsfahrlässigkeit zu bilden hat – methodisch fragwürdig. Denn für die Legitimierbarkeit von Strafrahmen muss die Möglichkeit des minderer schweren Falles zunächst ausgeblendet werden; dieser mag zwar faktisch eine Möglichkeit zur Festsetzung eines tat- und schuldangemessenen Strafrahmens bieten, bleibt in seiner Typik aber ein Ausnahmefall. 18

Den Gedanken wirft bereits Baumann, ZStW 70 (1958), 227 (238) auf. Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 133 f. 20 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 134. 21 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 128. Kritisch LK/Hirsch, § 227 Rdnr. 8 Fn. 26, der darlegt, dass das Leichtfertigkeitserfordernis nicht in gleicher Weise wie das objektive Unmittelbarkeitserfordernis die vorzunehmende Eingrenzung leisten könne. Es gehe nicht um eine quantitative, sondern um eine qualitative Restriktion des erfolgsqualifizierten Delikts. 22 So auch Jakobs, StV 1987, 231 (232); Ferschl, S. 62 f. Gegen die Klassifizierung der erfolgsqualifizierten Delikte als reine Strafzumessungsvorschriften ferner bereits Hänle, S. 54. 19

8. Abschn.: Bedeutung des sogenannten Unmittelbarkeitskriteriums

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Den Systemrahmen von Unrecht und Rechtsfolge muss – als Ausdruck des gesetzgeberischen Willens – das Kerndelikt des jeweiligen erfolgsqualifizierten Delikts bilden.23 Schließlich trägt auch alleine die Strafandrohung des Kerndelikts unter Verzicht auf die Auswirkung von Schärfungen und Milderungen nach § 12 III StGB die Einordnung der Straftat.24 Hätte der Gesetzgeber den minder schweren Fall als Regelfall einführen wollen, hätte er dies durch eine andere Strafrahmenbestimmung klar zum Ausdruck bringen können.25 Eine weitere Friktion zeigt sich beim Verständnis des Schutzzweckzusammenhanges Rengiers. Die Affinitätsbeziehung zwischen Grunddelikt und qualifiziertem Erfolg untergliedert Rengier in grunddeliktsneutrale Kausalverläufe26 – hierunter versteht er Fälle nachträglicher Schadensvergrößerung durch die Anknüpfung an die Verletzung als solche – und in grunddeliktisch bedingte27 Verhaltensweisen Dritter oder des Opfers – hier führen Dritte oder das Opfer selbst den Erfolg in einer Weise herbei, die eng mit dem grunddeliktischen Tatgeschehen verknüpft ist. Für beide Fallgruppen will Rengier alleine auf die Erkenntnisse der Lehre des Schutzzweckzusammenhanges der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik zurückgreifen28, wobei Rengier in jüngerer Zeit für eine Ersetzung des Unmittelbarkeitsgedankens durch das Eigenverantwortlichkeitskriterium plädiert29. Andererseits – und hier zeigt sich, dass Rengier sein Konzept, die allgemeinen Zurechnungslehren würden die Zurechnung zum erfolgsqualifizierten Delikt alleine tragen, nicht mit kategorischer Stringenz verfolgt – stellt er klar, dass der Schutzzweck von § 222 StGB und der der Erfolgsqualifikation durchaus verschieden sein können, wenn er ausführt, dass der Sinn und Zweck der den Qualifikationen zu Grunde liegenden Basisdelikte nicht darin bestehen könne, potentielle Retter und Verfolger zu schützen, sehr wohl dies aber der Sinn des allgemeinen fahrlässigen Tötungsdelikts sein könne.30 Die Aussage des identi23 Siehe Paeffgen, JZ 1989, 220 (222); Sowada, Jura 1994, 643 (646). Das Gros der Verurteilungen nach § 226 StGB a. F. (71%) befand sich dabei nach der Strafverfolgungsstatistik der letzten Jahre mit bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe noch innerhalb des Strafrahmens der fahrlässigen Tötung, nur 29% der Verurteilungen wurden von der Rechtsprechung im oberen Bereich des Strafrahmens (5–15 Jahre Freiheitsstrafe) angesiedelt. Hinsichtlich § 227 StGB lag im Jahre 1998 nur ein geringer Prozentsatz (etwa 2%) der Verurteilungen oberhalb der Obergrenze des minder schweren Falles von 10 Jahren Freiheitsstrafe; vgl. Bussmann, GA 1999, 21 (26). 24 Anders freilich bei den sog. benannten Strafschärfungen bzw. Strafminderungen, vgl. Kühl, AT, § 1 Rdnr. 7. 25 Vgl. Ferschl, S. 63. 26 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 159 ff. 27 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 183 ff., 191 ff. 28 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 173, 182, 190, 207. 29 Vgl. Rengier, BT II, § 16 Rdnr. 8. 30 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 185.

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2. Teil, 5. Kap.: Unmittelbarkeitskriterium der erfolgsqualifizierten Delikte

schen Schutzzweckverständnisses unter Verzicht auf divergierende Zurechnungskriterien lässt sich somit in dieser Allgemeinheit kaum halten.31 C. Ferschl Ferschl, die auf das Unmittelbarkeiskriterium nicht verzichten will, hält Rengier entgegen, dass, würde man die allgemeinen Fahrlässigkeitsmaßstäbe bezüglich des Schutzbereichs – ohne zusätzliche Voraussetzungen – auf den Fahrlässigkeitsteil des erfolgsqualifizierten Delikts übertragen, so müsste man bei Verneinung des erfolgsqualifizierten Delikts konsequenterweise auch die fahrlässige Tötung ablehnen32 – ein für Ferschl untragbares Ergebnis. Dennoch will auch sie das Unmittelbarkeitskriterium als Teil des Schutzzwecks der Norm verstanden wissen, freilich unter der Prämisse einer spezifischen, im Vergleich zu § 222 StGB besonderen Zurechnungstypik.33 Stellt das Unmittelbarkeitskriterium eine besondere Form des Schutzzweckzusammenhanges dar, der nach Ferschl in der Regel enger sein wird als bei § 222 StGB, so folgt daraus, dass für einen Rückgriff auf den allgemeinen Schutzzweckzusammenhang kein Raum mehr bleibt, weil bereits mit dem unmittelbaren Zusammenhang alle für die Erfolgsqualifikation maßgeblichen Zurechnungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden sind. „Sobald der unmittelbare Zusammenhang verneint wird, muß man die Prüfung des erfolgsqualifizierten Delikts abbrechen und auf das entsprechende Fahrlässigkeitsdelikt übergehen; der Unmittelbarkeitszusammenhang ist also ein abschließendes Merkmal.“34 Als abschließendes Merkmal erfordere der unmittelbare Zusammenhang immer ein Abstellen auf die aus dem Vorsatzdelikt für die schwere Folge erwachsende, eigentümliche Gefahr35 als deliktsspezifisches Zurechnungsproblem36. Aus dieser Prämisse zieht Ferschl die Schlussfolgerung, dass selbst dann, wenn der Schutzzweckzusammenhang nach § 222 StGB fehlt, dennoch eine Erfolgsqualifikation verwirklicht sein kann, solange nur das Opfer einer spezifischen, eigentümlichen Gefahr und damit einem höheren Risiko als bei der fahrlässigen Tötung normalerweise ausgesetzt wird.37 Zur Verdeutlichung führt sie den Tatbestand der Geiselnahme mit Todesfolge (§§ 239 b II i.V. m. 239 a III 31 So auch Ferschl, S. 64 Fn. 98 und Bussmann, GA 1999, 21 (29); Paeffgen, JZ 1989, 220 (227); Hirsch, Lenckner-FS, S. 119 (129). 32 Vgl. Ferschl, S. 64. So aber ausdrücklich Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 167 f. 33 Siehe Ferschl, S. 64, 113 f. 34 Ferschl, S. 117 (Hervorhebung im Original). 35 Vgl. Ferschl, S. 118. 36 Vgl. Ferschl, S. 114. 37 Vgl. Ferschl, S. 118.

8. Abschn.: Bedeutung des sogenannten Unmittelbarkeitskriteriums

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StGB) an: Hier werde die Polizei tätig, um die Geisel zu befreien, daher müsse der Geiselnehmer damit rechnen, dass die Geiseln durch den Einsatz der Polizei zusätzlich gefährdet würden – insoweit seien die Geiseln einem höheren Risiko als bei einer fahrlässigen Tötung ausgesetzt.38 „Die teleologische Reduktion verlangt nicht, daß das erfolgsqualifizierte Delikt bei mangelndem Schutzzweckzusammenhang nach § 222 immer auszuscheiden hat, sondern nur eine generell einschränkende Auslegung der jeweiligen erfolgsqualifizierten Delikte, was durch die Notwendigkeit der eigentümlichen Gefahrschaffung durch das vorsätzliche Grunddelikt für die schwere Folge im Rahmen des unmittelbaren Zusammenhangs gewährleistet wird.“39 Im Ergebnis hält Ferschl somit einen Rückgriff auf den allgemeinen Fahrlässigkeitszusammenhang weder für notwendig noch für möglich.40 Das Verständnis des Unmittelbarkeiskriteriums als Element des Schutzzwecks der Norm begegnet insoweit Bedenken, als – was Ferschl selbst feststellt – besondere Sorgfaltsnormen für die erfolgsqualifizierten Delikte praktisch keine Rolle spielen. Ferschl konstatiert daher, dass alleine ein Rückgriff auf die allgemeine Sorgfaltsnorm, sich so zu verhalten, dass das Verhalten im Hinblick auf einen strafrechtlichen Tatbestand nicht objektiv zurechenbar ist, möglich sei.41 Damit offenbart das Schutzzweckverständnis aber die gleiche Weite und fehlende Konkretisierung, wie wir sie bereits bei den offenen Tatbeständen der §§ 222, 229 StGB festgestellt haben.42 Geht es um die Affinitätsbeziehung von Grunddelikt und schwerer Folge und damit um die Frage, ob der qualifizierte Erfolg über den Weg des Grunddelikts verwirklicht wurde, so bietet die dogmatische Verortung innerhalb des Risikozusammenhanges als Spezifikum des Wegs zum Erfolgseintritt das aussagekräftigere Kriterium, sowohl hinsichtlich der Zurechnung allgemein als auch im Bezug auf die spezifische Unmittelbarkeitsbeziehung von Grunddelikt und Qualifikation. Kritisch zu würdigen ist weiter die Folgerung Ferschls, das Unmittelbarkeitskriterium stelle nicht allein ein die allgemeine Fahrlässigkeitszurechnung einschränkendes Merkmal, damit kein Maius gegenüber dieser allgemeinen Zurechnung, sondern ein Aliud dar, so dass das Spezifikum der Unmittelbarkeit an der Orientierung des jeweiligen Tatbestandes auch dann eine Zurechnung zu begründen vermöge, wenn die „Unterstufe“ der Zurechnung, das allgemeine fahrlässige Tötungsdelikt, eine solche gerade nicht zu tragen vermöge. Dies ist im Hinblick auf die Strafrahmendivergenz von allgemeinem Fahrlässigkeitsdelikt und todeserfolgsqualifiziertem Delikt allerdings ein geradezu befremdliches 38 39 40 41 42

Vgl. Ferschl, S. 118. Ferschl, S. 119 (Hervorhebung im Original). Siehe Ferschl, S. 122. Vgl. Ferschl, S. 114. Siehe dazu oben 1. Abschnitt, B.IV.

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2. Teil, 5. Kap.: Unmittelbarkeitskriterium der erfolgsqualifizierten Delikte

Ergebnis.43 Denn wenn nach dem Zurechnungszusammenhang eines offenen, allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts eine Zurechnung nicht begründet werden kann, so mutet es widersinnig an, eine solche Zurechnung in entsprechender Konstellation beim Aufbau auf ein vorsätzliches Grunddelikt anzunehmen – für die allgemeine fahrlässige Tötung genügt schließlich jegliche Sorgfaltspflichtverletzung, solange sie nur über einen Risikozusammenhang mit dem Erfolg vermittelt wird. Dagegen fordert die Zurechnung des erfolgsqualifizierten Delikts eine unmittelbare, eigentümliche Erfolgsverwirklichung in Relation zum Grunddelikt – dass dieser eigentümlichen Gefahr aber eine weitere Streubreite zukommen soll als der des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts, lässt sich methodisch und systembezogen nicht rechtfertigen. D. Vorherrschende Literaturansicht Die weitaus überwiegende Ansicht in der Literatur sieht in dem Unmittelbarkeitszusammenhang ein über den Zurechnungszusammenhang des § 222 StGB hinausgehendes, engeres Zurechnungskriterium.44 Nach Hirsch dreht sich die ganze Diskussion „gerade darum, ein zusätzliches Kriterium neben dem Fahrlässigkeitserfordernis des § 18 StGB herauszuarbeiten“45. Im Falle der Nichtzurechnung nach § 222 StGB entfällt damit zwangsläufig auch die Erfolgsqualifikation – wobei diese Koppelung des Minus an das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt entgegen Rengier keinen ersten Beweis für die Identität allgemeiner und erfolgsqualifizierter Zurechnungsprobleme darstellt.46 Vielmehr zeichnet die erfolgsqualifizierten Straftaten ein über die rein fahrlässige Verursachung i. S. von § 222 StGB hinausgehender, erhöhter Handlungsund Gefährlichkeitsunwert des Grunddelikts und ein erhöhter Erfolgsunwert aus.47 Berücksichtigt man nicht diesen eigenständigen Gefährdungscharakter, sondern begnügt sich mit den allgemeinen Lehren der objektiven Zurechenbarkeit, so kann nicht erklärt werden, warum das Strafgesetzbuch nur eine geringe Anzahl von erfolgsqualifizierten Delikten ausweist.48 Insoweit lässt sich die aus dem Unmittelbarkeitskriterium erwachsende Einschränkung methodologisch als teleologische Reduktion des betreffenden er43 In diesem Sinn auch Bussmann, GA 1999, 21 (29); Wolter, JuS 1981, 168 (174); ders., JR 1986, 465 (466); Feilcke, S. 46. 44 Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 18 Rdnr. 4 halten es dagegen für ungeklärt, ob der unmittelbare Zusammenhang beim erfolgsqualifizierten Delikt ein Mehr gegenüber der objektiven Zurechnung darstellen soll. 45 Hirsch, Oehler-FS, S. 111 (124). 46 Vgl. Wolter, JR 1986, 465 (466). 47 Vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (169); siehe auch C. Köhler, S. 39. 48 Siehe C. Köhler, S. 39; Sowada, Jura 1994, 643 (646).

8. Abschn.: Bedeutung des sogenannten Unmittelbarkeitskriteriums

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folgsqualifizierten Delikts ansehen.49 Mit der h. M. ist somit den erfolgsqualifizierten Straftatbeständen ein zwei-basiges Unrechts-Verständnis zu Grunde zu legen, welches neben der Prüfung der allgemeinen Fahrlässigkeitszurechnung stets ein darüber hinausgehendes Quantum an Restriktion erfordert.50 Hierin besteht das Chiffre der unrechtssteigernden Verknüpfung von Grundtatbestand und schwerer Folge.51 E. Eigene Ansicht: Das Unmittelbarkeitskriterium als eigenständiges einschränkendes Merkmal der objektiven Zurechnung Der überwiegenden Literaturansicht ist beizupflichten, wenn diese hervorhebt, dass die allgemeinen Zurechnungskriterien anhand des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts entwickelt worden und daher nicht in der Lage sind, ausreichende Kriterien für den unmittelbaren Zusammenhang zu liefern.52 Jede andere Sichtweise würde die Gefahr der Aufweichung der entwickelten restriktiven Anforderungen an die Affinitätsbeziehung der Erfolgsqualifikationen mit sich bringen.53 Auch spricht für die Beibehaltung des Begriffs des „unmittelbaren Zusammenhanges“ zumindest eine gewisse Tradition, wenn nicht gar ein mahnender Appell an den Rechtsanwender.54 Während das normale Tötungsdelikt des § 212 StGB Vorsatz im Hinblick auf die Tötung eines Menschen voraussetzt, liegt dem § 222 StGB allein eine Sorgfaltspflichtverletzung zu Grunde. Für das erfolgsqualifizierte Delikt, z. B. § 227 StGB, welches weder in die Struktur des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts integriert werden kann noch ein Minus eines vorsätzlichen Tötungsdelikts darstellt, rechtfertigt sich aus dieser – eine für das Strafgesetzbuch eigentlich ungewöhnlichen Konstruktion – Sonderstellung durchaus die Erhebung besonderer Haftungsvoraussetzungen.55

49 Vgl. Küpper, Zusammenhang, S. 83 f.; ders., JuS 1990, 184 (186); Sowada, Jura 1994, 643 (646 Fn. 43). 50 Siehe auch NK/Paeffgen, § 18 Rdnr. 52, 54; SK/Rudolphi, § 18 Rdnr. 3 sowie Pütz, JA 1993, 285 (287). Laue, JuS 2003, 743 (744) will zwischen Gefahrverwirklichungs- und Unmittelbarkeitszusammenhang trennen. 51 Vgl. Bloy, JuS 1995, L 17 (19). Siehe auch Boldt, ZStW 68 (1956), 335 (356): „Nicht die äußere ,Aufstockung‘ des zweiten auf das erste, sondern eine innere Bezogenheit aufeinander macht den eigenen kriminellen Gehalt dieser Delikte aus, der nicht einfach die Summe von Grund- und Folgetatbestand ist: das fahrlässig-rechtswidrige Herbeiführen der Folge ist die Aktualisierung der in dem vorsätzlichen Grunddelikt typisch vorhandenen potentiellen Gefährdung“ (Anführungszeichen und Hervorhebung im Original). 52 Vgl. Ferschl, S. 87 f.; Küpper, Grenzen, S. 108 ff.; Bacher, S. 27. 53 In diesem Sinn Küpper, ZStW 111 (1999), 785 (795). 54 Vgl. Ferschl, S. 65. 55 Dies erkennt bereits M. L. Müller, S. 64 Fn. 1 und hebt auch Mitsch, Jura 1993, 18 (20) hervor.

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2. Teil, 5. Kap.: Unmittelbarkeitskriterium der erfolgsqualifizierten Delikte

Dieser qualifikationsspezifische Gefahrenzusammenhang kann tatsächlich als Ausprägung, als spezieller Anwendungsfall der allgemeinen Zurechnungslehre verstanden werden – insoweit ist Rengier zuzustimmen, wenn er hervorhebt, dass die erfolgsqualifizierten Delikte harmonisch in die allgemeine Zurechnungslehre eingeordnet werden können56. Nicht gefolgt werden kann aber der Prämisse, dass auf Grund der Integration in die allgemeine Zurechnungslehre ein spezifisches Zurechnungsproblem an sich überhaupt nicht existiert. Denn stets kommt es auf den qualifikationsspezifischen Gefahrenzusammenhang – unabhängig von einer zeitlichen Unmittelbarkeit57 – als genuines Zurechnungskriterium an, welches das Wesen der Erfolgsqualifikation gerade bestimmt.58 Das Unmittelbarkeitskriterium ist Legitimationsgrund und Restriktionsmöglichkeit der erfolgsqualifizierten Tatbestände zugleich.59 Wenn Geilen60 das Rechtsprechungsbild als „buntscheckig“ bezeichnet, so kann es nicht die Konsequenz einer solchen Kritik sein, von einem über die allgemeine Fahrlässigkeitshaftung hinausgehenden Kriterium Abstand zu nehmen. Vielmehr ist zu fragen, ob diese „Buntscheckigkeit“ nicht Ausfluss der Berücksichtigung der jeweiligen Erfolgsqualifikationstatbestände im Korrelat mit den zu Grunde liegenden Sachverhalten61 ist oder aber das Unmittelbarkeitskriterium im Laufe der vergangenen Jahrzehnte eine Weiterentwicklung und inhaltliche Neubestimmung erfahren hat. Auch lässt sich schwerlich vorbringen, der Begriff der „Unmittelbarkeit“ sei unscharf, diesen Vorwurf kann vielmehr nur eine Ausdeutung treffen, die auf dessen Sachhaltigkeit zu wenig Bedacht nimmt.62 Im Hinblick auf die Fälle von Flucht- und intervenierendem Retterverhalten werden wir im Fortgang dieser Arbeit die relevante Rechtsprechung vor diesem Hintergrund näher zu durchleuchten haben. Für den Prüfungsaufbau des Tatbestands des vollendeten erfolgsqualifizierten Delikts können wir dazu unser Prüfungsschema aus dem 1. Abschnitt [B.VI. 3.b)] um das Unmittelbarkeitserfordernis ergänzen und damit den folgenden Aufbau festhalten:

56

Vgl. Rengier, Jura 1986, 143. Vgl. Jescheck/Weigend, AT, § 28 IV.7. 58 Den gleichen Standpunkt vertreten Graul, JR 1992, 344; Wolter, GA 1984, 443 (444, zum 1. Leitsatz). 59 Siehe Ferschl, S. 43, 46. Folglich muss sich auch die objektive Vorhersehbarkeit im Rahmen der objektiven Sorgfaltswidrigkeit auf diesen spezifischen Gefahrverwirklichungszusammenhang beziehen, siehe auch Kühl, AT, § 17 a Rdnr. 30, ders., JuS 2007, 742 (750). 60 Geilen, Welzel-FS, S. 655 (672). 61 Vor diesem Hintergrund gibt beispielsweise auch die Lehre von der sozialen Adäquanz ein „buntscheckiges Bild“ wieder, vgl. Hirsch, ZStW 74 (1962), 78. 62 Siehe Küpper, Hirsch-FS, S. 615 (619). 57

8. Abschn.: Bedeutung des sogenannten Unmittelbarkeitskriteriums

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1. Vorsätzliches Grunddelikt a) Objektiver Tatbestand b) Subjektiver Tatbestand c) Rechtswidrigkeit d) Schuld 2. Eintritt der schweren Folge 3. Kausalität des Grunddelikts für die schwere Folge 4. Objektive Zurechnung der schweren Folge (Risikozusammenhang) a) Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr (Sorgfaltspflichtverletzung) b) Niederschlag der geschaffenen Gefahr in der schweren Folge 5. Spezifischer Gefahrzusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge (Unmittelbarkeitszusammenhang) 6. Objektive Sorgfaltswidrigkeit a) Objektive Vorhersehbarkeit des wesentlichen Kausalverlaufs und der schweren Folge b) Objektive Vermeidbarkeit der schweren Folge (Eintritt der schweren Folge auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten?)

6. Kapitel

Die Zurechnung von Fluchtverhalten 9. Abschnitt

Fluchtfälle in der Rechtsprechung Im Gegensatz zum allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikt hat die Zurechnungsproblematik von Fluchtschäden bei den erfolgsqualifizierten Delikten eine eingehende Aufarbeitung durch die Rechtsprechung erfahren. Einige dieser höchstrichterlichen Entscheidungen können heute zu den „Klassikern“ der Strafrechtsjudikatur schlechthin gerechnet werden. Die folgende Darstellung gibt eine Gesamtschau der einschlägigen Judikatur wieder, wobei sich eine Entwicklung von einem strikten Restriktionsverständnis hin zu einer am Selbsterhaltungstrieb des Opfers ausgerichteten Zurechnungslehre erkennen lassen wird. A. Körperverletzung mit Todesfolge – § 227 StGB I. BGH bei Dallinger MDR 1954, 150 Der KZ-Aufseher A misshandelte den Gefangenen B schwer. Um weiteren Misshandlungen zu entgehen, ergriff dieser, verfolgt von A, die Flucht und rannte in die Postenkette. Die Wachmannschaften schossen B ohne vorherigen Anruf nieder.

Der BGH stellt zunächst fest, dass der Tod des B in ursächlichem Zusammenhang mit den Misshandlungen des A stehe, da das Handeln des A nicht hinweggedacht werden könne, ohne dass der Entschluss des B entfiele, in die Postenkette zu laufen. „Die Strafschärfung des § 226 setzt jedoch voraus, daß die vorsätzliche Körperverletzung als solche, d.h. die sie unmittelbar hervorrufende Einwirkung auf den menschlichen Körper[,] den Tod des Verletzten herbeigeführt hat.“1 An einer solch verstandenen Misshandlung soll es nach Ansicht des BGH fehlen, da der Tod des B nur im Zusammenhang mit einer äußerlich erkennbaren beabsichtigten weiteren Körperverletzung stehe. Da diese beabsichtigte Körperverletzung nicht mehr vollzogen worden sei, könne sie nur als Vergehen des § 240 oder § 241 StGB gewertet werden. Zumindest eine

1 BGH bei Dallinger MDR 1954, 150 (151) (Hervorhebung im Original); ebenso restriktiv bereits RG JW 1924, 1735 Nr. 29.

9. Abschn.: Fluchtfälle in der Rechtsprechung

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Strafbarkeit aus § 227 StGB (§ 226 StGB a. F.) scheidet für den BGH aus diesen Erwägungen aus. Die Frage nach einer möglichen Strafbarkeit der „Unter-“ bzw. „Obergeschosse“ des § 222 StGB bzw. der §§ 211, 212 StGB wird in den mitgeteilten Entscheidungsgründen offengelassen, ebenso die – auf Grund der beabsichtigten weiteren Körperverletzung – theoretisch denkbare Strafbarkeit wegen versuchter Körperverletzung mit Todesfolge. II. BGH NJW 1971, 152 Der Angeklagte Rötzel (R) griff im Obergeschoss die Hausgehilfin Resi G. tätlich an und brachte ihr eine tiefe Oberarmwunde und einen Nasenbeinbruch bei. Die verängstigte Frau versuchte, um den fortdauernden Angriffen des R zu entgehen, durch ein Fenster auf den Balkon zu flüchten. Dabei stürzte sie ab und verletzte sich tödlich.

In den Entscheidungsgründen legt der BGH zunächst dar, dass für die Frage der Verwirklichung des vollendeten Tatbestandes des § 227 StGB nicht allein entscheidend ist, ob der Körperverletzungserfolg die schwere Folge bedingt hat, sondern dass es auch ausreicht, wenn die Körperverletzungshandlung als Tätigkeitsakt mit dem tödlichen Erfolg in Affinität steht, soweit jedenfalls eine Verletzung eingetreten ist, und zwar nicht nur eine solche, wie sie als Durchgangsstadium jeder Tötung innewohnt (Einheitstheorie2).3 Aber auch wenn es aus2

Vgl. nur BGHSt 16, 122; Schmitt, JZ 1962, 389; Lackner/Kühl, § 212 Rdnr. 7 ff. Der BGH nimmt hierbei insbesondere Bezug auf die Entscheidung BGHSt 14, 110. Dort hatte der BGH unter Abkehr von RGSt 44, 137 (139) festgestellt, dass der Tod des Verletzten auch dann i. S. des § 227 StGB durch die Körperverletzung verursacht ist, wenn sich beim Zuschlagen mit der Schusswaffe ein Schuss löst, der den Tod des Opfers herbeiführt, siehe ebd. S. 112. Zustimmend, sowohl für den Fall, dass sich der Schuss nach dem Schlag löst, als auch für den Fall, dass sich der tödliche Schuss möglicherweise bereits vor dem Auftreffen des Schlages löste Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 214 ff. Zweifel an einer vollendeten Körperverletzung mit Todesfolge, wenn sich der tödliche Schuss vor dem ersten Auftreffen löst bei Jakobs, StV 1987, 231 (232); für einen Versuch spricht sich Wolter für den Fall aus, dass sich der Schuss beim Ausholen löst, da der Täter „seinen Körperverletzungsvorsatz nicht bis zur Beendigung des Körperverletzungsversuchs (Ausführung des Schlages) durchgehalten [. . .] hat“, vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (179) (Hervorhebung im Original). Generell ablehnend gegenüber der Einbeziehung der Körperverletzungshandlung Deubner, NJW 1960, 1068. Für die vollendete Körperverletzung mit Todesfolge ist allerdings Voraussetzung, dass es überhaupt zu einer vom Vorsatz gedeckten Körperverletzung kommt, d.h. auch wenn sich der tödliche Schuss vor dem ersten Auftreffen löst, muss jedenfalls im Anschluss die Waffe noch auf dem Kopf aufschlagen (a. A. Wolter, JA 2007, 354 (360) für den Fall der abgeschlossenen Schlagbewegung, die jedoch den Körper nicht trifft). Man mag gegen dieses Verständnis einwenden, dass, nachdem sich der tödliche Schuss gelöst und das Opfer getroffen hat, begrifflich keine Körperverletzung mehr vorliegen kann, da beim Auftreffen des Schlages das Opfer bereits tot (Hirntod) ist und damit das Tatbestandsmerkmal „Mensch“ fehlt. Eine solche Sichtweise würde aber zu einer unnatürlichen Betrachtung der einheitli3

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

reicht, auf den Tätigkeitsakt der Körperverletzung abzustellen, so erfordert auch dies die unmittelbare Bewirkung des Todeserfolgs.4 Wird der Erfolg durch das Eingreifen eines Dritten oder des Opfers selbst herbeigeführt, so soll sich nicht mehr die dem Grundtatbestand des § 223 StGB eigentümliche Gefahr verwirklicht haben – auch die hohe Mindeststrafe des § 227 StGB spreche für eine einschränkende Auslegung.5 Die Intervention des Opfers oder eines Dritten bedeutet für den BGH eine Zäsur.6 Damit zieht der BGH klare Distanz zur Sichtweise Strees, der jeden Erfolg in die Erfolgsqualifikation einstellen will, soweit er nur durch die gewollte Verletzungshandlung des Täters ausgelöst wurde – unabhängig davon, ob ein Dritter oder sogar das Opfer selbst die unmittelbare Todesursache setzt.7 Eine Auseinandersetzung mit dem Autonomieprinzip in Bezug auf eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung nimmt der BGH nicht vor8, da auch eine durch Panik bedingte, nicht eigenverantwortliche Selbstgefährdung für den BGH offenbar dem Unmittelbarkeitserfordernis zu unterstellen ist. Infolgedessen sprach der BGH lediglich eine Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung aus. III. BGH NJW 1992, 1708 Die drei Angeklagten misshandelten in bewusstem und gewollten Zusammenwirken das Opfer in einer im zehnten Stockwerk gelegenen Wohnung, um die Herausgabe von Geld zu erzwingen. Im Laufe der halbstündigen Misshandlung wurde dem Opfer u. a. mit einem Besenstiel kraftvoll auf die Stirn geschlagen, so dass der Verletzte eine stark blutende Platzwunde, eine Schädelprellung und wahrscheinlich auch ein Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades erlitt. Von diesem Zeitpunkt an war das Opfer ersichtlich benommen und litt an Bewusstseinsstörungen. Es folgten mehrere Faustschläge und Tritte, auch gegen den Kopf, die weitere Verletzungen hervorriefen. Das Opfer bat nun darum, an das Fenster zu dürfen. Während einer der Angeklagten das Fenster öffnete, schlug einer der anderen Angeklagten mit einem chen Körperverletzungstätigkeit führen und der tatsächliche Todeszeitpunkt innerhalb eines Sekundengeschehens ließe sich gutachtlich wohl niemals klären, vgl. zu dieser Sichtweise auch Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 217. A. A. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 9 Rdnr. 32 Fn. 120: „Eigenartig und unhaltbar BGH 14, 110 und NJW 71, 152: einerseits Verursachung durch auf Verletzung gerichteten Tätigkeitsakt genügend, andererseits vollendete Körperverletzung neben der ,Durchgangsverletzung‘ erforderlich“ (Anführungszeichen im Original). 4 Vgl. BGH NJW 1971, 152. 5 Vgl. BGH NJW 1971, 152 (153). Rezipiert durch BGH bei Holtz MDR 1982, 102 (103). 6 Vgl. Jung, JuS 1992, 886. 7 Siehe Stree, GA 1960, 289 (292). 8 Dahingehende Erwägungen aber im Urteil des OGH JBl 1996, 804 (805). Der österreichischen Rechtsprechung ist freilich ein Unmittelbarkeitskriterium fremd, vgl. auch Ferschl, S. 89 Fn. 137.

9. Abschn.: Fluchtfälle in der Rechtsprechung

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Baseballschläger gegen das Schienbein des Opfers. Das verletzte Opfer wurde aufgefordert, „mal frische Luft zu schnappen“. Daraufhin humpelte das benommene Opfer zum Fenster und ließ sich – während sich die Angeklagten unterhielten – angesichts der unabwendbaren Übermacht und Brutalität der Angreifer in Panik ob der völlig ausweglosen Lage wortlos aus dem Fenster fallen. Der Sturz aus einer Höhe von 27 Metern war tödlich.

Der BGH wertet den Sturz als durch die Misshandlung bewirktes Panikverhalten und damit als einen zwangsläufigen und nicht mehr eigenverantwortlichen Vorgang. Im Gegensatz zur „Rötzel-Entscheidung“ bewertete der BGH den Tod des Opfers als die unmittelbare Folge der Körperverletzung. Zwar sei auch in der vorliegenden Entscheidung der Tod durch das Verhalten des Verletzten herbeigeführt worden, doch sei gerade diese Handlung Folge der vorausgegangenen Körperverletzung und damit der dieser inhärenten eigentümlichen Gefahr.9 Durch die Misshandlungen, insbesondere den Schlag mit dem Besenstiel, sei die Fähigkeit des Opfers zu klaren Denkabläufen und folgerichtigem Handeln beeinträchtigt gewesen. In diesem Moment liege der entscheidende Unterschied zur Entscheidung im „Rötzel-“ und „KZ-Fall“, denn „im vorliegenden Fall sind nämlich Körperverletzung und Todesfolge durch die Beeinträchtigung des psychischen Zustands des Opers [sic], der auf der Körperverletzung beruht, so eng miteinander verknüpft, daß sich im Tod des Opfers jene Gefahr verwirklicht hat, die bereits der Handlung anhaftete“.10 Die Todesfolge sei für die Angeklagten auch objektiv und subjektiv vorhersehbar gewesen, da es im Rahmen der gewöhnlichen Erfahrung liege, dass das Opfer, beeinflusst von den schweren Misshandlungen, in Panik gerate und unter Verlust der Selbstkontrolle aus dem geöffneten Fenster zu Tode stürze; dies hätten die Angeklagten auch nach ihren persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten voraussehen können.11 Eine Abkehr von der restriktiven Sichtweise, wie sie durch die höchstrichterliche Rechtsprechung im „Rötzel-Fall“ geprägt wurde, findet somit nicht statt.12 Maßgebliches Argumentationsmuster bildet für den BGH der Umstand, dass im „Fenstersturz-Fall“ die Todesfolge aus einer biologisch-indizierten Beeinträchtigung der psychischen Verfassung des Opfers resultierte und damit auf eine pathologische Ursache zurückgeführt werden kann.13 Knüpft man an diese, über den Zeitraum der Ausführung der Misshandlungen fortwirkende körperliche Be9

Vgl. BGH NJW 1992, 1708 (1709). BGH NJW 1992, 1708 (1709) (Hervorhebung vom Verfasser). 11 Vgl. BGH NJW 1992, 1708 (1709). Die erforderliche Vorhersehbarkeit der schweren Folge ist jedenfalls zu dem Zeitpunkt begründet, in dem das Fenster geöffnet wurde und einer der Angeklagten (in gem. § 25 II StGB zurechenbarer Weise) mit dem Baseballschläger gegen das Schienbein des Opfers schlug und damit die Gewalttätigkeit gegen das bereits benommene Opfer fortgesetzt wurde, vgl. auch Graul, JR 1992, 344 (346). 12 A. A. insoweit Rengier; siehe unten Fn. 24. 13 Zustimmend Sowada, Jura 1994, 643 (650); Ferschl, S. 182 Fn. 285. 10

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

einträchtigung an, so lässt sich die Affinitätsbeziehung allein mit diesem Quantum herstellen, ohne dass die Frage gelöst werden müsste, inwieweit situationsbedingtes Fluchtverhalten eine Zuschreibung zum Täter erfordert.14 IV. BGHSt 48, 34 Dem Urteil vom 9. Oktober 2002 lagen im Wesentlichen folgende Feststellungen zu Grunde: Zwischen den Angeklagten, die der rechtsgerichteten Szene zuzurechnen sind und ausländischen Besuchern einer Diskothek war es zum Streit gekommen. Die Angeklagten beschlossen, einen der Kontrahenten aufzuspüren und zu ergreifen, wobei sich alle Angeklagten gewahr waren, dass dabei Gewalt angewendet werden und die Person möglicherweise verletzt würde. Bei ihrer Suche entdeckten die Angeklagten drei Ausländer, die Zeugen B. und K., sowie den später verstorbenen G. Sie stürmten laut schreiend auf die Ausländer zu, diese ergriffen angstvoll in verschiedene Richtungen die Flucht. Drei der Angeklagten stellten den Zeugen B. und versetzten dem Opfer mehrere Tritte und warfen einen Pflasterstein nach diesem, der den B. jedoch verfehlte. Schließlich ließen sie von ihrem Opfer ab und kehrten zu den Fahrzeugen zurück. Die weiteren Angeklagten hatten die Verfolgung der flüchtenden K. und G. bereits nach wenigen Metern abgebrochen, da sie sie aus den Augen verloren hatten und ihnen der Vorsprung der Flüchtenden zu groß erschien. Sie setzten die Suche nach den Flüchtenden jedoch fort. Indessen wähnten der K. und der G. die Verfolger noch hinter ihnen. Sie liefen zu einem 200 m von dem letzten Haltepunkt der PKW entfernten Mehrfamilienhaus. G. gelang es nicht, die Haustüre zu öffnen, in Todesangst trat er daher die untere Glasscheibe der Türe ein. Dabei oder beim anschließenden Durchsteigen des noch mit Glasresten versehenen Türrahmens zog sich G. eine Verletzung der Schlagader zu, die zu einem unmittelbaren Verbluten führte. Der BGH änderte den Schuldspruch dahin, dass sich die Angeklagten auch wegen versuchter Körperverletzung mit Todesfolge strafbar gemacht haben, §§ 227, 22, 23 StGB.

Die für den Versuch maßgebliche Schwelle zum „jetzt geht es los“ sah der BGH spätestens mit der Verfolgung der Flüchtenden und dem arbeitsteiligen Vorgehen, bei welchem sich die Angeklagten zur Verfolgung aufteilten, als überschritten an.15 Eine vollendete Körperverletzung sei nicht anzunehmen, da die zum Tode führende Schnittverletzung des Opfers G. als wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf von den Angeklagten nicht vorsätzlich herbeigeführt

14 Daraus darf nicht geschlossen werden, dass es doch zwingend auf die Mitursächlichkeit des Körperverletzungserfolgs ankommt, vielmehr genügt aber jedenfalls dessen Vorliegen. Dies scheint NK/Paeffgen, § 18 Rdnr. 75 nicht zu erkennen, wenn er auch für diesen Fall den Einwand des „Zwischenbereichs“ erhebt (hierzu siehe unten 10. Abschnitt, A.III.8.). 15 Siehe BGHSt 48, 34 (36). Richtigerweise zustimmend Sowada, Jura 2003, 549 (551); M. Müller, Jura 2005, 635 (636 f.). Ablehnend Krey/Heinrich, BT 1, Rdnr. 280 c, 282 b. Kritisch auch Puppe, JR 2003, 123 (125); Kindhäuser, BT I, § 10 Rdnr. 7.

9. Abschn.: Fluchtfälle in der Rechtsprechung

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worden sei.16 Die Angst- und Panikgefühle des G. können als rein psychische Empfindungen gleichfalls keine Körperverletzung i. S. des § 223 StGB begründen, solange nicht ein pathologisch, somatisch objektivierter Zustand nachgewiesen werden kann – ein solcher sei vom Tatgericht weder ausdrücklich festgestellt worden noch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmen.17 Den Weg zur versuchten Körperverletzung mit Todesfolge bereitet dem BGH der Verweis auf die bereits oben18 angesprochene Entscheidung BGHSt 14, 110, wonach die deliktsspezifische Gefahr bereits von der Körperverletzungshandlung ausgehen kann. Im Gegensatz zu den Entscheidungsgründen im „RötzelFall“ hebt der BGH nun in einem obiter dictum hervor, dass die Anwendung des § 227 StGB nicht davon abhängen könne, ob neben der Verwirklichung der in der Körperverletzungshandlung inhärenten Gefahr tatsächlich auch ein vorsätzlich herbeigeführter Körperverletzungserfolg eingetreten sei, denn dieser sei für den Unrechtsgehalt der Tat von untergeordneter Bedeutung.19 Von der grundsätzlichen Möglichkeit des erfolgsqualifizierten Versuchs20 geht der BGH somit aus. Den erforderlichen Zurechnungszusammenhang sieht der BGH nicht durch das Verhalten des G. als unterbrochen an. Zwar stellt der BGH hier nicht eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Opfers in Abrede, wie er es in der „Fenstersturz-Entscheidung“ getan hat, doch „dessen Reaktion war eine naheliegende und nachvollziehbare Reaktion auf den massiven Angriff der Angeklagten. Ein solches durch eine Flucht Hals über Kopf geprägtes Opferverhalten ist vielmehr bei den durch Gewalt und Drohung geprägten Straftaten geradezu deliktstypisch und entspringt dem elementaren Selbsterhaltungstrieb des Men16 Vgl. BGHSt 48, 34 (36). Anders hatte der BGH im sog. „Magenschmerzen-Fall“ entschieden: Das Opfer sollte zusammengeschlagen werden, konnte sich jedoch der aufgehetzten Gruppe durch Flucht entziehen, erlitt infolge der Angst jedoch heftige Magenschmerzen. Der BGH sah hierin keine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf und verurteilte wegen vollendeter Körperverletzung, siehe BGH bei Dallinger MDR 1975, 22; zustimmend Blei, JA 1975, 101; ablehnend Wolter ZStW 89 (1977), 649 (699); Frisch, S. 619 Fn. 223, 227; Schlehofer, S. 175. Zur Frage der Abweichung vom Kausalverlauf siehe unten 11. Abschnitt, A. 17 Vgl. BGHSt 48, 34 (37); zustimmend Safferling, Jura 2004, 64 (66). Angenommen bei über den Schrecken hinausreichenden psychovegetativen Störungen, vgl. BGHR StGB § 223 Abs. 1 Gesundheitsbeschädigung 2; F. Meyer, ZStW 115 (2003), 249 (261). Marxen verwendet die Begrifflichkeit der „psychogenen Folge“, siehe Marxen, Fälle, S. 41 f. 18 Siehe oben Fn. 3. 19 Vgl. BGHSt 48, 34 (38). A. A. mit überzeugender Argumentation Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 218; Bacher, S. 156. Zutreffend weist Hardtung, NStZ 2003, 261 (263) darauf hin, dass der BGH dann konsequenterweise wegen vollendetem § 227 StGB hätte verurteilen müssen. 20 Nicht zu verwechseln mit dem Versuch der Erfolgsqualifikation, siehe Kühl, Jura 2003, 19 ff., der sich als redundant zum versuchten vorsätzlichen Tötungsdelikt darstellt.

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

schen.21 Zwar hat der Bundesgerichtshof in Einzelfällen eine Zurechnung in Folge [sic] selbstgefährdenden Verhaltens des Opfers ausgeschlossen; doch steht dies hier – angesichts des außergewöhnlich massiven Vorgehens der Angreifer und der weiteren Besonderheiten – dem gefundenen Ergebnis nicht entgegen“22. Die Angeklagten haben auch fahrlässig gehandelt, da die Todesfolge im allgemeinen für jeden von ihnen als nicht außerhalb aller Lebenserfahrung liegend vorhersehbar gewesen sei. Dies stellt die Abkehr von einem rein formalen Kriterium dar, welches bei Eingreifen eines Dritten oder des Opfers selbst den Unmittelbarkeitszusammenhang allein aus diesem Umstand negiert und damit das Charakteristische der typischen Grundgefährlichkeit von Körperverletzungshandlungen nicht zu erfassen vermag.23 Auch wenn es der BGH nicht explizit ausspricht, ist mit dieser Entscheidung die Abkehr von der durch die „Rötzel-Entscheidung“ geprägten Sichtweise begründet.24 B. Freiheitsberaubung mit Todesfolge – § 239 IV StGB I. BGHSt 19, 382 Den sehr knapp mitgeteilten Feststellungen lässt sich entnehmen, dass das Tatgericht davon ausging, dass das Opfer aus einem fahrenden PKW herausgefallen ist und verstarb. Demgegenüber hält es der BGH aus den verwendeten Wendungen des Schwurgerichts auch für möglich, dass das Opfer aus dem Wagen im Wege der Flucht herausgesprungen ist und seinen Verletzungen erlag.25

Die Tatfrage hält der BGH nicht für entscheidungserheblich. Denn auch wenn das Opfer aus dem Wagen geflohen sei, sei der Tod durch die Freiheitsberaubung verursacht worden. „Der Begriff der Verursachung ist hier kein anderer, als er allgemein für die Herbeiführung eines Erfolges von der strafrechtlichen Rechtsprechung vertreten wird (Bedingungstheorie).“26 Daher sei der Tod 21 In Anlehnung an Wessels/Hettinger, BT 1, Rdnr. 301; von Heintschel-Heinegg/ Kudlich, JA 2001, 129 (132). 22 BGHSt 48, 34 (38 f.) (Hervorhebung im Original). Puppe bezieht in einem Skript zum „Hetzjagd-Fall“ (Strafrecht BT im WS 2004/2005) folgendermaßen Stellung: „Dieses Gemisch aus Sachverhaltsnacherzählung und diffusen Werturteilen ohne Subsumtion unter Rechtsbegriff [sic] sollten Sie sich nicht zum Vorbild nehmen“, (Abruf im Januar 2005). 23 Vgl. Geppert, JK 84, § 226/2. 24 Demgegenüber sieht Rengier in der Entscheidung die Bestätigung der bereits mit der Entscheidung BGH NJW 1992, 1708 vollzogenen Abkehr von der „Rötzel-Entscheidung“, vgl. Rengier, BT II, § 16 Rdnr. 6 f. Der 5. Strafsenat des BGH spricht sich nunmehr explizit gegen die – nach seiner Auffassung zu restriktive – Sichtweise der „Rötzel-Entscheidung“ aus; siehe BGH Urteil v. 10. Januar 2008 – 5 StR 435/07. 25 Vgl. BGHSt 19, 382 (387). 26 BGHSt 19, 382 (387).

9. Abschn.: Fluchtfälle in der Rechtsprechung

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auch dann durch die Freiheitsberaubung verursacht worden, wenn das Opfer unmittelbar bei dem Versuch, ihr zu entrinnen, tödliche Verletzungen erleide.27 Das Urteil vom 14. Juli 1964 begnügt sich noch mit der bloßen Prüfung eines Bedingungszusammenhanges. Das sechs Jahre später erhobene Unmittelbarkeitskriterium wird in keinster Weise in den Entscheidungsgründen angedacht. II. LG Konstanz v. 17.11.2004 – 2 Ks 55 Js 2303/0428 Die Angeklagten und das spätere Opfer H. begegneten sich in einer Diskothek. Den Angeklagten fiel der H. durch seine aufreizende Art zu tanzen auf, sie qualifizierten den H. als „schwul“ ab und fühlten sich durch sein Verhalten provoziert. Die Angeklagten beschlossen, den H. „hochzunehmen“ – dieser sollte in das Auto eines der Angeklagten gelockt werden, um ihm Angst zu machen. Die Angeklagten stellten sich vor, den H. an einem abgelegenen Waldparkplatz auszusetzen. Einer der Angeklagten fragte den H., ob er mitfahren wolle, dieser willigte ein und bat, ihn am Krankenhaus herauszulassen. In vorgefasster Absicht fuhren die Angeklagten am vereinbarten Haltepunkt vorbei, am Ortsausgang wurde das Fahrzeug in das unmittelbar angrenzende Waldgebiet gesteuert. Nachdem der vereinbarte Ort am Krankenhaus passiert war, rief der H. laut, dass er raus wolle. Indessen pöbelten die Angeklagten den H. auf sein vermeintliches „Schwulsein“ hin an. Dieses Verhalten, die laute Musik im Auto und der Umstand, dass die Angeklagten die Fahrt fortsetzten, bewirkte insgesamt, dass H. vermutlich aus Angst die linke hintere Türe des PKW öffnete. Da das Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt in eine Rechtskurve einlenkte, wurden die Fliehkräfte für H. noch verstärkt und er rutschte mit angezogenen Beinen aus der Türe und kam im Bereich des Mittelstreifens zum Liegen. Von einem ordnungsgemäß entgegenkommenden LKW mit Anhänger wurde das Opfer erfasst, ohne dass dem Fahrer des LKW noch eine Reaktionszeit verblieben wäre und von den linksseitigen Reifenpaaren nacheinander überrollt. H. verstarb noch am Unfallort. Das LG Konstanz sprach die Angeklagten der gemeinschaftlichen Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig.

In den Entscheidungsgründen führt das Gericht aus, obwohl das Opfer H. selbst die Türe des PKW öffnete und in der Folge zu Tode kam, sei dieser Tod durch die Freiheitsentziehung verursacht und den Angeklagten zuzurechnen. Unter Verweis auf die Entscheidung BGHSt 19, 382 legt die Kammer dar: „Der geforderte unmittelbare Zusammenhang zwischen der Freiheitsberaubung und der Todesfolge (BGH 19, 328 [sic]) ist gegeben. Die drei Angeklagten haben bereits durch die schuldhafte Verwirklichung des Grunddelikts der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) objektiv und subjektiv pflichtwidrig gehandelt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist daher alleiniges Merkmal der Fahrlässigkeit hinsichtlich der qualifizierten Tatfolge die Vorhersehbarkeit des Todes des Opfers. Hierbei kommt es nicht auf die Einzelheiten des zum Tod des Opfers führenden Kausalverlaufs an. Entscheidend ist vielmehr, ob für die 27 28

Zustimmende Anmerkung von Hengsberger, LM Nr. 18 zu § 239 StGB. Unveröffentlicht, rechtskräftig.

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

Angeklagten voraussehbar war, dass die genommene Fortbewegungsfreiheit in irgendeiner nicht außerhalb der Lebenserfahrung liegenden Weise den Tod des Geschädigten herbeiführen könnte“29. Im Hinblick auf die bereits vollzogene Freiheitsberaubung hätten die Angeklagten mit der Flucht des Geschädigten rechnen müssen. Es liege auch nicht außerhalb der Lebenserfahrung, dass eine Flucht möglicherweise unvernünftig sei und das Opfer sich dadurch selbst in Gefahr bringe.30 Mit einer – aus einem fahrenden Auto immer riskanten – Flucht des Geschädigten hätten die Angeklagten damit rechnen müssen. „Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Tod letztlich durch die Überrollung durch den LKW eingetreten ist. Im Straßenverkehr kommt Gegenverkehr ständig vor, so dass auch dieser Umstand nicht außerhalb der Lebenserfahrung liegt.“31 Die Ausführungen des Gerichts zum unmittelbaren Zusammenhang sind inhaltsleer. Das Gericht meint, den Unmittelbarkeitszusammenhang zu begründen, in Wirklichkeit findet dies aber nicht statt. Wenn das Landgericht anführt, dass die Vorhersehbarkeit des Todes das alleinige Merkmal der Fahrlässigkeit bei den erfolgsqualifizierten Delikten darstelle, so ist damit nichts über die Affinitätsbeziehung von Grunddelikt und schwerer Folge ausgesagt. Das Gericht gibt vielmehr nur die Rechtsprechungslinie wieder, nach welcher bei den erfolgsqualifizierten Delikten die objektive Sorgfaltspflichtverletzung bereits mit der Verwirklichung des Grunddelikts gegeben sei und somit im Bezug auf die schwere Folge – im Gegensatz zum normalen Fahrlässigkeitsdelikt – alleine eine Überprüfung der objektiven Vorhersehbarkeit vorzunehmen sei.32 Da dieser Zusammenhang aber bereits durch § 18 StGB gewährleistet ist, muss es sich beim Unmittelbarkeitsgrundsatz gerade um etwas anderes als das auf der reinen Fahrlässigkeitsebene Gemeinte handeln.33 Damit stellt die Argumentation des LG Konstanz einen „missing link“ im Hinblick auf das durch die „Rötzel-Entscheidung“ proklamierte Unmittelbarkeitskriterium dar. C. Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge – § 178 StGB Einen Fall des damaligen § 178 StGB a. F. (Notzucht mit Todesfolge)34 hatte der BGH am 28.06.196035 zu entscheiden. Der Täter hatte sein Opfer 20 Minu29

UA S. 9. Vgl. UA S. 9. 31 UA S. 10. 32 Grundlegend BGHSt 24, 213 (215); siehe auch BGH NStZ 1982, 27; BGH bei Dallinger MDR 1976, 16; Heinrich/Reinbacher, Jura 2005, 743 (747); Küpper, Zusammenhang, S. 73; Ferschl, S. 100; Hobe, Busch-GS, S. 253 (274 Endnote 40). 33 Vgl. Küpper, Zusammenhang, S. 73. Klare Differenzierung zwischen Ursächlichkeit und Schuldvorwurf auch bei BGH bei Dallinger MDR 1976, 16. 30

9. Abschn.: Fluchtfälle in der Rechtsprechung

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ten lang teils mit dem Auto, teils zu Fuß gejagt, um den Geschlechtsverkehr zu erzwingen. Das Mädchen versuchte schließlich, sich auf einem Bahndamm in gebückter Stellung zwischen den Gleisen zu verbergen, wurde aber bei der Flucht durch einen Zug erfasst und tödlich verletzt. Der BGH verurteilte wegen versuchter Notzucht mit Todesfolge. Das Gericht argumentiert mit der Vorhersehbarkeit; der Täter hätte erkennen können, dass die waghalsige Flucht einen tödlichen Verlauf nehmen würde. Eine Auseinandersetzung mit dem erst zehn Jahre später etablierten Unmittelbarkeitsgrundsatz findet freilich nicht statt. D. Brandstiftung mit Todesfolge – § 306 c StGB Hinsichtlich § 309 2. Var. StGB a. F. (Fahrlässige Brandstiftung mit Todesfolge) stellte das RG in einem obiter dictum fest, dass es gleichgültig sei, ob der Tod durch das Feuer unmittelbar bewirkt oder dieser nur mittelbar durch das Herabspringen aus dem Fenster, um sich zu retten, veranlasst werde.36 Auch im Falle der Flucht obwalte ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Brande selbst. E. Annex zur Nacheile (Verfolger-Fall): Raub mit Todesfolge – § 251 StGB Während die bisher referierten Entscheidungen Fälle der Flucht des Opfers behandelten, hat die Entscheidung BGHSt 22, 362 die Konstellation der Nacheile und damit eine Schädigung des Verfolgers zum Gegenstand. Nach den Feststellungen des Urteils vom 18.03.1969 ist das Raubopfer möglicherweise bei dem Versuch, den fortgelaufenen Räubern nachzueilen, im Dunkeln zu Fall gekommen und hat sich dabei die zu seinem Tode führenden Verletzungen zugezogen. Der BGH stellt hier fest, dass der Tod des Raubopfers durch die gegen ihn verübte Gewalt und nicht durch den Raub schlechthin verursacht werden muss. Ebenso wie § 226 StGB a. F. sei auch die Vorschrift des § 251 StGB einschränkend auszulegen. „Sie kann somit – unter Beachtung des § 56 StGB37 – nur angewandt werden auf Folgen gewalttätiger Wegnahmehand34 Die heutige Restriktion auf die leichtfertige Todesverursachung enthielt der damalige Tatbestand nicht. 35 BGH v. 28.06.1960 – 1 StR 203/60 (unveröffentlicht, wiedergegeben bei Pfeiffer/ Maul/Schulte, § 178 Anmerkung 2; Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 198). 36 Vgl. RGSt 40, 321 (324). Zustimmend Küpper, Zusammenhang, S. 112; MK/ Radtke, § 306 c Rdnr. 13; Tröndle/Fischer, § 306 c Rdnr. 3; NK/Herzog, § 306 c Rdnr. 3; SK/Wolters/Horn, § 306 c Rdnr. 3. Ebenso Lüdeking-Kupzok, S. 306 f. für § 307 Nr. 1 StGB a. F. 37 Heute § 18 StGB.

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

lungen, nicht dagegen auf spätere Ereignisse, die ihre Ursache lediglich in dem Gesamtvorgang haben, in dessen Rahmen sich die gewaltsame Wegnahme vollzogen hat.“38 Die restriktive Position des BGH gründet weniger in einem frühen Unmittelbarkeitsgedanken, sondern vielmehr in der Beachtung des damaligen Wortlauts des § 251 StGB a. F., der die Todesverursachung des Opfers durch „die gegen ihn verübte Gewalt“ forderte. Mit dem am 1. Januar 1975 in Kraft getretenen Einführungsgesetz zum StGB enthält der § 251 StGB eine Beschränkung auf die Raubgewalt nicht mehr; unter den Strafschärfungsgrund fällt jetzt insbesondere auch die Verursachung des Todes durch Drohungen.39 F. Würdigung der Rechtsprechung Der Zeitraum vor der „Rötzel-Entscheidung“ ist einerseits geprägt von der reinen Prüfung des Bedingungszusammenhangs, andererseits von der Prüfung eines Adäquanzzusammenhangs, wie ihn bereits § 18 StGB (§ 56 StGB a. F.) voraussetzt. Der spezifischen Deliktsstruktur der erfolgsqualifizierten Delikte wird durch dieses Verständnis – auch im Hinblick auf die Strafrahmen der Erfolgsqualifikationen – nicht Genüge getan. Den Wendepunkt dieser Entwicklung bildet die Prämisse eines Unmittelbarkeitskriteriums durch die „Rötzel-Entscheidung“, wie es bereits oben (8. Abschnitt, A.) inhaltlich dargelegt wurde. Im Anschluss an die „KZ-Entscheidung“40, nach welcher die Körperverletzung an sich die Todesfolge herbeigeführt haben muss, versteht der BGH unter dem Unmittelbarkeitskriterium zunächst ein naturalistisches Prinzip in dem Sinne, dass die Körperverletzung, sei es auch nur die Körperverletzungshandlung in ihrer physischen Einwirkung auf das Opfer, die Todesfolge zeitigen muss. Wird der Erfolg durch das Eingreifen eines Dritten oder durch das – hier interessierende – Verhalten des Opfers selbst vermittelt, so fehlt es unter diesem Verständnis an einer durch Einwirkung geprägten Affinitätsbeziehung zwischen Grunddelikt und schwerer Folge.41 Der Vorwurf der Wiederbelebung eines neuen Regressverbots liegt nahe.42 38

BGHSt 22, 362 (363). Hierzu Blei, JA 1974, 233 (236); Schünemann, JA 1980, 393 (396); Geilen, Jura 1979, 501; H.-L. Günther, Hirsch-FS, S. 543 (546). Vgl. zu einer solchen Konstellation OLG Nürnberg NStZ 1986, 556 – dort kam das Opfer infolge der von der Drohung ausgehenden Schockwirkung zu Tode. Aber auch unter diesen Voraussetzungen geht die einhellige Ansicht in der Literatur in den Verfolgerfällen von einer fehlenden raubspezifischen Gefahrrealisierung aus, vgl. Lackner/Kühl, § 251 Rdnr. 1; NK/Kindhäuser, § 251 Rdnr. 6; MK/Sander, § 251 Rdnr. 9; Roxin; AT I, § 10 Rdnr. 115; Lüdeking-Kupzok, S. 102 f. sowie H.-L. Günther, Hirsch-FS, S. 543 (549) mit umfassenden Nachweisen. Siehe auch Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 206 f. 40 BGH bei Dallinger MDR 1954, 150. 39

9. Abschn.: Fluchtfälle in der Rechtsprechung

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Der BGH hält an diesem Prinzip strikt fest, dennoch gelangt er in dem dem „Rötzel-Fall“ äußerlich gleichenden Sachverhalt der „Fenstersturz-Entscheidung“ zu einer abweichenden Entscheidung. Die Anerkennung des Unmittelbarkeitszusammenhangs stellt sich für den BGH aber nicht in einer Abkehr von seinem restriktiven Verständnis des Unmittelbarkeitsprinzips dar, sondern in einer Spitzfindigkeit der Sachverhaltsbewertung. Durch die massive körperliche Misshandlung des Opfers im „Fenstersturz-Fall“ sieht der BGH, sachverständig beraten, dieses als nicht mehr zu klaren Denkabläufen und folgerichtigem Handeln fähige Person an, so dass der Sprung des Opfers in seiner biologisch-indizierten Beeinträchtigung gerade als Ausprägung des durch die physische Einwirkung vermittelten Vorgangs betrachtet werden kann.43 Dennoch vermag die – wohl nicht zuletzt ergebnisorientierte – Diskrepanz der beiden Entscheidungen nicht zu befriedigen.44 Auch der Angeklagte Rötzel hatte seinem Opfer einen schmerzhaften Nasenbeinbruch und eine tiefe Oberarmwunde beigebracht – eine erhebliche Einwirkung auf die körperliche Integrität des Opfers, zumal dieses nicht das Ziel der Misshandlungen absehen konnte, immerhin galt es nicht, die Herausgabe von Geld oder einer Geheimnummer zu erpressen. Eine wenn auch nicht ausdrücklich ausgesprochene, so doch klare und eindeutige Abkehr45 von der durch die „Rötzel-Entscheidung“ geprägten Sichtweise des Unmittelbarkeitskriteriums führt endlich das Urteil vom 9. Oktober 200246 an. Die Beurteilung des BGH gründet hier in der Ansicht, dass die Flucht bei durch Gewalt und Drohung geprägten Straftaten dem elementaren Selbsterhaltungstrieb entspringe und damit geradezu deliktstypisch zu beurteilen sei. Damit öffnet sich für den BGH der Zurechnungszusammenhang auch dann, wenn die Todesfolge nicht über das Konstrukt einer biologisch-indizierten Einwirkung begründet wird. Offen bleibt bei dieser Rechtsprechung freilich das Verhältnis einer so verstandenen Erfolgsqualifikation zu den Fluchtfällen der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik.47 Der BGH bedient sich mit der Begriff41 Dem BGH allerdings zustimmend Ulsenheimer, JZ 1973, 64 (68) („atypischer Todessprung des Opfers“). 42 So insbesondere Geilen, Welzel-FS, S. 655 (656); SK/Horn/Wolters, § 227 Rdnr. 9; Wolter, JuS 1981, 168 (175). 43 Siehe zu einer korrespondierenden Fallvariante Krey/Fischer, JA 1997, 204 (207 f.). 44 Zu Recht kritisch Kühl. Zurückhaltende Kritik noch in Kühl, AT, § 17 a Rdnr. 26 („zumindest zweifelhaft“); eindeutig dann aber in Kühl, Rechtsprechung, S. 74 („Überzeugend gelingt dies aber nicht“; „wohl kein Unterschied“). Ebenfalls kritisch Rengier, BT II, § 16 Rdnr. 8; Küpper, Hirsch-FS, S. 615 (623); Bartholme, JA 1993, 127 (128). 45 Wie hier auch Sowada, Jura 2003, 549 (554); Kindhäuser, LPK, § 227 Rdnr. 6. 46 BGHSt 48, 34. 47 So auch der berechtigte Einwand Sowadas, Jura 2003, 549 (555): „Wenn man aber daran festhält, dass es für die Strafbarkeit wegen eines erfolgsqualifizierten De-

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

lichkeit des Selbsterhaltungstriebs bzw. des Selbstschutzes eines Kriteriums, wie es insbesondere die zivilrechtliche Judikatur in Fluchtfällen verwendet.48 Eine klare Einordnung und Subsumtion unter das nach wie vor bestehende Unmittelbarkeitskriterium wäre indessen wünschenswert gewesen.49 Den Fall der Nacheile vermochte der BGH nach dem damaligen Wortlaut des § 251 StGB a. F. aus dem Zurechnungszusammenhang auszuschließen. Indizien für eine Argumentationsstruktur hinsichtlich des heutigen § 251 StGB können aus den Entscheidungsgründen allerdings nicht gewonnen werden. Für die Lösung der Fälle der privaten Nacheile haben wir uns bereits im Rahmen der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik gegen eine strafbarkeitsbegründende Zurechnung zum Verfolgten ausgesprochen (oben 6. Abschnitt, E.III.).50 Diese Sichtweise muss auch die Fälle der privaten Nacheile erfassen, bei welchen der Verfolgende zuvor Opfer einer nun vollendeten Straftat geworden ist, und gilt somit erst recht für die Erfolgsqualifikation51, deren Unmittelbarkeitsbeziehung zum Grunddelikt in dieser Arbeit als zusätzliche Einschränkung des Zurechnungszusammenhanges verstanden wird. Eine Auseinandersetzung mit der höchst streitbaren Beendigungsdoktrin52 erübrigt sich. Als Fazit können wir festhalten, dass das Verständnis des Unmittelbarkeitskriteriums seit seiner Einführung im Jahre 1970 eine grundlegende Wandelung und Neudefinition erfahren hat. Ein stringentes Zurechnungsschema für die erfolgsqualifizierten Fluchtfälle bietet die höchstrichterliche Rechtsprechung freilich nicht. Soweit jüngst die Fluchtfälle mit Verweis auf den elementaren Selbsterhaltungstrieb der Zurechnung zugeführt werden, bleibt zu bemängeln, worin der Unterschied zur allgemeinen Fahrlässigkeitszurechnung liegen soll. In Anbetracht der gravierenden Strafrahmenverschiebung vom allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikt hin zur Erfolgsqualifikation hätte hier dogmatisch differenzierter gearbeitet werden müssen.53

likts einer besonderes engen Verknüpfung bedarf, so kann das Vorliegen der allgemeinen Zurechnungsvoraussetzungen hierfür lediglich eine notwendige, nicht aber auch eine hinreichende Bedingung sein“ (Hervorhebung vom Verfasser). 48 Siehe dazu oben 4. Abschnitt, A. 49 Wie hier auch Puppe, JR 2003, 123 (125). 50 A. A. allerdings der BGH, der in BGHSt 22, 362 keine Bedenken getragen hat, dem Täter den Tod des nacheilenden Opfers als fahrlässige Tötung zuzurechnen. Dem BGH zustimmend Puppe, Erfolgszurechnung, S. 241. 51 Im Ergebnis übereinstimmend Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 185, 206 f.; Lüdeking-Kupzok, S. 103, 271; H.-L. Günther, Hirsch-FS, S. 543 (549) sowie die Nachweise oben in Fn. 39. 52 Siehe nur Hefendehl, StV 2000, 107 (108 ff.); Sowada, Jura 1994, 643 (651). 53 Stuckenberg spricht daher zu Recht von einer „notorischen Unterbestimmtheit“ der vom BGH verwendeten Zurechnungskriterien; vgl. Stuckenberg, Jakobs-FS, S. 693 (700).

10. Abschn.: Die Lösung von Fluchtfällen in der Literatur

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Demgegenüber hat die notwendige Affinitätsbeziehung von Grunddelikt und qualifizierender Folge im strafrechtlichen Schrifttum, insbesondere im Hinblick auf den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge, eine mannigfache und subtile Ausarbeitung erfahren. Dem gilt die folgende Betrachtung unserer Darstellung. 10. Abschnitt

Die Lösung von Fluchtfällen in der Literatur A. Körperverletzung mit Todesfolge – § 227 StGB I. Abstellen auf den Körperverletzungserfolg

1. Der Körperverletzungserfolg als Durchgangserfordernis Eine gewichtige Meinungsgruppe in der Literatur setzt – entgegen der Sichtweise der Rechtsprechung – für die Erfolgsqualifikation im Rahmen von § 227 StGB eine dem Todeseintritt vorgelagerte, abgrenzbare Verletzung voraus. Die spezifische Gefahr für den Eintritt des Todes muss gerade aus der Verletzung an sich, d.h. auf dem Erfolg des Grunddelikts resultieren und nicht nur aus einem Angriff auf die körperliche Integrität, der bei Gelegenheit, d.h. im Einzelfall durch bestimmte äußere Umstände – beispielsweise die Flucht des Opfers vor seinem Häscher – auch einmal den Tod herbeiführen kann.54 Ansonsten würden in den Qualifikationsgrund Fälle einbezogen, in denen gerade nicht die der Strafschärfung zu Grunde liegende spezifische Gefahrenträchtigkeit des Verletzungserfolges, sondern irgendeine Unachtsamkeit bei der Tatvornahme die Anknüpfung bilde.55 Der Tatbestand der Körperverletzung würde zu einem Fall bloßer Idealkonkurrenz von einfacher Körperverletzung und fahrlässiger Tötung verwässert.56 So würde nach Krey/Heinrich niemand auf die abwegige Idee kommen, als „Körperverletzung“ i. S. des § 223 StGB bereits die auf körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung abzielende Handlung ohne Rücksicht auf ihren Erfolg zu verstehen – jede andere Sichtweise stelle einen Zirkelschluss dar, der schlicht auf dem Wortlautverständnis aufbaue, ohne dieses zu begründen, und damit das grundgesetzliche Analogieverbot missachte.57 Mit dem Wort 54

Vgl. Ulsenheimer, GA 1966, 257; Tröndle/Fischer, § 227 Rdnr. 2. Vgl. Hirsch, GA 1972, 65 (75 f.). 56 Siehe LK/Hirsch, § 227 Rdnr. 4 zur Einführung in die von ihm vertretene Letalitätslehre. 57 Siehe Krey/Heinrich, BT 1, Rdnr. 275 als Vertreter der Letalitätslehre; zustimmend Kühl, BGH-FG, S. 237 (255); LK/Hirsch, § 227 Rdnr. 4. 55

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

„Körperverletzung“ in den §§ 223 ff. StGB meine der Gesetzgeber unzweifelhaft den durch die Täterhandlung verursachten grundtatbestandlichen Erfolg, dies belege zum einen § 230 StGB a. F.58 als auch das Wort „Verletzter“59 in § 224 StGB a. F.60 und § 226 StGB a. F.61.62 Dieses Tatbestandsmerkmal wäre überflüssig, wenn auch die dem Tätigkeitsakt anhaftende Gefährlichkeit ausreichen würde.63 Die fluchtbedingten Schäden resultierten nicht in einer spezifischen Gefahr der Körperverletzungshandlung als solcher, sondern in der Bedrohungsgefahr. Eine solche tatbestandsspezifische Gefahr der vorsätzlichen Körperverletzungshandlung bestehe gerade darin, dass vorsätzlich ein Körperverletzungserfolg verursacht werde.64 Es müsse sich also eine Gefahr realisieren, die in der Körperverletzungshandlung in ihrer Eigenschaft nicht als Handlung, sondern als Verwirklichung des Tatbestandes der vorsätzlichen Körperverletzung liege.65 Um diese spezifische Gefahr von anderen Gefahren, die durch die gleiche Handlung verursacht werden, begrifflich zu trennen und zu unterscheiden, sei das Durchgangserfordernis notwendig.66 Wenn der Täter neben dem von ihm vorsätzlich herbeigeführten Erfolg noch einen qualitativ anderen fahrlässig verursacht, so scheitert nach dieser Ansicht § 227 StGB am Durchgangserfordernis. Das vollendete Grunddelikt muss notwendiger Bestandteil der kausalen Erklärung der schweren Folge sein.67 Hieran fehlt es im „Rötzel-Fall“. Mit dieser Sichtweise ist darüber hinaus konsequenterweise die Nichtanerkennung eines erfolgsqualifizierten Versuchs – „Hetzjagd-Fall“ – der Körperverletzung mit Todesfolge verbunden, denn es fehlt am notwendigen Zwischenerfolg und damit an der notwendigen „Erfolgsgefährlichkeit“, an die die schwere Folge denknotwendig anknüpfen könnte.68 58

Jetzt § 229 StGB. Jetzt „verletzte Person“. 60 Jetzt § 226 StGB. 61 Jetzt § 227 StGB. 62 Siehe nur Hirsch, Oehler-FS, S. 111 (120 f.); ders., JR 1983, 78 (79); Küpper, Zusammenhang, S. 119. Roxin, AT I, § 10 Rdnr. 117 spricht von einer sonst vorgenommenen Überinterpretation. 63 So Hirsch, JR 1983, 78 (79). 64 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 221. 65 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 223. 66 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 221. Trotz des Körperverletzungserfolgs im „Fenstersturz-Fall“ hält Puppe diesen für von untergeordneter Bedeutung, da entscheidend für den Sturz die Angst vor weiteren Misshandlungen gewesen sei, vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 214 – insoweit läuft die Argumentation Puppes parallel zur Ansicht Paeffgens (siehe unten III.8.). 67 Vgl. Altenhain, GA 1996, 19 (33). 68 Gegen eine Versuchsstrafbarkeit des § 227 StGB im „Hetzjagd-Fall“ jedenfalls Jäger, BT, Rdnr. 90. Differenzierend allerdings Bacher, siehe hierzu sogleich. 59

10. Abschn.: Die Lösung von Fluchtfällen in der Literatur

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Demgegenüber ließe sich im „Fenstersturz-Fall“ eine Körperverletzung mit Todesfolge begründen, denn der Tod wurde über einen Körperverletzungserfolg – die pathologisch indizierte Benommenheit – vermittelt. 2. Der Teilerfolg des Grunddelikts als Mindestbedingung Auch Bacher fordert im weiteren Sinne die Verwirklichung des Grunddelikts. Denn die besonders enge Verbindung zwischen Grunddelikt und schwerer Folge könne nur über den Erfolg des Grunddelikts als selbständig strafbarer Sorgfaltspflichtverstoß vermittelt werden, da jedes sonstige sorgfaltswidrige, aber als solches nicht strafbare Verhalten des Täters im Falle des Erfolgseintritts schon von den allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikten erfasst werde.69 Obwohl nach der Ansicht Bachers das den erhöhten Strafrahmen der erfolgsqualifizierten Delikte rechtfertigende typische Gefährdungsmoment nicht allein auf der grunddeliktischen Handlung beruhen kann, hält er an der grundsätzlichen Möglichkeit eines erfolgsqualifizierten Versuchs fest. Denn, so Bacher, die Gefährdung des qualifizierten Rechtsguts beruhe oftmals nicht auf dem Grunddelikt in seiner Gesamtheit, sondern knüpfe vor allem bei mehraktigen Delikten in aller Regel ausschließlich an einzelne Teile des Grundtatbestandes an, so dass konsequenterweise die Teilvollendung des Grundtatbestandes für die verschärfte Versuchstrafbarkeit ausreichen müsse.70 „Für den erfolgsqualifizierten Versuch ist damit die Verwirklichung eines Tatbestandesmerkmals des Grunddelikts einerseits erforderlich, andererseits aber – unter Beachtung der sonstigen Voraussetzungen – auch ausreichend.“71 Dies hat für ihn die Konsequenz, dass es ausschließlich auf die Strafbarkeit dieses (Teil-)Erfolges – beispielsweise § 240 StGB –, nicht aber auf die Versuchsstrafbarkeit des Grunddelikts ankommt.72 Für die Fluchtfälle stellt Bacher den erfolgsqualifizierten Zurechnungszusammenhang in Abrede, da sich ohne irgendeinen tatsächlichen Eingriff des Täters auch eine nur über einen Teilerfolg des Grunddelikts zu vermittelnde enge Verbindung zwischen dem (versuchten) Grunddelikt und der schweren Folge nicht begründen lasse. Anders als bei den echten Ausweichfällen könne man nicht mit einem möglichen, vom Täter direkt oder durch vis absoluta verursachten Reflex des Angegriffenen argumentieren. Denn die Flucht des Opfers sei als weitgehend willensgesteuerte Reaktion einzustufen. Der Durchgangskörperverletzungserfolg beruhe daher alleine in der der versuchten Körperverletzung enthaltenen Drohung einer künftigen Misshandlung.73 Vor diesem Hintergrund 69 70 71 72 73

Siehe Bacher, S. 52, 55; Küpper, ZStW 111 (1999), 785 (795). Siehe Bacher, S. 119. Bacher, S. 119. Vgl. Bacher, S. 121. Vgl. Bacher, S. 162 ff.

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

stimmt Bacher der Sichtweise des BGH in der „Rötzel-Entscheidung“ zu, als auch den Entscheidungsgründen im „Fenstersturz-Fall“ vor dem Hintergrund des durch die Verletzungen verursachten Ausschlusses eigenverantwortlichen Handelns.74 Demgegenüber ließe sich mit der Argumentation Bachers im „Hetzjagd-Fall“ die Verurteilung wegen versuchter Körperverletzung mit Todesfolge nicht tragen.75 3. Der Erfolg der Zusatzgefahren des § 224 StGB als ausreichendes Moment Hardtung desavouiert die Möglichkeit des erfolgsqualifizierten Versuchs schlechthin. Für ihn stellt die „Versuchslösung“ eine unzulässige Entfernung vom Wortlaut des Gesetzes dar. Denn nach der gesetzlichen und damit verbindlichen Begriffsbestimmung des § 22 StGB mache sich nur wegen Versuchs strafbar, wer „nach seiner Vorstellung . . . zur Verwirklichung des Tatbestandes . . . ansetzt“. Da zum Tatbestand der Erfolgsqualifikation, beispielsweise bei § 227 StGB, der Tod des Opfers gehöre, der Täter aber gerade keine Vorstellung von der gesamten Tat habe, könne im Hinblick auf Art. 103 II GG nur eine Verurteilung wegen des Versuchs des Grunddelikts erfolgen, allerdings aus dem Strafrahmen des erfolgsqualifizierten Delikts (!).76 Dieser Auffassung dürfte jedenfalls die explizite gesetzliche Regelung in den §§ 11 II, 18 StGB entgegenstehen, wonach sich ergibt, dass die Delikte in der Vorsatz-Fahrlässigkeits-Konstellation versucht werden können, wobei bei diesem Versuch hinsichtlich der schweren Folge, ebenso wie bei der Vollendung, Fahrlässigkeit oder Leichtfertigkeit ausreicht.77 Auch der Einwand Kostuchs, der hervorhebt, dass der Tatentschluss Spiegelbild des subjektiven Tatbestandes beim vollendeten Delikt sein soll, hat Gewicht. Denn dasjenige, was beim vollendeten Delikt für den subjektiven Tatbestand erforderlich aber auch ausreichend ist, hat spiegelbildlich beim Versuch zu genügen.78 Jedenfalls konstatiert Hardtung: „Wie auch immer man den Schuldspruch formuliert und begründet: Die Strafschärfung hängt in der Sache an den Voraussetzungen des § 18 StGB und denen des § 227 StGB“79. Das Zurechnungsproblem findet sich damit im Gewand der Strafzumessung wieder. 74

Vgl. Bacher, S. 164, 60. Zur Kritik an dem Modell Bachers siehe unten III.1.d). 76 Vgl. Hardtung, S. 242 f., 263; ders., NStZ 2003, 261 (261); MK/Hardtung, § 18 Rdnr. 74 ff. 77 Eingehende Kritik an dem Modell Hardtungs bei Kühl, AT, § 17 a Rdnr. 42 f. Ablehnend auch Safferling, Jura 2004, 64 (67); Kostuch, S. 17; Roxin, AT II, § 29 Rdnr. 338; Kreß/Weißer, JA 2006, 115 (116); Sonnen, BT, S. 35. 78 Vgl. Kostuch, S. 18. 79 Hardtung, NStZ 2003, 261 (261). 75

10. Abschn.: Die Lösung von Fluchtfällen in der Literatur

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Für Hardtung – der am Erfordernis der Erfolgskausalität des Grunddelikts festhält – ergibt sich die Richtigkeit der Entscheidung des Senats im Urteil BGHSt 48, 34 daraus, dass es sich bei genauerem Zusehen um einen Fall der Erfolgskausalität handelt. Zwar hätten die Täter nicht den Körperverletzungserfolg – zur Erinnerung: das Opfer war vor der Attacke rechtzeitig geflohen – verwirklicht, wohl aber einen spezifischen Gefährlichkeitserfolg.80 § 227 StGB nenne ausdrücklich den § 224 StGB als Grunddelikt und dieser beschreibe neben dem Verletzungserfolg, wie er bereits in § 223 StGB enthalten sei, verschiedene darüber hinaus gehende Gefährlichkeiten. Speziell § 224 I Nr. 4 StGB beschreibe eine Gefährlichkeit, die im gemeinschaftlichen Angriff mehrerer liege und gerade diese Gefährlichkeit hätten die Täter bereits mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Hetzjagd verwirklicht.81 Wenn aber § 227 StGB den § 224 StGB als Grunddelikt nenne, könne dies nur den Sinn haben, dass es für § 227 StGB genüge, wenn der Tod auf diesem Gefährlichkeits-Teilerfolg beruhe, denn anderenfalls wäre die Nennung von § 224 StGB schlechthin überflüssig, da der reine Körperverletzungserfolg schon von dem Verweis auf § 223 StGB erfasst werde.82 Nach Hardtung stört hierbei nicht, dass es sich bei dem gemeinschaftlichen Angriff mehrerer nicht um einen Verletzungs- sondern bloß um einen Gefährlichkeitserfolg handelt; denn Delikte wie insbesondere die §§ 306 a I Nr. 3 i.V. m. 306 c , 221 I und 224 I StGB würden zeigen, dass das Strafrecht als Ursache schwerer Folgen durchaus auch sog. abstrakte Gefahren genügen lasse.83 Auch habe sich die spezifische Gefährlichkeit des Körperverletzungsversuchs im Tod realisiert, da die Flucht des Opfers auf eben dieser grunddeliktischen Gefährlichkeit beruhe, denn es sei zumindest auch die in der gemeinschaftlichen Begehung liegende gesteigerte Gefährlichkeit gewesen, die das Opfer zur Flucht genötigt habe.84 Fehlt es an einer Verwirklichung der in § 224 StGB aufgeführten Zusatzgefahren und flieht das Opfer vor der ersten Verletzung oder wegen der Angst vor der Wiederholung der Verletzung – Fall „Rötzel“ –, so fehlt es nach Hardtung an der erforderlichen Erfolgskausalität. Denn der grunddeliktische Erfolg des § 223 StGB sei tatbestandlich nicht notwendig mit einer das Opfer bedrängenden Gefahr weiterer Verletzungen verbunden.85 § 223 StGB habe nur den Zweck, andere vor Verletzungen (und allenfalls vor daraus resultierenden Weiterungen) zu schützen, nicht aber den, andere vor der Gefährlichkeit irgendwelcher Bewegungen zu schützen.86 80

Vgl. Hardtung, NStZ 2003, 261 (263). Vgl. Hardtung, NStZ 2003, 261 (263). 82 Vgl. Hardtung, NStZ 2003, 261 (263); MK/Hardtung, § 227 Rdnr. 14. 83 Vgl. Hardtung, NStZ 2003, 261 (263); MK/Hardtung, § 18 Rdnr. 33. 84 Vgl. Hardtung, NStZ 2003, 261 (263). 85 Vgl. MK/Hardtung, § 18 Rdnr. 49, § 227 Rdnr. 18. 86 Vgl. MK/Hardtung, § 227 Rdnr. 11. Zur Kritik an dem Modell Hardtungs siehe unten III.1.d). 81

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

4. Das Erfordernis der Durchgangskausalität im Falle der Mitursächlichkeit des Opfers Laue legt eine Ansicht dar, die den Zurechnungszusammenhang bei § 227 StGB in die Aspekte des Gefahrverwirklichungs- und des Unmittelbarkeitszusammenhanges unterteilen möchte. Zunächst setzt sich Laue mit dem „Pistolenschlag-Fall“ von BGHSt 14, 11087 auseinander. Hierbei legt er in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung dar, dass die Erfolgslösung nicht zu überzeugen vermag. „Das Gesetz scheint durchaus von einem handlungsbezogenen Verständnis des Begriffs Körperverletzung auszugehen, wie der Blick auf § 224 StGB zeigt. Dessen Tatbestandsalternativen bezeichnen alle eine besonders gefährliche Art der Tatausführung, also überdurchschnittlich riskante Handlungsmodalitäten, die eine gefährliche Körperverletzung begründen. Zumindest die gefährliche Körperverletzung ist daher handlungs- und nicht erfolgsbezogen zu verstehen.“88 Insoweit beschränkt sich Laue auf die Erörterung eines begrifflichen Gefahrverwirklichungszusammenhanges. Für den Fall eines mitursächlichen Opferverhaltens hält Laue darüber hinaus die Prüfung eines spezifischen Unmittelbarkeitszusammenhanges für erforderlich. Dieser, so Laue, müsse in einer körperlich-biologischen Ursache gründen, denn nur dann habe sich die körperverletzungsspezifische Gefahr verwirklicht. Fehle es an einem Körperverletzungserfolg, so habe sich – auch wenn bereits ein unmittelbares Ansetzen zur Körperverletzung vorliege – lediglich eine nötigungstypische Gefahr verwirklicht.89 Das Fluchtverhalten möge sich hier als Reaktion auf einen tief greifenden Angstzustand darstellen, dieser beruhe aber nur auf der konkludenten Drohung vor der Fortführung der Misshandlungen. Die bereits erlittene Körperverletzung sei dann aber nicht primär verantwortlich für den Tod, den das Opfer auf der Flucht erleide.90 Ansonsten müsste nach der Rechtsprechung des BGH eine versuchte Nötigung, bei der der Täter körperliche Gewalt anzuwenden beabsichtigt, das Opfer sich aber aus Angst der Gewaltanwendung entzieht und dabei tödlich verunglückt, als versuchte Körperverletzung mit Todesfolge gewertet werden. § 227 StGB bzw. dessen erfolgsqualifizierter Versuch würde dann bei allen gewaltunterlegten Delikten zu einem Auffangtatbestand umfunktioniert.91 Damit hält Laue den „Rötzel-Fall“ vom BGH für richtig entschieden, das Urteil im „Hetzjagd-Fall“ lehnt er ab. Nur für den Fall des mitwirkenden Opfer-

87 88 89 90 91

Siehe oben 9. Abschnitt, Fn. 3. Laue, JuS 2003, 743 (745) (Hervorhebung im Original). Siehe Laue, JuS 2003, 743 (746). Vgl. Laue, JuS 2003, 743 (746). Vgl. Laue, JuS 2003, 743 (747).

10. Abschn.: Die Lösung von Fluchtfällen in der Literatur

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verhaltens (Fluchtverhaltens) wird Durchgangskausalität gefordert, ansonsten die Handlungslösung für vorzugswürdig gehalten.92 II. Abstellen auf die Letalität der Körperverletzung

1. Das Letalitätserfordernis Manche Autoren begnügen sich nicht mit einer Durchgangskausalität im weiteren Sinn, sondern fordern, dass die schwere Folge (Tod) des erfolgsqualifizierten Delikts gerade aus der tödlichen Wunde (vulnus letale) selbst resultieren muss, dieser muss die Letalität innewohnen.93 Der Körperverletzungserfolg darf nicht nur mitursächlich für die schwere Folge sein, sondern die Verletzung muss sie selbst herbeigeführt haben.94 Beschränkte man sich nicht auf das Letalitätsrisiko der Wunde, so würde das Unmittelbarkeitskriterium aufgegeben, denn § 227 StGB wäre reduziert auf eine bloße Kumulierung von vorsätzlichem Grundtatbestand und einem fahrlässig durch dessen Vollendung95 verursachten Todeserfolg.96 Dies hätte die Konsequenz, dass alle Risiken des Eintritts eines tödlichen Erfolgs, die durch den Körperverletzungserfolg bedingt seien, ausreichen müssten.97 Das Opfer müsse also, wolle man nicht einer „sachwidrigen Weiterung“ verfallen, gerade an der Verletzung sterben und dürfe nicht nur durch den Körperverletzungserfolg in den „Bannkreis“ anderer zum Tode führender Momente geraten98; nur dann finde die Beschränkung auf den tatbestandsspezifischen Folgezusammenhang, der die Todesgefährlichkeit der Körperverletzung ausmache, statt99. Alleine die Letalitätstheorie entspreche daher dem herkömmlichen Verständnis des Delikts.100

92

Zur Kritik an dem Modell Laues siehe unten III.1.d). Siehe Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 18 Rdnr. 4 m.w. N., a. A. aber Sch/ Sch/Stree, § 227 Rdnr. 5; Haft, BT II, S. 155. 94 Diese Unterteilung der auf den Erfolg der Körperverletzung abstellenden Sichtweise wird nicht immer klar herausgehoben, eine Vermengung findet sich z. B. bei Kindhäuser, BT I, § 10 Rdnr. 8; Sowada, Jura 1994, 643 (646); ders., Jura 1995, 644 (652); Bartholme, JA 1994, 373 (375); Krey/Fischer, JA 1997, 204 (207); unklar auch Lackner/Kühl, § 227 Rdnr. 2; Sch/Sch/Stree, § 227 Rdnr. 4. Klarer Hinweis auf zwei Meinungslager bei Tröndle/Fischer, § 227 Rdnr. 4; LK/Hirsch, § 227 Rdnr. 5; Altenhain, GA 1996, 19 (22 f.); Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 200 Fn. 45; Puppe, NStZ 1983, 22; Sowada, Jura 2003, 549 (552); Kühl, AT, § 17 a Rdnr. 23; ders., Jura 2002, 810 (813); Bacher, S. 101 Fn. 295; Kostuch, S. 120 sowie Küpper, Hirsch-FS, S. 615 (619 Fn. 26). 95 Anders die Handlungslösung, dazu siehe unten A.III. 96 Vgl. Hirsch, Oehler-FS, S. 111 (131). 97 Vgl. Hirsch, Oehler-FS, S. 111 (131); LK/Hirsch, § 227 Rdnr. 5. 98 Vgl. Hirsch, Oehler-FS, S. 111 (130 f.); ders., JR 1983. 78 (80). 99 Vgl. Küpper, ZStW 111 (1999), 785 (792 f.); Bussmann, GA 1999, 21 (30). 100 Siehe LK/Hirsch, § 227 Rdnr. 5. 93

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

Im Falle der tödlichen Flucht des Opfers vor einem Angriff oder dessen Fortführung scheidet § 227 StGB aus, da es der erforderlichen Verletzungsletalität ermangelt.101 Aus Unachtsamkeit, insbesondere auf Grund einer Verkettung unglücklicher Ereignisse, seien letale Gefahrmomente hinzugetreten, die eigentliche grunddeliktische Gefährdung sei aber im Versuch stecken geblieben.102 Auch im „Fenstersturz-Fall“ hat sich für die Anhänger der Letalitätslehre im Tod nicht die tödliche Verletzung des Opfers realisiert, folglich scheidet für sie trotz des biologisch-indizierten Körperverletzungserfolgs (Benommenheit) eine Zurechnung zu § 227 StGB aus.103 Damit zeigt sich, dass es durchaus einen Fall im Bereich der Fluchtfälle geben kann, bei dem die Erfolgslösung104 einerseits und die Letalitätslehre andererseits zu abweichenden Ergebnissen gelangen. 2. Historisches Argument Als historisches Argument für die Letalitätslehre wird von Küpper – der historischen und systematischen Gesichtspunkten absoluten Vorrang einräumt105 – vorgebracht, dass die Körperverletzung mit Todesfolge ihrer Entstehungsgeschichte nach eine Tötung durch unmittelbare (immediate) letale Verwundung darstelle. Bereits im 18. Jahrhundert finde sich die – dezidierte106 – Letalitätsthese in der Lehre Carpzovs, der bei eingetretenem Tod, aber fehlender Letalität der Wunde, nicht wegen Totschlags, sondern nur wegen Körperverletzung bestrafen wollte.107 Entscheidend sei, unabhängig davon, ob die letale Verletzung als wirkende Ursache oder als Vorsatzvermutung verstanden worden sei, stets der Umstand, dass gerade der durch die Verletzung ausgelöste pathologische Prozess immediate und per se zum Tode geführt habe.108 Gerade das medizinische Wundrisiko – festgestellt durch Wundarzt und Sachverständige – habe 101 Klarstellend Küpper, Zusammenhang, S. 89, 92; Geisler, S. 311; Roxin, AT I, § 10 Rdnr. 115, der die Letalität aus dem Schutzzweck herleitet. 102 Siehe Bussmann, GA 1999, 21 (32). 103 Siehe nur Küpper, Hirsch-FS, S. 615 (623). 104 Von Hirsch auch als „mittlere Auffassung“ bezeichnet, vgl. LK/Hirsch, § 227 Rdnr. 5. 105 Vgl. Küpper, Zusammenhang, S. 124. Berechtigte Kritik an dieser Fixierung bei Ferschl, S. 57; Wolter, GA 1984, 443 (450). 106 Die Carolina nimmt zu der Frage, in welcher Weise Handlung und Erfolg verknüpft sein müssen, dogmatisch noch keine Stellung. Die Frage wird in Art. 147 CCC vermerkt, aber nicht beantwortet, dargelegt werden lediglich Beweisregeln für den Fall, „so eyner geschlagen wirdt vnd stirbt, vnd man zweiffelt ob er an der wunden gestorben sei“. Siehe hierzu Ling, S. 139 f. Hier zeigt sich deutlich, dass die Carolina in ihrer Grundanlage kein Strafgesetzbuch, sondern eine Strafprozessordnung ist. 107 Vgl. Küpper, Zusammenhang, S. 86. 108 Vgl. Küpper, Zusammenhang, S. 88; ders., JA 1983, 229 (230); Hirsch, OehlerFS, S. 111 (130).

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geklärt, ob der Tod infolge der Verletzung eingetreten sei und damit die alleinige und unmittelbare Ursache für den Tod gewesen sei.109 3. Die Trennung in tatbestandliche und außertatbestandliche Gefährdungsmomente Geilen und ihm folgend Mitsch beschränken die eigentümliche spezifische Gefahrverwirklichung allein auf Tatbestandsmerkmale des Grunddelikts.110 Gegenüber einer rein medizinisch-beurteilenden Sichtweise werden hier jegliche Begleitumstände des Tatverlaufs ausgeblendet und mit dieser Reduktion die Einschränkung kanalisiert. Im Hinblick auf § 227 StGB bedeutet dies, dass gerade die Tatbestandsmäßigkeit der vorsätzlichen körperlichen Misshandlung die tödliche Folge gezeitigt haben muss, außertatbestandliche Umstände, wie die Belegenheit des Tatorts, stellen nach dieser Prämisse lediglich begleitende Umstände dar, die von der Streubreite der spezifischen Gefahrverwirklichung nicht erfasst werden. Der Sturz von der Fassade im „Rötzel-Fall“ gründet letztlich in dem Fall aus gefährlicher Höhe und nicht immediate in der beigebrachten Oberarmwunde und dem Nasenbeinbruch. Auch im „Fenstersturz-Fall“ liegt die entscheidende Todesursache in dem Sturz aus 27 Metern Höhe, nicht in der Misshandlung, auch wenn diese einen pathologischen Zustand hervorrief, der dem Opfer klare Denkabläufe und folgerichtiges Handeln verwehrte.111 Die Beschränkung auf tatbestandliche Gefährdungsmomente führt zumindest für § 227 StGB zwangsläufig zum Letalitätserfordernis, da jedes andere Risiko nicht alleine in der tatbestandlichen Verletzung gründen würde.112 4. Quantitätsirrtum bei identischem Risiko und Rechtsblindheit Den wohl subtilsten Vorschlag zur Einschränkung der Zurechnung bei § 227 StGB liefert Jakobs. Für ihn besteht die engstmögliche und die Unmittelbarkeit ernst nehmende Lösung darin, „die erfolgsqualifizierten Delikte auf Fälle zu beschränken, in denen sich der Erfolg, der sich wie vorgesetzt – also ohne ,adäquate Abweichung‘ – verwirklicht, in seiner spezifischen Gefahr erkennbar hinreichende Bedingung zur schweren Folge ist“113. Jakobs sieht für die Mehr109 Vgl. Küpper, Zusammenhang, S. 86. Eine umfassende historische Darstellung liefert Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 13–75. 110 Vgl. Geilen, Welzel-FS, S. 655 (681); Mitsch, Jura 1993, 18 (21). Eine entsprechende Sichtweise, freilich ohne die Begrifflichkeit der außer- und tatbestandlichen Risikomomente, findet sich bereits bei M. L. Müller, S. 64, der hervorhebt, dass sich gerade im Tod die Gefahr bedingt haben muss, welche einer Körperverletzung eigen war. 111 Vgl. Mitsch, Jura 1993, 18 (21). 112 Zur Kritik an diesem Modell siehe unten III.1.d). 113 Jakobs, Beiheft ZStW 1974, 6 (37) (Anführungszeichen im Original).

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

zahl der erfolgsqualifizierten Delikte den Grund der Strafschärfung in dem Umstand, dass das Risiko, aus dem sich das Grunddelikt verwirklicht, häufig quantitativ nicht beherrschbar sei und damit eine signifikante Gefahr darstelle.114 Die Gefahr der Grundhandlung stelle keine solche signifikante Gefahr dar, da sie vom Risiko, das der Täter gesehen habe, unabhängig und so zufällig mit dem Erfolg verbunden sei, wie es jedes per Idealkonkurrenz hinzutretende Delikt wäre.115 „Eine Körperbewegung bringt je nach der zufälligen Gestaltung der Situation mehrere Risiken.“116 Es gehe daher alleine um einen Quantitätsirrtum bei identischem Risiko.117 Damit ist Jakobs so zu verstehen, dass die Tödlichkeit, die sich in der todesqualifizierten Folge realisiert, nicht unabhängig von der vorhergehenden Verletzung bzw. von deren gesehenem (scil.: erkanntem) Risiko sein darf – oder kurz: Die fahrlässige Folge darf nicht nur bei Gelegenheit der vorsätzlichen Grundhandlung eingetreten sein118. Die Auffassung Jakobs’ führt ihn letztlich zu einer restriktiven Form der Erfolgslösung und damit wohl zur Letalitätslehre, wie sich aus den von ihm angeführten Beispielen erkennen lässt: (a) Wer das Opfer am Rand einer viel befahrenen Landstraße vorsätzlich niederschlägt, so dass es danach voraussehbar mit Todesfolge von einem Auto überfahren wird, irrt nicht über die Quantität des Risikos, das sich im Erfolg des Grunddelikts verwirklicht (der Schlag); also fehlt die Risikoidentität119; (b) wer auf sein Opfer mit einer geladenen Pistole vorsätzlich einschlägt, wobei die Pistole losgeht und der Schuss das Opfer tötet – BGHSt 14, 110 –, irrt über das Risiko der Pistole als Schusswaffe; im Grunddelikt verwirklicht sich das Risiko einer Schlagwaffe, also fehlt wiederum die Risikoidentität120. Es reicht also nicht aus, dass der Verhaltensvollzug zum Teil oder ganz den Tod des Körperverletzungsopfers bedingt, wobei der Fall BGHSt 14, 110 einen Fall der Teilidentität darstelle (es wirkt ein Risiko – Pistole als Schusswaffe –, das vom gesehenen Risiko – Pistole als Schlagwaffe – unabhängig ist; kräftige Lederkleidung des Opfers hätte das gesehene Körperverletzungsrisiko, nicht aber das Tötungsrisiko ausgeschaltet, Entladen der Pistole das Tötungsrisiko, nicht aber das Körperverletzungsrisiko).121 Vollidentität liege im Fall vor, wenn der Täter dem Opfer mit einer Schreckschusspatrone einen Schock beibringen wolle, aber versehentlich scharf geladen habe und das Opfer erschieße (der Tä114 115 116 117 118 119 120 121

Zur Abweichenden Systematik für § 239 IV StGB siehe unten B.III. Vgl. Jakobs, AT, 9/35. Jakobs, AT, 9/35. Zustimmend Dornseifer, Kaufmann-GS, S. 427 (432). Vgl. Ferschl, S. 53; siehe auch Jakobs, Beiheft ZStW 1974, 6 (37 Fn. 101). Vgl. Jakobs, AT, 9/35. Vgl. Jakobs, AT, 9/35. Vgl. Jakobs, JR 1986, 380 (381).

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ter hat ein Todesrisiko geschaffen, das von dem gesehenen Körperverletzungsrisiko unabhängig ist – ein Schalldämpfer hätte das gesehene Körperverletzungsrisiko, nicht aber das Tötungsrisiko ausgeschaltet, eine Platzpatrone das Tötungsrisiko, nicht aber das Körperverletzungsrisiko).122 Bei Teilidentität gebe es überhaupt kein Risiko einer vorsätzlichen Körperverletzung durch den Handlungsteil, weil der Teil sonst schon das Ganze wäre und bei Vollidentität wirkt das vorsätzlich gesetzte Körperverletzungsrisiko eben nur über die gesehene Verletzung.123 Der Körperverletzungserfolg muss für Jakobs das erste Quantum des Eingriffs darstellen, der zum Tode führt.124 In den Fluchtfällen müsste man mit Jakobs die tödlichen Fluchtversuche als zweites Quantum der Misshandlungen ansehen, denen die Risikoidentität fehlt.125 Gleiches dürfte für die fahrlässige Schädigung durch den Retter gelten, denn auch hier tritt das konkrete Todesrisiko nicht in Ausführung des Grunddelikts ein, sondern stellt ein zweites Quantum dar.126 Wohl aber hafte wegen § 227 StGB, wer seinem Opfer mit Verletzungsvorsatz auf den Kopf schlage, wobei erkennbar sei, dass der Schlag tödlich wirke, weil er stärker ausfalle als geplant sei, oder weil er schon in geplanter Stärke den Schädel des Opfers zertrümmere oder weil das Schlaginstrument scharfkantig sei.127 Das Abstellen auf die gesehene Verletzung findet für Jakobs seine Legitimation darin, dass „die Identitätsmerkmale einer Körperverletzungshandlung nur dann ohne Abstriche die Identitätsmerkmale einer Todesverursachung sind, wenn die Todesverursachung als Spezialfall der Körperverletzungshandlung verstanden wird; da zur Identität auch die vorgesetzte Kausalität gehört, muß auch diese spezialisiert werden, das heißt, die subjektive Seite bei § 226 StGB muß eine Spezialisierung des Körperverletzungsvorsatzes sein, – was aber auf eine von der subjektiven Seite aufgezäumte Lehre von der Verursachung durch die gesehene Verletzung hinausläuft“128. Die Verminderung der Wertungsdifferenz zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit bei den erfolgsqualifizierten Delikten rechtfertige sich durch eine aus Rechtsgleichgültigkeit resultierende zurechenbare Tatsachenblindheit.129 Die Kenntnis der Risikofaktoren muss hierbei gerade durch das erkannte Körperverletzungsrisiko vermittelt werden.130 Die Tatsachenblindheit ist dann zu bejahen, wenn Kenntnis des Körperverletzungs122

Vgl. Jakobs, JR 1986, 380 (381). Vgl. Jakobs, JR 1986, 380 (381). 124 Vgl. Jakobs, AT, 9/35. 125 Siehe Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 204. 126 So jedenfalls Wolter – allerdings Vertreter der Handlungslösung – unter Bezugnahme auf die Systematik Jakobs’, vgl. Wolter, JR 1986, 465 (468). 127 Vgl. Jakobs, AT, 9/35. 128 Jakobs, JR 1986, 380 (381). 129 Vgl. Jakobs, JR 1986, 380 (382). 130 Vgl. Jakobs, JR 1986, 380 (382). 123

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

risikos vorliegt, jedoch ohne Bewusstsein der Tötungsmöglichkeit durch das identische Risiko. Das gesehene Verletzungsrisiko und das Todesrisiko müssen identisch sein.131 Nur in diesem Fall gründet die Letalität in der aus Gleichgültigkeit resultierenden Tatsachenblindheit. Im Ergebnis führt die Lösung Jakobs’ zu entsprechenden Lösungen, wie sie die Trennung in tatbestandliche und außertatbestandliche Gefährdungsmomente herbeiführt.132 III. Abstellen auf die Körperverletzungshandlung

1. Die Vorzugswürdigkeit der Handlungslösung a) Wortsinn Richtet man die Entscheidung zwischen Erfolgs- und Handlungslösung an der Bedeutung des Wortlauts (§ 1 StGB, Art. 103 II GG) der §§ 223 ff. StGB aus, so stellt sich die Folgerung der Vertreter der Erfolgslösung, der Wortlaut der Begrifflichkeiten „Körperverletzung“ und „verletzte Person“ lasse alleine das Verständnis eines Körperverletzungserfolgs als Grundhandlung zu, als nicht einwandfrei dar. Gegen diese Argumentation und damit für ein Abstellen auch auf die Grunddeliktshandlung kann nämlich gleichfalls unter Anführung des Wortlauts vorgebracht werden, dass der Körperverletzungsbegriff des Strafgesetzbuches auch Begehungsweisen – die Körperverletzungshandlung – einbezieht, wie aus der Tatmodalität des § 224 I Nr. 5 StGB („lebensgefährdende Behandlung“), aus § 223 I 1. Alt. StGB („körperlich misshandelt“), aus § 224 StGB insgesamt („die Körperverletzung . . . begeht“) sowie aus § 228 StGB („eine Körperverletzung . . . vornimmt“) erkennbar ist.133 Man kann wohl eine Tat begehen und eine Handlung vornehmen, nicht aber einen Erfolg.134 Für dieses Verständnis streitet auch der neue Klammerzusatz des § 227 I StGB, der zum einen die jeweiligen Versuchstatbestände der §§ 223 II, 224 II, 225 II StGB einbezieht und damit die gesamte Körperverletzungs-Tat umfasst sehen will, und zum anderen durch den Verweis unmissverständlich den Fall des „seelischen Quälens“135 erfasst. Soll dieser Verweis einen eigenständigen Sinn haben, so muss 131

Klarstellend Cho, S. 185. Dies konstatiert Jakobs selbst, vgl. Jakobs, AT, 9/35 (Fn. 57). Zur Kritik an diesem Modell siehe unten III.1.d). 133 Siehe Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 217; ders., BT II, § 16 Rdnr. 4, Stree, GA 1960, 289 (295); Kostuch, S. 123 f. 134 Vgl. Stree, GA 1960, 289 (295). 135 Siehe nur Lackner/Kühl, § 225 Rdnr. 4; Tröndle/Fischer, § 225 Rdnr. 8 a; Rengier, BT II, § 17 Rdnr. 2. Nicht erforderlich ist, dass das seelische Quälen zu einer 132

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für die Vollendung des § 227 StGB auch eine Verbindung zwischen Handlung und todeserfolgsqualifiziertem Erfolg ohne Vermittlung über einen vorgelagerten Körperverletzungserfolg ausreichen.136 Des Weiteren bezieht sich der Begriff der „verletzten Person“ nicht auf einen pathologischen Zustand, sondern vielmehr auf das Opfer eines Angriffs, selbst dann, wenn dieser im Versuchsstadium stecken bleibt.137 Man wird darüber hinaus die Frage aufwerfen müssen, ob nicht die gesamte Wortlautdiskussion auf einem grundlegenden Missverständnis der Systematik des StGB beruht. Denn die einzelnen Tatbestände orientieren sich alleine an der Erscheinungsform der Vollendung und treffen damit über die Möglichkeit eines an die grunddeliktische Ausführungshandlung anknüpfenden erfolgsqualifizierten Delikts überhaupt keine Aussage. Der Versuch findet seine inhaltliche Regelung vorab und abschließend im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, für eine entsprechende Versuchskonstellation bei den erfolgsqualifizierten Delikten sah der Gesetzgeber ob der bereits in den §§ 22 bis 24 und den §§ 30, 31 StGB getroffenen Bestimmungen überhaupt kein Regelungsbedürfnis. Die Warnfunktion der jeweiligen Tatbestände kann darüber hinaus schwerlich in einzelnen Fällen von der Handlung und in anderen Fällen vom Erfolg ausgehen.138 Aus dem Wortlaut der einzelnen Bestimmungen lässt sich damit nicht die Intention des Gesetzgebers belegen, durch eine spitzfindige sprachliche Formulierung differenzierende Regelungen treffen zu wollen.139 b) Normgeschichte Auch aus rechtshistorischer Sicht lässt sich schwerlich die Notwendigkeit einer Erfolgs- oder Letalitätslehre begründen. Gerade der maßgebliche Vorläufer des StGB, das preußische StGB von 1851, legte die Letalitätslehre nicht als Dogma zu Grunde. Vielmehr sollten nach den Materialien die neuartigen Tatbestände mit Erfolgsqualifikation die von Feuerbach begründete culpa dolo determinata140 voraussetzen, wobei diese – in ihrer Struktur aus Kombination von Vorsatz und Fahrlässigkeit bei einer Handlung – unklar blieb und insbesondere nicht klar zu erkennen gab, ob die Vorhersehbarkeit des Zusatzerfolges als

Gesundheitsschädigung führt (pathologischer, somatisch objektivierbarer Zustand); vgl. Sch/Sch/Stree, § 225 Rdnr. 12. 136 Instruktiv Rengier, ZStW 111 (1999), 1 (20); ders., BT II § 16 Rdnr. 4; C. Köhler, S. 43. Die Argumentation Rengiers zu Grunde legend BGHSt 48, 34 (38). 137 Vgl. Safferling, Jura 2004, 64 (67); Kostuch, S. 123. 138 Siehe Otto, AT, § 11 Rdnr. 13 f. 139 Siehe hierzu Bacher, S. 114 ff. Dahingehende Zweifel auch bei Küpper, ZStW 111 (1999), 785 (793). 140 Siehe näher Ferschl, S. 31; Oehler, ZStW 69 (1957), 503 (505).

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

Zurechnungsvoraussetzung angesehen werden musste.141 Die Rechtspraxis erblickte in dem Fahrlässigkeitsteil der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 194 PrStGB) indessen eine unwiderlegliche Fahrlässigkeitsvermutung, die sich auf die vorsätzliche Verwirklichung des Grunddelikts stützte und damit praktisch zu einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit definiert wurde.142 Gefördert wurde diese Entwicklung gerade durch § 185 PrStGB143, der auch für § 194 PrStGB galt und einen Einstand für eine äquivalent-kausal verstandene Zurechnungslehre bedeutete. Sehr bald entsprach es dann auch der h. M., dass der Todeserfolg nicht vorhersehbar gewesen sein musste.144 Diese Haftungsausweitung führt gerade zu keiner Notwendigkeit eines Letalitätskriteriums in seinem traditionellen Verständnis als Zurechnungsmodus in der Form einer Vorsatzvermutung. Soweit für die Erfolgsqualifikation ein vulnus letale ausreichte, gründet dies allein in einem Zurechnungssystem, in dem die Bedingungstheorie die Oberhand gewonnen hatte, nicht aber stellt die vulnus letale die notwendige Bedingung einer Erfolgsqualifikation dar.145 Die Vollendung des Grunddelikts war ein rein tatsächliches Erfordernis, das heute unstreitig von der in § 18 StGB vorausgesetzten Fahrlässigkeit bezüglich der todeserfolgsqualifizierten Folge und den modernen Zurechnungslehren überlagert wird.146 Im Ergebnis gibt die (jüngere) Rechtsgeschichte somit keinen Aufschluss darüber, dass dem Verständnis des Tatbestands der Körperverletzung mit Todesfolge das Prinzip eines einschränkenden Korrektivs der Letalität der Wunde innezuwohnen hatte. c) Systematik Soweit in den §§ 178, 251, 239 a III, 239 b II i.V. m. 239 a III, 316 c III StGB grunddeliktische Nötigungsmittel den Schritt zur Erfolgsqualifikation tragen147, lässt sich dies in systematischer Sicht nicht gegen eine Handlungslösung 141

Vgl. Paeffgen, JZ 1989, 220 (225 Fn. 66). Vgl. Paeffgen, JZ 1989, 220 (225 f.). 143 § 185 PrStGB hatte folgenden Wortlaut: „Bei Feststellung des Thatbestandes der Tödtung kommt es nicht in Betracht, ob der tödtliche Erfolg einer Verletzung durch zeitige oder zweckmäßige Hülfe hätte verhindert werden können, oder ob eine Verletzung dieser Art in anderen Fällen durch Hülfe der Kunst geheilt worden, ingleichen ob die Verletzung nur wegen der eigenthümlichen Leibesbeschaffenheit des Getödteten, oder wegen der zufälligen Umstände, unter welchen sie zugefügt wurde, den tödtlichen Erfolg gehabt hat“, siehe Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 41. 144 Vgl. Paeffgen, JZ 1989, 220 (226). Engisch, Kausalität, S. 72 spricht von einer Verwässerung der Feuerbachschen culpa dolo determinata. 145 Vgl. Paeffgen, JZ 1989, 220 (226); Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 41, 200 f; Cho, S. 175. 146 Siehe Bacher, S. 28; NK/Paeffgen, § 18 Rdnr. 30. 147 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 214. 142

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im Rahmen des § 227 StGB anführen. § 227 StGB kommt im Verhältnis zu den genannten Bestimmungen in gewisser Weise die Funktion eines Auffangtatbestandes zu. Vor diesem Hintergrund wäre es nicht folgerichtig, grunddeliktische Begehungsweisen von der Erfolgsqualifikation des § 227 StGB auszunehmen, für die „spezielleren“ Delikte aber ausreichen zu lassen.148 Ein weiteres systematisches Argument lässt sich für die Relevanz der Grunddeliktshandlung anführen: Fordert man richtigerweise entgegen der Praxis der Rechtsprechung149, dass sich in Anbetracht des Schuldgrundsatzes die individuelle Vorhersehbarkeit nicht nur auf den qualifizierenden Erfolg, sondern auch auf die spezifische Gefahrschaffung des Unmittelbarkeitszusammenhanges zu beziehen hat150, so drängt sich Folgendes auf: Wenn die so verstandene qualifizierende Fahrlässigkeit gleichsam in der Grundtat mitangelegt sein muss, so muss diese Fahrlässigkeit schon dann auszumachen sein, wenn der Täter seinen Vorsatz aufgeben kann, ohne von dem Vorwurf der vorsätzlichen Grundtat frei zu sein. Dieser Zeitpunkt kann aber, wie § 24 StGB zeigt, im Falle der Unfreiwilligkeit durchaus schon in der Beendigung des grunddeliktischen Verhaltens, mithin des Grunddeliktsversuchs liegen. Das subjektive Pendant zum Unmittelbarkeitsprinzip muss also schon dann angelegt sein, wenn der Täter die Grundtat „aus der Hand gibt“.151 d) Teleologie Die Erfolgs- und Letalitätslehre verkennen, dass gerade die gefährliche Begehungsweise der Körperverletzung und nicht alleine der eigentliche Körperverletzungserfolg einen entsprechenden Unrechtsgehalt in sich tragen kann.152 Wie gesehen, zwingt weder der Wortlaut der Vorschrift noch das systematische Verständnis zu einer Einschränkung auf den Erfolg. Wenn der Täter sein Opfer mit 148

Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 217. Siehe nur die Argumentation des BGH im „Fenstersturz-Fall“, BGH NJW 1992, 1708 (1709); weitere Nachweise bei Ferschl, S. 119 Fn. 115. 150 Vgl. insbesondere Ferschl, S. 60, 121; Wolter, JuS 1981, 168 (171); Hirsch, Oehler-FS, S. 111 (118, 132); Bacher, S. 40 f. und Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 158; ders., BT II, § 16 Rdnr. 2 a; Kühl, Jura 2002, 810 (814). Safferling, Jura 2004, 64 (67) sieht in diesem Erfordernis grundsätzlich keine fallentscheidende Veränderung. Bei den erfolgsqualifizierten Delikten, die bezüglich der Herbeiführung der schweren Folge Leichtfertigkeit voraussetzen, ist zudem eine gesteigerte erfolgsrelevante Sorgfaltswidrigkeit erforderlich, die nicht in der isolierten Verwirklichung des Grunddelikts begründet sein kann, vgl. Bacher, S. 41. 151 Instruktiv Wolter, GA 1984, 443 (444 f.). Kritisch zu dieser Argumentation allerdings Hirsch, Oehler-FS, S. 111 (117). 152 Vgl. Ferschl, S. 134; Sch/Sch/Stree, § 227 Rdnr. 5; ders., JZ 1983, 75; Heinrich/Reinbacher, Jura 2005, 743 (749); Kindhäuser, BT I, § 10 Rdnr. 10 ff. Auch Zielinski, S. 194 hebt den spezifischen Handlungsunwert als Unrechtsqualifikation aller erfolgsqualifizierten Delikte hervor. 149

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einer Waffe oder an einer gefährlichen Örtlichkeit angreift, so kann gerade diese spezifische Gefährlichkeit der Tatausführung den besonderen Unrechtsgehalt der Tat und damit einhergehend die wesentlich höhere Strafe der Erfolgsqualifikation rechtfertigen bzw. erfordern. Der mit § 227 StGB bezweckte Lebensschutz kann sinnvollerweise nur den Appell umfassen, schon das lebensbedrohende Körperverletzungsverhalten und nicht erst bestimmte Körperverletzungserfolge zu vermeiden.153 Ob beim Angriff an einem Abgrund ein Schlag den Sturz in die Tiefe bewirkt oder das Opfer auf Grund einer Abwehrmaßnahme in den Abgrund stürzt oder ob das sich auf einem hohen Dach befindliche Opfer, welches mit Steinen beworfen wird, durch einen Treffer den Halt verliert oder beim Versuch des Ausweichens vor weiteren Treffern in die Tiefe stürzt, kann keinen unrechtsrelevanten Unterschied begründen.154 Daher liefert auch die Trennung in tatbestandliche und außertatbestandliche Gefährdungsmomente155 kein tragfähiges Zurechnungsmodell, denn es fehlt an einer überzeugenden Begründung für den Ausschluss des in der Sphäre des Opfers begründeten, für den Täter erkennbaren Gefährdungsmoments.156 Gerade in der konkreten Begehungsweise der Körperverletzung kann die spezifische Gefährlichkeit begründet sein. Denn eine panikartige Fluchtreaktion wird regelmäßig erst im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren, zu denen insbesondere auch die Belegenheit des Tatorts zu rechnen ist, zur verhängnisvollen Ereignisverbindung. Würde dieses komplexe Gesamtgeschehen in alle seine Einzelheiten zerlegt und eine gleichsam „atomisierende“157 Gefahrenbetrachtung vorgenommen, so würde damit das Kumulationsrisiko als spezifische Risikostruktur einer Fluchtreaktion entgegen der natürlichen Betrachtung verdeckt.158 Somit wissen auch die Lösungsvorschläge von Bacher159 und Laue160 nicht zu überzeugen. Diese Feststellung kann auch nicht mit Hardtung dadurch relativiert werden, dass bereits die Verwirklichung der Zusatzgefahren des § 224 StGB als verwirk-

153 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 217 f.; ebenso Norouzi, JuS 2006, 531 (534); Schmidt, AT, Rdnr. 915. 154 Siehe Sch/Sch/Stree, § 227 Rdnr. 5; Otto, AT, § 11 Rdnr. 10. 155 Siehe oben die Ansichten von Geilen und Mitsch (A.II.3.) sowie im Ergebnis auch die Auffassung Jakobs’ (A.II.4.). 156 Übereinstimmend Wolter, JuS 1981, 168 (176); Bacher, S. 42; Ferschl, S. 52; Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 203; NK/Paeffgen, § 18 Rdnr. 32; Puppe, NStZ 1983, 22; Lüdeking-Kupzok, S. 91 ff. und bereits Engisch, Kausalität, S. 71 f. Küpper und ihm folgend Cho fordern – insoweit kann ihnen zugestimmt werden – nicht eine negative Ausklammerung tatbestandlicher Gefahrelemente, sondern deren positive Feststellung, vgl. Küpper, Zusammenhang, S. 76; Cho, S. 174. 157 Geisler, S. 313. 158 Instruktiv Geisler, S. 313. 159 Vgl. oben A.I.2. 160 Vgl. oben A.I.4.

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lichtes Grunddelikt interpretiert wird161, denn dadurch wird die Art der konkreten Begehungsweise des Grunddelikts an zufälligen, für den Unwert der Tat und die Frage der Unmittelbarkeit nicht maßgeblichen Kriterien bemessen. Warum sollte die Beurteilung der Erfolgsqualifikation davon abhängen, ob der Täter sein Opfer mit Faustschlägen traktierte oder ob er es auch mit seinem beschuhten Füßen getreten hat, ob er ihm aufgelauert hat („hinterlistiger Überfall“) oder ob sich das Opfer in auswegloser Lage einem Einzeltäter wie im „Rötzel-Fall“ gegenübersah oder eine gemeinschaftliche Hetzjagd mehrerer erfolgte?162 Schließlich lässt sich auch aus der hohen Strafandrohung (Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren) an sich kein Argument gegen die Handlungslösung ableiten. Denn die erforderliche Restriktion kann spezifischer dadurch erreicht werden, dass im Einzelfall strenge Anforderungen an die Feststellung des spezifischen Gefahrenzusammenhanges zwischen Tätigkeitsakt und dem Eintritt der schweren Folge gestellt werden.163 Damit streitet auch der kriminalpolitische Aspekt gegen die kategorische Erfolgslösung. Folglich muss für die Frage, ob sich in der todeserfolgsqualifizierten Folge die eigentümliche Gefahr des Grunddelikts verwirklicht hat, allein darauf abgestellt werden, ob sich die Gefährlichkeit des Verletzungserfolges oder der Verletzungshandlung im Erfolg niedergeschlagen hat.164 Unter der Prämisse, die Relation von Ausführungshandlung des Grunddelikts und schwerer Folge ausreichen zu lassen, stellt sich sodann die Frage, wann diese erfolgsbegründende Relation den Tatbestand trägt, wann sich die spezifische Gefährlichkeit des ganzheitlich gesehenen Grunddelikts in der schweren Folge realisiert hat. Die Literaturansichten hierzu sind weit gestreut und durch eine im Grundsätzlichen differenzierende Systematik gekennzeichnet, wobei sich insbesondere objektive und subjektive Ansatzpunkte in Bezug auf die Gefährlichkeit der Grundhandlung gegenüberstehen. Im Folgenden wollen wir die einzelnen Ansichten in entsprechende Oberkategorien einordnen, um das systematische Verständnis zu erleichtern und die Meinungsgruppen inhaltlich würdigen. 2. Beurteilung als Gefährdungsdelikt Die Charakterisierung der erfolgsqualifizierten Delikte als Gefährdungsdelikte findet ihren Ursprung bei Richard Lange. Lange165 sieht den eigentlichen Un161 162 163 164 165

Dazu oben A.I.3. Diese dogmatische Schwäche erkennt auch Sowada, Jura 2003, 549 (556). Wie hier Kostuch, S. 125. So insbesondere auch Wessels/Hettinger, BT 1, Rdnr. 299; Ferschl, S. 137. Kohlrausch/Lange, § 56 Anm. III (S. 211).

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rechtskern der Erfolgsqualifikation in einer vorsätzlichen Gefährdung. Bereits auf dem Weg der Wortauslegung des § 56 StGB a. F. (§ 18 StGB) gelange man dazu, die Fahrlässigkeit als Verletzung der objektiv erforderlichen Sorgfalt mit der Adäquanz, d.h. der Wahrscheinlichkeit der Erfolgsherbeiführung in den typischen Lagen, damit aber der vorsätzlichen Gefährdung, gleichzusetzen.166 Neben der vorsätzlichen Begehung des Grunddelikts wird, um dem Unrechtskern und damit dem Schuldprinzip gerecht zu werden, ergänzend das Bewusstsein der Adäquanz in Bezug auf die schwere Folge gefordert, mithin Gefährdungsvorsatz bzw. bewusste Fahrlässigkeit. Arthur Kaufmann, der dem Gedankengang bestechende Folgerichtigkeit bescheinigt, ist sich dabei im Klaren, dass dieses Erfordernis nicht der Rechtslage de lege lata entspricht.167 Gössel sucht die Problematik der Forderung eines Gefährdungsvorsatzes dadurch zu klären, dass er die erfolgsqualifizierten Delikte insgesamt als konkrete Gefährdungsdelikte betrachtet. Die erfolgsqualifizierten Delikte dienen für ihn dem Zweck, die sich aus einem bestimmten Grunddelikt für ein weiteres, im Grunddelikt nicht typisiertes Rechtsgut ergebende konkrete Gefährdung in einem selbständigen Tatbestand zu erfassen.168 Die Sinneinheit des erfolgsqualifizierten Delikts besteht in der Verbindung des vorsätzlichen Verletzungsgrunddelikts mit einem darüber hinaus gehenden abstrakten Gefährdungsdelikt. Da der Tatbestand den Eintritt des Erfolges voraussetze, seien sie konkrete Gefährdungsdelikte. Ein Gefährdungsvorsatz sei jedoch nicht erforderlich, da bei den erfolgsqualifizierten Delikten zwei verschiedene Rechtsgüter betroffen seien: Die vorsätzliche Verletzung eines ersten Rechtsgutes könne sehr wohl zugleich eine fahrlässige Gefährdung eines weiteren Rechtsgutes darstellen, wie aus den §§ 316, 315 c III Nr. 1 StGB zu erkennen sei.169 Mit der Begehung des Grunddelikts verletze der Täter zugleich die vom Gesetzgeber aufgestellte besondere Sorgfaltspflicht zur Vermeidung des im Erfolgstatbestand beschriebenen Erfolges.170 Ein entsprechendes Modell entwickelte bereits Oehler, der den erfolgsqualifizierten Delikten ebenfalls nicht das zwingende Erfordernis eines Gefährdungsvorsatzes zuschrieb. Für Oehler steckt in den erfolgsqualifizierten De166 Vgl. Kohlrausch/Lange, § 56 Anm. III (S. 212). Sinngleicher Ansatz bereits von E. Schneider, JR 1955, 414: „Die Handlung des Täters trägt die Gefährlichkeit in sich, sie ist auf bestimmte Verletzungen ausgerichtet. Es liegt nahe, diesen Wesenskern als ausschlaggebend anzusehen und schon das bewußte Schaffen einer Gefahrenlage, die vorsätzliche Gefährdung zu erfassen“. 167 Siehe Arthur Kaufmann, S. 244. 168 Vgl. Gössel, Lange-FS, S. 219 (235). 169 Vgl. Gössel, Lange-FS, S. 219 (231). Auch Küpper – Verfechter der Letalitätslehre – sieht die erfolgsqualifizierten Delikte als abstrakte Gefährdungsdelikte bezüglich der vom Grunddelikt nicht erfassten Rechtsgüter an, wobei ein konkreter Gefährdungsvorsatz nicht gegeben sein müsse, da sich beim abstrakten Gefährdungsdelikt der Vorsatz nur auf die objektiven Tatbestandselemente zu beziehen habe, vgl. Küpper, Zusammenhang, S. 41 f. 170 Vgl. Gössel, Lange-FS, S. 219 (234).

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likten entweder eine der vorsätzlichen Verwirklichung des Grundtatbestandes synchrone vorsätzliche Gefährdung hinsichtlich der besonderen Folge oder eine pflichtwidrig-nicht-erkannte Gefährdung in vorsätzlicher Tat, wobei der Grad der Fahrlässigkeitsschuld infolge der Verankerung der Gefährdung im Vorsatz über dem Maß sonstiger Fahrlässigkeit liegt.171 Der Vorschlag Langes, die erfolgsqualifizierten Delikte in auf Grundtatbestände aufgestockte vorsätzliche Gefährdungsdelikte umzudeuten, lässt sich mit zwingenden gesetzlichen Bestimmungen nicht vereinbaren. § 18 StGB (§ 56 StGB a. F.) erfasst jegliche Fahrlässigkeit und damit auch die unbewusste Fahrlässigkeit. Diese gesetzliche Entscheidung hat ihre Berechtigung in dem Aspekt, dass es vorwerfbar gleichgültiges und rücksichtsloses Verhalten geben kann, das als Bedenken- und Gedankenlosigkeit und damit als unbewusste Fahrlässigkeit in seinem Unrechtsgehalt dem der bewussten Fahrlässigkeit gleichstehen oder dieses sogar überwiegen kann.172 Auch eine Klassifizierung als konkretes oder abstraktes Gefährdungsdelikt vermag – auch wenn hier in gesetzeskonformer Weise die unbewusste Fahrlässigkeit einbezogen wird – nicht zu überzeugen. Mit Díez-Ripollés lässt sich einwenden, dass bei dem Verständnis der Erfolgsqualifikation als konkretes Gefährdungsdelikt mit einem über die Addition von Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt hinausgehenden Unrechtsgehalts, eine doppelte Berücksichtigung des Handlungsunwertes eines einzigen Verhaltens, das zu einer einzigen schweren Tatfolge führt, vorgenommen würde.173 Das Bestehen einer Gefahr, und umso mehr einer konkreten Gefahr, enthalte die objektive Vorhersehbarkeit des Schadens, gehe aber über sie hinaus. Dasselbe objektive Tatbestandsmerkmal würde in einer Tat doppelt bewertet werden, soweit einerseits beim vorsätzlichen Grunddelikt die Verwirklichung der konkreten Gefahr des Eintritts der schweren Folge und andererseits beim Fahrlässigkeitsdelikt die objektive Voraussehbarkeit derselben Tatfolge verlangt würden. Dies sei, um das Unrecht eines einzigen 171 Siehe Oehler, ZStW 69 (1957), 503 (518 f.). Grundvoraussetzung ist für Oehler dabei, dass mit der Begehung des Grunddelikts der qualifizierte Erfolg objektiv bezweckbar ist, da es ansonsten an der Steuerbarkeit fehlt, vgl. ebd., S. 516. 172 Vgl. Bacher, S. 46; Ferschl, S. 39; C. Köhler, S. 25; Hirsch, Lampe-FS, S. 515 (535) und bereits BGE 69 IV, 228 (230 f.). Sieht man entgegen der h. M. (für diese siehe nur Köhler, Hirsch-FS, S. 65 [77 f.]) den Gefährdungsvorsatz mit dem Verletzungsvorsatz gleichgestellt (so insbesondere Wolter, Zurechnung, S. 209 ff.; zu Recht ablehnend Lackner/Kühl, § 15 Rdnr. 28; C. Köhler, S. 21), so hätte dies die Konsequenz, dass unter der Prämisse eines Gefährdungserfordernisses noch nicht einmal die bewusst fahrlässige Herbeiführung der schweren Folge die Erfolgsqualifikation begründen könnte, ein im Hinblick auf § 18 StGB unannehmbares Ergebnis. Mehr noch: Wenn der Täter in Kenntnis aller konkreten Gefahrumstände handelt, liegt stets auch Vorsätzlichkeit hinsichtlich des Erfolges vor, die Möglichkeit einer lediglich fahrlässigen Erfolgsherbeiführung, die § 18 StGB ausdrücklich vorsieht, wird denknotwendig überhaupt ausgeschlossen, siehe näher Wolter, JuS 1981, 168 (171); Lorenzen, S. 45 ff. 173 Vgl. Díez-Ripollés, ZStW 96 (1984), 1059 (1065 ff.).

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Verhaltens zu bestimmen, auch wenn das eine Unrechtsurteil strenger als das andere sei, obwohl es in die gleiche Richtung gehe, ein inakzeptables Vorgehen.174 Eine entsprechende Friktion trete beim subjektiven Tatbestand ein. Wenn die proklamierte Gefährdung im Grundtatbestand, d.h. in dessen Erfolg enthalten sei, so müsse sie vom Vorsatz genauso umfasst sein wie der tatbestandsmäßige Erfolg des Grunddeliktes. Auch hier finde eine Doppelbewertung statt. Denn werde in einem Tatbestand einerseits der Gefährdungsvorsatz hinsichtlich einer schweren Tatfolge und andererseits hinsichtlich derselben Tatfolge zusätzlich eine bewusste oder unbewusste Fahrlässigkeit gefordert, so werde das Handlungsunwerturteil über ein einziges Verhalten, das eine einzige schwere Tatfolge herbeigeführt habe, doppelt gefällt.175 Demgegenüber führe eine Betrachtung als abstraktes Gefährdungsdelikt zu keinem eigenständigen Unrechtsgehalt. Die abstrakte Gefahr stelle kein Unrechtselement, sondern alleine eine ratio legis dar. Der Vorsatz des Grunddelikts umfasse nicht die abstrakte Gefahr (arg. § 16 I StGB)176, mithin fehle es an einem rechtfertigenden zusätzlichen Unrechtsgehalt.177 Abgesehen von diesen Erwägungen erscheint es systematisch fragwürdig, das vorsätzliche Grunddelikt isoliert als Verletzungsdelikt zu definieren und nur in dem Fall der Kombination mit dem Folgedelikt eine Einstufung als Gefährdungsdelikt vorzunehmen.178 Maßgeblich bleibt nämlich auch hier, dass die Erfolgsqualifikation nur verwirklicht ist, wenn der Erfolg tatsächlich eingetreten ist und nicht schon dann, wenn eine Lebensgefährdung verwirklicht wurde. Auch passt grundsätzlich der Gefährdungsgedanke auf die hier interessierenden Fluchtfälle nicht richtig, denn die Gefährdung geht primär vom Flüchtenden selbst aus, das verwirklichte oder bevorstehende pflichtwidrige Grunddelikt gibt lediglich den Anlass hierzu. Der materielle Unrechtsschwerpunkt der erfolgsqualifizierten Delikte liegt in der qualifizierten Fahrlässigkeit und nicht in der 174

Vgl. Díez-Ripollés, ZStW 96 (1984), 1059 (1066). Dabei will Díez-Ripollés den erfolgsqualifizierten Delikten die Existenz eines zusätzlichen Unrechtsgehalts absprechen, da ansonsten das Prinzip des versari in re illicita in die Unrechtslehre überführt werde, nämlich die Verwirklichung des Vorsatztatbestandes bedeute für sich schon strafrechtliches Unrecht, vgl. ebd., S. 1071 f.; ähnlich Schubarth, ZStW 85 (1973), 754 (767). 175 Vgl. Díez-Ripollés, ZStW 96 (1984), 1059 (1066 f.). 176 Siehe auch BGHSt 21, 306 (307); Küpper, Zusammenhang, S. 42; C. Köhler, S. 36. 177 Vgl. Díez-Ripollés, ZStW 96 (1984), 1059 (1069). Ablehnend auch Altenhain, der die abstrakte Gefahr als Verknüpfungselement zwischen Grunddelikt und schwerer Folge für zu unbestimmt hält und in dem Verständnis eines konkreten Gefährdungsdelikts eine nicht hinnehmbare Reduktion des Anwendungsbereichs der erfolgsqualifizierten Delikte auf Fälle der Tatsachenblindheit erblickt, vgl. Altenhain, GA 1996, 19 (23 ff.). Dabei verkennt Altenhain jedoch, dass die erforderliche Typisierung in dem Grunddelikt liegt, siehe Küpper, Hirsch-FS, S. 615 (618). 178 Berechtigter Einwand bei Ferschl, S. 41.

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Lebensgefährdung.179 Sie sind also vielmehr qualifizierte Verletzungsdelikte180 bzw. qualifizierte fahrlässige Verletzungserfolgsstraftaten181. 3. Schröder: Fiktive Vorsatzlösung Schröder legt in seiner Auseinandersetzung mit dem „Rötzel-Fall“ dar, dass die Lösung „nicht in einer Manipulation des Kausalzusammenhanges, sondern allein im Vorsatzbereich“182 zu liegen habe. Die Forderung des BGH, dass neben der dem Tod logischerweise eingeschlossenen Körperverletzung noch eine zusätzliche, vom Vorsatz umfasste Körperverletzung diesem vorangegangen sein müsse, hält Schröder für „völlig unverständlich“183. Als Beispiel formuliert Schröder folgenden Fall: „A will den B mit einem Stich in den Arm verletzen, trifft aber versehentlich das Herz; B ist sofort tot“184. Für ihn muss dies ganz offensichtlich ein Fall des § 227 StGB (§ 226 StGB a. F.) sein.185 Wenn der Rötzel mit Tötungsvorsatz auf die Hausgehilfin eingedrungen und diese, um dem Angriff zu entgehen, durch das Fenster geklettert sei und dabei den Tod erlitten habe, so müsse hier gefragt werden, ob der tödliche Sturz noch vom Vorsatz des Täters umfasst gewesen sei oder aber eine wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf dargestellt habe. In gleicher Weise müsse an die Körperverletzung mit Todesfolge herangegangen werden – es müsse gefragt werden, ob der tödliche Erfolg als Körperverletzungserfolg gedacht noch vom Vorsatz des Täters umfasst gewesen wäre.186 Handle es sich um eine unwesentliche Ab179

Vgl. Ferschl, S. 41. Siehe Wolter, JuS 1981, 168 (171). So auch bereits Hänle, S. 53. Selbst wenn man die erfolgsqualifizierten Delikte als konkrete Gefährdungsdelikte klassifizieren mag, so fragt sich dennoch, worin der dogmatische Unterschied zu den allgemeinen Fahrlässigkeitstatbeständen der §§ 222, 229 StGB liegt, denn auch diese lassen sich als konkrete Gefährdungsdelikte bezeichnen, mit der verletzten Sorgfaltsregel als abstrakter Grundnorm und dem Verletzungserfolg als konkretem Gefahrerfolg, siehe Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 131. 181 Siehe Wolter, JuS 1981, 168 (170). 182 Schröder, JR 1971, 205 (207). 183 Schröder, JR 1971, 205 (208). Aus der Formulierung des BGH lässt sich entgegen der Wiedergabe Schröders aber wohl nicht entnehmen, dass der BGH zwingend zwei Körperverletzungen voraussetzt. Vielmehr scheint durchaus eine Verletzungshandlung zu genügen, die aber qualitativ über eine bloße Durchgangskörperverletzung hinausgehen muss, so jedenfalls überzeugend Kostuch, S. 56 Fn. 200. 184 Schröder, JR 1971, 205 (208) (Hervorhebung vom Verfasser). 185 § 227 StGB wird richtigerweise nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Tod sofort eintritt. Allerdings muss hinsichtlich der Durchgangskörperverletzung im Rahmen der juristischen Sekunde Vorsatz vorliegen, vgl. LK/Hirsch, § 227 Rdnr. 4. 186 Vgl. Schröder, JR 1971, 205 (208); ders., Schönke/Schröder17, § 226 Rdnr. 4: „Entscheidend ist vielmehr, ob der tödliche Erfolg, wäre er nur aus [sic, gemeint wohl als] Körperverletzung eingetreten, dem Täter als vollendete Körperverletzung würde zugerechnet werden können, also keine wesentliche Abweichung des Kausalverlaufs vorgelegen hätte“. 180

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

weichung vom Kausalverlauf, so sei damit gleichzeitig die Fahrlässigkeit i. S. von § 18 StGB (§ 56 StGB a. F.) vorhanden, da sich die jeweiligen Beurteilungsmaßstäbe weitgehend entsprächen. Für Schröder muss also zumindest die Körperverletzungshandlung zu einem Körperverletzungserfolg, der mit dem Tod an sich zusammentreffen kann, führen, der sich fiktiv betrachtet als unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf bei einer vorsätzlichen Tat darstellen würde.187 Wenn sich das Opfer beim Sturz eine tödliche Verletzung zuzieht, so ist dieses Erfordernis für Schröder zu bejahen.188 Gegen das Lösungsmodell Schröders sprechen zwei Punkte. Zum einen überspannt er den (fiktiven) Vorsatzbereich, denn fluchtbedingte Sturzverletzungen sind grundsätzlich etwas anderes als unmittelbare Misshandlungen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Vorsatz sämtliche Folgen der Tat umfasst. Denn es ist zu berücksichtigen, welche Grenzen der Täter selbst durch die Art der konkreten Tatausführung gesteckt hat – die (so zu bewertende) wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf müsste dann gerade zu einem Zurechnungsausschluss führen.189 Richtigerweise stellt sich die Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf nur dann als unwesentlich dar, wenn sie sich noch innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigt.190 Damit sind zwei ganz unterschiedliche Gesichtspunkte angesprochen: Ob eine Kausalabweichung „noch in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren“ liegt, betrifft alleine die Adäquanz des objektiven Geschehens; demgegenüber geht es bei der Frage der „anderen Bewertung“ um einen Vergleich des tatsächlich verwirklichten mit dem vom Täter vorgestellten Ablauf. Soll beispielsweise eine Pistole als Schlagwaffe und nicht als Schusswaffe eingesetzt werden, so ist die, wenn auch vorhersehbare Verletzung durch den Schuss nicht mit der gewollten Schlagverletzung wertungsmäßig vergleichbar.191 187 Vgl. Schönke/Schröder17, § 226 Rdnr. 4. Ein ähnliches Modell legt Bacher für die Frage des Versuchs zu Grunde: Weicht die todbringende Verletzung wesentlich – d.h. subjektiv und wertungsmäßig – vom Kausalverlauf ab, so soll wegen erfolgsqualifizierten Versuchs zu strafen sein, wenn das verwirklichte Risiko nicht höher sei als das dem gewollten Verletzungserfolg hypothetisch einhergehende Risiko, denn nur dann sei die erforderliche enge Verbindung zwischen Grunddelikt und Qualifikation gewahrt, vgl. Bacher, S. 154 ff. 188 Vgl. Schönke/Schröder17, § 226 Rdnr. 4. 189 Siehe Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 202, der unter Zugrundelegung des Abweichungskriteriums Schröders diametral zu dessen Ergebnis entscheidet. Ablehnend auch Schmitt, JZ 1962, 389 (393); Küpper, Zusammenhang, S. 75; Ferschl, S. 66; Kostuch, S. 60 f.: nicht von der Streubreite des gesetzten Grundrisikos erfasst; SK/Horn/Wolters, § 227 Rdnr. 6 und bereits Stree, GA 1960, 289 (291); kritisch auch Herzberg, ZStW 85 (1973), 867 (871); LK/Hirsch, § 227 Rdnr. 4. 190 Vgl. Bacher, S. 155 sowie die Nachweise unten 11. Abschnitt, Fn. 316. Im von Schröder gebildeten Messerstich-Fall wird man diese Abweichung als unwesentlich betrachten können.

10. Abschn.: Die Lösung von Fluchtfällen in der Literatur

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Zum anderen stellt das Kriterium Schröders kein Mittel zur Einschränkung des Anwendungsbereichs erfolgsqualifizierter Delikte dar, da es sich vollständig mit der ohnehin nach § 18 StGB erforderlichen Prüfung der Fahrlässigkeit deckt.192 Schröder gesteht selbst ein, dass sich die Frage nach der Bestimmung der Fahrlässigkeit und der nach der wesentlichen oder unwesentlichen Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf weitgehend entsprechen. Damit findet eine Vermengung von Fragen der Vorsätzlichkeit mit Problemen der Fahrlässigkeit statt; eine dogmatische Einschränkung des objektiven Tatbestandes des § 227 StGB kann diese Sichtweise nicht leisten.193 4. Horn/Wolters: Kenntnis der Umstände, die die Sorgfaltspflichtwidrigkeit hinsichtlich des Lebens des Opfers begründen Einen der Gefährdungsdelikts-Theorie nahestehenden Lösungsvorschlag machen Horn/Wolters. Für sie erfordert die Verwirklichung des § 227 StGB, dass der Täter bei Vornahme der Körperverletzungshandlung die wesentlichen Umstände kennt, „auf denen das Urteil sorgfaltswidrig hinsichtlich des Lebens des Opfers ruht“194. § 227 StGB beschreibe die gleiche Handlung wie § 224 StGB 191 Vgl. Bacher, S. 155 f. Diese Einschränkung – hierauf ist bereits an dieser Stelle hinzuweisen – bezieht sich allerdings alleine auf die Beurteilung des subjektiven Tatbestandes, die objektive Zurechnung und damit auch der spezifische Gefahrzusammenhang können dennoch vorliegen. Gefahrenzusammenhang und Vorsatzzurechnung sind somit nicht kongruent; vgl. auch Kostuch, S. 124 f. und ausführlich unten 11. Abschnitt, A. Dagegen sehen Horn/Wolters die Vorsatzzurechnung und das Unmittelbarkeiskriterium als kongruent an, anders aber wiederum für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt; siehe SK/Horn/Wolters, § 227 Rdnr. 12. 192 Vgl. Küpper, Zusammenhang, S. 74; Puppe, NStZ 1983, 22 (23); Sowada, Jura 1994, 643 (646); Kostuch, S. 59. Küpper, Zusammenhang, S. 74, ist der Ansicht, dass Schröder dann konsequenterweise wegen § 227 StGB bestrafen müsste, wenn der Täter fahrlässig eine zum Tod führende Durchgangskörperverletzung verursacht (so auch Cho, S. 164, der die gesamte Argumentation Küppers wortgetreu wieder gibt). Hierbei blendet Küpper aber das erste Quantum, den für den vollendeten oder versuchten § 227 StGB erforderlichen Körperverletzungsvorsatz, völlig aus. 193 Siehe auch Gössel, Lange-FS, S. 219 (233 Fn. 67). 194 SK/Horn/Wolters, § 227 Rdnr. 10 (Hervorhebung im Original); Sinngleich Lüdeking-Kupzok, S. 94, jedoch einschränkend für Fluchtfälle, da hier bereits der auf Vornahme des Grunddelikts bezogene Vorsatz das zusätzliche Fluchtrisiko mitumfasse, vgl. S. 106, 220 f. Darüber hinaus will Lüdeking-Kupzok die Fluchtfälle mit einem Umkehrschluss der erfolgsqualifizierten Zurechnung zuführen: Wenn die provozierte Verfolgung (scil.: zivilrechtlich betrachtet) rechtliche Folgen zu Lasten des Verfolgten auslöse, so müsse dies im umgekehrten Fall für die provozierte Flucht auch zu Gunsten des Verfolgten gelten, zumal der Verfolger immerhin aufgeben könne, ohne dass ihm ein Nachteil entstünde, vgl. Lüdeking-Kupzok, S. 102 Fn. 295. Abgesehen von der Fragwürdigkeit eines solchen Umkehrschlusses für die spezifische Gruppe der erfolgsqualifizierten Delikte wurde in dieser Arbeit die strafrechtliche Haftung des Verfolgten für Verfolgerschäden abgelehnt, sowohl bei hoheitlicher als auch bei privater Verfolgung – womit sich der Umkehrschluss nach der hier dargelegten Ansicht nicht begründen lässt, siehe näher oben 6. Abschnitt, E.

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

in der Variante der „lebensgefährdenden Behandlung“, die sich hier aber im Todeserfolg realisiert haben müsse. Der Täter müsse diese das Leben gefährdenden Umstände kennen und verinnerlicht haben, nicht notwendig jedoch die Vorstellung der Möglichkeit des tödlichen Ausgangs.195 Gefordert wird also kein Gefährdungsvorsatz, sondern alleine eine Kenntnis der Risikofaktoren. Das Gefährlichkeitsurteil als solches darf einen bloßen Fahrlässigkeitsbezug aufweisen.196 Dem Täter muss damit bewusst sein, dass sich der Schlag in der Nähe einer laufenden Teigmaschine oder am Rand einer belebten Verkehrsstraße abspielt, dass die als Schlagwaffe benutzte Pistole geladen und entsichert ist oder dass das Opfer aus Furcht vor weiteren Misshandlungen einen selbstmörderischen Fluchtweg wählen wird. Fehlt es an dem Bewusstsein dieser tatbegleitenden Umstände, so dürfe lediglich eine Verurteilung wegen § 222 StGB erfolgen.197 Damit dürfte sowohl für den „Rötzel-Fall“, den „Fenstersturz-Fall“ als auch den „Hetzjagd-Fall“ die Anwendung des § 227 StGB zu verneinen sein, da die Täter in den ersten beiden Fällen nicht mit einem waghalsigen Abstieg an der Fassade bzw. dem Sprung aus 27 Metern Höhe konkret rechneten und sie im „Hetzjagd Fall“ weder den Versuch, die Glastüre einzutreten, erkannten, noch auch nur die generelle Vorstellung angenommen werden kann, dass das Opfer aus Furcht vor den drohenden Misshandlungen einen tödlich verlaufenden Fluchtweg wählen würde.198 Wider die Ansicht Horns/Wolters’ spricht wiederum, dass § 227 StGB mit dem Verweis auf die einfache Körperverletzung gem. § 223 StGB auch die unbewusste Fahrlässigkeit hinsichtlich des Todes ausreichen lässt, so dass die Kenntnis der die Lebensgefährdung begründenden Umstände nicht erforderlich ist. Das Modell Horns/Wolters’ würde, soweit der erforderliche Unmittelbarkeitszusammenhang vorliegt, zu einer durch das Gesetz – welches sich mit dem Erkennenkönnen der schweren Folge begnügt – nicht gestützten Privilegierung der unbewussten Fahrlässigkeit führen. Der Vorschlag kann damit für die Beurteilung der Fluchtfälle keine Verwendung finden.199 195

Vgl. SK/Horn/Wolters, § 227 Rdnr. 10. Richtig gesehen von Wolter, JuS 1981, 168 (171); Sowada, Jura 2003, 549 (556 Fn. 66). Küpper setzt das Modell Horns/Wolters’ irrtümlich mit der Ansicht Langes gleich, siehe Küpper, ZStW 111 (1999), 785 (796 Fn. 49). Auch C. Köhler weist der Ansicht Horns/Wolters’ einen „konkreten Gefährdungsvorsatz sui generis“ zu, vgl. C. Köhler, S. 47; in diese Richtung auch Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 202. 197 Vgl. SK/Horn/Wolters, § 227 Rdnr. 10. 198 So auch Sowada, Jura 2003, 549 (554). A. A. für den „Fenstersturz-Fall“ Geppert, JK 92, § 226/3. 199 Zur grundlegenden Kritik an Horns/Wolters’ Modell siehe nur Wolter, JuS 1981, 168 (171); Bloy, JuS 1995, L 17 (19); Geppert, JK 92, § 226/3; Cho, S. 167; Bacher, S. 44, 159; Paeffgen, JZ 1989, 220 (227 Fn. 90); (zurückhaltend) Sowada, Jura 1994, 643 (647 f.). 196

10. Abschn.: Die Lösung von Fluchtfällen in der Literatur

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5. Sowada: Duales System von Durchgangskausalität hinsichtlich § 223 StGB oder Kenntnis der Umstände, die die lebensgefährdende Behandlung begründen Für Sowada stellt das Festhalten an der Handlungsgefährlichkeit der Grundhandlung eine durchaus vertretbare Konzeption dar.200 Dennoch legt er seinem Lösungsmodell ein abweichendes Verständnis zu Grunde. Dem Modell Hardtungs hält Sowada die Grundstruktur des § 227 StGB entgegen, der ein punktuelles Angriffsgeschehen vertype. Stelle man mit Hardtung auf die Verwirklichung einer der Zusatzgefahren des § 224 StGB, namentlich der gemeinschaftlichen Begehung ab, so begnüge man sich mit der grunddeliktisch vermittelten Herbeiführung eines psychischen Ausnahmezustandes beim Opfer und damit einer zeitlich gedehnten Gefahrenlage.201 Die Zusatzgefahr greife dann im „Hetzjagd-Fall“ gerade nicht bis zum letzten Handlungsaspekt – dem Eintreten der Glastüre außerhalb der Sicht- und Hörweite der Täter – durch.202 Vor diesem Hintergrund ist Sowada näher der Ansicht Horns/Wolters’ zugeneigt, da das Quantum der „das Leben gefährdenden Behandlung“ gem. § 224 I Nr. 5 StGB eher die Ausrichtung des Tatbestands der Körperverletzung mit Todesfolge mit dem Schutzgut des Lebens gewährleiste.203 Andererseits will Sowada mehrere alternative Zugänge zu § 227 StGB gewährleisten, was wiederum eine Annährung an Hardtung darstellt. So soll neben dem Weg über die verwirklichte einfache Körperverletzung alternativ ein Zugang alleine über § 224 I Nr. 5 StGB in der Form ermöglicht werden, dass der Täter die das Leben gefährdenden Umstände in seinem Risikobewusstsein erfasst hat.204 Damit entsteht ein „duales System“ von verwirklichtem Körperverletzungserfolg gem. § 223 StGB und Kenntnis der Umstände des § 224 I Nr. 5 StGB. Damit werde der Vorwurf, die Konzeption Horns/Wolters’ vernachlässige die gesetzgeberische Entscheidung der unbewussten Fahrlässigkeit, entkräftet, da bezüglich des über § 223 StGB verlaufenden Stranges auch die unbewusste fahrlässige Todesherbeiführung erfasst werde.205 Demgegenüber gewährleiste der über das „Nadelöhr“ des § 224 I Nr. 5 StGB verlaufende Strang als vom Täter zu verwirklichendes Zwischenglied eine enge Anbindung an das Täterhandeln und damit die Möglichkeit, den zeit- und ortsbezogenen Umständen gerecht zu werden. Hierbei will es Sowada ausreichen lassen, wenn nicht be200 201 202 203 204 205

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Sowada, Sowada, Sowada, Sowada, Sowada, Sowada,

Jura Jura Jura Jura Jura Jura

2003, 2003, 2003, 2003, 2003, 2003,

549 549 549 549 549 549

(553). (555). (555). (555). (555). (556).

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

reits die versuchte Körperverletzung als solche die Voraussetzungen des § 224 I Nr. 5 StGB erfüllt, sondern diese Umstände erst während der waghalsigen Flucht hinzutreten, soweit sie nur vom Angreifer bzw. Verfolger erkannt wurden.206 Für den „Hetzjagd-Fall“ bedeutet dies, dass eine Strafbarkeit wegen versuchter Körperverletzung mit Todesfolge auszuscheiden hat, da die Täter von den konkreten lebensgefährdenden Umständen keine Kenntnis hatten. Zum Zeitpunkt des Eintretens und Durchsteigens der Glastüre hatten die Täter ihr Opfer bereits aus den Augen verloren. Die bloß allgemeine Einsicht, dass eine panikartige Flucht ein für den Verfolgten tödliches Ende nehmen kann, genüge nicht.207 Dem Lösungsmodell Sowadas können wir indessen keine Folge leisten. Der Ansatz vermengt zwei Ansichten, die wir bereits kritisch gewürdigt haben. Soweit Sowada auf den Körperverletzungserfolg hinsichtlich der einfachen Körperverletzung (§ 223 StGB) abstellen möchte, wird nicht ausreichend berücksichtigt, dass die spezifische Gefährlichkeit bereits in der Ausführungshandlung begründet sein kann. Das an Horn/Wolters angelehnte Abstellen auf die Kenntnis der das Leben gefährdenden Umstände nimmt ungerechtfertigterweise die unbewusste Fahrlässigkeit aus dem Anwendungsbereich der Erfolgsqualifikation aus – dies ist, wie dargestellt, mit dem eindeutigen Gesetzesverständnis nicht zu vereinbaren. Die Friktion mit der von uns zu Grunde gelegten Handlungslösung vermag auch nicht dadurch „geheilt“ zu werden, dass die beiden Zugänge zur Erfolgsqualifikation von Sowada in einem dualen System kombiniert werden. Denn die Kombination zweier fehlgehender Ansichten ergibt gewiss, auch wenn das restriktive Modell Horns/Wolters’ erweitert wird, noch keinen überzeugenden Lösungsweg. Zu begrüßen an dem Vorschlag Sowadas ist jedoch die Beleuchtung des Erfordernisses der örtlichen und zeitlichen Konnexität des Geschehens. Ob sich für dessen Beurteilung alleine eine Gegenüberstellung der jeweiligen Täter- oder Opferperspektive gebietet oder aber einer objektiven Betrachtung des Geschehens der Vorrang einzuräumen ist, wird uns in der weiteren Darstellung der Problematik noch eingehend beschäftigen.

206 Siehe Sowada, Jura 2003, 549 (556). Sowada definiert die Versuchsstrafbarkeit ebd. daher folgendermaßen: „Der Versuch einer Körperverletzung mit Todesfolge in Form eines erfolgsqualifizierten Versuchs ist nur unter den in § 224 I Nr. 5 StGB genannten Voraussetzungen möglich“ (Hervorhebung im Original). Unter diesem Verständnis müsste auch eine Strafbarkeit wegen §§ 227, 22 StGB ausscheiden, wenn man – was der BGH verneint – in dem erfolglosen Angriff einen fehlgeschlagenen Versuch sieht, dem das tödliche Opferverhalten außerhalb der Wahrnehmungsmöglichkeit erst nachfolgt. 207 Vgl. Sowada, Jura 2003, 549 (556).

10. Abschn.: Die Lösung von Fluchtfällen in der Literatur

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6. Wolter: Zwangsläufige oder unbeherrschbare Todesgefährlichkeit Wolter sieht den Strafgrund der erfolgsqualifizierten Delikte in einem erhöhten Handlungs- und Gefährlichkeitsunwert der Grundhandlung, einem entsprechenden qualifizierten Fahrlässigkeitsvorwurf und einem erhöhten Erfolgsunwert.208 Der Grundtaterfolg stellt für ihn somit kein essentielles Merkmal der Erfolgsqualifikation dar.209 Führt das Opfer den Todeserfolg selbst herbei, etwa im Wege einer waghalsigen Flucht, so zieht Wolter für die Beurteilung zunächst den Notstandsgedanken des § 35 StGB heran. Anders als Rengier210 nimmt Wolter anhand dessen nur eine Beurteilung der Frage der Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges vor, ohne alleine auf diesem Maßstab eine umfassende Zurechnungsregel zu entwickeln. Lägen die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft i. S. des § 35 StGB vor, so falle die tödlich verlaufende Flucht in den Verantwortungsbereich des Täters, eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges durch das willentliche Verhalten des Opfers finde nicht statt.211 Eine solche Zuschreibung zum Verantwortungsbereich des Täters sieht Wolter auch in dem Fall für gegeben, wenn das Opfer zwar nicht in notstandsbedingter Lage, aber jedenfalls in der konkreten Lage „verständlich“ und „erklärlich“ handle, mithin keine „Mutwilligkeit“212 vorliege.213 Weiter fordert Wolter, dass der Qualifikationserfolg nicht nur „bei Gelegenheit“ der Grundhandlung eintritt, sondern eine erforderliche „Grunddeliktsadäquanz“ aufweist. Die Grundhandlung müsse nicht schon als solche lebensgefährlich sein, aber jedenfalls der Qualifikationserfolg müsse im Wege einer „Sphärentheorie“ in der vorsätzlichen Grundhandlung des Täters begründet sein.214 Um der Restriktion gerecht zu werden, müssten bei den nicht per se lebensgefährlichen Grundhandlungen diejenigen ausgesondert werden, die für einen Durchschnittsbetrachter vollkommen (tötungs-)ungefährlich seien. Nur wenn der Durchschnittsbetrachter die Ungefährlichkeit gerade der Grundhandlung für die Todesfolge zweifelsfrei ausschließe, könne man die erforderliche Grunddeliktsadäquanz annehmen. Aber auch dies bildet für Wolter nur eine Vorstufe der Zurechnungsbeurteilung, denn weiter will er, soweit die Grunddeliktsadäquanz befürwortet wurde, darauf abstellen, ob das geschaffene Risiko spezifisch gefährlich ist, d.h. besonders nahe liegend ist und ein zwangsläufiges Todesrisiko 208 209 210 211 212

Vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (169). Siehe auch Wolter, GA 1984, 443 (444, 2. Leitsatz und 446, 6. Leitsatz). Zum Modell Rengiers siehe den nächsten Gliederungspunkt. Vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (174). Insoweit zieht Wolter die Begrifflichkeit Jakobs’ heran, vgl. oben 3. Abschnitt,

E.V.1. 213 214

Vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (175). Vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (175 f.).

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

in sich trägt. Dies sei konkret dann der Fall, wenn das Todesrisiko nach objektivem Urteil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgerade notwendig und zwangsläufig zum Qualifikationserfolg führe215 oder aber für den Täter unbeherrschbar geworden sei, da diesem das Geschehen entglitten sei und bei einem entsprechenden Vorsatzdelikt keine Rücktrittschance nach § 24 StGB mehr biete.216 Als individuelles Pendant zu diesem Verständnis der Unmittelbarkeitsbeziehung zwischen Grunddelikt(-shandlung) und Erfolgsqualifikation fordert Wolter schließlich eine qualifizierte Fahrlässigkeitsschuld im Hinblick auf die Qualifikationsgefahr.217 Diese soll in der Form der bewussten Variante („frivole Rücksichtslosigkeit“) sowie in der unbewussten Variante („grobe Achtlosigkeit“) unter dem Einheitsbegriff der Gleichgültigkeit218 zusammengefasst werden.219 Hierbei sei dem Täter vorzuwerfen, dass er die von seiner vorsätzlichen Grundtat ausgehende Warnung „frivol rücksichtslos“ in den Wind geschlagen oder „grob achtlos“ nicht zur Kenntnis genommen habe.220 Abzustellen sei auf den Zeitpunkt der Grundhandlung.221 Wir wollen das komplexe Stufenmodell Wolters noch einmal zusammenfassen: (1) Zunächst darf keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges vorliegen, Maßstab zur Beurteilung bildet § 35 StGB sowie die Frage nach der Mutwilligkeit des Verhaltens des Opfers; (2) das Risiko der Grundhandlung muss grunddeliktsadäquat sein, d.h. nicht von vornherein vollkommen tötungsungefährlich sein; (3) das grunddeliktsadäquate Risiko muss zwangsläufig zum Qualifikationserfolg führen oder für den Täter unbeherrschbar geworden sein; auf subjektiver Ebene muss (4) qualifizierte Fahrlässigkeit in Form der Gleichgültigkeit vorliegen. Insgesamt sucht Wolter die Restriktion damit primär in der objektiven Zurechnungsebene zu verorten.222

215 Insoweit knüpft Wolter an die (ältere) Judikatur des Schweizerischen Bundesgerichts an; vgl. BGE 69 IV, 228 (231); BGE 74 IV, 81 (85). 216 Vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (176 f.). 217 Vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (177); ders., GA 1984, 443 (445, 3. Leitsatz). 218 Dem dürfte der Begriff der „Tatsachenblindheit“ bei Cho, S. 185, 223 ff. entsprechen. 219 Siehe Wolter, JuS 1981, 168 (170). 220 Vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (178). 221 Vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (169). Den Anknüpfungspunkt für die Fahrlässigkeitsschuld bildet nach unbestrittener Ansicht stets die Handlung, unabhängig von dem Streit, ob für die Zurechnung der Erfolgsqualifikation der Körperverletzungserfolg oder auch die Körperverletzungshandlung maßgebend ist, vgl. Graul, JR 1992, 344 (345 Fn. 22). Auch hieraus lässt sich hinsichtlich der Handlungslösung argumentieren, denn wenn die individuelle Sorgfaltswidrigkeit mit der Grundhandlung vertypt ist, so trägt ersichtlich bereits dieses Verhaltensmuster einen wesentlichen Unwert bzw. Unrechtsgehalt der Tat in sich. 222 So auch die Beurteilung Rengiers, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 143.

10. Abschn.: Die Lösung von Fluchtfällen in der Literatur

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Für den „Rötzel-Fall“ gelangt Wolter mit seinem Ansatz zu folgendem Ergebnis: (1) Die Flucht der Hausgehilfin ist noch nicht als notstandsbedingt zu bewerten223, aber ohne weiteres erklärlich und verständlich und damit nicht mutwillig224; (2) die erforderliche Grunddeliktsadäquanz scheint Wolter zu bejahen225; (3) es fehlt jedoch an der Zwangsläufigkeit der Körperverletzungen für die Flucht der Hausgehilfin durch das Fenster, da sie sich nicht in notstandsähnlicher Lage befunden habe; da die Hausgehilfin selbsttätig durch das Fenster kletterte, sei die durch die Körperverletzung geschaffene Lage für den Täter auch noch nicht völlig unkontrollierbar und damit unbeherrschbar geworden.226 Mithin hat für Wolter eine Strafbarkeit wegen § 227 StGB auszuscheiden. Soweit Wolter mit dem Kriterium der Grunddeliktsadäquanz darauf abstellen möchte, dass die Handlung nicht vollkommen (tötungs-)ungefährlich sein dürfe, bedient er sich eines weitgehend manipulierbaren Kriteriums. Denn wie groß oder evident der Kreis der von einem konkreten Verhalten ausgehenden Gefahren ist, hängt alleine davon ab, welchen Grad an Bestimmtheit man bei der Beschreibung der Gefahren wählt und welche Sachkunde noch als durchschnittlich vorausgesetzt wird.227 Auch bedeutet spezifische Gefahr keineswegs Evidenz der Gefahr, denn für den Unrechtsgehalt der Tat ist nicht unbedingt ausschlaggebend, wie leicht oder schwer die Gefahr zu erkennen ist.228 Darüber hinaus gilt zu bedenken, dass jeder eingetretene Erfolg mehr oder weniger zwangsläufig über die Grundhandlung vermittelt wurde, denn sonst wäre er ja nicht eingetreten. Ferner hat der Gesetzgeber mit der Aufstellung des Tatbestandes des jeweiligen erfolgsqualifizierten Delikts zu erkennen gegeben, dass mit dem Grunddelikt grundsätzlich eine besondere Gefährlichkeit verbunden ist.229 Auch mit der Unbeherrschbarkeit des Geschehens lässt sich das Unmittelbarkeitskriterium nicht begründen; denn soll die Zurechnung zu einem qualifizierten Verletzungsdelikt begründet werden, so muss das Risiko für den Täter gerade grundsätzlich – vermittelt über das pflichtwidrige Ingangsetzen des Geschehensablaufs – beherrschbar gewesen sein.230 Hierin muss das Chiffre der unrechtssteigernden Verknüpfung von Grundtatbestand und schwerer Folge bestehen. Insgesamt vermag die Lösung Wolters damit nicht zu überzeugen.

223

Kritisch Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 205. Vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (175). 225 Vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (176). 226 Vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (176 f.). 227 Siehe Altenhain, GA 1996, 19 (24). 228 Vgl. Stree, JZ 1983, 75 (76). 229 Siehe Hirsch, Oehler-FS, S. 111 (123); Bacher, S. 31. 230 Siehe Hirsch, Oehler-FS, S. 111 (126); Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 205; Cho, S. 168 f. 224

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

7. Rengier: Situation des Nötigungsnotstandes Rengier wählt ein reduzierteres Zurechnungsmodell für die Erfolgsqualifikation als Wolter. Unter der Prämisse, dass die Selbstgefährdung als schwächere Form der Selbstschädigung den selben Regeln wie diese zu unterwerfen sei231, stellt Rengier darauf ab, ob sich das flüchtende Opfer in einer die mittelbare Täterschaft begründenden Lage befunden habe, was insbesondere dann der Fall sei, wenn die Voraussetzungen des Nötigungsnotstandes gem. § 35 StGB vorliegen würden. Gefragt werden müsse, ob der Täter das Opfer durch die noch andauernde Grunddeliktshandlung in eine Situation bringe, die die grunddeliktisch bedingte Selbstgefährdung des Opfers – gäbe es einen solchen Tatbestand232 – nach § 35 I 1 StGB entschuldigen würde, da das Opferverhalten der Abwendung einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit diene.233 Die Affinitätsbeziehung zwischen Grunddelikt und schwerer Folge wird damit weitgehend durch die Frage nach dem Eigenverantwortlichkeitskriterium bestimmt.234 Mit diesem Notstandsansatz bejaht Rengier sowohl im „KZ-Fall“ (BGH bei Dallinger MDR 1954, 150), im „Rötzel-Fall“235, im „Fenstersturz-Fall“236 und im „Hetzjagd-Fall“ als auch im Fall BGHSt 19, 382 und im Fall des Urteils des BGH v. 28.06.1960 das jeweilige erfolgsqualifizierte Delikt.237 Für die Fälle der Nacheile und des Hilfeherbeiholens sieht Rengier keine der mittelbaren Täterschaft entsprechende Einflussnahmemöglichkeit des Täters und verortet dabei auftretende Selbstgefährdungen konsequenterweise außerhalb der Notstandssituation des § 35 StGB.238

231 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 197; ders., Jura 1986, 143 (145). Zur Kritik an diesem argumentum a maiore ad minus siehe oben 3. Abschnitt, F.V. 232 Siehe auch Mitsch, Rechtfertigung, S. 513 Fn. 55. 233 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 197; ders., Jura 1986, 143 (145). 234 So ausdrücklich Rengier, BT II, § 16 Rdnr. 8. 235 Richtigerweise bejaht Rengier entgegen Wolter die Voraussetzungen des § 35 StGB. 236 Falls das Opfer dem Erpressungsvorhaben der Täter hätte nachkommen können (Tatfrage), sieht sich die Notstandsargumentation Rengiers der Gefahr einer gewissen Friktion ausgesetzt: Da Rengier das Wesen der Erpressung in einem willentlichen „Freikauf“ von der Zwangswirkung des Täters sieht, schreibt er dem Opfer, soweit kein Fall von vis absoluta vorliegt, die Handlungsalternative zu, sich entweder weiterhin der Zwangswirkung auszusetzen oder durch ein Nachgeben die sofortige Freiheit von Zwang zu erlangen (siehe Rengier, JuS 1981, 654 [657]; ders., BT I, § 11 Rdnr. 37, 41) – die Annahme einer Handlungsalternative harmoniert dann aber schwer mit der Situation eines Nötigungsnotstandes. 237 Siehe Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 197 ff.; ders., BT II, § 16 Rdnr. 6 f.

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Nicht klar zu erkennen beim Modell Rengiers ist, inwieweit die Lage des Nötigungsnotstandes an objektiven oder subjektiven Kriterien gemessen wird. Auswirkung hat dies insbesondere im „Hetzjagd-Fall“ – dessen Besonderheit darin liegt, dass die Opfer die Verfolger noch hinter sich wähnten, während diese die Verfolgung (nicht aber die Suche) abgebrochen hatten. Stellt man mit Rengier indessen maßgeblich auf das Eigenverantwortlichkeitskriterium zur Bemessung des Fluchtverhaltens ab, so muss der Begründung einer Notstandssituation hinsichtlich eines fiktiven tatbestandlichen Eigengefährdungsdelikts konsequenterweise eine subjektive Betrachtung, orientiert an der Opferwahrnehmung, zu Grunde gelegt werden. Denn auch dann, wenn sich das Opfer nur in seiner Wahrnehmung in einer § 35 I StGB entsprechenden Situation wähnte, würde fiktiv betrachtet jedenfalls gem. § 35 II StGB eine tatbestandliche Eigengefährdung nur dann nicht der Entschuldigung unterfallen, wenn dieser Irrtum vermeidbar gewesen wäre. In Anbetracht der Paniksituation kann davon grundsätzlich aber gerade nicht ausgegangen werden. Eine der Ansicht Rengiers entsprechende Argumentation findet sich bereits bei Küpper, der Folgendes konstatiert: „Nun gibt es zwar nach herrschender Auffassung keine fahrlässige mittelbare Täterschaft, und in Bezug auf die schwere Folge handelt es sich beim erfolgsqualifizierten Delikt um eine Fahrlässigkeitstat, bei der der Einheitstäterbegriff gilt. Jedoch schlägt im Falle der Selbstschädigung die erforderliche Differenzierung entsprechend durch, wobei sich die Parallele zur Vorsatztat durch die Prüfung herstellen läßt, ob bei vorsätzlichem Handeln eine die mittelbare Täterschaft begründende Situation vorläge“239. Allerdings entzieht Küpper dem so gewonnenen Ansatz für die Fluchtfälle hinsichtlich § 227 StGB die Bedeutung, wenn er fordert, dass sich die tatbestandspezifische Gefahr der Körperverletzung an sich (in Form der Letalität) realisiert haben muss und dem Körperverletzungstatbestand schlechthin das spezifische Risiko der tödlichen Flucht abspricht.240 Darauf, dass sich dieses Verständnis Küppers mit dem Notstandsgedanken überhaupt nicht vereinbaren lässt, weist zutreffend Puppe hin, denn für die Letalitätslehre, die Küpper proklamiert, kann es nicht darauf ankommen, ob das zwischen Grunddelikt und schwere Folge tretende Verhalten des Opfers dem Täter zugerechnet werden soll oder nicht. Die Körperverletzung ist in diesem Fall gerade nicht letal, wenn der Eintritt des Todes noch von einem Verhalten des Opfers abhängt.241

238 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 207. Wir haben die Fälle der Nacheile bereits auf der Ebene des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts von der Zurechnung ausgenommen, vgl. oben 9. Abschnitt, F. 239 Küpper, Zusammenhang, S. 96. 240 Vgl. Küpper, Zusammenhang, S. 89, 92. 241 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 228 Fn. 329.

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Eine ausdrückliche Zustimmung zu dem Modell Rengiers für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt (fahrlässige Tötung) findet sich bei Cho.242 Das Modell Rengiers bietet grundsätzlich ein tragfähiges Instrument zur Behandlung der Fluchtfälle. Man mag einwenden, dass die Zurechnung von Opferreaktionen, die der Täter zwar hervorgerufen, aber gerade nicht intendiert hat, nicht dem System der mittelbaren Täterschaft unterstellt werden kann, bei welchem das Opferverhalten vom Täter beabsichtigt gewesen sein muss.243 Im Gegensatz zur Ansicht Rengiers wird daher in dieser Arbeit zur Behandlung des Unmittelbarkeitskriteriums eine objektive Betrachtungsweise zu Grunde gelegt, die auf das Erfordernis einer Nötigungsnotstandssituation in gedachter mittelbarer Täterschaft verzichtet.244 Dennoch werden sich für die Fluchtfälle die Ergebnisse mit denen, wie sie von Rengier erzielt werden, decken. Eine abweichende Lösung wird sich für die Retterfälle in Form der Befreiungsfälle ergeben – hier wird sich zeigen, dass das Konstrukt der mittelbaren Täterschaft, wie es von Rengier ursprünglich auch zur Lösung dieser Fallgruppe herangezogen wird245, eine Schwäche aufweist und damit letztlich keine einwandfreien Ergebnisse zu liefern vermag. 8. Paeffgen: Differenzierung nach anhaltendem und punktuellem Angriff Paeffgen sieht die Unrechtsdimension des erfolgsqualifizierten Delikts in einem gesteigerten Handlungsunwert begründet. Dies führt ihn zur Leichtfertigkeit als notwendiges Restriktionskriterium zur Einschränkung des übersetzten Strafrahmens.246 Die Leichtfertigkeit sieht Paeffgen jeweils zum einen dann als gegeben, wenn der Täter Kenntnis von der konkret-letalen Aggressivität seines Tuns hat (dies entspricht der Ansicht Horns/Wolters’), mit Gefährdungsvorsatz handelt (dies entspricht der Ansicht Langes) oder aber die besonders nahe liegende Todesgefahr grob fahrlässig ignoriert („solipsistische Bedenken- und Gedankenlosigkeit“), womit auch die unbewusste Fahrlässigkeit umfasst ist.247 Unter dieser Voraussetzung differenziert Paeffgen für die Fluchtfälle danach, ob sich das Angriffsgeschehen als punktuell geprägt oder als noch andauernd darstellt. Im Falle eines Dauerdelikts, z. B. der Freiheitsberaubung, stelle sich das Geschehen als eine permanente Reihung von beendeten Versuchen dar, so dass sich die tödliche Flucht als grunddeliktisch-situations-spezifisch darstelle. Demgegenüber erschöpfe sich bei § 227 StGB die Gefahr der Körperverlet242 243 244 245 246 247

Siehe Cho, S. 155 ff. In diese Richtung Sowada, Jura 2003, 549 (555). Siehe ausführlich unten 11. Abschnitt, B. Siehe unten 13. Abschnitt, C.I. Vgl. NK/Paeffgen, § 18 Rdnr. 44. Siehe NK/Paeffgen, § 18 Rdnr. 48 ff.

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zungshandlung i. d. R. in einer punktuellen Attacke. Die Planung weiterer Körperverletzungen stelle in der Summe der Einzeltaten noch keinen Dauerangriff dar, auch wenn dies auf Konkurrenzebene so gehandhabt würde. Entscheidend sei somit, dass, soweit der konkrete Verletzungsakt abgeschlossen sei und sich in dessen Wirkbereich die schwere Folge nicht unmittelbar eingestellt habe, dieser Akt als Zurechnungsgrundlage auszuscheiden habe. Nur wenn der Angriff erneut durchgeführt wird, d.h. fortgeführt wird und sich das Opfer nun in exponierter lebensgefährdender Lage befindet – Paeffgen nennt den Elektrozaun oder die Fensterbank als Beispiel –, könne der erneute Akt einen Anknüpfungspunkt für die Erfolgsqualifikation bilden, nicht aber der Zwischenbereich dieser punktuellen Attacken.248 Der Zwischenbereich sei vielmehr durch die Drohung der Fortsetzung der Misshandlung gekennzeichnet – ein Tatbestand der „Nötigung mit Todesfolge“ existiere jedoch nicht, so dass sich dieses Stadium nicht in ein Dauerdelikt umfunktionieren lasse.249 Ohne nähere sachverhaltliche Diskussion hält Paeffgen den „Rötzel-Fall“ für richtig entschieden. Ob er hierbei auf das fehlende erneute unmittelbare Ansetzen zum Angriff oder auf die fehlende lebensgefährliche Situation des Opfers (dieses kletterte immerhin aus dem Fenster im Obergeschoss) abstellt, ist nicht erkenntlich. Mit dem Ausschluss von Zwischenbereichen punktueller Angriffsmomente verknüpft ist zugleich die Kritik Paeffgens an Rengier. Paeffgen hält ihm entgegen, dass der Hinweis, § 35 StGB erfasse auch Dauergefahren, nichts hinsichtlich der Tatbestände der §§ 223, 227 StGB aussage. Denn solange der Täter nicht zumindest zum Versuch der Verletzungshandlung (als Überwindung des Zwischenbereichs) angesetzt habe, könne in der Panik-Reaktion des Opfers auch kein einer Verletzungs-Handlung zurechenbarer Erfolg liegen, sondern nur ein einer Drohungs-Handlung zurechenbarer Erfolg.250 Soweit Paeffgen auf das Leichtfertigkeitskriterium für alle erfolgsqualifizierten Delikte abstellt, lässt sich dies nicht mit § 18 StGB in Einklang bringen, der bereits die einfache Fahrlässigkeit erfasst.251 Fordert man als Ausprägung des Schuldgrundsatzes die Umfassung des Unmittelbarkeitszusammenhanges von der individuellen Fahrlässigkeit des Täters252, so ist außerdem bereits hierdurch die notwendige Zurechnungskontrolle gewährleistet, ohne dass es einer Heranziehung des Leichtfertigkeitskriteriums schlechthin bedürfte.253

248

Vgl. Paeffgen, JZ 1989, 220 (227); NK/Paeffgen, § 18 Rdnr. 71 ff. Vgl. Paeffgen, JZ 1989, 220 (227); NK/Paeffgen, § 18 Rdnr. 74; ebenso Ferschl, S. 181; Bacher, S. 164 Fn. 429; Cho, S. 212 f. 250 Vgl. Paeffgen, JZ 1989, 220 (227); NK/Paeffgen, § 18 Rdnr. 75. 251 Wie hier auch Ferschl, S. 61 f.; Roxin, AT I, § 10 Rdnr. 115 Fn. 161. 252 Siehe oben A.III.1.c). 253 Instruktiv Ferschl, S. 60. 249

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

Darüber hinaus führt das Verständnis, ein fortdauernder Körperverletzungsangriff enthalte lediglich eigenständige punktuelle Angriffsmomente, zu einer unnatürlichen Aufspaltung eines Geschehensablaufs. Dass auch die „Zwischenbereiche“ mit dem Gesamtgeschehen eine Einheit bilden, lässt sich schon durch das Verständnis der tatbestandlichen Handlungseinheit in Form der iterativen Tatbestandserfüllung ersehen.254 Der Zwischenbereich muss daher als Bestandteil des gestreckten Körperverletzungsgeschehens gesehen werden oder aber zumindest als erneutes Ansetzen zur Körperverletzungshandlung verstanden werden255 – mit der Zuschreibung eines „Erfolgsunwertes zu einem unzureichenden Handlungsunwert“256 oder der Schaffung eines neuen Tatbestandes der „Nötigung oder Bedrohung mit Todesfolge“ hat dies nichts zu tun. Denn charakteristisch ist gerade das Vorliegen einer auf Angriff gerichteten Körperverletzungshandlung. 9. Hobe: Abstellen auf die spezifische Streuaggressivität Für Hobe liegt die Legitimation der Erfolgsqualifikation darin, dass der Täter mit seiner Handlung Verhaltenstendenzen an den Tag lege, die gerade dazu führen würden, dass es zu der sich aufdrängenden erhöhten Gefahr komme und damit der Rechtsfrieden in besonderem Maße gestört werde. „Es kommt darauf an, ob der Täter durch sein Verhalten den Erfolgseintritt zwar nicht gewollt, aber doch, objektiv gesehen, mit einer vielleicht unreflektierten und damit unbewussten Strategie intensiv gefördert hat. Es kann eine besondere Handlungsintensität vorliegen.“257 Das Grunddelikt bildet für Hobe einen aggressiven Akt, der im Wege der Streuung aus der aggressiven Gesamthaltung heraus zu weiteren verletzenden Folgen führen kann. „Die Aggression hat dann einen vom Willen umfaßten Kern, umgeben von einem Streufeld.“258 Das Wesen der Streuaggressivität liege darin, dass es objektiv eine Strategie verkörpere, die die schwere Folge geradezu provoziere. So liege bei der Körperverletzung in der Regel streuaggressives Verhalten vor.259 Wobei sich aus dem Zweck des Gesetzes, dem Umschlagen der im Grunddelikt ruhenden erhöhten Gefahr entgegenzutreten, ergebe, dass die typischen Gefahren, die von dem Grunddelikt auszugehen vermögen, sowohl durch den Grunderfolg als auch durch das Verhalten vermittelbar seien.260 Im Hinblick auf die Streuaggressivität müsse das Verhal254

Siehe Sch/Sch/Stree/Sternberg-Lieben, Vorbem §§ 52 Rdnr. 17. So auch Safferling, Jura 2004, 64 (67 Fn. 39) der in dem Stadium zwischen unmittelbarem Ansetzen und Erfolg eine Dauergefährlichkeit begründet sieht. 256 So aber Paeffgen, JZ 1989, 220 (227); NK/Paeffgen, § 18 Rdnr. 75. 257 Hobe, Busch-GS, S. 253 (261) (Hervorhebungen im Original). 258 Hobe, Busch-GS, S. 253 (262). 259 Vgl. Hobe, Busch-GS, S. 253 (263, 267). 260 Vgl. Hobe, Busch-GS, S. 253 (264, 267). 255

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ten des Täters zu einem solchen des Opfers führen, das durch die Art der Begehung der Vortat vorgeformt sei und das Opfer damit zu seinem (riskanten) Verhalten sozial provoziert würde.261 Eine solche soziale Provokation habe im „Rötzel-Fall“ vorgelegen, so dass ob der tödlichen Flucht § 227 StGB zur Anwendung hätte kommen müssen.262 Auch im „Fenstersturz-Fall“ habe der Täter die geschaffene erhöhte Gefahr provoziert.263 Die Ansicht Hobes, in den einzelnen Delikten sei die weitergehende Gefahr latent vorhanden, die bei entsprechend intensivem Täterverhalten bzw. sozialer Provokation zu streuen vermöge, führt letztlich zum Erfordernis der Leichtfertigkeit, wobei gerade auch die unbewusste Form der Streuaggressivität erfasst wird. Dies mündet in der konsequenten Forderung Hobes, die Leichtfertigkeit in den Tatbeständen der erfolgsqualifizierten Delikte, in denen sie nicht erwähnt ist, als ungeschriebenes strafeinschränkendes Merkmal zu ergänzen.264 Dass dies einen Weg contra legem darstellt, wurde bereits im Hinblick auf die entsprechende Forderung Paeffgens dargelegt. Darüber hinaus stellt das Merkmal der sozialen Provokation in den Fluchtfällen einen zu vagen Maßstab dar. Denn mit der Erkenntnis, dass die Flucht sozial betrachtet dem elementaren Selbsterhaltungstrieb entspringt, ist zunächst allein die Zurechnung zum allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikt begründet, das Spezifikum der erfolgsqualifizierten Delikte ist damit noch nicht reflektiert.265 10. Ferschl: Differenzierung zwischen genereller und spezieller Gefährlichkeit Ferschl legt ihrem Modell eine sowohl objektive als auch subjektive Betrachtung zu Grunde. Als Vertreterin der Handlungslösung legt sie zunächst dar, dass für den Unmittelbarkeitszusammenhang sowohl die grunddeliktische Handlung als auch der Erfolg maßgeblich sein können.266 Der Zurechnung von Drittverhalten durch das Kriterium der mittelbaren Täterschaft hält sie entgegen, dass diese auch bei anderen Delikten, die keine Erfolgsqualifikation kennen, vorliegen könne und damit kein geeignetes Abgrenzungskriterium zur Bestimmung der typischen Gefahrverwirklichung biete.267 Für die Feststellung der sich verwirklichenden eigentümlichen Gefahr im Rahmen von § 227 StGB will Ferschl

261

Vgl. Hobe, Busch-GS, S. 253 (266). Vgl. Hobe, Busch-GS, S. 253 (266). 263 Vgl. Hobe, Busch-GS, S. 253 (276 Endnote 65). 264 So ausdrücklich Hobe, Busch-GS, S. 253 (262). 265 Dieser Mangel wird auch in dem „Hetzjagd-Urteil“ ersichtlich (siehe oben 9. Abschnitt, F.). Kritisch gegenüber Hobe auch Roxin, AT I, § 10 Rdnr. 115 Fn. 161. 266 Dazu Ferschl, S. 137, 139, 147, 167. 267 Vgl. Ferschl, S. 54. Ebenso bereits Graul, JR 1992, 344 (345). 262

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vielmehr eine Differenzierung nach der generellen und der speziellen Gefährlichkeit der Grundhandlung vornehmen. Generelle Gefährlichkeit sei dadurch gekennzeichnet, dass der Eintritt der schweren Folge auf Grund eines allgemeinen Erfahrungswissens besonders nahe liegend sei, d.h. nach allgemeiner Erfahrung mit nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit drohe. Demgegenüber liege spezielle Gefährlichkeit nur dann vor, wenn die konkrete Begehungsweise der Tat in der konkreten Situation des Täters dazu führe, dass der Todeseintritt auf Grund dieser Umstände besonders nahe liegend erscheine.268 Im Rahmen der generellen Gefährlichkeit ist somit auf den Maßstab eines Durchschnittstäters, bei der speziellen Gefährlichkeit auf einen Durchschnittstäter unter Berücksichtigung des Sonderwissens des Täters abzustellen269, kongruent ist für die individuelle Erkennbarkeit zu verfahren.270 Im Gegensatz zu Horn/Wolters finde mit dem Postulat des Sonderwissens keine Beschränkung auf Körperverletzungen i. S. des § 224 I Nr. 5 StGB statt, sondern alleine auf die Begründung von Fahrlässigkeit an sich, d.h. dass die gefährlich machenden Umstände jedenfalls ins Bewusstsein des Täters gelangt seien.271 Auch führe allein das Abstellen auf das Sonderwissen nicht dazu, dass der Täter tatsächlich wissen müsse, dass der Körperverletzung(-shandlung) im konkreten Fall die Gefahr des Todes anhafte, sondern der Täter müsse lediglich das entsprechende Tatsachenwissen besitzen, um bei pflichtgemäßer Anstrengung die entsprechenden Schlussfolgerungen hinsichtlich der daraus resultierenden Todesnähe ziehen zu können – womit auch die unbewusste Fahrlässigkeit erfasst werde.272 Im Hinblick auf Fluchtfälle gelangt Ferschl zu folgender Annahme: Als regelmäßige Antwort des Opfers auf die Körperverletzung sei die Abwehrhandlung oder das Abhalten des Täters von der Tat anzusehen. Ein Fluchtversuch sei hingegen als Ausnahme zu qualifizieren, so dass diesbezüglich von keiner generellen Gefährlichkeit auszugehen, eine Zurechnung vielmehr nur auf der Grundlage von Sonderwissen möglich sei, wenn der Täter um die Angst des Opfers vor weiteren Misshandlungen wisse und im Rahmen der individuellen 268

Vgl. Ferschl, S. 141, 169 ff. Mit der Berücksichtigung der subjektiven Komponente bereits im objektiven Tatbestand will Ferschl verhindern, dass unter Umständen die objektive Vorhersehbarkeit mangels Sonderwissen zu verneinen wäre, während die subjektive Voraussehbarkeit zu bejahen wäre, vgl. Ferschl, S. 142 Fn. 100. Die allgemeine Berücksichtigung von Sonderwissen entspricht der ganz h. M., vgl. nur Ferschl, S. 102 f.; Roxin, AT I, § 24 Rdnr. 57; Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rdnr. 133; für diejenigen, die ohnehin nur auf die individuelle Sorgfaltswidrigkeit abstellen (siehe die Nachweise bei Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rdnr. 119; Roxin, AT I, § 24 Rdnr. 55 Fn. 83), ist dieses Ergebnis selbstverständlich. 270 Vgl. Ferschl, S. 142. 271 Vgl. Ferschl, S. 144 Fn. 112. 272 Vgl. Ferschl, S. 146. 269

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Schuld die daraus resultierenden Folgen erkennen könne.273 Daher hält sie sowohl den „KZ-Fall“ als auch den „Rötzel-Fall“ vom BGH mit der Ablehnung des § 227 StGB für richtig entschieden. Dem Ansatz Ferschls ist bereits entgegenzuhalten, dass sich der Grad der Gefährlichkeit und damit die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des qualifizierenden Erfolgs aus der ex-ante Perspektive kaum abschätzen lässt, denn gerade Gewalttaten wohnt eine spezifische Eigendynamik inne, die mit allgemeingültigen, graduellen Abgrenzungskriterien nicht adäquat fassbar sind.274 Zudem ist die Einordnung der Flucht in den Bereich der speziellen Gefährlichkeit nicht nachvollziehbar. Zutreffend stellt Ferschl fest, dass das Abwehren des Täters einen im Rahmen des allgemeinen Erfahrungswissens liegenden Umstand und damit eine generelle Gefährlichkeit darstellt. Dies hat aber in gleicher Weise für die Flucht zu gelten, denn wenn man sich die Handlungsalternativen des Opfers vor Augen führt, sind dies eben nur die Abwehr, die Erduldung des Angriffs oder aber die Flucht. Abwehr und Flucht stellen elementare Prinzipien der Selbstbewahrung dar und sind damit jeweils geradezu die nahe liegendsten Verhaltensmuster überhaupt.275 Der pauschale Ausschluss der Flucht des Opfers aus dem Kriterium der generellen Gefährlichkeit bei Ferschl verdient damit keine Zustimmung, zumal sie für ihre Argumentation nicht einmal auf Spezifika, wie die Belegenheit des Tatorts (Obergeschoss im „Rötzel-Fall“) oder die Schwere der Grundtat, abstellt. Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellen würde, die Flucht in den genannten BGH-Entscheidungen der speziellen Gefährlichkeit zuzuordnen, so müsste man zumindest unter dieser Prämisse die panische Angst des Opfers vor weiteren Misshandlungen dem Täter als Sonderwissen unterstellen. Immerhin hatte der KZ-Insasse schwere Misshandlungen zu erdulden, und die waghalsige Flucht der Hausgehilfin lässt sich gleichfalls nur infolge von Todesangst erklären, womit keine berechtigten Zweifel an der Sonderkonstitution des Opfers in den jeweiligen Ausnahmesituationen bestehen können. Auch dieser (notwendige) Schluss unterbleibt bei Ferschl. 11. Abschließende Bewertung Herausgearbeitet wurde, dass in den Fluchtfällen die spezifische Affinitätsbeziehung zwischen Grunddelikt und schwerer Folge nicht nur in dem Körperver273

Vgl. Ferschl, S. 182. In diesem Sinn auch Bacher, S. 50 f. 275 Vollkommen richtig daher die Ausführungen des Pennsylvania Superior Court, der festhält, dass eine leichter vorhersehbare Reaktion als die Flucht vor einer tödlichen Attacke schlechterdings kaum vorstellbar ist; vgl. 598 A.2d 1300 (1308) (Pa.Super. 1991): „In fact, it is difficult to imagine behavior which is more predictable than fleeing from a deadly assault“. 274

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letzungserfolg an sich, sondern auch in der Gefährlichkeit der Grundhandlung begründet sein kann. Indessen haben sich die Lösungsmodelle der Vertreter der Handlungslösung – in all ihrer Buntscheckigkeit – als nicht bzw. als nicht voll überzeugend dargestellt. Beachtung verdient insbesondere das Modell Rengiers, das die Ausweglosigkeit ob der massiven Gewaltkonfrontation mit dem Täter für das Tatopfer verinnerlicht und auf diesem Empathieverständnis für das Opfer den Lösungsweg aufbaut. Allerdings stellt sich die entsprechende Heranziehung des § 35 I 1 StGB insoweit als problematisch dar, als damit zugleich ein Näheverhältnis zur Voraussetzung der Zurechnungsbegründung erhoben wird. In den Fluchtfällen, bei denen sich das Tatopfer „selbst der Nächste ist“, wird sich daraus keine Friktion auf die Erfolgszurechnung für den Täter ergeben. Im Bereich der Retterfälle, bei denen die Schädigung des vom Täter beherrschten Tatopfers allerdings über ein Eingriffsverhalten des Retters vermittelt wird, wird das Modell Rengiers insoweit zu keinen harmonischen Ergebnissen führen, da das proklamierte Näheverhältnis zwischen dem Eingreifenden und dem Täter – wie zu zeigen sein wird276 – die Erfolgszurechnung an Zufälligkeiten der Tatumstände ausrichtet. Unser Ziel wird es daher sein, ein Lösungsmodell zu bieten, das über die Fluchtfälle hinaus auch im Bereich der Retterfälle zu harmonischen, an der Streuaggressivität277 des Täters orientierten Ergebnissen führen wird. Zunächst gilt unser Blick jedoch den Autoren, die sich mit der Freiheitsberaubung mit Todesfolge auseinandersetzen, denn auch diese Sachverhaltskonstellation gilt es unserem Modell zu unterstellen. Auch hier wird sich zeigen, dass die Lösungsvorschläge der Literatur bisweilen unzureichend sind, bzw. keine einheitliche Linie mit den Fällen der Körperverletzung mit Todesfolge aufweisen. B. Freiheitsberaubung mit Todesfolge – § 239 IV StGB I. Widmann

In seiner Besprechung zum Urteil BGHSt 19, 382278 legt Widmann dar, dass es Intention des Gesetzgebers gewesen sei, die strafschärfende Folge der Freiheitsberaubung mit Todesfolge daran anzuknüpfen, dass das Opfer, solange ihm die Freiheit entzogen sei, gehindert sei, für seine notwendigen Lebensbedürfnisse zu sorgen und mithin erheblich persönlich gefährdet werde.279 Hebt das Opfer diesen Zustand auf, so soll es nach Widmann an diesem spezifischen 276

Vgl. unten 13. Abschnitt, C.I. Sprachlich lässt sich insoweit an die Begrifflichkeit Hobes anknüpfen; vgl. auch Sowada, Schroeder-FS, S. 621 (634 Fn. 69). 278 Siehe oben 9. Abschnitt, B.I. 279 Siehe Widmann, MDR 1967, 972 (973). 277

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Einschnitt in die Deckung der persönlichen Lebensbedürfnisse fehlen. „Hebt jedoch das Opfer diese besondere Gefährdung der Freiheitsentziehung auf, indem es flieht, und kommt es dabei ums Leben, so ist der Tod nicht mehr Folge der vom Gesetzgeber hervorgehobenen besonderen Gefährdung, sondern erfolgt, wie auch bei anderen Straftaten in gleicher Weise denkbar, aus der Abwehr bzw. Aufhebung eines persönlichen Nachteils gegenüber einem strafrechtlich zu ahndenden Angriff, also im Rahmen der in diesem liegenden allgemeinen Gefährdung.“280 Damit erzielt Widmann einen kategorischen Ausschluss von Fluchtschäden. Setzt man mit der Aufhebung der Freiheitsberaubung durch Flucht eine Zäsur und versperrt allein auf Grund dieses Moments den Weg zur Erfolgsqualifikation, so wird nicht berücksichtigt, warum das Opfer flieht. Dieses wird zur Flucht auf Grund der anhaltenden Zwangswirkung oder der drohenden persönlichen Gefährdung veranlasst. Die Flucht gründet damit gerade in der Beschneidung der elementaren Lebensbedürfnisse. Vor diesem Hintergrund muss entgegen Widmann die Flucht grundsätzlich dem grunddeliktischen Gefahrenbereich zugeschrieben werden.281 Darüber hinaus ist der vom Täter rechtswidrig geschaffene Zustand, die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung, mit dem Fluchtversuch des Eingesperrten noch nicht beendet, denn der tödliche Verlauf der Flucht zeigt, dass die Fortbewegungsfreiheit noch nicht wieder erlangt wurde. Widmann müsste die Aufhebung der Freiheitsentziehung im Fall BGHSt 19, 382 mit dem Öffnen der Fahrzeugtüre und dem Hinausfallen aus dem PKW annehmen, dies wäre nicht mehr als eine hypothetische Freiheit für eine juristische Sekunde bis zum tödlichen Auftreffen auf der Straße.282 II. Paeffgen

Für Paeffgen stellt die Freiheitsberaubung mit ihrem Dauerdeliktscharakter einen permanenten Angriff und damit eine fortdauernde Reihung von beendeten Versuchen dar. Im Gegensatz zur Flucht vor einer drohenden Körperverletzung gelangt Paeffgen hier zur Annahme, dass sich bei der tödlich verlaufenden Flucht des Eingesperrten ein Risiko realisiere, das unmittelbar der grunddelik280

Widmann, MDR 1967, 972 (973). So auch Lüdeking-Kupzok, S. 100 f.; Ferschl, S. 258 Fn. 608; Park/Schwarz, Jura 1995, 294 (298); NK/Sonnen, § 239 Rdnr. 30; LK/Träger/Schluckebier, § 239 Rdnr. 37; Brambach, S. 145. 282 Zu Recht kritisch Küpper, Zusammenhang, S. 105; wortgetreu übernommen von Cho, S. 215. Unhaltbar erscheint allerdings die Forderung Küppers, die Erfolgsqualifikation auch dann anzunehmen, wenn das Opfer – seiner sozialen Schutzzone entzogen – von einem Dritten vorsätzlich getötet wird, vgl. Küpper Zusammenhang, S. 108 f.; zust. Feilcke, S. 89. Wird auf das Opfer in einer neuen Angriffsrichtung eingewirkt, so kann eine Zurechnung nicht begründet werden, siehe bereits oben 1. Abschnitt, B.III.2.c); ablehnend auch Wolter, GA 1984, 443 (449). 281

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

tisch gesetzten Gefahr entspringe. „Die Konkretisierung eines solchen Zweit-Risikos darf dem Täter unrechtssteigernd angelastet werden, weil sich – konstruktivistisch – das Handlungs-Unrecht des Dauer-Delikts als eine permanente Reihung von beendeten Versuchen auffassen läßt. D.h. der Eingesperrte, der sich durch eine waghalsige Flucht zu befreien sucht und abstürzt oder in dem das Versteck umgebenden Sumpf ertrinkt, ist den durch die grunddeliktische Handlung bedingten situations-spezifischen Tödlichkeits-Risiken erlegen.“283 Folglich stellt sich für ihn auch die Entscheidung BGHSt 19, 382 als richtig entschieden dar. Soweit kann Paeffgen zugestimmt werden. Bedenklich stimmt allerdings die Diskrepanz zu den Ergebnissen, wie er sie bei den Fluchtfällen im Rahmen des § 227 StGB gewinnt. Auch hier muss, wie dargelegt, das Angriffsgeschehen als Einheit nicht nur bei natürlicher, sondern auch im Rahmen der rechtlichen Betrachtung verstanden werden. Ansonsten würde eine Art Zeitlupenstrafrecht kreiert. Eine grundsätzliche atomisierende Betrachtungsweise, wie sie Paeffgen mit dem Modus des punktuellen Angriffsmoments begründet, überzeugt daher letztlich nicht.284 III. Jakobs

Im Gegensatz zu seinem Lösungsmodell für die Körperverletzung mit Todesfolge285 will Jakobs hinsichtlich § 239 IV StGB weder auf die Risikoidentität noch auf die Beschränkung des Irrtums auf die Quantität zur Begründung der besonderen Gefährlichkeit abstellen. Denn, so Jakobs, die Erfolgsqualifikation gründe bei § 239 IV StGB286 in dem Umstand, dass die Attacke auf das geschützte Rechtsgut typischerweise nicht beherrschbare weitere Risiken für das geschützte Gut mit sich bringe.287 Soweit es sich hier um ein Risiko handle, welches mit dem Grunddelikt typischerweise verbunden sei, da es durch die Vermeidung des Grunddelikts planvoll vermieden werden könne, reiche diese typische Entwicklung alleine zur Begründung des erfolgsqualifizierten Delikts aus. Dies habe auch dann zu gelten, wenn das Folgerisiko durch ein Verhalten des Opfers oder einer anderen Person vermittelt werde, jedenfalls „solange dieses Verhalten nach den zur mittelbaren Täterschaft genannten Maximen dem Täter zurechenbar ist“288. Vor diesem Hintergrund pflichtet Jakobs dem Ergebnis der Entscheidung BGHSt 19, 382 bei.289

283 284 285 286 287 288

Paeffgen, JZ 1989, 220 (227); NK/Paeffgen, § 18 Rdnr. 71. Siehe oben A.III.8. und A.III.1.d). Siehe hierzu oben A.II.4. Ebenfalls nennt Jakobs die §§ 307 Nr. 1, 309 StGB a. F. Vgl. Jakobs, AT, 9/36. Jakobs, AT, 9/36.

10. Abschn.: Die Lösung von Fluchtfällen in der Literatur

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Dem Ansatz Jakobs’ ist berechtigterweise die Frage entgegenzuhalten, warum die Gruppe der erfolgsqualifizierten Delikte zwei im Grundsätzlichen differenzierenden Lösungsmodellen unterstellt wird.290 Wohnt einem gewaltdeliktisch geprägten Grunddelikt doch immer eine typische Gefahrentwicklung für das betroffene Rechtsgut bei. Auch wohnt dem Kriterium „planvoll vermeidend“ eine Unschärfe inne, da nicht ersichtlich ist, ob dieses Kriterium im Vorsatz bezüglich des Grunddelikts, als subjektives Fahrlässigkeitselement oder im Rahmen des (objektiven) Unmittelbarkeitszusammenhanges Berücksichtigung finden soll.291 IV. Ferschl

Ferschl will entgegen der bisher vorherrschenden Literaturansicht292 bereits die Flucht während der Freiheitsentziehungshandlung ihrem Modell unterstellen.293 Im Hinblick auf den elementaren Freiheitsdrang des Menschen verdient diese Sichtweise Zustimmung, die nun auch durch den Gesetzeswortlaut, der von der Verursachung durch die Tat bzw. vom Tod des Opfers – das damit auch ein Versuchs-Opfer sein kann294 – spricht, eine Stütze finden dürfte.295 Auch sprechen teleologische Gesichtspunkte für eine grundsätzliche Einbeziehung der Versuchsfälle, denn gerade vor der Vollendung der Freiheitsentziehung kann die beste, wenn nicht gar letzte Chance bestehen, sich den unbestimmten und prinzipiell unbegrenzten Gefahren für Leib und Leben zu entziehen. Das Verhinderungsbemühen des Erfolgs des Freiheitsdelikts durch das Opfer stellt sich damit als hinreichend spezifische Folge der Bedrohungssituation dar.296 Da sich das Opfer seine Freiheit regelmäßig nicht nehmen lassen bzw. dieselbe wiederzuerlangen suchen wird, scheint Ferschl von einer generellen Gefährlichkeit innerhalb ihres Modells auszugehen.297 Als weitere Voraussetzung 289

Siehe Jakobs, AT, 9/36. Die Nähe zum Modell Rengiers ist insoweit offensicht-

lich. 290 Wie hier Ferschl, S. 54. Eine Differenzierung in punktuelle und andauernde Angriffsmomente wie bei Paeffgen – als nachvollziehbarer Differenzierungsansatz – wird von Jakobs gerade nicht vorgenommen. 291 Siehe Ferschl, S. 54. 292 Siehe Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 238 (zu § 239 III StGB a. F.) sowie die Nachweise bei Ferschl, S. 254 Fn. 585. 293 Vgl. Ferschl, S. 255, 258 f. So auch LK/Träger/Schluckebier, § 239 Rdnr. 39; Lüdeking-Kupzok, S. 220 f. 294 Siehe Kühl, Gössel-FS, S. 191 (207); ders., JuS 2007, 742 (750); Lackner/Kühl, § 239 Rdnr. 9; Kostuch, S. 131. A. A. Hardtung, S. 95. 295 Dagegen tendiert Kühl zur Beibehaltung des Erfordernisses eines Freiheitsberaubungserfolgs als Zwischenerfolg vor der Todesfolge, vgl. Kühl, Gössel-FS, S. 191 (207) („beachtliche Gründe“). 296 Siehe Kostuch, S. 131. So auch Kühl, JuS 2007, 742 (750). 297 Vgl. Ferschl, S. 259; siehe auch S. 210.

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

fordert sie jedoch, dass der Täter beim Opfer durch seine Tat eine objektiv feststellbare, nicht unerhebliche Zwangswirkung hervorgerufen habe, die eine eigenverantwortliche Handlung des Opfers nicht mehr vermuten lasse.298 Insoweit will sie auf die Ansicht Rengiers zurückgreifen und die Zurechnung dann vornehmen, wenn der Täter das Opfer in eine notstandsähnliche Lage gebracht hat und sein Verhalten damit der mittelbaren Täterschaft entspricht.299 Eine solche Zwangswirkung soll beispielsweise dann gegeben sein, wenn der Täter das Opfer ohne Nahrung und Flüssigkeit einsperrt und es tagelang allein lässt, so dass die letzte Möglichkeit, sich zu retten, in der Flucht besteht, nicht aber, wenn sich ein Arbeitskollege einen Schabernack erlaubt und sich der Betroffene der nur vorübergehenden Freiheitsberaubung bewusst ist.300 Das gleiche Verständnis legt sie auch für die Beurteilung der §§ 251301, 178302 und 306 c303 StGB zu Grunde. Nicht überzeugend ist auch bei Ferschl die Diskrepanz, die zu den Fluchtfällen im Rahmen des § 227 StGB erzielt wird, denn auch hier ist mit einer Flucht vor schweren Misshandlungen regelmäßig zu rechnen. Soweit Ferschl das Erfordernis einer feststellbaren Zwangswirkung erhebt und damit die Situation des Nötigungsnotstandes proklamiert, müsste sie dies eigentlich ob der Sonderkonstitution des Opfers zur Annahme spezieller Gefährlichkeit mit dem Erfordernis des Sonderwissens des Täters führen. Warum stattdessen das Prinzip der generellen Gefährlichkeit um eine feststellbare Zwangswirkung ergänzt wird, ist nicht ersichtlich. V. Abschließende Beurteilung

Soweit den Autoren, die für § 239 IV StGB eine Zurechnung begründen, in diesem Punkt zugestimmt werden kann, so missfällt doch die Diskrepanz, die sich zu den Ergebnissen derselben Autoren für den Tatbestand des § 227 StGB ergeben. Wir haben bereits mit Nachdruck herausgearbeitet, dass das Fluchtverhalten bei den Gewaltdelikten jeweils demselben reaktiven Aktionsmuster entspringt und daher für die gesamte Gruppe der Gewaltdelikte einheitlich zu beurteilen ist. Mit diesem Verständnis ist der Weg für die Ausarbeitung eines eigenen Lösungsmodells bereitet. Dem gilt der folgende Abschnitt.

298 299 300 301 302 303

Vgl. Ferschl, S. 210 Fn. 410, 259. Vgl. Ferschl, S. 210. Vgl. Ferschl, S. 259. Dazu Ferschl, S. 210. Dazu Ferschl, S. 220. Dazu Ferschl, S. 278.

11. Abschn.: Entwicklung des eigenen Lösungsmodells für Fluchtfälle

361

11. Abschnitt

Entwicklung des eigenen Lösungsmodells für Fluchtfälle A. Die wesentliche/unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf Für die Beurteilung der Erfolgsqualifikation stellt sich zunächst die Frage, ob diese an ein vollendetes oder nur an ein versuchtes Grunddelikt304 anknüpft. Im „Hetzjagd-Fall“ hatte der BGH die tödlichen Schnittverletzungen des Opfers nicht als vom Vorsatz der Täter umfasst angesehen305 – wogegen die objektive Zurechnung der Verletzungen unausgesprochen vom Gericht angenommen wird. Da die Schnittverletzungen dem elementaren Selbsterhaltungstrieb des Opfers entsprangen und damit im Bereich der allgemeinen Lebenserfahrung lagen, verdient die Annahme der Gefahrrealisierung Zustimmung.306 Denn trotz der räumlichen Entfernung hätte das Angriffsverhalten der Täter eine fahrlässige Tat begründet307 – womit synchron die objektive Zurechnung im Rahmen des Vorsatzdelikts zu bejahen ist.308 Kühl wirft die berechtigte Frage auf, ob denn die objektive Zurechnung des Erfolges wegen Realisierung der vom Täter geschaffenen Gefahr bejaht werden kann, während der Vorsatz wegen Irrtums über den Kausalverlauf ausgeschlossen wird. Er scheint einer Vereinbarkeit eines solchen Denkmusters zweifelnd gegenüberzustehen.309 Für die Möglichkeit eines solchen Ergebnisses, ohne einem denknotwendigen Widerspruch zu erliegen, spricht dagegen bereits die all304 Durch die Einführung der Versuchsstrafbarkeit der einfachen Körperverletzung mit dem 6. StrRG ist der Einwand entfallen, aus der Straflosigkeit des Grunddelikts folge, solle die schwere Folge straferhöhend und nicht strafbegründend wirken, die Unmöglichkeit eines erfolgsqualifizierten Versuchs der Körperverletzung mit Todesfolge, vgl. Kühl, Jura 2003, 19 (21). Bedeutung hat der Einwand indessen noch für die Tatbestände der Entziehung Minderjähriger mit Todesfolge (§ 235 V StGB) und der Aussetzung mit Todesfolge (§ 221 III StGB); mit § 238 III StGB tritt ein neuer Anwendungsfall hinzu, vgl. Mitsch, NJW 2007, 1237 (1241); ders., Jura 2007, 401 (406 f.). Generell gegen die Beachtlichkeit der Straflosigkeit des Grunddelikts Kostuch, S. 19 ff. Richtigerweise ist bei den genannten Tatbeständen von benannten – und damit den Unrechtsgehalt des Grunddelikts als Maßstab verdrängenden bzw. überhöhenden – Strafänderungsgründen auszugehen, siehe auch Rath, JuS 1999, 140 (142). 305 Vgl. BGHSt 48, 34 (36 f.). 306 Siehe zur Divergenz zwischen objektiver Zurechenbarkeit und Vorsatz auch Krey/Fischer, JA 1997, 204 (205 f.). 307 Siehe ausführlich oben 4. Abschnitt, C.II. Die vom BGH nicht näher konkretisierte Abweichung (vgl. Sowada, Jura 2003, 549 [550 f]; M. Müller, Jura 2005, 635 [636]) muss sich daher auf die Erfolgsabweichung (Schnitt- statt Schlagverletzungen) und nicht auf die Verlaufsabweichung (Selbst- statt Fremdverletzung) beziehen. 308 Wie hier Safferling, Jura 2004, 64 (66); M. Müller, Jura 2005, 635 (636). 309 Vgl. Kühl, AT, § 13 Rdnr. 43. Ähnlich auch Wolter, JA 2007, 354 (360), allerdings alleine in Bezug auf den Unmittelbarkeitszusammenhang (§ 222 StGB bejaht er). Siehe auch Saito, Schünemann-Symposium, S. 267 (276): „Muss nicht eine Ab-

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

gemein anerkannte Rechtsfigur der aberratio ictus. Der Täter wollte den Erfolg hier objektiv zurechenbar bewirken, dies ist ihm letztlich auch gelungen, jedoch ist der Erfolg dabei auf andere, vom Täter nicht erkannte Weise eingetreten, so dass der tatsächlich eingetretene Erfolg dem Täter zwar nicht als vorsätzliches Delikt, wohl aber als zurechenbares Fahrlässigkeitsdelikt (Tatfrage) zugerechnet werden kann.310 Während der BGH den Umstand, dass die Täter die Schnittverletzungen des Opfers nicht in ihr Kalkül miteinbezogen hatten, als Irrtum gemäß § 16 I StGB wegen Irrtums über den Kausalverlauf behandelt311, gelangt eine aufkommende Literaturansicht, die die subjektive Zurechnung nicht mehr primär der Psyche des Täters unterstellt, sondern eine Betrachtung anhand eines an normativen Maßstäben ausgerichteten Wertungsgesichtspunktes vornimmt, zu einem korrespondierenden Ergebnis. Ziel jener Vertreter ist es, die subjektive Zurechnung – auch soweit sie sich noch in den Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren hält – enger zu fassen als die objektive Zurechnung. Roxin sieht das Wesen des Vorsatzes in der Planverwirklichung begründet, d.h. der Erfolg ist als vorsätzlich herbeigeführt anzusehen, wenn er bei objektiver Betrachtung dem Plan des Täters entspricht.312 Ähnlich will Puppe danach fragen, ob die Handlung des Täters nach vernünftigen Maßstäben eine taugliche Strategie zur Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolgs darstellt, womit der tatsächliche Wille nach Maßstäben rationalen Handelns und Entscheidens objektiviert und interpretiert wird.313 Die Frage des Vorsatzes hat hiernach nichts mit der Kenntnis der wesentlichen Züge des Kausalverlaufs zu tun, sondern stellt alleine eine Wertungsfrage dar, inwieweit Kausalabweichungen nach dem Urteil der Rechtsordnung noch dem Vorsatz zugerechnet werden können.314 Der Zurechnungsmaßstab des objektiven Tatbestandes ist also die Gefahrverwirk-

weichung, die objektiv irrelevant ist, auch im Rahmen des Vorsatzes unbeachtlich sein?“. 310 Siehe nur Lackner/Kühl, § 15 Rdnr. 12; Sch/Sch/Cramer-Sternberg-Lieben, § 15 Rdnr. 57; Tröndle/Fischer, § 16 Rdnr. 6; Roxin, AT I, § 12 Rdnr. 160 ff.; Kühl, AT, § 13 Rdnr. 29 ff. Ablehnend Gómez Benítez, Internationale Dogmatik, S. 25 (35 f.), der bei fehlender subjektiver Zurechnung im Bereich des Vorsatzdelikts auch eine tatbestandsmäßige Fahrlässigkeit negiert. Der Fall der aberratio ictus stellt einen „Extremfall“ der Kausalabweichung dar, denn hier wird nicht nur auf anderem Weg der Enderfolg herbeigeführt, sondern darüber hinaus auch ein anderes Opfer getroffen, siehe hierzu Wolter, Grundfragen, S. 103 (123). 311 Für eine Anknüpfung an eine individuelle Risikovorstellung auch AK/Zielinski, §§ 15, 16 Rdnr. 59 f.; Kostuch, S. 60 f. 312 Siehe Roxin, Würtenberger-FS, S. 109 (122); ders., AT I, § 12 Rdnr. 6. Ganz ähnlich Wolter: „objektive Zurechnung zur Vorsatztat“ – der Vergleich des Gewollten mit der Wirklichkeit mache das Problem nicht zu einer subjektiven Frage, vgl. Wolter, Grundfragen, S. 103 (132). 313 Vgl. Puppe, Vorsatz und Zurechnung, S. 74. 314 Vgl. Roxin, AT I, § 12 Rdnr. 153 ff.

11. Abschn.: Entwicklung des eigenen Lösungsmodells für Fluchtfälle

363

lichung, der des subjektiven die Planverwirklichung.315 Die Tat muss sich gegenüber dem vorgestellten Verlauf noch innerhalb der Grenzen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren halten und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigen.316 Betrachtet man unter diesem Verständnis der Planverwirklichung die Schnittverletzungen des Opfers, so kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Täter ihren Plan verwirklichen konnten. Denn die Verletzung sollte durch Tritte und Schläge erfolgen, nicht aber durch das Durchsteigen einer Glastüre, man wird sagen können, dass nur durch den tätlichen Übergriff der Tatplan, „zu zeigen, wer Herr im Hause ist“, unter normativen Maßstäben als gelungen anzusehen ist.317 Auch hiernach hat die subjektive Zurechnung zum Vorsatz mithin auszuscheiden. Soweit nicht bereits eine körperliche Einwirkung auf das Opfer vorliegt318, setzt die Schädigung auf der Flucht voraus, dass der die Verletzung begründende Kausalverlauf im Wesentlichen vom Vorsatz des Täters umfasst ist oder normativ betrachtet der Planverwirklichung zugeschrieben werden kann. Fehlt es an dieser Voraussetzung, so steht lediglich ein versuchtes erfolgsqualifiziertes Delikt zur Disposition. B. Eigenes Lösungsmodell I. Ausgangslage

Ebenso wie es das Lösungsmodell Rengiers leistet, soll auch hier eine Lösung entwickelt werden, die für die Fluchtfälle insgesamt Geltung beansprucht. Es ist zwar zu konstatieren, dass die Klärung des Unmittelbarkeitszusammenhanges grundsätzlich einer am jeweiligen spezifischen Grunddelikt ausgerichteten Bestimmung bedarf. Für den Ausschnitt der Fluchtfälle kann allerdings ein einheitlicher Ansatz zu Grunde gelegt werden, da das Fluchtverhalten bei jedem gewaltdeliktischen Grunddelikt demselben phylogenetischen (entwicklungsgeschichtlichen), physiologisch und psychologisch bedingtem Trieb, nämlich dem elementaren Selbsterhaltungstrieb des Opfers entspringt und damit – entgegen Ferschl – sowohl bei einer grunddeliktischen Körperverletzung als auch bei einem Grunddelikt mit Dauerdeliktscharakter wesenstypisch erscheint, oder um mit Ferschl zu sprechen, einem generellen Gefährlichkeitsaspekt zugeordnet 315

Vgl. Roxin, AT I, § 12 Rdnr. 156. So bereits BGHSt 7, 325 (329). Siehe auch Sch/Sch/Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rdnr. 55; Bacher, S. 155 jeweils m.w. N. 317 Siehe M. Müller, Jura 2005, 635 (636). 318 Es sei noch einmal an die Feststellung erinnert, dass es im Rahmen der vollendeten Körperverletzung mit Todesfolge jedenfalls zu einer Verletzung gekommen sein muss, vgl. BGH NJW 1971, 152; Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 218. 316

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

werden muss. Soweit das jeweilige Delikt eine leichtfertige Verursachung der schweren Folge voraussetzt, ist deren Prüfung freilich im Rahmen der (individuellen) Fahrlässigkeit vorzunehmen. Schon aufgezeigt wurde, dass für die Beurteilung eines vollendeten erfolgsqualifizierten Delikts, insbesondere für das Verständnis der Körperverletzung mit Todesfolge, bereits die Grundhandlung zu Grunde gelegt werden kann319, soweit nur innerhalb der Geschehenseinheit der Angriffshandlung überhaupt ein Grunddeliktserfolg eintritt. II. Konfrontationszusammenhang in einem geschlossenen System

Blickt man zunächst auf den Wortlaut der jeweiligen Erfolgsqualifikationen, die eine Verursachung des Todes durch die Tat(-handlung) umschreiben, so legt dies eine objektive Betrachtung des Geschehens und eine ebensolche Bestimmung des Unmittelbarkeitskriteriums nahe. Wann lässt sich also davon sprechen, dass der Täter objektiv betrachtet den Tod des Opfers durch das Grunddelikt verursacht hat? Für den Bereich der Fluchtfälle lässt sich davon bei natürlicher Betrachtung nur sprechen, wenn das Verhältnis von Opfer und Täter durch ein gewisses Näheverhältnis gekennzeichnet ist, wenn der Täter eine so geartete Tatherrschaft innehat, die es ihm ermöglicht, jederzeit auf das Opfer einzuwirken oder seinem Freiheitsdrang einschränkend entgegenzutreten. Denn in diesem Fall lässt sich die Flucht in direkte Relation mit dem Täterverhalten setzen und als dessen spezifische Gefahrverwirklichung, umfasst von der Streubreite des von Gewalt geprägten Grunddelikts, beurteilen. Eine solche Zwangswirkung kann zum einen in der Beschränkung der Bewegungsfreiheit an sich liegen (Freiheitsberaubung) oder über den von Übermacht geprägten Angriffsvorgang oder durch eine vom Täter begründete, räumliche Zwangswirkung (z. B. das Legen eines Brandes320) gekennzeichnet sein. Die Zwangswirkung, der sich das Opfer hierbei ausgesetzt sieht, muss sich objektiv betrachtet als erheblich darstellen, d.h. das Opfer muss in seiner elementaren körperlichen Integrität in gravierendem Maß bedroht sein. Als Orientierungsmaßstab kann insoweit § 35 I 1 StGB herangezogen werden, d.h. das Opferverhalten bzw. Fluchtverhalten muß der Abwendung einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit dienen.321 Eine 319

Siehe oben 10. Abschnitt, A.III.1. Das Opfer befindet sich hier im unmittelbaren Wirkungsbereich der gesetzten Gefahr, siehe auch Sonnen, BT, S. 241. Richtig daher RGSt 40, 321 (324); siehe dazu oben 9. Abschnitt, D. Die erforderliche, durch Einwirkung geschaffene, Zwangswirkung wird auch dadurch begründet, dass sich das spätere Opfer in Unkenntnis der bestehenden Gefahrenlage („blind“; vgl. oben 3. Abschnitt, F.VI.1.) in die Räumlichkeiten etc. begibt; vgl. auch SK/Wolters/Horn, § 306 c Rdnr. 4. 321 Übereinstimmend Rengier, BT II, § 16 Rdnr. 8. 320

11. Abschn.: Entwicklung des eigenen Lösungsmodells für Fluchtfälle

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Zwangswirkung, die von einem Kollegenschabernack ausgeht, bei welchem der Betroffene von seinen Arbeitskollegen (absehbar) kurzzeitig eingesperrt wird und sich beispielsweise durch einen Telefonanruf beim Hausmeister Abhilfe zu verschaffen vermag, begründet eine solche Zwangswirkung gerade nicht.322 Die Situation von Täter und Opfer muss sich gleichsam als „geschlossenes System“ darstellen, gekennzeichnet durch das all umfassende Beherrschungsverhältnis des Täters als Ausdruck eines spezifischen Handlungsunwertes. Erleidet das Opfer beim Versuch, aus diesem System auszubrechen, eine tödliche Verletzung, dann rechtfertigt es sich, ob der beherrschenden Stellung des Täters ihm diese Folgen zuzuschreiben, denn das Opfer war gerade in dieser vom Täter gestalteten Situation seiner potentiellen Zugriffsmöglichkeit ausgesetzt.323 Insoweit lässt sich eine gewisse Parallele zu der Bemächtigungssituation der Tatbestände der §§ 234, 239 a, 239 b StGB ziehen, wobei die Anwendung der Tatbestände des erpresserischen Menschenraubs und der Geiselnahme im ZweiPersonen-Verhältnis durch den BGH324 einem restriktiven Verständnis unterstellt wurde. Allerdings geht das hier geforderte Tatherrschaftsverständnis über das unmittelbare Bemächtigungsverhältnis hinaus, indem die nahe liegende Zugriffsmöglichkeit für ausreichend erachtet wird.325 Dieses Verständnis eines „geschlossenen Systems“ darf daher auch nicht mit dem Tatbestand der Freiheitsberaubung gleichgesetzt werden, denn wird das Opfer beispielsweise in freiem Gelände attackiert, so lässt sich keine Freiheitsentziehung ausmachen, aber eine Zwangswirkung durch den Täter, der sich der Betroffene nur durch die Flucht zu entziehen vermag. Die Systemgeschlossenheit ist somit dadurch gekennzeichnet, dass das System nicht redundant ist; außer dem Einwirkungsverhalten des Täters und dem Fluchttrieb des Opfers sind keine zusätzlichen Systemglieder enthalten. Ein derartiges Systemdenken, wie es hier dargelegt wird, ist dem Recht auch ansonsten nicht fremd. Insbesondere die Differenzierung zwischen einer auf Garantenstellung und -pflicht beruhenden Tötung durch Unterlassen einerseits und 322 Wie hier Ferschl, S. 259; Küpper, Zusammenhang, S. 106; Cho, S. 216 f. Die ratio legis ist damit enger als die sprachliche Fassung des Tatbestandes – eine Folge der gesetzgeberischen Notwendigkeit, nicht verklausulierte Strafbestimmungen zu formulieren, vgl. Hirsch, ZStW 74 (1962), 78 (127, 132). 323 Ein ähnlicher Gedankengang findet sich auch bei Heinrich Lange, AcP 156 (1957), 114 (124). „Als Richtlinie läßt sich aus dieser Abstufung jedoch ableiten, daß derjenige, der Schäden verursacht, um so mehr für dessen weitere Auswirkungen haften muß, je mehr ihm sein Verhalten zum Vorwurf gemacht werden muß, oder je mehr er den Gefahrenbereich beherrscht und je weniger der Verletzte dieser Gefahr entrinnen kann“ (Hervorhebung vom Verfasser). 324 BGHSt 40, 350. Siehe auch Rengier, BT II, § 24 Rdnr. 16 ff. 325 Denn besteht für das Opfer die Möglichkeit der Flucht, so sieht die Rechtsprechung von einer Bemächtigungssituation gerade ab, vgl. BGHR StGB § 239 a Abs. 1 Sichbemächtigen 3; LK/Träger/Schluckebier, § 239 a Rdnr. 7. Weitergehend nun aber BGH NStZ-RR 2007, 77; BGH NStZ 2006, 448 (449).

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einer unterlassenen Hilfeleistung nach § 323 c StGB andererseits lässt sich damit begründen. Während der Garant auf Grund einer spezifischen Nähebeziehung zum Hilfsbedürftigen mit diesem eine Systemeinheit bildet, stellt sich für einen Außenstehenden die Begegnung mit dem Hilfsbedürftigen als Zufall dar. „Wenn jemand infolge eines Unfalls stirbt, nachdem ein Vorüberkommender, Systemfremder, der ihn hätte retten können, seiner Hilfspflicht nicht nachgekommen ist, so kann man diesem zwar sein normwidriges Verhalten vorwerfen, ihm aber nicht den Zufall anlasten, daß er auf den Verunglückten stieß und die Fähigkeit hatte, ihn zu retten; ebenso wie der Verunglückte nicht von Rechts wegen erwarten konnte, von ihm gefunden und gerettet zu werden. Daher wird man wegen unterlassener Hilfeleistung auch ganz zu recht [sic] milder bestraft als wegen eines Tötungsdelikts.“326 Auch hier steht die Strafschärfung in Relation mit der Zuordnung von Systemkreisen. Die Verantwortlichkeit auf Grund der Zuständigkeit für die Interaktion innerhalb eines Systemfeldes bildet daher einen universellen Rechtsgedanken. Das Beherrschungsverhältnis innerhalb eines „geschlossenen Systems“ gibt darüber hinaus den Wortsinn der panischen Angst, welche der Täter beim Opfer in der konkreten Situation hervorruft, reflexiv wieder. Das Wort „Angst“ kommt von dem lateinischen Begriff angustiae, was „Enge“ bedeutet327 – das „in die Enge getrieben sein“ als Spezifikum der vom Täter beherrschten Tatsituation lässt sich darin treffend fundieren. Die Forderung nach einem solchen stringenten Tatherrschaftsverständnis lässt sich insbesondere nicht mit dem Einwand entkräften, die erforderliche Tatherrschaft sei alleine mit der Ausführung des Grunddelikts begründet. Denn das restriktive Erfordernis aller erfolgsqualifizierten Delikte verlangt mit dem Bedürfnis eines Unmittelbarkeitszusammenhanges eine über die Tatherrschaft des Grunddelikts hinausgehende Affinitätsbeziehung in Bezug auf die schwere Folge, so dass eben auch zum Zeitpunkt der (tödlich endenden) Flucht noch eine beherrschende Einwirkung auf das Opfer vorzuliegen und sich die gesamte Tatsituation in einem durch die beherrschende Stellung des Täters gekennzeichneten Quantum zu bewegen hat.328 Gerade mit dem bestimmenden Einfluss des Täters auf das Geschehen lässt sich die Flucht mit

326

Philipps, S. 159 (Hervorhebung vom Verfasser). Siehe Duden Herkunftswörterbuch, Eintrag „Angst“ (S. 38). 328 Auch im Bereich der Unterlassungsdelikte ist dieses Tatherrschaftsverständnis vorfindbar. Hindert der Garant einen täterschaftlichen Begehungstäter nicht an der Tatausführung, so wird auch hier eine über die reine Möglichkeit der Erfolgsabwendung hinausreichende, strengere Voraussetzung – das Kriterium der Tatherrschaft – gefordert, vgl. Kielwein, GA 1955, 225 (227); Busse, S. 257 ff.; Gössel, ZStW 96 (1984), 321 (334); Schroeder, S. 106; Joecks, § 13 Rdnr. 59; Maurach/Gössel/Zipf, AT 2, § 50 Rdnr. 72 sowie MK/Joecks, § 25 Rdnr. 236 und Hillenkamp, Probleme AT, S. 123 jeweils m.w. N. Zum Erfordernis des „ernsthaften Bemühens“ beim Rücktritt vom beendeten Versuch als Ausprägung des Tatherrschaftsgedankens siehe Herzberg, NJW 1989, 862 (867). 327

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ihrer Folge als spezifisches Produkt des Täterverhaltens einordnen. In diesem Fall ist der erforderliche „Konfrontationszusammenhang“329 gegeben und die Handlungslösung findet ihre Konkretisierung in demselben. Mit diesem durch die Geschlossenheit des Systems gekennzeichneten Restriktionsverständnis kann zugleich ein weiterer Einwand entkräftet werden. Zwar lässt sich konstatieren, dass das hier dargelegte Lösungsmodell eine rein punktuelle Zurechnungslehre durch ein gefahr- bzw. situationsspezifisches Zurechnungsverständnis ergänzt und damit eine in ihrer Streubreite erweiterte handlungsbezogene Sichtweise begründet. Dennoch kann darin keine Nivellierung der erfolgsqualifizierten Tatbestände an einen – in seinem Strafrahmen weit niedriger angesiedelten – strafbegründenden Tatbestand wie den § 231 StGB erblickt werden.330 Denn § 231 StGB will sämtliche aus einem Aggressionsakt erwachsenden „Großrisiken“331 erfassen, ohne diese einem Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsbezug zuzuordnen.332 Demgegenüber begründet die Berücksichtigung situativer Gegebenheiten bei Zugrundelegung der Systemgeschlossenheit als Zurechnungsaspekt der erfolgsqualifizierten Delikte nur dann eine Zurechnung, wenn das strikte Tatherrschaftsverständnis erfüllt wird. Nur in diesem Fall begründet die Dynamik eine Zuordnung zur Handlungszurechnung; die individuelle Tatherrschaft des Täters bzw. der Täter begründet die Erfolgszurechnung. Der entscheidende Unterschied liegt somit darin, dass hier eine durch das Grunddelikt bzw. durch die Grunddeliktshandlung vermittelte schwere Folge individuell dem Täter zugeordnet wird, während bei § 231 StGB alleine die Teilnahme an einem situativen Geschehen, unabhängig von einem subjektiven Zusammenwirken333, bei Eintritt der objektiven Bedingung der Strafbarkeit strafbegründend wirkt. Entscheidend ist, dass die letztlich zum Tode führende fluchtbedingte Verletzung innerhalb des Konfrontationszusammenhanges begründet wird. Tritt der Tod indessen lediglich zeitlich versetzt ein, so steht dies unserem Zurechnungsmodell nicht entgegen. Denn hier handelt es sich nur noch um eine – im Konfrontationszusammenhang angelegte – zwangsläufige Folgeentwicklung der vom Täter gesetzten Einwirkung. Verletzt sich also das Opfer beim Versuch, aus dem vom Angreifer begründeten geschlossenen System auszubrechen, schwer und stirbt an diesen Verletzungsfolgen im Krankenhaus – ohne das Hinzutreten eines ärztlichen Fehlverhaltens334 oder einer fehlerhaften Rettungsbemühung 329 Hefendehl, StV 2000, 107 (109). Siehe auch Sowada, Schroeder-FS, S. 621 (633 Fn. 66). 330 Auf die Gefahr der Nivellierung weist Sowada hin, vgl. Sowada, Jura 2003, 549 (558); ders., Schroeder-FS, S. 621 (633 f.). 331 Geisler, S. 309. 332 Eingehend Gottwald, JA 1998, 771. 333 Vgl. NK/Paeffgen, § 231 Rdnr. 8. 334 Zu diesem Fall siehe unten 14. Abschnitt, B.I.1.

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durch den Täter selbst335 –, so handelt es sich um einen Ausfluss der im Konfrontationszusammenhang begründeten Verletzung.336 Der Tod steht in der erforderlichen Affinitätsbeziehung und kann auch in diesem Fall zugerechnet werden. Auf Grund der Geschlossenheit des Systems mit der Zugriffsmöglichkeit durch den Täter und der damit begründbaren Zuständigkeit des Angreifers für die Schädigung des Opfers lässt sich zugleich die objektive Vorhersehbarkeit des Fluchtschadens belegen. Der Täter hat in Rechnung zu stellen, dass das Opfer mit allen Mitteln versuchen wird, aus dem Konfrontationszusammenhang auszubrechen – inbegriffen einer darin potentiell enthaltenen Gefährdung. Für die Fallgruppe der Fluchtfälle wird dieses Verständnis zu Ergebnissen führen, wie sie mit dem Modell der Situation des Nötigungsnotstandes von Rengier erzielt werden. Mit dem Abstellen auf eine objektive Beurteilung des Geschehens, d.h. dem Verzicht auf ein Näheerfordernis i. S. des § 35 I 1 StGB, wird sich allerdings für den Bereich der Retterfälle ein gegenüber Rengier differenzierendes Lösungsbild ergeben und damit versucht, die Divergenz von Ergebnissen auf Grund von für den Täter unbeeinflussbaren Umständen zu vermeiden. III. Lösung der Rechtsprechungsfälle

Wir wollen nun die oben (9. Abschnitt) referierten Rechtsprechungsnachweise unserem Modell unterstellen und einer eigenständigen Lösung zuführen. 1. Körperverletzung mit Todesfolge a) Vollendete Körperverletzung mit Todesfolge (a) Im „KZ-Fall“ sah sich das Opfer als KZ-Insasse dem ständigen Zugriff durch seinen Peiniger ausgesetzt. Dem Täter kam damit eine allgegenwärtige Tatherrschaftsrolle innerhalb eines geschlossenen Systems zu. Der Versuch, aus diesem – vom Täter instrumentalisierten Zustand, zu welchem auch die Postenkette zu rechnen ist – auszubrechen, wird damit vom Unmittelbarkeitszusammenhang erfasst. Der BGH hätte unter diesem Verständnis eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge aussprechen müssen. 335

Dazu siehe unten 14. Abschnitt, B.I.2. Keine Zurechnung lässt sich dagegen begründen, wenn sich der Todeseintritt als Ausprägung des allgemeinen Lebensrisikos darstellt, etwa wenn der Krankenwagen, der das Opfer transportiert, bei allgemeiner Teilnahme am Straßenverkehr in einen Unfall verwickelt wird oder der Täter, der das Opfer selbst transportiert, unverschuldet in einen Verkehrsunfall involviert wird. Siehe dazu bereits oben 2. Abschnitt, B.III.5.a) sowie 2. Abschnitt, Fn. 382. 336

11. Abschn.: Entwicklung des eigenen Lösungsmodells für Fluchtfälle

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(b) Auch im „Rötzel-Fall“ hätte eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge erfolgen müssen. Das Opfer war den fortwährenden, erheblichen Angriffen des Täters ausgeliefert. Auch zum Zeitpunkt der Flucht befand sich das Opfer in einer ausweglosen Zwangssituation und damit in einem vom Täter beherrschten geschlossenen System. (c) Im Fall der „Fenstersturz-Entscheidung“ lässt sich der erforderliche Unmittelbarkeitszusammenhang bereits über den fortwirkenden pathologischen Zustand und damit über den Körperverletzungserfolg begründen. Das Vorgehen des BGH verdient insoweit Zustimmung. Abgesehen hiervon lässt sich die Affinität wiederum über die beherrschende Stellung der Täter in jedem Zeitpunkt begründen. Auf Grund der Belegenheit des Tatortes lässt sich die Situation des Opfers durchaus als Freiheitsberaubung einstufen. Dies muss aber nicht zwingend zu einer alleinigen Akzeptanz einer Freiheitsberaubung mit Todesfolge führen337, denn das durch die Täter bewirkte Körperverletzungsgeschehen vollzog sich in einer für das Opfer ausweglosen Situation mit erheblicher Zwangswirkung. Gerade hierauf lässt sich eine Verwirklichung der Körperverletzung mit Todesfolge in einem geschlossenen System stützen. b) Versuchte Körperverletzung mit Todesfolge Schwieriger stellt sich die Situation im „Hetzjagd-Fall“ dar. Die Täter hatten ihr Opfer aus den Augen verloren und die tödlichen Schnittverletzungen traten in einer Entfernung von rund 200 m vom letzten Haltepunkt der Verfolger-PKW ein.338 Insoweit könnte man an einem Tatherrschaftsverständnis zweifeln und davon ausgehen, dass das Opfer das begründete geschlossene System bereits verlassen hatte.339 Indessen ist jedoch zu bedenken, dass sich die Verfolger aufgeteilt hatten und die jeweiligen Straßen und Wege systematisch durchsuchten.340 Hätten die Täter ihr Opfer wieder entdeckt, so wäre ihnen, auch bei 337

So aber Mitsch, Jura 1993, 18 (22) und Puppe, Erfolgszurechnung, S. 233. Es sei daran erinnert, dass die zum Tode führenden Schnittverletzungen nicht als vom Vorsatz bzw. der Planverwirklichung umfasst angesehen werden können. Zur Disposition kann daher nur eine versuchte Körperverletzung mit Todesfolge stehen. 339 Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn das Opfer, nachdem es die Freiheit durch Flucht vollständig wiedererlangt hat, in fremder Umgebung, des Weges unkundig, abstürzt oder sich verirrt und infolge Entkräftung stirbt, vgl. Küpper, Zusammenhang, S. 56; Park/Schwarz, Jura 1995, 294 (298). 340 Aus diesem Grund liegt auch kein Rücktritt vom erfolgsqualifizierten Versuch vor. Dass ein solcher grundsätzlich möglich ist, hat der BGH unlängst klargestellt, vgl. BGHSt 42, 158 in Anknüpfung an BGH NJW 1955, 327 und RGSt 75, 52; siehe auch Lackner/Kühl, § 24 Rdnr. 22 sowie Kostuch, S. 90 ff. jeweils m.w. N. Ein Rücktritt gem. § 24 II 2 1. Alt. StGB kommt hier nicht in Betracht, denn im Hinblick darauf, dass die Täter jedenfalls die Suche nach den Opfern nicht aufgeben wollten, mangelt es am ernsthaften Bemühen um eine Vollendungsverhinderung, siehe Kostuch, S. 260; Altvater, NStZ 2004, 23 (27 mit Fn. 77). 338

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

einer Entfernung von wenigen hundert Metern, ein erneuter unmittelbarer Angriff möglich gewesen. Von einer sicheren Stellung des Opfers kann unter diesem (objektiven) Gesichtspunkt nicht gesprochen werden. Damit bewegte sich das Opfer, auch wenn keine unmittelbare Bemächtigungssituation (mehr) bestand, noch im von den Tätern beherrschten Konfrontationsbereich. Gegen eine Verurteilung wegen versuchter Körperverletzung mit Todesfolge bestehen demnach keine Bedenken. Die gleiche Beurteilung ist dem Fall des Urteils des BGH v. 28.06.1960 zu Grunde zu legen, bei welchem das Opfer über die Bahngleise gehetzt wurde. Auch hier eröffnet der fortwährende Aufenthalt im Konfrontationsbereich den Weg zu §§ 178, 22 StGB341. Fernerhin begründet riskantes Fluchtverhalten im Rahmen von § 251 StGB die Erfolgsqualifikation, soweit durch die Gewalt oder Drohung ein entsprechender Konfrontationszusammenhang begründet wur-de342, wobei das Bestehen eines fortwährenden Konfrontationszusammenhanges gegen die Beendigungsdoktrin343 spricht. Dem so verstandenen Konfrontationszusammenhang kann es auch nicht entgegenstehen, dass etwa anwesende Passanten aus Angst nicht eingreifen oder gar zustimmend applaudieren344. Die Passivität oder der Beifall stellen keine beachtenswerten Systemglieder, die die Systemgeschlossenheit auflösen würden, dar. Denn sowohl im Fall der Passivität als auch dem des Beifalls bleibt der vom Täter bestimmte Konfrontationszusammenhang gerade aufrecht erhalten. Das Opfer sieht sich nach wie vor der Einwirkung durch den Täter ausgesetzt und vermag auf keine andere Weise, wie durch eine riskante Flucht, den Konfrontationsbereich zu durchbrechen.345 2. Freiheitsberaubung mit Todesfolge a) Todesverursachung durch den Erfolg der Freiheitsentziehung In den Fällen BGHSt 19, 382 und LG Konstanz v. 17.11.2004 ist die erhebliche Zwangswirkung innerhalb des geschlossenen Systems in der Freiheitsbe341 Wie hier wohl auch NK/Frommel, § 178 Rdnr. 2 mit missverständlicher Formulierung („zu bejahen“). 342 Siehe auch Wessels/Hillenkamp, BT 2, Rdnr. 355. 343 Zum Streitstand siehe Tröndle/Fischer, § 251 Rdnr. 2, 2 a. 344 Zu so einem Fall siehe die Meldung bei SPIEGEL Online v. 19.08.2007: Ein rechtsgerichteter Mob attackierte im sächsischen Mügeln eine Gruppe von Indern und hetzte diese durch die Straßen, während Schaulustige anscheinend applaudierten; vgl. . 345 Eine andere Beurteilung der Systemgeschlossenheit kann freilich in den Retterfällen angezeigt sein, in denen eine maßgebliche Risikomodifikation außerhalb des vom Täter beherrschten Konfrontationsbereichs vorliegt; vgl. unten 14. Abschnitt, B.I.1.

11. Abschn.: Entwicklung des eigenen Lösungsmodells für Fluchtfälle

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raubung (fahrender PKW346, Unberechenbarkeit der Situation) an sich begründet. Der tödlich endende Versuch, aus diesem von den Tätern beherrschten System auszubrechen, begründet die Erfolgsqualifikation. b) Todesverursachung durch die Handlung der Freiheitsentziehung Diese Grundsätze gelten auch, wenn die schwere Folge während der Freiheitsentziehungshandlung und damit im Versuchsstadium eintritt. Für ein erweitertes Verständnis unter Einbeziehung des Ausführungsteils wurde bereits oben (10. Abschnitt, B.IV.) Position bezogen. Puppe347 nennt als Beispiel für eine solche Konstellation den Fall Drenkmann. Der Kammergerichtspräsident kam bei dem Versuch ums Leben, sich der Gefangennahme zu entziehen; während die Täter versuchten, Drenkmann aus seiner Wohnung zu zerren, lösten sich die tödlichen Schüsse.348 Bereits während dieses Ausführungsteils befindet sich das Opfer in einem von den Tätern beherrschten System. Die Abwehr bzw. Fluchtintention in diesem Konfrontationsbereich unterfällt damit der Erfolgsqualifikation.349 c) Sonderkonstellation: Tod der flüchtenden Ersatzgeisel Zweifel an einem Beherrschungsverhältnis in einem geschlossenen System könnten im Fall der tödlich verlaufenden Flucht einer Ersatzgeisel bestehen. Ist diese doch bewusst in das Beherrschungs- und Bemächtigungsverhältnis eingetreten. Sowohl die einhellige Meinung des Schrifttums als auch die Rechtsprechung sehen die Ersatzgeisel als taugliches Tatopfer des § 239 a StGB an. Die Aufopferung der Ersatz- bzw. Austauschgeisel bewirke lediglich einen Tatopferwechsel. Einerseits wird dabei die Entscheidung der Ersatzgeisel als nicht frei, da durch die Sorge um das ursprüngliche Bemächtigungsopfer bestimmt, angesehen.350 Andererseits wird trotz Freiwilligkeitsverständnisses kein Verzicht auf 346

Siehe nur BGH NStZ 2005, 507 (508) m.w. N. Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 245. Für das erfolgsqualifizierte Freiheitsdelikt verzichtet Puppe auf das von ihr für § 227 StGB erhobene Durchgangserfordernis, das den Erfolg des Grunddelikts zur Voraussetzung der Erfolgsqualifikation erklärt, vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 239, 244. 348 Siehe auch Die Welt v. 01.09.2003, . 349 Im Ergebnis übereinstimmend Puppe, Erfolgszurechnung, S. 245: „Denn bereits dieser Versuch ist ja ein Bestandteil der Tatbestandsverwirklichung, und die aus ihm resultierende Bedrohungsgefahr ist deshalb eine tatbestandsspezifische“. Vgl. auch Rath, JuS 1999, 140 (142). 350 Siehe LK/Träger/Schluckebier, § 239 a Rdnr. 3; Mitsch, BT 2, § 2 Rdnr. 73 und wohl auch NK/Sonnen, § 239 a Rdnr. 21; Rengier, BT II, § 24 Rdnr. 8 und Brambach, S. 102. Vgl. auch BGHSt 26, 70 (72). 347

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2. Teil, 6. Kap.: Die Zurechnung von Fluchtverhalten

das fortbestehende Freiheitsinteresse angenommen, so dass der Zustand der Beherrschung nicht in Anerkennung eines Regressverbots legalisiert werden kann.351 Diesem Verständnis ist beizupflichten. In Anbetracht des in den Retterfällen entwickelten Freiheitsverständnisses352 verdient die Ansicht den Vorzug, die – gerade unter der Prämisse der Freiwilligkeit der Handlung – auf das in seiner Existenz von der Entscheidung unabhängige Freiheitsinteresse der Ersatzgeisel abstellt. Diese Sichtweise kann auch für die Fluchtfälle nutzbar gemacht werden. Denn begibt sich die Ersatzgeisel als taugliches Tatopfer in das Beherrschungsverhältnis, so stellt sich nach dem Eintritt die Stellung von Täter und Ersatzgeisel wiederum als Ausprägung eines geschlossenen Systems dar. Flieht das von seinem – fortbestehenden – Freiheitsdrang und Freiheitsinteresse geleitete Opfer aus diesem System, so stellt sich der tödlich verlaufende Ausbruchsversuch als vom Konfrontationsbereich umfasstes Ereignis und damit als zur Erfolgsqualifikation führender Umstand dar. C. Ergebnis Als Ergebnis gilt es für uns Folgendes festzuhalten: Die Frage nach der spezifischen Affinitätsbeziehung zwischen Grunddeliktserfolg oder der Ausführungshandlung und der eingetretenen schweren Folge kann in den Fluchtfällen einer einheitlichen Beurteilung unterstellt werden. Die Zurechnung der schweren Folge zum Täter erfordert im Zeitpunkt der Flucht eine beherrschende Stellung des Täters gegenüber dem Opfer in einem geschlossenen System. Das geschlossene System hat sich als Konfrontationsbereich darzustellen, dessen Kennzeichen darin liegt, dass sich das Opfer der ständigen Bemächtigung oder der naheliegenden Zugriffsmöglichkeit durch den Täter ausgesetzt sieht und damit in erheblichem Maße in seinem Integritätsinteresse bedroht ist. Die zum Tode führende Verletzung muss damit in strenger örtlicher und zeitlicher Konnexität mit dem Täterverhalten bzw. mit der vom Täter begründeten Zwangswirkung stehen. Alleine in einem solchen geschlossenen System kommt dem Täter die aus dem Restriktionserfordernis der erfolgsqualifizierten Delikte erwachsende notwendige Gestaltungs- und Tatherrschaftsrolle zu. Verläuft die Flucht beim Versuch, aus diesem Konfrontationszusammenhang auszubrechen, tödlich, kann von einer Verursachung des Todes durch das grunddeliktische Verhalten des Täters gesprochen werden.

351 So insbesondere Gropp, S. 156; Sch/Sch/Eser, § 239 a Rdnr. 9 sowie Krey/Hellmann, BT 2, § 10 Rdnr. 325 (mit falscher Interpretation von Mitsch, BT 2, § 2 Rdnr. 73 und Lackner/Kühl, § 239 a Rdnr. 3 in Fn. 15 ebd.). 352 Siehe oben 3. Abschnitt, E.VI. und F.I.

11. Abschn.: Entwicklung des eigenen Lösungsmodells für Fluchtfälle

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Anzumerken sei an dieser Stelle, dass sich mit diesem Verständnis der Gestaltungsherrschaft innerhalb des vom Täter beherrschten Konfrontationsbereichs schwerlich die todesqualifizierte Folge im neu geschaffenen Tatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB353) zurechnen lassen wird.354 Von einem geschlossenen System, auch in Fällen hartnäckigen Stalkings, wird sich kaum ausgehen lassen. Dem belästigten Opfer wird immer ein noch ausreichendes Maß an Selbstbestimmung verbleiben, beschränkt sich die Tathandlung des Täters doch regelmäßig alleine auf die beobachtende Anwesenheit in derselben örtlichen Umgebung wie der des Opfers.355 Auch wenn der Strafrahmen des § 238 III StGB nunmehr die Untergrenze nicht mehr mit „nicht unter drei Jahren“356 festschreibt, sondern einen Rahmen von einem bis zu zehn Jahren vorsieht, dürfte mit einer Zuschreibung der fluchtbedingten Todesfolge ohne das Restriktionskriterium der Geschlossenheit der Tatsituation die Schwelle zum Übermaßverbot jedenfalls überschritten sein.357

353 § 238 III StGB lautet: „Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, eines Angehörigen des Opfers oder eines anderen dem Opfer nahe stehenden Menschen, so ist die Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.“ Die gewählte Formulierung („durch die Tat“) lässt darauf schließen, dass damit nicht nur der Taterfolg – die beeinträchtigte Lebensgestaltung –, sondern auch die Tathandlung – das Nachstellen an sich – erfasst ist; vgl. auch Kinzig/Zander JA 2007, 481 (485) mit allerdings sprachlichen Ungenauigkeiten. 354 Erfasst werden sollen damit Fälle, in denen das Opfer durch den Täter in den Suizid getrieben wird oder auf der Flucht vor dem nachstellenden Täter zu Tode kommt; vgl. BT-Drucks. 16/3641, S. 14. 355 Vgl. auch F. Meyer, ZStW 115 (2003), 249 (264), der darlegt, dass partielle Einschränkungen dergestalt, dass die betroffene Person sich nicht in der gewünschten Weise bewegen kann bzw. möchte, nicht den Tatbestand des § 239 StGB begründen. 356 So noch die Entwürfe des Bundesrates in 238 IV StGB-E vom 27.04.2005 (BTDrucks. 15/5410) und vom 23.03.2006 (BT-Drucks. 16/1030). 357 Berechtigte Kritik daher auch von Gazeas, KJ 2006, 247 (261); ebenfalls kritisch bereits die Stellungnahme des Deutschen Richterbundes zu der vom Rechtsausschuss empfohlenen Fassung des Entwurfs eines Stalking-Bekämpfungsgesetzes, vgl. . Zweifel meldet indessen auch Rengier, BT II, § 26 a Rdnr. 14 an. Für den Fall des Suizids sieht der Deutsche Juristinnenbund das Problem, dass der Suizid ebenso straflos ist, wie die Teilnahme daran; siehe die Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes v. 13.10.2006 zur öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 18.10.2006, ; siehe auch Neubacher/Seher, JZ 2007, 1029 (1035).

7. Kapitel

Die Zurechnung von Retterverhalten 12. Abschnitt

Retterfälle in der Rechtsprechung Ebenso wie im Rahmen der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik lässt sich die vorfindbare Rechtsprechung in Bezug auf erfolgsqualifizierte Delikte in eine Schädigung durch den Retter und in eine Schädigung des Retters selbst aufgliedern. Zunächst gilt unser Augenmerk auch hier Fällen, die durch ein fehlsames Retterverhalten in Form der fehlerhaften ärztlichen Behandlung gekennzeichnet sind. Eine andere Form der fehlerhaften Abwendung und damit der Schädigung durch den Retter kann im Fall von polizeilichen Befreiungsaktionen in Erscheinung treten. Diese Konstellation wird unten (C.) behandelt werden. A. Der Retter als Schädiger: Körperverletzung mit Todesfolge – § 227 StGB I. BGH bei Dallinger MDR 1976, 16 Der A stieß den Körper des B mindestens zweimal so heftig gegen eine Sitzbank, so dass der Kopf auf der hölzernen Rückenlehne oder der ebenfalls hölzernen Sitzfläche aufschlug. Infolge der Gewalteinwirkung auf den Kopf des B zerriss bei diesem ein kleiner Ast der mittleren linken Hirnschlagader und es kam – von den behandelnden Ärzten nicht rechtzeitig erkannt – zu einer Blutung zwischen den Hirnhäuten, an deren Folgen der B trotz eines nun vorgenommenen chirurgischen Eingriffs am dritten Tag verstarb. Der BGH bestätigte die tatrichterliche Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge.

Der BGH sieht den erforderlichen Gefahrverwirklichungszusammenhang als gegeben. Der Eintritt des Todes sei Ausdruck der dem Grundtatbestand innewohnenden Gefahr, denn wuchtiges Aufschlagen des Kopfes könne Gehirnblutungen und den Tod zur Folge haben. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Hirnblutung von den behandelnden Ärzten nicht rechtzeitig erkannt worden sei. „Der Angekl. hat die Bedingung für den Eintritt des Todes durch seine Verletzungshandlung gesetzt. Der dadurch geschaffenen eigentümlichen Gefahr ist der Getötete auch dann erlegen, wenn die weiteren Faktoren dabei

12. Abschn.: Retterfälle in der Rechtsprechung

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mitgewirkt haben.“1 Den Schuldvorwurf sieht der BGH in der im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung liegenden Voraussehbarkeit des schweren Erfolges begründet, womit die ständige Rechtsprechung bestätigt wird, die die Voraussehbarkeit als entscheidendes Merkmal der erfolgsqualifizierten Delikte ansieht. Dabei sei es ausreichend, wenn der Geschehensverlauf im allgemeinen vorhersehbar sei, Einzelheiten müssten nicht voraussehbar sein. Deshalb sei es nicht erforderlich, dass das von den behandelnden Ärzten verspätet erkannte Hirnbluten vorhersehbar gewesen sei.2 Die Argumentation des BGH erweist sich als sehr dürftig. Eine Klassifizierung des nachträglichen ärztlichen Fehlverhaltens findet nicht statt; auch die Frage, inwieweit der Verschuldensgrad des Retterverhaltens die Erfolgszurechnung beeinflussen könnte, unterbleibt. Diesbezüglich hat das OLG Stuttgart in der Entscheidung aus dem Jahr 19803 deutlich mehr Problembewusstsein gezeigt. Insbesondere lässt sich aus den von Dallinger mitgeteilten Urteilsgründen nicht erkennen, an welchem Maßstab der BGH das spezifische Unmittelbarkeitskriterium bemisst. Die dargelegte Zurechnungsbegründung geht schließlich nicht über die Erklärung des Zurechnungszusammenhanges im Rahmen des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts hinaus. II. BGHSt 31, 96 Dem Urteil aus dem Jahre 1982 lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Angeklagte warf den Hochsitz um, auf dem der Onkel des Angeklagten saß. Der Abstand zwischen der Sitzfläche des Hochsitzes und dem Waldboden betrug ca. 3,50 m. Das Opfer erlitt bei dem Sturz einen Bruch des rechten Knöchels (Sprunggelenksfraktur). Der Bruch wurde in der Klinik operativ behandelt. Nach ca. drei Wochen wurde der Onkel aus der Klink entlassen. Weder hierbei noch vorher waren ihm blutverflüssigende Mittel gegeben oder Anweisungen darüber erteilt worden, wie er sich zu Hause zu verhalten habe. Nachdem der Onkel zu Hause ca. zwei Wochen in bettlägerigem Zustand verbracht hatte, wurde er mit akuten Atembeschwerden in das Klinikum eingeliefert, wo er noch am selben Tag verstarb. Todesursache war ein Herz-Lungen-Versagen infolge des Zusammenwirkens einer doppelseitigen Lungenembolie mit einer Lungenentzündung in beiden Lungenunterlappen. Die Lungenembolie und Lungenentzündung hatten sich wegen mangelnder Bewegung und der fehlender Verabreichung blutverdünnender Medikamente entwickelt. Der BGH gab der Revision der Staatsanwaltschaft statt und hob das Urteil des Landgerichts auf, da er eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge für angezeigt hielt.

1 2 3

BGH bei Dallinger MDR 1976, 16. Vgl. BGH bei Dallinger MDR 1976, 16. Vgl. OLG Stuttgart JZ 1980, 618 (621) und bereits oben 2. Abschnitt, B.II.1.

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Der BGH problematisiert die Frage, ob der Todeserfolg dem Neffen als fahrlässig von ihm verursacht zuzurechnen ist, erst gar nicht, sondern setzt sich alleine mit der gesteigerten Zurechnung im Rahmen der Körperverletzung mit Todesfolge auseinander. Hierbei legt er in seiner „Hochsitz-Entscheidung“ dar, dass sich aus dem Sinn und Zweck des § 227 StGB ergebe, dass die Vorschrift nur solche Körperverletzungen erfassen wolle, denen die spezifische Gefahr anhafte, zum Tod des Opfers zu führen. Soweit der BGH diese Voraussetzung in Fällen verneint habe, in denen der Tod des Verletzten nicht unmittelbar durch die Körperverletzung, sondern durch das Eingreifen eines Dritten oder das Verhalten des Opfers herbeigeführt worden sei, könne daraus nicht geschlossen werden, dass die Anwendung des § 227 StGB stets ausgeschlossen sei, wenn die „Körperverletzungsfolge“4, d.h. der Körperverletzungserfolg, für sich gesehen nicht mit dem Risiko eines tödlichen Ausganges behaftet erscheine und der Tod des Verletzten erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände herbeigeführt werde.5 Es komme nämlich nicht nur auf die zunächst eingetretene Körperverletzungsfolge an, sondern der Schutzzweck der Vorschrift erfasse auch das Handeln des Täters, das zu der Körperverletzungsfolge geführt habe.6 „Demnach reicht für den Tatbestand des § 226 StGB7 bereits aus, daß der Körperverletzungshandlung das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftet und sich dann dieses dem Handeln des Täters eigentümliche Risiko im Eintritt des Todes verwirklicht. [. . .] Liegt der tatsächliche Geschehensablauf, der Körperverletzung und Todesfolge miteinander verknüpft, nicht außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit – wie es etwa bei der außergewöhnlichen Verkettung unglücklicher Zufälle der Fall wäre –, dann kann sich im Tod des Opfers jene Gefahr verwirklicht haben, die bereits der Körperverletzungshandlung anhaftete; dies gilt auch dann, wenn diese Gefahr in der zunächst eingetretenen Verletzungsfolge als solcher noch nicht zum Ausdruck gekommen war.“8

4 Zu Recht kritisiert Bacher, S. 62 Fn. 166 die eigenartige Terminologie des Senats. 5 Vgl. BGHSt 31, 96 (99). 6 Vgl. BGHSt 31, 96 (99). 7 Heute § 227 StGB. 8 BGHSt 31, 96 (99 f.) (Hervorhebung im Original). Dies hat zum einen Ähnlichkeit mit der Grunddeliktsadäquanz wie sie Wolter vertritt: Für ihn darf die Grundhandlung nicht vollkommen tötungsungefährlich sein – „Mit einem solch’ harmlosen Schlag kann man einen Menschen doch nicht umbringen“, vgl. Wolter, JuS 1981, 168 (176) und oben 10. Abschnitt, III.6.; Wolter lässt § 227 StGB jedenfalls an der fehlenden Zwangsläufigkeit des Todesrisikos scheitern, siehe Wolter, GA 1984, 443 (447 Fn. 31). Zum anderen lässt sich in dieser Argumentation eine Nähe zum Modell Horns/Wolters’ (siehe oben 10. Abschnitt, A.III.4.) erkennen, vgl. auch Heinrich/Reinbacher, Jura 2005, 743 (749 Fn. 66).

12. Abschn.: Retterfälle in der Rechtsprechung

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Gerade eine solche Handlung sieht der BGH hier für gegeben, indem der Angeklagte den Hochsitz umwarf und damit für seinen Onkel ein tödliches Risiko setzte. Der Umstand, dass es infolge des Krankenlagers zu gefährlichen Embolien und Lungenentzündungen gekommen sei, auch dass deren Entwicklung verkannt und wirksame Gegenmaßnahmen unterblieben seien, sei nicht in einem solchen Maß unwahrscheinlich, dass hierdurch der Zurechnungszusammenhang unterbrochen werde.9 Ausführungen zur Klassifizierung des Kunstfehlers unterbleiben. Den Tod konnte der Angeklagte nach der Ansicht des BGH auch objektiv vorhersehen, da er zum Zeitpunkt des Umwerfens des Hochsitzes im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung erkennen konnte, dass seine Handlung den Tod des Opfers nach sich ziehen würde, wobei sich die Vorhersehbarkeit nicht auf alle Einzelheiten des daran anschließenden, zum Tode führenden Geschehensablaufs erstrecken braucht.10 Die individuelle Fahrlässigkeit könne nur dann entfallen, wenn der Angeklagte nach seinem individuell-persönlichen Wissensund Erfahrungsstands nicht in der Lage gewesen sei, sich den Tod des Opfers als mögliche Folge vorzustellen.11 Die Sichtweise des BGH vermag nicht zu überzeugen.12 Die Entscheidung offenbart auch unter Zugrundelegung der Handlungslösung eine offensichtliche Friktion. Der Streitstand, ob für den Gefahrverwirklichungszusammenhang alleine auf den Grunddeliktserfolg abzustellen ist oder ob auch die Grundhandlung zu dessen Beurteilung herangezogen werden muss, bleibt für die Beurteilung des „Hochsitz-Falles“ ohne Bedeutung, da jedenfalls ein Körperverletzungserfolg (Sprunggelenksfraktur) eingetreten ist.13 Dass der BGH dennoch die Körperverletzungshandlung heranzieht, kann nur darin liegen, dass sich offenbar mit dem Abstellen alleine auf den Körperverletzungserfolg die Anwendbarkeit des § 227 StGB nicht begründen ließe, da zunächst lediglich eine verhältnismäßig geringe Verletzung eingetreten ist, der die spezifische Todesgefährlichkeit nicht innewohnt.14 Man wird sich vor diesem Hintergrund aber fragen müssen, warum, wenn nach Ansicht des BGH nicht schon der konkrete Körperverletzungserfolg die Erfolgsqualifikation zu begründen vermag, die „Abkürzung“15 über die Körper9 Siehe BGHSt 31, 96 (100). Schlapp sieht in dieser Argumentation einen Zirkelschluss, vgl. Schlapp, StV 1983, 62 (63). Implizit aber bestätigt durch BGH NStZ-RR 2000, 265. 10 Siehe BGHSt 31, 96 (101). 11 Vgl. BGHSt 31, 96 (101). 12 Zustimmend aber Hassemer, JuS 1983, 227. 13 Klarstellend Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 219 Fn. 35; Puppe, Erfolgszurechnung, S. 206; Bacher, S. 63. 14 Vgl. Stree, JZ 1983, 75. 15 Sowada, Jura 1994, 643 (648).

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

verletzungshandlung hierzu ausreichen soll.16 Denn die Körperverletzungshandlung ist richtigerweise nicht danach zu beurteilen, was sie möglicherweise hätte ausrichten können, sondern was sie tatsächlich bewirkt hat.17 Alleine die größere Handlungsgefährlichkeit, die sich nicht ausgewirkt hat, begründet als solche trotz der mit ihr verbundenen Steigerung des Handlungsunwertes nicht den besonderen Unrechtsgehalt, der den erfolgsqualifizierten Delikten das Gepräge gibt.18 Nicht klar ist des Weiteren, warum die Sichtweise im „Hochsitz-Fall“ nicht der Prämisse der „Rötzel-Entscheidung“ entgegenstehen soll, denn auch hier wurde der Unmittelbarkeitszusammenhang an der Grundhandlung gemessen. Angenommen, der Onkel wäre dem „Heruntergestürztwerden“ durch seinen Neffen zuvorgekommen und hätte sich durch Hinunterspringen zu retten versucht und dabei den Tod gefunden, müsste dann nicht gerade nach der Kennzeichnung des Unmittelbarkeitskriteriums durch die „Rötzel-Entscheidung“ eine Verurteilung wegen versuchter19 Körperverletzung mit Todesfolge unterbleiben?20 Nicht schlüssig sind weiter die Ausführungen des BGH zur Voraussehbarkeit: Denn wenn der BGH die einzelnen Stationen des Kausalverlaufs von der auf die Körperverletzung gerichteten Handlung für voraussehbar erklärt, so erscheint es widersprüchlich, die vom Verletzungserfolg an bestehende Situation nicht mehr für voraussehbar zu halten – wovon der BGH offensichtlich ausgeht, wenn er ausführt, dass der Körperverletzungserfolg harmlos gewesen und dessen Natur nach nicht mit dem Risiko des tödlichen Ausgangs behaftet gewesen sein soll.21 Die Fokussierung des BGH auf die Vorhersehbarkeit führt schließlich zu einer Aufweichung des erhobenen Unmittelbarkeitskriteriums, denn ein gegenüber der allgemeinen Fahrlässigkeit weiterreichendes Merkmal wird nicht behandelt.22

16 Zu Recht sieht Maiwald, JuS 1984, 439 (443) in dieser Argumentation einen Denkfehler des BGH. 17 Instruktiv Stree, JZ 1983, 75; Maiwald, JuS 1984, 439 (443). 18 Vgl. Stree, JZ 1983, 75. 19 Die Verurteilung wegen vollendeter Körperverletzung mit Todesfolge setzt voraus, dass jedenfalls überhaupt ein vom Vorsatz gedeckter Körperverletzungserfolg eintritt – was bei einem unerwarteten Sprung ohne vorherige Körperverletzung (so aber im „Rötzel-Fall“) fraglich ist. 20 Berechtigter Einwand von Stree, JZ 1983, 75 (76). 21 Vgl. Maiwald, JuS 1984, 439 (444). Das alleinige Abstellen auf den Zeitpunkt der Handlung zur Beurteilung der Fahrlässigkeit ist indessen richtig und entspricht der allgemeinen Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, siehe Graul, JR 1992, 344 (345 Fn. 22) und bereits oben 10. Abschnitt, Fn. 221. 22 Siehe Maiwald, JuS 1984, 439 (444); Küpper, JA 1983, 229 (230); Hirsch, JR 1983, 78 (79).

12. Abschn.: Retterfälle in der Rechtsprechung

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B. Der Retter als Geschädigter: Brandstiftung mit Todesfolge – § 306 c StGB Einen Fall der Rettung von Sachwerten hatte bereits das RG 188123 zu beurteilen. Ein 14-jähriger Junge war beim Brand eines Fabrikationsschuppens ums Leben gekommen. Die Urteilsgründe des Tatgerichts ließen es als möglich erscheinen, dass der Junge sich bereits aus dem brennenden Schuppen gerettet hatte, in diesen aber zurückkehrte, um ein Paar ihm gehöriger Stiefel zu retten und erst bei diesem Unterfangen erstickte. Hinsichtlich der Beurteilung des § 309 StGB a. F. (fahrlässige Brandstiftung mit Todesfolge) führt der Senat aus, dass eine eventuelle Rückkehr in den Brandherd ohne Einfluss auf den erforderlichen unmittelbaren Kausalzusammenhang sei. „Die Rückkehr selbst war aber gleichfalls durch den seitens der Angeklagten fahrlässiger Weise herbeigeführten Brand veranlaßt; sie erfolgte behufs Rettung von dem B. gehörigen, in dem brennenden Schuppen zurückgebliebenen Gegenständen. Wäre daher auch ohne die Rückkehr der Tod des B. nicht eingetreten, so wird doch hierdurch der schließliche direkte ursächliche Zusammenhang zwischen Brand und Tod nicht aufgehoben; der erst bei Gelegenheit der Zurückkunft in den Schuppen erfolgte Tod ist immerhin durch den fahrlässiger Weise herbeigeführten Brand verursacht und damit die Anwendung der straferhöhenden Bestimmung des § 309 gerechtfertigt.“24 Eine andere Beurteilung sah das RG auch nicht wegen des Wortlauts des § 307 Nr. 1 StGB a. F. angebracht, der voraussetzte, dass das Opfer „zur Zeit der That in einer der in Brand gesetzten Räumlichkeiten sich befand“. Denn durch den eindeutigen Wortlaut der Bestimmung des § 309 StGB a. F. habe der Gesetzgeber dieses Erfordernis nicht in den Tatbestand einbezogen. Mit der grundlegenden Änderung der Brandstiftungsdelikte durch das 6. StrRG im Jahr 1998 setzt der Tatbestand der Brandstiftung mit Todesfolge (§ 306 c StGB) nun nicht mehr, wie zuvor § 307 Nr. 1 StGB a. F., voraus, dass sich das Opfer zum Tatzeitpunkt in den in Brand gesetzten Räumlichkeiten befunden haben muss.25 Vor diesem Hintergrund hätte der BGH seine im Jahr 1993 getroffene Entscheidung (BGHSt 39, 32226) heute an der Bestimmung des § 306 c StGB auszurichten. Da eine unter Geltung des 6. StrRG ergangene Entscheidung zur Brandstiftung mit Todesfolge bisher aussteht, müssen wir uns mit

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RGSt 5, 202. RGSt 5, 202 (203) (Hervorhebung im Original). 25 Der Bundesrat hatte sich demgegenüber in seiner Stellungnahme vom 16. Mai 1997 noch zu einer Beibehaltung der einschränkenden Bedingung ausgesprochen, siehe BT-Drucks. 13/8587, S. 71. 26 Siehe ausführlich unter dem Gesichtspunkt der Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung oben 3. Abschnitt, B.I. 24

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

der Darstellung der hierzu vorzufindenden Literaturansichten begnügen (siehe dazu unten 13. Abschnitt, B.).27 C. Fehlgehende Befreiungsaktionen: Geiselnahme mit Todesfolge – §§ 239 b II i.V. m. 239 a III StGB Während die zur Körperverletzung mit Todesfolge ergangenen Entscheidungen durch ein fehlerhaftes Retterverhalten in Form des ärztlichen Fehlverhaltens gekennzeichnet waren und in den Fällen der Brandstiftung mit Todesfolge der Retter selbst zum Opfer wurde, stellt sich bei der Geiselnahme eine differenzierende Konstellation: Hier agiert der Retter in Gestalt der polizeilichen Spezialeinheit, die auf Befreiung der Geisel ausgerichtet ist. I. Von der Polizei erkannte Geiselnahme: BGHSt 33, 322 (obiter dictum)

Der BGH28 hatte in seinem Urteil aus dem Jahr 1985 über eine Entscheidung des LG Aachen29 aus dem Jahr 1984 zu entscheiden, das die Angeklagten unter anderem wegen Geiselnahme mit Todesfolge zu hohen Haftstrafen verurteilte. Dem Urteil des LG Aachen lag verkürzt der Sachverhalt zu Grunde, dass Polizisten auf ein mit den Angeklagten und zwei Geiseln – wobei eine der Geiseln das Fahrzeug führen musste – besetztes Fluchtauto schossen, nachdem einer der Angeklagten einen Schuss auf einen Polizisten abgegeben hatte und dadurch die zwei Geiseln tödlich verletzten.30 Die Besonderheit lag darin, dass die Polizisten nicht wussten, dass Geiseln genommen wurden, sie hielten alle Insassen des flüchtenden PKW für auf frischer Tat betroffene Straftäter.31

27 Im Rahmen der §§ 306 a II, 306 b II Nr. 1 StGB wirkt sich das Problem der Retterfälle praktisch nicht aus, da jedenfalls regelmäßig eine Gefährdung der hilfsbedürftigen brandbedrohten Personen vorliegt; siehe auch Reinbacher, Jura 2007, 382 (388). Abgesehen davon sind bei diesen Gefährdungstatbeständen Retterschäden schon deshalb auszunehmen, da sie andernfalls bei fast jeder Brandstiftung eingreifen würden; vgl. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 51 Rdnr. 34. Bei § 306 b I StGB handelt es sich um ein erfolgsqualifiziertes Delikt (vgl. Sch/Sch/Heine, § 306 b Rdnr. 1), so dass die Ausführungen hinsichtlich § 306 c StGB entsprechend gelten. 28 Der Sachverhalt ist in BGHSt 33, 322 nur sehr verkürzt, ausführlicher jedoch in BGH NStZ 1986, 116 dargestellt. 29 LG Aachen v. 25.10.1984 – 62 Ks 41 Js 614/83 (unveröffentlicht). 30 Siehe BGH NStZ 1986, 116. Während eine der Geiseln den auf das Fluchtauto abgegebenen Schüssen aus den Maschinenpistolen der Polizisten erlag, wurde die zweite Geisel aus Schüssen aus der Dienstpistole einer der Polizisten getötet, als es versuchte, Schutz in einer Garageneinfahrt zu finden, wobei zu diesem Zeitpunkt der eine Geiselnehmer handlungsunfähig verletzt im Fond des Fahrzeugs lag und der andere sich bereits entwaffnet und ergeben hatte. 31 Vgl. BGHSt 33, 322 (325).

12. Abschn.: Retterfälle in der Rechtsprechung

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In einem ausführlichen obiter dictum nimmt der BGH in seinen Entscheidungsgründen zunächst Stellung zur Situation einer tödlich verlaufenden Befreiungsaktion bei erkannter Geiselnahme. Unter Rekurs auf das durch die „RötzelEntscheidung“ geprägte Unmittelbarkeitsverständnis führt der BGH aus, dass dieses für die Begrenzung der Erfolgshaftung bei einer Geiselnahme mit Todesfolge kein taugliches Mittel liefert, soweit das Unmittelbarkeitskriterium bei § 227 StGB solche Fälle aus dem Qualifikationstatbestand ausgrenzen soll, in denen der Tod des Opfers nur mittelbar durch das Eingreifen eines Dritten oder das eigene Verhalten des Opfers herbeigeführt wird.32 Der Tatbestand der Geiselnahme erfasse nämlich Vorgänge, die regelmäßig eine ganz besondere erhöhte Gefahr für das Leben der Menschen mit sich bringen würden, die sich in der Hand eines anderen befänden. Deshalb würde ein solch restriktives Unmittelbarkeitsverständnis wie bei § 227 StGB im Rahmen der Geiselnahme mit Todesfolge die Haftung der Täter allzu sehr einschränken.33 Anwendung soll der Qualifikationstatbestand daher (soweit das Leichtfertigkeitserfordernis vorliegt) auch dann finden, wenn der Tod infolge einer Befreiungsaktion eintritt, sei es, dass das Opfer selbst versucht, sich zu befreien, oder das Erpressungsopfer oder ein Dritter – namentlich die Polizei – einen solchen Versuch unternimmt. „Eine ganz besondere, erhöhte Gefahr für das Leben der Geisel erwächst regelmäßig auch daraus, daß die mit der Geiselnahme geschaffene Zwangslage Dritte, insbesondere die Polizei, dazu veranlaßt, risikobehaftete Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um eine unerträglich gewordene Situation zu beenden oder noch größeres Unheil zu verhindern. Kommt infolge solcher Gegenmaßnahmen die Geisel zu Tode – wie es etwa bei einer polizeilichen Befreiungsaktion nach Ablauf des von den Geiselnehmern gestellten Ultimatums geschehen kann – so muß der Täter nach Maßgabe des Qualifikationstatbestands für diesen Erfolg einstehen.“34 II. Von der Polizei nicht erkannte Geiselnahme: BGHSt 33, 322

Die Verkennung der Situation durch die Polizeibeamten prägte die Feststellungen von BGHSt 33, 322. Die Polizisten waren sich der Bemächtigung der Geiseln nicht bewusst. Vor diesem Hintergrund geht der BGH davon aus, dass sich keine für die Geiselnahme tatbestandsspezifische Gefahr verwirklicht hat. Da es nicht galt, die für die Geiseln bestehende Zwangslage zu beseitigen, sondern das Handeln der Polizeibeamten allein der Bewältigung der Verfolgung und des Stellens der Straftäter eines gerade verübten Banküberfalles galt, prägte diese Situationsverkennung den Geschehensablauf. Aus diesem Irrtum erwuchs die Gefahr für das Leben der Geiseln, nicht aus dem durch den Grundtatbestand 32 33 34

Vgl. BGHSt 33, 322 (323 f.). Vgl. BGHSt 33, 322 (323 f.). BGHSt 33, 322 (324).

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

vermittelten Zusammenhang.35 Folglich hält der BGH in der erneuten Hauptverhandlung alleine die Prüfung einer fahrlässigen Tötung für angebracht. Diese Differenzierung durch den BGH sieht sich gewissen Bedenken ausgesetzt. Es fragt sich, warum die subjektive Einschätzung durch den Eingreifenden den Weg zur Erfolgsqualifikation bestimmen soll. Denn auch im Falle der nicht erkannten Geiselnahme richtet sich die Einwirkung in ihrer Intention nicht gegen das Subjekt des bemächtigten Opfers in seiner Rolle als Tatopfer. Der Eingreifende verkennt vielmehr die Situation und glaubt alleine seiner Funktion als repressives Strafverfolgungsorgan nachzukommen. Eine Angriffsrichtung gegen das als solches erkannte Bemächtigungsopfer liegt in dem Eingriffsverhalten somit nicht. Das Eingreifen stellt sich vielmehr als lediglich mittelbar vermittelter Angriff auf das bedrohte Rechtsgut dar. Ob dieser Umstand eine Differenzierung in der vom BGH vorgenommenen Weise zu rechtfertigen vermag, erscheint fraglich. Die Frage können wir zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch unbeantwortet lassen. Zunächst gilt es, die Zurechnungsbegründung im Rahmen der erkannten Geiselnahme zu klären. Für den Fall, dass sich bereits hier keine Zurechnung begründen ließe, müsste dies erst recht für den Fall der nicht erkannten Geiselnahme gelten. Einen wichtigen Gesichtpunkt zur Beantwortung der Zurechnungsfrage wird hierbei die Bestimmung des Organisationskreises des Täters bzw. der Täter bilden. 13. Abschnitt

Die Lösung von Retterfällen in der Literatur A. Der Retter als Schädiger: Körperverletzung mit Todesfolge – § 227 StGB I. Vertreter der Letalitätslehre und der Erfolgslösung

Resultiert der letztendliche Todeserfolg (auch) aus einem fehlerhaften ärztlichen Verhalten, so lässt sich für die Gefolgschaft der Letalitätslehre ein spezifischer Gefahrverwirklichungszusammenhang im Sinn von § 227 StGB nicht begründen. Nicht die inhärente Letalität der verursachten Verletzung als solche hat sich zum Tod hin entwickelt, sondern die Auswirkung des fehlsamen Retterverhaltens. Dem Urteil im „Hochsitz-Fall“ ist unter dieser Prämisse nicht zu folgen.36 Dass wir dem kategorischen Letalitätserfordernis indessen keine Folge 35

Siehe BGHSt 33, 322 (325). Siehe Küpper, JA 1983, 229 (230); Hirsch, JR 1983, 78 (80); Roxin, AT I, § 10 Rdnr. 116. 36

13. Abschn.: Die Lösung von Retterfällen in der Literatur

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leisten können, wurde bereits eingehend im Rahmen der Fluchtfälle herausgearbeitet.37 Autoren, die zwar einen vorgelagerten Körperverletzungserfolg zur Voraussetzung der Erfolgsqualifikation erheben, aber auf eine innewohnende Letalität desselben verzichten, müssen sich – da ein Körperverletzungserfolg bei der Hinzuziehung eines ärztlichen Retters logischerweise eingetreten ist, so auch im „Hochsitz-Fall“ – mit der Auswirkung des fehlerhaften Retterverhaltens auseinandersetzen. Insbesondere Bacher nimmt diese Beurteilung alleine nach den für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt entwickelten Kriterien vor.38 Anlehnend an die Systematik Burgstallers39 soll bis zur Grenze eines grob fahrlässigen Behandlungsfehlers keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhanges stattfinden. Da sich das „Hochsitz-Urteil“ nicht mit der Schwere des ärztlichen Fehlverhaltens auseinandersetzt, muss Bacher die Lösung des Falles offenlassen.40 II. Rengier

Rengier verortet die Zurechnungsproblematik fehlerhaften Retterverhaltens in der von ihm geprägten Typisierung der „grunddeliktsneutralen“ Zurechnungsebene, d.h. der Fallgruppe einer nachträglichen Schadensvergrößerung.41 Für ihn stehen damit spezifische, dem Grunddelikt innewohnenden Gefahren überhaupt nicht zur Debatte, sondern die Beurteilung hat alleine anhand der Erkenntnisse der allgemeinen Zurechnungslehre zu erfolgen.42 Rengier interpretiert das ärztliche Fehlverhalten ob der Verkennung von Embolien und Lungenentzündungen und des Unterlassens von Gegenmaßnahmen als grob fahrlässig43, womit sich für ihn die Verneinung des Zurechnungszusammenhanges ergibt.44 In Anbetracht eines ärztlichen Unterlassens scheint Rengier hierbei davon auszugehen, dass zum einen eine rechtliche Verpflichtung zur Abwendung durch die Ärzte bestand und die Versorgung auch übernommen

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Vgl. oben 10. Abschnitt, A.III.1. Vgl. Bacher, S. 63 f. Dies entspricht exakt der Ansicht Rengiers, der – allerdings als Vertreter der Handlungslösung – eine spezifische Zurechnungsbesonderheit der erfolgsqualifizierten Delikte in Abrede stellt. 39 Dazu oben 2. Abschnitt, B.IV.3.a)aa). 40 Siehe Bacher, S. 64. 41 Vgl. Rengier, Jura 1986, 143 (147). 42 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 167 f.; ders., Jura 1986, 143 (147). 43 So tendenziell auch Jäger, BT, Rdnr. 87. 44 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 167 f.; ders., Jura 1986, 143 (147); ebenso Sch/Sch/Stree, § 227 Rdnr. 5. Übereinstimmend – freilich für das österreichische Recht, d.h. ohne nähere Problematisierung eines Unmittelbarkeitsprinzips – Lewisch, Casebook, S. 119 (Nr. 235 c). 38

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

wurde.45 Dieses Erfordernis ist allerdings so offensichtlich, dass es von Rengier berechtigterweise nicht explizit dargelegt wird. Nach dem hier vertretenen Standpunkt lässt sich die Zurechnung jedoch nicht pauschal mit dem Verweis auf den Verschuldensgrad des eingreifenden Retters ausschließen. Bereits im Rahmen der Zurechnung hinsichtlich des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts haben wir festgestellt, dass für die Frage der Zurechnung fehlsamen Retterverhaltens das Fortwirken der gesetzten Ausgangsgefahr – und damit die Relation der Ausgangsgefahr zur Intention des eingreifenden Verhaltens und dessen Entsprechung mit der rechtlichen Erwartung – entscheidend ist.46 III. Hobe

Anders als Rengier scheint Hobe das ärztliche Fehlverhalten im „HochsitzFall“ als leichtes zu qualifizieren.47 Dennoch hält auch er die Annahme von § 227 StGB für verfehlt. In der Frage nach der „Gesamtaggressivität“48 gelangt Hobe zu der Erkenntnis, dass das fehlerhafte Retterverhalten und damit der Tod zwar objektiv zurechenbar sei, der Täter dieses Verhalten aber nicht sozial provoziert und damit auf den Erfolg nicht hingearbeitet habe – womit es eben nicht Bestandteil der streuenden Gesamtaggressivität werde.49 Auch wenn dem Modell Hobes insoweit nicht beigepflichtet werden kann, als es die Leichtfertigkeit zum ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal erklärt50, so verdient der Gedanke der streuenden Gesamtaggressivität jedoch insofern Aufmerksamkeit, als darin der Gesichtspunkt eines Organisationskreises bzw. eines Tatherrschaftsverständnisses zu erkennen ist. Exakt diese Problematik haben wir bereits für die Beurteilung der Fluchtfälle proklamiert. Während in den Fluchtfällen eine direkte Einwirkungsherrschaft des Täters auf sein Opfer auszumachen ist, scheint Hobe in den Retterfällen dieses Tatherrschaftsverständnis zu verneinen, da es an der sozialen Provokation und damit an einem Hinarbeiten auf den Enderfolg fehle. Die Ausführungen Hobes stellen sich allerdings lediglich als Ansatzpunkte dar, eine differenzierte Beurteilung nach der Auswirkung der Verschuldensgrade des Retterverhaltens unterbleibt. Auch wird nicht dargelegt, worin der wertungsmäßige Unterschied zu anderen Retterfällen besteht, bei denen Hobe den Zurechnungszusammenhang bejahen möchte. So will Hobe im 45 Zu diesem Aspekt in Rengiers Zurechnungsmodell siehe oben 2. Abschnitt, B.IV.2.c). 46 Vgl. oben 2. Abschnitt, B.V.4. 47 Vgl. Hobe, Busch-GS, S. 253 (267). 48 Siehe zu diesem Verständnis Hobes oben 10. Abschnitt, A.III.9. 49 Vgl. Hobe, Busch-GS, S. 253 (267). 50 Siehe kritisch bereits oben 10. Abschnitt, A.III.9.

13. Abschn.: Die Lösung von Retterfällen in der Literatur

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Fall BGHSt 33, 322 eine Zurechnung annehmen51, obwohl sich die Situation auch hier ob der falschen Einschätzung durch die Polizeibeamten als von einem fehlerhaften Retterverhalten geleitet darstellt. Warum hat der Täter dieses fehlerhafte Retterverhalten sozial provoziert bzw. darauf hingearbeitet? IV. Ferschl

Ferschl will entsprechend ihrer Systematik52 bei ärztlichem Fehlverhalten grundsätzlich von einer generellen Gefährlichkeit ausgehen.53 Hierbei geht sie von einer Berücksichtigung des Vertrauensgrundsatzes aus, was sie bei der Frage nach der Fortwirkung der unerlaubten Risikoschaffung des Primärtäters zu der Annahme führt, dass prinzipiell nur ein Unterlassen des Arztes dem Ersttäter zugerechnet werden könne, weil sich ausschließlich in diesem Fall die ursprüngliche Gefahr der Körperverletzung im Tod manifestiert habe.54 Bei einem aktiven Tatbeitrag des behandelnden Arztes stehe dieses Fehlverhalten derart im Vordergrund, dass das primäre Täterverhalten zurücktreten müsse. Indessen will Ferschl diese Abwägung alleine für das Delikt der Körperverletzung mit Todesfolge heranziehen, während sie für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt auch bei fehlsamen aktiven Tun des Arztes eine Zurechnung für gangbar hält.55 Für den Fall des ärztlichen Unterlassens fordert Ferschl darüber hinaus eine Abwägung der Tatbeiträge von Täter und Arzt. Hierbei differenziert sie folgendermaßen: Fehlt es an einer Behandlungsübernahme durch den Arzt, so soll immer eine Zurechnung zum Primärtäter erfolgen, unabhängig von einer Abwägung der Tatbeiträge. Hintergrund ist hierbei offenbar die Intention, Strafbarkeitslücken zu vermeiden, die dann entstünden, wenn weder dem Arzt gemäß § 323 c StGB noch dem Täter nach § 227 StGB der Tod des Opfers zugerechnet werden könnte.56 51 Vgl. Hobe, Busch-GS, S. 253 (267). Siehe ausführlich zu dieser Retterkonstellation oben 12. Abschnitt, C. und unten 13. Abschnitt, C. 52 Siehe oben 10. Abschnitt, A.III.10. 53 Vgl. Ferschl, S. 173. 54 Dazu Ferschl, S. 169 f., 174. Im Fall der speziellen Gefährlichkeit, d.h. wenn der Täter dahingehend Sonderwissen besitzt, dass er weiß, dass der das Opfer behandelnde Arzt nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelt, soll der Vertrauensgrundsatz ausgeschlossen sein und jedes Fehlverhalten des Arztes – auch durch aktives Tun – zugerechnet werden, vgl. Ferschl, S. 176. Auch Risiken des allgemeinen Lebens (Unfall des Krankenwagens auf dem Weg ins Krankenhaus, verursacht durch einen Dritten oder den Fahrer des Krankenwagens) sollen ausschließlich bei Sonderwissen des Täters eine Zurechnung begründen können, siehe Ferschl, S. 176 f. 55 Vgl. Ferschl, S. 174. Anders würde hier Rengier entscheiden, der bei einer normativen Verdrängung des primären Täterbeitrags weder eine Zurechnung für die Erfolgsqualifikation noch für das allgemeine Delikt der fahrlässigen Tötung anerkennen würde. 56 Vgl. Ferschl, S. 175.

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Liegt hingegen eine Behandlungsübernahme vor, die Ferschl mit dem aktiven Tätigwerden des Arztes festmachen will, so muss eine Abwägung der Tatbeiträge erfolgen. Für den Fall der vorsätzlichen Nichtbehandlung seitens des Arztes soll eine Zurechnung zum Täter wegen des erlebnismäßigen Übergewichts der vom Arzt gesetzten Gefahr ausscheiden.57 Auch eine grob fahrlässige Nichtbehandlung soll die Zurechnung ebenfalls entfallen lassen, „denn grob fahrlässiges Verhalten enthält einen noch vergleichsweise schwerwiegenden Verstoß wie das vorsätzliche Verhalten“58. Für leicht fahrlässiges Unterlassen sei dagegen von einem Überwiegen des Täterbeitrags auszugehen.59 Die Klassifizierung in die verschiedenen Fahrlässigkeitsgrade widerspricht der hier herausgearbeiteten Beurteilung. Für die Frage des Fortwirkens der vom Täter gesetzten Gefahr ist insbesondere auf die Intention des Helfers als Reaktion auf die vom Primärtäter gesetzte Gefahr abzustellen.60 Nicht überzeugend ist es ferner, wenn Ferschl die Frage des Fortwirkens der Ausgangsgefahr bei aktivem Retterverhalten für das erfolgsqualifizierte Delikt – hier keine Zurechnung – und das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt – hier Zurechnung denkbar – mit der Begründung unterschiedlich beurteilt, es bestünde bereits mit § 222 StGB eine ausreichende Bestrafungsmöglichkeit.61 Die Frage nach einem Strafbedürfnis hat mit der Frage der Fortwirkung einer Gefahr nichts zu tun.62 Auch das Argument, es könnte eine Strafbarkeitslücke eintreten, bildet keine tragfähige Grundlage dafür, bei fehlender Behandlungsübernahme durch den Arzt stets eine Zurechnung vorzunehmen. Ob eine Strafbarkeit des Primärtäters wegen § 227 StGB vorliegt, ist gerade zu prüfen. An der Fortwirkung der Gefahr kann es aber dann fehlen, wenn der Bereitschaftsarzt63 die mögliche Behandlungsübernahme verweigert – und damit seine eigene Strafbarkeit wegen unechten Unterlassens begründet. In diesem Fall verdrängt die Angriffsrichtung des Arztes die Ausgangsgefahr und eine Zurechnung zum Primärtäter scheidet aus. V. Puppe

Wie oben [2. Abschnitt, B.IV.7.d)] bereits dargelegt, gelangt Puppe grundsätzlich auch bei Vorliegen eines (groben) Behandlungsfehlers zu einer Zurech57 Vgl. Ferschl, S. 175. Dem ist zuzustimmen. Denn das Opfer sieht sich einer neuen Angriffsrichtung ausgesetzt, vgl. oben 2. Abschnitt, B.V.2.d). 58 Ferschl, S. 175 f. 59 Vgl. Ferschl, S. 176. 60 Siehe oben 2. Abschnitt, B.V.2.e). 61 Vgl. Ferschl, S. 174. 62 Siehe Puppe, Jura 1998, 21 (25) und oben 1. Abschnitt, B.III.2.b). Selbstverständlich ist die fehlerhafte ärztliche Behandlung im Rahmen der Bemessung der Strafhöhe zu berücksichtigen, vgl. BGH bei Holtz MDR 1979, 986; BGH NStZ-RR 2000, 265 (266) sowie Schäfer, Rdnr. 319 und Sch/Sch/Stree, § 46 Rdnr. 24. 63 Zur Garantenstellung des Bereitschaftsarztes siehe oben 2. Abschnitt, Fn. 111.

13. Abschn.: Die Lösung von Retterfällen in der Literatur

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nung mittels des genetischen Durchgängigkeitserfordernisses. Daher sieht sie auch im „Hochsitz-Fall“ das Durchgängigkeitserfordernis als erfüllt an.64 Für den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge schränkt Puppe das Durchgängigkeitserfordernis allerdings ein. Um einen über die Erfordernisse der allgemeinen Erfolgszurechnung hinausgehenden engeren Zusammenhang zwischen dem Körperverletzungserfolg und dem Todeserfolg zu erreichen, fordert Puppe eine zwangsläufige Verbindung der Folge der Körperverletzung mit dem Tod. Der Tod muss als Folge der Körperverletzung mit 100%iger Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden können, d.h. der Körperverletzungserfolg muss in einem strengen und objektiven Sinn notwendiger Bestandteil einer mit dessen Eintritt erfüllten, nach allgemeinen strikten Kausalgesetzen hinreichenden Bedingung für den Eintritt des Todes sein.65 Die so proklamierte Zwangsläufigkeit sei nicht mit der Verletzungsletalität identisch, denn es würden alle Begleitumstände in diese Gefahrbestimmung mit einbezogen.66 Auch sei die so verstandene Zwangsläufigkeit nicht mit dem Verständnis Wolters (siehe oben 10. Abschnitt, A.III.6.) identisch, denn dieser würde das Zwangsläufigkeitserfordernis in einem rein rhetorischem Sinn verstehen („besonders hoch“), während hier eine strenge Zwangsläufigkeit im Sinn einer naturgesetzlichen Erklärung gefordert werde.67 Dieses strenge Verständnis steht darüber hinaus einer von Puppe angedachten „potentiellen Letalität der Körperverletzungshandlung“68 entgegen. Danach wäre die Körperverletzung mit Todesfolge dogmatisch betrachtet ein „fahrlässiger Versuch der Herbeiführung einer letalen Verletzung in Kombination mit vorsätzlicher vollendeter Körperverletzung und einfach fahrlässig vollendeter Tötung“69. Denn eine Gefahr, die sich nicht realisiert habe, begründe keine Fahrlässigkeitshaftung für den Erfolg, sie sei und bleibe fahrlässiger Versuch, den das Strafgesetzbuch nicht kenne. Deshalb dürfe ein solcher auch nicht als unrechtssteigerndes Erfordernis in den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge hineininterpretiert werden.70 Für den Fall des letztlich zum Tode führenden ärztlichen Behandlungsfehlers fehlt es somit an der erforderlichen Realisierung der hundertprozentigen Erfolgsgefahr. „Sie realisiert sich nicht, wenn dieser Kausalprozeß durch einen anderen überholt wird, der durch ein dazwischentretendes Verhalten eines Drit64

Siehe Puppe, Erfolgszurechnung, S. 224. Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 226 f. Die Formulierung macht die Nähe zur Kausalerklärung Mackies (siehe oben 1. Abschnitt, A.IV.) deutlich. 66 Vgl. Puppe, NStZ 1983, 22 (24). 67 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 227 Fn. 327. 68 Puppe, Erfolgszurechnung, S. 230. 69 Puppe, Erfolgszurechnung, S. 230. 70 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 230. 65

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

ten bedingt war, mag auch dieser nichtdeterminierte Kausalprozeß an die vorsätzliche Körperverletzung oder deren determinierte Folgen anknüpfen.“71 Sobald also ärztliche Behandlungsfehler, gleich ob leicht oder grob fahrlässiger Art, für den Tod mitursächlich waren, entfällt eine Bestrafung wegen Körperverletzung mit Todesfolge.72 Da es an der zwangsläufigen Todesgefahr fehlt, wenn rettendes Eingreifen möglich ist, unterbricht auch pflichtwidriges Unterlassen den Unmittelbarkeitszusammenhang, womit im „Hochsitz-Fall“ eine Zurechnung ausscheidet; denn Maßnahmen zur Verhinderung der Embolie und der Lungenentzündung wären leicht möglich gewesen.73 Dem Ansatz Puppes wird insbesondere entgegengehalten, dass es – bei aller Bemühung um Tatbestands-Restriktionen – eine zu weit gehende Begünstigung des Primärtäters darstellt, wenn dieser durch jedwedes intervenierende Verhalten, d.h. auch solches leichtester Art, entlastet wird.74 Ob diesem Einwand gefolgt werden kann, soll an dieser Stelle noch unbeantwortet bleiben. Das Modell Puppes offenbart allerdings einen gravierenden Schwachpunkt. Denn wenn Puppe allein ab dem Zeitpunkt des Körperverletzungserfolgs die Frage nach der hundertprozentigen Determination stellt, so bleibt unklar, warum gerade dieser Zeitpunkt für die Prognose gewählt wird. Auf Grund der ex-post-Betrachtung des Geschehensablaufs wird nicht erkennbar, warum der gewählte Zeitpunkt leistungsfähiger sein soll als der Zeitpunkt des Handlungsvollzugs; denn ex post betrachtet ließe sich auch vom Zeitpunkt des Handlungsvollzugs eine eindeutige Prognose im Sinne Puppes treffen.75 B. Der Retter als Geschädigter: Brandstiftung mit Todesfolge – § 306 c StGB Während hinsichtlich § 227 StGB das fehlerhafte Retterverhalten grundsätzlich durch einen ärztlichen Behandlungsfehler gekennzeichnet ist, rückt für § 306 c StGB eine andere Berufsgruppe in den Vordergrund – die Angehörigen der Feuerwehr. Wie allerdings die Entscheidung BGHSt 39, 322 zeigt, kann sich auch ein (naher) Angehöriger zur Rettung entschließen und bei seinen Rettungsbemühungen, sei es im Rahmen eines gesetzlichen Handlungsgebots oder in einer darüber hinausgehenden Aufopferung, Schaden nehmen. Allen Konstellationen ist seit dem 6. StrRG eigen, dass der Tatbestand des § 306 c StGB nicht mehr voraussetzt, dass sich das Opfer – der Retter – bereits bei Tatbege-

71

Puppe, Erfolgszurechnung, S. 228. So auch Morgenstern, Jura 2002, 568 (572). 73 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 229; dies., NStZ 1983, 22 (24). 74 So NK/Paeffgen, § 227 Rdnr. 15. 75 Siehe zur dahingehenden Kritik NK/Paeffgen, § 227 Rdnr. 15; Stuckenberg, Jakobs-FS, S. 693 (702). 72

13. Abschn.: Die Lösung von Retterfällen in der Literatur

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hung in den in Brand gesetzten Räumlichkeiten befunden haben muss (siehe bereits oben 3. Abschnitt, B.I.1.). Im Ersten Teil dieser Arbeit wurde dargelegt, dass sich eine Zurechnung des fehlerhaften Retterverhaltens zum Verursacher der Gefahrenquelle unter der Prämisse einer normativen Korrespondenz von rechtlicher Erwartung und gegenüberstehendem Schutzinteresse des Helfers ausschließlich bei Vorliegen einer rechtlichen Handlungspflicht begründen lässt. Hieran fehlte es in dem der Entscheidung BGHSt 39, 322 zu Grunde liegenden Sachverhalt, so dass bereits auf der Ebene der allgemeinen Fahrlässigkeitshaftung eine Zuschreibung zum Gefahrenverursacher zu unterbleiben hat. Damit scheidet erst recht eine Zurechnung zum erfolgsqualifizierten Delikt aus, falls die Gefahrenquelle vorsätzlich begründet wurde. Denn die Zurechnung im Rahmen der Erfolgsqualifikation stellt eine erweiterte Zurechnung gegenüber dem allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikt dar (siehe oben 8. Abschnitt, E.). Der Ausschluss der Haftung für den Tod des Bruders gründet daher bereits in der fehlenden allgemeinen Fahrlässigkeitshaftung – die spezifische Zurechnungsproblematik im Rahmen des Unmittelbarkeitskriteriums stellt sich nicht. Unser Augenmerk gilt daher im Folgenden allein den Fällen, in denen eine rechtliche Handlungspflicht gegeben ist und damit bereits eine Haftung im Rahmen des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts besteht. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein mit Schutzausrüstung ausgestatteter Feuerwehrmann bei der Rettung Schaden erleidet. Für diese Fälle stellt sich die Frage, ob sich allein mit der Fahrlässigkeitszurechnung die Zuschreibung der Erfolgsqualifikation begründen lässt. Um diese Frage beantworten zu können, muss eine Auseinandersetzung mit der (unter Geltung des neuen Rechts) veröffentlichen Literatur zum Fall BGHSt 39, 322 stattfinden, auch wenn – wie bereits gesagt – nach dem hier vertretenen Modell eine Zurechnung in diesem Fall auszuscheiden hat. In der Mehrzahl der Besprechungen des Retterfalles von BGHSt 39, 322 auf der Grundlage des heute gültigen Rechts findet sich lediglich eine Übertragung der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik auf § 306 c StGB, ohne dass eine Auseinandersetzung mit der spezifischen Unmittelbarkeitsbeziehung der erfolgsqualifizierten Delikte als Ausfluss eines Restriktionsbedürfnisses stattfindet. Die Zurechnung wird folglich auch für die Brandstiftung mit Todesfolge bejaht, sei es unter dem Aspekt der fehlenden Freiverantwortlichkeit oder der Schaffung eines einsichtigen Motivs.76

76 Siehe Bindzus/Ludwig, JuS 1998, 1123 (1125) (Ausschluss der Zurechnung allein über fehlende Leichtfertigkeit); Cantzler, JA 1999, 474 (477); Geppert, Jura 1998, 597 (602); Gössel, Fälle und Lösungen, S. 183 (192); Hörnle, Jura 1998, 169 (182); Liesching, S. 131 (für den Fall der rechtlichen Verpflichtung); Rudolphi, Fälle, S. 148 ff.; Strauß, S. 69 (72 f.); SK/Wolters/Horn, § 306 c Rdnr. 4 und grundsätzlich auch Wrage, JuS 2003, 985 (991) sowie Kindhäuser, BT I, § 65 Rdnr. 32.

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Demgegenüber setzt sich eine Zahl von Autoren mit der neu entstandenen Problematik explizit auseinander. Die Würdigung reicht hierbei von einer grundsätzlichen Einbeziehung der Schädigung des hinzugekommenen Retters77 bis zum grundsätzlichen Ausschluss der Retterschäden78. Näher einzugehen bedarf es hierbei insbesondere auf die Ansichten von Rengier und Schünemann. I. Rengier

Rengier ist der Ansicht, dass das Eingriffsrisiko des Retters allgemein besteht, d.h. bei allen Unglücken und Straftaten nahe liegend ist. Daher fehle es an der speziellen tatbestandsspezifischen Gefahr der §§ 306 ff. StGB und damit auch an der spezifischen Todesfolge des § 306 c StGB.79 Dem ist insoweit zuzustimmen, als es um die Veranlassung zur Eingehung von Risiken überhaupt geht.80 Wie aus unserer bisherigen Untersuchung zu ersehen ist, stellt sich selbstgefährdendes Retterverhalten nicht als ein allein brandstiftungsspezifisches Risiko dar, sondern tritt ebenso bei Verkehrsunfällen, Arbeitsunfällen und jedweden anderen Gefahrensituationen in Erscheinung. Ob sich mit dieser Begründung allerdings methodisch ein Zurechnungsausschluss tragen lässt, erscheint fraglich. Denn in anderen Fallkonstellationen nimmt Rengier nunmehr durchaus auch bei eingreifendem Retterverhalten eine erfolgsqualifizierende Zurechnung an. Im Fall der fehlgehenden Befreiungsaktion bei erkannter Geiselnahme (vgl. BGHSt 33, 322 und oben 12. Abschnitt, C.I.) soll sich ein typisches grunddeliktisches Risiko der §§ 239 a, 239 b StGB verwirklichen.81 Das bemächtige Opfer werde also nicht irgendeinem Eingriffsrisiko, sondern einem tatbestandsspezifischen Risiko ausgesetzt. In gleicher Weise müsste dann konsequenterweise allerdings auch für § 306 c StGB argumentiert werden. Denn im Falle einer Brandstiftung wird der Retter nach diesem Verständnis auch nicht irgendeinem Risiko ausgesetzt, sondern gerade einem solchen, das für eine Brandstiftungssituation spezifisch ist, nämlich der Schädigungsgefahr durch Brandverletzungen oder Ersticken.82 Insoweit müsste man folgern, dass der geschädigte Retter durchaus einem brandstiftungs77 Vgl. Dencker/Struensee/Nelles/Stein, Einführung, Rdnr. 94 f.; LK/Wolff, Nachtrag § 306 c Rdnr. 2; Puppe, Erfolgszurechnung, S. 260 ff.; Kreß/Weißer, JA 2006, 115 (120); Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 2, § 51 Rdnr. 34 (anders aber für die Gefährdungstatbestände der §§ 306 a II, 306 b II Nr. 1 StGB). 78 Vgl. Rengier, JuS 1998, 397 (400); ders., BT II, § 40 Rdnr. 43; Schünemann, GA 1999, 207 (223); Bedenken jedenfalls bei Wolters, JR 1998, 271 (274). 79 Vgl. Rengier, JuS 1998, 397 (400); ders., BT II, § 40 Rdnr. 43. 80 Siehe Dencker/Struensee/Nelles/Stein, Einführung, Rdnr. 94. 81 Siehe zur Ansicht Rengiers unten C.I. 82 Vgl. Dencker/Struensee/Nelles/Stein, Einführung, Rdnr. 94. Kritisch auch Geppert, Jura 1998, 597 (602 Fn. 56); Kreß/Weißer, JA 2006, 115 (120); Noak/Collin, Jura 2006, 544 (547).

13. Abschn.: Die Lösung von Retterfällen in der Literatur

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spezifischen Risiko unterliegt. Daher wird Rengier entgegengehalten, das Eingreifen von Feuerwehrleuten sei nicht nur berufstypisch, sondern spezifisch brandstiftungstypisch.83 Selbst wenn viele Straftaten im Einzelfall andere Personen zu Rettungsmaßnahmen verleiten mögen, so ändere dies nichts daran, dass sich z. B. bei dem durch herabstürzendes Gebälk getöteten Feuerwehrmann gerade eine für die Brandlegung typische Gefahr realisiert habe.84 Auch dass dieselben Risiken bei einer auf reinem Unglück beruhenden Gefahrenlage – z. B. durch Blitzschlag – entstehen könnten, ändere an der Spezifität des Brandstiftungsrisikos nichts. Die Möglichkeit eines nichtdeliktischen Entstehens einer Gefahrenlage habe keinen Einfluss darauf, dass die in concreto durch Brandstiftung verursachte Gefahrenlage und die daraus erwachsenden Gesundheitsgefahren für Retter typische Folgen von Brandstiftungshandlungen seien.85 Auch könnte man aus dem Umstand, dass das Eingriffsrisiko allgemein, also potentiell für alle Straftatbestände besteht, schließen, dass es auch bei den entsprechenden Erfolgsqualifikationen ein tatbestandsspezifisches Risiko darstellen muss. Denn wenn das Risiko der Gesamtheit der Tatbestände eigen ist, so müsste dies im Umkehrschluss gerade auch für den jeweiligen Tatbestand als Element der Gesamtheit gelten. Methodisch zeigt sich die Argumentation Rengiers daher als angreifbar. II. Schünemann

Schünemann schließlich erreicht die Restriktion im Wege einer kriminalpolitischen Argumentation. Der Täter habe auf das Verhalten des Opfers im Angesicht der Gefahr keinerlei Einfluss mehr, und es würden sich schwer Sorgfaltsregeln dahin formulieren lassen, keine erst aus dem Leichtsinn der Opfer entstehende Gefahren zu schaffen. Die Bestrafung des Täters wegen Brandstiftung umfasse daher auch potentielle Retterschäden.86 Darüber hinaus gibt Schünemann zu bedenken, dass die relativ betrachtet harmlosere Brandstiftung, die das Gebäude nicht innerhalb kürzester Zeit überall in Flammen setzt, für die h. M. als die strafrechtlich schwerer wiegende zu beurteilen sein müsste, weil nur in diesen leichten Fällen leichtsinnige Rettungsaktionen bezüglich im Haus verbliebener Personen unternommen würden.87 Dies führt Schünemann zur Forderung, schon bei der fahrlässigen Tötung – und natürlich erst recht für § 306 c StGB – die strafrechtliche Haftung für den Retterschaden davon abhängig zu machen, dass sich das spätere Opfer zur Zeit der Tat bereits in den in Brand 83

Vgl. Jäger, AT, Rdnr. 50 Fn. 75. Siehe Heinrich/Reinbacher, Jura 2005, 743 (746). 85 Vgl. Murmann, Jura 2001, 258 (260). 86 Siehe Schünemann, GA 1999, 207 (223). 87 Vgl. Schünemann, GA 1999, 207 (223); so auch bereits ders., JA 1975, 715 (721). 84

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

gesetzten Räumlichkeiten befunden hat, was der gesetzlichen Regelung des § 307 Nr. 1 StGB a. F. entsprach.88 Dieser Argumentation ist allerdings entgegenzuhalten, dass durch den Strafrahmenspielraum der Tatbestände der von Schünemann befürchteten Friktion entgegengewirkt werden kann, denn ein rücksichtsloseres Vorgehen wird regelmäßig ein höheres Strafmaß nach sich ziehen, als das einer „harmloseren Brandstiftung“.89 Eine Besserstellung des skrupellosen Täters scheint somit kriminalpolitisch nicht nahe liegend. C. Fehlgehende Befreiungsaktionen: Geiselnahme mit Todesfolge – §§ 239 b II i.V. m. 239 a III StGB I. Von der Polizei erkannte Geiselnahme

Die eingehende Auseinandersetzung des BGH zum Fall der Befreiungsaktion bei erkannter Geiselnahme – die der Entscheidung BGHSt 33, 322 nicht zu Grunde lag – trifft in der Literatur fast ausnahmslos auf Zustimmung. Das Opfer sei seiner sozialen Schutzzone entzogen und befinde sich in einer andauernden räumlichen Zwangssituation. Dabei wird übereinstimmend davon ausgegangen, dass die typische Gefahr der vom Geiselnehmer geschaffenen Notsituation auch darin bestehe, dass die Polizeikräfte unter hohen Stress gesetzt und Leistungen von ihnen gefordert würden, wie sie ihnen normalerweise nicht abverlangt würden. Deshalb sei der Täter auch für ein Versagen der Retter in der von ihm geschaffenen Notsituation in vollem Umfang nach § 239 a III StGB verantwortlich, soweit das Verhalten der eingreifenden Retter auf Aufhebung dieses Zustands gerichtet sei.90 Dieser Sichtweise scheint nun auch Rengier zu folgen, soweit er den Tod infolge einer Befreiungsaktion zu den grunddeliktischen Risiken der §§ 239 a, 239 b StGB rechnet.91 Das Ergebnis steht damit entgegengesetzt zu einer Lösung, die sich unter Zugrundelegung des Nötigungsnotstandsmodells ergeben würde. Denn hiernach käme ein Zurechnungszusammenhang zwischen Grund88 Vgl. Schünemann, GA 1999, 207 (223). Damit stellt sich jedenfalls für Brandfälle ein gleichfalls radikaler Zurechnungsausschluss von Schädigungen hinzugekommener Retter dar wie bei Roxin. 89 Siehe hierzu bereits oben 3. Abschnitt, E.V.1. sowie Frisch, S. 480 f. 90 Vgl. Puppe, Erfolgszurechnung, S. 242; Brambach, S. 142 ff. (für den Fall, dass die Polizisten nicht leichtfertig handeln); Ferschl, S. 267 („generelle Gefährlichkeit“); Fischer, NStZ 1986, 314; Geppert, JK 86, § 239 a/1; Küpper, NStZ 1986, 117; Laubenthal, Jura 1989, 99 (102); Feilcke, S. 63; LK/Träger/Schluckebier, § 239 a Rdnr. 24; Marxen, Fälle, S. 66; MK/Renzikowski, § 239 a Rdnr. 81; Kindhäuser, BT I, § 16 Rdnr. 21; NK/Sonnen, § 239 a Rdnr. 25; Wolter, JR 1986, 465; Wessels/Hettinger, BT 1, Rdnr. 460 sowie Zschieschack, S. 110. 91 Vgl. Rengier, BT II, § 24 Rdnr. 37.

13. Abschn.: Die Lösung von Retterfällen in der Literatur

393

delikt und qualifizierendem Erfolg nur insofern zur Annahme, als die Befreiungsaktion einer Zwangslage entspringen würde, in welcher sich der Eingreifende in einer der § 35 I StGB entsprechenden Notstandslage befände. Dies wäre bei einer versuchten Befreiung durch ein Sondereinsatzkommando indessen nie der Fall, da es an der entsprechenden Nähebeziehung i. S. d. § 35 I StGB fehlen würde.92 Würde dagegen der Vater der bemächtigten Person beim Versuch, den Geiselnehmer zu treffen, sein eigenes entführtes Kind tödlich verletzten, so stünde einer Zurechnung zur Erfolgsqualifikation nach diesem Modell nichts im Wege, da das erforderliche Näheverhältnis des § 35 I StGB bestünde.93 Die Erfolgszurechnung wird damit aber letztlich von Umständen, die für den Täter unberechenbar sind und den Unrechtsgehalt der Tat ersichtlich nicht tragen, abhängig gemacht. Der Schuss des Vaters, der die Erfolgsqualifikation begründet, scheint gerade weniger grunddeliktstypisch zu sein – warum schießt der Vater und kein Scharfschütze, woher hat der Vater die Waffe, warum lässt die Polizei, so sie Kenntnis von dem Vorhaben des Eingreifenden hat, ein solches Verhalten zu? Vielleicht auch vor diesem Hintergrund zieht Rengier sein ursprüngliches Modell zur Beurteilung der Befreiungsaktionen nicht mehr heran. Auf jeden Fall zeigt sich, dass – so sehr das Konstrukt der (fiktiven) mittelbaren Täterschaft in den Fluchtfällen zu überzeugenden Ergebnissen führt – diese Konstruktion in den durch Befreiungsaktionen gekennzeichneten Retterfällen nicht voll zu überzeugen vermag. II. Von der Polizei nicht erkannte Geiselnahme

Demgegenüber widerspricht eine gewichtige Anzahl von Autoren dem Restriktionsbemühen des BGH im Fall der nicht erkannten Geiselnahme – Fall BGHSt 33, 322. Auch in diesem Fall habe der Täter die Opfer so eng an sich gebunden, dass eine typische Lebensgefahr begründet werde. Der Täter besitze daher eine überlegene Vermeidemacht gegenüber den handelnden Polizeibeamten. Maßstab müsse also die objektive Lage und nicht die subjektive Vorstellung des eingreifenden Dritten sein.94

92 So ausdrücklich Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 188 f.; ders., Jura 1986, 143 (146). 93 Siehe Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 189. 94 Siehe Fischer, NStZ 1986, 314; LK/Träger/Schluckebier, § 239 a Rdnr. 25; Löffeler, JA 1986, 288; Ferschl, S. 267; Geppert, JK 86, § 239 a/1; MK/Renzikowski, § 239 a Rdnr. 82; Hobe, Busch-GS, S. 253 (267); Wolter, JR 1986, 465 (468 f.): Unbeherrschbarkeit des Geschehens und Schutzanspruch der Geiseln auf Eingriff. Auch Roxin; AT I, § 10 Rdnr. 118 meldet Zweifel an die Ausklammerung dieser Fallvariante an.

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Die Ausrichtung anhand eines objektiven Maßstabes erweist sich als grundsätzlich zustimmungsfähig. Bereits im Rahmen der Fluchtfälle hat sich gezeigt, dass die Beurteilung des Konfrontationsbereiches anhand einer objektiven Betrachtung zu erfolgen hat.95 Näher konkretisieren lässt sich der Beurteilungsmaßstab insbesondere mit der Frage nach dem dem Täter obliegenden Organisationskreis. III. Der Maßstab des Organisationskreises bei Krehl

Eine gänzlich restriktive Haltung nimmt alleine Krehl ein.96 Für Krehl fehlt es in der Entscheidung BGHSt 33, 322 an der erforderlichen spezifischen Gefahr – allerdings nicht infolge der nicht erkannten Geiselnahme, sondern mangels Pflichtwidrigkeitszusammenhangs an sich. Unabhängig davon, ob die Geiselnahme erkannt oder nicht erkannt worden sei, ob die eingreifenden Retter grob fahrlässig handeln würden oder nicht, in jedem Fall verwirkliche sich eine Gefahr, die nicht zum Organisationskreis der Täter gehöre.97 Der Organisationskreis des Täters würde nur dann betroffen, wenn er das Eingreifen von Dritten in besonderem, vom normalen Maße der Geiselnahme abweichenden, Quantum herausgefordert habe. In BGHSt 33, 322 hätten die Täter keine solche Herausforderungslage geschaffen – insbesondere hätten sie die Polizei oder Dritte nicht von der Geiselnahme zur Erzwingung der Flucht informiert.98 Aus dieser Restriktion ergibt sich für Krehl über die Desavouierung des erfolgsqualifizierten Delikts weiter die Ablehnung einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung. Auch im Hinblick auf diesen Tatbestand sei der Organisationskreis der Täter nicht berührt. Jede andere Sichtweise – sogar eine Berücksichtigung auf der Ebene der Strafzumessung – würde eine nicht zu befürwortende Anlehnung an die Lehre vom versari in re illicita darstellen.99 Anders als Wolter100 erreicht Krehl mit dem Unbeherrschbarkeitskriterium ein gegensätzliches Ergebnis. Die Unbeherrschbarkeit wird nicht als spezifisches Kriterium der Gefahrschaffung für das bemächtigte Opfer angesehen, sondern mit der Unbeherrschbarkeit geht gerade ein Verlust an Gestaltungskraft und damit an Organisationsherrschaft für den Täter einher. Insoweit erweist sich das Verständnis Krehls der Argumentation Wolters gegenüber als überlegen. Denn soll vorsätzliches bzw. erfolgsqualifiziertes Unrecht dem Täter

95

Vgl. oben 11. Abschnitt, B.II. Ebenso restriktiv wohl auch Lüdeking-Kupzok, S. 221 f. 97 Vgl. Krehl, StV 1986, 432 (433). 98 Vgl. Krehl, StV 1986, 432 (433). 99 Vgl. Krehl, StV 1986, 432 (434). 100 Siehe Wolter, JR 1986, 465 (469). 96

14. Abschn.: Übertragung des eigenen Lösungsvorschlags auf Retterfälle

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schuldbegründend zugeschrieben werden, so erhebt sich gerade daraus die Notwendigkeit einer im weitesten Sinne beherrschenden Täterrolle.101 Das Modell Krehls bietet mit der Frage nach Organisationskreisen durchaus einen interessanten Ansatzpunkt zur Beurteilung der Befreiungsfälle. In der weiteren Arbeit wird zu prüfen sein, inwieweit mit diesem Kriterium eine notwendige Restriktion zu erreichen ist. Insbesondere bleibt zu fragen, ob dieses Kriterium mit Krehl auch für die Beurteilung des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts in Fällen fehlgehender Befreiungsaktionen heranzuziehen ist. Den Leitfaden der Beurteilung von Retterfällen bei den erfolgsqualifizierten Delikten muss daher – unabhängig davon, ob ein Fall ärztlichen Fehlverhaltens, die Schädigung eines Brandhelfers oder ein Befreiungsversuch vorliegt – jeweils die Frage bilden, ob die schwere Folge als Ausprägung der strikten Tatherrschaft durch den Täter anzusehen ist, bzw. der Eintritt der schweren Folge objektiv betrachtet dem Organisationskreis des Täters zugeschrieben werden kann. 14. Abschnitt

Übertragung des eigenen Lösungsvorschlags auf die Retterfälle A. Ausgangslage Auch im Rahmen der Erfolgsqualifikation können zwei grundsätzliche Fallkonstellationen differenziert werden. Einerseits die Schädigung durch den Retter, andererseits die Schädigung des Retters selbst. Die Schädigung durch den Retter kann zum einen in Form des ärztlichen Fehlverhaltens in Erscheinung treten. Im Ersten Teil (2. Abschnitt, B.V.) dieser Arbeit wurde bereits herausgearbeitet, dass sich die Zurechnung unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts maßgeblich danach bestimmt, welche Ausgangsgefahr durch den Primärschädiger geschaffen wurde und in welcher Intention der Retter dem geschädigten Rechtsgut gegenübertritt, wobei nicht nach der Verhaltensmodalität des Retters zu differenzieren ist. Ist sein Vorgehen katechontisch geprägt, so begründet dies grundsätzlich eine Zurechnung zum Primärverursacher. Ein Regressverbot tritt in denjenigen Fällen ein, in denen dem Rechtsgut in einer neuen Angriffsrichtung gegenübergetreten wird. In diesem Fall entspricht der Eingriff nicht der rechtlichen Erwartung zur Abwendung der gesetzten Gefahr und ist daher nicht durch die Primärschädigung angelegt. Speziell für die erfolgsqualifizierten Delikte kann das Retterver101

Gegen das Verständnis Wolters siehe auch bereits oben 10. Abschnitt, A.III.6.

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

halten darüber hinaus durch einen fehlgehenden Befreiungsversuch gekennzeichnet sein, insbesondere durch einen fehlgehenden finalen Rettungsschuss. Kommt der Retter bei seinen Hilfsbemühungen zu Schaden, so fordert eine Zurechnung zum Gefahrverursacher unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Fahrlässigkeitsstrafbarkeit ein Relationsverhältnis der gegenüberstehenden Interessen der Beteiligten. Diese normative Korrespondenz kann i. d. R. anhand der gesetzlichen Hilfspflicht bestimmt werden.102 Als Spezifikum für die Zurechnung von Fluchtschäden bei den erfolgsqualifizierten Delikten wurde oben (11. Abschnitt, B.II.) das Kriterium eines geschlossenen Systems proklamiert. Die Zurechnung gründet hierbei darauf, dass sich Täter und Opfer in einem Konfrontationsbereich gegenüberstehen, der dem Täter einen jederzeitigen Zugriff auf sein Opfer ermöglicht und dieses damit einer erheblichen Zwangswirkung aussetzt. Kommt das Opfer beim Versuch, aus diesem System auszubrechen, zu Schaden, so kann angesichts dieser Nähebeziehung eine Erfolgsverwirklichung durch das tatbestandsmäßige Grunddelikt bzw. dessen Ausführung dem Täter in Rechnung gestellt werden. Es wird sich in der weiteren Darstellung zeigen, dass mit dem Modell des geschlossenen Systems auch für die Retterfälle ein Kriterium nutzbar gemacht werden kann, um dem restriktiven Verständnis der erfolgsqualifizierten Delikte gerecht zu werden. Dabei wird sich insbesondere zeigen, dass mit diesem Vorgehen ein Ergebnis erzielt wird, das im Gegensatz zur Heranziehung des Konstrukts einer fiktiven mittelbaren Täterschaft zu einer Lösung führt, die nicht von für den Täter zufälligen Umständen abhängig gemacht wird. Der Unwert der Tat darf nicht an einem eventuellen Näheverhältnis des eingreifenden Retters bestimmt werden. Denn der Unrechtsgehalt und damit die Frage der Zurechnung der schweren Folge ist anhand eines objektiven Maßstabes zu bemessen, inwieweit dem Täter eine tatbeherrschende Stellung zukommt bzw. die schwere Folge in seinen Organisationskreis fällt und damit eine Wirkung der Streubreite des Grunddelikts darstellt. Dieser Hintergrund leitet die Lösung der nun folgenden Fallvarianten. B. Falllösungen I. Der Retter als Schädiger

1. Fehlerhaftes Retterverhalten in der Heilbehandlung Es gilt nun, den „Hochsitz-Fall“ von BGHSt 31, 96 zu lösen. In Anbetracht einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung des Angeklagten wäre nach dem in dieser Arbeit dargelegten Verständnis eine Zurechnung begründet, und zwar 102

Siehe näher oben 3. Abschnitt, F.VI.2.

14. Abschn.: Übertragung des eigenen Lösungsvorschlags auf Retterfälle

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selbst dann, wenn das ärztliche Fehlverhalten als grob zu bewerten wäre. Der Angeklagte hat durch die hervorgerufene Verletzung pflichtwidrig eine Gefahrenlage geschaffen, die eine ärztliche Behandlung erforderte. Das Verhalten der Ärzte war auf Abwendung der begründeten Gefahrenlage gerichtet und damit katechontisch geprägt. Die unterlassene Instruktion bzw. die unterlassene Medikation durch die Ärzte erfolgte zu einem Zeitpunkt, als die vom Primärschädiger gesetzte Gefahr in ihrer Wirkung noch nicht beseitigt war, da der bettlägerige Zustand des Onkels einer Wiedereingliederung in das allgemeine Alltagsleben entgegen stand. Für den Weg zur Erfolgsqualifikation erfordert der Eintritt der schweren Folge eine Rückführbarkeit auf den Primärschädiger, die Folge muss durch die Handlung des Primärschädigers hervorgerufen sein und mit dieser in einer Affinitätsbeziehung stehen. Eine solche Stringenz lässt sich in einem geschlossenen System begründen, gekennzeichnet durch eine lineare Setzung der Ausgangsgefahr und den kongruenten Eintritt der schweren Folge. Tritt in dieses System aus Täter und Opfer das Fehlverhalten (gleichgültig ob aktiver oder passiver Art) eines Dritten, hier eines Arztes, hinzu, so lässt sich die schwere Folge nicht stringent auf die Entwicklung durch das Grunddelikt rückführen, da eine intervenierende Person in das System hinzukommt. Es treffen verschiedene Ereignisse zusammen. Gleichgültig, ob leicht oder grob fahrlässig handelnd, das Fehlverhalten des Arztes stellt einen Umstand dar, der die geschlossene Stringenz von Täterverhalten und erfolgsqualifizierender Folge sprengt bzw. deren Eintritt unter diesem Verständnis erst begründet.103 Hiermit wird die erforderliche Restriktion zum allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikt begründet. Während es dort ausreicht, dass der Primärschädiger eine Ausgangsgefahr setzt, zu deren Abwendung ein Dritter tätig wird, erfordert das erfolgsqualifizierte Delikt eine weitergehende Konzentration. Nur wenn sich die zur schweren Folge führende Verletzung in einem geschlossenen System und damit in vollkommener Stringenz vollzieht, lässt sich der Eintritt des Todes gerade als durch den Primärschädiger begründet verstehen. Daher hätte im „Hochsitz-Fall“ unabhängig von der Klassifizierung des ärztlichen Kunstfehlers eine Zurechnung zum Angeklagten im Hinblick auf § 227 StGB unterbleiben müssen. Die Systemgeschlossenheit bliebe indessen alleine dann erhalten, wenn zwar ein intervenierendes Verhalten eines Retters hinzutritt, dieses aber angesichts der konkreten Umstände nicht als pflichtwidrig gewertet werden kann. Schlägt der Täter beispielsweise auf sein Opfer ein und dieses droht auf einen spitzen Gegenstand zu stürzen, der Retter versucht diesen in letzter Sekunde wegzuziehen, was ihm aber nicht mehr gelingt, so dass der spitze Gegenstand – z. B. 103 Im Ergebnis übereinstimmend Puppe, Erfolgszurechnung, S. 228; dies., NStZ 1983, 22 (24).

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

eine Spitzhacke – das Opfer nun lediglich in einem geringfügig anderen Winkel erfasst, so vermag dieses Verhalten des Retters die Stringenz des Täterverhaltens hin zum Erfolg nicht zu sprengen. Alleine wenn der Retter seinerseits pflichtwidrig handelt bzw. eine Risikomodifikation begründet wird, tritt in das zu beurteilende System ein zusätzlicher Faktor hinzu, der die geforderte geschlossene Stringenz unterbricht.104 2. Der Primärtäter als pflichtwidrig handelnder Retter a) Ausgangskonstellation In dieser Konstellation kann es der Fall sein, dass der Primärtäter, der sein Opfer mit Verletzungsvorsatz angegriffen hat, dieses selbst in ein Krankenhaus transportiert und hierbei fahrlässig einen Verkehrsunfall verursacht, an dessen Folgen das Opfer stirbt.105 Rengier scheidet diese Fallgruppe dadurch aus dem Rahmen der Erfolgsqualifikation aus, dass er die erforderliche Fahrlässigkeit bei der Begehung des Grunddelikts negiert. Damit müsse das Unmittelbarkeitskriterium für diese Lösung nicht bemüht werden.106 Dadurch ordnet Rengier die Fallkonstellation der von ihm als „Fälle echter nachträglicher Fahrlässigkeit“ bezeichneten Gruppe zu.107 Etwas anderes soll allerdings dann gelten, wenn nur eine „scheinbare“ nachträgliche Fahrlässigkeit vorliege. Diese sei dadurch gekennzeichnet, dass sie gleichsam als im Grunddeliktsrisiko inbegriffene Primärfahrlässigkeit angesehen werden müsse.108 Dies komme insbesondere bei sachwidriger Versorgung des verletzten Opfers in Betracht, beispielsweise wenn der Täter sein Opfer so lagere, dass es an seinem Erbrochenen ersticke.109 Sein Modell des Zurechnungsausschlusses durch grob fahrlässiges nachträgliches Fehlverhaltens kann Rengier damit nicht aufrechterhalten, denn es würde zu absurden Ergebnissen führen. Je sachwidriger – und damit grob fehlerhaft – der Täter handeln würde, desto eher wäre die Zurechnung ausgeschlossen. Daher stellt auch Rengier zen104 Der Hinzutritt des fehlerhaften Drittverhaltens kann hierbei auch über eine „unterbrochene Kette“ vermittelt werden: Spritzt der Arzt dem vom Täter vorsätzlich geschädigten Opfer, ohne dass ihm ein Fehlverhalten angelastet werden kann, ein Medikament, das jedoch pharmazeutisch falsch hergestellt wurde, dann sprengt auch dieser Umstand die erforderliche Systemgeschlossenheit der Erfolgsqualifikation. 105 Zum unverschuldeten Verkehrsunfall als Ausprägung des allgemeinen Lebensrisikos siehe bereits oben 2. Abschnitt, Fn. 382. 106 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 178. Zum Aspekt der Fahrlässigkeit im Zeitpunkt der Grunddeliktshandlung siehe BGHSt 33, 66 (68); OGH JBl 1989, 395 (396); Sch/Sch/Stree, § 227 Rdnr. 7 sowie bereits oben 12. Abschnitt, Fn. 21. 107 Siehe Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 180. 108 Siehe Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 178. 109 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 180.

14. Abschn.: Übertragung des eigenen Lösungsvorschlags auf Retterfälle

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tral auf das gesetzte Grundrisiko ab und fragt danach, inwieweit das nachträgliche Fehlverhalten lediglich als vertiefende Wirkung des Ausgangsrisikos angesehen werden kann.110 Dies wird bei der sachwidrigen Versorgung des Opfers regelmäßig anzunehmen sein. Diese Sichtweise provoziert allerdings die Frage, worin der wertungsmäßige Unterschied zu sehen sein soll. Warum soll die rettende Fahrt ins Krankenhaus als nachträgliche Fahrlässigkeit zu bewerten sein, die sachwidrige Versorgung des Opfers aber als inbegriffene Primärfahrlässigkeit? Beide Verhaltensweisen gehen der grunddeliktischen Verletzung nach und sind in ihrer Intention jeweils auf Abwendung des Todes gerichtet. Insoweit besteht zwischen den Revokationsbemühungen kein ersichtlicher Unterschied. Daher erscheint es erforderlich, auch für diese Gruppe das Unmittelbarkeitskriterium „zu bemühen“. Damit wird sich nämlich zeigen, dass die von Rengier abgegrenzten Varianten einheitlich zu beurteilen sind. Wenn wir auch hier nach dem Konfrontationsbereich zwischen Täter und Opfer beurteilen, so lässt sich feststellen, dass sich Täter und Opfer zwar in einem geschlossenen System befinden – und zwar sowohl zum Zeitpunkt der Primärschädigung als auch zum Zeitpunkt der fehlgehenden Rettungsbemühung –, da ein intervenierender Dritter nicht eingeschaltet wurde. Doch fehlt es zum Zeitpunkt des Todes am erforderlichen Konfrontationszusammenhang in diesem System. Nach Abschluss des Grunddelikts hat der Täter seine Angriffsrichtung aufgegeben, diese hält nicht weiter an. Vielmehr ist der Täter bemüht, das von ihm gesetzte Risiko in seinem Fortwirken zu begrenzen. Damit tritt der Täter nun selbst dem Opfer gegenüber katechontisch auf, die durch das Angriffsverhalten gekennzeichnete Konfrontationswirkung ist aufgehoben. Zwar haben wir oben (11. Abschnitt, B.II.) festgehalten, dass sich der zurechnungsbegründende Konfrontationszusammenhang grundsätzlich alleine auf den Zeitpunkt der zum Tode führenden Verletzung zu beziehen hat, und somit ein unbeeinflusster, zeitlich nachfolgender Todeseintritt der Zurechnungsbegründung nicht entgegen steht. Dieser Fall bezog sich allerdings auf eine Konstellation, in der der Täter das Geschehen aus der Hand gibt und der Todeseintritt eine zwangsläufige Folgewirkung darstellt. Bemüht sich der Täter hingegen nach dem Verletzungseintritt um die Rettung des Opfers, so hält er das Beherrschungsverhältnis aufrecht und zwar in einem nun positiv ausgerichteten Sinn. Die Geschlossenheit des Systems wird also aufrecht erhalten, es erfolgt kein aus der Hand geben des Geschehensablaufs, vielmehr steuert der Täter das Geschehen weiterhin. Der insoweit gewandelte Konfrontationszusammenhang dient als Honorierungskriterium für den Tä110 Vgl. Rengier, Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 180. So bereits Burgstaller, S. 124 f. für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt (dort ist die Frage allerdings von untergeordneter Bedeutung, denn dort steht lediglich zur Disposition, ob zu einer fahrlässigen Tötung ein in Realkonkurrenz hinzutretendes fahrlässiges Verletzungsdelikt in den Schuldspruch Eingang findet).

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

ter, der sich seinem Opfer gegenüber nicht gleichgültig zeigt.111 Daher scheidet eine Zurechnung zum erfolgsqualifizierten Delikt aus, und zwar sowohl im Fall der Unfallverursachung auf dem Weg ins Krankenhaus112 als auch bei sachwidriger Versorgung. Dem so erzielten Ergebnis steht auch nicht § 24 I 1 StGB entgegen. Denn der Gesetzgeber schreibt dem Täter das Revokationsrisiko nur dann zu, wenn dieser mit Tötungsvorsatz das Grunddelikt herbeigeführt hätte – nur in diesem Fall wäre ein Wechsel von der Angriffsrichtung zur Rettungsbemühung unwesentlich. In dieser Konstellation erscheint es auch nicht unbillig, dem Täter die Honorierung für ein fehlgehendes Revokationsbemühen zu versagen, denn dem Rechtsgut wurde in der höchsten, auf Vernichtung gerichteten, Angriffshaltung gegenüber getreten. b) Annex zur Exzesskonstellation bei mehreren Tatbeteiligten Eine aktuelle Entscheidung – BGH NStZ-RR 2007, 76 – gibt Anlass, sich auch mit der Frage auseinanderzusetzen, inwieweit eine Exzesshandlung eines Mittäters für den Täter die Erfolgsqualifikation zu begründen vermag. Die Besonderheit des vom BGH entschiedenen Falles liegt darin, dass der Täter hier aktiv versucht, die Gefahr des Eintritts der schweren Folge zu verhindern, indem er rettend in das Tatgeschehen eingreift, ihm dies auf Grund der Exzesshandlung des Mittäters aber letztlich nicht gelingt. Der Entscheidung von BGH NStZ-RR 2007, 76113 lagen im Wesentlichen die folgenden Feststellungen zu Grunde: Die Angeklagten hielten nach einem Diskothekenbesuch ein Taxi an. Da der Angeklagte G sichtlich betrunken war, verweigerte der Taxifahrer, das spätere Tatopfer, eine Beförderung und wies den G, der sich bereits in das Taxi gesetzt hatte, an, wieder auszusteigen. Die übrigen Angeklagten schlugen aus Verärgerung hierüber die Türen des Taxis mit Wucht zu. Der Taxifahrer stieg daraufhin ebenfalls aus, um die Angeklagten zur Rede zu stellen. Die Angeklagten fassten darauf spontan den Entschluss, dem Fahrer durch die Beibringung von Schlägen und Tritten einen „Denkzettel“ zu erteilen. Ihr gemeinsamer Tatentschluss umfasste nicht die Tötung 111 Ein solcher Honorierungsaspekt klingt auch bei Hunt, The South African Law Journal 85 (1968), 383 (385) an. 112 Der Konfrontationsbereich wäre allerdings weiterhin fortbestehend, wenn das Opfer einer weiteren Zwangswirkung unterliegt (und eventuell gerade deswegen dem Unfall erliegt), beispielsweise wenn der Täter sein Opfer nicht im Fond, sondern im Kofferraum transportiert, insoweit spielt es auch keine Rolle, ob das Opfer die Zwangswirkung wahrnimmt oder wegen Bewusstlosigkeit keinen Freiheitsdrang ausüben kann – hier begründen allein die äußeren Umstände den anhaltenden Konfrontationszusammenhang. Im Ergebnis ähnlich Puppe, Erfolgszurechnung, S. 245 f. 113 Der Sachverhalt ist in BGH NStZ-RR 2007, 76 stark verkürzt wiedergegeben, eine ausführlichere Sachverhaltsdarstellung findet sich in BGH NStZ-RR 2007, 43.

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des Taxifahrers. Die Angeklagten C und A begannen sofort, auf ihr Opfer einzuschlagen und es zu treten, die Angeklagten Ca, G und T kamen kurze Zeit später hinzu und schlugen ebenfalls auf den Taxifahrer ein. Sodann stieß der Angeklagte A, der seine ursprüngliche Angriffsabsicht aufgegeben hatte, den Taxifahrer in das Fahrzeug, um ihn vor den weiteren Einwirkungen der anderen Angeklagten zu schützen. Der Angeklagte C trat durch die geöffnete Fahrertüre weiterhin auf das Tatopfer ein, wurde von A jedoch umfasst und weggezogen. Daraufhin drängte der Angeklagte T nach vorne und stach mit seinem Messer zweimal in Richtung des Bauches des Taxifahrers und ein weiteres Mal in Richtung Oberkörper. Im Folgenden brachten einer oder mehrere Angeklagte dem Opfer weitere Stiche mit einem Messer bei, von denen einer zum Tode führte. Es ließ sich nicht mehr klären, welcher der Angeklagten den letztlich tödlichen Stich ausführte. Nachdem das erstinstanzliche Urteil wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben worden war, verurteilte eine andere StrK des LG Frankfurt am Main die Angeklagten u. a. wegen Körperverletzung mit Todesfolge und der Beteiligung an einer Schlägerei.

aa) Argumentation des BGH Hinsichtlich der Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge, auch bezüglich des A, ist der Schuldspruch nach Ansicht des BGH nicht zu beanstanden. Auch die Verurteilung der Angeklagten wegen tateinheitlich begangener Beteiligung an einer Schlägerei sei nicht zu beanstanden. Bezüglich der Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge stützt der BGH seine Sichtweise darauf, dass schon den Gewalthandlungen des A die tatbestandsspezifische Gefahr eines tödlichen Ausgangs anhaftete. „Dieser unmittelbare Gefahrenzusammenhang wurde durch die nachfolgenden Tathandlungen der weiteren Angekl. nicht unterbrochen (vgl. BGH NStZ 1992, 333 [334]). Die für das Leben des Taxifahrers bestehende und sich im weiteren Verlauf realisierende Gefahr wurde durch die von A verübten Körperverletzungshandlungen unmittelbar mitbegründet. Das Tatopfer geriet bereits durch die Körperverletzungshandlungen As in eine Lage, in der es den weiteren Angriffen keine wirksame Gegenwehr mehr entgegenzubringen vermochte und den nachfolgenden Einwirkungen, die, für die Angekl. vorhersehbar, zu seinem Tod führten, schutzlos ausgeliefert war.“114 bb) Stellungnahme Die Argumentation des BGH begegnet gravierenden Bedenken. Nicht nachvollziehbar ist zum einen der Verweis des BGH auf BGH NStZ 1992, 333. In der genannten Entscheidung hatte der BGH festgestellt, dass der Unmittelbarkeitszusammenhang nicht durch Eingreifen eines Dritten ausgeschlossen wird.

114

BGH NStZ-RR 2007, 76 f.

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Allerdings – und dies ist das spezifische an der Entscheidung – geht der BGH von dieser Prämisse nur für den Fall aus, wenn die spezifische Todesgefahr durch das Eingreifen des Dritten nicht erst geschaffen, sondern vielmehr alleine ihre Realisierung beschleunigt wird. „Letztlich unterscheidet der nach dem Normzweck des § 226 I StGB ausschlaggebende Gesichtspunkt der bloßen Abkürzung eines unabwendbar eingeleiteten Sterbevorgangs das Tatgeschehen auch von den Fällen schwerwiegender Mißhandlungen, in denen das Opfer durch Verdeckungshandlungen des es für tot haltenden Täters getötet worden ist und in denen der BGH die Anwendbarkeit des § 226 I StGB ausdrücklich oder doch stillschweigend verneint hat.“115 Gerade an dieser spezifischen Sachverhaltsbegebenheit fehlt es aber in den Feststellungen von BGH NStZ-RR 2007, 76. Das weitere Tatgeschehen war hier vielmehr völlig offen, ein unabwendbarer Todesverlauf lag gerade nicht vor. Es hätte daher weit näher gelegen, wenn der BGH – das Rettungsbemühen des Angeklagten A einmal beiseite gestellt – die Grundsätze von BGHSt 32, 25 herangezogen hätte: Dort hatte der Senat die Anwendung von § 227 StGB am Unmittelbarkeitskriterium scheitern lassen. Der Angeklagte hatte das Opfer mit einem lebensgefährlichen Faustschlag niedergeschlagen, woraufhin sein Begleiter ihm einen unmittelbar tödlichen Tritt gegen den Kopf versetzte. „Nach dem zugrunde zu legenden Sachverhalt hat Jovan N. durch sein dem Angeklagten nicht zurechenbares Eingreifen die unmittelbare Todesursache gesetzt. Daß auch der vom Angeklagten ausgeteilte Faustschlag lebensgefährlich war, ist demgegenüber unerheblich; denn nicht diese Gefahr hat sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen.“116 Zu Recht hebt der BGH hier hervor, dass die den Tod unmittelbar verursachende Verhaltensweise vom gemeinsamen Tatplan getragen sein muss. Nur hinsichtlich des Todeserfolgs, nicht aber bereits hinsichtlich der Vornahme der ihm zu Grunde liegenden Körperverletzung genügt also Fahrlässigkeit.117 Auffallend und zu kritisieren ist, dass sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung in jüngster Zeit eine Aufweichung dieses zwingenden Erfordernisses 115 BGH NStZ 1992, 333 (334). Berechtigter Einwand von Puppe: Durch eine überholende Todesursache wird der ursprüngliche in einer Körperverletzung angelegte Kausalverlauf und damit der unmittelbare Zusammenhang zwischen dieser Körperverletzung und der Todesfolge unterbrochen. Die – zwar 100%ig – gesetzte Todesgefahr wird nicht lediglich beschleunigt, sondern vielmehr verhindert; vgl. Puppe, JR 1992, 511 (512); dies., Erfolgszurechnung, S. 208 f. Mit diesem Einwand besteht auch kein Anlass für eine – fragwürdige – Neubestimmung des strafrechtlichen Todesbegriffs, wie sie Dencker, NStZ 1992, 311 vornimmt; abl. Joerden NStZ 1993, 268. 116 BGHSt 32, 25 (28) (Hervorhebung im Original). 117 Siehe auch BGH bei Holtz MDR 1986, 795; Kudlich, JA 2000, 511 (516); Rengier, BT II, § 16 Rdnr. 15; ders., Erfolgsqualifizierte Delikte, S. 254 ff.; Sowada, Schroeder-FS, S. 621 (628 ff.): Tatplangemäße Begehungsweise des Grunddelikts als „x-Achse“, individuelle Erfolgszurechnung für jeden Tatbeteiligten anhand § 18 StGB auf der „y-Achse“ sowie die Nachweise bei Feilcke, S. 64 Fn. 264.

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zeigt. So soll nach BGH NStZ 2005, 93 die mittäterschaftliche Zurechnung des Grunddelikts durch eine jedenfalls „stark aufgeheizte Tatsituation und die Vorhersehbarkeit des Erfolgs im Endergebnis“118 und damit durch eine „Streubreite“119 des Körperverletzungsgeschehens an sich ersetzt werden. Hierdurch werden aber letztlich nur noch Tatverläufe ausgeschlossen, die schon nach allgemeinen Fahrlässigkeitsgrundsätzen keine Strafbarkeit zu begründen vermögen; für qualifizierte und spezifische Anforderungen im Rahmen der Erfolgsqualifikation fehlt dann bereits der Anknüpfungspunkt.120 Legt man also das Erfordernis der mittäterschaftlichen Zurechnung der zum Tode führenden Begehungsweise der Grunddeliktshandlung an, so hätte in BGH NStZ-RR 2007, 76 bereits auf Grund der Exzesshandlung eine Verurteilung des Angeklagten A wegen Körperverletzung mit Todesfolge unterbleiben müssen. Aber auch wenn man die Dynamik der durch die Körperverletzungen begründeten aufgeheizten Tatsituation zu Grunde legt, darf in diesem Fall das Abwendungsbemühen des A nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar wurde durch den Beginn der mittäterschaftlich begangenen Misshandlung des Taxifahrers ein Konfrontationszusammenhang begründet, der hier – im Gegensatz zur Ausgangskonstellation des katechontisch geprägten Konfrontationszusammenhangs – seine feindselige Ausrichtung beibehält, da es dem abwendungsbereiten Täter nicht gelingt, die Ausgangsgefahr in ihrem auf Angriff gerichteten Fortlauf zu beseitigen. Aber den Täter trifft keine Allzuständigkeit. Wenn er nicht nur passiv vom weiteren Geschehen Abstand nimmt, sondern durch aktive Intervention versucht, rettend zu Gunsten des Tatopfers einzugreifen, so lässt sich der andauernde Konfrontationszusammenhang dem Intervenierenden nicht mehr zuschreiben. Auch in diesem Fall muss eine Honorierung dieses Verhaltens vorgenommen werden und in Bezug auf den rettend intervenierenden Tatbeteiligten die Zurechnung der Erfolgsqualifikation unterbleiben. Da bezüglich einer Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung die mit dem Konfrontationszusammenhang vorzunehmende Restriktion nicht zu beachten ist121, bestehen hier allerdings keine Einwände der Zurechnung. Denn der Täter hat durch die mittäterschaftlich begründete Körperverletzung eine Ausgangsgefahr 118 Vgl. BGH NStZ 2005, 93 (94); übereinstimmend BGH NStZ 2004, 684; im Ergebnis auch M. Heinrich, NStZ 2005, 95 (96 f.) – zu Recht kritisch Sowada, Schroeder-FS, S. 621 (634 Fn. 69). Auch Feilcke hält die Übereinstimmung der zum Tode führenden Exzesshandlung mit dem Tatplan für irrelevant, da sich der Vorsatz des Täters eines erfolgsqualifizierten Delikts auch nicht auf eine erfolgsvermittelnde Handlung eines Dritten oder des Opfers beziehen müsse, vgl. Feilcke, S. 65 (sowie passim): „Ob die konkrete erfolgsursächliche Handlung des einen Mittäters vom gemeinschaftlichen Entschluß eines anderen Mittäters umfaßt war, muß ebenso unerheblich sein wie Vorsatz hinsichtlich der Handlung eines Dritten oder des Opfers“. 119 Kudlich, JuS 2005, 568 (570). 120 Vgl. Sowada, Schroeder-FS, S. 621 (637). 121 Siehe oben 2. Abschnitt, B.IV.5.

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für das Opfer gesetzt, und der Tod resultierte letztlich aus diesem allgemeinen Misshandlungsgeschehen, das seinen Fortgang fand.122 Eine zurechnungsunterbrechende neue Angriffsrichtung lässt sich in den Messerstichen nicht erblicken; die Ausführenden handelten den vom BGH mitgeteilten Feststellungen zufolge nicht zweifelsfrei mit Tötungsvorsatz.123 Da auch im Hinblick auf eine Strafbarkeit wegen § 231 StGB keine weitergehende Zurechnungsrestriktion durch ein Unmittelbarkeitserfordernis bzw. durch einen (zurechenbaren) Konfrontationszusammenhang innerhalb einer Systemgeschlossenheit vorauszusetzen ist124, bestehen auch hier gegen eine Zurechnung – insoweit ist dem BGH zuzustimmen – keine Bedenken. 3. Fehlgehende Befreiungsaktionen a) Umfang und Pflicht polizeilicher Eingriffshandlungen Befindet sich eine Person in akuter Rechtsnot, so hat sie Anspruch auf staatliche Hilfe. Die privatrechtlichen Notwehr- und Nothilfebefugnisse entbinden den Staat nicht von normativer Vorsorge für staatliche Zugriffsnotwendigkeiten.125 So hat eine Geisel nicht nur einen Anspruch auf Lebensrettung, sondern auch auf Befreiung. Steht in dieser Situation Leben gegen Leben, d.h. die Befreiung der Geisel ist einzig durch einen finalen Rettungsschuss – der die sichere Tötung des Geiselnehmers zur Folge haben wird – zu erreichen, so gibt das Grundgesetz selbst die Richtlinien, die für eine rechtmäßige Entscheidung benötigt werden, vor. Die Gefahr für das Leben der Geisel lässt dem Staat einzig die Alternative, für das bedrohte Rechtsgut einzutreten. Denn dieses ist hilflos und muss daher geschützt werden, während es dem Geiselnehmer obliegt, sich durch die Freilas122 Übereinstimmend Feilcke, S. 52 f. in Bezug auf den Exzess bei einer Geiselnahme. Die Frage, ob auch die objektive Vorhersehbarkeit des Erfolges zu bejahen ist, ist Tatfrage, kann in der Entscheidung BGH NStZ-RR 2007, 76 aber wohl bejaht werden, insbesondere da auch der Angeklagte A um die Bewaffnung mit Messern wusste und diese in einer anders gelagerten Auseinandersetzung zwei Tage zuvor auch eingesetzt wurden. 123 Die Messerstiche stellen also – trotz Vorhersehbarkeit; vgl. Fn. zuvor – zwar einen Exzess dar, da diese Begehungsweise nicht vom Tatplan umfasst ist [wie hier auch Puppe, ZIS 2007, 234 (243)], aber auch die Stiche stellen für sich betrachtet noch eine körperliche Misshandlung ohne Tötungsvorsatz dar und können daher nicht als völlig neue Angriffsrichtung gewertet werden. Wäre dagegen die konkrete Begehungsweise – hier das Zufügen von Messerstichen – vom Tatplan umfasst, dann würde selbst ein „subjektiver Exzess“, d.h. wenn einer der Zustechenden mit Tötungsvorsatz handelt, die Strafbarkeit für die übrigen Beteiligten wegen § 227 StGB nicht ausschließen; siehe Sowada, Schroeder-FS, S. 621 (631). 124 Näher unten 15. Abschnitt, C.II. 125 Siehe Lisken, ZRP 1990, 15 (19).

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sung der Geisel selbst zu sichern.126 Würde die Polizei trotz der Möglichkeit des Eingreifens zu Gunsten des in seinem Leben gefährdeten Opfers untätig bleiben und würde das Opfer durch den Geiselnehmer getötet, so ließe sich in diesem staatlichen Verhalten eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen sehen und dadurch ein auf die Erben übergeleiteter Amtshaftungsanspruch des getöteten Opfers aus § 839 BGB i.V. m. Art. 34 GG begründen.127 In Baden-Württemberg hat daher der Gesetzgeber mit der Regelung des § 54 II PolG BW128 die Konfliktsituation zwischen Schutzpflicht des Opfers und Schutzpflicht des Verbrechers explizit zu Gunsten des Opfers entschieden, womit er der sich aus seinem Gewaltmonopol ergebenden Schutzpflicht bzw. der vorgegebenen Abwägungsentscheidung entspricht.129 b) Tödlicher Schuss aus der Dienstwaffe Geht in einer solchen Situation, d.h. bei erkannter Geiselnahme durch die Polizei, der finale Rettungsschuss fehl und tötet das Opfer unmittelbar oder verletzt dieses so schwer, dass es im Krankenhaus seinen Verletzungen erliegt, so erhebt sich die Frage, inwieweit diese Entwicklung für den Täter die Erfolgsqualifikation zu begründen vermag. Täter und Opfer befinden sich in einem geschlossenen System, denn der Geiselnehmer hat sich seines Opfers bemächtigt. Der Tod bzw. die Setzung der tödlichen Verletzung tritt auch innerhalb dieses Systems ein, zum Zeitpunkt des Rettungsschusses unterliegt die Geisel weiterhin der feindseligen Zugriffsherrschaft des Täters. Allerdings wird der tödliche Schuss von außerhalb gesetzt. Der Täter hat zwar den Anlass für den Schuss des Polizisten begründet, doch bewirkt wurde die Tötung gerade von außerhalb des Konfrontationsbereichs und diese liegt damit nicht innerhalb des vom Täter beherrschten Systems. Die Tötung fällt – um 126 Siehe Sundermann, NJW 1988, 3192 (3193). A. A. Weßlau/Kutscha, ZRP 1990, 169 (170 f.); weitgehend restriktiv auch Witzstrock, die alleine bei einem unmittelbaren Angriff auf das Leben der Geisel oder bei einer unmittelbar drohenden schwerwiegenden Körperverletzung eine Ermessensreduzierung auf den finalen Rettungsschuss proklamiert, nicht aber bereits bei einer aus der Bemächtigungssituation erwachsenden Gefahr für das Leben der Geisel, vgl. Witzstrock, S. 46, 60, 63. 127 So Sundermann, NJW 1988, 3192 (3193). 128 Die Regelung entspricht § 41 II MEPolG. 129 Siehe auch Guldi, VBlBW 1996, 235 (237) und jüngst BVerfG NJW 2006, 751 (760 f.). R. Merkel verwehrt sich indessen gegen eine Abwägungsentscheidung und will mit dem Aspekt der Zuständigkeit arbeiten und damit den Wert der gegenüberstehenden Güter an sich nicht auf die Waagschale legen; vgl. R. Merkel, JZ 2007, 373 (375 ff.). Aber: Mit der Abwägungsentscheidung wird doch alleine eine Aussage darüber getroffen, inwieweit der Staat seine Schutzpflicht erfüllen kann. Diese kann er aber – wie aufgezeigt – alleine durch die Einwirkung auf den Geiselnehmer erfüllen, denn alleine die Geisel ist schutzlos und kann die Situation nicht beeinflussen. Mit einer Abwertung des Lebenswerts des Getöteten hat dies nichts zu tun.

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die Begrifflichkeit Krehls zu verwenden – im Hinblick auf das erfolgsqualifizierte Delikt nicht in den Organisationskreis des Täters. Denn dieser erstreckt sich lediglich auf das von ihm bestimmte geschlossene System. Würde man hier anders entscheiden, so entstünde eine Friktion. Es gilt zu bedenken, dass der Rettungsschuss dem Täter galt und diesen lediglich verfehlte oder der Schütze einer Personenverwechslung unterlegen ist. Der Organisationskreis des Täters müsste sich also gerade auf diesen Umstand bezogen haben und damit auf seine eigene Tötung. Zum Organisationsbereich einer Person kann aber schwerlich die Steuerung der eigenen, fremdtäterschaftlich bewirkten Tötung gehören. Denn die Integrität des Täters stellt insoweit ein Rechtsgut dar, über welches er nicht disponieren kann. Damit kommt auch keine Verlagerung des Organisationskreises in Betracht, wie arg. § 216 StGB erkennen lässt.130 Daher sprechen die besseren Gründe dafür, die schwere Folge, die durch den fehlgehenden Rettungsschuss ausgelöst wird, von der Zurechnung zur Erfolgsqualifikation auszunehmen. Dies hat auch für den Fall der nicht erkannten Geiselnahme zu gelten, wie sie der Entscheidung BGHSt 33, 322 zu Grunde lag.131 Entgegen Krehl132 wird indessen die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung zu bejahen sein.133 Der Täter hat durch die Bemächtigungssituation und damit durch das Einwirken auf die Geisel eine Lage geschaffen, die die Polizei auf der Grundlage ihrer Schutzpflicht – bei erkannter Geiselnahme – für das Opfer zum Eingreifen veranlasste. Der Täter hat also zugleich ein abwendungsbereites Verhalten anderer determiniert. Verhalten diese sich fehlerhaft, so ist ihre Intention nach wie vor katechontisch geprägt und das Risiko des Fehlgehens in der Geiselnahme angelegt. Es gelten damit die gleichen Grundsätze wie in den Fällen des ärztlichen Fehlverhaltens oder auch der Beseitigung von Graffiti.134 130 Die intendierte Tötung des Geiselnehmers ist eine vorsätzliche Tat, daher behält die Schranke des § 216 StGB hier ihre Argumentationskraft. Auf Grund dieses Umstands wird man sogar einen innerhalb des geschlossenen Systems begründeten Todesschuss, der dem Geiselnehmer galt, von der Erfolgsqualifikation auszunehmen haben. Wenn also eine Geisel eine Waffe bei sich führt und versucht, den Geiselnehmer zu erschießen, versehentlich aber eine andere Geisel trifft, so kann dies für den Geiselnehmer keine Strafbarkeit wegen Geiselnahme mit Todesfolge, wohl aber wegen fahrlässiger Tötung (die Ausführungen in Bezug auf den tödlichen Schuss aus der Dienstwaffe gelten hier entsprechend, dazu siehe sogleich unten) begründen. 131 Die Entscheidung BGHSt 33, 322 hat zudem die Besonderheit, dass der Tod der zweiten Geisel zu einem Zeitpunkt eintrat, in der das Bemächtigungsverhältnis objektiv betrachtet überhaupt nicht mehr vorlag, da der eine Geiselnehmer handlungsunfähig verletzt war und der andere sich bereits ergeben hatte (siehe oben 12. Abschnitt, Fn. 30). Objektiv betrachtet tritt der Tod der Geisel daher zu einem Zeitpunkt ein, in dem selbst gegenüber der Geisel an sich überhaupt keine Bemächtigungssituation und damit keine Systemgeschlossenheit mehr besteht. 132 Siehe oben 13. Abschnitt, C.III. 133 Darauf lässt auch der Hinweis des Senats in BGHSt 33, 322 (325) schließen.

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Die geschaffene Ausgangsgefahr für die Geiseln besteht auch bei nicht erkannter Geiselnahme. Hier bewegt sich die Polizei im Rahmen der rechtlichen Erwartung, soweit sie versucht, die (vermeintlichen) Täter zu stellen; die Schädigung resultiert dann in dem Versuch der Aufhebung eines missbilligten und von den Tätern pflichtwidrig geschaffenen Zustands.135 Eine weitergehende Einschränkung nach Organisationskreisen erhebt sich hier nicht, denn im Gegensatz zur Erfolgsqualifikation erfordert die Beurteilung des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts keine Bewirkung innerhalb des vom Täter beherrschten und organisierten Systems.136 Die Freistellung der Täter kann auch nicht darauf gegründet werden, dass es sich um eine Fluchtkonstellation, wie sie der Entscheidung BGHSt 33, 322 zu Grunde lag, handelt. Denn das nemotenetur-Prinzip bezieht sich alleine auf die Flucht als solche, nicht aber auf die Begehung von Straftaten während derselben (Bemächtigung des Opfers). Erforderlich für die Tatbestandsverwirklichung ist damit neben der Verwirklichung des Risikozusammenhanges alleine die objektive Vorhersehbarkeit. Ein Eingreifen der Polizei ist dabei grundsätzlich vorhersehbar, da die Retter durch den Zugriff ihrer Schutzpflicht bzw. Ordnungsfunktion nachkommen und auch ein fehlgehender Schuss aus großer Entfernung unter den gegebenen Umständen nicht außerhalb der Lebenserfahrung liegt. c) Tödlicher Schuss aus der Waffe des Erpressungsopfers Im Gegensatz zur älteren Lösung Rengiers137 ist der Fall des fehlgehenden Schusses aus der Waffe des Erpressungsopfers gleich der vorherigen Fallgruppe zu beurteilen. Schießt der Vater seines bemächtigten Kindes bei dem Versuch, den Täter außer Gefecht zu setzen, versehentlich auf das Kind, so lässt sich

134 Siehe ausführlich oben 2. Abschnitt, B.V. Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung ist auch in dem englischen, bei Kirschner, S. 84 Fn. 315 mitgeteilten, Fall angezeigt, bei welchem der Täter ein Mädchen als „Schutzschild“ benutzt und auf Polizeibeamte geschossen hatte, die das Feuer erwiderten und das Mädchen tödlich trafen. Der Zurechnungszusammenhang wird hier sowohl im Fall des katechontischen Befreiungsversuchs als auch für den Fall der reinen Selbstverteidigung der Beamten begründet – in letzterem Fall hat der Täter für das Opfer jedenfalls pflichtwidrig eine Gefahr geschaffen, die sich auch im Erfolg realisierte, wobei auch der Akt des Selbstschutzes der Beamten von der objektiven Vorhersehbarkeit umfasst ist. 135 Wobei der vom Täter pflichtwidrig begründete Zustand so lange andauert, bis sich für einen Außenstehenden das Geschehen erhellt und damit auch die Polizei die Situation subjektiv erkennen kann. Dass der Tod der zweiten Geisel in BGHSt 33, 322 (zur Besonderheit des Sachverhalts siehe oben 12. Abschnitt, Fn. 30) zu einem Zeitpunkt eintrat, in dem objektiv betrachtet keine Situation einer Geiselnahme mehr bestand, steht der Zurechnung zu § 222 StGB daher nicht entgegen. 136 Vgl. bereits oben 2. Abschnitt, B.IV.5. 137 Siehe oben 13. Abschnitt, C.I.

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auch hier keine Erfolgsqualifikation begründen. Zum Gedanken des Näheverhältnisses des § 35 I StGB in solchen Fällen wurde bereits kritisch Stellung genommen, ebenso wurde die Tendenz der Abkehr von diesem Erfordernis durch Rengier dargelegt.138 Auch in diesen Fällen fehlt es jedenfalls an der erforderlichen Konfrontationsstellung innerhalb eines geschlossenen Systems. Zwar könnte man daran denken, den Vater des Kindes als weiteres primäres Tatopfer, als Erpressungsopfer – das als Vermögensinhaber von § 239 a I StGB geschützt wird –, dem (erweiterten) Konfrontationsbereich zuzuordnen. Aber auch hier kann sich die Geschlossenheit alleine auf die Lebensgefährdung des Entführungsopfers beziehen. Denn nur das Entführungsopfer unterliegt unmittelbar dem Angriff bzw. der Bemächtigung durch den Täter, während es den Willen des Erpressungsopfers gerade in Form der vis compulsiva zu brechen gilt. Das Erpressungsopfer unterliegt daher nicht der über die vis absoluta vermittelten unmittelbaren Bemächtigungssituation innerhalb des Konfrontationsbereichs. Das Erpressungsopfer ist ebenso wie der Scharfschütze der Polizei zu behandeln, der Wirkungskreis dieser Personen liegt außerhalb des vom Täter beherrschten Systems.139 Demgegenüber bestehen im Hinblick auf eine Strafbarkeit aus § 222 StGB die genannten Einwände nicht. Insoweit kann auf die Ausführungen zur Konstellation des tödlichen Schusses aus der Dienstwaffe (Gliederungspunkt zuvor) verwiesen werden. d) Tödlicher Schuss aus der Täterwaffe Im Rahmen der Befreiungsaktion kann es passieren, dass sich ein tödlicher Schuss aus der Waffe des Täters löst, weil dieser von der Polizei angeschossen wird. So konnte der Tod einer der Geiseln des Gladbecker Geiseldramas im Verlauf des finalen Rammmanövers dem Angeklagten Rösner nicht als vorsätzliche Tötung zugerechnet werden, da der Schuss zwar aus seiner Waffe stammte, aber lediglich durch eine unkontrollierbare Reflexhandlung verursacht wurde, als er selbst von einem Polizisten getroffen wurde.140 Allein aus dem Umstand, dass der Schuss auf einem Reflex beruht und damit eine Handlung im Rechtssinne nicht vorliegt, lässt sich nicht gegen eine Zurechnung argumentieren. Denn im Hinblick auf die Fahrlässigkeitshaftung lässt sich bei allen fahrlässigen Erfolgsdelikten an jegliche (vorgelagerte) Pflichtwid-

138

Siehe oben 13. Abschnitt, C.I. Übereinstimmend Lüdeking-Kupzok, S. 221 Fn. 209. 140 Siehe die Sachverhaltsdarstellung unter Bezugnahme auf das Urteil des LG Essen unter . 139

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rigkeit anknüpfen141, die hier jedenfalls mit der Bemächtigung der Geiseln begründet ist. Im Hinblick auf das erfolgsqualifizierte Delikt muss aber auch hier gelten, dass der den Tod bewirkende Reflex des Täters als von außen gesetzt angesehen werden muss und damit keine Zurechnung zu begründen vermag, auch wenn sich die Folge innerhalb des geschlossenen Systems entfaltet. Darüber hinaus wird es in diesem Fall auch an einer allgemeinen Fahrlässigkeitsstrafbarkeit mangeln, da der konkrete Geschehensablauf als außerhalb der Lebenserfahrung anzusehen sein wird und daher nicht objektiv vorhersehbar ist. 4. Ungewollte Auswirkungen einer erforderlichen Nothilfemaßnahme Eine interessante Konstellation bildet schließlich der Fall einer fehlgehenden Nothilfemaßnahme, deren Charakteristik darin liegt, dass die erforderliche Abwehrhandlung ungewollte Auswirkungen mit sich bringt. In Literatur und Judikatur wird ausschließlich die Variante diskutiert, dass sich die ungewollten Auswirkungen auf den Angreifer beziehen. Mit Recht wird hier argumentiert, dass die unnötig schwere Wirkung der Verteidigungshandlung nichts an der Bejahung der Erforderlichkeit an sich zu ändern vermag, denn die potentielle Gefährlichkeit des eingesetzten Mittels hat ja bereits Eingang in die Beurteilung der Erforderlichkeit gefunden.142 Wie aber ist zu entscheiden, wenn der Angegriffene von den ungewollten Auswirkungen getroffen wird? Zur Erläuterung soll dieser Beispielsfall dienen: A greift mit Körperverletzungsvorsatz den B mit seinem geladenen Revolver an und schlägt mit diesem auf den B ein. C kommt hinzu und will dem B helfen. Er versucht, dem A den Revolver zu entreißen. Während des Handgemenges betätigt der C versehentlich den Abzug des Revolvers; das Geschoss trifft den B tödlich. Begründet das Hilfsverhalten des C für den A eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge?

141 Siehe nur BGHSt 40, 341 (343); BGHSt 42, 235 (236 f.) – mit Einschränkung für verhaltensgebundene Verkehrsdelikte. Hruschka hält dem BGH entgegen, dass zwar nicht von der actio libera in causa gesprochen werden müsse, sehr wohl aber dürfe, siehe Hruschka, JZ 1997, 22 (27). Horn will, um dem Koinzidenzprinzip zu genügen, eine vorgelagerte Fahrlässigkeit nur dann anerkennen, wenn das gleiche Verhalten – Vorsatz des Täters unterstellt – die Voraussetzungen des unmittelbaren Ansetzens erfüllt, vgl. Horn, StV 1997, 264 (266). Gegen Horn lässt sich vorbringen, dass es beim fahrlässigen Delikt um eine Risikohandlung geht, die den Eintritt des Erfolges als Auswirkung hat. Beim vorsätzlichen Erfolgsdelikt dagegen hat man es mit einer konkreten Erfolgsverwirklichungshandlung zu tun. Daher kann die für das fahrlässige Delikt ausschlaggebende pflichtwidrige Handlung zeitlich früher liegen; vgl. Hirsch, Lenckner-FS, S. 119 (139 f.); ihm zustimmend Schünemann, GA 1999, 207 (228 f. mit falscher Fundstellenzitierung Hirschs). 142 Siehe Kühl, AT, § 7 Rdnr. 112 f. und bereits oben 4. Abschnitt, Fn. 28.

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2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

Im Hinblick auf § 227 StGB hat auch hier zu gelten, dass in das ursprünglich von A beherrschte System der C hinzugekommen ist und der C durch sein intervenierendes Verhalten143 die Systemgeschlossenheit gesprengt hat. Eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge hat folglich auszuscheiden.144 Allerdings bestehen gegen eine Strafbarkeit aus § 222 StGB keine Bedenken. Eine Systemgeschlossenheit als Restriktionskriterium ist hier nicht zu fordern. Danach gilt hier, dass der A durch sein pflichtwidriges Verhalten, d.h. durch den Angriff, eine Gefahr gesetzt und der C versucht hat, diese abzuwenden. Die Intention von C war sowohl katechontisch geprägt als auch bewegte sich der C innerhalb der rechtlichen Erwartung, da seine Nothilfemaßnahme an sich von § 32 StGB gedeckt war. Über den Zurechnungszusammenhang hinaus begegnet auch die objektive Vorhersehbarkeit hier keinen Bedenken; da sich der Retter innerhalb der rechtlichen Handlungserwartung bewegt, ist der Eingriff schon deshalb durch den Angreifer in Rechnung zu stellen; auch der Umstand, dass sich bei dem Handgemenge ein Schuss lösen kann, liegt nicht gänzlich außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung. II. Der Retter als Geschädigter

Nach der Beurteilung der Fallgruppen, in denen der Retter selbst unbeeinträchtigt bleibt, gilt es abschließend den Fall zu untersuchen, bei welchem der Retter selbst zum Opfer wird. Typischerweise handelt es sich beim potentiellen Opferkreis um Feuerwehrleute, aber auch die Konstellation von BGHSt 39, 322 ist diesem Feld zuzuordnen. Auch hier gilt es, das von uns entwickelte Kriterium eines geschlossenen Systems nutzbar zu machen. Eine spezifische Affinitätsbeziehung zwischen der Gefahrschaffung und der Schädigung des Retters kann auch in diesem Fall nur angenommen werden, wenn eine lineare Verknüpfung zwischen der Täterhandlung und dem zur schweren Folge führenden Hilfsverhalten des Retters besteht. Da der Täter nicht unmittelbar auf den Helfenden einwirkt, kann die lineare

143 Die Intervention des C stellt hier jedenfalls eine Risikomodifikation dar und nicht nur eine unbeachtliche Variation des gesetzten Risikos wie im „SpitzhackenFall“ (vgl. oben B.I.1. a. E.). Selbst wenn man dem Verhalten des C die Pflichtwidrigkeit abspricht, so liegt dennoch insoweit eine für das geschlossene System beachtliche Intervention vor. 144 Hätte sich, während der C versuchte, dem A die Waffe zu entwinden, von A unbeabsichtigt ein Schuss gelöst, der den C verletzte, so kann die Verletzung dem A nicht als vorsätzliche Schädigung angelastet werden. Denn die ungewollte Verletzung eines anderen als des konkretisierten Opfers auf Grund äußerer Umstände nach Versuchsbeginn stellt eine aberratio ictus und damit eine wesentliche Kausalabweichung dar; vgl. LK/Schroeder, § 16 Rdnr. 9.

14. Abschn.: Übertragung des eigenen Lösungsvorschlags auf Retterfälle

411

Verknüpfung alleine über den geschaffenen Gefahrenherd an sich vermittelt werden. Verletzt sich der hilfspflichtige Retter bei seinen Rettungsbemühungen, dann begründet dies jedenfalls für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt eine Zurechnung, da sich das normwidrige Verhalten und der Schutzanspruch des Retters in normativer Korrespondenz gegenüberstehen.145 Für die Begründung des erfolgsqualifizierten Delikts ist jedoch darüber hinaus ein Konfrontationszusammenhang zu fordern. An diesem fehlt es indessen. Denn der Retter hat jederzeit die Möglichkeit – er handelt ja frei146 –, die Gefahrenabwehr abzubrechen und den Gefahrenherd zu verlassen. Die Situation stellt sich daher anders als der Fall der Flucht einer Ersatzgeisel dar.147 Dort tritt der Retter zwar auch freiwillig in den Konfrontationsbereich, seine Entscheidungsherrschaft endet aber nach dem Eintritt in die Bemächtigungssituation. Das Freiheitsinteresse ist nun durch die Herrschaft des Geiselnehmers beschnitten. Demgegenüber ist der Brandretter in seiner Handlungsfreiheit und seinem Integritätsinteresse nicht durch den Täter fremdbestimmt. Die über den Gefahrenherd vermittelte Konfrontation mit dem Täter lässt sich nicht als vollkommen linear innerhalb eines geschlossenen Systems bezeichnen. Der Retter tritt freiwillig zum Gefahrenherd hinzu und bleibt auch nach dem Hinzutritt in seiner Entscheidungsherrschaft autonom.148 Daher fehlt es der grunddeliktischen Gefahrschaffung an der erforderlichen Stringenz in Bezug auf die Begründung der schweren Folge. C. Ergebnis Nach alledem gilt es als Ergebnis festzuhalten: (1) Auch für die Beurteilung von Retterfällen kann das Modell eines geschlossenen Systems nutzbar gemacht werden. Erforderlich ist eine lineare Stringenz des Grunddelikts hin zur schweren Folge. (2) Tritt die schwere Folge im Verlauf der fehlerbehafteten Heilbehandlung ein, so fehlt es an dieser Geschlossenheit. Durch die Hinzuziehung eines fehler145 Eingehend hierzu oben 3. Abschnitt, F.VI.2. Die Schädigung jenseits der rechtlichen Hilfspflicht bzw. eine dem Maßstab des § 34 StGB nicht standhaltende Rettung eigener Güter begründet nach dem in dieser Arbeit herausgearbeiteten Modell bereits keine Zurechnung zum allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikt [vgl. oben 3. Abschnitt, F.VI.3.b)–c)]. 146 Siehe oben 3. Abschnitt, E.VI.2. sowie F.VI.1. 147 Vgl. oben 11. Abschnitt, B.III.2.c). 148 Es fehlt damit von Beginn an an einem Konfrontationszusammenhang, so dass es auch keine Zurechnung zur Erfolgsqualifikation zu begründen vermag, wenn der Feuerwehrmann während des Löschens die zu hohe Selbstgefährdung realisiert und sich zum Rückzug entschließt und hierbei von einem herunterfallenden Balken getötet wird.

412

2. Teil, 7. Kap.: Die Zurechnung von Retterverhalten

haft behandelnden Arztes oder eines sonstigen Helfers tritt eine weitere Person in das durch die Ausgangsgefahr gesetzte System hinzu. Es hat bei einer Verurteilung wegen des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts zu verbleiben. (3) Versucht der Täter des Grunddelikts, den Eintritt der schweren Folge selbst abzuwenden, so sieht sich das Opfer zu diesem Zeitpunkt in keinem feindseligen Konfrontationsbereich mehr. Das katechontische Abwendungsbemühen des Täters durchbricht die Unmittelbarkeit der Erfolgsherbeiführung. Diese Honorierung tritt auch bei mehreren Tatbeteiligten zu Tage. Für den Fall, dass ein Täter durch aktive Intervention versucht, zu Gunsten des Tatopfers einzugreifen, kann die durch die übrigen Tatbeteiligten herbeigeführte schwere Folge dem nunmehr katechontisch agierenden Täter nicht als erfolgsqualifizierender Umstand zugeschrieben werden. (4) Beruht die schwere Folge unmittelbar auf einem fehlgehenden Rettungsschuss, so wird der Tod außerhalb des geschlossenen Systems bewirkt. Der Tod fällt nicht in den vom Täter beherrschten Organisationskreis. Es verbleibt bei einer Strafbarkeit wegen des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts. Ebenso wird der Tod außerhalb des geschlossenen Systems bewirkt, wenn sich der tödliche Schuss aus der Waffe des Täters löst, weil dieser selbst getroffen wurde. In diesem Fall fehlt es zudem an der objektiven Vorhersehbarkeit des Todes des Opfers, so dass auch eine Zurechnung zum allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikt unterbleibt. (5) Auch ungewollte Auswirkungen einer an sich erforderlichen Nothilfehandlung begründen mangels Systemgeschlossenheit für den Angreifer keine Strafbarkeit wegen eines erfolgsqualifizierten Delikts, wohl aber wegen des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts. (6) Findet der Retter bei seinen Hilfsbemühungen den Tod, so fehlt es an der erforderlichen Unmittelbarkeit. Auf Grund der fortwährenden Autonomie des Retters mangelt es an der erforderlichen unausweichlichen Konfrontation mit dem Gefahrenfeld.

8. Kapitel

Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Tatbestand mit strafbegründender schwerer Folge 15. Abschnitt

Die Zurechnung von Flucht- und Retterverhalten beim Tatbestand der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB) A. Die Struktur des Tatbestandes der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB) Vereinzelt finden sich in der Literatur Stimmen, die hinsichtlich der strafbegründenden Folge fahrlässiges Handeln und damit Voraussehbarkeit voraussetzen. Auf Grund des Schuldgrundsatzes müsse für den Schlägereibeteiligten zumindest die Möglichkeit voraussehbar gewesen sein, dass die Schlägerei oder der Angriff mehrerer eine der in § 231 StGB bezeichneten Folgen haben könne.1 Die ganz h. M. der Literatur und die Rechtsprechung teilen diese Ansicht nicht und lesen § 231 StGB nicht als erfolgsqualifiziertes Delikt.2 Zu Recht. Dem Schuldprinzip ist bereits dadurch Genüge getan, dass es sich um eine vorwerfbare Schlägereibeteiligung handeln muss.3 Darüber hinaus bieten der weite Strafrahmen und die in den §§ 59, 60 StGB enthaltenen Möglichkeiten einen ausreichenden Spielraum für eine schuldangemessene Tatstrafe.4 § 231 StGB stellt daher ein abstraktes Gefährdungsdelikt dar, der Eintritt der schweren Folge bildet eine objektive Bedingung der Strafbarkeit.

1 So LK/Hirsch, § 231 Rdnr. 1, 15: Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination, § 18 StGB sei allerdings nicht direkt anwendbar; ebenfalls für Vorhersehbarkeit Roxin, AT I, § 23 Rdnr. 12. 2 Vgl. BGHSt 33, 100 (103); BGH JR 1994, 369 (370) mit. zust. Anmerkung Stree, JR 1994, 370; Sch/Sch/Stree, § 231 Rdnr. 1; Lackner/Kühl, § 231 Rdnr. 5; Tröndle/ Fischer, § 231 Rdnr. 5; NK/Paeffgen, § 231 Rdnr. 3, 20; Rengier, BT II, § 18 Rdnr. 6; Wessels/Hettinger, BT 1, Rdnr. 358. 3 Siehe auch Henke, Jura 1985, 585 (590); Gottwald, JA 1998, 771. 4 Vgl. C. Kunz, JuS 1996, 39 (42).

414

2. Teil, 8. Kap.: Übertragbarkeit der Ergebnisse

Während sich die Rechtsprechung mit dem bloßen Erfordernis eines Kausalzusammenhanges zwischen dem Schlägereigeschehen und dem Eintritt der schweren Folge begnügt5, wird in der Literatur richtigerweise hervorgehoben, dass der Kausalzusammenhang zwar eine notwendige aber noch keine hinreichende Bedingung für die Auslösung der Strafbarkeit nach § 231 StGB darstellen kann. Über den Kausalzusammenhang hinaus muss ein Sinnzusammenhang6 mit der schweren Folge bestehen, dies schon deshalb, da keine Möglichkeit besteht, in einem nachgeordneten Prüfungspunkt der objektiven Vorhersehbarkeit7 eine Korrektur des Haftungszusammenhanges vorzunehmen. Die schwere Folge hat somit objektiv zurechenbar zu sein8, ohne dass natürlich ein Zusammenhang gerade zwischen dem Tatbeitrag des einzelnen Beteiligten und der schweren Folge bestehen muss9. Im Gegensatz zum Streitstand bei der Körperverletzung mit Todesfolge10 ist der Auseinandersetzung um den Erfolgs- oder Tätigkeitsakt der Grundhandlung für den Zurechnungszusammenhang bei der Schlägereibeteiligung keine Bedeutung beizumessen. Auf Grund der Interaktionsdynamik erschöpft sich der Unrechtsgehalt von Tätlichkeiten im Rahmen einer Schlägerei unzweifelhaft gerade nicht in der unmittelbaren Körperverletzung; demnach ist kein primärer Angriffserfolg erforderlich, aus dem die schwere Folge gewissermaßen als sekundärer Angriffserfolg hervorgehen müsste.11 Von daher stehen einer Zurechnung von eventuellen Fluchtschäden grundsätzlich keine Einwände entgegen.12 Fraglich ist aber, inwieweit die aus dem Unmittelbarkeitskriterium bei den erfolgsqualifizierten Delikten erwachsende Restriktion auch in Bezug auf § 231 StGB Bedeutung erlangt.

5

Siehe BGHSt 33, 100 (103); BGH JR 1994, 369 (370). Vgl. Geisler, S. 305. 7 Vgl. oben 1. Abschnitt, B.VI.3.b). 8 Vgl. Geisler, S. 304 ff.; Rengier, Roxin-FS, S. 811 (817); ders., BT II, § 18 Rdnr. 8; Kuhlen/Roth, JuS 1995, 711 (714); NK/Paeffgen, § 231 Rdnr. 21; a. A. Frister, S. 60 f.; kritisch auch Rönnau/Bröckers, GA 1995, 549 (556 Fn. 35). 9 Vgl. NK/Paeffgen, § 231 Rdnr. 21; Wessels/Hettinger, BT 1, Rdnr. 357. Im Hinblick auf § 823 II BGB i.V. m. § 231 StGB gestattet der BGH allerdings den entlastenden Nachweis, dass die Beteiligung an der Schlägerei haftungsrechtlich nicht ursächlich für die schwere Folge geworden ist, vgl. BGHZ 103, 197. 10 Siehe eingehend oben 10. Abschnitt, A. 11 Instruktiv Geisler, S. 308 f.; ders., GA 2000, 166 (178). 12 Vgl. auch NK/Paeffgen, § 231 Rdnr. 11: „Denn Verfolgungs-,jagden‘ dieser Art gehören zu den jedenfalls nicht untypischen Varietäten von Raufhändeln“ (Anführungszeichen im Original). 6

15. Abschn.: Tatbestand der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB)

415

B. Der Stand der Diskussion um die Zurechnungsbegründung von Retter- und Fluchtfällen I. Retterfälle

Eingehend mit der Frage, ob hinsichtlich der Zurechnungsbegründung an die Rechtsprechung zu § 227 StGB mit ihrem Unmittelbarkeitskriterium anzuknüpfen ist, hat sich Stree auseinandergesetzt. Stree geht dabei von einer Übertragbarkeit des Unmittelbarkeitserfordernisses aus und kommt folglich zu den gleichen Erkenntnissen, wie er sie hinsichtlich § 227 StGB13 erreicht: Der Gefährlichkeitsgrad einer Schlägerei, den eine schwere Folge indiziere, sei nicht erreicht, wenn die strafbegründende Folge einem groben Versagen bei der nachträglichen Behandlung eines Verletzten zuzuschreiben sei. Dagegen sei der Eintritt der objektiven Bedingung der Strafbarkeit auch dann als Folge der Schlägerei anzusehen, wenn hierfür leicht fahrlässiges Fehlverhalten eines Dritten im Anschluss an die Schlägerei mitursächlich gewesen sei.14 Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Geisler. Er hält ein isoliertes Abstellen auf den Verschuldensgrad – ebenso wie ein Abstellen auf die Verhaltensmodalität – für zu schablonenhaft und daher für die Lösung ungeeignet. In Anlehnung an die Sichtweise Frischs15 will Geisler die Zurechnungsfrage daran bemessen, ob die vom Täter gesetzte Gefahr bei normativer Betrachtung verdrängt werde. Maßgeblicher Wertungsgesichtspunkt sei hierbei, wie sich das Geschehen ohne das ärztliche Fehlverhalten weiterentwickelt hätte. Dies führt ihn zu folgender Konsequenz: Ist die Körperverletzung für sich betrachtet nicht als schwer oder gar lebensgefährlich anzusehen, so verdränge ein Kunstfehler – gleichgültig ob leichter, einfacher oder grober Art – die begründete Ausgangsgefahr. Der eingetretene Erfolg gehe über das hinaus, was bei „ungebremstem“ Geschehensablauf eingetreten wäre.16 Gehe der durch das ärztliche Versagen mitbedingte Zweitschaden jedoch nicht über das hinaus, was auch bei ungehindertem Geschehensablauf hätte eintreten können, so fehle es auch hier grundsätzlich am notwendigen Bezug zum gesetzten Ausgangsrisiko. Denn der Kunstfehler habe keinen spezifischen Bezug gerade zu einer lebensgefährlichen Ausgangsgefahr, dieser hätte auch bei einer harmlosen Verletzung eintreten können.17 Bei einem ärztlichen Unterlassen soll dagegen die Ausgangsgefahr grundsätzlich voll zum Tragen kommen und damit 13 14 15 16 17

Vgl. Sch/Sch/Stree, § 227 Rdnr. 5 sowie oben 13. Abschnitt, Fn. 44. Vgl. Stree, Schmitt-FS, S. 215 (223 f.). Siehe dazu eingehend oben 2. Abschnitt, B.IV.7.c). Vgl. Geisler, S. 316. Vgl. Geisler, S. 316 f.

416

2. Teil, 8. Kap.: Übertragbarkeit der Ergebnisse

die Strafbarkeit der Schlägereibeteiligung durch den Eintritt der schweren Folge auslösen.18 Diese Grundsätze erfahren nach Geisler jedoch dann eine Einschränkung, wenn sich das ärztliche Versagen zumindest als grob fahrlässig darstellt. Dann werde die gesetzte Ausgangsgefahr unabhängig von der Verhaltensmodalität verdrängt.19 II. Fluchtfälle

Die Konstellation des Fluchtschadens wird ebenfalls von Geisler behandelt. Geisler zeigt zwar eine starke Affinität zum Letalitätserfordernis im Rahmen von § 227 StGB20, hält eine Übertragbarkeit dieser Einschränkung aber wegen der – wie oben dargelegt – spezifischen Interaktionsdynamik des Schlägereigeschehens für nicht angebracht. Zumindest bei der Angriffsalternative des § 231 StGB gehöre es zu den angriffstypischen Risiken, dass der Angegriffene eine verhängnisvolle Abwehrmaßnahme unternehme oder aber panikartig die Flucht ergreife und dabei einen erheblichen Schaden erleide oder den Tod finde. Anders als bei § 227 StGB sei der Aspekt der seelischen Bedrängnis daher nicht von untergeordneter Bedeutung, sondern bei aktuellen Angriffssituationen situationsspezifisch, jedenfalls soweit die Opferreaktion nach Art und Anlass nicht als schlechterdings unverständlich anzusehen sei.21 Die aktuelle Angriffssituation definiert Geisler dabei vom Augenblick ihres unmittelbaren Bevorstehens bis zu ihrem vollständigen Abschluss. Damit gelangt Geisler auch in gestreckten Tatgeschehen, etwa dem „Fenstersturz-Fall“22, zu einer Zurechnungsbegründung. Trotz der Unterredung der Angeklagten sei der Angriff noch nicht vollständig abgeschlossen gewesen, denn eine drohende erneute Misshandlung hätte keinen neuen Angriff dargestellt, die nachfolgenden Aggressionsakte dienten vielmehr der gleichartigen Entladung eines und desselben Affektes.23 Auch könne das Opferverhalten nicht als schlechterdings unverständlich bewertet werden. In Anbetracht der brutalen Misshandlungen sei der Sprung des Opfers zumindest noch nachvollziehbar, gerade vor dem Hintergrund des durch die Gewalteinwirkung getrübten Bewusstseinszustandes.24 Somit erfährt die Belegenheit des Tatorts für die Zurechnungsbegründung durchaus Bedeutung. Überzeugend legt Geisler hierbei dar, dass eine „gleichsam ,atomisierende‘ Gefahrenbetrachtung die Einsicht in die spezifische Risikostruktur von Panikreaktionen zu verschütten drohte. Im 18 19 20 21 22 23 24

Vgl. Geisler, S. 317. Vgl. Geisler, S. 317 f. Vgl. Geisler, S. 311. Hierzu Geisler, S. 312. Siehe oben 9. Abschnitt, A.III. Vgl. Geisler, S. 312 unter Bezugnahme auf Kriegsmann, S. 178. Vgl. Geisler, S. 313.

15. Abschn.: Tatbestand der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB)

417

Lichte des Schutzzwecks der Angriffsalternative ist daher die Belegenheit des Tatorts durchaus noch zum Kreise der tatbestandsrelevanten Gefährdungsmomente zu zählen.“25 C. Bewertung und Einordnung I. Bewertung des Schrifttums

Soweit mit Stree für den Fall des grob fahrlässigen Retterverhaltens ein pauschaler Zurechnungsausschluss begründet wird, stellt dies ein Konstrukt dar, das wir bereits im Hinblick auf die Zurechnungsfrage beim allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikt kritisch betrachtet haben.26 Auch die Lösung Geislers vermag nicht zu überzeugen. Sie stimmt mit der Ansicht Frischs bis auf einen Punkt überein. Während Frisch auch für den Fall des grob fahrlässigen oder gar vorsätzlichen nachträglichen Unterlassens keinen Zurechnungsausschluss erhebt27, fügt Geisler hier einen Filter ein; für den Fall des zumindest grob fahrlässigen nachträglichen Unterlassens soll eine Verdrängung der gesetzten Ausgangsgefahr eintreten. Letztlich vertritt aber auch Geisler eine nach Verhaltensmodalitäten gestufte Zurechnungslehre, was den in dieser Arbeit entwickelten Grundsätzen widerspricht.28 Ganz abgesehen davon begnügen sich sowohl Stree als auch Geisler zur Beurteilung der Zurechnung von Retterverhalten im Rahmen von § 231 StGB mit Zurechnungsfragen, wie sie für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt wesenstypisch sind. Die Frage nach einer zu diskutierenden weitergehenden Restriktion als Ausfluss des möglicherweise entsprechend anzuwendenden Unmittelbarkeitskriteriums wird verdrängt. Überzeugender erscheinen hier die Ausführungen Geislers im Rahmen der Zurechnung von Fluchtschäden. Die Übertragbarkeit des Unmittelbarkeisgedankens wird ausdrücklich diskutiert. Man fragt sich allerdings, warum die panikartige Fluchtreaktion alleine beim Tatbestand der Schlägerei mit Todesfolge in den Gesamtkomplex des Geschehens einbezogen werden soll. Die panische Flucht während einer drohenden oder bereits begonnenen Körperverletzung stellt sich sowohl vom äußeren Erscheinungsbild als auch von der introspektiven Opferwahrnehmung als wesensgleich dar. Auch hier dürfte folglich keine „atomisierende“ – d.h. eine unnatürliche Aufspaltung des Geschehens in seine Einzelteile entgegen der Risikostruktur – Gefahrenbetrachtung statthaft sein.

25

Geisler, S. 313 (Anführungszeichen im Original). Um Wiederholungen zu vermeiden sei daher auf oben 2. Abschnitt, B.IV.3.c) verwiesen. 27 Vgl. oben 2. Abschnitt, B.IV.7.c). 28 Siehe oben 2. Abschnitt, B.IV.2.d). 26

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2. Teil, 8. Kap.: Übertragbarkeit der Ergebnisse II. Einordnung der Retter- und Fluchtfälle in das Zurechnungsmodell

Würden wir die Beurteilung der Retter- und Fluchtfälle dem Zurechnungsmodell, wie wir es für die erfolgsqualifizierten Delikte herausgearbeitet haben, unterstellen, so ergäbe sich eine sehr restriktive Handhabung. Im Falle der Begründung der schweren Folge während der Flucht wäre eine Systemgeschlossenheit äußerst fraglich. Auf Grund der spezifischen Interaktionsdynamik des Schlägereigeschehens ließe sich eine tatbeherrschende Konfrontationseinwirkung auf das Opfer nur schwer begründen. Auch eine Zurechnung der Tatbeiträge der anderen Schlägereibeteiligten im Wege der Mittäterschaft ließe sich nicht fundieren, denn es handelt sich um ein rein situatives Geschehen, das nicht von einem subjektiven Zusammenwirken getragen wird.29 Würde die schwere Folge über eine fehlerhafte Rettungsbemühung vermittelt werden, so wäre auch hier die Systemgeschlossenheit gesprengt. Die schwere Folge ließe sich nicht mehr als Ausfluss der Einwirkungsherrschaft innerhalb eines Konfrontationsbereichs begreifen. Sowohl in den Flucht- als auch den Retterfällen könnte man folglich keine Zurechnung zu § 231 StGB begründen. Es fragt sich aber, ob dieses strikte Restriktionsverständnis überhaupt notwendiger- bzw. berechtigterweise der Beurteilung des Zurechnungszusammenhangs im Rahmen von § 231 StGB zu Grunde zu legen ist. Die notwendige Restriktion der Zurechnung bei den erfolgsqualifizierten Delikten ist dem Bedürfnis entwachsen, die, anders als bei tateinheitlicher Verwirklichung der Tatbestände, regelrechte Strafrahmenexplosion auf ein Maß spezieller Deliktsunwerte zu beschränken und diese Unwerte damit tat- und schuldangemessen einzuordnen. Der Strafrahmen der Beteiligung an einer Schlägerei entspricht in seinem Höchstmaß von drei Jahren allerdings gerade dem Mindestmaß des Strafrahmens der todesqualifizierten Delikte. Von daher besteht, wie Geisler richtig feststellt, keine Notwendigkeit „für eine schuldkonforme Zurechtstutzung des Normanwendungsbereichs“30. Diese Sichtweise leitet auch der Umstand, dass der Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung nicht zur tatbestandlichen Unrechtsmaterie des § 231 StGB gehört.31 Die für die erfolgsqualifizierten Delikte begründete Systemgeschlossenheit als Restriktionsmechanismus ist folglich nicht auf den Tatbestand der Schlägerei mit Todesfolge zu übertragen. Vielmehr gelangen die für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt festgestellten Kriterien zur Anwendung. Die schwere Folge muss somit mit dem Schlägereigeschehen in einem Zurechnungszusammenhang stehen. Es muss also die objektive Zurechnung der schweren Folge gegeben sein, aber auch nur diese. Das Kriterium der Vorher29 30 31

Siehe auch bereits oben 11. Abschnitt, B.II. Geisler, S. 313. Vgl. Geisler, S. 314.

15. Abschn.: Tatbestand der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB)

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sehbarkeit erlangt keine Bedeutung; umso mehr zeigt sich die Notwendigkeit einer über den reinen Ursachenzusammenhang hinausreichenden objektiven Verknüpfung. Dies bedeutet im Ergebnis: Fluchtschäden32 begründen ebenso die objektive Strafbarkeitsbedingung wie fehlsames Retterverhalten – und dieses unabhängig vom Fahrlässigkeitsgrad –, solange es nur kein Angriffsverhalten darstellt. Dass damit auch gröblichstes Retterverhalten die Strafbarkeit nach § 231 StGB auszulösen vermag, stellt indessen keinen Wertungswiderspruch dar. Denn selbst vorsätzliches Verhalten abseits der „ungeschriebenen Regeln“ der Prügelei kann die Zurechnung begründen; etwa wenn einer der Involvierten einen Schlichter, Zuschauer oder Polizisten attackiert. Solche „Exzesse“ der Interaktionsdynamik sind ebenso regelhaft wie eine Übersteigerung aus sthenischen Affekten33 oder aber eine katechontische Intervention in all ihren Ausprägungen.

32 Zu denken ist hierbei vor allem an die 2. Alt. des § 231 StGB in Form des Angriffs mehrerer. 33 Vgl. NK/Paeffgen, § 231 Rdnr. 20.

Zusammenfassung Zum Ersten Teil Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten in der allgemeinen Fahrlässigkeitsdogmatik 1. Abschnitt Grundlagen der Zurechnung bei Opfer- und Drittverhalten 1. These: Die Zurechnung von Opfer- und Drittverhalten ist eine Frage des Risikozusammenhanges als Element der Erfolgszurechnung. Schließt sich an ein Ausgangsverhalten ein Opfer- oder Drittverhalten an, so besteht ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Ausgangsverhalten. Der erforderliche gesetzmäßige Bedingungszusammenhang wird im Fall der Außenweltveränderung durch den Nachweis eines Kausalgesetzes, im Fall der psychischen Einwirkung durch die Feststellung eines Motivationszusammenhangs begründet.1 Der Zurechnungszusammenhang mit dem Ausgangsverhalten ist dann begründet, wenn eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen wurde und diese sich in tatbestandskonformer Weise im Erfolg niedergeschlagen hat. Entgegen Frisch handelt es sich um einen Aspekt der objektiven Erfolgszurechnung und nicht des Verhaltensunrechts.2 Kriterien der Beherrschbarkeit des Geschehensverlaufs oder des Vertrauensgrundsatzes spielen als Zurechnungskriterien keine Rolle.3 Auch die Frage nach dem Schutzzweck der Norm trägt bei offenen Tatbeständen wie den §§ 222, 229 StGB nicht zur Zurechnungsklärung bei.4 2. These: Neben der Frage des Risikozusammenhanges steht nachgeordnet die Bestimmung der objektiven Vorhersehbarkeit.

1 2 3 4

Siehe 1. Abschnitt, A.II. Siehe 1. Abschnitt, B.VI. Näher 1. Abschnitt, B.III.2. sowie B.V. Siehe 1. Abschnitt, B.IV.

Zusammenfassung

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Mit der Frage des Risikozusammenhanges wird eine abstrakte Entscheidung über die Zurechnung getroffen. Die objektive Vorhersehbarkeit des wesentlichen Geschehensverlaufs und des Eintritts des Erfolgs als Element der objektiven Sorgfaltswidrigkeit erlaubt eine Beurteilung ausgerichtet an den jeweiligen Begebenheiten des Einzelfalls. Der Risikozusammenhang bildet somit zunächst alleine den Gegenstand der rechtlichen Bewertung.5 2. Abschnitt Der Retter als Schädiger 3. These: Eine Zurechnung zum Primärschädiger hat auszuscheiden, wenn sich die Zweitschädigung als Ausprägung des allgemeinen Lebensrisikos darstellt. Tritt der Tod auf Grund eines Umstandes ein, der dem Feld des allgemeinen Lebensrisikos zuzuweisen ist, so fehlt es an einer modellhaften Erfolgsverwirklichung. Die Zweitschädigung steht dann in keinem inneren Zusammenhang mit der Erstschädigung; sie resultiert nicht aus dem Versuch, die gesetzte Ausgangsgefahr abzuwenden, sondern stellt ein Ergebnis des stets latent vorhandenen, gesellschaftlich tolerierten, Gefährdungspotentials dar.6 4. These: Zur Bestimmung des Zurechnungszusammenhanges sind die Ansatzpunkte der gesetzten Vorschädigung durch den Primärschädiger und die Intention des eingreifenden Dritten in Relation zu setzen. Darüber hinaus ist das Retterverhalten mit der rechtlichen Eingriffserwartung abzugleichen. In der Literatur wird häufig eine Differenzierung nach der Verhaltensmodalität des intervenierenden Retterverhaltens vorgenommen. Diese Ansicht rekurriert auf eine zu äußerliche Betrachtung und führt zu keinen sachgerechten Ergebnissen. Sowohl Tun als auch Unerlassen stellen beide Organisationen für die Außenwelt dar und sind daher gleichläufig zu beurteilen.7 Auch die verbreitete Auffassung, die Zurechnungsproblematik an der Qualität des nachfolgenden Fehlverhaltens auszurichten, überzeugt nicht. Aus ihr lässt sich nicht entnehmen, wann es sich bei einer hinzutretenden Einwirkung um die Fortwirkung der Ausgangsgefahr oder die Begründung einer neuen Gefahr handeln soll.8 Es ist vielmehr danach zu fragen, ob die gesetzte Ausgangsgefahr in der Hilfeleistung ihren Fortgang findet. Dies ist dann der Fall, wenn das Retterverhalten zum einen katechontisch, d.h. auf Abwendung der begründeten Ausgangsge5 6 7 8

Siehe 1. Abschnitt, B.VI.3. Ausführlich 2. Abschnitt, B.III.5. Vgl. 2. Abschnitt, B.IV.2.d). Vgl. 2. Abschnitt, B.IV.3.c).

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fahr, geprägt ist und sich zum anderen mit der rechtlichen Eingriffserwartung deckt. Im Einzelnen: An einem Fortwirken der gesetzten Ausgangsgefahr fehlt es jedenfalls dann, wenn es sich um eine handlungsunspezifische, d.h. eine überschießende Rettungs- bzw. Behandlungsfolge handelt9; gleiches gilt für den Fall, dass die Zweitschädigung nach bereits behobener Gefahrenlage eintritt10. Fehlt es bereits an einer Einwirkung auf das vom Retter geschädigte Rechtsgut und damit an der Setzung einer Ausgangsgefahr, so fehlt es ebenso am erforderlichen Zurechnungszusammenhang. Dies ist bei der Schädigung eines anderen Retters oder grundsätzlich bei der Schädigung eines unbeteiligten Dritten der Fall.11 Von einem Fortwirken der gesetzten Ausgangsgefahr ist bei einem fahrlässigen Retterverhalten auszugehen, unabhängig vom jeweiligen Verschuldensgrad. Im Fall eines gröblichsten fehlsamen Retterverhaltens kann zu Gunsten des Primärschädigers die fehlende objektive Vorhersehbarkeit jenseits der Zurechnungsbegründung zum Ansatz gebracht werden.12 Gelingt es dem Retter nicht, seine eigene, mit dem Ersteingriff geschaffene Gefahrenlage zu beseitigen, so wirkt die Gefahr – unabhängig von der Pflichtwidrigkeit des Zweiteingriffs – fort und begründet die Zurechnung auch dieses Erfolgs.13 Resultiert die Schädigung durch den Retter aus einem vorsätzlichen Unterlassen, sei es in einer Situation der Pflichtenkollision, der eintretenden Bedrohung der Integrität des Retters oder bei Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, so wirkt die gesetzte Ausgangsgefahr auch in diesen Fällen fort und begründet die Zurechnung. Es kann allerdings die objektive Vorhersehbarkeit entfallen.14 Da die Rettungshandlung mit dem Wesen der gesetzten Ausgangsgefahr in Relation zu setzten ist, kann sich im Fall des vorsätzlichen Rettereingriffs, der nicht der rechtlichen Erwartung entspricht, eine Differenzierung je nach dem Grad der Primärschädigung ergeben. Handelt es sich um eine fahrlässige Primärschädigung, so stellt sich eine solche, nicht von der rechtlichen Erwartung gedeckte, Rettungshandlung dem Primärschädiger gegenüber als Angriffsverhalten dar, das die Zurechnung unterbricht.15 Agiert der Primärschädiger allerdings bereits mit Tötungsvorsatz, so kann das entsprechende Retterverhalten nicht als Angriffsverhalten gewertet werden, der Zurechnungszusammenhang bleibt hier bestehen.16 9

Siehe ausführlich 2. Abschnitt, B.V.2.b). Siehe ausführlich 2. Abschnitt, B.V.2.c). 11 Vgl. 2. Abschnitt, D.–E. 12 Siehe ausführlich 2. Abschnitt, B.2.a), e), f). 13 Vgl. 2. Abschnitt, C.III. 14 Siehe ausführlich 2. Abschnitt, B.V.2.h)–j). 15 Siehe ausführlich 2. Abschnitt, B.V.2.g). 16 Siehe ausführlich 2. Abschnitt, B.V.3.b)bb)(1). 10

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3. Abschnitt Der Retter als Geschädigter 5. These: Die Frage der Zurechnung von Schädigungen, die der Retter im Wege seiner Hilfsbemühungen erleidet, stellt sich von vornherein nur für den Fall, dass das gefahrverursachende Verhalten des Auslösers eine strafrechtliche Relevanz aufweist. Darüber hinaus muss die Rettertätigkeit in zeitlicher und örtlicher Konnexität zum Gefahrenfeld stehen. Das gefahrverursachende Verhalten, d.h. das Vorverhalten muss strafrechtlich relevant sein und sich somit jenseits der Sozialadäquanz bewegen. Insbesondere stellt ein Suizidversuch – entgegen verbreiteter Ansicht – grundsätzlich keine pflichtwidrige Gefahrschaffung in Bezug auf eingreifende Retter dar, denn in dem Verhalten des Suizidenten lässt sich keine Missbilligung fremder Rechtsgüter erblicken.17 Die Schädigung des Retters muss innerhalb der Streubreite des gesetzten Gefahrenfeldes liegen. Daran fehlt es, wenn die Gefahr bereits eingedämmt wurde und sich die Retterschädigung lediglich an dieses Ereignis anschließt, oder aber die Schädigung des Retters außerhalb des physischen Einzugsgebiets der Gefahrenstelle eintritt.18 Eine Schädigung auf der Anfahrt zum Gefahrenherd liegt außerhalb des Bannkreises der Gefahrenquelle. 6. These: Die Zurechnung von Retterschäden gründet alleine in einer normativen Korrespondenz zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung des Gefahrverursachers und dem Schutzanspruch des rechtlich verpflichteten Retters. Entgegen weit verbreiteter Ansicht in der Literatur ist die Rettungshandlung auf Grund eines rechtlichen Handlungsgebots nicht als unfrei im Rechtssinne anzusehen. Der unter rechtlichem Druck agierende Retter trifft jeweils eine freie Entscheidung dahin, ob er dem an ihn herangetragenen Handlungsgebot nachkommen will oder nicht. Sowohl dieser Entscheidungsprozess als auch die daraus resultierende Rettungsaktivität stellen freie Entscheidungen bzw. Handlungen im Rechtssinne dar.19 Die Typik der Retterkonstellationen besteht allerdings darin, dass es sich nicht um das klassische Feld der Selbstgefährdungsfälle handelt, in denen eine Person als agierender Unternehmer an eine Ausgangsgefahr anknüpft, sondern um einen Fall des reaktiven Verhaltens in Anbetracht einer außergewöhnlichen Notsituation.20 Eine Gleichstellung mit 17 18 19 20

Vgl. 3. Abschnitt, F.III. Vgl. 3. Abschnitt, F.IV. Näher 3. Abschnitt, E.VI.2. Vgl. 3. Abschnitt, D.

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den im „Heroinspritzen-Fall“ (BGHSt 32, 262) begründeten Grundsätzen zur eigenverantwortlichen Selbstgefährdung scheidet daher schon aus diesem Grund aus. Soweit sich der Retter jedoch innerhalb der rechtlichen Handlungspflicht bewegt – sowohl hinsichtlich Übernahme als auch Ausführung –, so begründet ein normatives Korrespondenzprinzip die Zurechnung einer eventuellen Schädigung zum Gefahrverursacher. Hierbei stehen sich die Sorgfaltspflichtverletzung des Gefahrverursachers einerseits und ein korrespondierender Schutzanspruch des Retters andererseits gegenüber. Während der Gefahrverursacher gehalten ist, nicht pflichtwidrig eine Gefahrenquelle zu begründen, kann der rechtlich verpflichtete Retter den rechtlich fundierten Schutzanspruch für sich beanspruchen, nicht auf Grund der Pflichtwidrigkeit des Gefahrverursachers in eine Lage versetzt zu werden, in der ihm ein mit potentiellen Gefahren verbundenes Verhaltensgebot auferlegt wird.21 Da kein rechtliches Gebot zur Rettung eigener Güter besteht, muss, um einen Wertungswiderspruch zu vermeiden, das rettereigene Gut fiktiv als fremde Sache angesehen und danach gefragt werden, ob die Rettung einem gesetzlichen Handlungsgebot unterfallen würde. Die Güterabwägung hat sich hierbei an § 34 StGB zu orientieren. Nur beim Überwiegen des Rettungsinteresses gegenüber der dem Retter drohenden Gefahren, lässt sich in normativer Korrespondenz die Zurechnung begründen.22 Stellt sich die Rettung jedoch als unverhältnismäßiges Wagnis dar und ist damit rechtlich nicht geboten, dann lässt sich über die Wechselwirkung von Sorgfaltspflicht und Schutzanspruch keine Relation und damit auch keine Zurechnung begründen.23 Die Kategorie einer „sozial erwünschten, vernünftigen Rettungsunternehmung jenseits des rechtlichen Handlungsgebots“ existiert nicht.24 7. These: Die eingeschränkte Steuerungsfähigkeit des Retters hat auf das Zurechnungsmodell grundsätzlich keinen Einfluss. Eine andere Bewertung ist alleine dann angezeigt, wenn der Defekt des Retters in die Zuständigkeit des Gefahrverursachers fällt. Soweit in der Literatur alleine auf Grund einer erheblichen Alkoholisierung des Retters eine Zurechnung vorgenommen wird, kann dem nicht gefolgt werden. Das Zurechnungsmodell der normativen Korrespondenz hat auch im Fall 21 22 23 24

Siehe ausführlich 3. Abschnitt, F.VI.2. Vgl. 3. Abschnitt, F.VI.3.c). Vgl. 3. Abschnitt, F.VI.3.b). Vgl. 3. Abschnitt, F.II.2.

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der beeinträchtigten Steuerungsfähigkeit des Retters grundsätzlich seine Gültigkeit, denn der Defekt wurde vom Gefahrverursacher nicht im Wege der personalen Einwirkung herbeigeführt und fällt damit nicht in dessen Zuständigkeit. Dies wäre indessen nur dann der Fall, wenn die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft begründet wären.25 4. Abschnitt Der Flüchtende als Geschädigter 8. These: Wer sein Opfer bedroht oder misshandelt haftet grundsätzlich wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung, wenn das Opfer während der Flucht einen Schaden erleidet. Wird pflichtwidrig auf das Opfer eingewirkt, so nimmt der Täter dem Opfer seinen rechtlich garantierten Freiraum. Wenn sich das Opfer – geleitet vom elementaren Selbsterhaltungstrieb – der normwidrigen Einwirkung alleine durch Flucht und einer damit eventuell einhergehenden Selbstgefährdung zu entziehen vermag, dann fällt die Schädigung des Flüchtenden in die Streubreite des vom Täter gesetzten Risikos und ist zuzurechnen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Fluchtschaden in ausreichender zeitlicher und örtlicher Konnexität mit dem pflichtwidrigen Verhalten des Täters eintritt. In Ausnahmefällen kann auf Grund der Atypik des Verhaltens des Opfers die objektive Vorhersehbarkeit zu verneinen sein.26 5. Abschnitt Der Flüchtende als Schädiger 9. These: Schädigt der Flüchtende einen Dritten, so hat der Veranlasser der Flucht hierfür grundsätzlich nicht einzustehen. Die Schädigung eines Dritten durch den Flüchtenden ist den gleichen Grundsätzen zu unterstellen wie die Schädigung eines unbeteiligten Dritten durch einen Retter27. Danach gilt: Mangels der Schaffung einer durch Einwirkung gesetzten Ausgangsgefahr in Bezug auf den Dritten kann grundsätzlich keine Zurechnung begründet werden.28

25 26 27 28

Vgl. 3. Abschnitt, F.VI.3.d). Siehe 4. Abschnitt, C.II. Dazu siehe 2. Abschnitt, D. Vgl. 5. Abschnitt, B.

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6. Abschnitt Der Verfolger als Geschädigter 10. These: Für Schäden des Verfolgers haftet der Flüchtende grundsätzlich nicht. Dies ist Ausfluss des Selbstbegünstigungsprinzips. Zwischen dem Fluchtverhalten und dem rechtmäßigen Verhalten des Verfolgers lässt sich grundsätzlich kein Korrespondenzprinzip und damit auch keine Zurechnung festschreiben. Handelt es sich um eine Verfolgung durch einen Hoheitsträger, so erlangt das Selbstbegünstigungsprinzip insoweit Bedeutung, als auf Grund dessen die Flucht nicht als rechts- bzw. pflichtwidrig gewertet werden kann.29 Dem Schutzanspruch des Verfolgers lässt sich dann kein Zurechnungsobjekt zuordnen.30 Dieser Aspekt wird in der Literatur oftmals nicht ausreichend berücksichtigt. Alleine dann, wenn sich mit der Flucht eine andauernde Gefährdung unbeteiligter Personen verwirklicht, stellt sich die Flucht ihrerseits als pflichtwidrig dar – in diesem Fall lässt sich, soweit kein Verfolgungsexzess vorliegt, ein zur Zurechnung führendes Korrespondenzprinzip begründen.31 Im Fall einer Verfolgung durch eine Privatperson fehlt es an einer Handlungspflicht, d.h. an einem rechtlichen Gebot zur Verfolgung. Ohne eine solche Pflicht lässt sich kein Schutzanspruch im Wege der normativen Korrespondenz für den Verfolger erheben.32 7. Abschnitt Der Verfolger als Schädiger 11. These: Der Flüchtende haftet in keinem Fall für durch den Verfolger bewirkte Schädigungen Dritter. Soweit die Flucht vom Selbstbegünstigungsprinzip umfasst ist bzw. keine Pflicht zur Verfolgung besteht, scheidet schon aus diesem Grund eine Zurechnung aus. Der Fall liegt nicht anders als bei der Schädigung des Verfolgers. Tritt die Schädigung dagegen in einem Zeitpunkt ein, in dem der Flüchtende neben der Flucht eine Gefährdung dritter Rechtsgüter realisiert, so gelten auch in diesem Fall die Grundsätze, die zur Schädigung eines Dritten durch den Ret-

29 30 31 32

Siehe ausführlich 6. Abschnitt, E.I. Vgl. 6. Abschnitt, E.II. Dazu siehe 6. Abschnitt, E.II. Siehe 6. Abschnitt, E.III.

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ter entwickelt wurden33, entsprechend. Demnach fehlt es an einer durch Einwirkung geschaffenen Ausgangsgefahr in Bezug auf den vom Verfolger geschädigten Dritten, die eine Zurechnung begründen könnte.34

Zum Zweiten Teil Die Zurechnung von Retter-, Flucht- und Verfolgerverhalten bei den erfolgsqualifizierten Delikten 8. Abschnitt Die Bedeutung des sogenannten Unmittelbarkeitskriteriums 12. These: Das Unmittelbarkeitskriterium stellt bei den erfolgsqualifizierten Delikten ein eigenständiges einschränkendes Merkmal der objektiven Zurechnung dar. Um der „Strafrahmen-Explosion“ beim Wechsel von der Ebene des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts zur Ebene der Erfolgsqualifikation gerecht zu werden, muss mit Hilfe des Unmittelbarkeitskriteriums die Frage nach einer über die allgemeine objektive Zurechnung hinausreichenden Gefahrverwirklichung gestellt werden. Entgegen Rengier kann die Frage nach dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge nicht von der allgemeinen Zurechnungslehre beantwortet werden. Ansonsten müsste bei Verneinung des Unmittelbarkeitszusammenhangs stets auch die objektive Zurechnung im Rahmen des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts entfallen.35 Andererseits stellt das Unmittelbarkeitskriterium entgegen Ferschl kein Aliud, sondern ein Maius zur allgemeinen Zurechnungslehre dar. Wenn sich für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt keine objektive Zurechnung begründen lässt, so gilt dies auch für den zusätzlichen Filter der Unmittelbarkeit im Rahmen der Erfolgsqualifikation.36 In Übereinstimmung mit der Sichtweise der Rechtsprechung37 und der vorherrschenden Literaturmeinung38 ist das Unmittelbarkeitskriterium daher als ein über den allgemeinen Zurechnungszusammenhang hinausreichendes, engeres Zurechnungskriterium zu verstehen. Hierin besteht das Chiffre der unrechtsstei33 34 35 36 37 38

Vgl. 2. Abschnitt, D. Siehe 7. Abschnitt, B. Vgl. 8. Abschnitt, B. Vgl. 8. Abschnitt, C. Siehe ausführlich 8. Abschnitt, A. Siehe ausführlich 8. Abschnitt, D.

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gernden Verknüpfung von Grunddelikt und schwerer Folge bei den erfolgsqualifizierten Delikten. 9. Abschnitt Fluchtfälle in der Rechtsprechung 13. These: Mit der Entscheidung BGHSt 48, 34 begründet der BGH die Abkehr von einem restriktiven Zurechnungsverständnis, das beim Eingreifen eines Dritten oder des Opfers selbst in den Geschehensverlauf das Unmittelbarkeitsverhältnis zwischen Grunddelikt und schwerer Folge negiert. Offen bleibt bei dieser Rechtsprechung jedoch, worin der konstruktive Unterschied zwischen der Zurechnung im Rahmen des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts und der der Erfolgsqualifikation bestehen soll. Die für den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge bereits mit der „KZ-Entscheidung“ (BGH bei Dallinger MDR 1954, 150) angedeutete restriktive Sichtweise findet in der „Rötzel-Entscheidung“ (BGH NJW 1971, 152) ihre Ausfüllung.39 Unter Wiederbelebung einer neuen Art des Regressverbots sieht der BGH die Zurechnung zur Erfolgsqualifikation bereits auf Grund des (autonomen) Eingriffs eines Dritten oder des Opfers selbst in den Geschehensverlauf für ausgeschlossen. Die tödlich endende Flucht des Opfers kann somit nicht die Erfolgsqualifikation des § 227 StGB begründen. Von dieser Sichtweise findet auch in der „Fenstersturz-Entscheidung“ (BGH NJW 1992, 1708) keine Distanzierung statt. Die Zurechnung der tödlich endenden Flucht konnte hier allerdings mit der biologisch-indizierten Beeinträchtigung (Benommenheit) des Opfers begründet werden.40 Die begrüßenswerte Abkehr von dieser rein formalen Betrachtungsweise wird mit der „Hetzjagd-Entscheidung“ (BGHSt 48, 34) begründet.41 Die Begründung der Erfolgsqualifikation mit dem Argument, die riskante Flucht entspringe bei den durch Gewalt und Drohung geprägten Straftaten dem Selbsterhaltungstrieb, lässt allerdings nicht erkennen, worin der Unterschied einer so verstandenen Zurechnung zur Erfolgsqualifikation zur allgemeinen Fahrlässigkeitszurechnung bestehen soll. In Anbetracht des Strafrahmensprungs müsste hier dogmatisch klarer gearbeitet werden.42

39 40 41 42

Siehe ausführlich 9. Abschnitt, A.I.–II. Siehe ausführlich 9. Abschnitt, A.III. Vgl. 9. Abschnitt, A.IV. Siehe ausführlich 9. Abschnitt, F.

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10. Abschnitt Die Lösung von Fluchtfällen in der Literatur 14. These: In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass die spezifische Affinitätsbeziehung zwischen Grunddelikt und schwerer Folge nicht nur in dem Erfolg der Grunddeliktshandlung, sondern auch in der Gefährlichkeit der Grundhandlung begründet sein kann. Dies gilt insbesondere auch für den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge. Entgegen weit verbreiteter Ansicht in der Literatur ist zur Begründung der Erfolgsqualifikation bei § 227 StGB nicht allein der Erfolg bzw. die Letalität des Grunddelikts Voraussetzung, sondern auch die Affinität der Körperverletzungshandlung zur schweren Folge maßgeblich. Gegen die Einbeziehung der Körperverletzungshandlung in den Beurteilungsmaßstab lässt sich weder mit dem Wortlaut43, der Normgeschichte44 oder der Gesetzessystematik45 streiten. Insbesondere wird von den Vertretern der Erfolgs- und Letalitätslehre verkannt, dass gerade die gefährliche Begehungsweise der Körperverletzung den entsprechenden Unrechtsgehalt in sich tragen kann.46 Die von den Vertretern der Handlungslösung vorgebrachten Zurechnungskriterien erweisen sich indessen weitgehend als problematisch. Soweit die Kenntnis der die Lebensgefahr begründenden Umstände gefordert wird, führt dies zu einer durch das Gesetz (§ 18 StGB) nicht gestützten Privilegierung der unbewussten Fahrlässigkeit.47 Auch die Forderung nach einem generellen Leichtfertigkeitserfordernis für alle erfolgsqualifizierten Delikte erweist sich als Modell contra legem.48 Nicht überzeugend stellt sich auch die Unterteilung in punktuelle und anhaltende Angriffsgeschehensverläufe dar. Hier findet eine unnatürliche, atomisierende Betrachtungsweise eines einheitlichen Angriffsgeschehens statt.49 Einen interessanten Ansatzpunkt zur Zurechnungsbeurteilung der schweren Folge bei den erfolgsqualifizierten Delikte liefert Rengier mit der Frage danach, ob sich das Opfer in einer dem Nötigungsnotstand (§ 35 I 1 StGB) entsprechenden Lage befunden habe.50 Allerdings geht mit diesem Modell auch das Näheerfordernis des § 35 I 1 StGB einher, was zwar nicht in den Fluchtfällen, 43 44 45 46 47 48 49 50

Vgl. 10. Abschnitt, A.III.1.a). Vgl. 10. Abschnitt, A.III.1.b). Vgl. 10. Abschnitt, A.III.1.c). Siehe ausführlich 10. Abschnitt, A.III.1.d). Vgl. 10. Abschnitt, A.III.4. Vgl. 10. Abschnitt, A.III.8. Vgl. 10. Abschnitt, A.III.8. Vgl. 10. Abschnitt, A.III.7.

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aber in den Retterfällen zu unbefriedigenden Ergebnissen führt.51 Um ein für Flucht- und Retterfälle einheitliches Zurechnungsmodell zu begründen, das zu harmonischen Ergebnissen führt, bedarf es daher eines anderen Ansatzes. 11. Abschnitt Entwicklung des eigenen Lösungsmodells für Fluchtfälle 15. These: Eine tödlich endende Flucht des Opfers begründet für den Täter ein erfolgsqualifiziertes Delikt, wenn sich die Situation als geschlossenes System, als Konfrontationszusammenhang darstellt. Soll dem Täter eines Gewaltdelikts die tödlich verlaufende Flucht des Opfers als Erfolgsqualifikation zugerechnet werden, so erfordert dies ein umfassendes Beherrschungsverhältnis gegenüber dem Opfer. Davon kann dann gesprochen werden, wenn dem Täter eine jederzeitige bzw. nahe liegende Zugriffsmöglichkeit auf elementare Integritätsinteressen – im Sinne des § 35 I 1 StGB – seines Opfer zukommt. Das Opfer sieht sich dann in einem Konfrontationszusammenhang, der dadurch gekennzeichnet ist, dass außer dem tatherrschaftlichen Einwirkungsverhalten des Täters und dem Fluchttrieb des Opfers keine zusätzlichen Faktoren bzw. Systemglieder enthalten sind. Nur in einem solchen geschlossenen System kann der Fluchtschaden in Relation mit dem grunddeliktischen Verhaltensmuster des Täters gesetzt und damit bei einem erfolgsqualifizierten Delikt zugerechnet werden.52 Die Zwangswirkung innerhalb der Systemgeschlossenheit kann dabei in der Beschränkung der Bewegungsfreiheit an sich liegen, wozu auch situativ begründete Zwangswirkungen, beispielsweise durch das in Brand setzen eines Hauses, zu rechnen sind. Ebenso kann der unausweichliche Konfrontationszusammenhang über einen von Übermacht geprägten Angriffsvorgang begründet werden.53 Mit diesem Verständnis wird dem Restriktionsbedürfnis der erfolgsqualifizierten Delikte Rechnung getragen. Eine Zurechnung kann alleine dann erfolgen, wenn dem Täter strikte Tat- und Gestaltungsherrschaft gegenüber seinem Opfer zukommt. In einer solchen Situation erscheint die Flucht mit all ihren Risiken als Ausfluss und Folge des Täterverhaltens, sie fällt in die Zuständigkeit des vom Täter begründeten Systemkreises. Sowohl im Fall des rettenden Sprungs aus einem fahrenden PKW54 als auch beim rettenden Sprung aus einem brennenden Gebäude55 handelt es sich um 51 52 53

Siehe 10. Abschnitt, A.III.7. und 11. Siehe ausführlich 11. Abschnitt, B.II. Siehe ausführlich 11. Abschnitt, B.II.

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eine durch das Täterverhalten begründete elementare Zwangswirkung, der das Opfer zu entrinnen versucht. Gleiches gilt, wenn das Opfer seinem Angreifer zu entkommen versucht und einen riskanten Abstieg über die Fassade wählt oder beim Versuch, in ein sicheres Gebäude zu gelangen, tödliche Schnittverletzungen erleidet.56 Jeweils handelt es sich um den Ausbruch aus dem vom Täter gesetzten Konfrontationszusammenhang innerhalb eines geschlossenen Systems. 12. Abschnitt Retterfälle in der Rechtsprechung 16. These: Resultiert der Tod des vom Angreifer verletzten Opfers aus einem Behandlungsfehler, so begnügt sich die Rechtsprechung mit der Darlegung allgemeiner Zurechnungsgrundsätze. Eine spezifische, an der Eigenart und dem Strafrahmen der erfolgsqualifizierten Delikte orientierte, Beurteilung erfolgt nicht. Die Frage, ob der Tod auf Grund eines ärztlichen Behandlungsfehlers eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge für den vorsätzlichen Primärschädiger zu begründen vermag, wird vom BGH sehr knapp abgehandelt. Die Argumentation des BGH zeigt wenig Problembewusstsein.57 So wird im Gegensatz zur korrespondierenden Rechtsprechung für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt kein weitergehendes Restriktionskriterium diskutiert. Mehr noch, nicht einmal eine Klassifizierung des nachträglichen Fehlverhaltens und die damit einhergehende Frage, inwieweit der Verschuldensgrad des Retterverhaltens die Erfolgszurechnung beeinflussen könnte, findet statt bzw. wird problematisiert. Die Zurechnungsbegründung geht daher nicht über die Erklärung des Zurechnungszusammenhangs im Rahmen des allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikts hinaus. Mehr Problembewusstsein zeigt der BGH im Fall der fehlgehenden Befreiungsaktion. Wird die Geisel von den Einsatzkräften versehentlich getötet, so soll es sich grundsätzlich um die Verwirklichung eines grunddeliktischen Risikos handeln. Im Gegensatz zur (damals noch) restriktiven Rechtsprechung im Rahmen von § 227 StGB würde ein derart verstandenes Unmittelbarkeitskriterium die Haftung des Täters im Rahmen des Tatbestands der Geiselnahme mit Todesfolge zu sehr einschränken.58 54 55 56 57 58

Vgl. 11. Abschnitt, B.III.2. Vgl. 11. Abschnitt, B.II.; siehe auch 11. Abschnitt, Fn. 320. Vgl. 11. Abschnitt, B.III.1. Siehe ausführlich 12. Abschnitt, A.I.–II. Vgl. 12. Abschnitt, C.I.

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Habe die Polizei jedoch keine Kenntnis von der Geiselnahme, d.h. auch die bemächtigten Geiseln werden irrtümlich dem Täterkreis zugeordnet, so handle es sich beim – für die Geiseln tödlich verlaufenden – Zugriff nicht um eine tatbestandsspezifische Gefahr. Die Situation sei vielmehr durch die Situationsverkennung des Geschehensablaufs durch die Einsatzkräfte gekennzeichnet. In Frage könne daher alleine eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung kommen.59 13. Abschnitt Die Lösung von Retterfällen in der Literatur 17. These: Sowohl im Fall der Schädigung durch den Retter als auch im Fall der Schädigung des Retters selbst findet sich im Schrifttum oftmals eine Übertragung der Zurechnungsgrundsätze für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt, ohne dass ein notwendiges spezielles Restriktionskriterium herausgearbeitet wird. Für die Vertreter der Letalitätslehre scheidet eine Zurechnung im Fall der nachträglichen fehlsamen ärztlichen Behandlung aus. Der Tod resultiert nach dieser Auffassung nicht aus der Tödlichkeit der Wunde an sich.60 Wird die Letalität der Verletzung an sich nicht zum Dogma erhoben, so werden überwiegend die Zurechnungsgrundsätze bezüglich der allgemeinen Fahrlässigkeitshaftung übertragen (für Rengier ist dies freilich die zwangsläufige Konsequenz der Leugnung eines spezifischen Unmittelbarkeitskriteriums). Die Grenze der Zurechenbarkeit wird auch hierbei grundsätzlich bei der groben Fahrlässigkeit des Arztes gezogen, wobei sich ebenfalls die Differenzierung zwischen aktivem Tun und Unterlassen wiederfindet.61 Eine Übertragung der allgemeinen Fahrlässigkeitsgrundsätze findet sich auch ganz überwiegend für das Delikt der Brandstiftung mit Todesfolge.62 Die Ansichten der Autoren, die hier eine differenziertere, an der spezifischen tatbestandlichen Gefahr ausgerichtete, Beurteilung vornehmen, erweisen sich indessen als angreifbar. Die Argumentation Rengiers sieht sich einer Friktion mit der Zurechnungsbegründung hinsichtlich der Geiselnahme mit Todesfolge ausgesetzt.63 Schünemann geht in seiner Forderung, auch für die fahrlässige Tötung die Haftung des Brandverursachers davon abhängig zu machen, dass sich der 59

Vgl. 12. Abschnitt, C.II. Siehe 13. Abschnitt, A.I. 61 Zu den einzelnen Meinungsströmungen siehe 13. Abschnitt, A.I.–IV. Gänzlich abweichend aber Puppe, vgl. 13. Abschnitt, A.V. 62 Siehe die Nachweise 13. Abschnitt, Fn. 76. 63 Siehe ausführlich 13. Abschnitt, B.I. 60

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Retter bereits zur Tatzeit in den in Brand gesetzten Räumlichkeiten befunden hat, zu weit. Auch die kriminalpolitische Argumentation Schünemanns vermag nicht zu überzeugen.64 Im Hinblick auf fehlgehende Befreiungsversuche durch die Polizei liefert Krehl den interessanten Aspekt des Organisationskreises.65 Die Frage nach der Tatherrschaft innerhalb eines vom Täter begründeten Systems hat uns bereits im Rahmen der erfolgsqualifizierten Fluchtfälle zur Lösung geführt. Auch für die erfolgsqualifizierten Retterfälle verdient die Frage nach dem Konfrontationszusammenhang innerhalb eines geschlossenen Systems – bzw. nach dem dem Täter obliegenden Organisationskreis – Beachtung. 14. Abschnitt Übertragung des eigenen Lösungsvorschlags auf die Retterfälle 18. These: Auch zur Beurteilung der Zurechnungsfrage bei erfolgsqualifizierten Retterfällen ist das Modell des geschlossenen Systems heranzuziehen. Dies gilt sowohl im Fall der Schädigung durch den Retter als auch für den Fall, dass der Retter selbst einen Schaden erleidet. Erforderlich ist eine lineare Stringenz des Grunddelikts hin zur schweren Folge. Unter Zugrundelegung des Modells der Systemgeschlossenheit ergibt sich für Retterfälle folgendes Ergebnis: Die Schädigung durch den Retter kann im Rahmen der erfolgsqualifizierten Delikte nicht nur bei einer fehlsamen ärztlichen Behandlung, sondern auch im Wege einer fehlgehenden Befreiungsaktion in Erscheinung treten. Handelt es sich um eine an das Grunddelikt anschließende fehlerhafte Behandlung des Tatopfers, die letztlich den Tod herbeiführt, so lässt sich eine Zurechnung zum Primärschädiger nur dann feststellen, wenn sich die gesetzte Ausgangsgefahr in strenger Linearität in der schweren Folge verwirklicht, wenn es sich um ein geschlossenes System handelt, bei welchem sich die schwere Folge stringent auf das Grunddelikt bzw. die Grunddeliktshandlung des Täters rückführen lässt. Dieses Erfordernis ist Ausfluss des Restriktionsbedürfnisses im Hinblick auf alle erfolgsqualifizierten Delikte. An dieser Systemgeschlossenheit fehlt es beim Hinzutritt einer ärztlichen Fehlbehandlung – unabhängig von der Verhaltensmodalität oder vom Fahrlässigkeitsgrad –, denn durch die Hinzuziehung eines fehlerhaft intervenierenden Arztes tritt eine weitere Person in das durch die Ausgangsgefahr gesetzte System hinzu. Das Fehlverhalten 64 65

Siehe ausführlich 13. Abschnitt, B.II. Vgl. 13. Abschnitt, C.III.

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des Arztes stellt ein hinzutretendes Ereignis dar; damit fehlt es an der linearen Verlaufsentwicklung und damit an der Systemgeschlossenheit.66 Eine differenzierte Beurteilung ist dann angebracht, wenn der Täter des Grunddelikts selbst versucht, den Eintritt der schweren Folge abzuwenden. Hier tritt zwar keine weitere Person in den Geschehensverlauf ein, so dass sich das Opfer weiterhin alleine der Konfrontation mit dem Täter gegenübersieht und die Systemgeschlossenheit aufrecht erhalten wird. Allerdings tritt der Täter dem Opfer nach der Verwirklichung des Grunddelikts nunmehr katechontisch gegenüber, d.h. er ist um Abwendung der angelegten Ausgangsgefahr bemüht. Die Konfrontation mit dem Täter hat sich gewandelt, diese ist nicht mehr durch eine feindselige Willensrichtung, sondern durch eine katechontische geprägt. Dies gibt Anlass, das Verhalten des Täters zu honorieren, ganz im Gegensatz zu dem Fall, dass der Täter das Geschehen schlicht aus der Hand gibt bzw. ihm einfach seinen Lauf lässt. Die fehlende Feindseligkeit innerhalb des Konfrontationsbereichs durchbricht die Unmittelbarkeit der Erfolgsherbeiführung.67 Diese Sichtweise beansprucht darüber hinaus auch Geltung in Fallkonstellationen mit mehreren Tatbeteiligten. Gelingt es einem Täter trotz aktiven Bemühens nicht, die übrigen Tatbeteiligten an der Herbeiführung der schweren Folge zu hindern, so erlangt der katechontisch agierende Täter auch in diesem Fall eine Honoration. Der von den übrigen Tatbeteiligten aufrecht erhaltene feindselige Konfrontationszusammenhang lässt sich dem rettend Intervenierenden nicht zuschreiben und für diesen damit keine Strafbarkeit aus der Erfolgsqualifikation – wohl aber nach § 231 StGB68 – begründen.69 Beruht der Tod auf einer fehlgehenden Befreiungsaktion, d.h. das vom Täter bemächtigte Opfer wird versehentlich vom finalen Rettungsschuss der Einsatzkräfte getötet, so fehlt es an der erforderlichen Systemgeschlossenheit, die die Zurechnung begründet. Zwar befinden sich die Geiseln innerhalb des vom Täter beherrschten Konfrontationsbereichs, doch wird der Tod letztlich von außerhalb des geschlossenen Systems bewirkt. Der Tod fällt nicht in den Organisationskreis des Täters, wie sich arg. § 216 StGB erkennen lässt.70 Dies gilt auch in dem Fall des tödlichen Schusses aus der Waffe des Erpressungsopfers, etwa wenn der Vater des bemächtigten Kindes versehentlich nicht den Geiselnehmer, sondern sein eigenes Kind tötet.71 Auch der reflexartige Schuss aus der Waffe des Geiselnehmers ist der gleichen Beurteilung zuzuführen.72 In allen Fällen 66 67 68 69 70 71 72

Siehe ausführlich 14. Abschnitt, B.I.1. Siehe ausführlich 14. Abschnitt, B.I.2.a). Dazu siehe unten die 19. These. Siehe ausführlich 14. Abschnitt, B.I.2.b)bb). Siehe ausführlich 14. Abschnitt, B.I.3.b). Vgl. 14. Abschnitt, B.I.3.c). Vgl. 14. Abschnitt, B.I.3.d).

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wird der Tod von außerhalb des vom Täter beherrschten geschlossenen Systems gesetzt und liegt damit jenseits des Organisationskreises des Täters. Hingegen lässt sich in den Fällen der fehlgehenden Befreiungsaktion, entweder durch die Polizei – bei erkannter und nicht erkannter Geiselnahme – oder durch das Erpressungsopfer, eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung bejahen. Der Eingriff ist auf Aufhebung des vom Täter pflichtwidrig geschaffenen Zustands gerichtet; eine weitergehende Einschränkung nach Organisationskreisen wie beim erfolgsqualifizierten Delikt erhebt sich hier nicht. Auch im Fall der ungewollten Auswirkungen einer an sich erforderlichen Nothilfehandlung lässt sich mangels Systemgeschlossenheit kein erfolgsqualifiziertes Delikt begründen, wohl aber eine Zurechnung zum allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikt.73 Erleidet der Retter selbst bei seinen Hilfsbemühungen einen Schaden bzw. findet den Tod, so fehlt es auch hier an der Unmittelbarkeit.74 Der Retter ist sowohl in seiner Entscheidung als auch in der Ausführung der Hilfsmaßnahme als autonom anzusehen. Auf Grund der fortwährenden Autonomie mangelt es an der unausweichlichen Konfrontation mit dem Gefahrenfeld bzw. mit der über das Täterverhalten vermittelten Zwangswirkung. Die Verantwortlichkeit hat sich nach dem allgemeinen Fahrlässigkeitsdelikt zu bemessen. 15. Abschnitt Die Zurechnung von Flucht- und Retterverhalten beim Tatbestand der Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB) 19. These: Die Beurteilung des Zurechnungszusammenhangs bei § 231 StGB ist nicht am Restriktionskriterium der Systemgeschlossenheit zu bemessen. Es gelten die für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt herausgearbeiteten Grundsätze. Auf Grund des im Vergleich zu den erfolgsqualifizierten Delikten erheblich abfallenden Strafrahmens bei § 231 StGB besteht keine Notwendigkeit, die Zurechnungsbegründung der strafbegründenden schweren Folge an einem zusätzlichen Unmittelbarkeitskriterium der Systemgeschlossenheit auszurichten. Vielmehr sind die für das allgemeine Fahrlässigkeitsdelikt festgestellten Kriterien zur Beurteilung von Flucht- und Retterschäden heranzuziehen.75 Die schwere Folge hat folglich lediglich in einem Zurechnungszusammenhang mit dem Schlägereigeschehen zu stehen. Das Kriterium der Vorhersehbarkeit der strafbegründenden Folge erlangt indessen keine Bedeutung. 73 74 75

Siehe 14. Abschnitt, B.I.4. Siehe ausführlich 14. Abschnitt, B.II. Siehe 15. Abschnitt, C.II.

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Literaturverzeichnis

473

Zielinski, Diethart: Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff – Untersuchungen zur Struktur von Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluß, Strafrechtliche Abhandlungen, Neue Folge, Band 14, Berlin 1973 – Der Notarzt als Retter des Täters – Vom Glück und Pech als Maß der Schuld, in: Strafrecht, Biorecht, Rechtsphilosophie – Festschrift für Hans-Ludwig Schreiber zum 70. Geburtstag, S. 533, Heidelberg 2003 (zit.: Schreiber-FS) Zimmermann, Reinhard: Der Selbstmord als Gefährdungssachverhalt, FamRZ 1979, 103 – Herausforderungsformel und Haftung für fremde Willensbetätigungen nach § 823 I BGB, JZ 1980, 10 Zippelius, Reinhold: Forum: An den Grenzen des Rechts auf Leben, JuS 1983, 659 Zopfs, Jan: Die „schwere Folge“ bei der Schlägerei (§ 231 StGB), Jura 1999, 172 Zschieschack, Frank: Geiselnahme und erpresserischer Menschenraub (§§ 239 a, 239 b StGB) im Zwei-Personen-Verhältnis, Schriften zum Strafrecht und Strafprozeßrecht, Band 56, Frankfurt am Main usw. 2001

Sachwortverzeichnis Fundstellen in Fußnoten sind durch kursive Seitenangaben gekennzeichnet. aberratio ictus 147, 156, 157, 239, 410 actio illicita in causa 137, 154, 220, 242, 243 actio libera in causa 409 Adäquanztheorie 51 allgemeines Lebensrisiko 85, 91, 116, 119, 123, 147, 148, 153, 193, 237, 251, 368, 421 Anästhesierisiko – mehrfaches Aussetzen 151, 154 – Statistik 129 Angriffsrichtung 58, 95, 98, 109, 131, 145, 147, 357, 382, 386, 399, 404 Anscheinsgefahr 236, 248 Äquivalenztheorie 38, 51, 80, 101 asthenische Erregung 242, 243 Auslegung – historische 331 – systematische 332 – teleologische 333 – wörtliche 330 Autonomie 209, 210, 242, 244, 412, 435

362, 190,

112, 157,

130, 395,

411,

Befreiungsaktion – Eingriffsbefugnisse 404 – fehlgehende 380, 390, 392, 405, 434 Behandlungsfehler, Statistik 122 Berufsrisiko 60, 186, 225, 228, 268, 289 Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 II GG) 61, 322, 330 Bestimmungsnorm 234

Beteiligung an einer Schlägerei 267, 401, 413, 435 Bewertungsnorm 234 Brandstiftung mit Todesfolge 161, 315, 379, 388 causa libera 228, 244 Constitutio Criminalis Carolina (CCC) 326 culpa dolo determinata 331 Dauerdelikt 350, 357, 363 Determinismus 42, 174 eigenverantwortliche Selbstgefährdung 181, 197, 239, 243, 308, 311 Einheitstäterprinzip 57 Einwilligung 181, 201, 209, 210, 212, 226, 229, 239, 243 erfolgsqualifizierte Delikte – Unmittelbarkeitszusammenhang 295, 312, 314, 317, 333, 363, 401 – Vorsatz hinsichtlich Grunddelikt 361, 378 Ersatzgeisel 371, 411 Exzess – bei mittäterschaftlicher Tatausführung 400 – bei Verfolgung 254, 281, 290, 292, 426 Fahrlässigkeit – grobe 73, 104, 130 – gröblichste 73, 104, 132, 148, 419, 422 – leichte 73, 126

Sachwortverzeichnis Fenstersturz-Fall (BGH NJW 1992, 1708) 308, 311, 317, 320, 321, 322, 326, 327, 333, 342, 348, 353, 369, 416, 428 Festnahmerecht (§ 127 StPO) 261, 279, 291 Fiktion 39, 179, 227, 241, 339, 349, 424 finaler Rettungsschuss 404, 412, 434 Finalismus 98, 186 Flucht – Flüchtender als Geschädigter 246

Hetzjagd-Fall (BGHSt 48, 34) 310, 320, 322, 323, 324, 342, 343, 361, 369, 428 Hilfeverhalten – katechontisches 130, 134, 144, 395, 397, 399, 406, 407, 410, 419, 421, 434 – psychologischer Aspekt 213 Hochsitz-Fall (BGHSt 31, 96) 375, 382, 387, 388, 396 Honoration 399, 403, 412, 434 hypothetische Einwilligung 102

475 312, 348,

148, 412,

378,

– Flüchtender als Schädiger 253 – Fluchtreflex 249 – Handlungsqualität 275 – und Selbstbegünstigungsprinzip 279 Fortwirken der Ausgangsgefahr 78, 98, 105, 110, 126, 127, 129, 131, 148, 155, 230, 310, 384, 386, 421 Freiheitsberaubung mit Todesfolge 312, 356, 370 Garantenstellung 94, 96, 98, 130, 140, 185, 194, 220, 237, 268, 275, 278, 365 Gefährdungsdelikt – abstraktes 338, 413 – konkretes 336 Gefährdungsvorsatz 336, 350 Gefahrenprognose 219 Gefahrtragungspflicht – berufsmäßige Retter 216 – Privatpersonen 220 Geschäftsführung ohne Auftrag 53, 193, 202 gesetzmäßige Bedingung, Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung bei Engisch 41 Gewaltopferentschädigungsgesetz 255 Gnadenschuss-Fall 148

248,

58, 100, 107, 145,

Graffiti-Sprühereien 124

in dubio pro reo 101, 119, 194, 203 in praeceptis affirmativis virtute includuntur praecepta negativa 231 Indeterminismus 174 Interaktionsdynamik 414, 416, 418 Inus-Formel 48, 387 kategorischer Imperativ 211, 220, 238 Kausalität – alternative 41, 42, 115 – generelle 43 – genetische Kausalerklärung Puppes 46, 66, 120, 387 – Granger-Kausalität 39 – konkrete 43 – kumulative 115 – psychisch vermittelte und Willensfreiheit 173 – Quasikausalität 39 – überholende 55 Konnexität mit dem Gefahrenfeld 224 Körperverletzung mit Todesfolge – Erfolgslehre 319 – Handlungslösung 330 – hundertprozentige Erfolgsgefahr bei Puppe 387 – Letalitätslehre 325 Krankenhausfälle – deutsche strafrechtliche Rechtsprechung 77

476

Sachwortverzeichnis

– österreichische strafrechtliche Rechtsprechung 78 – zivilrechtliche Rechtsprechung 82

– Begriff und Aufgabe 50 – bei Frisch 65 – beim Vorsatzdelikt 144

Leibwächter 156, 220, 239 Luftsicherheitsgesetz 146

pathologischer Zustand 252, 311, 331 Pflichtenkollision 75, 138, 143, 149, 158, 422 Planverwirklichung als Charakteristikum des Vorsatzes 90, 146, 362, 369 Pocken-Fall (BGHSt 17, 359) 60, 181, 193 praktische Konkordanz 287 praktischer Syllogismus Bernsmanns 44 Preußisches Strafgesetzbuch 332 Prüfungsschema 70, 304

Magenschmerzen-Fall 311 mittelbare Täterschaft – fahrlässige 109, 188, 206, 229 – Retterschädigung in mittelbarer Täterschaft 243, 245, 425 modellhafte Erfolgsverwirklichung 68, 90, 148, 153, 421 Moral 170, 192, 214, 215 Motivationszusammenhang 42, 70, 173, 251, 420 Nacheile 33, 248, 315, 318, 348 Narkosefehler 118, 121, 123, 129 Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 StGB) 130 Nieren-Fall 212, 226, 239, 240 non liquet 101, 149 normative Korrespondenz 137, 230, 232, 235, 237, 238, 239, 241, 244, 245, 265, 281, 289, 290, 291, 389, 396, 411, 423, 424, 426 Notstand – entschuldigender 136, 140, 209 – rechtfertigender 136 – Situation des Nötigungsnotstands als Zurechnungsmodell bei Rengier 348, 368, 392, 429 – übergesetzlicher entschuldigender 136, 137, 146 Notwehr 136, 137, 138, 154, 220, 267, 268, 404 objektive Bedingung der Strafbarkeit 69, 135, 234, 252, 267, 413 objektive Zurechnung – als Aspekt des Erfolgsunrechts 65, 71, 420

rechtliche Erwartung 127, 136, 137, 232, 236, 239, 242, 290, 384, 395, 407, 410, 422 rechtmäßiges Alternativverhalten 115, 154 Regressverbot – als Unterbrechung des Kausalzusammenhangs 54 – als Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs 55 – Kritik 58 Relativitätstheorie 38 Retter als Geschädigter – deutsche strafrechtliche Rechtsprechung 160 – österreichische strafrechtliche Rechtsprechung 165 – und Risikozusammenhang siehe normative Korrespondenz – zivilrechtliche Rechtsprechung 169 Retter als Schädiger – Differenzierung nach Verhaltensmodalität 93 – Differenzierung nach Verschuldensgrad 99 – Rechtsprechung siehe Krankenhausfälle

Sachwortverzeichnis – und Risikozusammenhang siehe Hilfeverhalten katechontisches sowie Fortwirken der Ausgangsgefahr Rettungsfahrt ins Krankenhaus – allgemeine Teilnahme am Straßenverkehr 73, 89 – Inanspruchnahme von Sonderrechten 73, 91 Rettungsfolter 155 Revokation, gescheiterte 69, 135, 147, 148, 158, 399 Risikoerhöhungstheorie 152, 154 Risikozusammenhang – Begriff und Inhalt 63, 420 – und Risikoverringerung 58, 70, 128, 142 – Verhältnis zur Adäquanz 67, 71, 132, 148, 421 Rötzel-Fall (BGH NJW 1971, 152) 251, 295, 309, 311, 317, 320, 324, 327, 335, 339, 342, 347, 348, 351, 353, 355, 369, 378 Schutzzweck der Norm – Begriff und Inhalt 59 – Kritik 59, 84, 420 Selbstaufopferung 220, 239, 240 Selbstbefreiung 278, 280 Selbstbegünstigungsprinzip 266, 270, 274, 280, 283, 284, 285, 288, 290, 292, 426 Selbsterhaltung 140, 141, 238, 250, 251, 252, 264, 306, 311, 317, 353, 361, 363, 425, 428 Sinngehaltsprobe 90 Sonderwissen 69, 133, 354, 355, 360, 385 sozialadäquates Verhalten, Verhältnis zum allgemeinen Lebensrisiko 87 Stalking 373 Steuerbarkeit 57, 107, 195, 337 Steuerungsfähigkeit, eingeschränkte 160, 185, 241, 245, 424

477

Strafzumessung 123, 170, 280, 298, 322, 386 Suizid 199, 221, 226, 227, 373, 423 Systemdenken 365 Systemgeschlossenheit 202, 252, 364, 368, 369, 370, 371, 372, 396, 397, 398, 399, 403, 405, 406, 408, 409, 410, 411, 418, 430, 433 Talionsprinzip 193 Täuschung 229, 237, 243 tragic choice 136 unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) 284, 288, 289 unmittelbares Ansetzen 49, 310, 323, 324, 351, 357, 409 Unschärferelation 38 unterlassene Hilfeleistung (§ 323 c StGB) 130, 140, 142, 230, 285, 288 Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens 75, 141, 142, 149, 158, 422 Verfolgerfälle – Verfolger als Geschädigter 288, 290 – Verfolger als Schädiger 292 – zivilrechtliche Rechtsprechung 256 Verkehrssicherungspflicht 229 Versari-Prinzip 52, 127, 155, 233, 338 Vertrauensgrundsatz 62, 92, 93, 100, 106, 110, 204, 385 Vorhersehbarkeit, objektive Vorhersehbarkeit des Erfolgs 67, 69, 71, 132, 135, 139, 141, 143, 144, 146, 148, 149, 155, 158, 236, 243, 252, 289, 309, 368, 404, 407, 410, 412, 414, 419, 420, 422, 425, 435 wesentliche Abweichung vom Kausalverlauf 90, 310, 339, 361 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) 283, 288 Willensfreiheit, als normative Setzung 179

478

Sachwortverzeichnis

Zufall 32, 53, 90, 91, 116, 127, 155, 164, 175, 201, 233, 241, 255, 293, 366 Zuständigkeit, fehlende 156, 157, 240, 242, 243, 424

Zweitschädigung durch den Erstschädiger 75, 137, 149, 398