Die Wirtschaftssysteme der Staaten Osteuropas und der Volksrepublik China: Untersuchungen der Entstehung, Entfaltung und Wandlung sozialistischer Wirtschaftssysteme. Bd. I [1 ed.] 9783428417179, 9783428017171


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German Pages 397 [410] Year 1961

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Die Wirtschaftssysteme der Staaten Osteuropas und der Volksrepublik China: Untersuchungen der Entstehung, Entfaltung und Wandlung sozialistischer Wirtschaftssysteme. Bd. I [1 ed.]
 9783428417179, 9783428017171

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Schriften des Vereins für Socialpolitik Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Neue Folge Band 23/1

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SCHRIFTEN DES VEREINS FtJR SOCIALPOLITIK Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozial wissenschaften Neue Folge Band 23/I

Die Wirtsrhaftssysteme der Staaten Osteuropas und der Volksrepublik China

Erster Band

VERLAG VON DUNCKER BERLIN 1961

&

HUMBLOT

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Die Wirtschaftssysteme der Staaten Osteuropas und derVolksrepublik China Untersuchungen der Entstehung, Entfaltung und Wandlung sozialistischer Wirtschaftssysteme

Erster Band

Herausgegeben von

Prof. Dr. Georg lahn und

Prof. Dr. W. M. Frhr. v. Bissing

VERLAG VON DUNCKER

&

HUMBLOT

BE R L I N 1961

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Alle Rechte vorbehalten

© 1961 Duncker & Humblot, Berlin Gedruckt 1961 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin SW 61 Printed in Germany

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Vorbemerkung Es scheint angebracht, den vorliegenden Untersuchungen eInige Bemerkungen über die Absichten vorauszuschicken, die die Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit ihnen verfolgt. Als der Vorstand der Gesellschaft den "Ausschuß zum Studium der Ostfragen" bildete und mir dessen Leitung übertrug, wurde ihm die Aufgabe gestellt, die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung zu untersuchen, die sich in der Sowj etunion und den von ihr abhängigen Staaten im Osten Europas in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat. Dem Ausschuß selbst, der sich im Sommer 1957 konstituierte und sogleich mit seinen Beratungen begann, schien jedoch diese Aufgabe viel zu allgemein und zu umfassend, um in befriedigender Weise gelöst werden zu können. Insbewndere lehnte er es ab, den Beschreibungen der Wirtschaftsentwicklung, die im Laufe des letzten Jahrzehnts fast für jeden Staat Osteuropas veröffentlicht worden sind, eine neue, bis zur Gegenwart reichende Darstellung hinzuzufügen. Die Grundkonzeption, zu der der Ausschuß gelangte, war vielmehr eine andere. Es sollte zunächst ein Modell der Sowjetwirtschaft als System der zentralen Verwaltungswirtschaft konstruiert werden, wie es Ende der Zwanziger Jahre den Sowjetführern beim Übergang vom Experiment zum System vorgeschwebt haben mag, um dann die Verwirklichung dieses Modells in Ausbau und Wandel zunächst in der Sowjetunion zu untersuchen. Es sollte weiter die Rezeption des Sowjetmodells in Ostmitteleuropa (Polen, Mitteldeutschland, Tschechoslowakei) dargestellt und seine Einwirkung auf das Wirtschaftssystem dieser Länder verfolgt werden. Und ebenso sollte der Einfluß des Sowjetmodells auf die Wirtschaftsgestaltung in Südosteuropa (Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Albanien, Jugoslawien) untersucht werden. Ja, auch an die Einbeziehung der Volksrepublik China in die Untersuchungen wurde schon gedacht, obgleich China erst am Anfange der Entwicklung zum Sozialismus und Kommunismus stand. Als Abschluß dieser Länderuntersuchungen wurde eine Zusammenfassung der Ergebnisse in Aussicht genommen, die die grundsätzlichen Unterschiede des sozialistischen Wirtschaftssystems in seinen verschiedenen Abwandlungen und der westlichen Marktwirtschaft darlegen, die spezifische Dynamik der östlichen und der westlichen Wirtschaftssysteme aufzeigen und auch die Möglichkeit der Umwandlung oder Abwandlung eines Wirtschaftssystems in ein anderes prüfen sollte. Endlich sollte auch der Versuch gemacht werden,

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VI

Vorbemerkung

den Einfluß der Sowjetwirtschaft auf die Gesellschaftsstruktur in den Ländern darzustellen, in denen dieser bereits wirksam geworden ist und erfaßt werden kann. Aus diesen überlegungen ergab sich das folgende Untersuchungsprogramm, das ich hier vollständig wiedergeben möchte, um die Größe und Bedeutung der Aufgabe, die sich der Ausschuß gestellt hat, erkennen zu lassen. Es sah die folgenden Einzeluntersuchungen vor: A. Die Entfaltung einer Modell-Theorie der sozialistischen (sowjetischen) Wirtschaft, die bisher fehlt und nicht einmal in der SowjetLiteratur vorhanden ist. B. Die Verwirklichung der Sowjetwirtschaft (ihres "Modells") in allen Ländern Osteuropas, also in der Sowjet-Union, in Polen, in Mitteldeutschland (dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik), in der Tschechoslowakei, in Ungarn, in Rumänien, in Bulgarien, in Albanien, in Jugoslawien sowie in China. Diese Länder-Untersuchungen sollen sich nicht nur auf die Schilderung der Entwicklung der Wirtschaft in jedem der genannten Länder beschränken, sondern vor allem die Abweichungen vom Modell der Sowjetwirtschaft und also die Abwandlungen des Systems der zentralen Verwaltungswirtschaft, wie sie nicht nur in der Sowjet-Union selbst, sondern offenkundig auch in Jugoslawien, in Polen, in Ungarn, in schwächerem Grade auch in den anderen Ländern vorliegen, herausarbeiten und aus den in jedem Lande andersgearteten Entwicklungsbedingungen erklären. Hemmnisse der Verwirklichung des Modells werden in erster Linie gesehen in den je verschiedenen wirtschaftsgeographischen Grundlagen (ungünstige oder ungenügende Raumausstattung an Boden, Bodenschätzen, Sachkapitalien, Arbeitskräften), aber auch in persönlichen und institutionellen Momenten (Widerstand der Menschen und ihrer gesellschaftlichen Organisationen, Bedeutung der Tradition in Landwirtschaft und Gewerbe, Beharrungsvermögen der wirtschaftlichen Institutionen). C. Sowjetwirtschaft und Marktwirtschaft: a) Die grundsätzlichen und bleibenden Unterschiede zwischen den östlichen Wirtschaftssystemen und der westlichen Marktwirtschaft; b) die spezifische Dynamik der beiden Wirtschaftssysteme; c) die Möglichkeit der Umwandlung oder Abwandlung des Systems der Sowjetwirtschaft (insbesondere die Umwandlung des Systems der Sowjetwirtschaft in eine sozialistische Marktwirtschaft, die Bildung einer gemeinsamen Marktwirtschaft verschiedener Sowjetwirtschaften, die Angleichung der Sowjetwirtschaft an die Marktwirtschaft des Westens).

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Vorbemerkung

VII

D. Sowjetwirtschaft und Gesellschaftsstruktur: a) Die Dynamik der Sowjetgesellschaft, insbesondere die Änderung der Gesellschaftsstruktur durch die politischen Gewalten und der Einfluß der Sowjetwirtschaft auf die gesellschaftliche Schichtung. b) Die tatsächliche Entwicklung der Gesellschaft und die Veränderung ihrer Struktur, insbesondere in der Sowjetunion, in Polen, in der Deutschen Demokratischen Republik, in Jugoslawien und in den anderen Osteuropa-Staaten. Die Ausführung dieses großen Untersuchungsprogramms war nicht leicht und drohte zeitweilig an geeigneten Mitarbeitern zu scheitern. Zwar erklärte sich Prof. Dr. W. M. Frhr. v. Bissing sofort bereit, die "Theorie der sozialistischen (sowjetischen) Wirtschaft" zu entwerfen und diese Arbeit so schnell zu be enden, daß sie als Grundlage für die Länder-Untersuchungen dienen konnte. Prof. Dr. Hans Raupach unternahm es, die "Grundbedingungen der Sowjetwirtschaft" zu untersuchen, während Regierungsdirektor Dr. Helmut Klocke alsbald die Darstellung des "Systems der zentralen Verwaltungswirtschaft in der Sowjetunion" in Angriff nahm. Auch Dr. Kurt Poralla stellte sich für eine Untersuchung über "Polen inAngleichung an das sowjetische Wirtschaftssystem" zur Verfügung, und Prof. Dr. Kar! Thalheim erklärte sich bereit, die "Rezeption des Sowjetmodells in Mitteldeutschland" zu schildern. Aber für die anderen Länder war die Gewinnung von Bearbeitern außerordentlich schwer. Einige Mitglieder des Ausschusses, die als Sachkenner bestimmte Länder-Untersuchungen übernommen hatten, erklärten nach geraumer Zeit, daß sie die ihnen gestellte Aufgabe nicht durchführen könnten und den Auftrag in meine Hände zurücklegen müßten. In dieser Notlage kamen uns einige Herren aus der "Arbeitsgemeinschaft Ost" in Wien zu Hilfe, die sich schon seit langem mit den Ländern Südosteuropas beschäftigt hatten. Dr. Otto Turecek übernahm die Untersuchung der Entwicklung in der Tschechoslowakei, Dr. Kurt Wessely, Jugoslawien, Dr. Otto R. Liess, Rumänien, und DT. Robert Schwanke Albanien, nachdem bereits vorher der in Wien lebende Ungar Dr. Ferencz J06 die Untersuchung von Ungarn in Angriff genommen hatte. Für China endlich wurde Dr. Werner Handke gewonnen, der fünf Jahre hindurch von Hongkong aus die Entwicklung der chinesischen Volksrepublik zum Sozialismus und Kommunismus beobachtet und studiert hatte. So kamen alle im Programm vorgesehenen Länder-Untersuchungen, wenn auch mit großer Verzögerung, doch noch zustande und können nunmehr der Öffentlichkeit vorgelegt werden. Unter übereinstimmenden Gesichtspunkten und nach gleicher Methode gearbeitet, wollen sie die im Osten Europas entwickelten Wirtschaftssysteme in ihrem Gefüge

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VIII

Vorbemerkung

und in ihrer Dynamik objektiv begreifen und zu ihrem Verstehen beitragen, ohne sie zu verdammen oder zu meistern. Diesem ersten Bande, der die Theorie der sozialistischen Wirtschaft und die Untersuchungen über die Verwirklichung der Sowjetwirtschaft in der Sowjetunion, in Polen, in Mitteldeutschland und in der Tschechoslowakei enthält, soll in Kürze der zweite Band mit den LänderUntersuchungen Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Albanien und Jugoslawien sowie China folgen. Ich hoffe, daß in absehbarer Zeit auch die übrigen Teile des Ausschuß-Programms ausgeführt und damit die ganze umfassende Untersuchung zu einem glücklichen Ende gebracht werden kann. Prof. Dr. Georg Jahn

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Inhaltsverzeichnis Theorie der sozialistischen (sowjetischen) Wirtschaft Von Prof. Dr. Wilhelm Moritz Frhr. von Bissing . . . . ... . .. . . .... .... .. . .

1

Einleitung ............................................................

1

I. Das sozialistische Wirtschaftssystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2

11. Die beherrschenden Gesetze der sozialistischen Wirtschaft ........

12

III. Der Wirtschaftsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

IV. Die Preisbildung ................................................

26

V. Die Akkumulation ..............................................

32

VI. Arbeitskraft, Arbeitsproduktivität und Lohn; Boden- und Grundrente ........................................

39

VII. Geld, Kredit und Banken ........................................

54

VIII. Verteilung des Gesamtprodukts ..................................

61

IX. Reibungen und Krisen ..........................................

64

X. Der Außenhandel .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

70

Schlußbetrachtung ....................................................

71

Die Grundbedingungen der Sowjetwirtschaft Von Prof. Dr. Hans Raupach ........................................

77

Vorbemerkung. ......................................................

77

I. Standpunkte der Erklärung des Systems der Sowjetwirtschaft .... a) Das ideologische Selbstverständnis des Systems ................ b) Die konkurrenzwirtschaftliche Systemkritik .................... c) Systemimmanentes Verstehen. .... .. ... .... . . . .. . .. . . . . . .. ... . d) Die Frage der Determiniertheit des Systems ..................

78 78 79 80 81

11. Ausgangsbedingungen des eurasiatischen Industrialisierungsprozesses ........................................................

85

III. Der Zeitfaktor im Entwicklungsplan ............................

93

IV. Die Ratio der sowjetischen Zentralverwaltungswirtschaft. .. .. . . ... a) Großbetrieb und Großraumplanung in der sowjetischen Landwirtschaft .................................................... b) Investitionskriterien bei der industriellen Raumerschließung

96 98 105

V. Perspektiven der möglichen Entwicklung ........................

109

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x

Inhaltsverzeichnis

Das System der zentralen Verwaltungswirtschaft in der Sowjetunion Von Dr. Helmut Klocke ..............................................

113

1. Die Geburt des Systems aus dem Geist der Theorie ................

113

2. Die Situation der Machtübernahme ................................

115

3. Die gegebenen Voraussetzungen ..................................

116

4. Vom Experiment zum System....................................

121

5. Die Grundlage des Systems in Ausbau und Wandel ................ a) Die Industrialisierung als Aufgabe und Ergebnis .............. b) Die Verfügung über die Produktionsfaktoren (Boden, Arbeitskräfte, Sachkapital) ............................ c) Die Kapitalakkumulation und ihre Methoden ................ d) Die grundsätzliche Gestaltung der Wirtschaftspläne ............ e) Die proportionale Entwicklung der Zweige der Volkswirtschaft f) Verbrauch und Investition .................................... g) Der Wandel im Aufbau der Plan- und Wirtschaftsbehörden und in den Planungsmethoden ...................................... h) Die Rolle der Außenwirtschaftsbeziehungen .................... i) Das Wachstum der Wirtschaft... ................ ............. .. k) Die Krisen des Systems ......................................

128 128

135 154 158 165 171 176 180 187 194

Polen in Angleichung an das sowjetische Wirtschafts system Von Dr. Kurt Poralla ................................................

199

1. Die ideologische Ausgangsbasis ....................................

199

2. Das polnische Wirtschaftsleben im Banne der sowjetischen Durchdringungsversuche ................................................ a) Die vorbereitende Sowjetisierungsphase (1944-1948) ............ b) Das Stadium forcierter Angleichung (1949-1955) ..............

202 202 204

3. Polens Abkehr vom sowjetischen Wirtschaftsmodell (1956-1960)....

207

4. Die Versuche des Wirtschaftsumbaus nach eigenem Modell........ a) Die Methoden der Dezentralisierung und die Reformen des Planungssystems .................................................. b) Die Rolle der Privatwirtschaft ................................ c) Das Preis problem . .............. .......... ......... ... ........ d) Die Bemühungen um das Gleichgewicht in der Produktionsplanung .......................................................

211 211 215 216 218

5. Die Reorganisation der polnischen Industrie ...................... 221 a) Die neue Industrieverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 b) Besonderheiten der Arbeitsverfassung . .. ........ ...... .. ... ... 225 c) Die Änderung in der Methode der Finanzierung der Staatsunternehmen ........................................................ 229 d) Vermehrter Anteil der Volksräte an der Industrieverwaltung 229

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Inhaltsverzeichnis 6. Die Reformen des Binnenhandelsapparates ........................ a) Aufhebung der Benachteiligung des Genossenschaftshandels .... b) Probleme des Privathandeis ....................................

XI 230 231 232

7. Das Außenhandelssystem . . ... ... .. . .. ... ..... ..... . . ... ... . .. . ... 235 a) Die organisatorischen Änderungen im Außenhandelsapparat .... 235 b) Auflockerung der Außenhandelsgeschäfte ...................... 237 c) Umbau des Zollsystems ........................................ 239 aal Einfuhrzölle ............................................... 240 bb) Ausfuhrzölle .............................................. 241 d) Die Frage der Auslandsvertretungen .......................... 243 e) Strukturmodalitäten ........................................... . 244 f) Die Rolle des polnischen Außenhandels mit dem Ostblock und den Ländern der freien Welt.................................. 248 8. Geldsystem, Kreditwesen und Bankenreform ......................

250

9. Das Agrarsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der staatliche Sektor der Landwirtschaft ...................... b) Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) .... c) Die Landwirtschaftszirkel (LZ) .................................. d) Der "Landwirtschaftliche Entwicklungsfonds" (LEF) ............ e) Das Problem der Pflichtablieferungen ..........................

255 255 257 260 261 262

Schlußbetrachtung ...................................................

263

Literaturverzeichnis ..................................................

265

Die Rezeption des Sowjetmodells in Mitteldeutschland Von Prof. Dr. Karl C. Thalheim ......................................

267

I. Die ideologischen und politischen Grundlagen ..................

267

II. Die Stadien der Sowjetisierung ................................ 272 1. Die Schaffung der Grundlagen (1945-1949) .................. 272 2. Der Beginn der langfristigen Planung und die Fortschritte der Sowjetisierung (1950-1953) .................................. 278 3. Das Zwischenspiel des "Neuen Kurses" ...................... 284 4. Kampf gegen den "Revisionismus" .......................... 285 5. Verschärfte Kollektivierung .................................. 287 6. Reformen nach sowjetischem Muster. Der Siebenjahresplan (1959-1965) .................................................. 289 III. Verstaatlichung und Kollektivierung ............................ 1. Allgemeines ................................................. 2. Die Landwirtschaft .......................................... 3. Die Industrie ................................................ 4. Das Handwerk .............................................. 5. Binnenhandel und Verkehr.................................. 6. Das Kredit- und Versicherungswesen ........................ 7. Die Organisation des Außenhandels ..........................

291 291 294 297 304 307 312 314

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Inhaltsverzeichnis

XII

IV. Die zentrale Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 1. System und Methoden ........................................ 316 2. Reformen in Plansystem und Wirtschaftsverwaltung .......... 319 3. Die Beziehungen zwischen öffentlicher Finanzwirtschaft und Wirtschaftsplanung .......................................... 321 V. Die Ziele der Planung und die Einfügung Mitteldeutschlands in den wirtschaftlichen Ostblock ................................ 324 VI. Die Arbeitsverfassung ..........................................

328

VII. Hemmungskräfte und Zukunftsperspektiven der Sowjetisierung ..

336

Literaturverzeichnis .................................................

341

Die Verwirklichung des Sozialismus in der Tschechoslowakei Von Dr. Otto Turecek ................................................

345

Einleitung ...........................................................

345

A. Der Weg zum Sozialismus........................................

Verstaatlichung als nationales Programm. .. .. . ..... . . . . . .... Sonderfall Landwirtschaft .................................. Der Außenhandel ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Binnenhandel und Verkehr..................................

348 348 355 360 368

B. Die sozialistische Tschechoslowakei ................................ V. Probleme des Privateigentums .............................. VI. Verwaltungsreform 1960 .................................... VII. Staatswirtschaft und Staatsfinanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Staatsplan, Betriebsplanung, Investitionen und Finanzgebahrung IX. Normen und Löhne ..........................................

370 370 372 376 381 391

Schlußbetrachtungen

396

Literaturverzeichnis

397

I. II. III. IV.

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Theorie der sozialistischen (sowjetischen) Wirtschaft Von Prof. Dr. Wilhelm Moritz Frhr. von Bissing

A. Einleitung Wenn hier von sozialistischer Wirtschaft gesprochen wird, so soll die sowjetische Wirtschaft als Erfahrungsobjekt gemeint sein. Damit ist aber nicht gesagt, daß das, was in der Sowjetunion vor sich geht, auch Sozialismus im Sinne der westlichen Vorstellungen zu sein braucht. Ebensowenig wird behauptet, daß die sowjetische Form des Sozialismus die einzig mögliche oder gar die richtige seP. Eine Diskussion darüber, was wirklich Sozialismus ist, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Hier wird der Begriff Sozialismus in dem Sinne gebraucht, wie er in der Sowjetunion verstanden wird, wo Lenin und Stalin sich auf die Ausführungen von Marx in der Kritik des Gothaer Programms berufen und Sozialismus als die Epoche des übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus bezeichnen!. Deswegen hat Stalin auch sein Testament "Die ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR"a überschrieben. Aus dem gleichen Grunde stellt Artikel4 der Verfassung der Sowjetunion fest, daß die ökonomische Grundlage der UdSSR "das sozialistische Wirtschaftssystem und das sozialistische Eigentum an Produktionsmitteln und Produktionsinstrumenten" bilde, und Artikel 1 bezeichnet die UdSSR als "einen sozialistischen Staat der Arbeiter und Bauern". Erkenntnisobjekt soll die innere Gesetzlichkeit des sowjetischen Wirtschaftssystems sein. Die Auffassungen von Lenin und Stalin dienen als Wegweiser des Denkens. Es wird notwendig sein, auch von der These auszugehen, daß die Entwicklung vom Sozialismus zum Kom1 J. Schumpeter in Kapitalismus, Sozialismus, Demokratie, 2. Auf!. München 1950, meint: "Zwischen dem wahren Sinn von Marxens Botschaft und der bolschewistischen Praxis und Ideologie besteht mindestens ein ebenso großer Abstand wie einst zwischen der Religion schlichter Galiläer und der Praxis und der Ideologie der Kirchenfürsten und Kriegsherren des Mittelalters." (S. 17/18) Und weiter: "Kein Sozialist wird die russische Erfahrung als vollgültige Verwirklichung gelten lassen." (S. 299) Eduard Heimann in Sozialistische Wirtschafts- und Arbeitsordnung, Potsdam 1932, S .6, "Es gibt keine allgemein gültige Form des Sozialismus." ! Karl Marx, Zur Kritik des Gothaer-Programms, Berlin 1946. a J. W. Stalin, Die ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR, Stuttgart 1952.

1 Schriften d. Vereins f. Socialpolitik 23

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Wilhelm Moritz Frhr. von Bissing

munismus gesetzmäßig vor sich geht, und daß die historisch dynamischen Faktoren in der realen Dialektik des Ökonomischen zu sehen sind. Die sowjetische Wissenschaft ist in ihrem Bemühen, eine geschlossene Theorie des sozialistischen Wirtschaftssytems aufzustellen, noch nicht zum Ziele gelangt'. Deshalb bringt auch das von der Akademie der Wissenschaften der UdSSR herausgegebene Lehrbuch der Politischen Ökonomie keine geschlossene Theorie der sozialistischen Wirtschaft, sondern es beschränkt sich darauf, eine anfechtbare summarische Darstellung der vorkapitalistischen, der kapitalistischen und der sozialistischen Produktionsweise zu geben5• Will man nun die innere Gesetzlichkeit der sozialistischen Wirtschaft erfassen, so darf man nicht mit dem Begriffs- und Denkapparat der westlichen theoretischen Nationalökonomie an die in ihrem Wesen grundsätzlich anders gestaltete sozialistische Wirtschaft herantreten, wenn man nicht zu schweren Fehlschlüssen gelangen will.

B. I. Das sozialistische Wirtschaftssystem Um die innere Gesetzlichkeit der sozialistischen Wirtschaft zu analysieren, ist es notwendig, an einem Modell dieser Wirtschaft ihren Aufbau und die treibenden Kräfte, die Ursachen und die Wirkungen ihres Zusammenspiels darzustellen. An diesem Modell sollen dann die "objektiven Gesetze, die unabhängig vom Willen des Menschen sich vollziehenden Prozesse des ökonomischen Ablaufs widerspiegeln", deutlich werden. Die konstitutiven Elemente eines solchen Modells sind: 1. eine bestimmte Wirtschaftsgesinnung; 2. eine bestimmte Wirtschaftsordnung; 3. bestimmte Wirtschaftsprinzipien; 4. eine bestimmte Technik. I. Die sozialistische Wirtschaftsgesinnung ist zweckrational. Man will die höchste Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung, den Kommunismus, erreichen. Dazu handelt man nach den die wirtschaftliche Entwicklung beherrschenden Gesetzen, so wie sie von Marx aufgestellt und dann von Lenin und Stalin ausgelegt worden sind. Die Wirtschaftsgesinnung muß außerdem rechenhaft sein, weil nur dann mit den gegebenen knappen Mitteln das Optimum an wirtschaftlichem Nutzen erreicht werden kann, denn auch in der sozialistischen Wirtschaft ist die Knappheit der Güter nicht aufgehoben. Diese rationale Rechen, Sowjet-Studies, Vol. IV., Oxford 1952/53, S. 243 fI. deutsch, Berlin 1955.

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Theorie der sozialistischen (sowjetischen) Wirtschaft

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haftigkeit kommt im Prinzip der "wirtschaftlichen Rechnungsführung" (Chosrastschot) zum Ausdruck. Es zielt darauf hin, die Kosten und Gewinnchancen für jeden einzelnen Akt der Produktion objektiv zu errechnen. Dann müssen die Betriebe so arbeiten, daß aus dem Erlös ihrer Produkte die gesamten Betriebsaufwendungen gedeckt, und daß darüber hinaus noch ein bestimmter Betrag als Gewinn erzielt wird, aus dem neues produktives Vermögen für den Staat geschaffen werden kann (Akkumulation). "Die wirtschaftliche Betriebsführung setzt wirtschaftliche operative Selbständigkeit des Betriebes, Verantwortlichkeit für die operative Ausnützung der ihm zur Verfügung stehenden Mittel und die materielle Interessiertheit an den besten Arbeitsresultaten voraus8 ." Ein Maß, inwieweit die wirtschaftliche Rechnungsführung mit Erfolg angewendet wurde, ist die Rentabilität. Aber dieser Begriff der Rentabilität, den die sowjetische Wissenschaft und Praxis verwendet, ist von dem, der in der "kapitalistischen" Wirtschaft gebraucht wird, durchaus verschieden. Was im Einzelnen darunter zu verstehen ist, soll später noch eingehend erörtert werden. Vorerst genügt es, wenn wir uns an die Äußerung Stalins halten, daß die "Rentabilität nicht vom ökonomischen Standpunkt des Budikers und des gegenwärtigen Augenblicks aus betrachtet werden darf, sondern Rentabilität muß von der Gesamtheit der nationalen Wirtschaft aus erwogen werden in der Perspektive mehrerer Jahre7 ." So ist die Wirtschaftsgesinnung zwar rational, aber nicht individualistisch. Sie ist kollektivistisch, wie das auch Stalins Äußerung über die Rentabilität zeigt. Demnach soll der einzelne Mensch nicht seinem Selbstinteresse nachgehen, sondern das Gemeininteresse im Auge behalten. Anstelle der Arbeit für das eigene Wohl soll die Arbeit für die Gesellschaft treten, die aus "der Erkenntnis, für das Gemeinwohl zu arbeiten, geleistet wird." (Lenin). Nur aus einer solchen kollektivistischen Gesinnung heraus kann das letzte Ziel aller gesellschaftlichen Entwicklung, der Kommunismus, erreicht werden. Aber die Frage ist, inwieweit sich eine solche kollektivistische Gesinnung realisieren läßt. Stehen ihr nicht entscheidende Eigenschaften des Menschen hindernd im Wege, und inwieweit läßt sich die kollektivistische Gesinnung mit der Forderung nach wirtschaftlich operativer Selbständigkeit des Betriebes und nach Rentabilität vereinigen? Diese beiden Forderungen enthalten einen starken Schuß von Individualismus. Hier liegt eine Quelle, aus der reale Gegensätzlichkeiten und Spannungen zwischen kollektivem Interesse und individuellem Streben entstehen können. Damit wird aber eine reale Dialektik aus8 Lehrbuch S.541. s. auch Wolfgang Förster, Chosrastschot, in OsteuropaWirtschaft, Jahrgang 1956/57, S. 109 ff. 7 Fragen des Leninismus, 11. Aufl., S.383.



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gelöst, die ohne den Willen des Menschen aus dem System der sozialistischen Wirtschaft selbst entsteht. Sie ist aber eine objektive Realität, die maßgeblich den Ablauf des Wirtschaftsprozesses beeinflußt. Das werden wir später deutlich sehen. I!. Der kollektiven Wirtschaftsgesinnung entspricht die Ordnung des Wirtschaftssystems. Sie beruht auf dem Gemeineigentum an Produktionsmitteln und am Grund und Boden. Darüber verfügt der Staat, oder in seinem Auftrag ein beschränkter Personenkreis, mit unbeschränkter Macht. Nach Marx und Lenin gibt nur dieses Gemeineigentum die Gewähr, daß die sozialistische Wirtschaft und Gesellschaft von Gruppen- und Klasseninteressen frei bleiben, sodaß ar.tagonistische Gegensätze innerhalb der sozialistischen Gesellschaft nicht entstehen können. Die rational zweck orientierte Wirtschaftsgesinnung verlangt, daß die sozialistische Wirtschaft planmäßig ihrem Endziel entgegengeführt wird. Deswegen wird die Wirtschaft an einen Plan gebunden, wobei man aber dem Konsumenten innerhalb der vom Plan gezogenen Grenzen eine gewisse Freiheit läßt. Das Privateigentum an Konsumgütern bleibt bestehen. Der Wirtschaftsplan ist der Mittelpunkt in der Ordnung des sozialistischen Wirtschaftssystems. Um ihn durchzuführen, bedarf es einer Organisation. Sie kann entweder zentralisiert oder dezentralisiert sein. Die zentralisierte Organisation führt zu einer zentralen Verwaltungswirtschaft. Ausmaß, Durchführung der Produktion, Verteilung und Konsumtion werden von einer zentralen Leitung den ihr untergeordneten Organen, denen die Durchführung des wirtschaftlichen Prozesses obliegt, befohlen. Die zentrale Verwaltungswirtschaft verlangt als ausführendes und verwaltendes Organ eine straff aufgebaute, hierarchische und kenntnisreiche Bürokratie. Diese Bürokratie wird zum eigentlichen Besitzer der Produktionsmittel, die sie verwaltet. Aber ohne das Büro, dessen Wesen Akten und Vorschriften sind, kann die vielgestaltige Wirtschaft nicht übersichtlich gemacht werden, und ohne das Büro ist eine kontinuierliche Fortführung der Wirtschaft nicht gewährleistet. Wenn die Bürokratie verwalten und führen soll, ist eine scharfe Abgrenzung der Kompetenzen erforderlich, um ein Gegen- und Nebeneinander der anordnenden und verwaltenden Stellen zu verhindern. Dazu muß die Entscheidungsfreiheit der einzelnen Organe innerhalb der Hierarchie beschränkt werden, weil sonst die glatte Durchführung des Planes im Sinne der obersten Zentrale verhindert oder zum mindesten gefährdet werden würde. Aber gleichzeitig muß die Arbeit der einzelen Bereiche zu einander in Übereinstimmung gebracht werden. Dann stellt sich die Frage, inwieweit die Koordination auf der einen Seite und die Abgrenzung der Kompetenzen

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auf der anderen Seite Interessenkollisionen innerhalb der Bürokratie hervorrufen, wodurch Gegensätzlichkeiten entstehen. Dadurch vermag auf den Ablauf des Wirtschaftsplaneseine Dynamik einzuwirken, die möglicherweise den Zielen des Planes entgegensteht. Die enge Bindung der unteren Organe an die Entscheidungen der Zentrale geben dem ganzen Gebilde der zentralen Verwaltungswirtschaft etwas Unelastisches, das umso starrer sein wird, je weniger die "wirtschaftlich operative Selbständigkeit" von den unteren Organen betätigt wird. Dann ist aber immer noch die Frage, ob diese Selbständigkeit auch im Sinne der zentralen Leitung wirksam wird. Die andere Möglichkeit der Organisation einer sozialistischen Gesellschaft und Wirtschaft ist die Dezentralisation. Man kann bestimmte Wirtschaftsgebiete oder Wirtschaftszweige als eine Art Selbstverwaltungskörper errichten, denen von der zentralen Stelle gewisse Aufgaben im Rahmen des Wirtschaftsplanes zugewiesen werden. Aber auch hier wird die Bürokratie nicht zu entbehren sein, die regelnd und kontrollierend eingreift. Dann entstehen Spannungen über die Zuständigkeiten der Zentrale und der Selbstverwaltungskörper, zu denen Interessenkonflikte zwischen den einzelnen Selbstve~waltungskörpern hinzukommen. Die dann auftretenden Gegensätzlichkeiten bergen die Gefahr in sich, daß das ganze System gesprengt werden kann. Lenin zog aus diesem Grunde die straff zentralisierte Organisation vor. Er fürchtete, daß in einer dezentralisierten Organisation schädliche Doppelarbeit geleistet, und daß die ökonomische Rationalität nicht gewahrt werden würde. Die einzelnen Organe der Wirtschaftsführung können auf dem Prinzip der Kollegialität oder auf dem der Verantwortlichkeit der einzelnen Persönlichkeit aufgebaut sein. Lenin forderte Kollegialität für die oberste planende Stelle, weil die Fülle der Zusammenhänge von einer einzelnen Persönlichkeit nicht zu übersehen wäre. Wohl aber ist das bei den einzelnen produzierenden Unternehmen noch möglich. Deshalb forderte Lenin hier die "Ein-Mann-Leitung". "Jede maschinelle Großindustrie erfordert unbedingte und strenge Einheit des Willens, der die gesamte Arbeit von Hunderten, von Tausenden und Zehntausenden leitet." Der Sozialismus verlangt nach Lenin "die unbedingte Unterordnung der Massen unter den einheitlichen Willen der Leiter des Arbeitsprozesses8." Dem Betriebsleiter wird damit eine große Macht zugestanden, aber auf ihm lastet auch große Verantwortung. Er haftet nicht nur zivilrechtlich, sondern auch strafrechtlich für die Fehler seiner Betriebsführung und vor allem dafür, daß Plan- und Wirtschaftsdisziplin ein8

Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXII, S.525.

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gehalten werden, und daß das ihm anvertraute Betriebsvermögen bewahrt wirdD• In der sozialistischen Wirtschaft liegen politische und wirtschaftliche Macht und Entscheidung in derselben Hand. Daher wird der Wirtschaftsplan nach den Weisungen der staatlichen Macht von einem Gremium entworfen, aber dann von den höchsten staatlichen Stellen beschlossen und durchgeführt. Damit vereinigen sich politische und wirtschaftliche Forderungen, die aber nicht immer miteinander in Einklang zu bringen sind. So entstehen Spannungen zwischen politischer Forderung und wirtschaftlicher Durchführbarkeit, die auf den Plan, auf seinen Ablauf und auf die wirtschaftliche Entwicklung übertragen werden. Gleich ob die sozialistische Verwaltungswirtschaft zentralisiert oder dezentralisiert organisiert ist, müssen die produzierenden Unternehmen zu Gruppen zusammengefaßt werden, weil sonst eine Lenkung der Wirtschaft nicht möglich wäre. In der Industrie bezeichnet man als Trusts horizontale, meist regional gegliederte Zusammenfassungen mehrerer Unternehmen einer Branche. Diese Trust kontrollieren die Produktion, ob sie planmäßig verläuft, sie überwachen die Rohstoffversorgung der in ihnen zusammengeschlossenen Betriebe und beaufsichtigen den Absatz der Erzeugnisse. Combinate sind vertikale Organisationen, die mehrere sich ergänzende Produktionsstufen zusammenfassen. Trusts, Combinate und industrielle Unternehmen sind juristische Personen, die ein abgesondertes Vermögen von Grund- und Umlaufsmitteln haben, das ihnen vom Staat zugewiesen wird lO • Die Grundlage der Betriebsführung ist der rechenhaften rationalen Wirtschaftsgesinnung entsprechend das "Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung" (Chosrastschot). Für die Landwirtschaft ergeben sich drei Möglichkeiten der Organisation. Entweder errichtet man beim Übergang zum Sozialismus eine große Zahl von selbständigen Kleinbauernbetrieben oder man faßt die Landwirte in Produktionsgenossenschaften zusammen, wobei aber der Boden im Eigentum des Staates steht, oder drittens endlich werden Staatsgüter als landwirtschaftliche Großbetriebe errichtet. Im ersten Fall nimmt man Rücksicht auf die vorsozialistische Eigentumsauffassung der Bauern. Aber dabei besteht die Gefahr, daß zwei antagonistische Klassen entstehen, nämlich die besitzenden Bauern auf der D Werner Hofmann, Die Arbeitsverfassung in der Sowjet-Union, Berlin 1956, S. 485. 10 A. Kurski, Die Planung in der Volkswirtschaft der UdSSR, Moskau 1949, S.147.

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einen Seite und die persönlich nichts besitzenden Industriearbeiter auf der anderen Seite. Dann kann mit zunehmender Industrialisierung ein Mangel an Nahrungsmitteln, vor allem in den Städten, eintreten, weil die kleinen Betriebe zu wenig von ihren Erzeugnissen an den Markt bringen und einen zu großen Teil in der eigenen Wirtschaft verbrauchen. Endlich ist es schwer, eine große Anzahl kleiner landwirtschaftlicher Betriebe in die Verwaltungswirtschaft einzugliedern. Die zweite Form der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft stellt innerhalb der sozialistischen Wirtschaft eine besondere Form des Eigentums dar, das sich zum mindesten auf die in den genossenschaftlichen Betrieben gewonnenen Erzeugnisse erstreckt. Damit wird in der sozialistischen Gesellschaft abermals eine zweite Klasse geschaffen, der allerdings keine antagonistischen Bestrebungen zu Grunde liegen. Dennoch können Gegensätze entstehen, die wieder eine reale Dialektik auslösen, die sich in ihren Auswirkungen dem Willen der Wirtschaftsleitung entzieht. Die Mitglieder der Produktionsgenossenschaften erhalten von dem der Genossenschaft vom Staat überlassenen Grund und Boden eine kleine Fläche zur individuellen Nutzung und außerdem eine bestimmte Anzahl Großvieh, Kleinvieh und Geflügel als Privateigentum. Nach Ablauf des Wirtschaftsjahres erhalten sie nach Maßgabe der von ihnen geleisteten Arbeit einen Anteil am Ertrag der gemeinsam produzierten Erzeugung. Aber auch in den Produktionsgenossenschaften entsteht eine reale Dialektik; einmal konkurriert der individuelle Sektor innerhalb der Genossenschaft mit dem genossenschaftlichen Sektor um die Arbeitsleistung der Genossen, und dann kann diese Form der Organisation mit dem aus der vorsozialistischen Zeit den Landwirten überkommenen Freiheits- und Herrenbegriff nicht übereinstimmen und dazu führen, daß die Arbeitswilligkeit und Arbeitsleistung der Genossen nicht auf das höchst mögliche Maß angespannt wird. Dann hält die landwirtschaftliche Erzeugung nicht mit der industriellen Schritt, sodaß sich ein Mangel an Nahrungsmitteln einstellt, der die Durchführung des Wirtschaftsplanes erheblich zu stören vermag. Die dritte Form endlich überführt, wie in der Industrie, das landwirtschaftliche Eigentum in Gemeineigentum. Es entstehen Staatsgüter, die von Staatsangestellten bewirtschaftet werden, und wo die Arbeit von Lohnarbeitern verrichtet wird. Welche von diesen Organisationsformen gewählt wird, hängt mit davon ab, inwieweit die landwirtschaftliche Bevölkerung bereit ist, ihre individuelle Freiheit dem kollektiven Prinzip zu opfern. Neben dem Gemeineigentum an Produktionsmitteln ist das hervorstechende Kennzeichen der sozialistischen Wirtschaft, daß in ihr der Markt fehlt, auf dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen

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und den Preis bestimmen. Ein solcher Markt ist in der sozialistischen Wirtschaft grundsätzlich ein wesenfremdes Element. Das Verhalten von Angebot und Nachfrage auf einem Markt ist individualistisch und nicht kollektivistisch, und dieses individualistische Handeln würde mit dem Ablauf eines kollektivistischen Wirtschaftsplanes in einem unlösbaren Widerspruch stehen. Die Verteilung der Produktionsmittel erfolgt auf Grund des Planes nach verwaltungsmäßigen Grundsätzen, auch wenn markt- und tauschähnliche Erscheinungen die verwaltungsmäßige Verteilung zu überdecken scheinen. Für Konsumgüter gibt es allerdings einen gewissen organisierten Markt, der dadurch bedingt ist, daß dem Konsumenten in gewissen Grenzen die Wahl der Konsumgüter freigestellt ist. Aber ein freies Spiel von Angebot und Nachfrage findet auch hier nicht statt, weil die Preise im Plan vorgeschrieben sind. Ein unorganisierter Markt dagegen besteht dort, wo die Mitglieder der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften Agrarprodukte zum Verkauf stellen. Diese stammen aus den überschüssen, die das Kollektiv über die Pflichtablieferungen an den Staat hinaus erzielt hat. Hier werden auch von den einzelnen Genossen die Erzeugnisse angeboten, die das ihnen zur individuellen Nutzung überlassene Land und die individuelle Viehaltung abgeworfen haben. Auf diesem Markt bestimmt das freie Spiel von Angebot und Nachfrage den Preis. Auf dem Markt der Arbeitsleistung sind die Arbeiter zwar prinzipiell freizügig; aber die Eigenart des Marktes besteht darin, daß der Staat als Nachfragemonopolist einem zerstreuten und unorganisierten Angebot gegenübersteht. Weil die sozialistische Wirtschaft keinen Markt für Produktionsmittel und keinen freien Markt für Konsumgüter hat, kann die Konkurrenz nicht die Koordination der produzierenden Betriebe vornehmen, sondern das muß auf verwaltungsmäßigem Wege geschehen. Damit fällt aber auch die Konkurrenz als dynamisches Element weg, das die Betriebe zwingt, Bestes zu leisten und dann ihre Planaufgabe mit den ihnen gegebenen Mitteln ökonomisch zu erfüllen. Die wirtschaftliche Rechnungsführung allein reicht aber nicht aus, um in den Betrieben die fruchtbare Spannung zwischen Planaufgabe und Erfüllung zu wecken. Es muß also versucht werden, auf einem anderen Wege zu einem Wettbewerb zu gelangen, der nicht den planmäßigen Ablauf des Wirtschaftsprozesses stören kann, wie das bei einem freien Wettbewerb am Markt der Fall sein würde, aber dennoch die produktiven Spannungskräfte anzuregen vermag. Das kann nur ein Wettbewerb sein, der bestimmten Regeln unterworfen ist, bestimmten Zwecken der Planerfüllung dient und in seinem Verlauf kontrolliert wird. Man bezeichnet diesen Wettbewerb als sozialistischen Wettbewerb.

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Er wendet sich an die Masse der Arbeiter und soll dort "eine tiefe Interessiertheit der Massen an der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion herbeiführen11 " und die Massen zu einem "Arbeits aufschwung" veranlassen. Stalin verlangte von den im sozialistischen Wettbewerb stehenden Arbeitern: "Hole die Besten ein und erziele einen allgemeinen AufschwungP2" Der Wettbewerb kann einmal innerhalb der Betriebe und dann zwischen den Betrieben stattfinden. Bei den innerbetrieblichen Wettbewerben geht der Anstoß dazu von den Bestarbeitern und den Neuerern aus. Das sind Arbeiter, die bereits Hinweise gegeben haben, wie die Organisation und die Methoden der Produktion verbessert werden könnten (Stachanow). Innerhalb der Betriebe treten dann die einzelnen Arbeiter oder Brigaden in einen Leistungswettbewerb mit einander. Der Wettbewerb zwischen den Betrieben wird meist von den politischen oder gesellschaftlichen Organisationen ins Leben gerufen, die an der Steigerung und Verbesserung der Produktion interessiert sind, und die dann die Betriebe entweder der gleichen Branche eines Gebietes oder gar des ganzen Landes veranlassen, mit einander in Wettbewerb zu treten. Hofmann hat vier große Gruppen des sozialistischen Wettbewerbes nach den verschiedenen Zielen, die angestrebt werden, zusammengestellt. Danach ist der sozialistische Wettbewerb 13 1. Mengenwettbewerb; (Übererfüllung der Normen, Mehrmaschinenbedienung, Steigerung der Produktion der Brigaden, um gleichzeitig Arbeitskräfte für andere Zwecke frei zu machen.) 2. Qualitätswettbewerb; (Senkung des Ausschusses, der Selbstkosten und Einsparung von Material.) 3. Komplexer Wettbewerb; (Beseitigung von Produktionsverlusten.) 4. Berufswettbewerb; (Hebung der rückständigen Arbeiter auf das Niveau der Besten, Erlernung mehrerer Berufe.) Der sozialistische Wettbewerb zeigt den Arbeitern die entscheidende Rolle, die sie in der Gesellschaft spielen, er weist sie auf die Bedeutung der Arbeitsproduktivität und ihrer Steigerung für die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft hin, und er weckt den Ehrgeiz, mehr zu leisten, wenn die Sieger im sozialistischen Wettbewerb aus Lehrbuch S. 494. Werke Bd. XII, S.98, s. auch G. N. Jewstafjew, Der sozialistische Wettbewerb, Berlin 1954. 11

12 13

W. Hofmann, a. a. 0., S. 463.

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der übrigen Masse der Arbeiter herausgehoben werden. Gleichzeitig aber zwingt der Wettbewerb die Arbeiter unter das Ziel des Planes und stellt sie damit in das Kollektiv hinein. Er wird dadurch ein wesentlicher Faktor, um den neuen sozialistischen Menschen zu erziehen14 • Er vermag ferner dazu beizutragen, daß durch stoßweise Steigerung der Arbeitsleistung Engpässe in der Produktion überwunden werden. Das ist die eine Seite des sozialistischen Wettbewerbs; die andere jedoch nötigt den Arbeiter, überstunden zu leisten, die nicht bezahlt werden, und auf einen Teil seiner Freizeit zu verzichten. Dadurch aber können gerade Arbeitsleistung und Arbeitsproduktivität vermindert werden. Dann wird also eine reale Dynamik ausgelöst, die den Absichten der Wirtschaftsleitung widerspricht und mit den Zielen des Wirtschaftsplanes nicht vereinbar ist. Dazu kommt, daß der sozialistische Wettbewerb auch rein materiell den glatten Ablauf des Wirtschaftsplanes zu stören vermag, weil er leicht an einer Stelle ein Zuviel an Gütern schafft; dadurch müssen Stockungen an anderen Stellen entstehen, die nur vermieden werden können, wenn die wirtschaftliche Führung wendig genug ist, um hier einen Ausgleich zu schaffen. Doch die Wendigkeit der Führung wird durch die Bürokratie sehr eingeschränkt. II!. Die Wirtschaftsordnung wird von bestimmten Prinzipien getragen, die sich aus der Wirtschaftsgesinnung ergeben. Marx kennzeichnet in der Kritk des Gothaer Programms die Übergangsepoche des Sozialismus dadurch, daß im Sozialismus jeder nach seinen Fähigkeiten zu leisten habe, und daß jeder entsprechend seinen Leistungen versorgt werden würde. Dabei stellt aber die kollektive Wirtschaftsgesinnung den Bedarf und die Bedürfnisse des Einzlnen hinter die Bedürfnisse des Kollektivs, der Gesellschaft. Um des Kollektivs willen wird gewirtschaftet. Deshalb verlangt auch der Artikel 11 der Verfassung der Sowjetunion: "Das Wirtschaftsleben in der UdSSR wird durch den staatlichen Wirtschaftsplan im Interesse der Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums, der stetigen Hebung des materiellen und kulturellen Niveaus der Werktätigen, der Festigung und Unabhängigkeit der UdSSR und der Steigerung der Wehrhaftigkeit bestimmt und gelenkt." Die Gesamtheit und die Gesellschaft wird repräsentiert durch den Staat, der durch den Wirtschaftsplan Richtung und Ziel der Wirtschaftsentwicklung bestimmt. Dieser Staat muß politisch und wirtschaftlich unabhängig von seiner "kapitalistischen" Umgebung sein. Damit wird die wirtschaftliche Entwicklung weitgehend von der jeweiligen politischen Lage bestimmt. 14

Prawda, Moskau, vom 15. September 1957.

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Die Entwicklung zum Kommunismus kann aber nur durch ein ununterbrochenes Wachstum der Produktion vorangetrieben werden. Nur dann, wenn ein Überfluß an Gütern vorhanden ist, kann jeder nach seinen Bedürfnissen versorgt werden. Das ist Sinn und Ziel des Kommunismus. Dieses Ziel kann aber nur erreicht werden, wenn sozialistische Agrarstaaten zu Industriestaaten entwickelt werden, und wenn sozialistische Industriestaaten ihre industrielle Produktion auf das höchst erreichbare Maß steigern und dazu dem technischen Fortschritt freien Raum geben. In beiden Fällen ist also Voraussetzung, daß die Arbeitsproduktivität ständig gesteigert wird, und Hand in Hand damit eine ebenso ständige Vermehrung der Akkumulation erfolgt. Die kommunistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist Fernziel, die Nahziele auf dem Wege dorthin sind Vermehrung der Akkumulation und Steigerung der Produktivität der Arbeit, d. h. Steigerung der Prokopfleistung des einzelnen Werktätigen auf dem Gebiet der Verwaltung, der Produktion und der Verteilung. Damit aber sind ununterbrochene Strukturwandlungen in der sozialistischen Volkswirtschaft verbunden. Es wird sich dann darum handeln, ob diese Strukturwandlungen durch die Planung so herbeigeführt werden können, daß die einzelnen Zweige der Volkswirtschaft proportional wachsen. Diesem Bestreben jedoch kann die politische Forderung entgegenstehen, die darauf dringt, einzelne Zweige der Volkswirtschaft schwerpunktmäßig zu entwickeln. Dann können Gegensätze zwischen Planforderungen und wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten auftreten. Solche Gegegensätze sind aber auch dann vorhanden, wenn eine proportionale Entwicklung der Volkswirtschaft angestrebt wird. Diese Möglichkeit weckt grundlegende Zweifel, ob die Wirtschaftsplanung tatsächlich die Gewähr dafür ist, daß die sozialistische Volkswirtschaft sich ohne Krise in ununterbrochenem Aufschwung zu entwickeln vermag, wie das von Stalin behauptet wirdl5 • IV. Wie dem auch sei, in diese Entwicklung wirkt zudem von außen her ein dynamisches Element von außerordentlicher Kraft hinein; das ist die rationale Technik mit dem technischen Fortschritt. "Sozialismus ist undenkbar ohne die großkapitalistische TechnikI8 ." Ihre Anwendung und ihre Verbreitung ist die Voraussetzung, um die Arbeitsproduktivität und die Akkumulation ständig zu steigern. Aber der technische Fortschritt kann nur fruchtbar gemacht werden, wenn Wissenschaft und Forschung ein eingehendes technisches Wissen in der Bevölkerung verbreiten. Die Nutzung des technischen Fortschrittes verlangt weiter die Investierung großer Mittel. Diese müssen von der sozialistischen Volkswirtschaft selbst aufgebracht werden, denn die Inanspruch15

18

Stalin, Probleme, S. 40. Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXII, S.593.

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nahme von ausländischem Kapital würde die sozialistische Wirtschaft vom "kapitalistischen" Ausland abhängig machen. Da ein Kapitalmarkt in der sozialistischen Volkswirtschaft fehlt, kann nur der Staat die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen. Er beschafft sie sich aus den Gewinnen der staatlichen Industrie und durch Steuererhebung. Das Ausmaß der Akkumulation, und wie die damit finanzierten Investierungen verwendet werden, ist dafür bestimmend, welcher Teil des Sozialprodukts verfügbar bleibt, um die Werktätigen zu versorgen. Auch hier kann ein Konflikt zwischen Akkumulation und Konsumtion heraufbeschworen werden. Dann ist das Problem, ob dieser und die anderen Konflikte gemeistert werden können, wenn die Führung der Wirtschaft die beherrschenden Gesetze der sozialistischen Wirtschaft befolgt und sie in richtiger Weise anwendet.

11. Die beherrschenden Gesetze der sozialistischen Wirtschaft Die beherrschenden Gesetze der sozialistischen Wirtschaft sind: das Gesetz von der maximalen Befriedigung; 2. das Gesetz von der planmäßigen und proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft; 3. das Gesetz von der unbedingten übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte. 1.

Das Gesetz von der maximalen Befriedigung lautet in der Formulierung Stalins: "Sicherung der maximalen Befriedigung der gesamten Gesellschaft durch ununterbrochenes Wachstum und stete Vervollkommnung der sozialistischen Produktion auf der Basis der höchst entwickelten Technik17 ." Dieses Gesetz hat normativen und nicht funktionellen Charakter. Als Norm findet es seinen Niederschlag in den staatlichen Wirtschaftsplänen. Da im Sozialismus die Gesellschaft durch den Staat verkörpert wird l8 , "stellt die Existenz des imperialistischen Lagers den Sowjetstaat vor die Notwendigkeit, die wirtschaftliche Macht und die Landesverteidigung der UdSSR mit allen Mitteln zu festigen "19. Um dem Druck der fortgeschrittenen Staaten auf ökonomischem Gebiet nicht zu erliegen, stellte Lenin die Aufgabe, diese Länder technisch "einzuholen und zu überholen20 ". Deshalb muß die Politik "notwendigerweise das Primat über die Ökonomie besitzen", lehrt Lenin weiter%!. Damit sind alle ökonomischen Maßnahmen innerhalb der sozialistischen Wirtschaft sowjetischen Typs in erster Linie politisch bedingt. 17

18 11 20 21

StaUn, Probleme, S. 40.

Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXI, S. 484. Lehrbuch, S.470. Ausgew. Werke, Bd. H, S. 130. Sämtl. Werke, Bd. XXVI, S. 148.

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Demgemäß tritt auch bei der Anlage der Wirtschaftspläne der Gesichtspunkt des volkswirtschaftlichen Gleichgewichts hinter den der politischen Notwendigkeit zurück. Es werden vielmehr aus Gründen der äußeren und der inneren Politik bestimmte wirtschaftliche Schwerpunkte gebildet. So besteht in der sozialistischen Wirtschaft die Tendenz, ökonomische Gesetzlichkeit hinter die politische Notwendigkeit zurücktreten zu lassen; dennoch kann man sich keineswegs über alle volkswirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten hinwegsetzen. Jedenfalls geht der staatliche Bedarf dem individuellen vor, und nur soweit dieser gedeckt ist, kommt es zu einer Befriedigung des Bedarfs der einzelnen Individuen; mehr kann das Gesetz der maximalen Befriedigung nicht sagen und nicht fordern. Dieses Gesetz und das von der planmäßigen proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft hängen eng zusammen. Wachsende Bevölkerung und zunehmende technische Entwicklung verlangen wachsende Produktion. Aber was heißt in der sozialistischen Wirtschaft sowjetischen Typs "proportionale Entwicklung"? Man könnte meinen, daß es darauf ankommt, eine Entwicklung planmäßig einzuleiten, bei der das volkswirtschaftliche Gleichgewicht gewahrt wird. Aber dem steht entgegen, daß die sowjetische Nationalökonomie den Begriff des volkswirtschaftlichen Gleichgewichts ablehnt und ihn als "kapitalistischsubjektivistisch" bezeichnet!2. Deshalb sagt Stalin: "Das Gesetz der planmäßigen proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft kann nur in dem Fall den notwendigen Effekt zeitigen, wenn eine Aufgabe vorhanden ist, um deren Verwirklichung willen die planmäßige Entwicklung erfolgt ist23 ." Die Aufgabe ist einmal, den gütermäßigen Staatsbedarf zu decken, und dann die im verbleibenden Rahmen maximale Befriedigung des individuellen Bedarfs sicher zu stellen. Wir wollen Staatsbedarf und individuellen Bedarf zusammen das "gesellschaftlich Notwendige" nennen. Die Aufgabe ist demnach, das gesellschaftlich Notwendige zu erreichen und Mittel zur Akkumulation in der Hand des Staates zu sammeln, damit die Volkswirtschaft so entwickelt werden kann, daß ihre einzelnen Teile auf das gesellschaftlich Notwendige hin zusammenwirken. Nach Lenin ist diese Entwicklung nur gewährleistet, wenn die die Produktionsmittel erzeugenden Teile der Volkswirtschaft schneller entwickelt werden als die, die Konsumgüter herstellen. Die vorauseilende Entwicklung der schweren Industrie, vor allem der Maschinenindustrie, ist für Lenin die Bedingung, daß die Konsumgüterindustrie und die Landwirtschaft mit den notwendigen Produktionsmitteln versehen 22

23

Mirowaja Ekonomika (Zeitschrift für Weltwirtschaft) Moskau, Juli 1957. Ökonomische Probleme, S. 42.

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werden, und daß sie dem ständigen Wachsen des Bedarfs folgen können. Die proportionale Entwicklung besteht also darin, daß die Produktionsmittelindustrie so entwickelt wird, daß Konsumgüterindustrie und Landwirtschaft stets ausreichende Produktionsmittel zur Verfügung haben. Da aber der Staat, solange das "imperialistische Lager" existiert, für die Aufrechterhaltung seiner Rüstung erhebliche Mengen an Produkten der schweren Industrie für seine Rüstung in Anspruch nehmen muß, so wird dadurch der Schwerpunkt der industriellen Entwicklung noch mehr auf die schwere Industrie verlegt. Dann behält das Gesetz von der proportionalen Entwicklung zwar noch seine normative Geltung, aber es fragt sich, inwieweit seine funktionelle Geltung eingeschränkt wird. Dadurch aber entsteht erneut eine reale Dialektik, die irgendwelche dynamische Wirkungen in der Volkswirtschaft auslösen muß. Das dritte Gesetz von der unbedingten Vbereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte ist in der sozialistischen Wirtschaft so lange noch nicht außer Kraft gesetzt, als in der Landwirtschaft noch das Gruppeneigentum besteht, und als individuelle Einkommen der Bauern vorhanden sind. Für die Entwicklung zum Kommunismus hat daher das Verschwinden "des wesentlichen Unterschiedes zwischen Stadt und Land, zwischen Landwirtschaft und Industrie erstrangige Bedeutung" (Stalin)24! Nach Stalin kann weder ein Überfiuß an Produkten, der den gesamten Bedarf der Gesellschaft zu decken vermag, noch der Übergang zum Grundsatz, daß jeder nach seinen Bedürfnissen versorgt werden könne, in die Tat umgesetzt werden, solange kollektivistisches Gruppeneigentum vorhanden ist. Vielmehr kommt es darauf an, "das kollektivistische Gruppeneigentum durch allmähliche den Kollektivwirtschaften und folglich der ganzen Gesellschaft zum Vorteil gereichende Übergänge auf das Niveau des allgemeinen Volkseigentums zu heben"25. Wenn so das Gesetz von der unbedingten Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte auch in der sozialistischen Wirtschaft in Kraft bleibt, so treten, nachdem der Antagonismus der Klassen beseitigt ist, neue Kräfte auf, die die Entwicklung zum Kommunismus vorwärts treiben. Nach Stalin sind dies auf wirtschaftlichem Gebiet: das ununterbrochene Wachstum der gesamten gesellschaftlichen Produktion bei vorwiegender Produktion von Produktionsmitteln; 2. die ständige Senkung der Preise der Bedarfsgüter für die breiten Massen!8.

1.

Ökonomische Probleme, S. 66. Stalin, a. a. O. !8 Ökonomische Probleme, S. 66 fi.

!4 U

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Wie lange der Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus dauert, ist ungewiß. Lenin meint: "Welche Etappen durchschritten werden müssen, wissen wir nicht, und können wir nicht wissen17 ." Die sowjetische nationalökonomische Wissenschaft hat für diese Übergangsperiode als die entscheidenden theoretischen Probleme vier Punkte erkannt: 1. Die Wechselbeziehungen zwischen Politik und Wirtschaft; 2. die Wechselbeziehungen zwischen planmäßiger Lenkung der Volkswirtschaft und den ökonomischen Gesetzen des Sozialismus; 3. die Lenkung der Volkswirtschaft und die Entwicklung des Kommunismus; 4. die Zusammenhänge zwischen volkswirtschaftlicher Planung und erweiterter Reproduktion!8. Wie das 1955 erschienene Lehrbuch der Politischen Ökonomie zeigt, hat die sowjetische Wissenschaft diese Probleme bisher noch nicht zu lösen vermocht. Die Lösung muß von der Eigenart der sozialistischen Wirtschaft, den sie beherrschenden Gesetzen und der innerhalb der sozialistischen Wirtschaft wirkenden realen Dialektik ausgehen. Daraufhin ist als zentraler Punkt der sozialistischen Wirtschaft der Wirtschaftsplan, seine Aufstellung und seine Durchführung zu analysieren; das führt dann zur Frage der wirtschaftlichen Rechnung, zur Rolle der Preise, der Akkumulation und der Steigerung der Produktivität der Arbeit als den Nahzielen der sozialistischen Wirtschaft. An Hand des Gesetzes der maximalen Befriedigung ist dann die Frage des Arbeitsentgeltes und der Verteilung zu untersuchen, wobei das Problem des Geldes und des Kredits in ihrer Einwirkung auf die Durchführung des Wirtschaftsplanes und die Verteilung zu analysieren ist. Endlich wird das Augenmerk darauf zu richten sein, inwieweit die reale Dialektik Reibungen oder sogar Krisen im volkswirtschaftlichen Ablauf hervorruft.

III. Der Wirtsmaftsplan Der Wirtschaftsplan steht im Mittelpunkt der sozialistischen Wirtschaft. In ihm erscheint das gesellschaftlich Notwendige faßbar in U

27 Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XXI, S.555. 28 Vortrag von K. W. OstTowitjanow in der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, in Sowjetwissenschaft, 1949, Heft 2, S. 171. U s. dazu Charles Bettelheim, Problemes theoriques et pratiques de la Planification, Paris 1951. W. A. Lewis, The Principles of Economic Planning, London 1949. Ders., Theorie des wirtschaftlichen Wachstums, Tübingen 1956. K. P. Hensel, Einführung in die Theorie der Zentralverwaltungswirtschaft, Stuttgart 1954. A. KUTSki, Planung in der Volkswirtschaft der UdSSR, Moskau 1949. A. Batschin, Die sozialistische Reproduktion und die volkswirt-

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Zahlen und Forderungen. In ihm soll das Gesetz von der maximalen Befriedigung und der proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft verwirklicht werden, und in ihm findet die Auseinandersetzung zwischen politischer Forderung und wirtschaftlicher Möglichkeit und Notwendigkeit statt, wobei, wie wir gesehen haben, die politische Forderung den Vorrang hat. Allerdings haftet dem Wirtschaftsplan etwas Starres an, weil er das, was produziert werden soll, art-mengenmäßig festlegt und dann Termine bestimmt, bis zu dem bestimmte Mengen produziert, und bis zu dem nur bestimmte Mengen konsumiert werden dürfen. Die Starrheit wird noch mehr verstärkt, je mehr die Organisation der Wirtschaft zentralisiert ist, und je mehr die Bewegungsfreiheit der den Plan ausführenden Organe eingeschränkt ist. Ist die Organisation dezentralisiert und erfolgt auch die Aufstellung des Planes dezentralisiert im Rahmen von Richtlinien, die die oberste wirtschaftliche Führung festlegt, so kann wohl in gewissen Grenzen die Starheit des Planes gemildert werden, zumal wenn den Leitungen der Betriebe eine verhältnismäßig große "wirtschaftlich operative Selbständigkeit" eingeräumt wird, und wenn die Betriebsleitungen diese Selbständigkeit im Sinne des Ganzen betätigen. Wie weit das möglich ist, hängt davon ab, ob die unteren Organe in der Lage sind, sich geistig in die Absichten der oberen Wirtschaftsführung hineinzuversetzen, und ob sie einen genügenden überblick über die wirtschaftliche Gesamtlage sich verschaffen können, sodaß sie selbständig im Sinne der oberen Führung zu handeln vermögen. Dann aber müssen sie auch das nötige Ausmaß an Initiative und Verantwortungsfreudigkeit besitzen. Alles das ist in erheblichem Umfang eine Frage des Wissens und der Bildung. Je weniger daher Wissen und Bildung bei den in der Wirtschaft tätigen ausführenden Organen vorhanden sind, umso stärker wird die Planung zentralistisch sein und die Selbsttätigkeit der unteren ausführenden Organe beschränken müssen. Sind aber die Voraussetzungen an Wissen und Bildung vorhanden, so ist bei einer dezentralisierten Planung die Gefahr, daß die Koordination der einzelnen Wirtschaftszweige erschwert wird, und daß u. U. der oberen Wirtschaftsführung die Leitung der Wirtschaft aus den Händen gleitet. schaftlichen Proportionen, in Sowjetwissenschaft, Gesellschwiss. Abt. 1954, S.753ff. R. Oertel, DasSystem derSowjetwirtschaft, Berlin1957. Hans Hirsch, Mengenplanung und Preisplanung in der Sowjetunion, Tübingen 1957. Egeslaw Bobrowski, Formation du Systeme Sovietique de la Planification, Paris 1956. Günther Hedtkamp, Instrumente und Probleme westlicher und sowjetischerWirtschaftslenkung, Gießen 1958. (T. C. Koopmann, Activity Analysis of Production and Allocation, New York 1952. Martin J. Bukmann, Lineares Programming, Weltw. Archiv 84. Bd., 1960.

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Wenn der Plan das gesellschaftlich Notwendige verwirklichen soll, so liegt einmal darin die Forderung, den Bedarf der G~genwart zu decken. Darüber hinaus ist jedoch ein Zukunftsbedarf vorhanden, der die Entwicklung der Volkswirtschaft in der Zukunft sicher stellen soll. Dieser Bedarf muß in gewissem Umfang schon in der Gegenwart geplant und für seine Beschaffung müssen bereits in der Gegenwart Maßnahmen eingeleitet werden, die allerdings erst in der Zukunft wirksam werden. (Bau von Kraftwerken, Eisenbahnen, Straßen, die alle eine lange Bauzeit erfordern.) Die wachsende Bevölkerung verlangt eine steigende Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen. Weil sich die Bevölkerung in einer ununterbrochenen Umschichtung befindet, hervorgerufen durch den ständigen Strukturwandel, von dem die sozialistische Wirtschaft erfaßt ist, (s. S. 11) ändert sich auch artund mengenmäßig das Warensortiment, das die Konsumenten verlangen. Dem allem müssen die Wirtschaftspläne entsprechen, um die die sozialistische Wirtschaft beherrschenden Gesetze zu verwirklichen. Die Pläne müssen daher umfassend und vorausschauend' aufgestellt werden. Die Zeit, für die sie gelten, (Planperiode)30 muß sich einmal nach dem möglichen Ausmaß und Tempo der Entwicklung und dann danach richten, inwieweit man glaubt, daß man diese Entwicklung in ihrer Bewegung und Gestaltung im Voraus übersehen kann. Eine eingehende Analyse der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten muß daher der Aufstellung des Planes vorangehen. Das Ergebnis ist die volkswirtschaftliche Bilanz. Ihre wichtigsten Posten sind nach Kurski31 : 1. die Produktion und Verteilung des Sozialprodukts; 2. der Bestand, die Kapazität und die Verteilung der vorhandenen Produktionsstätten ; 3. der Bestand und die Verteilung der Arbeitskräfte; 4. Bestand, Verteilung und Ergiebigkeit der vorhandenen Rohstoffe und Rohstoffquellen ; 5. Verteilung der Geldeinkommen und Geldausgaben der Bevölkerung.

Das gesellschaftliche Notwendige als Ziel des Planes umfaßt drei große Gruppen von Gütern, die sich wiederum aus der Lage und den Zielen der sowjetischen Wirtschaft ergeben. Die erste Gruppe enthält die Rüstungsgüter, die die sowjetische Gesellschaft benötigt, um ihren Bestand nach außen zu sichern. Das sind ganz bestimmte Mengen, die sich aus den politischen und militärischen Notwendigkeiten ergeben. Die zweite Gruppe umfaßt die Produktionsmittel, die benötigt werden, um die kapitalistischen Wirtschaften einzuholen und zu über30 Hensel, a. a. 0., S.39. Kurski, a. a. 0., S.23-27.

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2 Schriften d. Vereins f. Soclalpolltlk 23

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holen. Damit sind ebenfalls bestimmte Mengen gegeben. Die dritte Gruppe endlich fordert eine bestimmte Menge von Konsumgütern für die Versorgung der Bevölkerung nach dem Gesetz der maximalen Versorgung. Auch das sind ganz bestimmte durch die Entwicklung und die sozialen Notwendigkeiten bedingte Mengen. Der vierte Güterkomplex enthält alles das, was zum Ausbau der sogenannten Infrastruktur erforderlich ist. Auch das sind wieder bestimmte Mengen von Gütern und Dienstleistungen. Es sind nun die quantitativen Probleme zu lösen, wie der Bedarf der einzelnen Gruppen optimal gedeckt, und wie die Produktion mit einem minimalen Aufwand durchgeführt werden kann. Die Methode, um diese Maximum- und Minimumprobleme zu lösen, ist das Linear-Programming. Wie aus der neueren sowjetischen Literatur hervorgeht 32 , entschließt man sich in der Sowjetunion wenn auch widerstrebend, diese von der Wissenschaft der "kapitalistischen" Länder entwickelte und in ihnen gebräuchliche Methode anzuwenden. Da es sich um eine in der Entwicklung befindliche sozialistische Wirtschaft handelt, taucht sogleich auch das Problem des zweckmäßigen wirtschaftlichen Wachstums auf. Auf diesem Gebiet ist die sowjetische Theorie bisher noch zu keinem befriedigenden Ergebnis gelangt, weil sie sich von der marxschen Theorie nicht zu lösen vermochte. Eine Reihe sowjetischer Gelehrter halten nach wie vor noch an der marxschen Theorie der erweiterten Reproduktion fest. Das Gleiche tut das Lehrbuch, ohne daß es aber die Anwendung der Reproduktionslehre überzeugend nachzuweisen in der Lage ist. Die sehr wichtige Frage, wie im Verlauf der Entwicklung vom Agrar- zum Industriestaat das Gleichgewicht zwischen agrarischer und industrieller Produktion gewahrt werden, und wie damit dem Gesetz von der proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft Genüge getan werden kann, wird dort nicht angeschnitten 33 • Die von Marx durch Lenin übernommene Forderung, daß die Produktionsmittelindustrie der Konsumgüterindustrie in der Entwicklung voranzueilen habe, braucht dem Gesetz von der proportionalen Entwicklung nicht zu widersprechen. In den "kapitalistischen" Ländern hat zwar, wie Walther G. Hoffmann nachweist, sich zuerst die Konsumgüterindustrie entwickelt, weil sie zu ihrer Errichtung weniger Kapital benötigte als die schwere Industrie. Erst im Verlauf des Industrialisieat Stalin, Probleme, S. 70 ff. sowie die Diskussion in der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, in Sowjetwissenschaft 1949, Heft 2, S.171. N. Wossnessenski, Die Kriegswirtschaft in der Sowjet-Union, Berlin 1947. KUTSki, a. a. 0., A. M. Romjanzow, Der Gegenstand der politischen Ökonomie, in Sowjetwissenschaft, 1956, Gesellw. Abt., S. 731. s. Anmerkung 15. S3 Lehrbuch, S. 616 ff.

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rungsprozesses geht die "anfängliche Vorherrschaft der Konsumgüterindustrie zu Gunsten der Produktionsmittelindustrie kontinuierlich zurück"34. Wenn Lenin den umgekehrten Weg weist, so ist das eine Folge des Strebens nach Autarkie. Die sozialistische Wirtschaft soll nicht mit Hilfe ausländischen Kapitals aufgebaut werden, um ihre Unabhängigkeit gegenüber den "kapitalistischen" Ländern zu wahren. Die sozialistische Wirtschaft wird dadurch zu einer selbständigen Wirtschaftseinheit, "die sich hauptsächlich auf den inneren Markt stützt"35. Dieser innere Markt einer autarken Volkswirtschaft aber verlangt dann auch, daß Landwirtschaft und Konsumgüterindustrie so gefördert werden, daß die Produktionsmittelindustrie Absatz für ihre Produkte findet, und daß die Versorgung der ganzen Gesellschaft entsprechend dem Gesetz von der maximalen Versorgung gewährleistet ist. Allerdings können die beiden Grundgesetze der sozialistischen Wirtschaft von der proportionalen Entwicklung und von der maximalen Versorgung kaum erfüllt werden, wenn der Schwerpunkt der Planung auf die schnelle Entwicklung einer mächtigen Rüstungsindustrie gelegt wird. Aber selbst wenn die Entwicklung der Rüstungsindustrie nicht schwerpunktmäßig in den Vordergrund gestellt wird, reicht die marxsche Lehre nicht aus, um das optimale Wachstum zu bestimmen und zu gewährleisten. Es müssen doch die knappen Produktionsmittel und Arbeitskräfte auf die verschiedenen Produktionszweige und Produktionsmöglichkeiten so verteilt werden, daß dem Gesetz von der proportionalen Entwicklung entsprochen wird. Dabei taucht dann aber das Problem der Wirtschaftsrechnung in der sozialistischen Wirtschaft auf. Dieses Problem ist in der "kapitalistischen" Wirtschaft dadurch gelöst, daß die am Markt unter dem Einfluß des Wettbewerbs zustande gekommenen Preise den Knappheitsgrad der verschiedenen Güter und Dienstleistungen anzeigen. Sie bilden die Grundlage für die Verteilung der Güter und Dienstleistungen auf die verschiedenen Zweige der Volkswirtschaft und für die Berechnungen der Nutzen, die diese Güter und Dienstleistungen hervorbringen können und in einer gegebenen Lage auch hervorbringen sollen. Die auf dem Markt zustande gekommenen Preise fehlen aber in der sozialistischen Wirtschaft. Damit ist die Frage aufgeworfen, ob es in der sozialistischen Wirtschaft überhaupt eine sinnvolle Wirtschaftsrechnung geben kann, mit deren Hilfe die verschiedenen notwendigen Investitionen nach ihrer volkswirtschaftlichen Optimalität geprüft und festgestellt werden können. Eine wirtschaftliche Rechnung in der sozialistischen Wirtschaft 34 Walther G. Hoffmann, Stadien und Typen der Industrialisierung, Jena 1931, S. 21 ff. 15 StaUn, Werke, Bd. VI, Berlin 1952, S. 259.

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müßte sich auch den politischen Forderungen entgegenstellen und zeigen, inwieweit diese Forderungen im Hinblick auf die Gesetze von der maximalen Versorgung der ganzen Gesellschaft und von der proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft durchführbar sind oder nicht. Um das Problem der Wirtschafts rechnung in der zentralen Verwaltungswirtschaft haben sich in Deutschland K. P. Hensel, in Frankreich Ch. Bettelheim und endlich in Polen J. Lipinski in letzter Zeit bemüht. Aber allen ist die Lösung des Problems offenbar nicht gelungen, wie dies Claus Diekmann gezeigt hat38• In der sowjetischen Nationalökonomie ist die Frage ebenfalls noch nicht gelöst. Wosnessenski meint, daß "die Planung das Wertgesetz benütze, um die erforderlichen Proportionen in der Verteilung und in der Produktion der gesellschaftlichen Arbeit und des gesellschaftlichen Produktes sicher zu stellen37." Stalin führt in seiner Sozialismusschrift aus: "Das Wertgesetz hat in unserer sozialistischen Produktion keine regulierende Wirkung, aber es wirkt auf die Produktion ein, und es darf bei der Leitung der Produktion nicht außer Acht gelassen werden ...38" Seine Haltung ist also reichlich unklar. Ein anderer Teil der russischen Nationalökonomen ist der Meinung, daß dem Wertgesetz in der sowjetischen Wirtschaft überhaupt keine Bedeutung zukommeSt. Wenn man die Frage der Proportionalität in der Entwicklung der sowjetischen Volkswirtschaft lösen will, wird man über Marx hinausgehen müssen, um sich dann der Mittel zu bedienen, die in der "kapitalistischen" Wirtschaft und Wissenschaft entwickelt worden sind. Das ist zunächst die Input- und Outputrechnung Leontiefs40 • Sie gestaltet eine simultane Proportionalitätsrechnung und verdeutlicht die strukturellen Zusammenhänge innerhalb der Volkswirtschaft, sodaß festgestellt werden kann, inwieweit das Gesetz von der proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft erfüllt wird. Die marxsche Lehre von der erweiterten Reproduktion gibt auch keine Auskunft darüber, welcher Maßstab an die wirtschaftliche Optimalität der Investitionen anzulegen ist, die auf Grund des Volkswirtschaftsplanes durchgeführt werden müssen. Es gibt eine erhebliche An3. Klaus Diekmann, Wirtschaftsrechnung, Investitionen und Wachstum in einer Zentralverwaltungswirtschaft, Berlin 1960, S. 55 ff. 37 Woprossy Ekonomiki, Moskau 1954, Nr.3; 1957, Nr.2; 1960, Nr. 3. N. Wosnessenski, a. a. 0., S.91. StaUn, Ökonomische Probleme, S. 19 ff. Klaus Diekmann, a. a. 0., S. 29 ff. 1I8 StaUn, a. a. 0., S. 19 ff. 3t StaUn, a. a. 0., S. 20. Sowjet-Studies, Oxford 1952/53, Vol. IV, S. 243. 40 N. Leontief, Quantitative Input and Outputrelations in the Economic System of the U. S. A. in Review of Economic Statistics, 1936, Nr. 3. Ders. Die Methode der Input-Output-Analyse, Allg. Stat. Archiv Bd. 36, 1952.

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zahl von Varianten der Produktion und damit auch der Kapitalinvestitionen, und die sehr wichtige Frage in der sozialistischen Wirtschaft ist, nach welchen Gesichtspunkten unter den möglichen Varianten eine Auswahl getroffen werden muß, um den größten volkswirtschaftlichen Effekt zu erzielen. Wie Claus Diekmann zeigt, und wie man es aus den letzten Diskussionen in der sowjetischen Akademie der Wissenschaften entnehmen kann'!, ist die sowjetische Wissenschaft auch hier noch zu keinem Maßstab gekommen. Man scheut sich die Rentabilität als Maßstab für die Verteilung der Investitionen heranzuziehen, weil die Gewinnerzielung nicht Ziel und Zweck der sozialistischen Wirtschaft sein kann. Man bewegt sich also auch hier in dogmatischen Befangenheitenu . So wird auch hier nichts anderes übrig bleiben, als sich abermals solcher Methoden zu bedienen, die in der "kapitalistischen" Wissenschaft entwickelt worden sind. Das Linear-Programming aber bietet auch die Möglichkeit, die volkswirtschaftlich optimale Produktion, d. h. zu den geringsten Aufwendungen zu ermitteln43 • So zeigt sich, daß die Lehre von Marx allein nicht in der Lage ist, eine einigermaßen sichere Grundlage für die Aufstellung des Volkswirtschaftsplanes zu geben. Aber selbst wenn man sich der InputOutputrechnung und des Linear-Programming bedient, bleibt immerhin noch ein erheblicher Ungenauigkeits- und Unsicherheitsfaktor für die Durchführung des Planes deshalb bestehen, weil es in der sozialistischen Wirtschaft keine Preise gibt, die das wirkliche Knappheitsverhältnis der Güter und Dienstleistungen zu einander angibt. Auf Grund aller dieser Überlegungen entsteht zunächst ein naturaler Plan, der angibt, welche Güter art- und mengenmäßig zu produzieren sind, und welche Gütermengen von der Bevölkerung konsumiert werden dürfen. Aber diesem naturalen Plan muß noch ein Plan zur Seite gestellt werden, der Werte, also Preise, enthält (Preisplan). Dem Wert der Produkte muß der Wert der Arbeitsleistungen gegenüberstehen, weil sonst die an der Produktion Beteiligten ihre Arbeitsleistungen nicht gegen die im Plan vorgesehenen Konsumgüter bei freier Konsumwahl austauschen können. Wie es im kommenden Kapitel dargestellt werden wird, kann auch die sozialistische Wirtschaft ohne Preise, die allerdings planmäßig festgelegt werden müssen, nicht auskommen. Cl

Diekmann, a. a. 0., S. 51 ff. Woprossy Economiki 1957, Nr. 2; 1960,

Nr.3.

Diekmann, a. a. 0., S. 53. Activity Analysis of Production and Allocation ed. by T. C. Koopmann, New York 1952 und Diekmann, a. a. 0., S. 64 ff. Planowoje chosjajstwo Moskau 1960, Nr. 1, S. 92. Woprossy Ekonomiki, Nr. 5, 1960, S. 107 und 152; daselbst 1958, Heft 11, S. 79. W. Nemtschinow, Das Bündnis der Wirtschaftswissenschaft mit der Mathematik, Iswestija, Moskau, 3. April 1960. 42

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Die zentrale Planstelle kann aber nur im Großen, global planen. Wie der Plan im Einzelnen durchgeführt werden kann, liegt bei den Betrieben. Diese müssen auf Grund des in der Zentrale ausgearbeiteten Planes ihrerseits im Einzelnen planen und dann ihre Pläne mit der Zentrale abstimmen. Die Planung geht also einmal von oben nach unten und dann von unten nach oben. Der Plan kann jedoch nur mengenund zeitgerecht erfüllt werden, wenn die Pläne rechtzeitig vor Beginn der Planperiode abgestimmt und festgelegt werden, und wenn ferner im Verlauf der Planperiode keine Änderungen in den in der Ausführung begriffenen Plänen vorgenommen werden. Dadurch haftet dem Plan eine beträchtliche Starrheit an. Er vermag sich nur schwer der wirtschaftlichen Dynamik anzupassen, die vor allem vom technischen Fortschritt ununterbrochen in die Volkswirtschaft hineingetragen wird. Wenn aber der technische Fortschritt im Verlauf der Planperiode Neuerungen bringt, die zu einer Ersparnis an Arbeitskräften und Material führen, so sind Planänderungen unausweichlich, weil man sonst gegen die wirtschaftliche Rationalität verstoßen würde. Je länger es aber bei stark zentralisierter Wirtschaftsorganisation dauert, bis die Pläne umgestellt und erneut zwischen Zentrale und den produzierenden Betrieben abgestimmt sind, um so eher müssen Fehlproduktionen oder Verschwendung von Material und Arbeitskraft die Folge sein. In den Betrieben können sich dann unabsetzbare Vorräte an Produkten häufen, die zu einer Stockung in der Zirkulation führen und dann die Betriebsleitungen veranlassen "Schwarzgeschäfte" zu tätigen. Man sucht entweder im Naturaltausch mit anderen Betrieben die Lager zu räumen, oder die Lagerbestände werden zu irgendeinem Preis verkauft, damit die Betriebe sich die notwendigen Gelder verschaffen können, die sie benötigen, um die Produktion fortsetzen zu können. Diese "Schwarzgeschäfte" aber stören die Durchführung des Planes an anderen Stellen. So ist es möglich, daß trotz richtiger Planung bei Beginn der Planperiode sich in deren Verlauf Reibungen ergeben, die die mengen- und zeitgerechte Durchführung und Erfüllung des Planes gefährden oder sogar unmöglich machen. Die Planung vermag eben dem Tempo der wirtschaftlichen Dynamik nicht zu folgen. Schon um solche "Schwarzgeschäfte" zu verhindern, ist eine wirksame Kontrolle der Betriebe bei der Plandurchführung unerläßlich. Nach Lenin ist die Kontrolle das wichtigste Mittel, um die wirtschaftliche Rationalität in der sozialistischen Wirtschaft ständig wirksam werden zu lassen44 • Diese Kontrolle erfolgt einmal dadurch, daß die verschiedenen Unternehmen mit einander Verträge abschließen, wonach sich das eine Unternehmen verpflichtet, auf Grund des Wirtschaftsplanes einem anderen Gütermengen von bestimmter Qualität 44

Sämtl. Werke, Bd. XXI, S.556.

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zu bestimmten Terminen und zu festen Preisen zu liefern. Im Plan sind diese Preise festgelegt und ebenso ist im Plan bestimmt, welcher Betrieb Lieferant und welcher Abnehmer sein soll. Auf diese Weise kontrolliert ein Unternehmen das andere, ob es den geschlossenen Vertrag und damit den Plan erfüllt. Dem sozialistischen Produzenten ist durch dieses Vertrags system zwar das Risiko des Absatzes genommen, aber ob es ihm gelingt, die ihm durch den Plan auferlegte Produktion zeit- und mengengerecht fertig zu stellen und zu liefern, darauf hat er nur einen beschränkten Einfluß. Es spielt da die Arbeitswilligkeit der Arbeiter eine große Rolle, weiter ist entscheidend, ob die beliefernden Betriebe rechtzeitig mit Rohstoffen und Material zur Stelle sind, und ob das Transportwesen in der Lage ist, die ihm gestellten Aufgaben rechtzeitig zu erfüllen. Der Betriebsleiter ist also mit dem Risiko der Planerfüllung belastet. Dieses Risiko ist einmal ein Mengenrisiko und dann ein finanzielles Risiko. Neben dem Mengenplan muß der Betriebsleiter den Finanzplan erfüllen. In diesem Plan ist festgelegt, welche überschüsse der Betrieb zu erzielen hat, damit er seinen Beitrag zur Akkumulation leisten kann. Weiter verlangt dieser Plan, daß der Betrieb seine Unkosten während der Planperiode um einen im Plan vorgeschriebenen Prozentsatz senkt, um die gleichfalls im Plan festgelegte Rentabilität zu erreichen. Der Finanzplan zwingt also den Betriebsleiter, das Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung zu verwirklichen. Inwieweit der Betriebsleiter diesem Zwang folgt, zeigt die Kontrolle über die Geldeinheit, die durch die Staatsbank ausgeübt wird. Durch ihre Bücher und Kassen gehen alle Geldbewegungen der Betriebe (s. Kap. VII). "Die Banken sind Knotenpunkte der gesellschaftlichen Buchführung unter dem Sozialismus45 ." Der Zwang zur Rentabilität soll die Betriebe anhalten, das Prinzip der wirtschaftlichen Rechnungsführung streng durchzuführen. Die Rentabilität ist einmal Kontrollmittel, ob diesem Prinzip tatsächlich Folge geleistet wird, und dann gestattet sie, die Geschäftsergebnisse der einzelnen Betriebe mit einander zu vergleichen, um auf diesem Wege Schlußfolgerungen zu ziehen, inwieweit das wirtschaftliche Rationalprinzip in der Volkswirtschaft durchgesetzt wird, ferner erlaubt sie Schlußfolgerungen darüber zu ziehen, welche Betriebsleiter ihren Aufgaben gewachsen sind, und ob die Organisation der einzelnen Betriebe zweckmäßig ist48 • Sämtl. Werke, Bd. XXII, S. 507. V. Pereslegin, Wirtschaftliche Rechnungsführung und Rentabilität in der sozialistischen Wirtschaft, in Sowjetwissenschaft 1954, S. 770 ff. 45

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Aber man kann nicht etwa ohne weiteres den Rentabilitätsbegriff der "kapitalistischen" Wirtschaft auf die sozialistische Wirtschaft übertragen. Bedeutung und Wesen dieses Begriffes sind in den beiden Wirtschaftssystemen ganz andere. Stalin meint, man dürfe diesen sozialistischen Begriff der Rentabilität nicht vom Standpunkt des Budikers und des gegenwärtigen Augenblicks aus betrachten. Der sowjetische Nationalökonom P. Tschernomordikn sucht das, was Stalin reichlich vage ausgedrückt hat, zu präzisieren. Er betrachtet den Rentabilitätsbegriff unter zwei Gesichtspunkten, wenn er zwischen der laufenden Rentabilität und der Rentabilität auf lange Sicht unterscheidet. Hier soll zunächst nur von der laufenden Rentabilität die Rede sein, während von der Rentabilität auf lange Sicht im Rahmen des Kapitel V bei Darlegung der Akkumulation gesprochen werden wird. Die laufende Rentabilität ist nach Tschernomordik dann vorhanden, wenn eine bestimmte Produktion bestimmter Qualität zu solchen Selbstkosten hergestellt wird, daß bei einem gegebenen Preisniveau der Absatz der Produktion die notwendigen Mittel zur Akkumulation liefert, sodaß der Betrieb sein im Plan vorgesehenes Akkumulationssoll erfüllt. Als brauchbare Kennziffer der Rentabilität gilt das Verhältnis der Akkumulation die der Betrieb gebildet hat, zur Summe des dem Betrieb vom Staat überlassenen Grund- und Umlaufvermögens, "kapitalistisch" ausgedrückt des Betriebskapitals. Das entspricht im Wesentlichen der "kapitalistischen" Betrachtungsweise. Dahinter verbirgt sich das Bestreben, durch die Rentabilität eine Förderung der Akkumulation zu erreichen. L. Maisenberg sieht im Gewinn die Größe, um die der Preis die Selbstkosten übersteigt48 • Er mißt dann die Rentabilität durch das Verhältnis des Gewinns zu den Selbstkosten. Dieser Begriff ist darauf abgestellt, die Betriebe in ihrem volkswirtschaftlichen Wert danach zu messen, inwieweit es ihnen gelungen ist, ihre Selbstkosten angesichts der planmäßig festgesetzten Preise für Produktionsmittel und Produkte zu senken. Die Rentabilität, wie Maisenberg sie versteht, steigt verhältnismäßig schneller als der Gewinn, wenn die Selbstkosten gesenkt werden. Wenn z. B. eine Ware 10000 Rbl. Selbstkosten enthält, und wenn diese Ware dann zu 10500 Rbl. abgesetzt wird, so ergibt sich ein Gewinn von 500 Rbl. Die Rentabilität ist dann 5 Ofo. Werden nun aber die Selbstkosten um 10 % gesenkt, so ergibt sich 10500-9000 x 100 = 16,70/0 9000 47 Der Nutzeffekt der Kapitalinvestitionen und die Theorie der Reproduktion, in Sowjetwissenschaft 1949, Heft 3, S. 20 ff. 48 L. Maisenberg, Die Preisbildung in der Wirtschaft der Sowjet-Union, Berlin 1954, S. 74.

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sodaß die Rentabilität auf das 3,3fache erhöht worden ist. Für die steigende Rentabilität soll die Betriebsleitung durch Prämien belohnt werden. Diese Prämien sollen die "operative" Selbständigkeit der Betriebsleiter anspornen, ihre Aufmerksamkeit auf die Senkung der Kosten lenken und die Produktivität der Arbeit heben. Schließlich soll sich die Kostensenkung in einer Herabsetzung der Preise auswirken. Alles das sind Mittel, um die Entwicklung vom Sozialismus zum Kommunismus voranzutreiben. Man sieht also, die Begriffe sind zweckorientiert, aber sie sollen weniger dazu dienen, um eine bestimmte Tatsache als solche zu erklären. Noch etwas Anderes will Kurski unter Rentabilität verstanden wissenu . Nach ihm ist ein Unternehmen bereits rentabel, wenn es die ihm im Volkswirtschaftsplan gestellte Aufgabe erfüllt, dabei die festgesetzten Normen des Material- und Rohstoffverbrauches einhält und gleichzeitig die Arbeitsproduktivität steigert. Hier sind technische und ökonomische Momente durcheinandergeworfen, und dabei ist außer Acht gelassen, daß alle Voraussetzungen, die Kurski für seinen Rentabilitätsbegriff macht, nichts darüber sagen, ob der Betrieb auch volkswirtschaftlich und betriebswirtschaftlich optimal ist. Damit verliert aber der Begriff seinen Sinn als vergleichenden Maßstab für die wirtschaftlich rationale und rechenhafte Betriebsführung. Nun sehen allerdings die Produktionsanforderungen des Wirtschaftsplanes vor, daß alle vorhandenen produzierenden Betriebe voll eingesetzt werden, weil andernfalls das Planziel nicht erreicht werden kann. Dadurch wird die Wirtschaftsleitung gezwungen, auch solche Betriebe in Anspruch zu nehmen, die bei dem gegebenen Preisniveau mit überdurchschnittlichen Kosten arbeiten. Für solche Betriebe werden, um die Verluste in Grenzen zu halten, gleich bei der Aufstellung des Planes Verluste in bestimmter Höhe eingeplant, die dann nicht überschritten werden sollen. Nach Kurski wären auch diese untermarginalen Betriebe noch rentabel, wenn sie ihre Planaufgabe erfüllen und wenn sich ihre Verluste in den vom Plan festgesetzten Grenzen halten. Das meint offenbar auch Stalin, wenn er die Rentabilität nicht vom Standpunkt des Budikers aus betrachtet haben will. Die "kapitalistische" Rentabilität geht vom Einzelunternehmen aus. Sie ist die "schicksalschwere Lebensfrage der Marktwirtschaft" so. Das soll der sozialistische Rentabilitätsbegriff auch gar nicht sein, weil das der sozialistischen Wirtschaftsgesinnung nicht entspricht. Aber das braucht nicht zu heißen, daß ein Verlustbetrieb rentabel ist. Dieser Verlust muß doch von anderen übermarginalen Betrieben wieder aus48 50

a. a. 0., S. 148. Hanns Linhardt, in Schmollers Jahrbuch, 77. Jahrgang, 1957, S. 630.

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geglichen werden. Das aber ist nur auf Kosten des Kollektivs möglich. Für das Kollektiv muß in der sozialistischen Wirtschaft entscheidend sein, inwieweit ein Betrieb seine Planaufgabe erfüllt und dabei einmal die Produktivität der Arbeit steigert und dann einen Gewinn erzielt, der die Akkumulation in dem vom Plan vorgesehenen Ausmaß vermehrt, um die notwendige erweiterte Reproduktion zu gewährleisten.

IV. Die Preisbildung Die theoretische Nationalökonomie der westlichen Länder hat eingehende überlegungen angestelJt5t, wie in der sozialistischen Wirtschaft eine Preisbildung zustande kommen könne, die das Knappheitsverhältnis der Güter richtig wiedergibt. Mises verneint überhaupt eine solche Möglichkeit, und damit war für ihn das Urteil über die sozialistische Wirtschaft gesprochen. Alle Autoren aber legen ihren Betrachtungen einen Idealtypus der sozialistischen Wirtschaft zu Grunde, der mit der wirklich vorhandenen sozialistischen Wirtschaft wenig Ähnlichkeit hat. Alle gehen davon aus, daß es Zweck der Volkswirtschaft sei, die einzelnen Individuen auf das beste zu versorgen. Sie betrachten also die Knappheit der Güter vom individuellen Standpunkt aus, während die sozialistische Wirtschaft die Knappheit der Güter vom gesellschaftlich Notwendigen her, also kollektiv ansieht. Aus dem gleichen Grunde liegt es der sozialistischen Wirtschaft weniger an einem Preisniveau, das ein Gleichgewicht innerhalb der Volkswirtschaft herbeiführt, sodaß sich Produktion und Konsum die Waage halten. Für die sozialistische Volkswirtschaft sind die Preise vielmehr ein Mittel, um rational rechenmäßig den Wirtschaftsplan durchzuführen, das gesellschaftlich Notwendige zu erreichen und die Warenströme in die von der Wirtschaftsführung gewollte Richtung zu lenken. Die sozialistische Wirtschaft ist eben aus ihrer poltischen und kollektiven Einstellung heraus weniger Gleichgewichtswirtschaft als Schwerpunktwirtschaft; das muß immer wieder nachdrücklich betont werden. Die Preise werden im Volkswirtschaftsplan vom Staat im Hinblick auf das gesellschaftlich Notwendige festgesetzt. Dadurch "ordnet der Sowjetstaat den Mechanismus der Preisbildung seinen wirtschaftlichen 51 Lange and TailoT, On the Economic Theory of Sozialism, Minnesota 1938. Maurice Dobb, On the Economic Theory of Sozialism, London 1955. L. v. Mises, Die Gemeinwirtschaft, 1932. F. A. v. Hayeck, Collectivist economic Planning, 1935. J. T. B. Hof], Economic Calculation in the socialist Society, London 1949. J. Marschak, Wirtschaftsrechnung und Gemeinwirtschaft, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 51, 1923/24. Kläre Tisch, Wirtschaftsrechnung und Verteilung im sozialistischen Gemeinwesen, Bonner rer. pol. Dissertation 1932. Hans Hirsch, Mengenplanung und Preisplanung in der Sowjet-Union, Tübingen 1957.

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Interessen und der Festigung des Sozialismus unter"52. Der Planpreis ist demnach ein Instrument, mit dem der Staat im Rahmen des Wirtschaftsplanes sowohl die Produktion als auch die Konsumtion lenkt. Dabei sind Rohstoffpreise und die der Produktionsmittel nur Abrechnungspreise zwischen den vertraglich verbundenen staatlichen Betrieben. Sie sind ein Mittel der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Dazu werden sie so festgesetzt, daß der im Plan aufgestellte Schwerpunkt der Produktion gefördert wird, und auf der anderen Seite soll der Konsum an Verbrauchsgütern sich in dem Umfang halten, wie es im Interesse der Akkumulation und des gesellschaftlich Notwendigen liegt. "Das Niveau der Einzelhandelspreise wird bedingt durch die Höhe der gesellschaftlichen Aufwendungen für die Güterproduktion und durch die gesellschaftlich notwendige Verteilung der neu geschaffenen Werte auf Akkumulation und Konsum 53 ." "Der Planpreis ist also derjenige komplizierte Mechanismus, mit dessen Hilfe der sozialistische Staat im Rahmen der Gesamtplanung die Lenkung der Warenströme auf die einzelnen Zweige der Produktion und der individuellen Konsumtion durchführt54 ." Die entscheidende theoretische Frage ist nun, wie der Planpreis zustande kommt. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als seien die Planpreise willkürlich festgesetzt. Doch das ist nicht der Fall, auch wenn es an einem Markt für Produktionsmittel in der sozialistischen Wirtschaft fehlt. Allerdings muß man immer wieder daran festhalten, daß der Preis in der sozialistischen Wirtschaft weniger eine Kennziffer für die Knappheit der Güter untereinander sein soll, als vielmehr ein "wirtschaftskonformes" Mittel, um aus poltischen und gesellschaftlichen Gründen den Güterstrom auf ein im Wirtschaftsplan festgelegtes Ziel hinzulenken. Der Preis in der sozialistischen Wirtschaft ist ein poltischer Preis, weil die politischen Aufgaben die wirtschaftlichen des Planes bestimmen55• Die Preisfestsetzung muß sich aber insofern in ökonomischen Grenzen halten, als sie dem im Plan gesteckten wirtschaftlichen Ziel nicht widersprechen darf, weil sonst das gesellschaftlich Notwendige nicht erreicht werden würde. Dazu müssen bestimmte Preisrelationen zwischen den verschiedenen Gütern bestimmt werden, wie zwischen den von der Landwirtschaft erzeugten Rohstoffen und den übrigen Agrarprodukten sowie zwischen diesen und den Industrieerzeugnissen. Dann müssen bestimmte Relationen zwischen den verschiedenen Erzeugnis52 L. Maisenberg, Die einheitlichen staatlichen Einzelhandelspreise, in Sowjetwissenschaft, Heft 3, 1949, S.47. 53 Maisenberg, a. a. 0., S. 40. sc G. Kohlmay, Der staatliche Finanzplan, Berlin, 1952, S. 2l. 55

Kurski, a. a. 0., S. 83.

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sen der Industrie selbst und zwischen den einzelnen Agrarprodukten, die zur Ernährung benötigt werden, hergestellt werden. Dabei müssen die Preise der Rohstoffe und der Halbfabrikate so bestimmt werden, daß die im Hinblick auf das gesellschaftlich Notwendige knappen Materialien teurer sind, als die reichlicher vorhandenen. Der Preis muß also die Betriebe auf die ökonomische Bedeutung der einzelnen Güter im Rahmen des gesellschaftlich Notwendigen hinweisen und sie zu einer ökonomisch optimalen Verwendung der einzelnen knappen Güter ausrichten. Dazu müssen die Preise vom Ziel der Planung ausgehen. Nun ist aber die sozialistische Wirtschaft aus dem "kapitalistischen System" entstanden. Damit hat sie die im Kapitalismus vorgefundenen Preise übernommen. Allerdings hat sich dann im Lauf der Entwicklung sowohl das Preisniveau als auch das Preisgefüge geändert, weil sich die gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse gewandelt haben. Die Preise in der sozialistischen Wirtschaft sind aber keine Meßziffern für die allgemeine Knappheit der Güter, sondern sie geben die Knappheit der Güter im Hinblick auf eine bestimmte Güterkombination wieder, wie sie das gesellschaftliche Notwendige darstellt, und sie sollen dazu dienen, diese Güter nach den im Plan vorgesehenen Mengen zu verteilen. Da der Markt fehlt, auf dem Angebot und Nachfrage hierzu zusammentreffen können, muß die Zentrale die Preise in erheblichem Umfang mit trial and error festsetzen. Einen Maßstab für die Abstufung der Preise zueinander können die auf dem Weltmarkt gebildeten Preise abgebens6 • Damit die Preise als Mittel dienen können, um die Produktion im Sinne des Planes zu lenken, müssen die staatlichen Industriebetriebe ihre Produkte untereinander in Geld austauschen. Nur so ist eine Lenkung der arbeitsteiligen Wirtschaft möglich, und nur so ist eine Kontrolle der einzelnen Unternehmen durchführbar, inwieweit sie ihre Planaufgabe unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Rechnungsführung erfüllen. Änderungen in den Produktionsbedingungen und in den Produktionsverfahren verlangen aber nicht nur eine andere mengen- und artmäßige Verteilung der Güter im naturalen Plan, sondern auch eine Änderung im Preissystem, damit sich die geänderte naturale Verteilung bis in die letzten Betriebe durchsetzen kann. Dieser Wirkung des technischen Fortschrittes steht aber die Forderung entgegen, daß im Verlauf der Planperiode die Preise möglichst stabil gehalten werden, um einen glatten Ablauf des Planes zu gewährleisten. Die Zentrale steht dann vor der Entscheidung, ob sie die einzelnen Preise in der laufenden Planperiode unverändert lassen will, wobei dann aber so Stalin,

Ökonomische Probleme, S. 21.

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der naturale Plan mit dem Preissystem nicht mehr übereinstimmt. Dadurch werden die Betriebe veranlaßt , Materialien und Rohstoffe ökonomisch falsch zu verwenden, weil ja das alte Preissystem an dem man festhält, die Knappheitsverhältnisse der Güter im Rahmen des gesellschaftlich Notwendigen nunmehr unrichtig wiedergibt. So entstehen Reibungen in der Durchführung des Wirtschaftsplanes. Aber diese können auch nicht dadurch verhindert werden, wenn die Zentrale die Preise den veränderten Produktionsbedingungen anpaßt. Diese Anpassung verlangt Zeit, und in der Zwischenzeit richten die Betriebe ihre Maßnahmen an der bisherigen Bewertung der Güter aus, oder sie handeln aus eigenem Entschluß, der am Rentabilitätsprinzip ausgerichtet ist. Dann aber braucht sich das selbständige Handeln der Betriebsleiter keineswegs mit d~n Absichten der Zentrale zu decken, denn die für die einzelnen Betriebe rentabelste Produktion ist nicht immer die im Sinne des gesellschaftlich Notwendigen notwendige Produktion. Von allen diesen Reibungen wird im Kapitel IX noch ausführlich zu sprechen sein. Der Aufbau der Produktionsmittelpreise geht aus: 1. von den Selbstkosten der Betriebe; 2. von dem planmäßig festgesetzten Gewinn, den die Unternehmen zum Zweck der Akkumulation aufzubringen haben; 3. von der Umsatzsteuer, die der produzierende Betrieb an den Staat abzuführen hat. Bei den Einzelpreisen der Konsumgüter kommen dann noch die Vertriebskosten für den Weg vom Produzenten zum Großhandel, die Unkosten des Groß- und Einzelhandels und endlich der planmäßige Gewinn von Groß- und Einzelhandel hinzu. Die preisbestimmenden Kosten sind aber nicht etwa individuelle Unkosten der einzelnen Betriebe, sondern es sind gesellschaftlich durchschnittliche Selbstkosten der in einem Wirtschaftszweig zusammengefaßten Betriebe. Es sind auch nicht die Grenzkosten der Betriebe, die noch zur Erfüllung der Planaufgabe herangezogen werden müssen. Wenn Schumpeter meint, daß in der sozialistischen Wirtschaft die Preise gleich den Grenzkosten werden 57 , so trifft das wohl für den Idealtyp zu, den Schumpeter im Auge hat, aber nicht für die sozialistische Wirtschaft sowjetischen Typs. Das .gesellschaftlich Notwendige verlangt eben oft, wie wir vorn gesehen haben, daß auch untermarginale Betriebe in der Produktion belassen werden. Würde man die Kosten dieser untermarginalen Betriebe den Preisen zu Grunde legen, so würden bestimmte Industrieprodukte zu teuer werden, deren Preise aber im Interesse des gesellschaftlich Notwendigen niedrig gehalten 57

Schumpeter, a. a. 0., S.281.

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werden sollen. Das gilt vor allem für die Hilfs- und Rohstoffe sowie für Halbprodukte, die für die schwere Industrie bestimmt sind. Damit entsteht aber ein Verlust an Akkumulation, der volkswirtschaftlich an anderer Stelle eingeholt werden muß. Das geschieht bei den Konsumgüterpreisen. Auf dem Markt der Konsumgüter tritt die selbständige Nachfrage der Konsumenten auf. Je niedriger die Lebenshaltung der breiten Massen gehalten wird, und je geringer der Vorrat an dauerhaften Konsumgütern ist, um so dringender und um so starrer ist die Nachfrage der Konsumenten. Der Staat als Inhaber des Angebotsmonopols an Verbrauchsgütern kann dann den Preis so festsetzen, daß seitens der die Konsumgüter herstellenden Betriebe das an Akkumulation eingebracht wird, was der Staat bei den untermarginalen Betrieben zugesetzt hatte. Im übrigen hat im Wirtschaftsplan der Bedarf an Produktionsmitteln den Vorrang vor dem an Konsumgütern. Damit wirkt sich der Einfluß der Nachfrage nach Konsumgütern nur schwach auf die Nachfrage nach den entsprechenden Produktionsmitteln aus. Deshalb trifft es für die sozialistische Wirtschaft sowjetischen Typs nicht zu, wenn Schumpeter meint, daß auch in der sozialistischen Wirtschaft die Konsumenten bei freier Konsumwahl ipso facto auch die Preise der Produktionsmittel bestimmen. Das wäre nur möglich, wenn sich die Konsumgüterproduktion voll nach der Nachfrage derKonsumenten richten, und wenn die Produktion dementsprechend ausgedehnt und eingeschränkt würde. Das ist aber nicht der Fall, sondern der Plan bestimmt, was und wieviel konsumiert werden darf. Der Konsument hat nur innerhalb des angebotenen Sortiments die Wahl, was und wieviel er von den einzelnen Konsumgütern nach Maßgabe seines Einkommens erstehen will. Für die Bewertung aller Güter ist also entscheidend, welche Bedeutung ihnen für das gesellschaftlich Notwendige zugemessen wird. Damit ist ein fester Punkt gegeben, um den herum sich das Preissystem aufbaut. Aber dieses System, wie es in der sozialistischen Wirtschaft sowjetischen Typs zu finden ist, kann nicht mit den realen Knappheitsverhältnissen der Güter übereinstimmen. Denn die Preise sind ja nicht auf den Kosten der unter ungünstigsten Verhältnissen produzierenden Betriebe aufgebaut, sondern es sind "gesellschaftlich notwendige Durchschnittspreise" . Die Preise zielen also nicht darauf hin, ein volkswirtschaftliches Gleichgewicht herzustellen, sondern sie stehen im Dienst einer ausgesprochenen Schwerpunktwirtschaft. Der Einzelhandelspreis ist für jede Ware ein einheitlicher Preis. Die Höhe der Einzelhandelspreise wird unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Selbstkosten der Wirtschaftszweige (5. S. 29) nach der Menge der planmäßig produzierten Güter einerseits und nach der Kaufkraft

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der Konsumenten andererseits, die durch den Lohnfonds repräsentiert wird, festgesetzt. Wird durch diesen Preis Angebot und Nachfrage ausgeglichen, so ist der Preis "marktgerecht" . Wird das Angebot aber nur zum Teil von der Nachfrage abgenommen, so ist bei elastischer Nachfrage Gelegenheit zur Preissenkung gegeben. Andernfalls erleiden die Handelsorganisation und die produzierenden Betriebe Verluste, sodaß sie ihre Planauflage an Akkumulation nicht erfüllen können. Reicht das Angebot an Konsumgütern nur aus, um die Nachfrage nur zu einem Teil zu befriedigen, so muß die unbefriedigte Nachfrage so lange warten, bis dem Plan entsprechend eine neue Zuteilung von Konsumgütern erfolgt. Eine Erweiterung des Angebots ist nur möglich, wenn entweder der Plan geändert wird, was aber im Lauf der Planperiode nur unter großen Reibungen möglich ist, oder wenn in der neuen Planperiode die Produktion an Konsumgütern vergrößert wird. Wenn auf diese Weise die Bedürfnisse der Konsumenten vielleicht auf längere Zeit nicht ausreichend befriedigt werden, so muß das zu einem Sinken der Arbeitswilligkeit und zu einem Nachlassen der Arbeitsproduktivität führen. Im Gegensatz zu den organisierten Märkten, wo die Preise planmäßig festgelegt werden, bilden sich auf den Kolchosmärkten die Preise frei unter der Einwirkung von Angebot und Nachfrage. Diese Preise geben dem Staat einen gewissen Hinweis, in welcher Höhe er die Preise der Konsumgüter festsetzen kann. Auf den Kolchosmärkten kann er Erfahrungen sammeln, wie es mit der Elastizität der Nachfrage bestellt ist und dann seine Preispolitik danach einstellen. Der Staat hat aber auch die Möglichkeit, die Preisbildung auf den freien Märkten durch seine Reserven an Waren zu beeinflussen und damit unerwünschten Preissteigerungen entgegenzuwirken. Preissteigerungen aber hindern die Entwicklung vom Sozialismus zum Kommunismus; sie sind daher dem Wesen der sozialistischen Wirtschaft entgegen. "Die Politik der Preissenkung ist der Eckstein unserer Wirtschaftspolitik58• " Sie ist ein wesentliches Mittel, um die Entwicklung zum Kommunismus voran zu treiben, und außerdem ist sie dem Gesetz der maximalen Befriedigung gemäß. Die Politik der Preissenkung soll die Kaufkraft der Geldeinheit und damit die der Löhne erhöhen. Sie kann aber auch nicht willkürlich erfolgen. Sie muß vielmehr von den Knappheitsverhältnissen der Güter ausgehen. so, wie sie durch das gesellschaftlich Notwendige gestaltet sind. Sozial kommt es vor allem darauf an, die Preise der Massenverbrauchsgüter zu senken. Da werden in erster Linie solche Güter berücksichtigt, deren Nachfrage starr ist. Güter mit einer elastischen Nachfrage 58 Stalin, Fragen des Leninismus, 9. Aufl., S. 309. S. Tartigul, Angebot und Nachfrage unter dem Sozialismus, in Woprossy Ekonomiki, Nr. 10, 1959.

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kommen für eine Preissenkung weniger in Frage, weil dann leicht das planmäßige Angebot durch eine sehr ausgeweitete Nachfrage übertroffen werden kann. Aber auch Güter, die für einen beschränkten Kreis von Konsumenten nur in Frage kommen können, also ausgesprochene Luxusgüter, (Fernsehapparate, Personenkraftwagen, Motorräder) können im Preise herabgesetzt werden, um dadurch das Preisniveau als Ganzes zu drücken. Die u. U. vorhandene Preiselastizität dieser Luxuswaren tritt nicht in Funktion, wenn die Preise anderer lebenswichtiger Güter (Bekleidung, Schuhe usw.) noch relativ teuer sind und nicht entsprechend gesenkt werden. Die Senkung der Preise soll sich nicht nur auf die Konsumenten sondern in ebenso starkem Maße auf die produzierenden Betriebe auswirken. Sie sollen dadurch gezwungen werden, ihre Produktionskosten, möglichst sogar über das im Plan vorgesehene Ausmaß, zu senken und auf der anderen Seite die Arbeitsproduktivität zu steigern, damit sie das planmäßige Soll an Akkumulation dennoch erfüllen. Die Preissenkung will ferner die Betriebe zwingen, verborgene Reserven an Materialien, die die Betriebe haben horten können, der Produktion wieder dienstbar zu machen. Endlich sollen die Betriebsleiter zu genauer wirtschaftlicher Rechnungsführung veranlaßt werden. Wenn man den Betrieben die verborgen gehaltenen Reserven nimmt, so wird verhindert, daß die Betriebsleiter mit diesen Reserven "Schwarzgeschäfte" machen, um ihre Rentabilität außerplanmäßig zu steigern, und um dann in den Genuß von Prämien zu kommen, die für eine überdurchschnittliche Rentabilität gewährt werden. Aber solche Geschäfte lassen neben dem "offiziellen" Markt einen geheimen "schwarzen Markt" entstehen, der den im Plan niedergelegten Absichten der Wirtschaftsführung entgegen sein kann und der sich weitgehend der Kontrolle entzieht.

v.

Die Akkumulation

Akkumulation ist das eine Nahziel der sozialistischen Wirtschaft. Man versteht darunter die Anhäufung des Mehrprodukts in den Händen des Staates. Das Mehrprodukt ist das, was von den Werktätigen über die Menge hinaus produziert wird, die zu ihrer Entlohnung benötigt wird. Das Gesetz der maximalen Befriedigung verlangt nun ein unterbrochenes Wachstum und eine stete Vervollkommnung der Produktion auf der Basis höchstentwickelter Technik. Deswegen ist man bestrebt, das Mehrprodukt zu maximieren58 • Rechnerisch erscheint das GI Werner Hofmann, Die Arbeitsverfassung der Sowjet-Union, Berlin 1956, S. 197.

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Mehrprodukt als Gewinn; als die Größe, um die die Erlöse aus den abgesetzten Gütern die Selbstkosten übersteigen. Der Zwang, daß die Betriebe ihre Planauflage mit Gewinn erfüllen, veranlaßt sie zur ökonomisch rationalen Wirtschaftsführung und gleichzeitig wird dadurch auf das andere Nahziel der sozialistischen Wirtschaft hingesteuert, die Produktivität der Arbeit zu erhöhen. Die einheitlichen Planpreise lassen unter Umständen bei den einzelnen Betrieben mit besonders günstigen Selbstkostenverhältnissen eine überdurchschnittliche Rentabilität und überdurchschnittliche Gewinne entstehen. Das liegt durchaus im Sinne des Planes und der Akkumulation. Aber das Bestreben der Betriebsleiter, die Akkumulation zu maximieren, kann sehr wohl mit den Absichten des Planes in Widerspruch geraten. Im Bestreben, ihren Gewinn so hoch wie nur möglich zu gestalten, werden die Betriebe veranlaßt, vornehmlich solche Produkte im Rahmen des ihnen zugewiesenen Sortiments zu erzeugen, die bei geringem Aufwand einen hohen Gewinn versprechen. Das ist vor allem dann möglich, wenn die für die Preisgestaltung der Rohstoffe verantwortliche Verwaltung die Preise für Rohstoffe ermäßigt hat, während die Verwaltung der Halb- und Fertigfabrikate die Preise ihrer Waren entweder gar nicht oder nur in verhältnismäßig geringem Ausmaß herabgesetzt hat. Wenn nun die Betriebe in ihrem Streben nach Gewinn und Rentabilität in der oben angegebenen Weise auf diese Preisgestaltung reagieren, so erfüllen sie zwar den Plan auf einem Teilgebiet, aber in anderen weniger gewinnbringenden Sparten nicht. Dann ist der Betrieb wohl im Ganzen gesehen rentabel, er hat auch dem Staat eine beträchtliche Summe zur Akkumulation zur Verfügung gestellt, aber tatsächlich hat er seine Planaufgabe nicht erfüllt. Hans Hirsch weist mit Recht daraufhin, wie hier ein Gegensatz klafft zwischen dem Streben nach Akkumulation und Rentabilität auf der einen Seite und der Notwendigkeit, den Wirtschaftsplan zu erfüllen auf der anderen SeiteGO. Dieser Gegensatz entsteht, weil bei der langsamen und schwerfälligen Arbeit der Bürokratie das Preissystem nicht schnell genug den durch den technischen Fortschritt bedingten Änderungen der Produktion zu folgen vermag. In die Hand des Staates gelangt das Mehrprodukt in Waren- und Geldform. Im ersten Fall dient es dazu, die staatlichen Reserven aufzufüllen, im zweiten gelangt es als Geld in den Staatshaushalt. Die Akkumulation ist der wichtigste Posten auf der Einnahmeseite des staatlichen Budgets. Das Mehrprodukt in Geldform gelangt an den Staatshaushalt als Umsatzsteuer und als Gewinnabführung. Wenn zwei 80 Hans Hirsch, Mengenplanung und Preisplanung in der Sowjet-Union, Tübingen 1957, S.42/43.

3 Schriften d. Vereins f. Socialpolltik 23

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verschiedene Wege gewählt werden, so soll mit Hilfe der Umsatzsteuer laufend ein genau festgelegter Teil des Gewinnes der staatlichen Betriebe als Abgabe von den planmäßig angeordneten Preisen der Produkte dem Staatshaushalt zugeführt werden. Die Sätze der Umsatzsteuer sind in den verschiedenen Wirtschaftszweigen verschieden hoch, um die Kostenstreuung der Betriebe angesichts der einheitlich festgelegten Planpreise auszugleichen61 • Gleichzeitig zeigt aber die Abführung der Umsatzsteuer an, ob und inwieweit der Plan von den Betrieben erfüllt worden ist. Deswegen wird diese Steuer teilweise täglich, meist aber monatlich gezahlt. Um aber die Betriebe zur wirtschaftlichen Rechnungsführung anzuhalten und das Ausmaß der erreichten Rentabilität kontrollieren zu können, wird ein weiterer Teil des Mehrproduktes als Anteil am Gewinn abgeführt 62 • Das im Staatshaushalt gesammelte Geld wird auf Grund des Wirtschaftsplanes durch den Staatshaushaltsplan auf die einzelnen Wirtschaftszweige verteilt, um damit die notwendigen Investierungen zu finanzieren. Staatsfinanzen und Wirtschaftsfinanzen sind also eng miteinander verschmolzen, weil im sozialistischen Staat Wirtschaft und Staat von derselben Hand geleitet werden. Damit kennt die sozialistische Wirtschaft keinen Kapitalmarkt und keinen Kapitalmangel. Stalin sagt: "Wir besitzen eine Waffe, wie die Staatsmacht, die über den Haushalt verfügt, und die ein kleines Sümmchen Geld für die weitere Entwicklung unserer Volkswirtschaft überhaupt und unserer Industrie im besonderen aufbringt63." Ein kleiner Teil des Mehrprodukts, der aus den Abschreibungsbeträgen der Betriebe gebildet ist, bleibt dagegen den Betrieben wenigstens teilweise überlassen, um Ersatzbeschaffungen in gewissen Grenzen zu tätigen. Der größere Teil der Abschreibungsbeträge aber wird ebenfalls in den Händen des Staates zu einem Amortisationsfonds angesammelt. Soweit dieser Fonds nicht zu Ersatzbeschaffungen in den Betrieben benötigt wird, dient er zur Finanzierung von Neuinvestitionen. Die Grenze, bis zu der die Akkumulation planmäßig festgesetzt werden kann, ist durch die Höhe des Lohnfonds bedingt, die ausreichen muß, um der Masse der Werktätigen wenigstens das Existenzminimum zu gewähren. Deswegen ist die Höhe der Akkumulation davon abhängig, inwieweit es die Staatsgewalt wagen darf, die Lebenshaltung der breiten Massen auf einem verhältnismäßig niedrigen Niveau zu halten. Das ist in erster Linie eine Frage der politischen Macht und 81 L. Maisenberg, Die Preisbildung in der Volkswirtschaft der UdSSR, Berlin 1954, S. 83. 62 N. Rjabow, Die sozialistische Akkumulation und ihre Quellen, Berlin 1953, S. 135. 83 Werke, Bd. VII, S. 111.

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dann der geistigen Haltung der Bevölkerung. Sind die breiten Massen im sozialistischen Staat fest von ihrer Mission überzeugt, daß es ihre Aufgabe ist, den Sozialismus weiter zu entwickeln und ihn dann über die ganze Welt zu verbreiten, um die Menschheit von den Fesseln des Kapitalismus zu befreien, so können die Menschen bereit sein, auf lange Jahre hinaus sich mit einer Lebenshaltung zu begnügen, die weit unter der der "kapitalistischen" Länder Hegte«. Die Akkumulation ist die Voraussetzung für die erweiterte Reproduktion. Erweiterte Reproduktion heißt: 1. Anwachsen des Sozialproduktes; 2. Vennehrung und Vergrößerung sowie Verbesserung der eingesetzten Produktionsmittel; 3. Zunahme der Arbeitskräfte und des Lohnfonds; 4. Vennehrte Zuweisung aus der gesellschaftlichen Produktion an die Akkumulation. Die erweiterte Reproduktion kann extensiv oder intensiv seines. Sie ist extensiv, wenn die Zahl der Betriebe vermehrt wird, ohne daß gleichzeitig Investitionen erfolgen, die die individuelle Arbeitsproduktivität erhöhen sollen. Sie ist intensiv, wenn durch die Investitionen die individuelle Arbeitsproduktivität in erster Linie gesteigert werden soll. Extensive und intensive Reproduktion werden meist Hand in Hand gehen. Die erweiterte Reproduktion kann auf vier Gebieten erfolgen: 1. auf dem Gebiet der Erzeugung von Produktionsmitteln; 2. auf dem Gebiet der Erzeugung von Konsumgütern; 3. auf dem Gebiet der nichtproduktiven Investitionen, wie öffentliche Bauten, Schulen, Krankenhäuser und Kultureinrichtungen; 4. auf dem Gebiet der Rüstungsproduktion88 •

Das gesellschaftlich Notwendige bestimmt, auf welches der Gebiete der Schwerpunkt zu legen ist. Aber gleichzeitig ist die Frage der Wirtschaftlichkeit, der Rentabilität, zu klären. Dabei kommt hier die Rentabilität auf lange Sicht in Frage (s. S . 24), während der "kapitalistische" Unternehmer nur vom Nutzen für die eigene Unternehmung ausgeht, wenn er investiert, also einzelwirtschaftliche Gesichtspunkte in Rechnung stellt, während ihn Rückwirkungen seiner Investition auf andere Teile der Volkswirtschaft wenig oder vielleicht sogar gar nicht berühren, muß die Planbehörde in der sozialistischen Wirtschaft vom kollektiven Standpunkt aus die Wirkungen der Investitionen auf die Struk84

85 88

Prawda, Moskau, vom 15.9.57.

K. MaTZ, Das Kapital, Bd. II, S. 186. P. Mstislawski, Vom Nutzeffekt der Kapitalinvestitionen in der so-

wjetischen Wirtschaft, in Sowjetwissenschaft, Berlin 1949, Heft 4, S. 24.

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tur und den Ablauf der Volkswirtschaft im Auge haben. Dabei hat immer wieder zwangsläufig das gesellschaftlich Notwendige den Vor~ rang vor anderen Erwägungen. Wirtschaftsordnung und Wirtschaftsgesinnung verlangen einfach in der sozialistischen Wirtschaft eine andere Beurteilung der Investitionen und damit der Verwendung der Akkumulation als in der "kapitalistischen" Wirtschaft. Marx hat dazu einmal ausgeführt: "Die Sache reduziert sich einfach darauf, daß die Gesellschaft im voraus berechnen muß, wieviel Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel sie ohne irgendwelchen Abbruch auf Geschäftszweige verwenden kann, die, wie z. B. der Bau von Eisenbahnen, für längere Zeit, für ein Jahr oder mehr, weder Produktionsmittel noch Lebensmittel noch irgend einen Effekt liefern, aber wohl Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel der jährlichen Gesamtproduktion entziehen"87. Man muß demnach bei den verschiedenen Investitionsmöglichkeiten die Dauer berücksichtigen, bis die Investition wirksam wird, und danach die Investitionen in den einzelnen Wirtschaftszweigen auf einander abstimmen. Dann muß überlegt werden, woher die zusätzlichen Arbeitskräfte ;genommen werden. Werden sie allein schon durch den Bevölkerungszuwachs angeboten, oder müssen Industrie und Landwirtschaft durch eine fortgesetzt sich steigernde intensive Reproduktion Arbeitskräfte freisetzen, die dann für andere Zwecke eingesetzt werden können. Endlich ist noch zu erwägen, ob und inwieweit leitende Persönlichkeiten für die neu zu errichtenden Betriebe in ausreichendem Maße vorhanden sind oder zeitgerecht in ausreichender Zahl herangebildet werden können. Es handelt sich also um ganz disparate Momente, die im sozialistischen Staat auf die Rentabilität einer Investition Einfluß haben. So kann man nicht mit Hilfe eines Koeffizienten oder einer Indexzahl die volkswirtschaftliche Rentabilität einer Neuinvestition in der sozialistischen Wirtschaft angeben, sondern man kann nur sagen, daß eine volkswirtschaftliche Rentabilität dann gegeben ist, wenn die produzierenden Betriebe der Volkswirtschaft rationell eingesetzt sind, und das Optimum an Produktion liefern88 • Doch diese These Tschernomordiks ist zu allgemein und zu technisch gesehen. Das Optimum an Produktion hat nur einen Sinn, wenn es mit einem Minimum an Kosten verbunden ist. Dieses gilt es zu ermitteln. Dadurch ist auch für die sowjetische Wirtschaft die Notwendigkeit gegeben, auf die Methode des Linear-Programming zurückzugreifen. Aber nicht die arithmetische Berechnung allein, sondern eine sorgfältige Analyse sämtlicher ökonomischer und gesellschaftlicher Bedingungen und Zusammenhänge sowie der Zukunfts aussichten unter dem Gesichtspunkt des gesellschaftlich Notwendigen entscheiden über die Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit einer Investition im soziali87 Kapital, Bd. H, S. 314. 88 Tschernomordik, a. a. 0., S. 9 und 26.

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stischen Staat. Das sind durchaus rationale und rechenhafte Überlegungen, wie sie der Wirtschaftsgesinnung und der Wirtschaftsordnung der sozialistischen Wirtschaft entsprechen. Extensive und intensive Reproduktion haben verschiedene volkswirtschaftliche Wirkungen und Voraussetzungen. Solange sich die sozialistische Gesellschaft noch in den ersten Stadien der Entwicklung vom Agrarstaat zum Industriestaat befindet, wird die extensive Reproduktion vorherrschen, wenn neue bisher noch nicht gekannte Industriezweige ins Leben gerufen werden. Dann stellt der Überschuß der landwirtschaftlichen Bevölkerung die notwendigen Arbeitskräfte. In Ländern, in denen wenig Industrie vorhanden ist, ist auch die Akkumulation noch gering, so daß es im allgemeinen vorteilhafter ist, an Akkumulation im Verhältnis zur Arbeitskraft zu sparen. Je mehr aber die Entwicklung zum Industriestaat fortschreitet und je mehr in der Landwirtschaft die dort vorhandenen Reserven an Arbeitskräften durch die Abgabe an die Industrie erschöpft werden, um so mehr wird die intensive Reproduktion in den Vordergrund treten. Dann wird eine Verschiebung der Arbeitskräfte innerhalb der Industrie selbst nötig werden, wodurch eine immer intensivere Reproduktion ausgelöst wird. Das aber bedeutet Ersatz menschlicher Arbeitskraft durch die Maschine und damit die Notwendigkeit, die Akkumulation zu vermehren. Ebenso sind die volkswirtschaftlichen Wirkungen durchaus verschieden, wenn die wirtschaftlichen Gebiete, in denen die erweiterte Reproduktion erfolgt, zu Schwerpunkten der Investition bestimmt werden. Liegt der Schwerpunkt auf dem Gebiet der Produktionsmittel, so zwingt die Entwicklung, ihn nach einiger Zeit auf die Konsumgüterindustrie zu verlegen; weil nur dort die produzierten Produktionsmittel Aufnahme finden können. Wird der Schwerpunkt dagegen zuerst auf die Konsumgüterindustrie gelegt, so besteht in der autarken sozialistischen Volkswirtschaft die Gefahr, daß die Erzeugung von Produktionsmitteln nicht Schritt hält mit der wirtschaftlichen Entwicklung, und daß besonders die Verkehrs- und Versorgungseinrichtungen hinter dem Notwendigen zurückbleiben. Stellt man die nicht produktiven Investitionen in den Vordergrund, so kann wohl das kulturelle Leben der Gesellschaft als Ganzes gehoben werden, aber der individuelle W ohlstand muß stagnieren und die Akkumulation hinter den Erfordernissen der Entwicklung zurückbleiben. Dasselbe gilt für den Fall, daß der Schwerpunkt auf die Rüstungsindustrie gelegt wird. Akkumulation und Arbeitskräfte werden der Produktions- und Konsumtionsmittelindustrie sowie der Landwirtschaft entzogen, und die Landwirtschaft wird nur unzureichend mit Produktionsmitteln versehen, so daß die agrarische Erzeugung sinkt und die Lebenshaltung der Massen gedrückt wird. In diesem Fall kann wohl das gesellschaftliche Gesamt-

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produkt zunehmen, aber das braucht dann noch nicht zu bedeuten, daß auch der Wohlstand der breiten Massen sich hebt. Damit aber wird das Gesetz von der maximalen Befriedigung verletzt. Wir stellten fest, daß in der sozialistischen Wirtschaft kein Kapitalmarkt vorhanden sein kann, auf dem sich Angebot und Nachfrage nach Akkumulation treffen könnten. Daher kann auch der Zins in der sozialistischen Wirtschaft kein Mittel sein, um das Gleichgewicht in der Volkswirtschaft mit herbei zu führen. Eigentlich brauchte es in der sozialistischen Volkswirtschaft gar keinen Zins zu geben, aber dennoch hat er den Charakter eines vom Staat festgesetzten Preises für Leihkapital. Dabei spielt jedoch die Knappheit der Akkumulation für seine Höhe keine Rolle. Akkumulation wird dort eingesetzt, wo es das gesellschaftlich Notwendige verlangt. Je wichtiger eine Investition für das gesellschaftlich Notwendige ist, um so niedriger ist der Zins, den der Staat von den Betrieben für das Kapital verlangt, das er ihnen kurzfristig leihweise zur Verfügung gestellt hat. Die Höhe des Zinses ist deswegen uneinheitlich. Weil die Einnahmen und Ausgaben der Betriebe sich zeitlich nicht immer decken, müssen sie Kredit von der Staatsbank in Anspruch nehmen. Um den Strom dieser Kredite zu lenken und um die Betriebe zu zwingen, mit den Fremdmitteln nach den Grundsätzen der wirtschaftlichen Rechnungsführung zu verfahren, setzt der Staat einen Preis für ihre Nutzung fest. Sicher ist damit der Zins auch in der sozialistischen Wirtschaft in gewissem Umfang ein Preis für die Nutzung des Produktionsfaktors Akkumulation, doch gleichzeitig ist er, ebenso wie derGüterpreis, ein Mittel der Kontrolle durch die Geldeinheit. Doch auch als Einkommen hat der Zins in der sozialistischen Wirtschaft seinen Platz. Ein kleiner Teil der Akkumulation entstammt dem Einkommen der Werktätigen. Dem sozialistischen Staat liegt daran, daß Einkommensteile, die nicht zur Konsumtion verwendet werden, nicht brach liegen bleiben oder gehortet werden. Von solchen Geldüberhängen gehen störende Einflüsse auf die Konsumgütermärkte aus. Deswegen sollen die Massen veranlaßt werden, ihre nicht zum sofortigen Konsum bestimmten Einkommensteile den Sparkassen zu überlassen oder sie in Anleihen des Staates anzulegen. Um eine solche Anlage reizvoll zu gestalten, erhalten die Sparer den Zins. Die Höhe des Satzes wird auch hier vom Staat festgesetzt. Es zeigt sich also, daß · der Zins in der sozialistischen Wirtschaft niemals ein Maßstab für die Rentabilität sein kann, daß er ferner nicht Ausmaß und Richtung der Investitionen zu bestimmen vermag. Damit besteht auch kein Zusammenhang zwischen der Höhe des Zinses und dem Ausmaß der erweiterten Reproduktion. Der Zins ist in der sozia-

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listischen Wirtschaft im wesentlichen Kontrollmittel. Er hat demnach eine ganz andere Funktion als in der "kapitalistischen" Wirtschaft. Das ist eine Wirkung der anderen Wirtschaftsprinzipien und der anderen Wirtschaftsordnung. VI. Arbeitskraft, Arbeitsproduktivität und Lohn; Boden und Grundrente69 Das Ziel, das Marx vorgeschwebt hatte, war die "Selbstverwirklichung des Menschen". Er sollte sich selbst befreien aus dem Zwang und den Fesseln, in die er durch die von ihm selbst hervorgerufene gesellschaftliche Entwicklung geraten war. Marx glaubte, dieses Ziel durch die Errichtung der sozialistischen Gesellschaft und Wirtschaft erreichen zu können. In dieser Wirtschaft und Gesellschaft muß daher das Verhältnis des einzelnen zur Arbeit anders gestaltet sein als in anderen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen. Da anstelle des individuellen Eigentums an Produktionsmitteln ihr Gemeineigentum getreten ist, hat die Arbeit nicht mehr den Charakter einer Leistung für einen Dritten, sondern der Arbeiter schafft für sich selbst, indem er für die Gesellschaft arbeitet. Damit erhält die Arbeit einen unmittelbar gesellschaftlichen Charakter, sie wird zu einer Sache der Ehre, des Ruhms und des Heldentums (Stalinfo. Dem Gemeineigentum an Produktionsmitteln entspricht auf der einen Seite das Recht auf Arbeit und auf der anderen die Pflicht zur Arbeit. Artikel 12 der Verfassung der UdSSR stellt den Grundsatz auf, "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!" Die Vergesellschaftung des Grund und Bodens und der Produktionsmittel hat weiter zur Folge, daß der einzelne Arbeiter nur beim Staat die Arbeit finden kann, von deren Ertrag er zu leben vermag. Der Staat als Nachfragemonopolist nach Arbeit ist in der Lage, durch seine politische und ökonomische Macht einen mittelbaren und unmittelbaren Zwang auf den einzelnen Werktätigen auszuüben. Allerdings findet die Macht des Staates ihre Grenze an der Arbeitswilligkeit der Menschen und an ihrer Bereitschaft sich nicht gegen die sie bedrückende Macht des Staates aufzulehnen. Um die Werktätigen sich gefügig zu machen, verbindet der Staat den Zwang mit dem wirtschaftlichen Vorteil für den Einzelnen. Hofmann nennt das "die Identifizierung des Einzelinteresses mit dem vorgestellten Allgemeininteresse"71. 80

Zum Thema Arbeit, Arbeitsorganisation und Arbeitslohn verweise

ich auf die sehr gute Arbeit von Werner Hofmann, Die Arbeitsverfassung in der Sowjet-Union, Berlin 1956, der ich weitgehend gefolgt bin. 70 Fragen des Leninismus, 11. Auf!., S. 604/5. 71 a. a. 0., S. 152 11.

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Wilhelm Moritz Frhr. von Bissing

Die Arbeitskraft wird so eingesetzt, daß dem Gesetz des stetigen Wachstums der Arbeitsproduktivität72, d. h. der ständigen Steigerung der Arbeitsleistung je Kopf der Werktätigen Genüge getan wird. Steigerung der Arbeitsproduktivität ist das zweite Nahziel der sozialistischen Wirtschaft, denn "die Arbeitsproduktivität ist in letzter Instanz das Ausschlaggebende für den Sieg der sozialistischen Gesellschaft"73 (Lenin). Damit ist auch die Arbeitsleistung dasjenige Moment, das die Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft bestimmt. Doch die gesellschaftliche Stellung des Werktätigen, so wichtig sie auch ist, ist nicht allein von Einfluß auf seine Arbeitswilligkeit und damit auf die Arbeitsproduktivität. Auch die Höhe des Arbeitsentgeltes und die Möglichkeit, seine Lebenshaltung zu heben, vermögen den Arbeiter keineswegs immer zu veranlassen, das Beste an Leistung herzugeben, um die Produktivität der Arbeit auf ein Maximum zu bringen. Oft ist entscheidender, ob der Arbeiter Sinn, Ziel und Notwendigkeit der von ihm geforderten Leistungssteigerung einsieht und ihnen zustimmt. Aber selbst wenn er das tut, können Maßnahmen der Betriebsführung oder des Staates (sozialistischer Wettbewerb, unbezahlte Schichten zu Ehren eines nationalen Festtages, Heraufsetzen der Normen, Kampf um hohe Prämien), die den Arbeiter in seiner Arbeitswilligkeit und in seiner Arbeitskraft überfordern, und die ihm den Genuß seiner Freizeit schmälern, dazu beitragen, daß die Arbeitsproduktivität nicht zunimmt, sondern sogar sinkt. Wenn der Staat auch der eigentliche Arbeitgeber des einzelnen Werktätigen ist, so treten doch beide Parteien nicht unmittelbar einander gegenüber, denn der Arbeiter hat es nur mit dem Betriebsleiter der staatlichen Unternehmen zu tun. Aber gleichzeitig stehen beide, sowohl der Arbeiter als auch der Funktionär, unter dem Druck der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für die Erfüllung der Wirtschaftspläne. Da in dieser Verantwortlichkeit das Risiko des Betriebsleiters liegt, so wird der Arbeiter weniger als menschliche Persönlichkeit angesehen, sondern er ist der Hauptfaktor der Produktion, der nicht versagen darf. Di~ Leistungsfähigkeit dieses Produktionsfaktors wird mit allen Mitteln der modernen Technik, des ökonomischen, moralischen und politischen Zwanges gesteigert. Das scheint zwar unvereinbar mit der kollektiven Wirtschaftsgesinnung des Sozialismus zu sein, doch entspricht es sehr wohl der nüchternen rationalen Wirtschaftsgesinnung, nach der jeder die Arbeit als eine Pflicht gegen die Gemeinschaft ansehen soll. Mittel, um die Arbeitsproduktivität zu steigern, sind einmal der sozialistische Wettbewel1b (s. S. 8 ff.), dann die Gestaltung des Lohnes 72 Lehrbuch, S. 496. 73 Ausgew. Werke, Bd. II, S. 576.

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und die Prinzipien der Entlohnung. Das erste Prinzip der Entlohnung ist die Entlohnung nach der Leistung. Das heißt, es wird wohl gleicher Lohn für die gleiche Arbeitsleistung gezahlt, aber die verschiedenen Arbeitsleistungen werden verschieden, je nach ihrer Bedeutung für das gesellschaftlich Notwendige, bewertet. Stalin verurteilt scharf die Nivellierung der Löhne, weil das die Arbeiter davon abhält, die Arbeitsproduktivität zu steigern. "Es ist eine falsche Lohnpolitik der Gleichmacherei, wenn der Unterschied zwischen schwerer und leichter, zwischen qualifizierter und nicht qualifizierter Arbeit verwischt wird. Im Sozialismus muß sich der Lohn nach der Leistung richten74 ." Der Leistungslohn zeigt verschiedene Formen: 1. den unbegrenzten Stücklohn als unmittelbaren Leistungslohn, wobei

die gefertigte Einheit nach gleichbleibendem Satz bezahlt wird; 2. den progressiven Leistungslohn; hier werden, nachdem der Arbeiter eine bestimmte Menge an Einheiten hergestellt hat, die darüber hinaus gefertigten Einheiten nach progressiv sich steigernden Sätzen bezahlt; 3. den Zeitlohn nach festen Sätzen für die Zeiteinheit; 4. den Prämienlohn. Diese Löhne können individuell nach der Leistung des einzelnen Arbeiters bemessen und bezahlt werden, oder aber sie sind Kollektivlöhne. Dann erhalten die einzelnen Mitglieder des Kollektivs, der sogenannten Arbeitsbrigade, nach Maßgabe der von einem jeden von ihnen geleisteten Arbeit Anteil an dem kollektiven Verdienst. Arbeits- und Lohnbedingungen werden in Tarüen festgelegt. Der Tarif enthält Lohngruppen, in die die Arbeiter nach ihrer Qualifikation (ungelernt, gelernt, Spezialisten, Brigadier. Meister U5W.) eingegliedert werden. Je höher die Qualifikation desto höher ist der Grundlohn. Mit dem Prinzip der Entlohnung nach der Leistung ist eng verbunden das zweite Prinzip "der materiellen Interessiertheit'~'f, ~/'S>ti ~/# ,~~.;}IiI:~