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German Pages 86 [92] Year 1874
QUELLEN UND FORSCHUNGEN ZUR
SPRACH- UND CULTURGESCHICHTE DER
GERMANISCHEN VÖLKER. HERAUSGEGEBEN
VON
BERNHARD TEN BRINK UND WILHELM SCHERER.
Y. D I E VORREDEN FRIEDRICHS DES GROSSEN ZUR HISTOIRE DE MON TEMPS.
STRASSBURG. K A R L J. T R Ü B N E R . LONDON. TRÜBNER & COMP. 1874.
DIE VOKREDEN
E R I E D B I C H S DES G R O S S E ! ZUR
HISTOIRE DE MON TEMPS.
VON
WILHELM WIEGAND.
STRASSBURG. K A R L J. T R Ì Ì B N E R . LONDON. T R U B N E R & COMP. 1874.
B u c h d r u c k e r e i von G. O t t o in D a r m s t a d t .
MEINEM HOCHVEREHRTEN L E H R E R
HERRN PROFESSOR
HERMANN
BAUMGARTEN
F Ü R BEIN A N R E G E N D E S INTEHESKE A N D I E S E R A R B E I T
DANKBAR
GEWIDMET.
E s ist ein eigener Unstern, der über dem Schicksal der litterarischen Arbeiten Friedrichs des Grossen gewaltet hat. Bereits seinen ersten grössern publicistischen Yersuch, den er Anfang 1738 vollendete, seine Considérations sur l'état présent du corps politique de l'Europe, traf ein seltenes Missgeschick. Diese Considérations nämlich waren, wie M. Duncker nachgewiesen,* eine an die Seemächte adressirte politische Flugschrift, die dazu bestimmt war, die öffentliche Meinung in England und Holland über die von Frankreich und Oesterreich drohenden Gefahren aufzuklären und sie gegen die schlaffe, fahrlässige Politik ihrer Ministerien in Harnisch zu bringen. Sie sollte, wie aus Friedrichs Correspondenz mit Voltaire ersichtlich,** in England anonym erscheinen. Die Yeränderung der politischen Constellation, die im Frühling 1738 vom Cardinal Fleury im Haag angebahnte Annäherung Frankreichs an Preussen machte diesen Plan unmöglich, der Druck der Flugschrift musste aus politischen Rücksichten unterbleiben. Es ist alsdann bekannt, wie die Veröffentlichung seines Antimachiavell dem König ganz inopportun erschien, wie die erste im Haag 1740 gedruckte Ausgabe desselben ihn durchaus nicht befriedigte, da sie seinen Plan und seine Gedanken in wesentlich verstümmelter Fassung zeigte, wie später mitten im siebenjährigen Kriege im Jahre 1760 zu Lyon eine unbefugte, perfide Publication seiner Poesien folgte. Man weiss ferner, mit wie wenig Respect, Urtheil und Yerständniss nach Friedrichs Tode die Heraus* Zeitschrift für preussische Geschichte und Landeskunde Januarheft 1871. „Eine Flugschrift des Kronprinzen Friedrich." ** Vergl. Oeuvres de Frédéric le Grand tom X X I p. 193 ff. Quellen und F o r s c h u n g e n .
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geber seines litterarischen Nachlasses verfuhren und wie vernichtend, wie beschämend für die deutsche Nation das treffende Urtheil eines Fremden, des englischen Historikers Gibbon, darüber lautete* Erst in den Jahren 1846— 1857 erschien dann unter Leitung der Berliner Academie der Wissenschaften, von Preuss besorgt, eine würdige Ausgabe der W e r k e Friedrichs des Grossen, die neben seinen historischen und philosophischen Arbeiten seine Gedichte sowie seine Correspondenz litterarischen und freundschaftlichen Characters umfasst. Aber mit Recht klagt G. Freytag,** dass trotz alledem Friedrichs Bedeutung als Schriftsteller bei Weitem noch nicht voll erfasst und gewürdigt worden sei. Nicht etwa blos in den grossen, gebildeten Kreisen unsres Y o l k s , ihnen ist Friedrich als Geschichtsschreiber wie als Poet und Philosoph völlig fremd und unbekannt, nein bei berufenen Historikern sogar. Wenn Thomas Carlyle, der doch zuerst die Gestalt des grossen Königs in realer Lebensfrische erfasst und dargestellt hat, diese Eigentümlichkeit seines Genius fast ganz ignorirt, nur wenige kurz absprechende und, völlig unzureichende Bemerkungen dafür findet***, wenn selbst Ranke * Vergl. C. y. Dohm Denkwürdigkeiten
meiner Zeit.
Band 5.
S. 53. * * Gk Freytag Bilder aus der deutschen Vergangenheit. 4. S. 245. * * * Thomas Carlyle: history of Friedrich II. of Prussia called Frederick the great, Deutach von J Neuberg. Ein scharf begrenztes und sichres Urtheil fehlt bei ihm durchaus, die einzelnen leicht hingeworfnen Notizen widersprechen sich selbst. Band II, S. 669 ff. äussert er sich so: „Es ist eine stehende Wahrheit, dass Friedrichs Litteraturdinge, seine ausgezeichneten litterarischen Besucher und Unternehmungen, die einmal nagelneu und funkelnd waren, alt wie Kleider geworden und der jetzigen' Menschheit eher eine Qual als nicht sind" und 8. 670: „Es ist sicher, Friedrichs Ruf wird heutzutage durch seine Schriften beeinträchtigt; dadurch, dass er nicht Nichts geschrieben hat, steht er niederer bei der Welt". Ganz anders dagegen lautet Carlyles Urtheil Band I, 5 3 6 : „Auch von seiner Litteratur, von dem, was er im reifern Alter flüchtig geschrieben, kann man sagen, dass es selbst als Litteratur viel mehr Werth besitzt, als der gewöhnliche romantische Appetit ihm anweist u. s. w." Im Folgenden hebt dann Carlyle richtig einige wesentliche Lichtseiten an Friedrichs litterarischen Arbeiten hervor, Band Y, 173 ff. zeigt er volles Yerständniss für Friedrichs „Klagelieder"
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in seinen Neun Büchorn preussischer Geschichte Friedrichs litterarischem "Wirken, wie mir scheint, nicht volle Gerechtigkeit widerfahren lässt, dasselbe vielmehr in seiner Darstellung stark in den Hintergrund drückt,* so sind das gewiss schlagende Belege dafür, wie wenig man noch den reichen Gewinn, der für das Yerständniss Friedrichs und der Geschichte seiner Zeit gerade aus seinen Schriften zu schöpfen ist, beachtet hat, ja überhaupt nur kennt.** "Wenn auf irgend einem Gebiete der modernen Geschichte, so tritt hier besonders das Missverhältniss zu Tage, dass zwar ein überaus reiches Material vorhanden ist, aber eine genügende historische Ausnutzung fehlt. So mangelt uns — und gerade jetzt empfinden wir es doppelt schmerzlich als einen Nothstand unserer nationalen Historiographie — in der That noch immer eine umfassende, wissenschaftliche Biographie Friedrichs des Grossen, die in monumentalen Zügen uns den ganzen König, den ganzen Menschen in seinem Werden und Wirken zeigte. Carlyles Arbeit kann und will, so bedeutungsvoll sie auch für das aus dem siebenjährigen Kriege und ebenso Band VI, 393 und 524 für die zeitgeschichtlichen Darstellungen des Königs. Carlyles absprechendem Urtheil ist bei seiner Gesammtauffassung Friedrichs wohl erklärlich, er sieht in ihm vor Allem den Mann der That in seinem raisonnirenden, schreibseligen J a h r h u n d e r t , den Mann der unbedingten "Wahrheit inmitten einer "Welt voll Trug und Heuchelei. * L. v. Ranke Neun Bücher Preussischer Geschichte III, S 445 und 446. Ganz objectiv ist hier der Eindruck wiedergegeben, den Friedrichs Brandenburgische Memoiren auf seine Zeitgenossen machten; nur über die Histoire de mon temps findet sich ein eigenes Urtheil, das jedoch bei seiner Allgemeinheit und Kürze völlig unzureichend genannt werden muss. Rankes Versuch am Schlüsse seines Werks (III, 465 ff.) Friedrichs „Meinungen" zumeist auf Grund seiner litterarischen Arbeiten näher zu characterisiren, ist ebenfalls nichtsweniger als erschöpfend, die historischen Schriften des Königs sind übrigens dabei gar nicht berücksichtigt. ** Einen Ansatz, das Verständniss Friedrichs auf diesem "Wege anzubahnen, zeigen die Sammlungen von Schütz Die Stimme Friedrichs des Grosson im 19. Jahrhundert, Braunschweig 1828 und von H. Merkens Gedanken Friedrichs des Grossen, "Würzburg 1871. Sie sind indess blosse Zusammenstellungen ohne selbständige Arbeit. 1*
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Yerständniss von Friedrichs Leben und Geschichte ist, bei ihrer mosaikartigen, jeder Oeconomie des Plans entbehrenden Zusammenstellung , bei den unerträglichen Sonderbarkeiten des Stils und bei ihrem vorzugsweise für das englische Publicum berechneten Zuschnitt durchaus keinen Anspruch darauf machen, ebensowenig Preuss' umfangreiches "Werk,* das nur ein reiches, mit grossem Fleisse gesammeltes Material aufweist. Aber selbst die minder schwierige Aufgabe, einzelne Partien dieses Ganzen forschend zu umfassen und darzustellen, harrt noch zum grossen Theil ihrer Lösung, hier bietet sich dem Historiker noch ein unermesslich reiches Feld der Thätigkeit. Auf dem Gebiete der politischen Geschichte hat, abgesehen von den Arbeiten Rankes und Schäfers, die nur einzelne kürzere Zeitabschnitte der Regierung Friedrichs in Betracht ziehen und der jüngst erschienenen Fortsetzung des bekannten Droysen'schen Werkes, die nur bis zum Jahre 1742 reicht, in letzter Zeit M. IJuncker mit Benutzung bisher nicht bekannter Schätze des Berliner Archivs sehr beachtenswerthe Untersuchungen geliefert. Was ist hier trotzdem nicht noch zu thun z. B. für die Publication der Friedrich'sehen Gesandtschaftsinstructionen, seiner politischen Correspondenz ? Oder wer hat Friedrich in seiner bis jetzt kaum zu ahnenden Thätigkeit für die innere Yerwaltung des Landes, für die Organisation und das Commando der Armee im Frieden recht beachtet, obwohl Preuss auch hierzu schon einen Theil der Materialien geboten? Bei dem -schon oben gekennzeichneten Yorurtheil und der landläufigen Nichtbeachtung von Friedrichs schriftstellerischem Wirken tritt begreiflicher Weise der Mangel historischer Forschung und Darstellung noch auffallender hervor. So ist in der That, seitdem die von Preuss besorgte Ausgabe mit dessen einleitenden Notizen über Abfassung und Entstehung der einz'elnen Werke erschienen, der reiche, wohlgeordnete Stoff in dieser Hinsicht wissenschaftlich fast völlig todt geblieben. Beinahe alle irgendwie nennenswerthen * J. D. E. P r e u s s Friedrich der Grosse, eine Lebensgeschichte. 4 Bände. Berlin 1832—34.
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Arbeiten datiren von früher und stützen sich noch auf die incorrecten immerhm
Ausgaben einräumen,
von
Berlin
dass Yieles
und
Basel.
unter
den
Muss
man
litterarischen
Producten Friedrichs selbständigen, dauernden "Werth nicht besitzt, wie die meisten seiner philosophischen Abhandlungen und Gedichte, so sind doch auch sie für das Yerständniss des grossen Königs von Bedeutung, denn auch hier kann man das Sein nur aus dem W e r d e n begreifen.
Gibt uns für den
letztern' Zweck besonders seine Correspondenz dankenswerthe Aufschlüsse, so ist Friedrich auf einem litterarischen Gebiete auch wahrhaft original und productiv: in seinen historischen Schriften.
Sie sind nicht allein als ächte Documente und
frische Ueberlieferung
für Auffassung und Yerständniss der sie haben auch unmittel-
Geschichte jener Zeit von Belang, baren,
wissenschaftlichen
directen,
Werth,
umfassenden Einblick
sie
in
eröffnen
die
uns
einen
Gedankenwelt
des
Königs, in die reiche Empfänglichkeit und Produktivität seines Geistes, in die geheime Werkstatt seines Studiums und seiner litterarischen Arbeit. Wesen denn
Erst hier kann man Bedeutung
seines schriftstellerischen die
historischen
grösserer Sorgfalt
Schriften
und reiferer
Wirkens sind
wohl
von
Ueberlegung
und
verstehen,
Friedrich
mit
gearbeitet
als
alles Andre, die gewissenhafte Durchsicht und Ueberarbeitung seiner Histoire de mon temps beweist dies schon allein.
War
ihm auch von Natur die Anlage zum originalen schöpferischen Dichter oder zum Philosophen versagt, zum Geschichtsschreiber besa8s er sie sicher in reichem
Masse,
Bei einem Zeitraum
von vierzig Jahren, den die Abfassungstermine seiner geschichtlichen Arbeiten umfassen, von den im Jahre 1738 geschriebenen
Considérations
sur l'état etc.
bis
zu den
Mémoires
de la guerre de 1778 finden wir hier in prägnanter, klarer Form das Product seines rastlosen Studienfleisses, die Summe seiner geistigen Entwicklung und seines geistigen Gehaltes. Trotz
alledem
hat man diese reiche Fundgrube histo-
rischer Forschung, wie schon bemerkt, wenig benutzt, j a zum grossen Theil übersehen oder gar nicht beachtet. von
Untersuchungen
über
Friedrichs
historische
Was
mir
Schriften
bekannt geworden, so schätzenswerth auch manches Einzelne
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unstreitig ist, scheint mir dennoch der Bedeutung des Gegen stands bei Weitem nicht entsprechend, sind es doch zum grossen Theil nur Recensionen über die. ersten Ausgaben der Friedrich'schen Werke, die zwar mehr oder minder ausführlich auf Einzelheiten eingehen, selbstverständlich aber eine umfassende Characteristik nicht geben können und wollen. Bekanntlich waren von Friedrichs streng geschichtlichen Arbeiten nur die Mémoires pour servir à l'histoire de la maison de Brandebourg bei seinen Lebzeiten im Druck erschienen, die übrigen veröffentlichte erst 1788 die officielle Berliner Ausgabe in sehr lücken- und fehlerhafter Gestalt. Yon dieser und der meist nur Briefe enthaltenden Basler Ausgabe ebenfalls vom Jahre 1788 sind mir drei Recensionen zugänglich gewesen ; zwei von ihnen sind recht beachtenswerth. Die ausführlichste hat J. v. Müller zum Verfasser und befindet sich in der Allgemeinen Litteratur - Zeitung.* Ein etwas befangener Standpunkt derselben, dem der volle Ton wahrhafter Ueberzeugung fehlt, lässt sich besonders .bei der Beurtheilung der historischen Schriften nicht verkennen, das bezeugen u. A. schon die einleitenden Bemerkungen über das hier besonders schwere Amt eines Kritikers. Da J. v. Müller nur den von der Leetüre empfangenen Eindruck andeuten will, so findet sich auch meist nur eine Characteristik ganz allgemeiner Art, die nur im Grössten zeichnet, ohne weitere Belege und Beweise. Nur auf eine Würdigung der Histoire de mon temps geht er etwas genauer ein, durchweg zollt er unbeschränktes, begeistertes Lob, das sich bis zum Dithyrambus steigert. „Unheimlich" nennt es nicht ohne Recht der allerdings etwas medisante Yarnhagen v. Ense.** Eine Reihe einzelner, feiner und treffender Bemerkungen enthält die Recension Spittlers in den Göttingischen Gelehrten Anzeigen.*** Obwohl sehr kurz und gedrungen ganz nach seiner knappen Art, zählt sie doch zu dem besten, was über Friedrich als Historiker ge* Allgemeine Litteratur - Zeitung. Jahrgang Ï789, Nr. 48 ff. (Werke 26, 56 ff.) ** Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Berlin 1835. Nr. 50. *** Gotting. Gelehrte Anzeigen 1789 Stück 33 ff. Vergl. Spittler» Sämmtliche "Werke herausgegeben von v. Wächter Band I I S . 719 —724.
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schrieben wurde. Man merkt überall den Pragmatiker und strengen Systematiker der Göttinger Schule. Auf Einzelnes hierin einzugehen, wird sich später Gelegenheit finden. Die dritte Recension, die sich in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek* von einem anonymen Verfasser befindet, sucht nur im Allgemeinen das Publicum über den eminenten Werth der jüngst edirten Werke Friedrichs des Grossen und speciell über einige interessante Details derselben zu informiren, im Uebrigen ist sie ohne Belang. Diese drei Recensionen waren unmittelbar nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe unter dem frischen, lebendigen und spannenden Eindruck geschrieben, den die litterarischen Arbeiten eines Königs, auf dessen Regierung ganz Europa mit staunender Bewunderung sah und dessen wahre Grösse doch nur Wenige begriffen, nothwendiger Weise allgemein hervorrufen mussten. Bei Johannes v. Müller ist der Pulsschlag dieser allgemeinen Aufregung und Theilnahme des Publicums noch zu fühlen.** Eine später 1819 erschienene Beurtheilung der Werke Friedrichs stammt von einem seiner wärmsten Verehrer, von Ch. W. v. Dohm,*** sie trägt jedoch ebenfalls nur den Character einer einfachen Recension, mithin auch deren Mängel. Ueberall aber zeigt sie den gerechten Standpunkt, den freien, unparteiischen Blick des Verfassers, viel und wesentlich Neues * Allgemeine deutsche Bibliothek 90. Band 2. Stück S. 311—329. ** Characteristisch für den warmen Antheil, den bereits Friedrichs Zeitgenossen an seinen historischen Arbeiten nahmen, und das Interesse, mit dem sie ihrer Veröffentlichung entgegensahen, sind die "Worte des Göttinger Professors Gesner in seiner Isagoge in eruditionem universalem tom. I, p. 132 „si nunc rex quidam nostrae aetatis, si Fridericus ter mägnus litteris mandaret, quod faciet sine dubio, res hoc bello gestas, quam illas cupide arpperent homines et jure maximo." Yergl. Allgem. deutsche Bibliothek. 90. Band. S. 313. Erwähnung verdient vielleicht hier noch der kurze Auszug von Gedanken und Maximen aus Friedrichs "Werken, den Herder in den Humanitätsbriefen unter unbedingter Anerkennung der geistigen Grösse des Königs giebt. Yergl. J. G. v. Herders sämmtliche Werke. Zur Phil, und Gesch. 13. Theil. S. 32 ff. Stuttgart, Cotta'sche Buchhandlung. 1829. *** Ch. "W. von Dohm Denkwürdigkeiten meiner Zeit. Lemgo 1819. Band 5, S. 56 ff
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bringt sie nicht bei. Nachdem dann F. Förster in einer besonderen" Abhandlung* Friedrichs philosophische Bildung betont und näher zu beleuchten versucht hatte, zeichnete Fr. Wilken** in einer academischen Rede die Bedeutung des Königs als Geschichtsschreiber. Schon der durch diese Form der Darstellung eng gezogene Rahmen gestattete nicht, den Gegenstand eingehender zu behandeln. Wilken hebt zwar überall die entscheidenden Hauptmomente hervor, weist mit Recht besonders auf die Geschichtsstudien Friedrichs als -das feste Fundament seiner politischen und historischen Schriften hin, begnügt sich aber ebenfalls mit einer allgemeinen Characteristik derselben, wie' sie eben vorliegen. Ueb'erall zeigt auch er uns nur den fertigen, in seiner Bildung abgeschlossenen Friedrich. Durch seine ganze Darstellung, die im Einzelnen manchen geistvollen und originellen Gedanken enthält, zieht sich der Versuch, die historischen Werke der Alten mit denen des Königs in Parallele zu stellen, die Compositionsweise antiker Historiographie auch bei ihm nachzuweisen. Es soll ihm der Stempel der Classicität aufgedrückt werden, ein Bestreben, das schon bei J. v. Müllers Kritik der Histoire de mon temps sichtlich hervortritt, das inir jedoch ohne genügende Berechtigung erscheint, wenn nicht das Vorbild und der Einfluss der Alten im Einzelnen nachgewiesen wird und wenn weit -nähere Muster klar zu Tage liegen. Bald auf Wilkens Arbeit folgte eine Untersuchung von Preuss,*** eine Vorstudie zu der später folgenden ersten vollständigen Ausgabe von Friedrichs Werken. Sie enthält wesentlich nur Notizen über
Geist.
* Fr. Förster Friedrichs des Grosse» Jugendjahre, Bildung und Berlin 1823.
** F f . Wilken König Friedrich II. als, Geschichtsschreiber. Academische Rede. Berlin 1835. E i g e n t ü m l i c h e r Weise ist seitdem der liistoriographischcn Thätigkeit Friedrichs bei den zu seiner Gedüchtnissfeier alljährlich im Monat Januar gehaltenen Sitzungen der Berliner Academie nicht mehr gedacht worden, wenigstens nicht in ausführlicherer Weise. Unter den Festreden sind die von Trendelenburg über Friedrichs Antimacehiavell und die von M. Haupt über Friedrichs Poesien für uns nicht ohne Interesse. * * Preuss Friedrich der Grosse als Schriftsteller, Berlin 1837.
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Handschriften, erste Drucke von Friedrichs Arbeiten, Recensionen derselben, Quellenangaben und die auf die Entstehung der einzelnen Schriften bezüglichen Stellen seiner Correspondenz. Alles nur Material ohne einheitlichen Plan, das wir in reicherer Fülle in den ebenfalls von Preuss geschriebenen préfaces der Academischen Ausgabe wieder finden können. Eine besondere Kunde von dem Eindruck zu finden, den Friedrichs litterarische Hinterlassenschaft ausserhalb Deutschlands und speciell in Frankreich, wo er eine durchaus populäre Gestalt war, gemacht haben mag, ist mir leider nicht möglich gewesen; bei dem unmittelbar darauf ausbrechenden Sturm der Revolution mögen wohl auch alle nichtpolitischen, zumal wissenschaftlichen Interessen völlig zurückgetreten sein. Bemerkenswerth scheint mir indess aus späterer Zeit das Urtheil Yillemains* in seinem Cours de littérature française wegen seiner eigentümlichen, abweichenden Ansicht über Friedrichs litterarische Verdienste. Es ist voll von oberflächlichen Anschauungen. Zunächst betont Yillemain weit über Gebühr den Einfluss Yoltaires, dessen geistigen Bahnen der König ausschliesslich gefolgt sei und versteigt sich sogar zu der Behauptung, dass die Nachwelt einst nur wenige Briefe desselben an Yoltaire und d'Alembert kennen und schätzen werde. In demselben Stil gehalten ist seine Würdigung der historischen Schriften, unter denen er der von Friedrich stilistisch und sachlich sehr vernachlässigten Histoire de la guerre de sept ans den ersten Rang zuerkennt. Die Histoire de mon temps dagegen sei ein "Werk mehr philosophischen Characters, das uns die Grundanschauungen jener Zeit offenbare. Bei glänzender, blendender Phrase wenig Verständniss für Friedrichs Eigenart, das ist das Gepräge der Yillemainschen Characteristik. Registriren wir aus derselben nur, dass sie des Königs deutsche Art auch auf geistigem Gebiete trotz seiner französischen Studien hervorhebt.** Es ist immerhin
* M. Yillemain Cours do littérature française. XVIII. sièclo. Tome II, p. 171—178. Paris 1838.
Tableau
du
** Villemain a. a. O. p. 174 „Frédério malgré ses études françaises est allemand". Das Folgende, obwohl nicht eben schmeichelhaft
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anerkennenswerth, dass Friedrichs historische Arbeiten bei Villemain überhaupt Beachtung, wenn auch nicht die richtige und gebührende gefunden haben,- während bei uns' Schlosser und in jüngster Zeit noch Julian Schmidt sowie H. Hettner,* die doch den fördernden und hebenden Einfluss des Königs auf das geistige Leben Deutschlands nicht verkennen, in ihren Darstellungen für dieselben kein W o r t haben, als existirten sie einfach nicht oder gehörten ihrer Sprache wegen der französischen Litteratur an.** Die Grenzen der Litteratur
für Friedrich und für uns, kann nnr die Begründung dieser Behauptung sein : „II a dans sa narration plus de sécheresse que de simplicité, plus de n é g l i g e n c e sans goût que de n a t u r e l " . R e c h t characteristisch ist noch die Gegenüberstellung der Memoiren, die Napoléon auf Helena dictirt hat Villemain feiert sie in überschwänglichen Ausdrücken : „Rien de semblable, rien de si grave et de si animé, de si profond et de si fier ne se rencontre dans Frédéric ni même dans Céâar. C'est l'imagination de Tacite colorant la pensée de Richelieu. Frédéric est loin de l à . " W i e hoch W a h r h a f t i g k e i t und sittliche Grösse Friedrichs Arbeiten über j e n e Tendenzschrift voll L ü g e und F ä l s c h u n g erheben, davon hat Villemain, wie es scheint, keine Ahnung. * H. Hettner Geschichte der deutschen L i t t e r a t u r im 18. J a h r hundert. Hier ist das landesübliche Ignoriren von F r i e d r i c h s geschichtlichen Arbeiten am auffallendsten. Gelegentlich einer Characterisirung der deutschen Geschichtsschreibung, bei der Abbt, Moeser, Iselin u. A . Platz finden, wirft Hettner die B e m e r k u n g hin: a. a. O. I I , 400. „Es ist bezeichnend, dass der grösste, um nicht iu sagen der einzige, deutsche Geschichtsschreiber im Zeitalter F r i e d r i c h s des Grossen Friedrich der Grosse selber ist." Kein W o r t èiner näheren Motivirung f o l g t , wohl aber eine l ä n g e r e Ausführung über Iselin. Oder weist Hettner Friedrichs Arbeiten in die französische L i t t e r a t u r ? Indess in Hettner's Geschichte der französischen Litteratur im 18. J a h r h . finden sie ebenfalls keine Erwähnung. W e n n Biedermann in seiner Schrift Friedrich der Grosse, und sein Verhältniss zur Entwicklung des deutschen Geisteslebens. Braunschweig 1859. S. 40 ff. Friedrichs eigne litterarische Thätigkeit ziemlich kurz abfertigt, so ist das eher zu entschuldigen , da der Einfluss derselben nach der genannten Richtung hin nicht von bedeutender und nachhaltiger W i r k u n g war. * * Unsicherheit bezüglich der Angehörigkeit Friedrichs zur deutschen oder französischen Litteratur zeigt merkwürdiger Weise bereits ein Zeitgenosse des K ö n i g s , M. Mendelssohn, in der Bibliothek der schönen Wissenschaften I V , 5 5 2 , in der er sich über die publicistische Litteratur seiner Zeit also äussert: „Die Alten haben uns vor-
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reichen weiter als die der Sprache einer Nation, tragen wir doch mit Recht kein Bedenken, die lateinische Poesie des Mittelalters oder die französisch geschriebenen Untersuchungen eines Leibnitz etwa als deutsches Nationalgut in Anspruch zu nehmen. Warum Friedrich die französische Sprache für seine litterarischen- Arbeiten gewählt, hat er selbst offen erklärt* und der angegebene Grund ist völlig stichhaltig, wenn anders wir die Verhältnisse seiner Zeit und seiner Entwicklung berücksichtigen wollen. Friedrichs deutsche Art schliesslich in Zweifel zu ziehen, wie einst Arndt, Schlegel und noch vor Kurzem 0 . Klopp gethan, sollte man nach J. Moesers und Goethes -treffenden "Worten, wenn selbst Yillemain, der in Sachen des Bürgerrechts seiner Nation jedenfalls competent ist, ihn rückhaltslos als den unsrigen anerkennt, billig nicht mehr versuchen. Schon aus dem eben Bemerkten lässt sich schliessen, wie dürftig auch in neuester Zeit nach dem Erscheinen der Ausgabe der Academie die Litteratur über Friedrichs historiographische Thätigkeit geblieben ist. G. Freytag hat in seinen Bildern aus der deutschen Vergangenheit** bei der treffliche Schriften dieser Art hinterlassen, in ihre Fussstapfen sind die Engländer und Franzosen getreten. Die Deutschen haben nicht eine einzige Schrift von dieser Gattung aufzuweisen , wenn man nicht die Schriften eines Friedrich mit zu den deutschen Geburten rechnen will." * Oeuvres I, p. L Y I : „Quoique j'aie prévu les difficultés, qu'il y a pour un Allemand d'écrire dans une langue étrangère, je me suis pourtant déterminé en faveur du français à cause que c'est la plus polie et la plus répandue en Europe, et qu'elle parait en quelque façon fixée par les bons auteurs du siècle de Louis XIY. Après tout il n'est pas plus étrange qu'un Allemand écrive de nos jours en français, qu'il l'était du temps de Cicéron qu'un Romain écrivît en grec." ** G. Freytag a. a. 0 . IV. S. 245 - 247. Bemerkenswerth scheinen mir ausserdem einige vereinzelte Bemerkungen Herman Grimms in seinen beiden Essays „Voltaire und Frankreich" und „Friedrich der Grosse und Macaulay". Er sieht in Friedrich ein „in eminenter Weise zur Schriftstellerei befähigtes Genie" und vergleicht seine historischen Schriften mit „gewaltigen Naturhieroglyphen, die ein vorrückender Gletscher in die Wände der Gebirge einritzt, zwischen denen er seinen Weg sucht. Wo es sich um Actenstücke von solcher Bedeutung handelt, werden êprache und Durchbildung der Sätze zu Nebensachen." S. Herman Grimm. Fünfzehn Essays. Berlin 1874. S. 76 ff. u. 125 ff.
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psychologisch feinen Characteristik des Königs auch den Geschichtsschreiber nicht vergessen und ihn in treffendem Umriss mit wenig Zügen gezeichnet, während A. Boretius,* durch Preytags und Carlyles Arbeiten angeregt und auf sie zumeist gestützt, in einer kleinen, besondern populär-wissenschaftlichen Abhandlung Friedrichs gesammtes schriftstellerisches Wirken mit Sachkenntniss und Yerständniss beleuchtete. Mit Recht hebt derselbe an den historischen Schriften die unbedingte Wahrheitsliebe als bedeutendstes und schönstes Merkmal hervor. Zu erwähnen sind ferner noch in der jüngst von H. Merkens** besorgten deutschen Uebersetzung ausgewählter W e r k e Friedrichs des Grossen die kurzen Einleitungen Fr. Wegeies, sie behandeln Entstehung und Werth der Brandenburgischen Memoiren sowie der Histoire de mon temps, ohne auf Details einzugehen und Neues beizubringen. Die vor wenigen Wochen in der Allgemeinen Militär-Zeitung*** erschienenen Aufsätze über „Friedrich den Grossen und sein Yerhältniss zur Geschichtswissenschaft" sind durchaus populär gehalten und ohne weitern Belang. Diese Litteraturangabe wird trotz ihrer kurzen Skizzirung hinreichen, die Behauptung zu rechtfertigen, dass Friedrichs Bedeutung als Geschichtsschreiber bisher weder gebührend beachtet noch dargestellt worden sei. Jene oben characterisirte Reihe einzelner, zum Theil nur im momentanen frischen Eindruck der Leetüre hingeworfner Gedanken und Bemerkungen genügt nicht. Es fehlt noch immer eine einheitliche, umfassende und eingehende Behandlung, die allein den wissenschaftlichen Zweck im Auge, mit Benutzung aller Yorarbeiten und auf Grund der sorgfältigen Ausgabe der Academie den gewaltigen Stoff in Angriff nähme. Dazu einen kleinen Beitrag, einen Baustein für ein derartiges Werk zu liefern, be* A. Boretius Friedrich der Grosse in seinen Schriften*' Berlin 1871. Sammlung wissenschaftlicher Vorträge herausg. von Virchow und Holtzondorff. Heft 114. ** Ausgewählte "Werke Friedrichs des Grossen in's Deutsehe übertragen' von H. Merkens Würzburg 1873. Hand I. Einleitung p. I - V I I . *+* Allgemeine Militär-Zeitung, Jahrgang 1874, Nr. 1—7.
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strebt sich die vorliegende Untersuchung. Bei der von allen Seiten herandringenden Fülle des Stoffes war es geboten, sich unbedingt auf das Nothwendige und Gegebene zu beschränken. Manche mehr abseits liegende wenn auch interessante Frage durfte kaum berührt werden. Es konnte weder meine Absicht sein, eine Menge Details ohne inneren Zusammenhang, noch eine Reihe allgemeiner kritischer Notizen zu geben, wenn ich nicht selbst in die oben gerügten Fehler meiner Yorarbeiter auf diesem Gebiete verfallen wollte ; eine eingehende Behandlung aber der gesammten historischen Arbeiten Friedrichs würde weit über die Grenzen und das Ziel dieser Untersuchung hinausgegriffen haben. Ich habe daher für dieselbe ein kleines, klar begrenztes Feld zu finden gesucht und ein von Friedrich selbst gegebenes Fundament gewählt: d i e V o r r e d e n z u d e n b e i d e n 1746 u n d 1775 entstandenen Redactionen seiner Histoire de mon temps.* Nur die letztere findet sich vollständig in der Ausgabe der Academie, von der ersteren allein die Vorrede. Ranke, der beide Redactionen, mit besonderer Vorliebe aber die erste, in seinen Neun Büchern preussischer Geschichte benutzt hat, hat noch das erste Capitel aus derselben mitgetheilt.** Mit Recht weist er auf die sachlichen Differenzen desselben im Vergleich zu dem entsprechenden Stücke der letzten Rédaction hin und betont, dass eine genauere Untersuchung derselben und des in ihnen waltenden Geistes bei einem Autor von dieser Bedeutung und Ursprünglichkeit wohl der Mühe werth sei. In der That sind beide Redactionen un" schätzbare Documente für das Verständniss der geistigen Entwicklung und Bildung des Königs. Vorzugsweise gilt dies von den beiden Avant-propos, die Ranke bei seinem Vergleiche ausser Acht gelassen hat. Es ist von höchstem Interesse, bei eingehender Analyse derselben die Wandlungen zu beobachten, die eine so gewaltige, drang- und ereignissvolle * Oeuvres de Frédéric le Grand II p. X I I I — X X X I I . ** L. v. Ranke Abhandlungen und "Versuche S. 117—171 „Uober die erste Bearbeitung der Geschichte der sehlesischen Kriege von König Friedrich II."
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Zeit von dreissig Jahren, vor Allem die Epoche des siebenjährigen Krieges in Geist, Auffassung und Ausdrucksweise Friedrichs hervorgerufen hat. Beide Vorreden tragen durchaus die Signatur der Zeit, in der sie entstanden; über der ersten schwebt, wie Ranke treffend bemerkt,* noch ein Vorgefühl der dunklen, unberechenbaren Zukunft, die zweite zeigt uns den gereiften, in der langen, dornenvollen Schule der Erfahrung schwer geprüften Fürsten. Um so mehr verdienen aber beide den Rahmen unsrer Untersuchung zu bilden, da wir in ihnen nicht allein Friedrichs historische Studien verfolgen, die Harmonie seiner historischen und politischen Bildung prüfen können, sondern ihn hier auch seine Theorieen über Wesen und Nutzen der Geschichte, seine Ansichten über die frühere Geschichtsschreibung, sowie über sein eigenes Wirken und Streben auf diesem Gebiete entwickeln hören. In seinen historischen Schriften werden wir die Belege dafür finden, wie er seine wissenschaftlichen Ideale practisch zu gestalten und zu verwerthen wusste. Einschlagende Stellen seiner Correspondenz werden das Bild vervollständigen und während die Vorreden mehr abschliessende Momente in Friedrichs geistiger Entwicklung repräsentiren, wird jene uns über Einzelheiten und- den Gang derselben nähere, genauere Daten an die Hand geben. Nicht vom geringsten Werthe ist es schliesslich, dass wir in diesen Vorreden einen so unmittelbaren Einblick wie nirgends sonst in Friedrichs litterarische Werkstatt gewinnen, seiner Arbeit fast auf Schritt und Tritt folgen können. E s bleibt nur zu bedauern, dass der orste Entwurf der Histoire de mon temps sammt dem Avant-propos^ die beide nach des Königs Briefwechsel mit Voltaire zu schliessen, im Winter 1742 entstanden, verloren gegangen ist.** Ein Vergleich der drei Redactionen, deren erste wahr* K a n k e ft a. O. S. 119. * * Vergl. O u v r e s de Frédéric lo Grand I I p. X Avertissement de l'Editeur ( P r e u s s ) : „Nous n'avons, sur une rédaction antérieure à ees deux manuscrita, que les renseignements fournis par le Roi lui - même dans trois lettres adressées a Voltaire, datées, l'une du 18. novembre 1742, l'autre du (5 avril, et la dernière du 21 mai 1743". Vergl. dazu OeLvres de Frédéric 1. G. X X I I p. 119. 126. 128. 130.
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scheinlich noch frischer, flüssiger und kecker geschrieben, mit noch weniger Sorge um den correcten, stilistischen Ausdruck gearbeitet war als die zweite, würde sehr instructiv sein. Aber schon das Yorhandne allein genügt vollkommen, um daran Friedrichs eingehendes, sorgfältiges Arbeiten auch auf litterarischem Gebiete prüfen und beobachten zu können. Es wäre für Friedrich unstreitig weit leichter und müheloser gewesen, die Vorrede seiner letzten Redaction total umzugestalten, sie ganz von Neuem zu schreiben, Statt dessen hält er mit sichtlicher Pietät gegen seine Jugendarbeit an den ursprünglichen Formen und Gedanken fest, er modificirt sie nur sofern sie mit seiner gereiftem Ueberzeugung nicht mehr im Einklang stehen. Der oft jugendlich übermüthige Ton weicht einer klaren, gemessenen Diction. Es' offenbart sich uns hier schon in einem scheinbar unwesentlichen Zuge eine hochbedeutsame Seite im Wesen des Königs, seine eminente Arbeitsliebe und Arbeitskraft, die die Bewunderung der Epigonen vollauf verdienen. Nicht genug, dass er den jungen preussischen Staat gegen eine Welt in Waffen zu behaupten, im Innern desselben nie geahnte Kräfte der Entwicklung zu entfesseln wusste, nicht genug, dass er Zeit und Müsse fand, auch in den Sphären der Wissenschaft und Kunst sich thätig zu bewegen, nicht genug, dass er nach den höchsten Zielen strebte, alle Gebiete des Lebens fast in seinem Schaffen umfasste, er stieg auch zum kleinen, unbedeutenden Detail der Arbeit herab, bis zur stilistischen Correctur. Wie je Einer hatte er das sittlich hebende und befreiende Moment der Arbeit erkannt. Zeuge dafür ist u. A. sein schönes Wort in seinen Lettres sur l'ainour de la patrie: „Le travail est le pere des vertus",* sein Supplement zu dem alten Sprichworte: „Müssiggang ist aller Laster Anfang". In einem Briefe an d'Alembert vom Jahre 1774 bemerkt er einmal: „L'homme est ne pour l'ouvrage, l'oisevete le rend non seulement malheureux mais souvent criminell** Die Arbeit, die treue,
* S. Oeuvres de Frédéric 1, G. IX. p. 223. ** S. Oeuvres de Frédéric le G. X X I V p. 63'. Vergl. damit Friedrichs drastisches Wort in einem Briefe an die Herzogin Luise
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rastlose Pflichterfüllung war das Lebenselement, in dem sich die W e l t seiner Gedanken und seines Willens concentrirte, wie er selbst einmal an Jordan schreibt: „Je le fais [travailler] pour vivre, car rien ne rassemble tant à la mort que l'oisiveté".* Man muss diesen ersten und grössten Characterzug des Königs wohl kennen und verstehen, will man für die Beurtheilung seiner schriftstellerischen Thätigkeit den richtigen Maasstab -gewinnen. Bei dem Gegenstande unsrer Untersuchung, den beiden Avant-propos, tritt er bis ins Kleinste scharf ausgeprägt entgegen, sie tragen auch in dieser Hinsicht vollkommen. das Gepräge seines Genius. In Friedrich war auch auf littorarischem Gebiet dasGefühl der Pflicht lebendig. Doch wenden wir uns nun zu den Yorreden selbst und stellen wir zum bessern Ueberblick den ersten Abschnitt derselben, in dem Friedrich seine Ansichten über die frühere Geschichtsschreibung entwickelt, in seinen beiden Fassungen nebeneinander. Das eigentümliche Yerhältniss beider wird uns so in voller Unmittelbarkeit nahe treten. Avant - Propos von 1746 (Oeuvr. II, p. XIII ff.)
Avant-Propos von 1775 (Oeuvr. II, p. XXI ff.)
Beaucoup de personnes ont écrit l'histoire, mais bien peu ont dit la vérité. Les uns ont voulu rapporter des anecdotes, qu'ils ignoraient, et en ont imaginé ; d'autres ont fait des compilations de gazettes, ils ont écrit laborieusement dos volumes qui ne contiennent que des ramas informes de. bruits et de superstitions po-
La plupart des histoires que nous avons, sont des compilations de mensonges mêlés de quelques vérités. De ce nombre prodigieux de faits qui nous ont été transmis, on ne peut compter pour avérés que ceux; qui ont fait époque, soit de l'élévation ou de la chute des empires. 11 paraît indubitable que la bataille'de
Dorothea von Sachsen - G o t h a , datirt vom 19. Februar 1763 „L'homme est fait pour travailler, comme le boeuf-pour labourer". Oeuvres X V I I I p. 210. * S. Oeuvres de Frédéric 1. G. X V I I p. 243.
— pulaires; d'autres ont fait des journaux de guerre insipides et diffus ; enfin la fureur d'écrire a séduit quelques auteurs à faire l'histoire de ce qui s'est passé quelques siècles avant leur naissance. A peine reconnaît-on les faits principaux dans ces romans: les héros pensent, parlent et agissent selon l'auteur; ce sont ses rêveries, qu'il raconte, et non pas les actions de ceux dont il doit rapporter la vie.
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Salamine s'est donnée, et que les Perses ont été vaincus par les Grecs. Il n'y a aucun doute qu'Alexandre le Grand n'ait subjugué l'empire de Darius, que les Romains n'aient vaincu les Carthaginois, Antiochus et Persée; cela est d'autant plus évident, qu'ils ont possédé tous ces Etats. L'histoire acquiert encore plus de foi dans ce qu'elle rapporte des guerres civiles de Marius et de Sylla, de Pompée et de César, d'Auguste et d'Antoine, par l'authenticité des auteurs contemporains qui nous ont décrit ces événements. On n'a point de doute sur le bouleversement de l'empire d'Occident, et sur celui d'Orient; car on voit naître et se former des royaumes du démembrement de l'empire romain; mais lorsque la curiosité nous invite à descendre dans le détail des faits de ces temps reculés, nous nous précipitons dans un labyrinthe plein d'obscurités et de contradictions, d'où nous n'avons point de fil pour sortir. L'amour du merveilleux, le préjuge des historiens, le zèle mal entendu pour leur patrie, leur haine pour les nations qui leur étaient opposées, toutes ces différentes passions qui ont guidé leur plume et •2
Quellen und F o r s c h u n g e n .
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les temps, de beaucoup postérieurs aux événements, où ils ont écrit, ont si fort altéré les faits en les déguisant, qu'avec des yeux de lynx même on ne parviendrait pas à les dévoiler à présent. Tous ces livres sont indignes Cependant dans la foule de passer à la postérité; et d'auteurs de l'antiquité, l'on cependant l'Europe en est in- distingue avec satisfaction la ondée, et il se trouve des gens description que Xénophon fait assez sots pour y ajouter foi. de la retraite des Dix mille Hors le sage M. de Thou, qu'il avait oommandés et raRapin de Thoyras, et deux menés lui-même en Grèce. ou trois autres tout au plus, Thucydide jouit à peu près nous n'avons que de faibles des mêmes avantages. Nous historiens. Il faut redoubler sommes charmés de trouver, d'attention sceptique quand on dans les fragments qui nous les lit et passer vingt pages restent de Polybe, l'ami et le de paralogismes avant que de compagnon de Scipion l'Afritrouver quelque fait, intéres- cain , les faits, qu'il nous sant ou quelque vérité. raconte, dont lui-même a été le témoin. Les lettres de Cicéron à son ami Atticus, portent le même caractère; c'est un des acteurs de ces grandes scènes qui parle. J e n'oublierai point les Commentaires de César, écrits avec la noble simplicité d'un grandhomme; et quoi qu'en ait dit Hirtius, les relations des autres historiens sont en tout conformes aux événements décrits dans ces Commentaires ; mais depuis César, l'histoire ne contient que des panégyriques ou des satires.
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La barbarie des temps suivants a fait un chaos de l'histoire du Bas-Empire, et l'on ne trouve d'intéressant que les Mémoires écrits par la fille de l'empereur Alexis Comnène, parce que cette princesse rapporte ce qu'ellemême a vu. Depuis, les moines, qui seuls avaient quelques connaissances, ont laissé des annales trouvées dans leurs couvents, qui ont servi à l'histoire d'Allemagne ; mais quels matériaux pour l'histoire ! Les Français ont eu un Evêque de Tours, un Joinville et le Journal de l'Estoile, faibles ouVrages de compilateurs, qui écrivaient ce qu'ils apprenaient au hasard, mais qui difficilement pouvaient être bien instruits. Depuis la renaissance des lettres, la passion d'écrire s'est changée en fureur. Nous n'avons que trop de mémoires, d'anecdotes et de relations, parmi lesquelles il faut s'en tenir au petit nombre d'auteurs qui ont eu des charges, qui ont été attachés à la cour, ou qui ont eu la permission des souverains de fouiller dans les archives, tels que le sage président de Thou, Philippe de Comines, Yargas, fiscal du concile de Trente, mademoiselle d'Or2*
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léans, le cardinal de Retz, etc.; ajoutons-y les Lettres de M. d'Estrades, les Mémoires de M. de Torcy, monuments curieux, surtout ce dernier, qui nous développe la vérité de ce testament de Charles II, roi d'Espagne, sur lequel les sentiments ont été si partagés. C'est donc beaucoup d'être vrai dans l'histoire ; cependant cela ne suffit pas, il faut encore être impartial, écrire avec choix et discernement, et surtout examiner et considérer les objets avec un coup d'oeil philosophique. Wir sehen, in beiden Vorreden fasst Friedrich sein vernichtendes Urtheil über die bisherige Historiographie im ersten Satz zusammen. Das entscheidende Moment dabei liegt für ihn im Mangel an Wahrheit. In der Rédaction von 1746 wendet er sich aber noch gegen die Zunft der Schriftsteller persönlich, detaillirt genauer die Art und Weise, wie dieselben Geschichte schreiben oder machen und nimmt von der gesammten historischen Litteratur nur die Arbeiten eines Thou, Rapin etc. als brauchbar ans. Dieser Oberflächlichkeit und Flüchtigkeit gegenüber liegt in der Rédaction von 1775 ein bei Weitem reiferes und objectiveres Urtheil klar zu Tage. Schon der einleitende Satz ist in beachtenswertlier Weise anders gefasst. Friedrich wendet sich nicht mehr in erster Linie gegen die Personen, sondern gegen die Sachen. Gegenüber den dort etwas keck und sorglos hingeworfnen Behauptungen ist hier ein fast ängstliches, vorsichtiges Abwägen zu bemerken. Die Characterisirung der historiographischen Kärrner und ihrer Arbeit ist als eine Reihe vager Bemerkungen in ihrer weitläufigen Fassung weggelassen und erscheint an andrer, passender Stelle conciser und gedankenreicher. Man sieht offenbar, es ist dem König mit der Zeit
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eine schärfere, treffendere Ansicht von der historischen Ueberlieferung und der früheren Geschichtsschreibung erwachsen. Auch jetzt noch vermisst er die Wahrheit, aber vorzugsweise nur in den Details. Yon vornherein stellt er hier gewisse weltgeschichtliche Ereignisse, „ceux faits qui ont fait l'époque", ebendieselben, die er einst nur als „faits principaux" andeutete, in ihrer historischen Reellität fest. An den herausgegriffenen Beispielen kann man den richtigen historischen Tact Friedrichs fühlen, sie markiren durchweg Wendepunkte in der alten und mittelalterlichen Geschichte. Der Gegensatz zwischen ihnen und den historischen Details ist hier scharf klargelegt, bezüglich letzterer hält Friedrich seine Ansicht fest. Aber auch hier formt er sie treffender, man möchte sagen würdevoller, gelehrter. Während er dort die Sache etwas scherzend und leicht behandelt, fällt er hier ein ruhiges, reifes Urtheil. Griff Friedrich bei der Motivirung dieser Erscheinung früher nur äussere Momente heraus, so betont er jetzt vor Allem die psychologischen, die Unzulänglichkeit und Unvollkommenheit der menschlichen Erkenntniss, die Subjectivität des menschlichen Urtheils mit ihren beiden Hauptfactoren Leidenschaft und Yorurtheil.* Noch evidenter tritt der Fortschritt in Friedrichs Bemerkungen über die historische Litteratur bis auf seine Zeit zu Tage. Im ersten Avant-propos hatte er über dieselbe * Wie grell ihm dieser Fehler besonders bei der Auffassung und Werthschätzung historischer Persönlichkeiten erschien, ersieht man aus einem Briefe an Voltaire vom November 1737, der zugleich bezeugt, wie früh bereits ihn dieser Gedanke beschäftigte. Gelegentlich einer Beurtheilung Peters des Grossen erklärt er: „On peut conclure de là qu'on ne saurait être assez sur ses gardes en jugeant les grands hommes. C'est proprement de la faveur des historiens que dépend la réputation des princes" und weiterhin: „C'est la partialité ou l'impartialité de l'historien qui décide le jugement du public et de la postérité". Er weist dabei auf den vielbewunderten Pornpejus hin, der uns in Ciceros Briefen doch ganz anders erscheine, auf Alexander, der seinen Weltruhm vielleicht nur seinem Biographen Quintus Curtius verdanke, auf Julian Apostata, der gegenüber den böswilligen Verleumdungen der Kirchenschriftsteller eine Ehrenrettung verdien.e. Vergl. Oeuvres de Frédéric 1. G. XXI, 114 und 115.
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sehr, wegwerfend geurtheilt, nur jene Thou, Thoyras und zwei oder drei andre hatte er ausgenommen. Man kann unmöglich an den vollen Ernst dieser Ausführung glauben, schon dies „deux ou trois autres tout au plus" beweist die kecke, jugendliche Leichtfertigkeit des Urtheils, wie sie schon einmal hervortrat. Friedrich hatte bereits als Kronprinz mit Eifer und Fleiss die Geschichte des Alterthums studirt, die Classiker in französischen Uebersetzungen gelesen, wie u. A. aus einem Brief an seine Schwester Wilhelmine,* die bekannte Markgräfin von Baireuth, vom November 1737 datirt, und aus seiner Correspondenz mit Rollin** hervorgeht. An Jordan schreibt er vom Feldlager von Selowitz aus im März 1742,*** er möge ihm Ciceros Briefe, Tusculanen und Philippiken, sowie Cäsars Commentarien senden. Trotz alledem erwähnt er in unsrer Yorrede auch nicht einen der antiken Historiker. Es ist dies doch höchst auffallend, wenn man auch billig von ihm kein Compendium der Historiographie hier erwarten kann. In einem Briefe desselben Jahres, in dem diese Redaction entstanden, vom September 1746 datirt und an den Prinzen von Preussen gerichtet urtheilt er über denselben Gegenstand weit treffender. Er empfiehlt darin dem Prinzen das Studium der Geschichte mit einer freilich sehr stark auf den practischen Zweck zugeschnittenen Eintheilung der historischen Leetüre. Wir dürfen daher getrost Friedrich eine genauere Kenntniss der geschichtlichen Litteratur imputiren, als er sie hier in unsrer Redaction durch jene weniger streng überdachte und formulirte Behauptung zu verrathen scheint. Vergl. Oeuvres de Frédéric 1. G. XXYII, a. 52. ** Vergl. Oeuvres de Frédéric 1. G. XVI, 231 ff. *** Vergl. Oeuvres de Frédéric ]. G. XVII, 159. f S. Oeuvres de Frédéric ]. G. XXVI, 91. »Des différent es espèces do livres qui se sont écrits il y en n trois sortes, ce me semble, qui conviennent le mieux pour ceux que leur naissance destine à la politique : ce sont les livres qui concernent l'histoire et qui se trouvent accompagnés de bonnes réflexions comme Tacite, T i t e - L i v e , Plutarque etc., d'autres sont des livres de négociations comme les Mémoires du chevalier Temple, les Lettres du comte d'EBtrades, les Mémoires de Philippe de Comines. Les ouvrages de critique en tout genre sont de la troisième espèce."
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Eine allmählige Vertiefung und Reife seines Urtheils in diesen historischen Fragen ist deutlich zu beobachten. Die Zeit des Friedens nach dem zweiten, schlesischen Kriege war für den König auch eine Zeit der Studien und der litterarischen Arbeit. Damals entstanden die Histoire de mon temps, die Brandenburgischen Memoiren und eine Anzahl kleinerer, geschichtlicher Arbeiten. Seine Dissertation sur les raisons d'établir ou d'abroger les lois,* die, im Herbst 1749 entstanden, im Januar 1750 in der Berliner Academie der Wissenschaften vorgelesen wurde, enthält im Beginn einen kurzen Abriss der Geschichte der Gesetze. Sie bezeugt bereits, wenn auch meist nur äusserlich, dass der König mit den Historikern Griechenlands. Roms und Frankreichs vertrauter geworden. Preuss theilt mit,** dass der König in jener Zeit während seiner Mussestunden von 4—6 Uhr Nachmittags vorzugsweise die Classiker gelesen und der von ihm publicirte*** Catalog der Handbibliothek Friedrichs umfasst in überwiegender Anzahl antike Historiker von Herodot bis auf Tacitus. Die Resultate dieser Studien finden wir in unsrer Rédaction von 1775 reichlich verwerthet. Ganz evident tritt es hier hervor, wie sich Friedrichs Blick erweitert und geschärft, wie sich sein Urtheil geklärt hat. Es scheint fast, als habe er der früheren ungerechten, nicht haltbaren Behauptung gegenüber hier der Wahrheit recht audrücklich die Ehre geben wollen. Ueberblicken wir, was aus dem „deux ou trois autres tout au plus" hier geworden, so ist der entscheidende Gesichtspunkt, den Friedrich bei seiner Auswahl unter den Historikern alter und neuer Zeit leitete, wohl zu beachten. Er taxirt den Werth ihrer Aufzeichnungen allein nach der ihnen innewohnenden Wahrheit und findet gewissermassen als Prämissen für dieselbe die Gleichzeitigkeit und den intimen, persönlichen Zusammenhang des Autors mit den Ereignissen, die er darstellen will. Ob er témoin, ob er acteur gewesen oder nicht, ist von entscheidender Bedeutung. * Vergl. Oeuvres de Frédéric 1. G. IX, 11 ff. ** Preuss Friedrich der Grosse III, S. 369. *** Preuss a. a. O. III, S. 418.
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Daher findet z. B. Livius, dessen "Wundergläubigkeit auch den König irritirt,* hier keinen Platz, daher ist vor Allem die Memoiren-Litteratur reich vertreten. Es ist übrigens nicht ohne Interesse, Friedrich ein wenig ins Einzelne zu folgen. Unter den griechischen Historikern steht besonders Thucydides hoch in seiner Achtung, die staatsmännisch-practische Ansicht desselben von der Geschichte gefiel ihm wohl besonders. Er wagt keinen der französischen Geschichtsschreiber, selbst aus dem von ihm so hoch verehrten siècle de Louis XIY. nicht, ihm an die Seite zu stellen.** Und was ihm Thucydides unter den griechischen, das und noch mehr war ihm unter den römischen Historiographen Cäsar. Es waren eben beide durchaus congeniale Naturen in ihrem Alles umfassenden Geist, in ihrer gewaltigen Schöpferkraft und wahrhaft königlichen Prädestination. Tacitus erwähnt er hier nicht, seine düstre, verbitterte Auffassung der Zeitlage erschien ihm wohl mehr satyrisch als historisch getreu. Die wegwerfende Bemerkung schliesslich über die mittelalterliche Klosterannalistik darf uns bei Friedrichs Pragmatismus kaum verwundern. Er kannte sie wohl auch nur sehr oberflächlich, ausserdem ging ihm absolut ,der Sinn ab, entlegene Zeiten wie-die des Mittelalters in ihrer Eigenart zu verstehen und zu würdigen. Im Gegensatz hierzu bevorzugt er mit sichtlicher Vorliebe die französische Geschichtsschreibung, speciell die Memoiren-Litteratur, die in der grossen politischen Schule des 15. und 16. Jahrhunderts erwachsen war. Bei der Auswahl aber sind ihm auch hier allein jene schon erwähnten Momente, Gleichzëitigkeit und intimer Connex des Historikers mit den von ihm geschilderten Ereignissen massgebend. Darum finden hier die Arbeiten eines Bossuet,
* S. Oeuvres de Frédéric 1. G. VII, 108 „en condamnant toutefois la crédulité, avoc laquelle Tite-Live donne à la fin de chaque année une liste de miracles les uns plus ridicules que les autres". Bereits hatte auch Beaufort die Glaubwürdigkeit der Livianischen Tradition schwer erschüttert. ** S. Oeuvres de Frédéric 1. G. II, 37 : „Les Français n'ont aucun auteur à opposer à Thucydide".
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Montesquieu, Yertot und Voltaires selbst trotz aller sonstigen Anerkennung* keine Erwähnung. Yon dieser scharfen Unterscheidung ist in der ersten Yorrede wenig zu merken. Während in der zweiten allein die Unzuverlässigkeit der früheren historischen Arbeiten betont wird, wird ihnen dort auch ihr langweiliger Erzählerton, ihr pedantischer, kleinlicher Sammelfleiss vorgeworfen. Mit der Gegenüberstellung der Forderungen, die an einen wahren Geschichtsschreiber zu stellen sind, schliesst daher auch diese erste Partie der ersten Yorrede. Es ist der Gegensatz französischer und deutscher Historiographie, wie ihn Friedrich auffasste, der hier zu Grunde liegt. Es ist von Interesse zu beobachten, wie seine eigene litterarische Stellung zur französischen und deutschen Geschichtsschreibung mit seinen Ansichten über die Leistungen und Tendenzen beider durchaus harmonirt. Wir wollen dieselbe im Folgenden näher scizziren, bevor wir mit dem Vergleiche beider Redactionen fortfahren, um den Grund und Boden und die Umgebung genau zu kennen, innerhalb derer sich Friedrichs historische Schriftstellern entfaltete. Zunächst sein Verhältniss zur französischen Geschichtsschreibung im Allgemeinen. Dieselbe trägt fast durchweg von Joinville und Villehardouin an, entsprechend der Subjectivität des Nationalgeistes, den Character des Memoirs. Nur in kunstvollerer, methodischer Form, mehr im pragmatischen Sinne ausgebildet, mit dem blendenden Schlagwort der Philosophie der Geschichte bereichert zeigt ihn uns an der Spitze der Entwickelung Voltaire. In diese geistige Continuität gehört auch unbeschadet seiner deutschen Art Friedrich der Grosse, hier sind die Wurzeln seiner Auffassung und Darstellung der Geschichte. Wir werden im Folgenden öfters Gelegenheit nehmen, zu prüfen, welche Elemente Friedrich von seinen französischen Vorgängern übernommen, welche er etwa weitergebildet oder selbständig hinzugefügt hat. Die durchgehende Vererbung selbst einzelner Gedanken und Begriffe ist klar nachzuweisen. * Vergl. Oeuvres de Frederic 1. G. II, 37. VII, 60 ff. 108.
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Prüfen wir dieselbe nur einmal an dem "Wenigen, was wir bis jetzt aus den beiden Avant-propos von Friedrichs Auffassung der Geschichte und der Geschichtsdarstellung wissen. Es harmonirt im Ganzen wie im Einzelnen durchweg mit den Ansichten Voltaires, wie sie in seinem Essai sur les moeurs et l'esprit des nations vielfach hervortreten. Auch Yoltaire warnt vor dem blinden Glauben an die Details der Geschichte, sein eben erwähnter essai zog desshalb dieselben, soweit als möglich, gar nicht in Betracht. Denn „l'objet était l'histoire de l'esprit humain, non pas le détail des faits presque toujours défigurés".* Und in seinen Mélanges historiques bemerkt er einmal: „traiter l'histoire ancienne c'est compiler, me semble, quelques vérités avec mille mensonges."** Auch Yoltaire findet in der Fluth von geschichtlichen Arbeiten, die, um Friedrichs eigene Worte zu gebrauchen, Europa seit der Renaissance überschwemmt, das Meiste werthlos und ungeniessbar.*** Die Uebereinstimmung beider in Riesen Anschauungen, oft sogar im Ausdruck ist wohl bemerkenswerth und der Einfluss Voltaires unverkennbar, besonders wenn man erwägt, dass Friedrich im Winter 1742, gerade in der Zeit, als er an dem jetzt verlornen ersten Entwürfe seiner Histoire de mon temps arbeitete, mit der Leetüre und dem Studium der historischen Arbeiten Voltaires eifrigst beschäftigt war.f * S. Oeuvres complètes de Yoltaire 1785, Tome X I X , 368. Ich citire nach dieser alten Ausgabe, weil mir die édition Beuchot leider nicht zugänglich war. ** S. Oeuvres complètes de Yoltaire 1785- X X V I I I , 72. *** Vergl. .Oeuvres c de Yoltaire X I X , 423: „L'histoire est décharnée jusqu'au seizième siècle par la disette d'historiens, elle est depuis ce temps étouffée par l'abondance On se perd dans cette immensité; heureusement la plupart de ces livres ne méritent pas d'être lus, de même que les petites choses qu'ils contiennent n'ont pas mérité d'être écrites". f Vergl. Oeuvres de Frédéric 1 G. XXII, 85. In einem Briefe an Voltaire vom 3. Februar 1742 spricht Friedrich vom Siècle de Louis XIV. so : „C'est mon unique consolation, mon délassement, ma récréation". Zu vergleichen ist damit sein nicht minder enthusiastisches Urtheil über den Essai sur les moeurs vom 13 October 1742 datirt. Vera-l. Oeuvres de Frédéric 1. (1. X X I I . 115
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Friedrichs Verhältniss zur deutschen Geschichtsschreibung war gerade das umgekehrte. Zur Zeit, als er unsre erste Vorrede schrieb, waren ihm wohl nur sehr wenige deutsche Historiker bekannt, genauere Kunde darüber fehlt uns leider. Vertrauter wurde er mit ihnen erst, als ihn die Bearbeitung der Brandenburgischen Memoiren auf das Studium der Quellen, besonders zur Brandenburgischen Geschichte, führte. In seinem 1751 geschriebenen discours préliminaire zu den oben erwähnten Memoiren* fällt er bereits ein sehr hartes Urtheil über die Arbeiten eines Hartknoch, Lockel und Pufendorf. Müssen wir auch die beiden erstem preisgeben, Pufendorf's Stellung und Verdienste jedoch hat der König völlig verkannt. An seinem im monumentalen Stil geschriebenen Geschichtswerk über den grossen Kurfürsten schätzen wir noch heute die strenge, überall auf Urkunden sich stützende Behandlung der Geschichte. Eben dies, die peinliche, historische Gewissenhaftigkeit, die auch im kleinsten Detail einen Irrthum zu vermeiden suchte, gerade dies Moment, von dem aus unsre neueste historische Forschung mit Niebuhr wieder einsetzte, erschien Friedrich durchaus pedantisch und geistesarm.** Mit Recht tadelte er * S. Oeuvres de F r é d é r i c 1. G. I , p L I : „ J e ne compte point au nombre des historiens un H a r t k n o c h , un P u f e n d o r f , auteurs laborieux à la vérité, qui ont compilé des faits et dont les ouvrages sont plutôt des diciionnaires historiques que des histoires mêmes, j e ne compte point L o c k e l i u s , qui n'a fait qu'une chronique diffuse, où l'on achète un événement intéressant par cent pages d'ennui : ces sortes d'auteurs ne sont que des manoeuvres, qui a m a s s e n t , scrupuleusement et sans c h o i x , quantité de matériaux qui restent inutiles jusqu'à ce qu'un architecte leur ait donné l a forme qu'ils devaient avoir : Il est aussi peu possible que ces compilations fassent une histoire, qu'il est impossible que d"S caractères d'imprimerie fassent un livre, à moins d'être arrangés dans l'ordre qui leur fait composer des mots, des phrases et des périodes." * * S. Oeuvres de F r é d é r i c 1. G. I , 231 ff. In der Abhandlung: „Des moeurs, des coutumes de l'industrie etc." bemerkt der K ö n i g : ,1e siècle ne produisit aucun bon historien — Pufendorf écrivit la vie de Frédéric-Guillaume; et pour ne rien omettre, il n'oublia ni ses clercs de chancellerie ni ses valets de chambre dont il put recueillir les noms. Nos auteurs ont, ce me semble, toujours péché faute de discerner les
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indess den schleppenden Kanzleistil der deutschen Historiker. Dies absprechende Urtheil dehnte er allmählig auf die gesaminte deutsche Geschichtschreibung mit sehr wenig Ausnahmen aus. Belege dafür bietet seine vielbefehdete, 1780 geschriebene Abhandlung De la littérature Allemande. Erst nach dem siebenjährigen Kriege hatte Friedrich Musse gefunden , sich z. B. mit deutschen Arbeiten über deutsche Reichsgeschichte bekannt zu machen. Noch im Winter 1762 bekannte er in einer Unterredung mit dem Göttinger Juristen Pütter,* dass er von Büchern über die Reichshistorie nur den Père Barre kenne.** Jene Abhandlung aber zeigt ihn uns mit den bedeutendsten deutschen Geschichtswerken aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bekannt. Freilich ist auch hier sein Urtheil von Seltsamkeiten nicht frei. Verständniss verräth sein Urtheil über Mascow,*** dessen Geschichte der Teutschen bis zu Anfang der Fränkischen Monarchie durch den gewissenhaften Ernst und die Gründlichkeit der Forschung, sowie die Gefälligkeit der Darstellung unbestritten als das erste bedeutende deutsche Geschichtswerk gilt und noch heute für die Geschichte der Völkerwanderung unentbehrlich ist. Sonderbar aber ist die Zusammenstellung des Theatrum Europaeum und Bünaus Kaiser und Reichshistorie.f Letztere schien ihm offenbar schon zu breit anchosefl essentielles des accessoires, d'éclaircir les faits, de resserrer leur prose traînante et excessivement sujette aux inversions, aux nombreuses épithètes, et d'écrire en pédants plutôt qu'en hommes de génie". * Preuss Friedrich der Grosse II, 277. ** Eben diesen Abriss von Barre empfiehlt Friedrich in der im Winter 1764 — 65 geschriebenen Instruction pour la direction de l'Académie des Nobles à Berlin dem Professor der Geschichte an jener Anstalt, um ihn dem historischen Unterricht zu Grunde zu legen. Vergl. Oeuvres do Frédéric 1. G. IX, ri 9. *** S. Oeuvres de Frédéric 1. G. V I I , 93: „Si j e repasse les historiens je ne trouve que l'histoire d'Allemagne du professeur Mascou que je puisse citer comme la moins défectueuse". •j- S. Oeuvres de Frédéric 1. G. VII, 116: „Un cours d'histoire tel que j e le propose, doit être bien digéré, profondément pensé et exempt de toute minutie. Ce n'est ni le Theatrum europaeum ni l'Histoire des Germains de M. de Biinau, que le professeur doit consulter; j'aimerais mieux l'adresser aux cahiers de Thomasius s'il s'en trouve encore."
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gelegt und nicht kritisch genug in der Ordnung und Sichtung des Stoffes. Mascows Maximen und Tendenzen in Auffassung und Darstellung der Geschichte gefielen wohl auch Friedrich ganz besonders, denn er zog, wie Friedrich es wollte und selbst gethan, die „Regierungsform, Gemüthseigenschaften, Religion, Sitten, Waffen etc." mit in Betracht, „damit man die Dinge, von welchen eine Gewisshoit zu erlangen, in ihrem rechten Lichte sehe".* Man soll nach Friedrichs Ansicht aus der Leetüre eines Geschichtswerks vor Allem lernen, dies kann man nur, wenn dasselbe weder die Form eines dictionnaire besitzt und Alles umfassen will, noch mit tausenderlei Kleinigkeiten ohne Regel und Ordnung belastet ist. Von diesem Gesichtspunkte aus verwarf er Pufendorf, Biinau etc., von ihm aus empfiehlt er Thomasius dem Geschichtsdocenten an der Universität als Muster practischer Beherrschung und Eintheilung des Stoffes sowie klaren und wirksamen Vortrages. Wir sind über die Methode, der Thomasius bei seinen Geschichtsvorlesungen folgte, nicht unterrichtet. Friedrich kannte sie selbst wohl nur vom Hörensagen, da er nicht weiss, ob sich noch von Thomasius selbst gearbeitete Collegienhefte finden; jedenfalls war ihm die eminente Wirkung dieses Mannes auf das academische Publicum wohl bekannt, war ja doch die Universität Halle damals die Pflanzschule des preussischen Juristentliums. Von den neuen Impulsen, die die deutsche Historiographie noch zu Friedrichs Lebzeiten empfing, blieb er offenbar völlig unberührt, ja die Existenz derselben überhaupt war ihm kaum bekannt. Die völlig vereinsamte Stellung, die das Leben des Königs vom siebenjährigen Kriege ab auch in seinen privaten Beziehungen kennzeichnet, contrastirt auf litterarischem Gebiete besonders seltsam zu dem stürmischen, revolutionären Treiben der deutschen Litteratur. Ringsum brach man den Despotismus des französischen Geschmacks. Friedrich, der denselben, wie kein andrer Deutscher vertrat, blieb diesen neuen Tendenzen fremd, er wusste kaum etwas von ihnen. Nirgends in seinen zahl* Joh. Jac. Mascou Geschichte der Teutschen bis zu Anfang der Fränkischen Monarchie. Leipzig 1726. Vorrede.
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reichen Schriften findet sich auch nur eine Andeutung, dass er die neuen bahnbrechenden Thaten des deutschen Genius auf dem Felde der Geschichtsschreibung gekannt, wie Winckelmann die Idee der geschichtlichen Entwicklung auf das Gebiet der Kunst übertrug, wie Herder die Masse des geschichtlichen Stoffes mit philosophischen Gedanken durchdrang, wie er physiologische Gesetze auch in der moralischen Welt zeigte, wie J. Moeser das Sonderleben eines einzelnen Stammes in der ganzen Fülle seiner Gestaltungen darzustellen wusste und dabei Ausblicke auf eine Behandlung der Geschichte im höchsten, umfassendsten Stil eröffnete. Es waren zum Theil Gedanken, die Friedrichs Ansichten verwandt waren. Sie sprossten jetzt ohne sein Wissen in seiner nächsten Umgebung und gewannen lebendige Gestalt. Als Johannes von Müller die verschiedenen Richtungen der deutschen Geschichtsschreibung im 18. Jahrhundert von Mascow an bis auf Herder harmonisch zusammenzufassen versuchte, verhielt sich der König gradezu ablehnend gegen ihn. Es ist das aus einer Aeusserung * ersichtlich, die sich in Friedrichs Correspondenz mit d'Alembert findet. d'Alembert nämlich hatte den jungen Müller, dessen Schweizergeschichte er warm befürwortet, dem Könige für die Berliner Academie vorgeschlagen. Er antwortet ihm in einem Briefe vom 24. Februar 1781, dass ihm Müller, den er Mayer nennt, nicht geeignet scheine, weil er ein Kleinigkeitskrämer sei. Das Bestreben desselben, den dichterischen Glanz der Sage auch in der Historie nicht zu verwischen, noch eine poetische Wahrheit * S. Oeuvivs de Frédéric 1. G. X X V , 176: „Ce M. Mayer a été ici. Je voue confesse, que je l'ai trouvé minutieux; il a fait des recherches sur les Cimbres et sur les Teutons, dont je ne lui tiens aucun compte; il a encore écrit une analyse de l'histoire universelle, dans laquelle il a studieusement répété ce qu'on m'a écrit et dit mieux que lui. Si l'on ne veut que copier on augmentera le nombre des livres à l'infini et le public n'y gagnera rien. Le génie ne s'attache point aux minuties; ou il présente les choses sous des formes nouvelles, ou il se livre à l'imagination ou, ce qui est mieux encore, il choisit des snjets intéressants et nouveaux. Mais nos Allemands ont le mal qu'on appelle logon diarrhoea, on les rendrait plutôt muets qu'économes en paroles."
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in der G e s c h i c h t e zu finden, war freilich dem K ö n i g eben so fremd u n d antipathisch, w i e sein Z u r ü c k g r e i f e n auf die ersten p o l i t i s c h e n Zustände und E n t w i c k l u n g e n der V ö l k e r und sein eifriges E i n g e h e n auf alle Details. diese
völlig
reservirte
Haltung
W i e sehr man n u n auch Friedrichs
der
deutschen
Litteratur g e g e n ü b e r b e k l a g e n m a g , es k a n n doch nicht g e n u g hervorgehoben und
ihre
werden,
dass er ein f ü h l e n d e s H e r z für sie
zukünftige Bedeutung
und
theilweise
scharfen B l i c k für ihre N o t h s t ä n d e besass. zeichnend, schreibung,
dass sein U r t h e i l
auch
über die d e u t s c h e
s o w e i t er sie k a n n t e ,
keine
Geschichts-
geringere A u t o r i t ä t
für sich hat, als L e s s i n g , der damals der W e g w e i s e r N a t i o n auf g e i s t i g e m Luftstrom
des
Gebiete
Zeitgeistes
bedürfnisse getragen".*
und
war, dem
wie
einen
E s ist g e w i s s be-
unsrer
„ k e i n Andrer v o m
Gefühl
der
National-
D i e A n s i c h t beider stimmt fast durch-
w e g überein, ohne dass an e i n e n g e g e n s e i t i g e n Einfluss a u c h * Leasings sämmtlioho Schriften herausg. von Lachmann. 6. Band S. 145 ff. Im 52. Litteraturbriefe vom 23. August 1759 heisst es: „Ich kann Ihnen nicht Unrecht geben, wenn Sie behaupten, dass es um das Feld der Geschichte in dem ganzen Umfange der deutschen Litteratur noch am schlechtesten aussehe. Angebaut zwar ist es genug, aber wie? Unsre schönen Geister sind selten Gelehrte und unsre Gelehrte selten schöne Geister. Jene wollen gar nicht lesen, gar nicht nachschlagen, gar nicht sammeln, kurz gar nicht arbeiten und diese wollen nichts als das. Jenen mangelt es am Stoffe und diesen an der Geschicklichkeit , ihrem Stoffe eine Gestalt zu ertheilen. Bs ist eine Kleinigkeit, was einem Bünau, einem Mascow zu vollkommenen Geschichtsschreibern fehlen würde, wenn sie sich nicht in zu dunkle Zeiten gewagt hätten. Wem kann hier, wo die Quellen oft gar fehlen, oft so verderbt und unrein sind, dass man sich aus ihnen zu schöpfen scheuen muss, hier wo man erst hundert "Widersprüche zu heben und hundert Dunkelheiten aufzuklären h a t , ehe man sich nur des kahlen, trocknen Factums vergewissern kann, hier wo man mehr eine Geschichte streitiger Meinungen und Erzählungen von dieser und jener Begebenheit als die Begebenheit selbst vortragen zu können hoffen darf: wem kann auch die grösste Kunst zu erzählen, zu schildern, zu beurtheilen wohl viel helfen? Er müsste sich denn kein Gewissen machen uns seine Vermuthungen für "Wahrheiten zu vorkaufen und die Lücken der Zeugnisse aus seiner Erfindung zu ergänzen. "Wollen Sie ihm das wohl erlauben ? O weg mit diesem poetischen Geschichtsschreiber. Ich mag ihn nicht lesen, Sie mögen ihn auch nicht lesen" u. s. w.
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nur zu denken wäre. Lessinga Urtheil erscheint fast wie eine deutsche, nur lebendiger gehaltene Bearbeitung des ersten Abschnittes unsrer Vorreden. Die Stelle findet sich in seinen Litteraturbriefen, ebenda auch der bekannte Ausspruch. dass nur der Schreiber der Zeitgeschichte den Namen eines wahren Geschichtsschreibers verdiene. Wir haben gesehen, wie von eben demselben Gesichtspunkte aus Friedrich die frühere Historiographie bourtheilte. Dass diese Ansicht streng und conséquent genommen jede echte Geschichtsschreibung aufheben, sie schliesslich zur blossen Memoirenlitteratur herabdrücken müsste, braucht hier, nachdem heute eine ganz andere Meinung, der wissenschaftliche Begriff der Geschichte allgemein Platz gegriffen, nicht erörtert zu werden. Jedenfalls zählt sie mit unter den bestimmenden Motiven für Friedrichs eigene Geschichtsschreibung. Diese M o t i v e setzt Friedrich im zweiten Abschnitt unsrer Avant-propos, zu dem wir'uns jetzt wenden, offen auseinander. Auch hier wird eine Gegenüberstellung der beiden Redactionen von Nutzen sein. 1746.
1775
Persuadé que ce n'est point à quelque savant en us, ni à quelque bénédictin, qui naîtront au XIX e * siècle, à peindre les hommes du nôtre, ces négociations, ces intrigues, ces guerres, ces batailles, et tous ces grands événements que nous avons vus de nos jours embellir la scène du vaste théâtre de l'Europe, j'ai pensé qu'il me convenait, comme contemporain et comme acteur, de rendre compte à mes suc-
Ces réflexions sur l'incertitude de l'histoire, dont je me suis souvent occupé, m'ont fait naître l'idée de transmettre à la postérité les faits principaux auxquels j'ai eu part, ou dont j'ai été témoin, afin que ceux qui à l'avenir gouverneront cet État puissent connaître la vraie situation des choses lorsque je parvins à la régence, les causes qui m'ont fait agir, mes moyens, les trames de nos ennemis, les
* "Wir schreiben nicht, wie in der academischen Auagabe steht, X X I X , sondern XIX, da Ranke die erste Zahl als Fehler nachgewiesen. Im Original steht XIX. S. Ranke Abhandlungen und Versuche S 119.
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cesseurs des révolutions que négociations, les guerres et j'ai vues arriver dans le monde, sourtout les belles actions de et auxquelles j'ai eu quelque nos officiers, par lesquelles ils part. C'est à vous, race fu- se sont acquis l'immortalité à ture, que j e dédie cet ouvrage, juste titre. où j e tâcherai de crayonner légèrement ce qui regarde les autres puissances, et où j e m'étendrai davantage pour en qui regarde la Prusse, comme intéressant directement ma maison, qui peut regarder l'acquisition de la Silésie comme l'époque de son agrandissement. Nirgends kann man die Veränderung, die sich in Friedrichs Geist und Anschauungsweise in jenen 30 Jahren, die zwischen den beiden Redactionen liegen, vollzogen hatte, auch in Aeusserlichkeiten des Stils so getreu und klar fasslich erkennen, wie in diesen wenigen Zeilen. Hier zunächst noch der muthwillige, sarkastische Ton, langathmige Phrase, Wiederholung eines und desselben Gedankens, dann eine gewisse Neigung zum Pathos in enger Verbindung mit der stolzen Siegesfreude über den Erwerb Schlesiens ; dort kühle, verständige Reflexion, das volle Bewusstsein der schweren Verantwortlichkeit seiner Stellung und seines Handelns, Alles klar, knapp und scharf, dort auch in Gedanke und Ausdruck engster Anschluss an die vorhergehende Partie der Vorrede. Wenn bei irgend einem, so trafen bei Friedrich selbst jene von ihm geforderten Prämissen für eine wahre Geschichtsschreibung zu, war er doch unbestritten selbst der erste Acteur der Geschichte seiner Zeit. Es würde zu weit führen, hier die ganze Bedeutung des Jahres 1740 für die Entwicklung der Geschichte klarzulegen, ich will nur auf ein Moment hinweisen. Mit Friedrichs Thronbesteigung endete jene Zeit des schlaffen, faulen Friedens, in der nur das diplomatische Roulettespiel eines Dubois, Alberoni, Walpole u. A. dominirte, mit Friedrich bestieg der Gedanke der Aufklärung den Thron Quollen und Forschungen,
V.
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und gewann sein erstes, grosses, practisches Versuchsfeld. Yon da ab datirt auch sein ununterbrochener Kampf gegen die alten, trägen Massen, die verknöcherten Ordnungen, die Mode gewordenen Liederlichkeiten. Dieser gewaltige Streit, der von nun ab die europäische Politik beherrscht, gruppirt sich zunächst um Friedrich, mit ihm standen und siegten die neuen Ideen, in ihm lebten ihre Stärken und Schwächen. Ein Mann, der so getragen war von den Kräften der Geschichte, war auch in erster Linie berufen, das bewegte Leben derselben zu schildern. Zwar bemerkt Spittler in der oben angeführten ßecension nicht ohne Grund, dass der Hauptacteur oft nicht Alles sehe, was auf der Bühne vorgehe, der Zuschauer im Parterre das oft besser vermöge. Dagegen steht dieser auch dem Geist der Dichtung nicht so unmittelbar nahe wie jener. Wir wollen gern einen Irrthum, eine Yergesslichkeit in Kauf nehmen bei einem Historiker, der mitten inne im Zuge einer grossen geschichtlichen Idee steht und der für die grossen Zusammenhänge der Ereignisse seiner Zeit den richtigen Blick besitzt Dieser innere Beruf allein hätte indess Friedrich schwerlich dazu bestimmt, Geschichte zu schreiben, äusserliche Motive waren Ausschlag gebend. Er verfasste seine historischen Arbeiten, wie er in unsern Vorreden ausdrücklich betont, zunächst zur Belehrung für seine Nachfolger* auf dem Thron, so seine Histoire de mon temps, so seine' Geschichte des siebenjährigen Krieges, so seine Memoiren über die Zeit vom Hubertusburger Frieden bis zum Jahre 1778. Nur ein sehr kleiner, ausge* Zu analogen Zwecken, speeiell um ihren Sohn Paul in die Regierungsverhältnisse einzuführen, hat Kaiserin Katharina II. ihre Memoiren geschrieben. Sie gelangte ebensowenig über ihre Jugendgeschichte hinaus wie Kaiser Karl IV, der seine vita für seine beiden Söhne Wenzel und Sigismund verfasste. Aehnlich wirkte als didactischer Schriftsteller noch ein zweiter Fürst auf dem deutschen Kaiserthrone, Maximilian I. Für seine autobiographischen Schriften, Weisskunig, Theuerdank (vergl. auch das Jagdbueh), werden immer seine beiden Enkel Karl und Ferdinand als Hauptpublicum gedacht. Wie weit Friedrichs Arbeit alle diese Versuche überragt, braucht wohl nicht erst hervorgehoben zu werden.
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wählter Kreis seiner Freunde kannte diese Schriften und Friedrich scheint selbst die Möglichkeit im Auge gehabt zu haben, dass sie nie veröffentlicht würden, wie aus einem Briefe an Voltaire vom 12. Juli 1775 ersichtlich ist.* Eine Ausnahmestellung nehmen allein die für das grosse Publicum bestimmten Brandenburgischen Memoiren ein, aber ihre Widmung an des Königs Bruder, den Prinzen von Preussen, der damals Friedrichs präsumtiver Thronerbe war, bezeugt auch bei ihnen jene Tendenz. Hier scheint mir eine wesentliche Differenz Friedrichs von Voltaire zu liegen. Gegenüber der pedantischen, blos gelehrten juristischen Behandlung der Historie hatte Bolingbroke in seinen Briefen über das Studium der allgemeinen Geschichte vor Allem darauf hingewiesen, dass Geschichte und Leben nicht zu trennen seien, dass man Geschichte nicht für gelehrte Corporationen, sondern für die gute Gesellschaft schreiben müsse, dass Geschichte daher nicht aus trockner, geistesöder Factensammlung und langweiligen Rechtsdeductionen bestehen dürfe, sondern in bequemer, gefälliger Form den Gebildeten anregen und unterhalten müsse. Es ist das eine Forderung, die im 18. Jahrhundert auch die Entwicklung unsrer deutschen Litteratur beherrschte. Diesen Gedanken, der die Geschichte den Händen privilegirter Klassen entriss und ihr ein neues, grösseres Publicum schuf, vertrat und führte dann Voltaire unter Bolingbrokes unmittelbarem Einfluss in allen Consequenzen weiter. Gleich seine erste grössere historische Arbeit, seine Histoire de Charles X I I bezeichnete daher eine neue Epoche in der französischen Historiographie ; das war nach Villemain** ein Meisterstück der Erzählungskunst, da war Alles Darstellung, Alles Urtheil. Auf dieser Bahn ging Voltaire weiter mit seinem Siècle de Louis X I V * S . Oeuvres de F r é d é r i c 1. GK X X I I I , 334. E r bemerkt hier mit Bezug auf die Ueberarbeitung seiner Histoire do mon temps: „ J e lèehe mes petits : j e tâche de les polir. Trente années de différence rendent plus difficile à se satisfaire ; et quoique cet ouvrage soit destiné à demeurer enfoui pour toujours dans quelque archive poudreuse, j e ne veux pourtant pas qu'il soit mal fait". * * Villemain: Cours de littérature française II, p. 143. 3*
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und jenem Essai sur les moeurs etc. : den Character des alten französischen Memoirs übertrug er auf die Darstellung der gesammten Geschichte. Ueberall sein Standpunkt, seine Auffassung, sein Geist der Zeit; mochte immerhin die geschichtliche Wahrheit dabei zu kurz kommen, geistreich und unterhaltend war sein Vortrag durchweg. Dass auch Friedrich, der zu dem geistigen Leben Frankreichs, speciell zuYoltaire in engster Beziehung stand, sich diesen neuen Tendenzen nicht verschloss, ist selbstverständlich. Wir haben bereits gesehen, wie er von ihnen aus die deutsche Geschichtsschreibung verurtheilte. Bei seinen eignen historischen Arbeiten aber stehen sie nicht im Vordergrund, sondern vielmehr ein starkes didactisches Element. E s ist der practische Staatsmann, der in der Schriftstellernatur durchschlägt. Dass gerade dies Element ihn manchmal zu weit geführt hat und in seiner historischen Darstellung sich oft zu fühlbar macht, ist nicht zu bestreiten. Aber jede wahrhaft bedeutende Natur hat ihre Einseitigkeit und diese ist wohl zu verzeihen, wenn sie, wie hier, nur eine innerlich gesunde und edle Anlage etwas übertreibt. Ein allmäliges Anwachsen dieses didactischen Elements ist übrigens in der chronologischen Folge der Friedrichschen Schriften leicht zu beobachten. So ist dasselbe in unsrer zweiten Vorrede schärfer und bestimmter hervorgehoben als in der ersten. Die Brandenburgischen Memoiren schrieb der König, um weitere Kreise mit der Geschichte des Vaterlandes bekannt zu machen. Nachdem er im Discours préliminaire die Kenntniss derselben als nothwendiges Bildungsmittel jedes Bürgers bezeichnet, bemerkt er ausdrücklich: „ J e croirai mes peines récompensées, si cet ouvrage peut devenir utile à notre jeunesse".* In dem dreizehn Jahre später geschriebenen Avant-propos zur Histoire de la guerre de sept ans tritt es ganz unverhüllt hervor, dass nicht Unterhaltung, sondern Belehrung der erste Zweck seiner Arbeit sei. Sie sollte der Nachwelt gegenüber eine Rechtfertigungsschrift im grossen Stile sein, ein Zweck, der nur hier so scharf hervor* S. Oeuvres de Frédéric 1. G. I, p. L V .
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tfitt, allerdings auch mit belehrender Tendenz. „Et mon second objet, heisst es weiter, a été de détailler toutes les opérations militaires avec le plus de clarté et de précision, qu'il m'a été possible, pour laisser un recueil authentique des situations avantageuses et contraires, qui se trouvent dans les provinces et dans les royaumes où la guerre sera portée toutes les fois que la maison de Brandebourg aura des démêlés avec celle d'Autriche".* Friedrich entwickelt dann noch im weitem Verlauf des Avant-propos selbst eine Reihe strategischer und tactischer Gesichtspunkte, die für einen neuen Feldzug gegen Oesterreich von Wichtigkeit sein dürften. Friedrich scheint mir hier zu weit gegangen zu sein, der militärische Character jenes Krieges ist überhaupt der politischen Seite desselben gegenüber zu ausschliesslich hervorgehoben. Doch ist auch diese gerade die nachlässigste und flüchtigste von Friedrichs historischen Schriften.** Während sich in der Histoire de mon temps nur an einer Stelle eine directe Nutzanwendung findet, nämlich eine Mahnung an Preussens künftige Herrscher, die Freundschaft Russlands zu
* S. Oeuvres de F r é d é r i c 1. G. I V , p. X I V . ** Die Mittheilung H e n r i s de C a t t , des königlichen Seeretairs, die diesen Umstand zu e r k l ä r e n geeignet w ä r e , der erste Entwurf der Arbeit saramt den Materialien sei durch Unachtsamkeit eines Bedienten v e r b r a n n t und der König d a h e r gezwungen gewesen, sie ohne g e n ü g e n d e Hilfsmittel von Neuem in Angriff zu nehmen, wird freilich von P r e u s s ganz bezweifelt, wie mir scheint ohne g e n ü g e n d e n G r u n d . V e r g l . Oeuvres de Frédéric 1. G. IV, p. X. Die von Preuss mitgetheilten zum Theil eigenhändigen Daten des Königs beweisen Nichts gegen die "Wahrheit der Catt'schen Erzählung im G a n z e n , denn sie stimmen selbst u n t e r e i n a n d e r nicht überein. Möglich, sogar wahrscheinlich bleibt es allerdings, dass die Catt'sche Angabc übertrieben ist u n d nur ein Theil der Arbeit v e r b r a n n t e . Vielleicht g r a d e der erste. Dann wäre eine gewisse O r d n u n g in die Daten zu bringen. Friedrich f ü h r t e zunächst die Geschichte zu Ende, d a h e r das D a t u m am Schlüsse d e r s e l b e n : „A Berlin ce 17 de décembre 17(53". Dann stellte er das V e r l o r e n g e g a n g e n e wieder h e r , damit war er alsdann im April 17(>4 fortig. Es ist sonst allerdings kaum glaublich, wie Friedrich das voluminöse W e r k in f ü n f Monaten neu schaffen und in sel r saubrer H a n d s c h r i f t , wie Preuss versichert, niederschreiben k o n n t e .
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cultiviren,* während hier Friedrich in richtiger Weise weniger selbst durch didactische Reflexionen wirkt als vielmehr den Leser zu solchen leise anleitet, verliert sich in den spätem historischen Schriften diese Zurückhaltung immer mehr und tritt ihr subjectiver Character, ihre vorwiegend didactische Tendenz immer schroffer hervor. In den Mémoires de 1763 jusqu'à 1775 proclamirt er sie offen, er erörtert daselbst z. B . einen detaillirten Plan für einen eventuellen Angriff Russlands.** E s ist diese Entwicklung zu tief in der Eigenheit der menschlichen Natur begründet, als dass sie einer besonderen Erklärung bedürfte. W o wie hier noch die eigentümliche Stellung des Königs hinzutritt, dem es am Herzen liegen musste, seine schweren Errungenschaften zu wahren, seinen Nachfolgern aus der reichen Erfahrung seines Lebens Hilfe und Rath dafür zu gewähren, ist es wohl zu schätzen, dass seine geschichtlichen Arbeiten nicht zu diplomatischen Instructionen oder Lehrbüchern der Kriegskunst ausarteten, sondern wirkliche und wahrhafte Geschichtswerke blieben. Man dürfte sich nicht ohne Grund versucht fühlen, dieses didactische Element auch in den zahlreichen Episoden, in denen der König ruhmvolle Thaten seiner Officiere feiert, wiederfinden zu wollen. Die Fassung der betreffenden Stelle in unsrer zweiten Vorrede berechtigt wenigstens dazu. Der Armee verdankte Friedrich zum grossen Theil seine wunderbaren Erfolge, in ihr ruhte die Kraft und die Zukunft Preussens. Ihre Ausbildung und Tüchtigkeit musste die erste Sorge seiner Nachfolger sein und bleiben. I n einem Briefe an den Prinzen Heinrich vom Mai 1767 betont der König diesen Gesichtspunkt einmal ganz ausdrücklich. „Après tout, heisst es da, c'est sous la protection de l'art militaire que tous les autres arts fleurissent et dans un pays comme le
* S. Oouvres do Frédéric 1. G. III, p. 2 8 : „De tous les voisins de la Prusse l'empire de Russie mérite le plus d'attention, comme le plus dangereux: il est puissant et voisin; ceux qui à l'avenir gouverneront la Prusse seront également dans la nécessité de cultiver l'amitié de ces barbares" * * Y e r g l . Oeuvres de F r é d é r i c 1. G. VI, 104.
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nôtre l'Etat se soutient autant que les armes le protègent. Si jamais on négligeait l'armée, c'en serait fait de ce pays-ci".* Es war hierbei aber noch ein anderes, nicht minder schönes Motiv massgebend, ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit. Es ist dies nächst dem didactischen ein zweites wesentliches Motiv für Friedrichs historische Schriftstellern. Es liessen sich tausende von Belegen aus dem Leben des Königs für die Wahrheit jener Bemerkung finden, die er in einem Briefe an seinen alten Erzieher Duhan de Jandun über sich selbst macht: „L'ingratitude est un vice, auquel je me sens une aversion de tempérament et j'ose dire, sans blesser les lois de la modestie, que la reconnaissance a toujour été ma vertu favorite".** Seine geschichtlichen Arbeiten, vor Allem die Darstellung seiner Feldzüge bestätigen dies fast auf jeder Seite. Es ist, als habe der König alle die braven Officiere, denen er mit materiellen Mitteln für ihren Heldenmuth und ihre aufopfernde Treue bei der ärmlichen Lage des Staates nicht genügend danken konnte, durch eine ehrenvolle Erwähnung in den Annalen seiner Geschichte entschädigen wollen. Was er ihnen, was er der ganzen Armee verdanke wird er nicht müde hervorzuheben, zumal in der Histoire de mon temps. Obwohl es sein strenger Grundsatz ist, nur bedeutende, folgenreiche Thatsachen in seiner Geschichte zu verzeichnen, so opfert er doch dies Princip bereitwillig, wenn es irgend eine ruhmreiche That seiner Truppen gilt, mag sie immerhin auf den Gang des Krieges ohne Einfluss geblieben sein. An mehreren Stellen der Histoire de mon temps äussert er sich gewissermassen entschuldigend darüber, so z. B. nachdem er das tapfere Verhalten des Regiments Kannenberg, der Nassauischen Dragoner und dçr Gensdarmen bei feindlichen Ueberfällen im Frühling 1742 lobend erwähnt hat: „Ces faits ne sont pas importants; mais comment laisser périr dans l'oubli d'aussi belles actions, sourtout dans un ouvrage que la reconnaissance consacre à la gloire de ces braves troupes"?*** Aehnlich, jedoch noch bestimmter lautet * S. Oeuvres de Frédéric 1. G. X X V I , 305. ** S. OeuvreB de Frédéric. 1. G. XVII, 276. *** S. Oeuvres de Frédéric 1. G. II, 115.
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eine andere Bemerkung gelegentlich eines Streifzuges des Generals Winterfeld im Winter 1744/45: „comme cet ouvrage est destiné à servir de monument à la valeur et à la gloire des officiers qui ont si bien mérité de la patrie. nous nous croyons, par devoir, obligé d'informer la postérité de leurs belles actions pour l'engager par ces exemples de magnanimité à imiter leur exemple".* Nimmt man noch den bezüglichen Passus unsers ersten Avant-propos hinzu, in dem Friedrich die Histoire de mon temps seinen Officieren widmet „comme un monument de ma reconnaissance",** so ist aus dem Allen vollkommen ersichtlich, welche Wichtigkeit Friedrich selbst dieser Seite seines Werkes beimass. Der König schreibt einmal: „La seule qualité que j'aie est d'avoir un instinct qui connaît le mérite et une âme qui honore la vertu".*** Diese echt königliche Eigenschaft war auch von unmittelbarem Werthe für den Historiker, sie lehrte ihn für das Yerdienst das richtige Wort der Anerkennung zu finden. Man sieht, es ist ihm offenbar Herzenssache, voll und aufrichtig strömt es ihm über die Lippen bei jeder glänzenden Waffenthat nicht blos seiner Lieblinge, der Generale Schwerin, Seydlitz, Winterfeld, Prinz Ferdinand u. A.,f sondern auch minder hoch stehender Officiere. Die Vertheidigung des Elbübergangs durch den Major v. Wedell gegen eine colossale feindliche Uebermacht im November 1744 hat er in warm empfundenen Worten verewigt.ff Mit besonderer Pietät gedenkt er der Gefallenen, nach jeder bedeutenden Action verzeichnet er die Namen der Officiere, die für das Vaterland geblutet haben. Dem Allen gegenüber muss es auffallen, dass Friedrich die pflichttreue und anspruchslose Arbeit seiner Minister in seinen historischen Schriften fast durchweg ignorirt. Be-
* S. Oeuvres de Frédéric 1. G. III, 102. ** S. Oeuvres de Frédéric 1. G. II, p XV. *** S Oeuvres de Frédéric 1. G. XVIII, 202 in einem Briefe an die Herzogin von Saclisen-Gofha, Leipzig den 11. Deeember 1762 datirt. t Verfjl- Oeuvres de Frédéric 1. G. IV, 118. 148. V, 182. t t Vergl. Oeuvres de Frédéric 1. G. III, 70.
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kanntlich zollt er nur Cocceji und dessen Justizreformen unbedingtes Lob ;* die Erwähnung Podewils, seines langjährigen diplomatischen Mitarbeiters ist durchaus nicht schmeichelhaft für denselben.** Seinen Ministern standen eben nicht so viele Gelegenheiten zu glänzender Auszeichnung offen, wie seinen Officieren. Im Cabinet herrschte der König noch unumschränkter als im Feldlager, hier leitete und regierte er Alles in eigner Person, er nahm die Hauptlast der Arbeit auf sich selbst. "Wo einmal wie von Cocceji die Initiative zu einer grossen, erspriesslichen That von einem Beamten ausging, hat er ihr seine Anerkennung nicht versagt; für die schematische Arbeit der Bureaus, die nur seinen Directiven folgte, hatte er sie nicht. Dass der König Podewils Yerdiensten, die, wie die jüngsten Droysen'sehen Untersuchungen*** ergeben, durchaus nicht unbedeutend waren, damit nicht gerecht geworden, ist unzweifelhaft. Zu beachten bleibt dabei freilich, dass Friedrich, wie er einmal ausdrücklich hervorhebt, diplomatische Verwicklungen und den Gang der inneren Verwaltung des Landes für keinen ausreichenden Gegenstand einer Geschichtsdarstellung hielt.f Darum hat er die Geschichte der elf Jahre seiner Regierung zwischen dem zweiten und dritten schlesischen Kriege von seiner Erzählung ausgeschlossen, eine Zeit, in deren Schilderung er wohl auch die gewissenhafte, bescheidene Thätigkeit seiner Beamten nicht vergessen * Yergl. Oeuvres de Frédéric ]. G. IV, 2. ** Vergl. Oeuvres de Frédéric 1. G. III, 150. *** J. G. Droysen Geschichte der preussisehen Politik Y, 1, 241 ff. Besonders interessant ist in dieser Beziehung die überaus rege diplomatische Correspondenz des Königs mit Podewils, die Droysen liier zuerst umfassend benutzt hat. Podewils zeigt sich darin keineswegs als unselbständigen Politiker, vielfach stand er im Gegensatze zum König, er neigte mehr zu England, dieser zu Frankreich. Sehr unterrichtend hierüber ist der Abschnitt bei Droysen „Die Allianz mit Frankreich". t S. Oeuvres de Frédéric 1. G. IV, p. X I I I : „Depuis la paix de 17