Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft: Eine Studie über die konkurrierende Prozeßführung mehrerer materiell Beteiligter [1 ed.] 9783428419395, 9783428019397


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Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft: Eine Studie über die konkurrierende Prozeßführung mehrerer materiell Beteiligter [1 ed.]
 9783428419395, 9783428019397

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GERHARD HASSOLD

Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

Schriften zum Prozessrecht Band 17

Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft Eine Studie üher die konkurrierende ProzeJj. führung mehrerer materiell Beteiligter

Von

Dr. Gerhard Hassold

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

Alle Rechte vorbehalten

@ 1970 Duncker & Hwnblot, Berlln 41

Gedruckt 1870 bei Alb. Sayffaerth, Berlln 61 Printed in Germany

Vorwort Das Problem der Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft hat noch keine befriedigende Lösung gefunden. Der vorliegende Beitrag sucht die stagnierende Diskussion wieder in Fluß zu bringen, indem er die den verschiedenen Lehrmeinungen zugrunde liegenden Wertungen aufdeckt und einer eingehenden Kritik unterzieht. Die teleologische Einordnung des Instituts in das Funktionsganze des Prozesses und den Zusammenhang von Prozeß und materieller Rechtsordnung einerseits und die Rücksicht auf die praktischen Auswirkungen der Streitgenossenschaft andererseits bestimmen den eigenen Lösungsvorschlag. Der Text ist die überarbeitete Fassung einer Dissertation, die im Frühjahr 1969 von der Juristischen Fakultät der Universität München angenommen wurde. Spätere Veröffentlichungen wurden nach Möglichkeit bis Ende 1969 berücksichtigt. Die Anregung zu dem Thema gab mein verehrter Lehrer, Herr Prof. Dr. Rudolf Pohle, der auch die ersten. Schritte der Untersuchung begleitete. Nach seinem Tod übernahm Herr Prof. Dr. Karl Larenz in großzügiger Weise die Betreuung der Arbeit. Ihm und Herrn Prof. Dr. Gotthard Paulus möchte ich für wohlwollendes Interesse und manchen kritischen Hinweis danken. Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann, dem Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, bin ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der "Schriften zum Prozeßrecht" verpflichtet. München, im Oktober 1970

Gerhard Hassold

Inhaltsverzeichnis § 1: Einführung ......................................................

13

I. Aufgabenstellung ..........................................

13

II. Die Tragweite des Problems ................................

14

III. Der Ausgangspunkt der Untersuchung ...................... 1. Neue Forschungsergebnisse .............................. 2. Der Wandel im Verständnis von Prozeßzweck und Parteiherrschaft ............................................... 3. Die Methode der Wertungsjurisprudenz ..................

15 15

IV. Der gegenwärtige Streitstand bei den einzelnen Fällen der besonderen Streitgenossenschaft ............................ 1. Notwendig gemeinsame Rechtsverfolgung oder Rechtskrafterstreckung ........................................ 2. Gestaltungsprozesse mit identischem Streitgegenstand.. .. 3. Der Prozeß der Rechtsgemeinschaft ...................... 4. Bloße Identität des Streitgegenstands .................... 5. Gemeinsame Vorfragen .................................. a) Einheitliche Verteidigung............................. b) Rechtskrafterstreckung ............. . ................. c) Die Kombination dieser Tatbestände ..................

15 16 17 17 17 18 19 20 20 21 21

ERSTER TEIL Grunc1Iagen § 2: Tatbestand und Wirkungen der Streitgenossenschaft ...........•..

22

I. Streitgenossenschaft und Zweiparteienstruktur ..............

22

II. Die Regelung der einfachen Streitgenossenschaft ............

23

III. Das Verhältnis der §§ 61 und 62 ZPO ........................

23

IV. Voraussetzungen und Wirkung des § 62 ZPO ................

23

§ 3: Zur Terminologie ................................................

25

I. Kriterien wissenschaftlicher Begriffsblldung ................

25

II. Die Bezeichnung des Gesamttatbestandes des § 62 I ZPO . . . . ..

26

III. Die Unterscheidung der Alternativtatbestände ..............

27

8

Inhaltsverzeichnis ZWEITER TEIL

Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft nach geltendem Recht § 4: Möglichkeiten und Grenzen der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

I. Die "einheitliche Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses" ..................................................... 29 11. Die "Notwendigkeit" einheitlicher Feststellung. ........... ..

30

111. Die systematische Stellung des § 62 ZPO ....................

31

§ 5: Exkurs: Der Wille des Gesetzgebers ..............................

31

I. Die vorhandenen Quellen ..................................

32

11. Der Wert der Quellen für die Auslegung....................

32

111. Die Unteilbarkeit des Streitgegenstands oder des streitigen Rechtsverhältnisses ......................................... 33 1. Nachweis aus den Quellen ..............................

33

2. Die "Unteilbarkeit" nach gemeinem Recht................

34

3. Ertrag für das geltende Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

IV. Einzelfälle der besonderen Streitgenossenschaft .... ... .......

36

1. Die Grunddienstbarkeit des gemeinen Rechts ............

36

2. Miterbrecht und Miteigentum nach preußischem Recht .. . . 36 3. Ertrag für das geltende Recht ............................

37

V. Die Gründe der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung. . ..

37

§ 6: Besondere Streitgenossenscha.ft bei gemeinsa.mer Proze/Jführungsbefugnis ...........................................•.............

38

I. Zur Regelung der besonderen Streitgenossenschaft ..........

38

11. Die besondere Streitgenossenschaft und das Problem des Streitgegenstands .......................................... 38 111. Gemeinsame Prozeßführungsbefugnis und Identität des Streitgegenstands ................................................ 40 1. Die Voraussetzungen der gemeinsamen Prozeßfiihrungs-

befugnis ................................................

40

2. Die gemeinsame Prozeßführungsbefugnis im materiellrechtlichen Zusammenhang .............................. a) Die Mehrheit von Rechtssubjekten .................... b) Die Gesamthandsgemeinschaft ........................ c) Die schlichte Rechtsgemeinschaft ......... . . . . . . . . . . . .. d) Die Mehrheit von Gläubigern und Schuldnern ........

42 43 44 45 46

Inhaltsverzeichnis

9

IV. Notwendigkeit einheitlicher Feststellung wegen der prozessualen Wirkungen der gemeinsamen Ptozeßführungsbefugnis? 47 V. Die formale Begründung der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung aus dem Wesen der gemeinschaftlichen Rechtsverfolgung .................................................... 49 1. Die Einheit des Prozeßführungsrechts ....................

49

2. Die Einheit der materiellen Rechtsausübung ... . . . . . . . . . . . 49 VI. Die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung und der Regelungszweck der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis ...... 49 1. Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung als Regelungs-

zweck der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis? ........

49

2. Prozeßökonomie und Schutz der Parteiinteressen als Regelungszweck der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis .... 50 a) Feststellungs- und Leistungsklage .................... 52 b) Die Gestaltungsklage ................................ 52 VII. Ergebnis .... .. ......................................... . ...

52

§ 7: Besondere Streitgenossenschaft bei Rechtskrafterstreckung ........

53

I. Zur Regelung der besonderen Streitgenossenschaft ..........

53

11. Besondere Streitgenossenschaft und Rechtskraftkonflikt . . . . . . 54 1. Das Wesen des Rechtskraftkonßikts ................ .. ....

54

2. Die Verhinderung des Konßikts ..........................

55

§ 8: Besondere Streitgenossenschaft bei Gestaltungsklagen ............

57

I. Zur Regelung der besonderen Streitgenossenschaft ..........

57

11. Die Gefahr einer Urteilskollision .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

58

111. Besondere Streitgenossenschaft aus Gründen der Prozeßökonomie ......................... . ........................ 59 IV. Zusammenfassung ............................ . . . . . . . . . . . . . 60 § 9: Besondere Streitgenossenschaft im Gemeinschaftsp1'ozeß der Miteigentümer und Miterben (§§ 1011, 2039 BGB) ............. . . . . . . . . .

60

I. Zur Regelung der besonderen Streitgenossenschaft ..........

60

11. Gründe der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung. . . . . . ..

61

111. Ergebnis ...................................................

62

§ 10: Besondere Streitgenossenschaft bei Identitllt des Streitgegenstands

62

I. Die Bedeutung der Identität des Streitgegenstands in den anerkannten Fällen der besonderen Streitgenossenschaft .... 62

10

Inhaltsverzeichnis 11. Fälle mehrfacher Prozeßführungsbefugnis über denselben Streitgegenstand ........................................... 63 l. Die Geltendmachung eines gemeinschaftlichen Rechts durch

einzelne Teilhaber ...................................... a) §§ 1011, 2039 BGB .................................... b) Die Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts . . ...... . ..... c) §432 BGB .............................. .. ............ d) Die Notverwaltung ................................... e) § 1428 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63 64 66 66 66 67

2. Die Ausübung eines fremden Rechts .................... a) § 1077 I S. 2 BGB ....................................

67 67

b) §§ 1281 S. 2, 1128 III BGB ............................ 68 c) Prozesse des Gläubigers und des Vollstreckungsschuldners gegen den Drittschuldner ........................ 68 d) § 1368 BGB .......................................... 68 3. Die Popularklagen ......................................

69

4. Die GestaItungsklagen ..................................

69

5. Besonderheiten bei Feststellungsklagen ..................

70

111. Selbständige Rechtsverfolgung und Einheitlichkeit der Entscheidung .................................................. 71 IV. Die Möglichkeit von Urteilskollisionen ......................

73

l. Die Rechtskraftwirkung .................................

73 a) Besondere Streitgenossenschaft wegen Rechtskrafterstreckung? ........................................... 73 b) Komplikationen bei bestimmten Feststellungsklagen .. 74

2. Die Tatbestandswirkung .................................

77

3. Die Vollstreckbarkeit ....................................

'17

4. Die Gestaltungswirkung ................................

'18

V. Die sog. logische Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung und der Prozeßzweck der materiellen Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . 78 l. Prozeß und Urteil im Gesamtzusammenhang der Rechts-

ordnung ................................... . ............

79

2. Materielle Wahrheit und Parteiinteresse ., . . . . . . . . . . . . . . . .

83

3. Die prozessualen Mittel zur Erforschung der Wahrheit .... a) Die Stoffsammlung .. . ............................... b) Das Versäumnisurteil ................................ c) Dispositionen über den Streitgegenstand .............. d) Ergebnis .............................................

85 85 86 8'1 88

4. Grenzen der Wahrheitsermittlung - Die Beweislosigkeit ..

88

Inhaltsverzeichnis 5. Grenzen der Wahrheitsermittlung - Die Prozeßökonomie a) Prozeßökonomie und Parteünteresse .................. b) Prozeßökonomie und öffentliches Interesse ............ c) Prozeßökonomie und Gerechtigkeit .................. d) Prozeßökonomie und Prozeßzweck .................... 6. Grenzen der Wahrheitsermittlung - Die Verhandlungsmaxime ................................................. 7. Materielle Wahrheit und besondere Streitgenossenschaft .. a) Der Wert der besonderen Streitgenossenschaft für die Wahrheitsfindung .................................... b) Widerlegung eines Einwandes ........................ c) Ergebnis .............................................

11

89 90 90 90 92 92 100 100. 100 101

VI. Der Sinnzusammenhang der Urteile ................. . ...... 101 VII. Notwendige Verbindung von Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung mit gemeinsamer Prozeßführungsbefugilis oder Rechtskrafterstreckung? .................................... 1. Gemeinsame Prozeßführungsbefugilis ...........• ..... ... 2. Rechtskrafterstreckung .................................. 3. Ergebnis .................................................

103 103 104 105

VIII. Belastungen für Gericht und Parteien als Folge der besonderen Streitgenossenschaft .................................. 1. Die Prozeßökonomie .................................... a) Die Darstellung der herrschenden Meinung ............ b) Kritik ............................................... 2. Der Eingriff in die Parteistellung ........................

106 106 106 107 109

IX. Zusammenfassung . . ..... . ...... .... ....................... 110 1. Abschließende Wertung .... , ............................. 110 2. Konsequenzen .......................................... 111 3. Identität des Streitgegenstands als Identität der Rechtsbehauptung ...................................... .. ..... 112 § 11: Besondere Streitgenossenschaft bei gemeinsamer Vorfrage ........ 113

I. Der weitere Gang der Auslegung .......................... 113 II. Der Zusammenhang der Streitsachen ...................... 114 III. Argumente zugunsten besonderer Streitgenossenschaft ...... 114 1. Allgemeines ............................................ 114 2. Die Möglichkeit von Urteilskollisionen .................. 115 IV. Argumente gegen besondere Streitgenossenschaft ............ 1. Die Wirkungen der besonderen Streitgenossenschaft ...... a) Bei einheitlicher Verteidigung ... ... ........ ... ....... b) Bei unterschiedlicher Verteidigung ..... , ..............

116 116 116 117

12

Inhaltsverzeichnis 2. Der systematische Zusammenhang ...................... 120 3. Die Verwertung gerichtskundiger Tatsachen in streitgenössischen Prozessen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 120 V. Zusammenfassung .......................................... 121

DRITTER TEIL Die besondere Streltgenossensebafl In reebtspolltiseber Siebt § 12: Die Ergänzungs bedürftigkeit des Instituts der besonderen Streit-

genossenschaft ................................................... 122

I. Das Verhältnis von Regelungszweck und Anwendungsbereich der besonderen Streitgenossenschaft ........................ 122 II. Die Notwendigkeit der Bildung einer Streitgenossenschaft .... 123 § 13: Reformvorschläge ................................................ 124

I. Einheitliche Zuständigkeit und Anschlußzwang .............. 124 11. Die Beiladung .............................................. 124

1. Die gesetzliche Regelung in § 856 III-V ZPO ............ 124 2. Die Anwendbarkeit der Beiladung in anderen Fällen ...... 125

Llteraturverzelcbnis

130

§ 1 : Einführung I. Aufgabenstellung Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine methodisch fundierte Auslegung des § 62 I ZPO nach der Tatbestandsseite hin und eine rechtspolitische Kritik der geltenden Regelung. Auf eine rechtsvergleichende1 und dogmengeschichtliche! Darstellung mußte im gegebenen Rahmen verzichtet werden. Die Streitgenossenschaft des § 62 ZPO wird im folgenden einheitlich als besondere Streitgenossenschaft bezeichnet, gleichgültig, auf welchen Voraussetzungen sie beruht'. Das Problem des dogmatischen Teils der Untersuchung besteht im wesentlichen darin, den Begriff der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung als Grund der besonderen Streitgenossenschaft' zu konkretisieren und diese Notwendigkeit für den Einzelfall aus dem teleologischen Zusammenhang des Rechtsinstituts, des Prozeßrechts und letztlich der Rechtsordnung als Ganzen zu begründen. Ein Leitmotiv in diesem Gedankengang ist die Voraussetzung der Identität des Streitgegenstands. In den Vorarbeiten zum Gesetz nur angedeutet', tritt sie bei der Analyse der heute anerkannten Fälle der besonderen Streitgenossenschaft klar hervor: Sie ist einerseits Bedin.;. gung der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung bei gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis8, Rechtskrafterstreckung7, bei den Gestaltungsklagen8 und im Prozeß der RechtsgemeinschaftlI, andererseits sind die 1 Statt dessen sei verwiesen auf: D. Müller, Die Probleme der notwendigen Streitgenossenschaft im deutschen und französischen Recht, Diss. Göttingen 1964; R. Holzhammer, Parteienhäufung und einheitliche Streitpartei, WienNew York 1966 (zum österreichischen Recht); J. Geiger, Streitgenossenschaft und Nebenintervention unter besonderer Berücksichtigung des zürcherischen Zivilprozeßrechts, Aarau 1969. ! Dazu ausführlich v. Amelunxen Diss., S.l1 f.; Harmening, Streitgenossenschaft, S. 200 f.; Hachenburg, Streitgenossenschaft, S. 13 f.; WachenfeId, Streitgenossenschaft, S. 11 f. (Zur Darstellung des letzteren kritisch Meyer ZZP 20,

506).

, VgI. u. § 3 (Zur Terminologie). s. u. § 2 IV bei N. 8. I Vgl. §51113, IV 3, V. • VgI. § 6 111, VI. 7 VgI. § 7 11. 8 VgI. §811, IV. I VgI. § 9 11, 111.

4

Einführung

14

Wirkungen der besonderen Streitgenossenschaft auf sie zugeschnitten10 • Es liegt nahe, bei diesem gemeinsamen Merkmal weitere Argumente zu suchen, wo die herkömmliche Begründung der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung nicht überzeugt11. Daraus ergibt sich konsequent die Frage, ob Identität des Streitgegenstands auch ohne die Voraussetzung von gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis, Rechtskrafterstrekkung usw. besondere Streitgenossenschaft rechtfertigti!. Ihre eigentliche Bedeutung gewinnt die besondere Streitgenossenschaft im Prozeß der materiellrechtlichen Verwaltungs- und Verfügungsgemeinschaft 13 , dessen Probleme daher die Untersuchung über weite Strecken beschäftigen. Dabei geht es neben praktischen Schwierigkeiten bei widersprechenden Urteilsfeststellungen zwischen Mitgliedern dieser Gemeinschaften14 vor allem um das Recht zur Prozeßführung und um die konkurrierende Prozeßführung mehrerer Personen über denselben Streitgegenstand. Die Analyse der vom geltenden Recht bereitgestellten Regelungsmodelle - gemeinsame Prozeßführungsbefugnisl&, selbständiges Prozeßführungsrecht der einzelnen Gemeinschafter mitte oder ohne Rechtskrafterstreckung17 - mündet in den rechtspolüischen Vorschlag der Beiladung18, der zugleich das Institut der besonderen Streitgenossenschaft weiterentwickelt. 11. Die Tragweite des Problems Der Geltungsbereich des § 62 ZPO beschränkt sich nicht auf den Zivilprozeß. Die Vorschriften der ZPO über die Streitgenossenschaft finden entsprechende Anwendung im arbeitsgerichtlichen Prozeß (§§ 46 II, 64 II, 72 III ArbGG) und im Verfahren vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten (§ 64 VwGO) , den Finanzgerichten (§ 59 FGO) und Sozialgerichten (§ 74 SGG). Hingegen gibt es im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine StreitgenossenschaftlI. Die außergewöhnliche Zahl der wissenschaftlichen Beiträge und obergerichtlichen Entscheidungen!O zur besonderen Streitgenossenschaft beVgl. §§ 6 I, 7 I, 8 I, 9 I, 10 I (bei N.2). 11 Vgl. §§ 6 VII, 7112 (nach N. 14), 8 IV, 9 m, 10 I (a. E.). 11 Vgl. § 10 I. 10

Vgl. § 6111 2. Vgl. § 10 IV 1 b. Vgl. §§ 6111 1, VI; 10 VII 1. Vgl. §§ 711, 10 VII 2. Vgl. § 10 11 1, IV 1. Vgl. § 1311. Vgl. BGH 3, 214. Der Kommentar von Wieczorek zitiert allein zu den Voraussetzungen des § 62 I ZPO insgesamt etwa 200 Urteile der OLG, des OGHBrZ, des RG und BGH. 13 11 15 18 17 18 19 20

§ 1: Einführung

15

leuchtet ebenso die Rechtsunsicherheit infolge der mißglückten Fassung des Gesetzes wie die praktische Bedeutung des Instituts. Für die literarische Bevorzugung dieses Themas ist wohl neben den Schwierigkeiten der Rechtsanwendung ein eigentlich theoretisches Interesse maßgebend. Bei der besonderen Streitgenossenschaft greifen materielles Recht und Prozeßrecht ineinander. Ihre Probleme sind nur im Rückgang auf die Prozeßmaximen und den Prozeßzweck lösbar und berühren eine Reihe schwieriger Einzelfragen des Prozeßrechts: die Voraussetzungen der Prozeßführungsbefugnis, den Streitgegenstand und die U rteilswirkungen.

III. Der Ausgangspunkt der Untersuchung Die erneute Bearbeitung eines so viel behandelten Themas bedarf der Rechtfertigung in einem Ansatz, der, wo nicht originelle Lösungen, so doch bessere Argumente und eine Revision der bisher angewandten Bewertungsmaßstäbe verspricht. 1. Neue Forsdlungsergebnlsse

Eine Reihe von Forschungsergebnissen auf dem Gebiet des Zivilprozesses ist für das Problem der besonderen Streitgenossenschaft noch nicht systematisch ausgewertet worden. Vor allem die Arbeiten Bettermanns!l und Zeuners2! über Inhalt und Grenzen der Rechtskraft und Henckels Untersuchung23 über die Voraussetzungen der Prozeßführungsbefugnis werden sich als fruchtbar erweisen. 2. Der Wandel Im Ventindnls von Proze8zweck und Partelherrsdlafl

Das Verständnis des Prozeßzwecks und der Parteiherrschaft hat sich seit dem Erlaß der ZPO im Jahre 1877 grundlegend gewandelt. Diese Entwicklung spiegelt sich nicht nur in der reichen Reformliteratur. Sie findet einen positivrechtlichen Niederschlag in mehreren Novellen zur ZPOu und steht im Einklang mit dem "Menschenbild" des Bonner Grundgesetzes. Diese Veränderungen fordern eine kritische Ausein11 Die Vollstreckung des Zivilurteils in den Grenzen seiner Rechtskraft, Hamburg 1948. !I Die objektiven Grenzen der Rechtskraft im Rahmen rechtlicher Sinnzusammenhänge, Tübingen 1959. 23 Parteilehre und Streitgegenstand·im Zivilprozeß, Heidelberg 1961. 24 Insbes. VO v. 13.2.24 und Ges. v. 27.10.33.

16

Einführung

andersetzung mit der herrschenden Auffassung der besonderen Streitgenossenschaft. Der Einfluß weltanschaulicher und politischer Überzeugungen auf die für das Prozeßrecht bestimmenden Werte und Prinzipien ist nicht zu leugnen. Er sollte andererseits nicht überschätzt werden". Darum müssen auch Anregungen aus der Reformdiskussion der nationalsozialistischen Zeit geprüft und, wo sie sachlich überzeugen, übernommen werden, im Vertrauen darauf, daß eine zu erwartende Kritik Argumente mit Argumenten beantworten wird. 3. Die Methode der WertuDpJurlsprudeu

Die Wahl des Themas ist nicht zuletzt durch ein Interesse an der rechtswissenschaftlichen Methode motiviert. Mit der EntwicklUng der Methodenlehre zur teleologischen Betrachtung und ihrer Verfeinerung zur "Wertungsjurisprudenz"18 ergibt sich die Notwendigkeit, auch die ZPO neu zu interpretieren27 • In diesem Sinne lassen sich zwei markante Tendenzen in der Prozeßrechtslehre der Nachkriegszeit verstehen und rechtfertigen: die Wiederbesinnung auf die dienende Funktion des Prozesses und die Einheit von materiellem Recht und Prozeßrecht28 einerseits und das Unbehagen am Formalismus des prozeßrechtlichen Denkens29 und die Suche nach materialen Kriterien der Auslegung3° andererseits. In diesen Zusammenhang fügt sich die vorliegende Arbeit ein. Sie sucht streng methodisch zu verfahren und nimmt damit eine gewisse Umständlichkeit in Kauf. Dies geschieht nicht nur aus methodologischem Interesse, um die Methode an einem so schwer faßbaren Gegenstand, wie es der mißratene Tatbestand des § 62 I ZPO ist, zu erproben, sondern vor allem, um Distanz zu gewinnen von der Kasuistik der mehr oder weniger umstrittenen Einzelfälle und dem Hin und Her der seit einem Jahrhundert andauernden Polemik. Allein die bewußte Anwendung der Methode kann der Untersuchung eine gesicherte Grundlage geben. 25

s. u. § 10 V bei N. 122.

18 VgI. Larenz, Methodenlehre, insbes. S. 128 f. 27 Vgl. z. B. Gaul, Wiederaufnahmerecht, S. 45 f.

18 VgI. Bettermann, Vollstreckung, S. 23; Nikisch AcP 154, 281 f.; Blomeyer AcP 159, 405 a. E. !I J. Esser spricht gelegentlich vom "l'art pour l'art-Denken" in der Prozeßrechtswissenschaft (vgl. seinen Beitrag über "Realität und Ideologie der Rechtssicherheit in positiven Systemen" in der Festschr. f. Rittler, Aalen 1957); vgI. auch A. TroUer, Von den Grundlagen des zivilprozessualen Formalismus, Basel 1943. so Vgl. etwa die Arbeit Zeuners (oben N.22).

§ 1: Einführung

17

IV. Der gegenwärtige Streitstand bei den einzelnen Fällen der besonderen Streitgenossensmaft 1. Notwendig gemeinsame RedltsverfollllDl oder RedltskraftentreckUDg

Die Anwendbarkeit des § 62 I ZPO ist nur für zwei Fallgruppen unstreitig. Dazu gehören einmal die Fälle der gemeinsamen aktiven oder passiven Prozeßführungsbefugnis der Streitgenossen, die auch als Fälle des 2. Alternativtatbestandes ("... oder ist die Streitgenossen~ schaft aus einem sonstigen Grund eine notwendige") bezeichnet werden, zum andern die Fälle, in denen Rechtskrafterstreckung zwischen den Streitgenossen und Identität des Streitgegenstands zusammentreffen und die man unter den sog. 1. Alternativtatbestand ("kann das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden ... ") subsumiert, da hier kein Zwang zu gemeinsamer Prozeßführung besteht. Diese Fallgruppen werden von den Spezialuntersuchungen31 , den Lehrbüchern und Kommentaren32 und in der Rechtsprechung33 einstimmig anerkannt. Grund der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung ist bei den Fällen der Rechtskrafterstreckung nach allgemeiner Ansicht die Gefahr einer Rechtskraftkollision34 • Bei der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis ergibt sich ein weniger einheitliches Bild: Die meisten Autoren halten es hier offenbar für überflüssig, eine Begründung der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung zu geben. Lent35 und Holzhammer l , die - soweit ersichtlich - als einzige diesen Punkt berührt haben, stimmen in ihrer Argumentation nicht überein. 2. Gestaltungsprozesse mit identischem strelt,egenstand

Die h. M. wendet § 62 ZPO auch bei Gestaltungsprozessen mit identischem Streitgegenstand an, d. h. als Voraussetzung der besonderen Streitgenossenschaft gilt - entsprechend der jeweiligen Auffassung vom Streitgegenstand der Gestaltungsklage - die Identität der begehrten Gestaltung allein oder in Verbindung mit der Identität der behaupteten Gestaltungsgründe. Für besondere Streitgenossenschaft in 31 VgI. aus neuerer Zeit Lent IhJ 90, 30 f., 42 f.; Schwab, Festschr. f. Lent, S.274f., 29lf.; Henckel, Parteilehre, S.200f.; Holzhammer, Parteienhäufung,

S. 77 f., 98 f.

32 Statt aller Blomeyer, Lehrb. § 109 III 1, 2 a; Rosenberg, Lehrb. § 95 II 1 a, 2; Rosenberg-Schwab § 50 II, III; Schönke-Kuchinke § 24 IV 1, 2; StJSchPohle § 62 Anm. II 1 a, III; Seuff.-Walsmann § 62 Anm. 2 a IX, 2 c. 33 Eingehend U. v. 15.6.59 BGH 30, 195 (197 f.). 34 So zuerst Lent IhJ 90, .45 f. 31 a.a.O., S. 33 f. 31 a.a.O., S. 79 f.

2 Haloid

18

Einführung

diesen Fällen treten Lent37 , Henckel 38, Holzhammer' und ein Großteil der Lehrbücher und Kommentare 40 ein. Die Rechtsprechung des BGH ist nicht eindeutig'l. Die positiven Stellungnahmen unterscheiden sich ihrerseits, was-die Gründe der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung angeht: Lent42 behauptet die Gefahr eines Konflikts der Gestaltungswirkungen, wenn den Streitgenossen gegenüber inhaltlich verschiedene Urteile ergehen. Nach Henckel 43 soll ein logischer Widerspruch zwischen den Entscheidungen vermieden werden. Holzhammer44 schließlich beruft sich auf den Gedanken der Prozeßökonomie. 3. Der ProzeB· der Rechtsgemelnschar&

Einer Initiative Blomeyers4 5 folgend nimmt die zivilrechtliche und prozessuale Lehre überwiegend besondere Streitgenossenschaft an, wenn das einer Rechtsgemeinschaft zustehende Recht von sämtlichen Mitberechtigten geltend gemacht wird, obwohl auch der einzelne prozeßführungsbefugt ist48•. ÄhnliCh entschieden bereits das RG in zahlreichen Fällen und der OGH für die Britische Zone47 • Blomeyer leitet die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung vor allem aus der "Unteilbarkeit" des streitigen Rechts ab 48 • Die übrige Literatur begnügt sich häufig mit dem pauschalen Verweis auf seine Begründung. Daneben werden die genannten Entscheidungen herangezogen, die jedoch weder im Ergebnis noch in den Gründen mit Blomeyers Ansicht genau übereinstimmen49 • a.a.O., S. 47 f.;auch in diesem Punkt war Lents Beitrag richtungweisend. a.a.O., S. 209 f. a.a.O., S. 98 f. (für § 14 Osterr. ZPO). VgI. Rosenberg, Lehrb. § 95 11 1 b; Nikisch, Lehrb. § 11011 2 b; StJSchPohle § 62 Anm. 11 1 b; Zöller-Degenhart § 62 Anm.l b. Die übrigen Lehrbücher und Kommentare nehmen dazu nicht Stellung. Audrücklich dagegen entscheidet sich nur Hellwig, Lehrb. § 159 11 4. 41 Positiv äußert sich der BGH (IV. Zivils.) im U. v. 9. 1. 57 BGH 23, 73 (75), während das oben (N.33) zitierte U. v. 15.6.59 (11. Zivils.) alle anderen Tatbestände der besonderen Streitgenossenschaft neben Rechtskl'afterstrekkung und gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis ausschließt. 42 a.a.O., S.49; als Analogie zum Rechtskl'aftkonflikt (s. o. N.34). 43 a.a.O., S. 211 f. 44 a.a.O., S. 101. 45 AcP 159, 385 f. 48 VgI. Rosenberg, Lehrb. § 95 11 1 c; Bruns, Lehrb. § 11 IV bei N. 19; StJSchPohle § 62 Anm. 11 1 c; Erman-Bartholomeyczik § 2039 Anm.2; StaudingerLehmann § 2039 Rdnr. 20. Gegen besondere Streitgenossenschaft: Holzhammer, Parteienhäufung, S. 106 f. 47 U. v. 15.3.05 RG 60, 269 (270); U. v. 21.10.05 RG 61, 394 (398); U. v. 21. 5.19 RG 96, 48 (52); U. v. 30.11.27 RG 119, 163 (168) und u. v. 26.1.50 OGHBrZ 3, 242 (244 f.). 48 Näheres s. u. § 9 11 nach N. 6. 49 In allen diesen Urteilen (s. o. N. 47) wird tatsächlich über Gemeinschaftsklagen entschieden; die Urteilsgründe stellen jedoch allein auf die Identität des Streitgegenstands ab, die auch bei verbundenen Einzelprozessen gegeben wäre. 37 38 39 40

§ 1: Einführung

19

4. Bloße IdentUlt des streU,e,ebStands

Die Theorie der Identität des Streitgegenstands als der alleinigen und einheitlichen Voraussetzung der besonderen Streitgenossenschaft, die heute nur noch wenige Anhänger hat, war jahrzehntelang vorherrschend. Durch die Dissertation von F. A. Medicus50 im Jahre 1914 begründet, setzte sie sich dank der Autorität Kischs, Rosenbergs und Walsmanns 51 in der Lehre weitgehend durch. In diesem Sinn entschied auch das RG in einer Reihe von Urteilen, die sich über mehrere Jahrzehnte hinweg verfolgen läßti!. Die Rechtsprechung der Nachkriegszeit zeigt bis in die Mitte der 50er Jahre dieselbe Tendenz53 • Der Aufsatz von Lent im letzten Band von Jherings Jahrbüchern (1943)54, mit dem die Kritik an der Theorie der Identität des Streitgegenstands einsetzte, blieb zunächst ohne breitere Wirkung. Als jedoch Schwab in der Festschrift für Lent (1957)&1 diese Gedanken wieder aufnahm, ließ sich Rosenberg überzeugen. Mit ihm hat seither der überwiegende Teil der Literatur diese Theorie aufgegeben und ihr Schicksal scheint durch die ablehnende Rechtsprechung des BGH besiegelt58 • Die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung wurde bei Identität des Streitgegenstandes entweder aus der dienenden Funktion des Prozesses für das materielle Recht abgeleitet57 oder als logische Notwendigkeit 50 Tatbestand und Fälle der besonderen Streitgenossenschaft, Straßburg 1914 (Referent: W. Kisch). 51 VgI. Rosenberg. Lehrb., von der 1. bis einschlielich der 7. Auf!. (19271956); W. Kisch Judicium 3, Sp. 246 f. und Seuff.-Walsmann § 62 Anm. 2 a ß. 12 U. v. 23.12.1897 JW 98, 113 Nr.3; U. v. 15.3.1905 RG 60, S.269 (270); U. v. 12.7.05 JW 05, 533 Nr. 17; U. v. 21.10.05 RG 61, 394 (398); U. v. 21. 5.19 RG 96, 48 (52); U. v. 20. 9. 19 RG 96, 251 (254); U. v. 22. 9. 20 RG 100, 60 (61/62); U. v. 30.11.27 RG 119, 163 (168); U. v. 31.1. 38 RG 157, 33 (35); U. v. 23.3.38 JW 38,1522 Nr.11 (1523); U. v. 23.3.38 JW 38,1542 Nr. 11; anders U. v. 15.1.18 RG 91, 412 (413); U. v. 3.3.19 RG 95, 97 (98); U. v. 7.11.21 SeuffArch 77 Nr. 96; U. v. 22. 12. 41 DR 42, 977 (978). 13 OGHBrZ U. v. 26.1. 50 OGHBrZ 3, 242 (244); SchlHOLG Beschl. v. 12.10.50 RPfleger 52, 138 (dazu kritisch StJSch-Pohle § 62 Anm. II 2 bei N. 28); LG Frankfurt a. M. U. v. 12.5.53 ZMR 54, 96 Nr.46. 14 VgI. IhJ 90, 27 f. (45, 61 f.). 55 a.a.O., S. 280 f. 18 Rosenberg streicht Identität des Streitgegenstands als Tatbestand der besonderen Streitgenossenschaft in der 8. Auf!. seines Lehrbuchs (1960); ebenso Bruns in seinem Lehrbuch (1968), anders im Grundriß (1949), S.42; dagegen auch HenckeI. Parteilehre, S. 203 f.; Holzhammer, Parteienhäufung, S. 76 f. und die Rspr. des BGH: U. v. 9.1.57 BGH 23, 73 (75); U. v. 3.10.57 LM Nr.6 zu § 140 HGB; U. v. 15.6.59 BGH 30, 195 (199 f.) mit Nachw. früherer Rspr. des RG und BGH. Offen lassen diese Frage Blomeyer, Lehrb. § 109 III 2 bund StJSch-Pohle § 62 Anm. II c bei N. 18. Dafür haben sich in neuerer Zeit ausgesprochen: de Boor...;Erkel, S. 168; Schönke-Schröder-Niese § 26 VIa ß; Ule, Verwaltungsprozeßrecht, S.74; Baumb.-Lauterbach § 62 Anm. 2 B; vgl. auch Württ.~Bad VGH U. v. 15.5.57 ESVGH 7, 30 (33); LSG Celle U. v. 12. 10.61 VersR 62, 632. 57 Medicus Diss., S. 4 f. (7, 15).

20

Einführung

bestimmt58• Im allgemeinen wird auf eine Begründung dieser anscheinend so selbstverständlichen Theorie überhaupt verzichtet. Daher fand die Kritik Lents und Schwabs nur wenig Widerstand. 5. Gemeinsame Vorfragen

Bei Gemeinsamkeit von Vorfragen wird besondere Streitgenossenschaft von jeher überwiegend59, heute einstimmig8° abgelehnt. Eine Ausnahme bilden jedoch zwei besondere Fallgestaltungen, die meist im Zusammenhang mit der Frage der Streitgenossenschaft zwischen der OHG und dem vom Gesellschaftsgläubiger nach § 128 HGB in Anspruch genommenen Gesellschafter diskutiert werden.

a) Einheitliche Verteidigung Wenn der Gesellschafter keine persönlichen Einwendungen erhebt und nur die Existenz der Gesellschaftsschuld bestreitet, konzentriert sich der Rechtsstreit ganz auf die gemeinsame Vorfrage, und in beiden Prozessen ist praktisch über dieselben Tat- und Rechtsfragen zu entscheiden. Daher wurde in deutlicher Anlehnung an den Fall der Identität des Streitgegenstands besondere Streitgenossenschaft wegen "einheitlicher Verteidigung" angenommen81 • Die überwiegende Ablehnung dieses Standpunkts 'b eruht auf dem Gedanken, daß die Verteidigung der Streitgenossen sich im Prozeß ändern, d. h. auseinandergehen oder erst später übereinstimmen kann und daß dementsprechend von einfacher zu besonderer Streitgenossenschaft oder umgekehrt übergegangen Kisch, a.a.O. Für besondere Streitgenossenschaft das Urteil des RG v. 24. 11. 06 RG 64, 321; anders U. v. 18.9. 18 RG Warn 1918 Nr.234 und U. v. 22.9.20 RG 100, 60 (62), in dem der Standpunkt von RG 64, 321 ausdrücklich aufgegeben wird. Für besondere Streitgenossenschaft entscheidet sich der Entwurf v. 1931 (§ 65 I; amtl. Erläut., S.273, 290); dagegen jedoch die krit. Besprechungen von Baumbach DJZ 31, Sp.1471; J. Goldschmidt JW 31, 2448; Kisch Judizium 3, Sp. 244 f.; Reinberger JR 32, 73; Rosenberg ZZP 57, 222. Ablehnend auch Hellwig, Lehrb. § 159 II 2; System § 124 I 2 b. 60 Vgl. Lent IhJ 90, 50 f.; Holzhammer, Parteienhäufung, S. 72 f.; ebenso die Lehrbücher von Rosenberg (§ 95 II 1 d), Lent-Jauemig (§ 82 II), Nikisch (§ 110 II 2 c) und Schönke-Schröder-Niese (§ 26 VIa) und die Kommentare von StJSch-Pohle (§ 62 Anm. II 2), Baumb.-Lauterbach (§ 62 Anm. 2 c), Wieczorek (§ 62 Anm. A III d) und Zöller-Degenhart (§ 62 Anm. 1 e). Vgl. auch BSG U. v. 5. 11. 59 NJW 60, 1030 (1031). Vielfach wird dieser Fall nicht mehr erwähnt. 81 So v. Amelunxen Diss., S. 60; Oertmann, Grundriß, S.103; der Kommentar von Seuffert bis einschließlich der 11. Aufl. (1911). Dagegen z. B. Weismann, Hauptintervention, 8.100 N. 4; Wachenfeld, Streitgenossenschaft, S.81; Hellwig, Lehrb. § 159 II 1; ders. System § 124 I 2; Lenz JW 25, 733 f.; Seuff.Walsmann § 62 Anm. 2 a y; Nikisch, Lehrb. § 110 II 2 c; Schönke-SchröderNiese § 26 VIa y; Pohle JZ 61, 175 (mit Nachw.) und StJSch-Pohle § 62 Anm. II 2 nach N.30; Wieczorek § 62 Anm. A III c; Zöller-Degenhart § 62 Anm.1d. 118

119

§ 1: Einführung

21

werden müßte, was ein Moment der Unsicherheit in das Verfahren bringt. b) Rechtskrafterstreckung

Nach § 129 I HGB wird die Rechtskraft des Urteils, das gegenüber der OHG über die Gesellschaftsschuld ergeht, auf den Gesellschafter erstreckt6!. Wegen dieser eine Vorfrage betreffenden Rechtskrafterstrekkung nimmt eine Reihe von Autoren ohne Rücksicht auf persönliche Einwendungen des Gesellschafters besondere Streitgenossenschaft an63 • Die dagegen gerichtete Kritik weist einmal darauf hin, daß die Rechtskrafterstreckung nur bei Identität des Streitgegenstands zu einer Kollision der Rechtskraftwirkungen führen kann6 4, zum andern bezieht sie sich auf die Schwierigkeit, die Regelung der besonderen Streitgenossenschaft auf ein Verfahren anzuwenden, in dem weder die Streitgegenstände noch die tatsächlich streitigen Fragen sich decken65• c) Die Kombination dieser Tatbestände

Eine dritte Meinung nimmt, wenn bei gemeinsamer Vorfrage zwischen den Streitgenossen Rechtskrafterstreckung stattfindet, besondere Streitgenossenschaft an, solange die Streitgenossen sich einheitlich verteidigen68 • Diese Lehre verbindet die zuerst genannten Tatbestände und die Argumente, die dort für Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung sprechen, setzt sich aber eben dadurch einer doppelten Kritik aus.

Näheres s. u. § 11 III 2 nach N.8. Dafür: Reimer JW 25, 2313; Seuff.-Walsmann § 62 Anm. 2 a y; Wieczorek § 62 Anm. A II a 3; Zöller-Degenhart wollen die einmal bestehende besondere Streitgenossenschaft trotz später erhobener persönlicher Einwendungen bis zum Abschluß der laufenden Instanz beibehalten. Dagegen: Lenz JW 25, 733 f. (mit Nachw.); Kisch Judiciurn 3, Sp.249; Rosenberg ZZP 57, 222; Lent IhJ 90, 54 f.; Schwab in Festschr. f. Lent, S.292; Henckel, Parteilehre, S.202/03. 84 So vor allem Lent u. Henckel,a.a.O. 65 So Lenz, Kisch u. Rosenberg, a.a.O" 66 So die Lehrbücher von Blomeyer (§ 109 III 2 a), Rosenberg (§ 95 II 1 a), Schönke-Schröder-Niese (§ 26 VIa (1) und Schönke-Kuchinke (§ 24 IV 1), der Kommentar von Baumb.-Lauterbach (§ 62 Anm. 2 A) und die ständige Rspr. des RG: vgl. U. v. 21. 1. 29 RG 123, 151 (154); U. v. 2.5.32 RG 136, 266 (268) mit Nachw. Dagegen: Nikisch, Lehrb. § 110 II 2 c; Pohle JZ 61, 175 f. (mit Nachw.); StJSch-Pohle § 62 Anm. II 2 (nach N.30). Die in N. 60 u. 63 zitierte ablehnende Literatur kann hier ebenfalls herangezogen werden, soweit sie sich gegen die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung wegen Rechtskrafterstreckung wendet. 61

63

ERSTER TEIL

Grundlagen § 2: Tatbestand und Wirkungen der Streitgenossenschaft I. Streitgenossensdlaft und Zweiparteienstruktur Nach geltendem Recht ist der Zivilprozeß ein Rechtsverhältnis1 zwischen einem Kläger und einem BeklagtenI, das durch die Parteien und den Streitgegenstand individualisiert wird. Eine Mehrheit von Rechtsstreitigkeiten erscheint von daher als bloßes Aggregat selbständiger Einzelprozesse, die ohne innere Beziehung nebeneinander ablaufen. In der Tat beschränkt sich die Wirkung von Prozeßhandlungen und prozessualen Ereignissen grundsätzlich auf einen bestimmten Rechtsstreit. Parallele Prozesse zwischen denselben Parteien über einen anderen Streitgegenstand oder zwischen anderen Parteien über denselben Streitgegenstand werden nicht berührt. Wenn jedoch besondere Umstände eine Zusammenfassung der Streitsachen nahelegen, bedarf es eines Rechtsverhältnisses, das die - weiterhin begrifflich selbständigen - Prozesse verbindet und eine wechselseitige Beeinflussung ermöglicht. So ist die Streitgenossenschaft das Rechtsverhältnis zwischen den Trägern derselben Parteirolle in mehreren selbständigen Prozessen, die zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung zusammengefaßt sind3 • Sie ist also entweder Klägergenossenschaft oder Beklagtengenossenschaft und kann damit in demselben Verfahren auf beiden Parteiseiten gegeben sein. Die Streitgenossenschaft beruht auf einer doppelten Voraussetzung: Zu dem vom Gesetz geforderten Zusammenhang zwischen den Streitgegenständen muß ein ausdrücklicher Akt der Klagenverbindung hinzukommen, der sowohl vom Kläger oder den mehreren Klägern (§§ 59, 60 ZPO) als auch vom Gericht (§ 147 ZPO) vollzogen werden kann. Das Verhältnis der - zulässigen - subjektiven Klagenhävfung und der Prozeßverbindung zur Streitgenossenschaft ist das des Tatbestands zur Rechtsfolge. I 2 3

Rosenberg, Lehrb. § 2 (mit Nachw.); Lent-Jauemig, § 32 (mit Nachw.). Rosenberg, Lehrb. § 39 III; StJSch-Pohle vor § 50 Anm. IV. Rosenberg, Lehrb. § 94 I 1; Holzhammer, Parteienhäufung, S.9.

§ 2: Tatbestand und Wirkungen der Streitgenossenschaft

23

ll. Die Regelung der einfachen Streitgenossenschaft Die mehreren Kläger oder Beklagten der nach den §§ 59, 60, 147 ZPO vereinigten Prozesse sind sog. einfache oder gewöhnliche Streitgenossen (§ 61 ZPO); d. h. sie sind im Verhältnis zum Gegner voneinander so unabhängig, wie wenn jeder von ihnen allein mit ihm prozessierte'. Nur der äußere Rahmen der gemeinsamen Verhandlung und Beweisaufnahme vereinigt die Prozesse zu einem einheitlichen Verfahren. Der begrenzte Zweck dieser Verbindung - bei zusammenhängenden, gleichartigen oder teilweise identischen Streitgegenständen eine schnellere und gründlichere Sachklärung mit geringerem Aufwand an Mühe und Kosten zu erreichen - wird schon damit verwirklicht. In. Das Verhältnis der §§ 61 und 62 ZPO Der § 62 ZPO greift aus der Zahl der Fälle einfacher Streitgenossenschaft einen engeren Kreis heraus und ordnet für ihn ein besonderes Verfahren an. Die besondere Streitgenossenschaft stellt sich damit als Sonderfall der einfachen Streitgenossenschaft dazoll. Dies zeigt auch die Regelung der besonderen Streitgenossenschaft, die auf die grundsätzlich weiterbestehende Selbständigkeit der streitgenössischen ProzesseS zugeschni tten ist. IV. Voraussetzungen und Wirkungen des § 62 ZPO Die von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätze über Tatbestand und Wirkungen der besonderen Streitgenossenschaft ergänzen und korrigieren die gesetzliche Regelung in erheblichem Umfang. Sie dürfen, soweit sie allgemein anerkannt sind, gewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen7• Nach heute absolut herrschender Meinung ist die einheitliche Entscheidung der streitgenössischen Prozesse der Zweck der besonderen Rosenberg, Lehrb. §§ 93 IV 2, 94 III 1; Baumb.-Lauterbach § 61 Anm. 2 A. Medicus Diss., S. 14; Hellwig, Lehrb. III, S. 157 f. Kohler, Prozeß als Rechtsverhältnis, S. 102; Wachenfeld, Streitgenossenschaft, S. 49 f.; Medicus Diss., S.3 (mit Nachw. in N. 13); Kisch Diss., S. 10 f.; Goldschmidt, Prozeß als Rechtslage, S.526; Schumann ZZP 76, 381 (384); Rosenberg, Lehrb. § 95 III 2; Behringer Diss., S. 58 (mit Nachw. in N. 225). a. A. Lent, s. u. § 6 IV bei N. 52. 7 So schon Hellwig, Lehrb. III, S.174. In der Tat lassen Rspr. und Schrifttum eine gleichmäßige, dauernde übung und allgemeine Rechtsüberzeugung (vgl. Enneccerus-Nipperdey § 39; Larenz, Methodenlehre, S. 338 f.) deutlich erkennen. 4 5 6

1~

Tell:· Grundlagen

Streitgenossenschaft. Die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung ist daher als gemeinsames Merkmal beider Alternativtatbestände des § 62 ZPO anzusehen8• Man müßte also den gesetzlichen Tatbestand gerade umkehren und formulieren: "Ist die Streitgenossenschaft eine notwendige oder kann aus einem sonstigen Grund das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden ... " Die Umdeutung in diesem Sinn hat ·den Wortlaut des Gesetzes praktisch verdrängt·. Die Wirkung der besonderen Streitgenossenschaft betrifft nur die Verhandlung zur Sache, nicht die Prüfung der Prozeßvoraussetzungen10 • Sie bleibt auf den Prozeß beschränkt und verändert die materielle Rechtslage nichtl1 • Tatsächlich bringt die besondere Streitgenossenschaft sogar in der einheitlichen Entscheidung die außerprozessuale Rechtslage gegenüber der unterschiedlichen Prozeßführung der Streitgenossen zur Geltung12 : Der Verhandlungs- und Dispositionsmaxime entsprechend entscheidet das Gericht nur aufgrund des von den Parteien beigebrachten Tatsachenstoffes und ist an ihre Verfügungen über den Streitgegenstand gebunden. So könnten die nach § 61 ZPO voneinander unabhängigen Streitgenossen inhaltlich verschiedene Entscheidungen über denselben Gegenstand erzwingen, von denen notwendig wenigstens eine der außerprozessualen Rechtslage widerspräche. Die Regelung der besonderen Streitgenossenschaft unterdrückt nun die Parteitätigkeit nicht13, sondern stimmt die Rechtsfolgen der von den Streitgenossen vorgenommenen Prozeßhandlungen so aufeinander ab, daß trotz unterschiedlicher Prozeßführung ihre Prozeßlagen während der Entwicklung des Verfahrens zur Entscheidungsreife gleich bleiben und schließlich in ein einheitliches Urteil münden14 • Anerkenntnis, Klageverzicht und 8 VgL statt aller Walsmann, Nebenintervention, S.88 (insbes. N.57, 58); Schwab, Festschr. f. Lent, S.271, 274; Henckel, Parteilehre, S.56; Hellwig, System § 124; Rosenberg, Lehrb; § 95 I 3, III 3 b; StJSch-Pohle § 62 Anm.III vor 1; aus der Rspr. vgl. RG 96, 254; BGH 36, 187 f. (189). 11 Vgl. Hellwig, Lehrb. III, S.174; Schwab, Festschr. f. Lent, S. 272 f. 10 Vgl. etwa Lent IhJ 90, 28; Blomeyer, Lehrb. § 109 IV 3;Samper Diss., S.4 (mit Nachw.); Behringer Diss., S.37. 11 Hachenburg, Streitgenossenschaft, S. 2; Wachenfeld, Streitgenossenschaft, S.47; Levetzow Diss., S. 16; Behringer Diss., S.80 N.311. 11 Näheres s. u. § 10 V 7. 13 Kisch Diss., S; 14, 79. 14 Vgl. Goldschmidt, Ptozeßals · Rechtslage, 5.145, 526. Die Begriffe des Rechtsverhältnisses (s. o. I bei N. 1) und der Rechtslage sind, auf den Prozeß angewandt, gleich fruchtbar und schließen sich nicht aus. Der Pl'ozeß ist als Rechtsverhältnis ein ·Gefüge von Rechtsfolgen, die auf ein konkretes Urteil zielen. Dieser finale Sinn gibt ·dem Inbegriff die strukturelle Einheit und erhält die Identität des Ganzen während der Dauer seiner Existenz trotz des wechselnden Bestandes der Teile. Rechtslage bezeichnet demgegenüber einmal bestimmte Rechtsfolgen, die sich nicht als Rechte oder Pflichten darstellen lassen, oder - wie im Text - die Gesamtheit d,er einen Beteiligten innerhalb des Rechtsverhältnisses in einem gewissen Zeitpunkt betreffenden

§ 8: Zur Tel1nmol6gie

25.

Geständnis binden das Gericht wie gewöhnlich, wenn alle Streitgenossen sich anschließen. Nur vom einzelnen Streitgenossen vorgenommen haben diese Prozeßhandlungen lediglich Beweiswirkung freilich auch in den Prozessen der übrigen Streitgenossen -, d. h. sie dienen dem Gericht wie jede andere Tatsache zur Bildung seiner überzeugungl5. Säumige Streitgenossen werden von den erschienenen "vertreten" (§ 62 I ZPO). Die von einem eingelegten Rechtsmittel wirken für alle Streitgenossenl6 . Die hier nur angedeuteten Wirkungen der besonderen Streitgenossenschaft sind nichts anderes als prozeßtechnische Mittel zur Sicherung einer einheitlichen Entscheidung und gelten darum, wie dieses Ziel, für sämtliche Altemativfälle des § 62 ZPO gleich l7.

§ 3: Zur Terminologie Die Bezeichnung "besondere" Streitgenossenschaft für sämtliche Fälle des § 62 ZPO wurde oben1 im Wege der Nominaldefinition festgelegt. Sie soll nun terminologisch begründet werden. I. Kriterien wissenschaftlicher Begriffsbildung Ein wissenschaftlicher Begriff ist in seiner Funktion als Niederschlag der über einen Gegenstand gewonnenen Erkenntnis und als Mittel zu seiner weiteren Aufklärung ohne inneren Sinnbezug zum Gegenstand nicht denkbar!. Der zu findende Terminus muß also das Eigentümliche der Streitgenossenschaft des § 62 ZPO und ihre systematische Stellung schlagwortartig kennzeichnen. Daher waren zunächst die Grundlagen der Streitgenossenschaft darzulegen. Andererseits braucht das Ergebnis der Untersuchung nicht vorweggenommen zu werden; denn eine knappe Rechtsfolgen, gleichsam einen zeitlichen Querschnitt des Rechtsverhältnisses. Vgl. Hachenburg, Streitgenossenschaft, S. 4 f., insbes. S. 5 N. 16; StJSch-Pohle Eipl. E II 4; (zum Schuldverhältnis) Larenz, Schuldrecht I, § 2 V. 15 Vgl. Rosenberg, Lehrb. § 95 III 3 a, Lent-Jauemig § 82 IV 3. Ebenso Blomeyer, Lehrb. § 109 IV 3 mit Berufung auf RG Gn)(not 46. 661 (665/6) und Köln OLG 18, 149 (150), wenn die Streitgenossen nUr gemeinsam über das streitige materielle Recht verfügen können. Diese Einschränkung ist sinnvoll, soweit Anerkenntnis und Verzicht zugleich als materielle Rechtsgeschäfte gelten (vgl. RG und OLG Köln, a.a.O.), nicht für Anerkenntnis und Verzicht als reine Prozeßha.ndlung (so jedoch die jetzt; h. ].14., vgl. Blomeyer, Lehrb. § 62 IV 2 a, mit Nachw. S.304 N.9). 16 Schumann ZZP 76, 381 N.2;Blomeyer, Lehrb. § 109IV2; Lent-Jauemig § 82 IV 2; StJSch-Pohle § 62 Anm. VI 1. a. A. Behringer Dis!!., S. 2.1 f. 17 Fuhr Diss., S.9; Schumann. a.a.O N.1; Holzhammer, Parteienhäufung, S. 153 f.; Rosenberg, Lehrb. § 95 III 1. 1

I

§ 1 I.

Vgl. Canaris, Feststellung von Lücken, S. 15 f.

1. Tell: Grundlagen

26

Bezeichnung kann nur sehr allgemeine Strukturen ansprechen und sie darf, wenn sie überall verwendbar sein soll, nicht ins strittige Detail gehen. Von der eingeführten juristischen Terminologie kann nur aus zwingenden Gründen abgewichen werden. U. Die Bezeichnung des Gesamttatbestands des § 62 I ZPO Offenbar in der Absicht, alle Fälle des § 62 ZPO unter dem Aspekt ihrer gemeinsamen Voraussetzungen zusammenzufassen, spricht das Gesetz von "notwendiger" Streitgenossenschaft, und dank seiner Autorität ist dieser Name wohl auch heute noch der am meisten gebrauchte', obwohl gegen ihn schwerwiegende Einwände bestehen. Selbst in den Fällen der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis, die der Gesetzgeber im Auge hatte, ist primär nicht die Streitgenossenschaft notwendig, sondern die gemeinsame Rechtsverfolgung und auch sie nur unter der Bedingung, daß zur Sache entschieden werden soll. In den übrigen Fällen, in denen der einzelne Streitgenosse Prozeßführungsbefugnis hat, ist die Streitgenossenschaft jedenfalls in diesem Sinne nicht notwendig. Andererseits kann man wohl sagen, daß die Streitgenossenschaft des § 62 ZPO in allen Fällen notwendig ist, um einheitliche Entscheidung zu sichern; aber diese Feststellung ist nichtssagend, da jedes Rechtsinstitut zur Verwirklichung seines Regelungszwecks notwendig ist. Die Bezeichnung "Streitgenossenschaft wegen notwendig einheitlicher Entscheidung", die in diesem Punkt genauer wäre, ist nicht nur zu kompliziert und unhandlich, sondern sie paßt auch nicht zu dem eingebürgerten Begriff der "einfachen" oder "gewöhnlichen" Streitgenossenschaft, der nicht auf den Tatbestand, sondern auf die Verfahrensregelung abstellt. Auch von den Rechtsfolgen her hat man den Namen "notwendige Streitgenossenschaft" interpretiert, anscheinend als Ausdruck des vagen Gefühls, daß in sämtlichen Fällen des § 62 ZPO irgendeine - "juristische" oder "prozeßrechtliche" - Notwendigkeit am Werke sei4 • Derselbe Gedanke wird in den Bezeichnungen "einheitliche"l1 oder "unzertrennliche"· Streitgenossenschaft klarer artikuliert, die aber ebenfalls nicht befriedigen. Einheitlich sollen die Urteile ausfallen, einheitlich sind die Prozeßlagen in den streitgenössischen Prozessen, aber mit der Einheitlichkeit der Streitgenossenschaft selbst läßt sich keine deutliche Vorstellung verbinden. Auch unzertrennlich kann man die Streit, Schwab, Festschr. f. Lent, S. 272; Behringer Diss., S.39 N. 141, S.40 N.142. VgI. Behringer Diss., S.39 N.141. 11 Kisch Judicium 3, Sp. 243. 8 Fitting, Lehrb., S.103 N.10; Holzhammer, Parteienhäufung, S.152 bei N.334. 4

§ 3: Zur Terfuhiologie

genossenschaft des § 62 ZPO nur unter Vorbehalt nennen. Ist es noch absolut h. M., daß die Streitgenossenschaft durch alle Instanzen geht7 , so hält es bereits die Mehrzahl der Autoren für zulässig, daß der zu selbständiger Prozeßführung befugte Streitgenosse durch Klagerücknahme ausscheidet8 , und die Zulässigkeit einer Klageänderung - unter den allgemeinen Bedingungen - erscheint so selbstverständlich, daß sie kaum je erwähnt wird-. Angesichts der verworrenen terminologischen Situation liegt nichts daran, zu allem überfluß noch einen neuen Namen zu kreieren. Darum wird nur ein weiterer Anlauf unternommen, einer früher häufiger benutzten adäquaten Bezeichnung mit sachlichen Argumenten zu breiterer Anerkennung tu verhelfen. Im Kontrast zu den abgelehnten Benennungen erscheint das schlichte Attribut" besondere" Streitgenossenschaft, für das sich auch Hachenburg, Kisch und Medicus 10 entschieden, gerade deshalb am geeignetsten, weil es nicht zuviel und nichts Unpassendes aussagt. Es korrespondiert dem eingebürgerten Terminus "einfache" Streitgenossenschaft und hebt treffend das Verfahren nach § 62 ZPO von dem nach § 61 ZPO ab. Seinem Sinn nach kann der Begriff "besondere Streitgenossenschaft" nur auf alle Fälle des § 62 ZPO bezogen werden, denn er spricht die besondere Verfahrensgestaltung an, die sie gemeinsam haben. Darum ist die Kombination der Bezeichnungen "besondere" und "notwendige" Streitgenossenschaft zur Unterscheidung der Alternativtatbestände des § 62 ZP011 die denkbar schlechteste Lösung. Sie wechselt unversehens den Gesichtspunkt der Bezeichnung - einmal ist es der Tatbestand, das andere Mal sind es die Rechtsfolgen -, wird dadurch mißverständlich und gibt weder die Stellung von § 62 gegenüber § 61 ZPO noch das Verhältnis der Alternativfälle richtig wieder.

m.

Die Unterscheidung der Alternativtatbestände

Eine Gliederung in besondere Streitgenossenschaft "aus materiellen Gründen" und besondere Streitgenossenschaft "aus prozessualen Grüns. o. § 2 IV bei N. 16. Für Zulässigkeit selbständiger Klagerücknahme in allen Fällen des § 62 ZPO: StJSch-Pohle § 62 Anm. V 5; Behringer Diss., S.102, 150 f.; für Zulässigkeit nur bei selbständigem Prozeßführungsrecht der Streitgenossen: Hellwig, Lehrb. III, S.160; Rosenberg, Lehrb. § 95 III 1 a; Blomeyer, Lehrb. § 109 IV 3 b. Gegen selbständige Klagerücknahme in allen Fällen: Holzhammer, Parteienhiiufung, S. 152 f. 9 Vgl. aber Medicus Diss., S.62 und Behringer Diss., S.154, der de lege ferenda ein Verbot der Klageanderung einzelner Streitgenossen oder die Erstreckung ihrer Wirkungen auf alle Streitgenossen fordert (a.a.O., N. 642); für dieses Verbot schon. de lege lata: Rosenberg, Lehrb. § 95 II 3 a. 10 Vgl. die Titel ihrer Veröffentlichungen und insbes. Kisch Diss., S. 5 f. 11 BGH 30, 197 f.; Lent, JhJ 90, 27 f. 7 8

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-I. Tel1~ Grundlagen

den"ll ist schon deshalb wenig empfehlenswert, weil sie zu abstrakt ist. Die materiellen und prozessualen Gründe, die zu einheitlicher Entscheidung zwingen, lassen sich zudem nicht so reinlich auf die Fallgruppen des § 62 ZPO verteilen. Gerade bei den Gesamthandsgemeinschaften, die als Beispiele der besonderen Streitgenossenschaft "aus materiellen Gründen" angeführt werden, will die h. M. nicht auf die prozessuale Voraussetzung der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis verzichten und lehnt deshalb z. B. im Fall des § 2039 BGB besondere Streitgenossenschaft ab. Umgekehrt beruht die Rechtskrafterstreckung, ein Fall der besonderen Streitgenossenschaft "aus prozessualen Gründen", nach überwiegender Ansicht häufig auf einer zivilrechtlichen Abhängigkeit zwischen den Rechtskraftgenossen13. Die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung hat immer materiellrechtliche und prozessuale Gründe. Eine Unterscheidung von wesentlichen - und damit für die Bezeichnung relevanten - und unwesentlichen Gründen würde mindestens ebenso feinsinnige Distinktionen erfordern wie die von "zufälliger" und "eigentlicher"14, "konkreter" und "abstrakter"15 Notwendigkeit der Streitgenossenschaft, die zu Recht vereinzelt geblieben sind. Die Fallgruppen, bei denen besondere Streitgenossenscbaft statthat, werden am besten unterschieden, indem man ihre typischen Voraussetzungen umschreibtlS und etwa von besonderer Streitgenossenschaft "wegen Rechtskrafterstreckung" usw. spricht.

11 Vgl. Baur FamRZ 62, 510; Lent-Jauernig § 82; Rosenberg-5chwab, Lehrb. § 50 II, III; Zöller-Degenhart § 62 Anm. 1, 2. 13 Vgl. Blomeyer, Lehrb. §§91 II. 93; Hellwig, Recht!~kraft, S. 51 f., 56 f.; Bettermann, Vollstreckung §§ 8 f. (S.86, 93 f.). 14 Vgl. 5chwab, Festschr. f. Lent, S.272; Zöller-Degenhart, a.a.O. 15 Behringer Diss., 5. 39 N. 141, 5.40 N. 142. 18 50 auch 5chwab, a.a.O.

ZWEITER TEIL

Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft nach geltendem Recht § 4: Möglichkeiten und Grenzen der Auslegung Um die Grenzen der Auslegung abzustecken, sollen der "mögliche Wortsinn" des § 62 I ZPO, der Bedeutungszusammenhang und die systematische Stellung der Vorschrift kurz erörtert werden. Gerade bei einer Problematik, zu der allerseits vorgefaßte Meinungen bestehen, ist es unumgänglich, die ganze Breite der Auslegungsmöglichkeiten zu erschließen, von denen nur wenige ohne weiteres ausgeschieden werden können. I. Die "einheitliche Feststellung des streitigen Rechtsverhältnisses" Allen Streitgenossen gegenüber soll "das streitige Rechtsverhältnis" nur einheitlich festgestellt werden können. Demnach geht es in den streitgenössischen Prozessen um ein und dasselbe Rechtsverhältnis, nicht um verschiedene, nur gleichartige Rechtsverhältnisse. Völlig offen ist, ob es auf die streitige materielle Rechtsbeziehung ankommt oder auf ihr prozessuales Pendant, den Streitgegenstand. Selbst an den Urteilsgegenstand ist zu denken, wenn man ihn vom Streitgegenstand unterscheidet und "Feststellung" hier als Urteilswirkung interpretiert. Das ist freilich nicht notwendig, denn auch jede richterliche Beurteilung von Inzidentfragen ist in gewissem Sinn eine Feststellung!, wenn sie auch nur im Fall der Zwischenfeststellungsklage (§ 280 ZPO) selb1 Vgl. Sauer, Methodenlehre, S.222: "Der Prozeß selbst ersmeint als ein einziger großer, sich unaufhörlich entwickelnder U r t eil s z usa m m e n h a n g : alle Urteile, die sich auf den Prozeßgegenstand, seine Erforschung und Bewertung beziehen, entwickeln sich mit- und gegeneinander [ ... 1, bis sie endlich zu dem gerichtlichen Urteil geläutert werden." Rein logisch betrachtet sind Parteibehauptungen, gerichtliche Inzidentfeststellung und Urteil i. S. d. §§ 300 ff. ZPO ohne Unterschied "Urteile", d. h. Aussagen.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

ständige Rechtskraft erlangt!. "Einheitliche" Feststellung endlich kann bedeuten, daß die Entscheidungen ganz oder teilweise auf denselben Gründen beruhen, daß sie harmonieren, sich ergänzen oder denselben Inhalt haben. Nur völlige Identität ist wegen der Mehrheit der Prozesse nicht möglich: Trotz äußerer Einheit der Entscheidung, etwa in einer Urteilsurkunde oder einem Beschluß, ergeht in jedem der streitgenössischen Prozesse eine eigene Entscheidungs. 11. Die "Notwendigkeit" einheitlicher Feststellung Der zentrale Begriff der "Notwendigkeit" der einheitlichen Feststellung ist noch weniger bestimmt. Der Wortlaut gibt keinen Hinweis darauf, welcher Art diese Notwendigkeit ist und aus welchen Gründen sie besteht, ja nichts spricht dafür, daß in allen Fällen die Notwendigkeit und ihre Gründe dieselben sein müßten. Aus dem Zusammenhang ergeben sich jedoch einige allgemeine Bestimmungen: Wenn für den Richter ein realer Zwang bestünde, die streitgenössischen Prozesse einheitlich zu entscheiden, wäre das Institut der besonderen Streitgenossenschaft überflüssig. Die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung kann daher nur als Forderung an den Richter verstanden werden, denn er soll diese Entscheidung durch ein besonderes Verfahren herbeiführen. Die einheitliche Feststellung ist also notwendig im Sinn eines SoUens, und diese Art der Notwendigkeit verliert ihren Charakter nicht dadurch, daß sie in vielen Einzelfällen nicht zum Ziel kommt, sei es, daß der Richter seine Pflicht nicht erkennt oder ihr zuwiderhandelt, oder daß ein höherrangiges Gebot dem entgegensteht. Es gibt zu Mißverständnissen Anlaß, daß man mit einem gewissen Recht Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung sowohl die Voraussetzung der besonderen Streitgenossenschaft als auch ihre Wirkung nennt. Im zweiten Fall besteht diese Notwendigkeit für den Richter nach Abschluß der Sachverhandlung, weil dank der besonderen Streitgenossenschaft die in den streitgenössischen Prozessen zur Entscheidung stehenden Sach- und Rechtslagen einheitlich sind und der Richter darum den einzelnen Streitgenossen gegenüber nicht unterschiedliche Feststellungen treffen kann, ohne das Recht zu verletzen. Hingegen darf die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung als Tatbestandsmerkmal der besonderen Streitgenossenschaft deren Wirkungen nicht voraussetzen - das wäre eine petitio principii. Sie muß bereits außerhalb des Prozesses begründet sein und wird im Prozeß nur verwirklicht4• ! Zur Rechtskraft der Entscheidungsgründe vgL Zeuner, Rechtskraft, S. 6 1.; Habscheid, Streitgegenstand, S. 293 f. 3 s. u. § 6 IV bei N.52. 4 Kisch Diss., S. 18 N. 2.

§ 5: Exkurs: Der Wille des Gesetzgebers

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UI. Die systematische Stellung des § 62 ZPO Wie bereits ausgeführt 6, ist der Tatbestand der besonderen Streitgenossenschaft als Sonderfall der §§ 59 ff. ZPO zu sehen. Deshalb wird mitunter behauptet, er sei als Ausnahmevorschrift eng auszulegen'. Die Auslegung einer Norm kann aber nicht danach beurteilt werden, ob sie sich enger an den Bedeutungskem der Begriffe hält oder den Randbereich einbezieht oder nach ähnlichen logischen Gesichtspunkten, die eine Interpretation als "eng" oder "weit" erscheinen lassen7 • Die Auslegung hat gerade so weit zu gehen, als sie vom Regelungszweck gedeckt wird8 • Aus der Formulierung der Normen in Regel und Ausnahme kann auch nicht auf Rang und Geltung der sie tragenden Rechtsgedanken geschlossen werden, denn das im Interesse der Darstellung entworfene äußere System der Rechtsordnung ist nicht eine bloße Spiegelung ihres inneren Systems'. Der einer speziellen Vorschrift zugrundeliegende Gedanke kann mit dem Grundsatz durchaus gleichrangig sein, ja es könnte, was im begrenzten Zusammenhang als Grundsatz erscheint, in Wahrheit Ausnahme einer allgemeineren Regel sein, die von der speziellen Norm für einen bestimmten Bereich wieder zur Geltung gebracht wird10•

§ 5: Exkurs: Der Wille des Gesetzgebers Argumente aus der Gesetzgebungsgeschichte, die in der Diskussion über die besondere Streitgenossenschaft längst in den Hintergrund getreten waren, gewannen neue Aktualität durch Blomeyers Aufsatz über den Gemeinschaftsprozeß von Miteigentümern und Miterbeni, der breiteste Zustimmung fand'. Blomeyer begründet dort die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung mit der in den Gesetzesmaterialien erwähnten "Unteilbarkeit des streitigen Rechtsverhältnisses" . Den Wert dieses Arguments gilt es zu überprüfen, was im Rahmen einer "historischen Auslegung" des § 62 I ZPO geschehen soll. s. o. § 2 III bei N.5. Vgl. Hellwig, Lehrb. III, S. 174 f.; eingehende Kritik an diesem "Auslegungsgrundsatz" übt Gaul, Wiederaufnahmerecht, S. 37 f. 7 VgI. Engisch, Einführung, S. 100 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 327 f. 8 Larenz, Methodenlehre, S. 320 f. • VgI. Engisch, Einheit, S. 82 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 450 f. 10 In der Tat dient die besondere Streitgenossenschaft dem allgemeinen Prozeßziel der Wahrheitsfindung. s. u. § 10 V 7. 1 AcP 159, 385 f. t s.o. §lIV3. 6

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

I. Die vorhandenen Quellen Die Vorstellungen der an der Gesetzgebung beteiligten Personen sprechen aus den verschiedenen Fassungen, die für den Tatbestand der besonderen Streitgenossenschaft vorgeschlagen und in den der Reichszivilprozeßordnung von 1877 vorausgehenden Entwürfen niedergelegt wurden. Noch deutlicher treten sie in den Sitzungsberichten der beratenden Kommissionen und den amtlichen Begründungen der Entwürfe und des Gesetzes hervor. Dagegen enthalten die Parlamentsberichte wenig Aufschlußreiches. Um den überblick über das Quellenmaterial zu erleichtern, sei ein kurzer Abriß der Gesetzgebungsgeschichte vorausgeschickt'. Im September 1862 trat in Hannover eine Kommission zusammen, die in zwei Sitzungsperioden (1862-1864 und 1865/66) über eine allgemeine Zivilprozeßordnung für die Staaten des Deutschen Bundes beriet und am Ende jeder Lesung einen Entwurf veröffentlichte. Etwa gleichzeitig tagte, seit dem Frühjahr 1861, in Berlin eine preußische Kommission, deren Arbeit 1864 mit dem "Entwurf einer Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für den preußischen Staat" abschloß. Nach diesen Vorlagen entwarf die von 1868 bis 1870 in Berlin tagende sog. norddeutsche Kommission eine ZPO für den Norddeutschen Bund, deren vom preußischen Justizministerium überarbeitete Fassung 1871 in Berlin als erster "Entwurf einer deutschen Civilprozeßordnung" (daher als "Entwurf I" bezeichnet) publiziert wurde. Eine vom Bundesrat eingesetzte Kommission faßte noch einmal alle Vorarbeiten zusammen und erstellte bis März 1872 den sog. Entwurf Ir. Eine verbesserte Fassung davon (Entwurf III oder einfach "der Entwurf" genannt) nahm der Bundesrat im Juni 1874 an und legte sie mit den Entwürfen der anderen Justizgesetze dem Reichstag vor, der sie noch im gleichen Jahr in erster Lesung an die aus seiner Mitte gebildete Justizkommission verwies. Nach weiteren Veränderungen wurde die CPO in zweiter Lesung vom Reichstag gebilligt und schließlich ohne Debatte in dritter Lesung mit dem GVG zusammen verabschiedet. Nach eingeholter Schlußgenehmigung des Bundesrats wurde sie am 30. 1. 1877 als Reichsgesetz verkündet. ß. Der Wert der Quellen für die Auslegung

Die Vorarbeiten zum Gesetz können der Auslegung wertvolle Hinweise geben. Durch Einzelbeispiele lenken sie den Blick auf vergleichbare Fälle des heutigen bürgerlichen Rechts. Typische Strukturen, aus S

Vgl zum folgenden Endemann, Kommentar I, S.3 f.

§ 5: Exkurs: Der Wille des Gesetzgebers

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denen besondere Streitgenossenschaft abgeleitet wird, lassen sich u. U. im geltenden Recht wiederfinden. Vor allem aber kommt es auf den Zweck an, den der Gesetzgeber mit der Regelung verfolgte, und die darin liegende rechtspolitische Entscheidung, denn sie bleiben im Zusammenwirken mit den objektiven, der Rechtsordnung immanenten Zwecken leitender Gesichtspunkt der Auslegung'. Die besondere Streitgenossenschaft wegen notwendig gemeinsamer Rechtsverfolgung wurde schon damals allgemein anerkannt, wenn es auch einige Meinungsverschiedenheiten darüber gab, wie der Zwang zur gemeinsamen Prozeßführung rechtlich zu konstruieren war und in welchen Fällen er bestand. Es genügt daher, über die Fälle der besonderen Streitgenossenschaft zu referieren, auf die sich von jeher der Streit konzentrierte.

m. Die Unteilbarkeit des Streitgegenstands oder des streitigen Bechtsverhältnisses 1. Nadlwels aus den Quellen

Der Wortlaut des § 59 der CPO vom 30. 1. 18775 findet sich bereits in § 59 des Entwurfs 111 und in § 58 der Entwürfe I und 11. Die norddeutsche Kommission formulierte zunächst als § 79 a: "Ist der Streitgegenstand unteilbar oder ...8." Zur Verbesserung wurde vorgeschlagen7 : a) "Kann wegen Unteilbarkeit des Streitgegenstands oder wegen Einheit der Vermögensmasse, zu welcher der Streitgegenstand gehört, nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur in gleicher Weise festgestellt werden ... " b) "Ist der Streitgegenstand derartig unteilbar, daß nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts nur ein einheitliches Urteil ergehen kann, ... " c) "Kann wegen ... [so o. zu a] nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts nur ein gleichlautendes Erkenntnis für oder gegen die Streitgenossen erfolgen ...". Die endgültig beschlossene Fassung (§ 86 des Entwurfs) - "Kann nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werVgl. Larenz, Methodenlehre, S. 296 1., 311 f., 321. § 62 seit Ges. v. 17.5.1898. • Protokolle II, S. 795. 7 Protokolle III, S. 1270. 4 I

3 Huaold

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

den ... " - unterscheidet sich kaum noch von dem abstrakten Wortlaut der späteren Entwürfe und des Gesetzes. Ob man den Tatbestand nicht mit Kasuistik überladen wollte oder nicht sicher war, alle einschlägigen Fälle zu treffen, und deshalb eine konkretere Formulierung ablehnte: in der Sache wurde gegen die aus dem Gesetzestext ausgeschiedenen Merkmale nichts vorgebracht. Sie begegnen in den Begründungen der Entwürfe I und II und den Motiven zu Entwurf III in fast denselben Worten. Auch dort werden als typische Fälle der besonderen Streitgenossenschaft erwähnt: "Unteilbarkeit des streitigen Rechtsverhältnisses" und "Unteilbarkeit des Streitgegenstands, je nach der Auffassung, welche eine solche Unteilbarkeit in den bürgerlichen Rechten gefunden hat"8. Die zunächst befremdliche Gegenüberstellung von Streitgegenstand und streitigem Rechtsverhältnis erklärt sich aus dem am Modell der Leistungsklage orientierten Sprachgebrauch der Zeit. Unter Streitgegenstand verstand man die Sache oder den Leistungsgegenstand, den der Kläger für sich beanspruchte, und unterschied davon das streitige Recht auf die Leistung'. Daß die Motive von der Unteilbarkeit eines Rechtsverhältnisses sprechen, hat nichts Besonderes zu bedeuten1o• Die zeitgenössische Privatrechtsliteratur kennt nur unteilbare Sachen, Unteilbarkeit des Leistungsgegenstands einer Forderung und unteilbare Rechte und Verbindlichkeiten. 2. Die "Unteilbarkeit" Dach gemeinem Recht

Nach gemeinem Recht sind Sachen teilbar, wenn sie ohne Zerstörung ihres Wesens oder unverhältnismäßige Wertminderung in mehrere Ganze zerlegt werden könnenl l . Ähnlich wird die Teilbarkeit des Leistungsgegenstands einer Forderung definiertlI. Dingliche Rechte nennt man unteilbar, wenn sie nur am Ganzen einer Sache, nicht an ideellen Bruchteilen bestehen könnenlS• In diesem Sinn sind teilbar z. B. Eigentum, Nießbrauch und Pfandrecht, unteilbar dagegen Usus und Grunddienstbarkeiten. 8 Begr. zu Entw. I, S.269; Begr. zu Entw. n, S.101 = Mot. zu Entw. nI (Hahn II), S. 82/83. I Vgl. Bolgiano, Handbuch, S.157; Freudenstein, Rechtskraft, S.248. Daneben wird auch das vom Kläger in den Prozeß eingeführte materielle Recht als "Prozeßgegenstand" oder "Gegenstand der Feststellung" bezeichnet. Vgl. Wach, Der FeststeUungsanspruch, Leipzig 1889, und Henckel ZZP 70, 449 (mit Nachw. in N.2, 3). 10 So, im Ergebnis übereinstimmend, auch Freudenstein, Rechtskraft, S. 247 f. und Hachenburg, Streitgenossenschaft, S.2 N.8. 11 Arndts, Pandekten, S.69; Demburg, Pandekten I, S.177; Siebenhaar, Sächs. Privatrecht, S.77. 12 Arndts, Pandekten § 204; Demburg, Pandekten § 24; Windscheid, Pandekten II § 253. 13 Amdts, Pandekten, S. 70, 72 N. 6.

§ 5:

Exkurs: Der Wille des Gesetzgebers

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Bei unteilbaren oder solidarischen VeTbindZichkeiten kann jeder Gläubiger die ganze Leistung ("solidum") fordern und jeder Schuldner ist verpflichtet, die ganze Leistung zu erbringen, aber es braucht nur einmal geleistet zu werdenu. Die Unteilbarkeit tritt ein kraft Parteiwillens oder besonderer gesetzlicher Bestimmung und regelmäßig bei unteilbarem Leistungsgegenstand15• Schuldner können jedoch eine unteilbare Leistung auch so übernehmen, daß jeder nur seine Mitwirkung zu dem einheitlichen Gesamterfolg schuldet18 • Die Solidarobligationen werden eingeteilt in bloß solidarische Obligationen (i. e. S.), bei denen die Schuldner dem Gläubiger gegenüber relativ selbständig sind, und Korrealobligationen, deren Schuldner grundsätzlich füreinander einstehen müssen17 • Dementsprechend konstruiert Windscheid die Korrealobligationen als eine einheitliche Forderung mit mehreren Passivsubjekten, die Solidarobligationen (i. e. S.) als Mehrheit von Einzelforderungen18• Im einzelnen ist sehr umstritten, welche in der Person eines Schuldners eintretenden Tatsachen das Verhältnis der anderen zum Gläubiger beeinflussen, wie weit die Verfügungsbefugnis und das Klagerecht des einzelnen gehen und ob die Rechtskraft eines zwischen ihm und dem Gläubiger ergangenen Urteils auf die Mitschuldner ausgedehnt wird. Analoges gilt für solidarische GZäubiger. 3. Ertrag filr das geltende Recht

Aus diesem kurzen Überblick ergibt sich einmal, daß die "Unteilbarkeit des Streitgegenstands" nicht gesondert aufgeführt zu werden brauchte, denn sie fällt praktisch mit dem Fall der Solidarobligationen wegen Unteilbarkeit des Leistungsgegenstands zusammen111• Im übrigen sind allein im gemeinen Recht die Gestaltungen der unteilbaren Rechte und Verbindlichkeiten so vielfältig und umstritten, von der Zersplitterung der Partikularrechte ganz zu schweigen, daß aus dem Hinweis auf diesen Strukturtypus nicht erkennbar ist, welches Moment für die besondere Streitgenossenschaft den Ausschlag geben sollte. Immerhin wird auf die vergleichbaren Fälle des geltenden Rechts zu achten sein, insbesondere die Gesamtschuldnerschaft (§§ 421 ff. BGB) , die Gesamtgläubigerschaft (§§ 428 ff. BGB) , das Rechtsverhältnis mehrerer Gläubiger oder Schuldner einer unteilbaren Leistung nach §§ 431, 432 BGB und die Gesamthandsschuld. Und noch eines fällt auf: Gerade wegen seiner "Unteilbarkeit" konnte dasselbe Recht mehrere Aktiv- oder 14 Demburg, a.a.O.; Windscheid, Pandekten II, S.134, 135 N.3; Siebenhaar, Sächs. Privatrecht, S. 454, 578. 111 Windscheid, a.a.O. 18 Windscheid. Pandekten II, S. 180. 17 Auch zum folgenden: Windscheid, Pandekten II §§ 292 f.; Freudenstein. Rechtskraft § 26. 18 Windscheid, Pandekten II §§ 292, 293. a. A. Demburg, Pandekten II § 72. 19 Ähnlich Freudenstein, Rechtskraft, S.248.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

Passivsubjekte haben, und· nur in diesem Fall waren nach dem damals herrschenden materiellen Parteibegriff2° mehrere Kläger oder Beklagte über dasselbe Recht prozeßführungsbefugt. Damit stimmt überein, daß die Vorarbeiten und das Gesetz von dem Recht oder Rechtsverhältnis, das Gegenstand der streitgenössischen Prozesse ist, konsequent im Singular sprechen, also von einer Identität des Streitgegenstandes ausgehen. IV. Einzelfälle der. besonderen Streitgenossenschaft

Auch eine Reihe von Einzelfällen, in denen besondere Streitgenossenschaft stattfinden soll, wird zur Erläuterung angeführt. Während man das Beispiel der OHG als bestritten nur am Rande erwähnt, werden die Prozesse mehrerer Berechtigter oder Verpflichteter über Grunddienstbarkeiten nach gemeinem Recht!1 und "die Verhältnisse des Miteigentums und Miterbrechts nach dem ALR und der Auffassung des preußischen Obertribunals"22 mit Sicherheit hierher gerechnet. 1. Die .Grunddienstbarkeit des gemeinen Rechts

Die Grunddienstbarkeit des gemeinen Rechts ist ein unteilbares Recht (s.o.). Sie belastet das ganze Grundeigentum, nicht den Anteil des Miteigentümers, und ist mit dem ungeteilten Eigentumsrecht am herrschenden Grundstück verbunden. Für Prozesse über die Grunddienstbarkeit ist jeder der Miteigentümer des herrschenden Grundstücks prozeßführungsbefugt, jeder Miteigentümer des dienenden Grundstücks kann selbständig belangt werden. Das von dem einzelnen erstrittene Urteil wirkt für und gegen alle Miteigentümer Rechtskraft, worauf die zitierten Quellen beiläufig hinweisen. 2. Miterbrecllt und Miteigentum nach preußischem Recht

Nach preußischem Recht steht der Nachlaß, einschließlich der darin enthaltenen Forderungen, im Miteigentum (sie) der Erben!!. Realisierbare Anteilsrechte an Einzelgegenständen gibt es nicht. Die Verwaltung des Nachlasses und die Verfügung über seine Bestandteile ist grundsätzlich der Gesamtheit der Erben vorbehalten. Der einzelne ist zwar berechtigt, Schulden einzuziehen und die Herausgabe von Sachen zu 20 Daher unterschied man auch nicht zwischen Sachlegitimation und Prozeßführungsrecht. Vgl. Henckel ZZP 70, 449 (bei N. 5). 21 Mot. zum Preuß. Entw. (1864), S.86; Begr. zum Entw. I, S.269; Begr. zum Entw. II, S. 101 = Mot. zum Entw. III (Hahn In, S. 82. 22 Begr. zum Entw. I, S. 269; Begr. zum Entw.II, S.102 (unter Berufung auf Prot. d. Norddeutschen Komm. II, S.637-639, 795/96; III, S.1270) = Mot. zum Entw. III (Hahn II), S. 82/83. es ALR I 17 § 151'; Dernburg, Preuß. Privatrecht nr, S. 703 f.

§ 5: Exkurs: Der Wille des Gesetzgebers

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betreiben, kann aber nur Hinterlegung zur Abführung an den Nachlaß verlangen. Die Rechtskraft eines von ihm erwirkten Urteils berührt die Miterben nichtll'. Vor der Teilung des Nachlasses schulden die Erben solidarisch%5. Für die anderen Fälle des Miteigentums gilt Entsprechendes!6. Nach der in der Lehre herrschenden Auffassung können die Miteigentümer aus Forderungen, die den gemeinsamen Gegenstand betreffen, nur in Höhe ihrer Quote in Anspruch genommen werden, nach der Rechtsprechung schulden sie solidarisch27• Die Rechtsprechung lehnt Rechtskrafterstreckung ab, während die Lehre keinen eindeutigen Standpunkt einnimmt%8. 3. Ertrag fllr das geltende Recht

Für den Tatbestand der besonderen Streitgenossenschaft ist diesen Beispielen nicht viel mehr zu entnehmen als der Hinweis auf die §§ 1011 und 2039 BGB. Auch hier handelt es sich um die Prozesse mehrerer Streitgenossen über dasselbe (behauptete) materielle Recht. Eine Rechtskrafterstreckung liegt nur in einigen Fällen vor. Sie wird nirgends als wichtiges oder entscheidendes Moment herausgestellt. V. Die Gründe der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung Die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung in Prozessen von Streitgenossen um ein unteilbares Recht wird doppelt begründet. Einmal soll nicht dasselbe materielle Rechtsverhältnis allein wegen unterschiedlicher Prozeßführung den Streitgenossen gegenüber verschieden festgestellt werden29, zum andern wird e contrario argumentiert, daß aus sich widersprechenden Urteilen unerwünschte Folgen entstehen könnten. In stereotypen Formeln ist von "schwer zu lösenden Verwickelungen"29 oder "unlösbaren Verwickelungen"SO die Rede und von Unmöglichkeit der Vollstreckung, wenn nur ein Streitgenosse verurteilt wirdsI. Es mag auf sich beruhen, welche Schwierigkeiten in den besprochenen Fällen des damaligen Rechts tatsächlich auftraten. Unabhängig davon ist festzuhalten, daß besondere Streitgenossenschaft eintreten soll, um den Konflikt der Urteilswirkungen bei widersprechenden Entscheidungen zu verhindern. Demburg, a.a.O. (S. 706/07) mit Hinweis auf die Rspr. des Obertribunals. Demburg, a.a.O. (S. 703). 28 Dernburg, Preuß. Privatrecht I, S. 534 f. Z7 Dernburg, a.a.O.; Förster-Eccius, Preuß. Privatrecht 111, S.319 N.43. 28 Dernburg, a.a.O. (N. 14); Förster-Eccius, a.a.O. 29 Mot. zum Preuß. Entw. (1864), S. 86. so Begr. zum Entw. I, S.269; Begr. zum Entw. lI, S. 102 = Mot. zum Entw.III (Hahn 11), S.83. 31 Prot. d. Norddeutschen Komm. 11, S.637. !4 !5

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

§ 6: Besondere Streitgenossenschaft bei gemeinsamer Proze6fühmngsbefugnis Die Erörterung der anerkannten wie später die Prüfung der umstrittenen Fälle der besonderen Streitgenossenschaft hält sich ungefähr an folgendes Schema. Zunächst werden die prozessualen Grundlagen des jeweiligen Tatbestandes und seiner Regelung und ihre Wurzeln im materiellen Recht dargestellt. Die davon ausgehende Untersuchung konzentriert sich auf die Frage, ob die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung für den konkreten Fall teleologisch begründet werden kann, m. a. W. ob die Einheitlichkeit der Entscheidung als notwendiges Mittel zur Verwirklichung eines von der Rechtsordnung gewollten Zweckes erscheint. Die prozessualen und materiellrechtlichen Umstände, das bisherige Ergebnis der Auslegung und nicht zuletzt die Literatur weisen jeweils auf bestimmte Gründe der besonderen Streitgenossenschaft hin, die geprüft und mit möglichen Gegenargum.enten abgewogen werden. Die Entscheidung für oder gegen die Anwendbarkeit des § 62 ZPO ist das Resultat einer abschließenden Gesamtwertung. I. Zur Regelung der besonderen Streitgenossenschaft Rechtsprechung und Lehre haben für die anerkannten Fälle der besonderen Streitgenossenschaft ein entsprechendes Regelungsmodell entwickelt. Die besondere Streitgenossenschaft besteht danach vom Beginn der Sachverhandlung bis zum Urteil, unabhängig vom konkreten Prozeßverlaufl. "Einheitlichkeit der Entscheidung" bedeutet Gleichzeitigkeit der Urteile und - von den Parteien abgesehen Identität des UrteilsinhaltsI. Diese übereinstimmung ist nur bei Identität des Streitgegenstands möglich3 • Umgekehrt ist das Verfahren der besonderen Streitgenossenschaft darauf zugeschnitten, bei Identität des Streitgegenstands eine in diesem Sinn einheitliche Entscheidung herbeizuführen. ß. Die besondere Streitgenossensc:haft und das Problem des Streitgegenstandes

Mit der Voraussetzung der Identität des Streitgegenstands rührt die besondere Streitgenossenschaft an die Lehre vom Streitgegenstand, und es ist zu prüfen, wie weit die beiden Problemkreise sich decken. 1 ! 3

Zur Klageänderung s. o. § 3 I1 bei N.9. Lent IhJ 90, S. 29, 45; Henckel, Parteilehre, S. 201. Vgl. Kisch Judicium 3, Sp. 246; Lent IhJ 90, S.45, 55.

§ 6: Gemeinsame Prozeßführungsbefugnis

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Die Forderung der Identität des Streitgegenstands ist für jeden der vertretenen Streitgegenstandsbegriffe sinnvoll. Sie setzt nicht mehr voraus, als daß auf die verglichenen Prozesse derselbe Begriff gleichgültig welcher - angewandt wird und daß die formellen Parteien den Streitgegenstand nicht individualisieren4 • Die Prüfung der verschiedenen Tatbestände der besonderen Streitgenossenschaft und die Suche nach den Gründen der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung zwingen dazu, ständig zwischen dem Prozeß und dem materiellen Recht hin und her zu gehen und damit vorauszusetzen, daß dem prozessualen Streitgegenstand ein streitiges materielles Recht oder Rechtsverhältnis zugeordnet werden kann. Das verbindende Moment ist die prozessuale Rechtsbehauptung, die nach heute allgemeiner Ansicht im Streitgegenstand enthalten ist. Sie erscheint entweder selbst als der Streitgegenstand5 oder integriert in ein Rechtsschutzbegehren8, das den Streitgegenstand bildet. Die Beziehung zum materiellen Recht ist eindeutig, wenn der Kläger mit Berufung auf einen Sachverhalt und einen Gesetzestatbestand die Existenz eines bestimmten materiellen Rechts behauptet, was nur ausnahmsweise zulässig ist7• Daß auch die sog. allgemeine Rechts- oder Rechtsfolgebehauptung8 sich auf das materielle Recht bezieht, ist selbstverständlich für Theorien, die den Streitgegenstand unter Anlehnung an materiellrechtliche Normen abgrenzen9 , wird aber auch von den rein prozessualen Theorien nicht in Zweifel gezogen lO • Nur so konnte von der modernen Streitgegenstandstheorie der Anstoß zur Korrektur des materiellen Anspruchsbegriffs und der Lehre von der Anspruchskonkurrenz ausgehen11 • 4 Der Streitgegenstand wird statt dessen nach den "behaupteten Subjekten des behaupteten Rechts" abgegrenzt (vgI. Henckel, Parteilehre, S. 254). 5 Vgl. Nikisch, Streitgegenstand, S.2, 14 f.; ders., Lehrb. §§ 42 I 4, 47 II 1; ders. AcP 154, 273 f.; Habscheid, Streitgegenstand, S. 132 f. 8 VgI. Rosenberg, Lehrb. § 88 II 2; Schwab, Streitgegenstand, S. 186 f. (188); Lent-Jauernig § 37 IV. 7 Vgl. Blomeyer, Lehrb. §§ 40 VI b, 89 III 4; Habscheid, Streitgegenstand, S.151 f. 8 VgI. Rosenberg, Lehrb. § 88 II 1 c; Schwab, Streitgegenstand, S.18 f., 98 f.; Habscheid, Streitgegenstand, S. 141 f. 9 Lent ZZP 57, 13f.; Lent-Jauernig §37VIII; Blomeyer, Berliner Festschr., S. 56 f.; ders., Festschr. f. Lent, S. 72 f.; Nikisch AcP 154, 273 f.; Henckel, Parteilehre, S. 253 f.; vgI. auch Schnorr v. Carolsfeld, Festschr. f. Lent, S. 253 f. (insbes. N. 38). 10 VgI. Schwab, Streitgegenstand, S.141: "Der prozessuale Anspruch ist die Form, in der im Prozeß das materielle Recht geltend gemacht wird." s. auch Habscheid, Streitgegenstand, S. 105/06. 11 VgI. Nikisch AcP 154, 281 f. und seiner Anregung folgend: Larenz, Schuldrecht II §§ 58 III, 69 IV; Esser, Schuldrecht (2. Aufl.) § 23, 2-3; § 201, 3 g; Eichler AcP 162, 417; Bruns, Festschr. f. Schmidt-Rimpler, S. 252 f.; Jahr-Kropf JuS 62, 442; Fikentscher, Schuldrecht § 102 Via; Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 125 f., 164, 167 f.; vgI. auch Henckel, Parteilehre, S. 256 f.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

Die Frage, ob die geforderte Identität des Streitgegenstands neben der Rechtsbehauptung auch das Rechtsschutzziel umfaßt, wird - soweit erskhtlich - in der Literatur nicht behandelt. Um die Untersuchung nicht von vornherein zu beschränken, muß von einer vollen übereinstimmung der Streitsachen ausgegangen werden, solange nicht feststeht, wie die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung im Streitgegenstand und den Urteilswirkungen begründet istl!. III. Gemeinsame Prozeßführungsbefugnis und Identität des Streitgegenstands Wenn gemeinsame Prozeßführungsbefugnis in allen Fällen besondere Streitgenossenschaft des geschilderten Typs zur Folge haben soll. muß sie stets mit Identität des Streitgegenstands verbunden sein13 • Die Literatur zur besonderen Streitgenossenschaft setzt dieses Zusammentreffen ohne weitere Prüfung voraus, und auch die eingeführte Tenninologie geht davon aus: Der Begriff der "gemeinsamen" Prozeßführungsbefugnis beruht auf der Vorstellung einer Mehrheit von Personen, die zusammen für denselben Streitgegenstand prozeßführungsbefugt sind u . Dennoch ist die Zusammengehörigkeit von gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis und Identität des Streitgegenstands keineswegs "denknotwendig" . Es erscheint durchaus möglich, auch Klagen, bei denen Identität des Streitgegenstands nicht gegeben und inhaltsgleiche Sachentscheidung daher ausgeschlossen ist, in dieser Weise zu verbinden, wenn die Streitgegenstände so weit zusammenhängen oder ähnlich sind, daß sie zur selben Zeit bei demselben Gericht anhängig werden können, und Zweckmäßigkeitsgründe für ihre gemeinsame Verhandlung und Entscheidung sprechen. Es hängt daher von den allgemeinen Prinzipien ab, nach denen das geltende Recht die Prozeßführungsbefugnis gewährt, ob gemeinsame Prozeßführungsbefugnis ausnahmslos mit Identität des Streitgegenstands verknüpft ist15 • I. Die Voraussetzungen der geineinsamen Prozeßftlhrungsbefugnis

Bei Feststellungs- und Leistun!!sklage setzt das Prozeßführungsrecht des Klägers ein Vennögensinteresse an der Prozeßführung voraus und i. d. R. die Verfügungsbefugnis über das behauptete Recht18• Wenn s. jedoch unten § 10 IX 3. s. o. I. 14 Daher auch die Tendenz, eine einheitliche Partei, einen Proze8 und ein Urteil anzunehmen. s. u. IV. 15 Die folgenden Ausführungen stützer). sich weitgehend auf die Analysen von Henckel, Parteilehre, S. 37 ff. 18 Henckel, a.a.O., S. 41 f., 86 f., 105. 1!

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dieses Recht der gemeinschaftlichen Verwaltung und Verfügung mehrerer Personen unterliegt, schützt das Gesetz daher im allgemeinen nur das gemeinsame Interesse an der Rechtsverfolgung und ordnet gemeinsame Prozeßführungsbefugnis an. Die Prozeßführungsbefugnis des Beklagten beruht darauf, daß der Kläger mit der Klage gegen diese bestimmte Person sein Rechtsschutzziel erreicht. Das bedeutet für die Leistungsklage, daß der erstrittene Titel dem Kläger die Möglichkeit gibt, sich die Leistung im Wege der Zwangsvollstreckung zu verschaffen11 • Bei Geldansprüchen muß daher der Beklagte (allein) wenigstens über eines der haftenden Vermögen verfügen können. Haftet dagegen nur ein bestimmtes Sondervermögen, über das mehrere Personen gemeinsam verfügen, sind sie gemeinsam zu verklagen. Aus demselben Grund ist die Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung gegen die Person oder Personenmehrheit zu richten, die zur Verfügung über den Gegenstand der Haftung berechtigt ist18• Wenn die mehreren Schuldnern obliegende Leistung nur durch ihr Zusammenwirken erbracht werden kann, würde die Klage gegen einen von ihnen ebenfalls nicht zum Ziel führen 19 • Richtiger Beklagter der FeststeHungsklage ist jeder, der dem Kläger Anlaß zur Klage gegeben und damit ein Interesse an der Feststellung begründet hat!o. Falls mehrere das Recht des Klägers bestreiten, kann er grundsätzlich gegen sie einzeln vorgehen. Nur, wenn ausschließlich die Feststellung interessiert, daß der Kläger mit allen Bestreitenden in einem gemeinsamen Rechtsverhältnis steht oder wenn die Feststellung des angegriffenen Rechts gegenüber einzelnen Bestreitenden ohne jeden Wert ist, ist Einzelklage unzulässig21 • Das Rechtsschutzinteresse des Gestaltungsklägers folgt aus einem ihm zustehenden oder von ihm verwalteten Anteil an dem zu gestaltenden Recht oder Rechtsverhältnis. Die Verfügungsbefugnis darüber ist - ähnlich wie bei Feststellungs- und Leistungsklage - regelmäßige Voraussetzung des Klagerechtg!!. Einem geteilten Verfügungsrecht entspricht dann gemeinsame Prozeßführungsbefugnis. Hendtel a.a.O., S. 52 f., 106. Henckel a.a.O., S. 62, 71, 106. 19 Beispiele dafür sind die Konzertverpflichtung einer Kammermusikvereinigung (liolzhammer, Parteienhäufung, S. 83), der Anspruch auf übereignung einer im Gesamthandseigentum stehenden Sache (lienckel a.a.O., S.57) oder der Anspruch gegen mehrere VerfügungSberechtigte auf Abgabe einer Willenserklärung mit verfügendem Inhalt (liendtel a.a.O., S. 78). !O Henckel a.a.O., S. 90 f., 106. 21 So Hendtel a.a.O., S. 92 N. 161, 93 f. und die bei StJSch-Pohle § 62 Anm. III 3 nachgewiesene Rspr.; dagegenPohle a.a.O. und Zöller-Degenhart §62 Anm.2e. !2 VgI. Henckel a.a.O., S. 99 f., 102. 11

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

Ein Zwang zu gemeinschaftlicher Prozeßführung auf der Klägeroder Beklagtenseite kann sich auch daraus ergeben, daß das Gestaltungsurteil wie eine materiellrechtliche Verfügung die Rechtslage gegenüber jedermann ändertla. So müssen grundsätzlich alle Personen, deren Mitwirkung nach materiellem Recht zur Verfügung über das von der Gestaltung betroffene Recht oder Rechtsverhältnis notwendig wäre, als Kläger oder Beklagte am Verfahren beteiligt werden". Damit nicht gegen den Willen des einzelnen gestaltet werden kann, sind die mehreren Kläger oder Beklagten nur gemeinsam prozeßführungsbefugt!5. Der kurze überblick über die Grundlagen der Prozeßführungsbefugnis bei den verschiedenen Klagearten zeigt klar, daß gemeinsame Prozeßführungsbefugnis immer und nur dann vorliegt, wenn mehrere Personen zusammen die Voraussetzungen der Prozeßführun'gsbefugnis für einen bestimmten Streitgegenstand erfüllen. Das gemeinsame Rechtsschutzinteresse, das die Kläger oder Beklagten verbindet, betrifft ein konkretes Rechtsschutzziel, und die gemeinsame Verfügungsbefugnis bezieht sich auf dasselbe Recht, das Gegenstand einer bestimmten Rechtsbehauptung ist. Identität des Streitgegenstands ist also in allen Fällen gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis gegeben. 2. Die gemeinsame Proze8filhnmgsbefagnla

im materiellredltudlen Zusammenhang

Der vorgetragene abstrakte Gedankengang ist nun an den wichtigsten Fällen der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis zu überprüfen. Dabei wird sich zeigen, welchen Inhalt der -identische - Streitgegenstand in den Prozessen gemeinsam prozeßführungsbefugter Streitgenossen hat, insbesondere, wieweit die materiellrechtliche Stellung aller Genossen im Prozeß des einzelnen von ihnen streitig ist. Bei dieser Gelegenheit kann auch auf die Zusammenhänge des materiellen Rechts hingewiesen werden, in denen regelmäßig gemeinsame Prozeßführungsbefugnis auftritt und die daher für die Frage nach den Gründen der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung von Wichtigkeit sind. Auf eine mehr oder weniger reichhaltige AufzählllI!g von Fällen der ge!3 So im Ergebnis h. M. (vgL Kuttner, Nebenwirkungen, S.178; Henckel aa.O., S. 207 und die bei Blomeyer, Lehrb. S. 497 N. 4, nachgewiesene Literatur). Einwände gegen die Gestaltungswirkung inter omnes sind jedoch wenigstens insoweit berechtigt, als ein Gestaltungsurteil, das zwischen nicht (allein) prozeßführungsbefugten Parteien erging, gegenüber der am Verfahren nicht beteiligten (materiellen) Partei nicht wirksam sein kann (vgL dazu die bei Leipold ZZP 81, 74 f. angegebene Lit.). U Vgl. Henckel a.a.O., S. 95 f., 99 (zur aktiven Prozeßführungsbefugnis); S. 102 f., 105 (zur passiven Prozeßführungsbefugnis). U Vgl. z. B. §§ 117, 127, 140 HGB einerseits, § 133 HGB andererseits.

§ 6: Gemeinsame Prozeßführungsbefugnis

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meinsamen Prozeßführungsbefugnis, wie sie in jedem Kommentar zu § 62 ZPO zu finden ist, kommt es dabei nicht an. Allgemeine Voraussetzung der Prozeßführungsbefugnis ist, wie gezeigt, beim Kläger das Interesse an Schutz oder Durchsetzung eines Rechts und die Verfügungsbefugnis darüber, beim Beklagten das Interesse an der Verteidigung eines Rechts oder einer Vermögensmasse, die seiner Verfügung unterliegen. Der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis entsprechen also ein gemeinsames Interesse am streitigen Recht und gemeinsame Verfügungsbefugnis. Es liegt daher nahe, die Fälle der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis bei den materiellrechtlichen Verwaltungs- und Verfügungsgemeinschaften 26 zu suchen, die regelmäßig darauf beruhen, daß für ein Recht mehrere Subjekte zuständig sind. Aus der Struktur dieser Rechts- oder Verpfiichtungsgemeinschaften muß sich ergeben, welche Rechtsbehauptungen aufgestellt werden, wenn die Gemeinschafter nur zusammen prozeßführungsbefugt sind.

a) Die Mehrheit von Rechtssubjekten Für die Konstruktion einer Mehrheit von Rechtssubjekten gibt es verschiedene Modelle. Nach dem einfachsten soll das normalerweise einem Subjekt zustehende Recht unverändert bleiben, aber nun eben mehrere Subjekte haben27 • Damit wird die Teilnahme mehrerer Gemeinschafter an einem Recht nur als Tatsache anerkannt, nicht verständlich gemacht. Die Beteiligung des einzelnen ist nur als Teilrecht vorstellbar4!8. Andererseits dürfen diese Anteile nicht als voneinander unabhängige Einzelrechte aufgefaßt werden, die an die Stelle des nicht mehr existierenden ursprünglichen Rechts treten29 • Eine Rechtsgemeinschaft, wie sie dem Gesetzgeber vorschwebt30, setzt voraus, daß das Vollrecht in den Teilen fortbesteht. Die einzig angemessene Vorstellung ist daher die einer Aufgliederung des normalen Rechtsinhalts in Teile, die "in ihrer wechselseitigen Verbindung und Ergänzung" denselben Herrschaftskreis ausfüllens1 . Mit anderen Worten: "Die Rechts%8 Diesen Begriff verwenden schon die Protokolle z. BGB (Il, S. 429) und Schwab (Festschr. f. Lent, S.288) für die Gesamthand; erst Holzhammer (Parteienhäufung, S. 77 f.) zeigt jedoch seinen weiteren Anwendungsbereich und seine volle Bedeutung für Prozeßführungsbefugnis und Streitgegenstand. %7 So für die Rechtsgemeinschaft an Einzelgegenständen des Gesamthandsvermögens Lux, Streitgenossenschaft, S. 31 f., 50 und ihm folgend Lent IhJ 90,32. 28 Vgl. Larenz IhJ 83, l13 f., 146 f.; Staudinger-Lehmann § 2032 BGB Rdnr.8. 29 So v. Tuhr Allg.Teil I, S.82 für die schlichte Rechtsgemeinschaft. 30 Vgl. zur Gesamthand §§ 719, 1419, 2033 II BGB; §§ 85912, Il, 860 ZPO; zur schlichten Rechtsgemeinschaft §§ 741 f. BGB. S1 Vgl. Larenz lhJ 83, l13 f., 146 f.; ders., Allg.Teil, S.179 N.2; StaudingerLehmann § 2032 BGB Rdnr.8.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

gemeinschaft ist begrifflich [...] die Zusammenfassung unselbständiger gleichartiger Rechtsteile zu der einen Zuständigkeitsjorm eines gemeinschaftlichen Rechts nach einer bestimmten Gemeinschaftsordnung32." Es ist nicht notwendig, um der Einheit des Gesamtrechts willen die Anteile zu leugnen oder das Gesamtrecht aufzulösen, um zu begründen, daß die Anteile ein selbständiges rechtliches Schicksal haben können. Die dingliche Struktur, die Zuständigkeitsform der Rechtsgemeinschaft ist überall dieselbe; nur das obligatorische Rechtsverhältnis, die Gemeinschaftsordnung wechselt und gibt den verschiedenen Typen der Rechtsgemeinschaft ihr Gepräge33. Im übrigen ist die Mehrheit der Subjekte bei allen Arten materieller Rechte denkbar. b) Die Gesamthandsgemeinschajt

Die Gesamthandsgemeinschaft ist zunächst Gemeinschaft an einem Sondervermögen, einem Inbegriff von Rechten mit wechselndem Bestand. Einzelne Rechte stehen den Gesamthändern gemeinsam zu, weil und solange sie zu diesem Komplex gehören34 • Dasselbe gilt jedenfalls für die dinglichen Anspruche, die aus solchen Rechten abgeleitet werden. Sie sollen nur das subjektive Recht verwirklichen, sind kraft dieser Funktion unzertrennlich mit ihm verbunden und stellen keinen selbständigen Wert darU. Aber auch obligatorische Anspruche aus ungerechtfertigter Bereicherung, auf Schadensersatz oder den Gegenwert von Nutzungen dürfen aus der gesamthänderischen Bindung nicht ausscheiden und zerfallen daher nicht ohne weiteres in Einzelrechte. Die Gesamthandsgemeinschaft erlaßt also eine Vermögensmasse, die darin enthaltenen Einzelrechte und die von ihnen abgeleiteten Anspruche. Von den Anteilsrechten ist nur der Teil am Gesamthandsvermögen Gegenstand des Rechtsverkehrs, soweit es das personenrechtliche Verhältnis, dessen Pendant die Gesamthand ist, gestattet. Verfügungen über Anteile am Einzelgegenstand oder den abgeleiteten Rechten und ihre Pfändung sind generell ausgeschlossen. Der Schuldner einer Gesamthandsforderung kann nicht in Höhe des Anteils eines Gläubigers an diesen Teilleistung erbringen oder ihm gegenüber aufrechnenS6 • Diese Anteilsrechte treten also während der Dauer der Gemeinschaft praktisch nicht in Erscheinung und sind daher niemals Gegenstand eines Prozesses. 'Ober einzelne Rechte aus dem Gesamthandsvermögen als Ganze und die zugehörigen Ansprüche ist jeder Gemeinschafter Staudinger-Lehmann a.a.O. (Hervorhebungen dortselbst). Larenz IhJ 83, 164 f. S4 v. Tuhr Allg.Teil I, S.78. ss Westennann, Lehrb., S.128 f., 175. 38 s. O. N.30 und v. Tuhr Allg.Tell I, S.81 N. 12. 31

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allein prozeßführungsbefugt, wenn ihm das Verwaltungs- und Verfügungsrecht zusteht31 ; denn die Befugnis zur - außergerichtlichen und prozessualen - Geltendmachung des Rechts gegenüber Dritten ist darin eingeschlossen. Besteht Verwaltungs- und Verfügungsgemeinschaft, sind in der Regel die Gemeinschafter auch nur gemeinsam prozeßführungsbefugt38. Umgekehrt bezieht sich die gemeinsame Prozeßführungsbefugnis notwendig auf das Gesamtrecht. Im Aktivprozeß der Gesamthand behauptet daher jeder der Klägergenossen nicht nur seine eigene Berechtigung, sondern zugleich die der übrigen Gemeinschafter. Daher ist der Streitgegenstand identisch. Die Einwendung des Beklagten, einer der Kläger sei nicht Mitglied der Gesamthand und darum nicht sachlegitimiert, betrifft alle Klagen. Wenn der Einwand durchdringt, müssen auch die Klagen der übrigen Gesamthänder als unbegründet abgewiesen werden, und dies selbst dann, wenn sie die wahren Berechtigten sind; denn das streitige Recht steht nicht den von ihnen behaupteten Subjekten zu39 • Auch in diesem Fall ist einheitliche Entscheidung notwendig, und es besteht kein Grund, ihn von der besonderen Streitgenossenschaft auszunehmen'o. c) Die schlichte Rechtsgemeinschaft

Die schlichte Rechtsgemeinschaft ist auf einzelne Rechte zugeschnitten. Das Rechtsverhältnis zwischen den Teilhabern wird weder von der Zugehörigkeit des Rechts zu einem Vermögensganzen noch von personenrechtlichen Bindungen bestimmt, und die Gemeinschaft verfolgt keinen Zweck, der über die gemeinsame Ausübung des Rechts hinausgeh!,l. Daher kann der Teilhaber sein Anteilsrecht frei veräußern oder belasten41 , und es besteht u. U. ein schutzwürdiges Interesse an einer Klage auf Feststellung des Anteils, für die der Gemeinschafter - seinem Verfügungsrecht entsprechend- Einzelprozeßführungsbefugnis besitzt. Das Gesamtrecht dagegen unterliegt gemeinschaftlicher Verwaltung und Verfügung und kann i. d. R. nur von allen Teilhabern zusammen geltend gemacht werden4S • Dasselbe gilt für die aus dem 31 Vgl. z. B. §§ 1422 f. BGB. 3S ZU den Ausnahmen von dieser

Regel s. u. § 10 11 1.

s, Sie werden daher rechtzeitig den Antrag umstellen.

co Hachenburg, Streitgenossenschaft, S. 109 f.; Kisch, Parteiänderung, S.376; ders. Judicium 3, Sp. 249 und Medicus Diss., S. 64 f. kommen wegen einer unzutreffenden Auffassung des Streitgegenstands in diesen Fällen zum entgegengesetzten Ergebnis. U Sonst läge eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts vor, deren gesamthönderisch gebundenes Vermögen in dem gemeinsamen Recht bestünde. Vgl. Larenz, Schuldrecht II, S. 314. CI § 747 S.l BGB; zur Belastung des Anteils vgI. v. Tuhr, Allg.Teil I, S ..84 bei N.20. 43 Diese theoretische Regel ist für den praktisch wichtigsten und häufigsten Fall der schlichten Rechtsgemeinschaft, das Miteigentum, in § 1011 BGB durchbrachen.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

Gesamtrecht abgeleiteten Ansprüche gegen Dritte, soweit sie den Teilhabern gemeinsam zustehen, was im einzelnen umstritten ist44 • In den Grenzen der Verwaltungs- und Verfügungsgemeinschaft jedenfalls geht es beim Aktivprozeß der schlichten Rechtsgemeinschaft stets um das Gesamtrecht und gemeinsame Ansprüche. In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zur Gesamthand. d) Die Mehrheit von Gläubigern und Schuldnern

Auch eine bestimmte Art der Mehrheit von Gläubigem oder Schuldnern einer unteilbaren Leistung wird als Verwaltungs- und Verfügungsgemeinschaft charakterisiert45• Um mit der Gläubigergemeinschaft zu beginnen: Sie besteht am Anspruch auf eine Leistung, die nur einmal gefordert werden kann, nicht teilbar ist und auch als ganze nicht gegenüber einem Gläubiger allein erbracht werden kann, da sie entweder ihrer Natur nach notwendig allen zugute kommt oder nach dem Willen der Parteien gegenüber allen Gläubigem erfolgen muß, um als Erfüllung zu gelten. Beispiele dafür sind einmal der Anspruch mehrerer Gesamthands- oder Bruchteilseigentümer eines Grundstücks auf Grundbuchberichtigung (§ 894 BGB), zum andern der Anspruch mehrerer Personen, die zusammen Unterricht nehmen (§ 611 BGB). Den Rechtsbeziehungen der Beteiligten entspricht am besten die Konstruktion einer einheitlichen Forderung mit mehreren (Aktiv-) Subjekten". Damit ist eine Rechtsgemeinschaft gegeben, die in das System der vom Gesetz vorgesehenen Typen einzuordnen ist. Im ersten Beispiel wird der Anspruch aus dem Gesamthandseigentum abgeleitet und steht daher selbst in Gesamthandsgemeinschaft. Entsprechend besteht im zweiten Fall schlichte Rechtsgemeinschaft4 7• Die Personen schließlich, 44 Larenz (Schuldrecht I, S. 375) senließt aus dem Grundsatz der gemeinschaftlichen Verwaltung des Gesamtrechts, daß aien die Rechtsgemeinschaft auf alle aus ihm entspringenden dinglichen und obligatorisenen Ansprüche erstreckt. Die Ansprüche stehen also den Teilhabern gemeinsam zu und sind grundsätzlich gemeinschaftlich geltend zu maenen, da in jedem Fall aus etwaigen Einnahmen zunächst die Lasten des Gesamtrechts und die Verwaltungskosten zu decken sind. Zu demselben Ergebnis kommen, wenigstens praktisch, Erman-Ronke (§ 1011 BGB Anm. ~ A): Die aus dem gemeinschaftlichen Recht abgeleiteten Ansprüene sollen, sofern ihr Leistungsgegenstand teilbar ist, in selbständige Einzelrechte zerfallen, so daß jeder Gemeinschafter anteilige Leistung an ihn selbst verlangen kann. Andererseits wird mit BGH NJW 53,59 Teilbarkeit ausgeschlossen, wenn naen dem Innenverhältnis die Miteigentümer gemeinsam über das Geforderte zu bestimmen haben. Dies ist nach § 744 I BGB die Regel. Palandt-Degenhart (§ 1011 Anm. 2) und Staudinger-Berg (§ 1011 Anm. 1 f.) nehmen dagegen weitgehend Teilbarkeit an. 45 Vgl. Holzhammer, Parteienhäufung, S. 81 f. 48 VgI. Holzhammer, a.a.O. 47 Zur Bruchteilsgemeinschaft an Forderungsreenten VgI. Larenz IhJ 83,

165f.

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die gemeinsam einen Lehrer verpflichten, bilden wohl eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts; ihr Anspruch ist also eine Gesamthandsforderung. Die Gläubigergemeinschaft ist demnach nur ein Unterfall der Rechtsgemeinschaft. Eine ähnliche Gemeinschaft gibt es auch auf der Schuldnerseite. Die Mitschuldner haben eine unteilbare Leistung zu erbringen, die sie nur zusammen bewirken können und die der Gläubiger nur einmal fordern kann. Hier nimmt man ebenfalls eine einheitliche Forderung an, mit mehreren Passivsubjekten48 • Ein solcher Anspruch besteht, wenn Gesamthänder, die als Passivbeteiligte sonst durchweg Gesamtschuldner sind··, die Verschaffung eines Gegenstands aus dem Gesamthandsvermögen schulden oder wenn Miteigentümer sich zur übereignung der gemeinschaftlichen Sache verpflichtenGo. Diese Rechtslage ergibt sich außerdem als Folge einer Rechtsgemeinschaft bei Ansprüchen, die sich gegen den Inhaber eines Rechtes als solchen richten, falls dieses Recht mehreren gemeinsam zustehtGl • Die Schuldnergemeinschaft gleicht dann vollkommen der korrespondierenden Rechtsgemeinschaft. Aber auch, wo die Entstehung dieses besonderen Schuldverhältnisses nicht mit einer Rechtsgemeinschaft zusammenhängt, wie etwa bei der Konzertverpflichtung eines Ensembles, gilt analog, was über Prozeßführungsbefugnis und Streitgegenstand bei den Rechtsgemeinschaften gesagt wurde: Die Schuldner sind gemeinsam zu verklagen. Der Gläubiger macht gegen jeden von ihnen ein und dieselbe Forderung geltend, stellt also dem Inhalt nach identische Rechtsbehauptungen auf. IV. Notwendigkeit einheitlicher Feststellung wegen der prozessualen Wirkungen der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis? Nach der vorgängigen Erörterung der materiellrechtlichen und prozessualen Voraussetzungen der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis kann nunmehr die Frage nach dem Grund der besonderen Streitgenossenschaft in diesen Fällen gestellt werden. Man hat versucht, die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung aus den prozessualen Wirkungen der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis zu begründen. Wenn die nur gemeinsam prozeßführungsbefugten Kläger oder Beklagten ähnlich der Lösung der österreichischen Prozeß.8

Vgl. Holzhammer, Parteienhäufung, S. 81 f. (83); Larenz, Schuldrecht I,

§ 32 II c.

•• Vgl. §§ 427, 431, 1459 II, 2058 BGB; § 128 HGB; s. auch Larenz, a.a.O. so § 431 BGB betrifft nur den Fall, daß jeder einzelne Schuldner imstande ist, die (ganze) Leistung zu erbringen. VgL Larenz, a.a.O.; Holzhammer, a.a.O.; BGH NJW 62,1722. 11 z. B. Ansprüche 'aus §§ 917, 1105 f., 1113 f., 119U. BGB; vgL BGH 36, 187.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

ordnung eine einheitlkhe Partei bilden, schwebt nur ein Prozeß zwischen ihnen und dem Gegner; folglich kann nur ein Urteil ergehen, das alle Genossen in gleicher Weise betrifft'!. Diese Konstruktion findet allerdings im Gesetz keinen Anhalt. Die Kläger wären dann nicht mehr Streitgenossen im Sinne der §§ 59 ff. ZPO. Die vom Gesetz einheitlich gefaßten Rechtsfolgen des § 62 ZPO müßten für die einzelnen Alternativtatbestände verschieden interpretiert werden: Sie würden bei Einzelprozeßführungsbefugnis den wechselseitigen Einfluß selbständiger Prozesse aufeinander, bei gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis einer Art prozessualer Gesamthand regeln. Unter "einheitlicher Feststellung" wären einerseits mehrere inhaltsgleiche Urteile, wäre andererseits eine einzige Entscheidung zu verstehenu. Die Konstruktion der einheitlichen Streitpartei widerspricht also dem Wortlaut des Gesetzes und fügt sich nicht in den systematischen Zusammenhang ein. Sie hat eine gewisse Anschaulichkeit und Plausibilität für sich, wenn die Streitgenossen, was jedoch nicht vorgeschrieben ist, zusammen Klage erheben oder verklagt werden und einen gemeinsamen Prozeßvertreter bestellen. Dagegen wirkt sie starr und schwerfälligI', wo es darum geht, die relative Selbständigkeit der Genossen und das Nebeneinander von Gemeinschaftsprozeß und Einzeiprozeß55 zu verstehen. Die h. M. hält also mit gutem Grund an der Prozeßmehrheit fest6 6 • Damit behält auch bei gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis die einzelne Partei grundsätzlich die Dispositionsfreiheit über ihren Prozeß. Von daher besteht also kein Zwang zu inhaltsgleicher Ents~eidung. Hingegen spricht viel für gemeinsame Entscheidung i. S. der Gleichzeitigkeit: Sobald einer der Streitgenossen aus dem Verband ausscheidet, kann weder ihm noch den verbleibenden Genossen gegenüber zur Sache entschieden werden, denn sie sind für den Streitgegenstand nur gemeinsam prozeßführungsbefugt. Falls überhaupt Sachurteile ergehen, müssen sie gleichzeitig gefällt werden57• Im übrigen ist mit dem Argument, daß die prozessualen Wirkungen der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis einheitliche Entscheidung erzwingen, niemals besondere Streitgenossenschaft zu begründen. Damit erklärt man sie vielmehr für überflüssig. 52 So ,Lent IhJ 90, 27 f. (33 f.); unentschieden Schwab, Festschr. f. Lent, S. 275 f. Nach h. M. ist das streitgenössische Verfahren in allen Fällen eine Verbindung grundsätzlich selbständiger Prozesse, und das ergehende Urteil faßt eine Mehrheit selbständiger Entscheidungen nur äußerlich zusammen. s. o. § 2 111 bei N. 6, vgl. insbes. Kisch Diss., S. 10 f. 153 Das sieht auch Lent (a.a.O., S. 44), findet sich aber damit ab. 54 So im Ergebnis auch Schumann ZZP 76, 384. 15 Beispiele s. u. § 1011 1 a (nach N.12) und d (bel N. 21 f.). 58 S. O. § 2 111 (bei N. 6). a. A. Holzhammer, Partelenhäufung, S. 36 f., der de lege ferenda das Modell der einheitlichen Streitpartei enipfiehlt. 57 Soweit ist Lent, a.a.O. (S. 33) und Holzhammer, Parteienhäufung, S. 79 zu folgen.· .

§

6: Gemeinsame Prozeßführungsbefugnis

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V. Die fonnale Begründung der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung aus dem Wesen der gemeinschaftlichen Rechtsverfolgung

Der Gedanke liegt nahe, ein der besonderen Streitgenossenschaft entsprechendes Verfahren ergebe sich schon als rein logische Konsequenz aus dem Begriff des Prozeßführungsrechts und der gemeinsamen Rechtsverfolgung. 1. Die EInheit des Prozeßführungsrechts

Wenn im Prozeßführungsrecht das Initiativrecht zum Prozeß und das Recht, in den Grenzen der Parteiherrschaft das Verfahren mitzugestalten, untrennbar verbunden sind, dann sind mehrere Parteien, denen das Prozeßführungsrecht gemeinschaftlich zusteht, auch nur gemeinsam befugt, die Grundlagen einer Sachentscheidung über den Streitgegenstand zu bestimmen. Ebensogut könnte man jedoch aus der begrifflichen Selbständigkeit der Prozeßrechtsverhältnisse die volle Parteiherrschaft des einzelnen Streitgenossen über seinen Prozeß mit dem Gegner ableiten. Die heiden formalen Argumente heben sich auf. 2. Die Einheit der materiellen Rechtsausübung

Der Zwang zur gemeinsamen Geltendmachung eines Rechts besteht immer im Rahmen einer materiellrechtlichen Verwaltungs- und Verfügungsgemeinschaft. Da der Prozeß als eine Maßnahme der Verwaltung des gemeinschaftlichen Rechts anzusehen ist58 , muß die Prozeßführung in vollem Umfang gemeinschaftlich erfolgen. Gegen die Schlüssigkeit dieser Ableitung ist nichts einzuwenden; wenn sie dennoch nicht voll überzeugt, so liegt es an dem begrenzten Wert, der begrifflich-formalen Deduktionen in der Rechtswissenschaft allgemein zukommt. Entscheidend sind die dahinter stehenden sachlichen Fragen, die im folgenden Abschnitt behandelt werden. VI. Die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung und der Regelungszweck der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis 1. Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung als Regelungszweck der gemeinsamen Proze8filhrungsbefugnls'l

Über die Voraussetzungen der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis wurde bereits in anderem Zusammenhang referiert59 • Es fällt auf, daß die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung nicht zu den anerkannten 58 Vgl. 59 S. o.

,

HUlOld

Mot. zum BGa I, S. 379; Lent IhJ 90, 30. s. u. § 10 n 1 d bei N. 21 f.

nIL

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

Gründen für gemeinsame Prozeßführungsbefugnis gehört. Vielmehr findet sich in Literatur und Rechtsprechung die ausdrückliche Feststellung, daß "Zwang zu einheitlicher Entscheidung" nicht zu einheitlicher Klage nötige60• Gemeint ist damit, daß nicht überall, wo nach materiellem Recht die Entscheidungen übereinstimmen müßten, auch gemeinsame Rechtsverfolgung notwendig ist. Die bei getrennter Verhandlung bestehende Gefahr divergierender Urteile über denselben Gegenstand kann nicht einfach dadurch beseitigt werden, daß man alle in einem bestimmten Zeitpunkt an einem Recht materiell interessierten Personen als Kläger oder Beklagte in ein Verfahren zusammenzwingt. Die Rechtsverfolgung des Klägers würde erschwert oder vereitelt, wenn er das Klagerecht mit anderen teilen sollte, die - ihren eigenen Interessen folgend - nicht ohne weiteres bereit wären, mit ihm Klage zu erheben. Oft müßte der Kläger, um Sonderinteressen gegenüber einer einzelnen Partei wahrzunehmen, mehrere Personen verklagen und damit ein erhöhtes Risiko eingehen. Wenn materielle Rechtsverhältnisse für alle, die sie angehen, einheitlich festgestellt werden sollen - wie es in der Tat wünschenswert erscheint -, muß eine Form der Verfahrensbeteiligung gefunden werden, die der Initiative des Klägers genügend Raum läßt und den gegen ihren Willen in den Prozeß hineingezogenen Parteien zumutbar istll • Die Prozeßführungsbefugnis jedoch ist ohne Rücksicht auf die Einheitlichkeit der Entscheidung zu regeln. Daher verfolgt die gemeinsame Prozeßführungsbefugnis nicht direkt den Zweck, inhaltliche übereinstimmung der Entscheidungen zu sichern. 2. Proze8ökonomle und Sdlutz der ParieUnteresBen als Regelungszweck der gemeinsamen Proze8fOhrungsbefugnts

Es wird sich zeigen, daß die gemeinsame Prozeßführungsbefugnis dem Schutz von Parteiinteressen und der Prozeßökonomie dient. Die Notwendigkeit inhaltsgleicher Entscheidung kann sich nur mittelbar aus diesem Regelungsziel ergeben. Dabei ist zu beachten, daß der Zwang zu gemeinsamer, d. h. gleichzeitiger, Entscheidung ohne weiteres aus der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis selbst folgt&!.

a) Feststellungs- und Leistungsklage Mehrere Feststellungs- oder Leistungskläger sind i. d. R. gemeinsam prozeßführungsbefugt, wenn.sie über das behauptete Recht oder Rechtsverhältnis nur zusammen verfügen können". Obwohl auch Feststellungs- und Leistungsurteil verfügungsähnliche Wirkung haben", ist StJSch-Pohle § 62 Anm. III 3; RG JW 10, 66 f. s. U. § 13 II (Beiladung). s. o. IV bei N.57. es s. o. III 1 bei N. 16. "Vgl. Henckel,Parteilehre, S.107; Bettermann, Vollstreckung, S. 87 f.; BGH NJW 60, 523 Nr. 2. 60 81 1I

§ 6: Gemeinsame Prozeßführungsbefugnis

es im allgemeinen unnötig, die Mitverfügungsbefugten durch gemeinsame Prozeßführungsbefugnis zu schützen; denn die Urteilswirkungen treffen hier grundsätzlich nur die formellen Parteien, zwischen denen das Urteil ergeht. Maßgebend sind vielmehr das Interesse des Beklagten, dem mehrere getrennte Prozesse über denselben Streitgegenstand nicht zugemutet werden sollen65, und Gründe der Prozeßökonomie. Dem Beklagten genügt es, wenn die Prozeßführungsberechtigten zusammen klagen müssen und die Prozesse nur zusammen entschieden werden; denn damit ist das Klagerecht verbraucht, gleichgültig, wie die Entscheidung dem einzelnen Kläger gegenüber ausfällt. Hingegen sind die Klägergenossen an einheitlicher Entscheidung interessiert. Sie sind - gerichtlich und außergerichtlich nur gemeinsam zur Geltendmachung des streitigen Rechts befugt Daher kann ihnen ein siegreiches Urteil nur dann als Grundlage weiterer Rechtsverfolgung gegenüber dem Beklagten dienen, wenn das Recht zwischen diesem und ihnen aUen festgestellt ist. Dies wird beim Leistungsurteil besonders deutlich. Die gemeinsam prozeßführungsbefugten Kläger sind auch in der Zwangsvollstreckung voneinander abhängig. Sie können nur zusammen vollstrecken, und jeder einzelne braucht dazu einen Titel. Schon die Niederlage eines Klägers würde also die Vollstreckung vereiteln und hätte damit verfügungs ähnliche Wirkung zu Lasten der übrigen. Daher ist einheitliche Entscheidung notwendiges. Bei gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis auf der Passivseite der Leistungsklage&1 gilt nicht dasselbe. Wenn z. B. ein Gesamthandsschuldner seinen Prozeß verliert, wird die Rechtslage der Mitschuldner nicht verschlechtert. Die Urteilswirkungen treffen nur die Parteien und wegen der Natur des Leistungsgegenstands kann der Gläubiger nur dann vollstrecken, wenn sämtliche Schuldner verurteilt sind. Daß der Kläger nicht alle Gegner besiegt, kann bei identischem Streitgegenstand allein darauf zurückgehen, daß er entweder den Prozeß gegen einen der Beklagten nachlässig führte oder daß umgekehrt einer der Beklagten sich schlecht verteidigte. In keinem Fall besteht ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an einheitlicher Entscheidung. Die gemeinsame passive Prozeßführungsbefugnis schützt bei Feststellungsund Leistungsklagen nicht die Interessen der Beteiligten; sie dient vielmehr der Prozeßökonomie, indem sie verhindert, daß über denselben Streitgegenstand mehrere voneinander unabhängige Prozesse stattfinden. Dieser Zweck wird ohne Rücksicht auf den Inhalt der Entscheidungen erreicht. 85 S8

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Henckel, Parteilehre, S. 106. VgI. Holzhammer, Parteienhäufung, S.79. s. O. 111 1 bei N. 17 f .

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft b) Die Gestaltungsklage

Soweit die gemeinsame Prozeßführungsbefugnis von Gestaltungsklägern auf ähnlichen Voraussetzungen wie bei Feststellungs- und Leistungsklage beruhtes, verfolgt sie auch denselben Zweck: die Vermeidung wiederholter Prozesse über denselben Streitgegenstand im Interesse des Beklagten und aus Gründen der Prozeßökonomie. Wie gezeigt, ist der Inhalt der den Streitgenossen gegenüber ergehenden Entscheidungen dafür gleichgültig. Darüber hinaus sind bei der Gestaltungsklage auch die Kläger nicht an einheitlicher Entscheidung interessiert. Es genügt, wenn einer von ihnen mit seiner Klage Erfolg hat; denn damit wird das gemeinsame Rechtsschutzziel, die gerichtliche Gestaltung, erreicht. Wo die gemeinsame Prozeßführungsbefugnis der Kläger dem Schutz der Mitverfügungsbefugten vor einer gegen ihren Willen vollzogenen Rechtsgestaltung dientl 9 , kommt es auf die Einheitlichkeit der Entscheidung ebenfalls nicht an. Die gemeinsame Klageerhebung beweist das Einverständnis aller Kläger mit der Gestaltung. Im übrigen, insbesondere auf der Beklagtenseite, ist die Interessenlage wie oben. Anders verhält es sich dagegen, wenn aus dem genannten Grund mehrere Beklagte gemeinsam prozeßführungsbefugt sind70 • Ein separates Urteil, das im Prozeß zwischen dem Kläger und einem einzelnen Beklagten erginge, würde das Recht mit Wirkung gegen alle Beteiligten umgestalten. Daher ist das Interesse der Verfügungsbefugten an der Abwehr der Gestaltung nicht schon dann wirksam geschützt, wenn sie zusammen verklagt werden, sondern nur, wenn jeder mit seiner Verteidigung die Gestaltung verhindern kann. Gemeinsame Prozeßführungsbefugnis ist hier nur als Vorstufe zu einheitlicher Entscheidung sinnvoll.

vrr.

Ergebnis

Bisher nahm man ohne weiteres an, daß der Gemeinschaftlichkeit der Prozeßführungsbefugnis immer die Notwendigkeit inhaltlich übereinstimmender Entscheidungen entspreche71 , und rechtfertigte damit die durchgängige Verknüpfung von gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis und besonderer Streitgenossenschaft. Es gibt jedoch Fälle, in denen der Regelungszweck der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis o. III 1 bei N.22. s. o. III 1 bei N.23.

68 S. 89

s.o., a.a.O. Dagegen allein Medicus DlsS., S. 137 f. und Sitzler Diss., S. 29 ohne nähere Begründung. 70

71

§ 7: Reclltskrafterstreckung

53

nur die Gleichzeitigkeit und Verbindung der Entscheidungen fordert. Die begrifflich-formale Ableitung der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung aus "dem Wesen" des Prozeßführungsrechts oder der materiellrechtlichen Verwaltungs- und Verfügungsgemeinschaft kann nicht als zureichende Begründung gelten. Wenn es in diesen Fällen weitere Gründe gibt, die für besondere Streitgenossenschaft sprechen, so sind sie einmal unabhängig von der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnisj sie könnten also auch getrennt von ihr auftreten. Andererseits müssen sie mit ihr vereinbar sein. Darum scheidet Rechtskrafterstreckung als Grund der besonderen Streitgenossenschaft in diesem Zusammenhang aus. Es wäre sinnlos, die Rechtskraft auf eine Person zu erstrecken, die notwendig als Partei am Verfahren teilnimmt und ein eigenes Urteil erstreitet72 • Dies alles deutet auf Gründe der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung, die sich aus der bloßen Identität des Streitgegenstands ergeben73 •

§ 7: Besondere Streitgenossenschaft bei Rechtskrafterstreckung I. Zur Regelung der besonderen Streitgenossenschaft Die Regelung der besonderen Streitgenossenschaft zeigt hier dieselben Merkmale wie bei gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis: "Einheitlichkeit der Entscheidung" wird als Gleichzeitigkeit und Inhaltsgleichheit von Sachurteilen ausgelegt. Damit ist schon gesagt, daß Identität des Streitgegenstands vorausgesetzt wird1 • Der Tatbestand der Rechtskrafterstreckung ist aus der von oder gegenüber den Streitgenossen aufgestellten Rechtsbehauptung bereits bei Klageerhebung erkennbar, und er kann - ohne Klageänderung - nicht wegfallen. Die besondere Streitgenossenschaft regiert also das ganze Verfahren bis zwn Urteil. Ein wesentlicher Unterschied besteht insofern, als hier jeder Streitgenosse zu selbständiger Prozeßführung berechtigt ist2 • Die Situation der gemeinsamen Verhandlung mehrerer Prozesse vor demselben Gericht, bei der die Frage der besonderen Streitgenossenschaft erst aktuell wird, kommt also ohne jeden Zwang zustande. Damit entfallen die Gründe der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung, die sich aus der 7! So auch Lent IhJ 90, 31 j Holzhammer, Parteienhäufung, S. 79. 73 Dazu s. u. § 10. 1 s. o. § 6 I bei N. 3. 2 Rechtskrafterstreckung und gemeinsame Prozeßführungsbefugnis

unvereinbar. s. o. bei N.72.

sind

2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

54

gemeinsamen Rechtsverfolgung ergaben. Für die Rechtskrafterstrekkung ist weiter kennzeichnend, daß sie Einheitlichkeit der rechtskräftigen Feststellung letzten Endes auch ohne streitgenössisches Verfahren garantiert3 • 11. Besondere Streitgenossenschaft und Rechtskraftkonftikt Die Rechtskrafterstreckung erweitert den Kreis der von der Rechtskraft eines Urteils betroffenen Personen, O'hne den Inhalt und objektiven Umfang der Rechtskraft zu verändern4 • Sie vollzieht sich zwischen einer der Parteien und einem Dritten, die darum RechtskraftgenO'ssen genannt werden. Der Richtung der Erstreckung entsprechend SO'll die Partei aktiver, der Dritte passiver GenO'sse heißen. Die hier interessierenden Fälle weisen die Besonderheit auf, daß der Dritte selbst prozeßführungsbefugt ist und parallel zum Prozeß des aktiven Rechtskraftgenossen mit dessen Gegner prozessiert. Die h. M. nimmt besondere Streitgenossenschaft an wegen der Gefahr einer Rechtskraftkollision, die sich aus der konkurrierenden Prozeßführung der Streitgenossen über denselben Streitgegenstand und der zwischen ihnen stattfindenden Rechtskrafterstreckung ergeben könnte. Einerseits wird die Rechtskraft des zwischen dem aktiven Rechtskraftgenossen und seinem Gegner ergangenen Urteils auf das Verhältnis des passiven Rechtskraftgenossen zum Gegner erstreckt. Andererseits erstreitet der passive Genosse im Prozeß mit dem Gegner selbst ein Urteil. Damit überlagert sich die Rechtskraftwirkung der heiden Urteile: Unter denselben Personen, dem passiven Rechtskraftgenossen und dem Gegner, wird derselbe Gegenstand zweifach rechtskräftig festgestellt. Zum Konflikt kommt es, sobald der Inhalt der Urteile nicht übereinstimmt. 1. Das Wesen des Rechtskraftkon1llkts

Der Sinn der materiellen Rechtskraft des zuerst ergehenden Urteils bestand darin, eine zweite rechtskräftige Feststellung oder wenigstens eine abweichende Feststellung zu verhindern. Dagegen verstößt die Rechtskraft des späteren Urteils. Der Konflikt besteht aber nicht nur in einer einmaligen Verletzung der Rechtskraft des früheren Urteils, sondern in dem fortdauernden Gegeneinanderwirken widersprechender Feststellungen. Jede Partei kann sich auf ein ihr günstiges Urteil berufen; der Interessengegensatz, der zum Prozeß Anlaß gab, bleibt unTrotzdem ist besondere 5treitgenossenschaft sinnvoll. s. u. II 1, 2. Lent, Gesetzeskonkurrenz H, 5.134; Hellwig, Rechtskraft, S.42; Bettermann, Vollstreckung, S. 47 f., 110 f. S

4

§ 7: Rechtskrafterstreckung

55

entschieden, ja wird dadurch verschärft, daß ein gerichtliches Verfahren im normalen Rechtsgang ihn nicht mehr lösen kann5• Als Entscheidungsnorm fordert die Rechtskraft hier von den Gerichten Unmögliches: Sie können nicht zugleich eine bestimmte Rechtsfolge und ihr Gegenteil zukünftigen Urteilen zugrundelegen. Daher heben sich die widersprechenden Befehle wie bei jeder Normenkollision gegenseitig aufS. Von der Unbestreitbarkeit einer festgestellten Rechtsfolge kann nicht die Rede sein; denn ihr Gegenteil ist ebenso rechtskräftig festgestellt. Letzten Endes entfaltet also keine der einander widersprechenden Entscheidungen materielle Rechtskraft7, obwohl sie als formell unanfechtbare Staatsakte bestehen bleiben. 2. Die Verhinderung des Kon8lkts

Bei besonderer Streitgenossenschaft kann es offenbar zu diesem Konflikt nicht kommen; denn sie garantiert, daß gegenüber den Streitgenossen, die hier zugleich Rechtskraftgenossen sind, und dem Gegner inhaltsgleiche Sachurteile ergehen. Allerdings tritt die Rechtskraftkollision nicht nur bei Streitgenossenschaft auf, und die besondere Streitgenossenschaft wäre unnötig, wenn der Konflikt mit anderen, allgemein anwendbaren Mitteln leicht bereinigt werden könnte. Die widersprechenden Entscheidungen sind, wie gesagt, nicht ipso jure nichtig. Dafür spricht einmal § 580 Nr. 7 a ZPO, zum anderen die überlegung, daß mit einer "Kollisionslücke" niemandem gedient wäre: Die in den abgeschlossenen Verfahren aufgewandte Mühe wäre vergeblich, die Rechtslage so unklar wie vordem und es wäre nicht einmal auszuschließen, daß der Rechtskraftkonflikt sich wiederholte. Es kann sich also nur darum handeln, mit einem erneuten Urteil eine der vorliegenden Entscheidungen zu bestätigen und die andere aufzuheben. Damit entstehen neben der umstrittenen Frage, welcher der Entscheidungen der Vorrang gebührt8, die Schwierigkeiten der rückwirkenden Beseitigung eines Urteils und seiner weiteren Rechtsfolgen9 • Es liegt also im Interesse der Prozeßökonomie, des Rechtsfriedens und nicht zuletzt des Ansehens der Rechtspflege, die Rechtskraftkollision von vornherein zu vermeiden. Vgl. Lent IhJ 90, 46. Vgl. Engisch, Einheit, S.54/155. 7 Ebenso Gaul, Wiederaufnahmerecht, S. 95 f. für das spätere Urteil. 8 Im Rahmen der §§ 580 Nr.7 a. 582, 586 ZPO setzt sich das frühere Urteil durch, während die Rspr. im allgemeinen dem späteren den Vorzug gibt (vgl. RG 52, 218; 112, 301; HRR 1936, 1452; kritisch dazu Dölle DeuR 1943, S.827/828). Dälle schlägt vor, das sachlich bessere Urteil aufrechtzuerhalten (a.a.O.; Rosenberg, Lehrb. § 98 111 2, schließt sich ihm an). 9 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Kuttner, Nebenwirkungen, S. 238 f. 5

8

56

2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

Trotzdem wäre die besondere Streitgenossenschaft überflüssig, wenn schon einfache Streitgenossenschaft genügte, um den Konflikt zu verhindern. Nehmen wir zunächst den Fall der Rechtskrafterstreckung, die vom - positiven oder negativen - Erfolg der Klage unabhängig ist. Auch diese "volle" Rechtskrafterstreckung ist einseitig insofern, als sie nur in einer Richtung wirkt. Die Rollen des aktiven und des passiven Rechtskraftgenossen liegen fest 10 • Der Rechtskraftkonflikt karui sich ergeben, wenn der passive Rechtskraftgenosse zuerst ein rechtskräftiges Urteil erlangt und später gegenüber dem aktiven Genossen eine widersprechende Entscheidung ergeht, die den passiven Genossen ebenfalls bindet. Das ist freilich bei einem streitgenössischen Verfahren höchst unwahrscheinlich: einmal wegen der gemeinsamen Verhandlung, zum andern, weil das Gericht den Prozeß des passiven Genossen aussetzen kann (§ 148 ZPO), sobald eine divergierende Entwicklung der beiden Streitsachen droht11 • Wenn dagegen der Prozeß des aktiven Rechtskraftgenossen zuerst abgeschlossen ist, hat das Gericht die Rechtskraft des Urteils im Prozeß des passiven Genossen von Amts wegen zu beachteni!, was selbst nach Abschluß der mündlichen Verhandlung - die u. U. wieder eröffnet wird - und noch in der Berufungsinstanz (arg. § 529 I ZPO) geschehen kann. In anderen Fällen wird nur die Rechtskraft eines für die Rechtskraftgenossen günstigen Urteils erstrecktl3 • Dagegen ist die Erstreckung zwischen den Genossen wechselseitig. Hier kommt es zum Rechtskraftkonflikt, wenn zuerst der eine Genosse eine Niederlage erleidet und darauf der andere den gemeinsamen Gegner besiegt. Bei einfacher Streitgenossenschaft kann das Gericht diesen Ausgang nicht verhindern: Jeder Genosse gestaltet im Rahmen der Verhandlungsmaxime sein Urteil und erst, wenn beide Urteile ergangen sind, steht fest, ob 10 Die Erstreckung der Rechtskraft einer nachteiligen Entscheidung setzt immer eine selbständige Stellung des aktiven und eine entsprechend abhängige Stellung des paSSiven Rechtskraftgenossen voraus, und dieses Verhältnis kann nicht wechselseitig gedacht werden. Es wäre auch eine absurde Vorstellung, daß, wenn beide Genossen prozessieren, dasjenige Urteil gegenüber beiden Rechtskraft wirken sollte, das zufällig zuerst unanfechtbar würde. 11 Allerdings bietet die besondere Streitgenossenschaft wirksameren Schutz vor Urteilskollisionen, falls das Gericht entscheidet, ohne den Umstand der Rechtskrafterstreckung zu berücksichtigen. Auf einen Verstoß gegen § 62 ZPO können Berufung und Revision gestützt werden, während die unterbliebene Aussetzung nur dann mit einem Rechtsbehelf geltend gemacht werden kann, wenn. im Verfahren Aussetzung beantragt und abgelehnt worden war. Auch dann ist nur Beschwerde (§ 252 ZPO) oder, falls die ablehnende Entscheidung im Endurteil erging, Berufung, aber nicht Revision zulässig (vgl. BGH LM Nr. 1 zu § 252 ZPO). 1! Baumb.-Lauterbach Einf. vor §§ 322-327, Anm. 5 A; BGH 36, 367. 13 Vgl. Schwab, Festschr. f. Lent, S. 271 f. (277 f.). An die Stelle der dort zitierten §§ des alten AktG sind die §§ 248 S. 1, 254 II S. 1, 257 II S. I, 275 IV S. 1 des AktG v. 6. 9. 65 getreten.

§ 8: Gestaltungsklagen

überhaupt und in welcher Richtung Rechtskrafterstreckung stattfindet. Nur bei dieser Rechtskrafterstreckung "secundum eventum litis", die erst seit Schwabs Aufsatz in der Festschrift für Lent1 4 als Tatbestand der besonderen Streitgenossenschaft akzeptiert wird, ist praktisch eine Rechtskraftkollision möglich, und darum überzeugt nur hier die Begründung der besonderen Streitgenossenschaft mit der Gefahr eines Rechtskraftkonfiikts. Zusätzliche Argumente für die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung könnten sich jedoch aus der vorausgesetzten Identität des Streitgegenstands ergebent5 •

§ 8: Besondere Streitgeno8senschaft bei Gestaltungsklagen I. Zur Regelung der besonderen Streitgenossenschaft Wenn von oder gegenüber Streitgenossen dieselbe Gestaltung eines bestimmten Rechtsverhältnisses beantragt wird, nimmt die h. M. im Ergebnis übereinstimmend besondere Streitgenossenschaft an t • Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft werden dem Streitgegenstand entnommen und sind daher vom konkreten Verlauf der Verhandlung unabhängig. "Einheitliche Feststellung" bedeutet auch hier gleichen Inhalt der Sachentscheidung. Daher ist Identität des Streitgegenstands notwendige Bedingung!. Aus mehreren Gründen wird darauf bei der Gestaltungsklage selten hingewiesen3 • Einmal glaubte man den Unterschied zwischen Identität der begehrten Gestaltung und Identität des Streitgegenstands vernachlässigen zu können, bevor die neuere Diskussion über die Rechtskraft der Gestaltungsurteile die Rechtsbehauptung als Element des Streitgegenstands aufwertete'. Zum andern wird die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung meist aus der Gestaltungswirkung des Urteils abgeleitet, die zwar allgemein einen positiven Inhalt der rechtskräftigen Feststellung, aber keinen bestimmten Inhalt - etwa die Feststellung eines konkreten Gestaltungsrechts - voraussetzt. s. N.l3. Dazu s. u. § 10. t S. o. § 1 IV 2, ! s. o. § 6 I bei N.3. 3 Vgl. aber Henckel, Parteilehre, S.211. 4 Vgl. z. B. Lent IhJ 90, 49 N. 1. Die heute h. M. nimmt auch bei stattgebenden Urteilen neben der Gestaltungswirkung eine Rechtskraftwirkung an, da es für die weiteren Rechtsbeziehungen der Parteien von Wichtigkeit sein kann, ob die Gestaltung zu Recht erfolgte. Vgl. Dölle ZZP 62, 281 f.; Bötticher, Festschr. f. Dölle Bd. I, S. 59 (anders noch in Krit. Beiträge, S. 2426); Blomeyer, Lehrb. § 94 II!. a. A. Rosenberg, Lehrb. § 87 I 3, § 152 I! 2; Lent ZZP 61, 279 f. 14 15

58

2. Tell: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

11. Die Gefahr einer Urteilskollision Lent begründet die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung analog den Fällen der Rechtskrafterstreckung mit der Wirksamkeit der Gestaltung gegenüber allen Streitgenossen5• Dem Rechtskraftkonflikt bei konträren Entscheidungen entspreche hier eine Kollision der Gestaltungswirkung der Urteile. Bei der Gestaltungsklage ist regelmäßig die beantragte Gestaltung dem InhaU nach eindeutig bestimmt und kann nur entweder vollzogen oder abgelehnt werden. Z. B. wird das Gericht auf die Klage eines Gesellschafters nach § 133 HGB die OHG für aufgelöst erklären oder feststellen, daß sie aus dem vorgetragenen Grund nicht aufgelöst werden darf. Zu einem Konflikt der Gestaltungswirkung kann es dabei niemals kommen: Das abweisende Urteil entfaltet keine Gestaltungswirkung, und zwei positive Gestaltungen verschiedenen Inhalts sind nicht mögliche. Anders verhält es sich dagegen mit den Klagen, die meist im Rahmen eines Leistungsprozesses - die Festsetzung des noch unbestimmten Leistungsinhalts erstreben7 • Die h. L. rechnet sie zu den Gestaltungsklagen8 und nimmt konsequent eine Urteilswirkung inter omnes an9 • Damit könnte es zu einem Konflikt divergierender Festsetzungen kommen, wenn etwa mehrere Miterben nach § 2039 BGB eine Vertragsstrafe in getrennten Prozesse einklagen10 • Blomeyer sucht dies zu verhindern, indem er die Gestaltungswirkung wie die Rechtskraft auf die Parteien des jeweiligen Prozesses beschränkt. Damit wäre jedoch die Einheitlichkeit der Festsetzung nicht mehr gesichert, ganz abgesehen von der Fragwürdigkeit einer solchen Begrenzung der Urteilswirkungen. Blomeyer weist selbst darauf hin, daß der einzelne Miterbe nicht die regelmäßigen Voraussetzungen der Prozeßführungsbefugnis für eine Gestaltungsklage mit diesem Streitgegenstand besitzt11 • Zieht man daraus die gebotene Konsequenz, § 2039 BGB auf Festsetzungsklagen nicht anzuwenden, so erledigt sich das Problem möglicher Urteilskollisionen von selbst. Nach Henckel besteht nur bei Gestaltungsklagen mit identischem Streitgegenstand die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung. Er sieht ihren Grund in dem logischen Widerspruch zwischen der Gestaltungs11 IhJ 90, 49. 11 VgI. Henckel, Parteilehre, S. 207 f.; Holzhammer, Parteienhäufung, S. 98 f. 7 Vgl. §§ 315, 319, 343, 655 BGB. 8 VgI. Rosenberg, Lehrb. § 87 Ir 2 b. 9 s. o. §6 N. 23. 10 Beispiele bei Blomeyer, Lehrb. § 94 Ir 2 (a. E.). Divergierende Gestaltun-

gen sind hier möglich, weil der Streitgegenstand in diesem Punkt unbestimmt ist: Nur angemessene Festsetzung wird beantragt. 11 Freilich kommt es nicht auf die Sachlegitimation an, wie Btomeyer, a.a.O., unter Berufung auf HeUwig annimmt, sondern auf die Verfügungsbefugnis. s. o. § 6 UI 1 bei N. 22 f.; zu § 2039 BGB s. u. § 10 II 1.

§ 8: Gestaltungsklagen

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wirkung des stattgebenden Urteils und der Feststellung des klageabweisenden Urteils, daß nicht gestaltet werden darf12 • In der Tat widersprechen sich die beiden Entscheidungen, aber in ihrem feststellenden Teil13 ; denn das stattgebende Urteil rechtfertigt die Gestaltung aus ebendem Grund, dessen Gestaltungskraft im anderen Urteil verneint wird. Eigentlich können sich nur gleichartige Urteilswirkungen widersprechen - doch das mag man als eine Frage der Terminologie ansehen. Unabweisbar ist hingegen die Einsicht, daß im wesentlichen derselbe Urteilskonfiikt vorliegt, wenn von mehreren Gestaltungs-, Leistungs- oder Feststellungsklagen über denselben Streitgegenstand die eine abgewiesen, der andern stattgegeben wird. Es handelt sich also nicht um eine Besonderheit der Gestaltungsklage. Darüber, daß der Widerspruch letztlich nicht logischer, sondern rechtlicher Natur ist, und über seine Folgen für die besondere Streitgenossenschaft, Ipehr unten14 • Die Interessenlage würde es zulassen, die Rechtskraft des stattgebenden Urteils auf alle Personen zu erstrecken, die von der Gestaltungswirkung betroffen werden. Trotzdem darf die Frage nach der besonderen Streitgenossenschaft nicht einfach damit abgetan werden, daß man ohne gesetzliche Grundlage Rechtskrafterstreckung annimmt1&. Iß. Besondere Streitgenossenschaft aus Grinden der Prozeßökonomie Man hat versucht, die besondere Streitgenossenschaft in diesen Fällen mit Zweckmäßigkeitsgründen zu rechtfertigen. Gewiß genügt ein Urteil, um die Rechtsgestaltung herbeizuführen, und die Rechtskraft der Klageabweisung ist nach dem vereinfachten Verfahren der Streitgenossenschaft dieselbe wie bei getrennten Einzelprozessen18• Aber all das sind typische Gründe für die einfache Streitgenossenschaft17 • Zugunsten einheitlicher Entscheidung wird weiter angeführt: Sobald mit der Rechtskraft eines Urteils die Gestaltung vollzogen sei, müßten alle übrigen auf dieselbe Rechtsschutzmaßnahme gerichteten Klagen als unbegründet abgewiesen werden18• Diese Folgerung ist jedoch nicht zwingend. Ob nun durch den Vollzug der Gestaltung sämtliche Gestal12 13 14

Henckel, Parteilehre,. S. 211. s. o. N.4. s. u. § 10 V vor 1 und 7 c.

VgI. Henckel, Parteilehre, S.211 bei N. 101. Darauf beruft sich Holzhammer, Parteienhäufung, S. 101 ZPO). 15 16 17 18

s. o. § 2 II.

(zu § 14

Osterr.

VgI. Henckel, Parteilehre, S.210 N.96; Holzhammer, Parteienhäufung, S.99 N. 217.

6(t

2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

tungsklagerechte konsumiert werden, womit die übrigen Klagen unbegründet würden, oder ob nur das Rechtsschutzinteresse für weitere Gestaltungsurteile entfällt19 : Es tritt jedenfalls eine Erledigung der Hauptsache ein 20, deren einseitige Erklärung durch den Kläger genügen müßte. IV. Zusammenfassung Die Gestaltungswirkung des Urteils zwingt weder durch die Gefahr einer Urteilskollision noch in Verbindung mit dem Grundsatz der Prozeßökonomie zu einheitlicher Entscheidung. Die Frage der besonderen Streitgenossenschaft wegen Identität des Streitgegenstands wird später für alle Klagearten erörtert.

§ 9: Besondere Streitgenossenschaft im Gemeinschaftsprozei der Miteigentümer und Miterben (§§ 1011, 2039 BGB) I. Zur Regelung der besonderen Streitgenossenschaft Die Regelung der besonderen Streitgenossenschaft zeigt keine Besonderheiten gegenüber den anderen von der h. M. anerkannten Fälleni. Auch hier wird also Identität des Streitgegenstands vorausgesetzt. Das mehreren Subjekten zustehende und ihrer gemeinsamen Verwaltung und Verfügung unterliegende Recht bildet eine Einheit und wird als Ganzes von der Rechtsgemeinschaft geltend gemacht2 • Nach dem den Prozeß beherrschenden Zweiparteienprinzip3 wird diese einheitliche Rechtsverfolgung in ein Bündel selbständiger Prozeßrechtsverhältnisse mit identischem Streitgegenstand aufgespalten. Die Identität des Streitgegenstands bei der Klage aller Gemeinschafter ergibt sich auch daraus, daß nach heute unstreitiger Ansicht schon der nach §§ 1011, 2039 BGB prozeßführungsbefugte einzelne Miteigentümer oder Erbe nicht seinen Anteil, sondern das Vollrecht geltend macht'. 19 Derartige Urteile würden nach wohl h. M. eine (überflüssige) "Doppelwirkung" ausüben (vgl. Ennecc.-Nipperdey§§ 136 I, 203 111 7 mit Nachw., S.1229 N.28). Nach a. A. wäre die spätere Gestaltung wirkungslos (vgl. P. J. Zepos ARSP 27, 480 f.; G. Husserl, Recht und Welt, Frankfurt a. M. 1964, S. 217, insbes. 238 f.; Larenz Allg.Teil, S. 404). 20 Daß auch das Erlöschen des RechtsschutzbedUrfnisses zur Klagerledigung führen kann, ist heute überwiegend anerkannt (vgl Blomeyer, Lehrb. § 64 I 1 b mit Nachw. S.313 N.7). 1 s. o. §§ 6 I, 7 I, 8 I. 2 s. o. § 6 IU 2 a--c. 3 s. o. § 2 I bei N. 2. 4 s. u. § 10 II 1 a bei N. 13.

§ 9:

Der Gemeinschaftsprozeß der Miteigentümer und Miterben

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D. Gründe der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung Trotz der zwischen den Einzelprozessen und zwischen diesen und dem Gemeinschaftsprozeß bestehenden Identität des Streitgegenstands5 un:' terscheidet sich nach Blomeyer der streitgenössische Prozeß mehrerer nicht aller - Gemeinschafter so wesentlich vom Prozeß der Gemeinschaft, daß nur im Gemeinschaftsprozeß Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung gegeben ist6 • Blomeyer beruft sich dabei auf die Gesetzgebungsgeschichte, nach der die Entscheidung über "unteilbare Rechte" einheitlich ergehen sollte. Abgesehen davon, daß sich aus den Vorarbeiten zum Gesetz in diesem Punkt nichts Konkretes entnehmen läßt7, ist nur schwer vorstellbar, daß ein und dasselbe Recht "unteilbar" ist, sobald die Rechtsgemeinschaft es geltend macht, im Einzelprozeß dagegen nicht. Dieses Argument geht im Grunde davon aus, daß nur der Gemeinschaftsprozeß über das Vollrecht geführt wird, was Blomeyer jedoch ablehnt. Er weist darauf hin, daß die einzelnen Teilhaber als Prozeßstandschafter klagen, während die Gesamtheit der Gemeinschafter ein aus der behaupteten gemeinsamen Sachlegitimation fließendes gemeinschaftliches Prozeßführungsrecht hat, wie es "dem Rechtsinhaber" zusteht. Welchen Einfluß soll es aber auf die Entscheidung in der Sache haben, aus welchem rechtlichen Gesichtspunkt Parteien prozeßführungsbefugt sind, solange keine Notwendigkeit zu gemeinsamer Rechtsverfolgung besteht? Ebensowenig ist einzusehen, daß der Streitgegenstand des Gemeinschaftsprozesses mit besseren Gründen oder in höherem Maße "einheitlich" zu nennen wäre als der mehrerer Einzelprozesse. Schon in den Einzelprozessen ist der Streitgegenstand identisch dem Inhalt nach; eine Steigerung ist nur so denkbar, daß die Rechtsgemeinschaft eine "einheitliche Streitpartei" - etwa i. S. der Osterr. ZPO bildete8 • Dann gäbe es auch der Zahl nach nur einen Streitgegenstand und einen Prozeß, aber keine Streitgenossenschaft mehr. Zu Recht betont Blomeyer hingegen, daß der Beklagte nicht das geringste sachliche Interesse daran hat, einen Kläger allein zu besiegen, wenn er doch zur vollen Leistung an alle verurteilt wird. Das gilt freilich genauso für verbundene Einzelprozesse.

11

So auch Blomeyer AcP 159, 391. a.a.O. (S. 402 f.).

7

s. o. § 5 III 3.

5

s. o. § 6 IV. In diese Richtung deutet auch Blomeyers Bemerkung, daß vom Gemeinschaftsprozeß auf den Einzelprozeß Rechtskrafterstreckung stattfinde (a.a.O., S. 403 f.). Wenn der Gemeinschaftsprozeß prozessual betrachtet nur eine Verbindung von Einzelklagen ist und das gegenüber der Gemeinschaft ergehende Urteil nur eine äußerliche Zusammenfassung von Einzelurteilen, dann trifft die Rechtskraft des Gemeinschaftsurteils jeden Mitberechtigten direkt (ebenso Holzhammer, Parteienhäufung, S.107 N.229). B

62

2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

III. Ergebnis · Wenn die von Blomeyer vorgetragenen Argumente für den Gemeinschaftsprozeß Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung begründen, dann muß sie auch für die Prozesse einzelner Rechtsgemeinschafter und letztlich für alle Prozesse mit identischem Streitgegenstand anerkannt werden9 . Eine unterschiedliche Behandlung von Gemeinschaftsprozeß und verbundenen Einzelprozessen ist nicht gerechtfertigt.

§ 10: Besondere Streitgeno88en8chaft bei Identität de8 Streitgegenstandes I. Die Bedeutung der Identität des Streitgegenstandes in den anerkannten Fällen der besonderen Streitgenossenschaft Die Analyse der von der h. M. anerkannten Tatbestände der besonderen Streitgenossenschaft führte zu der Feststellung, daß die Notwendigkeit von Sachurteilen mit identischem Inhalt - wie die h. M. die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung im Sinne des § 62 I ZPO versteht - in einer Reihe von Fällen zweifelhaft ist1 • Für den vom Gesetz mit der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis verfolgten Zweck ist der Inhalt der den Genossen gegenüber gefällten Urteile oft ohne Bedeutung. Weiter zeigte sich, daß die Gefahr eines Rechtskraftkonflikts bei der sog. vollen Rechtskrafterstreckung zu gering ist, als daß sie allein besondere Streitgenossenschaft begründen könnte. Endlich konnten weder bei den Gestaltungsklagen noch beim Prozeß der Rechtsgemeinschaft besondere Umstände festgestellt werden, die gerade für diese Fälle besondere Streitgenossenschaft rechtfertigen. Die Ergebnisse der h. M. müssen darum noch nicht über Bord geworfen werden; aber es besteht alle Ursache, sich nach weiteren Gründen der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung umzusehen. Schon der Gesetzestext und die Vorarbeiten deuten auf einen Zusammenhang zwischen besonderer Streitgenossenschaft und Identität des Streitgegenstands!. Tatsächlich haben die erörterten Fälle der besonderen Streitgenossenschaft Identität des Streitgegenstands zur notwendigen Voraussetzung. Dies beruht darauf, daß einheitliche Entscheidung i. S. einer vollen Übereinstimmung des Entscheidungsinhalts nur • Vgl. auch die in § 1 N.47, 49 zitierten RG-Urteile. 1 Zum folgenden s. o. §§ 6 VII, 7 II 2 (a. E.), 8 IV, 9IU. ! s. o. § 5 !II 3, IV 3, V.

§ 10: Identität des Streitgegenstands

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bei Identität· des Streitgegenstands möglich ist und daß die Regelung der besonderen Streitgenossenschaft, wie sie sich herausgebildet hat, nur bei identischem Streitgegenstand einheitliche Entscheidung verbürgt3. überdies sind die Gründe, aus denen Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung abgeleitet werden sollte, mit Identität des Streitgegenstands verknüpft'. Es liegt nahe, einen Schritt weiter zu gehen und zu prüfen, ob nicht mit Identität des Streitgegenstands allgemein Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung verbunden ist. In diesem Fall könnten die Lücken in der Argumentation der h. M. geschlossen und zugleich der Anwendungsbereich der besonderen Streitgenossenschaft erweitert werden. Die Diskussion über diesen Gedanken, der lange Zeit der herrschenden Meinung entsprach, ist noch nicht zu einem allseits befriedigenden Abschluß gekommen5 • 11. Fälle mehrfacher Prozeßführungsbefugnis über denselben Streitgegenstand Um der Klarheit der Beweisführung willen empfiehlt es sich, die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung bei Identität des Streitgegenstands an Fällen zu untersuchen, in denen die anerkannten Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft fehlen. Die folgende Übersicht, die auf Vollständigkeit keinen Anspruch erhebt, soll zunächst einmal die wichtigsten Fälle, um die der Streit wegen der besonderen Streitgenossenschaft bei Identität des Streitgegenstands eigentlich geführt wird, vorstellen und typische Umstände herausarbeiten, unter denen Streitgenossen zur (selbständigen) Prozeßführung über denselben Streitgegenstand berechtigt sind. Dieses Material wird auch die Grundlage der weiteren Untersuchung bilden. 1. Die Geltendmadlung eines remeinsdlafllldlen Redlts durdleinzelne Teilhaber

An erster Stelle sind die Fälle zu nennen, in denen ausnahmsweise der einzelne Teilnehmer einer Rechtsgemeinschaft zur Prozeßführung über das Vollrecht befugt ist. Wie oben ausführlich dargelegt wurde·, besteht das Wesen der Rechtsgemeinschaft bei Gesamthand und Bruchteilsgemeinschaft ohne Unterschied darin, daß ein einheitliches Recht mehreren Subjekten zusteht und ihrer gemeinsamen Verwaltung und Verfügung unterliegt. Daraus ergibt sich, daß im Rahmen der Verwala s. o. , s. o. 11 s.o. 6 s.o.

§§ 6 I, 7 I, 8 I, 9 I. . §§ 6III, VI; 7 II; 8 II, IV; 911, III.

§lIV4.

§6I1I2a.

64

2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

tung des gemeinschaftlichen Rechts Dritten gegenüber nicht die Anteile geltend gemacht werden,· sondern das Vollrecht und die aus ihm abgeleiteten Ansprüche 7 • Die Gemeinschafter sind i. d. R. nur gemeinsam prozeßführungsbefugts. Dies folgt aus ihrer Verfügungsgemeinschaft, soweit das von einem Teilhaber erstrittene Urteil mit verfügungsähnlicher Wirkung in das gemeinsame Recht eingreifen und die RechtssteIlung der Mitberechtigten beeinträchtigen könnte. Bei Feststellungsund Leistungsklagen besteht diese Gefahr nicht, denn bei ihnen beschränken sich die Urteilswirkungen grundsätzlich auf die prozessierenden Parteien. Trotzdem ist der einzelne Gemeinschafter regelmäßig nicht zu selbständiger Prozeßführung berechtigt, da eine Mehrheit von Prozessen über denselben Streitgegenstand im Interesse des Gegners und aus Gründen der Prozeßökonomie vermieden werden soll. Diese Nachteile der Einzelprozeßführungsbefugnis wären allerdings aufgehoben, wenn das gegenüber einem Teilhaber ergehende Urteil für und gegen die Mitberechtigten Rechtskraft wirkte'. Die Rechtskrafterstrekkung belastet aber die passiven Rechtskraftgenossen, indem sie das ihnen verliehene Prozeßführungsrecht teilweise wieder zurücknimmt und sie an das Ergebnis eines Prozesses bindet, an dem sie selbst nicht beteiligt waren10 • Diese Lösung ist daher nur möglich, wenn einer der Rechtskraftgenossen den anderen gegenüber eine beherrschende Stellung einnimmt. Wo diese Voraussetzung fehlt, kann die Regelung der Prozeßführungsbefugnis nur entweder dem Interesse der Gemeinschafter oder den Erfordernissen der Prozeßökonomie und dem Interesse des Gegners gerecht werden, und das Gesetz muß seiner Bewertung entsprechend das schwächere Interesse dem stärkeren opfern11 • a) §§ 1011, 2039 BGB

In den Fällen der §§ 1011 und 2039 BGB überwiegt das Interesse des einzelnen Teilhabers an selbständiger Prozeßführung. Die Rechtsgemein7 s. o. § 6 III 2 b, c. S Auch zum folgenden s.o., a.a.O. I s. u. VII bei N. 167 f. 10 s. o. § 7 II. Sie haben jedoch

und § 6 III 1.

die Möglichkeit der Nebenintervention 69 ZPO), wenn sie nicht selbst als Streitgenossen am Verfahren teilnehmen. 11 Die Motive (I1I, 446) und Protokolle (V, 865) zum BGB empfehlen dem Gegner, sich gegen die Leistungsklage des einzelnen Gemeinschafters mit einer negativen Feststellungsklage gegen sämtliche Teilhaber zu wehren. Hellwig (Anspruch u. Klagerecht, S.185) wendet ein, die Feststellungsklage sei wegen der bereits anhängigen Leistungsklage unzulässig. Dagegen behauptet BlomeyeT (AcP 159, 396) den Vorrang des Gemeinschaftsprozesses gegenüber der Einzelklage, so daß für die zuerst erhobene Leistungsklage das Rechtsschutzbedürfnis entfiele. Alle diese Schwierigkeiten entstehen nicht, wenn der Gegner nur gegen diejenigen Gemeinschafter auf Feststellung klagt, mit denen er sich nicht bereits im Leistungsprozeß befindet; auch so wird das zwischen ihm und der Rechtsgemeinschaft bestehende Rechtsverhältnis allen Beteiligten gegenüber rechtskräftig festgestellt. Zur Beiladung als einer möglichen Lösung des Interessengegensatzes s. u. § 13 II 2. (§

§

10: Identität des Streitgegenstands

65

schaft der Miteigentümer und Erben beruht i. d. R. nicht auf einer tiefergehenden Interessengemeinschaft der Beteiligten. Um so größer ist die Gefahr, daß diese die Notwendigkeit und die Aussichten eines Prozesses über das gemeinsame Recht verschieden beurteilen. Bei gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis könnte daher die Initiative des einzelnen Gemeinschafters zur Geltendmachung des Vollrechts und seines darin enthaltenen Anteils am Widerspruch der anderen Mitberechtigten scheitern, oder er müßte erst aus dem Gemeinschaftsverhältnis gegen die Widersprechenden auf Teilnahme an dem beabsichtigten Prozeß klagen. Daher gestattet das Gesetz jedem Gemeinschafter selbständige Rechtsverfolgung1!. Die Einzelprozeßführungsbefugnis dient aber nicht nur dem Interesse des Mitberechtigten an seinem Anteil, sondern auch dem Interesse der Gemeinschaft; denn der Teilhaber kann sein Recht nur im Prozeß über das Vollrecht durchsetzen. Es ist heute absolut herrschende Auffassung, daß der aus den §§ 1011, 2039 BGB klagende Miteigentümer oder Erbe als Prozeßstandschafter das gemeinsame Recht geltend macht1'. Diese Vorschriften betreffen also nur die Prözeßführungsbefugnis des einzelnen für das Vollrecht und verleihen kein materielles Sonderrecht, das anstelle des Vollrechts den Streitgegenstand des Einzelprozesses bildete 1'. Jeder Gemeinschafter muß daher im Prozeß auch die Sachlegitimation der Mitberechtigten behaupten15 • Für Identität des Streitgegenstands in den Einzelprozessen spricht auch, daß die h. M. die Rechtskraft des von einem Gemeinschafter erstrittenen Urteils auf die Mitberechtigten erstreckt, die seiner Prozeßführung zustimmen18 : Rechtskrafterstreckung ist nur bei Präjudizialität der streitigen Rechte oder bei Identität des Streitgegenstands sinnvoll, und bei der Rechtsgemeinschaft besteht weder vom Vollrecht zum Anteil noch unter den Anteilsrechten das Verhältnis der Präjudizialität.

Vgl. Blomeyer AcP 159, 390 mit Nachw.; Schwab, Festschr. f . Lent, S.294. Vgl. ZU § 1011 BGB: Staudinger-Berg Anm.l f. (mit Nachw.); ErmanRonke Anm. 1 A; Palandt-Degenhart Anm.2; Blomeyer, Lehrb. § 92 I 2 und AcP 159, 391 (mit Nachw.); Henckel, Parteilehre, S.46, 212 (s. dort zur früheren Auffassung); zu § 2039 BGB: Erman-Bartholomeyczik Anm.1; Palandt-Keidel Anm.l a; Staudinger-Lehmann Rdnr.18; Blomeyer, a.a.O.; Henckel, a.a.O. 14 Sie haben daneben auch eine materiellrechtliche Wirkung als Legitimation für die außergerichtliche Geltendmachung des (teilweise) fremden Rechts im eigenen Namen (vgl. StJScl:l-Pohle vor § 50 Anm. II 4). Freilich ist dieses materielle Einziehungsrecht nicht Gegenstand des Prozesses nach §§ 1011, 2039 BGB (vgl. Blomeyer AcP 159, 404 f.; Henckel, Parteilehre, S.213). 15 Dabei kommt ihm die Vermutung des § 1006 BGB zugute (vgl. ErmanRonke, a.a.O.; Palandt-Degenhart, a.a.O.). 18 Vgl. Hofmann, Rechtskraft, S. 98; Erman-Bartholomeyczik § 2039 Anm.2; Blomeyer, Lehrb. § 92 11 3 (mit Nachw.); ders. AcP 159, 398 f. 11

18

5 H.....ld

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

b) Die Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts Das RG wandte § 2039 BGB auf die Gesellschaft des bürgerlichen Rechts entsprechend an, wenn die Geschäftsführung nach § 709 I BGB den Gesellschaftern gemeinsam zustand17 • c) § 432 BGB

Dieselben Grundsätze müssen für Klagen nach § 432 BGB gelten, wenn man die Rechtsstellung der Gläubiger analog dem Verhältnis der Miteigentümer und Erben nach den §§ 1011, 2039 BGB konstruiert. Die Mitgläubiger stehen dann in schlichter Rechtsgemeinschaft hinsichtlich einer einheitlichen Forderung und klagen als Prozeßstandschafter. Diese Auffassung wird durchwegs von der Prozeßrechtslehre vertreten18, während die zivilrechtliche Theorie eine Mehrheit selbständiger Forderungen annimmt, die nur im Leistungsinhalt - einschließlich des Adressaten der Leistung - übereinstimmenlI. In diesem Fall klagt jeder Gläubiger aus eigenem Recht, und die Streitgegenstände sind verschieden. bie analoge Anwendung des § 432 BGB auf Gesamthandsgemeinschaften, bei denen das Gesetz keine entsprechende Regelung trifft, wird diskutiert2o • d) Die Notverwaltung

Im Rahmen der Notverwaltung ist der einzelne Teilnehmer einer Gesamthand oder Bruchteilsgemeinschaft auch dann zur selbständigen Prozeßführung über das gemeinsame Recht befugt, wenn er nicht oder nicht allein verwaltungs- und verfügungsberechtigt ist. Beispiele dafür sind ,die §§ 744 1121 , 1455 Nr.10 22, 1472111 2. HS23 und 2038 I S.2 BGB24. Umstritten ist die analoge Anwendbarkeit von § 744 11 oder § 2038 I BGB auf die bürgerlichrechtliche Gesellschaft2'. Auch hier handelt es sich um parellele Einzelprozesse über denselben Streitgegenstand, falls mehrere Gemeinschafter klagen; ja sogar dann, wenn sich alle Mitberechtigten zusammenfinden. Nehmen wir an: VgI. Blomeyer, Lehrb. § 41 II 2 (mit Nachw., S.206 N.3). So Henckel, Parteilehre, S.46; Holzhammer, Parteienhäufung, S.106 f.; StJSch-Pohle § 62 Anm. II 1 c; Blomeyer, Lehrb. § 41 II 2; Bruns, Lehrb. § 11 IV. 11 VgI. die Nachw. bei Blomeyer AcP 159, 391 N.28. 20 Larenz, Schuldrecht I, § 32 I b; ders., Schuldrecht II, § 56 IVa. 21 Palandt-Thomas Anm. 2. 22 Erinan-Bartholomeyczik Anm. 2 f. 23 Erman-Bartholomeyczik, Anm. 3. 24 Soweit der Miterbe nicht bereits nach § 2039 BGB prozeßführungsbefugt ist, folgt sein Prozeßführungsrecht aus dem Notverfügungsrecht (vgI. ErmanBartholomeyczik § 2040 Anm.20; Palandt-Keidel § 2038 Anm.3 d). 25 VgI. Larenz, Schuldrecht II, S.300 N. 2; Rosenberg, Lehrb. § 95 II 2 b. 17

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§ 10:

Identität des Streitgegenstands

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Von Ehegatten, die in Gütergemeinschaft leben und das Gesamtgut gemeinsam verwalten, klagt der eine aus einem zum Gesamtgut gehörigen Recht. Das Gericht hält die Voraussetzungen des § 1455 Nr. 10 BGB für gegeben und verhandelt zur Sache. Nun schließt sich der andere Ehegatte der Klage an. Gewiß sind die Ehegatten von da an auch nach § 1450 I S.l BGB prozeßführungsbefugt, aber von notwendig gemeinsamer Rechtsverfolgung kann nicht die Rede sein. Falls der zweite Ehegatte seine Klage wieder zurücknimmt, wird die Klage des ersten nicht unzulässig. Wenn die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung davon abhinge, daß nUT gemeinsame Prozeßführungsbefugnis besteht, müßten die Gerichte bei jedem Gemeinschaftsprozeß prüfen, ob die Klage nicht als Maßnahme der Notverwaltung anzusehen ist, um danach über die besondere Streitgenossenschaft zu entscheiden. Wer dieses Ergebnis ablehnt, muß auch seine Voraussetzungen in Frage stellen. e) § 1428 BGB Einzelprozesse über gesamthänderisch gebundene Rechte sind auch möglich, wenn der das Gesamtgut verwaltende Ehegatte entgegen §§ 1423-1425 BGB über das Gesamtgut als Ganzes oder einzelne dazugehörige Rechte verfügt hat. Dann kann der nicht verwaltende Ehegatte nach § 1428 BGB den revokatorischen Anspruch, der zum Gesamtgut gehört 26, geltend machen; das Prozeßführungsrecht des verwaltenden Gatten aus § 1422 BGB bleibt jedoch erhalten!7. 2. Die Ausübung eines fremden Rechts a) § 1077 I S. 2 BGB

Beim Nießbrauch an einer verzinslichen Forderung können Nießbraucher und Gläubiger unabhängig voneinander Leistung an sie beide verlangen (§ 1077 I S. 2 BGB), und daher ist jeder von ihnen zu selbständiger Prozeßführung berechtigt. Ob jedoch Nießbraucher und Gläubiger dasselbe Recht gegen den Schuldner geltend machen, hängt letztlich davon ab, wie man den Nießbrauch als Recht an einem Recht auffaßt. Durch die Bestellung des Nießbrauchs wird die Rechtsstellung des Gläubigers insofern beeinflußt, als die Empfangszuständigkeit für die Leistung sich ändert. Für die Rechtsstellung des Nießbrauchers gibt es zwei mögliche Konstruktionen. Man kann annehmen, daß in der Person des Nießbrauchers eine zweite Forderung desselben Inhalts entsteht, was zu einer Art von Mitgläubigerschaft führt 28, oder das 26 27 28

Blomeyer, Lehrb. §§ 41 II 2, 92 I 2 b. Erman-Bartholomeyczik zu § 1428 BGB.

Vgl. v. Tuhr Allg.Teil I, § 6 IV.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

Recht des Nießbrauchers als Einziehungs- und Prozeßführungsrecht für die ursprüngliche Forderung verstehen2•• Diese Auffassung stimmt am besten überein mit der modemen Konzeption des Rechts an einem Recht, die davon ausgeht, daß ein Ausschnitt der in dem belasteten Recht enthaltenen Befugnisse auf den Nießbraucher übergeht und die Rechtsmacht des Inhabers entsprechend verkürzt wird30 . Daher ist anzunehmen, daß Nießbraucher und Gläubiger im Prozeß mit dem Schuldner dieselbe Rechtsbehauptung aufstellen. b) §§ 1281 S.2, 1128111 BGB

Dasselbe gilt für Prozesse des Pfandgläubigers und des Gläubigers einer verpfändeten Forderung gegen den Schuldner nach § 1281 S. 2 BGB31. § 1128111 BGB gibt dem Hypothekengläubiger die Rechtsstellung des Pfandgläubigers an der Versicherungsforderung, wenn für das belastete Grundstück eine Gebäudeversicherung besteht, und verweist damit auch auf § 1281 BGBS!.

c) Prozesse des Gläubigers und des Vollst,.eckungsschuldners gegen den Drittschuldne,. Ganz ähnlich gestaltet sich in der Zwangsvollstreckung das Verhältnis von Gläubiger, Schuldner und Drittschuldner, sobald eine gepfändete Forderung dem Gläubiger nach § 835 I ZPO zur Einziehung überwiesen ist. Die Forderung gehört weiterhin zum Vermögen des Vollstreckungsschuldners, und dieser bleibt berechtigt, die Leistunb zu verlangen und einzuklagen33 . Daneben ist kraft seines Pfändungspfandrechts und des überweisungsbeschlusses auch der Vollstreckungsgläubiger zur Einziehung der Forderung und zur Prozeßführung berechtigt3c. Damit sind parallele Prozesse mit identischem Streitgegenstand möglich. d) §1368 BGB

Die revokatorische Klage aus § 1368 BGB wurde nach dem Modell des § 1428 BGB für den gesetzlichen Güterstand geschaffen. Wenn ein Ehegatte ohne die erforderliche Zustimmung des anderen über sein Vermögen als Ganzes (§ 1365 BGB) oder über Gegenstände des HausSo StJSch-Pohle vor § 50 Anm. II 4. 30 Vgl. Wolff-Raiser, Sachenrecht § 120 I; Westermann, Lehrb. § 136 I 2. Auch hier steht das (belastete) Recht mehreren Subjekten zu; nur der Inhalt des beschränkten dinglichen Rechts und das Verhältnis mehrerer solcher Rechte untereinander und zum Vollrecht unterscheiden sich von der eigentlichen Rechtsgemeinschaft. 31 Vgl. StJSch-Pohle, a.a.O. 32 Vgl. Staudinger-Scherübl § 1128 Rdnr.7 f. (9 a). 33 Baumb.-Lauterbach § 835 Anm. 5; Thomas-Putzo § 835 Anm. 2 a. 34 Baumb.-Lauterbach § 835 Anm. 4 C; Thomas-Putzo § 835 Anm. 2 b. 29

§ 10:

Identität des Streitgegenstands

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rats (§ 1369 Abs. I, 111 BGB) verfügt hat, ist auch der andere Gatte berechtigt, die aus der Unwirksamkeit der Verfügung sich ergebenden Rechte gerichtlich geltend zu machen. Dies wäre eine Selbstverständlichkeit, was seine eigene Rechtsstellung als Miteigentümer oder Mi~ besitzer angeht. § 1368 BGB regelt daher nur den Fall, daß der nicht verfügende Gatte als Prozeßstandschafter Rechte des verfügenden geltend macht35 . Seine Prozeßführungsbefugnis rechtfertigt sich aus dem Interesse an der "Erhaltung der Familienhabe"38. Daneben bleibt auch der verfügende Ehegatte aufgrund seiner Sachlegitimation prozeßführungsbefugt. 3. Die Popularklagen

Die Klagen auf Nichtigerklärung eines Patents (§§ 37 11 mit 13 I Nr. 1, 2 PatG) und auf Löschung eines Gebrauchsmusters (§ 7 I GebrMG) oder Warenzeichens (§ 11 I Nr.2, 3, 4 WZG) sind Popularklagen. Aufgrund des öffentlichen Interesses an der Beseitigung des in der Klage behaupteten rechtswidrigen Zustandes ist grundsätzlich jedermann ohne den Nachweis eines besonderen Rechtsschutzinteresses prozeßführungsbefugt37. Da also die Rechtsstellung und das Eigeninteresse des Klägers für die Klagevoraussetzungen gleichgültig sind, wäre es eine überflüssige Konstruktion, ein ihm zustehendes materielles Gestaltungsrecht oder einen Löschungsanspruch als Streitgegenstand der Popularklagen anzunehmen. In Wahrheit geht es bei diesen Klagen um die Feststellung objektiver Rechtslagen, die der Parteiverfügung entzogen sind. Streitgegenstand ist daher neben der beantragten Rechtsschutzmaßnahme die Behauptung, daß aus dem geltend gemachten Klagegrund das Patent für nichtig zu erklären ist, der Inhaber die Löschung des Warenzeichens zu bewilligen hat USW. 38 • Dies vorausgesetzt, ergibt sich Identität des Streitgegenstands zwischen parallelen Klagen. 4. Die Gestaltungsklagen

Die Gestaltungsklagen brauchten nicht gesondert angeführt zu werden, wenn unstreitig in jedem Fall die Behauptung eines subjektiven Gestaltungsrechts des Klägers Streitgegenstand wäre 39 • Mehrfache Prozeßführungsbefugnis über denselben Streitgegenstand wäre dann Erman-Bartholomeyczik § 1368 BGB Anm. 2 b (mit Nachw.). Blomeyer, Lehrb. § 41 II 2 (mit Nachw.). 37 Vgl. v. Gamm § 11 WZG Rdnr.5, 20; Reimer § 13 PatG Rdnr. 15. 38 Ähnlich (zur Gestaltungsklage) Henckel, Parteilehre, S. 31 f., 95; vgl. auch StJSch-Pohle vor § 50 Anm. II 6. 38 So Bötticher, Festschr. f. Dölle Bd. I, S. 41 f. (55 f.); Larenz, Allg. Teil, § 19 II; Rosenberg, Lehrb. § 87 12; vgl. auch die übersicht bei Blomeyer, Lehrb. § 38 II. 35

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

nur so denkbar, daß nach den allgemeinen Regeln mehrere Parteien, denen das Gestaltungsklagerecht gemeinsam zustünde, oder Rechtsinhaber und Prozeßstandschafter nebeneinander zu selbständiger Rechtsverfolgung befugt wären40. Daß auch in anderen Fällen die Streitgegenstände von Gestaltungsklagen identisch sein müssen, beweist eine Reihe von Normen, die Rechtskrafterstreckung anordnen; so die §§ 1496 S.2 BGB41; 51 V, 96 GenG; 75 II GmbHG und die Anfechtungsklagen des AktG 4!. Die Rechtskrafterstreckung wäre sinnlos, wenn im Urteil nur das Gestaltungsrecht des jeweiligen Klägers festgestellt würde. Daraus schließt HenckeI, Streitgegenstand der Gestaltungsklage sei allgemein die Behauptung, daß die beantragte Gestaltung aus dem vorgetragenen Gestaltungsgrund berechtigt ist43• 44 . Unter dieser Voraussetzung kann es auch bei der Erbunwürdigkeitsklage (§§ 2341, 2342 EGB), bei der Anfechtungsklage gegen einen Entmündigungsbeschluß (§§ 664 II, 666 III ZPO)45 und bei der Klage auf Wiederaufhebung der Entmündigung (§ 679 IV ZPO), wo das Gesetz keine Rechtskrafterstreckung vorsieht, streitgenössische Prozesse mit identischem Streitgegenstand geben. 5. Besonderheiten bei FeststelIungskIagen

Bei Feststellungsklagen kann es wegen der eigentümlichen Regelung der Prozeßführungsbefugnis sehr leicht zu parallelen Prozessen über denselben Streitgegenstand kommen. Zwar beruht das Prozeßführungsrecht des Klägers auf denselben strengen Voraussetzungen wie bei der Leistungsklage, aber richtiger Beklagter ist jeder, gegen den sich ein Feststellungsinteresse des Klägers richtet46. So ist der Streitgegenstand identisch, wenn der (angebliche) Rechtsinhaber gegen mehrere Bestreitende auf Feststellung seines Rechts klagt. Die Beklagten haben u. U. nichts weiter gemeinsam als ihre Gegnerschaft zum Kläger; nur für diesen Prozeß decken sich ihre Interessen. Im übrigen kann es sein, daß jeder von ihnen das streitige Recht für sich beansprucht47 . 40 s. o. Nr. 1,2. 41 Vgl. (auch zum folgenden) Henckel. Parteilehre, S. 207 f. 42 s. o. § 7 N. 13. 43 Henckel, Parteilehre, S. 31 f., 95, 209 1., 286 f. 44 Ähnlich Bätticher, Festschr. f. Dälle Bd. I, S.65 N.52: Streitgegenstand der Anfechtungsklagen ist die Behauptung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Maßnahme, Rechtsfolge usw. Die materielle Berechtigung des Klägers zur "Aktivierung" dieses Rechtsmangels wird als Prozeßvoraussetzung geprüft. 45 Zur Bedeutung des § 666 IU ZPO vgl. Henckel, Parteilehre, S. 211. 46 s. o. § 6 IU 1 bei N.20. 47 Daher sollte der Rechtsinhaber, dessen Stellung in dieser Form angegriffen wird, gegen jeden der Prätendenten nur die negative Feststellung beantragen, daß ihm das Recht nicht zustehe. Die positive Klage darf -

§ 10: Identität des Streitgegenstands

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Allerdings wird die Streitgenossenschaft auf der Passivseite der Feststellungsklage meist nicht aus einem solchen "zufälligen" Zusammentreffen hervorgehen, sondern ihren Grund in einem Rechtsverhältnis haben, das die Streitgenossen untereinander und mit dem Gegner verbindet. Auch die Existenz des Rechtsverhältnisses kann Gegenstand der Klage sein. Typische Fälle der Identität des Streitgegenstands sind daher: die Klage gegen mehrere Miterben auf Feststellung eines Erbrechts48, des Ptlichtteilsrechts49 oder der Nichtigkeit eines Testaments; die Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts gegen MitgesellschafterI'o oder die Klage mehrerer gegen den geschäftsführenden Gesellschafter auf die Feststellung, daß seine Befugnis nach § 719 I BGB erloschen ist; schließlich die Klage des Gesellschafters einer OHG auf Feststellung der Höhe seiner BeteiligungS1 oder auf die Feststellung, daß ein Mitgesellschafter ausgeschieden ist52 • Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren.

III. Selbständige Rechtsverfolgung und Einheitlichkeit der Entscheidung Aus den gemeinsamen Merkmalen der angeführten Fälle lassen sich sogleich einige Folgerungen für die Frage der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung ziehen. Das Gesetz ordnet statt eines gemeinsamen Prozeßführungsrechts mehrfache Einzelprozeßführungsbefugnis an, wenn bei mehreren Klänach dem mat. Recht - nur dann Erfolg haben, wenn die vereinten Argumente der Prätendenten entkräftet sind. 48 Gemeinsame Rechtsverfolgung gegen alle Miterben ist nicht notwendig. Vgl. Henckel, Parteilehre, S.93 (mit Nachw.). 49 Der Streitgegenstand ist identisch; denn es soll nicht der konkrete Pflichtteilsanspruch gegen jeden Erben festgestellt werden, sondern das Pflichtteilsrecht als Grundverhältnis, aus dem alle diese Anspruche entstehen (vgl. Schwab, Festschr. f. Lent, S. 287 f.). Trotzdem ist der einzelne Miterbe passiv prozeßführungsbefugt (anders Schwab, a.a.O.): Die gemeinsame Verfügungsbefugnis der Miterben über den Nachlaß ist dafür ohne Bedeutung. Auch haftet für die aus dem streitigen Recht entspringenden Ansprüche nicht nur der Nachlaß, sondern u. U. auch das Einzelvermögen des Erben (§§ 2058 f. BGB; vgl. Henckel, Parteilehre, S. 92 f.). 110 Nach Henckel, Parteilehre, S. 93 f., ist der einzelne verklagte Gesellschafter nur ausnahmsweise prozeßführungsbefugt, wenn die beantragte Feststellung auch für rechtliche Beziehungen des Klägers zu ihm persönlich Bedeutung hat (s. u. bei N. 55). 51 Gegen jeden Mitgesellschafter ist selbständige Klage zulässig. Vgl. Henckel, Parteilehre, S. 93 N. 168 (mit Nachw.). 62 Zur Einzelprozeßführungsbefugnis der beklagten Mitgesellschafter vgl. BGH LM Nr.6 zu § 140 HGB; BGH 30, 195.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

gern jeder für sich ein hinreichendes Interesse an der Rechtsverfolgurig hat oder gegenüber jedem von mehreren Beklagten ein selbständiges Interesse an der Rechtsverfolgung besteht. Das geschützte Interesse geht also darauf, daß unabhängig von der Rechtsverfolgung anderer oder gegen andere zwischen einem einzelnen Kläger und dem Beklagten oder zwischen dem Kläger und einem einzelnen Beklagten über den Streitgegenstand rechtskräftig entschieden werden kann. Dagegen besteht auch bei Einzelprozeßführungsbefugnis kein Interesse an inhaltlich voneinander abweichenden Sachentscheidungen. Die Identität des Streitgegenstands und die Gleichheit der Parteirolle sind vielmehr der prozessuale Ausdruck einer Übereinstimmung der im Prozeß befangenen materiellen Interessen. Normalerweise will jede Partei siegen, und in diesem Sinn sind bei Prozessen über denselben Streitgegenstand alle Streitgenossen an einheitlicher Entscheidung interessiert. Eine andere Frage ist es, ob dem Gegner der mehreren Prozeßführungsbefugten nUT an einheitlicher Entscheidung gelegen sein kann oder ob schon ein Sieg über den einzelnen von ihnen eine Teitverwirklichung seiner Interessen darstellt. Bei der Gestaltungs- und Leistungsklage kommt mehrfache Einzelprozeßführungsbefugnis über denselben Streitgegenstand, soweit ersichtlich, nur auf der Klägerseite vor. Der Beklagte muß die Gestaltung hinnehmen bzw. die volle Leistung erbringen, wenn nur einer der Kläger ihn besiegt. Die Abwehr der übrigen Klagen nützt ihm - vom Kostenpunkt abgesehen - nur insoweit, als die rechtskräftige Feststellung für weitere Rechtsbeziehungen zwischen ihm und den einzelnen Klägern präjudizielle Bedeutung besitzt. Diese Urteilswirkung steht jedoch nur bei der Feststellungsklage im Vordergrund. Dort besteht trotz Identität des Streitgegenstands nur in besonderen Fällen ein ausschließliches Interesse an einheitlicher Feststellung gegenüber allen Beteiligten: Bei Prozessen über Existenz oder Inhalt eines Rechtsverhältnisses, das den Kläger und die mehreren Beklagten verbindet53 , führt nur ein Sieg über sämtliche Gegner den Kläger zum ZieiM • Begrenzten Wert hat ein Erfolg im Einzelprozeß auch hier, wenn die beantragte Feststellung über das gemeinsame Rechtsverhältnis für rechtliche Sonderverbindungen der Parteien präjudiziell ist55• s. o. II 5 und § 6 III 1 bei N. 21. Vgl. Fischer, Anm. zu BGH LM Nr.7 zu § 62 ZPO(ohne Begründung). Dazu s. u. IV 1 b. . 55 Beispiele sind die Klage auf Feststellung des Pflichtteilsrechts gegen Miterben (s. o. N. 49 a. E.) oder der Prozeß über den Fortbestand der Gesellschaft, wenn der Kläger einem der beklagten Gesellschafter für dessen Beteiligung ein Darlehen gegeben hatte, das nach Beendigung der Gesellschaft zurückzuzahlen ist (Henckel, Parteilehre, S.94; vgl. o. N.50). 63

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§ 10: Identität des Streitgegenstands

IV. Die Möglichkeit von Urteilskollisionen 1. Die Redltskraftwirkung

a) Besondere StreitgenosseTl.8chaft wegen Rechtskrafterstreckung? In den angeführten Fällen mehrfacher Prozeßführungsbefugnis über denselben Streitgegenstand ordnet das Gesetz keine Rechtskrafterstrekkung an. Rechtsprechung und Lehre haben die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers für ein selbständiges Prozeßführungsrecht des einzelnen Beteiligten nie in Zweifel gezogen. Die Diskussion geht allein darum, ob nicht zur Vermeidung unnötiger Doppelprozesse und im Interesse des Gegners Rechtskrafterstreckung zwischen den mehreren Prozeßführungsbefugten stattfinden sollte&6. Das typische Rechtsschutzinteresse, das die Einzelprozeßführungsbefugnis begründet, ist bei allen Beteiligten gleich stark. Keiner von ihnen kann allein über das den Prozessen zugrundeliegende materielle Recht verfügen. Da ihre Rechtsstellung also völlig gleichwertig ist, können nicht die übrigen Prozeßführungsbefugten der Rechtskraft des von einem unter ihnen erstrittenen Urteils unterworfen werden57 • Damit würde ihnen im Ergebnis das selbständige Prozeßführungsrecht wieder genommen und ihr Eigeninteresse an der Rechtsverfolgung, dem es dienen sollte, wäre stärker beeinträchtigt als bei gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis. Daher ist volle Rechtskrafterstreckung bei Sieg und Niederlage nicht möglich58 • Immerhin läßt die Interessenlage eine Rechtskrafterstreckung Z'UguTl.8ten der übrigen Prozeßführungsbefugten ZU59 • Es besteht jedoch kein Anlaß, sie gegen das Gesetz anzunehmen. Nach allgemeiner Ansicht führt die Zustimmung zur Prozeßführung eines anderen Rechtskraft58

Dafür bei den §§ 1011, 2039 BGB -

f. Lent, S. 284.

de lege ferenda -

Schwab, Festschr.

57 Hier müßte die volle Rechtskrafterstreckung wechselseitig sein. Vgl. oben II 1 nach N. 9 und § 7 II 2 bei N. 10. . 58 Rechtskrafterstreckung wird allgemein abgelehnt (s. jedoch N.59). Vgl. zu §§ 1011,2039 BGB: Hofmann, Rechtskraft, S. 97 f.; Schwab, Festschr. f. Lent, S. 284 f.; Blomeyer AcP 159, 394 f. (mit Nachw.); Henckel, Parteilehre, S.46, 213 f.; Holzhammer, Parteienhäufung, S. 89 f.; RG 119, 163 (mit Nachw. früherer Rspr.); OGHBrZ 3, 242. Zu § 1428 BGB: Blomeyer, Lehrb. § 92 I 2 b (mit Nachw. N. 1-3). Zu § 1368 BGB: Blomeyer, Lehrb. § 92 12 c (mit Nachw. N. 5); Erman-Bartholomeyczik Anm. 4 b, ce (mit Nachw.). § 1281 BGB: str., vgl. Blomeyer, Lehrb. § 92 I 2.. Für die Popularklagen: v. Gamm § 11 . WZG Rdnr.8; Benkard § 37 PatG Anm.3 c. Zu § 2342 BGB: Henckel, Parteilehre, S. 100,211. Zu. den besonderen Fällen der Feststeltungsklage (5. o. II 5): vgl. RG 91, 412; 95, 97; BGH 23, 73; 30, 195; weitere Nachw. der Rspr. des RG und BGH bei BGH 30, 200. . 59 Dafür bei § 2039 BGB: Wieczorek § 62 Anm. 11 b 1; bei den §§ 432, 1011, 2039 BGB: Henckel, Parteilehre, S. 213 f.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

erstreckung herbei60 • Sie kann auch nach Abschluß des Prozesses als Genehmigung erteilt werden und macht damit in demselben Umfang wie die Rechtskrafterstreckung "secundum eventum litis" Doppelprozesse entbehrlich. Ein Rechtskraftkonflikt kann sich dabei nicht ergeben; denn, wenn einer der Prozeßführungsberechtigten mit seiner Klage abgewiesen wurde, kann er ebensowenig die Rechtskraft eines späteren günstigen Urteils in derselben Sache durch Genehmigung auf sich ziehen, wie er selbst noch einmal klagen könnte. Beidem steht die Rechtskraft des ersten Urteils entgegen. In seinen Ausführungen zur Frage der besonderen Streitgenossenschaft bei den §§ 432, 1011, 2039 BGB geht Henckel 81 ebenfalls von der Voraussetzung aus, daß Rechtskrafterstreckung bei siegreichem Ausgang des Einzelprozesses möglich ist, daß aber die Genehmigung der Prozeßführung denselben Dienst leistet. Trotzdem entscheidet er sich für Rechtskrafterstreckung - um die überflüssige Formalität der Genehmigung zu sparen - und beschwört damit die Gefahr eines Rechtskraftkonflikts herauf, die ihm gestattet, besondere Streitgenossenschaft anzunehmen. Wäre es ihm nur darum gegangen, Rechtskraftkonflikte zu vermeiden, hätte er es bei der Genehmigung der Prozeßführung bewenden lassen; zumal die besondere Streitgenossenschaft einen solchen Konflikt nur dann verhindern kann, wenn es zufällig zur streitgenössischen Verhandlung kommt. Die Frage nach der besonderen Streitgenossenschaft läßt sich nicht damit lösen, daß man auch ohne gesetzliche Grundlage eine Rechtskrafterstreckung annimmt62 • b) Komplikationen bei bestimmten Feststellungsklagen

Die Judikatur hatte sich verschiedentlich bei Gelegenheit von Feststellungsklagen zwischen Erben oder Mitgliedern von Personalgesellschaften63 mit der Frage auseinanderzusetzen, ob praktische Schwierigkeiten bei der Ausführung widersprechender Urteile Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung begründen können. RG und BGH lehnen in ständiger Rechtsprechung besondere Streitgenossenschaft ab, mit der wortgetreu tradierten Bemerkung, "gewisse Schwierigkeiten", die entstehen könnten, seien "nicht unlösbar"64. Hingegen zeigen die Untergerichte trotz dieser langjährigen Rechtsprechung die unverkennbare Neigung, besondere Streitgenossenschaft anzunehmen 65 • Um eine Vorstellung von der Art dieser Schwierigkeiten und dem Umfang ihres 60 61 62

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Vgl. Blomeyer, Lehrb. § 92 I 3 (mit Nachw.). Parteilehre, s. 212 f. So Henckel selbst an die Adresse Schwabs (a.a.O., S. 211 bei N. 101). s. o. II 5 nach N. 47. RG 95, 98; BGH 23,76; 30, 200. Vgl. Fischer, Anm. zu BGH LM Nr.7 zu § 62 ZPO.

§ 10: Identität des Streitgegenstands

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Auftretens zu geben, sollen einige der möglichen Konstellationen anhand eines Fallbeispiels durchgegangen werden. Eine zwischen A, B, C und D bestehende Gesellschaft des bürgerlichen Rechts ist von A aus wichtigem Grund (§ 723 I BGB) gekündigt worden. Die übrigen Gesellschafter erkennen die Kündigung nicht als wirksam an, und A klagt gegen sie auf die Feststellung, daß die Gesellschaft aufgelöst sei. Er hat mit der Klage gegen B und C Erfolg, unterliegt aber dem D. Zwischen A einerseits, B und C andererseits ist daher die Auflösung der Gesellschaft rechtskräftig festgestellt; zwischen A und D ist festgestellt, daß die Gesellschaft - mit den Gesellschaftern A, B, C und D - fortbesteht. A muß also verschiedenen Personen gegenüber widersprechende Feststellungen anerkennen 66 • Ein Rechtskraftkonflikt in dem oben bezeichneten Sinn ist nicht gegeben. Die Rechtskraft betrifft stets das Verhältnis zwischen zwei Parteien67 • In späteren Prozessen, in denen die Bindung der Gerichte an die frühere Feststellung aktuell wird, stehen sich wiederum zwei Parteien gegenüber. Daher haben die Gerichte mit den widersprechenden Urteilen keine Schwierigkeiten: Im Prozeß des A mit B oder C braucht sie nicht zu interessieren, was zwischen A und D rechtskräftig festgestellt ist. Problematisch ist dagegen die Lage des A. Hier zeigen sich die Grenzen der Möglichkeit, wechselseitige Beziehungen innerhalb eines einheitlichen Rechtsverhältnisses unter mehreren Teilnehmern in zweiseitige Verbindungen aufzulösen und Konflikte in Prozessen nach dem Zweiparteienschema auszutragen 68 • A kann nicht, den Urteilsfeststellungen entsprechend, dem D gegenüber die Pflichten eines Gesellschafters erfüllen und zugleich im Verhältnis zu Bund C die Abwicklung und Auseinandersetzung betreiben. Das Verhalten des A gegenüber Bund C berührt auch sein Verhältnis zu D. Diesem gegenüber ist A verpflichtet, die Gesellschaft auch mit B und C fortzusetzen 69 • Allerdings wird dieser Konflikt normalerweise nicht praktisch: Bund C sind nach wie vor am Bestand der Gesellschaft interessiert. Sie werden daher die gegen sie ergangenen Urteile ignorieren, die Gesellschaft weiterführen und A nicht hindern, es ebenfalls zu tun; denn D ist aufgrund seines obsiegenden Urteils imstande, A zur Fortführung der Gesellschaft zu zwingen und zu verhins. u. V 1 bei N. 84. Selbst bei Rechtskrafterstreckung, die hier nicht vorliegt, wirkt die erstreckte Rechtskraft nur zwischen dem passiven Rechtskraftgenossen und dem Gegner, nicht auch zwischen den Rechtskraftgenossen selbst (Hofmann, Rechtskraft, S.49). 88 über die Unzulänglichkeit des Zweiparteienprozesses in solchen und ähnlichen Fällen: de Boor, Auflockerung, S. 62 f.; Graßhoff ZZP 60, 242 f. 69 Zur gegenseitigen Verpflichtung aus dem Gesellschaftsvertrag (§ 705 BGB) vgl. Larenz, Schuldrecht 11, § 56 I b. 68 67

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

dern, daß A von den Urteilen gegenüber B und C Gebrauch macht. Es kommt also nicht zum Konflikt, weil eine der unvereinbaren Feststellungen sich praktisch durchsetzt. A hätte, um sein Ziel zu erreichen, alle Mitgesellschafter besiegen müssen. Dies folgt nicht aus der KlägersteIlung des A. Wenn B, C und D gegen ihn geklagt hätten, hätten die Urteile ebenso ausfallen können, und die Konsequenzen wären dieselben. Das Ergebnis hängt auch nicht davon ab, wer die Beendigung und wer den Fortbestand der Gesellschaft behauptet. Entscheidend ist vielmehr, daß in jedem einzelnen Prozeß das Rechtsverhältnis zu sämtlichen Gegnern streitig ist und daß A einer Mehrheit von Prozeßführungsbefugten gegenübersteht, die dasselbe Interesse verfolgen. Die Parallele zu den §§ 1011, 2039 BGB ist deutlich. Mit dieser Lösung kommt man zwar praktisch zurecht, aber sie befriedigt nicht restlos. Zwei rechtskräftige Urteile bleiben ohne Wirkung, werden von einem dritten verdrängt. A muß nachgeben, obwohl er die Mehrheit seiner Gegner besiegte. Überdies läßt sich der beschriebene Konflikt nicht in jedem Fall umgehen. Gesetzt, B schließt sich dem Standpunkt des A an und beide - A und B - klagen gegen C und D. Falls nun A den C besiegt und dem D unterliegt, B umgekehrt den D besiegt und dem C unterliegt, hat jeder Gesellschafter einmal gewonnen und einmal verloren. Jeder von ihnen ist einem Mitgesellschafter gegenüber zur Fortsetzung, einem anderen gegenüber zur Liquidation verpflichtet. Selbst wenn die Gesellschafter, die gleiche Interessen verfolgen, zusammenhelfen, können sie die Gegner nicht mit Hilfe der ergangenen Urteile zwingen, ihren Standpunkt aufzugeben. Die Streitsache kann auch nicht mehr den Gerichten vorgelegt werden; dem steht die Rechtskraft entgegen, denn ein Rechtskraftkonflikt, bei dem die Wirkung der Urteile sich gegenseitig aufhebt, liegt nicht vor70• Alle künftigen Prozesse unter den Gesellschaftern, für die die getroffenen Feststellungen präjudiziell sind, müssen ebenso widerspruchsvoll enden. Damit ist die Gesellschaft praktisch funktionsunfähig. Da der staatliche Rechtsschutz versagt, bleibt den Beteiligten nichts anderes übrig, als sich außergerichtlich zu einigen, was bei dem bewiesenen Mangel an Einsicht und Verständigungsbereitschaft nicht einfach sein dürfte. Diese Situation ist überall dort möglich, wo die Teilnehmer eines Rechtsverhältnisses, aus dem sich .eine wechselseitige Verpflichtung ergibt, untereinander über die Existenz · des Rechtsverhältnisses oder eine daraus abgeleitete, alle berührende Rechtsfolge streiten. Es handelt sich also vor allem um Feststellungsklagen unter den Teilhabern von Personalgesellschaften und Verwaltungs- und Verfügungs70

s. o. § 7 11.

§ 10: Identität des Streitgegenstands

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gemeinschaften71 • In diesen Fällen ist einheitliche Entscheidung notwendig, damit die nachgewiesenen Komplikationen vennieden werden. Gewiß ist diese besondere Konstellation der Urteile nicht gerade wahrscheinlich; aber auch Rechtskraftkonflikte sind, wie gezeigt, in streitgenössischen Prozessen selten, und doch - begründet ihre Möglichkeit anerkanntennaßen besondere Streitgenossenschaft. Hinzu kommt, daß hier wie dort Identität des Streitgegenstands vorausgesetzt ist, woraus sich weitere Gründe für einheitliche Entscheidung ergeben werden. 2. Die Tatbestanc1swirkung

Wo die Existenz eines rechtskräftigen Urteils zum Tatbestand einer Nonn des materiellen Rechts gehört und damit die Voraussetzung für den Einritt einer außerprozessualen Rechtsfolge bildet, spricht man von der Tatbestandswirkung des Urteils72 • Der beauftragte Bürge z. B. kann vom Hauptschuldner Befreiung von der Bürgschaft verlangen, sobald der Gläubiger gegen den Bürgen ein vollstreckbares Urteil erwirkt hat (§ 775 I Nr.4 BGB). Der Befreiungsanspruch entsteht also, wenn die Klage des Gläubigers oder eines Prozeßstandschafters Erfolg hat. Auf den konkreten Inhalt des Urteils - etwa, in welcher Höhe oder aus welchem rechtlichen Gesichtspunkt der Bürge verurteilt wird kommt es dafür nicht an. Das die Klage abweisende Urteil hat keine zivilrechtliche Nebenwirkung. Daher ist weder zwischen mehreren stattgebenden Urteilen, die im Detail voneinander abweichen, noch bei einem positiven und einem negativen Erkenntnis über denselben Gegenstand ein Konflikt der Tatbestandswirkung denkbar. Es kann dahingestellt bleiben, wie weit die Möglichkeit des Konflikts schon deshalb entfällt, weil die Tatbestandswirkung sich auf die fonnellen Parteien des Prozesses oder die von der Rechtskraft des Urteils betroffenen Personen 'beschränkt. 3. Die Vollstreckbarkeit

Die Vollstreckbarkeit in der Hauptsache kommt nur stattgebenden Leistungs- und Haftungsurteilen zu. Alle übrigen Urteile - insbesondere die klageabweisenden Entscheidungen - sind nur im Kostenpunkt vollstreckbar. Ein Konflikt der Vollstreckungswirkung ist also nur denkbar, wenn über denselben Anspruch zwei obsiegende Urteile ergehen und ihr für die Vollstreckung relevanter Inhalt sich widerspricht. Dies ist gerade wegen der vorausgesetzten Identität des Streitgegenstands nur ausnahmsweise möglich: Schuldner, Leistungsinhalt s. o. § 6 111 2 nach N. 26. Vgl. Kuttner,Nebenwirkungen, S.178, 190191; Bettennann, Vollstreckung, S.114. 71

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und Adressat der Leistung bestimmen den Streitgegenstand und werden vom Kläger festgelegt; das Gericht muß der Klage so, wie sie vorliegt, stattgeben oder sie abweisen. Nur bei Klagen, deren Streitgegenstand quantitativ teilbar ist, z. B. bei Zahlungsklagen, darf das Gericht weniger zusprechen, als beantragt war. Daß Titel, die auf demselben Anspruch beruhen, sich in diesem Punkt unterscheiden, behindert jedoch die Vollstreckung nicht. 4. Die Gestaltungswirkung

Daß eine Kollision der Gestaltungswirkung nicht möglich ist, wurde bereits ausführlich begründet7s .

v. Die sog. logische Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung und der Prozeßzweck der materiellen Wahrheit Bei voller Identität des Streitgegenstands in den streitgenössischen Prozessen wird von oder gegenüber den Streitgenossen dieselbe Rechtsschutzmaßnahme beantragt und dieselbe Rechtsbehauptung aufgestellt. Diese Behauptung betrifft eine konkrete Rechtsfolge des materiellen Rechts74 . Das Urteil, das den Streitgegenstand erledigt, enthält daher neben der Antwort auf die Rechtsschutzbitte des Klägers eine gerichtliche Feststellung über den materiellrechtlichen Gegenstand der Klage. Die Urteilsfeststellung ist also ihrem Inhalt nach zunächst eine Aussage i. S. der Logik über die außerprozessuale Rechtslage 75 . Bei getrennten Prozessen oder einfacher Streitgenossenschaft sind - vor allem aufgrund der Verhandlungsmaxime - widersprechende Urteilsfeststellungen über denselben Gegenstand möglich. Darin liegt nach allgemeiner Ansicht ein Verstoß gegen die Logik76 , eine "Vergewaltigung der Denkgesetze"77. Nur darüber ist man verschiedener Meinung, ob diese logische Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung genügt, um besondere Streitgenossenschaft zu begründen78. 73 s. o. § 8 II. 74 s. o. § 6 II. 75 Freilich geht ihre Wirkung weit darüber hinaus. s. u. nach N.82. 76 Dagegen nur Schwab (Festschr. f. Lent, S.274) mit dem Hinweis auf die Verhandlungs- und Dispositionsmaxime. Daraus ergibt sich aber nur soviel, daß der Widerspruch der Urteile auch bei Identität des Streitgegenstands i. d. R. nicht auf einem logischen Fehler bei der Urteilsfindung beruht, sondern auf dem Parteiverhalten, das die Prämissen für die Schlußfolgerungen des Gerichts liefert. Das Problem des logischen Verhältnisses der Urteilsinhalte ist damit nicht gelöst. 77 Baumb.-Lauterbach § 62 Anm. 1. 78 Die nahezu allgemeine Ablehnung beruht auf der Gleichsetzung von besonderer Streitgenossenschaft "aus Gründen der Logik" mit besonderer

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In der Tat scheint ein Widerspruch i. S. der Logik gegeben, wenn Urteile über denselben Gegenstand kontradiktorische Feststellungen treffen, d. h. wenn das eine den Inhalt des anderen direkt verneint oder beide positive Feststellungen enthalten, die sich gegenseitig ausschließen. Kontradiktorische Aussagen verstoßen gegen die Logik unter der Voraussetzung, daß sie sämtlich wahr sein sollen. Diese Prämisse selbst ist jedoch nicht logisch notwendig. Die Logik stellt vielmehr, ganz neutral, das Gesetz auf, daß Behauptungen, die sich widersprechen, nicht zugleich wahr sein können und daß umgekehrt Behauptungen, die wahr sein sollen, sich nicht widersprechen dürfen. Die logische Notwendigkeit einheitZicher Feststellung gilt also nur, soweit der Prozeßzweck die Feststellung der wahren RechtsZage fordert, und sie ist in diesem Fall ebenso rechtliche Notwendigkeit. Daß der ZivUprozeß grundsätzlich - wenn auch mit gewissen Einschränkungen nach materieller Wahrheit strebt, ist allerdings noch kein zureichender Grund für besondere Streitgenossenschaft bei Identität des Streitgegenstands. Wenn es Prinzipien gibt, nach denen die Erforschung der Wahrheit im Prozeß beschränkt wird, genügt es nicht, daß die besondere Streitgenossenschaft der Wahrheitsfindung dient; es ist weiter nachzuweisen, daß sie nicht ebendiesen Prinzipien zuwiderläuft. Die spezielle Frage nach dem Grund der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung und der besonderen Streitgenossenschaft führt damit zu den Grundlagen des Prozeßrechts. Sie fordert eine klare Konzeption vom Zweck des Prozesses und seinem Verhältnis zum materiellen Recht. 1. Prozeß und Urteil im Gesamtzusammenhang der Redltsordnung

Die positive Rechtsordnung ist zunächst ein Gefüge von Normen, die zwischenmenschliche Beziehungen innerhalb einer Rechtsgemeinschaft unter dem Aspekt der Gerechtigkeit zusammenhängend regeln. Sie ist m. a. W. ein Versuch, die Gerechtigkeitsidee zu konkretisieren, der Niederschlag einer bestimmten Gerechtigkeitsvorstellung79 • Die generelStreitgenossenschaft bei nur gemeinsamer Vortrage (s. u. § 11 N.6). Bei Identität des Streitgegenstands begründen Kisch (Judicium 3, Sp.246), Henckel (Parteilehre, S. 211 f., für die Gestaltungsklage) und die Rspr. des RG (s. o. § 1 N.52) die besondere Streitgenossenschaft mit logischer Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung. Der BGH (30, 200) lehnt auch dies ausdrücklich ab. 79 Der Einfachheit des Ausdrucks wegen ist hier und im folgenden allein von Gerechtigkeit die Rede. Gemeint sind jedoch alle Rechtswerte, die über die bloße Ordnungsfunktion, (lie rein formale Rechtssicherheit hinausgehen. Auf eine nähere inhaltliche Bestimmung dieser Werte kann dabei verzichtet werden. (Von Gerechtigkeit als dem idealen Ziel, dem Zweck oder der Aufgegebenheit des Rechts sprechen mit unterschiedlicher Bedeutung z. B. Binder, Rechtsphil., S. 362 f. [389J; .Coing, S. 29 f., 148 f.; deI Vecchio, Gerechtigkeit, inbes. § 13; ders., Grundlagen, S. 18 f.; Legaz y Lacambra, S. 330 f.; Larenz,

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len Normen des positiven Rechts beziehen sich ihrem Wesen nach auf die Lebensverhältnisse, und aus diesem Bezug entstehen konkrete Rechte und Pflichten, die ihrer Ableitung entsprechend ebenfalls normativ gelten. Es ist möglich, daß Unklarheit darüber besteht, was im Einzelfall rechtens ist oder daß das Recht nicht respektiert wird. Nur wenn seine Geltung von den angesprochenen Personen anerkannt wird, gilt es auch faktisch und kann ausgeübt werden. Gewißheit der konkreten Rechtslage und faktische Geltung sind also notwendige Stufen zur Verwirklichung des Rechts, in der sich seine Ordnungsaufgabe vollendet. Der volle Sinn des Begrüfs der Rechtsordnung umfaßt daher nicht nur das abstrakte Normensystem, sondern ebenso den von ihm in Gang gesetzten und geregelten Prozeß der Entfaltung der abstrakten zur konkreten Ordnung, der normativen zur faktischen Geltung und die durch das Recht geschaffene Seinsordnung, die "rechtmäßige" soziale Wirklichkeit80 . Es ist charakteristisch für die Rechtsordnung, daß sie nicht allein auf die Einsicht und den freiwilligen Gehorsam der Rechtsunterworfenen rechnet, sondern sich in Formen, die dem jeweiligen Stand gesellschaftlicher Organisation entsprechen, zwangsweise verwirklicht81 . So klärt der Zivilprozeß in einem förmlichen Verfahren vor staatlichen Gerichten konkrete Rechtsfolgen des materiellen Rechts, um ihnen durch autoritative Feststellung Anerkennung zu verschaffen und festgestellte Rechte zu vollziehen (Gestaltungsklage) oder ihre zwangsweise Verwirklichung vorzubereiten (Feststellungs- und Leistungsklage}82. Die Urteilsfeststellung ist also einerseits ein Urteil i. S. der Logik, d. h. Allg.Teil, 5.43 f., Nachw. 5.44 N.3; Enneccerus-Nipperdey § 33. Eine Antinomie oder Polarität zwischen der Gerechtigkeit und anderen Leitideen sehen Radbruch, Rechtsphil., 5.124 f., 168 f.; W. Goldschmidt, Aufbau, 5.57 f., insbes 72 f., 78 f., 80 f.; Sauer, System, 5.181 f.; Henkel, Einführung, §§ 26, 31, 32 IV, 33.) Unerheblich ist auch, ob den Grundwerten - wie bei den genannten Autoren - eine gegenüber dem positiven Recht vorrangige Geltung zugesprochen wird. Es genüg\, mit der positivistischen Theorie anzuerkennen, "daß die Gestaltung einer positiven Rechtsordnung durch die Vorstellung irgendeiner der vielen Gerechtigkeitsnormen bestimmt werden kann und in der Regel tatsächlich bestimmt wird" (Kelsen, Reine Rechtslehre, 5.402/03, vgl. auch a.a.O., S. 68 f., 257 f., 358 f. und Nawiasky, S. 25 f.); denn für den weiteren Gedankengang kommt es allein darauf an, daß das geltende Privatrecht über die reine Ordnungsfunktion hinaus bestimmte Werte verwirklichen will. 80 Ähnlich Nikisch, Streitgegenstand, S. 1 N. 2. Sauer (System, S. 220) nennt die Rechtsordung ein "System konkreter Rechtsverwirklichungen". 81 Zu der Frage, ob die Erzwingbarkeit ein Wesensmerkmat des positiven Rechts ist, vgl. Enneccerus-Nipperdey § 31 II; Henkel, Einführung, § 12. 81 Vgl. Hachenburg, Streitgenossenschaft; 5.2; Hellwig, Anspr. u. Klagerecht, 5.116; Radbruch, Rechtsphilosophie, 5.281; Binder, Prozeß u. Recht, 5.4; de Boor, Gerichtsschutz u. Rechtssystem, S.8; Baumb.-Lauterbach Einl. III 2 A vor § 1.

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eine Aussage über die außerprozessuale Rechtslage, andererseits hat sie stets auch eine konstitutive Wirkung: Die materielle Rechtskraft des Urteils bestätigt und verstärkt die normative Geltung der festgestellten Rechte B3 , deren faktische Geltung und Verwirklichung nun nicht mehr vom Willen des Verpflichteten oder Belasteten abhängen, sondern allein von der Rechtstreue und der Macht der Gerichte und Vollzugsorgane. An sie wendet sich daher die Rechtskraft in erster Linie, aber sie bestimmt auch das weitere Verhalten der ParteienB4 • So dient der Prozeß der Durchsetzung des materiellen Rechts und durch sie der Verwirklichung der Gerechtigkeit im Einzelfall; denn die materielle Wahrheit ist Voraussetzung der Gerechtigkeit der konkreten Rechtsgestaltung im Urteil. Das Urteil löst den sozialen Konflikt, der zum Prozeß führt, und ordnet das gestörte Lebensverhältnis85• So verfolgen Privatrechtsordnung und Prozeß letztlich dasselbe Zie186 • In dieses Bild läßt sich nur schwer einfügen, daß es auch Urteile gibt, die vom materiellen Recht abweichen und es durch die Wirkung der Rechtskraft praktisch verdrängen. Einem Recht, dessen Nichtbestehen festgestellt ist, kann nie mehr mit Hilfe der. Rechtsprechungs- und Vollzugsorgane faktische Geltung gesichert werden. Daher ist auch für die Rechtsbeziehungen unter den Parteien fortan allein die rechtskräftig festgestellte Rechtslage maßgebend. Dennoch gilt das Recht normativ weiterB 7 : Gegenüber allen, die von der Urteilswirkung nicht betroffen sind, wird seine normative und u. U. auch faktische Geltung nicht beeinträchtigt. Gerade in der Spannung zu dem übergangenen materiellen Recht drückt sich aus, daß die Entscheidung, vom Standpunkt der Gerechtigkeit betrachtet, ein für allemal ein Fehlurteil88 ist, selbst wenn nach der Prozeßordnung korrekt verfahren und entschieden wurde; denn das Urteil verfehlt den im materiellen Recht vorgezeichVgl. Larenz, Allg.Teil, S.127. Nach der herrschenden prozessualen Rechtskrafttheorie (vgl. Blomeyer, Lehrb. § 83 III) wirkt die Rechtskraft nur als Entscheidungsnorm für die Gerichte, nicht als Verhaltensnorm den Parteien gegenüber. Aber auch so bleibt der unterlegenen Partei nichts übrig, als zu tun, was mit Hilfe der Rechtspflegeorgane jederzeit von ihr erzwungen werden kann. 85 Vgl. de Boor, Auflockerung, S. 62; v. Hippel, Wahrheitspflicht, S. 320; sowie Coing, Rechtsphilosophie, S. 245 (Nr. 3 a): "Streitfälle rechtlich entscheiden, heißt den streitenden Parteien eine Ordnung ihrer streitig gewordenen Beziehungen geben, die den Frieden wiederherstellt, innerlich gerecht ist und dem Rechte entspricht. co 86 Die Gerechtigkeit ist auch für die Rechtsverwirklichung maßgebend. Vgl. Gaul, Wiederaufnahmerecht, S. 52 (bei N. 21); Coing, a.a.O.; Sauer, a.a.O.; Henkel, Einführung § 26 II; Zippelius, Wesen des Rechts, S.64. 87 Vgl. Blomeyer, Lehrb. § 88 III 3 (S.444 bei N. 5); a. A. Larenz, Allg.Teil, S.127, der sich damit im Ergebnis der materiellrechtlichen Rechtskrafttheorie anschließt. BB Vgl. Schumann, Festschr. f. Bötticher, S. 289 f. 83 84

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neten gerechten Interessenausgleich unter den Parteien. Im übrigen schafft auch das "unrichtige" Urteil eine klare Rechtslage, beendet den Streit der Parteien und stellt damit rein äußerlich Rechtsfrieden und Rechtssicherheit her. Die Geltung des Urteils kann nach Eintritt der Rechtskraft nicht mehr damit angegriffen werden, daß es der außerprozessualen Rechtslage nicht entspricht. Man hat daher das Wesen der Rechtskraft oft in der Unabhängigkeit ihrer Geltung vom materiellen Recht gesehen und sie allein aus der Idee der formalen Rechtssicherheit begründet89 • Aus den obenstehenden Ausführungen über das "richtige" Urteil ergibt sich dagegen, daß die Unangreifbarkeit des Urteilsinhalts vor allem der Sicherung des dem wahren Berechtigten gewährten Rechtsschutzes und der Verwirklichung der Gerechtigkeit dient90• Diese übereinstimmung von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit wird freilich in der Praxis nicht immer erreicht. Die Feststellung der konkreten Rechtslage im Urteil ist Durchgangsstufe zur Verwirklichung des Rechts. Daher muß die Untersuchung, die das Urteil vorbereitet, irgendwie abgeschlossen werden; selbst auf die Gefahr, daß die wahre Rechtslage verkannt wird und der Vorgang der Verwirklichung des Rechts in seine Negation umschlägt. Es heißt also nicht, daß die im materiellen Recht verkörperte Gerechtigkeit gleichgültig geworden wäre, wenn im Interesse der Rechtssicherheit die Erforschung der materiellen Wahrheit mit Eintritt der Rechtskraft abgeschnitten wird. Die "Unabhängigkeit" der Urteilsfeststellung vom materiellen Recht bedeutet nur, daß keine Instanz unter Berufung auf eigene, vermeintlich bessere Kenntnis der materiellen Rechtslage vom Urteil abweichen darf. Jede Entscheidung ist ein Versuch, die wahre Rechtslage festzustellen, und ihre Autorität beruht auf der durch das justizförmige Erkenntnisverfahren garantierten Wahrscheinlichkeit der Feststellung91 • Selbst das - vom Standpunkt eines allwissenden Beobachters gesehen - "unrichtige" Urteil bleibt also auf die wahre Rechtslage bezogen. Es ist zu verstehen als atypischer Fall, dessen Möglichkeit im Wesen einer Rechtsordnung, die sich zu verwirklichen strebt, selbst angelegt ist und der deshalb nicht völlig ausgeschlossen werden kann. 89 Vgl. BVerfGE 7, 94; Sauer, Festschr. f. R. Schmidt, S.317/18; Bettermann, Vollstreckung, S.40; Lent-Jauernig § 62 III 3; ähnlich Schumann, Festschr. f. Bötticher, S. 319 f. (Allerdings wird meist nicht ausdrücklich gesagt, daß Rechtssicherheit und Rechtsfriede rein formal verstanden werden.) 90 So auch Jauernig ZZP 66, 398 (415); Gaul, Wiederaufnahmerecht, S.92. Radbruch kennzeichnet die Rechtssicherheit treffend als "positive Gerechtigkeit" (Rechtsphilosophie, S. 197). 91 Die Behauptung von Wiederaufnahmegrunden (§§ 579, 580 ZPO) entkräftet diese "Vermutung der Wahrheit". Vgl. Eberhard Schmidt JZ 68, 681 bei N.2.

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Für den Zweck einer Institution ist das im Ganzen angestrebte Ziel ausschlaggebend, nicht seine Erreichung im Einzelfall82• Die Feststellung der wahren materiellen Rechtslage kann nicht garantiert werden, aber sie ist darum weder "zufälliges" noch bloß "erwünschtes" Resultat93 , sondern die dem Prozeß bei allen Schwierigkeiten der Wahrheitsfindung von der Rechtsordnung aufgegebene Bestimmung. Dies wird in Rechtsprechung und Lehre durchweg anerkannt94 • 2. Materielle Wahrheit und ParteUnteresse

Die bisherige Betrachtung erfaßte den Prozeß vom objektiven Recht her und sah davon ab, daß er auch dem Interesse der Parteien dient. Eine Initiative des Klägers bringt den Prozeß zustande, der Kläger bestimmt das Streitprogramm, und es steht ihm nach § 271 ZPO frei, die Klage zurückzunehmen. Nur auf sein Betreiben wird zur Sache verhandelt und entschieden. Andererseits muß der Kläger nachweisen, daß sein privates Interesse an der Rechtsverfolgung in dem eingeschlagenen Verfahren nach den Maßstäben der Rechtsordnung schutzwürdig ist. Sobald die Streitsache einem Gericht zur Entscheidung vorgelegt wird, verliert sie ihren rein privaten Charakter95 • Es kann also nicht ohne weiteres angenommen werden, der Kläger oder beide Parteien könnten über den Inhalt der Entscheidung disponieren. Dafür spricht auch nicht, daß der Kläger i. d. R. ein subjektives Recht geltend macht. Subjektive Rechte werden vom objektiven Recht gewährt, sind eigentlich Rechtsfolgen des objektiven Rechts. Differenzen oder Widersprüche zwischen heiden sind nicht denkbar. Die Feststellung des wahren subjektiven Rechts dient daher notwendig zugleich dem Parteiinteresse, das die Rechtsordnung im subjektiven Recht schützt, und der Bewährung des objektiven Rechts96• Privates und öffentliches Interesse fallen also im Prozeß zusammen, solange die 92 Hegler AcP 133, 216 (237); Gaul, Wiederaufnahmeredlt, S.55; ders. AcP 168, 60. 93 Vgl. Wach, Vorträge, S.199. 94 Vgl. Hachenburg, Streitgenossenschaft, S.2; Hellwig, Anspruch und Klagerecht, S.116; Radbruch, Rechtsphilosophie. S.281; Binder, Prozeß und Recht, S.4; Engisch, Einheit, insbes. S. 7 f.; Gaul, Wiedaufnahmerecht, S.52; ders. AcP 168, 53 f.; Larenz, Allg.Teil, S.128; RG 105, 427; 150, 363; BGH NJW 53, 1828. 96 Lent, Wahrheits- und Aufklärungspfticht, S.79, sagt pointiert: "Es kann der Allgemeinheit zwar gleichgültig sein, ob Müller oder Lehmann Eigentümer einer beliebigen Sache ist, aber durchaus nicht, ob die staatliche Entscheidung Müller das Eigentum zuerkennt, obwohl es Lehmann in Wahrheit zusteht." 98 Vgl. R. v. Ihering, Der Kampf ums Recht, 5. Aufl., Wien 1877, insbes. S. 45 f.; Nikisch, Streitgegenstand, S.2; Hegler AcP 133, 216 (236); Gaul AcP 168, 46/47.

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Parteien sich am Recht orientieren. Kläger und Beklagter sind dann zwar verschiedener Meinung darüber, was zwischen ihnen rechtens ist, aber sie berufen sich beide auf das materielle Recht und erwarten vom Gericht ein materiell richtiges Urteil. Damit liegt es wiederum im öffentlichen Interesse, ihr Vertrauen in die Justiz nicht zu enttäuschen; denn eine öffentliche Duldung von Unrecht würde die Parteien auf den Weg der Selbsthilfe verweisen97 • Dem Willen der Parteien, ihre Interessen im Prozeß ohne Rücksicht auf das Recht zu verfolgen, kann dagegen im allgemeinen schon deshalb nicht nachgegeben werden, weil diese Interessen einander widersprechen: Nur die an der wahren Rechtslage ausgerichtete Entscheidung ist unparteüsch. Andererseits kann es vorkommen, daß beide Parteien in bestimmten Punkten von der bestehenden Rechtslage abweichen wollen. Nach geltendem Prozeßrecht können sie durch übereinstimmende Prozeßhandlungen das Gericht zwingen, in dem gewünschten Sinn zu entscheiden. Es wird etwa der Wahrheit zuwider eine Tatsache behauptet und der Gegner gesteht sie zu (§ 288 I ZPO), der Kläger kommt mit einem Verzicht (§ 306 ZPO) dem Antrag des Beklagten auf Klageabweisung entgegen oder der Beklagte erkennt an und der Kläger beantragt Anerkenntnisurteil (§ 307 ZPO). Dieses Verhalten kann sehr verschiedene Ziele verfolgen98, die durch die verfügungsähnliche Wirkung419 des rechtskräftigen Urteils erreicht werden sollen. Unzulässig wäre es jedenfalls, auf diesem Weg Beschränkungen zu umgehen, die Gesetz und Sittenordnung der Parteiautonomie auferlegen. Es wäre ein unverständlicher Widerspruch der Rechtsordnung mit sich selbst, einerseits die Parteien ans materielle Recht zu binden und ihnen andererseits freizustellen, sich mit Hilfe der Rechtsprechung darüber hinwegzusetzen. 11:s bleiben die Fälle, in denen die angestrebten Rechtswirkungen die Grenzen der Parteiautonomie nicht überschreiten. In Frage kommt ein Verzicht auf eigene Rechte oder Teilschlichtung im gegenseitigen Einverständnis, wenn die Parteien innerhalb eines Streitfalles, den sie dem Gericht vorlegen, über bestimmte Punkte einig sind. Die Parteien könnten dieselben Wirkungen auch durch materielle Rechtsgeschäfte erzielen, und schon darum ist die Möglichkeit, durch Prozeßhandlungen auf indirektem Weg dasselbe zu erreichen, zumindest überflüssig. Sie widerspricht auch dem Prinzip der Wahrheit des Sprachgebrauchs, einer der elementaren Grundlagen des Rechtsverkehrs und zwischenmenschlicher Beziehungen überhaupt10o : Die Prozeßhandlungen lassen 97 v. Hippel, Wahrheitspflicht, S.181; Lent ZAkadDR 36, 21. 98 Vgl. zum folgenden v. Hippel,. Wahrheitspflicht, S. 48 f. 99 s. o. § 6 VI 2 a bei N. 64. 100 v. Hippel, Wahrheitspflicht, S. 67; vgl. auch Nelson, System

§ 25 (S. 64 f.).

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den wahren Willen der Parteien, der in den entsprechenden materiellen Rechtsgeschäften offen zutage tritt, nicht erkennen. Damit kann das Gericht nicht kontrollieren, ob die Parteien die von der materiellen Rechtslage abweichende Feststellung zu gesetz- oder sittenwidrigen Zwecken mißbrauchen wollen. Daß insbesondere das wahrheitswidrige Geständnis auch als Mittel zu erlaubten Zwecken nicht zu rechtfertigen ist, bestätigt § 138 I ZPO, der die Parteien zu wahrem und vollständigem Tatsachenvortrag verpflichtet. In demselben Sinn muß auch die Dispositionsmaxime verstanden werden: Sie gibt den Parteien zwar die tatsächliche Möglichkeit, aber nicht das Recht, von der materiellen Wahrheit abzuweichen101 . 3. Die prozessualen Mittel zur Erforschung der Wahrheit

Aus allgemeinen Erwägungen und mit dem Hinweis auf die grundsätzliche Bedeutung des § 138 I ZPO wurde die Erforschung der materiellen Wahrheit als Prozeßzweck bestimmt. Die Gültigkeit des damit gewonnenen Vorbegriffs für die ZPO ist erwiesen, wenn die tragenden Institute des Erkenntnisverfahrens sich von diesem Regelungszweck her verstehen lassen. Zweck einer Regelung kann freilich nicht nur ein Ergebnis sein, das ausnahmslos und mit absoluter Sicherheit eintritt. Keine denkbare Verfahrensordnung verbürgt die Findung der materiellen Wahrheit unter allen Umständen. Es genügt, wenn der gesetzte Zweck in den Fällen erreicht wird, die nach teils statistischen, teils eigentlich normativen Kriterien als "normal" gelten dürfen. Das Gesetz wird dabei einmal auf den häufigsten, nach der Erfahrung des Lebens typischen Fall abstellen, andererseits aber auch rechtstreues Verhalten der Beteiligten voraussetzen. Das Verfahren, in dem nach der ZPO die Urteilsgrundlagen erstellt werden, ist also auf seine generelle Eignung zur Erkenntnis der materiellen Wahrheit zu prüfen. Der kritische Punkt sind dabei die weitgehenden Befugnisse der Parteien bei der Stoffsammlung und der Verfügung über den Streitgegenstand.

a) Die Stoffsammlung Die Stoffsammlung, d. h. die Beibringung des Tatsachenstoffes und die Beschaffung der Beweise, ist grundsätzlich Aufgabe der Parteien. Das Gericht muß Tatsachenbehauptungen einer Partei, die vom Gegner zugestanden oder nicht bestritten werden, seiner Entscheidung zugrundelegen (vgl. §§ 288 I, 138 III ZPO). Daß dabei die materielle Wahrheit intendiert wird, beweist die Pflicht der Parteien zu wahrheitsgemäßem und vollständigem Tatsachenvortrag (§ 138 I ZPO). Damit ist freilich noch nicht gesichert, daß das im Prozeß gewonnene 101 S.

u. Nr. 6.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

Sachverhaltsbild dem "objektiven Sachverhalt" wirklich entspricht. Auch die überprüfung des Parteivorbringens durch das Gericht bietet dafür keine Gewähr. Das Gericht kann erst tätig werden, wenn die Parteien Tatsachen in den Prozeß eingeführt haben und wenn ihre Behauptungen beweisbedürftig sind10!. Nur dann kommt es darauf an, ob das Gericht sich mit Hilfe der von den Parteien beigebrachten oder von ihm selbst herangezogenen103 Beweismittel von der Existenz der Tatsachen überzeugen kann. Im übrigen kennt das Gericht die ihm vorenthaltene Wahrheit nicht, darf auch von Amts wegen nicht ermitteln und ist daher nicht imstande, die Wahrhaftigkeit der Parteien und den objektiven Wahrheitsgehalt ihres Tatsachenvortrags zu kontrollieren. Dies bedeutet jedoch nicht den Verzicht auf die Erforschung des wahren Sachverhalts; vielmehr verfolgt das Gesetz dieses Ziel gerade durch die eigenverantwortliche Tätigkeit der Parteien und ihre gegenseitige Kontrolle. Aufgrund ihrer Sachnähe haben die Parteien den best~n Einblick: in die streitigen Verhältnisse und die stärksten Motive, zur Sachklärung beizutragen. Um nicht wegen unvollständiger Sachverhaltsfeststellung den Prozeß zu verlieren, werden sie alles, was ihren Antrag stützen könnte, ermitteln und vortragen. Ungeschick: und mangelnde Rechtskenntnisgleicht die helfende Tätigkeit des Richters aus (vgl. § 139 ZPO). Allerdings besteht die Gefahr, daß jede Partei den Sachverhalt vom Standpunkt ihres Interesses aus mehr oder weniger "verzerrt" sieht. Daher werden die Sachverhaltsdarstellungen der Parteien in der Verhandlung einander 'g egenübergestellt und mit dem Gericht Punkt für Punkt erörtert. Das eigene Interesse wird dabei die Parteien anhalten, Behauptungen des Gegners, die sich zu ihren Ungunsten auswirken würden, nur dann unwidersprochen zu lassen, wenn deren Wahrheit außer Zweifel steht. Sobald aber bestritten wird, müssen Beweise als weitere Berichtsquellen herangezogen werden und die gerichtliche Prüfung setzt ein104 • b) Das Versäumnisurteil

Ähnlich ist das Versäumnisverfahren der ZPO zu beurteilen105 • Es entspricht der Lebenserfahrung, daß man eigene Interessen wahrnimmt und eine aussichtsreiche Sache nicht vernachlässigt. Die säumige Partei lOt Eine Sonderstellung genießen offenkundige Tatsachen. s. u. § 11 IV 3 bei N.25f. 103 Vgl. §§ 142, 143, 144, 272 b TI Z. 1, 2, 5, 287 I S.2, 448 ZPO. 104 Vgl. Bruns, Festschr. f. Schmidt-Rimpler, S.247; Gaul AcP 168, 50. 101 Rosenberg gibt einen historischen und rechtsvergleichenden Überblick über verschiedene Regelungsgedanken und Ausgestaltungen des Versäumnisverfahrens (Lehrb. § 106 I 2).

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handelt wohl immer im Bewußtsein der Konsequenzen, wenn sie gegen ein ergangenes Versäumnisurteil nicht Einspruch erhebt. Auch die Regelung der Versäumnisfolgen im einzelnen läßt das Streben nach materieller Wahrheit erkennen. Bei Säumnis des Klägers muß die Kla·ge auf Antrag abgewiesen werden (§ 330 ZPO). Falls hingegen der Beklagte säumig ist, gelten nur die vom Kläger vorgebrachten Tatsachen als zugestanden (§ 331 ZPO), und die Klage kann an mangelnder Schlüssigkeit scheitern. § 331 a ZPO endlich gibt die Möglichkeit, Entscheidung nach Lage der Akten zu beantragen. Diese Differenzierung zeigt den Ansatz zu einer Regelung, die - soweit es unter der Bedingung der Säumnis möglich ist - ein mit der objektiven Rechtslage übereinstimmendes Urteil sichert. Freilich wird dieser Gedanke nicht konsequent verfolgt106 • Im Interesse der verhandelnden Partei muß zur Sache entschieden werden. Da der Gegner die Mitarbeit an der Wahrheitsfindung verweigert, ist es nur billig, daß die bisherige Sachverhaltsfeststellung aus dem Tatsachenvortrag des aktiven Teils ergänzt wird. Dagegen kann es aus dem Strafgedanken nicht gerechtfertigt werden, daß bereits erkannte Wahrheit unterdrückt wird. Das dem Säumigen zuzumutende Opfer besteht darin, daß die Entscheidung auf einem vereinfachten Verfahren beruht und daß das dadurch erhöhte Risiko einer Abweichung von der wahren Rechtslage fast ganz zu seinen Lasten geht, während sonst Abweichungen zugunsten der einen oder anderen Partei gleich wahrscheinlich sind. c) Dispositionen über den Streitgegenstand

Die Parteidisposition über den Streitgegenstand steht in einem scheinbaren Gegensatz zum Prozeßzweck der Erforschung der materiellen Wahrheit, seit die neuere Dogmatik Anerkenntnis und Verzicht (§§ 306, 307 ZPO) als reine Prozeßhandlungen auffaßt107• Solange man diesen Rechtsgeschäften "Doppelnatur" zusprach, und früher, als man zwischen materiellem Recht und prozessualem Streitgegenstand noch nicht unterschied, konnten Verfügungen über den Streitgegenstand niemals zu Differenzen zwischen der im Urteil festgestellten und der wahren Rechtslage führen. Das auf Anerkenntnis oder Verzicht ergehende Urteil stimmte notwendig mit der durch diese Rechtsgeschäfte geschaffenen materiellen Rechtslage überein. Nach der modernen Auffassung dagegen können Anerkenntnis- und Verzichtsurteile von der außerprozessualen Rechtslage abweichen. Dies wird allerdings eine Auch zum folgenden s. u. N.131. So die überwiegende Lehre, vgl. Blomeyer, Lehrb. § 62 IV 2 a u. Nachw. S.304 N. 9; Lent-Jauernig § 47 VI. 106 107

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seltene Ausnahme bleiben; denn erfahrungsgemäß ist die Rechtslage än Wahrheit so, wie sie von der benachteiligten Partei eingeräumt wird l08 • d) Ergebnis

Der von Parteien und Gericht gemeinsam erarbeiteten "prozeßordnungsgemäß festgestellten" Rechtslage kommt damit nach der allgemeinen Lebenserfahrung große Wahrscheinlichkeit zu. Es ist also im Einzelfall zwar nicht absolut, aber in hohem Maße gewiß, daß die Urteilsfeststellung zutrifft, und bei statistischer Betrachtung muß angenommen werden, daß in der Mehrzahl der Prozesse die erstrebte Wahrheit gefunden wird. Daher gilt die Regelung der ZPO, von einigen verbesserungsfähigen Details abgesehen l09 , mit Recht als vollwertiges Verfahren zur Ermittlung der wahren Sach- und Rechtslage, das wegen seiner relativ schnellen und sicheren Wirkung der Untersuchung von Amts wegen überlegen ist11o• 4. Grenzen der Wabrbeltsermittlung -

Die Beweislosigkeit

Der gegebene überblick über die in diesem Zusammenhang interessierenden Einrichtungen der ZPO ließ keinen Zweifel daran, daß die ErforscllUng der materiellen Wahrheit Zweck des Prozesses ist und daß dieses Ziel mit den bereitgestellten Mitteln in der Regel und mit zulänglicher Sicherheit erreicht wird. Immerhin bleibt die Möglichkeit von Fehlurteilen bestehen. Sie ist in erhöhtem Maß gegeben bei Beweislosigkeit, deren Eintreten freilich durch die Prozeßordnung nicht verhindert werden kann. Das Prozeßziel der Streitbereinigung fordert auch dann eine Entscheidung zur Sache111 , deren Inhalt von Beweislastregeln bestimmt wird. Der Gedanke der materiellen Richtigkeit des Urteils kann dabei nur soweit maßgebend sein, als eine eindeutige Wahrscheinlichkeit für eine behauptete Rechtsfolge oder für ihr Gegenteil spricht. So kann bei Nachweis der rechtsbegrundenden Tatsachen erfahrungsgemäß auf die Existenz des Rechts geschlossen werden, solange der Beweis für rechtshindernde Tatsachen, die sämtlich anomalen Charakter tragen, Vgl. Gaul, Wiederaufnahmerecht, S. 55; ders. AcP 168, 51. s. o. nach N. 106 und unten Nr.6. 110 Vgl. Hellwig, Lehrb. 11 S. 41 f., System I S. 406 f.; R. Schmidt, JW 1913, 764 f.; Sauer, Methodenlehre, S.203; v. Hippel, Wahrheitspfticht, S. 192; Lent ZAkadDR 36, 20 f., ZZP 63, 3 (54); Bruns, Festschr. f. Schmidt-Rimpler, S. 237 (247); Schwab ZZP 77, 124 (141); Gaul AcP 168, 50 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 240 f. 111 Vgl. Leipold, Beweislast, S. 33 f. 108

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nicht erbracht ist112• Hier erscheint die Beweislastregel als subsidiäres Mittel der Wahrheitsfindung. Im Gegensatz dazu besteht bei rechtsbegründenden und rechtsvernichtenden Tatsachen gleiche Wahrscheinlichkeit für ihr Vorliegen wie für ihr Nicht-Vorliegen. Die Verteilung der Beweislast kann also, wie immer sie ausfällt, die Wahrscheinlichkeit eines materiell richtigen Urteils nicht erhöhen. Daher wird die Beweislast derjenigen Partei auferlegt, der ein Fehlurtpil zu ihren Ungunsten am ehesten zumutbar erscheint113 • Eine ähnliche Wertung begründet die Beweislastregelung nach der Beweisnähe 114 und die Umkehr der Beweislast115• Der Gesichtspunkt der materiellen Wahrheit tritt in diesen Fällen zurück, und das Gesetz sucht unabhängig von der - nicht feststellbaren - außerprozessualen Rechtslage eine gerechte Entscheidung116 • 5. Grenzen der Wahrheitsermittlung -

Die Prozeßökonomie

Für die Frage des Prozeßzwecks ist es von weit größerer Bedeutung, daß der Gesetzgeber selbst die Ermittlung der Wahrheit einschränkt und damit in gewissem Umfang Fehlurteile bewußt in Kauf nimmt. Nur wenn die Parteien sich nicht einigen und weitere Sachaufklärung wünschen, findet eine - obendrein in ihren Mitteln begrenzte -gerichtliche Untersuchung statt. Im übrigen stützt sich das Urteil allein auf Prozeßhandlungen der Parteien. Zwar entspricht auch so die Urteilsfeststellung sehr wahrscheinlich der materiellen Rechtslage, aber es ist möglich, daß beide Parteien irren oder gemeinsam von der Wahrheit abweichen. Daher könnte der Grad der Wahrscheinlichkeit des Ermittlungsergebnisses wesentlich erhöht werden, wenn das Gericht befugt wäre, zur überprüfung und Ergänzung der Aufklärungsarbeit der Parteien eigene Untersuchungen anzustellen117 • Aus dem Prozeßzweck der formalen Rechtssicherheit folgt nur, daß der Prozeß irgendwie ein Ende finden muß. Ein Kriterium dafür, wo im einzelnen die Grenze der Wahrheitsermittlung anzusetzen ist, und damit die Legitimation konkreter Beschränkungen ergibt sich erst aus dem Gedanken der Prozepökonomie, der bei der Verfolgung der eigentlichen Prozeßziele berücksichtigt werden muß. 112 Vgl. Blomeyer, Gutachten, S.6; ders., Lehrb. § 69 III2 a; Leipold, Beweislast, S. 53 f.; Lehmann-Hübner § 14 IV 2. 113 Vgl. Leipold, Beweislast, S. 46 f., 49 f. 114 Vgl. Blomeyer, Gutachten, S.6; PröIß, Beweiserleichterungen, S. 74 f. 115 Vgl. Blomeyer, Gutachten, S.ll f.; PröIß, Beweiserleichterungen, S. 94 f. 116 Auf das Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit weisen hin: Rosenberg, Beweislast, S. 91; Blomeyer, Gutachten, S. 6; PröIß, a.a.O. 117 Jedenfalls dann, wenn begründeter Anlaß besteht, an der Wahrheit oder Vollständigkeit des Ermittlungsergebnisses zu zweifeln.

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a) Prozeßökonomie und Parteiinteresse An der Schnelligkeit des Verfahrens liegt den Parteien vor allem, wenn es um Vermögenswerte geht, die wirtschaftlich brachliegen, solange der Ausgang des Prozesses ungewiß ist. Das dem Geldgläubiger vorenthaltene Kapital muß rechtzeitig verfügbar sein, damit Zahlungstermine eingehalten oder Investitionen im günstigen Moment vorgenommen werden können. Auch die Verzögerung von Sachleistungen kann in den komplizierten Zusammenhängen der Wirtschaft weitreichende Folgen haben: Produktionsstörungen, Absatzschwierigkeiten oder entgangene Wettbewerbschancen führen u. U. zu Vermögensschäden, die vom Schadensersatzrecht nicht mehr erfaßt werden. Die gesetzlichen Prozeßzinsen sind jedenfalls mit der Rendite, die der Kläger hätte erwirtschaften können, nicht zu vergleichen118 • Außerdem hängt von der Dauer des Verfahrens das den Parteien zugemutete Maß an Arbeit und Zeitaufwand ab. Ebenso liegt die Billigkeit des Verfahrens im Interesse der Parteien. Typischerweise sind am Anfang eines Prozesses Rechts- und Beweislage unklar, und keine Partei kann ihres Sieges so sicher sein, daß sie mit der Kostenpfiicht nicht zu rechnen brauchte. Wenn aber das übermäßige Kostenrisiko die Parteien zwingt, ihr vermeintliches Recht kampflos aufzugeben, wird häufig das wahre Recht unterdrückt. b) Prozeßökonomie und öffentliches Interesse

Auch das öffentliche Interesse fordert ein schnelles und billiges Verfahren. Die von den Rechtspfiegeorganen aufgewandte Arbeit und die dem Staat erwachsenden Kosten müssen der Bedeutung der Streitsache entsprechend begrenzt werden. Eine überbeanspruchung der Justiz im Einzelfall würde sich zum Nachteil anderer Rechtsuchender auswirken. Nur solange jedermann relativ schnell und sicher zu seinem Recht kommt, erhält sich das Vertrauen in die Justiz, ohne das die Rechtsordnung nicht funktionieren kann. c) Prozeßökonomie und Gerechtigkeit

Die erforderliche SchnelUgkeit und Billigkeit lassen sich, wie die Praxis erwiesen hat, allein durch Straffung und zweckmäßige Organisation des Verfahrens nicht erreichen. Daher müssen gewisse Abstriche an der Gründlichkeit der Untersuchung hingenommen werden. Je länger und aufwendiger die Untersuchungen geführt werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines materiell richtigen Urteils; um so drückender wird aber auch die Last des Prozesses und um so drin118

Vgl. F. Klein, Zeit- und Geistesströmungen, S.24.

§

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gender das Bedürfnis nach der Begrenzung des Kostenrisikos und einem Ende des Streits. Daher muß ein Komprorniß gefunden werden. Letztlich ist es die Idee der Gerechtigkeit selbst, die diese Lösung fordert. Die wahre materielle Rechtslage sollte festgestellt werden, weil im materiellen Recht eine gerechte Ordnung des streitigen Verhältnisses angelegt ist. In eine Gesamtbetrachtung des Vorgangs, durch den sich die Gerechtigkeit im Einzelfall verwirklicht, müssen aber sowohl der Zeitfaktor als auch die aufzuwendenden Mittel einbezogen werden. Die Zeitstrecke zwischen dem Punkt, in dem ein Recht aktuell wird119 , und der Urteilsfällung bietet ein doppeltes Problem: Während dieser Zeit ist die gerechte Ordnung noch nicht realisiert und sie kann inzwischen durch eine Weiterentwicklung der Lebensverhältnisse überholt sein. Die Mittel, mit denen die Rechtsordnung den Zeitunterschied auszugleichen sucht (Rückwirkung, Prozeßzinsen, Schadensersatz usw.), sind Surrogate und überdies unzureichend (s. o.). Der Gerechtigkeit wird streng genommen nur dann Genüge getan, wenn das Recht sofort verwirklicht wird; nur die rechtzeitige Entscheidung ist "z.e itgerecht". Es geht auch nicht an, unter Berufung auf die Absolutheit der Gerechtigkeitsidee von den Parteien unbegrenzten Einsatz für die Erforschung der materiellen Wahrheit zu verlangen. Im Prozeß geht es nicht um die Gerechtigkeit schlechthin, sondern um die gerechte Regelung eines konkreten Lebensverhältnisses, die für die Parteien einen bestimmten materiellen und ideellen Wert hat. Der Prozeß ist also nur solange sinnvoll, als die Last der Prozeßführung und das Kostenrisiko in einem vernünftigen Verhältnis stehen zu dem, was allenfalls zu gewinnen ist. Eine allzu perfektionistische Erforschung der wahren Rechtslage führt dahin, daß der Prozeß die Parteien stärker belastet als die Ungerechtigkeit, die er bekämpfen soll, und daß die Parteien vernünftigerweise auf den Versuch einer zwangsweisen Durchsetzung ihres Rechts verzichten. Damit würde die Gerechtigkeit geradezu unterdrückt. Die Idee der Gerechtigkeit bezieht sich letztlich nicht auf den Einzelfall, sondern intendiert eine Gesamtordnung. Daher entspricht ihrem Wesen eher ein Verfahren, bei dem in allen anhängigen Prozessen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die wahre Rechtslage ermittelt wird, als eine Überlastung der Gerichte, bei der die gründlichere Behandlung weniger Streitsachen mit der Verschleppung der übrigen bezahlt werden müßte. 119 Der Zeitpunkt der Entstehung des Rechts, der Fälligkeit bei Forderungen, des Entfallens von Einreden usw.

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d) Prozeßökonomie und Prozeßzweck

Der Gedanke der Prozeßökonomie ist die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck auf den Prozeß. Er setzt den Prozeßzweck der Feststellung der wahren Rechtslage voraus und beschränkt nur die Erkenntnismittel und den Umfang der prozessualen Untersuchung. Die Vorschriften der ZPO sind daher stets zugunsten einer größeren Genauigkeit und Sicherheit der Wahrheitsfindung auszulegen, soweit nicht Gericht und Parteien dadurch unzumutbaren Belastungen ausgesetzt werden; denn die Abweichung von der materiellen Wahrheit bleibt die Ausnahme und das jeweils besonders zu Rechtfertigende12O • 6. Grenzen der Wahrheitsermittlung - Die Verhandlungsmaxime

Die Befugnisse der Parteien zu selbständiger Mitarbeit bei der Stoffsammlung und zur Disposition über den Streitgegenstand werden allgemein auf ein einheitliches dem Gesetz zugrundeliegendes Regelungsprinzip zurückgeführt, das meist als "Verhandlungsmaxime" bezeichnet wird l21 • Die Ansichten von der Bedeutung und dem Geltungsanspruch dieses "Prinzips" gehen allerdings weit auseinander: Es ist als schlichter Allgemeinbegriff, als bloße gedankliche Zusammenfassung einzelner Normen verstanden worden, man hat es aber auch in den Rang eines weltanschaulich begründeten Dogmas erhoben - um nur die beiden extremen Positionen zu nennen. Dem Wandel der Auffassungen und möglichen Parallelen zur politischen Ideengeschichte braucht hier nicht nachgegangen zu werden12!. Es genügt, die Bedeutung zu bestimmen, die der Verhandlungsmaxime in der durch die VO v. 13. 2. 1924 und das Gesetz v. 27.10.1933 geänderten ZPO zukommt. Diese Novellen begründeten - oder bestätigten jedenfalls - die Wahrheitspflicht der Parteien und verstärkten die Selbständigkeit des Gerichts bei der ErVgl. Bernhardt JZ 63, 245 (246); v. Hippel, Wahrheitspflicht, S.434. Häufig wird der Begriff der Verhandlungsmaxime (i. e. S.) auf die Stoffsammlung beschränkt, und man spricht bezüglich der Verfügungen über den Streitgegenstand von Dispositionsmaxime (vgl. Rosenberg, Lehrb. § 63 II). 122 Vgl. dazu Boehmer, Grundlagen I, S. 110 f.; Jauernig, Streitgegenstand, S. 10 f.; Gaul AcP 168, 46 f. Boehmer und Jauernig betonen jedoch zu stark die ideologischen Faktoren gegenüber der funktionalen Bindung des Prozesses ans materielle Recht und den technischen Notwendigkeiten des Prozeßrechts. Vgl. hingegen die zahlreichen Beiträge zur Reformdiskussion der nationalsozialistischen Zeit, die den ideologisch begründeten Tendenzen zur Abschaffung der Verhandlungsmaxime gerade mit dem Hinweis auf zwingende Sachstrukturen begegnen (so v. Hippel, Wahrheitspflicht, insbes. S. 183 f.; Lent ZAkadDR 1936, 20 f.; Kisch DeuR 1936, 8 f.; Jonas DeuR 1941, 1697 f.). 120 121

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arbeitung der Urteilsgrundlage durch eine Reihe von Vorschriften1Z3, die eindeutig auf das Prozeßziel der Erforschung der materiellen Wahrheit ausgerichtet sind 1!'. Die damit in das Gesetz eingeführten Wertungen üben, um mit Heck zu reden, eine "Fernwirkung" aus auf alle Institute und Normen des Prozeßrechts, auch ohne ausdrückliche Änderung des Gesetzestextes. Anders gesagt: Bei jeder Reform treten Spannungen auf zwischen den neuen und den äußerlich unveränderten Teilen des Gesetzes. Es ist Sache der Auslegung, diese Dissonanzen auf dem Wege einer wechselseitigen Annäherung der Norminterpretation zu reduzieren und die wertungsmäßige Einheit der Regelung wiederherzustellen. Die Reaktion von Rechtsprechung und Lehre auf die genannten Prozeßnovellen kann als Musterfall einer verzögerten und teilweise verweigerten Rezeption neuer Wertungen des Gesetzgebers gelten. Kennzeichnend dafür sind die Stellungnahmen zu den §§ 288, 290 ZPO und deren Verhältnis zu § 138 I ZPO.Nach einer extremen Meinung gilt die Wahrheitspflicht beim Geständnis überhaupt nicht, weil sonst § 290 (Widerruf nur bei Irrtum) sinnlos wäre125 • Es wird gar nicht der Versuch gemacht, methodologisch zu rechtfertigen, warum die festgestellte, Wertungsdisharmonie einseiüg auf Kosten des § 138 I und durch eine fragwürdige Durchbrechung der Wahrheitspflicht für den Einzelfall aufgelöst wird. Im übrigen läßt sich § 290 ZPO sehr wohl mit der Wahrheitspflicht vereinbaren126 • Eine ähnliche Abwehrhaltung spricht aus einer zweiten Meinung 127 : Sie interpretiert zunächst die Wahrheitspflicht einschränkend dahin, daß nur bewußt unwahre Behauptungen zu eigenen Gunsten verboten seien, und nimmt darüber hinaus an, die §§ 288 ff. gingen § 138 I ZPO deshalb vor, weil hier vom Gesetz das Willensmoment in den Vordergrund gestellt und den Parteien eine Dispositionsbefugnis verliehen werde. Dabei wird vorausgesetzt, was zu beweisen wäre, daß nämlich auch nach der Normierung der Wahrheitspflicht eine solche Dispositionsbefugnis (weiter) besteht. Eine vermittelnde Position, bei noch immer konservativ-apologetischer Tendenz, nimmt der BGH ein. Er bestätigt ausdrücklich die Geltung der Wahrheitspflicht, ohne darum § 290 ZPO aufzugeben: "Diese Regelung, die ursprünglich wohl nur als Folgerung aus der Verfügungsbefugnis der Partei gedacht war, ist mit dem Grundsatz der Wahrheitspflicht vereinbar, weil sie zugleich als eine Sanktion für deren Verletzung aufVgl. §§ 138 I, 139 I, 141 I, 272 b, 331 a ZPO. Vgl. auch den Vorspruch zur Nov. 1933 und Richard Schmidt ZZP 61, 259/60; Lent, Wahrheits- und Aufklärungspflicht, S.78. 125 Rosenberg-Schwab § 65 VIII 5. 1!8 s. BGH 37, 155 und sogleich im Text. 127 StJ -Schumann/Leipold § 288 Anm. 111 2. 123

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gefaßt werden kann128." Sehr viel weiter gehen Meinungen, die jedes bewußt unwahre Geständnis wegen Verletzung der Wahrheitspfiicht für unwirksam halten129 • Mit dem Sanktionsgedanken wird jedoch nicht der entscheidende Gesichtspunkt getroffen: Das unwahre Geständnis ist, wie es für das unwahre Vorbringen anerkannt wird130, einfach deshalb unbeachtlich, weil es objektiv unrichtig ist. Umgekehrt kann die Bindung an ein unwahres Geständnis nur ausnahmsweise als Sanktion für die Verletzung der Wahrheitspfiicht gerechtfertigt werden131 • Allein auf diese Weise ist der Regelungszweck der Erforschung der materiellen Wahrheit in seiner vollen Tragweite rezipiert. Dies sollte jedoch nicht mißverstanden werden. Ob ein Geständnis wahr ist, beurteilt das Gericht, und es darf sich dabei selbstverständlich weder auf privates Wissen des Richters noch auf bloße Vermutungen stützen, sondern allein auf "prozeßordnungsgemäß gewonnenes Wissen". Damit nähert sich die hier vertretene Auffassung im Ergebnis der h. M., nach der das Geständnis einer offenkundig unwahren Behauptung unwirksam ist1 32 ; denn offenkundig unwahr sind auch Tatsachenbehauptungen, deren Gegenteil im laufenden Verfahren bereits bewiesen wurde133 • Die Dispositionsbefugnis der Parteien endet also da, wo sie sich offenkundig gegen die Erforschung der materiellen Wahrheit richtet. Sie erhält andererseits ihren Sinn und legitimen Anwendungsbereich gerade aus dem Bezug auf diesen Prozeßzweck. Solange die Existenz oder Nichtexistenz einer Tatsache nicht prozeßordnungsgemäß BGH 37, 154 (155). Lent, Wahrheits- und Aufklärungspflicht, S. 50; Bernhardt JZ 63, 245 f.; Wieczorek § 288 Anm. Alb 2. Vgl. auch die Nachw. bei Blomeyer, Lehrb. § 68 IV 2 (S. 339 N. 3). 130 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, Göttingen 1950, S. 71 f.; Blomeyer, Lehrb. § 30 VII 1 c. 131 So der BGH (s. o. N. 128) und Baumb.-Lauterbach § 290 Anm. 2 B. a. A. Bernhardt JZ 63, 247. Die Nichtberücksichtigung von Parteivorbringen oder bereits festgestellten Tatsachen widerspricht dem Ziel der Wahrheitsfindung und ist daher ganz allgemein nur aus zwingenden Gründen zuzulassen: etwa als Strafe für Prozeßverschleppung (vgl. §§ 272 b, 279 a, 529 II ZPO; v. Hippel, Wahrheitspflicht, S.278) oder bei einem Verstoß gegen elementare Formvorschriften (vgl. v. Hippel, Wahrheitspflicht, S.279/80; de Boor, Auflockerung, S.15 N.1). 132 Arg. § 291 ZPO. Vgl. Rosenberg, Lehrb. § 113 lId; Nikisch, Lehrb. § 67 II 1; Bruns, Lehrb. § 29 III 3; StJ-SchumannjLeipold § 288 Anm. III 2; Baumb.-Lauterbach Einf. zu § 288-290 Anm.3; Thomas-Putzo § 288 Anm.3 a,bb. 133 Nikisch, a.a.O. Der Einwand liegt nahe, daß das Ergebnis einer Beweisaufnahme meist nicht letzte Gewißheit beanspruchen kann. Da auch das Geständnis im allgemeinen der wahren Tatsachenlage entspricht (s. o. Nr. 3 a), stünde also ein Wahrscheinlichkeitsurteil gegen das andere. Der Richter entgeht diesem Dilemma, indem er die Tatsache des Geständnisses bei der Beweiswürdigung berücksichtigt und nur dann, wenn nach seiner überzeugung das Beweisergebnis unerschüttert ist, die Unwirksamkeit des Geständnisses annimmt. 128

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festgestellt ist, können die Parteien durch Geständnis den Umfang und Aufwand der Ermittlungen bestimmen. Sie entscheiden damit nicht über das Ziel des Prozesses, sondern darüber, wie weit der Grundsatz der Prozeßökonomie zum Zuge kommt, also über die Mittel der Wahrheitsfindung. Sobald jedoch für das Gericht die Wahrheit oder Unwahrheit einer Behauptung feststeht, ist kein Raum mehr für eine Bindung an den Parteiwillen. Eine ähnliche Situation ergibt sich bei Verzicht und Anerkenntnis (§§ 306, 307 ZPO) , wenn der Prozeß bereits entscheidungsreif ist und entgegen der festgestellten Rechtslage der Kläger verzichtet oder der Beklagte anerkennt. Anerkenntnis oder Verzicht als reine Prozeßhandlung 134 können hier keine Wirkung haben. Ist die Partei materiell verfügungsberechtigt, so mag sie auCh materiellrechtlich verfügen135• Ist sie nicht (allein) verfügungsbefugt, so besteht erst recht kein Anlaß, eine von der wahren Rechtslage abweichende rechtskräftige Feststellung zu treffen. Die Dispositionsbefugnis der Parteien wird hier also ebenso eingeschränkt wie beim Geständnis und mit dem Prozeßzweck der Wahrheitsfindung in Einklang gebracht. Verfügt eine Partei vor Abschluß der Ermittlungen, bei sozusagen offener Rechtslage, über den Streitgegenstand, so ist wahrscheinlich, daß durch ihre Disposition die materielle Wahrheit festgestellt wird. Die Prozeßordnung läßt es damit genug sein und verbietet dem Gericht weitere Nachforschungen. Ist aber diese "Vermutung" der Wahrheit durch prozeßordnungsgemäß gewonnenes Wissen des Gerichts bereits widerlegt, verliert die Bindung an den Parteiwillen ihren Sinn. Auch die streitbeendigende Wirkung der Parteidisposition kommt nicht zum Zug: Der Streit ist in der Sache bereits entschieden und, daß ein Anerkenntnisurteil für den Richter mit weniger Arbeit verbunden ist, darf wohl kaum den Ausschlag geben. Die gegenwärtige Einigkeit der Parteien, die sich im Verzicht des Klägers und dem Abweisungsantrag des Beklagten ausspricht, garantiert keine gründlichere Streitbereinigung als ein Urteil nach der vom Gericht ermittelten Rechtslage138 : Nicht eine Beschwichtigung oder Versöhnung der Parteien in einem psychologischen Sinn ist das primäre Verfahrensziel, sondern eine gerechte Lösung des dem Gericht vorgelegten Interessenkonflikts. Gerade die Diskrepanz zwischen dem prozessualen Verzicht und der materiellen Rechtslage gibt zu Bedenken Anlaß und läßt einen möglichen Keim später neu aufbrechender Uneinigkeit erkennen. Zu Un134 Daß Anerkenntnis und Verzicht auch als reine Prozeßhandlungen wirksam sind, ist jetzt h. M. (s. o. Nr.3 c bei N.107). 135 Diese Möglichkeit ist im Rahmen des § 139 I ZPO zu erörtern. 138 Das Gericht berücksichtigt die Tatsache des Verzichts bei der Beweiswürdigung (vgl. o. N.133).

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recht beruft man sich auch auf den Willen des Gesetzgebers, der den Parteien nun einmal unbeschränkte Dispositionsbefugnis verliehen habe. Der Gesetzgeber unterschied bekanntlich nicht zwischen dem streitigen materiellen Recht und dem prozessualen Anspruch, konnte also mit der Möglichkeit einer Abweichung des Anerkenntnis- oder Verzichtsurteils von der außerprozessualen Rechtslage nicht rechnen137 • Eine Analogie zur materiell rechtlichen Verfügungsbefugnis der Parteien hält genauerer Prüfung ebensowenig stand138 • Verfügungen über den Prozessualen Streitgegenstand haben durch das Medium des Urteils Wirkungen, die privaten Rechtsgeschäften sonst nirgends zukommen: Rechtskraft und Vollstreckbarkeit. Im übrigen ist der Verfügungscharakter von Anerkenntnis und Verzicht gar nicht eindeutig. Die prozessuale Wirkung des Verzichts tritt ein, gleichgültig, ob der Kläger erklärt, er verzichte auf den Anspruch, oder ob er sich nur dahingehend einläßt, seiner nunmehrigen überzeugung nach bestehe der Anspruch nicht. Nur im ersten Fall liegt eine Willens-, im zweiten dagegen eine Wissenserklärung vor139 , was nicht Gegenstand dogmatischer Konstruktion, sondern der Auslegung des Parteiwillens ist. Wenn also auch eine Wissenserklärung als prozessualer "Verzicht" gewertet wird, so ist deutlich, daß es nicht so sehr auf den Verfügungswillen des Klägers ankommt. Entscheidend ist vielmehr der Wahrscheinlichkeitsschluß, der aus seiner Erklärung erfahrungsgemäß auf die wahre Rechtslage gezogen werden kann. Geht man von diesen Prämissen aus, so erscheint auch die Streitgenossenschaft bei Identität des Streitgegenstands in einem neuen Licht. Angenommen, ein _Streitgenosse gesteht eine Tatsachenbehauptung des Gegners zu, die übrigen bestreiten. Die "punktuelle" Streitbereinigung, die der Zugestehende damit für sich persönlich beabsichtigt, erreicht er aucl1 ohne eine Bindung des Gerichts an das Geständnis: Er braucht sich ja an der Auseinandersetzung über den betreffenden Punkt nicht zu beteiligen140 • Andererseits kann sein Geständnis weitere Ermittlungen über diesen Punkt nicht verhindern: Das Bestreiten der anderen Streitgenossen erzwingt eine Beweisaufnahme. Hier wäre also die Geständniswirkung unangemessen. Die gestehende Partei kann nicht verlangen, daß aufgrund ihres Geständnisses ihr o. Nr. 3 c. Vgl. Lent, Wahrheits- und Aufklärungspfticht, S.79, 85 (mit Nachw.). 139 Zwar hat sich in Schrifttum und Rspr. die Auffassung des Anerkenntnisses und Verzichts als Dispositionsakt durchgesetzt (vgl. die Nachw. bei Blomeyer, Lehrb., S. 303 N. 5, 6), doch läßt man auch eine Wissenserklärung genügen (so Blomeyer, Lehrb. § 62 IV I, mit Nachw. S. 303 N.9). 140 Dem Streitgenossen, der sich passiv verhält, erwachsen keine nennenswerten Belastungen. s. u. VIII. 137 S. 138

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gegenüber entschieden wird, wenn trotzdem eine gründlichere Sachklärung durchgeführt werden muß141. Dasselbe gilt für Anerkenntnis und Verzicht. Auch hier handelt es sich um eine Bescllränkung der Parteidisposition durch den Prozeßzweck. Die Verhandlungsmaxime und ihr Gegenbild, die Untersuchungsmaxime, werden damit nicht mehr als Prinzipien anerkannt, die an sich gültig sind und Verwirklichung beanspruchen könnenull. Es ist nicht mehr so, daß der mögliche Prozeßzweck aus diesen Maximen abgeleitet wird, sondern gerichtliche Untersuchung und Parteiverhandlung dienen einem übergeordneten Zweck, der Erforschung der wahren Rechtslage. Die Aufteilung der Herrscilaft über den Prozeß unter Gericht und Parteien ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, der "Ausbalanzierung der Arbeitstechnik"143. In der Tat strebt das Gesetz nicht nach konsequenter Durchführung einer der beiden Maximen; es sucht vielmehr, Gericht und Parteien zu einer funktionstüchtigen Arbeitsgemeinscllaft zu vereinigen1". Die Mitarbeit der Parteien bei der Sachaufklärung und ihre Disposition über den Umfang der Ermittlungen werden damit gerechtfertigt, daß sie - bei Berücksichtigung der Prozeßökonomie - als das relativ beste Mittel zur Findung der materiellen Wahrheit erscheinen. Andererseits strahlt das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit auf den Zivilprozeß aus und gibt der Verhandlungsmaxime einen gewissen Eigenwert145• Art. 2 I GG schützt dieses Grundrecht allerdings nur in den Grenzen der "verfassungsmäßigen Ordnung", d. h. die Grundrechtsgarantie wird u. a. von den geltenden einfachen Gesetzen146, damit auch von der ZPO eingeschränkt. Dies bedeutet nun wieder nicht, daß das Grundrecht in vollem Umfang zurücktritt: Sein "Kernbereich" ist gegen jeden Eingriff geschütztU7• Im übrigen 141 Zur Bedeutung des Verfahrens der besonderen Streitgenossenschaft für die Wahrheitsfindung s. sogleich im Text. 142 Vgl. Jonas DeuR 1941, S. 1697 f.; v. Hippel, Wahrheitspflicht, S. 164 f. (mit Nachw., insbes. S.168 N.9), 175. 143 Jonas, a.a.O. (5.1698). 144 Vgl. v. Hippel, S.180 f.; Sauer, Methodenlehre, S.203; Wurzer ZZP 48, 480; Lent ZZP 63, 3 f. (3, 25). Übrigens unterscheidet sich die Sammlung des Prozeßstoffs nach der Verhandlungsmaxime in ihrer gegenwärtigen Form praktisch kaum noch vom Verfahren nach der Untersuchungsmaxime: Die Parteitätigkeit wird weitgehend durch detaillierte Aufklärungsbeschlüsse des Gerichts gelenkt; umgekehrt bleibt die Untersuchung von Amts wegen stets auf von den Parteien gegebene Anknüpfungspunkte und weitere Mitarbeit der Parteien angewiesen (vgl. R. Schmidt JW 1913,764 f., 767; StJSchPohle vor § 128 Anm. VII 1 g). 145 Vgl Habscheid, Gedächtnisschr. f. Peters, S. 852 f. 146 Maunz, Staatsrecht § 14 III 1; Leibholz-Rinc:k Art. 2 Rdnr. 5 f.; BVerfGE 6, 37. 147 Leibholz-Rinck Art. 2 Rdnr. 7. 7 Hauold

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

findet eine Wechselwirkung statt zwischen dem Grundrecht und dem einschränkenden Gesetz, das seinerseits vom Wertsystem der Grundrechte her auszulegen ist. Die Grenzen des Grundrechtsschutzes ergeben sich daher aus einer Abwägung der konkurrierenden Werte und Rechtsprinzipien148, für die das BVerfG den folgenden Grundsatz formulierte: "Der Einzelne muß sich diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen, die der Gesetzgeber zur Pflege und Förderung des sozialen Zusammenlebens in den Grenzen des bei dem gegebenen Sachverhalt allgemein Zumutbaren zieht, vorausgesetzt, daß dabei die Eigenständigkeit der Person gewahrt bleibt1 49 ." Im Unterschied zu der liberalistischen Konzeption des Gesetzgebers von 1877 wird im Grundgesetz gerade die Sozialbindung des Individuums betont. Daher wird man heute von Parteien, die eine Sachentscheidung mit Rechtskraft begehren, ein bestimmtes Maß von Mitarbeit zur Findung eines "richtigen" Urteils erwarten können. Man kann also aus Art. 2 I GG nicht ableiten, daß der freie Wille der Parteien auch da geschützt werden müßte, wo er sich offen gegen das Prozeßziel der materiellen Wahrheit richtet. Ebenso darf der Richter nicht an ein vorläufiges Verhandlungsergebnis gebunden werden, falls aus besonderen Gründen über den Streitgegenstand weiter verhandelt werden muß, die materielle Wahrheit also genauer oder wenigstens mit größerer Sicherheit festgestellt werden kann, wie dies bei der besonderen Streitgenossenschaft der Fall ist. Daß hier Rücksicht genommen werden müßte auf die Parteien, die nun einmal kein besseres Urteil wollen, entspricht gewiß nicht dem "Menschenbild des Grundgesetzes"1Go. Eine ganz andere Frage ist es, ob das Gericht, wenn die Parteien an weiterer Sachaufklärung nicht interessiert sind, eigene Ermittlungen anstellen soll. Allein mit der Gefahr eines unrichtigen Urteils ist eine ergänzende Untersuchung von Amts wegen nicht zu rechtfertigen. Lent befürwortet sie de lege ferenda bei substantiiertem Verdacht auf Täuschung des Gerichts1G1 • Es wäre zu erwägen, ob nicht damit einer Ausuferung der Rechtsprechung zum Prozeßbetrug und zur sittenwidrigen Erschleichung oder Ausnutzung eines Urteils (§ 826 BGB)15! auf eine ebenso ökonomische wie wirksame Weise begegnet werden könnte, ohne das dahinter stehende berechtigte Anliegen zu unterdrücken. 148 Maunz, a.a.O. (5.108/09). Vgl. auch die Rspr. des BVerfG zum Begriff des "allgemeinen Gesetzes" in Art. 5 II GG (Leibholz-Rinck, Rdnr. 8, 9). 149 BVerfGE 4, 7 (16). 150 a. A. Jauernig (Streitgegenstand, 5.9 N. 13), der sich dabei merkwürdigerweise auf das soeben auszugsweise im Wortlaut zitierte Urteil des BVerfG beruft. 1G1 Wahrheits- und Aufklärungspfticht, S. 87; ZZP 63, 50 f. 152 Vgl. Blomeyer, Lehrb. §§ 106 II 2 a, 107 II.

§ 10: Identität des Streitgegenstands

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Allein die hier vertretene Auffassung, nach der die Parteidisposition dem Ziel der Wahrheitsfindung untergeordnet ist, versteht den Prozeß als ein homogenes, durchgängig zweckbestimmtes Ganzes. Sie stellt zugleich das Erkenntnisverfahren in einen umgreifenden Zusammenhang, indem sie die Feststellung der materiellen Rechtslage als Phase der Verwirklichung des Rechts und damit der Gerechtigkeit im Einzelfall begreift. Daraus ergeben sich immanente Grenzen der Wahrheitsermittlung: Der konkrete Zweck des Prozesses, die gerechte Ordnung eines bestimmten Lebensverhältnisses, und die dafür aufgewandten Mittel müssen in einem vernünftigen Verhältnis bleiben. Da es letztlich Parteiinteressen sind, die einen gerechten Ausgleich finden sollen, bestimmen die Parteien über diese Relation. Sie disponieren also über Umfang und Mittel, nicht über das Ziel der Untersuchung. Ein etwaiger prozessualer Rechtsverlust als Sanktion für Prozeßverschleppung, Mißachtung elementarer Formerfordernisse oder Verletzung der Wahrheitspflicht rechtfertigt sich ebenfalls aus dem Zweck der Erkenntnis und Verwirklichung der wahren Rechtslage in einem geregelten Verfahren. Der Prozeß wird damit nicht von abstrakten, isolierten und erst wieder in einen Zusammenhang zu bringenden Prinzipien her konstruiert, sondern als ein strukturiertes Ganzes erfaßt, dessen Elemente auf die Verwirklichung des materiellen Rechts hingeordnet sind. Auf diesen einen Zweck sind in der Sicht des Richters, auf die es allein ankommen kann, alle Prozeßhandlungen und prozessualen Ereignisse bezogen. Die h. M. hingegen, die den individuellen, nicht an der außerprozessualen Rechtslage gemessenen Parteiwillen gleichrangig neben den Zweck der Wahrheitsermittlung stellt, bringt damit einen Wertwiderspruch in die Auslegung der ZPO und das Verständnis des Prozesses, den keine noch so geschickte Dialektik in eine sinnvolle Polarität umzudenken vermag. Solange der Richter gehalten ist, seine eigene Tätigkeit an der materiellen Wahrheit auszurichten und solange es eine Wahrheitspflicht der Parteien gibt, läßt sich der Prozeß nicht aus dem Zusammenhang mit der materiellen Rechtsordnung lösen. Das Bedürfnis nach Feststellung der materiellen Wahrheit wird um so deutlicher, wenn es sich erst in Folgeprozessen - Restitutionsklage, Schadensersatzprozeß - durchsetzt. Mit der beliebten Redeweise von der "formellen Wahrheit" als Ziel des Prozesses wird nur verschleiert, daß man von der ungelösten Antinomie zwischen materieller Wahrheit und Parteiwillen ausgeht. Die praktischen Konsequenzen der hier vorgetragenen Auffassung, die eine allgemeine Auslegungsregel für prozeßrechtliche Vorschriften begründet, können nicht in alle Einzelheiten verfolgt werden. Im Rahmen der gegenwärtigen Untersuchung zeigte sich bereits ihre Bedeutung für die Grenzen der Parteidisposition im Prozeß (§§ 288 ff.,

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

306, 307 ZPO), für eine angemessene Regelung des Versäumnisverfahrens (§§ 330 ff. ZPO)l63 und für die besondere Streitgenossenschaftlu. Eine konsequentere Ausrichtung des Verfahrens auf die materielle Wahrheit in dem hier dargelegten Sinn könnte in gewissem Umfang den Tendenzen zur Durchbrechung der Rechtskraft begegnen. 7. Materielle Wahrheit und besondere Streitgenossensmaft

a) Der Wert der besonderen Streitgenossenschaft

für die Wahrheitsfindung

Die besondere Streitgenossenschaft modifiziert das Verfahren nach der Verhandlungsmaxime dergestalt, daß nicht mehr die Prozeßhandlungen des einzelnen, sondern nur das übereinstimmende Verhalten aller Streitgenossen das Gericht bindet. Die Verhandlung kann von der einzelnen Partei, auch innerhalb ihres Prozeßrechtsverhältnisses zum Gegner, nicht eingeschränkt oder vorzeitig abgebrochen werden, und die von der einzelnen Partei geleistete Sachaufklärung wird in allen streitgenössischen Prozessen verwertet. Die besondere Streitgenossenschaft führt also zu einer gründlicheren Verhandlung und größerer Freiheit des Gerichts bei der Prüfung der Urteilsgrundlage. Der Prozeßzweck: der materiellen Wahrheit rechtfertigt diese Umgestaltung des Verfahrens nicht nur, er fordert sie geradezu. Der Richter wird vom Gesetz an das Parteiverhalten gebunden, weil dieses erfahrungsgemäß der Wahrheit entspricht. Diese Wahrscheinlichkeit entfällt aber, wenn in demselben Verfahren eine andere Partei in derselben Parteirolle in bezug auf denselben Streitgegenstand abweichende Erklärungen abgibt oder anders disponiert. Die wechselseitige Abhängigkeit der Streitgenossen dient der Wahrheitsfindung ebenso wie die gegenseitige Kontrolle von Kläger und Beklagtem. Je weiter die Verhandlung ins einzelne geht und je mehr Information das Gericht sammelt, mit desto größerer Sicherheit trifft das Urteil die wahre Rechtslage. b) Widerlegung eines Einwandes

Von zwei divergierenden Urteilen über denselben Streitgegenstand

ist notwendig eines unrichtig. Der Zwang der besonderen Streit-

genossenschaft zur inhaltlichen Übereinstimmung der Urteile kann in bestimmten - regelwidrigen - Fällen dazu führen, daß nun beide Urteile falsch sind, und dies nicht wegen der natürlich auch von der o. Nr. 3 b. Dazu ausführlich sogleich im Text.

1113 S. 154

§ 10:

Identität des Streitgegenstands

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besonderen Streitgenossenschaft nicht behobenen Fehlbarkeit der Rechtsprechung, sondern u. U. als Folge der besonderen Streitgenossenschaft: Man denke an den Fall, daß einer der Beklagtengenossen wahrheitsgemäß anerkennt, der andere bestreitet und daß die Klagen abgewiesen werden, weil der Gegner die Existenz einer sein Recht begründenden Tatsache nicht zu beweisen vermag. Dennoch geht der Einwand fehl, denn er argumentiert vom Standpunkt eines allwissenden Beobachters aus. Das Gericht urteilt nur nach den zuhandenen Erkenntnismitteln und schließt daraus auf die wahre Rechtslage. Das aufgrund des übeTeinstimmenden Verhaltens der Streitgenossen ergehende Urteil- und es allein - hat die WahTscheinlichkeit für sich. c) ETgebnis

Die gesetzliche Wertung, die für die Auslegung von Einzelvorschriften der ZPO maßgebend ist, läßt sich auf folgende Formel bringen: Die Erforschung der materiellen Wahrheit wird im Prozeß so weit getrieben, als es bei deT jeweiligen VerfahTensgestaltung Persönlichkeitsschutz und Prozeßökonomie zulassen. Die Streitgenossenschaft bietet bei Identität des Streitgegenstands die Möglichkeit, durch das Verfahren nach § 62 ZPO der WahTheit und damit der Verwirklichung der GeTechtigkeit im Einzelfall näher zu kommen. Also muß besondere Streitgenossenschaft eintreten, wenn nicht ihre Wirkungen gerade das Persönlichkeitsrecht oder die Prozeßökonomie beeinträchtigenl5l1 • Die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung ist hier zugleich logisch und rechtlich begründet. Der Prozeßzweck als Postulat der Wahrheit der Urteile i. S. ihrer übereinstimmung mit der außerprozessualen Rechtslage impliziert logisch die Forderung nach Widerspruchsfreiheit der Entscheidungen. überdies gewinnt die Entscheidung durch das Verfahren der besonderen Streitgenossenschaft an "Wahrscheinlichkeit".

VI. Der Sinnzusammenhang der Urteile Aus dem dargestellten Zusammenhang zwischen Rechtsordnung, Prozeß und LebenswirklichkeitU1 ergeben sich weitere Argumente für die einheitliche Feststellung einer identischen Rechtsfolge. Einige Hinweise werden im Verein mit den früheren Ausführungen und angesichts der gegebenen Beispiele167 deutlich machen, daß die gegenU5 158 157

s. u. VIII 1, 2. s. o. V 1, insbes. nach N. 84. s. o. 11.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

über mehreren Prozeßführungsbefugten ergehenden Urteile nicht beziehungslos nebeneinander stehen. Das Urteil vollzieht die Anwendung allgemeiner Normen auf bestimmte Tatsachen und konkretisiert damit den Inhalt der Normen. Der Sinnzusammenhang, der das "innere System"168 der Rechtsordnung begründet, kann dabei nicht verlorengehen. Daher bilden auch die Urteile der Idee nach eine zusammenhängende Ordnung159 • Das Postulat der Einheit der Rechtsordnung erscheint auf dieser Ebene als Forderung nach Einhelligkeit der Rechtsprechung, d. h. nach einheitlicher Entscheidung gleichgelagerter Fälle oder desselben Falles in verschiedenen Prozessen180. Ähnliches folgt aus der Bedeutung des Urteils für das dem Streit zugrundeliegende Lebensverhältnis. Der Prozeß dient der Bereinigung von Konflikten innerhalb rechtlich geregelter Sozialbeziehungen mit dem Ziel einer Ordnung des ganzen Lebenszusammenhanges. Gegenstand der Prozesse ist aber stets nur eine bestimmte umstrittene Rechtsfolge, und es können mehrere selbständige Verfahren dieselbe Rechtsfolge betreffen. Um so wichtiger ist es für das Zustandekommen einer solchen Ordnung - ganz abgesehen von der "Richtigkeit" der Entscheidung -, daß die Urteile inhaltlich übereinstimmen. Sie verfehlen daher nicht erst dann ihren Sinn, wenn sie wegen eines Widerspruchs schlechterdings unausführbar sind181 . 168 Vgl. Engisch, Einheit, S. 82 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 450 f. 169 Auf dieser Einsicht beruhen alle die Lehren, die eine sog. Rechtskraftordnung oder Rechtsschutzordnung neben die materielle Rechtsordnung stellen (J. Kohler, J. Goldschmidt) oder für die eigentliche Rechtsordnung erklären (0. Bülow). Vgl. Engisch, Einheit, S. 7 f. 180 Vgl. W. Jellinek, Schöpferische Rechtswissenschaft, S. 8 f.; Bötticher, Krit. Beiträge, S.60. 161 Mit einem ähnlichen Gedankengang begründet Zeuner (Rechtskraft, S. 51 f.) die Bindung der Gerichte an die rechtskräftige Feststellung präjudizieller Rechtsfolgen: Die im Vorprozeß festgestellte Rechtsfolge ist auf einen Ordnungszusammenhang angelegt, der auch die später umstrittene Rechtsposition umfaßl Das erste Urteil stiftet nur einen Ausschnitt der intendierten Ordnung und bedarf der Ergänzung durch die Feststellung der zweiten, abhängigen Rechtsfolge. Nur wenn beide Entscheidungen inhaltlich harmonieren, bleibt der bestehende Sinnzusammenhang gewahrt. - Zeuner untersucht die Beziehungen zwischen Prozessen derselben Parteien über verschiedene Streitgegenstände, während es hier um die Prozesse verschiedener Parteien über denselben Streitgegenstand geht; dieser Unterschied soll nicht verwischt werden. Gemeinsam ist jedoch der methodische Ansatz bei dem vom materiellen Recht formulierten Sinnzusammenhang, der auf der Einheit des zu ordnenden Lebensverhältnisses und der Idee einer einheitlichen gerechten Regelung beruht. Dieser umgreifende Zusammenhang muß gegenüber der formalen Vereinzelung der Prozesse zur Geltung gebracht werden, soweit es mit prozessualen Mitteln möglich ist.

§ 10: Identität des Streitgegenstands

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VII. Notwendige Verbindung von Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung mit gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis oder Rechtskrafterstreckung? Die h. M. stützt ihre Ablehnung der besonderen Streitgenossenschaft bei Identität des Streitgegenstands auf einige Argumente, die sich in der langen Auseinandersetzung um den Tatbestand des § 62 ZPO herausgebildet haben. Ihre kritische Diskussion zieht zugleich das Fazit der bisherigen Darlegungen. Man beruft sich u. a. auf den Willen des Gesetzgebers: Wenn bei getrennten Prozessen die Urteile nicht übereinstimmen müssen, besteht kein Anlaß, im Rahmen eines gemeinsamen Verfahrens einheitliche Entscheidung zu erzwingen. Wäre die Divergenz der Urteilsinhalte dem Gesetzgeber als untragbar erschienen, hätte er gemeinsame Prozeßführungsbefugnis oder Rechtskrafterstreckung angeordnet. Daher kann in allen Fällen, in denen Einzelprozeßführungsbefugnis ohne Rechtskrafterstreckung auftritt, geschlossen werden, daß der Gesetzgeber sich implizit gegen Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung entschieden hat162 • Diese auf den ersten Blick bestechende Argumentation macht einige problematische Voraussetzungen. 1. Gemeinsame Prozeßfllhnmgsbefugnis

Die Grundlagen der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis sind bereits ausführlich dargestellt worden163 • Beim Prozeß über ein Recht, das in der Verwaltungs- und Verfügungsgemeinschaft mehrerer Personen steht, kann die Berechtigung des einzelnen, wenn sich die Urteilswirkung nicht auf die formellen Parteien beschränken läßt, nur dadurch geschützt werden, daß gegenüber sämtlichen Mitberechtigten eine einheitliche Entscheidung ergeht, die auf ihrer gemeinsamen Prozeßführung beruht. Gemeinsame Rechtsverfolgung und einheitliche Entscheidung sind aus demselben Grund notwendig. Anders ist es, wo die gemeinsame Prozeßführungsbefugnis nur der Prozeßökonomie dient und dem Interesse des Gegners an der Vermeidung von unnötigen Prozessen über bereits festgestellte Rechtsfolgen. Hier ergibt sich die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung, an der im übrigen niemand zweifelt, nicht aus den spezifischen Voraussetzungen der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis; die für sie maßgebenden Gründe können also auch ohne den Zwang zu gemeinsamer Prozeßführung vorliegen164 • 162 So Hachenburg, Streitgenossenschaft, S. 88 f. (89), 102, 104; Lent IhJ 90, 61/62; Schwab Festschr. f. Lent, S.276; Holzhammer, Parteienhäufung, S.75. Im Ergebnis gleich und anscheinend auch in der Begründung, was allerdings nicht völlig klar wird: BGH 30, 195 (199 f.). . 163 s. o. § 6 III 1. 164 s. o. § 6 VII.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

Außerdem ist der Gesichtspunkt der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung für die Gestaltung der Prozeßführungsbefugnis offenbar nicht ausschlaggebend: Gemeinsame Prozeßführungsbefugnis tritt ein, wenn dem Interesse des einzelnen Beteiligten an selbständiger Rechtsverfolgung ein überwiegendes Interesse der Mitberechtigten oder des Gegners oder Gründe der Prozeßökonomie entgegenstehen. Niemals unterdrückt das Gesetz das Rechtsschutzinteresse eines Beteiligten allein zugunsten einheitlicher Entscheidung165. Trotzdem könnte das bestehende Interesse an einheitlicher Entscheidung stark genug sein, um besondere Streitgenossenschaft zu begründen, falls mehrere Prozeßführungsberechtigte zufällig zusammen klagen oder verklagt werden. Die besondere Streitgenossenschaft beeinträchtigt das Rechtsschutzinteresse des einzelnen nicht; denn der wesentliche Inhalt der Einzelprozeßführungsbefugnis ist nicht ein Recht auf individuelle Sachentscheidung, sondern die unabhängige Rechtsschutzinitiative. Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung i. S. des § 62 ZPO bedeutet also nicht Notwendigkeit gemeinsamer Rechtsverfolgung. 2. ReddskrafterstreekuDI

Ebensowenig überzeugt die Behauptung, daß der Gesetzgeber stets Rechtskrafterstreckung .anordnete, wenn bei Einzelprozeßführungsbefugnis ein Interesse ·an einheitlicher Entscheidung bestand. Festzuhalten ist zunächst: Die h. M. zu § 62 ZPO räumt mit diesem Argument ein, daß es nicht nur Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung wegen der Gefahr eines Rechtskraftkonflikts als Folge der Rechtskrafterstreckung, sondern auch Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung als Voraussetzung der Rechtskrafterstreckung gibt1 68• Es ist jedoch unverkennbar, daß diese Voraussetzung allein nicht ausreicht, um volle Rechtskrafterstreckung (bei Sieg und Niederlage) zu begründen. Entscheidend sind vielmehr entweder der Grundsatz der Prozeßökonomie und das überwiegende Interesse der Gegenpartei an der Erledigung der Streitsache in einem einzigen ProzeB187 oder die materiellrechtliche Abhängigkeit des Dritten, auf den die Rechtskraft erstreckt wird188• Es ist nicht einzu.,. 165 s. o. § 6 VII. 168 Ebenso Rosenberg, Lehrb. § 95 II 1 a. Auch § 65 II VwGO bezeichnet in Anlehnung an den Wortlaut des § 62 ZPO die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung als Voraussetzung der notwendigen Beiladung und damit der Rechtskrafterstreckung, die ·nach §§ 121, 63 Nr. 3 VwGO infolge der Beiladung eintritt (vgl. Eyermann-Fröhler § 65 Rdnr. 25, 26). Die Bedeutung der Rechtskrafterstreckung für die Wahrung von. Zusammenhängen des materiellen Rechts erwähnen de Boor, Auflockerung,S. 62 f., und Holzhammer, Parteienhäufung, S. 10l. 167 Rechtskrafterstreckung .. aus prozessualen Gründen". Vgl. Bettermann, Vollstreckung, S. 65 f., 127; Blomeyer, Lehrb. § 91 I. . 168 Bettermann, Vollstreckung, S. 84 f. (87): .. Die Rechtskrafterstreckung qua

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sehen, warum Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung nur in den seltenen Fällen vorliegen soll, in denen diese zusätzlichen Bedingungen für eine Rechtskrafterstreckung erfüllt sind. Andererseits würden die Interessen der Beteiligten bei mehrfacher Prozeßführungsbefugnis über denselben Streitgegenstand eine Erstrekkung der Rechtskraft des siegreichen Urteils immer zulassenl89 • Sie wird vom Gesetz in manchen Fällen angeordnet, in anderen nicht, ohne daß eine sachliche Differenzierung erkennbar wäre. Es ist also nicht möglich, aus dieser inkonsequenten Regelung auf ein bestehendes oder nicht bestehendes Interesse an einheitlicher Entscheidung zu schließen. 3. Ergebnis

Die Umstände, aus denen bei gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis und Rechtskrafterstreckung Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung folgt, liegen auch in anderen Fällen vor. Umgekehrt sind gemeinsame Prozeßführungsbefugnis und Rechtskrafterstreckung manchmal nicht möglich oder vom Gesetzgeber nicht angeordnet worden aus Gründen, die mit der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung nichts zu tun haben. Daher gilt zwar der Satz, daß bei gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis und Rechtskrafterstreckung immer Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung gegeben ist, aber nicht seine Umkehrung, daß Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung nur bei gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis oder Rechtskrafterstreckung besteht. Weiter hat sich erwiesen, daß es durchaus eine "Notwendigkeit" einheitlicher Entscheidung gibt, die sich in getrennten Prozessen nicht durchsetzt. Die Einheitlichkeit der Entscheidung kann allein durch gemeinsame Prozeßführungsbefugnis voll gewährleistet werden, weil diese getrennte Prozesse ausschließt. Bei Einzelprozeßführungsbefugnis können grundsätzlich immer inhaltlich voneinander abweichende Urteile ergehen. Auch die Rechtskrafterstreckung verhindert den Urteilswiderspruch nur unter bestimmten Bedingungen170 ; sie verschärft ihn andererseits, wenn er auftritt, durch den Konflikt der Rechtskraftwirkung, der erst in einem außerordentlichen Rechtsmittelverfahren wieder behoben werden muß l7l • Neben gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis und Rechtskrafterstreckung17! dienen auch die besondere StreitgenossenAbhängigkeit ist Rechtskrafterstreclrung aus mangelndem Interesse des Dritten an der Rechtskraftbeschränkung." VgI. auch Blomeyer, Lehrb. § 91 II 2. 169 S. O. IV 1 a. 170 s. o. § 7 II 2. 171 S. O. § 7 II 1, 2. Wenn der passive Rechtskraftgenosse ebenfalls prozeßführungsbefugt ist, sollte Rechtskrafterstreckung nur aufgrund einer Beiladung stattfinden. s. u. § 13 II. 17: In Prozessen zwischen denselben Parteien wird die Einheitlichkeit der Entscheidung durch den Einwand der Rechtshängigkeit oder Rechtskraft gesichert.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

schaft und - in einem weniger strengen Sinn - die Aussetzung des Verfahrens (§ 148 ZPO), die einfache Streitgenossenschaft und die Verbindung von Prozessen (§ 147 ZPO) der Einheitlichkeit der Entscheidung. Jedes dieser Institute erfordert einen bestimmten Eingriff in den Ablauf des Verfahrens und/oder in die Parteibefugnisse und hat seinen spezifischen Anwendungsbereich, der sich im wesentlichen nach den jeweiligen Gründen der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung, der Schwere des den Parteien auferlegten Opfers und den besonderen Umständen bestimmt, die diesen Eingriff ermöglichen und als zumutbar erscheinen lassen. Der Tatbestand des § 62 ZPO erfaßt alle die Fälle, in denen wegen der konkreten Gründe, die für einheitliche Entscheidung sprechen, die konkreten aus der streitgenössischen Bindung erwachsenden Belastungen den Parteien zugemutet werden können und müssen. Dies ist m. a. W. die Definition der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung i. S. des § 62 ZPO. VIII. Belastungen für Gericht und Parteien als Folge der besonderen Streitgenossenschaft Die h. M. bestreitet die Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck für den Fall der besonderen Streitgenossenschaft bei Identität des Streitgegenstands. Es gebe zwar Gründe für einheitliche Entscheidung, aber das Interesse der Parteien, die für sich persönlich das Verfahren abkürzen wollen, und der Grundsatz der Prozeßökonomie seien stärker. Dieser Einwand ist insofern berechtigt, als es tatsächlich auf eine Abwägung der sich widersprechenden Interessen und Rechtsprinzipien ankommt. Entscheidend ist allerdings der Wert dieser Faktoren im konkreten Zusammenhang. Zweifel an der von der h. M. vorgenommenen Güterabwägung ergaben sich bereits aus einer Unterbewertung der "materiellen Richtigkeit" und der inhaltlichen Übereinstimmung der Urteile. Um so mehr wird es darauf ankommen, das wahre Ausmaß der dem Gericht und den Parteien erwachsenden Lasten zu erkennen. 1. Die ProzeBökonomle a) Die Darstellung der herrschenden Meinung

Wo immer es sich darum handelt, besondere Streitgenossenschaft abzulehnen, malt man ein düsteres Bild der Zwangslage einsichtiger Parteien, die vom Widerspruch eines einzigen "verbissenen, eigensinnigen oder gar unwahrhaftigen" Streitgenossen gehindert werden, durch Geständnis unnötige Beweisaufnahmen zu ersparen oder den aussichtslos gewordenen Rechtsstreit durch Verzicht oder Anerkenntnis schnell und billig zu beenden. Die aus der besonderen Streitgenossen-

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schaft resultierende Schwerfälligkeit und Verzögerung des Verfahrens und die zusätzlichen Kosten könnten nur da in Kauf genommen werden, wo unabweisbare prozessuale Gründe die einheitliche Entscheidung notwendig machten173 • b) Kritik

Eine Kritik dieser einseitigen Darstellung wird zunächst darauf hinweisen, daß erfahrungsgemäß ebenso oft der streitende Genosse Recht behält, und damit hätte sich ein Mehraufwand an Zeit und Mühe gelohnt. Aber dies allein kann den Einwand nicht entkräften, wenn es andererseits möglich erscheint, daß die Prozeßführung des aktiven Streitgenossen aufgrund der streitgenössischen Bindung anderen Parteien ernstliche Nachteile und dem Gericht erhebliche Mehrarbeit bringt. Gerade daran muß man jedoch zweifeln. (1.) Die VerschZeppung des Verfahrens. Zahlreiche Vorschriften zur Konzentration und Beschleunigung des Verfahrens schränken heute die Parteiherrschaft und damit auch den Handlungsspielraum des aktiven Streitgenossen ein. Es mag sein, daß diese Bestimmungen nicht ausreichen und daß die Gerichte von ihnen nicht den gehörigen Gebrauch machen, aber das ist kein Problem der besonderen Streitgenossenschaft. Hier muß davon ausgegangen werden, daß die allgemeine Verfahrensordnung die Verhandlung strafft und auf den entscheidungserheblichen Stoff konzentriert und verspätetes Vorbringen durch Androhung von Sanktionen verhindert. Weiter ist nicht einzusehen, wie der aktive Streitgenosse "unnötige" Beweisaufnahmen soll erzwingen können. Bei der Entscheidung über die Beweisbedürftigkeit einer vom Gegner behaupteten Tatsache berücksichtigt das Gericht das Zugeständnis des einen wie das Bestreiten des anderen Streitgenossen und die von beiden vorgebrachten Gründe. Kann es sich danach nicht von der Existenz der Tatsache überzeugen, so ist anzunehmen, daß die Sachlage objektiv unklar und eine Beweiserhebung notwendig ist. Die Beweisaufnahme kann nicht deshalb für überflüssig erklärt werden, weil ihr Ergebnis zeigt, daß ein Teil der Parteien schon vorher den Sachverhalt richtig dargestellt hatte.

ß) Das Prozeßrisiko. Auf den Ausgang des Verfahrens wirkt sich die Prozeßführung des aktiven Genossen in keinem Fall nachteilig aus. Bei Geständnis, Verzicht, Anerkenntnis usw. geht es immer darum, daß in bezug auf einen bestimmten Streitpunkt oder den prozessualen Anspruch insgesamt einzelne Streitgenossen nachgeben wollen. Die streitige Verhandlung führt also schlimmstenfalls zu demselben negativen Ergebnis, das sie freiwillig einzuräumen bereit waren. Wenn sich 173

Vgl. Lent IhJ 90, 99; ähnlich Hellwig, Lehrb. § 159 II 2.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

dagegen der aktive Streitgenosse durchsetzt, kommt es auch den übrigen zugute. r) Mehrbelastung des Gerichts und der Parteien. Das Gericht müßte mit dem aktiven Genossen ohnehin in seinem eigenen Prozeß weiter verhandeln. Daß die Wirkung seiner Prozeßführung auf die Prozesse der anderen Genossen mit dem Gegner erstreckt wird, erfordert nur einige zusätzliche Arbeit der Geschäftsstelle: besondere Ladungen, Zustellungen, Ausfertigungen von Urkunden u. ä. Den streitmüden Genossen aber steht es frei, an der Verhandlung nicht mehr teilzunehmen und dem aktiven Partner die ganze Arbeit zu überlassen. ~) Die Kostentragung. Es bleibt die Frage, ob die Streitgenossen, die sich passiv verhalten, zur Erstattung der Kosten der weiteren Verhandlung herangezogen werden können. Dies hängt davon ab, wie weit die Verteilung der Kostenpflicht auf die Streitgenossen der tatsächlichen Beteiligung an der Verhandlung entspricht, d. h. in welchem Umfang eine Kostenaussonderung möglich ist. Für die einfache und besondere Streitgenossenschaft gelten dabei im wesentlichen dieselben Regeln174 •

Nach § 100 UI ZPO ist das Gericht im Fall des Unterliegens der Streitgenossen verpflichtet, die Kosten eines "besonderen Angriffs- oder Verteidigungsmittels" dem Streitgenossen allein aufzuerlegen, der es geltend gemacht hat. Unter Angriffs- und Verteidigungsmitteln i. S. dieser Vorschrift sind Behauptungen, Bestreiten, Einreden, Repliken, Beweismittel, Beweiseinreden und prozessuale Anträge aller Art zu verstehen. Diese Rechtsbehelfe sind "besondere", wenn die anderen Streitgenossen sie sich nicht zueigen gemacht haben175• Die Einlegung von Rechtsmitteln wird nach allgemeiner Ansicht vom Wortlaut des § 100 IU ZPO, der insoweit mit § 96 übereinstimmt, nicht erfaßt178 • Dennoch kann für sie nichts anderes gelten. Das Rechtsmittel des einzelnen bringt zwar die Prozesse aller Streitgenossen in die höhere Instanz177, aber er allein ist Rechtsmittelkläger i. S. des § 97 I ZPO und trägt die Kosten, wenn das Rechtsmittel erfolglos bleibt178• Soweit nach oder entsprechend § 100 IU ZPO Kostentrennung stattfindet, besteht i. d. R. kein Gesamtschuldverhältnis, sondern jeder Kostenschuldner haftet im Verhältnis zum Gegner wie zur Staatskasse nur 174

157.

Vgl. StJSch-Pohle § 100 Anm. I; Holzhammer, Parteienhäufung, S. 124 f.,

StJSch-Pohle § 100 Anm. II 2 b; Baumb.-Lauterbach § 100 Anm. 4. Vgl. StJSch-Pohle § 100 Anm. II 2 b mit § 96 Anm.II; Thomas-Putzo § 100 Anm. 2 b mit § 96 Anm. a und § 146 Anm. 2 a. 177 s. o. § 2 IV bei N. 16. 178 Für analoge Anwendung des § 100 111: RG JW 38, 1522; ebenso im Ergebnis: Rosenberg, Lehrb. § 95 111 4 und StJSch-Pohle § 97 Anm. I bei N.l in anscheinendem Widerspruch zu § 100 Anm. 11 2 a, b. 175 176

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Identität des Streitgegenstands

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für die ihm persönlich auferlegten Kosten179. § 100 Abs.III ZPO schützt damit die Genossen, die sich nicht an der Verhandlung beteiligen, weit wirksamer vor Kostennachteilen als § 100 Abs. II ZPO, der die Aufteilung der Kosten dem freien Ermessen des Gerichts überläßt und nur eine pauschale Verteilung nach Quoten gestattet. Auch bei einem Sieg der Streitgenossen kann eine begrenzte Kostenpflicht eintreten, wo das Gesetz unabhängig vom Erfolg der Klage oder der einzelnen Prozeßhandlung eine Kostentrennung vornimmt1 80 . Aus der Parallele zwischen §§ 96, 97 I und § 100 III ZPO wird man für diese Fälle den allgemeinen Schluß zielfen dürfen, daß jeweils der Streitgenosse die Kosten zu tragen hat, der sie verursacht. Dies kann im Einzelfall unbillig erscheinen: So etwa, wenn mehrere Streitgenossen sich mit der Niederlage in erster Instanz und der vollen Kostenpflicht abfinden, ein einzelner Berufung einlegt und für alle den Sieg erstreitet, aber allein nach § 97 II ZPO die Rechtsmittelkosten tragen soll. Trotzdem muß es bei dieser Lösung bewenden. Die hypothetische Kostensituation, die bestünde, wenn eine zum Kostenersatz verpflichtende Handlung unterblieben wäre, wird in den §§ 91 ff. ZPO nirgends berücksichtigt. Sie könnte auch schwerlich im Festsetzungsverfahren geprüft werden. Außerdem ist der aktive Streitgenosse hier nicht schlechter gestellt als bei getrenntem Prozeß über denselben Streitgegenstand; es entgeht ihm nur der Kostenvorteil, den die Streitgenossenschaft gewöhnlich mit sich bringt181. e) Ergebnis. Nach alldem ist es ausgeschlossen, daß die Prozeßkosten der nicht verhandelnden Genossen sich infolge der besonderen Streitgenossenschaft wesentlich erhöhen. Der Nachteil einer in Grenzen möglichen Verzögerung des Urteils wird mehr als kompensiert durch die Chance, aufgrund der Prozeßführung des aktiven Streitgenossen ohne Mühe und ohne eigenes Risiko einen prozessualen Vorteil, ja vielleicht den Sieg über den Gegner zu erlangen. 2. Der Eingriff In die Partelstellung

Die besondere Streitgenossenschaft macht die Wirkung wichtiger Prozeßhandlungen, die der einzelne Streitgenosse in bezug auf sein Prozeßrechtsverhältnis zum Gegner vornimmt, vom Verhalten der übrigen Genossen abhängig und beschränkt so die Parteibefugnisse gegenüber dem Verfahren in getrennten Prozessen und bei einfacher 178 VgI. § 100 IV; bezüglich der Gerichtskosten vgI. § 104 GKG und StJScllPohle § 100 Anm. nI. 180 VgI. z. B. §§ 94-97, 238111, 27811, 283 11, 344 ZPO. 181 Bei Identität des Streitgegenstands liegt auch 1. S. der Streitwertbemessung ein einheitlicher Streitgegenstand vor, und die Streitgenossen teilen sich in die Kosten. VgI. StJSch-Pohle § 5 Anm. I 1.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

Streitgenossenschaft. Wie gezeigt, geschieht dies ohne Schaden für die Streitgenossen. Daß der Eingriff in die formale Parteistellung grundsätzlich möglich ist, beweist gerade § 62 ZPO, der mit allgemeiner Billigung auch auf Fälle der Einzelprozeßführungsbefugnis angewandt wird. Der Kernbereich der freien Entfaltung der Persönlichkeit wird davon nicht berührt. Die Frage, ob in streitgenössischen Prozessen mit identischem Streitgegenstand der auf selbständige Prozeßführung und Entscheidung gerichtete Wille der einzelnen Partei schutzwürdig ist, beantwortet sich daher entsprechend der oben vorgenommenen allgemeinen Wertung18!: DenoGründen, die für einheitliche Entscheidung sprechen, stehen weder Gründe der Prozeßökonomie noch rechtlich anerkannte Parteiinteressen entgegen, sondern die bloße Willkür der Parteien. Sie kann nicht geschützt wprden. IX. Zusammenfassung 1. Abseblie8ende Wertung

Es hat sich erwiesen, daß die heute herrschende Meinung die positiven Gründe für Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung bei Identität des Streitgegenstands unterbewertet und die Gegengründe überschätzt. Daher kann ihr im Ergebnis nicht gefolgt werden: Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung in dem Sinne, daß den Parteien um einer einheitlichen Entscheidung willen die Bindung der besonderen Streitgenossenschaft zuzumuten ist, kennzeichnet alle Fälle der Identität des Streitgegenstands. Selbst die Feststellungsklage des Rechtsinhabers gegen mehrere Bestreitende, die untereinander nicht durch ein Rechtsverhältnis verbunden sind, bildet davon keine Ausnahme183• Auch in diesem Grenzfall fordert der Prozeßzweck, daß die wahre Rechtslage festgestellt wird, und darum ist es logisch notwendig, daß die Entscheidungen inhaltlich übereinstimmen. Diese logische Notwendigkeit ist identisch mit der Forderung nach Einheit der Rechtsordnung auf der Ebene des Urteils, die ihrerseits einer einheitlichen Ordnung des Lebenszusammenhanges dient, in dem die Prozeßbeteiligten stehen. Nur diese Gründe für einheitliche Entscheidung sind in sämtlichen Fällen der Identität des Streitgegenstands gegeben; aber sie genügen, um besondere Streitgenossenschaft zu rechtfertigen, denn es spricht kein ebenso starker Grund dagegen. Weder der Grundsatz der Prozeßökonomie noch der Schutz der Parteirechte oder Parteiinteressen verlangt unabhängige Prozeßführung der einzelnen Streitgenossen. Eine Absicht des Gesetzgebers, die Anwendung des § 62 ZPO auf die Fälle der gemeinsamen 182 183

s. o. V 6 bei N. 149; V 7 C.

a. A. insbes. Lent IhJ 90, 45 bei N.2; Henckel, Parteilehre, S. 212 f.

§ 10: Identität des Streitgegenstands

111

Prozeßführungsbefugnis und der Rechtskrafterstreckung zu beschränken, ist nicht erkennbar. Unter besonderen Umständen können weitere Gründe der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung hinzukommen, die freilich Identität des Streitgegenstands voraussetzen. Dazu gehören der Zwang zur gemeinschaftlichen Geltendmachung eines Rechts und die Gefahr einer Kollision sich widersprechender Urteile, sei es in der Form, daß sich ihre Rechtskraftwirkung wegen einer Rechtskrafterstreckung gegenseitig aufhebt, oder daß die Urteile praktisch unausführbar sind, weil sie widersprüchliche Feststellungen über eine wechselseitige Verpflichtun~ der Streitgenossen und des Gegners treffen. 2. Konsequenzen

Auf die wichtigsten Fälle der Identität des Streitgegenstands, in denen nach der hier vertretenen Auffassung - im Gegensatz zur h. M. - besondere Streitgenossenschaft anzunehmen ist, sei noch einmal kurz hingewiesen 18': Es handelt sich um den Prozeß mehrerer Rechtsgemeinschafter nach §§ 432, 1011, 2039 BGB; die Fälle der Notprozeßführung (§§ 744 II, 1455 Nr. 10, 1472 III 2. HS, 2038 I BGB); die revokatorischen Klagen nach §§ 1368, 1428 BGB; die Parallelprozesse des Gläubigers und des Nießbrauchers (§ 1077 I S. 2 BGB), des Gläubigers und des Pfandgläubigers (§ 1281 S. 2 BGB), des Versicherungsnehmers und des Hypothekengläubigers (§ 1128 III BGB) und die Klagen des Pfändungsgläubigers und des Vollstreckungsschuldners gegen den Drittschuldner bei der Forderungspfändung. Hinzu kommen alle Feststellungsklagen mit identischem Streitgegenstand, insbesondere die Prozesse unter den Teilhabern von Personalgesellschaften oder Verwaltungs- und Verfügungsgemeinschaften über das sie verbindende Rechtsverhältnis. Wenn mehrere Personen eine Popularklage nach §§ 37 II mit 13 I Nr. 1, 2 PatG, § 7 I GebrMG oder § 11 I Nr.2-4 WZG oder die Erbunwürdigkeitsklage (§§ 2341, 2342 BGB) erheben, können die beantragten Rechtsschutzmaßnahmen und der Klagegrund übereinstimmen. Unter der Voraussetzung, daß damit die Streitgegenstände identisch sind, ist § 62 ZPO auch auf diese Fälle anzuwenden. Für die h. M. ist die besondere Streitgenossenschaft eine Randerscheinung des Prozeßrechts: einerseits die prozessuale Verlängerung der Verwaltungs- und Verfügungsgemeinschaft, einer seltenen materiellrechtlichen Konstellation, andererseits ein Mittel zur Verhütung von Urteilskonflikten, also von prozessualen Ausnahmesituationen. Die Einbeziehung der Identität des Streitgegenstands in den Tatbestand der besonderen Streitgenossenschafterschließt diesem Institut eine 184

Vgl. die ausführliche Darstellung oben 11 1-5.

112

2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

neue Dimension der Bedeutung: Im Uberschneidungsfeld von materiellem Recht und Prozeß gelegen, dient es einem allgemeinen Ausgleich der Spannungen zwischen beiden Bereichen und wird zum dynamischen Faktor der Integration der Rechtsordnung. 3. Identität des StreUgegensiands als Identität der Rechtsbebauphml

Da nunmehr alle Gründe der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung bei Identität des Streitgegenstands zu überblicken sind, kann abschließend die Frage gestellt werden, ob der vorläufig angenommene Begriff der Identität des Stteitgegenstandsbeibehalten werden soll oder ob eine präzisere Fassung möglich ist. Bisher war davon ausgegangen worden, daß sowohl die Rechtsbehauptung als auch das Rechtsschutzziel der Klage in den streitgenössischen Prozessen identisch sein müssen. Eventuell kann jedoch auf die Gleichheit des Rechtsschutzzieles verzichtet werden. Dieses Problem stellt sich praktisch nur für ein Nebeneinander von Feststellungs- und Leistungsklage und auch da nur in bestimmten Fällen. Die positive Feststellungsklage ist in der Regel unzulässig, wenn zwischen denselben Parteien über denselben Anspruch ein Leistungsprozeß möglich wäre, was von der behaupteten Rechtslage abhängt: Künftige, bedingte, betagte oder noch nicht fällige Ansprüche können z. B. nur Gegenstand der Feststellungsklage sein, eine Leistungsklage müßte als unbegründet abgewiesen werdenl85 • Bei der Geltendmachung desselben Anspruchs durch mehrere Gläubiger oder gegen mehrere Schuldner kann demnach von oder gegenüber aUen Streitgenossen nur entweder auf Feststellung oder auf Leistung geklagt werden; denn die behauptete materielle Rechtslage ist überall dieselbe. Parallele Feststellungs- und Leistungsklage ist dagegen möglich, wenn der Rechtsinhaber gegen den Schuldner auf Leistung und zugleich gegen einen Dritten, der sich etwa des Rechts "berühmt", auf Feststellung seiner Sachlegitimation klagt. Die maßgebenden Gründe der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung hängen, wie die Untersuchung ergab, allein mit dem Inhalt der Urteilsfeststellung zusammen und mit der materiellen Rechtskraft, die nichts anderes ist als die besondere Geltungskraft der Urteilsfeststellung. Nirgends kommt es auf die Vollstreckungswirkungen des Urteils, auf Leistungsbefeh11 81 oder Rechtsgestaltung187 an. Daher genügt als Voraussetzung der besonderen Streitgenossenschaft die Identität Eine Ausnahme bilden §§ 257 fl. ZPO. IV 3. 187 s. O. § 8 11, 111. Die Gestalturigswirkung ist eine Vollstreckungswirkung. Vgl. Hellwig, Lehrb. § 153 I 2; Kuttner, Nebenwirkungen, S.159. a. A. (Tatbe5tandswirkung) Rosenberg. Lehrb. § 87 I 3. 185

181 S. O.

§ 11: Gemeinsamkeit von Vorfragen

118

der Rechtsbehauptung, und es ist gleichgültig, ob von oder gegenüber einzelnen Streitgenossen eine über die Feststellung hinausgehende Rechtsschutzmaßnahme beantragt wird. In diesem Sinn mag man weiterhin von besonderer Streitgenossenschaft bei Identität des Streitgegenstands sprechen.

§ 11: Besondere Streitgenossenschaft bei gemeinsamer Vorfrage I. Der weitere Gang der Auslegung Einheitliche Entscheidung i. S. einer vollen inhaltlichen Übereinstimmung von Sachurteilen ist nur bei Identität des Streitgegenstands möglich1 • Das Verfahren der besonderen Streitgenossenschaft, wie es sich durch Rechtsprechung und Lehre herausgebildet hat, ist darauf zugeschnitten, bei Identität des Streitgegenstands diese Übereinstimmung der Urteilsinhalte zu sichern!. Regelungsziel, Tatbestand und Rechtsfolgen bedingen sich hier, wie überall, wechselseitig. Wenn § 62 ZPO nur die Fälle treffen soll, in denen dieseT Begriff der einheitlichen Entscheidung und genau dieses Verfahren anwendbar sind, ist besondere Streitgenossenschaft ohne Identität des Streitgegenstands nicht möglich. Freilich zwingt nichts von vornherein zu einer solchen Auslegung. Die Möglichkeiten des Wortsinns' sind nicht erschöpft und es trifft, wie gezeigt4, nicht zu, daß Ausnahmetatbestände grundsätzlich eng ausgelegt werden müssen. Der Bereich der in die Betrachtung einbezogenen Fälle ist daher kontinuierlich zu erweitern, wobei strukturelle Ähnlichkeit mit den bereits gesicherten Fällen die Richtung weist. D. h. konkret: Es ist zu untersuchen, ob in Fällen, die der Identität des Streitgegenstands vergleichbar sind, dieselben Prinzipien eine in einem ähnlichen Sinn einheitliche Entscheidung fordern, die durch ein entsprechendes Verfuhren zu gewährleisten ist. Bei den zu diskutierenden Fällen soll also einerseits Identität des Streitgegenstands nicht vorliegen, andererseits muß ein engerer Zusammenhang der Streitsachen gegeben sein, als ihn die §§ 59, 60 ZPO für die einfache Streitgenossenschaft vorschreiben. Ein deutlicher Hinweis ergibt sich auch daraus, daß die festgestellten Gründe der Notwendigkeit einheitlicher Ent1

s. o. § 6 I bei N. 3.

o. a.a.O. s. o. § 4 I, II. S. o. § 4 III.

t S.

S

4

8

n...old

114

2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

scheidung eine Übereinstimmung der behaupteten Rechtslagen voraussetzen. In Frage kommt daher praktisch nur der Fall, daß in streitgenössischen Prozessen gemeinsame vortragen bestehen. 11. Der Zusammenhang der Streitsachen

Die identische Behauptung präjudizieller Rechtsfolgen5 kann einmal in der Weise auftreten, daß die Streitgegenstände mehrerer Prozesse auf demselben Recht oder Rechtsverhältnis beruhen: So ist etwa bei Unterlassungsklagen des Eigentümers einer Sache gegen mehrere Störer (§ 1004 BGB) das Eigentum des Klägers Voraussetzung aller Abwehransprüche. Ebenso kann jedoch der Streitgegenstand des einen Prozesses präjudiziell sein für den des andern, wie bei der Klage des Gläubigers gegen Hauptschuldner und Bürgen: Der Bestand der Hauptschuld, der den Gegenstand des Streits mit dem Hauptschuldner bildet, ist Voraussetzung der akzessorischen Schuld des Bürgen. An diesem Beispiel läßt sich auch eine Fallgestaltung zeigen, die wiederum eine Besonderheit darstellt. Trotz der nur beschränkten Akzessorietät der Bürgenschuld kann die RE;)chtsstellung des Hauptschuldners und des Bürgen vollkommen gleich sein, wenn der Hauptschuldner seine Verpflichtung nicht i. S. des § 767 I S. 2 BGB erweitert hat, weder auf Einreden verzichtet (§ 768 11 BGB) noch Sicherheiten aufgegeben hat (§ 776 BGB) und dem Bürgen die Einreden der §§ 770, 771 BGB nicht zustehen. Wenn also im konkreten Fall allein über die Hauptschuld in ihrem ursprünglichen Bestand gestritten wird, kann nach materiellem Recht nur beiden Klagen - in derselben Höhe stattgegeben werden oder heide sind abzuweisen, ähnlich, wie es für die Fälle der Identität des Streitgegenstands charakteristisch war.

m.

Argumentezugunsten besonderer Streitgenossenschaft 1. Allgemeines

Soweit die Gemeinsamkeit der Urteilsgrundlagen reicht, kommen dieselben Gründe zum Zuge, die bei Identität des Streitgegenstands einheitliche Entscheidung forderten: der Prozeßzweck, das Postulat der Einheit der Rechtsordnung und der Zusammenhang des zu ordnenden Lebensverhältnisses8 • Freilich bedeutet hier "einheitliche Feststellung" Man könnte von Teilidentität des Streitgegenstands sprechen. Da man einerseits diese Gründe mit dem Begriff der "logischen Notwendigkeit" einheitlicher Entscheidung zu fassen sucht, sie andererseits nur bei der Frage der besonderen Streitgenossenschaft wegen gemeinsamer Vorfragen diskutiert, werden die Begriffe der besonderen Streitgenossenschaft "wegen logischer Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung" und der be5 8

§ 11: Gemeinsamkeit von Vortragen

115

etwas anderes7• Hält man daran fest, daß "Feststellung" gleich rechtskräftiger Feststellung sein soll, kann "Einheitlichkeit" nicht mehr Gleichheit des Urteilsinhalts meinen, sondern nur übereinstimmende Beurteilung der Urteilsgrundlagen, soweit sie gemeinsam sind. Versteht man dagegen weiterhin "Einheitlichkeit" als Inhaltsgleichheit, so kann sie sich nur auf die Inzidentfeststellung der gemeinsamen Streitpunkte beziehen. 2. Die MögUchkeit von UrteUskollislonen

Wo eine gemeinsame Vorfrage verschieden beurteilt wird, widersprechen sich nur die Prämissen der Entscheidungen, nicht die Urteilsinhalte, die ja nicht dieselbe Rechtsfolge betreffen. Daher kann es nicht zu einem Konflikt der Urteilswirkungen kommen. Aus diesem Grund findet auch keine Rechtskraftkollision statt, wenn die Streitgegenstände streitgenössischer Prozesse im Verhältnis der Präjudizialität stehen und die Rechtskraft der präjudiziellen Feststellung auf den anderen Streitgenossen erstreckt wird. Ein Beispiel dafür bietet die in § 129 I HGB angeordnete RechtskrafterstreckungB• Die Feststellung der Gesellschaftsschuld zwischen Gläubiger und OHG wirkt auch im Verhältnis des Gläubigers zu den nach § 128 HGB akzessorisch verpflichteten Gesellschaftern. Im Prozeß über die persönliche Schuld des Gesellschafters ist die Existenz der Gesellschaftsschuld Vorfrage 9 • Wird über sie zuerst rechtskräftig entschieden, bestimmt sie als Präjudiz auch die Entscheidung über die Schuld des Gesellschafters. Aber auch, wenn etwa zunächst die Klage gegen einen Gesellschafter wegen Nichtbestehens der Gesellschaftsschuld abgewiesen und anschließend die Gesellschaft verurteilt wird, ist ein Rechtskraftkonflikt unmöglich. Die ergangenen Urteile widersprechen sich nicht, weil sie nicht denselben Gegenstand betreffen, und zu einer weiteren Entscheidung über die Schuld des Gesellschafters kommt es nicht, weil darüber zwischen Gläubiger und Gesellschafter bereits rechtskräftig entschieden wurde. Die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung kann hier also sonderen Streitgenossenschaft "bei gemeinsamer Vortrage" schließlich gleich gesetzt. Vgl. Hellwig, Lehrb. § 159 II 4; Erläuterungen zum Entw. 1931, S. 273, 290; Kisch Judicium 3, Sp.245/46; Seuff.-Walsmann § 62 Anm. 2 a; Rosenberg, Lehrb. § 95 II 1 d; Blomeyer, Lehrb. § 109 III 3; Lent-Jauernig § 82 II und insbes. Henckel, Parteilehre, S.202 N.6l. 7 Vgl. Lent IhJ 90, 55 f.; Holzhammer, Parteienhäufung, S.72. 8 So die h. M. Vgl. Blomeyer, Lehrb. § 93 III 2 a (mit Nachw.). Schwab nimmt eine "beschränkte" (?) Rechtskrafterstreckung an (ZZP 77, 151; völlig ablehnend gegen Rechtskrafterstreckung noch in Festschr. f. Lent, S.293). 8 Eingehend Bettermann, Vollstreckung, S. 168/69; Blomeyer ZZP 75, 24 f. Nach Schwab (ZZP 77, 151) ist der Streitgegenstand der Prozesse des Gläubigers mit der OHG und den Gesellschaftern "objektiv identisch" (?).

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streltgenossenschaft

nicht mit der Gefahr einer Rechtskraftkollision begründet werden10• Andererseits hat der Gesellschafter gerade, weil das Urteil über die Gesellschaftsschuld die Grundlage seiner akzessorischen Verpflichtung feststellt und weil es ihm gegenüber auch bei einer Niederlage der Gesellschaft wirksam ist, ein Interesse daran, . auf den Gesellschaftsprozeß Einfluß zu nehmen und seine Belange selbst zu wahren. Aus diesem Grund wird besondere Streitgenossenschaft befürwortet, obwohl der Gesellschafter auch der OHG als Nebenintervenient beitreten könnte und dann wegen der Rechtskrafterstreclrung nach § 69 ZPO dieselben Befugnisse hätte11 • Die besondere Streitgenossenschaft würde also lediglich die Formalität des Streitbeitrittes ersparen1!. Im übrigen ist dieser Fall ebenso zu beurteilen wie alle, in denen nur eine Vorfrage gemeinsam ist. IV. Argumente gegen besondere Streitgenossenschaft 1. Die Wirkungen der besonderen Streitgen08sensdtaU Die an der Identität des Streitgegenstands orientierte Regelung der besonderen Streitgenossenschaft ist auf die veränderte Situation nicht ohne weiteres anwendbar.

a) Bei einheitlicher Verteidigung Gehen wir von dem Fall aus, daß zwar vom Streitgegenstand her gesehen nur eine Vorfrage identisch ist, daß aber tatsächlich in den streitgenössischen Prozessen allein über diese gemeinsame Vorfrage gestritten wird. Diese Gestaltung wird nur auf der Beklagtenseite praktisch13 • Der Gläubiger G klagt z. B. gegen A und B als Erben nach C auf Rückzahlung eines demC überlassenen Darlehens (§§ 607 I, 2058 BGB). Beide wenden ein, die Schuld sei durch eine Zahlung des C getilgt worden. Persönliche Einwendungen werden nicht erhoben. Da die streitigen Fragen dieselben sind, können die Streitgenossen bei der Stoffsammlung zusammenarbeiten und sich bei Säumnis gegen10 Daher lehnen Lent IhJ 90, 54 f. und Henckel, Parteilehre, S. 202/03 besondere Streitgenossenschaft ab. 11 Auch so lassen sich die von Blome1ier (Lehrb. § 109 IV 2) befürchteten "unhaltbaren Ergebnisse" einer einfacllen Streitgenossenschaft zwischen OHG und Gesellschafter verhindern. 12 Vgl. Seuff.-'Walsmann (§ 62 Annl. 2a y), die darin den für die besondere Streitgenossenschaft ausschlaggebenden' Grund sehen. 13 Wenn ein Kläger gegen A einen prozessualen Anspruch erhebt, der für eine parallele Klage. gegen B präjudiziell ist, kann er im Prozeß mit B nicht nur die für beide Klagen zutreffenden Gründe vortragen; sonst ist die Klage gegen B unschlüssig.

§ 11:

Gemeinsamkeit von Vortragen

117

seitig "vertreten". Verzichtet der Kläger nur gegenüber A, so besteht kein Anlaß zu unterstellen, dies geschehe wegen einer im Verfahren unerwähnt gebliebenen persönlichen Einwendung des A; vielmehr kann angenommen werden, daß die materielle Rechtslage bei den Beklagten gegenüber dieselbe ist, und darum sollte nur ein gegenüber A und B ausgesprochener Verzicht das Gericht binden. Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß nur darum A allein anerkennt, weil er weiß, daß Beine persönliche Einwendung zusteht, die dieser später geltend machen wird. Solange persönliche Einwendungen nicht erhoben werden, müssen jedenfalls die beiden Klagen einheitlich entschieden werden, und die gewohnten Regeln der besonderen Streitgenossenschaft sind anwendbar. Allerdings steht es den Streitgenossen frei, im Prozeß ihre Verteidigung zu ändern. Vorausgesetzt, daß immer dann besondere Streitgenossenschaft gelten soll, wenn die Verteidigung einheitlich ist, muß das Gericht von besonderer zu einfacher Streitgenossenschaft übergehen, sobald nachträglich persönliche Einwendungen erhoben werden; hingegen verwandelt sich die einfache Streitgenossenschaft in eine besondere, wenn die persönlichen Einwendungen fallengelassen werden. Mit dieser Abhängigkeit vom Parteiverhalten kommt ein Moment der Unsicherheit in das Verfahren. Das Gericht kann immer nur "bis auf weiteres" über die Form der Streitgenossenschaft entscheiden. Beim übergang zur einfachen Streitgenossenschaft müssen nicht (voll) wirksam gewordene Prozeßhandlungen wiederholt werden. Falls umgekehrt besondere Streitgenossenschaft nachträglich eintritt, müssen die in den bisher unabhängigen Prozessen geschehenen Prozeßhandlungen und prozessualen Ereignisse im Sinn des § 62 ZPO umgedeutet werden. Man wird der h. M. darin beipflichten können, daß ein solches Verfahren mit den "prozessualen Grundsätzen und Bedürfnissen" nur schwer vereinbar wäre14 • Immerhin ist es, wie die Rechtsprechung beweist15, nicht schlechthin undurchführbar. Auch bleibt noch die eben gemachte Voraussetzung zu überprüfen, daß bei unterschiedlicher Verteidigung der Genossen nur einfache Streitgenossenschaft denkbar ist.

b) Bei unterschiedlicher Verteidigung

Auch, wenn die Streitgenossen persönliche Einwendungen vorbringen, stimmt ein großer, u. U. der wesentliche Teil der in den Prozessen zu verhandelnden Streitfragen überein. Es ist zu überlegen, ob die auf Identität des Streitgegenstands zugeschnittenen Regeln der besonderen Streitgenossenschaft hier sinngemäß anwendbar sind, d. h. ob sich die 14 15

Vgl. die in § 1 N.61 zitierte ablehnende Literatur. Vgl. die ständ. Rspr. des RG (s. o. § 1 N.66).

118

2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

gewöhnliche Wirkung der besonderen Streitgenossenschaft auf die Teile der Verhandlung beschränken läßt, die für alle streitgenössischen Prozesse erheblich sindl8 • Für den Fall der Säumnis hat Reimer17 gezeigt, wie sich das Verfahren gestalten müßte. Bleiben wir bei dem Beispiel der Darlehensklage des G gegen A und B und nehmen an, daß B hilfsweise einwendet, ihm persönlich sei Stundung gewährt worden. Wenn B von Anfang an säumig ist, "vertritt" A ihn bezüglich des Streits über die Existenz des Darlehensanspruchs. Sobald diese Frage geklärt ist, wird der Prozeß gegen A entschieden. Das Schicksal der Klage gegen B hängt davon ab, ob der Darlehensanspruch bejaht oder verneint wird. Im letzten Fall kann auch die Klage gegen B mit kontradiktorischem Urteil abgewiesen werden; denn A "vertritt" ihn insoweit. Falls dagegen A zur Zahlung verurteilt wird, müssen noch die persönlichen Einwendungen des B geprüft werden l8 • Insofern ist aber B nicht "vertreten"; daher ergeht Versäumnisurteil. Ist A säumig, gibt es mehrere Möglichkeiten des Verfahrensablaufs. Wird zuerst über die Existenz des Darlehensanspruchs verhandelt das Gericht kann nach § 146 ZPO die Verhandlung darauf beschränken ergeht kontradiktorisches Urteil gegen A, sobald dieser Streitpunkt erledigt ist; denn A wird durch B "vertreten". Besteht der Darlehensanspruch nicht, ist auch die Klage gegen B sofort abzuweisen; andernfalls wird weiter über seine Einrede verhandelt. U. U. steht aber bereits fest, daß dem B gestundet wurde, bevor die Existenz des Darlehensanspruchs geklärt ist. Wenn dann die Klage gegen B aus diesem als dem "bereitesten" Grund abgewiesen wird, muß gegen A Versäumnisurteil ergehen. Allerdings hat B ein Interesse daran, daß die Klage auch ihm gegenüber wegen Nichtexistenz des Darlehensanspruchs und nicht nur mangels Fälligkeit abgewiesen wird; denn sonst würde die Rechtskraft des Urteils den G nicht hindern, nach Ablauf der gewährten Zahlungsfrist ohne jedes neue Vorbringen bezüglich der Existenz des Anspruchs wieder zu klageni'. Falls darum die Verhandlung mit B fortgesetzt wird, ist auch A "vertreten". 18 In diesem Sinn versteht Kisch (Judicium 3, Sp. 248 f.) den § 65 I des Entw. v. 1931. Dafür auch RG JW 98, 113 Nr.2 und Reimer JW 25, 2314. 17 a.a.O. 18 Gleichzeitigkeit der gegenüber den Streitgenossen ergehenden urteile wäre nicht erforderlich, wenn eine der Streitsachen früher entscheidungsreif würde. Falls sich die Rechtslage bezüglich des Darlehensanspruchs in der Zwischenzeit änderte - z. B. durch eine Zahlung des A - und deshalb die Klage gegen B abgewiesen würde, obwohl er mit dem Einwand der Stundung nicht durchdringt, wäre die Einheitlichkeit der Entscheidung in dem hier maßgebenden weiten Sinn doch gewahrt. 19 Vgl. Grunsky ZZP 76, 165 f.

§ 11:

Gemeinsamkeit von Vorfragen

119

Problematisch erscheint die Wirkung des von einem der Streitgenossen eingelegten Rechtsmittels. Angenommen, die Klage gegen B wird als "zur Zeit unbegründet" abgewiesen, und der zur Zahlung verurteilte A geht in die Berufung. Es besteht wohl kein Zweifel daran, daß der Prozeß mit B dadurch nicht in die höhere Instanz gelangt, wenn B selbst nicht Berufung einlegen könnte, weil er nicht beschwert ist. Eine formelle Beschwer besteht nicht. Falls die vorhandene materielle Beschwer!O allgemein ausreicht, um die Zulässigkeit eines Rechtsmittels zu begründen, kann die Wirkung der von A eingelegten Berufung auf B erstreckt werden. Werden A und B verurteilt und legt nur B Berufung ein, so kann eine Wirkung zugunsten des A nur eintreten, wenn B sein Rechtsmittel u. a. damit begründet, daß das Untergericht zu Unrecht vom Bestehen des Darlehensanspruchs ausgegangen sei. Dies ist aus der Berufungsbegründung eindeutig zu ersehen (§ 519 III Z. 1 ZPO). Schwierigkeiten bereiten auch die Dispositionen über den Streitgegenstand, weil sie sich nicht auf das gemeinsame präjudizielle Rechtsverhältnis, sondern jeweils auf den gesamten Streitgegenstand beziehen. Wenn B anerkennt, läßt er damit den Stundungseinwand fallen und gibt zugleich das Bestehen des Darlehensanspruchs zu. Daher ist sein Anerkenntnis nur bindend, wenn auch A anerkennt. Falls umgekehrt A allein anerkennt, kommt es auf das Verhalten des Ban: Bestreitet er weiterhin auch die Existenz des Anspruchs, so ist das Gericht an das Anerkenntnis des A nicht gebunden; bestreitet er aber nur noch die Fälligkeit der Forderung, so ergeht gegen A Anerkenntnisurteil, mit B wird über die Einrede verhandelt. Ein Klageverzicht gegenüber A bedeutet, daß G den Darlehensanspruch nicht weiter verfolgt. Daher muß er auch gegenüber B verzichten, wenn die volle Wirkung des Verzichts eintreten soll. Falls dagegen G nur gegenüber B verzichtet, ist zunächst unklar, ob er es tut, weil die Forderung gegen B noch nicht fällig ist oder weil er die Unbegründetheit des Darlehensanspruchs einsieht. Nur im letzten Fall ist es sinnvoll, die Wirkung der Disposition des G von einem gleichzeitigen Verzicht gegenüber A abhängig zu machen. Das Verhalten des G im Prozeß mit A läßt aber gerade darauf schließen, daß er den Darlehensanspruch aufrechterhält. Deshalb ist der "einseitige" Verzicht gegenüber B als bindend anzusehen. Es hat sich damit als möglich erwiesen, die für den Fall der Identität des Streitgegenstands geschaffene Regelung der besonderen Streitgenossenschaft auf Prozesse, denen nur eine Vorfrage gemeinsam ist, auch bei unterschiedlicher Verteidigung sinngemäß anzuwenden. "Ver20 S.

o. bei N. 19 und Grunsky, a.a.O.

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2. Teil: Die Voraussetzungen der besonderen Streitgenossenschaft

wickelungen"!l treten dabei nicht auf; für jede Verfahrensgestaltung gibt es eine klare Lösung, die keineswegs voraussetzt, daß dem Gericht das Ergebnis des Prozesses bereits bekannt ist2!. Auch hier ist die Streitgenossenschaft zum Teil eine einfache, zum Teil eine besondere 23 ; nur sollen die Regeln der einfachen und der besonderen Streitgenossenschaft nicht - wie oben - nacheinander, in zeitlich getrennten Verfahrensabschnitten zur Anwendung kommen, sondern gleichzeitig in bezug auf verschiedene Ausschnitte der Streitmaterie. Das Gericht müßte also für jede Prozeßhandlung und jedes prozessuale Ereignis prüfen, ob die Streitgenossen voneinander abhängig sind bzw. sich gegenseitig "vertreten" können. Die Vorzüge der besonderen Streitgenossenschaft wiegen eine solche Behinderung nicht auf. 2. Der systematische Zusammenhang

Nach der Fassung der §§ 59, 60 ZPO sollen die Fälle des § 59 den Kembereich der einfachen Streitgenossenschaft bilden. Wenn man jedoch die Gemeinsamkeit von Vorfragen allgemein als Voraussetzung der besonderen Streitgenossenschaft anerkennt, fallen sie sämtlich unter die besondere Streitgenossenschaft. Dies widerspricht dem Willen des Gesetzgebers. 3. Die Verwertung gerlchtskundlger Tatsachen In streitgenösslschen Prozessen

Die erwünschte Wirkung der besonderen Streitgenossenschaft ist zum Teil auch auf anderem Wege erreichbar. Tatsachen, die in einem der streitgenössischen Prozesse aufgrund einer Beweisaufnahme festgestellt worden sind, stellen sich in den anderen Prozessen als gerichtskundige Tatsachen daru . Diese sind nach wohl überwiegender Meinung vom Gericht auch ohne entsprechendes Parteivorbringen zu berücksichtigen25• Bestreiten, Geständnis und Säumnis sind bezüglich der gerichtskundigen Tatsachen ohne Wirkung28• Das Interesse der Parteien des Prozesses, in den diese Tatsachen übernommen werden, ist dadurch gewahrt, daß das Gericht die Tatsachen mit ihnen erörtert!7 und daß stets der Gegenbeweis zulässig istl8 • So Kisch Judicium 3, Sp.249; ähnlich Rosenberg ZZP 57, 222. So Lenz JW 25, 734; dagegen schon Reimer, 8.a.0. Vgl. Kisch, 8.a.0. s. O. § 10 N.133. Vgl. Rosenberg, Lehrb. § 113 I 3; Lent-Jauernig § 49 VI 3 (mit Nachw.); a. A. Baumb.-Lauterbach § 291 Anm. 2 B. 26 Baumb.-Lauterbach § 291 Anm. 2 B; Thomas-Putzo § 291 Anm.2. 27 Dies erfordert schon das Recht auf recht!. Gehör. Vgl. BVerfG JZ 60,124; Rosenberg, a.a.O. (Nr. 3 cl; Lent-Jauernig, a.a.O.; Baumb.-Lauterbach § 291 21 12 23 2' 25

Anm.1 b. 28

Vgl. Rosenberg, a.a.O.; Blomeyer, Lehrb. § 67 II 2 a.

§ 11:

Gemeinsamkeit von Vorfragen

v.

121

Zusammenfassung

In Prozessen mit lediglich gemeinsamen vortragen würde die grundsätzlich mögliche - Anwendung des § 62 ZPO das Verfahren erheblich komplizieren und behindern. Sie widerspräche überdies dem klaren Wortlaut der §§ 59 ff. ZPO. Eine solche Durchbrechung des Gesetzes ist um so weniger gerechtfertigt, als der damit verfolgte Zweck auch auf einem einfacheren, gesetzeskonformen Weg annähernd erreicht werden kann. Dies gilt auch für besondere Fallgestaltungen wie einheitliche Verteidigung der Streitgenossen oder Rechtskrafterstreckung hinsichtlich einer präjudiziellen Rechtsfolge. Daher besteht einfache Streitgenossenschaft zwischen: Hauptschuldner und Bürgen selbst, wenn allein die Hauptschuld streitig ist; zwischen Gesamtschuldnern, die nur gemeinsame Einwendungen geltend machen (vgl. §§ 422-424 BGB) oder bei einer Klage aus § 1004 BGB, wenn lediglich das Eigentum des Klägers bestritten wird, und in allen ähnlichen Fällen. Endlich sind auch die OHG und der nach § 128 HGB mitverklagte Gesellschafter einfache Streitgenossen, unabhängig davon, ob der Gesellschafter persönliche Einwendungen erhebt. Die Rechtskrafterstreckung des § 129 I HGB ist dabei ohne Bedeutung29 • Dem Gesellschafter bleibt jedoch die Möglichkeit, der OHG als Nebenintervenient (§ 69 ZPO) beizutreten, worauf das Gericht ihn hinweisen wird (§ 139 I ZPO).

29

s. o. !II 2 bei N. 8 f.

DRITTER TEIL

Die besondere Streitgenossenschaft in rechtspolitischer Sicht Mit dem Anwendungsbereich, den die vorangehende Auslegung dem § 62 ZPO für das geltende Recht zuweist, sind die Möglichkeiten der besonderen Streitgenossenschaft erschöpft. De lege ferenda wäre nur eine klare Formulierung des Tatbestandes zu wünschen1 • Einen echten Ansatz für rechtspolitische Kritik bietet dagegen die Tatsache, daß die besondere Streitgenossenschaft in vielen Fällen trotz der Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung nicht zum Zug kommt. Eine Aktivierung dieses Instituts durch neu zu schaffende ergänzende Rechtseinrichtungen soll daher diskutiert werden.

§ 12: Die Ergänzungsbedürftigkeit des Instituts der besonderen Streitgenossenschaft I. Das Verhältnis von Regelungszweck und Anwendungsbereich der besonderen Streitgenossenschaft Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung i. S. des § 62 I ZPO besteht, wenn mehrere Personen an derselben Rechtsfolge materiell interessiert sind und zwischen ihnen auftretende Konflikte in Prozessen nach dem Zweiparteienschema ausgetragen werden. Die besondere Streitgenossenschaft ist dazu bestimmt, die ursprüngliche Einheit des Lebensverhältnisses und seiner Regelung im materiellen Recht gegenüber der formalen Trennung der Prozeßrechtsverhältnisse wieder zur Geltung zu bringen: Sie gewährleistet inhaltliche Übereinstimmung der Urteile 1 Sie sollte im Rahmen einer umfassenden Neuformulierung des Titels über die Streitgenossenschaft erfolgen. Der Tatbestand des § 62 ZPO müßte nach der hier vertretenen Ansicht lauten: "Ist der Gegenstand streitgenössischer Prozesse identisch, so .....

§ 12: Die Ergänzungsbedürftigkeit des Instituts

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und dient durch umfassende und gründliche Sachklärung der materiellen Wahrheit und auf ihrer Grundlage der Gerechtigkeit. Diese Ziele gelten für jeden Fall, in dem mehrere Personen über denselben Gegenstand prozeßführungsbefugt sind. Die Streitgenossenschaft des § 62 ZPO beruht als qualifizierter Fall der einfachen Streitgenossenschaft entweder auf einer gemeinsamen Klageerhebung durch oder gegen mehrere Personen oder auf einer Verfahrensverbindung nach § 147 ZPO, die ihrerseits gleichzeitige Anhängigkeit der Streitsachen bei demselben Gericht voraussetzt. Die Regelung der besonderen Streitgenossenschaft führt unfehlbar zu einheitlicher Entscheidung, wenn sie einmal zum Tragen kommt. Hier aber liegt die eigentliche Schwäche dieses Instituts. Soweit die Einheitlichkeit der Entscheidung allein durch die besondere Streitgenossenschaft gesichert wird, hängt sie daher vor allem davon ab, daß überhaupt eine Streitgenossenschaft zustande kommt.

11. Die Notwendigkeit der Bildung einer Streitgenossenschaft Bei gemeinsamer Prozeßführungsbefugnis fallen die Notwendigkeit einheitlicher Entscheidung und der Zwang zur Bildung einer Streitgenossenschaft zusammen. Ein Sachurteil ergeht nur, wenn es von den gemeinsam prozeßführungsbefugten Klägern bzw. gegen die gemeinsam prozeßführungsbefugten Beklagten beantragt wird. Daher wird zur Sache entweder einheitlich oder gar nicht entschieden. Bei Rechtskrafterstreckung zwischen Personen, die über denselben Streitgegenstand prozeßführungsbefugt sind, stellt sich die Einheitlichkeit der Entscheidung letztlich auch ohne Streitgenossenschaft her; oft allerdings nur über den Umweg einer Rechtskraftkollision und eines weiteren Urteils, das diesen Konflikt bereinigt. Um ~olche Schwierigkeiten zu vermeiden, ist es angebracht, nicht nur bei gegebener Streitgenossenschaft nach § 62 ZPO zu verfahren, sondern bereits das Zustandekommen der Streitgenossenschaft zu begünstigen. In den übrigen Fällen mehrfacher Prozeßführungsbefugnis über denselben Streitgegenstand gibt es außer der besonderen Streitgenossenschaft keine institutionelle Sicherung der Einheitlichkeit der Entscheidung. Um so mehr kommt es daher auf die Bildung der Streitgenossenschaft an, die freilich nicht durch gemeinsame Prozeßführungsbefugnis auf Kosten der Selbständigkeit der Rechtsverfolgung des einzelnen oder gegen den einzelnen Streitgenossen erzwungen werden darf.

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3. Teil: Rechtspolitische Erörterung

§ 13: Reformvorschläge Als Modell für den Ausbau der besonderen Streitgenossenschaft bietet sich de lege ferenda die Regelung des § 856 ZPO an. Sie enthält zwei Elemente. I. Einheitliche Zuständigkeit und Anschlußzwang Sobald ein Pfändungsgläubiger, dem die Forderung überwiesen ist, gegen den Drittschuldner Klage erhoben hat, können andere Überweisungsgläubiger nicht mehr nach § 856 I ZPO selbständig klagen, sondern sie müssen sich dieser Klage anschließen (§ 85611 ZPO)t. Dieser Anschlußzwang wäre auf alle Fälle mehrfacher Prozeßführungsbefugnis über denselben Streitgegenstand anwendbar!. Man kann jedoch noch einen Schritt weiter gehen und auch die freie Initiative des Klägers zugunsten einer Vereinigung der Prozesse einschränken.

11. Die Beiladung 1. Die gesetzliche Regelung in § 856 UI-V ZPO

Nach § 856 111 ZPO müssen auf Antrag des Drittschuldners die Gläubiger, die weder geklagt noch sich der Klage eines andern angeschlossen haben, zum Verfahren beigeladen werdenS. Soweit die Beigeladenen sich dem Kläger anschließen, werden sie Partei4• Das im Prozeß mit dem Drittschuldner über die gepfändete Forderungs ergehende Urteil wirkt Rechtskraft für alle Pfändungsgläubiger, es wirkt aber nur gegen diejenigen von ihnen, die am Verfahren teilgenommen haben oder ordnungsgemäß geladen waren und daher die Möglichkeit der Teilnahme hatten (§ 856 IV, V ZPO).

Zweck der Beiladung ist die rechtskräftige Entscheidung der Streitsache gegenüber allen materiell Beteiligten in einem Verfahrens. Damit dient sie der Prozeßökonomie und der Einheitlichkeit der Entscheidung. Sie ermöglicht andererseits einen gerechten Interessent Vgl. Roßmann Diss., S.33; Thomas-Putzo § 856 Anm.2; Wieczorek § 856 Anm.AIIa. ! Vgl. Lent IhJ 90, 100. 3 Ähnlich § 666 III ZPO. 4 Vgl. Roßmann Diss., S.38 bei N.111, S. 41 f. 11 Dies ist der (identische) Gegenstand der Klagen. Vgl. Bettermann, Vollstreckung, S. 146 f. 6 Vgl. zum folgenden Roßmann Diss., S. 35 f.; Koehler § 65 VwGO Anm. II 1, 2; Bettermann DVBl. 51,75; Martens VerwArch 60, 197 f., 356 f.

§ 13: Reformvorschläge

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ausgleich zwischen den klagenden Pfändungsgläubigern und dem beklagten Drittschuldner. Die Beiladung erfolgt auf Antrag des Beklagten. Ihm nützt ein Sieg über den einzelnen Kläger nicht, da er trotzdem leisten muß, wenn einer der übrigen Pfändungsgläubiger mit der Forderung durchdringt. Daher liegt ihm daran, alle Gläubiger in den laufenden Prozeß hineinzuziehen, um späteren Klagen wegen desselben Anspruchs vorzubeugen. Diesem Interesse gibt das Gesetz den Vorzug gegenüber dem Klägerinteresse an unabhängiger Pro:z;eßführung. Der Schuldner muß es hinnehmen, daß neben seinem eigenen Gläubiger auch die Pfändungsgläubiger klageberechtigt sind. Aber es ist nur billig, ihm kein größeres Opfer zuzumuten, als eine wirksame Zwangsvollstreckung unbedingt erfordert. Dafür genügt es jedoch, daß jeder Pfändungsgläubiger die Initiative zur Klage ergreifen kann und daß nur, wer die Möglichkeit zur Prozeßbeteiligung hatte, der Rechtskraft der Entscheidung über den Vollstreckungsgegenstand unterworfen wird. 2. Die Anwendbarkeit der Beiladung in anderen Fällen

Die Ausgangslage, auf die sich die Regelung des § 856 ZPO bezieht, ist das Gegenüber eines Beklagten und mehrerer zu selbständiger Prozeßführung über denselben Streitgegenstand befugter Kläger, zwischen denen keine Rechtskrafterstreckung stattfindet7• Diese Struktur kennzeichnet auch eine Reihe der oben8 beschriebenen Fälle von Identität des Streitgegenstands. Auch dort wäre also - rein technisch gesehen - eine Beiladung möglich, soweit die Person der Beteiligten hinreichend bestimmt ist·. In Frage kommen damit die Fälle der §§ 432, 1011, 1077 I S.2, 1128III, 1281 S.2, 1368, 1428, 2039 BGB und der Fall der konkurrierenden Prozeßführungsbefugnis des Vollstrekkungsgläubigers und des Gläubigers (Vollstreckungsschuldners) bei der Forderungspfändung. Die allgemeine Anwendbarkeit des dem § 856 ZPO zugrundeliegenden Regelungsmodells ist allerdings in der rechtspolitischen Diskussion nicht unbestritten10 • 7 Die in Abs. IV angeordnete Rechtskrafterstreckung bleibt außer Betracht, da sie nicht zum Tatbestand, sondern zu den Rechtsfolgen des § 856 ZPO gehört. 8 § 10 II. e Dem Beklagten obliegt es, die Beizuladenden zu benennen. Besteht darüber Ungewißheit, so trägt er das Risiko; denn auf seinen Antrag und zu seinen Gunsten erfolgt die Beiladung. Der zu Unrecht Beigeladene scheidet nach einem Zwischenstreit aus dem Verfahren aus. Der nicht beigeladene wahre Beteiligte wird von der Rechtskraftwirkung nicht erfaßt und behält sein Klagerecht. 10 Dagegen Kisch, Parteilehre, S. 489 f. N. 12, und ihm folgend Roßmann Diss., S. 53 f., die sich auf die anschließend (a - f) erörterten Argumente stützen. Zustimmende Literatur s. u. N.20.

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3. Teil: Rechtspolitische Erörterung

a) Die Beiladung schränkt die Rechte des Klägers zugunsten des Beklagten ein. Sie setzt daher eine besondere Interessenlage voraus. Bei § 856 ZPO wird, wie gezeigt, zunächst dem Beklagten durch die Verleihung der Prozeßführungsbefugnis an die Pfändungsgläubiger im Interesse der Zwangsvollstreckung ein Opfer zugemutet, und die Beiladung verhindert eine unnötige Härte ihm gegenüber. Dieselben Gründe rechtfertigen auch eine Beiladung des Gläubigers (Vollstreckungsschuldners) im Prozeß der Pfändungsgläubiger mit dem Drittschuldner oder umgekehrt eine Beiladung der Pfändungsgläubiger, wenn der Gläubiger (Vollstreckungsschuldner) zuerst klagt. Bei den §§ 1368, 1428 BGB sind die Interessen in ähnlicher Weise verteilt. Der Schutz der Familienhabe bzw. des Gemeinguts fordert die Unwirksamkeit bestimmter Verfügungsgeschäfte und für die revokatorische Klage ein unabhängiges Klagerecht des nicht verfügenden Ehegatten neben der nach allgemeinen Regeln bestehenden Prozeßführungsbefugnis des .verfügenden. Insoweit muß das Interesse des Verfügungsgegners zurückstehen. Es ist aber unbillig, den Ehegatten zwei aufeinander folgende Prozesse zu ermöglichen. Eine Regelung nach dem Muster des § 856 ZPO wird dem Schutzzweck der revokatorischen Klage durchaus gerecht. Im Fall des § 2039 BGB sah sich der Gesetzgeber vor der Alternative, entweder gemeinsame Prozeßführungsbefugnis oder Rechtskrafterstrekkung (ohne Prozeßbeteiligung) anzuordnen und dem einzelnen Erben die unabhängige Rechtsverfolgung zu versagen oder durch die Verleihung selbständiger Prozeßführungsbefugnis an die Miterben den Schuldner zu benachteiligen11 • Diese Alternative ist jedoch nicht zwingend: Die Kombination von Einzelprozeßführungsbefugnis der Erben und Beiladung und von Rechtskrafterstreckung auf dieser Grundlage wird den Interessen der Beteiligten besser gerechtlI. Sie gestattet dem einzelnen Erben, auch gegen den Willen der Mitberechtigten Klage zu erheben, ohne zugleich den Nachlaßschuldner mehreren Prozessen über denselben Gegenstand auszusetzen. Dasselbe gilt auch in den übrigen Fällen. Normalerweise braucht der Schuldner sich nur auf einen Prozeß über den Anspruch einzulassen, weil nur der Rechtsinhaber, d. h. der Einzelgläubiger oder die Rechtsgemeinschaft als solche, prozeßführungsbefugt ist oder weil zwischen dem Rechtsinhaber und sonstigen Prozeßführungsbefugten Rechtskrafterstreckung stattfindet. Wo das Interesse der Kläger mehrere selbständige Prozeßführungsrechte verlangt und Rechtskrafterstreckung (ohne Prozeßbeteiligung) ausschließt, ist es billig, dem Beklagten durch 11 12

s. o. § 10 II l. So auch Bettennann, Vollstreckung, 5.148.

§ 13: Reformvorschläge

127

die Möglichkeit der Beiladung einen Ausgleich zu gewähren. Dafür spricht auch, daß die prozessuale Benachteiligung des Schuldners sich häufig erst aus einer nachträglichen Rechtsänderung auf der Gläubigerseite ergibt, auf die der Schuldner keinen Einfluß hat13 • b) Auch wer das berechtigte Interesse des Beklagten anerkennt, muß es bedenklich finden, daß die Beiladung und die drohende Rechtskrafterstreckung alle Klageberechtigten, die sich bisher nicht am Prozeß beteiligten, zum Anschluß zwingen. Hier ist genauer zu unterscheiden. Für die Gläubiger, die sich von selbst zur Klage entschließen, ist dieser Zwang ohne Bedeutung. Ihre Rechtsstellung ist nicht schlechter als beim. Einzelprozeß. Ebensowenig ist ein Gläubiger benachteiligt, der sein Recht nicht gerichtlich durchsetzen will. Er braucht sich am Prozeß nicht zu beteiligen und kann durch Rechtskrafterstreckung nicht mehr verlieren, als er ohnehin kampflos aufgegeben hätte. Betroffen sind also nur die Gläubiger, die ZUT Zeit nicht klagen wollen, sich aber eine spätere Klage vorbehalten. Falls ihr Zögern nut den Zweck verfolgt, die Mitgläubiger "die Kastanien aus dem Feuer holen" zu lassen, so besteht einmal kein Recht auf einen risikolos erworbenen Vorteil aus fremder Prozeßführung, zum anderen läßt auch die Beiladung in dieser Richtung großen Spielraum: Der Beigeladene kann am Verfahren teilnehmen und sich über die Entwicklung der Streitsache informieren, ohne eigene Anträge zu stellen oder Rechtsmittel einzulegen, da er in diesem Fall zum Kostenersatz verurteilt werden könnte14 • Schließlich hindert ihn nichts, in einem fortgeschrittenen Stadium des Prozesses - wenn ihm die Sache nunmehr aussichtsreich erscheint und er andererseits mit der Prozeßführung seiner Genossen nicht zufrieden ist aus seiner Reserve herauszutreten und sich mit vollem Einsatz und Risiko am Verfahren zu beteiligen. übrigens liegt es im eigenen Interesse der Klageberechtigten, sich dem laufenden Verfahren anzuschließen, da der Zusammenschluß ihre Position stärkt und eine beträchtliche Ersparnis an Kosten, Zeit und Mühe einbringt15• Nach a11dem erscheint die Beiladung den Klageberechtigten zumutbar. c) Wenn damit die Interessenabwägung zwischen den Klägern und dem Beklagten zugunsten des letzteren entschieden ist, kann es nicht mehr als Argument gegen die Beiladung gelten, daß möglicherweise eine sehr große Zahl von Beteiligten zum Prozeß gezwungen wird. Gewiß steigt - pauschal betrachtet - die Belastung der Klägerseite, 13 Z. B. aus der Pfändung des Anspruchs, der Bestellung eines Nießbrauchs oder Pfandrechts, atUS dem Erbfall usw. Die §§ 265, 325 I ZPO schützen den Schuldner erst vom Eintritt der Rechtshängigkeit an. 14 Vgl. § 154 III VwGO. Dieser Grundsatz muß auch für die Beiladung im Zivilprozeß gelten. 15 So auch Kisch,a.a.O.

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3. Teil: Red!.tspolltische Erörterung

je mehr Klageberechtigte von der Beiladung betroffen sind; aber um so weniger wäre es auch dem Beklagten zuzumuten, mit jedem einzelnen von ihnen zu prozessieren. d) Dagegen wiederum wird eingewandt, trotz konkurrierender Klagerechte sei nicht anzunehmen, daß es tatsächlich zu mehreren Prozessen kommt. Dem ist zuzustimmen für den Fall, daß der Beklagte sogleich im ersten Prozeß verurteilt wird. Die übrigen Klageberechtigten können dann durch Genehmigung der Prozeßführung an der Rechtskraftwirkung des für sie günstigen Urteils teilnehmen11• Abgesehen davon würde auch ein späterer Sieg des Beklagten ihn nicht von der einmal festgestellten Leistungspflicht befreien. Er wird es daher vernünftigerweise auf weitere Klagen nicht ankommen lassen. Wenn umgekehrt die erste Klage abgewiesen wird, werden die anderen Klageberechtigten u. U. einen eigenen Prozeß für aussichtslos halten und davon absehen. Aber das ist keineswegs sicher - bekanntlich wurde nach Ansicht der unte.rlegenen Partei immer falsch entschieden - und nur eine rechtskräftige Feststellung gegenüber allen Beteiligten beendet diese Ungewißheit. e) Der Beklagte kann schon nach geltendem Recht späteren Klagen zuvorkommen, indem er gegen die übrigen Klageberechtigten seinerseits negative Feststellungsklage erhebt17• Diese Lösung hat jedoch im Vergleich zur Beiladung erhebliche Nachteile: Einmal fehlt u. U. im Zeitpunkt der Erstklage ein Feststellungsinteresse gegenüber den anderen Beteiligten, zum andern ist nicht immer eine gemeinsame Verhandlung der Klagen möglich18 • f) Der Ausbau des § 856 ZPO zu einem allgemeinen Rechtsinstitut erscheint problematisch wegen der ungleichen Behandlung von Gläubiger und Schuldner: Der einzelne Gläubiger kann die übrigen nicht zur Teilnahme am Prozeß zwingen, selbst dann nicht, wenn wegen der gemeinsamen Prozeßführungsbefugnis der Gläubiger die Einzelklage unzulässig wäre; der beklagte Schuldner hingegen soll berechtigt sein, die nicht klagenden Gläubiger in den Prozeß hineinzuziehen. Zunächst ist festzuhalten, daß oben nur für den Fall mehrfacher Einzelprozeßführungsbefugnis der Gläubiger Beiladung vorgeschlagen wurdelI. Wie

s. O. § 10 IV 1 a bei N. 60. n s. o. § 10 N. 11. 18 Z. B. wegen verschiedener Gerid!.tsstände. Klsd!. (a.a.O.) hält die Verbindung (§ 147 ZPO) der Erstklage mit den vom Erstbeklagten erhobenen Feststellungsklagen überhaupt für unstatthaft. 19 s. 0. · Bei gemeinsameT Prozeßführungsbefugnis der Kläger entfällt das Interesse des Beklagten an der Beiladung; denn es wird ohnehin nur einmal und gegenüber allen Klageberechtigten zur SaChe entschieden. Auch der einzelne KlägeT ist nid!.t generell an einer Beiladung interessiert: Sie kommt dem gelegen, der selbst klagen will und von anderen Mitbered!.tigten darcm 18

§ 13: Reformvorschläge

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gezeigt, besteht in dieser Situation ein schutzwürdiges Interesse des Schuldners an der Beiladung. Ein Recht des einzelnen Gläubigers auf Beiladung der anderen würde nur dem Klagewilligen auf Kosten der übrigen einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen. Die unterschiedliche Behandlung der Gläubiger und des Schuldners entspricht also der Interessenlage. g) Ergebnis. In den genannten Fällen mehrfacher Prozeßführungsbefugnis über denselben Streitgegenstand ohne Rechtskrafterstreckung ist de lege ferenda eine Regelung nach dem Modell des § 856 ZPO zu ernpfehlen20 • Sie wird den Interessen der Beteiligten am besten gerecht. Hinzu kommt die Bedeutung der Beiladung für die Pro'z eßökonomie und - im Zusammenwirken mit besonderer Streitgenossenschaft21 für die Einheitlichkeit der Entscheidung.

gehindert wird, und ist dem unerwünscht, der gegen seinen Willen zum Prozeß gezwungen werden soll. Die Frage, wie weit Einzelprozeßführungsbefugnis verbunden mit Beiladung die Rechtsfigur der gemeinsamen Prozeßführungs befugnis ersetzen kann, muß hier offen bleiben. 20 Für den Ausbau der Beiladung im Zivilprozeß (insbes. für ihre Anwendung bei §§ 432, 1011,2039 BGB): Hellwig, Lehrb. II, S. 525 N. 14; System I, S.233 N.5; de Boor, Auflockerung, S.63; Bettermann, Vollstreckung, S.148; Blomeyer AcP 159, 396; Baumb.-Lauterbach § 62 Anm.l; Bruns, Lehrb. § 11 II 1 a. Die Motive zum BGB (III, 446) lehnen in den genannten Fällen Beiladung de lege lata ab, halten aber unverkennbar diese prozessuale Lösung für angemessen und behalten die nochmalige Erwägung des Problems einer "Revision der Prozeßordnung" vor. Der Kommissionsbericht von 1961 erörtert die Frage der Beiladung nicht. 21 Die Verknüpfung von Beiladung und Streitgenossenschaft findet sich schon in der gemeinrechtlichen Literatur (vgl. Danz, Grundsätze § 487, S.730 Z.3 Anm. c; Freudenstein, Rechtskraft, S.274 N.6, 276 f.) und in § 6'5 der Bayer. Prozeßordnung von 1869. Ebenso neuerdings Baumb.-Lauterbach und Bruns, a.a.O. Zu Streitgenossenschaft und Beiladung im Verwaltungsprozeß vgl. Martens VerwArch 60, 197 f., 356 f. 9 H ••• old

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