Die verborgene Präsenz des Künstlers: Inszenierungen der Abwesenheit bei Salvador Dalí, Joseph Beuys, Robert Morris und Vito Acconci [1. Aufl.] 9783839416358

Verborgen präsent ist ein Künstler dann, wenn er seinen Körper vollständig verhüllt, vergräbt, einmauert, einwickelt ode

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German Pages 228 Year 2014

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Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Einleitung
1 Salvador Dalí – Unternehmungen zwischen theatralischer Inszenierung und mystischer Erhöhung
1.1 Dalí im Taucheranzug, London (1936)
1.2 Dalí im metaphysischen Würfel, Rom (1954)
1.3 Dalí im Ei (1942)
1.4 Dalí drapé, Cap Creus/Dalí drapiert, Cap de Creus (1962)
1.5 La gare de Perpignan/Der Bahnhof von Perpignan (1965)
2 Joseph Beuys – körperlicher Rückzug und Metamorphose
2.1 Mädchenfi gur mit Gefäßformen (1947)
2.2 Entpuppung des Schmetterlings (1950)
2.3 Initiation (1953)
2.4 Gummierte Kiste (1957)
2.5 Der Chef The Chief (1964)
2.6 I like America and America likes Me (1974)
3 Robert Morris – das Objekt inkorporiert den Körper
3.1 Box with the sound of its own making (1961)
3.2 Column (1962)
3.3 I-Box (1962)
4 Vito Acconci – Interaktion und visuelle Barrieren
4.1 Digging Piece (1970)
4.2 35 Approaches (1970)
4.3 Filler (1971)
4.4 Claim (1971)
4.5 Remote Control (1971)
4.6 Training Ground (1971)
4.7 Seedbed (1972)
4.8 Transference Zone (1972)
4.9 Air time (1973)
5 Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
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Die verborgene Präsenz des Künstlers: Inszenierungen der Abwesenheit bei Salvador Dalí, Joseph Beuys, Robert Morris und Vito Acconci [1. Aufl.]
 9783839416358

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Sebastian Neußer Die verborgene Präsenz des Künstlers

Image | Band 15

Sebastian Neußer (Dr. phil.) arbeitet als Autor und Kurator. Sein Forschungsinteresse gilt den Berührungspunkten von bildender Kunst, Politik, Geistes- und Naturwissenschaften.

Sebastian Neusser

Die verborgene Präsenz des Künstlers Inszenierungen der Abwesenheit bei Salvador Dalí, Joseph Beuys, Robert Morris und Vito Acconci

Besonders danken möchten wir der Joseph-Beuys-Stiftung, Basel, für ihren Beitrag, der es ermöglichte, diese Publikation in dieser Form erscheinen zu lassen. Die vorliegende Arbeit wurde 2010 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Robert Morris, Untitled (Box for standing), 1961, Copyright: VG Bild Korrektorat: Jens Ossadnik, Aach Satz: Katharina Lang, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1635-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 7 Einleitung | 21 1 Salvador Dalí – Unternehmungen zwischen theatralischer Inszenierung und mystischer Erhöhung | 31 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5

Dalí im Taucheranzug, London (1936) | 32 Dalí im metaphysischen Würfel, Rom (1954) | 40 Dalí im Ei (1942) | 45 Dalí drapé, Cap Creus/Dalí drapiert, Cap de Creus (1962) | 49 La gare de Perpignan/ Der Bahnhof von Perpignan (1965) | 52

2 Joseph Beuys – körperlicher Rückzug und Metamorphose | 61 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6

Mädchenfigur mit Gefäßformen (1947) | 63 Entpuppung des Schmetterlings (1950) | 67 Initiation (1953) | 69 Gummierte Kiste (1957) | 77 Der Chef The Chief (1964) | 90 I like America and America likes Me (1974) | 107

3 Robert Morris – das Objekt inkorporiert den Körper | 117 3.1 3.2 3.3

Box with the sound of its own making (1961) | 120 Column (1962) | 131 I-Box (1962) | 140

4 Vito Acconci – Interaktion und visuelle Barrieren | 147 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Digging Piece (1970) | 149 35 Approaches (1970) | 155 Filler (1971) | 157 Claim (1971) | 160 Remote Control (1971) | 169

4.6 4.7 4.8 4.9

Training Ground (1971) | 174 Seedbed (1972) | 176 Transference Zone (1972) | 187 Air time (1973) | 191

5 Schlussbemerkung | 195 Literaturverzeichnis | 203 Abbildungsverzeichnis | 215

Vorwort »Während nach dem herrschenden Vorurteil der Geist der Wissenschaft die Philosophie von Vorurteilen und Mythologemen reinigte, verhält es sich in praxi eher umgekehrt: Kategorien, die in der philosophischen Besinnung so problematisch geworden sind wie die der Definition, werden von den Einzelwissenschaften weitergeschleppt, als verbürgten sie Wissenschaftlichkeit. Keiner vollends ist so versessen aufs Definieren wie der Amateur.«1

Wissenschaftliches Arbeiten beginnt nicht selten mit der Definition des eigenen Vorhabens, und so verunsichern Adornos Worte; niemand wird gern zur Gruppe der Amateure gezählt. Nun könnte der beschämte Verfasser einer wissenschaftlichen Schrift einleitende Definitionen damit entschuldigen, die Amateure nicht in das kalte Wasser stoßen zu wollen und allein deshalb der thematischen Komplexität mit vorbereitenden Definitionen zu begegnen. Der Ausgangspunkt wissenschaftlicher Forschung liegt stets in der Feststellung, dass eine Fragestellung, ein Problem, ein Phänomen oder, wie im Falle dieser Arbeit, ein Motiv sich der bisherigen Untersuchung entzogen hat. Sorgsam werden verschiedene Arbeitsfelder erforscht, um zu ersten Definitionen des Vorhabens zu gelangen. Diese Art der Definition hatte Adorno nicht im Sinn, als er von den Amateuren sprach, die nicht Fragestellungen, sondern zu erwartende Ergebnisse formulieren und den Forschungshorizont auf ein Mindestmaß einengen. Eine Antwort auf die Frage, was die verborgene Präsenz des Künstlers im Speziellen oder gar im Allgemeinen zu bedeuten habe, darf hier an 1 | Adorno, Theodor W. in: Durkheim, Émile: Soziologie und Philosophie. Einleitung von Theodor W. Adorno, Frankfurt a.M. 1967, S. 31. (A)

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keiner Stelle erwartet werden. Größtmögliche Differenz und nicht Werkidentität ist das Ziel; ein Vorhaben, das, sofern es sich nicht in der textlichen Strukturierung, der Gliederung und vor allem der Methodik widerspiegelt, von Beginn an zum Scheitern verurteilt ist. Die Initialzündung zu der Beschäftigung mit dem Motiv der verborgenen Präsenz des Künstlers gab die Arbeit einer Künstlerin im P.S. 1 in New York: Im dunklen Holzboden des Eingangsbereichs befindet sich dort ein recht unansehnliches Loch, das aufgrund der Spuren roher Gewaltanwendung eher wie der Krater eines Vulkans aussieht. Unter diesem Loch flimmert das Videobild von Pipilotti Rist, die nackt, in kochender Lava schwimmend »I am a worm and you are a flower« aus dem Verborgenen schreit.2 Das kleine Bild der Verdammten im Lavastrom der Hölle blieb in Erinnerung, und so begann die Suche nach weiteren Beispielen der verborgenen Präsenz in der Kunst. Obwohl sich zahlreiche Arbeiten, gerade in der Aktionskunst der 1960er und 1970er Jahre, finden lassen, hat die Kunstgeschichte diesem Motiv bisher kaum Beachtung geschenkt. Erst das Ringen mit der Formulierung des Vorhabens bewies, dass bei der Fokussierung auf motivische Parallelen etwas Entscheidendes übersehen wurde: Unter dem Boden des Museums befindet sich natürlich nicht Pipilotti Rist selbst, sondern nur ihr Videobild. Das Bild des Monitors ist schließlich nur ein Körpersubstitut, und vor der Geschichte des medialisierten Körpers in verborgener Präsenz sollte die Geschichte des verborgenen lebendigen Körpers geschrieben werden, dem fortan das Interesse galt. Auch spielt dieses Video, das selbst nicht verborgen ist, da jedem Vorbeigehenden der Blick auf den nackten Körper der Künstlerin offen steht, nur mit der Vorstellung des Verborgenseins im Untergrund. Das Motiv musste genauer bestimmt werden, um nicht zwischen den zahllosen Formen mehr oder weniger versteckter Körperinszenierung zerrieben zu werden. Eine Definition der verborgenen Präsenz des Künstlers war vonnöten, um das Feld der relevanten künstlerischen Arbeiten abzustecken. Ein Künstler ist im Sinne dieser Arbeit verborgen präsent, wenn seine Anwesenheit im Ausstellungskontext eindeutig wahrgenommen werden kann, er selbst jedoch verborgen und somit unsichtbar bleibt. Derartige Inszenierungen verschieben die Grenze zwischen darstellender und bildender Kunst, verlangen alternative Rezeptionsformen und führen passives, visuell dominiertes Rezeptionsverhalten 2 | Pipilotti Rist, Selbstlos im Lavabad (1994).

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ad absurdum. Ein Nichtsehen, Eingeschränktsehen oder Anderssehen muss durch Riechen, Hören, Tasten oder vielleicht sogar emotionales Fühlen ergänzt werden. Umrisse oder Bewegungen des Körpers sind erahnbar, Laute aus dem verborgenen Raum hörbar, Gerüche wahrnehmbar oder Formen ertastbar. Ein Videobild kann als Teil einer Closed-Circuit-Installation zwar Zeugnis von der tatsächlichen Anwesenheit eines Künstlers geben, muss dies jedoch nicht, weshalb das Videobild allein nicht Beleg für eine verborgene Präsenz sein kann. Weiteres Bestimmungskriterium liegt in dem isolierten Alleinsein nur einer Person, die ohne die Möglichkeit zu direkter menschlicher Bezugnahme einer besonderen Wahrnehmungssituation ausgeliefert ist. Das bedeutet nicht, dass der verborgen präsente Künstler keinen Kontakt zum Außenraum aufnehmen könnte, doch dies geschieht dann aus der abgeschlossenen Sphäre seiner verborgenen Präsenz, die, zumindest für einen begrenzten Zeitraum, nur er allein belebt. Die Anfangsphase der Begriffsfindung bestimmte die Suche nach Beispielen verhüllter, vergrabener, eingemauerter, eingewickelter oder auf andere Art und Weise verborgener Körper. Der Blick des Kunsthistorikers richtete sich vor allem auf Beispiele der künstlerischen Inszenierung, doch konnte dies nur die Spitze des Eisbergs sein. Das Motiv körperlicher Präsenz unter der Bedingung visueller Absenz ist keine künstlerische creatio ex nihilo des 20. Jahrhunderts. Bei der archivarischen Suche nach Motivbeispielen stellte sich immer wieder die Frage nach Bedeutungen der verborgenen Präsenz eines Künstlers, doch Adornos Worte dienten als Warnung. Es gab zu Beginn der Beschäftigung keine These, die erklären könnte, warum Künstler sich verborgen präsent inszenieren, und es wird auch im abschließenden Resümee keine geben. Die Verborgenen selbst mögen hinter ihren Aktionen einen Sinn erkennen, und über künstlerische Selbstauskünfte wird im Verlauf der Arbeit kritisch zu sprechen sein. Eine Bedeutung ergibt sich daraus jedoch nicht. Der verborgen präsente Künstler schafft sich einen Innenraum, mit dem er das Abgetrenntsein von der Außenwelt markiert. Bei den Außenstehenden führt die Begegnung mit einem verborgen präsenten Menschen zu einer Verunsicherung. Die im Allgemeinen sehr spärlichen Informationen über unser Gegenüber werden auf ein beängstigendes Mindestmaß reduziert. Die Feststellung des Da-ist-jemand-verborgen bedeutet Bedrohung, vor allem, da auch der Grund hierzu im Verborgen liegt. Die verborgene Präsenz des Künstlers könnte kaum treffender als mit einer Einquartierung in eigensinnige, surreale Raumverhältnisse be-

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schrieben werden. Die Analyse eines Motivs, das, sofern wir Sloterdijks Sicht teilen, Ausdruck der primären menschlichen Produktivität ist, verspricht lohnende Ergebnisse zu liefern. »Nur die Körper von Toten sind ohne Mehrdeutigkeit zu lokalisieren […]. In Bezug auf Wesen, die auf menschlich ekstatische Art am Leben sind, stellt sich die Ortsfrage von Grund auf anders, weil die primäre Produktivität der Menschenwesen darin besteht, an ihrer Einquartierung in eigensinnigen, surrealen Raumverhältnissen zu arbeiten.« 3

Es wird nicht der Anspruch erhoben, alle künstlerischen Inszenierungen in verborgener Körperpräsenz des 20. und 21. Jahrhunderts in die Betrachtung einzubeziehen, da, selbst wenn dieses Vorhaben realisierbar wäre, nur die Konzentration auf Schlüsselpositionen ein tieferes Verständnis für die Bedeutungen im jeweiligen Gesamtwerk veranschaulichen kann. Mit Salvador Dalí (geb. 1904), Joseph Beuys (geb. 1921), Robert Morris (geb. 1931) und Vito Acconci (geb. 1940) werden vier Künstler zusammengebracht, deren Arbeiten unter anderem die Beschäftigung mit dem Motiv der verborgenen Präsenz des Körpers verbindet. Die gewählte Reihenfolge der Behandlung – Dalí, Beuys, Morris, Acconci – kann zwar begründet werden, ist aber zugleich beliebig. Sie entspricht zufällig dem Geburtsjahr der Künstler, richtet sich jedoch ausschließlich nach der Datierung der jeweils frühesten hier untersuchten Arbeit. Jeder der Künstler inszenierte mindestens einmal während seines Schaffens eine öffentliche Präsenz des verborgenen Körpers; untersucht wird aber jeweils ein größerer Werkkorpus, in den Gemälde, Zeichnungen, Objekte, Photographien und andere Materialen einbezogen werden. Von großem Interesse ist die Wandlung des Motivs im Gesamtwerk. Dalí trat erstmalig 1936 in einem Taucheranzug mit Helm vor Publikum auf, Beuys verbarg sich 1964 in Kopenhagen in einer Filzbahn und wird dennoch vor Morris behandelt, der sich 1962 bei einer Performance in einer Holzsäule versteckte, da die Zeichnungen von Beuys, die Ende der 1940er Jahre entstanden, bereits eine Beschäftigung mit dem Motiv belegen. Acconci, der sich 1972 unter den Galerieboden von Ileana Sonnabend legte, bildet den Abschluss, doch das späteste Werk in dieser Arbeit stammt von Beuys, der sich 1974, diesmal in New York, wo auch Mor-

3 | Sloterdijk, Peter: Sphären, Bd. I. Blasen, Frankfurt a.M. 1998, S. 83. (A)

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ris und Acconci ihre Aktionen durchgeführt hatten, erneut in Filz wickelte. Diese Eingrenzung soll nicht die Vorstellung einer linearen Chronologie evozieren oder sich an der Konstruktion einer eindimensionalen Motiventwicklung versuchen. Durchaus gab es Berührungspunkte, nachgewiesenermaßen zwischen Beuys und Morris, den wiederum mit Acconci ein gemeinsames intellektuelles Umfeld in New York verband, doch Begriffe wie die der Aneignung, des Zitats, der Übernahme oder Neuformulierung unterstellen stets eine einseitige Perspektive. Zweifel hinsichtlich der Verwendung dieser oder ähnlicher Begriffe, die die kunstwissenschaftliche Literatur wie ein rotes Band durchziehen, äußert in jüngster Zeit Nicolas Bourriaud: »Mit Zitaten zu arbeiten, bedeutet, sich auf eine Autorität zu berufen: Indem der Künstler sich mit dem Meister misst, stellt er sich in eine geschichtliche Abstammungslinie, durch die er vor allem seine eigene Position legitimiert, aber auch, stillschweigend, eine Sicht der Kultur, für die die Zeichen eindeutig einem Autor (dem Künstler X oder Y) ›gehören‹, auf den die gegenwärtige Arbeit auf ironische, aggressive oder bewundernde Art verweist.« 4

Diesen Begriffen soll nicht der Platz in der kunstwissenschaftlichen Terminologie streitig gemacht werden. Das künstlerische Zitieren ist bis zum heutigen Tag gängige Praxis, doch mit großer Vorsicht sollte verfahren werden, da die Unterstellung eines Zitats zugleich inhaltliche Parallelen impliziert, die so nicht gegeben sein müssen. Auch Roger M. Buergels und Ruth Noacks Konzept der Migration der Form ist kein Vorbild für die Methodik dieser Arbeit;5 vielleicht aber Lucy R. Lippard, die schon vor Jahrzehnten erkannte, dass manchmal Ideen in der Luft liegen, die das gleichzeitige Erscheinen vergleichbarer Arbeiten bei verschiedenen Künstlern verursachen.6 Mag sein, dass der eine Künstler das Werk des anderen kannte, Materialien aufgriff, Formen anklingen ließ oder die gleichen literarischen Quellen konsultierte; eine Sicherheit wird es für die Kunstwissenschaft nicht 4 | Bourriaud, Nicolas: Radikant, Berlin 2009, S. 181. (A) 5 | Vgl. Buergel, Roger M.; Noack, Ruth: Vorwort, in: documenta und Museum Fridericianum (Hg.): Documenta Kassel 16/06 – 23/09 2007, Köln 2007, S. 9-13. (A) 6 | Vgl. Lippard, Lucy R.: Six Years. The Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972, Berkely, Los Angeles 1973, ix. (A)

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geben, und so bleibt es die Aufgabe, eine größtmögliche Vielfalt der Beziehungen offen zu halten und dabei trotzdem ein schlüssiges Bild zu vermitteln, das paradoxerweise immer gleichzeitig zu weit gefasst und doch verkürzt ist. Dass sich unter den vier Künstlern der verborgenen Präsenz keine Künstlerin befindet, liegt nicht an der einseitigen Auswahl des Verfassers. Erst in den 1970er Jahren begannen Künstlerinnen wie beispielsweise Alice Aycock mit labyrinth (1972), sich mit dem Motiv zu beschäftigen, doch diese Positionen sind nicht mehr Gegenstand der Untersuchung, da die erste motivrelevante Arbeit Acconcis, Digging Piece (1970), gleichzeitig eine zeitliche Grenze markiert, die zugegebenermaßen auch subjektiv gesetzt ist. Die vier Positionen aber verbindet, trotz ihrer zum Teil sehr unterschiedlichen Herangehensweise, ein modernes Denken, ein radikales Denken, um Bourriauds Bezeichnung zu nutzen,7 das in der verborgenen Präsenz des Körpers eine Art von befreiendem Rückzug sah: Dalí wickelte sich in Leinen und imitierte die Form der Felsen seiner geliebten Heimatbucht, Beuys lag in der Filzbahn und suchte den Weg zu übersinnlicher Wahrnehmung, Morris verbarg sich in der Säule und wollte die Skulptur von ihrem narrativen Ballast befreien, Acconci masturbierte unter dem Galerieboden und lieferte wohl, nicht ganz ohne ironische Vorzeichen, die letzte große Metapher künstlerischer Verwurzelung des 20. Jahrhunderts. Mit den 1970er Jahren kam eine neue Generation von Künstlerinnen und Künstlern, die im Schatten der Vaterfiguren neue Wege suchten. Dem Motiv der verborgenen Präsenz fehlte meist die Bindung an das Gesamtwerk, die stringente Entwicklung in den verschiedenen Medien (wie es bei Dalí, Beuys, Morris und sogar Acconci der Fall war) und vor allem die theoretische Auseinandersetzung mit philosophischen, naturwissenschaftlichen, theologischen und mythologischen Fundierungen. Den zeitlichen Schnitt legt aber auch der Umstand nahe, dass Beuys und Dalí, die noch bis Mitte der 1980er Jahre arbeiteten, sowie Morris und Acconci, die bis zum heutigen Tag produktiv sind, ihr Interesse an dem Motiv der verborgenen Körperpräsenz zu Beginn der 1970er Jahre zu verlieren schienen. Die verborgene Präsenz des Künstlers muss ab diesem Zeitpunkt unter anderen Vorzeichen betrachtet werden – diese Aufgabe könnte Gegenstand einer eigenen Arbeit sein.

7 | Vgl. Bourriaud 2009, S. 21.

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Die Nichtauffindbarkeit von Künstlerinnen in verborgener Präsenz bis in die 1970er Jahre hat verschiedene Ursachen: Es wird sicher auch Frauen gegeben haben, die sich mit diesem Motiv beschäftigten, doch war der damalige Kunstbetrieb noch stark männlich bestimmt. Die Arbeit der hier behandelten Künstler wurde von großen Galerien unterstützt und gut dokumentiert, Werke anderer Künstler und vor allem Künstlerinnen fanden dagegen keine Beachtung und sind heute für die Wissenschaft verloren. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die verborgene Präsenz zu dieser Zeit nicht eher ein männliches Motiv war, da der künstlerische Rückzug in den verborgenen Raum für Frauen zum damaligen Zeitpunkt, als sie sich aus der verborgenen gesellschaftlichen Präsenz zu befreien versuchten, eher kontraproduktiv gewesen wäre. Eine Klärung dieser Frage sollte Aufgabe der Genderforschung sein und kann hier nicht weiter verfolgt werden. Bisweilen bereiteten Künstlerinnen und Künstler Aktionsteilnehmenden oder auch dem Publikum ein Angebot zum Körperverbergen, doch diese Aktionen sind für die Untersuchung von geringerem Interesse, da der Entschluss zum Körperverbergen in diesen Fällen eher spontan und wahrscheinlich unreflektiert getroffen wurde.8 Die aktive Teilnahme an vorgegebenen Handlungsverläufen mag den Teilnehmenden zwar neue Erfahrungshorizonte eröffnen, der Analyse des Motivs bietet sie keine neuen Erkenntnisse. Das Interesse gilt daher der historischen Einordnung und weniger den Dimensionen ästhetischer Erfahrung, die ohnehin nur schwer kommunizierbar sind. Die Schwierigkeit der Strukturierung des Textes liegt darin, die Geschichte eines Motivs zu schreiben und dabei Kommunikationsund Entwicklungsebenen aufzuzeigen, ohne eine Linearität zu konstatieren, die sich den Seiten- und Nebenwegen verschließt. Gilles Deleuze und Félix Guattari bezeichnen diese lineare und von ihnen 8 | Im Jahr 1965 verhüllte Allan Kaprow die Teilnehmenden seiner Aktion Calling und setzte sie an verschiedenen Stellen der Stadt aus. Zum Paket verschnürt verloren sie jede menschliche Kontur und konnten nur durch Rufe zu ihrem Umfeld Kontakt aufnehmen. Der Performance Corridor von Bruce Nauman aus dem Jahr 1969 ermöglichte es dem Publikum, eigene Aktion im verborgenen Raum des Korridors zu erkunden. Kontakt zum Außenraum bestand jedoch nicht, weshalb Nauman selbst in seinem Korridor auch nicht Gegenstand der Untersuchung ist. Mit labyrinth (1972) stellte Alice Aycock ein Labyrinth zur Erkundung des Verborgenen zur Verfügung.

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als unangemessen kritisierte Geschichtskonstruktion als »Grundmodell des Wurzelbaum[s]«. Dieses Modell, so ihre Kritik, beruhe auf der Vorstellung, es gebe in der Natur lineare Entwicklungslinien, die textlich zu fassen seien.9 Zur Illustration dient das Bild des Baums, von dessen Stamm Äste abgehen, die sich dann wiederum in kleinere teilen. Setzt man an der Spitze an, so führt der Weg unweigerlich zurück zum Ursprung der Wurzel; beginnt man dort, so lassen sich die einzelnen Wege bis in die Spitzen verfolgen. Querverbindungen und parallele Triebe existieren nicht, weshalb das Modell aus der Sicht von Deleuze und Guattari Ergebnis des ganzheitlichen Totalitätsdenkens ist, das jede Vielheit in einer zugrunde liegenden Einheit verbindet. Traditionelle Motivgeschichten bedienen sich größtenteils, bewusst oder unreflektiert, dieses Modells und suchen einen jeweiligen Ursprung, auf dessen Boden die Geschichte sich linear und chronologisch entfaltet. Es gilt Abschied zu nehmen von der Idee, ein Motiv lasse sich in seiner Fülle angemessen darstellen und seine Genese könne umfassend rekonstruiert werden. Ein Text, und das gilt selbstverständlich auch für die Geschichte der verborgenen Körperpräsenz, konstruiert eine Motivgeschichte, aber erfasst die Realität nicht einmal ansatzweise. Er beleuchtet lediglich kleine Ausschnitte, übergeht Seitenwege und vereinheitlicht bestehende Widersprüchlichkeiten. Dieser Zwangsläufigkeit sollte man sich bewusst sein, um das Maß der notwendigen Vereinheitlichung möglichst gering zu halten und zumindest eine Idee der nicht darstellbaren Vielheit zu vermitteln. Wie jedoch lässt sich in der textlichen Praxis lebensweltliche Vielheit repräsentieren, ohne auf eine übersichtliche und verständliche Strukturierung zu verzichten? Deleuze und Guattari legen eine gedankliche Wende zu Grunde, die als Maxime die Arbeit begleiten soll: »Das Viele (multiple) muß man machen: nicht dadurch, daß man fortwährend übergeordnete Dimensionen hinzufügt, sondern im Gegenteil ganz schlicht und einfach in allen Dimensionen, über die man verfügt: jedesmal n – 1 (Das Eine ist nur dann ein Teil der Vielheit, wenn es von ihr abgezogen wird.) Das Einzelne abziehen, wenn eine Vielheit konstituiert wird; n – 1 schreiben.«10

9 | Vgl. Deleuze, Gilles; Guattari, Félix: Rhizom (Orig. Rhizome. Introduction, Paris 1976), Berlin 1977, S. 9. (A) 10 | Deleuze; Guattari 1977, S. 11.

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Dieser Gedanke nimmt im Bild des Rhizoms Gestalt an, womit ein der Botanik entlehnter Begriff dem traditionellen Baumwurzelmodell entgegengestellt wird. Das Rhizom ist ein unterirdischer Spross und unterscheidet sich von der Wurzel dadurch, dass er verschiedene Formen annehmen kann, sich in alle Richtungen verästelt und sich in Knollen und Knötchen verdichtet.11 Der morphologische Unterschied zum Wurzelbaum, der aufwärts in eine Richtung strebt, liegt in der zirkulären Struktur. Eine kurze Einführung in die Merkmale des Modells, so wie es Deleuze und Guattari erarbeitet haben, soll zeigen, dass mit dem Rhizom an dieser Stelle nicht bloß eine abstrakte Methodik proklamiert wird, sondern die Überlegungen direkte Auswirkung auf die textliche Strukturierung haben. Das erste Prinzip des Rhizoms lautet »Konnexion«: Konnexion verlangt, dass alle Punkte eines Rhizoms miteinander verbunden werden. Diese Forderung ist theoretisch nachvollziehbar, stellt jedoch hohe Ansprüche an die Umsetzung, da wissenschaftliches Schreiben linear strukturiert ist und bereits die Aufeinanderfolge der Gedanken und Kapitel eine Hierarchie impliziert. Für die verborgene Präsenz bedeutet Konnexion, dass keine Motivvorgänger gesetzt werden, denen spätere Formulierungen vermeintlich folgen. Immer nur die Vielheit des ganzen Motivschatzes ist ausschlaggebend, obwohl diese bei den Einzelanalysen in ihrer Fülle nicht jeweils wiedergegeben werden kann. Jede Einzelanalyse tritt also in einen Dialog mit ausgewählten Motiven, die aus Sicht des Verfassers größere Bedeutung für den Künstler gehabt haben könnten als andere – auch bei einem Rhizom gibt es dickere und dünnere Verästelungen. Im Hintergrund müssen jedoch immer Anschlüsse zu anderen Linien gedacht werden.12 Das zweite Prinzip der »Heterogenität« ist der Kunstwissenschaft grundsätzlich gut bekannt und wird allgemein als Interdisziplinarität bezeichnet; ein Ansatz, der heterogene Wissensgebiete in die Analyse mit einbezieht und sich wissenschaftlich in den letzten Jahrzehnten behaupten konnte. Die Heterogenität im Sinne des Rhizoms muss jedoch weiter gedacht werden, da es nicht nur um die Einbeziehung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen geht: »Ein Rhizom verknüpft unaufhörlich semiotische Kettenteile, Machtorganisationen, Ereignisse in Kunst, Wissenschaft und gesellschaftlichen Kämpfen. 11 | Vgl. Deleuze; Guattari 1977, S. 11. 12 | Vgl. Deleuze; Guattari 1977, S. 11.

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Ein semiotisches Kettenglied gleicht einem Tuberkel, einer Agglomeration von mimischen und gestischen Sprech-, Wahrnehmungs- und Denkakten […].«13 Das einzelne Beispiel verborgener Körperpräsenz wird weniger als Kunstwerk und somit außergewöhnliches Phänomen begriffen, sondern mehr als semiotisches Kettenglied des Rhizoms, das auf verschiedenen Ebenen mit weiteren Phänomenen (z.B. Literatur, Mythologie, Zeitgeschehen) Verbindungen eingeht. Das dritte Prinzip des Rhizoms ist die »Vielheit«: Auch die folgenden Analysen verborgener Körperpräsenzen werden die Konzeption des jeweiligen Künstlers als maßgebend für das Werk anerkennen. Vermieden wird aber die Annahme, dass jede Formulierung, bewusst oder unbewusst, einzig auf die Person des Künstlers zu beziehen wäre, womit in der Vergangenheit den ebenso beliebten wie meist irrelevanten Biographismen Tür und Tor geöffnet wurde. »Eine Vielheit hat weder Subjekt noch Objekt; […] Als Rhizom oder Vielheit verweisen die Fäden der Marionette nicht auf den angeblich einheitlichen Willen eines Künstlers oder Marionettenspielers, sondern auf die Vielheit seiner Nervenfasern.«14 Die Suche nach Bezugspunkten einzelner Motive darf und kann im Ergebnis weder ein geschlossenes Bild noch einen einheitlichen Sinn ergeben. Das einzelne Werk kann nie umfassend verstanden werden, und jede Erklärung, warum der Weg rückblickend auf eine bestimmte Weise verlaufen musste, ist ein Trugschluss. Gesucht werden einzelne Fäden, die sich im besten Falle zu einem Netz von Linien fügen, das eine Idee der Motivbewegungen vermittelt. Dabei bleibt es nicht aus, sich einzelne Bezugspunkte und Phänomene als feste Punkte eines Netzes vorzustellen, obwohl die menschliche Suche nach Verbildlichung der eigentlichen Idee von Deleuze und Guattari im Wege steht. Diese betonen, dass es gar keine festen Punkte, sondern nur Linien gebe, deren Verkettung einen »Konsistenzplan der Vielheiten«15 zeige. Die Dimensionen des zu erarbeitenden Konsistenzplans sind endlich, doch nicht einmal annähernd zu erfassen. Wir schreiben n – 1 und erarbeiten mit jedem Bezugspunkt einen Faden, der die Gesamtheit verändert. Praktisch bedeutet es den notwendigen Verzicht auf vermeintlich biographische Fakten, die, da der Konsistenzplan subjektlos ist, keine Bedeutung haben. Eine Kunstgeschichte ganz ohne Künstlergeschichte ist 13 | Deleuze; Guattari 1977, S. 12. 14 | Deleuze; Guattari 1977, S. 13. 15 | Deleuze; Guattari 1977, S. 15.

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zu diesem Zeitpunkt schwer vorstellbar, doch ein sorgsamerer Umgang mit der Geschichte des Künstlers wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Der »asignifikante Bruch« ist das vierte Prinzip und besagt, dass ein Rhizom an jeder beliebigen Stelle gebrochen werden kann. Als anti-genealogisches Modell der Wissensorganisation existiert keine dichotomische Ordnung von über- und untergeordneten Aspekten, die jeweils ihre notwendige Zugehörigkeit zum vermeintlich geschlossenen Text bedingen. Das Rhizom ist unabgeschlossen und kontinuierlich in seiner gesamten Struktur modifizierbar. Anti-Genealogie ist nicht die euphemistische Benennung von ungeordnetem Chaos, nur werden tradierte Ordnungen aufgebrochen, und es entsteht ein höheres Maß an Abstraktheit. »Jedes Rhizom enthält Segmentierungslinien, nach denen es geschichtet ist, territorialisiert, organisiert, bezeichnet, zugeordnet […]«16 Bei der Strukturierung der Arbeit verlaufen die Segmentierungslinien im Sinne traditioneller Kunstgeschichtsschreibung. Die einzelnen Kapitel behandeln jeweils das Werk eines Künstlers, und die Arbeiten sind chronologisch geordnet. Diese Entscheidung ist vor dem Hintergrund rhizomatischer Überlegungen nicht selbstverständlich und vielleicht kritisierbar, da doch dem Subjekt des Künstlers seine Autorität entzogen werden soll. Wäre es dann nicht sinnvoller, Künstlerperson und Entstehungsdatum zu vernachlässigen und dafür einzelne Werke verschiedener Herkunft hinsichtlich formaler Verbindungslinien zusammenzustellen? Das Problem einer derartigen Textorganisation läge einzig in einem stark verbreiteten Künstlerzentrismus. Gerade aufgrund der relativen Unbekanntheit einzelner Arbeiten scheint es hilfreich zu sein, sich über den Weg der weitaus bekannteren Künstlerpersönlichkeiten zu nähern. Die chronologische Ordnung impliziert dabei keine lineare Entwicklung. Ein im Laufe der Schaffensjahre wiederkehrendes Motiv baut sich weder zu einem Reichtum auf, der früheren Arbeiten fehlte, noch verwässern späte Motivformulierungen die reinere Form einer früheren Schaffensphase. Vorstellungen von qualitativem Aufstieg oder Verfall sind meist Ergebnis eines Wunsches nach Qualifizierbarkeit und Kategorisierbarkeit. Ein Motiv knüpft neue Verbindungen, Schwerpunkte verlagern sich und Perspektiven wechseln, ein Motiv »macht

16 | Deleuze; Guattari 1977, S. 16.

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Rhizom«17 mit der Welt, und dies vollzieht sich außerhalb simpler Bewertungsmodi. Gleiches gilt für sich ähnelnde Motivformulierungen von verschiedenen Künstlern: Zu oft widmet sich die kunstwissenschaftliche Suche der Überführung vermeintlich nachahmender Künstler, die sich an den Arbeiten anderer nur mimetisch bedienen. Es wird gern übersehen, dass die geniale Künstlerschöpfung ein seit langer Zeit enttarnter Mythos ist, auf den man aber in letzter Konsequenz nur ungern verzichten möchte. »Es gibt weder Nachahmung noch Ähnlichkeit, sondern eine Explosion zweier heterogener Serien in der Fluchtlinie, die aus einem gemeinsamen Rhizom zusammengesetzt ist […].«18 Das Motiv der verborgenen Präsenz ist eine »Deterritorialisierung« von Welt, die kunstwissenschaftliche Analyse eine »Reterritorialisierung« des Motivs,19 die Verbindungslinien aufzeigt bzw. das Rhizom macht. An jeder Stelle kann die Analyse einer Arbeit bzw. des Gesamtwerks enden, der asignifikante Bruch erfolgen, da keine vorgegebene Fülle existiert, die erschöpft werden könnte. Die beiden letzten rhizomatischen Prinzipien lauten »Kartographie« und »Dekalkomonie« (ein Verfahren, Abziehbilder herzustellen). Wie bereits angedeutet, handelt es sich bei einem Rhizom nicht um die Kopie eines zuvor Gegebenen. Dem Rhizom liegen weder »genetische Achsen« noch »Tiefenstrukturen« zu Grunde, und so ist es als Karte zu begreifen, die konstruiert, wo ein Bild lediglich reproduziert. Das Rhizom ist, anders als das Baummodell, offen wie eine Karte, in allen seinen Dimensionen verbunden und unaufhörlich modifizierbar.20 Das Wesen einer Reproduktion ist die mechanische Abbildung eines Vorbilds, wohingegen Karten »von einem Individuum, einer Gruppe oder gesellschaftlichen Formationen angelegt werden. […] Eine Karte hat viele Eingänge, im Gegensatz zu einer Kopie, die immer auf das Gleiche hinausläuft.«21 »Kartographie« und »Dekalkomonie« sind wichtige Prinzipien für die Struktur des Textes, der nicht den unerfüllbaren Anspruch erhebt, das textliche Abbild einer faktisch gegebenen Motivgeschichte zu sein. Ziel ist die Erstellung einer Karte, mit der die Navigation durch die Geschichte des Motivs erleichtert wird. Aufgabe des Kartographen wie auch des Verfassers 17 | Deleuze; Guattari 1977, S. 19. 18 | Deleuze; Guattari 1977, S. 17. 19 | Vgl. Deleuze; Guattari 1977, S. 17. 20 | Vgl. Deleuze; Guattari 1977, S. 20. 21 | Deleuze; Guattari 1977, S. 21-22.

V ORWORT

eines Textes ist die vorherige Festlegung eines Maßstabs und die Entscheidung, welche topographischen Punkte bezeichnet werden. Eine Straßenkarte im Maßstab 1 : 200.000 unterscheidet sich von einer Wanderkarte im Maßstab 1 : 25.000, doch keine von beiden ist deshalb korrekter. Die Textkarte der verborgenen Präsenz des Künstlers setzt, aus zuvor genannten Gründen, erste Markierungspunkte mit Salvador Dalí, Joseph Beuys, Robert Morris und Vito Acconci. Es werden Wege in unterschiedlicher Breite als Verbindungslinien zu anderen Motivorten gezogen, die ihrerseits mit weiteren Stellen der Karte verbunden sind. Andere Wege und Orte spart der Textkartograph aus, da es die Aufgabe jeder Karte ist, Übersicht zu schaffen und Verwirrung zu vermeiden. Die Auswahl unterliegt letztlich der subjektiven Entscheidung des Kartographen. Der Künstler findet in der Karte der Werke keinen Platz. Dieser Umstand bedeutete für Deleuze und Guattari keinen Nachteil, da sie sich, wie andere zu dieser Zeit auch, von der Dominanz des Autors zu befreien versuchten. Aus heutiger Sicht ist ihre Herangehensweise in dieser Form für die Kunstwissenschaft nicht mehr in vollem Umfang tragbar, doch verzichten muss man auf die Vorteile der rhizomatischen Struktur deshalb nicht. Bourriaud entwickelt auf der Basis von Deleuze und Guattari das Modell des Radikanten, wiederum ein botanischer Begriff, der Pflanzen beschreibt, die nicht aus einer Wurzel ihren Halt nehmen, sondern, so wie Efeu, sich mit Häkchen an vielen Stellen der Oberfläche festhalten.22 Der Radikant unterscheidet sich von dem Rhizom dadurch, dass er die Frage nach dem Subjekt wieder aufgreift und die Strecken des wurzellosen Umherwanderns nachzeichnet.23 Mit der Metapher des Radikanten wird die Subjektgeschichte des Kunstschaffens geschrieben, wohingegen das Rhizom eine Objektgeschichte zum Ziel hat. Für die Motivtypologisierung ist das Rhizom weitaus besser geeignet, doch Bourriauds Modell kann bei der Bewegung zwischen den Werken von großer Hilfe sein, da er in Erinnerung ruft, dass der künstlerische Prozess stets als »dialogische oder intersubjektive Erzählung«24 verstanden werden sollte. Die Prinzipien des Rhizoms werden auch formalen Einfluss auf die Textgestaltung haben: Jedes Kapitel trägt eine Überschrift, die dem Motiv der verborgenen Körperpräsenz im Werk des jeweiligen Künst22 | Vgl. Bourriaud 2009, S. 51. 23 | Vgl. Bourriaud 2009, S. 56. 24 | Bourriaud 2009, S. 56.

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lers zumindest eine grobe Richtung gibt; die Unterkapitel erscheinen in der Form eines Werkindexes. Jeder weitere Titel und jeder Versuch der thematischen Pointierung widerspräche der rhizomatischen Methodik im Kern, da man sich nicht einerseits gegen Essentialismus wenden und andererseits ein Inhaltsverzeichnis mit resümierenden Reduktionen versehen kann. Der informative Blick in das Inhaltsverzeichnis bleibt verwehrt, doch dieser vermeintliche Einschnitt wird sich hoffentlich als Bereicherung erweisen. Zwei Menschen bin ich im besonderen Maße dankbar: Frau Prof. Dr. Ursula Frohne bestärkte mich in den vergangenen drei Jahren immer wieder und gab mir Vertrauen in die eigene Arbeit. Ihre Vorlesungen spornten mich an und zeigten mir neue Perspektiven des wissenschaftlichen Arbeitens. Die Forschung von Frau Prof. Dr. Antje von Graevenitz ebnete entscheidende thematische Wege. Auch in schwierigen Phasen fand sie immer die richtigen Worte und ermutigte mich zum Durchhalten. Nicht weniger dankbar bin ich meinen Eltern und meiner Familie, die seit Beginn des Studiums an mich geglaubt und mich bedingungslos unterstützt haben. Nicht gegangen wäre es ohne Charlotte Kraft, Vera Eberl und Philipp Goldbach, auf deren Freundschaft ich mich stets verlassen konnte und die sich der mühsamen Textkorrektur widmeten. Lotte und Juno akzeptierten in bewundernswerter Weise, dass die verborgenen Präsenzen zu ständigen Begleitern unseres Lebens wurden.

Einleitung

Einige historische Motivbeispiele verborgener Körperpräsenzen sind fester Bestandteil des Bildgedächtnisses der westlichen Kultur und können daher nicht nur zu einzelnen Werken oder Künstlern in Beziehung gesetzt werden. Es handelt sich dabei meist um religiöse und mythologische Bilder, die, selbst in der positivistisch geprägten Moderne, noch fest verankert sind und im Geist der vier Künstler präsent gewesen sein müssen. Die Frage nach der Qualität ihrer Präsenz ist dabei nebensächlich. Die kulturelle Bedeutung der Bibel beispielsweise ist so groß, dass, völlig unabhängig von der religiösen Gesinnung des Einzelnen, die Kenntnis der bekanntesten Erzählungen unterstellt werden darf. Allgemein bestimmende Motive werden an dieser Stelle einleitend zum gesamten Werkkorpus in Beziehung gesetzt, um den Einzelanalysen einen gemeinsamen Horizont voranzustellen. Nach der Kreuzigung Jesu, so berichtet Matthäus, kam noch am selben Abend Josef aus Arimathäa zu Pilatus und bat darum, den Leichnam beerdigen zu dürfen. Pilatus stimmte zu und Josef nahm den toten Körper, den er in ein Leichentuch gewickelt zu seinem Grab brachte, das er mit einem schweren Stein verschloss. Die Priester und Pharisäer ließen Wachen vor dem Felsengrab aufstellen, da sie befürchteten, der Körper von Jesus, der angekündigt hatte, von den Toten aufzuerstehen, könne geraubt werden. Nach drei Tagen der verborgenen Präsenz im Grab erschien ein Engel des Herrn, rollte den Stein beiseite, und der Erweckte machte sich auf den Weg nach Galiläa.1 Eine prophetische Ankündigung des Motivs findet sich im alten Testament: Meist folgt die verborgene Präsenz auf eine Art von Kri1 | Vgl. Mt 27,57-28,10.

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sensituation, wie im Falle der Kreuzigung, doch der wahrhaft Glaubende wird von Gott aus der Gefangenschaft stets wieder befreit. Josef, jüngster und liebster Sohn Jakobs, wurde von seinen Brüdern beneidet, weshalb sie ihn eines Tages in eine Zisterne warfen. Vorbeiziehende Kaufleute fanden Josef und verkauften ihn an den Hofbeamten Potifar in Ägypten. Seinem neuen Herrn war er ein treuer Untergebener, und so verdiente er sich großes Vertrauen. Nachdem er sich gegen die anhaltenden Begierden der Hausherrin lange Zeit erfolgreich gewehrt hatte, ersann die Zurückgestoßene einen Plan, der ihn erneut in Gefangenschaft führte. Im Gefängnis genoss er die Gunst des Verwalters und wurde schließlich, da er sich mit Traumdeutungen einen Namen gemacht hatte, an den Hof des Pharaos geholt.2 Josefs Weg führte zweimal in die verborgene Präsenz der Gefangenschaft. Auf die Befreiung durch Gottes Fügung folgte jeweils die Bereicherung seines Lebens. Das Motiv der verborgenen Präsenz des Körpers ist in den biblischen Erzählungen in eine dreistufige Initiationsstruktur eingebunden – Krise oder Verirrung; verborgene Präsenz; Reinigung, Läuterung und Bereicherung des früheren Zustands. Eine vergleichbare Struktur zeigt die Geschichte von Jona, den Gott nach Ninive schickte, um dort seine Strafen anzukündigen. Um dem Auftrag Gottes zu entkommen, bestieg er ein Schiff nach Spanien, das von einem schweren Sturm erfasst wurde. Jona, der Grund für das Unwetter war, hielt die Seeleute dazu an, ihn ins Meer zu werfen, um das Wetter zu beruhigen. Der Herr schickte daraufhin einen Wal, der ihn verschlang und in dessen Bauch er drei Tage und drei Nächte ausharrte. Nach Gebeten und Beteuerungen, dass er von nun an den Befehlen gehorchen wolle, brachte das Tier ihn an Land, und er machte sich auf den Weg nach Ninive.3 Das Matthäus-Evangelium stellt diese Geschichte in direkten Zusammenhang mit der Grablegung Christi: »So wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Seeungeheuers war, so wird auch der Menschensohn drei Tage und drei Nächte in der Tiefe der Erde verborgen sein.«4 Die drei biblischen Berichte, denen noch andere hinzugefügt werden könnten, belegen, dass der Weg zu Läuterung und Reinigung religionsgeschichtlich über den Rückzug in einen abgeschlossenen Raum führt, der Ort 2 | Vgl. Gen 37-41. 3 | Vgl. Jona 1-4. 4 | Vgl. Mt 12,40.

E INLEITUNG

für Wahrheit und Erkenntnis ist. Das Motiv der verborgenen Präsenz des Körpers ist biblisch eindeutig konnotiert, wurde von den Künstlern im 20. Jahrhundert rezipiert und durch neue Verbindungslinien anderen Bedeutungshorizonten geöffnet. Auch im altägyptischen Ritual der Mumifizierung findet sich ein historisches Vorbild, das in enger Verbindung zu einer Läuterungsidee steht. Man glaubte an ein Weiterleben nach dem diesseitigen Tod, konservierte die Körperhülle für den Weg in das Jenseits und gab den Toten sogar Nahrungsmittel und Möbel für die Reise mit auf den Weg. Im christlichen Glauben herrscht dagegen die dualistische Vorstellung einer Trennung von Körper und Geist. Der sterbliche Körper verfällt und nur die Seele steigt zu ewigem Leben auf. Das christliche Motiv der verborgenen Körperpräsenz dominiert die Vorstellung einer symbolischen Reinigung des Geistes, während die altägyptische Mumifizierung eine physische Konservierung beabsichtigt. Ungeachtet der Bedeutungsdifferenzen prägte der Mumienkult auch die westliche Motivgeschichte entscheidend. Dieser Umstand ist vielleicht auch dadurch erklärbar, dass mumifizierte Körper in völkerkundlichen Museen oder zuvor in privaten Kabinetten durch ihre physische Anwesenheit eine starke Anziehungskraft ausübten. Das Verbergen des Körpers als Stadium eines zyklischen Prozesses ist Grundlage alchemistischen Gedankenguts und hat auch dort geistige Reinigung und Läuterung zum Ziel. Den ägyptischen Gott Thaut (auch Thot, Thoth oder Theot), der den Menschen Zahl, Schrift, Wissenschaft und Kunst gebracht haben soll, identifizierten die Griechen mit Hermes Trismegistos. Ihm wurden die Bücher des Hermes Corpus Hermeticum zugeschrieben, in denen sich zahlreiche fragmentarische Texte astrologischen, theologischen und philosophischen Inhalts finden lassen.5 Hermes Trismegistos, Schutzpatron der Alchemisten, begleitet die Seelen nach dem tatsächlichen oder symbolischen Tod durch das Reich der Schattenwelt zu ihrem bleibenden Aufenthaltsort.6 Die allegorischen Darstellungen des alchemistischen Wandlungsprozesses wurden häufig wörtlich genommen, wodurch Hermetik in der breiten Öffentlichkeit nicht selten zur bloßen Goldmacherkunst degradiert wurde. Die Ursprünge der Hermetik liegen 5 | Vgl. Mittelstraß, Jürgen (Hg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 2, Stuttgart 2004, S. 90. (A) 6 | Vgl. Seegers, Ulli: Alchemie des Sehens. Hermetische Kunst im 20. Jahrhundert. Antonin Artaud, Yves Klein, Sigmar Polke, Köln 2003, S. 47. (A)

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vermutlich in vorchristlicher Zeit, und ihre Tradition setzt sich, meist abseits der anerkannten Wissenschaften, bis in die Moderne fort. Zutiefst mit christlicher Theologie und antiker Mythologie verwoben, ist sie heutzutage fester Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses. Das alchemistische Elixier bzw. der Stein der Weisen wurde nur durch Mythenbildung zum angeblich existierenden Objekt. Für ernsthafte Hermetiker war es dagegen immer ein Symbol der menschlichen Vernunft auf der Suche nach innerer Reinigung und Läuterung. Die Ursprünge der hermetischen Philosophie vermutet von Lippmann im antiken Mithras-Kult: Der Weg zur geistigen Vollendung führt über den Abstieg der Seele in die Unterwelt zu ihrem anschließenden Aufstieg zum Sonnenlicht.7 Über Jahrhunderte ließ sich die Literatur, die ihrerseits zum Gegenstand künstlerischer Beschäftigung wurde, von den Motiven der mythologischen Vorlagen inspirieren. So beschreibt Dantes La Divina Commedia die Reise des Protagonisten, der sich im Wald verirrt – Bild für die Krise zu Beginn der Initiation – und dessen Weg zur Läuterung über eine Höllenfahrt führt. Dantes Reise in die Unterwelt steht in direktem Zusammenhang mit der Höllenfahrt Christi bzw. seiner verborgenen Präsenz im Höhlengrab. Auf die Frage des Ich-Erzählers, ob je einer von dieser Reise zurückgekehrt und nachher selig geworden sei, antwortet der Begleiter Vergil, dass einst ein Mächtiger gekommen sei, gekrönt mit dem Zeichen des Sieges, der Abel, Noah, Moses, Abraham, David und weitere herausgeführt und diese selig gemacht habe.8 Im Sommer des Jahres 1936 erschien Salvador Dalí anlässlich einer Rede, die er bei der International Surrealist Exhibition in London halten wollte,9 in einem Helmtauchgerät, das heißt bekleidet mit Taucheranzug, Helm und Bleischuhen (Abb. 1). Das Publikum, dem ein Vortrag zum Thema der paranoisch-kritischen Methode angekündigt war, konnte erleben, wie Dalí in dieser merkwürdigen Verkleidung die Bühne betrat, nach kurzer Zeit vor dem Mikrophon kollabierte und durch den engagierten Einsatz Galas und eines befreundeten 7 | Vgl. Lippmann, Edmund Oskar von (Hg.): Entstehung und Ausbreitung der Alchemie, Frankfurt 1954, S. 98. (A) 8 | Vgl. Alighieri, Dante: Die Divina Commedia (Orig. La Commedia, vollendet vor 1321), in deutscher Übersetzung von Georg Peter Landmann, Würzburg 1997, (4. Gesang) S. 13. (A) 9 | Vgl. Cowles, Fleur: Salvador Dali. Die Biographie (Orig. The Case of Salvador Dali, London 1959), München, Wien 1981, S. 120-121. (A)

E INLEITUNG

Sammlers gerettet werden konnte. Es ist nicht anzunehmen, dass Dalí sich zum damaligen Zeitpunkt bewusst war, dass er mit diesem Auftritt das Motiv der verborgenen Präsenz des Künstlers im 20. Jahrhundert entscheidend prägen würde, doch erkannte er früh, dass die »Exzentrik dieses Vortrags« große Wirkung hatte.10 Eine ähnlich ungewöhnliche Darbietung gab er während einer Pressekonferenz in Rom im Jahr 1954, als er die wartende Menge überraschte und aus einem Würfel stieg (Abb. 2). Beide Aktionen bezeugen Dalís Gespür für den publikumswirksamen Auftritt, doch sowohl die Wahl des Helmtauchgeräts als auch des Würfels waren nicht beliebig, da sie vor dem Hintergrund des inhaltlichen Zusammenhangs der jeweiligen Ausstellungen gesehen werden müssen. In der im Jahr 1942 verfassten Autobiographie erwähnt Dalí seine Erinnerungen an die Zeit im Mutterleib.11 Eine Auseinandersetzung mit der pränatalen verborgenen Präsenz bezeugt auch die im selben Jahr entstandene Photographie Dalí im Ei (Abb. 6), die den Künstler nackt und in embryonaler Krümmung im Inneren eines Eies zeigt. Seine theoretische Behandlung des Motivs der verborgenen Präsenz legt nahe, schon seinen Auftritt in London nicht vornehmlich als provokative Geste zu verstehen, doch nur die Analyse des Motivs im Gesamtwerk verspricht Aufschluss über die vielschichtigen künstlerischen Auseinandersetzungen zu geben. Aus dem Jahr 1962 stammt eine Photographie, die den Künstler in ein Leinentuch gehüllt in den Felsen am Cap de Creus, der Bucht vor seinem Haus, zeigt (Abb. 7). Das Eingewickeltsein in ein Tuch brachte Dalí mit dem schutzgebenden Verborgensein in der Gebärmutter in Zusammenhang und demonstrierte so die enge Verbindung zu seiner Heimat, in die er immer wieder zurückkehrte.12 Das Gemälde La gare de Perpignan (1965) (Abb. 9) gehört zu den bekanntesten und zugleich komplexesten Arbeiten des Künstlers: Seine Eltern, Gala, Christus, die Kunst, prägende Bilder der Kindheit und die Sexualität werden hier thematisch verknüpft, doch die Darstellung einer verborgenen Präsenz des Körpers ist nicht erkennbar. Die Lektüre seines Buches Le mythe tragique de l’Angélus de Millet: interprétation »paranoïaque-criti-

10 | Vgl. Dalí, Salvador: Das Geheime Leben des Salvador Dalí (Orig. The Secret Life of Salvador Dali, New York 1942), München 1984, S. 424-425. (T) 11 | Vgl. Dalí 1984, S. 41-47. 12 | Vgl. Dalí 1984, S. 44.

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que«13 macht deutlich, dass die verborgene Präsenz nicht nur wesentliches Thema dieses Bildes, sondern auch ein entscheidendes Motiv des Gesamtwerks ist. Sein Auftritt im Taucheranzug ereignete sich anlässlich einer Rede zur paranoisch-kritischen Methode; das Gemälde La gare de Perpignan, das beinah dreißig Jahre später entstand, ist malerisches Resultat seiner paranoisch-kritischen Analyse des Bildes L’angélus/Das Abendläuten (1857/1859) von Jean-François Millet, das ihn wahnhaft seit seiner Kindheit verfolgte. Ein Verständnis für den Stellenwert des Motivs in Dalís Gesamtwerk setzt eine sorgfältige Untersuchung der Verbindung von künstlerischer Methode und verborgener Präsenz voraus. In den 1940er Jahren zeigen sich in den Zeichnungen von Joseph Beuys vermehrt von zarten Hüllen umgebene Figuren. Bei Mädchenfigur mit Gefäßformen (1947) (Abb. 11) beispielsweise wird eine weibliche Figur von einer Art schützenden Membran umgeben, und nicht selten bringt der Künstler diese Darstellungen der verborgenen menschlichen Figur mit tierischen und pflanzlichen Wachstumsund Wandlungsprozessen in Verbindung. Formale Verwandtschaft der Zeichnungen mit den Tafelzeichnungen Rudolf Steiners, Titel wie Entpuppung des Schmetterlings (1950) (Abb. 13) und Initiation (1953) (Abb. 14) und nicht zuletzt die intensive Lektüre des Künstlers der maßgeblichen naturwissenschaftlichen und theosophischen Literatur legen nahe, dass das Motiv der verborgenen Präsenz des Körpers für ihn in enger Verbindung zur tierischen und menschlichen Metamorphose stand. Dieser thematische Schwerpunkt der Zeichnungen ist in der Literatur zufrieden stellend bearbeitet worden, zu untersuchen bleibt vor allem die Verbindung des Motivs zu den plastischen Arbeiten und Aktionen späterer Jahre. Mit Gummierte Kiste (1957) (Abb. 16), einer mit Gummi und Teer bearbeiteten, schwarzen Holzkiste, schien Beuys formal Arbeiten der Minimal Art vorwegzunehmen, doch schon die Materialbeschaffenheit zeigt, dass seine Kiste wenig mit der kühlen Objekthaftigkeit der amerikanischen Kunst zu tun hatte. Düster, marode, dreckig und unansehnlich wirkt sie, und Beuys erklärte diese Düsterheit mit seiner psychischen Verfassung. Sein Wunsch nach physischer Isolation fand zu dieser Zeit verschiedene Ausdrucksformen: Er zog sich wochen-

13 | Dalí, Salvador: Le mythe tragique de l’Angélus de Millet: interprétation »paranoïaque-critique«, Paris 1963. (T)

E INLEITUNG

lang einsam in die Wohnung eines Freundes zurück,14 dann wollte er sich in Tibet einmauern lassen15 oder sich in eine Kiste setzen und diese zunageln lassen.16 Immer wieder scheint er sich Mitte der 1950er Jahre mit seinen frühen Zeichnungen und der Bedeutung des Motivs der verborgenen Präsenz des Körpers für die Metamorphose aller Lebewesen beschäftigt zu haben. Rückzug, Bewegungslosigkeit, Verpuppung, Isolation und Dunkelheit werden meist als Zeichen der resignativen Passivität gedeutet, Beuys hingegen erkannte die Aktivität hinter der nur äußerlichen Ruhe. Im Jahr 1964 wickelte er sich während der Aktion Der Chef The Chief (Abb. 18) in eine Filzrolle und verharrte über mehrere Stunden bewegungslos in verborgener Präsenz. Ohne die Betrachtung seiner zeichnerischen Auseinandersetzung mit dem Motiv ist die komplexe Raumanordnung kaum zu verstehen, und vielfach erschöpfen sich die Analysen in der zusammenhangslosen Aufzählung einzelner Requisiten. Vielmehr gilt es jedoch, die verborgene Präsenz des Künstlers und die räumliche Anordnung hinsichtlich der Vorstellung eines metamorphischen Wandels zu untersuchen. Im Jahr 1974 wickelte Beuys sich, wie in Berlin anlässlich einer Ausstellung der Galerie Block, bei I like America and America likes Me (Abb. 21) erneut in eine Filzbahn. Die Aktionen verbinden einige Parallelen – verborgene Präsenz im Filz, die Anwesenheit von Tieren, die Anordnung der Räumlichkeiten, der Galerist René Block, der Einsatz von akustischen Elementen etc. –, der Blick sollte sich jedoch vor allem auf die deutlichen Unterschiede richten. Dauerhaft verborgen war Beuys in New York nur, als man ihn mit einem Krankenwagen und in eine Filzrolle gewickelt zur Galerie fuhr. Dort angekommen bestand seine Aktion in einem sich wiederholenden Prozess des Verbergens und Entbergens. In Berlin widmete er seine ganze Konzentration der isolierten Versenkung, in New York dem Kojoten, der mit ihm den Galerieraum für einige Tage teilte. Die Untersuchung will einerseits dem 14 | Vgl. Stachelhaus, Heiner: Joseph Beuys, Düsseldorf 1987, S. 63. (A) 15 | Vgl. Beuys zitiert nach: Joseph Beuys. Zeichnungen 1947-1959 I. Gespräch zwischen Joseph Beuys und Hagen Lieberknecht. Geschrieben von Joseph Beuys, Köln 1972, S. 12. (T) 16 | Erwin Heerich in einem Interview mit Moritz Pickshaus (1986), in: Joseph Beuys – »Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung«, unveröffentlichtes Typoskript zu einem Radiobeitrag, WDR 3, 02.03.1987. Moritz Pickshaus danke ich für die freundliche Bereitstellung seines Typoskripts. (T)

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sehr heterogenen Einsatz des Motivs im Verlauf des Gesamtwerks und andererseits der thematischen Stringenz nachgehen, durch die die Zeichnungen, plastischen Arbeiten und Aktionen von Beuys verbunden sind. Gerade während der 1960er Jahre zeichneten sich in den Werken von Joseph Beuys und Robert Morris parallele Entwicklungen ab, die vor allem formaler Natur waren. Während Beuys sich im Jahr 1964 bei Der Chef The Chief noch um eine Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Kollegen bemühte,17 so überwogen in späteren Jahren eher die Versuche der gegenseitigen Abgrenzung. Deutliche Differenzen in der künstlerischen Auffassung zeigt beispielsweise Box with the sound of its own making (1961) (Abb. 22), eine Holzkiste von ca. 23 cm Seitenlänge, in deren Inneren ein Tonband die Geräusche der handwerklichen Herstellung in voller Länge abspielt. Morris verbarg sein akustisches Körperabbild in der Box, da er selbst die Kiste in dreistündiger Arbeit gezimmert hatte, widersetzte sich dem Psychologismus der Kunst und, durch die Betonung der handwerklichen Produktion, der Auratisierung des Objekts. Von besonderem Interesse wird die Untersuchung seines Verhältnisses zur zeitgenössischen Tanz- und Theaterszene in San Francisco und New York sein, da beispielsweise seine Performance Column (1962) nur vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in diesen Bereichen zu verstehen ist. Auf einer New Yorker Theaterbühne platzierte Morris eine 2,45 m hohe Sperrholzsäule, in der er sich bei einer Aufführung verstecken und die er durch seine Körperbewegungen zu Fall bringen wollte. Das Vorhaben konnte nur bei der Generalprobe umgesetzt werden, da der Künstler sich so schwer verletzte, dass er während der Aufführung im Krankenhaus lag. Wie bei Box with the sound of its own making zeigte sich die Thematisierung des Verhältnisses von Publikum und Raum, die Betonung künstlerischer Prozesse und seine radikale Ablehnung jeglicher Fiktionalität. I-Box (1962) (Abb. 26), eine weitere Körperbox von Morris, ist eine 48 cm hohe Sperrholzkiste, aus deren Frontseite er den Großbuchstaben »I« aussägte und ihn als Tür wieder einsetzte. Hinter der Tür verbirgt sich die Photographie des nackten Morris, der im Verborgenen der Kiste grinst. Die zeitliche Nähe der drei von Robert Morris hier untersuchten Arbeiten deutet darauf hin, dass das 17 | René Block in einem Gespräch mit Uwe M. Schneede (1988), in: Schneede, Uwe M.: Joseph Beuys. Die Aktionen. Kommentiertes Werkverzeichnis mit fotografischen Dokumentationen, Ostfildern-Ruit 1994, S. 69. (A)

E INLEITUNG

Umfeld der frühen 1960er Jahre in New York einen besonders fruchtbaren Boden für das Motiv der verborgenen Präsenz des Körpers geboten haben muss. Eine Betrachtung des künstlerischen Umfelds verspricht lohnende Einblicke in seine Motivfindungen. Bis in die späten 1960er Jahre arbeitete Vito Acconci mit verschiedenen Formen der experimentellen Dichtung; sein Schreiben befreite er von Fiktionalität und symbolischen Gehalten bis zu einem Punkt, an dem es allein um die Anordnung von Zeichen auf dem Papier ging. Buchstaben bewegten sich frei im Raum, und die Auflösung der Grenze zwischen Dichtung und schreibendem Körper kündigte seine selbstreflexiven Aktionen der frühen 1970er Jahre an. Der Film Digging Piece (1970) (Abb. 27) beispielsweise dokumentiert den Versuch des Künstlers, sich mit der Kraft seiner Beine in den Meeressand einzugraben. Es ist eine für Acconci typische Körperarbeit, mit der er seine Aktionsmöglichkeiten im Raum testete und die eine beinahe autistische Abkapselung von der Außenwelt kennzeichnet. Die strukturelle Erforschung der verschiedenen Ausstellungsinstitutionen war eines der Hauptthemen des Künstlers. Auf der einen Seite wollte Acconci sich nicht mit der Objekthaftigkeit und Kommerzialisierung des Kunstbetriebs arrangieren, auf der anderen Seite aber auch nicht als Künstler selbst zum Objekt im Kunstraum werden: Bei 35 Approaches (1979) (Abb. 29) hinterließ er Haare, Nägel, Blut, Sperma sowie andere Körperprodukte im Ausstellungsraum und adressierte Briefe an das ihm unbekannte Publikum; bei Claim (1971) (Abb. 32) zog er sich, während man auf seine Performance wartete, in den dunklen Kelleraufgang des Gebäudes zurück und warnte per Monitor davor, ihn an seinem Zufluchtsort aufzusuchen; bei Seedbed (1972) (Abb. 35) ließ er eine Holzrampe in den Galerieraum bauen, unter der er während der Öffnungszeiten masturbierte. Selten begegnete er dem Publikum, doch immer war er in der einen oder anderen Form verborgen präsent. Bezeichnend für seine verborgenen Präsenzen ist, dass er den Kontakt zu den Besuchenden hielt, und so wird es bei Acconci nicht zuletzt auf die Analyse der verschiedenen Interaktionsformen ankommen.

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1 Salvador Dalí – Unternehmungen zwischen theatralischer Inszenierung und mystischer Erhöhung »Ich vermute, daß meine Leser sich überhaupt nicht oder doch nur sehr undeutlich an die höchst wichtige Zeit ihres Daseins erinnern können, die vor ihrer Geburt lag und im Leib ihrer Mutter sich abspielte. Aber ich – ja, ich erinnere mich an diese Zeit, als sei es gestern. Aus diesem Grund schlage ich vor, das Buch über mein geheimes Leben mit dem wirklichen, authentischen Anfang zu beginnen, nämlich mit den so seltenen und zugleich flüssigen Erinnerungen, die ich mir von diesem intrauterinen Leben bewahrt habe […].«1

Dalí beginnt die anekdotische Autobiographie, die er während des Zweiten Weltkriegs in den USA verfasste, mit seinen frühesten Erinnerungen, die er angeblich in verborgener Präsenz bereits im Mutterleib sammelte. Diese pränatale Phase war für ihn der paradiesische Urzustand, aus dem er durch das Trauma der Geburt herausgerissen wurde.2 Die verborgene Präsenz des Körpers steht bei Dalí einerseits im Zusammenhang mit ganzheitlichen Regressionsvorstellungen, die sich auch in Phänomenen wie der embryonalen Krümmung während des Schlafes ausdrücken. Andererseits trat Dalí bei mindestens zwei öffentlichen Anlässen in verborgener Präsenz auf und erzielte durch die Verbindung von körperlichem Rückzug und öffentlicher 1 | Dalí, Salvador: Das Geheime Leben des Salvador Dalí (Orig. The Secret Life of Salvador Dali, New York 1942), München 1984, S. 41. (T) 2 | Vgl. Dalí 1984, S. 42.

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Exponierung ein Interesse an seiner Person, das nur wenigen Künstlern vor ihm zuteilwurde.

1.1 D ALÍ IM TAUCHERANZUG , L ONDON (1936) Anlässlich eines geplanten Vortrags im Rahmen der International Surrealist Exhibition am 01. Juli 1936 in den New Burlington Galleries von London inszenierte Dalí erstmals öffentlich das Verbergen seines Körpers (Abb. 1). Während der vorangegangenen zwei Ausstellungswochen sprachen an gleicher Stelle die prominenten surrealistischen Mitstreiter André Breton und Paul Éluard sowie Herbert Read und Hugh Sykes Davies.3 Dalí hatte als Abschlussredner eine Einführung in seine paranoisch-kritische Methode angekündigt, lieferte aber stattdessen die hier zu untersuchende Aktion. Es ist anzunehmen, dass er für diesen Abend von Beginn an keinen theoretischen Vortrag im traditionellen Sinne vorgesehen hatte, sondern sich vor internationalem Publikum als zentrale Figur der surrealistischen Bewegung inszenieren wollte. Rückblickend erweist sich diese Strategie als erfolgreich, da über siebzig Jahre nach der Londoner Ausstellung kaum noch über die Inhalte der Vorträge gesprochen wird, seine Rede im Taucheranzug jedoch zum festen Bestandteil anekdotischer Künstlermythologisierung geworden ist. Früh erkannte er das große Potenzial dieses Ereignisses und vermittelte seine Sicht der Geschehnisse im Jahr 1942 in der Autobiographie. Die im Alter von 37 Jahren verfasste Schrift brachte die Mythenbildung um seine Person in gewünschte Bahnen, und noch heute beruft sich ein Großteil der biographischen Dalí-Literatur auf diese Publikation als einzig authentische Quelle.

3 | André Breton, Maße, nicht Grenzen des Surrealismus; Paul Éluard, Surrealistische Dichtung; Herbert Read, Die Kunst und das Unbewusste; Hugh Sykes Davies, Biologie und Surrealismus. Vgl. Cowles, Fleur: Salvador Dali. Die Biographie (Orig. The Case of Salvador Dali, London 1959), München, Wien 1981, S. 120-121. (A)

S ALVADOR D ALÍ

Abb. 1: Salvador Dalí bei der International Surrealist Exhibition, London 1936. Mit Paul Éluard, Nusch Éluard, E.L.T. Messens (unten); Rupert Brinton Lee und seine Frau Diana (oben). Als Lord Berners im Vorfeld einen Taucheranzug mit Helm mieten wollte, soll er am Telefon von einem Mitarbeiter der Herstellerfirma gefragt worden sein, bis zu welcher Tiefe Herr Dalí gehen wolle. Der Lord, so Dalí, soll geantwortet haben, der Künstler werde bis in das Unbewusstsein hinuntergehen und danach wieder auftauchen.4 Zur Vorbereitung seines Vortrags halfen ihm Freunde und ein Monteur der Herstellerfirma in den Anzug mit schweren Bleifüßen und befestigten den Helm. Unfähig zur selbstständigen Bewegung, so Dalí, habe man ihn, begleitet von zwei weißen russischen Wolfshunden und einem Billardqueue in der Hand, auf die Bühne vor ein Mikrophon geführt. Erst dort angekommen habe er festgestellt, dass das Glas des Helms eine Rede nicht erlaube und er ohnehin aufgrund der Anstrengung, der Hitze und des Sauerstoffmangels am Rande einer Ohnmacht stehe. Daraufhin sollen Gala5 und der Sammler Edward

4 | Vgl. Dalí 1984, S. 424. 5 | Dalí sah in Gala seine Lebensretterin und bezeichnete sie als Gradiva, womit er sich auf Freuds psychoanalytische Untersuchung der gleichnamigen Novelle Wilhelm Jensens bezog. Vgl. Freud, Sigmund: Der Wahn und die Träume in W. Jensens Gradiva (Orig. Der Wahn und die Träume in W. Jensens Gradiva, in: Freud, Sigmund (Hg.): Schriften zur angewandten Seelenkunde, Heft 1, Leipzig, Wien 1907), in: Bildende Kunst und Literatur, hg. von

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James die Scheibe des Helms mit einem Hammer zerbrochen und ihn vor dem Ersticken gerettet haben.6 In der Annahme vermeintlich autobiographischer Fakten darf nicht übersehen werden, dass Dalís Schrift ausdrücklich wahre und falsche Erinnerungen7 beinhaltet und der Künstler so die Grenze zwischen authentischer Biographie und inszenierter Künstlerpersönlichkeit aufhob. Mit dem Einbezug falscher Erinnerung erzielte er eine Aufwertung des Subjektiven gegenüber dem vermeintlich Faktischen und verwies auf die Bedeutung autobiographischer Konstruktion. Er selbst könne, so Dalí im folgenden Zitat, nur aufgrund des Unwahrscheinlichkeitsgrades zwischen wahren und falschen Erinnerungen unterscheiden, sodass sich die Frage stellt, inwieweit die Kategorie wahr/falsch für Dalí überhaupt aufrechterhalten werden kann. Die Autobiographie, beliebtes Instrument kunstwissenschaftlicher Werkinterpretation, wurde bei ihm zum integrativen Bestandteil der Kunst. Eine Unterscheidung zwischen künstlerischer Fiktivität und biographischer Faktizität ist rückblickend weder möglich noch nötig, da einzig die Künstlerpersönlichkeit ausschlaggebend ist. »Der Unterschied zwischen falschen und wahren Erinnerungen ist derselbe wie bei Juwelen: Es sind immer die falschen, die am echtesten, am brillantesten wirken. Zu dieser Zeit war mir bereits eine Szene im Gedächtnis, die aufgrund ihrer Unwahrscheinlichkeit als meine erste falsche Erinnerung gelten muß. Ich betrachtete ein nacktes Kind, das gewaschen wurde; an sein Geschlecht erinnere ich mich nicht, aber ich sah auf einer seiner Pobacken einen furchtbaren, wimmelnden Ameisenschwarm […]. Mein Gedächtnis hat das Ganze in eine solch homogene, unzerstörbare Masse zusammengeschweißt, dass nur eine kritisch-objektive Untersuchung gewisser Ereignisse, die zu absurd oder offensichtlich unmöglich sind, mich dazu nötigt, sie als authentische falsche Erinnerungen zu betrachten.« 8

Für die folgenden Überlegungen ist weniger die Be- oder Widerlegbarkeit autobiographischer Konstruktion, sondern vielmehr das Ergebnis der künstlerischen Selbstinszenierung ausschlaggebend. Ersichtliche Mitscherlich, Alexander u.a., Studienausgabe Bd. X, Frankfurt a.M. 1989, S. 9-85. (A) 6 | Vgl. Dalí 1984, S. 424-425. 7 | Vgl. Dalí 1984, S. 51ff. 8 | Dalí 1984, S. 56.

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Differenzen zwischen Konstruktion und belegter Biographie versprechen nur dann verwertbare Erkenntnisse zu liefern, wenn diese bewusst konstruierte Differenz die Absicht des Künstlers offenbart, tatsächliche Begebenheiten in modifizierter Form zu veröffentlichen. Ziel dieser künstlerischen und künstlichen Synthese ist die Schaffung einer Metaerzählung, die Werk und Biographie in einem übergeordneten Zusammenhang verbindet. Die Einsicht, dass Künstler nicht selten ihre eigene Person mit Hilfe von vermeintlich biographischen Fakten in ein besonderes Licht rücken, stellt kein Dalí’sches Novum dar. Interessant ist aber die Art, wie dieser die eigenen Konstruktionen offen preisgibt, wo doch andere stets darum bemüht waren, die Authentizität ihrer Berichte hervorzuheben. An jenem Abend in London kündigte Dalí eine Rede zum Thema der paranoisch-kritischen Methode an, mit der er seine falschen Erinnerungen und irrationalen Bildwahrnehmungen kritisch-objektiv analysieren wollte. Es bleibt zu untersuchen, mit welcher Berechtigung seine Schilderung der Ereignisse als falsche Erinnerung bezeichnet werden kann, die er zur Steigerung der Dalí’schen Mythologie instrumentalisierte. Während der von ihm dramatisch beschriebenen Umstände trug Dalí ein Helmtauchgerät der Firma Dräger,9 das in der Literatur bisher als Taucheranzug bezeichnet wird, ohne dass diesbezüglich weitere Nachforschungen angestellt wurden. Zu dieser Zeit bot die Firma drei unterschiedliche Modelle an (Typ DM 20, Typ DM 40, Typ Schlauch-Tauchgerät). Die Fabrikate DM 20 und DM 40 waren schlauchlose Tauchgeräte, die mit eigener Sauerstoffversorgung bis zu der Tiefe von 20 bzw. 40 Metern einsetzbar waren. Der Taucher ist beim Tragen eines schlauchlosen Gerätes vollständig von der Außenluft abgeschlossen und würde ohne Beatmung umgehend ersticken. Da Dalí kein Sauerstoffgerät bei sich trug, ist mit Sicherheit zu belegen, dass es sich um ein herkömmliches Schlauch-Tauchgerät handelte. Auch der Händler, der von Lord Berners telefonisch die Information bekam, dass es dem Künstler um die Erkundung des Unbewussten gehe und kein Wassergang geplant sei, hätte kein anderes Gerät gewählt. Dalís Montur, bestehend aus Taucherhelm, Anzug und entsprechenden Gusseisenschuhen, hatte ein Gewicht von annähernd 40 kg, was für den untrainierten Künstler mit Sicherheit 9 | Für die Identifizierung des Helmtauchgeräts und die Bereitstellung des entsprechenden Informationsmaterials danke ich dem historischen Archiv der Firma Dräger.

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eine große körperliche Anstrengung bedeutete. Ein Tod durch Ersticken, dem Dalí nahe gewesen sein will, ist jedoch ausgeschlossen, da über den Anschluss für den Luftschlauch die Sauerstoffversorgung gewährleistet war. Möglicherweise empfand Dalí tatsächlich ein Gefühl der Beklemmung, doch seine Version der Geschichte deutet darauf hin, dass er nachträglich dem Geschehen eine gewisse Dramatik verleihen wollte, deren Exzentrik, wie er es selbst formulierte, der Dalí’schen Mythologie gerecht wurde.10 Einerseits hätte sich wohl der Monteur niemals von einer derart ungewöhnlichen Darbietung entfernt, wenn für Dalí eine Gefahr bestanden hätte, und andererseits existiert die Pressephotographie, die an den Schilderungen zweifeln lässt. Sie zeigt den Künstler in voller Montur mit geschlossenem Helm, ohne Begleitung seiner Hunde, dafür aber ein Glas auf dem Kopf balancierend. Die Aufnahme im Kreise seiner Freunde entstand im Ausstellungsraum und kann daher nicht vor seinem Bühnenauftritt aufgenommen worden sein, da er sich den Überraschungseffekt der Inszenierung verdorben hätte. Vielmehr wird dieses Photo eine Szene der anschließenden Feier zeigen, was die vermeintlich dramatische Befreiungsaktion in einem anderen Licht zeigt. Der angebliche Unfall scheint eher geplante Inszenierung gewesen zu sein, mit der Dalí sich der Schlagzeilen sicher sein konnte. Ein nautischer Unfall im Ausstellungsraum, der auf schlechte Vorbereitung und unüberlegtes Handeln zurückzuführen wäre, hätte zudem nicht zu Dalís sonst peniblen Inszenierungsvorbereitungen gepasst. Über die Beweggründe, die zu der Inszenierung führten, lässt sich nur spekulieren: Sicher ist, dass Dalí sich zum Zeitpunkt der Londoner Surrealistenausstellung bereits deutlich vom Kreis der Pariser Surrealisten entfernt hatte und seine künstlerische Sonderstellung betonen wollte. Eine internationale Ausstellung dieser Größenordnung war wohl zu wichtig, als dass er hätte fernbleiben können; es blieb ihm also die Möglichkeit, sich als Zentrum der Bewegung in Szene zu setzen und das Konzept seiner Kollegen subversiv zu untergraben. Im Rahmen eines kurzen Vortrags hätte er kaum die Grundzüge seiner paranoisch-kritischen Methode vermitteln können, und auch die Form eines Vortrags mag ihm an dieser Stelle zu konventionell erschienen sein. Vergleichbare Selbstinszenierungen finden sich bereits in seinen Kindheitserinnerungen und fügen sich mit der Ak10 | Vgl. Dalí 1984, S. 425.

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tion im Helmtauchgerät in einen übergeordneten Zusammenhang der dramatischen Selbstinszenierung, mit der er die Aufmerksamkeit seines Umfelds konzentrieren wollte. In seiner Autobiographie erinnert er sich an folgende Begebenheiten im Familienkreis: »Ich schrie so sehr vor Wut, daß ich völlig die Stimme verlor. Nachdem ich bemerkt hatte, wie das meine Eltern erschreckte, lernte ich, die Taktik beim geringsten Anlaß anzuwenden. Ein anderes Mal, als ich an einer Fischgräte würgte, erhob sich mein Vater, der dergleichen nicht ausstehen konnte, und verließ, die Hände an den Kopf gepreßt, das Eßzimmer. Danach simulierte ich bei verschiedenen Gelegenheiten die stoßweisen und hysterischen Krämpfe, die ein solches Würgen begleiten, nur um die Reaktion meines Vaters zu beobachten und seine angstvolle, ungeteilte Aufmerksamkeit auf meine Person zu lenken.«11

Diese und ähnliche Kindheitsanekdoten, von denen sich einige in seiner Schrift finden lassen, unterstreichen, dass es keinesfalls abwegig ist, eine gewisse Inszenierung der Dramatik in London anzunehmen. Nein, vielmehr offenbart sich diese Strategie als persönliche und künstlerische Konstante, zu der er sich offen bekennt. Die performative Erkundung des Unbewusstseins hingegen, wie er es angekündigt hatte, widerspricht seiner Idee von Kunst und musste an diesem Abend der offen inszenierten und reflektierten Konstruktion des Mythos Salvador Dalí weichen. Dieser Punkt demonstriert die tiefe Kluft, die sich mit den Jahren zwischen ihm und der surrealistischen Bewegung geöffnet hatte. Dalí arbeitete am Siegeszug surrealistischer Objekte, die sich frei im Raum des Irrationalen entfalten sollten, der Surrealismus suchte hingegen Wege der Zurschaustellung des authentisch Unbewussten. »Ich war entschlossen, mein Schlagwort vom ›surrealistischen Objekt‹ – dem irrationalen Objekt, dem Objekt mit symbolischer Funktion, das ich gegen Traumberichte, automatisches Schreiben usw. vorbrachte – auszuführen und in die Tat umzusetzen. […] Das surrealistische Objekt ist ein vom praktischen und rationalen Standpunkt aus absolut nutzloser Gegenstand, einzig zu dem Zwecke geschaffen, Wahnsinnsideen und -phantasien auf fetischistische Art mit einem Maximum an greifbarer Wirklichkeit zu materialisieren. […] Die Mode surrealistischer Objekte brachte die voraufgegange11 | Dalí 1984, S. 25.

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ne sogenannte ›Traumperiode‹ in Misskredit und trug sie zu Grabe. Nichts erschien jetzt langweiliger, deplacierter und anachronistischer, als seine Träume zu berichten […]«.12

Der legendäre Auftritt im Helmtauchgerät ist somit nicht isoliert von Dalís Verhältnis zu den Akteuren der surrealistischen Bewegung und seiner Auffassung von der Aufgabe der surrealistischen Kunst zu verstehen. Vor dem Hintergrund der hier zitierten Ausführungen zum surrealistischen Objekt verdeutlicht sich das ironische Potenzial seiner Aufführung, das bis heute von der Forschung verkannt wird. Ein Helmtauchgerät ist gewissermaßen surrealistisches Objekt par excellence, da es zwar für die Erkundung von Tiefenzonen konstruiert ist, als symbolisches Objekt jedoch zum nutzlosen Gegenstand wird. Dalí präsentierte einen herkömmlichen Gegenstand, der sich in seiner Nutzungsmöglichkeit unmittelbar erschloss, im Kontext der Kunstausstellung aber symbolische Bedeutung entfaltete. Die Stärke des Objekts lag in der vordergründigen Öffnung psychologischer Deutungshorizonte, die sich dem Ausstellungspublikum unmissverständlich offenbaren konnten. Auf einer anderen Ebene ließ Dalí – und hier liegt ein wesentlicher Grund der Objektwahl – seine Distanz zu der langweiligen und anachronistischen Traumperiode, um seine Worte zu nutzen, anklingen. Die Psyche des Menschen war für ihn kein Gewässer, in das man mit angemessener Ausrüstung eintauchen konnte und das sich wissenschaftlich erforschen ließ. Die These einer Kritik am Psychologismus durch seine Aktion im Helmtauchgerät deckt sich mit Dalís Aussagen und manifestiert sich durch den Einbezug des geplanten Scheiterns seines Tauchgangs in die Sphäre des Unbewussten. Mit der Inszenierung einer gescheiterten Inszenierung konnte er sich sowohl der Aufmerksamkeit des Publikums als auch des Spottes neidvoller Künstlerkollegen sicher sein, die im Missverständnis des Dargebotenen letztendlich ihre eigenen künstlerischen Methoden belächelten. Nur so lassen sich Dalís Auftritt im Sinne einer performativen Erweiterung der surrealistischen Objektidee und die anschließende Zufriedenheit des Künstlers mit dem Ergebnis seiner Teilnahme an der Londoner Ausstellung erklären.

12 | Dalí 1984, S. 384.

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»Das Publikum war größtenteils überzeugt, dies alles gehöre zur Vorstellung, klatschte laut Beifall und war amüsiert über die Pantomime, die wir so realistisch aufführten. Als ich endlich aus dem Taucheranzug herauskam, war jeder von meiner wirklich tödlichen Blässe beeindruckt, die exakt die Dosis Dalischer Dramaturgie darstellte, die auch bei meinen trivialsten Handlungen und Unternehmungen nie fehlt. Ich glaube, daß die Dalische Mythologie, die bei meiner Rückkehr nach New York schon so auskristallisiert war, der starken Exzentrik dieses Vortrages im Taucheranzug sehr viel verdankte […].«13

Aus dem Gros der populärwissenschaftlichen Schriften, die sich der Aktion als Dalí’scher Bürgerschreck bedienen, sticht einzig Peter Sloterdijk heraus, der im Rahmen seines Sphärenprojekts Dalís Scheitern analysiert. Seine zumeist scharfsinnige Kulturtheorie versteht Gesellschaften im sphärologischen Sinne als Schäume und entwirft ein Gesellschaftsmodell, das sich gegen organische Ganzheitsvorstellung wendet.14 Die Untersuchung der Schäume als Agglomeration von Blasen erfolgt als dritter makrosphärischer Beitrag, dem mit dem ersten Band die Mikrosphäre der Blasen vorausging. Da für eine umfassende Klärung der Bedeutung von Dalís Aktion für Sloterdijks theoretisches Mammutprojekt der Raum fehlt, müssen einige Anmerkungen genügen: Laut Sloterdijks Definition handelt es sich bei Schäumen um Luft an unerwarteten Stellen; Orte, die zuvor nicht existierten.15 Schaum ist nicht nur eine Metapher für das Leben jenseits holistischer Theorieansätze, sondern auch die Gesellschaft strukturierende Form. Betrachten wir Dalí in der schützenden Hülle seines Helmtauchgeräts als Blase, mit der er aus dem Bereich des Bewusstseins in das Reich des Unbewussten reist, so erlangen wir erste Annäherungen an Sloterdijks Gedankengang. Dieser sieht das Projekt der Moderne in einer »auto-operativen Rotation«, die Zugang zu allen Bereichen des Verborgenen und Verhüllten sucht. Es ist die Eroberung der Latenz, die Aphänomenales phänomenhaft werden lässt.16 Dalís Aktion fügt sich paradigmatisch in das Sphärenprojekt ein, sofern man, wie Sloterdijk, Dalí als ungewollt Gescheiterten betrachtet. »Die 13 | Dalí 1984, S. 424-425. 14 | Vgl. Sloterdijk, Peter: Sphären, Bd. III. Schäume, Frankfurt a.M. 2004, S. 57. (A) 15 | Vgl. Sloterdijk 2004, S. 28. 16 | Vgl. Sloterdijk 2004, S. 84.

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Szene«, so sagt er, »macht zwei Dinge klar: Der Surrealismus ist ein Dilettantismus, wo er technische Dinge nicht zu ihren Bedingungen einsetzt, sondern symbolisch verwendet.«17 Sloterdijk verkennt aber, dass in diesem Falle programmierter Dilettantismus erst zum eigentlichen Surrealismus im Dalí’schen Sinne wurde und es niemals das Ziel war, »aufsteigende Formen zu den Akten zu nehmen.«18 Natürlich war, wie bereits erläutert, das Helmtauchgerät dingliches Symbol für die Reise in das Unbewusste, doch genauso war das vorgetäuschte Ersticken ein Symbol für das notwendige Scheitern derartiger surrealistischer Projekte. In der verborgenen Präsenz unterwanderte Dalí die Programmatik des Abends und rief am Höhepunkt einer künstlerischen Bewegung ihr Ende aus.

1.2 D ALÍ IM METAPHYSISCHEN WÜRFEL , R OM (1954)

Abb. 2: Salvador Dalí bei einer Pressekonferenz, Palazzo Pallavicini, Rom 1954.

Ganze achtzehn Jahre vergingen nach seinem Auftritt in London, bevor Dalí sich 1954 im Palazzo Pallavicini erneut auf die Wirkung seiner verborgenen Präsenz im Taucheranzug besann. In Rom organisierte man eine Ausstellung, die im Anschluss nach Venedig (Palazzo delle Prigioni) und Mailand (Palazzo Reale) weiterreiste.19 Zur Pressekonferenz hatte der Künstler sich etwas Besonderes für die große Zahl der erwarteten Journalisten ausgedacht: Eine Photographie zeigt Dalí, der im dunklen Nadelstreifenanzug in einem Würfel aus Pappe steht (Abb. 2). Da keine weiteren Infor-

17 | Sloterdijk 2004, S. 157. 18 | Sloterdijk 2004, S. 160. 19 | Gezeigt wurden 24 Gemälde, 17 Zeichnungen sowie 102 Aquarelle zu Dantes Commedia. Vgl. Ausst. Kat., Salvador Dalí 1904-1989, Staatsgalerie Stuttgart, Kunsthaus Zürich 1989, S. 494. (K)

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mationen über die Entstehung des Würfels existieren, lassen sich die Ereignisse nur grob rekonstruieren. Wahrscheinlich wird Dalí sich vor dem Eintreffen der Journalisten in seinem Würfel, den er als metaphysischen Würfel bezeichnete,20 verborgen und dort eine ganze Weile gewartet haben, um die Spannung zu steigern. Durch eine Klappe im Inneren konnte er die obere Würfelseite öffnen und wie ein unerwarteter Überraschungsgast aus einer Geburtstagstorte springen. Selbstbewusst charakterisierte er sich einmal in einem Manuskript mit dem Titel Polyfacetic Dalí zugleich als Mystiker (Mistique), Philosophen (Filosphe), Architekten (Architec), Juwelier (Vijoutier), Autobiographen (Autobiografer), Erfinder (Inventeur), Redner (Conferencier), Theoretiker (Theoricien), Romancier (Romancier), Drehbuchautor (Scenariste), Librettist (Libretiste), Bühnenbildner (Escenografe), Modemacher (Cuturier), Filmemacher (Cinéaste), Bildhauer (Esculpteur) und Maler (et aussi… Peintre). Der Bezeichnung als Redner sind die Vermerke Paris, London, Amerika und Madrid hinzugefügt; Orte, an denen er berühmte Reden gehalten hatte.21 Die umfassende Beschreibung seiner vielseitigen Begabungen lässt eine Bezeichnung jedoch vermissen, auf die er in seiner Autobiographie großen Wert legt. Dalí, der Magier, will bereits im Kindesalter mit Hilfe illusionistischer Malerei visuelle Welten erzeugt und das getäuschte Publikum in Verwunderung und Erstaunen versetzt haben. Seine technischen Fähigkeiten in der Malerei seien weniger Ergebnis harter Arbeit und erklärten sich allein durch seine magischen Fähigkeiten, die in enger Verbindung mit der Einzigartigkeit seiner Person stünden. Seine »Zauberkunst«, so der Künstler, habe Formen erschaffen, deren »Meister, Herr und Erfinder« er sei.22 Durch die »magische Kraft«, die er seit seiner Pubertät verspüre, habe er die Grenzen »visueller Bilder« überwinden und in emotionale Bereiche eigener Wirklichkeiten vordringen können.23 Während seiner Studienzeit arbeitete Dalí an Aktionen – eine Art spontaner sozialer Interventionen –, deren Dramaturgie den Auftritten eines Zirkusmagiers glich. Er berichtet beispielsweise von seinem Erlebnis in einer noblen Madrider Bar, wo er von einer Dame und einem arroganten Barmixer angeblich abschätzig als Neuling vom 20 | Vgl. Stuttgart, Zürich 1989, S. 494. 21 | Vgl. Cowles 1981, S. 162. 22 | Vgl. Dalí 1984, S. 108-110. 23 | Vgl. Dalí, 1984, S. 148.

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Lande eingestuft worden sei. In seiner Erzählung folgt die wahnwitzige Anekdote einer Vorführung: Eine wattierte Stoffkirsche vom Hut der Dame, so seine Erinnerung, habe er zusammen mit einer echten Frucht und Sahne auf einem mit seinem Blut gefüllten Glas so täuschend echt drapiert, dass der Unterschied zwischen wahrer und falscher Kirsche nicht mehr zu erkennen gewesen sei.24 Bei derartigen Erzählungen bedient Dalí sich nicht selten rhetorischer und dramaturgischer Mittel, wie man sie von Zaubervorstellungen aus dem Zirkus kennt. »Und nun, sagte ich mit feierlich erhobenem Finger, werden Sie das Wichtigste von allem sehen. […] Betrachten Sie diesen Cocktail genau, sagte ich zu dem Barmixer. Das ist einer, den Sie nicht kennen! Ich dachte über das nach, was ich gerade getan hatte, und war so tief bewegt [,] wie Jesus es gewesen sein muß, als er die heilige Kommunion erfand.« 25

Auch das Verbergen in seinem metaphysischen Würfel erinnert doch sehr an eine Darbietung, die schon damals zum Repertoire jedes ambitionierten Magiers gehörte. Harry Houdini, der weltweit wahrscheinlich bekannteste, machte einen Trick populär, den er »Metamorphosis« nannte: In einen Sack geschnürt sperrte ihn seine Frau und Assistentin in eine Kiste; plötzlich tauschten dann beide ihre Plätze, und er präsentierte sich auf magische Weise befreit seinem begeisterten Publikum.26 Vergleicht man die legendäre Selbstinszenierung Houdinis, seine Mimik und seine Gestik, so scheint Dalí, der sogar eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit mit dem Magier hat, nicht zufällig das eine oder andere Merkmal aufgegriffen zu haben. Im Jahr 1953, kurz vor der Ausstellung in Rom, brachte Paramount den ersten Film über den Magier, Houdini, der König des Variete, in die Kinos. Auch wenn Dalí, der selbsternannte König der Malerei, Tony Curtis in der Hauptrolle damals nicht gesehen haben sollte, so kannte doch

24 | Eine bekannte Legende, auf die Dalí möglicherweise anspielte, erzählt von dem antiken Maler Zeuxis, der Trauben so naturgetreu gemalt haben soll, dass Vögel herbeikamen, um an den Früchten zu picken. Auf diese Parallele machte mich Antje von Graevenitz aufmerksam. 25 | Dalí 1984, S. 225. 26 | Vgl. Phillips, Adam: Houdini’s Box. On the Arts of Escape, London 2001, S. 12-13. (A)

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zumindest in Amerika, wo der Künstler lange Jahre gelebt hatte, jedes Kind den großen Houdini. Dalí wollte sich aber nicht mit Magiern, Zauberkünstlern und anderen Zirkusakteuren auf einer Stufe sehen und war stets darum bemüht, sein Handeln in höhere Zusammenhänge zu stellen. Mit seinem Blut, das er in der Madrider Bar geopfert hatte, spielte er offensichtlich auf die Leiden Christi an, dem ersten Salvat(d)or.27 Mit derartigen Erzählungen handelte er sich natürlich den Vorwurf der Blasphemie ein, doch war die antibürgerliche Provokation nicht Selbstzweck. Dalí träumte von einem mystischen Weltbild, das den wissenschaftlichen Positivismus ersetzen sollte: »Ich glaube an Magie und bin davon überAbb. 3: Dalí, Salvador: Christ de zeugt, dass in Kosmogonie und Saint Jean de la Croix/Der selbst der Metaphysik alle neuen Christus des heiligen Johannes Anstrengungen auf Magie basievom Kreuz, 1951. ren und wir mit ihr die Geisteshaltung zurückgewinnen sollten, die einst Köpfe wie Paracelsus und Raimundus Lullus auszeichnete.«28 Sein Würfel unterschied sich von den gewöhnlichen Kisten der Zaubervorstellungen dadurch, dass die fünf Außenflächen jeweils mit einer Buchstabenmatrix von je neun Reihen und neun Spalten bedruckt waren: In der ersten Spalte standen von oben nach unten gelesen die Buchstaben B, C, D, e, F, G, H, I, K; in der sonst alphabetischen Folge fehlten A und J, und für e wurde der Kleinbuchstabe gewählt. B, BC, BD, Be, BF, BG, BH, BI und BK stand in der oberen Reihe. Das System der Buchstabenfolge erschloss sich schnell, da die 27 | Seine christologischen Parallelisierungen und ihre Bedeutung für das Motiv der verborgenen Körperpräsenz werden bei der Analyse des Bildes La gare de Perpignan (1965) (Kap. 1.5) genauer beleuchtet. 28 | Dalí 1984, S. 455-456.

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übrigen Kästchen die einfache alphabetische Reihung weiterführten. Wahrscheinlich kannte Dalí das magische Quadrat aus Dürers Kupferstich Die Melancholie (1514), in dem der Künstler das Entstehungsjahr der Arbeit, den Todestag seiner Mutter und sein Alter verschlüsselte. Das Quadrat wird als magisch bezeichnet, da man bei der horizontalen, vertikalen und sogar diagonalen Addition immer die Zahl 34 erhält.29 Dalí entschied sich für eine Buchstabenmatrix, eine Methode der Codierung, die man militärisch zur telegraphischen Übermittlung geheimer Botschaften nutzte. Die simple alphabetische Folge erweckt zwar nicht den Eindruck einer Nachrichtenverschlüsselung, doch letztlich bleibt offen, ob der Kiste nur der Schein des Geheimen gegeben werden sollte oder nicht doch eine Nachricht in den Buchstabenreihen versteckt ist.

Abb. 4: Dalí, Salvador: Corpus Abb. 5: Dalí, Salvador: hypercubus (Crucifixion)/Corpus Crucifixion: autoportrait/ hypercubus (Kreuzigung), 1954. Selbstporträt am Kreuz, 1933. Die Übersetzung des lateinischen Wortes Matrix lautet Muttertier, Gebärmutter, Ursache oder Quelle, und so steht der Würfel mit der Vorstellung einer ursprünglichen Ganzheitlichkeit in Verbindung. Könn29 | Vgl. Böhme, Hartmut: Albrecht Dürer Melencolia I. Im Labyrinth der Deutungen, Frankfurt a.M. 1989, S. 28. (A)

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te nicht der fehlende Buchstabe A, erster Buchstabe des Alphabets, auf die prophetische Apokalypse verweisen? »Siehe, ich komme bald, und mein Lohn mit mir, um einem jeden zu vergelten, wie sein Werk ist. Ich bin das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende.«30 Dalí enthüllte sich aus dem Inneren des Würfels, war derjenige, den alle erwartet hatten und der sich selbst dazu berufen fühlte, den Weg in eine mystische Zukunft zu weisen. Hatte er sich in der für seine Person nicht untypischen Selbstüberschätzung im Zentrum des Raumes und Inneren des Würfels als Ausgangspunkt und Erlöser gesehen und deshalb auch die alphabetische Reihe erst mit B begonnen? In seiner Kunst scheute Dalí sich zumindest nicht davor, die Rolle des Erlösers anzunehmen: In der Ausstellung in Rom hing beispielsweise das Gemälde Christ de Saint Jean de la Croix (1951) (Abb. 3), das in ungewohnter Vogelperspektive den Gekreuzigten am dunklen Himmel über der Bucht von Port Lligat zeigt. Die Figur Christi ist bei diesem Bild zwar nur als Selbstporträt vor der Heimatbucht zu erahnen, doch bereits im Jahr 1949 hatte er Gala, bei La Madonne de Port Lligat, als thronende Maria mit dem Retter auf ihrem Schoß schwebend vor diesem Horizont gemalt. Das Gemälde Corpus hypercubus (Crucifixion) (1954) (Abb. 4) zeigt dann in historischer Fortsetzung die trauernde Gala vor dem Kreuz des Sohnes, dessen Rolle Dalí angenommen hatte. Bereits aus dem Jahr 1933 stammt ein gezeichnetes Selbstporträt am Kreuz Crucifixion: autoportrait (Abb. 5). Die Darstellung einer eher plärrenden als würdevoll trauernden Frau mit üppigen weiblichen Kurven und seiner selbst mit gezwirbeltem Schnurrbart am Kreuz demonstriert, dass hinter seiner Form der Mystik vor allem die Lust an der publikumswirksamen Selbstinszenierung steckte.

1.3 D ALÍ IM E I (1942) Dalí im Ei (Abb. 6) zeigt den Künstler nackt und in embryonaler Stellung im Inneren eines Eies. Die Arbeit, eine Collage mit einer Photographie Dalís von Philippe Halsmann, war Beginn einer langen Freundschaft zwischen Dalí und Halsmann und Ausgangspunkt zahlreicher weiterer Aufnahmen, die bis zum Tod des Photographen im Jahr 1979 entstanden. Die Idee scheint von Halsmann zu stam30 | Offb 22,13

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men, der bei der ersten Begegnung mit Dalí den Wunsch geäußert haben soll, diesen »als Embryo in einem Ei« zu photographieren. Inspiriert wurde er durch die Autobiographie des Künstlers und dessen Bericht über die intrauterinen Erinnerungen.31 Das Ei, Zeichen für die Fruchtbarkeit und den Ursprung des Lebens, symbolisiert im Christentum bis zum heutigen Tag die Auferstehung, da »Christus aus dem Grab hervorbrach wie das reife Küken aus dem E. […]«.32 In der Alchemie steht es für die Urmaterie des Wandlungsprozesses, und in vielen Kulturen findet sich die Vorstellung eines Welteneies, das Bild für die Ganzheitlichkeit aller schöpferischen Kräfte ist, weshalb man sich mythologische Menschengestalten nicht selten als aus dem Ei geboren vorstellte.33

Abb. 6: Halsman, Philippe: Dalí im Ei, 1942. In Dalís Schrift 50 magische Geheimnisse, deren erklärtes Ziel kein geringeres war, als einer nachkommenden Generation von Malern die Geheimnisse der Kunst näherzubringen, findet sich mit dem Ge31 | Vgl. Descharnes, Robert; Néret, Gilles: Salvador Dalí 1904-1989, Köln 2004, S. 140. (A) 32 | Vgl. Oesterreicher-Mollwo, Marianne (Hg.): Herder-Lexikon Symbole, Freiburg i.Br. 1978, S. 39– 40. (A) 33 | Vgl. Jung, C.G.: Die Visionen des Zosimos (Orig. Einige Bemerkungen zu den Visionen des Zosimos, in: Eranos Jahrbuch 1937, Zürich 1938), in: Jung, C.G.: Studien über alchemistische Vorstellungen (Orig. Olten 1978), Gesammelte Werke Bd. 13, Solothurn, Düsseldorf 1995, S. 65-121, hier: S. 92. (A)

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heimnis Nummer 44 ein Verweis auf das Ei Piero della Francescas (Pala Montefeltro).34 Das an einem Faden von einer Muschelspitze über dem Kopf Marias herabhängende Ei stellte für den Künstler »eines der größten Mysterien der Renaissancemalerei«35 dar. Die von Dalí diesem Ei und der Symbolik des Eies im Allgemeinen zugetragene Bedeutung lässt sich nur schwer erfassen, und er räumt ein, dass seine Ausführungen diesbezüglich einen »spekulativen Höhenflug darstellen«.36 Selbst Dalí, dessen gesamtes literarisches Werk doch voller spekulativer Höhenflüge ist, war sich in diesem Fall bewusst, dass er mit seiner Theorie kaum wissenschaftlichen Maßstäben gerecht werden konnte: Piero della Francescas Ei, so seine These, befinde sich wie ein Planet über dem Haupt Marias, die das Zentrum aller Gravitationskraft sei. Diese Gravitationskraft des Eies komme allerdings schon bei dem paradiesischen Apfel Evas vor, den diese »über der ganzen Nachkommenschaft des Menschengeschlechtes« wie ein »schwebendes Damoklesschwert« halte.37 Jener Apfel sei es gewesen, so Dalí weiter, der dann Jahrhunderte später auf Newtons Stirn fiel, um diesem die physikalischen Gesetzmäßigkeiten körperlich bewusst zu machen, danach in der »gefährlichen Balance auf dem Kopf von Wilhelm Tells Sohn« erschienen sei, um sich später vom Weltapfel zum »schneeweißen Ei, mit anderen Worten zu einer neuen Welt« zu wandeln, die Christoph Kolumbus entdeckte; dies alles stecke bereits in Francescas Bild, auch wenn dieser, so gesteht Dalí sich ein, um die Geheimnisse »vermutlich selbst nicht wusste«.38 Wie selbstverständlich amalgamiert Dalí das Bild der Weltkugel, den biblischen Apfel des Sündenfalls, Marias unbefleckte Empfängnis, die Legende Wilhelm Tells, die Entdeckung Amerikas, ein Meisterwerk der Renaissancemalerei und Newtons Gravitationsgesetze zu einer Symbolik des Eies, die den ganzen Weltverlauf in einen geschlossenen Zusammenhang vereint. Die Analyse der Photographie Dalí im Ei sowie des Motivs seiner verborgenen Körperpräsenz muss diese sehr persönliche Symbolik berücksichtigen, weshalb pointier34 | Abb. in: Battisti, Eugenio: PIERO DELLA FRANCESCA, Mailand 1971, S. 337. (A) 35 | Dalí, Salvador: 50 magische Geheimnisse (Orig. 50 secrets of magic craftmanship, New York 1948), Köln 1986 (1). (T) 36 | Dalí 1986 (1), S. 142. 37 | Vgl. Dalí 1986 (1), S. 144. 38 | Vgl. Dalí 1986 (1), S. 144.

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te Interpretationen fehlschlagen. Es zeigt sich aber auch deutlich, dass der Künstler mit dieser Arbeit wohl weniger auf die Entdeckung Amerikas, sondern vielmehr die Vorstellung einer natürlichen und ursprünglichen Einheit anspielte. Das Ei ist wie die Gebärmutter ein abgeschlossener Schutzraum für heranwachsendes und sich entwickelndes Leben, doch lässt sich mit dem Bild des Eies eine größere Eigenständigkeit zeigen. Während der verborgenen Präsenz des Fötus im Leib der Mutter besteht eine untrennbare und enge Verbindung zwischen Mutter und Kind, das durch die Versorgung über die Nabelschnur abhängig ist. Innerhalb der Hülle des Eies ist dagegen alles angelegt, und das wachsende Leben benötigt lediglich äußere Wärme, die nicht unbedingt von der Mutter gegeben werden muss. Das Küken schlüpft relativ eigenständig, indem es die Schale zerbricht, wohingegen der Mensch unter größter Anstrengung von der Mutter geboren wird. Der heranwachsende Fötus ist nur als bipolares Bezugsfeld mit der Mutter zu denken, wohingegen die verborgene Präsenz im Ei auf eine isolierte Eigenständigkeit verweist. In diesen recht groben biologischen Andeutungen könnte jedoch der Grund liegen, warum Dalí sich gerade im Jahr 1942, dem Zeitpunkt des Erscheinens seiner Autobiographie, nackt und in embryonaler Krümmung in dieser Weise darstellen ließ. Die besagte Biographie versucht das Bild eines genialen Mannes zu entwerfen, der sich dazu bestimmt fühlte, die Welt zu verändern. Einerseits maß er seinen Anlagen, seiner Begabung, seiner Herkunft und vor allem der Region, aus der er stammte, große Bedeutung bei.39 Andererseits verspürte er aber wohl seit seiner Kindheit, wie der Bericht seiner familiären Inszenierungen vermuten lässt, ein prägendes Unverstandensein, das im Jahr 1929, nicht zuletzt durch seine Verbindung zur verheirateten Gala, zu dem Bruch mit dem Vater führte.40 Ich meine, dass gerade das Ei ein Bild für Dalís ambivalente Spaltung zwischen Herkunft, Heimat und Geborgenheit auf der einen und Abkehr, Abgrenzung und Isolation auf der anderen Seite war. Diese Form stellte für ihn das »vollkommene Ideal des weiblichen Ovals«41 dar, womit er die Verbindung zum weiblichen Ursprung andeutete. Dass die 39 | Über die Beziehung Dalís zu seiner Heimat wird im Folgenden (Kap. 1.4) zu sprechen sein. 40 | Vgl. Ausst., Kat., Salvador Dalí. La Gare de Perpignan. Pop, Op, YesYes, Pompier, Museum Ludwig, Köln 2006, S. 202. (K) 41 | Dalí 1986 (1), S. 73.

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embryonale Haltung ganzheitlich nicht nur für den Lebensanfang, sondern genauso für das Ende steht, belegen aus seiner Sicht die Begräbnisriten einiger Stämme, die ihre Toten in die Hockstellung eines Fötus zusammenbinden und damit den Wunsch nach umgekehrter Wiedergeburt zum Ausdruck bringen.42 Sein Bericht über die intrauterinen Erinnerungen endet mit der Schlussfolgerung, dass die Phantasie stets darum bemüht sei, Symbole der »perfekt schützenden, geschlossenen Umwelt« 43 zu finden. Das Ei ist Archetyp dieser symbolischen Darstellungen.

1.4 D ALÍ DRAPÉ , C AP C REUS/D ALÍ DRAPIERT, C AP DE C REUS (1962)

Abb. 7: Descharnes, Robert: Dalí drapé, Cap Creus / Dalí drapiert, Cap de Creus, 1962.

Abb. 8: Seguí, Joan: Dalí i Gala a Port Lligat, 1966.

Auf einer Photographie von Robert Descharnes sieht man Dalí eingewickelt in ein Bettlaken in den Felsen seiner Heimatbucht am Cap de Creus in Port Lligat (Abb. 7). Bei dieser merkwürdigen Darstellung schien es ihm nicht darum zu gehen, sich ganz in das Laken zu hüllen, da seine Beine bis ungefähr zu den Knien aus dem Leinen herausragen; er stellte die Form des roten Felsens hinter ihm physisch 42 | Vgl. Dalí 1984, S. 44. 43 | Vgl. Dalí 1984, S. 44.

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nach. In seiner Biographie berichtet er von einem allabendlichen Ritual, bei dem er sich in die embryonale Stellung einrollt, die Daumen schmerzlich fest zusammendrückt und den Rücken dicht an das Bettlaken schmiegt, um die »Plazenta der Bettlaken«44 zu spüren. Auch wenn seine Pose in den Felsen und die Haltung während des Einschlafens sich durchaus unterscheiden, so verbindet sie doch eine angespannte Haltung in der verborgenen Präsenz des Lakens. Eine Parallele zwischen dem Leib der Mutter und seiner Heimatbucht, die ihm zeitlebens so viel bedeutete, ist daher nicht fern. Port Lligat, eine kleine Fischerbucht nahe seines Geburtsortes Figueres, kannte Dalí seit seiner Kindheit; wirkliche Bedeutung, nicht zuletzt auch für seine Malerei, gewann die Bucht aber erst um das Jahr 1930, als er dort eine kleine Fischerhütte erwarb.45 Nachdem sein Vater ihn wegen der inakzeptablen Beziehung zur verheirateten Gala des Hauses verwiesen hatte, konnte er von dem Verkauf eines Bildes das erste Heim für seine Frau und sich bezahlen.46 Dalí verbrachte viel Zeit in diesem Haus, in dem trotz aufwendiger Um- und Ausbauten die Enge der Fischerhütte noch immer zu spüren ist, und bewohnte es, mit teils längeren Unterbrechungen, bis zu seinem Tod. Die Beziehung, die der Künstler zu dieser Landschaft hatte, lässt sich nicht mit Heimatverbundenheit, Treue, Patriotismus oder gar Nationalismus beschreiben, da es ihm um viel tiefer wirkende Kräfte ging, die ihn mit dieser Gegend im physischen Sinn verbanden: »Port Lligat: ein Leben der Askese, der Isolierung. Dort erst lernte ich mich zu reduzieren, meine Gedanken zu beschneiden und zu schärfen, damit sie die Durchschlagskraft einer Axt bekämen, dort, wo Blut nach Blut schmeckt und Honig nach Honig. Ein hartes Leben, ohne Beschönigung und ohne Wein, ein Leben unter dem Licht der Ewigkeit.« 47

Durch die Form der Felsen in der Bucht, so Dalí, habe er »jenes Prinzip paranoischer Metamorphose« kennengelernt, dass er insbesondere bei seinen Vexierbildern künstlerisch umsetzte, doch schon lange 44 | Dalí 1984, S. 44. 45 | Eine gute Beschreibung seiner Beziehung zu dieser Landschaft und ihrer Auswirkung auf die Formen seiner Malerei bietet Maset, Josep Playà: Die Landschaft der Erinnerung, in: Köln 2006, S. 141-164. 46 | Vgl. Köln 2006, S. 202-203. 47 | Dalí 1984, S. 371.

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vor ihm hätten die Fischer den Felsformationen Namen wie »Kamel, Adler, Amboß, Mönch, tote Frau, Löwenkopf« gegeben und auf diese Weise selbst Punkte auf See relativ genau bezeichnen können, da ein und derselbe Fels, abhängig von der Perspektive, seine Form wandele.48 Dalí, der behauptete, jede Kontur seiner Heimatregion auswendig zu kennen,49 ging es bei der verborgenen Präsenz im Laken nicht um eine Art Camouflage in den Felsen, weshalb die herausragenden Beine das Gesamtbild auch nicht beeinträchtigten; ihm kam es auf die inneren Kräfte der Landschaft an, die die geologischen und physischen Formen bestimmten. Die Schönheit der Landschaft sah er nicht im Äußerlichen begründet, sondern erkannte sie in der Struktur: »Jeder Hügel, jede Felskontur hätte von Leonardo selbst gezeichnet sein können! Außer der Struktur gibt es praktisch nichts.«50 Der Künstler im Bettlaken am Cap de Creus ist wie Dalí im Ei Bild der Rückkehr zu einem ganzheitlichen Ursprung. Die Photographie Dalí i Gala a Port Lligat (1966) von Joan Segui vereint die Grundelemente seines Lebens: die Felsen, die Bucht, Gala und Dalí sowie ein überlebensgroßes Ei.

48 | Vgl. Dalí 1984, S. 373-374. 49 | Vgl. Dalí 1984, S. 156. 50 | Dalí 1984, S. 158.

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1.5 L A GARE DE P ERPIGNAN / D ER B AHNHOF VON P ERPIGNAN (1965)

Abb. 9: Dalí, Salvador: La gare de Perpignan/Der Bahnhof von Perpignan, 1965. Im Jahr 1965 präsentierte die Galerie Knoedler in New York erstmalig das im selben Jahr fertiggestellte Gemälde La gare de Perpignan (Abb. 9), das Dalí schon damals als sein bis dahin bestes Bild bezeichnete.51 Obwohl er die Bewunderung für sein eigenes Können stets auf den Lippen trug, hielt er sich mit derartigen Superlativen gewöhnlich zurück. Schon die Maße der Leinwand (295 x 402 cm) lassen es aber aus dem Gesamtwerk hervorstechen, und so scheint es tatsächlich eine besondere Bedeutung für ihn gehabt zu haben. Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass eine Kölner Ausstellung im Jahr 2006 sich allein die Analyse dieser Arbeit zur Aufgabe machte. Mit La gare de Perpignan verband Dalí die für ihn wesentlichen Motive und biographischen Hintergründe zu einem übergeordneten Ganzen und erlaubte einen sehr persönlichen Einblick in die Triebkräfte seines Schaffens. Eine verborgene Präsenz des Körpers wird erkennbar nicht thematisiert, doch die im Jahr 1963 von Dalí veröffentlichte Schrift Le mythe tragique de l’Angélus de Millet: interprétation »para51 | Vgl. Kolberg, Gerhard: Biografie des Künstlers, in: Köln 2006, S. 213.

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noïaque-critique«52 beweist, dass das hier untersuchte Motiv nicht nur peripher angesprochen, sondern zentral behandelt wird. Eine kurze Zusammenfassung der paranoisch-kritischen Methode, mit der Dalí sein assoziatives Denken zu strukturieren versuchte, wird zeigen, dass La gare de Perpignan das Motiv verborgener Körperpräsenz eng an die Entwicklung des Gesamtwerks bindet.53 Das Zentrum des querrechteckigen Gemäldes bildet ein hell erleuchtetes Quadrat. Von seinen Ecken strahlen Lichtkegel aus, die in Form eines Andreas- oder Malteserkreuzes54 die Bildfläche in vier Segmente teilen. Über einem schmalen Meeresstreifen, auf dem ein alter Holzkahn treibt, öffnet sich der wolkige Himmel in dunklen roten, grünen und gelben Farbtönen; die Atmosphäre ähnelt anderen Bildern der Küstenlandschaft um Cadaqués. Zwei Bildebenen verleihen dem Werk eine erstaunliche Tiefenwirkung und scheinen unterschiedlichen Realitäten anzugehören: Die Gegenstände und Figuren des Vordergrunds sind deutlich konturiert, die des Hintergrunds heben sich nur leicht von dem wolkigen Himmel ab. Die vertikale Mitte bilden im Vordergrund eine weibliche Figur in Rückenansicht, die über einer Schubkarre mit darauf liegendem Leinensack schwebt; etwas versetzt ein alter Holzschuh; das Selbstportrait des Künstlers, der mit ausgebreiteten Armen und breiter Fußstellung vor dem leuchtenden Quadrat schwebt; darüber ein Zugwaggon, dessen Plakette den Heimatbahnhof Perpignan anzeigt und am oberen Ende des Bildes ein weiteres Selbstporträt in gleicher Pose, das perspektivisch verkürzt in den Bildvordergrund rückt. Den Hintergrund dominiert die Gestalt des Erlösers, der, obwohl seine Gesichtspartie von dem leuchtenden Quadrat überblendet wird, durch Kreuzeshaltung, Dornenkrone und blutende Seitenwunde eindeutig charakterisiert ist. Über der Darstellung des Waggons öffnet ein Lichtkranz die Wolkendecke, und in weiter Ferne lässt sich die Gestalt Gottvaters erahnen. 52 | Dalí, Salvador: Le mythe tragique de l’Angelus de Millet: interprétation »paranoïaque-critique«, Paris 1963. 53 | Eine gute thematische Einführung bietet Schiebler, Ralf: Dalí und die Wissenschaften. Der Angélus von Millet und die paranoisch-kritische Methode, in: Köln 2006, S. 39-50. 54 | Dalí sprach zu Beginn seiner Arbeit im Spätfrühjahr 1965 von dem Andreaskreuz und bevorzugte später die Bezeichnung Malteserkreuz. Vgl. Descharnes, Robert: La gare de Perpignan. Entstehung, Umfeld und Einzugsgebiet eines Meisterwerks, in: Köln 2006, S. 35-38, hier: S. 36.

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Die Figuren der rechten und linken Bildhälfte entlehnte Dalí dem berühmten Gemälde L’angélus/Das Abendläuten (1857/1859) von JeanFrançois Millet, das im 19. Jahrhundert zu einem Sinnbild für die Gottesfürchtigkeit der bäuerlichen Landbevölkerung wurde. Als Schüler, so Dalí, habe er tagträumerisch durch das Klassenfenster immerzu auf eine Reproduktion dieses Bildes im Flur des Schulhauses geblickt.55 Laut allgemeiner Deutung zeigt das Bild Millets ein Bauernpaar auf dem Acker, das zum Zeitpunkt des Angelusläutens während der Abenddämmerung die Feldarbeit unterbricht, um die Köpfe andächtig zum Gebet zu senken. Zwischen beiden steht ein Korb mit Kartoffeln, hinter der Bäuerin eine Schubkarre mit zwei Säcken und neben dem Bauern, der seinen Hut zum Gebet abgenommen hat, steckt die Forke im Acker. Anfang der 1930er Jahre soll dieses Bild aus Dalís Kindheit sich nach jahrelanger Latenz als Wahn in seinem Gedächtnis festgesetzt haben: »Dieses Gemälde, das auf mich als Kind einen so tiefen Eindruck machte, verschwand auf Jahre hinaus sozusagen ganz aus meiner Vorstellung […]. Aber als ich 1929 eine Reproduktion des Angelus wiedersah, wurde ich plötzlich heftig von demselben Unbehagen und der ursprünglichen Gefühlsverwirrung befallen.« 56

Die Umrisse des Bauernpaares tauchten bei Dalí nun ständig in verschiedenen Alltagssituationen auf und erfuhren dabei jeweils Formund Bedeutungsverschiebungen. Durch die obsessive Beschäftigung, die Kern der paranoisch-kritischen Methode ist, entwickelte Dalí alternative Interpretationen, die er in seiner Schrift Le mythe tragique de l’Angélus de Millet zusammenfasst. Die paranoisch-kritische Methode ermöglichte es Dalí, in sich wandelnden Formen einer Ausgangsfigur, die als Ursprung stets erkennbar blieb, neue Aspekte und vor allem neue Bedeutungen zu erkennen. Er war von einem Interpretationswahn getrieben, der in seinen Augen jedoch keinen pathologischen Charakter hatte, sondern wissenschaftliche Methode war. Mit großem Interesse las er die Dissertationsschrift Die paranoische Psychose in ihren Beziehungen zur Persönlichkeit, die Jacques Lacan 1932 vorgelegt

55 | Vgl. Dalí 1984, S. 84. 56 | Dalí 1984, S. 84.

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hatte.57 Diese Publikation, so Ralf Schiebler, habe Dalí gezeigt, dass es sich bei der Paranoia um einen psychogenen Prozess handele, mit dem der Geist auf Ereignisse der Umwelt reagiere.58 Lacan war einer der Ersten, der die Beziehungen der Psychose zur Persönlichkeit untersuchte. Noch im 19. Jahrhundert erklärte man die Paranoia mit der Verrücktheit, dem Wahnsinn und der geistigen Verwirrung eines Menschen; erst 1899 definierte Emil Kraeppelin, so ist bei Lacan zu lesen, die Paranoia als ein Wahnsystem, das mit »vollkommener Erhaltung der Klarheit und Ordnung im Denken, Wollen und Handeln einhergeht«.59 Es wäre sicher aufschlussreich, an anderer Stelle die Bedeutung der Schrift Lacans für die Strategien der Selbstinszenierung Dalís genauer zu untersuchen. Wie sehr Lacans Beschreibung der paranoischen Psychose mitunter an Dalí erinnert, zeigt sich beispielsweise, wenn Lacan von den Wahnsystemen »der Erfinder, der »Genealogen« (»interprétateurs filiaux«), der Mystiker und der Erotomanen« spricht, die in einem egozentristisch verzerrten Weltbild eine »Weltanschauung« konstruieren.60 Der Bahnhof von Perpignan, der als kleiner Verbindungsbahnhof zwischen Spanien und Frankreich kaum überregionale Bedeutung hatte, erlangte durch Dalí, der ihn zum »centre du monde«61 erklärte, internationale Bekanntheit. Die Mythologisierung des Ortes erreichte er durch die Verknüpfung historischer, geographischer und kosmogonischer Erkenntnisse, auf die er durch akribische historische Recherche gestoßen war: Ende des 18. Jahrhunderts, so stellte er fest, nutzte man eine zwölf Kilometer lange Strecke zwischen Perpignan und Salses zur ersten Messung des Urmeters; Hannibal und Trajan haben auf ihren Zügen Perpignan passiert, und bereits bei der Herausbildung des Golfs von Biscaya habe der Ort die Kontinentalver57 | Vgl. Schiebler, Ralf: Dalí und die Wissenschaften [wie Anm. 53], in: Köln 2006, S. 39. 58 | Vgl. Schiebler, Ralf: Dalí und die Wissenschaften [wie Anm. 53], in: Köln 2006, S. 42. 59 | Vgl. Lacan, Jacques: Über die paranoische Psychose in ihren Beziehungen zur Persönlichkeit und Frühe Schriften über die Paranoia (Orig. De la psychose paranoïaque dans se rapports avec la personnalité suivi de Premiers écrits sur la paranoïa, Paris 1932), Wien 2002, S. 28-29. (A) 60 | Vgl. Lacan 2002, S. 33. 61 | Dalí, Salvador: Diary of a Genius (Orig. Diario de un genio, Barcelona 1964), New York 1986 (2), S. 113. (T)

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schiebung zu einem »Schwenk gen Nordpol rund um die Iberische und granitische Halbinsel« gezwungen.62 Die kurzen Anmerkungen zeigen Dalís Bestreben, einem Provinzbahnhof weltbewegende Bedeutungen zuzuschreiben, die man so oder so ähnlich wohl auch für jeden beliebigen Ort erdichten könnte. Genau so arbeitet jedoch seine paranoisch-kritische Methode, mit der wahnhaft verschiedene Inhalte auf ein Objekt projiziert werden, um in der Gesamtheit eine Evidenz zu erlangen, die dem psychischen Konstrukt nachvollziehbare Objektivität verleiht. Gerade die Tatsache, dass Perpignan Durchgangsort bei der Messung des Urmeters war, schien Dalí besonders angesprochen zu haben; stolz posierte er für eine Photoaufnahme vor dem Denkmal des französischen Meridians zwischen Salses und Perpignan und hob seinen Gehstock mit Silberknauf würdevoll in die Höhe (Abb. 10), als habe er in ihm den neuen Urmeter gefunden. Die Segmentierung des Bildes La gare de Perpignan durch die Kreuzform erklärt sich durch die Erscheinung des Gottessohnes, doch müsste aufgrund der ausdrücklichen Betonung des Urmeters durch den Künstler auch ein andere Parallele in Betracht gezogen werden: Das Modell des Pariser Urmeters von 1889, Prototyp aller in den verschiedenen europäischen Staaten verwahrten Urmeter, weist einen X-förmigen Querschnitt auf, der durchaus auch maßgebend für die Kreuzform des Bildes gewesen sein könnte. Dalís Denken würde es ohnehin ablehnen, die eine oder andere Form als verantwortlich für die Kreuzform zu bezeichnen. Er gäbe vielleicht zu bedenken, dass der X-förmige Querschnitt des Urmeters zwar die Krümmung des Metalls bei klimatischen Veränderungen verhindere, letztlich jedoch auf die Form des Kreuzes als Maß des christlichen Denkens verwiesen werde.

62 | Vgl. Köln 2006, S. 35-36.

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Abb. 10: Salvador Dalí vor dem Denkmal des französischen Meridians zwischen Salses und Perpignan (1968). Das betende Paar von Millet wandelt Dalí in eine Darstellung des ödipalen Konflikts: Die Figur der Bäuerin assoziiert er mit einer Fangschrecke, der mantis religiosa oder Gottesanbeterin, die bei ihrer Jagd oft stundenlang in absoluter Bewegungslosigkeit verharrt, um ihre Beute schließlich mit Hilfe der Dornen an ihren Fangarmen zu harpunieren.63 Zudem verspeisen die meist größeren Weibchen in Gefangenschaft ihr Männchen nach dem Sexualakt, ein Verhalten, das bei Dalí und den surrealistischen Wegbegleitern aufgrund der Verbindung von Tod und Eros Aufmerksamkeit weckte. Die Bäuerin, die ihre Hände vor der Brust zum Gebet gefaltet hat, wird zur Mutter, die ihren Sohn in sexuell aggressiver Erwartungshaltung belauert. Der Bauer, der seinen Hut abgenommen und seinen Kopf zum Gebet gesenkt hat, wandelt sich bei Dalí zum Sohn, der beschämt versucht, mit Hilfe des Hutes die verbotene Erektion zu verstecken. Analog zum Bild der männlichen Erektion ist die Forke gegen den Unterleib 63 | Vgl. Schiebler, Ralf: Dalí und die Wissenschaften [wie Anm. 53], in: Köln 2006, S. 43.

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der weiblichen Figur gerichtet. Im Hintergrund der linken Bildhälfte ist das Beladen einer Schubkarre mit Säcken der Darstellung des Geschlechtsaktes auf der rechten Bildhälfte gegenübergestellt; hier stützt sich die weibliche Figur vornüber auf einen Sack, während sich der Mann ihr von hinten nähert.64 Den tragischen Mythos des Angelus fasst Ralf Schiebler folgendermaßen zusammen: »Im Abendlicht stehen sich reglos Mutter und Sohn gegenüber, die Mutter lauernd, vor einer sexuellen Aggression, der Sohn wie festgenagelt und hypnotisiert, mit dem Hut seine Erektion verbergend. Beide vollziehen dann den Koitus in der animalischen Schubkarrenstellung. Danach wird der Sohn von der Mutter verschlungen.« 65

Das Bild Millets fand durch den Einsatz der paranoisch-kritischen Methode, entgegen der allgemeinen Überzeugung, zu einer völlig neuen Interpretation: Das Bauernpaar auf dem Feld, so das Ergebnis, habe die Köpfe gesenkt, da es einen verstorbenen Sohn betrauere, der zu ihren Füßen begraben liege. Dalí war davon überzeugt, dass ehemals ein Sarg auf dem Bild zu erkennen war, den Millet, um den Vorstellungen des Salons zu entsprechen, wieder übermalt habe. Zur Bestätigung seiner Theorie ließ er vom Louvre eine Röntgenaufnahme des Originals anfertigen, die tatsächlich einen dunklen Schatten zu Füßen des Paares sichtbar machte, der erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Sarg hat.66 Der Künstler sah seine These nun bestätigt, dass Millets Thema nicht allgemeine Gottesgläubigkeit, sondern die enge Beziehung zwischen einem Elternpaar und ihrem im Sarg verborgenen Sohn war. Der Einbezug des verborgen präsenten Körpers fügt sich, ungeachtet der Frage, ob man die spekulative These Dalís nachvollziehen möchte, in die Biographie des Künstlers und das narrative Gefüge des Gemäldes La gare de Perpignan ein. In der Familie Dalí war es Tradition, dem erstgeborenen Mann jeweils den Vornamen des Vaters zu geben. So trugen nicht nur sein Großvater und sein Vater den Namen Salvador, sondern auch ein älterer Bruder, der neun Monate vor seiner Geburt im Alter von einundzwanzig Monaten verstorben 64 | Vgl. Dalí 1963, S. 120ff. 65 | Schiebler, Ralf: Dalí und die Wissenschaften [wie Anm. 53], in: Köln 2006, S. 45. 66 | Vgl. Dalí 1963, S. 9.

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war. Dalí sah zeitlebens das große Vorbild des verstorbenen Bruders, in dessen Rolle er sich seit seiner Kindheit gezwungen fühlte. Ungewiss war er sich darüber, ob er tatsächlich seiner selbst wegen geliebt wurde oder die Eltern in ihm nur den eigentlich erstgeborenen Sohn sahen, der für ihn gestorben war.67 Die Vorstellung des unter der Erde verborgenen toten Sohnes, die er auf das Gemälde von Millet projizierte, inkorporierte er durch die Aufnahme des Bauernpaares in sein Gemälde, wodurch die doppelte Darstellung seiner Person verständlich wird. Ebenso klärt sich die den Bildhintergrund dominierende Christusfigur, der dritte Salvad[t]or im Bunde, sowie die deutliche Betonung der Seitenwunde: »Die Liebe, die er für Salvador, seinen Erstgeborenen, gefühlt hat […] verließ ihn nie […]. Wenn er mich anblickte, sah er ebenso mein Double wie mich. In seinen Augen war ich eine halbe Person, ein Lebewesen zuviel. Meine Seele dreht sich in Schmerz und Zorn unter dem Strahl, der dieses unaufhörlich erforschte […] den anderen zu erreichen suchte, der nicht mehr war. Und für eine lange Zeit hatte ich in meiner Seite eine blutende Wunde, die mein unempfindlicher, unsensibler Vater, unachtsam für meine Seufzer, kontinuierlich geöffnet hielt durch seine unmögliche Liebe zu einem toten Jungen.« 68

Dalí lebte mit drei weiteren Salvadors, in deren Schatten er seinen Platz suchte: der gekreuzigte Erlöser, sein dominanter Vater, der tote Bruder und letztlich er selbst. Das Beispiel Millets bezeugt, wie nachhaltig ihn die Bilder seiner Kindheit prägten und ihr fortdauerndes Erscheinen im Erwachsenenalter paranoide Züge annahm. Da im Schlafzimmer seiner Eltern, so Dalí, neben einer Photographie des toten Bruders die Reproduktion einer Kreuzigungsdarstellung von Vélazquéz hing,69 konnte er beim Blick in den Raum seine drei Vorgänger in enger Verbindung betrachten. Auch wenn das außergewöhnlich komplexe Motivgefüge des Bildes La gare de Perpignan an dieser Stelle nur angedeutet werden kann, so eröffnen sich für die 67 | Vgl. Kolberg, Gerhard: Die vier Salvadors, in: Köln 2006, S. 87-102, hier: S. 87-88. 68 | Dalí zitiert nach: Kolberg, Gerhard: Die vier Salvadors [wie Anm. 67], in: Köln 2006, S. 92. 69 | Vgl. Dalí zitiert nach: Kolberg, Gerhard: Die vier Salvadors [wie Anm. 67], in: Köln 2006, S. 88.

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verborgene Präsenz des Körpers im Werk des Künstlers weitere Horizonte. Der verborgen präsente Bruder belegt zum einen die Wirksamkeit psychologischer Prozesse für die Motive Dalís und zum anderen die Macht seiner bildlichen Kindheitsprägung.

2 Joseph Beuys – körperlicher Rückzug und Metamorphose »Das Denken selbst ist Skulptur, ist Plastik. Zwar ist auch der durch den Willensakt gebildete Tunnel eine Form, wenn auch dunkel, aber prozessual kommt dies eigentliche ›imago‹ heraus, also die eigentliche Gestalt. Ich sage ›imago‹, denn es ist ja wie bei der Entstehung des Schmetterlings auch so, dass die Made erst in einem Tunnel liegt. Da ist alles dunkel und abgeschlossen und auf einmal erscheint ein ›imago‹ am Ende des Prozesses.«1

Das Motiv der verborgenen Präsenz des menschlichen Körpers erscheint im zeichnerischen Werk von Joseph Beuys spätestens ab Ende der 1940er Jahre und steht in enger thematischer Verbindung mit seinen frühen naturwissenschaftlichen Studien, seiner Lektüre der Schriften Goethes und Steiners, seiner Aktions- und Objektkunst sowie seiner plastischen Theorie im Allgemeinen. Obwohl der verborgene Körper Gegenstand einer lang anhaltenden künstlerischen Auseinandersetzung war, wurde der inhaltlichen Entwicklung von den Zeichnungen der 1940er und 1950er Jahre bis hin zu den Aktionen wie Der Chef The Chief (1964) und I like America and America likes Me (1974), als Beuys sich in Filz wickelte, bisher nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Seine frühen Zeichnungen wurden in gleichem Maße durch naturwissenschaftliche sowie theologische und mythologische Stoffe 1 | Beuys zitiert nach: Graevenitz, Antje von: Beuys’ Gedankengang zu einem Ofenloch, in: Ausst. Kat., Schwarz, Städtische Kunsthalle Düsseldorf 1981, S. 136. (K)

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beeinflusst. Mit dieser Herangehensweise folgte Beuys dem Goethe’schen Geist und suchte nach ganzheitlicher Erkenntnis, die sich abseits von wissenschaftlicher Fragmentierung bewegt. Angetrieben von einer tief greifenden Unzufriedenheit mit dem herrschenden, positivistisch geprägten Weltbild,2 lehnte er naturwissenschaftlichmaterialistisches Denken nicht ab, sondern suchte die Erweiterung des Blicks zur Steigerung künstlerischer und damit gesamtgesellschaftlicher Wirkungskraft. Das Motiv verborgener Körperpräsenz demonstriert im besonderen Maße, wie für Beuys Geistesgeschichte, Mythologie, Theosophie und Naturwissenschaft in einem harmonischen Einklang standen und er auf diese Weise den gesellschaftlichen Blick für evolutionäre Prozesse und ihre Nutzbarmachung für die zukünftige Entwicklung des Menschen schärfen wollte. Leider entziehen sich große Teile seiner privaten Bibliothek bisher dem wissenschaftlichen Zugriff, weshalb sein theoretischer Hintergrund nur bedingt rekonstruierbar ist. Zahlreiche Studien lassen sich aber mit ausreichender Sicherheit belegen; so verfügte Beuys beispielsweise über einen Bestand von nahezu einhundert Schriften Rudolf Steiners, von dem ein Drittel handschriftliche Annotationen trägt.3 Sein starkes Interesse an der Alchemie und seine Kenntnis der Schriften von Paracelsus und Novalis lassen vermuten, dass er auch von den viel gelesenen Veröffentlichungen C.G. Jungs zu diesem Thema bereits in den frühen Jahren seines Schaffens Kenntnis hatte.4 Neben den theoretischen Bezügen darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Künstler in seinem Lebenslauf/Werklauf betont, bereits in früher Kindheit Erfahrungen in verborgener Präsenz gesammelt zu haben: »Es fanden auch umfangreiche Erdbewegungen statt, denn teilweise bauten wir in einem Labyrinth von Gräben unsere Räume unter der

2 | Vgl. Angerbauer-Rau, Monika: Ein Lexikon zu den Gesprächen von Joseph Beuys. Beuys Kompass, Köln 1998, S. 128. (A) 3 | Vgl. Harlan, Volker: Verzeichnis der anthroposophischen Bibliothek von Joseph Beuys, in: Harlan, Volker; Koepplin, Dieter; Velhagen, Rudolf: BeuysTagung Basel 1.-4. Mai 1991, Basel 1991, S. 292-295. (A) 4 | Johannes Stüttgen berichtete Antje von Graevenitz, Beuys habe Jungs Studien über alchemistische Vorstellungen gekannt. Vgl. Graevenitz, Antje von: ›Ein bißchen Dampf machen‹, ein alchemistisches Credo von Joseph Beuys, in: Im Blickfeld, Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle, Ausstieg aus dem Bild, Bd. 2, 1997, S. 43-60, hier: S. 50 (Fn. 32). (A)

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Erde. Dies alles spielte sich in Kleve ab, in den Jahren zwischen 1925 und 1933.«5

2.1 M ÄDCHENFIGUR MIT G EFÄSSFORMEN (1947) Die Zeichnung Mädchenfigur mit Gefäßformen (Abb. 11) knüpft eine Verbindung zwischen botanischem Wachstum und menschlicher Entwicklung. Zentral schwebt aufrecht im Profil eine Figur, die aufgrund der angedeuteten Brust und des langen Haares als Frau zu erkennen ist. Ihren Körperumriss umschließt eine dunkle Umhüllung, die der linke angewinkelte Arm und das linke Bein durchschreiten, jedoch nicht durchbrechen. Diese Membran hält nicht gefangen, sondern schafft einen begrenzenden Raum, den die Figur aus eigener Kraft verlassen kann. Der schützende Rückzug Abb. 11: Beuys, Joseph: Mädchen- ist Ausgangspunkt eines Entwickfigur mit Gefäßformen, 1947. lungsprozesses, den das partielle Durchschreiten andeutet. Rechts wird die Figur von einer konvex geschwungenen Gefäßform flankiert, die in direkter Beziehung zu einer Blütenform links steht. Aus dem Blütenkelch – der Name beschreibt die Gefäßform – erwächst eine Blüte, bei der fortschreitendes Wachstum in zwei Phasen dargestellt ist. Die Arbeit eröff net einen Zugang zur Darstellung des verborgenen Körpers, da die bildliche Verbindung von umhülltem Körper, wachsender Pflanze und schreitender Figur ein Werden, Entwicklung und Wandlung andeutet. Diese geheimnisvolle Beziehung zum Inneren des Menschen, die im Gegensatz zu einfacher Sym5 | Beuys zitiert nach: Adriani, Götz; Konnertz, Winfried; Thomas, Karin (Hg.): Joseph Beuys, Köln 1994, S. 13. (A)

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bolik nicht ohne weiteres entzifferbar ist, erschwert das Verständnis späterer Arbeiten; verfolgt man jedoch die Begriffsfindungen des jungen Beuys, so verlieren auch jene späteren Werke ein Stück ihrer thematischen Undurchsichtigkeit. Eine Beschränkung der Darstellung auf die physischen Aspekte des Mädchens führte jedoch am Kern vorbei, da Beuys mit Darstellungen des menschlichen Körpers stets auf Physisches und Geistiges verwies. Die menschliche Entwicklung steht im Einklang mit den Gesetzen pflanzlicher und tierischer Evolution, doch der Mensch ist in der Lage, seine eigene Existenz zu objektivieren, Auslöser von Entwicklungsprozessen zu sein und sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Veränderung in Gang zu bringen. »Dass dabei die […] menschliche Bewusstseinsentwicklung erst Auslöser der Wandlung ist und […] dann die gewandelte Gestalt wieder auf das Bewusstsein zurückwirkt [,] macht den Zusammenhang von Inspiration und physischer Verwirklichung bei Evolutionsprozessen sichtbar.« 6

Die verborgene Präsenz des Körpers ist für Beuys im Sinne Jungs ein archetypisches Bild, das in enger Verbindung zu natürlichen Evolutionsprozessen steht. Seine Lektüre Steiners zeigte ihm, dass die im Pflanzenwuchs sichtbaren Ordnungsprinzipien auch Wirksamkeit bei Mensch und Tier hatten.7 Eine Annäherung an seine Arbeit verlangt die erkenntnistheoretische Überwindung der dualistischen Trennung von Geist und Körper; das Objekt gummierte Kiste (1957), das an späterer Stelle ausführlich behandelt wird, beweist, inwieweit physischer Rückzug, Besinnung auf einen angeborenen, psychischen Kern und geistige Reinigung für Beuys in einem gedanklichen Verhältnis standen. Die verborgene Präsenz des Körpers war für ihn nicht beliebiges Motiv, sondern Schlüssel zur Individuation des Menschen, der hierzu »vom Betrachten zum Erleben fortschreiten« 8 muss.

6 | Beuys: Manuskript zu »Kunst und Staat«, in: Beuys, Eva (Hg.): Joseph Beuys. Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle. Texte 1941-1986, München 2000, S. 229. (T) 7 | Vgl. Harlan, Volker in: Harlan; Koepplin; Velhagen 1991, S. 236. 8 | Beuys: Manuskript 1979-, in: Beuys, Eva (Hg.) 2000, S. 491.

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Abb. 12: Steiner, Rudolf: Mensch, 1921. Auf die Bedeutung der Theosophie Rudolf Steiners für das Denken von Beuys wird beinahe in jeder Publikation hingewiesen, doch nicht ansatzweise zufriedenstellend wurde bisher die Rolle Steiners im Werk untersucht. Im Zusammenhang mit der hier analysierten Arbeit soll beispielhaft Steiners Zeichnung Mensch (1921) (Abb. 12) verdeutlichen, dass nicht nur der philosophische Hintergrund den Künstler prägte, sondern auch rein formal seine Formfindungen großen Einfluss hatten: Der menschliche Körper, in den Steiner ein Gesicht einzeichnete, wird wie bei Mädchenfigur mit Gefäßformen von einer Hülle umgeben, die die Figur, ähnlich wie bei Beuys, mit Armen und Beinen durchdringt, ohne sie dabei zu durchbrechen. Steiner erklärte während des Vortrags, zu dem er diese Zeichnung anfertigte, dass der Kopf ein ganzer Mensch sei und die Beine umgestülpt den Kiefer bildeten, während die Arme Repräsentanten der ätherischen Augen seien.9 Auch wenn an dieser Stelle die Tiefe, in der Beuys das Denken Steiners durchdrungen und mit seiner plastischen Theorie aktualisiert hatte, nur angedeutet werden kann, verspräche eine Werkanalyse ohne die Einbeziehung dieser Theorien nur wenig Erkenntnis zu liefern. Die fragmentarische Beleuchtung Steiners wird im rational-wissenschaftlichen Denken unvermeidlich auch Verunsicherung und Unverständnis hervorrufen, 9 | Vgl. Steiner, Rudolf zitiert nach: Ausst. Kat., Joseph Beuys – Rudolf Steiner. Zeichnungen – Entwürfe – Skizzen, Rudolf Steiner Archiv, Dornach 2007, S. 15. (K)

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was nicht zuletzt dadurch begründet ist, dass ein Großteil der Erkenntnisse nur durch subjektive und übersinnliche Schau Evidenz gewinnt. Beuys war sich dieser Problematik bewusst und vermied in Interviews weitestgehend die explizite Nutzung der Begriffe Steiners, da er nicht als unreflektierter Esoteriker gelten wollte. »Aber wehe, wenn ich zu frühe beispielsweise vom Ätherleib spreche, dann jage ich doch alle Menschen zum Teufel. Davon wollen sie gar nichts hören, zunächst.«10 Anders bei seinen Zeichnungen und Skizzen, wo Begriffe wie Ätherleib oder Astralleib immer wieder auftauchen. Insbesondere lassen aber die Zeichnungen selbst ihre Nähe zu Steiner erkennen; mit dem Umhüllen oder Nachziehen der Körperlinien beabsichtigte Beuys, die oft schwebenden Figuren »ätherisch zu machen«, zum »Leben zu bringen« und Überphysisches auszudrücken.11 Steiner, der an eine unsichtbare Welt hinter der sichtbaren oder sinnlich wahrnehmbaren glaubte, war der Überzeugung, dass man durch Schulung zu einer Sicht der verborgenen Welt gelangen könne.12 Für die äußeren Sinne sei nur der physische Leib erfassbar, der ganz der leblosen mineralischen Welt angehöre. Leben in den physischen Körper bringe erst der »Ätherleib« oder »Lebensleib«, der nur für die seelisch-geistige Schau sichtbar sei.13 Wichtiges Bindeglied der Zeichnungen zu späteren Aktionen wie beispielsweise Der Chef The Chief (1964), so wird sich zeigen, ist Steiners Schulung zur Versenkung in das Übersinnliche. Wolfgang Zumdick erkennt eine Strategie von Beuys darin, »dieses ›Übersinnliche‹ zum Gegenstand seines künstlerischen Willens« zu machen und menschliche Kommunikationsformen zu verändern.14

10 | Beuys in einem Gespräch mit Rainer Rappmann, in: Harlan, Volker; Rappmann, Rainer; Schata, Peter: Soziale Plastik. Materialen zu Joseph Beuys, Achberg 1976, S. 10-25, hier: S. 12. (T) 11 | Vgl. Beuys zitiert nach: Dornach 2007, S. 19. 12 | Vgl. Steiner, Rudolf: Die Geheimwissenschaft im Umriß (Orig. Die Geheimwissenschaft im Umriß, Leipzig 1910), Gesamtausgabe, Bd. 13, Dornach 1976, S. 33. (A) 13 | Vgl. Steiner, GA 13, S. 42-43. 14 | Vgl. Zumdick, Wolfgang: Material, Materie, Substanz. Philosophische Implikationen des Beuysschen Materie- und Substanzbegriffs, in: Stiftung Museum Schloss Moyland (Hg.): Joseph Beuys. Symposium zur MaterialIkonografie, Bedburg-Hau 2008, S. 21-24, hier: S. 22. (A)

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2.2 E NTPUPPUNG DES S CHMET TERLINGS (1950) Die Andeutung des menschlichen Entwicklungsprozesses bei Mädchen mit Gefäßformen (1947) (Abb. 11) greift Beuys bei Entpuppung des Schmetterlings (1950) (Abb. 13) auf. Zu dieser Zeit beschäftigte er sich intensiv mit evolutionären Prozessen und dem Verhältnis von Verhüllung, verborgener Präsenz, Entwicklung und anschließender Befreiung. Die Verpuppung ist entscheidender Schritt bei der Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling. Der Schmetterling, ein Tier, das sich von der krabbelnden Raupe, häufig als unansehnlich empfunden, zu einer fliegenden Schönheit entwickelt, wird zum Bild der Verwandlung. Obwohl diese Tiere einen großen Teil ihres Lebens als Larve oder Puppe verbringen, findet nur der entpuppte Schmetterling wirkliche Beachtung. Beuys interessierte sich weniger für die Schönheit des entpuppten Tieres, als vielmehr für seine Wandlungsfähigkeit. Während die Raupe sich bewegt und frisst, verbleibt die Insektenlarve verborgen präsent in völliger Ruhe, um sich anschließend zu entfalten. Der Prozess von Verpuppung, Bewegungslosigkeit und Entpuppung wird sich in der narrativen Struktur späterer Aktionen zeigen. Für Beuys bestand eine direkte, jedoch nicht leicht nachvollziehbare Verbindung zwischen dem ätherischen Körper des Menschen, wie er ihn mit den Körperhüllen darstellte, der Verpuppung der Larve und ihrer Wandlung zum Schmetterling. Der Ätherleib bringt einerseits Form, Gestalt und Leben in den physischen, mineralischen Körper, ist andererseits aber auch übersinnliches Wahrnehmungsorgan, mit dem der Mensch nach hinreichender Übung Verbindung zur Ätherwelt aufnehmen kann. In diesem Zustand ist es nicht das Gehirn, das denkt, und sind es nicht die sinnlichen Organe, die wahrnehmen, sondern die übersinnlichen des Ätherleibes, die durch Schulung herausgebildet werden müssen. Während dieses Zustands lebt der Mensch körperlich weiterhin in der physischen Welt und hat sich dennoch von ihr abgewandt; er bewegt sich in der Ätherwelt.15 Der Ätherleib organisiert die mineralische Masse des physischen Körpers, ist geistiger Leib und »verborgener Bildner der Physis«, da er »das Bild des Gestaltwandels«, die »Entelechie« in sich trägt.16 15 | Vgl. Zumdick, Wolfgang: »Der Tod hält mich wach«. Joseph Beuys – Rudolf Steiner. Grundzüge ihres Denkens, Dornach 2001, S. 40-41. (A) 16 | Vgl. Zumdick 2001, S. 29.

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Abb. 13: Beuys, Joseph: Entpuppung des Schmetterlings, 1950. Genauso wie ein natürliches Formprinzip die Raupe verpuppt und zum Schmetterling wandelt, ist auch der Mensch durch Gestaltwandlungen bestimmt, deren Bilder er im Ätherleib schauen kann. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das eingangs angeführte Zitat, bei dem Beuys die plastische Qualität des Denkens mit der verborgenen

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Präsenz der Larve im Kokon vergleicht: Das Denken führt durch einen dunklen Gedankengang, bevor es das ›imago‹ der Idee hervorbringt, so wie die Larve im dunklen Tunnel des Kokons ihre Entfaltung zum Schmetterling erwartet. Den Begriff ›imago‹ nutzt Beuys, so bin ich überzeugt, in direktem Bezug zum imaginativen Denken bei Steiner. Sein Verständnis von Imagination muss deutlich von dem allgemeinen Gebrauch des Wortes unterschieden werden, da es sich nicht um bloßes Vorstellen, also psychologische Projektion, sondern um die Schau übersinnlicher Bilder handelt, zu denen die gestaltenden Kräfte des Lebens gehören. Auf die Imagination als erste Meditationsstufe bei Steiner soll im Rahmen der Analyse von Der Chef The Chief noch genauer eingegangen werden. An dieser Stelle bleibt zu betonen, dass für das Verständnis des Motivs der verborgenen Körperpräsenz bei Beuys zwischen dem physischen, d.h. sinnlich wahrnehmbaren Leib, und dem feinstofflichen, d.h. nur übersinnlich wahrnehmbaren Ätherleib sorgfältig unterschieden werden muss. Verborgen präsent ist nur der physische Körper, der Ätherleib dagegen, da er nicht von der äußeren Sinneswahrnehmung abhängig ist, bleibt frei.

2.3 I NITIATION (1953)

Abb. 14: Beuys, Joseph: Initiation, 1953. Anders als Mädchenfigur mit Gefäßformen (1947) (Abb. 11), die durch Profilansicht und schemenhaft stilisiertes Gesicht an das puppenhafte einer Insektenlarve erinnert, sind bei Initiation (1953) (Abb. 14)

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Gesicht und deutlich differenzierte Gliedmaßen einer menschlichen Gestalt zu erkennen. Magerkeit und Starrheit lassen die in horizontaler Lage schwebende Figur leblos wirken, doch beim tierischen Verpuppungszustand ist die absolute Bewegungslosigkeit Kennzeichen des kräftesammelnden Innehaltens vor der Entpuppung. Die skizzenhafte Zeichnung erschwert die eindeutige Benennung des Dargestellten, weshalb die Beschreibung sich auf die wesentlichen Details beschränkt. Mädchenfigur mit Gefäßformen zeigt eine menschliche Figur in verborgener Präsenz, eine Gefäßform sowie pflanzliche Elemente. Ähnliches findet sich bei Initiation: Unter dem Kopf der liegenden Figur steht eine Schale, die aus dem Kopf heraustretende Elemente auffängt. Darunter ist eine Blattform zu erkennen, deren Pflanzenstruktur in den Rippenbögen der Figur wieder aufgenommen wird. Die Zeichnung zeugt von der Beschäftigung des Künstlers mit Goethes Metamorphose der Pflanzen. Beuys’ Kenntnis der berühmten Metamorphosenlehre belegen einerseits vielschichtige Werkbezüge, andererseits aber auch eine Ausgabe von Steiners Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, die sich im Nachlass des Künstlers befindet.17 Es ist davon auszugehen, dass Beuys bereits während der Schulzeit aufgrund seines großen naturwissenschaftlichen und literarischen Interesses mit Goethes Metamorphosenlehre in Berührung kam, und sicher ist, dass er nach dem Krieg diese und andere Schriften intensiv studierte, wodurch er auch auf Steiner stieß, der für das Goethe- und Schiller-Archiv verschiedene Ausgaben, gerade der naturwissenschaftlichen Schriften, bearbeitet hatte.18 Goethe hatte ein ganzheitliches Naturverständnis, er suchte nach dem Wesen aller pflanzlichen Organismen und nannte es Urpflanze. Gemeint war damit keine real existierende Pflanze, sondern die Essenz oder Idee einer jeden Pflanze. Für ihn, der alle Pflanzenteile als identische Organe und Ausprägungen eines übergeordneten Bildungsgesetzes identifizierte, lag der Unterschied zwischen Blatt, Kelch und Krone lediglich im jeweiligen Entwicklungsgrad.

17 | Vgl. Harlan, Volker: Verzeichnis der anthroposophischen Bibliothek von Joseph Beuys, in: Harlan; Koepplin; Velhagen 1991, S. 292-295, hier: S. 292. 18 | Vgl. Adriani; Konnertz; Thomas 1994, S. 22.

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»Die geheime Verwandtschaft der verschiedenen äußeren Pflanzenteile, als der Blätter, des Kelchs, der Krone, der Staubfäden, welche sich nach einander und gleichsam aus einander entwickeln, ist von den Forschern im allgemeinen längst erkannt, ja auch besonders bearbeitet worden, und man hat die Wirkung […] die Metamorphose der Pflanzen genannt.«19

Beuys griff Goethes Metamorphosenlehre auf, zeigte bei Mädchenfigur mit Gefäßformen zwei simultane Wachstumsphasen und stellte die Pflanze so nicht als abgeschlossenes Produkt, sondern sich stetig entwickelnden Organismus dar. Die Verwandtschaft zwischen botanischer und menschlicher Entwicklung betonte er durch das Nebeneinanderstellen der Entwicklungsprozesse von Mensch und Pflanze. Ob er sich dabei stärker auf Goethes oder Steiners Schriften konzentrierte, ist schwer zu beurteilen und letztlich auch nebensächlich, da Steiner Goethes naturwissenschaftliche Erkenntnisse verinnerlicht und sie zum Ausgangspunkt seiner Theosophie gemacht hatte. Das Konzept der formenden Kräfte, deren Betrachtung dem Ätherleib vorbehalten bleibt, entwickelte Steiner eindeutig aus den unwandelbaren Naturgesetzen Goethes, die den natürlichen Entwicklungsprozessen zu Grunde liegen.20 Das erst zaghafte Herantasten an ein übergeordnetes Entwicklungsprinzip in den Zeichnungen von Beuys entwickelt sich mit Initiation zu einer eindeutigen Parallelisierung von Blattstruktur und Knochenmorphologie des Menschen. Auch seine Beschäftigung mit dem menschlichen Knochengerüst war wiederum von Goethe beeinflusst, der ausgiebige anatomische Studien zum Knochenbau des Menschen betrieben hatte. Die obere linke Blatthälfte wird bestimmt durch kräftige, schnelle Striche, die durch den Vergleich mit anderen Zeichnungen des Künstlers wohl als Teil eines Hirschgeweihs zu erkennen sind.21 Über die vielschichtigen symbolischen und mythologischen Bedeutungen des Hirsches im Werk wird an späterer Stelle (Kap. 2.5 Der Chef The Chief) zu sprechen sein, doch sollte hier 19 | Goethe, Johann Wolfgang von: Die Metamorphose der Pflanzen (Orig. Die Metamorphose der Pflanzen, Gotha 1790), Weimar 1984, (§4) S. 2. (A) 20 | Vgl. Steiner, Rudolf: Goethes Naturwissenschaftliche Schriften (Orig. Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, Dornach 1926), Gesamtausgabe, Bd. 1, Freiburg i.Br. 1949, S. 19. (A) 21 | Vgl. Toter und Hirsch (1952), Sammlung Marx Berlin. Abb. in: Schade, Werner: Joseph Beuys. Frühe Zeichnungen, München 1992, Abb. 12. (A)

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erwähnt werden, dass Goethe, wie Steiner zu berichten wusste, den Schädel einer Hirschkuh besaß, den er für seinen berühmten Nachweis des tierischen Zwischenknochens (os intermaxillare)22 nutzte. Seine Hypothese des übergeordneten Bildungsprinzips bei Mensch und Tier basierte entscheidend auf dem Beleg, dass auch der Mensch über Reste eines Zwischenknochens im Oberkiefer verfüge, eine These, die von anderen Spezialisten der Anatomie seiner Zeit heftig bestritten wurde. Goethes Ansicht nach hatten sich beim Menschen die tierischen Anlagen nur zurückgebildet, damit das Geistige stärkere Ausprägung finden konnte; im Gesamten jedoch vereine der Mensch das Tier-Sein nach wie vor in sich. Steiner zitiert an einer Stelle Herder und unterstellt, dieser habe die Thesen zur übergreifenden Metamorphose von der Pflanze zum Tier bis hin zum Menschen mit Goethe diskutiert und ganz dessen Geist entsprochen,23 eine Feststellung, die hier keiner weiteren Kritik bedarf, da lediglich das Nachklingen des folgenden Zitats in den Arbeiten von Beuys von Interesse ist: »Vom Stein zum Kristall, vom Kristall zu den Metallen, von diesen zur Pflanzenschöpfung, von den Pflanzen zum Tier, von diesem zum Menschen sahen wir die Form der Organisation steigen […].«24 Steiners Zitat beleuchtet die Hintergründe der starr im Stein verborgenen Figur bei der Zeichnung Ohne Titel (Mann im Gestein) (1951/52) (Abb. 15). Wolfgang Zumdick interpretiert vergleichbare Darstellungen als Selbstporträts des Seelenzustands von Beuys zu dieser Zeit und ruft in Erinnerung, dass der Künstler mehrfach darauf hingewiesen habe, dass das Denken zur Kristallbildung neige, wenn die Welt nur noch im Kopf gebildet werde.25 Auch wenn diese Zeichnung, wie Zumdick einräumt, Jahre vor der viel besprochenen Krise des Künstlers (1956-57) entstand, so ist seiner Interpretation grundsätzlich nichts entgegenzusetzen. Dennoch ist anzunehmen, dass das Thema der Zeichnung weit über die Darstellung eines pathologischen Seelenzustands hinausweist: Ein Verborgenes im Menschen, so Steiner, müsse während des ganzen Lebens einen »fortwährenden Kampf führen gegen die Stoffe und Kräfte des Mineralischen im physischen Leibe«.26 Ohne Titel (Mann 22 | Vgl. Steiner, GA 1, S. 45. 23 | Vgl. Steiner, GA 1, S. 19. 24 | Steiner, GA 1, S. 42. 25 | Vgl. Zumdick 2001, S. 23. 26 | Steiner, GA 13, S. 42.

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im Gestein) ist demnach nicht nur eine psychologische Studie, sondern ein Bild der dauerhaft im Menschen wirkenden Kräfte. Das Mineralische bildet einerseits den physischen Körper, ist also Grundbedingung des Lebens, und anderseits Ursache für den Tod, wenn die Kräfte des Mineralischen ihren Kampf gegen den verborgenen Ätherleib gewinnen. Für Beuys war weniger die historische Betrachtung organischer Genealogie von Bedeutung als vielmehr die Frage nach der aktuellen Relevanz für den Menschen. Jedes lebendige Wesen, so Steiner, stelle ein in sich geschlossenes Ganzes dar, das seine Zustände aus sich selbst setze und eine Teleologie in sich trage.27 Zur persönlichen Weiterentwicklung bedürfe es demnach nicht eines externen Impulses, da nur die Introspektion zur Selbstfindung führe. Hierin liegt die große Bedeutung Goethes und Steiners für das Konzept der verborgenen Präsenz des menschlichen Körpers und der modernen Suche nach Selbstfindung und Steigerung des eigenen Wesens, denn, so Steiner: »Das Lebendige ist ein in sich beschlossenes Ganzes, welches seine Zustände aus sich selbst setzt.«28 Die Kraft des sich aus sich selbst entwickelnden Individuums, die für Beuys von so großer Bedeutung war, nannte Goethe Entelechie. »Da tritt nun die menschliche Vernunft ein und bildet sich in der Idee einen Organismus, der nicht den Einflüssen der Außenwelt gemäß, sondern nur jenem Prinzip entsprechend ist.«29 Dieter Koepplin macht auf zahlreiche Umhüllungen in den frühen Arbeiten von Beuys aufmerksam und zieht exemplarisch eine Zeichnung aus dem Jahr 1972 heran, mit der Beuys wiederum die von Steiner inspirierte Vorstellung verschiedener Körperhüllen graphisch skizzierte. »Der physische Leib lebt in der ›Umhüllung‹ und Erweiterung durch den ›body of perception‹, ›body of feeling‹, ›body of thinking‹, ›body of consciosness‹«.30 Den physischen Körper, dessen Kern die menschliche Seele bildet, umhüllen die Körper der Wahrnehmung, der Gefühle, des Denkens und des Bewusstseins. Beuys unterschied zwischen dem physischen Körper und insgesamt vier immateriellen Körperhüllen, von denen eine in verborgener Körper27 | Vgl. Steiner, GA 1, S. 31. 28 | Steiner, GA 1, S. 31. 29 | Steiner, GA 1, S. 75. 30 | Koepplin, Dieter: Joseph Beuys in Basel. Bd. 2. Zeichnungen und Holzschnitte bis 1954, München 2006, S. 35. (A)

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präsenz zu Teilen blockiert wird, wohingegen die anderen in ihrer Funktion unbeeinträchtigt bleiben.

Abb. 15: Beuys, Joseph: Ohne Titel (Mann im Gestein), 1951/52. Der geschäftige Alltag konfrontiert mit einer Fülle von äußeren Wahrnehmungen, die das Denken, Fühlen und Sein in starkem Maße bestimmen. In verborgener Präsenz richtet sich die Konzentration verstärkt auf die seelisch-geistige Wahrnehmung, sodass man vielleicht davon sprechen kann, dass die verborgene Präsenz nicht nur die äußere Wahrnehmung blockiert, sondern den inneren Wahrnehmungen größeren Raum gibt. Eine Analyse der Zeichnung Initiation kommt nicht an der thematischen Berücksichtigung des Titels vorbei. Der Begriff Initiation beschreibt höchst heterogene Phänomene, die jedoch meist eine Art von Fortentwicklung des Menschen gemein haben. Antje von Graevenitz deutet die Zeichnung als Darstellung des Wiederauflebens einer Seele (»a soul resurrecting«) und verweist auf die Bedeutung von Initiationsritualen für die Kunst von Beuys.31 Eine der ersten wis31 | Vgl. Graevenitz, Antje von: The Old and the New Initiation Rites: Joseph Beuys and Epiphany, in: Cooke, Lynne; Kelly, Karen (Hg.): Robert

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senschaftlichen Untersuchungen in diesem Bereich legte Arnold van Gennep vor, der mit seinem Hauptwerk Les rites de passage einen umfassenden interkulturellen Vergleich anstellte.32 Van Gennep, der bei allen Übergangsriten, so auch den Initiationsriten, eine dreistufige Struktur erkennt, unterscheidet zwischen einer »Ablösungsphase«, einer »Schwellen- bzw. Umwandlungsphase« und einer »Integrationsphase«.33 Die Struktur des dreistufigen Modells van Genneps erkannte erstmals Antje von Graevenitz in der Kunst von Beuys und betont die Bedeutung der Reinigung und Läuterung durch Initiationsrituale.34 Für die verborgene Präsenz des menschlichen Körpers ist insbesondere die Umwandlungsphase des Initianden aufschlussreich, die van Gennep am Bespiel eines Pubertätsrituals erörtert. Der Initiand muss, nachdem er aus der Gesellschaft separiert wurde, eine gewisse Zeit abseits der Gemeinschaft verbringen und wird hierfür in einer Hütte verborgen.35 Wesentliche Voraussetzung ist dabei, dass niemand Zugang zu dem verborgenen Initianden hat und über das Geschehen in der Hütte Stillschweigen bewahrt wird. Manchmal geht die Inszenierung des Übergangs so weit, dass bildhafte Anspielungen auf den Tod oder die Zerstücklung des Jünglings gemacht werden, was van Gennep mit den Ursprüngen im »Isis-Kult«36 oder dem christlichen Martyrium37 begründet. Die Charakterisierung vieler Aktionen von Beuys als Initiationsriten begründet eine gewisse strukturelle Ähnlichkeit, die weder zufällig noch von der Hand zu weisen ist. Lehman Lectures on Contemporary Art, New York 1996, S. 63-78, hier: S. 76. (A) 32 | Gennep, Arnold van: Übergangsriten (Orig. Les rites de passage, Paris 1909), Frankfurt a.M., New York 2005. (A) 33 | Vgl. Gennep 2005, S. 21. 34 | Vgl. dazu: Graevenitz, Antje von: Erlösungskunst oder Befreiungspolitik. Wagner und Beuys, in: Förg, Gabriele (Hg.): Unsere Wagner: Joseph Beuys, Heiner Müller, Karlheinz Stockhausen, Hans Jürgen Syberberg, Frankfurt a.M. 1984, S. 11-49, hier: S. 36-37 (A); ferner: Graevenitz, Antje von: Rites of Passage in Modern Art, in: Lavin, Irving (Hg.): World Art: themes of unity in diversity: acts of the XXVIth International Congress of the History of Art (Washington, DC 1986), Vol. III, Washington, London 1989, S. 585-592, hier: S. 585. (A) 35 | Vgl. Gennep 2005, S. 78. 36 | Gennep 2005, S. 93. 37 | Vgl. Gennep 2005, S. 176.

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Beuys inszenierte sich bewusst in der Figur des Schamanen und tat dies nicht etwa, um alte mystische Zustände wieder zu beleben, sondern um im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen des Menschen das materialistische mit dem spirituellen Denken zu vereinen.38 Diese Zusammenhänge sind vielerorts diskutiert worden und müssen an dieser Stelle nicht ein weiteres Mal aufgegriffen werden.39 Entscheidender scheint mir erneut Steiner und seine Untersuchung der übersinnlichen Erkenntnis zu sein: Der Mensch erlebe gewöhnlich mit dem Wachen, dem Schlaf und dem Traum drei Seelenzustände, von denen Steiner das Träumen zuerst einmal aus hier irrelevanten Gründen ausklammert. Im Wachen, so Steiner, habe der Mensch Bewusstsein und im Schlaf nicht, da dann der Astralleib den ätherischen und den physischen Leib verlasse. Gewöhnlich komme man über das Erlebnis dieser beiden Zustände nicht hinaus, doch durch Schulung könne ein Punkt erreicht werden, an dem die äußeren Sinne wie im Schlaf ausgeschaltet seien und innere Sinne übersinnliche Erkenntnis ermöglichten.40 »Die Erweckung der Seele zu einem solchen höheren Bewusstseinszustand«, so Steiner, »kann Einweihung (Initiation) genannt werden.«41 Insbesondere die frühen Skizzen und Zeichnungen von Beuys belegen meiner Meinung nach, dass der Künstler sich mit dem Titel Initiation auf die bei Steiner beschriebene Einweihung in höhere Welten berief; Initiationsriten verschiedener Naturvölker waren nur insoweit von Bedeutung, als es auch dort um die Erreichung höherer Bewusstseinszustände ging.

38 | Vgl. Müller, Alois Martin: Schamane, in: Szeemann, Harald (Hg.): Beuysnobiscum, Hamburg 2008, S. 313-317. (A) 39 | Auf die Beuys’sche Selbstinszenierung in der Figur des Schamanen machte erstmals Antje von Graevenitz aufmerksam. Vgl. Graevenitz, Antje von: Erlösungskunst oder Befreiungspolitik. Wagner und Beuys [wie Anm. 34], in: Förg 1984, S. 40. 40 | Vgl. Steiner, GA 13, S. 222. 41 | Steiner, GA 13, S. 223.

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2.4 G UMMIERTE K ISTE (1957)

Abb. 16: Beuys, Joseph: Gummierte Kiste, 1957. Die gummierte Kiste, seit der Documenta IV (1968) Teil des Beuys Block im hessischen Landesmuseum (Abb. 16), wurde 1957 in Spellen/Voerde angefertigt, wo Beuys sich im Haus seines Vetters Norbert Hülsermann zur Vorbereitung einer Ausstellung aufhielt. Mit der Kiste, einer wissenschaftlich bisher wenig beachteten Arbeit, löste Beuys die Darstellung geistiger Entwicklungsprozesse von ihrer bis dahin engen Verbindung zur pflanzlichen, tierischen oder menschlichen Figur. Nutzte der Künstler in einer frühen Werkphase, so Angerbauer-Rau, Zeichnungen zur Darstellung evolutiver Prozesse, so habe er später Gegenstände verwendet, die sich in geheimnisvoller Weise auf das Innere des Menschen beziehen.42

42 | Vgl. Angerbauer-Rau 1998, S. 52.

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Im alltäglichen Gebrauch dient ein Behälter wie die gummierte Kiste der Aufbewahrung von Gegenständen und selten einem Menschen als Ort des Rückzugs. In Kisten Verstautes ist in der Regel unorganisiert und findet an anderer Stelle keinen festen Platz. Man befreit sich nicht von der Unordnung, sondern lediglich von ihrer visuellen Präsenz: Aus den Augen, aus dem Sinn pointiert die immense Bedeutung des Visuellen für die menschliche Sinnes- und Seinswahrnehmung. Die gummierte Kiste vermittelt durch ihr marodes und schmutziges Äußeres nicht den Eindruck, als enthielte sie geliebte oder gar wertvolle Gegenstände. Es ist keine dekorative Verpackungskiste, sondern vielmehr ein Objekt, in dem Sperrmüll, Unrat oder Ähnliches verstaut sein könnte. Beuys lehnte im Jahr 1961 den Begriff des Objekts ab und bevorzugte stattdessen denjenigen des plastischen Bildes. Der definitorische Wandel bringt die psychologische Dimension seiner plastischen Arbeit zum Ausdruck, da er nicht autonome Objekte, sondern Bilder geistiger Prozesse schaffen wollte.43 Wenn im weiteren Verlauf der Begriff des Objekts dennoch gewählt wird, so einzig in einem Bemühen um möglichst wertfreien Ausdruck und nicht im Sinne des theoretischen Diskurses der Minimal Art, zu der die gummierte Kiste, trotz formaler Parallelen, in keinem Verhältnis steht, da Beuys ein Bild für die Organisation von geistigem Unrat und Chaos schuf. Hülsermann berichtet 1986 im Gespräch mit Moritz Pickshaus von der Entstehung: »Ja, und dann ist er [Beuys] auch dahin [benachbarter Schreiner »Max«] und hat gesagt: So groß muß die Kiste werden. Das Holz muß so stark sein. Ja?! Schön glatt hobeln alles. – Und dann war die Kiste auch fertig. […] Und dann hat er sich Teer geholt, diesen Knust, und hat […] ihn geschmolzen und hat die ganze Kiste mit Teer beschmiert. Die sah nachher aus! Mit Sand beworfen und so was. Das Gehobelte und alles, das war hinfällig […] Mit dem Besen über den Hof, den Dreck zusammengefegt. So dagegen geworfen, damit das in dem flüssigen Teer so dadrin sitzt. – Seine Ideen waren dat!« 44

43 | Vgl. Strieder, Barbara in: Harlan; Koepplin; Velhagen 1991, S. 66. 44 | Norbert Hülsermann in einem Interview mit Moritz Pickshaus (1986), in: Joseph Beuys – »Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung«, unveröffentlichtes Typoskript zu einem Radiobeitrag, WDR 3, 02.03.1987. (T)

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Tote Körper werden in der sprichwörtlichen Kiste verscharrt, die aber, sofern es finanzielle Mittel und guter Wille der Hinterbliebenen zulassen, aus teuren Hölzern gefertigt und auf Hochglanz poliert wird. Blumengestecke und edle Stoffe lenken von der beklemmenden Tatsache ab, dass die Holzkiste die sterblichen Überreste eines Menschen enthält. Moderne Gesellschaften verdrängen zunehmend das mittelalterliche Memento mori und vermeiden Erinnerung an die eigene Sterblichkeit. Asche zu Asche und Staub zu Staub ist fester Bestandteil des christlichen Bestattungsrituals, doch der Wandlungsprozess des toten Körpers in der Erde wird selten thematisiert und schon gar nicht visualisiert. Körper und Sarg übergibt man dem natürlichen Zersetzungsprozess, damit neues Leben entsteht. Der sterbliche Körper wird wie ein Keim im Boden verborgen und dem Zerfall überlassen, während der Geist im besten Fall gereinigt zum Himmel aufsteigt. In Zeichnungen aus den Jahren 1956/57 beschäftigte Beuys sich intensiv mit dem irdischen Tod und der Selbstbefreiung des Menschen.45 Die gummierte Kiste misst 43 x 91 x 77 cm und entspricht somit nicht der Größe eines gewöhnlichen Sargs, da, zumindest christlichen Bestattungsritualen folgend, der Körper horizontal ausgestreckt beerdigt wird. Beuys aber suchte nach einer Erweiterung des westlichen Blicks, bezog fremde kulturelle Horizonte mit ein und versuchte, durch die Analyse alter Mythen das »Übermythische herauszukristallisieren«, das auch für moderne Gesellschaften von Nutzen sein könnte.46 Bedenken wir also vor diesem Hintergrund, dass die gummierte Kiste einem menschlichen Körper durchaus genügend Platz bieten könnte, sofern dieser in embryonaler Haltung zusammengekauert wäre. Das Bild eines Menschen in vergleichbarer Haltung wird Beuys wahrscheinlich durch seine Beschäftigung mit alten ägyptischen Bestattungsritualen bekannt gewesen sein. Diese Vermutung lässt sich zum einen durch eine Skizze des Künstlers belegen, die den Vermerk »ägyptische Totenbücher«47 trägt. Zum anderen erklärte Jo45 | Vgl. Freitod (1957), Abb. in: Ausst. Kat., Joseph Beuys. Frühe Arbeiten aus der Sammlung van der Grinten. Mit Textbeiträgen von Klaus Gallwitz, Franz Joseph van der Grinten, Hans van der Grinten, Werner Hoffmann und Werner Schade, Ministerium für Bundesangelegenheiten, Bonn 1987, Akademie der Künste der DDR, Berlin 1988, Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig 1988 und weitere Orte. (K) 46 | Vgl. Angerbauer-Rau 1998, S. 103. 47 | Beuys: Skizze 1959-1965, in: Beuys, Eva (Hg.) 2000, S. 369.

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seph van der Grinten, Beuys habe während seiner Krisenzeit das Motiv des »ägyptischen Würfelhockers in einer Grabhöhle« wiederholt gezeichnet und sich mit Todesvorstellungen intensiv auseinandergesetzt.48 Antje von Graevenitz weist darauf hin, dass Steiners Buch Das Christentum als mystische Tatsache und die Mysterien des Altertums (GA 8) Beuys zu einer Beschäftigung mit der ägyptischen Mysterienwelt gebracht haben könnte.49 Erwin Heerich, wie Beuys Student bei Mataré an der Düsseldorfer Kunstakademie, begründet die Entstehung der Kiste mit der legendären Krise des Künstlers (1956/57) und erinnert sich an damalige Gespräche. Seine Aussagen stellen das Werk in einen engen Zusammenhang mit dem Thema der Krise, der Isolation und des Wandlungsprozesses. »Dann kam erst einmal eine völlige Verwirrung und Lethargie. Ich bin mit ihm tagelang am Rhein spazierengegangen…, wo er immer sagte: Am liebsten würde ich---Ich setze mich in eine Kiste und Du nagelst sie zu, daß ich nicht selber etwas machen muß. Ich bin nicht einmal in der Lage [,] eine solche Entscheidung zu treffen.« 50

Der krisenbedingte Wunsch nach physischer Bewegungslosigkeit, so Heerich, habe dazu geführt, dass Beuys sich wochenlang in der verdunkelten Heerdter Wohnung seines Freundes Adam Rainer Lynen versteckt hielt. Als Freunde schließlich in die Wohnung einbrachen, soll Beuys bereits Wasser in den Beinen angelagert und verkündet haben, er wolle sich auflösen und brauche nichts weiter als einen Rucksack.51 Diese merkwürdige und vielleicht bewusst von Beuys gesteuerte Anekdote bringt verschiedene Aspekte zusammen: Bekanntermaßen kann die Ansammlung von Wasser im Beingewebe die medizinische Folge von lang anhaltender Bewegungslosigkeit sein, doch Beuys behauptete, er wolle sich absichtlich verflüssigen, sodass berechtigterweise zu hinterfragen ist, ob er tatsächlich an 48 | Vgl. Adriani, Götz; Konnertz, Winfried; Thomas, Karin (Hg.): Joseph Beuys. Leben und Werk, Köln 1981, S. 66. 49 | Vgl. Graevenitz, Antje von: Joseph Beuys’ Gebrauch von Schwefel. Mutmaßungen über eine Schwefelschlaufe und alt-ägyptische Inspiration, in: Stiftung Museum Schloss Moyland 2008, S. 67-72, hier: S. 69. 50 | Erwin Heerich in einem Interview mit Moritz Pickshaus (1986), in: Pickshaus 1987. 51 | Vgl. Stachelhaus, Heiner: Joseph Beuys, Düsseldorf 1987, S. 63. (A)

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Ödemen litt oder aber vielmehr in alchemistischen Bildern sprach. In einem Gespräch mit Antje von Graevenitz aus dem Jahr 1982 bemerkt Beuys, dass Transformation ein grundlegendes Konzept seiner Arbeit sei und betont eine Verbindung zur alchemistischen Lehre, die höhere Formen des Bewusstseins zum Ziel habe.52 Von Graevenitz stellt sich die Frage, ob Kunst überhaupt Alchemie sein könne, da der klassische Alchemist darum bemüht gewesen sei, sich selbst zu verstehen und einen Kern in sich zu finden, wohingegen der moderne Künstler in Kontakt mit der Außenwelt stehe und durch die Kunst mit ihr kommunizieren wolle.53 Beuys’ Isolationsvorstellungen und sein Rückzug in die Heerdter Wohnung legen nahe, dass er auf der Suche nach Möglichkeiten zur Klärung seines psychischen Zustands war und an einen reinen inneren Kern glaubte. In dieser Hinsicht, sofern man von Graevenitz folgt, stand Beuys zumindest Mitte der 1950er Jahre den klassischen Alchemisten näher als den meisten modernen Künstlern. Für die Alchemie, so Jung, war das Wasser Symbol für das »Lebendige des seelischen Wesens« und wurde daher auch mit Synonymen wie »aqua nostra«, »argentum vivum«, »vinum ardens« oder »aqua vitae« bezeichnet.54 Man glaubte an eine Kraft, »die das Feuer nicht besitzt […]. Sie ist selbst die Wahrheit, alle Erforscher der Weisheit, denn mit ihren Körpern , bewirkt sie das höchste der Werke.«55 Die teilweise etwas undurchsichtige Darstellung der alchemistischen Symbolik von Jung kann in diesem Rahmen nur angedeutet werden, doch, da Beuys die Studien über Alchemistische Vorstellungen kannte,56 ist anzunehmen, dass er auch um die Bedeutung des Wassers als Synonym für den Geist des Menschen wusste. Er 52 | Beuys zitiert nach: Graevenitz, Antje von: The Art Of Alchemy, in: Art & design, London 1990, S. 86-93, hier: S. 89. (A) 53 | Vgl. Graevenitz 1990, S. 93. 54 | Vgl. Jung, C.G.: Psychologie und Alchemie (Orig. Psychologie und Alchemie, in: Psychologische Abhandlungen, Bd. 5, Zürich 1944), Gesammelte Werke, Bd. 12, Solothurn, Düsseldorf 1995, S. 94. (A) 55 | Jung, C.G.: Die Visionen des Zosimos (Orig. Einige Bemerkungen zu den Visionen des Zosimos, in: Eranos Jahrbuch 1937, Zürich 1938), in: Jung: Studien über alchemistische Vorstellungen (Orig. Studien über alchemistische Vorstellungen, Olten 1978), Gesammelte Werke Bd. 13, Solothurn, Düsseldorf 1995, S. 65-121, hier: S. 86. (A) 56 | Vgl. Anm. 4.

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suchte, und das nicht nur in Krisenzeiten, nach einer Erneuerung des Geistes und hat das folgende hermetische Prinzip bei seiner vermeintlichen Verflüssigung mit Sicherheit nicht wörtlich verstanden: »Gieße deinen Geist aus, das heißt das Wasser […] und du wirst das Antlitz der Erde erneuern.«57 Bisher hat man sich in der Literatur zu Beuys nicht gefragt, weshalb der Künstler bei seiner Isolation in der Heerdter Wohnung einen Rucksack zu der geplanten Verflüssigung benötigte. Während seiner Aktion In memoriam George Maciunas (1978) hatte er einen Rucksack bei sich, der einen mit Filz umwickelten Spazierstock enthielt, doch dies ereignete sich über zwanzig Jahre nach seiner Depression. Ein Rucksack, Symbol des Reisens und Unterwegsseins, scheint fast ein paradoxes Utensil für den einsamen Rückzug in wochenlanger Bewegungslosigkeit zu sein, wenn man das Vorhaben des Künstlers wörtlich versteht. Beuys begab sich auf eine innere Reise zur Überwindung seiner psychischen Probleme. Die Bewegungslosigkeit diente einerseits der Konzentrationssteigerung und stand zudem symbolisch für die metamorphische Starre der Insektenlarve während ihrer Verpuppung. Diese Reise musste er allein und mit leichtem Gepäck begehen, begleitet nur von einem Rucksack als Zeichen der maximalen äußeren Reduktion. Heike Fuhlbrügge regt an, die berühmte Schultertasche von Beuys als Behälter kreativer Ideen zu deuten,58 womit der maximalen äußeren Reduktion eine qualitative Richtung gegeben wäre. Sowohl die zeitliche Parallelität der Anfertigung der Kiste und des Rückzugs in die abgedunkelte Wohnung als auch die Erinnerungen Heerichs lassen vermuten, dass Beuys die Kiste als Zufluchtsort für seine frei gewählte Isolation konzipierte. Sie war, um den Begriff des Künstlers zu verwenden, ein plastisches Bild seiner Isolationsvorstellung, sollte der Umhüllung und Abschottung seiner Seele dienen und sein Inneres vor äußeren Einflüssen schützen. »Die Box entstand aus meiner Periode der Krise in Düsseldorf-Heerdt und drückt meinen inneren Zustand aus. […] Sie ist sicher ein Äquivalent des zuvor erwähnten pathologischen Zustands und drückt die Notwendigkeit aus,

57 | Jung, C.G.: Die Visionen des Zosimos [wie Anm. 55], in: Jung 1995, Bd. 13, S. 87. 58 | Vgl. Heike Fuhlbrügge zitiert nach: Graevenitz 1996, S. 77.

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im Geist einen Raum zu schaffen, von dem alle Störungen beseitigt sind: einen leeren isolierten Raum.« 59

Spekulationen über mögliche Ursachen der Krise können nicht das Ziel der kunstwissenschaftlichen Analyse sein, weshalb die Umstände, unabhängig von ihrer biographischen Belegbarkeit, als Teil seiner künstlerischen Identität verstanden werden sollten. Seine Verweise auf die Alchemie, hermetische Philosophie, Mythologie, Theologie und Literatur belegen, dass Beuys sich mit der Struktur von Krisenprozessen beschäftigte und dort auf das Motiv der verborgenen Körperpräsenz im Kontext einer festen Krisenstruktur traf. In seiner kurzen Krisenbeschreibung betont er immer wieder die aus dieser Verfassung resultierende Möglichkeit zur kathartischen Selbstbefreiung – Krise bedeutete für ihn vor allem Potenzial zur Erneuerung und Läuterung. »Ich glaube, diese Phase war für mich eine der wesentlichsten insofern, als ich mich auch konstitutionell völlig umorganisiert habe; ich hatte zu lange einen Körper mit mir herumgeschleppt. Der Initialvorgang war ein allgemeiner Erschöpfungszustand, der sich allerdings schnell in einen regelrechten Erneuerungsvorgang umkehrte.« 60

Die Kiste ist Ausdruck einer künstlerischen Umbruchphase, die Beuys an die Schwelle zwischen Körperkonzept und faktischem Körpererleben führte. Der Künstler verknüpfte diese plastische Arbeit ausdrücklich mit der Vorstellung verborgener Körperpräsenz, doch verzichtete er, so ist zumindest anzunehmen, auf eine körperliche Umsetzung. Es wäre jedoch falsch, die Kiste allein als intellektuelles Spiel zu verstehen, da Beuys physisch das Bedürfnis nach körperlicher Isolation verspürte und in Erwägung zog, sich für einige Zeit in ein tibetanisches Kloster zurückzuziehen.61 Klaus Beck, Schüler von Beuys und ehemaliger Inhaftierter in Bautzen, bestätigte, dass sein Lehrer ihm schon damals von dem Wunsch berichtete, sich in Tibet einmauern 59 | Beuys zitiert nach: Ausst. Kat., Joseph Beuys, Solomon R. Guggenheim Museum, New York 1979, S. 70. (K) 60 | Beuys zitiert nach: Adriani; Konnertz; Thomas 1994, S. 40. 61 | Vgl. Beuys zitiert nach: Joseph Beuys. Zeichnungen 1947-1959 I. Gespräch zwischen Joseph Beuys und Hagen Lieberknecht. Geschrieben von Joseph Beuys, Köln 1972, S. 12. (T)

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zu lassen.62 Die Anfänge der Aktionskunst von Beuys, so vermutet Uwe M. Schneede in seinem Werkverzeichnis der Aktionen, seien nur schwer auszumachen und ließen sich wahrscheinlich »bei nicht angekündigten und nur für Eingeweihte wahrnehmbaren demonstrativen Handlungen« finden. Schneede führt einige Ereignisse aus den frühen 1960er Jahren an, beruft sich dabei unter anderem auf Informationen des vom Künstler selbst verfassten Lebenslauf/Werklauf und spricht von der frühen »Ästhetisierung von Lebenswirklichkeit«, d.h. einer untrennbaren Auflösung von künstlerischer Aktion und Lebensführung.63 Der Bericht des Künstlers vom Rückzug mit Rucksack zur Körperauflösung legt aus meiner Sicht nahe, das Ereignis zur Gruppe der künstlerischen Aktionen zu zählen, auch wenn Schneede dies unerwähnt lässt. Diesen Vorschlag rechtfertigt doch gerade das Objekt des Rucksacks, da es für Beuys’ Arbeitsweise typisch war, verwendete Requisiten in späteren Aktionen wieder zu nutzen. Die Frage, ob der Heerdter Rucksack, sofern er wirklich existierte, genau derjenige war, den er bei In memoriam George Maciunas wieder verwendete, ist nicht zu beantworten und vielleicht auch von untergeordnetem Interesse. Von Bedeutung ist vor allem das Konzept seiner vielleicht ersten künstlerischen Aktion, deren Struktur in späteren Aktionen wie Der Chef The Chief (Abb. 18) wieder zu erkennen ist. Des Weiteren wäre zu überlegen, ob eine kategoriale Trennung von plastischer Kunst auf der einen Seite und Aktionskunst auf der anderen grundsätzlich sinnvoll ist, zumal Beuys bemerkte, dass, wenn man die Plastik in ihre treibenden Grundkräfte aufspalte, man zur Aktion komme.64 Die entscheidende treibende Grundkraft, die zur gummierten Kiste führte, war der Wunsch nach verborgener Präsenz des Körpers, den Beuys dann mit der Heerdter Aktion in Zeit und Raum und unter Bedacht der angesprochenen Symbolik inszenierte, weshalb Objekt und Aktion vor dem Hintergrund ihres engen Verhältnisses beurteilt werden müssen. 62 | Vgl. Klaus Beck in einem Interview mit Moritz Pickshaus (1986), in: Pickshaus 1987. 63 | Vgl. Schneede, Uwe M.: Joseph Beuys. Die Aktionen. Kommentiertes Werkverzeichnis mit fotografischen Dokumentationen, Ostfildern-Ruit 1994, S. 8. (A) 64 | Vgl. Beuys in einem Gespräch mit Rainer Rappmann, in: Harlan; Rappmann; Schata 1976, S. 22.

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Die zur Herstellung der Kiste verwendeten Materialen wählte der Künstler aufgrund ihrer optischen Wirkung und ihres symbolischen Gehalts, da er, wie angeführt, ein Äquivalent seines damaligen Innenlebens schaffen wollte, das durch Gefühle bestimmt war, die so Schwarz wie die Mischung von Gummi und Teer waren.65 Norbert Hülsermann sprach von einer glatt gehobelten Holzkiste, die Beuys anschließend mit Teer bedeckt und mit Dreck beworfen habe. Beuys selbst dagegen erwähnte eine Mischung aus Teer und Gummi, sodass davon auszugehen ist, dass Hülsermann die genaue Materialzusammensetzung nicht kannte oder aber vergessen hatte, dass dem Teer noch Gummi beigemischt worden war, zumal es dem Objekt auch nicht direkt anzusehen ist. Da es Beuys aber nicht nur um die Ästhetik des Objekts, sondern auch die Materialsemantik ging, kommt dem Gummi eine für die Kiste wesentliche Bedeutung zu: Holz und Gummi dienten als akustischer und der Teer als energetischer Isolator. Gummi ist weich, elastisch und dehnbar und die gummierte Kiste für den Künstler Bild der schutzbietenden Isolationszelle während des psychischen Wandlungsprozesses. Hülsermann berichtet, wie Beuys die Kiste mit Dreck, Sand und den zusammengekehrten Resten der Schreinerei beworfen habe und die Abfallprodukte an der noch nicht gehärteten Außenhülle kleben blieben, wodurch dauerhaft die Funktion einer das Innere schützenden Hülle zum Ausdruck kommt. Gummi gehörte nicht zu den Materialien, die Beuys häufig verwendete, und so ist es selbst in der ansonsten sehr umfangreichen Publikation zur Beuys’schen Materialsymbolik nicht erwähnt.66 Der Künstler erklärte den Einsatz des Materials durch die schützende Isolationsschicht, mit der er das Objekt versehen wollte, doch wird er auch um die alchemistische Bedeutung gewusst haben, die seine Materialverwendung auf anderer Ebene erklärt. Die gummierte Kiste war imaginierter Ort der Wandlung, an dem er die Neuorganisation seiner Psyche und das Gleichgewicht von Geist und Körper suchte. Jung erwähnt das Material in seiner Funktion als bedeutende Wandlungssubstanz: »›Gummi arabicum‹, ursprünglich, ist hier als Arkannamen benützt für die Wandlungssubstanz, und zwar um der adhäsiven Eigenschaft willen. So er65 | Vgl. Beuys zitiert nach: New York 1979, S. 70. 66 | Vgl. Ausst. Kat., Joseph Beuys. Die Materialien und ihre Botschaft, Stiftung Museum Schloss Moyland, Kleve 2007. (K)

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klärt zum Beispiel Kunrath den ›roten‹ Gummi als das ›Harz der Weisen‹, was eben ein Synonym der Wandlungssubstanz ist. Diese Substanz als Lebenskraft (vis animans) vergleicht ein anderer Erklärer dem ›Leim der Welt‹ (glutinum mundi), der das Mittlere zwischen Geist und Körper bildet und deren beider Verbindung ist.« 67

Nicht nur den im Herstellungsprozess verwendeten Materialen, sondern auch dem Motiv des verborgenen menschlichen Körpers kommt zentrale alchemistische Bedeutung zu. Die Rolle der verborgenen Körperpräsenz in Jungs alchemistischer Theorie ist nur vor dem Hintergrund seiner Herleitung aus der chinesischen Philosophie und den hermetischen Schriften zu begreifen, deren Komplexität eine etwas umfangreichere Einleitung erfordert, die das Verbergen des Körpers im Werk von Beuys historisch situieren wird. Seine Studien über alchemistische Vorstellung beginnen mit einem Kommentar des alten taoistischen Textes Das Geheimnis der goldenen Blüte, der, so Jung, zugleich alchemistisches Traktat sei und die Kerngedanken der hermetischen Philosophie in aller Klarheit aufzeige.68 Der westliche Mensch, der sich von seinen Wurzeln, seinen seelischen Gegebenheiten, seinem Instinkt, seiner Emotionalität oder auch dem »kollektiven Unbewussten« durch eine Überbetonung des Intellektualismus entfernt habe, sei aus dem natürlichen Gleichgewicht geraten.69 Der Psychologe Jung sah in dieser einseitigen Ausrichtung und Überbewertung den Ursprung psychischer Pathologie und beschreibt depressive Zustände, so wie Beuys sie zur Herstellungszeit der gummierten Kiste durchlebte, am Beispiel eines Geschäftsmannes, dessen übertriebenes Streben nach Erfolg ihn dazu gebracht habe, sich ganz von seiner Tätigkeit zurückzuziehen und in eine Neurose zu verfallen, »die ihn in ein chronisches Klageweib verwandelt, ihn ans Bett fesselt und damit sozusagen endgültig zerbricht«.70 67 | Jung 1995, Bd. 12, S. 190. 68 | Vgl. Jung, C.G.: KOMMENTAR ZU ›DAS GEHEIMNIS DER GOLDENEN BLÜTE‹ (Orig. Das Geheimnis der goldenen Blüte: ein chinesisches Lesebuch/ übersetzt und erläutert von Richard Wilhelm; Komm. von C.G. Jung, München 1929), in: Jung 1995, Bd. 13, S. 13-63, hier: S. 14. 69 | Vgl. Jung, C.G.: KOMMENTAR ZU ›DAS GEHEIMNIS DER GOLDENEN BLÜTE‹ [wie Anm. 68], in: Jung 1995, Bd. 13, S. 19. 70 | Jung, C.G.: KOMMENTAR ZU ›DAS GEHEIMNIS DER GOLDENEN BLÜTE‹ [wie Anm. 68], in: Jung 1995, Bd. 13, S. 22.

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Eine Lösung derartiger Probleme liege, so Jung, in der Bewusstmachung und Anerkennung der Existenz derselben. Der westliche Geist neige dazu, nicht lösbare Probleme zu verdrängen, obwohl die größten menschlichen Probleme alle unlösbar und Ausdruck einer notwendigen Polarität seien, die jedes selbstregulierende System kennzeichne. Der Mensch müsse diese Polarität akzeptieren, dürfe nicht verdrängen, sondern solle die Probleme überwachsen, um geistig ein höheres Niveau zu erreichen. Leiden, das bewusst sei, und Leiden, dem man sich in träger Passivität ergebe, seien tausend Meilen voneinander entfernt.71 Mit dem Installationstitel zeige deine Wunde (1974-1975) benannte Beuys diese Thematik, die ihn seit seiner Krisenzeit und inspiriert durch Jungs Schriften, so die These, beschäftigte. Den Ursprung dieser Philosophie verortet Jung in der taoistischen Lehre, deren Essenz das Geschehenlassen und »Tun im Nicht-Tun« ist,72 das zu gesteigerter Konzentration auf das Innere führt. Mandalazeichnungen, bei denen Hüllen Pflanzenkeime umgeben, symbolisieren die verborgene Energie und Kraft des Menschen. In der Form des Mandalas findet Jung die Anknüpfungspunkte zur westlichen Kultur und der hermetischen Philosophie, deren Wandlungsprozess auch nach einem reinen Kern sucht und vergleichbare Darstellungen der hermetischen Abgeschlossenheit kennt.73 »[...] denn es [das Mandalasymbol] stammt ursprünglich vom ›hegenden Kreis‹, vom ›Bannkreis‹, dessen Magie sich in unzähligen Volksbräuchen erhalten hat. Das Bild hat den ausgesprochenen Zweck, einen ›sulcus primigenius‹, eine magische Furche um das Zentrum, das templum oder den temenos (heiliger Bezirk) der innersten Persönlichkeit zu ziehen, um das ›Ausströmen‹ zu verhindern oder um die Ablenkung durch Äußeres apotropäisch abzuwehren. Die magischen Gebräuche sind ja nichts anderes als Projektionen seelischen Geschehens.«74

71 | Vgl. Jung, C.G.: KOMMENTAR ZU ›DAS GEHEIMNIS DER GOLDENEN BLÜTE‹ [wie Anm. 68], in: Jung 1995, Bd. 13, S. 24-25. 72 | Vgl. Jung, C.G.: KOMMENTAR ZU ›DAS GEHEIMNIS DER GOLDENEN BLÜTE‹ [wie Anm. 68], in: Jung 1995, Bd. 13, S. 25. 73 | Vgl. Jung, C.G.: KOMMENTAR ZU ›DAS GEHEIMNIS DER GOLDENEN BLÜTE‹ [wie Anm. 68], in: Jung 1995, Bd. 13, S. 32. 74 | Jung, C.G.: KOMMENTAR ZU ›DAS GEHEIMNIS DER GOLDENEN BLÜTE‹ [wie Anm. 68], in: Jung 1995, Bd. 13, S. 32-33.

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Jung erkennt in der taoistischen Lehre die zyklische Vorstellung von Verfall (Nigredo), Reinigung (Albedo) und geistiger Wiedergeburt (Rubedo) der Alchemie und zieht direkte psychologische Parallelen. Die »Finsternisse unseres Geistes«, so sagt er, fänden ihre Entsprechung in dem »Anfangsstadium des alchemistischen Prozesses«.75 Beide Lehren kennen einen ideellen Transmutationsgedanken, der das Verbergen des Körpers bzw. eine Abschottung vor äußeren Einflüssen voraussetzt. Die allegorische Darstellung der Lehre war Ausdruck des Geheimnisvollen und Verborgenen der laborierenden Alchemistenbünde. Die Hermetik als Sammelbegriff für verschiedene alchemistische und mystische Bewegungen wird umgangssprachlich als das »Verborgene«, »Geheimnisvolle«, »Ungreifbare« und »Insich-Abgeschlossene« verstanden.76 In dieser Hinsicht kann Beuys durchaus als Alchemist bzw. Hermetiker bezeichnet werden, da auch er Symbole oder plastische Bilder fand, mit denen evolutive Prozesse in materielle Form gebracht wurden. Den Schlüssel zu Läuterung und geistiger Reinigung verbirgt die Alchemie symbolisch in einer Höhle, die ein Drachen bewacht.77 Hier findet sich die wahre Bedeutung der unedlen Metalle der Alchemie, die »als Leichen […] im Hades herumliegen, bedrängt und gefesselt in Finsternis und Nebel.«78 Dunkle Höhlen, Untergrund und das Verborgensein des menschlichen Körpers sind Bilder für die psychologische Introspektion des Individuums, das seinen reinen Kern von immateriellem Unrat zu befreien versucht.

75 | Vgl. Jung 1995, Bd. 12, S. 314. 76 | Vgl. Seegers, Ulli: Alchemie des Sehens. Hermetische Kunst im 20. Jahrhundert. Antonin Artaud, Yves Klein, Sigmar Polke, Köln 2003, S. 12. (A) 77 | Lippmann, Edmund Oskar von (Hg.): Entstehung und Ausbreitung der Alchemie, Frankfurt 1954, S. 17. (A) 78 | Roob, Alexander: Das hermetische Museum. Alchemie & Mystik, Köln 2002, S. 182. (A)

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Abb. 17: Maier, Michael: Atalanta fugiens (Emblem 57), 1618. Das Motiv der verborgenen Präsenz zeigt sich nicht nur in theoretischen Schriften, sondern auch in graphischen Darstellungen des 16. bis 18. Jahrhunderts. Eine Radierung von Michael Maier beispielsweise aus dem Jahr 1618 stellt König Duenech (Allegorie der alchemistischen Urmaterie) dar (Abb. 17), der in einem abgeschlossenen Schwitzbad (Balneum) sitzt, um sich von der »schwarzen Galle« zu befreien.79 Das Schwitzen oder Verflüssigen des Körpers in verborgener Präsenz ist alchemistisches Symbol für den inneren Wandlungsprozess. Damit können die gummierte Kiste oder auch die vermeintliche Verflüssigung des Künstlers in einen alchemistischen Zusammenhang gestellt werden. Es ist unsicher, ob Beuys diese oder andere Darstellungen kannte, doch fraglos waren ihm die Vorstellungen geläufig, auf denen sie beruhten, wie folgendes Zitat belegt: »Das Mystische oder Alchymistische [,] wie es sooft von Aussen empfunden wird [,] entsteht [] ja aus dem Transformationsprozess oder dem

79 | Vgl. Maier, Michael: Atalanta fugiens, Emblem 57, Oppenheim 1618. Abb. in: Roob 2002, S. 161. Antje von Graevenitz erwähnt Emblem 57 aus dem Buch Maiers und beschreibt die Darstellung des Königs, der in seinem Bett über Wasserdampf von seelischen Unreinheiten befreit werde. Vgl. Graevenitz 1997, S. 54.

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Transformationswillen das SOLVE ET COAGULA«.80 Jung spricht von dem Bild des »vas hermetis«, das Zeichen und »uterus der geistigen Erneuerung und Wiedergeburt« ist.81 Das Wandlungsgefäß der Alchemie nimmt verschiedene Formen an, doch Schwitzbad, Glaskolben, Holz- oder Glassarg sind lediglich materielle Symbole für einen immateriellen oder psychischen Wandlungsprozess. Der Mensch, so Beuys, müsse den Innenraum erobern, so wie die Astronauten den Weltraum.82 Die Abgeschiedenheit und Dunkelheit der verborgenen Präsenz bietet Zugang zur eigenen Psyche, und so sind das Schwarz der gummierten Kiste sowie der Wunsch nach Isolation nicht Zeichen der depressiven Resignation. Dunkelheit, so Beuys, ist Raum der generierenden Willensprozesse, die zur Form führen können.83

2.5 D ER C HEF THE C HIEF (1964)

Abb. 18: Beuys, Joseph: Der Chef The Chief, 1964.

80 | Beuys: Manuskript 1970-, in: Beuys, Eva (Hg.) 2000, S. 137. 81 | Vgl. Jung, C.G.: Die Visionen des Zosimos [wie Anm. 55], in: Jung 1995, Bd. 13, S. 82. 82 | Vgl. Beuys zitiert nach: Ausst. Kat., Joseph Beuys: Werke aus der Sammlung Karl Ströher, Kunstmuseum Basel/Emanuel-Hoffmann-Stiftung, 1969/70, S. 36. (K) 83 | Vgl. Beuys zitiert nach: Düsseldorf 1981, S. 20.

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Seine erste öffentliche Körperpräsenz im Verborgenen inszenierte Beuys mit der Kopenhagener Fassung von Der Chef The Chief am 30. August 1964 (Abb. 18). Aufgrund der überaus lückenhaften Dokumentation wird sich die Untersuchung auf eine Wiederholung der Aktion in Berlin konzentrieren. Photographische Aufnahmen der Raumanordnung in Kopenhagen scheinen nicht auffindbar zu sein, und Henning Christiansens Erinnerungen gelten als eine verlässliche Quelle: »1964 lag er sechs Stunden lang im Ausstellungsraum, sorgfältig eingerollt in eine graue Filzdecke. Genauso sorgfältig hatte er zwei tote Hasen in der Verlängerung seines Körpers ausgelegt. Einen in der Verlängerung des Kopfes und einen in der Verlängerung der Beine. Bei sich unter der Filzdecke hatte er ein Mikrofon, und aus einem Lautsprecher konnte man in gleichmäßigen Abständen Gurgellaute (gutturale Laute) von ihm hören. An der Wand hing etwas Wollartiges […]«. 84

Eva Beuys berichtet dagegen von einer achtstündigen Dauer der Aktion (12 Uhr bis 20 Uhr),85 womit die Dauer in Kopenhagen der späteren Aufführung in Berlin entsprochen hätte. Sowohl Eva Beuys als auch Christiansen betonen aber die klare zeitliche Determinierung, die durch die damals enge Verbindung zu George Maciunas, dem Vordenker von Fluxus, begründet gewesen sein könnte. Dieser hatte einen dogmatisch anmutenden Tagesplan für Fluxus-Künstler entworfen: Der »Fluxus-way-of-life« sah für den Zeitraum von 9 Uhr bis 17 Uhr eine den Lebensunterhalt sichernde, »sozial konstruktive und sinnvolle Arbeit« vor; von 17 Uhr bis 22 Uhr die »Propaganda für den eigenen way-of-life unter müßigen Künstlern, Kunstsammlern; sie bekämpfen« und von 24 Uhr bis 8 Uhr den Schlaf (»8 Stunden ist genug«).86 Diese Angaben stammen aus einem Brief von Maciunas an den Fluxus-Kollegen Tomas Schmit (Januar 1964) und sind Ausdruck des regen Ideenaustauschs im Vorfeld der gemeinsam geplanten Projekte. Selbst wenn Beuys den Fluxus-Tagesplan des Freundes zum damaligen Zeitpunkt nicht gekannt haben sollte, so hat er sich 84 | Henning Christiansen (1966) in: Schneede 1994, S. 68. 85 | Eva Beuys in einem Brief an Schneede vom 15. Juni 1991, in: Schneede 1994, S. 68. 86 | Vgl. Maciunas, George in: Ausst. Kat., Fluxus. Aspekte eines Phänomens, Kunst und Museumsverein Wuppertal 1982, S. 144. (K)

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doch mit den künstlerischen Normierungsversuchen kritisch auseinandersetzen müssen. Die inhaltlichen Differenzen mit einigen seiner Fluxus-Kollegen sollen dann in Kopenhagen bei Der Chef The Chief zum letztendlichen Bruch mit der Gruppe geführt haben.87 Am 1. Dezember 1964 um 16 Uhr betrat Beuys die Berliner Galerie von René Block mit einer Eisenbahnermütze auf dem Kopf und begann sich im hinteren Raum (5 x 8 m) in eine Filzrolle (225 x 46 cm) einzuwickeln. Dort lag er dann diagonal in der Mitte des Raums mit jeweils einem toten Hasen (24 x 64 cm und 13 x 70 cm) an den Enden der Filzrolle. An der linken Wand befand sich ein Fettstreifen (167 x 7 cm), darüber in 165 cm Höhe ein Büschel Haare (6 x 7 cm dicht) sowie links daneben zwei Fingernägel (je 1,5 cm). Die linke und rechte hintere Raumecke füllten jeweils Fettecken (30 x 30 cm; 5 x 5 cm), und auch an beiden Seiten der Türfüllung befanden sich kleine Fettecken. Links neben dem Kopf des verborgenen Künstlers lag im 45-Grad-Winkel ein in Filz gewickelter Kupferstab, an den ein zweiter Kupferstab (178 cm) reichte, der im gleichen Winkel gegen die Wand lehnte. Im rechten Teil des Raums stand eine Verstärkeranlage, die mit einem Mikrophon verbunden war, das Beuys mit in die Filzrolle genommen hatte. Aus dem Raum, dessen Eingang er mit drei Holzlatten versperrt hatte, drangen Geräusche, die als Atmen, Röcheln, Seufzen, Nörgeln und Zischen beschrieben wurden. Beuys selbst nannte es »Ein Urgeräusch, das man auch in Verbindung mit den beiden toten Hasen bringen kann.«88 Von einem zweiten Tonbandgerät im Vorraum wurden in sehr langen, unregelmäßigen Abständen Kompositionen von Eric Andersen und Henning Christiansen im scheinbaren Gegensatz zur Beuys’schen Akustik abgespielt.89 Die Ursprünge von Der Chef The Chief, das Einwickeln des Körpers in eine Filzrolle, gehen zurück auf die bekannte Fluxus-Veranstaltung am 20. Juli 1964 an der Technischen Hochschule in Aachen. Beuys, der dort das Stück Kuckei, akopee-Nein!, Braunkreuz, Fettecken, Modell87 | Vgl. Schneede 1994, S. 68. 88 | Beuys zitiert nach: New York 1979, S. 94. 89 | Die Beschreibung des Raums orientiert sich an den Angaben in: Schneede 1994, S. 68-69, der sich unter anderem auf die Berichte Wolf Vostells stützt. Vgl. Vostell, Wolf: Ich bin ein Sender, ich strahle aus. FluxusDemonstration der Galerie Block, in: Der Tagesspiegel, Berlin, 03.12.1964. (A) Leichter zugänglich ist der Text in englischer Übersetzung in: New York 1979, S. 94.

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fettecken aufführte, hatte zuvor etwas völlig anderes geplant. In einem Brief an Tomas Schmit vom 24. Mai 1964 kündigte er ein »ganz passives Stück« aus der »sibirischen Symphonie« an, bei dem er mehrere Stunden, in eine mit zwei braunen Kreuzen markierte graue Filzdecke eingerollt, begleitet von zwei toten Kaninchen schlafen wollte.90 Während seine Kollegen also um 20 Uhr das Auditorium Maximum zur Propaganda für die eigene Sache nutzten, ganz wie es von Maciunas für Fluxus gefordert wurde, wollte Beuys öffentlich und bereits um 20 Uhr vor den versammelten Studenten in Filz verborgen schlafen. Die Tatsache, dass er seine Kunst nicht nach der Programmatik von Fluxus ausrichten wollte, darf nicht allein als Akt der Provokation der Freunde verstanden werden, da er mit der verborgenen Präsenz in der Filzrolle thematisch an seine Kunst der 1940er und 1950er Jahre anknüpfte. Die vorausgegangene Analyse der Zeichnungen hat angedeutet, dass es ihm bei dem Motiv um die Vorstellung eines Verpuppungszustands ging und er sicher nicht beabsichtigt hatte, die Veranstaltung zum geruhsamen Schlaf zu nutzen. Der Schlaf sollte vielmehr in Bezug zu dem bei Steiner beschriebenen Seelenzustand gesehen werden, der zwar mit der Bewusstlosigkeit des Schlafes vergleichbar ist, anders als dieser aber die übersinnliche Wahrnehmung ermöglicht.91 In Berlin startete Beuys seine Aktion wohl aus verschiedenen Gründen vier Stunden später als in Kopenhagen: Anders als am 30. August, einem Sonntag, fand die Berliner Aktion an einem Dienstag statt, sodass man werktags um 16 Uhr mit einer Publikumsaufmerksamkeit rechnen konnte, die es in der Mittagszeit wohl nicht gegeben hätte. Wahrscheinlich wählte er die spätere Uhrzeit aber vor allem aus Rücksicht auf Robert Morris, der, so war es zumindest geplant, in New York die identische Aktion zeitgleich durchführen sollte. Morris hätte um acht Uhr morgens New Yorker Zeit beginnen können und wäre anderenfalls zu einem Start um vier Uhr nachts gezwungen gewesen. Jahre später gab Morris in einem Gespräch mit René Block allerdings zu, dass er sich weder beteiligt, noch daran geglaubt habe, dass Beuys eine so lange Aktion durchziehen würde.92 Beuys hatte den amerikanischen Künstler im Oktober desselben Jahres bei einer 90 | Vgl. Beuys in einem Brief an Tomas Schmit, in: Schneede 1994, S. 45. 91 | Vgl. dazu Kap. 2.3 Initiation (1953). 92 | René Block in einem Gespräch mit Uwe M. Schneede (1988), in: Schneede 1994, S. 69.

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Tanzveranstaltung an der Düsseldorfer Akademie kennengelernt und ihm darauf detaillierte Arbeitsanweisungen zur Teilnahme an der Aktion nach New York geschickt. Möglicherweise glaubte Morris tatsächlich nicht an die Ernsthaftigkeit des Vorhabens, oder aber ihm missfiel der Gedanke, sich an einer vorgegebenen Aktion unter großem materiellem und persönlichem Einsatz zu beteiligen. Es wäre interessant zu erfahren, warum Beuys gerade Morris zur Teilnahme einlud: Vielleicht lag es daran, dass beide Künstler mit dem Material Filz arbeiteten, möglicherweise hatten sie aber auch ihr gemeinsames Interesse an dem Motiv der verborgenen Körperpräsenz festgestellt, oder aber die Wahl hatte eher praktische Gründe, da Morris in New York bestens mit anderen Künstlern und vor allem dem einflussreichen Galeristen Leo Castelli vernetzt war. Das folgende Kapitel wird die verborgene Präsenz des Künstlerkörpers im Werk von Robert Morris untersuchen, d.h. motivische Parallelen zum Werk von Beuys aufzeigen, zu denen Morris aber mit einem anderen gedanklichen Horizont fand – seine Nichtteilnahme an Der Chef The Chief war vor diesem Hintergrund nur schlüssig. Zu dem Titel der Aktion bemerkte Beuys, dass mit »der Chef« der Name einer »ganz bestimmten experimentellen Anordnung«, wie bei dem Manöver, das man »roter Oktober« oder »Kommando Adler« nenne, gemeint sei und es darüber hinaus auch eine inhaltliche Dimension gebe, da jeder in sich selbst einen Chef habe, das Wort von dem menschlichen Kopf komme und so auf die Selbstbestimmung des Menschen hingewiesen werde.93 Nur diejenigen, die zu Beginn der Aktion bereits anwesend waren oder bis zum Schluss ausharrten, konnten sehen, dass er eine Eisenbahnermütze auf dem Kopf trug und so seinem Kopf auch optisch besondere Bedeutung zukam. Die Eisenbahnermütze war, genau wie am Beispiel des Rucksacks bei seiner Heerdter Aktion beschrieben, Zeichen für äußere und vor allem innere Bewegung. Jungs erläuternde Einleitung zu dem bereits erwähnten Text Das Geheimnis der goldenen Blüte beginnt mit der Klärung einiger Grundbegriffe, die, so Jung, nicht ohne Schwierigkeit zu übersetzen seien, da es für viele chinesische Zeichen einfach kei93 | Vgl. Beuys zitiert nach: Schneede 1994, S. 70. Die Versuche des Verfassers, die Anordnung dieser vermeintlichen Militärmanöver zu rekonstruieren, blieben bisher erfolglos, obwohl die Bezeichnungen für militärische Manöver schon während des Zweiten Weltkriegs relativ einheitlich genutzt wurden.

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ne Übersetzung gebe. Das Zeichen für Tao, »das durch sich selbst Seiende«, setze sich zusammen aus dem Zeichen für Kopf und dem Zeichen für Gehen. Der Kopf deute auf das Bewusstsein des Menschen hin, und der Taoismus sei im Kern die Lehre des bewussten Weges.94 Der Aktionstitel, das Einrollen oder Verpuppen in den Filz sowie die Requisite der Eisenbahnermütze deuten auf einen Weg der Selbstversenkung oder Meditation, wie er Beuys durch Steiners und wahrscheinlich auch Jungs Schriften bekannt war. Die Analyse der Raumanordnung und des Aktionsverlaufs wird zeigen, dass es Beuys schon bei seinem Plan für die Aktion am 20. Juli 1964 nur um eine äußerlich passive Handlung ging, die innerlich umso größere Aktivität verlangte. Während er bei den wenigen Aktionen vor Der Chef The Chief, d.h. denjenigen, die Schneede in sein Werkverzeichnis aufgenommen hat – Sibirische Symphonie 1. Satz (1963), Komposition für 2 Musikanten (1963), Piano-Aktion (1963), Kukei, akopee-Nein!, Braunkreuz, Fettecken, Modellfettecken (1964) –, auf eine vorbereitende Einrichtung der Räume verzichtete, so bemühte er sich in Berlin um die sorgfältige Strukturierung und Anordnung der Requisiten. Man sollte diesen Umstand jedoch nicht vorschnell auf den Inhalt der Aktion selbst beziehen, da er bei Block in Berlin erstmals auch die Möglichkeit zu umfassenden räumlichen Vorbereitungen hatte; zuvor teilte er sich meist den Raum zeitgleich mit anderen Künstlern oder nutzte eine Bühne, die unmittelbar vor ihm oder nach ihm von anderen gebraucht wurde, wodurch eine allzu deutliche räumliche Inbesitznahme ausgeschlossen wurde. Den Aktionsraum, den hinteren Raum der Galerie Block, trennte er von dem vorderen Raum, wo einige Arbeiten von Robert Morris ausgestellt waren, durch drei Holzlatten, die nur mit Mühe zu überwinden gewesen wären.95 Obwohl ihm erstmalig ein offener Galerieraum zur Verfügung stand, schuf Beuys durch die räumliche Trennung von Aktionsraum und Zuschauerraum erneut eine Bühnensituation, wie er sie von den vorherigen Aktionen kannte. Für diese Trennung mag er sich vielleicht in Folge des Geschehens der Fluxus-Veranstaltung in Aachen entschieden haben, als die massiven Störungen durch Teile des Publikums in dem legendären körperlichen Angriff auf Beuys gipfelten. Seine verborgene Präsenz 94 | Vgl. Jung, C.G.: KOMMENTAR ZU ›DAS GEHEIMNIS DER GOLDENEN BLÜTE‹ [wie Anm. 68], in: Jung 1995, Bd. 13, S. 28-29. 95 | Vgl. Schneede 1994, S. 69.

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bei Der Chef The Chief sollte nicht zur äußeren und unreflektierten Teilnahme, sondern zum inneren Mitvollzug des Geschehens anregen, wozu eine gewisse kontemplative Ruhe vonnöten war. Des Weiteren kam es Beuys darauf an, die diagonale Teilung des Raums zu betonen, die im Raum stehend in dieser Form nicht zu erkennen gewesen wäre. Ausgehend von der linken vorderen Ecke führte eine Linie über den ersten Hasen, den umwickelten Beuys, den zweiten Hasen bis in die rechte hintere Ecke mit kleiner Fettecke, wodurch der Raum diagonal geteilt wurde. Rechts von dieser Linie stand nur der Lautsprecher, dem als technisches Hilfsmittel keine weitere Bedeutung zukam. Die beschriebene Linie setzte sich über die größere Fettecke in der linken hinteren Raumecke und den Fettstreifen an der linken Wand bis hin zu der vorderen linken Ecke fort, sodass die Form eines Dreiecks auf dem Boden beschrieben wurde. Diese Dreiecksform strukturierte die gesamte Anordnung, da sie in der Fettecke, dem horizontalen Winkel des kürzeren umwickelten Kupferstabs und dem vertikalen Winkel des längeren Kupferstabs wieder aufgenommen wurde. Vergleichbare formale Anklänge finden sich mit dem Fettstreifen an der linken Wand, der mit 167 cm Länge genauso an die Größe des verborgenen menschlichen Körpers erinnert wie der 178 cm lange Kupferstab, der wie der Körper von Beuys mit Filz umwickelt war. Sven Lindholm konstatiert eine grundsätzlich polare Strukturierung durch die Trennung von sichtbarer und unsichtbarer Welt, die, der plastischen Theorie von Beuys folgend, »jede Wahrnehmung, jedes Denken und Erkennen bestimmt«.96 Dieses »Szenario der Polarität«, so Lindholm, sei eine deutliche Übereinstimmung mit Goethes Modell der »zwei Pole des erscheinenden Dasein[s]«; durch die Bezugnahme von Sinnlichkeit und Verstand werde eine gemeinsame Wirklichkeit gestiftet und ein metamorphotischer Prozess in Gang gesetzt.97 Seiner Beobachtung einer durchgehend polaren Strukturierung – diagonale Trennung, Wärme- und Kältepole, Leitung und Isolation, Chaos und Ordnung, Sichtbares und Verborgenes – ist vor-

96 | Lindholm, Sven: Inszenierte Metamorphosen. Beuys’ Aktionen vor dem Hintergrund von Goethes Gestalttheorie, Freiburg i.Br., Berlin, Wien 2008, S. 232. (A) 97 | Vgl. Lindholm 2008, S. 233.

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behaltlos zuzustimmen,98 doch seine Bezugnahme auf die Wahrnehmungen von Sinnlichkeit auf der einen Seite und Verstand auf der anderen Seite ist für Beuys in dieser Form nicht haltbar. Vielmehr müsste die Grenze zwischen Sinnlichkeit und Verstand im Bereich des Sichtbaren auf der einen Seite und Übersinnlichkeit im Verborgenen auf der anderen Seite gezogen werden. Im weiteren Verlauf seiner Analyse meint Lindholm dann belegen zu können, dass der Künstler das Ausharren in der Filzrolle rückblickend mit der Situation in einem lichtlosen Tunnel verglichen habe und bezieht sich hierbei auf Schneede, der wiederum Beuys aus einem Gespräch mit von Graevenitz zitiert.99 Auch wenn die eingangs zitierte Aussage von Beuys über das »imago«, das am Ende des Prozesses im dunklen Tunnel erscheint, durchaus in Verbindung mit Der Chef The Chief gebracht werden kann, so findet sich doch keine explizite Erwähnung der Aktion durch den Künstler in dem besagten Text. Auffälligste Requisiten bei Der Chef The Chief waren vielleicht die Hasen, die der Künstler an beiden Enden der Filzrolle positioniert hatte. Im Laufe der Jahre fragte man Beuys immer wieder nach der Bedeutung dieses Tieres in seiner Kunst, doch von besonderer Aussagekraft sind nur zwei publizierte Gespräche mit Hagen Lieberknecht. Aufgrund der enormen Bedeutung des Hasen für die verborgene Körperpräsenz in der Filzrolle wird folgende Passage vollständig wiedergegeben: »Der Hase ist ähnlich wie der Hirsch aber auf eine ganz andere Art viel spezialisierter auf die Blutskräfte. Jetzt nicht wie bei dem Hirschen auf diejenigen oberhalb der Mitte zum Kopf hin, sondern mehr nach unten, so hat er starke Beziehung zur Frau, zur Geburt auch zur Monatsregel, überhaupt zu sämtlichen chemischen Umwandlungen des Blutes. Das war das was hier nur andeutungsweise ausgeführt wurde, was der Hase uns ja allen sichtbar vormacht wenn er sich seine Mulde macht. Er gräbt sich ein. Da kommt man wieder auf die Inkarnationsbewegung. Das macht der Hase, sich stark in diese Erde hineininkarnieren, was der Mensch nur mit seinem Denken ra98 | An dieser Stelle hätte jedoch erwähnt werden müssen, dass Beuys zuvor schon auf die polare Strukturierung seiner Aktionsräume hingewiesen hatte. Detaillierte Ausführungen hierzu finden sich beispielsweise in: Harlan; Rappmann; Schata 1976. 99 | Vgl. Lindholm 2008, S. 234; Schneede 1994, S. 70; Düsseldorf 1981, S. 136.

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dikal durchführt: sich damit an der Materie (Erde) reiben, stoßen, graben; schließlich eindringt (Kaninchen) in deren Gesetze, in dieser Arbeit sein Denken verschärft dann umwandelt und Revolutionär wird.« 100

Die Bezeichnungen Hase und Kaninchen wechseln sich bei Beuys ab: In dem Brief an Tomas Schmit zur geplanten Aktion an der Aachener TH ist zu lesen, dass Beuys mit zwei Kaninchen plante,101 wohingegen er in späteren Jahren meist von den Hasen sprach. Obige Aussage zeigt, dass er sich durchaus der Unterschiede bewusst war; sprach er in späteren Jahren von dem Hasen, so wird er die Gattung des Hasen gemeint haben, zu der das Kaninchen allgemein gezählt wird. Der Hase, so Beuys, grabe sich ein und vollziehe damit etwas, was der Mensch nur in Gedanken könne. Die Parallelen zwischen der verborgenen Präsenz des Hasen in seiner Höhle und Beuys in der Filzrolle treten offen zu Tage, doch wichtig ist sein Verweis, dass das physische Eingraben und Versenken in die Erde beim Menschen für einen Gedankengang stehe, der die Umwandlung des Denkens zum Ziel habe. In einem späteren Interview betont er, dass der Hase der schnellste Läufer in der Steppe Eurasiens, deshalb ein Element der Bewegung und Zeichen der großen Einheit sei, da er sich über alle Grenzen hinweg bewege. Zudem sei er ein altes germanisches Symbol für Neubeginn und Auferstehung sowie ein alchemistisches für die Umwandlung.102 Hase und Hirsch, so die Analyse Lieberknechts, fungieren bei Beuys stets als »Psychopompos« und erscheinen bei »übergroßer Gefahr«.103 Während bei der Zeichnung Initiation (1953) der Hirsch als Seelenbegleiter dem Initianden zur Seite gestellt wird, tauchen nun in vergleichbarer Funktion die Hasen bei der Der Chef The Chief auf. Beuys erklärte, der Hase sei alchemistisches Symbol für die Wandlung, und exemplarisch belegt eine Radierung des Alchemisten Steffan Michelspacher von 1616,104 dass der Künstler das Symbol des Hasen gerade bei seiner verborgenen Präsenz in Filz ganz bewusst 100 | Beuys zitiert nach: Lieberknecht 1972, S. 10. 101 | Vgl. Schneede 1994, S. 45. 102 | Vgl. Beuys in einem Gespräch mit Veit Mölter, in: Abendzeitung München, 15.11.1985. Zitiert nach: Schneede 1994, S. 129. 103 | Vgl. Lieberknecht 1972, S. 17. 104 | Vgl. Michelspacher, Steffan: Cabbala, Spiegel der Kunst und Natur, Augsburg 1616. Abb. in: Jung 1995, Bd. 12, S. 229; Roob 1996, S. 299.

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und vor klar definiertem Hintergrund wählte. Am Fuße des Berges der Adepten steht ein Suchender mit verbundenen Augen, der die Hürde der sieben Stufen auf seinem Weg zum Stein der Philosophen noch vor sich hat und von einem Hasen geführt wird. Antje von Graevenitz erwähnt diese Radierung in ihrem Aufsatz zur Aktion bei Beuys, deutet den Hasen als »Inkarnation des suchenden, Räume durchwandernden Künstlers beziehungsweise des Menschen, wie er schon in der Alchemie verstanden wurde« und setzt die Darstellung in Beziehung zu der Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt (1965).105 Die verbundenen Augen des Initianden in der alchemistischen Darstellung sind analog zur der Filzhülle von Beuys zu sehen, da der Weg zu der Erkenntnis, der übersinnlichen Schau und der Reinigung oder Läuterung nur durch innere Versenkung und nicht mittels der äußeren Sinne gefunden werden kann.

Abb. 19: Steiner, Rudolf: Wirbel, Datierung unbekannt.

Abb. 20: Steiner, Rudolf: Wirbel, Datierung unbekannt.

Beuys verband sich nicht wie der suchende Alchemist die Augen, sondern den ganzen Körper, isolierte sich von der Außenwelt und blockierte seine äußere Sinneswahrnehmung. Von Rudolf Steiner existieren undatierte Wirbelzeichnungen, in denen er sich mit der Evolution des Menschen beschäftigt und sieben Entwicklungsstufen unterscheidet. Unter der Zeichnung einer Wirbelbewegung (Abb. 19) notiert er: »Die Welt ist eine Wirbelbewegung. Jede Einrollung muß sich in Ausrollung verwandeln. […] Der Mensch soll eine Wirbelbewegung sein. Alles, was im Sinne der Wirbelbewegung vollbracht ist,

105 | Vgl. Graevenitz, Antje von: Die Aktion – eine Kunstform im Werk von Joseph Beuys, in: Kunsthistorische Arbeitsblätter, (KAb) 3, Köln 2006, S. 77-84, hier: S. 83. (A)

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ist Magie.«106 Die veröffentlichten Photographien der Aktion zeigen zwar nur den bereits eingewickelten Beuys, doch die Bewegung des Einrollens aus der Perspektive des Vorraums muss genau eine Wirbelbewegung gezeigt haben, wie sie bei Steiners Zeichnung dargestellt ist. Bei einer anderen Wirbelzeichnung (Abb. 20) fügte Steiner zu den sieben Entwicklungsstufen kurze Bemerkungen hinzu, die jedoch ohne eine Einführung in seine Evolutionstheorie relativ unverständlich bleiben. Da ein Überblick in diesem Rahmen nicht zu bewältigen wäre, soll in aller Kürze lediglich auf die Phase des Eingerolltseins oder der verborgenen Präsenz verwiesen werden.107 Zu Phase IV erläutert er: »Das Selbst wird hineingebaut. constituiert die selbstbewusste Wesenheit. – Höherer mentaler Plan.« Direkt neben dem Kern des Wirbels findet sich der Vermerk: »IV Ich erkenne.«108 Mit seinem Einrollen in die Filzbahn könnte sich Beuys durchaus auf die Theorie Steiners bezogen haben, der zum Zeitpunkt dieser Evolutionsphase die Entwicklung der menschlichen Selbsterkenntnis vermutet. Neben den Hasen und dem verborgenen Künstler verursachten besonders die Laute, denen die Beiwohnenden wohl keine Bedeutung abgewinnen konnten, wahrscheinlich die größte Verwunderung. Beuys, der den Prozess des Denkens schon als plastische Arbeit und Sprache als Materialisierung und Konkretisierung dieses Prozesses betrachtete,109 musste folglich auch dem Gehör einen Stellenwert in seiner plastischen Theorie einräumen. »Plastik hört man […] bevor man sie sieht. Das Ohr ein Wahrnehmungsorgan für Plastik.«110 Ein »sound piece« soll Der Chef The Chief vor allem für ihn gewesen sein; der dominierende Laut entstand »tief in der Kehle und war heiser wie der Ruf des Hirsches: öö.«111 Schon in der Aktionsankündigung findet sich der Untertitel »Fluxus Gesang«, womit aber wahrscheinlich eher auf die sich wiederholenden Einspielungen der Kompositionen Erik Andersens und Henning Christiansens Bezug genommen wur106 | Steiner, Rudolf in: Dornach 2007, S. 102. 107 | Einen umfassenden Überblick bietet beispielsweise Steiner, GA 13. 108 | Vgl. Steiner, Rudolf in: Dornach 2007, S. 103. 109 | Vgl. Angerbauer-Rau 1998, S. 47-48. 110 | Beuys zitiert nach: Schata, Peter: Das Œuvre des Joseph Beuys. Ein individueller Ansatz zu universeller Neugestaltung, in: Harlan; Rappmann; Schata 1976, S. 83. 111 | Beuys zitiert nach: New York 1979, S. 95.

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de. Den tierischen Ruf des öö gab Beuys erstmals öffentlich während der Kopenhagener Version dieser Aktion von sich und nutzte ihn im Jahr 1967 erneut bei einer Immatrikulationsrede an der Düsseldorfer Kunstakademie, die im Nachhinein unter dem Titel öö Programm bekannt wurde. Antje von Graevenitz meint, Beuys habe mit dem öö in Düsseldorf die Kehle für eine Ursprache öffnen wollen, da die Immatrikulation eine Öffnung für die kreativen Kräfte des Menschen sei.112 In dieser Funktion kamen die Urlaute auch schon bei Der Chef The Chief vor; Beuys ging es sowohl um die eigene Wandlung im Verborgenen als auch darum, seinem Publikum einen Weg zur Wandlung zu zeigen. Bei seinen Rufen aus der verborgenen Präsenz beabsichtigte er keine Informationsübermittlung im herkömmlichen Sinne, da eben nur unidentifizierbare Laute zu hören waren. Manchmal werden diese Laute vereinfacht als Hirschlaute bezeichnet, doch sollte nicht vergessen werden, dass der Hirschlaut bei Der Chef The Chief, so Beuys, lediglich der am häufigsten wiederkehrende war und insofern auch andere Laute vorgekommen sein müssen. Versuchte der Künstler als Mittler zwischen der Tierwelt, in diesem Falle vertreten durch die Hasen, und den Menschen zu fungieren, oder wollte er sich den Hasen selbst vermitteln, wie es später bei der Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt (1965) geschah? Die zeitliche Nähe zu Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt sowie die wiederkehrende Anwesenheit der toten Hasen könnten diese Annahme stützen, doch bestimmten beide Aktionen ganz unterschiedliche Kommunikationssituationen. Bei Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt ließ sich das Geschehen nur getrennt durch eine Glasscheibe beobachten: Beuys hielt den Hasen auf seinem Arm, ging mit ihm durch die Ausstellung, berührte mit einer Pfote die Bilder an der Wand und erklärte sie dem Tier anschließend. Seine Erklärungen, so Theodora Vischer, seien durch die geöffneten Oberlichter der Galerie aber kaum hörbar gewesen.113 Bei Der Chef The Chief trennten den Künstler und sein Publikum nur drei Holzlatten, seine inhaltlich unverständlichen Töne aber wurden akustisch durch das Mikrophon verstärkt. Das öö, so Beuys, ist eine »Sprache ohne Inhalt«, »ohne begriffliche Implantation«, »einfacher Ausdruck einer inneren Regung«, mit

112 | Vgl. Graevenitz 2006, S. 77. 113 | Vgl. Vischer, Theodora: Joseph Beuys. Die Einheit des Werks, Köln 1991, S. 110. (A)

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dem »das Röhren eines Hirsches« imitiert wird.114 Schneede betont die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Unterscheidung verschiedener Kommunikationsformen bei Beuys: Es gebe eine stumme Kommunikation, wie bei der Düsseldorfer Aktion, die nichts mit klassischen Kommunikationsformen zu tun habe und von den Lauten, wie er sie bei Der Chef The Chief artikulierte, unbedingt unterschieden werden müsse. Bei diesen Lauten, die man auch als Hirschlaute bezeichne, gehe es um eine Art Vorsprache und somit um eine hörbare Kommunikationsform. Diese Sprache setze der Künstler ein, um Rückverweise zur Tierwelt zu geben.115 Mit seinem Vorschlag zur Differenzierung verschiedener Kommunikationsprozesse folgt Schneede, wissentlich oder unwissentlich, Ecos semiotischer Theorie. Dieser strukturiert, einleitend zur Definition des semiotischen Feldes, zunächst die verschiedenen kulturellen Kommunikationssysteme und gibt zu bedenken, dass die »natürlichsten und spontansten« Kommunikationssysteme gesellschaftlich als solche gar nicht anerkannt seien. An erster Stelle führt er die »Zoosemiotik« an, die sich mit »kommunikativen Verhaltensweisen nicht-menschlicher Gemeinschaften« beschäftigt. Weiterhin folgen »Geruchssignale«, »Kommunikation durch Berührung«, »Geschmackscodes«, »Paralinguistik« (so z.B. »Lachen, Weinen, Gegreine, Schluchzen, Flüstern, Geschrei, Rülpsen, Gejammer […]«), »Kinesik und Proxemik«, »musikalische Codes«, »Geschriebene Sprachen, unbekannte Alphabete, Geheimcodes«, »natürliche Sprachen«, »visuelle Kommunikation«, »Systeme von Objekten«, »Strukturen der Intrige«, »Kulturelle Codes«, »ästhetische Codes und Botschaften« sowie »Massenkommunikation« und »Rhetorik«.116 Beuys bediente sich bei seinen Aktionen der ganzen Bandbreite zur Verfügung stehender Kommunikationsformen und nutzte mit seinen Lauten eine tierische und somit in seinem Denken vormenschliche Kommunikationsstufe, die zumindest bei Eco als die natürlichste Kommunikationsform von allen charakterisiert wird. Die tierische Vorsprache steht bei Beuys auch in enger Verbindung zu seiner selbst gewählten Rolle des Schamanen, des Mittlers zwischen den Welten in früheren Gesellschaften. Beuys, so von Grae114 | Vgl. Beuys zitiert nach: Kramer, Mario: Joseph Beuys. »Das Kapital Raum 1970-1977«, Heidelberg 1991, S. 20. (A) 115 | Vgl. Schneede, Uwe M. in: Harlan; Koepplin; Velhagen 1991, S. 60. 116 | Vgl. Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik, München 2002, S. 20. (A)

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venitz, habe sich oft als »Wanderer, Hirschführer oder Schamane« gezeigt und der Hase sei »Sinnbild des unermüdlichen (Tunnelgrabenden), schutzsuchenden Menschen, ein Nomade schlechthin«.117 Der Chef The Chief erinnert, wie auch andere Aktionen, an die Struktur schamanistischer Initiationsrituale, bei denen der Schamane sich in ekstatische Zustände begibt, die durch extreme Körpererfahrung hervorgerufen werden. In diesen Zustand, den die Ethnologie als »Liminalität«118 bezeichnet, versetzt sich der Schamane in einen rituellen Akt, um Kontakt zu seinen Hilfsgeistern aufzunehmen, die sich durch seinen Mund mit den Anwesenden unterhalten.119 Das stundenlange Eingerolltsein in eine Filzbahn ist zweifelsfrei eine körperliche Grenzerfahrung, deren Ausmaß Beuys in einem Gespräch mit Tisdall beschrieb: Große Disziplin gehöre dazu, nicht in Panik zu verfallen und ohne klaustrophobische Beklemmungen und Angst die neun Stunden in dieser Position zu überstehen.120 Somit könnte sich erklären, inwiefern die toten Hasen als tierische Hilfsgeister in direkter Verbindung zu den Lauten des Künstlers standen. Auch wenn es sich vornehmlich um Hirsch- und nicht um Hasenlaute handelte, die Beuys von sich gab, so wurde doch auf die enge Verbindung zwischen Hasen und Hirschen als Seelenbegleiter vom Künstler selbst hingewiesen. Die Vorstellung von aus der verborgenen Präsenz kommenden Hasenlauten, die, sofern sie überhaupt imitierbar sind, man sich doch wenig archaisch vorstellt, ruft zugegebenermaßen eine gewisse Belustigung hervor, die sicher nicht Ziel des Künstlers gewesen sein konnte. Bei Steiner stieß Beuys auf die Auseinandersetzung mit Initiationsriten, die dort als Mittel beschrieben werden, sinnliche in übersinnliche Erkenntnis zu wandeln.121 Notwendige Bedingung, so Stei117 | Vgl. Graevenitz, Antje von: Erlösungskunst oder Befreiungspolitik. Wagner und Beuys [wie Anm. 34], in: Förg 1984, S. 40. 118 | Kraft, Hartmut: Über innere Grenzen. Initiation in Schamanismus, Kunst, Religion und Psychoanalyse, München 1995, S. 23. (A) 119 | Vgl. Kraft 1995, S. 16-17. 120 | Vgl. New York 1979, S. 95. 121 | Vgl. Steiner, Rudolf: Initiations-Erkenntnis. Die geistige und physische Welt- und Menschheitsentwicklung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, vom Gesichtspunkt der Anthroposophie (Orig. Initiations-Erkenntnis: die geistige und physische Welt- und Menschheitsentwicklung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, vom Gesichtspunkt der Anthro-

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ner, sei die willentliche Herstellung eines leeren Bewusstseins, bei dem der Mensch normalerweise jedoch einschlafe. Alle Bewusstseinseindrücke müssten ausgelöscht werden, und nur so könne der Initiand im vollkommenen Wachzustand Zugang zur vorirdischen Welt erlangen.122 Beuys scheint Steiners Voraussetzungen zur Initiationserkenntnis zu folgen und einen Weg zur Überwindung des allein rationalen Denkens aufzuzeigen. Das ideelle Element des Denkens, so Steiner, gehe in ein reales über, das innerlich erlebt werde.123 Ein leeres Bewusstsein eröffnet den Weg zur geistigen Welt, in der nicht das aktive Betrachten, sondern die Erfüllung dominiert, die Steiner auch akustisch charakterisiert: »[…] dann sind wir so in der geistigen Welt drinnen, dass wir sie nicht bloß schauen, sondern dass sie auch zu uns tönt […].«124 In einem Gespräch mit Georg Jappe aus dem Jahr 1985 spricht Beuys von der »Idee des Innentons«, der »physisch nicht in Erscheinung« trete.125 Theodora Vischer stellt die These auf, Beuys habe sich auf diesen Innenton konzentrieren wollen, als er sich bei Der Chef The Chief in Filz einwickelte.126 Steiner geht von der Existenz einer objektiven ätherischen Bilderwelt aus, zu der man mit Hilfe der meditativen Imagination Zugang finden kann. Diese Welt ist für ihn real, existiert außerhalb des Menschen, sodass die gewonnenen Bilder nichts mit psychischen Projektionen des Einzelnen zu tun haben. Aufzeichnungen von Beuys aus dem Jahr 1965 beweisen, dass diese Theorien nicht nur bei Steiner formuliert und von ihm gelesen wurden, sondern er selbst sich intensiv mit den Inhalten auseinandergesetzt hatte. In einem Manuskript notiert er: »Die objektive Inhaltlichkeit des Denkens und die subjektive Akthaftigkeit sind in der Tat das gleiche Wesen.«127 An dieser Stelle vermerkte er den Namen Steiners nicht, auch wenn der Inhalt klar auf diesen zurückzuführen ist. In einem weiteren Manuskript posophie; ein Vortragszyklus gehalten in Penmaenmawr vom 19.-31. August 1923 mit einem Vorwort von Marie Steiner, Dornach 1927), Gesamtausgabe, Bd. 227, Freiburg i.Br. 1956, S. 23-24. (A) 122 | Vgl. Steiner, GA 227, S. 38. 123 | Vgl. Steiner, GA 227, S. 41. 124 | Steiner, GA 227, S. 45. 125 | Vgl. Beuys in einem Gespräch mit Georg Jappe, in: Kunstnachrichten 3/1985, S. 72-76, hier: S. 73. Zitiert nach Vischer 1991, S. 116. 126 | Vgl. Vischer 1991, S. 116. 127 | Beuys: Manuskript 1965, in: Beuys, Eva (Hg.) 2000, S. 99.

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aus demselben Jahr findet sich jedoch die explizite Nennung seiner dreistufigen Meditation zur übersinnlichen Schau: »Imagination Inspiration Intuition«128 Mit einiger Sicherheit kann angenommen werden, dass Beuys bei Der Chef The Chief im Jahr zuvor die zahlreichen Verweise auf Steiners Meditation mit Bedacht strukturiert hatte, und so erschließt sich der Einsatz der tierischen Laute insofern, als dass Steiner zwar von der übersinnlichen Schau spricht, doch damit keineswegs visuell vermittelte Bilder meint. »Wer imaginativ erkennt, wird von der neuen höheren Welt so sprechen können, dass er die Eindrücke als Wärme- oder Kälteempfindungen, Ton- oder Wortwahrnehmungen, Licht- oder Farbwirkungen bezeichnet.«129 Der Chef The Chief verweist in vielfältiger Weise auf einen Entwicklungs-, Erkenntnis- und Ordnungsprozess, der eine gedanklich imaginative Wahrnehmung verlangt. Die filzumwickelten Kupferstäbe stehen in Entsprechung zu der verborgenen Präsenz des Künstlers, der im Jahr 1979 in einem Interview mit Caroline Tisdall die Bedeutung seiner Filzplastiken veranschaulichte. Der Filz, so sagte er, sei Isolator, besitze einen Wärmecharakter, biete eine schützende Hülle und könne als Filter für äußere Einflüsse dienen. Der Kupferstab sei Leiter und Entwicklungskern in dieser Hülle.130 Die Anordnung der isolierten Kupferstäbe zeigt, dass der energetische Prozess in der verborgenen Präsenz keinen geschlossenen Kreislauf innerhalb der Hülle darstellt, sondern Energie durch den an die Wand gelehnten Kupferstab letztlich nach oben weitergeleitet wird. Theodora Vischer interpretiert die Anordnung des umwickelten Beuys und der beiden umwickelten Kupferstäbe als »Parallelsetzung«, durch die die »drei Rollen zu einer archaischen Form von Akkumulatoren« werden.131 Zwar spricht sie von einem »geschlossenen Stromkreislauf«,132 doch nur die gedankliche Einbeziehung auch der anderen Elemente im Raum lässt einen tatsächlich geschlossenen Kreislauf entstehen. An der linken Wand waren in 165 cm Höhe Haare und Fingernägel des Künstlers angebracht, die, genau wie der 167 cm lange Fettstreifen am Boden, auf die Größe eines menschlichen Körpers verwiesen. Schneede deutet die Anbringung von Haaren und Nägeln im Raum 128 | Beuys: Manuskript 1965, in: Beuys, Eva (Hg.) 2000, S. 105. 129 | Steiner, GA 13, S. 259. 130 | Vgl. Beuys zitiert nach: New York 1979, S. 120. 131 | Vgl. Vischer 1991, S. 166. 132 | Vgl. Vischer 1991, S. 167.

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als eine Art Inbesitznahme durch die Spuren des Künstlerkörpers,133 bringt so aber die Funktion dieser recht unscheinbaren Details nicht hinreichend zum Ausdruck. Die Führung der Kupferstäbe zeigt eine Erhebung des liegenden Körpers an, dessen aufrechtes Stehen durch die Position der Haare und Nägel in Körperhöhe bereits angedeutet ist. Beuys positionierte den ersten Stab bewusst in einem 45-Grad-Winkel zu seinem Kopf und lehnte den zweiten Stab im gleichen Winkel gegen die Wand. Der rechte Winkel, so bestätigte er, sei der stärkste, und alle anderen müssten als Bewegung hin zum rechten Winkel interpretiert werden.134 Zieht man die beiden Winkel der Stäbe zusammen, so ergibt sich der rechte Winkel zwischen der Horizontalen des Bodens und dem Körper eines aufrecht stehenden Menschen. Die Betonung des rechten Winkels findet sich auch in der linken hinteren Raumecke wieder, wo Beuys die große Fettecke platzierte, der als Gegenpol zu dem verborgenen Körper in der Filzhülle auch geometrisch eine besondere Bedeutung zukam. »Das ist ja auch meine Fettecke. Das Fett macht ja genau diesen Prozeß durch in meinen Aktionen. Hier ist Wärme (links) und hier ist Kälte (rechts). Ich könnte sagen, das ist eine generelle Partitur für fast alle Aktionen, die ich gemacht habe.«135 Der verborgene Körper in der Hülle des Filzes ist der Wärmepol des Raums, eine evolutionäre Wärme, die mit dem Chaos zu Beginn eines Entwicklungsprozesses in Verbindung steht. Die Fettecke bildet dagegen den Kältepol, da das Fett in Erstarrung in geometrische Form gebracht wurde und nun als Energiespeicher auf das Ergebnis des Evolutionsprozesses hindeutet. Der Kopf von Beuys in verborgener Präsenz ist nicht nur Zentrum des Gesamtraums, sondern auch, ausgehend von seinem Gegenpol der großen Fettecke, die Hypotenuse des Dreiecks – Der Chef The Chief ist selbst für die Geometrie des Raums das Maß aller Berechnungen.

133 | Vgl. Schneede 1994, S. 72. 134 | Vgl. Beuys zitiert nach: New York 1979, S. 120. 135 | Beuys in einem Gespräch mit Rainer Rappmann, in: Harlan; Rappmann; Schata 1976, S. 22.

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2.6 I LIKE A MERICA AND A MERICA LIKES M E (1974) Anlässlich der Eröffnung der René Block Gallery Ltd. in New York führte Beuys vom 23.-25. Mai 1974 die Aktion I like America and America likes Me durch (Abb. 21). Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er Ausstellungen und Aktionen in den USA vor allem aufgrund des kriegerischen Einsatzes in Vietnam abgelehnt. Im Januar desselben Jahres war er zum ersten Mal in die Vereinigten Staaten gereist, hielt dort aber nur Vorträge zu seinen Vorstellungen der »sozialen Plastik« und der »notwendigen Erneuerung der Gesellschaft«. Die Vortragsreise bezeichnete er als »Stufe 1« der gedanklichen Vorbereitung, die Aktion mit dem Kojoten bei Block als zweite Stufe, bei der er auf eine klassische Ausstellung von Kunst verzichten wollte, und die dann 1979 folgende große Retrospektive im New Yorker Guggenheim Museum als letzte Stufe seiner Annäherung.136

Abb. 21 a-d: Beuys, Joseph: I like America and America likes Me, 1974.

136 | Vgl. Schneede 1994, S. 330.

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Angekündigt war die Aktion137 als »One Week’s Performance on the Occasion of the Opening of the René Block Gallery Ltd.«, doch organisatorische Schwierigkeiten führten zur einer Dauer von nur drei Tagen. Schon die Anreise selbst war Teil der Aktion, da der Künstler sich am John F. Kennedy Airport in Filz wickeln ließ und man ihn mit einer Bahre zu einem wartenden Ambulanzwagen trug, der direkt zur Galerie, 409 West Broadway, fuhr. Beuys wollte, wie Block berichtet, amerikanischen Boden im ganz wörtlichen Sinne nicht einmal betreten.138 Schneede erinnert daran, dass das Motiv der Ambulanz bereits in Form eines Spielzeugautos in der Aktion MANRESA (1966) auftauchte;139 die kleine Ambulanz hatte ihren ersten Einsatz jedoch schon mit Infiltration Homogen für Konzertflügel, der größte Komponist der Gegenwart ist das Contergankind (1966), als es von dem in Filz gehüllten Piano in den Raum gezogen wurde. Vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Kritik des Künstlers an der Politik der USA erschließt sich die Ambulanz als Zeichen für Krise und Verletzung. Ähnliches deutete Beuys auch schon mit dem Einsatz eines Thermometers bei EURASIA (1966) an, von dem er während der Aktion die Temperatur von 42 Grad Celsius ablas und auf einer Tafel notierte. Tisdall gegenüber bestätigte er, dass diese Temperatur den Zustand des lebensbedrohlichen Fiebers signalisierte.140 Der mit Mullbinde umwickelte Kopf Johannes Stüttgens bei Anatalol Herzfelds Drama »Stahltisch« könnte ebenso als Vorbild für den umwickelten Abtransport im Krankenwagen betrachtet werden.141 Amerikanische Kritiker resümierten, 137 | Die folgende Aktionsbeschreibung orientiert sich an: Tisdall, Caroline: Joseph Beuys. Coyote, München 1980. (A) Beuys hatte die deutsche Übersetzung des Textes vor dem Druck transkribiert und überarbeitet. 138 | Vgl. Block, René zitiert nach: Stella Baum: Die frühen Jahre, Gespräche mit/über Galeristen, René Block, in: Kunstforum International, Bd. 104, Nov./Dez. 1989, S. 254-264, hier: S. 262. (T) 139 | Vgl. Schneede 1994, S. 339. 140 | Vgl. Beuys zitiert nach: New York 1979, S. 107. 141 | Am 5.12.1968 fand im Düsseldorfer Creamcheese ein Happening, wie Johannes Stüttgen es nennt, statt: An einem Stahltisch, den Anatol Herzfeld entworfen hatte, saßen drei Studenten von Beuys (Jochen Duckwitz, Ulrich Meister und Johannes Stüttgen) mit angeschraubten Handgelenken. Beuys führte zeitgleich seine Handaktion/Eckenaktion vor. Johannes Stüttgen hatte eine Mullbinde um den Kopf gebunden, die er »seit einer Woche als Symbol der Krankheit unserer Zeit« trug. Vgl. Stüttgen, Johannes: Der

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Beuys habe während der Aktion »die katatonische Wirkung eines Beckett’schen Antihelden« gehabt, und ließen sich bei ihrer Einschätzung wahrscheinlich maßgeblich von dem großen Einfluss Becketts auf die New Yorker Kunst der 1960er und frühen 1970er leiten.142 Wie treffend dieser Vergleich aber letztlich war, auch wenn die Autoren vielleicht nicht an die folgende Passage Becketts gedacht hatten, zeigen meiner Ansicht nach die ersten Zeilen des Romans Molloy: »Ich bin im Zimmer meiner Mutter. Ich wohne jetzt selbst darin. Wie ich hierhergekommen bin, weiß ich nicht. In einer Ambulanz vielleicht, bestimmt mit irgendeinem Gefährt. Man hat mir geholfen. Allein hätte ich es nicht geschafft.«143 Dem Ziel, während der Aktion amerikanischen Boden nicht zu betreten, blieb er treu, da er sich in gleicher Weise auch wieder zum Abflug fahren ließ und den Galerieraum »für die Dauer der Aktion zum exterritorialen Gebiet« erklärte.144 Am Donnerstag, den 23.05. erreichte Beuys pünktlich um 10 Uhr die Galerie. Block hatte den größten Teil des Raums für den Kojoten, der bereits am Vorabend angekommen war, mit Maschendrahtzaun abgegrenzt und eine Verbindungstür zum wesentlich kleineren Zuschauerraum einbauen lassen, durch die Beuys den Bereich des Kojoten betrat. Auch die Fenster, durch die der New Yorker Straßenlärm drang, waren vergittert, sodass der Raum tatsächlich die Wirkung eines Käfigs hatte. Obwohl Beuys und dem Kojoten der wesentliche größere Bereich zur Verfügung stand, bewertete das Publikum den Aktionsraum und nicht den eigenen Bereich als Käfig. Aus der Perspektive von Beuys und dem Kojoten jedoch müssen die beengt vor dem Käfiggitter versammelten Besuchenden wie gefangene Tiere im Zoo ausgesehen haben. Beuys nutzte abends eine Türe im hinteren Teil der Galerie und nicht den Ausgang im Maschendrahtzaun, sodass gar nicht der Eindruck entstand, als würde er nach geleisteter Arbeit den betretenen Käfig wieder verlassen. Für den Kojoten jedenfalls werden der große Raum und Beuys, der bei seiner Ankunft das

Ganze Riemen. Der Auftritt von Joseph Beuys als Lehrer – die Chronologie der Ereignisse an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf 1966-1972, Köln 2008, S. 422-423. (A) 142 | Zitiert nach: Schneede 1994, S. 333. 143 | Beckett, Samuel: Molloy (Orig. Molloy, Paris 1951), Frankfurt a.M. 2001, S. 7. (A) 144 | Vgl. René Block zitiert nach: Baum 1989, S. 261.

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Tier fütterte und mit großem Respekt, jedoch ohne Furcht behandelte, ein neues Erlebnis gewesen sein. Er ließ sich bis in die Galerie mit der Bahre tragen, nicht aber in den Aktionsraum, enthüllte sich aus dem Filz, der ihn als Isolator bis zu diesem Punkt vor den amerikanischen Einflüssen geschützt hatte, und betrat mit der Filzbahn den Raum des Kojoten, wo bereits eine zweite Filzbahn lag. Der Filz diente als eine Art Gastgeschenk an den Kojoten, der einen Haufen Stroh mitgebracht hatte. Beuys hatte, sofern wir seinen rückblickenden Berichten Glauben schenken können, im Vorfeld erwartet, dass der Kojote den Filz als Ruheplatz bevorzugen und er im Austausch dann das Stroh am Fenster der hinteren linken Raumecke erhalten würde.145 Die Anordnung des Raums erinnert an Der Chef The Chief, da durch das Stroh, den Filz des Kojoten in der Mitte und den Filz von Beuys in der vorderen rechten Ecke der Raum diagonal geteilt wurde. Weitere von ihm mitgebrachte Utensilien waren eine Triangel, eine Taschenlampe, Lederhandschuhe, ein Spazierstock sowie ein Stück Hasenfell, das über der linken Brusttasche seiner Weste hing; Handschuhe, Stock und Taschenlampe hatte er braun bemalt. Seine Anerkennung der räumlichen Besitzverhältnisse – der Kojote hatte das Land schließlich vor ihm besiedelt – brachte Beuys dadurch zum Ausdruck, dass er die Gegenstände dem Tier präsentierte und sie von ihm markieren ließ. Jeden Tag wurden fünfzig Exemplare des Wall Street Journals gebracht und in zwei Stapeln im vorderen Teil des Raums angeordnet. Ein Zeitungspacken, allerdings fest mit Kordel verschnürt und entlang der Schnur mit brauner Farbe bemalt, war Teil der Aktion Kuckei, akopee-Nein!, Braunkreuz, Fettecken, Modellfettecken (1964) in Aachen. Ähnliche »Stapelplastik oder auch Batterien«, so Schneede, tauchten ab 1962/63 im Werk auf.146 Der Künstler bezeichnete den Zeitungsstapel, der von Kordel und Braunkreuz zusammengehalten wurde, als »kompakte Batterie von Ideen«,147 doch die Aufmerksamkeit hinsichtlich der Zeitungen in New York sollte sich vor allem auf die Unterschiede zwischen dem kompakten Stapel in Aachen und den dort locker aufgespalteten Zeitungen richten. Der erste Teil des Aktionstitels in Aachen Kuckei, akopee-Nein!, so berichtet Eva Beuys, sei auf die frühkindliche Weigerung des gemeinsamen Sohns Wen145 | Vgl. Beuys zitiert nach: Tisdall 1980, S. 14. 146 | Vgl. Schneede 1994, S. 51. 147 | Vgl. Beuys zitiert nach: New York 1979, S. 165.

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zel zurückzuführen, der mit Lass mich gucken, Einkaufen Nein! klar machte, dass er nicht mit zum Einkaufen und lieber zu Hause bleiben wolle.148 Die frühkindliche Konsumverweigerung steht in enger Verbindung mit der Ansammlung von Energie und Ideen, für die der geschnürte Zeitungsstapel stand. Mit den Stapeln des Wall Street Journals, die Beuys immer wieder ordnen musste, nachdem der Kojote sie im Raum verteilt hatte, sollte mit Sicherheit keine platte Kapitalismuskritik zum Ausdruck gebracht werden, auch wenn die alleinige inhaltliche Fokussierung auf Themen der Finanzmärkte der Einstellung des Künstlers widersprach. Beuys erkannte aber das ungeheure Energiepotential in dem Konvolut der zusammengetragenen Informationen; in die richtige Form gebracht könnten hieraus große Mengen an Energie nutzbar gemacht werden. Mit der Entscheidung, die Zeitungen in zwei Stapeln anzuordnen, könnte er meiner Ansicht nach auf die nahe gelegenen Zwillingstürme des World Trade Center Bezug genommen haben; seine Ruhephasen nutzte er zumindest, um von seinem Strohbett aus das geschäftige Treiben der Stadt zu beobachten. Während der drei Tage durchlief Beuys mit dem Kojoten einen sich in ähnlicher Form wiederholenden Handlungsablauf, der entscheidend von den Reaktionen des Tieres bestimmt war, die sich kaum vorhersagen ließen: Er wickelte sich in die vordere Filzbahn und ließ die Krücke, deren Griff er bis zu diesem Zeitpunkt gen Boden gerichtet hatte, oben aus seiner Filzrolle hinausragen. Näherte sich der Kojote dem Verborgenen, den Tisdall als »Hirtengestalt […] in den Weiten der Steppe«149 beschrieb, so verneigte sich Beuys; entfernte der Kojote sich, so richtete er sich wieder auf; legte der Kojote sich, so ging er auf die Knie; schlief er ein, so ließ sich die Filzgestalt zu Boden fallen; sprang er wieder auf, so warf er den Filz von sich und tat es dem Tier gleich. Die beschriebenen Reaktionen des Künstlers verdeutlichen den ganz grundsätzlichen Unterschied zu der Aktion Der Chef The Chief (1964), bei der er sich schon zehn Jahre zuvor in einer Filzrolle verborgen hatte. Diente die Filzrolle in Kopenhagen und Berlin zur Isolation von äußeren Einflüssen und der Unterstützung des Meditationsaktes, so isolierte der Filz in New York den Künstler nur auf seinem Weg zur Galerie. Während der drei Tage ging es ihm nicht um eine Abkapselung, sondern um die Annäherung und völlige 148 | Vgl. Eva Beuys zitiert nach: Schneede 1994, S. 45. 149 | Tisdall 1980, S. 6.

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Konzentration auf die Verhaltensweisen des Kojoten. »Ich blickte ihn immer an, richtete mich nach jeder seiner Bewegungen aus. So entstand das Bild einer geistigen Uhr. Es ist wichtig, das zu erwähnen, denn die ganze Zeit über waren meine Aktionen vollkommen von den Aktionen des Kojoten abhängig.«150 In den Positionen des Stehens, Kniens und Liegens verharrte er jeweils für zehn bis zwanzig Minuten, sodass die einzelnen Umläufe manchmal länger als eine Stunde dauerten. Der Kojote verhielt sich natürlich nie gleich, sodass jeder Umlauf sich, obwohl Beuys das Schema seiner Bewegungen beibehielt, von den vorhergehenden unterschied. Wurde die Atmosphäre zu unruhig, dann warf er den Filzumhang ab und schlug dreimal gegen die an seiner Brust hängende Triangel, wodurch der Ablauf unterbrochen wurde. Darauf folgte dann die Einspielung eines sehr lauten Turbinengeräuschs, das das Ende eines Umlaufs einleitete. Die Taschenlampe platzierte er eingeschaltet in der Filzrolle und zog sich dann zur Pause auf sein Strohlager zurück. Der plötzliche Einsatz extremer Geräusche erinnert an die Aktion und in uns … unter uns … landunter (1965), während der Beuys seine Spaten von Zeit zu Zeit heftig in den Boden rammte oder wie einen Speer in die Ecke warf. Diese Art akustischer Intervention, so sagte er, komme immer wieder in seinen Aktionen vor und solle das Tempo unterbrechen.151 Das Turbinengeräusch scheint als Zeichen des großen Energieaufkommens zudem in inhaltlicher Verbindung zu den Stapeln des Wall Street Journals zu stehen, da beides metaphorisch die industrialisierte, individualisierte und entgeistigte Gesellschaft der USA im exterritorialen Raum der Galerie repräsentierte. Beuys nannte den Einsatz der Triangel einen Bewusstseinsimpuls (»impulse of consciousness«) für den Kojoten, der seine Bewegungen danach harmonisiert habe; das Turbinengeräusch, so sagte er, könne man als Idee der unbestimmten Energie (»idea of undetermined energy«) verstehen.152 Auf die Bedeutung des Hasen und des Hirschen im Werk wurde bereits bei der Analyse von Der Chef The Chief eingegangen; seine Ein150 | Beuys zitiert nach: Tisdall 1980, S. 15. 151 | Vgl. Beuys zitiert nach: New York 1979, S. 84. 152 | Beuys: »COYOTE, I LIKE AMERICA AND AMERICA LIKES ME«, in: ENERGY PLAN FOR THE WESTERN MAN. JOSEPH IN AMERICA. WRITINGS BY AND INTERVIEWS WITH THE ARTIST, COMPILED BY CARIN KUONI, New York 1990, S. 141-144, hier: S. 141. (T)

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schätzung der Rolle der Tiere im Verlauf der menschlichen Evolution, die Beuys nicht zuletzt durch die Lektüre Steiners gewann, kam bei I like America and America likes Me erneut zum Ausdruck. Nach anfänglichen Überlegungen, bei der New Yorker Aktion einen Hirsch oder Elch zu nutzen, entschied Beuys sich schließlich für einen Kojoten.153 Er begründete seine Wahl damit, dass der Kojote »für die amerikanische Psyche eine große Rolle« spiele, da er »als ein Repräsentant für die unbewältigte Vergangenheit des Mordes an den Indianern […] von den Amerikanern […] bis heute noch gehasst«154 werde. Schon mit Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt wollte er zeigen, dass der Mensch durchaus mit dem Tier Dialoge führen und sich so aus dem »wahnsinnigen Schrumpfungsprozess«155 befreien könne. Das Wall Street Journal war die Verkörperung des geistigen Schrumpfungsprozesses der USA, »krasser Gegensatz« zur menschlichen »Universalität« und Zeichen der »Totenstarre des Denkens über KAPITAL (im Sinne des Gezwungenseins in Geld und Machtherrschaft)«.156 Mit der verborgenen Präsenz in der Filzrolle ging es Beuys in New York, anders als bei Der Chef The Chief, nicht um einen Prozess der inneren Versenkung, sondern um die Darstellung einer den Anwesenden mehr oder weniger bekannten Rolle. »Ich habe ja die Figur des Schamanen wirklich angenommen […] um etwas Zukünftiges auszudrücken, indem ich sage, dass der Schamane für etwas gestanden hat, was in der Lage war, sowohl materielle wie spirituelle Zusammenhänge in eine Einheit zu bekommen.«157 Der Kojote war für dieses Bild von entscheidender Bedeutung, da die Indianer ihn als Gottheit verehrten und der Schamane als Mittler zwischen Menschheit und Gottheit auftrat. Im Nachlass von Beuys, wie Schneede von Eva Beuys erfuhr, befindet sich das Buch The voice of the coyote von J. Frank Dobie, das der Künstler noch vor seiner Aktion in New York gelesen und intensiv bearbeitet haben soll. Schneede erwähnt zwei der vielen markierten Stellen: zum einen die Bemerkung, Schulbiologen vergäßen stets die Imagination, als wahrste aller Realitäten, und zum anderen 153 | Vgl. Schneede 1994, S. 331. 154 | Beuys zitiert nach: Das Gespräch. Joseph Beuys, in: Logos. Meinungen zum Zeitgeschehen, Dezember Nr. 6, Bonn 1982, S. 4. 155 | Beuys zitiert nach: Schneede 1994, S. 102. 156 | Vgl. Beuys zitiert nach: Tisdall 1980, S. 16. 157 | Beuys in einem Interview mit Erika Billeter, in: Ausst. Kat., Mythos und Ritual in der Kunst der 70er Jahre, Kunsthalle Zürich 1981, S. 89. (T)

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eine Sage, nach der die Kojoten im Laufe der Zeit gelernt hätten, mit Zäunen zu sprechen und diese zu überwinden.158 Die Einrichtung des Zauns war den geltenden Sicherheitsauflagen geschuldet, da man in dem Kojoten ein wildes und unberechenbares Tier sah. Für Beuys, der in der Funktion des Schamanen Kontakt zu dem Tier aufgenommen hatte, war der Zaun jedoch sichtbares Zeichen des Status quo, der zukünftig überwunden werden sollte. Die Lektüre von The voice of the coyote lässt keinen Zweifel daran, dass der Kojote zu den von den amerikanischen Siedlern am stärksten verfolgten Tieren zählte. Noch Ende der 1940er wurden laut offiziellen Angaben bis zu 300.000 Tiere jährlich geschossen, weshalb der Kojote in weiten Teilen Amerikas vom Aussterben bedroht war.159 Neben dieser allgemeinen Bedeutung des Tieres für die amerikanische Seele scheint es, als habe Beuys sich bei der Struktur der sich wiederholenden Umläufe auch von den Berichten des Buches inspirieren lassen. Mehrfach wird dort davon gesprochen, dass es bei den Kojoten ein Spiel gebe, bei dem die Tiere im Kreis liefen,160 sodass es sich bei der bewusst gesteuerten Kreisbewegung mit dem Kojoten im Galerieraum um eine Nachahmung des typischen Gruppenverhaltens der Tiere handelte. Ebenso könnte sich der Einsatz der Triangel erklären, die Beuys nutzte, um das Tempo zu reduzieren und die Situation zu beruhigen. Dobie berichtet, dass man bei der Zusammenkunft mehrerer Kojoten beobachten könne, wie der Anführer der Gruppe einen Ton abgibt, um sich die Aufmerksamkeit aller zu sichern und dabei wie ein Dirigent wirkt, der den Taktstock hebt und den Blick über seine Musiker schweifen lässt.161 Seine intensiven Vorbereitungen auf den Kojoten schienen erfolgreich gewesen zu sein, da das Tier während dieser drei Tage in friedlicher Harmonie mit Beuys lebte. Als Zeichen der Annäherung warf er dem Kojoten immer wieder seine Lederhandschuhe zu, die angezogen Distanz anzeigen und während der Aktion zum Symbol der Freundschaft wurden. »Ich hatte wirklich einen guten Kontakt mit ihm.«162 Die verborgene Präsenz von Beuys in New York, so wurde gezeigt, unterscheidet sich in mancher Hinsicht von seinem Verbergen in einer Filzrolle bei Der 158 | Vgl. Schneede 1994, S. 334-335. 159 | Vgl. Dobie, Frank J.: The voice of the coyote, Boston 1949, S. 44. (A) 160 | Vgl. Dobie 1949, S. 11. 161 | Vgl. Dobie 1949, S. 23. 162 | Beuys zitiert nach: Tisdall 1980, S. 14.

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Chef The Chief. Dennoch weisen einige Aspekte der Aktion zurück bis zu frühen Arbeiten des Künstlers. Mit der Zeichnung Entpuppung des Schmetterlings (1950) thematisierte Beuys die bewegungslose Starre der Insektenlarve in ihrem Kokon, der sie während der Entwicklung zum Schmetterling vor äußeren Einflüssen schützt. Bei I like America and America likes Me ließ sich der Künstler selbst, wie in einen Kokon verpackt, anliefern – es war die zweite Stufe seiner Annäherung an die USA und gleichsam die Demonstration eines ersten Schrittes zur Auseinandersetzung und Versöhnung mit der eigenen Geschichte.

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3 Robert Morris – das Objekt inkorporiert den Körper »The obsession with the self as a subject is as old as self-portraiture. […] Beckett must surely be seen as the first instance of the artist fashioning out space itself as an extension of the self. But the spaces of and for the self now being built in the plastic arts have little to do with the dust, the grimness, or even the humor of Beckett. For if these spaces imply aloneness, they indicate none of the anxieties of isolation. An undefiant separateness and even a kind of self-confidence in the autistic permeates them.«1

Morris erkannte vielleicht als einer der Ersten die große Bedeutung des Motivs verborgener Körperpräsenz für die Kunst der 1960er und 1970er Jahre und verwies auf die Figuren Becketts, wie beispielsweise 1 | Morris, Robert: Aligned with Nazca (Orig. Aligned with Nazca, in: Artforum, vol. 14, no. 2, Oktober 1975, S. 26-39), in: Morris, Robert (Hg.): Continuous Project altered Daily: The Writings of Robert Morris, Cambridge, London 1993, S. 143-173, hier: S. 160. (T) »Die Besessenheit mit dem Selbst als Subjekt ist so alt wie das Selbstporträt. […] Beckett muss sicher als das erste Beispiel eines Künstlers betrachtet werden, der Raum selbst als Erweiterung des Selbst gestaltet hat. Aber diese Räume des Selbst und für das Selbst, die derzeit in der plastischen Kunst gebaut werden, haben wenig mit dem Staub, der Verbissenheit, oder gar dem Humor Becketts zu tun. Selbst wenn diese Räume ein Alleinsein implizieren, so deutet nichts auf Angst vor Isolation. Ein nicht starrsinniges Getrenntsein und sogar eine Art Selbstvertrauen in das Autistische durchdringt sie.« (Übersetzung des Verfassers)

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Murphy oder Malone. Die Isolation bei Beckett, so Morris, sei durch die Schwermut der gescheiterten Individuen bestimmt, die sich diskontinuierlich zum Rest der Welt bewegten.2 Protagonist des im Jahr 1957 in englischer Sprache veröffentlichten Romans Murphy ist ein junger Ire, der gesellschaftlichen Rückzug in einem kargen Pensionszimmer sucht, wo er sich nackt und abgekapselt von äußeren Einflüssen an seinen Schaukelstuhl fesselt. In einer gegen die Sonne abgeschirmten Ecke des Zimmers findet Murphy Rettung in der körperlichen Isolation. Er widersetzt sich jedem äußeren Bestreben, verweigert den gesellschaftlichen Drang zum Vorankommen und findet seine Erfüllung in der »In-Sich-Selbst-Verschlossenheit«, die seinen Geist »einmauert« und vor geschäftiger Zerstreuung schützt.3 »Er saß so in seinem Stuhl, weil es ihm Spaß machte! Zunächst machte es seinem Körper Spaß, es beruhigte seinen Körper. Dann befreite es ihn auch in seinem Geiste. Denn erst wenn sein Körper beruhigt war, konnte er beginnen, in seinem Geist zu leben […].«4 Beckett äußert mit dem Schicksal Murphys sein Misstrauen gegenüber den Erlösungsszenarien biblischer Erzählungen. Murphy, der sich nach langer Weigerung dem Zwang zu geregelter und bezahlter Arbeit unterwirft, findet Anstellung in einer psychiatrischen Anstalt. Dort, wo ihn von Beginn an das isolierte Dasein der in ihrer Psyche gefangenen Insassen fasziniert, erkennt er die Absurdität medizinischer und religiöser Heilsvorstellungen. »Hätte man sie [die Patienten] in Frieden gelassen, so wären sie unbekümmert wie Lazarus gewesen, dessen Wiedererweckung Murphy so vorkam, als wäre der Messias hier vielleicht ein einziges Mal zu weit gegangen.«5 Jesus erweckt Lazarus nach der Totenruhe im Felsengrab wieder zum Leben, kündigt somit seine eigene Bestimmung an und demonstriert den Gläubigen den Weg zu geläuterter Auferstehung. (Joh 11,1-11,44) Für Murphy, der nicht nach geheilter Wiedervereinigung strebt, ist seine gesellschaftliche Abkehr zeitlich unbegrenzt; sein Rückzug ist endgültig, und so verbrennt er in der Dachkammer der Nervenheilanstalt, allein mit seinem Inneren und dem hölzernen Schaukelstuhl. Becketts Bruch mit der dreistufigen Narrationsstruktur (Krise – ver2 | Vgl. Morris: Aligned with Nazca [wie Anm. 1], in: Morris 1993, S. 160. 3 | Vgl. Beckett, Samuel: Murphy (Orig. Murphy, New York 1957), Hamburg 2005, S. 143. (A) 4 | Beckett 2005, S. 10. 5 | Beckett 2005, S. 143.

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borgene Präsenz – Läuterung) war bewusste Abkehr von einer langen Bedeutungsgeschichte des Motivs der verborgenen Körperpräsenz. Im Gegensatz zu Becketts Figuren, die sich diskontinuierlich zur Welt bewegten, geschehe das körperliche Verbergen in der zeitgenössischen Kunst, so Morris, kontinuierlich zur Welt.6 Es ist ein produktiver Rückzug inmitten der Gesellschaft, der sich von einer negativen Abkehr unterscheidet. Rosalind Krauss greift in ihrem Katalogbeitrag zu der großen Morris-Retrospektive im Guggenheim Museum 1994 – weitere Stationen waren die Deichtorhallen in Hamburg und das Centre Pompidou in Paris – die hier zitierte Textstelle von Morris auf, verzerrt jedoch in ihrem Versuch, Beckett als strategisches Vorbild einzuführen, den Sinn: »In [Beckett’s] spaces, a Murphy, a Malone, or a Watt ›endlessly and precisely permuted his limited store of ideas and meager belongings‹, Morris wrote, commenting about the humor involved in the wordy-gurdy ceaselessly playing inside these characters’ skulls, that ›an undefiant separatness and even a confidence in the autistic permeates them‹.«7

Ein nicht starrsinniges oder nicht trotziges (undefiant) Getrenntsein und das Vertrauen in das Autistische zeichnet für Morris nicht, wie Krauss zu verstehen glaubt, den Charakter der Figuren Becketts aus, sondern das zeitgenössische Verbergen, das sich gerade in diesem Punkt von Beckett unterscheidet. In der deutschen Übersetzung des Katalogtextes für ein Begleitheft zur Hamburger Ausstellung wird dann der letzte Rest ursprünglicher Bedeutung eliminiert, indem man das Adjektiv (undefiant) in diesem Zusammenhang mit »willenlos«8 übersetzt – willenlos waren aber weder die Figuren Becketts, noch die Protagonisten der Performance-Kunst der 1960er und 1970er Jahre. Morris ging es darum, jenseits der unbestrittenen Bedeutung Becketts, eine zeitgenössische Distanz zu den abseits der Gesellschaft 6 | Vgl. Morris: Aligned with Nazca [wie Anm. 1], in: Morris 1993, S. 160. 7 | Krauss, Rosalind: The Mind/Body Problem. Robert Morris In Series, in: Ausst. Kat., Robert Morris. The Mind/Body Problem, Solomon R. Guggenheim Museum, New York 1994, S. 2-17, hier: S. 8. (K) 8 | Krauss, Rosalind: Das Geist/Körper-Problem: Robert Morris in Serie (aus dem Englischen von Doris Janhsen), in: Begleitheft zur Ausstellung, Robert Morris. The Mind/Body Problem, Deichtorhallen, Hamburg 1995, S. 2-19, hier: S. 9. (K)

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gestrandeten Figuren zu markieren. Er eroberte den Innenraum seiner Objekte, nahm von dort aus Kontakt zu seinem Publikum auf und stellte so tradierte Paradigmen der Kunst zur Disposition.

3.1 B OX WITH THE SOUND OF ITS OWN MAKING (1961)

Abb. 22: Morris, Robert: Box with the sound of its own making, 1961. Die 1961 aus Walnussholz gefertigte Arbeit Box with the sound of its own making (Seitenlängen von ca. 23 cm) (Abb. 22) verbirgt in ihrem Inneren einen Lautsprecher und ein Abspielgerät, das getreu dem Titel der Arbeit die Geräusche der handwerklichen Herstellung wiedergibt.9 Morris beließ das Holz der Box unbehandelt, orientierte sich bei ihrer Größe allein an dem benötigten Raum für einen Lautsprecher und vermied symbolische Bezüge. Mit der Akustik der handwerklichen Herstellung betonte er die bloße Existenz des Gegenstandes und ironisierte die auratische Aufladung traditioneller Kunstobjekte. Das Werk ist zudem Ausdruck seiner intensiven Beschäftigung mit 9 | Zu Anfang befanden sich lediglich ein Lautsprecher im Inneren und das Abspielgerät außerhalb. Nachdem im Laufe der Zeit immer kleinere Geräte auf den Merkt kamen, integrierte Morris auch dieses. Vgl. Robert Morris zitiert nach: Krens, Thomas: THE TRIUMPH OF ENTROPY, in: New York 1994, S. xviii-xxxi, hier: S. xix.

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Marcel Duchamp, dessen Geist weite Bereiche der New Yorker Kunst in den 1960er Jahren durchströmte. Für das Motiv der verborgenen Körperpräsenz bietet Box with the sound of its own making eine interessante Perspektive, da nicht nur der Rückzug des Körpers – ideell oder faktisch – thematisiert, sondern ein akustisches Körperabbild verborgen wird. Krauss sieht in der Größe des Objekts, geleitet durch ihren Versuch der Reduzierung des Gesamtwerks auf die Problematisierung des Geist-Körper-Problems, eine Anspielung auf die Größe eines menschlichen Schädels, wodurch die Arbeit zu einem »cogito der Tischlerei« (»cogito of carpentry«) werde.10 Zwar trägt die Box das objektive Gedächtnis ihrer eigenen Herstellung in sich, doch dem Künstler hätte wenig ferner gelegen, als anthropomorphe Bezüge zu evozieren. Auf diesen Gedanken mögen Krauss vielleicht Arbeiten wie Untitled (Brain) (1962), das mit Dollarscheinen beklebte Gipsmodell eines Gehirns oder Wax Brain (1963) gebracht haben, doch scheint mir diese Parallele zu Box with the sound of its own making in eine falsche Richtung zu führen. Der Kubus, so schreibt Morris, sei die offensichtlichste Einheit des Formens und eine Art »Syntax« (»syntax«) oder kulturelles »Morphem« (»morpheme«).11 In wirtschaftlicher Hinsicht biete der Kubus oder der rechtwinklige Block praktische Vorzüge, da Herstellung, Aufteilung, Stapelung und Verschiffung am effizientesten organisiert werden könnten.12 Die geschwungene Oberfläche, so der Künstler an anderer Stelle, wirke anthropomorph, da sie wie ein Körper unter Spannung stehe, die rechtwinklige Einheit dagegen träge und wenig organisch: »Surfaces under tension are anthropomorphic: they are under the stresses of work much as the body is in standing. Objects that do not project tensions state most clearly their separateness from the human. They are more

10 | Vgl. Krauss, Rosalind: The Mind/Body Problem [wie Anm. 7], in: New York 1994, S. 4. 11 | Die Linguistik bezeichnet mit dem Begriff Morphem eine nicht weiter zerlegbare bedeutungstragende Einheit. 12 | Vgl. Morris: Notes on Sculpture, Part 3: Notes and Non Sequiturs (Orig. Notes on Sculpture, Part 3: Notes and Non Sequiturs, in: Artforum, vol. 5, no. 10, Juni 1967, S. 24-29), in: Morris 1993, S. 23-39, hier: S. 28.

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clearly objects. It is not the cube itself that exclusively fulfills this role of independent object – it is only the form that most obviously does it well.« 13

David Sylvester wirft den Gedanken auf, der Macher selbst könne, wie einst der große Houdini, endlos hämmernd und sägend in seiner Box gefangen sein. Die Arbeit ist für ihn Paradigma einer ersten kleinen Werkgruppe, zu der auch Arbeiten wie Untitled (Pine Portal) (1961), Untitled (Box for Standing) (1961) und Column (1961) gehören, über die im weiteren Verlauf zu sprechen sein wird. Auch er sieht in der Form des Kubus vor allem eine primäre, minimalistische Struktur, die in erster Linie uninformativ sei, das heißt keine Bilder evoziere und nur durch ihre Natur und Präsenz wahrgenommen werde.14 Das verborgene Abspielgerät gibt in dreistündiger Dauer die volle Länge des Herstellungsprozesses akustisch wieder, wodurch dieser selbst zum künstlerischen Akt erhoben wird. Das akustische Abbild als immaterielles Relikt des menschlichen Schaffens bindet den zeitlosen Charakter des Objekts an einen zeitlichen Verlauf. Der »Kubus als Gestalt« (»cube as gestalt«), so Sylvester, sei zeitlos und stehe seiner »Existenz in der Zeit« (»existence in time«) entgegen.15 Das Tonband erfüllt den Kubus, der als Primärstruktur im Grunde ohne weitere Information gänzlich erfasst wird, mit detaillierten Informationen über die Entstehung. Die Dauer der Herstellung bedingt die Dauer der Rezeption, womit der Gestaltcharakter des Objekts unweigerlich zerstört wird. Morris hinterließ seine akustische Spur in der Box, die ansonsten frei von den Zeichen künstlerischer Individualität ist, und wandte sich gegen die Betonung des persönlichen Gestus der abstrakt-expressionistischen Malerei, die das künstlerische Umfeld in den USA zu dieser Zeit noch mitbestimmte. Die Kiste, aus 13 | Morris: Notes on Sculpture, Part 3 [wie Anm. 12], in: Morris 1993, S. 38. »Oberflächen unter Spannung sind anthropomorph: sie sind wie der stehende Körper unter Anspannung. Objekte, die nicht unter Spannung stehen, setzen am klarsten ihr Getrenntsein vom Menschen fest. Sie sind klarer Objekte. Es ist nicht der Kubus allein, der die Rolle des unabhängigen Objekts erfüllt – es ist nur die Form, die es am offensichtlichsten macht.« (Übersetzung des Verfassers) 14 | Vgl. Sylvester, David: Box with the sound of its own making, in: Ausst. Kat., Robert Morris, London 1971, S. 10-11. (K) 15 | Vgl. Sylvester, David: Box with the sound of its own making [wie Anm. 14], in: London 1971, S. 11.

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industriell gefertigten Materialen zusammengezimmert, verweigert sich dem Schein des Künstlerischen, transportiert nicht innere Befindlichkeiten, sondern ist Produkt handwerklicher Arbeit. Morris hinterfragt künstlerische Genialitätsvorstellungen mit einem Werk, das handwerklich in gleicher Qualität selbst ein halbwegs begabter Heimwerker hätte zustande bringen können. Er enttarnt den mystifizierten Akt künstlerischer Produktion und zeigt das Werk als bloßes Ergebnis eines dreistündigen Sägens, Hämmerns und Schraubens. Der Umgang mit dem Faktor Zeit ist zentraler Aspekt und bringt neue Bedeutungsebenen in das Konzept der verborgenen Körperpräsenz. Die reine Betrachtung der Box, abgesehen von ihrer akustischen Komponente, ermöglicht ein formales Erfassen von Materialbeschaffenheit, Ausmaß und Raumbezug. Das Werk stellt weder Handlung dar, noch verweist es symbolisch auf andere Bedeutungsebenen. Im Zentrum stehen das Objekt, sein Bezug zum Ausstellungsraum und die individuelle Rezeption, unter anderem bestimmt durch die Dauer der Betrachtung. Die Bedeutung von Realzeit auf der einen Seite und fiktiver Zeit auf der anderen Seite für die Kunst der 1960er Jahre wurde und wird vielerorts diskutiert. Diedrich Diederichsen beispielsweise bezeichnet die Problematisierung der Differenz zwischen gelebter und gemessener Zeit als »das geheime Band aller möglichen ästhetischen Debatten um 1960«.16 Einer der Zeitgenossen von Morris, der Künstler Les Levine, der wie er selbst zu Beginn der 1960er Jahre nach New York kam, formuliert diesen thematischen Schwerpunkt künstlerischer Auseinandersetzung in bemerkenswert prägnanter Form: Ein Großteil der Kunst vergangener Zeiten, so Levine, konzentriere sich auf die Darstellung von Bildern und »visuellen Referenzen« (»visual refernces«) und beschäftige sich stets mit vergangener Zeit, da sie aus der Gegenwart reiße und in eine »Traumzeit« (»dream time«) verführe. Das Kunstwerk beabsichtige eine Trennung zwischen »Lebenszeit und Gedankenzeit« (»living time and thinking time«), da es visuelle Reize anbiete, die in einen abstrakten Zeitraum führten.17 Illusionismus existiert bei Levine nicht nur als stilistischer, sondern auch als temporärer Begriff insofern, als Kunstwerke Zeiträume eröffnen können, die das aktuelle Erleben einnehmen. Levines 16 | Diederichsen, Diedrich: Eigenblutdoping, Köln 2008, S. 28. (A) 17 | Vgl. Levine, Les: The Disposable Transient Environment, in: Mayer, Bernadette; Acconci, Vito Hannibal (Hg.): 0 TO 9, Nr. 5, 1969, S. 41-46, hier: S. 41. (A)

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Lösung, wie der Titel seines Aufsatzes ankündigt, ist das Environment, das auf Bilder, Informationen und Farbgebung verzichte, um die Aufmerksamkeit auf das Objekt im Raum zu konzentrieren, ohne dabei auf fiktive Zeitebenen zu verweisen. »Time is the essential difference between theatre and environmental art. The theatre strongly depends on illusionistic time. A two hour performance may take you through five years of imagined time. With environmental art there is no change in time.«18

Box with the sound of its own making erfüllt den Anspruch Levines offensichtlich im engeren Sinne nicht, da das Tonband eine weitere Zeitebene, neben derjenigen der Rezeptionszeit, einführt. Problematisiert wird aber das gleiche Ausgangsproblem, da auch Morris sich mit der Box gegen ein kontemplatives Versenken in das Kunstwerk wendet. Das Tonband verspricht zwar die Öffnung einer narrativen Ebene, doch zu hören ist lediglich der Prozess der Herstellung in voller Länge. Die Realzeit der Rezeption entspricht der Realzeit der Herstellung, sodass alle Informationen letztlich auch von dem farblosen und wenig ansprechenden Objekt im Ausstellungsraum vermittelt werden. Das Tonband bietet keinen illusionistischen Raum, sondern nur einen pseudo-illusionistischen, der das Begehren nach narrativer Zerstreuung enttarnt. John Cage, so berichtet Morris, sei einer der Ersten gewesen, denen er diese Arbeit »zeigte«; dieser habe sich vor die Box gesetzt und dem Band für die Dauer der vollen drei Stunden zugehört.19 Selbst wenn die Künstleranekdote sich nicht in vollem Umfang mit der Wahrheit decken sollte, so betont sie, welchen Stellenwert Morris dem Faktor Zeit zuspricht. Das Konzept der Arbeit ist nur zu erfassen, wenn man sich, wie Cage, die vollen drei Stunden anhört oder Kenntnis von der Tatsache hat, dass die Akustik des Herstellungsprozesses in voller Länge abgespielt wird. Nicht der Körper 18 | Levine, Les: The Disposable Transient Environment [wie Anm. 17], in: Mayer; Acconci 1969, S. 41-42. »Zeit ist der wesentliche Unterschied zwischen dem Theater und der Environment-Kunst. Das Theater ist stark abhängig von der illusionistischen Zeit. Eine zweistündige Performance kann dich durch fünf Jahre vorgestellter Zeit führen. Bei der Environment-Kunst gibt es keinen Wechsel in der Zeit.« (Übersetzung des Verfassers) 19 | Vgl. Berger, Maurice: Labyrinths. Robert Morris, Minimalism, And The 1960s, New York 1989, S. 31. (A)

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selbst oder die Vorstellung eines Körpers, sondern ein akustisches Körperabbild ist im Verborgenen der Box präsent. Schon während seiner Zeit in San Francisco kam Morris über seine damalige Lebensgefährtin Simone Forti in Kontakt mit der zeitgenössischen Tanz- und Theateravantgarde, die sich intensiv um die Überwindung expressiver und illusionistischer Theatralik zu Gunsten alltäglicher Bewegungen und Geräusche bemühte. Bei der Erweiterung seines Kunstbegriffs und der Abkehr von der abstrakt-expressionistischen Malerei erhielt Morris viele Anregungen aus dem Kreis um die Dancer’s Workshop Company.20 So verwundert es kaum, dass es ihn im Jahr 1961 nach New York zog, wo sich gerade ein Zentrum der internationalen Tanz- und Theaterszene formierte, und er dort den Kontakt zu innovativen, künstlerischen Kreisen suchte. Unmittelbar nach seiner Ankunft traf Morris auf den Komponisten John Cage und den Choreographen Merce Cunningham, deren Auffassungen von zeitgenössischer Musik und Tanz besonderen Einfluss auf die bildende Kunst hatten. Die Idee, die handwerkliche Herstellung einer Holzkiste und das dabei entstehende Geräusch als künstlerische Arbeit zu betrachten, basiert meiner Ansicht nach auch auf den Kompositionen John Cages, der nicht zufällig der Erste war, dem Morris sein Werk vorführte. Neben Cage ist sicher auch Robert Dunn zu nennen, der von 1960 bis 1962 einen Kompositionskurs in Cunninghams Studio hielt, aus dem sich später das Judson Dance Theater bildete.21 Morris trat der Klasse bei und nahm an mehreren Aufführungen der Judson Church Dancers teil.22 Inspiriert durch Cunningham verwendete man alltägliche Bewegungen und verzichtete auf expressiv symbolische Ausdruckskraft, die beispielsweise den Tanz Martha Grahams, Lehrerin Cunninghams, auszeichnete. Cunninghams Ziel war es, Raum und Zeit seiner Tänze von den Spuren der Fiktionalität zu befreien. »Wie schon dargelegt, befasste sich die neue Choreographie der 60er Jahre mit einer akribischen Untersuchung der grundsätzlichen Bedingungen des 20 | Vgl. Berger 1989, S. 25. 21 | Vgl. Kirkpatrick, Gail B.: Tanztheater und bildende Kunst nach 1945. Eine Untersuchung der Gattungsvermischung am Beispiel der Kunst Robert Rauschenbergs, Jasper Johns’, Frank Stellas, Andy Warhols und Robert Morris’ unter besonderer Berücksichtigung ihrer Arbeiten für das Tanztheater Merce Cunninghams, Münster 1986, S. 78. (A) 22 | Vgl. Kirkpatrick 1986, S. 185.

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menschlichen Körpers innerhalb von Raum und Zeit, ohne jeden narrativen Zusammenhang. Zeit wurde verstanden als gerade die Zeit, die benötigt wird, um eine Tätigkeit auszuführen. Die fiktive Zeit während der meisten Theateraufführungen, insbesondere solcher, die ein Erzählstück aufführen, war völlig verpönt. Die Betonung lag auf Tatsächlichkeit und nicht auf Illusion […].« 23

In engem Kontakt mit Cage und Cunningham stand auch Robert Rauschenberg, der zwischen 1954 und 1964 fast alle Kostüme und Bühnenbilder für deren Aufführungen lieferte.24 Rauschenbergs synthetische Verbindung von Malerei und Skulptur bei seinen combine paintings sowie der Einbezug von Tanz und Theater müssen den jungen Morris fasziniert haben. Neben einer allgemeinen künstlerischen Prägung lässt sich aber auch, so denke ich, ein direkter Einfluss auf Box with the sound of its own making erkennen: Am 20. Juni 1961 nahm Rauschenberg an einer Aufführung von John Cages Variation II teil, die Cunninghams Musiker David Tudor in der amerikanischen Botschaft in Paris organisierte. Neben Rauschenberg beteiligten sich auch Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely sowie Jasper Johns, der aber nicht persönlich anwesend war. Morris reiste nicht nach Paris, aber mit Sicherheit war ihm der Ablauf des Ereignisses durch seine enge Verbindung zu den Beteiligten bestens bekannt. Rauschenberg malte während der Veranstaltung ein Bild, von dem das Publikum lediglich die Rückseite sehen konnte. An der Leinwand befestigte Mikrophone übertrugen das Geräusch des Malens.25 Das Bild bekam selbst nach Fertigstellung niemand zu Gesicht; der künstlerische Beitrag lag nicht in dem Bild selbst, sondern in dem Akt des Malens. Der Prozess des Malens verlor seine eigentlich visuelle Bedeutung, da nur sein akustisches Substrat übermittelt wurde, welches zuvor, wenn überhaupt, so nur als eine Art ephemeres Nebenprodukt des künstlerischen Schaffens wahrgenommen wurde. Eine weitere wichtige Inspirationsquelle fand Morris in den Arbeiten Marcel Duchamps, der mit den Künstlern um Cage und Cunningham zu Beginn der 1960er Jahre in einem regen Austausch stand. Im Jahr 1958 reisten Rauschenberg und Johns zum Philadelphia Mu23 | Kirkpatrick 1986, S. 185. 24 | Vgl. Kirkpatrick 1986, S. 36. 25 | Vgl. Ausst. Kat., Robert Rauschenberg. Werke 1950 – 1980, Berlin, Düsseldorf, Kopenhagen 1980 und weitere Orte, S. 27. (K)

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seum of Art, um dort die ausgestellte Sammlung von Louise und Walter Arensberg zu sehen. Im Jahr 1959 erschien die erste umfassende Monographie zu Duchamp,26 sodass für 1961 davon ausgegangen werden kann, dass Morris, der nebenbei auch Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts studierte, bei der Konzeption von Box with the sound of its own making Zugang zum Werk Duchamps hatte. Ein Readymade der Arensberg-Sammlung mit dem Titel With Hidden Noise (1916), bei dem Duchamp sich mit dem Einbezug akustischer Komponenten in seine Arbeit auseinandergesetzt hatte, scheint von besonderer Bedeutung für die Box gewesen zu sein. Duchamp beschrieb es folgendermaßen: »This Readymade is a ball of twine between two squares of brass … and before I finished it, Arensberg put something inside the ball of twine, and never told me what it was, and I didn’t want to know. It was a sort of secret; and it makes a noise, so we called this a Readymade with a secret noise. Listen to it. I will never know whether it is a diamond or a coin.« 27

Der Künstler ließ einen ihm unbekannten Gegenstand im Inneren der Rolle Kordel verbergen, doch ging es ihm nicht um das verborgene Objekt an sich, sondern um das beim Schütteln der Arbeit entstehende Geräusch. Die ephemere Komponente des Geräuschs wird zum tragenden Element der Arbeit. Die Verbindung zwischen verborgenem Objekt und dem Geräusch ist die kausale Beziehung zwischen Objektbewegung und Ton sowie die dabei entstehende Neugierde, durch die Art des Geräuschs mehr über die Identität des Objekts zu erfahren. Da bei jedem Schütteln, abhängig von der Art der Bewegung, ein anderer, nicht wiederholbarer Ton entsteht und jeder Rezipierende über ein spezifisch akustisches Wissen verfügt, ist das Geheimnis des Geräuschs möglicherweise sogar entschlüsselbar. 26 | Vgl. Lebel, Robert: Marcel Duchamp, New York 1959. (A) 27 | Marcel Duchamp zitiert nach: Schwarz, Arturo (Hg.): The complete works of Marcel Duchamp, New York 1997, S. 644. (A) »Dieses Readymade ist eine Rolle Kordel zwischen zwei Quadraten aus Messing … und bevor ich es fertigstellte, steckte Arensberg etwas in das Knäuel Schnur und sagte mir niemals, was es war, und ich wollte es nicht wissen. Es war eine Art Geheimnis; und es macht ein Geräusch, so nannten wir es Readymade mit einem geheimen Geräusch. Hören Sie es. Ich werde niemals wissen, ob es ein Diamant oder eine Münze ist.« (Übersetzung des Verfassers)

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Sicherheit könnte jedoch nur das Öffnen des Objekts bringen; dies wäre ohne Beschädigung des Kunstwerks jederzeit möglich, da die Messingplatten nur verschraubt sind. Ein Öffnen verletzte aber die Autonomie des Kunstwerks, das allein – abgesehen von Arensberg – Hüter dieses verborgenen Geheimnisses ist. Das Werk ist nicht Mittler zwischen der Psyche des Künstlers und den Betrachtenden, sondern wird selbst zum Akteur des Kommunikationsprozesses. Duchamp übergab die Rolle des allwissenden und schöpfenden Künstlers an das Werk und den Sammler, dessen Werkwissen in diesem Fall sogar dasjenige des Künstlers überstieg. Er verstärkte die Aura des Geheimen durch gravierte Texte an den Außenseiten der beiden Messingplatten, die zwar entzifferbar sind, doch deren Sinn sich nicht erschließt. Um eine Übung in vergleichender Orthographie, so Duchamp, solle es sich handeln, bei der Deutsch und Französisch gemischt keinen weiteren Sinn ergäben.28 Der Künstler ironisiert auf diese Weise ein Phänomen moderner Kunstrezeption, die das vordergründig Gezeigte immer unter Verdacht stellt, verborgene Wahrheiten vermutet und versucht, die Spuren der Verschlüsselung zu enttarnen. Ein derartiges Kunstverständnis lehnt die Existenz des unlösbaren Geheimnisses und der nicht entwirrbaren Widersprüche ab, da man glaubt, dass letztlich alles durch den Geist des Künstlers determiniert sei. Einerseits sind die Arbeiten von Duchamp und Morris in mancher Hinsicht nicht vergleichbar: Duchamp verbirgt ein Objekt, das bei Bewegung durch das Schlagen an die Innenseiten der Messingplatten ein Geräusch produziert, jedoch keinen Aufschluss über seine Identität gibt. Morris verbirgt ein Abspielgerät, das konstant und ohne bewegt zu werden die Akustik der handwerklichen Produktion der Box wiedergibt. Duchamp schafft ein akustisches Readymade, wohingegen Morris selbstreflexiv auf den Prozess der Herstellung verweist. Andererseits besteht aber durchaus die Möglichkeit des direkten Vergleichs, da beide Arbeiten tradierte Beziehungen von Produktion, Werk und Rezeption grundsätzlich in Frage stellen, indem sie die Bedingung des Verborgenseins zur Weckung eines Verdachts nutzen, der sich während des Rezeptionsprozesses selbst überführt. Duchamps Werk vermittelt den Glauben, die Identifizierung des Objekts und die Entschlüsselung des fragmentarischen Textes könnten den Aufmerksamen eine Sinnebene eröffnen, die dem gemeinen 28 | Vgl. Marcel Duchamp zitiert nach: Schwarz 1997, S. 644.

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Publikum auf ewig verschlossen bleibt. Sein Versprechen verborgener Bedeutung beschäftigt bis zum heutigen Tag diejenigen, die durch mögliche Entschlüsselung auf Bestätigung ihrer eigenen Spitzfindigkeit hoffen. Seit über neunzig Jahren treibt der Verdacht die Suche an, und es bleibt abzuwarten, ob sich zukünftig die Erkenntnis durchsetzen wird, dass Duchamp nichts weiter als das Geräusch eines nicht identifizierbaren Objekts in einer Rolle Kordel zwischen zwei Messingplatten hinterließ. Box with the sound of its own making enttäuscht die Erwartungen der Erkenntnis ungleich schneller. Der Ton aus dem Inneren des schlichten Objekts lässt im ersten Moment noch vermuten, es könne Nachrichten aus dem Verborgenen geben, doch schnell eröffnet sich unmissverständlich, dass bloß handwerkliche Geräusche zu hören sind. Mancher mag sich die gesamten drei Stunden der Tonbandaufzeichnung anhören, doch die Hoffnung auf den Schlüssel zu einer verborgenen Erkenntnis als Belohnung für das unermüdliche Ausharren bleibt unerfüllt. Morris arbeitete an der Zerstörung der Fiktion des genialen Künstlers, dem Glauben, ein Kunstwerk könne höhere Wahrheiten vermitteln, und bemühte sich stattdessen um Aufmerksamkeit für die Prozesse der künstlerischen Produktion und Rezeption. Aus demselben Jahr wie Box with the sound of its own making stammt seine Arbeit Litanies (1961),29 die sich ebenso mit der Stellung des Künstlers, dem Faktor Zeit und der Bedeutung des handwerklichen Schaffensprozesses beschäftigt. Handschriftlich transkribierte Morris wiederholt für die Dauer von zweieinhalb Stunden die im Jahr 1960 veröffentlichte englische Fassung von Duchamps Text les litanies du chariot (the litanies of the Chariot). Die Litaneien des Leiterwagens sind Teil der Skizzen zu Duchamps Arbeit La mariée mise à nu par ses célibataires, même (1915-23); der Text, Refrain der Junggesellen-Maschine, lautet in der von Morris genutzten englischen Übersetzung: »Slow life. Vicious circle. Onanism. Horizontal. Round trip for the buffer. Junk of life. Cheap construction. Tin, cords, iron wire. Eccentric wooden pulleys. Monotonous fly wheel. Beer professor.«30 Dies 29 | Abb. in: Berger 1989, S. 30. 30 | Duchamp, Marcel: The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even/ typographic version by Richard Hamilton of Marcel Duchamp’s Green Box (Orig. The bride stripped bare by her bachelors, even, London, New York 1960), Green Book, S. 10, in: Duchamp, Marcel: La Mariée à nu par ses célibataires, même, Paris 1934, et à l’infinitif, New York 1967, typosophes

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ist nicht der Ort, das überaus komplexe Gefüge des großen Glases, wie Duchamps Hauptwerk auch verkürzt genannt wird, und des vorbereitenden Textes zu analysieren, doch zwei für Box with the sound of its own making wesentliche Aspekte sollten zur Sprache kommen: Auf den ersten wichtigen Punkt kommt Michael Compton in seiner Einführung zu den Process pieces von Morris zu sprechen. Duchamps akribische Vorbereitungen zum großen Glas hätten, so Compton, die Aufmerksamkeit von Morris geweckt, da systematische Methoden (Mathematik, Wahrnehmungstheorie und Aleatorik …) in der künstlerischen Praxis Anwendung fanden, willkürliche Anordnungen dadurch reduziert wurden und Kunst Bedeutung jenseits des individuellen Geschmacks beanspruchen konnte.31 Einen zweiten Punkt brachte Morris mit einer Textzeile unterhalb seiner Transkription zum Ausdruck: »The litanies of the Chariot by Marcel Duchamp. A two and one half hour repetition by R. Morris, 2 – 17 – 61« Die Nennung des Urhebers und der Handlung einer sich stupide wiederholenden Abschrift des immergleichen Textes entmystifiziert einerseits den künstlerischen Akt und betont anderseits dessen Prozesshaftigkeit. Abschreiben und Sägen stehen im gleichen Maße symptomatisch für ein sich wandelndes Kunstverständnis. Darüber hinaus ironisierte Morris seine Abschrift dadurch, dass er einen Vermerk des Originaltextes von Duchamp absichtlich falsch interpretierte. Unter dem Refrain, der in den originalen Notizen durchgestrichen ist, setzte Duchamp in Klammern den Vermerk »to be entirely redone« (»à ref. entièrement«)32 . Duchamp hatte diese Anmerkung unter einen Text geschrieben, mit dem er offensichtlich nicht zufrieden war und den er deshalb noch einmal überarbeiten wollte. Morris war sich dieser Bedeutung natürlich bewusst, doch nahm er die Aufforderung wört-

sans frontiers, 3 Bände, Karlsruhe, Northend, Fontainebleau 2002. (A) »Träges Leben. Lasterkreis. Onanismus. Horizontal. Hin und zurück auf den Prellbock. Schundware-Leben. Billige Konstruktion. Blech, Stricke, Eisendraht. Holzwinden mit Exzenter. Monotones Schwungrad. Bier-Professor.« (Übersetzung von Serge Stauffer), in: Stauffer, Serge (Hg.): Marcel Duchamp. Die Schriften, Zürich 1981, S. 63. (A) 31 | Vgl. Compton, Michael: Process pieces, in: London 1971, S. 115-117, hier: S. 115. 32 | Duchamp, Marcel: The Bride Stripped Bare by Her Bachelors, Even [wie Anm. 30], S. 10, in: Duchamp 2002.

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lich und wiederholte immer wieder dieselben Zeilen, wie bei einer religiösen Litanei.

3.2 C OLUMN (1962) Im Februar des Jahres 1962 nahm das Werk des Künstlers mit der Performance Column eine entscheidende Wende. In seinem Bemühen um eine engere Verbindung von Körperaktion und Objekt, wie es sich mit Box with the sound of its own making (1961) bereits angedeutet hatte, fand Morris neue Gestaltungs- und Präsentationsformen. Der Handlungsverlauf der Performance lässt sich präzise und kurz beschreiben: Auf der Bühne des New York’s Abb. 23: Morris, Robert: Two Living Theater stand eine Säule Columns, 1973 (1961). (ca. 245 x 61 x 61 cm) aus grauem Sperrholz, die nach dreieinhalb Minuten ereignisloser Bühnenpräsenz umfiel. Weitere dreieinhalb Minuten vergingen mit der liegenden Säule, bevor das Löschen des Bühnenlichts ein Ende markierte. Während der Aufführung wurde die Säule mit Hilfe eines Seils aus dem Hintergrund gekippt, doch die ursprüngliche Idee lag darin, sie durch die Körperbewegung des Künstlers in ihrem Inneren umzustürzen. Von diesem Plan musste man jedoch nach der Generalprobe Abstand nehmen, da Morris sich bei seinem Fall in verborgener Präsenz verletzte und während der Aufführung im Krankenhaus lag. Sein Wippen in der Säule, die schließlich umkippte, erinnert an Becketts Murphy, der gefesselt an seinen Schaukelstuhl das Spiel zwischen körperlicher Gefangenheit und Objektbewegung genießt und dabei immer wieder mit seinem Möbel umkippt. Murphys Isolation, sein Umkippen sowie sein finales Verbrennen sind bewusste Entscheidungen, die mit dem Horizont gesellschaftlich akzeptierter und anerkannter Handlungen nicht zu vereinbaren sind. Murphys Leichenbestatter diagnostiziert stellvertre-

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tend für die Gesellschaft einen klassischen Fall von Missgeschick,33 um den Vorfall geordnet ad acta legen zu können. Bei Column demonstrieren der Aufführungsort, die strenge zeitliche Strukturierung und die Unmöglichkeit einer identischen Wiederaufführung Morris’ engen Kontakt zu der Theaterszene. Zeitlich parallel zu dieser Performance arbeitete er an Two Columns (1961) (Abb. 23), einer Installation aus zwei identischen Säulen, einer stehenden und einer liegenden, mit der er die Verbindungen zwischen Aktionskunst und der minimalistischen Objektarbeit betonte, die ab Mitte der 1960er Jahre verstärkt in den Vordergrund treten sollte.34 Diese formale Stringenz verbietet eine strikte Trennung seines Gesamtwerks in unvermittelte Werkphasen, auch wenn sein Schaffen durch einen auffälligen Stilwandel – abstrakt-expressionistische Malerei Mitte der 1950er Jahre, neo-dadaistische Objekte zu Beginn der 1960er Jahre, Beschäftigung mit Tanz und Performance Mitte der 1960er Jahre, Minimalismus ab Mitte der 1960er Jahre – geprägt ist. Das Interesse an den Wechselbeziehungen zwischen menschlichem Körper, Objekt und Raum ist wesentliche Konstante seiner künstlerischen Arbeit. Die theoretischen Schriften des Künstlers unterstreichen, dass seine verborgene Präsenz in der Säule nicht mit einer Sehnsucht nach Isolation zu erklären ist. In einem erstmals im Jahr 1966 veröffentlichten Aufsatz bezieht er sich auf die Größe von Skulptur in relativer Beziehung zur Körpergröße der Betrachtenden: »In the perception of relative size, the human body enters into the total continuum of sizes and establishes itself as a constant on that scale.«35 Seine tief greifenden rezeptionsästhetischen Überlegungen führten ihn zu der Einsicht, dass plastische Wahrnehmung nicht ohne den direkten Bezug zum Körper zu denken ist. Die Größe eines Objekts, so Morris, stehe in enger Beziehung zu dem umgebenden Raum, der Körpergröße der Rezipierenden sowie zur räumlichen Distanz, die 33 | Vgl. Beckett 2005, S. 206. 34 | Ein im Jahre 1973 erfolgter Nachbau der Arbeit Two Columns (1961) (Abb. 23) befindet sich im Teheran Museum of Contemporary Art. Abbildung in: New York 1994, S. 91. 35 | Morris: Notes on Sculpture, Part II (Orig. Notes on Sculpture, Part II, in: Artforum, vol. 5, no. 2, Oktober 1966, S. 20-23), in: Morris 1993, S. 11-21, hier: S. 11. »Bei der Wahrnehmung relativer Größe betritt der menschliche Körper das absolute Kontinuum der Größen und setzt sich selbst als Konstante dieser Skala.« (Übersetzung des Verfassers)

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diese zum Objekt einnehmen. Das Verhältnis zu einem handlichen Objekt sei intim (»intimate«) und werde mit zunehmender Objektgröße öffentlich (»public«). Bei intimer Betrachtung büße der Raum an Bedeutung ein, wohingegen bei körperübergroßen Objekten dem Raum zentrale Bedeutung zukomme.36

Abb. 24: Morris, Robert: Untitled (Pine Portal), 1961.

Abb. 25: Morris, Robert: Untitled (Box for Standing), 1961.

Es verwundert doch sehr, dass, obwohl der Künstler sich schon in den 1960er Jahren explizit zu dem Verhältnis von Objektgröße und Körpergröße der Betrachtenden äußerte, die Literatur eine genauere Untersuchung der Objektgrößen im Werk von Morris bisher vermissen lässt. David Sylvester vergleicht Untitled (Box for standing) (1961) (Abb. 25) (ca. 183 x 61 x 30,5 cm) mit einem Sarg, der ohne Deckel auf dem Kopf steht.37 Der Vergleich ist nahe liegend, und eine Photographie zeigt den Künstler, aufrecht stehend in dieser Arbeit, die genau seiner Körpergröße und -breite entspricht. Es könnte nun der Eindruck entstehen, dass Morris, wie ein Sargmacher, erst seine 36 | Vgl. Morris: Notes on Sculpture Part II [wie Anm. 35], in: Morris 1993, S. 13. 37 | Vgl. Sylvester, David: Box with the sound of its own making [wie Anm. 14], in: London 1971, S. 11.

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Körpergröße gemessen und das Objekt dann passend für sich habe anfertigen lassen. Doch insbesondere bei Angabe der Objektmaße im metrischen System darf nicht übersehen werden, dass der Künstler standardisierte Brettgrößen – in diesem Fall 6 x 2 x 1 Fuß – verwendete. Catherine Greiner stellt Untitled (Box for standing), Column und Untitled (Pine Portal) (1961) in einen direkten Entstehungszusammenhang, da sie als »proto-minimalistische Arbeiten« alle durch ihre Referenz auf die Körpergröße des Künstlers charakterisiert seien. Untitled (Box for standing), so sagt sie, demonstriere sein Interesse zwischen lebendigem Körper und trägem Objekt.38 Didier Ottinger zielt in eine ähnliche Richtung und stellt zumindest fest, dass Arbeiten wie Column so konstruiert seien, dass sie genügend Raum für den Körper des Künstlers böten.39 Krauss misst der Größe dieser Arbeiten dagegen kaum Bedeutung bei und konzentriert sich stattdessen auf ihre These, dass das Umfallen der Säule das Objekt als etwas erscheinen lasse, das eigenen Willen oder Bewusstsein habe.40 Unerwähnt bleibt jedoch, dass sowohl Column als auch Untitled (Pine Portal), diejenigen Arbeiten also, die stets mit Untitled (Box for standing) gemeinsam behandelt werden, eine andere Größe haben. Beide sind 245 cm (8 Fuß) hoch und somit deutlich größer als Morris selbst. Im Gegensatz, so meine These, zu Untitled (Box for standing), einer Arbeit, die für die Durchschnittsgröße eines Mannes konzipiert ist, steht bei den anderen beiden Arbeiten nicht die Beziehung zwischen verborgenem Körper und Objekt im Vordergrund, sondern die Beziehung zwischen Objekt und Publikum. Gerade die Säule bei Column, die auf der Bühne in einiger Distanz zum Publikum wirken musste, brauchte eine gewisse Größe, damit das Publikum sowohl den Raum zwischen sich und dem Objekt als auch die Präsenz des Objekts selbst wahrnehmen konnte. Für das Verbergen seines Körpers im Inneren der Säule hätte eine Höhe von 6 oder 7 Fuß gereicht, doch Morris wählte 8 Fuß, obwohl die Säule so deutlich schwerer und schwieriger aus dem Inneren zu 38 | Vgl. Greiner, Catherine: Rober Morris and Melancholy. The dark side of the Work, in: Ausst. Kat., Robert Morris, Centre Georges Pompidou, Paris 1995, S. 312-327, hier: S. 315. 39 | Vgl. Ottinger, Didier: Apocalypse Now?, in: Paris 1995, S. 330-339, hier: S. 334. 40 | Vgl. Krauss, Rosalind: The Mind/Body Problem [wie Anm. 7], in: New York 1994, S. 9.

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bewegen war. Wie schon mit Box with the sound of its own making thematisiert er mit Column die Involvierung des Körpers in den künstlerischen Prozess: handwerkliche Herstellung, performative Umsetzung sowie Rezeption sind nur in Bezug zu dem menschlichen Körper zu denken. Stärker als bei früheren Arbeiten zielte Morris mit Column auf die Aktivierung der Rezipierenden ab, da die Maße der Säule und ihr lautstarkes Fallen sich einer intimen und versunkenen Kunstbetrachtung verweigerten und das Publikum dazu aufforderten, sich als Teil des Raums und des Kunstwerks zu begreifen. Die Größe des Objekts, die Bewegung des eigentlich unbeweglichen Körpers im Raum und die Präsentation der Performance auf einer Theaterbühne eröffneten eine dialogische Beziehung zwischen Objekt und Publikum, die sich von der eher privaten Betrachtung eines Kunstwerks im musealen Ausstellungskontext grundsätzlich unterscheidet. »It is this necessary greater distance of the object in space from our bodies, in order that it be seen at all, that structures the nonpersonal or public mode. However, it is just this distance between object and subject that creates a more extended situation, for physical participation becomes necessary. […] A simple form such as a cube will necessarily be seen in a more public way as its size increases from that of our own.« 41

Morris lehnte jede Art von Illusionismus ab, trat für die Befreiung von herrschenden Paradigmen ein und formulierte erste Thesen zu einer autonomen Skulptur bereits 1966 in seinem ersten veröffentlichten Aufsatz: Skulptur, so sagt er, dürfe nicht wie die Malerei an der Wand hängen und den Gesetzen der Schwerkraft furchtsam aus dem Weg gehen. Die Wahrnehmung einwirkender Schwerkraft, und das scheint auf den ersten Blick fast trivial zu klingen, sei notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung eines Objekts, das konkreten, autonomen und dreidimensionalen Raum einnehmen müsse, in 41 | Morris: Notes on Sculpture, Part II [wie Anm. 35], in: Morris 1993, S. 13-14. »Diese notwendige größere Distanz des Objektes im Raum zu unseren Körpern, um es überhaupt zu sehen, strukturiert den unpersönlichen oder öffentlichen Modus. Jedoch ist es nur die Distanz zwischen Objekt und Subjekt, die eine erweiterte Situation schafft, in der physische Teilnahme notwendig wird. […] Eine einfache Form wie etwa ein Kubus wird notwendigerweise in einer öffentlicheren Weise gesehen, wenn seine Größe die unsere übersteigt.« (Übersetzung des Verfassers)

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dem die Perspektiven der Betrachtung nicht begrenzt seien und es ein Oben, Unten, Rechts und Links gebe. Vor allem aber müsse sich die Form von der Farbe befreien, die im Wesentlichen optisch, immateriell und nicht taktil sei, was der Natur der Skulptur widerspreche. Ebenso großen Einfluss wie einer zurückhaltenden Farbgebung maß er einer möglichst neutralen Beleuchtung bei.42 Schon Jahre vor der Veröffentlichung dieses Textes schien Morris mit Column seine plastische Theorie umgesetzt zu haben: Mit der Verwendung des grauen Sperrholzes verzichtete er auf den Einsatz von Farbe. Seine Wahl einer Theaterbühne als Aufführungsort hatte sicher auch praktische Gründe, doch bot sich ihm dort ein autonomer Raum, abseits des institutionellen Kunstgeschehens, der die Aufmerksamkeit allein auf die physische Präsenz der Säule konzentrierte; durch den abgedunkelten Theaterraum und den neutralen Hintergrund der kargen Theaterbühne wurden objektexterne Einflüsse weitestgehend reduziert. Die Anerkennung der Schwerkraft bezeichnete er als eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Erlangung einer Autonomie der Skulptur,43 doch bestand ein nicht unerhebliches Problem in der Visualisierung der physikalischen Grundbedingung, deren Wirken im Prozess der ästhetischen Wahrnehmung kaum reflektiert wird. Das Gewicht einer Skulptur ist nebensächlich, solange sie sich in unbewegter Ruhe befindet, doch schon die Möglichkeit einer Bewegung ruft ihr Gewicht und damit auch ihr Wirkungspotential im Raum in Erinnerung. Der Fall der Säule brach die Statik ihrer Objektwirkung, erweiterte den räumlichen Wirkungsbereich und zerschlug mit Wucht den ehemals sicheren Raum ästhetischer Betrachtung. Zwei Fragen bezüglich des Konzepts von Column stellen sich, die vordergründig zwar nicht zueinander in Beziehung, aber doch, so wie sich zeigen wird, in enger Verbindung zum Wesen der Aktion stehen. Zum einen beschränkte Morris den Blick des Publikums aus dem Zuschauerraum notwendigerweise auf die Frontalperspektive, obwohl er im Allgemeinen für die Skulptur die Möglichkeit zu einer Mehransichtigkeit forderte. Zum anderen stellt sich die Frage, warum er sich in der Säule verbergen wollte, um diese von innen heraus zu 42 | Vgl. Morris: Notes on Sculpture, Part I (Orig. Notes on Sculpture, Part I, in: Artforum, vol. 4, no. 6, Februar 1966, S. 42-44), in: Morris 1993, S. 1-10, hier: S. 4. 43 | Vgl. Morris: Notes on Sculpture, Part I [wie Anm. 42], in: Morris 1993, S. 4.

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Fall zu bringen. Bei der Aufführung musste man gezwungenermaßen auf das Hilfsmittel eines Seils zurückgreifen, und dies wäre doch von Beginn an die einfachere Lösung gewesen, da er als Akteur im Inneren der Säule ohnehin unerkannt geblieben wäre. Beide Fragen sind meiner Meinung nach mit der Form der Säule zu beantworten und verweisen auf sein intensives Interesse an der Gestalttheorie: Die Säule als eine einfache und regelmäßige kubische Form vermittelt starke Gestalt-Eindrücke. Erfahrung ergänzt die verborgenen Ansichten, und Muster im Kopf erweitern die tatsächlichen Gegebenheiten, weshalb Wahrnehmung auch subjektive Erfahrung und nicht objektive Wiedergabe einer visuellen Realität ist. »One sees and immediately ›believes‹ that the pattern within one’s mind corresponds to the existential fact of the object. Belief in this sense is both a kind of faith in spatial extensions and a visualization of that extension. […] The more specific nature of this belief and how it is formed involve perceptual theories of ›constancy of shape,‹ ›tendencies toward simplicity,‹ kinesthetic clues, memory traces, and physiological factors regarding the nature of binocular parallax vision and the structure of the retina and brain.« 44

Morris beabsichtigte vor dem Hintergrund seiner gestalttheoretischen Erkenntnisse eine grundlegende Wahrnehmungsverunsicherung der Anwesenden, die in der Säule vielleicht die Requisite einer Theateraufführung oder Performance zu erkennen glaubten, deren Beginn sie nun mit Spannung erwarteten. Stattdessen wurde das Objekt selbst zum Akteur und setzte sich wie durch magische Hand in Bewegung. Leider musste man das Seil zu Hilfe nehmen, das den Fall der Säule nun erkennbar erklärte und wahrscheinlich die ge44 | Morris: Notes on Sculpture, Part I [wie Anm. 42], in: Morris 1993, S. 6-7. »Man sieht und ›glaubt‹ unmittelbar, dass die Muster im eigenen Kopf mit den existentiellen Fakten des Objekts korrespondieren. Glauben in diesem Sinne ist beides: eine Art Vertrauen in die räumliche Erweiterung und eine Visualisierung dieser Erweiterung. […] Die spezifischere Natur dieses Glaubens und ihr Entstehen sind durch die Wahrnehmungstheorien der ›Formkonstanz‹, ›Tendenzen zur Vereinfachung‹, kinästhetische Anhaltspunkte, Gedächtnisspuren sowie physiologische Faktoren hinsichtlich der Zwei-Augen-Parallaxe des Sehens und der Struktur von Netzhaut und Gehirn bedingt.« (Übersetzung des Verfassers)

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wünschte Verwunderung und Verunsicherung in Grenzen gehalten haben wird. Diese sichtbare Befestigung des Seils machte aus der zuvor starken Gestalt der Säule ein Objekt mit Informationen, die über die reine Form hinausgingen. Eine Gestalt aber definiert sich dadurch, dass im Moment des Zustandekommens alle Informationen »qua gestalt« erschöpft sind.45 Ungeachtet der Unstimmigkeiten, die das Missgeschick der Generalprobe mit sich brachte, zeigt sich doch die innovative Leistung von Column: Eingefahrene Wahrnehmungsmechanismen wurden getestet, passive Rezeption hinterfragt, um Skulptur nicht als abgeschlossene Identität, sondern vielmehr als Rezeptionsprozess erfahrbar zu machen. Sein Vorhaben, dem Publikum für die Dauer von dreieinhalb Minuten in einem Theater eine stehende, bewegungslose Säule zu präsentieren, könnte meiner Ansicht nach, gerade vor dem Hintergrund der engen Zusammenarbeit mit dem Kreis um John Cage, auch durch dessen Stück 4'33'' (1952)46 motiviert gewesen sein. Während dieses Stücks saß der Pianist David Tudor für vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden still vor einem Klavier. Dreimaliges Klatschen in die Hände zeigte das jeweilige Ende eines der drei Sätze an. Die Länge der einzelnen Sätze – dreiunddreißig Sekunden, zwei Minuten vierzig Sekunden und eine Minute zwanzig Sekunden – waren durch den Zufall bestimmt und hätten auch, wie Cage im Jahr 1962 bestätigte, ganz anders ausfallen können.47 Die Musik des Stücks bestand für Cage in den Geräuschen des Publikums, des Raums und der Umgebung, die nur wahrgenommen werden konnten, sofern man auf die von dem Publikum erwartete Klaviermusik verzichtete. Die vorgetäuschte klassische Konzertsituation brachte die Anwesenden in eine gespannte und aufmerksame Stimmung, die es zuließ, die Geräusche der Umgebung verstärkt wahrzunehmen. Cage wollte eine Bewusstmachung für die uns täglich umgebenden Alltagsgeräusche erzielen, die Bausteine seiner musikalischen Ästhetik waren. 45 | Vgl. Morris: Notes on Sculpture, Part I [wie Anm. 42], in: Morris 1993, S. 7. 46 | Erstaufführung: August 1952, Maverick Hall, Woodstock, New York. Bis 1954 war die Cunningham Company mit dem Stück auf Tour durch die USA. Vgl. Kostelanetz, Richard: John Cage. An Anthology (Orig. John Cage. An Anthology, New York 1968), New York 1991, S. 39. (A) 47 | Vgl. John Cage zitiert nach: Ausst. Kat., Kunst als Grenzbeschreitung. John Cage und die Moderne, Neue Pinakothek München 1991, S. 231. (K)

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»Wherever we are, what we hear is mostly noise. When we ignore it, it disturbs us. When we listen to it, we find it fascinating. The sound of a truck at fifty miles per hour. Static between the stations. Rain. We want to capture and control these sounds, to use them not as sound effects but as musical instruments.« 48

Bei der Premiere soll während des ersten Satzes der heulende Wind, während des zweiten der prasselnde Regen auf das Dach und während des dritten das Publikum zu hören gewesen sein, wie es sich unterhielt oder lautstark den Raum verließ. Anderen Berichten zufolge markierte David Tudor den Beginn eines jeden Satzes durch das laute Schließen der Klappe über den Klaviertasten.49 Von maßgeblicher Bedeutung war die Rolle des Zufalls, der bei Cage die Dauer der einzelnen Sätze und die Akustik während der vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden bestimmte. Mit seiner Musik bemühte er sich um eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die Geräusche der Umwelt, eine Überwindung des expressiven Ausdrucks und die Anerkennung einer Kunst, die nicht zuletzt durch die östliche Philosophie beeinflusst war. Das Ich sollte beherrscht und die Projektionen des persönlichen Willens auf die Kunst weitgehend ausgeschaltet werden. Die Einbeziehung des Zufalls diente dazu, die Komposition vom Geschmack des Komponisten zu befreien.50 Morris verlieh mit Column dem Zufall eine ebenso große Bedeutung, indem er den Raum akustisch während der ersten dreieinhalb Minuten der eigenen Entwicklung überließ. Leider mangelt es an Berichten über die Reaktionen des Publikums, die aber wahrscheinlich nicht deutlich anders als bei der Aufführung von 4'33'' gewesen sein werden: erst gespannte Erwartung und Schweigen, daraufhin unruhiges Getuschel, gefolgt von lauten Kommentaren oder gar Unruhe durch vereinzeltes Verlassen des Theaters. Column bestimmte aber 48 | John Cage zitiert nach: Boyars, Marion (Hg.): Silence: lectures and writings by John Cage, London 1978, S. 3. (A) »Wo immer wir sind, meist hören wir Geräusche. Wenn wir sie ignorieren, dann stören sie uns. Wenn wir ihnen zuhören, dann faszinieren sie uns. Das Geräusch eines Lastwagens mit fünfzig Meilen pro Stunde. Statik zwischen den Stationen. Regen. Wir wollen die Töne einfangen und kontrollieren, nicht um sie als Toneffekte, sondern als Musikinstrumente zu nutzen.« (Übersetzung des Verfassers) 49 | Vgl. München 1991, S. 231. 50 | Vgl. Kirkpatrick 1986, S. 25.

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noch viel weitreichender der Zufall, da offensichtlich nicht einmal die körperliche Unversehrtheit des Künstlers sichergestellt werden konnte. Morris war sich von Beginn an der Tatsache bewusst, dass der Fall und die anschließende Position der liegenden Säule, trotz der bewussten Körperbewegung im Inneren, nicht kalkulierbar waren.

3.3 I-B OX (1962)

Abb. 26 a+b: Morris, Robert: I-Box, 1962. Ein Jahr nachdem Morris sein akustisches Körperabbild in Box with the sound of its own making (1961) verborgen hatte, begann er die Arbeit an I-Box (Abb. 26), einer weiteren Körperbox. Aus der Frontseite einer Sperrholzkiste (ca. 48 x 35 x 3,5 cm) schnitt er den Großbuchstaben »I« aus, um das Fragment anschließend mit zwei Scharnieren wieder an dem Korpus zu befestigen, sodass eine Art Tabernakel entstand. Sein tabernaculum beherbergt jedoch nicht wie in der christlichen Kirche den Leib Christi; öffnet man die Türe mit Hilfe eines kleinen Knaufs, so erscheint die Photographie des nackten Künstlers. So mancher Neugieriger, der unvorbereitet bei einer Ausstellung die Box geöffnet hatte, mag sie wohl peinlich berührt mit dem Gefühl wieder geschlossen haben, ungebeten in einen privaten Bereich vorgedrungen zu sein. Das Lächeln des Künstlers könnte als Einladung dazu verstanden werden, über diesen Reflex nachzudenken, der doch Ausdruck zu überwinden-

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der Moralvorstellungen war, die den menschlichen Körper lange Zeit in enge Normvorstellungen gezwängt hatten. Das englische Personalpronomen »I« impliziert, dass es sich bei dem Nackten um den Künstler des Objekts handeln könnte, doch in den frühen 1960er Jahren kannten Morris nur wenige Eingeweihte; eine breitere Öffentlichkeit begegnete ihm erst mit den Performances Waterman Switch (1965) und Site (1965). Die Unterscheidung zwischen empirischer Person, konstruierter Künstleridentität und darstellendem Protagonisten wurde zwar in den Literaturwissenschaften, wie im weiteren Verlauf noch erörtert wird, diskutiert, doch in der Kunst suchte man meist noch nach der Seele des Künstlers im Werk. Morris war sich dieses Problems bewusst und ironisierte mit der Schockwirkung des nackten Körpers das Selbstportrait als klassische Form künstlerischer Selbstinszenierung. Bevorzugte man traditionell anmutige Haltungen mit Palette, Malerstock und Pinsel oder Darstellungen des tiefsinnigen Künstlers, so präsentierte er allein seine physische Konstitution. I-Box enthüllt, entgegen den Normen des klassischen Selbstportraits, alles und offenbart doch nichts. Die Thematisierung des Spiels zwischen Verstecken und Verbergen entdeckt Diedrich Diederichsen in einer Textzeile von Bob Dylans Like A Rolling Stone (1965): »You’re invisible now, you got no secrets to conceal.« Der Sinn dieser Zeile ist von nicht unerheblichem Belang für die verborgenen Körperpräsenzen aller hier behandelten Künstler. Unsichtbar, so Dylan, ist man nicht, wenn man sich versteckt, sondern wenn man nichts mehr zu verbergen hat. Durch den Schein des Geheimnisses wird insbesondere die öffentliche Person, in diesem Fall der Künstler, zu einem Signifikanten, dessen nicht öffentliches Signifikat verborgen bleibt.51 Das Verborgene eines Menschen oder auch der verborgene Mensch dienen als Projektionsfläche teils sehr heterogener Inhalte; eine öffentliche Person bliebe ohne den Schein des Geheimen unsichtbar. Zu Beginn der 1960er Jahre, als tradierte Autorkonzepte ins Wanken gerieten, kam dem Medium der Photographie eine besondere Bedeutung zu. Die zunehmende Dominanz verschiedener Bildwelten ging einher mit dem partiellen Bedeutungsverlust der Sprache. Marshall McLuhan diagnostizierte gar das Ende der Gutenberg-Galaxis,52 51 | Vgl. Diederichsen 2008, S. 115. 52 | Vgl. McLuhan, Marshall: the Gutenberg galaxy: the making of typographic man (Orig. the Gutenberg galaxy: the making of typographic man, Toronto 1962), Toronto 1986, S. 1. (A)

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doch auch wenn er vorerst damit nicht Recht behalten sollte, so drückte seine Polemik einen klaren Wandel der Medienwelt aus, der nicht zuletzt durch den Vormarsch des Fernsehens ausgelöst wurde. Die menschlichen Wahrnehmungsprozesse und der Umgang mit IchBildern und Selbstporträts durchliefen radikale Veränderungen, da das Medienbild plötzlich zum authentischen Vermittler und Zeugen unwiderlegbarer Botschaften wurde.53 Mit I-Box äußerte Morris seine Zweifel an der Authentizität der »Selbstvergewisserungsmedien«. Die »Fragmentierung des Ich« und die »Ablösung des Referenten« waren paradigmatische Kernthemen des damaligen literaturtheoretischen Diskurses,54 den Morris aufmerksam verfolgte. Barthes’ Der Tod des Autors lag in englischer Sprache zwar erst einige Jahre nach Entstehung von I-Box vor, doch zahlreiche Schriften wie Literatur und Biographie (1923) von Tomaševskij55 und Der intentionale Fehlschluss (1946) von Wimsatt/Beardsley56 lieferten zuvor entscheidende Kritikpunkte, die später meist nur noch mit Barthes in Verbindung gebracht wurden. Morris, der in diesem Kontext das vermeintlich Autobiographische der Kunst thematisierte, verurteilte mit seinem Grinsen jeden Versuch, das »I« in der empirischen Person des Künstlers zu verankern. Compton versteht I-Box als Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Künstler, Werk und der voyeuristischen Öffentlichkeit und betont, dass das »I« bei dieser Arbeit selbst zum Objekt, zur Sperrholztüre werde, die den Weg zum »Alter Ego« der photographischen Darstellung öffne.57 Autorzentrierte Methoden der Literatur- und Kunstwissenschaft lassen sich grob in drei übergreifenden Positionen zusammenfassen: Der Biographismus konstatiert einen direkten Kausalzusammenhang 53 | Vgl. Blazejewski, Susanne: Bild und Text – Photographie in autobiographischer Literatur, Würzburg 2002, S. 16. (A) 54 | Vgl. Blazejewski 2002, S. 17. 55 | Tomaševskij, Boris: Literatur und Biographie (Orig. Literatura i biografija, in: Kniga i revoljucija 3, Nr. 4, H. 28, Moskau 1923, S. 6-9), in: Jannidis, Fotis u.a. (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000, S. 4961. (A) 56 | Wimsatt, K. William; Beardsley, Monroe C.: Der intentionale Fehlschluss (Orig. The Intentional Fallacy, in: Sewanee Review 54, Baltimore, MD 1946), in: Jannidis 2000, S. 84-101. 57 | Vgl. Compton, Michael: Lead reliefs and mixed media, in: London 1971, S. 51.

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zwischen Leben und Werk des Autors und fundiert Werkdeutungen auf der vermeintlichen Faktizität der Künstlerbiographie. Hermeneutische Positionen sehen die Verbindung von Biographie und künstlerischem Ausdruck offener und suchen den Einfluss des Lebenswegs eher in einer lokalen oder epochalen Determinierung des Autors. Die psychoanalytische Literaturwissenschaft wurzelt als dritte Position in den wirkungsmächtigen Ideen Sigmund Freuds.58 Während der frühen 1960er Jahre, als Morris sich in New York von der Malerei des abstrakten Expressionismus befreite, begann die Kunstkritik zunehmend in Freud’scher Manier den unbewussten Ausdruck der Künstlerpsyche im malerischen Gestus zu suchen. Der direkte Ausdruck abstrakter Malerei versprach denjenigen, die nichts von einer konzeptuellen Kopflastigkeit wissen wollten, einen unverstellten Einblick in die Künstlerseele. Morris, so belegt Thomas Krens, las Freud und verbrachte fünf Jahre in Therapie.59 Auch wenn unklar ist, welche Teile des Werks er zum damaligen Zeitpunkt studiert hatte, so scheinen mir neben den allgemeinen Ausführungen zur Psychoanalyse die Texte zur bildenden Kunst und Literatur nahe liegende Anknüpfungspunkte zu bieten. Der Dichter, so Freud, sei wie das spielende Kind, das mit großen Affektbeträgen eine Phantasiewelt erschaffe, die sich von der Wirklichkeit absondere.60 Bemerkenswert, so der Psychologe weiter, sei dabei auch das Verhältnis der Phantasie zur Zeit, da die Phantasie zwischen drei Zeitebenen schwebe: Es existiere ein aktueller Eindruck in der Gegenwart, der an die unerfüllten Wünsche eines frühkindlichen Erlebnisses in der Vergangenheit erinnere und dadurch die Phantasie anrege, eine Erfüllung in der Zukunft zu imaginieren.61 Die Phantasie sei somit, genau wie die Werke der Dichtung, im Kern auf die Person des Autors zurückzuführen, der auf diese Weise die Konflikte seines Seelenlebens reguliere. »Seine Majestät das Ich« finde sich im Helden aller Romane wieder, durch den der Autor 58 | Vgl. Jannidis 2000, S. 12. 59 | Vgl. Krens, Thomas: The Triumph Of Entropy [wie Anm. 9], in: New York 1994, S. Xxiii. 60 | Freud, Sigmund: Der Dichter und das Phantasieren (Orig. Der Dichter und das Phantasieren, in: Neue Revue, Bd. 1, Berlin 1908, S. 716-724), in: Bildende Kunst und Literatur, hg. von Mitscherlich, Alexander u.a., Studienausgabe Bd. X, Frankfurt a.M. 1989, S. 169-179, hier: S. 171. (A) 61 | Vgl. Freud 1989 [wie Anm. 60], S. 174.

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die Konflikte mit den Instanzen des Es und Über-Ich austrage.62 In Comptons Identifizierung der I-Box-Photographie als Alter Ego des Künstlers klingt Freuds Held als Alter Ego des Romanautors deutlich mit. Vom Bild des nackten Morris sind meiner Meinung nach jedoch keine Aufschlüsse über innere Konflikte oder frühkindliche Prägung zu erwarten; vor das Es und das Über-Ich, sofern diese Instanzen für ihn überhaupt noch relevant waren, hatte Morris die alleinige und ausschließlich gegenwärtige Präsenz des selbstkontrollierten Ichs geschoben. I-Box, so lautet die These, ist Ausdruck eines gewandelten Verständnisses von Autorschaft und der Ablehnung biographischer Lesbarkeit der Kunst. Nachdem Freud den westlichen Egozentrismus zu Beginn des neuen Jahrhunderts erfolgreich in seine Schranken verwiesen und den Autoritätsinstanzen des Es und Über-Ich unterstellt hatte, sah man auch die Literatur, Dichtung und Kunst als psychologisch fremdbestimmte Objekte an, die Einblick in die wahre Persönlichkeit des Künstlers ermöglichen. Morris muss besonders damit gehadert haben, dass aus Freud’scher Sicht der künstlerische Autor sich immer an der Schwelle zum Pathologischen bewegte. Phantasie und Kreativität, so Freud, seien klare Zeichen unbefriedigter Wünsche, deren Erfüllung das Kind im Spiel suche, der Erwachsene im Tagtraum und der Kreative im künstlerischen Schaffen. »Das Überwuchern und Übermächtigwerden der Phantasien stellt die Bedingung für den Verfall in Neurose und Psychose her […].«63 Morris ironisierte mit I-Box die Vorstellung, man könne ein Kunstwerk wie ein Buch lesen und auf diesem Weg Zugang zu der Psyche des Künstlers finden. Seine künstlerische Aneignung von Duchamps Text mit Litanies ruft in diesem Zusammenhang auch Barthes in Erinnerung: »Die Schrift ist der unbestimmte, unfixierbare Ort, wohin unser Subjekt entflieht, das Schwarzweiß, in dem sich jede Identität aufzulösen beginnt, angefangen mit derjenigen des schreibenden Körpers.«64 Neben dem Freud’schen »Ich« scheint mir besonders das Identitätskonzept George H. Meads für den soziologischen Diskurs der 1960er Jahre von großer Bedeutung gewesen zu sein. Mead unter62 | Vgl. Freud 1989 [wie Anm. 60], S. 176. 63 | Vgl. Freud 1989 [wie Anm. 60], S. 175. 64 | Barthes, Roland: Der Tod des Autors (Orig. La mort de L’auteur, in: Manteia, Marseille 1968, S. 12-17), in: Jannidis 2000, S. 185-193, hier: S. 185.

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scheidet methodisch zwei korrespondierende Teile des Ichs, die im Folgenden getreu der englischen Originalfassung mit »I« und »me« bezeichnet werden, da alle Übersetzungsversuche irreführend sind. Das »me« auf der einen Seite sind die soziale Identität, der gesellschaftlich geformte Teil der Persönlichkeit oder die Aspekte des Menschen, die durch soziale Interaktion geprägt werden. Das »I« dagegen bezeichnet die personale Identität, den unberührten Kern, der sich gegen die gesellschaftliche Sozialisation stellt. Das »impulsive Ich«, wie es Heinz Abels nennt, wehrt sich gegen den gesellschaftlichen Druck, ist vorsozial und bringt »sinnliche und körperliche Bedürfnisse zum Ausdruck«.65 Das »I« bei Mead ist Schutzwall gegen gesellschaftliche Vereinnahmung und Ausgangspunkt jeder Art von Veränderung, das »me« dagegen reflektiert den gesellschaftlichen Status quo. »Es ist die Antwort«, so Mead, »des Einzelnen auf die Haltung der anderen ihm gegenüber, wenn er eine Haltung ihnen gegenüber einnimmt. […] Das ›Ich‹ liefert das Gefühl der Freiheit, der Initiative.«66 Der grinsende Morris hinter der Türe der I-Box steht, im gewissen Sinne analog zu Meads Identitätskonzept, für ein sich wandelndes Subjektivitätsverständnis zu Beginn der 1960er, für eine Abkehr von Freud’scher Determinierung und für eine Anerkennung individueller Freiheit jenseits gesellschaftlicher Normierung.

65 | Abels, Heinz: Einführung in die Soziologie. Band. 2: Die Individuen in ihrer Gesellschaft, Wiesbaden 2004, S. 365. (A) 66 | Mead, George H.: Geist, Identität und Gesellschaft (Orig. Mind, Self and Society, Chicago 1934), Frankfurt a.M. 1973, S. 221. (A)

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4 Vito Acconci – Interaktion und visuelle Barrieren »A place to be alone in. Reasons to go there: I’m tired – I’m scared – I’m on strike – I’m selfish – I’m concentrating – I’m banished – I’m ashamed – I’m alien – I’m self-sufficient – I’m hostile – I’m dangerous – I’m retreating.«1

Vito Acconci studierte von 1962 bis 1964 fiction writing am Writer’s Workshop der Universität von Iowa,2 schrieb in den folgenden Jahren bis 1969 literarische Texte, gab zusammen mit Bernadette Mayer die Zeitschrift 0 to 9 heraus, die zu einer wichtigen Plattform für experimentelles Schreiben in den USA wurde, bevor er sich schließlich mit seinen Körperarbeiten dem Kunstkontext öffnete. Die Verschiebung des Interessenschwerpunktes von der literarischen Arbeit hin zur künstlerischen bedeutet jedoch keine Zäsur, da beide Bereiche bei Acconci eng verbunden sind: Schreiben ist für ihn physische Bewegung, das Blatt Papier Aktionsraum. Sprache, so sagt er, verhülle nicht Bedeutungen, sondern nehme Raum ein. Mit seiner Perfor-

1 | Acconci: Notes on performing a space, in: Avalanche, Vito Acconci, Nr. 6, New York 1972, S. 2-3, hier: S. 3. (T) »Ein Ort, um allein zu sein. Gründe dorthin zu gehen: Ich bin müde – Ich habe Angst – Ich streike – Ich bin selbstsüchtig – Ich konzentriere mich – Ich wurde verbannt – Ich schäme mich – Ich bin fremd – Ich genüge mir selbst – Ich bin feindlich – Ich bin gefährlich – Ich ziehe mich zurück.« (Übersetzung des Verfassers) 2 | Dworkin, Craig (Hg): Language To Cover A Page. The Early Writings of Vito Acconci, Cambridge, London 2006, S. Xii. (T)

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mance-Kunst ließ seine Dichtung lediglich die Flachheit des Blattes hinter sich und eroberte den dreidimensionalen Raum.3 Seine Kunst bis in das Jahr 1973, Zeitpunkt seiner letzten Performance-Stücke und Endpunkt der körperlichen Anwesenheit im Werk, wird häufig in die Phasen Poetry, Body Works und Cultural Space Pieces gegliedert.4 Obwohl Acconci sich während aller Werkphasen mit dem konzeptionellen oder tatsächlichen Einbezug des Künstlerkörpers auseinandersetzte, konzentriert sich diese Untersuchung auf die Body Works, oder Körperarbeiten, wie sie im Folgenden genannt werden, da er nur während dieser Phase körperlich, d.h. verbogen oder offen sichtbar, im Werk präsent war. In späteren Jahren vermied er seine körperliche Anwesenheit und schuf stattdessen Architekturen, zog sich aus dem Mittelpunkt seiner Arbeiten zurück und überließ den Kunstraum der Anwesenheit anderer. Dieser körperliche Rückzug stand in engem Zusammenhang mit einem sich wandelnden Subjektivitätsverständnis. Die Konzentration auf seine Person und den eigenen Körper in den frühen Jahren, so Kate Linker, sei Ausdruck einer eher modernistischen Sicht auf die Welt gewesen, in deren Zentrum das autonome Subjekt stehe. Der spätere Einfluss einer eher postmodernistischen Perspektive, so sagt sie, habe ihn zu einer Neubewertung des Verhältnisses zwischen der Welt und sich selbst gebracht; das Individuum sei ihm in der Folge nicht mehr als kontrollierendes und ungeteiltes Zentrum, sondern vielmehr als sozial fundiertes Konstrukt der Welt erschienen.5 Linker begründet seine körperliche Präsenz im Werk, die darauf folgende verborgene Präsenz und schließlich den Rückzug aus dem Werk zu Recht mit einem soziologischen Mentalitätswandel des Künstlers, doch ist eine detaillierte Motivanalyse der verborgenen Körperpräsenz bisher ausgeblieben.

3 | Vgl. Acconci: Notes on performing a space [wie Anm. 1], in: Acconci 1972, S. 4. 4 | Vgl. Kunz, Martin in: Ausst. Kat., Vito Acconci, Kunstmuseum Luzern 1978, ohne Paginierung. (K) 5 | Vgl. Linker, Kate: Vito Acconci, New York 1994, S. 7-8. (A)

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4.1 D IGGING P IECE (1970)

Abb. 27: Acconci, Vito: Digging Piece, 1970. Der fünfzehn Minuten lange Super-8-Farbfilm Digging Piece (Abb. 27) zeigt den Künstler im Ganzkörperprofil auf einer Sanddüne. »I’m kicking into the sand: I keep kicking. I’m digging myself into the sand, the sand mounds up in front of me as I dig further and further into the sand …«6 Gegen Ende des Films hat sich Acconci ungefähr bis zu den Knien eingegraben, eine Tiefe, in der der Sand so feucht war, dass ein Weitergraben nicht mehr möglich gewesen wäre. Zudem hätte weiterer Sand ca. einen Meter hoch aus der Grube herauskatapultiert werden müssen, damit er nicht umgehend wieder zurückgefallen wäre. Acconci hatte sein Graben bis zum tiefstmöglichen Punkt be6 | Acconci: Skizzen zu Digging Piece (1979), in: Acconci, Vito; Basta, Sarina; Ricciardi, Garrett (Hg.): Diary Of A Body. 1969-1973, Mailand 2006, S. 201. (T) »Ich trete in den Sand: Ich trete immer weiter. Ich grabe mich selbst in den Sand ein, es bildet sich ein Sandhügel vor mir, während ich weiter und weiter im Sand grabe …« (Übersetzung des Verfassers)

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trieben und unweigerlich erinnert sein Vorhaben an Sisyphos, der den Stein immer wieder vergebens den Hügel hinaufrollt und doch nie die Spitze erreicht. Der Aufbau der Aktion gleicht anderen Körperarbeiten, mit denen Acconci sich zu dieser Zeit beschäftigte. Im Zeitraum von Juli bis November desselben Jahres arbeitete er über vier Monate hinweg (Februar, April, Juli und November) an Step Piece. Täglich stieg er während dieser Monate einen Hocker bis zur körperlichen Erschöpfung hinauf und hinab und verzeichnete die Tagesergebnisse in einem detaillierten progress report, um seine Leistungsverbesserung zu dokumentieren.7 Im Zentrum beider Aktionen stand die körperliche Grenzerfahrung; er selbst sprach von Trainings-Stunden, den Zuständen totaler Erschöpfung und Überlastung sowie der Möglichkeit, am eigenen Körper zu arbeiten und diesen weiterzuentwickeln. Eine enge Verbindung mit der körperlichen Erfahrung sah er auch in einer Konzentrationssteigerung, da, so der Künstler, er während der Aktion einen geschlossenen Kreislauf bilde, gleichzeitig Handelnder und Empfänger sei und ein selbstgenügsames System darstelle.8 Die Konzentration auf die eigene Person und auf die Möglichkeiten des eigenen Körpers nahm zu dieser Zeit fast obsessiven Charakter an, doch verbietet die ausdrücklich physische Natur der Aktionen eine Psychologisierung. Acconci baute »eine Schale« um sich herum, machte sich selbst zum abgeschlossenen Objekt und isolierte sich von den Betrachtenden.9 Gegen Bedeutungskonstruktionen zur Fundierung seiner frühen Aktionen setzte er sich zur Wehr und erklärte, seine Handlungen binde weder ein geschlossener Sinn, noch verfolgten sie bestimmte Ziele, außer der Analyse von Körperaktion an sich. Zur Erläuterung dieser inhaltlichen Offenheit erinnerte er an die Steine in Samuel Becketts Roman Molloy und betonte den großen Einfluss des Autors auf seine frühen Arbeiten.10 Molloy, der rastlos Reisende, dessen Körper sich in stetiger Auflösung befindet, berichtet an einer Meeresküste von seinem Verhältnis zum Meeressand: »Auf dem Sand war ich in meinem Element, ich ließ ihn zwischen meinen Fingern durchrieseln, warf ihn mit vollen Händen in die Luft, wälzte mich darin herum 7 | Vgl. Acconci: Skizzen zu Step Piece (1970), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 160-161. 8 | Vgl. Acconci zitiert nach: Luzern 1978, ohne Paginierung. 9 | Vgl. Acconci zitiert nach: Luzern 1978, ohne Paginierung. 10 | Vgl. Acconci zitiert nach: Luzern 1978, ohne Paginierung.

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und grub Löcher darin aus, die ich zugleich wieder zuwarf oder die sich von selbst wieder füllten.«11 Auch Acconcis Auseinandersetzung mit dem Sand erschöpft sich nicht in dem Graben eines Loches bei Digging Piece: Der Plan zu Push-Ups im November 1969 sah hundert Liegestütze vor; nach jeder einzelnen unterbrach er und photographierte seine sich fortlaufend verändernden Abdrücke im Sand. Ein Jahr später folgten mit Drifts drei Körperübungen am Jones Beach in New York: Erst rollte er ausgestreckt in Richtung der Wellen und wieder zurück, dann ließ er sich von ihnen umspülen, und zuletzt wälzte er sich mit nasser Kleidung im trockenen Sand – es waren drei Versuche, sich in Aussehen und Bewegung der Umgebung anzupassen bzw. diese in sich aufzunehmen. Molloy, um auf die von Acconci erwähnten Steine zurückzukommen, sieht dagegen keinen wirklichen Grund für seinen Aufenthalt am Meer, bis auf seine Sorge um den Vorrat an Steinen zum Lutschen, die ihn beruhigen, erfrischen sowie Hunger und Durst betäuben. Am Lutschen der Meereskiesel fasziniert ihn, dass er mit der Bewegung seines Mundes, genau wie die Bewegung des Meeres, die Steine glätten könne.12 Um sich einen ausreichenden Vorrat anzulegen, erwägt er zuerst die Mitnahme von sechzehn Steinen, woraufhin ihn über viele Seiten des Buches das Problem beschäftigt, wie mit vier Kleidertaschen und 16 Steinen sicherzustellen sei, dass stets ein Stein nach dem anderen in seinen Mund wandere, ohne einzelne Steine dabei unbeabsichtigt mehrfach in einem Zyklus zu lutschen. Die Analyse der Verteilungs- und Lösungsmöglichkeiten (vier Steine in jeder Tasche; zwei Taschen mit je fünf Steinen und eine mit sechs Steinen sowie eine leere) zeigt ihm schließlich, dass allein 16 Körpertaschen garantieren könnten, keinen Stein zweimal in einem Zyklus zu lutschen sowie jeweils die gleiche Reihenfolge beizubehalten, weshalb er sich schließlich auf einen Stein beschränkt.13 Molloy ist sich der offensichtlichen Sinnlosigkeit dieser Überlegungen bewusst, da jeder Stein mehr oder weniger dem anderen gleicht, doch interessieren ihn die vielfältigen Verteilungs- und Rotationsalternativen. Genauso Acconci, dessen Interesse bei den Körperstudien einzig den Bewegungsmöglichkeiten galt. »Ich denke an die Bedeutung der Stei11 | Beckett, Samuel: Molloy (Orig. Molloy, Paris 1951), Frankfurt a.M. 2001, S. 94-95. (A) 12 | Vgl. Beckett 2001, S. 34. 13 | Vgl. Beckett 2001, S. 95-102.

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ne in Becketts »Maloy«…. Auf meinen Fall bezogen: Ich bin allein mit meinem Körper, was kann ich noch allein mit mir machen, ich arbeite mit dem, was ich habe …«14 Acconcis Film Digging Piece war im Jahr 1970 nicht die erste subterrane Erkundung eines Künstlers, auch wenn diese Parallele bisher weder vom ihm erwähnt noch von anderer Seite nachgewiesen wurde: Von dem Briten Keith Arnatt stammt die neunteilige Photoserie The Disappearance of the Artist. Die erste Aufnahme zeigt ihn aufrecht stehend aus frontaler Perspektive auf einer Wiese. Im Verlauf der nächsten Bilder versinkt er zusehends im Erdreich, bis zu den Knien, den Oberschenkeln, der Hüfte, der Brust, den Schultern, den Augen, bis schließlich nur noch ein Büschel Haare herausragt und der Rest des Köpers unter der Erde verschwunden ist. Arnatt selbst verzog im Verlauf des Verschwindens keine Miene, und auch seine Körperhaltung blieb unverändert, einzig ein Kreis aufgeworfener Erde um ihn herum weitete sich aus.

Abb. 28: Arnatt, Keith: TV Project Self Burial, 1969. Zu größerer Bekanntheit verhalf der Arbeit ein zufälliges Zusammentreffen Arnatts mit Gerry Schum bei der Londoner Ausstellung Live in your head: When Attitudes become Form, die dort vom 28.09.27.10.1969 gezeigt wurde. Arnatt, so sagt er, habe bereits vor diesem 14 | Acconci zitiert nach: Luzern 1978, ohne Paginierung.

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Treffen die Idee gehabt, als Künstler auch das Medium Fernsehen zu nutzen und Gespräche mit der BBC geführt, die allerdings ergebnislos geblieben seien.15 Schum jedenfalls, der zu diesem Zeitpunkt bereits die Fernsehausstellung Land Art realisiert hatte, war offensichtlich derart von der Arbeit begeistert, dass er sie gleich für das nächste TV-Projekt vom 11.-18.10.1969 nutzte. Das Projekt Self Burial (Abb. 28) sah eine unkommentierte »Fernsehintervention« vor: Täglich jeweils um 20.15 Uhr und um 21.15 Uhr unterbrach WDR 3 im harten Schnitt das laufende Programm und blendete wenige Sekunden lang eine Photographie aus der Serie ein, wobei das jeweils zweite Bild des Abends immer am nächsten Tag um 20.15 Uhr wiederholt wurde. Erst am letzten Abend erläuterte der Künstler in einem Beitrag des Magazins Spectrum das Vorhaben.16 Den Titel Self Burial, so Arnatt, habe die Arbeit erst mit ihrer Verwertung im Fernsehen bekommen, er selbst bevorzuge noch immer The Disappearance of the Artist. Ein Kunstkritiker habe ihn während einer Diskussion zum Thema des Verschwindens des Kunstwerks in den 1960er Jahren einmal gefragt, wann denn das Verschwinden des Künstlers zu erwarten sei, was ihn zu der Photoserie inspiriert habe.17 Die lakonische Bemerkung stand in enger Verbindung zu damals geführten Kunstdiskursen, weshalb Arnatt auch die symbolisch überladene Vorstellung des Selbstbegräbnisses nicht begeistern konnte. Möglicherweise hatte Acconci im Jahr 1969 von Schums Aktivitäten in Deutschland noch keine Kenntnis genommen, auch wenn dieser durch sein Projekt Land Art mit richtungsweisenden Strömungen in den USA in enger Verbindung stand.18 Seine erste Reise in die USA machte Schum im Herbst des Jahres 1967, als er sich bis Ende Januar 1968 von der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin beurlauben ließ, dorthin jedoch nicht zurückkehrte.19 Spätestens jedoch durch die Teilnahme beider Künstler an der aufsehenerregenden Ausstellung Information des jungen Kurators Kynastan McShine 15 | Vgl. Ausst. Kat., Ready to shoot. Fernsehgalerie Gerry Schum/Videogalerie Schum, Kunsthalle Düsseldorf 2003, S. 138. (K) 16 | Vgl. Düsseldorf 2003, S. 134. 17 | Vgl. Düsseldorf 2003, S. 138. 18 | Vgl. Düsseldorf 2003, S. 29. 19 | Vgl. Fricke, Christiane: ›Dies alles Herzchen wird einmal Dir gehören‹ – Die Fernsehgalerie Gerry Schum 1968-1970 und die Produktionen der Videogalerie Schum 1970-1973, Frankfurt a.M. 1996, S. 398. (A)

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vom 02.07.-20.09.1970 im Museum of Modern Art muss Acconci der Arbeit Arnatts begegnet sein. Sein Ausstellungsbeitrag Service Area sah vor, dass die private Post des Künstlers für den Zeitraum von Juni bis September an das Museum geschickt und dort für ihn an öffentlich zugänglicher Stelle bereitgelegt wurde, sodass er sich beinahe täglich in den Ausstellungsräumen befand, um dort seine Post abzuholen. Der Ausstellungskatalog bildet Arnatts Photoserie drei Seiten hinter Acconcis Werkbeschreibung ab;20 noch während der Ausstellungsdauer im August entstand die Arbeit Digging Piece. Acconcis Annäherungen an öffentliche und private Ausstellungsinstitutionen waren zaghaft und wohldurchdacht. Die private Post des Künstlers wies ihm einen festen Platz im Ausstellungsraum zu und eröffnete dem Publikum sehr persönliche Informationen, sofern dieses den Mut aufbrachte, die Post aus dem Behälter zu entnehmen und zu öffnen. Die Verbindung zum nicht anwesenden Künstler setzte die Aktion des Einzelnen voraus, der, sofern er die private Post las, zur Vertrauensperson wurde. Es hätten sich beispielsweise Geld, ein Ausstellungsangebot oder die lang ersehnte Antwort auf einen Liebesbrief in einem der Umschläge befinden können; Informationen von möglicherweise existentieller Bedeutung. Hatte man einen solchen Brief einmal geöffnet, so trug man unweigerlich eine Verantwortung für die unbekannte Person und musste weitere Entscheidungen treffen: den Brief einstecken und behalten, zurücklegen oder vielleicht direkt an Acconci schicken, um das Gelesene vor dem Zugriff anderer zu bewahren. Alle möglichen Reaktionen stellten das Gewissen auf die Probe.

20 | Vgl. Ausst. Kat., Information, Museum of Modern Art, New York 1970, S. 8. (K)

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4.2 35 A PPROACHES (1970)

Abb. 29: Acconci, Vito: 35 Approaches, 1970. Während der Ausstellung 35 Approaches (Abb. 29) von Oktober bis November 1970 schickte Acconci täglich einen Brief an die Galerie, die diesen geöffnet im Ausstellungsraum bereitlegte. Jeder der Briefe war an eine Person adressiert, die Acconci direkt ansprach: »You in the blue dress«, »You in the orange pants«, »You in the red scarf«. Seine Beschreibungen blieben vage und unpersönlich und werden so auf eine Reihe der Ausstellungsbesuchenden gepasst haben. Weiter hieß es in allen Briefen: »I want you. I am enclosing a gift, a sample from my body, as an introduction and a token of my availability. Vito Acconci«21 Als materielle Beigaben dienten Proben seines Haars, seines Bluts, seines Speichels, seiner Nägel oder seines Spermas in kleinen Plastikgefäßen; jeden Tag stand eine Probe neben dem jeweils aktuellen Brief zur Mitnahme bereit. Acconci war durch seine Körpersubstitute anwesend, und die scheinbar persönlichen Ansprachen stellten eine fast intime Verbindung zwischen ihm und dem Publikum her. Entweder aufgrund der Beschreibung angesprochen und persönlich berührt oder explizit durch mangelnde Übereinstimmung von der Ansprache des Künstlers ausgeschlossen, motivierten die Proben zu der Imagination eines Bildes des Künstlers, genauso wie er es zuvor 21 | Acconci: Skizzen zu 35 Approaches (1970), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 216-224. »Du im blauen Kleid«, »Du in den orangefarbenen Hosen«, »Du mit dem roten Schal«. »Ich will Dich. Ich lege ein Geschenk bei, eine Probe meines Körpers, als Vorstellung und Zeichen meiner Verfügbarkeit. Vito Acconci« (Übersetzung des Verfassers)

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mit den Besuchenden getan hatte. Die Körperproben waren für ihn Zeichen der Verfügbarmachung und Bereitstellung der eigenen Person und somit ein großer Vertrauensbeweis an die ihm unbekannten Kommunikationspartner. In einigen Kulturkreisen spielen derartige Körperprodukte eine entscheidende Rolle, da sie in einem VoodooRitual dazu missbraucht werden könnten, jemanden unter fremdbestimmte Kontrolle zu bringen. Bereits im Januar 1970 beschäftigten Acconci bei Room Piece die Möglichkeiten der abwesenden Präsenz in einem Ausstellungsraum. An drei aufeinander folgenden Wochenenden transportierte er den beweglichen Inhalt eines der Zimmer seiner Wohnung (10.-11. Januar: Küche; 17.-18. Januar: Wohn-/Schlafzimmer und Badezimmer; 24.-25. Januar: Arbeitszimmer) in Kisten verpackt in die Räume der Gain Ground Gallery. Benötigte Acconci einen der in der Galerie befindlichen Gegenstände, so musste er den Weg von acht Blocks hinnehmen. Alle Kisten waren, auch während seiner Abwesenheit, geöffnet, enthielten banale Gebrauchsgegenstände sowie sehr persönliche Dinge, die unkontrolliert benutzt werden konnten. Acconci erweiterte seinen privaten Raum, öffnete ihn damit zugleich für die Öffentlichkeit und ließ so die klare Grenze zwischen öffentlichem und privatem Bereich verschwinden. Man stand vor der reizvollen Entscheidung, in den Kisten zu stöbern, dabei aber das Risiko einzugehen, auch auf Dinge zu stoßen, die vielleicht für das eigene Empfinden ein wenig zu privat sein könnten. Zudem bestand die Gefahr, von Acconci entdeckt zu werden, da der Eigentümer nicht nur durch seinen Besitz präsent war, sondern jederzeit unangekündigt zur Türe hätte hereinkommen können, um selbst etwas zu besorgen. »Instead of presenting something in a showroom, I am present as I go back and forth, to and from the room.«22 Kern der Idee ist die vielschichtige Präsenz des Künstlers: immaterialisiert in seinem Besitz, verborgen oder latent in der Erwartung der Anwesenden in der Galerie sowie körperlich durch sein tatsächliches Erscheinen.

22 | Acconci: Skizzen zu Room Piece (1970), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 147. »Anstatt etwas in einem Ausstellungsraum zu präsentieren, bin ich selbst präsent, indem ich hin- und zurückgehe, hin zu dem Raum und wieder zurück.« (Übersetzung des Verfassers)

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4.3 F ILLER (1971)

Abb. 30: Acconci, Vito: Filler, 1971. Im Juli des Jahres 1971 entstand das halbstündige Video Filler (Abb. 30), das in Nahaufnahme eine Kiste aus Pappe zeigt, die den größten Teil der Bildfläche füllt. Die hintere, vom Bild abgewandte Seite der Kiste ist geöffnet, aus ihr ragen Beine und Füße des Künstlers heraus, der während der Aufnahme unentwegt rauchte und sich zum Husten zwang. Acconci bemühte sich darum, seinen Körper zu entleeren, zu erschöpfen, die Kiste mit etwas zu füllen, das sein Körper in Aktion freisetzte. »In order to fill the box, I have to smoke constantly, have to force myself to cough (exhausting myself in oder to fill the box – wearing myself out, in my ordinary aspects, so that I can exist in other aspects – existence as a ›haunt‹ in the box.«23 Das Filmbild war für ihn eine Nische, in die er seinen Körper einpasste und aus der er herausschaute; er testete Situationen, gewöhnte sich an sie, begegnete den Zuschauenden dabei »face to face«24 und verschränkte sie auf diese Weise mit seinem Aktionsfeld. Ein 23 | Acconci: Skizzen zu Filler (1971), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 270. »Um die Kiste zu füllen, muss ich konstant rauchen, muss mich zum Husten zwingen (mich erschöpfen, um die Kiste zu füllen – mich abnutzen, in der gewöhnlichen Form, sodass ich in anderer Form existieren kann – Existenz im Schlupfwinkel der Kiste.« (Übersetzung des Verfassers) 24 | Acconci: Body as Place – Moving in on Myself, Performing Myself, in: Acconci 1972, S. 8-29, hier: 17.

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Großteil seiner filmischen Arbeiten, die zwischen 1969 und 1970 entstanden, zeugen von diesem Verständnis: Gezeigt wird entweder Acconci bei der Ausübung einer der in hohem Maße selbstreflexiven Körperstudien, wie beispielsweise Hand & Mouth (1970) oder Soap & Eyes (1970),25 oder aber sein eigener Blickwinkel während des Verlaufs einer dieser Aktionen, wie bei Fall (1969).26 Das Filmbild diente als eine Art Kokon, schloss sein Handeln ein, gewährte einen Schutzraum, in dessen Rahmen er die Selbstaufmerksamkeit experimentell bis zur größtmöglichen Überlastung ausreizte. Seine pathologische Aufmerksamkeit, wie er es einmal bezeichnete, verlangte nach einem abgeschlossenem Raum, der Fremdeinfluss verhindere und den Übergang zu einem anderen Zustand ermögliche.27 Dieser »Trancezustand« (»trance state«)28 endete letztlich in einer totalen Isolation, die den Künstler zu einem Objekt machte und von jeglicher Interaktion abschnitt. Acconci wertete diese Phase als Weg der künstlerischen Selbstfindung, d.h. der Suche nach Möglichkeiten, sich als Person und nicht als Objekt einzusetzen. »Um mehr Persönlichkeitsbezogenes ins Werk einzubringen, musste ich mich auf mich selbst konzentrieren. Sprachlich formuliert: Die Worte ›ich‹ und ›mich‹ wurden direkt in die Arbeit miteinbezogen … Die Arbeiten entwickelten sich sehr stark zu einer in einem Kreis geschlossenen Aktivität …«29 Filler behandelt die verborgene Körperpräsenz des Künstlers: Zum einen war der Rahmen des Videobildes Schutzraum, eine Art Testfeld außerhalb der realen Welt, Reflexionsebene und Aktionsfeld mit eigenen Regeln. Zum anderen war die Kiste Subraum des Videoraums und ermöglichte Acconcis Anwesenheit trotz weitgehender visueller Abwesenheit. Er selbst sah die Videokamera nicht, wie sie 25 | Bei Soap & Eyes schüttete Acconci sich Seifenlauge in die geöffneten Augen und klärte seinen Blick allein durch die Bewegung der Lider wieder. Hand & Mouth war der Versuch, seine Faust so weit wie möglich in den Mund einzuführen. 26 | Acconci hielt die Kamera vor seinen Körper und filmte seinen Fall zu Boden. 27 | Vgl. Acconci: Concentration – Container – Assimilation, in: Acconci 1972, S. 53-61, hier: S. 56. 28 | Acconci: Concentration – Container – Assimilation [wie Anm. 27], in: Acconci 1972, S. 58. 29 | Acconci zitiert nach: Luzern 1978, ohne Paginierung.

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auf ihn zielte, war befreit von dem Druck, visuelle Reize für ein Publikum bieten zu müssen, dessen Erwartungen er antizipierte. Das permanente Rauchen und Husten im begrenzten Raum war gleichzeitig Versuch, die Kiste mit Atem oder auch Odem in der Bedeutung von Geist und Seele zu füllen. Der künstlerische Akt lag nicht in der Bereitstellung marktfähiger Objekte, sondern der kreative Prozess selbst trat in den Vordergrund. »A way to have room: containing space – taking in the space around the body […] bringing the place to the body, through the body.«30 Nur der begrenzte Raum der Kiste bot Acconci einen geschlossenen Kreislauf, in dem Sauerstoff und Atem zirkulierten, das eine zum anderen wurde und die Aktion seines Körpers den Raum nicht nur einnahm, sondern diesen aufnahm und sogar aufbrauchte. Im gleichen Maße zeugt seine räumliche Abschottung aber auch von einer wachsenden Unzufriedenheit mit der einseitigen Konzentration auf die eigene Person als allein handelnde Figur und Fixpunkt der Betrachtung. Acconci erkannte, dass seine Photo-, FilmAbb. 31: Acconci, Vito: See oder Videobilder die gesamte Aufthrough, 1970. merksamkeit einnahmen, Konzentration bündelten und lenkten und deshalb die Betrachtenden den Raum vergaßen, der für ihn selbst jedoch im Zentrum des Interesses stand. Einen Kampf gegen die zwingende Präsenz seines dominierenden Abbildes führte er bereits im Oktober des Jahres 1970 mit dem fünfminütigen Film See through (Abb. 31): Acconci im Schattenboxkampf gegen sein Spiegelbild, das er gegen Ende mit den bloßen Fäusten zertrümmerte. Er wollte nicht 30 | Acconci: Body as Place – Moving in on Myself, Performing Myself [wie Anm. 24], in: Acconci 1972, S. 8. »Ein Weg Raum einzunehmen: Raum enthalten – den Raum um den Körper in sich aufnehmen [...] den Ort zum Körper bringen, durch den Körper.« (Übersetzung des Verfassers)

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mehr oder weniger beweglicher Punkt im Raum, sondern lieber Teil des Raums werden.31 Seine Anwesenheit sollte spürbar bleiben, sich jedoch eher in einer Interaktion manifestieren. Mit der Zerstörung seines Abbildes besiegelte er die vorangegangene Phase der Körperarbeiten. Seine eingehende Auseinandersetzung mit dem Konzept der verborgenen Körperpräsenz eröffnete neu Wege und löste das Dilemma der visuellen Dominanz seiner Erscheinung.

4.4 C LAIM (1971)

Abb. 32: Acconci, Vito: Claim, 1971. Bei der Performance Claim (Abb. 32) verbannte Acconci sich an das Ende einer Kellertreppe, die durch eine geschlossene, aber nicht verschlossene Tür von dem Eingangsbereich im Erdgeschoss getrennt war. Dort saß er auf einem Stuhl, mit verbundenen Augen, dem Treppenaufgang zugewandt, bewaffnet mit zwei Metallrohren und einem Brecheisen. Seine lauten Selbstgespräche dienten als Warnung an mögliche Eindringlinge: »… I’m alone down here … I’m alone here in the basement … I want to stay alone here … I don’t want anyone with me … I don’t want anyone to come down here with me … I’ll stop anyone from coming down the stairs …«32 Seinen eindringlichen 31 | Vgl. Acconci zitiert nach: Luzern 1978, ohne Paginierung. 32 | Acconci: Skizzen zu Claim (1971), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 279. »… Ich bin allein hier unten … Ich bin allein hier im Keller … Ich möchte allein hier bleiben … Ich will niemanden hier haben … Niemand

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Warnungen verlieh ein Monitor am Eingang zum Keller, der das Bild des bewaffneten Künstlers zeigte, deutlichen Nachdruck. Drei seiner Performances, so der Künstler, seien ausdrücklich für die Aufführung an konventionellen Kunstorten konzipiert gewesen und hätten auch inhaltlich Bezug auf die Bedingungen des Ausstellens genommen: Broadjump 71 (1971), Seedbed (1972), eine Arbeit, die im Folgenden noch thematisiert wird, sowie Claim. Seine Auseinandersetzung mit der traditionellen Kategorie von Kunst, so sagt er, habe seine Haltung in diesen Stücken beeinflusst.33 Von Beginn seines Kunstschaffens an kreisten seine Überlegungen immer wieder um die Rolle des Künstlers und des Werks im System Kunst. Seine dem zeitgenössischen Diskurs entsprechende Ablehnung des Objektcharakters der Kunst führte ihn zur Performance, die er per Photographie, Film- oder Videoaufnahme dokumentierte und so einem Publikum zur Verfügung stellen konnte. Seine Verweigerung der Objektproduktion objektivierte im Gegenzug aber die eigene Person, die stets im Zentrum der Arbeiten stand – führte er das Ausgangsproblem also durch die Hintertür wieder ein? Die Dezentralisierung seiner Rolle als Künstler war das ausschlaggebende Thema seiner Arbeiten bis in das Jahr 1973, dem Zeitpunkt, als er ganz die Bühne der Kunst verließ und fortan Räume zur Verfügung stellte, in denen er selbst nicht mehr agierte. Claim war auch Geste der Verweigerung, doch vor allem, wie viele seiner Stücke, eine Rollenprobe: »role-rehearsal (try out the accustomed roles); rehearsal (try out the role one would like to play in the future).«34 Sein bewaffneter Rückzug in den Keller gleicht der Reaktion eines Kindes, das eine zugeschriebene Rolle nicht annehmen will und intuitiv auf den Rollenzwang reagiert. Acconcis künstlerische Arbeiten, einschließlich der Dichtung und der Interviews, offenbaren eine intensive Auseinandersetzung mit den

soll zu mir herunterkommen … Ich werde jeden daran hindern, die Treppen runterzukommen …« (Übersetzung des Verfassers) 33 | Vgl. Acconci: Some notes on Illegality in Art, in: Art Journal, Vol. 50, No. 3, New York 1991, S. 69-73, hier: S. 70. (T) 34 | Acconci: Occupied Zone – Moving in, Performing on Another Agent, in: Acconci 1972, S. 43-52, hier: S. 52. »Rollenprobe (probiere die gewohnten Rollen aus); Probe (die Rolle ausprobieren, die man zukünftig spielen möchte).« (Übersetzung des Verfassers)

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zeitgenössischen soziologischen Diskursen.35 Zum Verständnis des theoretischen Kontextes der späten 1960er und frühen 1970er Jahre scheint daher eine kurze Skizzierung der Bedeutung des Rollenbegriffs unumgänglich zu sein. Die Frage, was Acconci zu dieser Zeit unter dem Begriff der Rolle verstand, ist natürlich nicht abschließend zu beantworten, da viele, sich teilweise widersprechende Konzepte allein in der amerikanischen Soziologie kursierten. Wesentliche Basis ist wohl unbestritten Ralph Lintons Text The Cultural Background of Personality (1945): »The place in a particular system which a certain individual occupies at a particular time will be referred to as his status with respect to that system. […] The second term, rôle, will be used to designate the sum total of the cultural patterns associated with a particular status.«36 Status definiert Linton als den Platz des Individuums in einem Gesellschaftssystem, Rolle dagegen als die Gesamtheit der kulturellen Muster – zugeschriebene Einstellungen, Wertvorstellungen und Verhaltensweisen –, die mit einem Status verbunden sind.37 Eine Rolle ist das Bündel der Erwartungen und Ansprüche einer Gesellschaft an das Verhalten eines Individuums, womit sich der Titel Claim in einen weiteren Kontext einfügt. Einerseits forderte Acconci, sogar unter Androhung körperlicher Gewalt, seinen Freiraum, doch andererseits stellte auch das Publikum der Performance direkte Ansprüche an den Künstler – Claim steht für die selten zu vereinbarenden Ansprüche beider Seiten. Das Publikum erwartete aufgrund früherer Erfahrungen bestimmte Verhaltensweisen, auch wenn der künstlerischen Aktion naturgemäß stets ein rela35 | In einem Interview berichtet er beispielsweise von Erving Goffmans Buch The Presentation of Self in Everyday Life und Kurt Lewins Principles of Topological Psychology. Vgl. Acconci zitiert nach: Excerpts from Tapes with Liza Béar, in: Acconci 1972, S. 70-77, hier: S. 71. 36 | Linton, Ralph: The Cultural Background of Personality, New York 1945, S. 76-77. (A) »Den Platz, den ein Individuum zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten System einnimmt, wollen wir im Folgenden als seinen Status in diesem System bezeichnen. […] Der zweite Terminus, Rolle, soll die Gesamtheit der kulturellen Muster bezeichnen, die mit einem bestimmten Status verbunden sind.« (Auszug aus Ralph Lintons The Cultural Background of Personality, übersetzt von Heinz Hartmann, in: Hartmann, Heinz: Moderne amerikanische Soziologie, Stuttgart 1967, S. 310-315, hier: S. 311. (A) 37 | Vgl. Linton 1945, S. 76-77.

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tiv großer Freiraum zugesprochen wird. Sicher ging man aber mit gewisser Berechtigung zum einen davon aus, den Künstler, unabhängig von der Art seiner Darbietung, zumindest antreffen zu können. Zum anderen beanspruchte man wohl, im Anschluss die Ausstellungsräume körperlich unversehrt wieder verlassen zu dürfen. Diese Minimalerwartungen drohten bei Claim enttäuscht zu werden, da Acconci im Keller saß und seinen Gästen mit Schlägen drohte. Auch Robert K. Merton befasst sich in seinen Schriften intensiv und in direkter Auseinandersetzung mit Linton mit dem Rollenbegriff. Obwohl er grundsätzlich nicht von Lintons Definitionen von Rolle und Status abweicht, so zeigen sich doch entscheidende Modifikationen:38 Merton betont in einem Aufsatz aus dem Jahr 1957, dass ein beliebiges Individuum eben nicht nur verschiedene Positionen39 mit jeweils einer Rolle innehabe, sondern, dass jede Position für sich schon mit einer Reihe von Rollen, einem »role-set« (»Rollen-Set«), in Verbindung stehe. Mertons Blick richtet sich vor allem auf den Rollenkonflikt, da stets verschiedene und zum Teil auch konkurrierende Verhaltenserwartungen mit einer Position verbunden sind.40 Betrachten wir erneut Claim, so hatte Acconci, wenn wir Merton folgen, gar nicht die Möglichkeit, allen Erwartungen des Publikums zu entsprechen, da Galeristen, Journalisten, Freunde, Käufer, Schaulustige und Künstlerkollegen eine derart heterogene Gruppe bildeten, dass ein latenter Dauerkonflikt unausweichlich war. In Deutschland führt Ralf Dahrendorf den Begriff der Rolle ein und stellt mit Homo Sociologicus erstmals eine Elementarkategorie der soziologischen Analyse bereit.41 Homo Sociologicus, so fasst er zusammen, sei ein methodisches Konstrukt, Schnittmenge zwischen Individuum und Gesellschaft und bezeichne lediglich den Menschen als Träger sozial vorgeformter Rollen.42 Ein entscheidender Beitrag 38 | Vgl. Merton, Robert K.: The Role-Set: Problems in Sociological Theory, in: THE BRITISH JOURNAL OF SOCIOLOGY, Vol. VIII, No. 1, Oxford 1957, S. 106-120, hier: S. 110. (A) 39 | Die Begriffe Position und Status werden häufig gleichbedeutend verwendet. Auf die Differenzierungsbemühungen einzelner Autoren muss an dieser Stelle nicht eingegangen werden. 40 | Vgl. Merton 1957, S. 111. 41 | Vgl. Dahrendorf, Ralf: Homo Sociologicus (Orig. Homo Sociologicus, Opladen 1958), Opladen 1977, S. 5. (A) 42 | Vgl. Dahrendorf 1977, S. 21-22.

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ist seine Differenzierung des soziologischen Rollenbegriffs von demjenigen des Theaters: Der Schauspieler, so Dahrendorf, spiele ihm zugewiesene Rollen mit vorgegebenen Verhaltensweisen, und wie Homo Sociologicus sei er in der Lage, mehrere Rollen parallel zu spielen.43 Dahrendorf kommt es, abgesehen von diesen recht oberflächlichen Gemeinsamkeiten der beiden Begriffsverwendungen, aber vor allem auf den Unterschied an, der die Gesellschaft, wie er es in Anlehnung an Émile Durkheim nennt, als »ärgerliche Tatsache« erscheinen lasse.44 Der Schauspieler legt nach Beendigung der Vorstellung seine Rolle ab und bleibt als Mensch von den Erwartungen unberührt.45 Homo Sociologicus ist dagegen »mehr als eine Metapher, seine Rollen sind mehr als ablegbare Masken, sein Sozialverhalten mehr als eine Komödie oder Tragödie […]«.46 Gesellschaft ist gerade deshalb eine ärgerliche Tatsache, da die bereitgestellten Rollen Zwang sind, und das unabhängig davon, ob der Einzelne diesen Zwang auch als Belastung empfindet. Die Leistung des Textes liegt in einer Neubewertung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft. Die amerikanische Soziologie war bis in die 1960er Jahre noch stark durch den Soziologen Talcott Parsons geprägt, der die Einflussnahme der Gesellschaft auf das Individuum überbetonte und die Bedeutung der entgegengesetzten Wirkung eher vernachlässigte. Unter dem Begriff der Rolle verstand Parsons zwar die Durchdringung von Gesellschaft und Persönlichkeit, doch dieses Einflussverhältnis wirkt in seiner Sicht insofern einseitig, als dass die Normen der Kultur in die Persönlichkeit eingehen.47 Dahrendorf fragt hingegen als einer der ersten Soziologen nicht nur nach der gesamtgesellschaftlichen Funktion dieser Normerfüllung durch den Einzelnen, sondern auch nach der Freiheit des Menschen. Gesellschaft, so sagt er, werde eben nicht nur durch funktionale Elemente integriert, sondern auch durch dysfunktionale.48 Der Konflikt zwischen Gesellschaft und Individuum

43 | Vgl. Dahrendorf 1977, S. 22. 44 | Vgl. Dahrendorf 1977, S. 17. 45 | Vgl. Dahrendorf 1977, S. 22. 46 | Dahrendorf 1977, S. 28. 47 | Vgl. Parsons, Talcott: Sozialstruktur und Persönlichkeit (Orig. Social Structure and Personality, London, New York 1964), Frankfurt a.M. 1968, S. 101. (A) 48 | Vgl. Dahrendorf 1977, S. 78-79.

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manifestiert sich im abweichenden Verhalten des Einzelnen, durch das Gesellschaft sich kontinuierlich erneuert. Normabweichendes oder deviantes Verhalten lässt sich in delinquentes Verhalten auf der einen Seite, d.h. die Verletzung von Normen und Werten von strafrechtlicher Relevanz, und Abweichung im Sinne von aktiver Neugestaltung auf der anderen Seite trennen. Ursachen für das delinquente Verhalten werden meist in pädagogischen oder psychologischen Fehlentwicklungen gesucht, wohingegen die positive Abweichung als Zeichen eines starken Charakters und des Freiheitsbedürfnisses gesehen wird.49 Die Grenzen sind offenkundig fließend und abhängig von der jeweiligen Gesetzgebung, da dieselbe Tat an einem Ort als normgerechtes Verhalten gelten kann, an einem anderen jedoch gesetzlich verboten ist. Die moderne Soziologie arbeitet nicht mehr mit derartigen monokausalen Erklärungsmodellen und erkennt die gesellschaftliche Bedeutung der verschiedenen Normverletzungen. Die Frustrations-Aggressions-Hypothese beispielsweise besagt, dass ein Übermaß an sozialer Kontrolle und eine zu starke Beschränkung der individuellen Handlungsmöglichkeiten zu Frustration oder sogar Aggressionsentladungen führen können.50 Acconci betrat mit Claim bewusst den Grenzbereich zwischen positiver und negativer Abweichung; sein Verbergen im Keller wurde als abweichend von der künstlerischen Norm, die sich bereits von der gesellschaftlichen radikal unterscheidet, empfunden. Die Ausübung der von ihm angedrohten Gewalt hätte strafrechtliche Folgen gehabt. Das Gewaltmonopol lag und liegt in staatlicher Hand, und so wird der politische Kontext der späten sechziger Jahre deutlich, als gerade dieses Gewaltmonopol nicht zuletzt von intellektueller Seite zur Disposition gestellt wurde. Acconcis verbundene Augen und der Platz in der Ecke des dunklen Kellers stellten ihn jedoch nicht in das Licht des Angreifers. Vielmehr schien er in die Enge getrieben zum letzten Mittel zu greifen, um sich gegen drohende Aggression zu wehren. Mit besonderer Aufmerksamkeit studierte Acconci im Jahr 1969 Erving Goffmans Buch The Presentation of Self in Everyday Life,51 für das Ralf Dahrendorf im selben Jahr ein Vorwort geschrieben hatte. Goffmans Interesse gilt dem alltäglichen Rollenspiel, das, so der Au49 | Vgl. Henecka, Hans Peter: Grundkurs Soziologie, Konstanz 2006, S. 114. (A) 50 | Vgl. Henecka 2006, S. 115. 51 | Vgl. Linker 1994, S. 46.

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tor, nicht auf Basis einseitiger Beeinflussung und Rollenausübung untersucht werden könne, sondern nur durch Interaktionsanalyse zu verstehen sei.52 Mit Hilfe seiner Ausführungen, so Acconci, habe er die Vorstellung einer »performance area« entwickelt, eines interaktiven Aktionsraums, der sich zwischen Künstler und Publikum aufbaue.53 Goffman thematisiert zu Beginn seines Buches die Frage nach der Aufrichtigkeit des Rollenspielers;54 auf Claim bezogen führt dies zu der Überlegung, ob ein Schlag von Acconci tatsächlich zu erwarten gewesen wäre, wenn sich jemand, ungeachtet seiner Warnungen, bis in den Keller vorgewagt hätte, oder ob alles doch nur bloßes Theater war. Im September des Jahres 1971 bezweifelte keiner der Anwesenden die Ernsthaftigkeit seiner Drohung, und so ist anzunehmen, dass man einen tatsächlichen Schlag zumindest für möglich hielt. Nur die Zurückhaltung des Publikums, sofern wir Acconcis Bericht glauben, verhinderte schwere Verletzungen: »(If, during the first hour, I had hit someone, I would have stopped, shocked, horrified; if, during the third hour, I had hit someone, I would have used that as a marker, a proof of success, a signal to keep hitting.)« 55

Er muss sich vor der Aktion darüber im Klaren gewesen sein, dass er tatsächlich zuschlagen würde, da er mit verbundenen Augen im dunklen Keller die Distanz zu sich nähernden Personen gar nicht sicher hätte abschätzen können. Ein knappes und beabsichtigtes Vorbeischlagen wäre nicht zu kontrollieren gewesen, eine Tatsache, die auch dem Publikum bewusst war, da sich niemand dem Künstler in Reichweite näherte und man die Situation von der Fiktion eines 52 | Vgl. Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag (Orig. The Presentation of Self in Everyday Life, New York 1959), München 2009, S. 18. (A) 53 | Vgl. Acconci zitiert nach: Excerpts from Tapes with Liza Béar [wie Anm. 35], in: Acconci 1972, S. 70-77, hier: S. 71. 54 | Vgl. Goffman 2009, S. 19. 55 | Acconci: Skizzen zu Claim (1971), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 279. »(Wenn ich während der ersten Stunde jemanden geschlagen hätte, so hätte ich aufgehört, geschockt, entsetzt; wenn ich während der dritten Stunde jemanden geschlagen hätte, so hätte ich es als Zeichen genutzt, als Beweis des Erfolgs, ein Signal weiterzuschlagen.)« (Übersetzung des Verfassers)

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Theaterspiels zu unterscheiden wusste. Antwort darauf, warum ein Schlag während der ersten Stunde ihn erschreckt hätte, ein Treffer in der dritten Stunde dagegen ein Erfolg gewesen wäre, findet sich ebenso bei Goffman: Der Rollenspieler, so sagt er, beanspruche in dem Sinne ernst genommen zu werden, dass er sein Auftreten nicht als vorgetäuschte Fassade verstanden wissen wolle, hinter der sich eigentlich ganz andere Eigenschaften versteckten – jegliches Handeln bliebe ansonsten ohne Konsequenz. Die Überzeugungskraft des Rollenspiels hänge entscheidend davon ab, inwieweit der Spieler selbst von seinem Handeln überzeugt sei.56 Claim war Rollenprobe, Testfeld zukünftiger Verhaltensweisen und somit aus Acconcis Sicht ernstzunehmendes Spiel, doch wusste er nicht, wie überzeugend seine Vorstellung sein würde. Ein Treffer zu Beginn der Veranstaltung wäre ein klarer Beleg für das Scheitern der Probe gewesen, das er der Überzeugungskraft seines Auftritts hätte anrechnen müssen. Mit absoluter Sicherheit hätte sich niemand mehr nach dem ersten Verletzten in den Keller getraut – das jedoch aus purer Angst vor Verletzung und nicht aufgrund eines glaubhaften Rollenspiels. Ein Treffer während der dritten Stunde allerdings wäre Beweis für die Glaubhaftigkeit seines Spiels gewesen, die er gegen einen ungläubigen Herausforderer zu diesem späten Zeitpunkt verteidigt hätte. Der kurze Rückblick auf die soziologischen Forschungen im Bereich der Rollentheorie soll Acconci nicht als Künstler-Soziologen darstellen, der sich auf Basis eines theoretisch-wissenschaftlichen Interesses auf einer Metaebene der Alltagswelt situierte und seine Umwelt als theoretisches Versuchsobjekt betrachtete. Acconci verstand sich stets als Teil des Ganzen, war beobachteter Beobachter und vermied analytische Reflexionen, wie es Aufgabe des Soziologen ist. Zur Verdeutlichung seiner Herangehensweise an gewöhnliche Alltagssituationen soll ein weiterer Soziologe herangezogen werden, der Ende der 1960er Jahre das methodische Grundverständnis des Fachs verunsicherte, indem er die Wissenschaft als Alltagshandlung untersuchte. Harold Garfinkel veröffentlichte im Jahr 1967 seine Abhandlung Studies in Ethnomethodology und benannte gleichsam eine neue Forschungsrichtung, um deren Definition bis heute gerungen wird: Die Ethnomethodologie widmet sich der Analyse alltäglicher Hand-

56 | Vgl. Goffman 2009, S. 19.

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lungen und entwickelt Methoden, diese darstellbar zu machen.57 Es ist schlicht eine Vorgehensweise, mit deren Hilfe die Methoden der Gemeinschaft oder Gesellschaft (Ethno) zur Durchführung der verschiedenen Alltagshandlungen verständlich gemacht werden sollen. Es geht darum, die nichtsprachlichen Aspekte der Interaktion zu erkennen und produktiv einzusetzen, um auf diese Weise soziale Realität zu konstruieren.58 Soziologie als Alltagshandlung, und hierdurch erklärt sich die damalige Zurückhaltung des Fachs, setzt die wissenschaftliche Methode mit den Methoden der Laien gleich. Es sind die gleichen Techniken, sodass der Wissenschaftler sich vom Laien einzig dadurch unterscheidet, dass er bewusster wahrnimmt und die Phänomene im Nachhinein strukturiert aufarbeitet.59 Die Ethnomethodologie unterstellt die Vernünftigkeit der alltäglichen Handlungen, fragt nicht nach ihrem Warum, sondern dem Wie und setzt sich so deutlich von deterministischen Erklärungsmodellen ab. Diese kurzen Ausführungen genügen nicht, um die Komplexität der Methode zu beschreiben, sodass die Beleuchtung weniger Aspekte genügen muss, um die Nähe zu Acconcis Arbeitsweise anzudeuten. Garfinkel unterstellt den gewöhnlichen Alltagshandlungen allgemein verständliche Rationalität, die den Interaktionspartnern den reibungslosen und effizienten Ablauf ermöglicht. Die Strukturierung des Alltags soll nicht interpretiert oder psychologisiert, sondern in ihrer Funktionsweise verstanden werden. Garfinkel arbeitete an der experimentellen Verfremdung gewöhnlicher Handlungen, um so die Hintergrunderwartungen der Interaktionspartner zu offenbaren. Verwirrung, Bestürzung, Verlegenheit, Angst, Scham, Schuld oder Empörung sollten bewusst provoziert werden, um auf Basis der unorganisierten, d.h. nicht eingeübten Interaktion zu erfahren, wie sich Interaktion im Regelfall unbewusst organisiert.60 Ereignisse verlieren ihren gewohnten Charakter, der Status ist nicht erkennbar, Beurteilungen aufgrund von Erfahrung und Wahrscheinlichkeit greifen nicht, und die gesamte Situation büßt ihren reglementierten Hinter57 | Vgl. Garfinkel, Harold: Studies in Ethnomethodology, New Jersey 1967, S. vii. (A) 58 | Weingarten, Elmar; Sack, Fritz; Schenkein, Jim (Hg.): Ethnomethodologie. Beiträge zu einer Soziologie des Alltagshandelns, Frankfurt a.M. 1979, S. 10. (A) 59 | Vgl. Weingarten; Sack; Schenkein 1979, S. 11. 60 | Vgl. Garfinkel 1967, S. 37-38.

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grund ein – die Interaktionspartner sind gezwungen, eine Situation aktiv und neu zu organisieren, und können so verborgene Potenziale aktivieren.61

4.5 R EMOTE C ONTROL (1971) Die Videoinstallation Remote Control (Abb. 33) entstand im Oktober 1971 in Zusammenarbeit mit Kathy Dillon, mit der Acconci bereits häufig zusammengearbeitet hatte und zu dieser Zeit auch privat verbunden war. In zwei benachbarten Räumen befand sich jeweils eine Holzbox, gerade groß genug, um sich mit angewinkelten Beinen gänzlich darin zu verbergen. Acconci kniete in der einen, Dillon saß in der anderen, vor ihnen jeweils ein Monitor sowie eine Videokamera, die Bild und Ton aufzeichnete, sodass beide den jeweils anderen sehen und hören Abb. 33: Acconci, Vito: Remote konnten. Acconci wollte Dillons Control, 1971. körperliche Anwesenheit hinter dem Aufflackern ihres Videobildes spüren und sie so behandeln, als säße sie ihm tatsächlich gegenüber. Mit Blick auf den Monitor bzw. der Vorstellung des Blicks auf sie bewegte er sich, als versuchte er sie zu fesseln und beschrieb seine Handlung simultan: »… I’m bringing the rope over your knees, slowly … I’m lifting your legs now, gently … passing the rope under your legs … I’m pulling the rope, pulling tighter against your skin before I go on …«62 Dillon, die ein langes Seil zur Verfügung hatte, folgte den Anweisungen, vollzog die beschriebenen und demonstrierten Bewe61 | Vgl. Garfinkel 1967, S. 54-55. 62 | Acconci: Skizzen zu Remote Control (1971), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 280. »... Ich lege das Seil über deine Knie, langsam … Ich hebe nun deine Beine, sanft … führe das Seil unter deinen Beinen durch … Ich

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gungen und fesselte sich selbst. Sie erhielt keine Befehle, da Acconci in der ersten Person Indikativ seine eigenen Handlungen beschrieb, manchmal auch in der zweiten Person ihr Verhalten oder Fühlen kommentierte. »… I have to move your shoulder now, so I can get the rope around … you’re resisting a little […] you want me to do it, want me to continue …«63 Mit beinahe zärtlichem Unterton schien er sie überreden zu wollen, sich unter Kontrolle bringen zu lassen. Dies bedurfte großer Überzeugungskraft, da sie sich nicht willenlos seiner Stimme unterstellte, zeitweise skeptisch war, immer wieder zögerte und nur vorsichtig und bewusst folgte. Sie war submedial verborgen und seinem unmittelbaren Kontrollbereich entzogen, da ihr die mediale Präsenz als oder besser die submediale Präsenz hinter dem Videobild einen Schutzraum bot. Die körperliche Anwesenheit Acconcis wäre in dieser Situation auch potenzielle körperliche Bedrohung gewesen, denn ein Nichtbefolgen hätte ihn dazu bewegen können, das Fesseln mit Gewalt selbst auszuführen. So musste er sie überzeugen, da sie sich jederzeit von dem Monitor hätte abwenden und den Interaktionsprozess beenden können, ohne dass ihm weitere Mittel zu Verfügung gestanden hätten. Das Fernsehgerät oder die Fernseh-Box, um das Sprachspiel zu verdeutlichen, gleiche, so der Künstler, einem Aquarium und unterscheide sich von der Filmleinwand dadurch, dass sich hinter der Mattscheibe noch eine Röhre verberge. Die Mattscheibe als »Fenster in die Box« (»window into the box«), so Acconci, könne zu der naiven Annahme verleiten, man betrachte tatsächlich die Welt in Kleinformat, und diese Illusion könne zum Glauben führen, die Kontrolle über die Welt in der Fernseh-Box liege wie die Fernbedienung [remote control] in den eigenen Händen. In Wirklichkeit, so Acconcis Kritik, habe aber die Fernseh-Box selbst Kontrolle, da Informationen den Menschen von sich selbst entfremdeten.64 »[...] information has already been imziehe das Seil, ziehe es fester gegen deine Haut, bevor ich weitermache …« (Übersetzung des Verfassers) 63 | Acconci: Skizzen zu Remote Control (1971), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 280. »… Ich muss deine Schulter bewegen, damit ich das Seil herumkriege … du wehrst dich ein wenig […] du willst, dass ich das tue, willst, dass ich fortfahre …« (Übersetzung des Verfassers) 64 | Vgl. Acconci zitiert nach: Ward, Frazer; Taylor, Marc C.; Bloomer, Jennifer (Hg.): Vito Acconci, London 2002, S. 114. (A)

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planted in the brain. The viewer has television inside the self, like a cancer (the disease that has become the dominant disease of the time, the time in which television has become the dominant medium)«65 Ungewohnt deutlich äußert Acconci an dieser Stelle medienkritische Überlegungen, doch der Kern der Kritik reiht sich nahtlos in das Hauptthema seiner Körperarbeiten ein: die Einflussnahme und Beeinflussung des Individuums. In ganz besonderer Weise ist bei Remote Control der Titel für die Struktur des Videos von Bedeutung: Einerseits ist Remote Control die englischsprachige Bezeichnung für die Fernbedienung eines Fernsehgerätes, andererseits bezieht sich Acconci auch auf die wörtliche Verwendung des Ausdrucks; nicht das Programm des Fernsehers/ Monitors obliegt seiner Kontrolle, sondern die Handlungen der Darstellerin. Die Verwendung von Sprachspielen im Werk Acconcis ist bereits des Öfteren thematisiert worden: Liza Béar fragte ihn während eines Interviews im Jahr 1972 relativ unvermittelt nach seinem Interesse an Wortspielen, und Acconci antwortete überraschend mit einem autobiographischen Verweis: Sein Vater, der mit großer Begeisterung für Wortspiele das tägliche Gespräch der beiden geprägt habe, sei dafür verantwortlich, und so könne er noch heute ohne Anstrengung in Wortspielen denken. In seiner Dichtung habe er diese Form des Sprachgebrauchs häufig verwendet, um Sprache auf sich selbst verweisen zu lassen. In seinen Stücken dagegen spiele er mit Worten, nicht um Bedeutung einzugrenzen, sondern ihnen freien Raum zu geben, »generative Aktivität« (»generative activity«) in Gang zu setzen.66 Kate Linker greift die Rolle der Wortspiele erneut auf, verkennt jedoch meiner Ansicht nach Acconcis wesentliche Unterscheidung zwischen der Funktion in seiner frühen Dichtung auf der einen Seite und den späteren Körperarbeiten auf der anderen Seite. Seine frühe Dichtung, so Linker, wende sich gegen eine expressive Autorschaft, versuche weitestgehend auf die referentielle Funktion der Sprache zu 65 | Acconci zitiert nach: Ward; Taylor; Bloomer 2002, S. 114. »Information ist bereits in das Gehirn eingepflanzt worden. Der Zuschauer hat das Fernsehen in sich selbst, wie einen Krebs (die Krankheit ist zur Hauptkrankheit unserer Zeit geworden, der Zeit, in der Fernsehen zum Hauptmedium geworden ist)« (Übersetzung des Verfassers) 66 | Vgl. Acconci zitiert nach: Excerpts from Tapes with Liza Béar [wie Anm. 35], in: Acconci 1972, S. 74.

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verzichten und vermeide, eine Welt auf der Buchseite zu evozieren. Sprache, so zitiert sie den Künstler, solle Raum füllen statt Bedeutung aufdecken, und der Vorteil von Wortspielen sei, dass sie eben nur als Sprache existierten.67 Craig Dworkin, Herausgeber der frühen Schriften Acconcis, erinnert in seinem kurzen Vorwort an die Philosophie Ludwig Wittgensteins,68 die Acconcis Verwendung von Sprache jenseits der biographischen Anekdote verständlich mache. Seine Dichtung bediene sich nicht selten idiomatischer und alltäglicher Sprache, betrachte die ganze Bandbreite ihrer Aspekte aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und setze die gewöhnliche Verwendung bekannter Ausdrücke in einen abweichenden Sinn.69 Arbeiten wie Broadjump 71 (1971), Remote Control oder Seedbed (1972)70 sind gerade in Bezug auf Acconcis Bemerkung zu der generativen Kraft seiner Bedeutungsspiele im Kontext von Wittgensteins Sprachspielen zu verstehen. Den Ausdruck des Sprachspiels verwendet Wittgenstein, um die lebendige »Mannigfaltigkeit der Sprache« hervorzuheben. Für ihn ist Sprache aktive Tätigkeit und ihre Veränderung notwendiger Teil des Lebens, eine Sicht, mit der Wittgenstein sich seinerzeit gegen das eher statische Bild der Logik stellte.71 Die Bedeutung des Wortes Broadjump wird im alltäglichen Sprachgebrauch auf den sportlichen Kontext begrenzt, sexuelle Konnotatio67 | Vgl. Linker 1994, S. 13. 68 | Auch Dworkin meint, dass Acconci sich vornehmlich, wie andere Künstler zu dieser Zeit auch, mit den Philosophischen Untersuchungen beschäftigte. Den frühen Wittgenstein des Tractatus logico-philosophicus erwähnt er nicht. Vgl. Dworkin, S. xiii 69 | Vgl. Dworkin 2006, S. xiii. 70 | Bei Broadjump, zu Deutsch Weitsprung, veranstaltete Acconci eine Art athletischen Wettstreit im Ausstellungsraum: Diejenigen Besucher, die aus dem Stand weiter als er selbst sprangen, gewannen zwei Stunden mit einer von ihm zur Verfügung gestellten Frau. The broad ist umgangssprachlich eine abwertende Bezeichnung für eine Frau und bedeutet so viel wie die Alte oder die Schlampe. To jump the broad evozierte eindeutig sexuelle Konnotationen, die Acconci dadurch verstärkte, dass er es ausdrücklich den Gewinnern überließ, die Zeit mit der Frau frei nach den eigenen Wünschen zu gestalten. 71 | Vgl. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen (Orig. Philosophical investigations, Oxford 1958), Frankfurt a.M. 1977, (PU 23) S. 28. (A)

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nen empfindet man dagegen als unmoralische Verfremdung eines verdorbenen Geistes. Wittgenstein würde dies als unrechtmäßige Beschränkung des Sprachgebrauchs betrachten und beide Bedeutungen gleichberechtigt nebeneinanderstellen. Rechtmäßiger Wortgebrauch ist keine Frage der moralischen Bewertung und entscheidet sich im täglichen Sprechakt immer neu. Die Verbindung zwischen beiden Verwendungen bezeichnet er als »Familienähnlichkeiten«; es handelt sich nicht um eine isolierbare und benennbare verbindende Eigenschaft, sondern um ein ganzes Netz von verschiedenen Verbindungen, das für jeden einzelnen Sprecher in ganz unterschiedlicher Form bestehe.72 Acconcis Arbeit betont einen gesellschaftlich unterdrückten Aspekt des Wortes broadjump, der in Relation zu der gewöhnlichen Verwendung als seltsam, anstößig oder sogar falsch verstanden wird. Im Sinne Wittgensteins ist es jedoch nur ein weiteres Sprachspiel, das eine verborgene Bedeutung des Ausdrucks zeigt bzw. die Vielfältigkeit der Bedeutungen erahnen lässt. Die bisher allgemein unverstandene Verwendung eines Wortes erweckt Misstrauen oder wird als unernst abgetan, da sie vor Augen führt, dass die Bedeutungen der verwendeten Worte in ihrer Fülle nicht zu erkennen sind und Zukünftiges gegenwärtig nicht zu erfassen ist. Wir meinen zu verstehen und bemerken doch nur Aspekte, da Bedeutung sich entzieht und sich kontinuierlich durch Verwendung wandelt.73 Das »Spiel des Worterlebens«74 eröffnet dasselbe Wort einmal in der einen und einmal in der anderen Bedeutung, setzt einen Fluss der Bedeutungen in Bewegung und aktualisiert sich mit jedem weiteren Sprechakt.

72 | Vgl. Wittgenstein 1977, (PU 67) S. 57-58. 73 | Vgl. Wittgenstein 1977, (Pu 196, 197) S. 125-126. 74 | Wittgenstein 1977, (xi) S. 346.

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4.6 TRAINING G ROUND (1971)

Abb. 34: Acconci, Vito: Training Ground, 1971. Anlässlich einer Galerieeröffnung in Washington D.C. im November des Jahres 1971 ließ Acconci für Training Ground (Abb. 34) ein ca. 14 x 4,5 m großes grünes Tuch in 60 cm Höhe in den Raum spannen. Das Tuch nahm nahezu den gesamten Raum ein, nur ein schmaler Streifen zur Wand blieb frei, der ungehindertes Bewegen um das Tuch jedoch nicht ermöglichte, da man entweder über die Spannschnüre hätte steigen oder unter ihnen durchkriechen müssen. Sechs Stunden lang lag Acconci unter der Plane und hatte einige Utensilien wie Zahnstocher, kleine Scheiben, Knöpfe, Ringe und Murmeln bei sich, die er als Spielzeugsoldaten auf einer Art Spielfeld (»toy soldiers on a kind of game board«) einsetzte.75 Während der ganzen Zeit waren Texte von einem Tonband zu hören, die sich, wie der Künstler sagte, mit Systemen und Strategien beschäftigten. Acconci bewegte sich laut monologisierend durch den verborgenen Raum, durchdachte Vorbereitungen und Pläne, plante Bewegungen und nutzte den über-

75 | Vgl. Acconci: Skizzen zu Training Ground (1971), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 282.

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dachten Rückzug als Trainingsfeld für Operationen außerhalb des Galerieraums.76 Die Besuchenden konnten zu dem Künstler zumindest in visuellen Kontakt treten, indem sie es ihm gleichtaten und sich flach auf den Boden legten. Acconci erschwerte durch den Aufbau die Kontaktaufnahme, da es ihm eben nicht um eine zu beobachtende Demonstration unter der Plane ging, sondern er sich vor den neugierigen Blicken isolieren wollte, um Entwürfe für zukünftiges Handeln auszuarbeiten, Pläne in Ruhe zu durchdenken und diese auf dem Boden zu skizzieren. Den Hilfsmitteln hierzu sollte keine symbolische Bedeutung beigemessen werden; es waren alltägliche Gegenstände, die sich so oder ähnlich in jeder Manteltasche befinden, Gegenstände, die man vielleicht herausholt, um abstrakte Gedanken zu verbildlichen. Unter der Plane war es dunkel, und daher konnte niemand seine Zeichnungen oder gegenständlichen Anordnungen erkennen und ihnen direkte Bedeutung zuschreiben. Acconci wollte weder Erkennbares darstellen, noch Begreifbares vermitteln: Seine geistige Aktivität verstand er als Unterströmung der Zuschauenden (»undercurrent for viewers«), die sich um seinen Geist oder über seinen Geist bewegten, ihn mental berührten oder berührt werden konnten.77 Performance als Kraftfeld erschöpft sich nicht im Raum, sondern entfaltet sich außerhalb dieser Begrenzungen. Rückblickend erschließt sich, worauf Acconci sich mit seinem Übungsplatz vorbereitete: Gut zwei Monate nach Training Ground eröffnete in New York die für ihn so wichtige Ausstellung in der Galerie Sonnabend, für die er seine bis heute bekannteste Arbeit konzipierte. Bei Seedbed ließ er nicht nur eine Plane in die Galerie spannen, sondern sogar eine Rampe einbauen, unter der er in verborgener Präsenz agierte.

76 | Vgl. Acconci: Skizzen zu Training Ground (1971), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 282. 77 | Vgl. Acconci: Skizzen zu Training Ground (1971), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 282.

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4.7 S EEDBED (1972)

Abb. 35 a+b: Acconci, Vito: Seedbed, 1972. Während Acconcis Einzelausstellung in der Galerie Sonnabend, New York, vom 15.-29. Januar 1972 standen ihm drei Räume zur Verfügung, für die er jeweils eine Performance vorbereitet hatte (Seedbed, Raum A; Supply Room, Raum B; Transference Zone, Raum C). Während der zwei Wochen wechselte er täglich von Raum zu Raum, sodass immer nur eine Arbeit erlebt werden konnte: Zweimal wöchentlich befand er sich für je acht Stunden in Raum A, die gleiche Zeit verbrachte er in Raum B, und einmal wöchentlich für sechs Stunden hielt er sich in Raum C auf. Raum A und C sind für diese Untersuchung von besonderem Interesse, da dort Aspekte verborgener Körperpräsenz behandelt wurden. Supply Room muss, auch wenn eine sorgfältige Untersuchung der drei Räume im Zusammenhang dieser Ausstellung bisher nicht unternommen wurde, an dieser Stelle vernachlässigt werden, da eine Analyse von dem hier relevanten Motiv zu weit wegführte.78 Für Seedbed ließ er in Raum A (ca. 7,40 x 10,80 m), den Eingangsraum der Galerie, eine Holzrampe einbauen, die von der Mitte des Raums in Bodenhöhe bis zur Stirnseite auf eine Höhe von ca. 60 cm anstieg (Abb. 35). In gleicher Höhe war bei Training Ground zwei Monate früher das Tuch in den Raum gespannt, weshalb die Aktion auch formal als Training und Vorbereitung zu Seedbed gesehen werden muss. Die Holzrampe schloss bündig mit Stirnwand, Seitenwänden und Boden ab, sodass Acconci, um den abgeschlossenen Raum unter der Rampe betreten bzw. hineinkriechen zu können, den unteren Abschnitt einer Türöffnung zu Raum B nutzen musste. Zweimal 78 | Die Angaben über das zeitliche Verweilen in den verschiedenen Räumen variieren in der Literatur, doch eine genaue Bestimmung ist für diese Analyse ohnehin nicht von Bedeutung. Der Verfasser orientiert sich an: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 286-293.

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wöchentlich begab er sich während der Öffnungszeiten in den verborgenen Raum unter der Rampe, bewegte sich mühevoll kriechend zwischen den Holzträgern hin und her und versuchte, durch dauerhaftes Masturbieren den Boden mit seinem Samen zu bedecken. »constant contact with my body (rub my body in order to rub it away, rub something away from it, leave that and move on): masturbating: I have to continue all day – cover the floor with sperm, seed the floor.«79 Bei Eintritt in die Galerie fiel der Blick auf die ansteigende Rampe, die im gleichen Holz wie der Galerieboden gearbeitet war und sich daher nicht direkt als Fremdkörper im Raum zu erkennen gab. Nur der ungewöhnliche Anstieg des Bodens, der die hintere Tür unbrauchbar machte, zeigte, dass dieser Einbau nicht dauerhafter Bestandteil des Raums sein konnte. Da Acconci sich nur an zwei Tagen der Woche in diesem Raum und unterhalb des Bodens befand, konzentrierte sich in der übrigen Zeit die Aufmerksamkeit der Besuchenden allein auf die Rampe. Zu Recht verweist Frazer Ward auf den zum damaligen Zeitpunkt kaum zu überschätzenden Einfluss der Minimal Art, einer Formensprache, die nicht nur für das New Yorker Publikum maßgebend, sondern auch für den Künstler von großer Bedeutung war. Minimalismus, so sagt Acconci, sei sein Vater und in einer Weise bestimmend gewesen, dass er ein Schlupfloch darin habe finden müssen.80 Dieses Schlupfloch in die minimalistische Raumskulptur der Rampe suchte er zweimal wöchentlich auf, masturbierte dort den ganzen Tag und horchte nach den Bewegungen und Stimmen von Personen, die er mitunter auch ungesehen via Lautsprecher im Galerieraum ansprach. »… you’re on my left … you’re moving away but I’m pushing my body against you, into the corner … you’re bending your head down, over me … I’m pressing my eyes into your hair …«81

79 | Acconci: Skizzen zu Seedbed (1972), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 286: »konstanter Kontakt mit meinem Körper (meinen Körper reiben, um ihn wegzureiben, etwas von ihm wegreiben, es zurücklassen und sich fortbewegen): Masturbieren: ich muss den ganzen Tag fortfahren – den Boden mit Sperma bedecken, den Boden besäen.« (Übersetzung des Verfassers) 80 | Vgl. Ward, Frazer in: Ward; Taylor; Bloomer 2002, S. 35. 81 | Acconci: Skizzen zu Seedbed (1972), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 286. »… du bist auf meiner Linken … du bewegst dich weg von mir, aber ich drücke meinen Körper gegen dich, in die Ecke … du beugst deinen

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Martin Kunz beendet sein Vorwort zum Katalog der Luzerner Ausstellung mit folgenden Worten: »Er [Acconci] betreibt eine ständige Subversion gegen eine geistige und politische Unterdrückung des Menschen als Individuum und als Kollektiv. Hier wird seine Kunst politisch in ihrer Alternative zur Politik.«82 Die gern und oft getätigte Behauptung künstlerischer Subversion begleitet leider nicht selten eine phrasenhafte Unverfänglichkeit, die sich jeder Argumentation entzieht. Acconcis verborgene Körperpräsenz im Galerieraum war hingegen tatsächlich sowohl eine anti-institutionelle Geste als auch subversiv in dem wörtlichen Sinn des Untergrabens. Erneut kommt die ihm eigentümliche und nicht zuletzt an Wittgenstein erinnernde Gewohnheit zum Tragen, sich im alltäglichen Sprachgebrauch die wörtliche Bedeutung eines Ausdrucks zu vergegenwärtigen. Acconcis Arbeit ist nicht nur metaphorisch subversiv, sondern unterhöhlt etablierten Raum, schafft einen Gegenraum, der sein Agieren vor öffentlichen Blicken schützt. Seine Anwesenheit unter der Oberfläche war spürbar, wirkte vielleicht sogar bedrohlich, vor allem aber unkontrollierbar. Der Prozess unter der Rampe, so der Künstler, sei bestimmend für das Geschehen über ihm gewesen – »pulse for the flow of the viewers«.83 Subversiv war die Arbeit aber auch in einem gebräuchlichen Sinn, da die Institution Galerie als Ort des Kunstverkaufs hinterfragt wurde. Acconci beschäftigte zur damaligen Zeit, so wie viele seiner Künstlerkollegen auch, die Frage des Objektcharakters der Kunst.84 Geboten wurde mit Seedbed ein leerer Raum mit einer sich fast nahtlos einfügenden Rampe, die man als Ort für darzubietende Aktionen hätte nutzen können. Performance als Verweigerung des kommerzfähigen Kunstobjekts entsprach nicht den Vorstellungen Acconcis, da er so nur an die Stelle des Objekts getreten wäre, mit dem Charakter des Darbietens auf der einen Seite und Konsumierens auf der anderen Seite jedoch nicht gebrochen hätte. Die Auseinandersetzung mit den Formen der Kunstrezeption führte Acconci zu der Überzeugung, dass traditionelle AusstellungsKopf herunter, über mich … ich presse meine Augen in dein Haar …« (Übersetzung des Verfassers) 82 | Kunz, Martin in: Luzern 1978, ohne Paginierung. 83 | Acconci: Skizzen zu Seedbed (1972), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 287. »Puls für den Strom der Besucher« (Übersetzung des Verfassers) 84 | Vgl. Acconci zitiert nach: Luzern 1978, ohne Paginierung.

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situationen die Kunstwerke und Objekte zu Zielscheiben machten und er das einseitige Verhältnis von Zielobjekt und anvisierendem Publikum selbst zum Thema der Kunst machen müsse.85 Glaubte man in den 1960er Jahren vielerorts noch, Performance könne den Objektcharakter der Kunst brechen, so wandelte sich Anfang der 1970er Jahre dieser Optimismus. Am eindrucksvollsten kommentierte vielleicht Chris Burden mit Shoot (1971) die Situation des Künstlers als Zielscheibe – er nahm das Bild wörtlich und ließ im Ausstellungsraum auf sich schießen. Acconci verglich die Situation des Künstlers ganz nüchtern mit der eines stand-up comedian: »the lights go on, you have to do something, the audience is waiting like hungry wolves, this is the point of no return, there’s no turning back now […]«86 Acconcis Weg, ohnmächtig gegenüber der Macht des auf ihn zielenden Publikums, führte in den Untergrund der verborgenen Körperpräsenz, von wo aus er subversiv, wenn man es so bezeichnen möchte, agierte. Er sah sich als Guerillakämpfer (»kind of guerilla fighter«) auf dem Gebiet der Galerie, einer Institution, die für den Künstler nur Zeichen und Modell ihrer Gesellschaft war.87 Der Weg in den Untergrund war Mittel zum Zweck, da es Acconci nicht darum ging, sich dem Raum des Publikums zu entziehen, sich zu isolieren, den Kontakt abzubrechen. »The ramp should not function, for me, as a ›deprivation area‹ […]«88 Sein Ziel war eine alternative Form der Interaktion, die auf Augenhöhe geschehen konnte. Burdens Aktion zeigte den bedrängten und sogar verletzten Künstler, dem jeglicher Freiraum durch das Drängen des Publikums genommen wurde. Acconci sah in gleichem Maße die Rolle des zurückgedrängten Publikums, das zum passiven Gaffen genötigt wurde. Ihnen wollte er Raum zur Bewegung geben, einseitig konzipierte Performance in eine interaktive Beidseitigkeit wandeln und sich hierzu vorläufig

85 | Vgl. Acconci zitiert nach: Luzern 1978, ohne Paginierung. 86 | Acconci zitiert nach: Ward; Taylor; Bloomer 2002, S. 125. »Die Lichter gehen an, du musst etwas tun, das Publikum wartet auf dich wie die hungrigen Wölfe, das ist der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt […]« (Übersetzung des Verfassers) 87 | Vgl. Acconci zitiert nach: Ward; Taylor; Bloomer 2002, S. 102. 88 | Acconci: Skizzen zu Seedbed (1972), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 287. »Die Rampe soll, für mich, nicht als Entzugsraum funktionieren […]« (Übersetzung des Verfassers)

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in den Hintergrund des Geschehens zurückziehen.89 Seine sich im Hintergrund oder Untergrund der Galerie vollziehende Masturbation könnte durchaus als Zeichen absoluter Isolation oder auch als Angriff gegen die normative Ordnung des Galeriebereichs begriffen werden. Vergegenwärtigen wir uns in diesem Zusammenhang eine Passage aus Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften: Clarisse, Walter, Meingast und Ulrich entdecken eines Abends einen in den Büschen des Gartens masturbierenden Mann, einen »einsamen Egoisten«, wie Walter sagt, der den Eindruck mache, als sei etwas in ihm verpuppt, das seine Hülle zerreißen wolle. Der Akt des Masturbierens erscheint zwiespältig: Zum einen bewerten ihn die unbemerkt Zuschauenden als eine perverse Form des Selbstbezugs, als selbstgenügsame, verborgene Präsenz unter einer Hülle, als bemitleidenswerten Akt. Zum anderen erkennt Clarisse, dass man den Einsamen wahrscheinlich nicht zufällig unter ihrem Fenster antreffe, sie selbst als Bild und Vorstellung in seinen Phantasien auf unmoralische Weise präsent sei und so eine enge Verbindung zwischen ihr und ihm bestehe, die sich einseitig durch seine Imagination aufgebaut habe.90 In vergleichbarer Weise bezog sich Acconci auf die Menschen oberhalb der Rampe, die ihn noch nicht einmal hören konnten, sofern er es nicht wollte. Seine Phantasien, die er den Objekten seiner Begierde per Lautsprecher mitteilte, hielten seine körperliche Erregung während des Tages lebendig. »I can go on as I think of you, you can reinforce my excitement, serve as my medium (the seed planted on the floor is a joint result of my presence and yours).«91 Die architektonische Grenze der Rampe trennte vordergründig betrachtet den öffentlichen Raum des Galeriebereichs und den privaten Raum des Künstlers. Eine scheinbar existierende Grenze zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, die alltäglich über die Angemessenheit von Verhalten bestimmt, war für Acconci nicht deutlich zu erkennen; viele seiner Arbeiten bemühten sich um Grenzfindungen und -auflösun89 | Vgl. Acconci zitiert nach: Ward; Taylor; Bloomer 2002, S. 102. 90 | Vgl. Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften (Orig. Der Mann ohne Eigenschaften, Berlin 1932), Hamburg 1952, S. 802ff. (A) 91 | Acconci: Power Field – Exchange Points – Transformations, in: Acconci 1972, S. 62-69, hier: S. 62. »Ich kann fortfahren, wenn ich an dich denke, du kannst meine Erregung verstärken, dienst als mein Medium (der auf dem Boden ausgepflanzte Samen ist ein Gemeinschaftsergebnis von meiner Anwesenheit und deiner).« (Übersetzung des Verfassers)

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gen, und Fragen dieser Art berühren Seedbed im Kern. Öffentliches Masturbieren ist heute wie damals sogar ein strafrechtlich relevanter Akt, da privatem Vergnügen auf Kosten des öffentlichen Ärgernisses nachgegangen wird.92 Frazer Ward sieht in der Performance den Versuch eines Tabubruchs, da zum einen in der Öffentlichkeit masturbiert und zum anderen der Ursprung sexueller Begierde grundsätzlich hinterfragt werde. Eine traditionelle Vorstellung, so Ward, sehe sexuelle Bedürfnisse allein in innerlichen, psychologischen Dimensionen begründet. Acconci dagegen demonstriere, dass dieser Trieb durch äußeren Einfluss angeregt werde und auf öffentlichem Austausch beruhe, der jenseits der individuellen Kontrolle liege.93 Zur Frage der Illegalität seiner Aktion bemerkt Acconci, man könne seine Performance natürlich als Entblößung in der Öffentlichkeit verstehen, der eigentliche Akt sei aber im Verborgenen angelegt und nur durch die Phantasie der Zuschauenden verwirklicht worden. Erst das Publikum, das niemals sicher sein konnte, was unter der Rampe tatsächlich geschah, habe das Geschehen illegal gemacht.94 Zweifellos wollte Acconci sein Publikum auf den Gedanken bringen, dass er unter ihren Füßen masturbiere, da erst die Vorstellung dieser Handlung und des zu erwartenden physischen Resultats die Arbeit in einen sinnvollen Zusammenhang mit dem Titel bringen konnten. Seedbed kann Saatbett, aber natürlich auch Samenbett bedeuten. Frazer Ward, der die Arbeit als Metapher künstlerischer Kreativität deutet,95 erfasst zwar den Kern des Gedankens, unterliegt aber im Sinne Wittgensteins einer terminologischen Ungenauigkeit: Eine Metapher enthebt ein Wort oder eine Wortgruppe aus dem eigentlichen Bedeutungszusammenhang und überträgt in einen anderen – Acconcis Titel bzw. die Sprachspiele Wittgensteins im Allgemeinen zielen gerade darauf ab, die ganze Fülle der möglichen Bedeutungen zu aktivieren. Eine eigentliche Bedeutung gibt es nicht, vielleicht eine, die gesellschaftlich gebräuchlicher ist, und deshalb war Seedbed auch kein sprachliches Bild, sondern Saatbett und Samenbett zugleich.

92 | Selbst das private Masturbieren war zu dieser Zeit in Amerika teilweise noch gesetzlich verboten, ganz zu schweigen von religiösen Verboten, die bis zum heutigen Tag existieren. 93 | Vgl. Ward, Frazer in: Ward; Taylor; Bloomer 2002, S. 40. 94 | Vgl. Acconci 1991, S. 70. 95 | Vgl. Ward, Frazer in: Ward; Taylor; Bloomer 2002, S. 41.

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Seedbed ist aus verschiedenen Gründen seine bis zum heutigen Tag bekannteste Arbeit: Zum einen erfuhr die Einzelausstellung bei Sonnabend schon damals große Aufmerksamkeit in New York und wurde aufgrund der erwähnten Umstände auch kontrovers diskutiert. Zum anderen betonte Acconci selbst im Rückblick, dass dies seine wichtigste Arbeit gewesen sei, da er durch die verborgene Präsenz unter der Rampe eine Schwachstelle seiner früheren Arbeiten habe auflösen können.96 Die Situation ermöglichte Anwesenheit im Raum, auch wenn sich das Publikum in diesem Punkt nie sicher sein konnte, da man Acconcis Stimme auch durch ein Tonband hätte abspielen können; Anwesenheit unter der Bedingung visueller Abwesenheit und eine Aufmerksamkeit, die sich nicht auf die Erscheinung seiner Person konzentrierte. Er war physisch marginal (»physically marginal«), Teil der Wände (»part of the walls«), Teil des Bodens (»part of the floor«), nicht auf eine Stelle fixiert und doch auf unbestimmte Weise dauerhaft präsent, selbst dann, wenn er sein Refugium verlassen hatte, da sein hinterlassener Samen weiterwirkte und die Situation befruchtete.97 Die Dominanz seiner physischen Präsenz, ein ungeliebtes Charakteristikum früherer Arbeiten, ersetzte eine psychische Präsenz. Der Titel Seedbed, so der Künstler, sei Ergebnis der gewünschten Aktionsstruktur gewesen und nicht umgekehrt; der Wunsch nach visuell verborgener Präsenz sei von Beginn an in Bezug zu einer Außenwirkung konzipiert gewesen, wodurch gedankliche Verbindungen zu Fragen des Wachstums, der Entwicklung und des Anpflanzens im Boden entstanden seien.98 Acconcis Anwesenheit unter der Rampe war keineswegs nur Metapher für Wachstum, da er faktisch Samen verteilte; es war nicht ein Bild für etwas, sondern ein Prozess, der Wachstum zur Folge haben konnte. Seedbed füllte Architektur mit einer Person,99 seine Anwesenheit im scheinbar unbelebten Minimalismus der Rampe unterwanderte die Unantastbarkeit der Kunst seiner Vaterfiguren, zollte diesen aber gleichwohl den nötigen Tribut, 96 | Vgl. Acconci zitiert nach: Excerpts from Tapes with Liza Béar [wie Anm. 35], in: Acconci 1972, S. 72. 97 | Vgl. Acconci zitiert nach: Excerpts from Tapes with Liza Béar [wie Anm. 35], in: Acconci 1972, S. 72. 98 | Vgl. Acconci zitiert nach: Excerpts from Tapes with Liza Béar [wie Anm. 35], in: Acconci 1972, S. 74. 99 | Vgl. Acconci zitiert nach: Ward; Taylor; Bloomer 2002, S. 135.

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da er auf Basis ihrer Arbeit und aus dem Inneren ihrer Bedingungen neue Anknüpfungspunkte suchte; Anknüpfung, die Acconci im Kontakt zu den Menschen auf der Rampe fand, die in gleichem Maße am dialogischen Wachstumsprozess beteiligt waren. Wie der Samen Erde, Sonne und Wasser braucht, so war der Wachstumsprozess bei Seedbed von dem Raum der Galerie, dem Publikum und dem energetischen Austausch der Regionen über und unter der Rampe abhängig. »My ›growth process‹ can’t be sustained solely by the inside of the ramp: it ›receives from‹ the outside, needs the viewers. Not so much ›I am growing‹ (my position is too cramped for that) […] (my cramped position might be the immediate cause for that).«100 Diese den Bereich des Visuellen überschreitende Verbindung zwischen Galerieraum und dem Verborgenen bezeichnete Acconci als Kraftfeld (power field) und betonte in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Kurt Lewins Buch Grundzüge der Topologischen Psychologie,101 das er 1969 intensiv studiert habe. Jeglicher Bezug zur Psyche des Menschen sei ihm zuvor fern gewesen, doch Lewins topologische Psychologie habe die Begrenzung des Innerpersonalen hin zum psychologischen Lebensraum geöffnet, einem Bereich, der Person und Umwelt umfasse.102 Seit ihren Anfängen bedachte die Psychologie vor allem historische Dimensionen, verstand Handlung als Resultat vorhergehender Handlungen, deren Anfangspunkte sie meist in frühkindlichen Bedingungen zu finden glaubte. Lewin war der Auffassung, dass Verhalten nur auf Basis der dynamischen Eigenschaften einer konkreten Situation zu verstehen sei und stellte die Ausgangsformel V=ƒ(PU) auf: Verhalten (V) ist Funktion von Person 100 | Acconci: Skizzen zu Seedbed (1972), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 287. »Mein ›Wachstumsprozess‹ kann nicht allein aus dem Inneren der Rampe aufrechterhalten werden: er ›empfängt‹ von Außen, braucht die Zuschauer. Es ist nicht so, dass ›ich wachse‹ (meine Position ist zu eingeengt dafür) […] (meine eingeengte Position kann dafür die unmittelbare Ursache sein).« (Übersetzung des Verfassers) 101 | Lewin, Kurt: Grundzüge der Topologischen Psychologie (Orig. PRINCIPLES OF TOPOLOGICAL PSYCHOLOGY, New York, London 1936), Stuttgart 1969. (A) Die englische Erstausgabe der Schrift aus dem Jahr 1936 basiert auf einer Übersetzung des deutschen Originaltextes von Dr. Fritz Heider und Grace Heider. 102 | Vgl. Acconci zitiert nach: Excerpts from Tapes with Liza Béar [wie Anm. 35], in: Acconci 1972, S. 71.

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(P) und Umwelt (U), die im Zusammenspiel eine Situation beeinflussen und eine untrennbare Einheit bilden.103 Vor dem Hintergrund der Lewinschen Theorie zeigt sich, dass jede Analyse von Seedbed, die sich beispielsweise an psychologisierenden Deutungen des verborgenen Masturbierens orientierte, klar an der Perspektive Acconcis vorbeiginge. Acconci grenzte sich in verborgener Präsenz räumlich ab, doch wollte er keine soziale Isolation andeuten, da er in einem interaktiven Zusammenhang mit dem Gesamtraum oder, wie Lewin es weiter fasst, dem »psychologischen Lebensraum«104 stand. Der psychologische Lebensraum setzt sich aus der physikalischen Umwelt (z.B. Grundriss der Galerie; Abgrenzung der Rampe; Stadt und Land, in dem sich die Galerie befindet) und der sozialen Umwelt (z.B. Bedeutung der Galerie, Stellung des Künstlers in der Galerie, Art des gewöhnlich dort gepflegten Austauschs zwischen Künstler und Publikum) sowie den innerpersonalen Bereichen des Künstlers zusammen. Was für den Einzelnen »psychologische Existenz« habe, so sagt Lewin, sei nicht leicht zu entscheiden, da psychologisch das wirke, was erlebt werde. Lewin nennt das Beispiel des Kindes, für das die Anwesenheit der Mutter auch dann psychologische Existenz habe, wenn diese sich im Nebenzimmer und somit außerhalb der visuellen Reichweite befinde.105 Acconci beantwortete in einem Interview die Frage nach seinem Performance-Hintergrund mit einem Bericht über die Raum- und Lebensverhältnisse in der Wohnung seiner Kindheit: Auf engem Raum lebte die italienische Einwandererfamilie, und dort habe er, nicht zuletzt durch die Begeisterung für die Oper, ein Gefühl für das Theater bekommen. Die Zeit nach dem sonntäglichen Abendessen habe er stets für Aufführungen vor der Familie nutzen dürfen und dabei, so erinnert er sich, häufig auch das angrenzende Elternschlafzimmer für Gespräche zu einem »Charakter hinter der Wand« (»character behind the wall«) miteinbezogen.106 Der Begriff des Machtfeldes, den Lewin einführt, ist in seiner Bedeutung für Acconci nur schwer zu bestimmen, da selbst Lewin nur eine vage Definition bietet: »Machtfeld: Die Einflußsphäre einer Per103 | Vgl. Lewin 1969, S. 31. 104 | Vgl. Lewin 1969, S. 40. 105 | Vgl. Lewin 1969, S. 40. 106 | Vgl. Acconci zitiert nach: Excerpts from Tapes with Liza Béar [wie Anm. 35], in: Acconci 1972, S. 70.

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son. Es kann als ein Feld induzierender Kräfte dargestellt werden.«107 Sicher ließe sich der Begriff genauer im Gerüst der Lewin’schen Theorie situieren, doch kann dies hier nicht Aufgabe sein, da man so von Acconcis Verständnis ablenkte. Im Vordergrund soll die terminologische Verwendung des Künstlers stehen, ganz gleich, ob sie sich in vollem Umfang mit der Vorgabe Lewins deckt. Acconci fasst zusammen, dass der Begriff des Machtfeldes von Lewin stamme, der verschiedene Arten von Interaktionen zwischen Bereichen unterscheide: erstens Lokomotion von A nach B, zweitens die Kommunikation zwischen A und B sowie drittens das Machtfeld, bei dem sich topologisch gesehen ein Kreis oder Oval von Bereich A nach Bereich B ausweite. Das Machtfeld sei daher diejenige Interaktionsform, die B am umfassendsten einschließe und bedeute für ihn nicht Kontrolle eines anderen, sondern vielmehr eine Art der nicht-physischen Berührung, deren Charakter Acconci nicht detaillierter beschreiben wollte oder konnte.108

Abb. 36: Acconci, Vito: Skizze zu Seedbed, 1972. In den Vorbereitungsskizzen zu Seedbed findet sich eine Zeichnung Acconcis, die auf zwei graphische Darstellungen von Lewin und dessen Ausführungen verweist: Die Vorlage zu dem rechten Teil der Zeichnung, zwei ineinander verschachtelte und durch eine Grenzzone oder Barriere getrennte Ovale, findet sich bei Lewin in Kapitel XII Grenzen psychischer Bereiche.109 Lewin unterscheidet die Bereiche A und B, Acconci nennt sie in Bezug auf die Grenzzone den inneren 107 | Lewin 1969, S. 226. 108 | Vgl. Acconci zitiert nach: Excerpts from Tapes with Liza Béar [wie Anm. 35], in: Acconci 1972, S. 72. 109 | Vgl. Lewin 1969, S. 134-145.

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und äußeren Bereich. Lewin führt das Beispiel einer Mutter an, die ihr Kind drohend anblickt und auf diese Weise das Machtfeld von ihrem Bereich A zu dem Bereich des Kindes B ausdehnt. Die visuelle Berührung, so sagt er, habe derartig starken Einfluss auf das Kind, dass sie einer tatsächlichen Berührung durch die Hand der Mutter, einer physischen Lokomotion also, gleichkomme. Es sei, so Lewin, ein fast gewaltsamer Akt, der das Kind unter den Einfluss der Mutter stelle.110 Der visuelle Einfluss, den die Mutter im Beispiel Lewins zur Kontrolle des Kindes ausübt, war für Acconci Kernproblem der Struktur seiner früheren Arbeiten, die sich zu stark auf seine Person, seinen Einfluss oder auch sein visuelles Machtfeld konzentrierten. Die Grenzzone in seiner Zeichnung, die Trennung zwischen innerem und äußerem Bereich, veränderte die Kommunikationsstrukturen im Galerieraum vollkommen, da man in dem scheinbar leeren Raum in anderer Form mit dem Künstler interagieren musste. Acconci konnte an besagter Stelle bei Lewin lesen, dass die ungeliebte psychologische Grenze nicht zwangsläufig weiterhin bestehen müsse und zu ihrer Überwindung nur neue Interaktionswege nötig seien. »Möchte man eine Barriere überwinden, so erreicht man dies gewöhnlich nicht durch Fortführung der ursprünglichen Lokomotionsart mit verstärkten Anstrengungen, sondern durch Wahl einer anderen Lokomotionsart, gegenüber der die Barriere vergleichsweise schwächer ist. Das Problem, das die Barriere stellt, besteht im wesentlichen darin, die angemessenste Lokomotionsart oder Kommunikation zu finden.« 111

Während es bei der rechten Hälfte der Zeichnung um die Topologie der psychologischen Umwelt geht, skizziert Acconci auf der linken Hälfte die Topologie der Person selbst und bezieht sich auf eine Vorlage aus Lewins Kapitel XVII Grundbegriffe und Zuordnungsdefinitionen zur Darstellung der Person.112 Die linke Hälfte der Zeichnung besteht wiederum aus zwei Unterteilen, die hier zur besseren Orientierung als 2.1 und 2.2 bezeichnet werden. In 2.1 sehen wir zwei zusammenhängende, aber untereinander getrennte Bereiche: Der eine enthält die Mengen a, b, c, d und der andere e, f. Ein Wandel von a würde a, b, c, d beeinflussen, nicht jedoch e, f, da sie nicht dem zusammenhän110 | Vgl. Lewin 1969, S. 142. 111 | Lewin 1969, S. 144. 112 | Vgl. Lewin 1969, S. 177-199.

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genden Bereich angehören. Bei 2.2 werden drei Bereiche a, b, c, d; e, f; und g,h unterschieden, die Schnittmengen bilden. Ein Zustandswandel von a verändert nicht c, d, sondern b, e, g, h. Die Zeichnungen 2.1 und 2.2113 – in nahezu identischer Form bei Lewin zu finden – sind topologische Darstellungen des Wandels der Binnenstruktur des Menschen, verursacht durch Wahrnehmungsprozesse. Lewin führt an, dass die meisten Veränderungen des innerpersonalen Bereichs eines Menschen durch Wahrnehmung beeinflusst seien und jeder Wandel eines Teils zu dem Wandel eines anderen führe.114 Die Psychologie könne daher, so wie es lange versucht wurde, eine Person nicht »als zusammenhängenden und undifferenzierten Bereich oder Punkt im Lebensraum«115 abbilden. Das Individuum als Punkt, so wie es Acconci im oberen Teil der Darstellung zeigt, verteilt sich im Raum – Individuum und Umwelt bilden eine untrennbare Einheit.

4.8 TRANSFERENCE Z ONE (1972)

Abb. 37: Acconci, Vito: Transference Zone, 1972. Während der Ausstellung in New York führte der Weg von Seedbed (Abb. 35) in Raum A durch Raum B zu Transference Zone (Abb. 37) in 113 | Vgl. Lewin 1969, S. 178-179. 114 | Vgl. Lewin 1969, S. 181. 115 | Lewin 1969, S. 175.

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Raum C. Eine ausführliche Analyse von Supply Room – die Besucher kreuzten in Raum B den Weg zwischen Acconci, der mit verbundenen Augen hinter einem durchsichtigen Vorhang stand, und Kathy Dillon, die an drei Trommeln saß – ist für das Verständnis des Geschehens in Raum C nicht notwendig, da der Künstler nur in jeweils einem Raum anwesend sein konnte. Erlebte man Transference Zone, so war an diesem Tag Raum B nur ereignisloser Durchgang auf dem Weg von Raum A, wo die Rampe auch ohne Acconcis Agieren eine Wirkung haben konnte. Die Installation von Raum C (ca. 14 x 6,70 m) bestand aus einem weiß gestrichenen Holzverschlag (ca. 1,50 x 1,50 m) in einer Ecke gegenüber dem Eingang und einem zugehörigem Wartebereich mit Stühlen, Teppichen und Kissen, der zum Verweilen einlud. In der Kammer, die stets von innen verschlossen war, saß Acconci zweimal wöchentlich und hatte sich dort eine Meditationszelle (»meditation cell«) mit Photos und Kleidungsstücken von sieben Hauptpersonen seines Lebens, die nachhaltigen Einfluss auf ihn ausübten, eingerichtet. Während des Tages versuchte er sich mit Hilfe dieser Utensilien in die nicht anwesenden Hauptpersonen hineinzuversetzen, ihre Anwesenheit in seiner Kammer zu spüren.116 Zutritt gewährte er immer nur einer Person, Nachkommende konnten im Wartebereich Platz nehmen und darüber nachdenken, was sie im verborgenen Raum wohl erwartete. Über die Aktion im Inneren standen keine Informationen zur Verfügung, sodass das Warten einem unbestimmten Ausharren glich, da man noch nicht einmal wissen konnte, ob sich die Türe überhaupt öffnen würde. Neugierige näherten sich, lauschten an der Türe, entfernten sich wieder und versuchten vielleicht an anderer Stelle Auskunft über das Geschehen zu erhalten. All dies konnte Acconci hören, aber nicht sehen. Hatte er jemandem Einlass gewährt, so war er nicht derjenige, der die Situation kontrollierte, da, sofern man den Raum einmal betreten hatte, die Verweildauer im eigenen Ermessen lag. Acconci, so sagte er, habe sich von den Bildern und Utensilien absorbieren lassen und unter dem Einfluss jeweils einer Hauptperson gestanden. Die Eintretenden sprach er mit den Namen der nicht anwesenden Hauptpersonen an, sah sie in den Fremden verkörpert und verhielt sich genau so, als säße die jeweils imaginierte Hauptperson vor ihm. Er übertrug seine privaten Gefühle auf die unbekannte Person, rief Ereignisse der ge116 | Vgl. Acconci: Skizzen zu Transference Zone (1972), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 293.

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meinsamen Vergangenheit in Erinnerung und erhoffte, auf diesem Weg Reaktionen in einer Art zu bekommen, als kämen sie tatsächlich von dem herbeigesehnten Menschen. »(I approach the prime person and receive his influence: the viewer approaches me: the viewer is caught up in the prime person’s power field.)«117 In den Skizzen zu Transference Zone taucht erneut Lewins Begriff des Machtfeldes auf. Bei Seedbed standen Künstler und Publikum unter gegenseitigem Einfluss; Acconcis Phantasien richteten sich auf die Anwesenden über der Rampe, die ihre Aufmerksamkeit auf den Verborgenen konzentrierten. Die Struktur des Einflussverhältnisses von Transference Zone war komplexer, da die sieben Hauptpersonen, visuell vertreten durch ihre Photographien und ihre Kleidung, zu dem dialogischen Beeinflussungsverhältnis hinzutraten. Erneut muss Lewins topologische Psychologie herangezogen werden, die nicht nur »quasi-physikalische« Lokomotionen, d.h. tatsächliche Bewegung im Raum, sondern auch »quasi-soziale« und »quasi-begriffliche« kennt.118 Alle drei Lokomotionsarten kamen bei Transference Zone zum Einsatz: Die quasi-physikalische Lokomotion ist schlicht eine Bewegung im Raum, deckt sich also mit dem allgemeinen Verständnis von Bewegung. Psychologisch gesehen besteht aber ein Unterschied zwischen dem Hin- und Herwandern vor der Kammer und dem Überschreiten der Türschwelle. Acconci gewährte Einlass, und diese Grenzüberschreitung in einen anderen Bereich hatte nicht nur räumliche, sondern auch soziale Bewandtnis, war Initiation auf eine andere Stufe oder Übertritt, wie der Titel impliziert, in eine andere Zone. Antje von Graevenitz führt an, dass Lewin den Ausdruck »paralysed path«, englischer Begriff für Übergangsritus, für das Bild eines Pfades nutzte, mit dem er den Prozess der Handlungsänderung von einem Erfahrungszustand in einen anderen beschreibt.119 Es ist nicht belegt, ob Lewin van Genneps Schrift zu den Übergangsriten von 1909 kannte, doch tatsächlich ist ein Übergangsritus eine quasi-soziale Bewegung 117 | Acconci: Skizzen zu Transference Zone (1972), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 292. »(Ich nähere mich der Hauptperson und empfange seinen Einfluss: der Besucher nähert sich mir: der Besucher ist gefangen im Machtfeld der Hauptperson.)« (Übersetzung des Verfassers) 118 | Vgl. Lewin 1969, S. 15. 119 | Vgl. Graevenitz, Antje von: ÜBERGANGSRITEN IN DER MODERNEN KUNST, in: Akt. tijdschrift, Instituut voor Kunstgeschiedenis Groningen, Jg. 5, Nr. 3, 1981, S. 59-69, hier: S. 65.

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par excellence.120 Die quasi-physikalische Lokomotion des Betretens der Kammer stellte eine Bewegung im dreidimensionalen Raum von vielleicht sechzig Zentimetern dar, die quasi-soziale Lokomotion liegt in der psychischen Bewegung im nicht-anschaulichen Raum und ist im Sinne Lewins dennoch mit Hilfe mathematischer Raumdarstellung darstellbar, da seine topologische Psychologie eben nicht nur mit dem Zeitbegriff, sondern auch mit dem Raumbegriff arbeitet. Die dritte Art der quasi-begrifflichen Lokomotion ist eine geistige Bewegung, die räumlich gesehen ganz anderen Beschränkungen als eine quasi-physikalische unterliegt. Lewin führt das Beispiel eines Gefängnisinsassen an, dessen körperlicher Bewegungsspielraum in hohem Maße begrenzt ist.121 Eingeschlossen in seiner Zelle führt er ein Leben in verborgener Präsenz, wenn man von den Mahlzeiten, den täglichen Hofgängen und dergleichen einmal absieht. Es ist ihm jedoch möglich, brieflich zu kommunizieren, sich weiterzubilden oder das Abitur nachzuholen, Beispiele quasi-sozialer Lokomotionen. Vor allem aber gedanklich ist er frei, kann sich an vergangene Situationen erinnern, an Freunde und Verwandte denken, sich in andere Momentsituationen einfühlen und an andere Orte erträumen. Seine quasi-begrifflichen Lokomotionen sind unbeschränkt und haben direkten Einfluss auf seinen psychologischen Lebensraum. Während Acconci bei Seedbed mit der Rampe eine für quasi-physikalische Lokomotionen nicht passierbare Grenze in den Galerieraum baute, um seine visuelle Dominanz zu Gunsten der Wirkung alternativer Einflussmöglichkeiten zu unterbinden, war die Grenze bei Transference Zone passierbar, sofern er die Türe öffnete und Einlass gewährte. Das Eintreten war zugleich quasi-soziale Lokomotion und führte in einen Bereich, der nicht nur räumlich abgetrennt war, sondern sich auch im Sinne der topologischen Psychologie von dem Raum der Galerie unterschied. Konnte Acconci von dem verborgenen Raum unter der Rampe sein Gegenüber nicht sehen, so bezog er sich doch geistig auf die Geräusche der Bewegungen. In der Transference Zone konnte er seine Interaktionspartner mit allen Sinnen wahrnehmen, bezog sich gedanklich jedoch auf jeweils ganz andere Menschen. Er stand unter dem Einfluss seiner Hauptpersonen und versuchte dieses Machtfeld auf die jeweils Anwesenden auszuweiten. 120 | Gennep, Arnold van: Übergangsriten (Orig. Les rites de passage, Paris 1909), Frankfurt a.M., New York 2005. 121 | Vgl. Lewin 1969, S. 63. (A)

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Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich nicht mehr auf ihn, da er nur Mittler zwischen Hauptperson und Besuchenden war.

4.9 A IR TIME (1973)

Abb. 38: Acconci, Vito: Air time, 1973. Bei Air time (Abb. 38), einer der letzten Körperarbeiten des Künstlers, war Acconci verborgen im Raum präsent, doch ließ sich dies nur vermuten, da ein direkter Kontakt zu dem Publikum nicht bestand. In dem leeren Galerieraum sorgten zwei geöffnete Türen für Durchzug und Bewegung, und an sieben Ecken der verwinkelten Architektur standen jeweils ein weißer Stuhl und eine weiße Box mit einem Tonbandgerät im Inneren. Die Offenheit des Raums gab keine eindeutige Bewegungsrichtung vor, abgesehen von dem Ton, der von Box zu Box wechselte, ohne dass eine sich entwickelnde Narration zu erkennen gewesen wäre. An einer Stelle befand sich eine Art Abstellkammer mit verschlossener Türe, direkt daneben ein Lämpchen, das, wie in einem Aufnahmestudio, leuchtete, wenn Acconci dreimal täglich für je neunzig Minuten auf Sendung (on air) war. Während dieser Zeiten konnte man ihn auf einem Monitor an einer gegenüberliegenden Wand auch sehen, wie er mit einem Mikrophon im Inneren des kleinen Senderaums vor einem Spiegel saß. Unklar ist, ob allein das Aufnahmelämpchen an seinem Senderaum und das Videobild seine

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Anwesenheit bezeugten oder auch seine aus dem Raum dringenden Worte lokalisiert werden konnten. Das Konzept lässt vermuten, dass er mit Bedacht eher leise sprach, da sich anderenfalls die Aufmerksamkeit auf den Senderaum und nicht, wie von ihm beabsichtigt, auf die Bewegung im Gesamtraum konzentriert hätte. Die einzelnen Stationen sollten nicht festgelegte Abschnitte, sondern Punkte eines Kontinuums sein, durch das man sich wie der Wind und seine Stimme frei treiben lassen konnte. Dem neutralisierten Raum (»neutralized space«) wollte er nichts aufzwingen, ihm keine Form geben, ihn einzig mit Hilfe des Tons deneutralisieren (»deneutralizing it«).122 Wie bei Seedbed (1972) breitete er sich im Raum aus, nahm Raum ein, er erreichte die Anwesenden, doch glich seine verborgene Präsenz eher einer Abkapselung. Niemanden wollte er hören, keine Bewegungen wahrnehmen, und so blieben die Besuchenden für ihn anonyme Passanten, die sich durch den unbestimmten Raum bewegten. Betonte er zuvor stets die Abhängigkeit von den anderen Menschen, so verglich er sie in diesem Fall mit arroganten Passanten (»New York passers-by: cool, arrogant«);123 eine ihm lästige Masse, die er abschüttelte, an der er kein persönliches Interesse hatte, da seine Aufmerksamkeit der eigenen Vergangenheit galt. Die ihm zur Verfügung stehende Sendezeit (air time) nutzte Acconci für die Aufarbeitung der vergangenen Beziehung zu einer Frau. Die Abkapselung von den Besuchenden sei nur bedingt seine freie Entscheidung gewesen, da er einfach an nichts anderes habe denken können als an diese bestimmte Person. Körperlich habe er sich im Senderaum befunden, doch geistig an einem anderen Ort: »I’m in the present, talking about her, in the past, to her, in a fantasy present: I’m in the clouds, in the air: I’m on the air (airing my feelings […])«124 Sein Verhältnis zu den Passanten, so Acconci, sei zwiespältig gewesen, da er sich einerseits ungestört ganz auf die verlorene Frau habe 122 | Vgl. Acconci: Skizzen zu Air Time (1973), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 348. 123 | Vgl. Acconci: Skizzen zu Air Time (1973), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 348. 124 | Acconci: Skizzen zu Air Time (1973), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 349. »Ich bin in der Gegenwart, spreche über sie, in der Vergangenheit, zu ihr, in einer phantasierten Gegenwart: Ich bin in den Wolken, in der Luft: Ich bin auf der Luft (mache meinen Gefühlen Luft […])« (Übersetzung des Verfassers)

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konzentrieren wollen, andererseits aber Zeugen suchte; Bestätigung dafür, dass er mit ihr zusammen war.125 Sein Ziel war es, mit Teilen der Vergangenheit abzuschließen, die ihn nicht losließen. Er suchte Zuhörer, die nicht verstehen, sondern da sein sollten, um das von ihm Geäußerte oder Entäußerte aufzunehmen. Acconci sah Air time auch als Rundfunk-Metapher (»radio metaphor«):126 Der Ton aus den Boxen an den sieben Stationen erweckte den Eindruck, als sendete er live aus dem Senderaum, denn nur so konnte er zur freien Bewegung im Raum ermutigen. Tatsächlich spielten die Tonbänder jeweils in Endlosschleife das sich stets wiederholende Programm ab. Das Videobild zeigte ihn während seines Selbstgesprächs vor dem Spiegel, der ihm größtmöglichen Selbstbezug erlaubte. Er sah sich selbst bei seinem Monolog im Spiegel, doch auch der Blick auf die eigene Person stand in enger Beziehung zu der verlorenen Frau: »›I want to look straight at you‹ … ›I want to see myself the way you’ve seen me for the past five years …‹«127 Das Videobild im Galerieraum bot eine eigenartige Wahrnehmungsverdopplung: Acconci beobachtete sich selbst im Spiegel, und die Besuchenden beobachteten ihn, wie er sich selbst beobachtete. Nach Jahren der Interaktionssuche aus der verborgenen Präsenz brach der wechselseitige Kontakt ab. Einseitig sendete er aus dem Verborgenen, sein Videobild konnte man anglotzen (»check me out«)128 oder sich von der Stimme aus der Box berieseln lassen. Aktionen oder Reaktionen aus dem Galerieraum nahm Acconci nicht wahr, sie hatten keinen Einfluss auf ihn, und beide Seiten konnten die körperliche Anwesenheit des jeweils anderen letztlich doch nur vermuten. Es stellt sich die Frage, ob eine körperliche Anwesenheit überhaupt noch von Bedeutung war, da das Videobild als medialisiertes Körpersubstitut eigene Autorität behauptete und die Frage nach der Existenz des Menschen hinter dem Bild erübrigte. 125 | Vgl. Acconci: Skizzen zu Air Time (1973), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 349. 126 | Vgl. Acconci: Skizzen zu Air Time (1973), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 349. 127 | Acconci: Skizzen zu Air Time (1973), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 349. »›Ich will dich direkt ansehen‹ … ›Ich will mich selbst so sehen, wie du mich in den letzten fünf Jahren gesehen hast …‹« (Übersetzung des Verfassers) 128 | Acconci: Skizzen zu Air Time (1973), in: Acconci; Basta; Ricciardi 2006, S. 349.

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5 Schlussbemerkung

Die verborgene Präsenz des Künstlers ist ein Motiv, das in der kunstwissenschaftlichen Literatur bisher weder als solches benannt, noch analysiert wurde. Ein Künstler ist im Sinne dieser Arbeit verborgen präsent, wenn sein Körper vollständig verhüllt oder verborgen ist und seine von anderen Personen isolierte Präsenz mit Gewissheit wahrgenommen wird. Entweder die Aktionen des visuellen Verbergens bzw. des anschließenden Enthüllens werden unmittelbar von einem Publikum beobachtet, oder es existieren andere, unmissverständliche Hinweise darauf, dass sich ein lebendiger Mensch im Verborgenen befindet: Anthropomorphe Formen sind unter einer stofflichen Hülle erkennbar, menschliche Laute hörbar oder Bewegungen sichtbar. Entscheidendes Merkmal des Motivs ist das Alleinsein eines Künstlers an einem abgeschlossenen Ort, und die direkte Verbindung zu dem ihn umgebenden Außenraum; die Trennung beruht einzig auf einer visuellen Barriere und ermöglicht das Zusammentreffen zwischen Künstler und Publikum unter ungewohnten Bedingungen. Verborgene Präsenz ist nicht Interaktionsbruch, sondern Inszenierung eines visuellen Rückzugs, motiviert durch die künstlerische Suche nach alternativen Interaktionsmöglichkeiten. Mit Arbeiten von Salvador Dalí, Joseph Beuys, Robert Morris und Vito Acconci werden künstlerische Positionen, die wahrscheinlich gemeinsam noch nie untersucht wurden, in einen thematischen Zusammenhang gestellt. Jeder der vier Künstler war bei mindestens einer Gelegenheit verborgen präsent, Gegenstand der Betrachtung sind jedoch nicht nur vereinzelte künstlerische Inszenierungen, sondern die Spuren der Motivfindung im Gesamtwerk. Abgesehen von der kurzen Motivdefinition gibt es keine weiteren Auswahlkriterien. Mit dem Jahr 1970 (Digging Piece, erste hier untersuchte Arbeit Vito Acconcis) wurde ein zeitlicher Abschluss gesetzt, um den Einzelana-

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lysen einen größeren Raum zu geben. Die zeitliche Grenze rechtfertigt sich dadurch, dass sich die vier Künstler, beginnend mit Salvador Dalí im Jahr 1936, jeweils über einen sehr langen Zeitraum in ganz unterschiedlicher Weise mit dem Motiv auseinandersetzten, zu Beginn der 1970er Jahre das Interesse unabhängig voneinander aber zu erlöschen schien. Die Arbeiten Vito Acconcis, dem jüngsten Vertreter, zeugen von der intensiven Auseinandersetzung mit der Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und sind allein deshalb noch Gegenstand dieser Untersuchung. Mit der Nutzung von Film und Video zur Dokumentation seines körperlichen Rückzugs weist Acconci auf eine neue Generation von Künstlerinnen und Künstlern, deren Arbeiten unter anderen Vorzeichen betrachtet werden müssen. Diese erste Untersuchung des Motivs der verborgenen Präsenz umfasst künstlerische Arbeiten aus fast vierzig Jahren. Motivbeispiele wurden aus der Literatur, den Naturwissenschaften, der Religionsgeschichte sowie der Mythologie herangezogen, um einen historischen Rahmen der Formulierungen des 20. Jahrhunderts aufzuzeigen. Von besonderem Interesse sind die zeitgenössischen Kontexte der Entstehung sowie die jeweiligen Produktionsbedingungen; die Arbeit zeichnet ein Netz der Strömungen nach und ist ein Konstrukt vielfältiger Kommunikations- und Entwicklungsebenen. Große Bedeutung kommt daher den Texten und Interviews der Künstler zu, da sie nicht selten wichtige Anregungen zur Motivfindung liefern. Kern der Analyse sind die Werke selbst. Der künstlerischen Biographie wird nur dann Aufmerksamkeit geschenkt, wenn sich hieraus direkte Erkenntnisse für die zu analysierenden Arbeiten ergeben. Vermieden wird die Rekonstruktion vermeintlich linearer Entwicklungslinien, da derartige Vereinheitlichungen selten den wirklichen Gegebenheiten gerecht werden können. Ziel ist die Erstellung einer Karte, mit deren Hilfe sich auch die Seiten- und Nebenwege erkunden lassen, die zu dem Hauptweg der verborgenen Präsenz des Künstlers führen. Methodisch orientiert sich das Vorhaben am Modell des Rhizoms, das Gilles Deleuze und Félix Guattari im Jahr 1976 entwarfen und dem traditionellen Baumwurzelmodell entgegenstellten. Das Rhizom ist für sie Ausweg aus der linear chronologischen Geschichtsschreibung. Der unterirdische Spross unterscheidet sich von der Wurzel dadurch, dass er verschiedene Formen annimmt, nicht in eine Richtung strebt, sich vielfältig verästelt und in Knollen und Knöt-

S CHLUSSBEMERKUNG

chen verdichtet.1 Für die textliche Struktur ergeben sich, analog zu der Morphologie des Sprosses, folgende Konsequenzen: Hierarchien werden vermieden, vielfältige Verbindungen verknüpft, heterogene Wissensgebiete miteinbezogen, geschlossene Bilder geöffnet und genealogische Vorstellungen in die Form der unabgeschlossenen Karte überführt, die unaufhörlich modifizierbar ist. Das Rhizom ist somit keine neuartige kunstwissenschaftliche Methode, sondern vielmehr theoretische Begründung einer Arbeits- und Sichtweise, die dem Verfasser grundsätzlich und insbesondere für dieses Vorhaben fruchtbar zu sein scheint. Salvador Dalí präsentierte sich im Jahr 1936 als erster Künstler verborgen präsent einem Publikum (Abb. 1): Sein Auftritt bei der International Surrealist Exhibition in London, verborgen in einem Helmtauchgerät, das ihn von der Umwelt isolierte, war einerseits theatralische Inszenierung, stand aber andererseits auch inhaltlich in Bezug zu dem thematischen Kontext der Ausstellung. Das Helmtauchgerät, bestehend aus Anzug, Helm und Bleischuhen, war Symbol für die Erkundung des Unbewussten. Mit der Inszenierung eines Unfalls und seiner Rettung aus der verborgenen Präsenz demonstrierte er den Bruch mit den Zielen der surrealistischen Bewegung, von der er sich mit seiner Kunst entfernt hatte. Aus einem Würfel stieg der Künstler bei der Pressekonferenz zu seiner Ausstellung in Rom im Jahr 1954 (Abb. 2), und erneut diente die verborgene Präsenz mit anschließender Enthüllung vor allem seiner publikumswirksamen Selbstinszenierung. Dalí bemühte sich stets, die eigene Herkunft, seine Heimatregion, sein Talent, seine Frau Gala und seinen Lebensweg in einer teils fiktiven Künstleridentität zusammenzubringen, um sich auf diese Weise mystisch zu erhöhen. Zu seinem Repertoire gehörten die Rollen des Magiers, des Künstlers, des Genies, des Erfinders, des Philosophen und des Erlösers, doch nirgends ließ sich seine wahre Person ausmachen. Salvador Felipe Jacinto Dalí Domènech wurde am 11. Mai 1904 als Sohn des Notars Salvador Dalí Cusí und seiner Frau Felipa Domènech Ferrés in Figueres geboren; Salvador Dalí hingegen schlüpfte zu unbekanntem Zeitpunkt aus einem Ei, das er selbst ausgebrütet hatte (Abb. 6). La gare de Perpignan (1965) (Abb. 9) bezeichnete er im Jahr des Entstehens als sein bestes Gemälde, und zentrales Thema ist die verborgene Präsenz des toten Bruders. Durch seine paranoisch-kritische Analyse des Bil1 | Eine detaillierte Einführung in das Modell findet sich im Vorwort.

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des L’angélus/Das Abendläuten (1857/1859) von Jean-François Millet, dessen Reproduktion er aus der Kindheit gut kannte, entwickelte er den Glauben, dass bei diesem berühmten Bild eigentlich die Trauer um einen begrabenen Sohn dargestellt sei. Die Hintergründe dieser mutigen Theorie lagen in der Kindheitsgeschichte. Sein verstorbener Bruder war für ihn Kernpunkt der familiären Zerwürfnisse. La gare de Perpignan ist malerische Autobiographie, und spätestens die zentrale Stellung des Bauernpaares von Millet in dem großformatigen Werk verdeutlicht die Bedeutung des Motivs verborgener Körperpräsenz im Werk Salvador Dalís. Joseph Beuys wickelte sich 1964 bei seiner Aktion Der Chef The Chief (Abb. 18) in eine Filzbahn und blieb verborgen präsent acht Stunden in der Berliner Galerie von René Block liegen. Seine körperliche Bewegungslosigkeit war ein Bild für die psychische Mobilität des Menschen, ein Thema, das nicht zuletzt auf die intensive Lektüre der Schriften Rudolf Steiners hindeutet. Steiner glaubte an eine objektive ätherische Bilderwelt, die der sinnlichen Wahrnehmung verschlossen bleibt und zu der man nur mit Hilfe der Imagination, einer übersinnlichen Schau, gelangt. Während der acht Stunden gab der Künstler aus der verborgenen Präsenz nicht zu identifizierende Laute von sich, die Ausdruck der inneren Regung des Verborgenen waren. Zudem können diese Laute auch als Erfahrung der übersinnlichen Realität gedeutet werden, da die geistige Welt für Steiner auch akustische Qualität besitzt. In der Verlängerung des eingewickelten Körpers lagen zwei tote Hasen, ein Tier, das sich Mulden und Höhlen gräbt und sowohl im Christentum als auch in der Alchemie Symbol der Wandlung ist. Die Anordnung der umwickelten Kupferstäbe und der Fettecken im Raum zeigt, dass es Beuys bei Der Chef The Chief um den Aufbau eines Energiekreislaufs ging, dessen Energiequelle der Wandlungsprozess in der Filzhülle war. Die Verbindungen zwischen den Zuständen der verborgenen Präsenz und den metamorphischen Prozessen beschäftigten den Künstler bereits seit den 1940er Jahren. Bei der Zeichnung Mädchenfigur mit Gefäßformen (1947) (Abb. 11) korrespondiert eine menschliche Gestalt in zarter Umhüllung mit der Darstellung botanischen Wachstums; die Verpuppung einer Larve im Kokon thematisiert Entpuppung des Schmetterlings (1950) (Abb. 13). Anders als die Schmetterlingslarve, die nur einmal im Laufe ihres Lebens bewegungslos in einem Kokon liegt, um sich am Ende des Wandlungsprozesses zu entfalten, schrieb Beuys die Fähigkeit zur ständigen Wandlung dem Menschen zu. Das Objekt gummierte Kiste

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(1957) (Abb. 16) war für ihn eine Art Kokon, Bild des Rückzugs in Zeiten größter Verwirrung, die Beuys in verborgener Präsenz zum Positiven wandte. Die Erstarrung des Denkens in einseitiger materieller Orientierung diagnostizierte der Künstler in Bezug auf die USA: 1974 ließ er sich nach seiner Ankunft am John F. Kennedy Airport in New York erneut in Filz hüllen und in einem Krankenwagen in die dortige Galerie von René Block fahren, um den US-Bürgern mit seiner Aktion I like America and America likes Me einen Weg zur notwendigen Versöhnung mit der eigenen Geschichte zu demonstrieren (Abb. 21). Im Jahr 1962 inkorporierte ein Kunstwerk den Körper des Künstlers Robert Morris. Waren es bei Salvador Dalí und Joseph Beuys eher Aktionen des Verkleidens, Versteckens oder Verbergens, durch die sich letztlich die Aufmerksamkeit auf die Person des verborgenen Künstlers richten sollte, so kann die Säule bei Column (Abb. 23) durchaus als eigenständiges Kunstobjekt betrachtet werden. Das Ziel war es, Körperaktion und Objekt in Verbindung zu bringen, und so verbarg Morris sich in einer 245 cm hohen Holzsäule, die er während der Aufführung auf einer New Yorker Theaterbühne durch die Bewegung seines Körpers im Inneren zu Fall bringen wollte. Morris verspürte weder ein Isolationsbedürfnis noch wollte er seinen Auftritt vor großem Publikum inszenieren. Während der ganzen Aktion wäre er unsichtbar geblieben, sofern die geplante Aufführung in dieser Form stattgefunden hätte. Ihn beschäftigten die Möglichkeiten der Aktivierung des Körpers, womit er sich auf den Künstler und das Publikum im gleichen Maße bezog. Seine verborgene Präsenz hatte die Umwälzung der bestehenden Verhältnisse zum Ziel: Morris setzte sich für die Anerkennung der Produktions- und Rezeptionsbedingungen ein und wandte sich gegen die individuelle Versenkung einer intimen Kunstbetrachtung, gegen den Mythos des genialen Künstlers sowie gegen die auratische Aufladung des Objekts. Ähnliche Ziele verfolgte er schon mit Box with the sound of its own making (1961) (Abb. 22), einem Holzkubus, in dessen Inneren ein Tonband verborgen ist, das die Akustik des handwerklichen Herstellungsprozesses wiedergibt. Dem Objekt als Form und Gestalt im Ausstellungsraum stellte Morris die Produktionsakustik zur Seite, die einerseits qualitative und quantitative Aspekte seiner künstlerischen Arbeit erfahrbar macht und andererseits mit einer Rezeptionszeit von bis zu dreieinhalb Stunden die Bedeutung des physischen Akts der Kunstrezeption hervorhebt. Mit I-Box (1962), einem kleinen Holztabernakel, hinter dessen Tür man die Photographie des nackten Künstlers findet, zeigt

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sich ein wandelndes Selbstverständnis. Morris ironisierte die klassische Form des Selbstporträts. Seine unverhüllte physische Präsenz gab er preis und entzog dem Publikum zugleich die Projektionsfläche des Künstlers. Sein entblößtes Grinsen demonstriert die Bereitschaft, sich physisch zur Verfügung zu stellen und die Versuche der gesellschaftlichen Vereinnahmung abzuwehren. Vito Acconci baute im Jahr 1972 eine Holzrampe in den Ausstellungsraum der Galerie Sonnabend in New York, unter der er zweimal wöchentlich für je acht Stunden während der Öffnungszeiten masturbierte (Abb. 35). Der Künstler entwarf eine minimalistische Raumskulptur, in Anlehnung an die Kunst seiner Vaterfiguren, und suchte ein Schlupfloch im Inneren, das er mit seinem Samen befruchtete. Seine Unterhöhlung der Galerie war eine subversive Geste, mit der Acconci den marktfähigen Objektcharakter der Kunst hinterfragte. Seine verborgene Präsenz konzipierte er von Beginn an auf ihre Außenwirkung hin und in Bezug zu seinem Publikum, zu dem er in anderer Form in Kontakt treten wollte. Der im Verborgenen ejakulierte Samen war ein gemeinschaftliches Ergebnis. Der Künstler spürte die Anwesenheit der Personen über der Rampe und machte ihre Präsenz in seiner Vorstellung für die dauerhafte Erregung nutzbar. Acconci konnte sich mit seiner physischen Präsenz im Werk nicht mehr arrangieren und wollte nicht länger als eine Art Komödiant für die Unterhaltung des Publikums sorgen, das durch seine Aktion in die Passivität gedrängt wurde. Die Lektüre von Kurt Lewins Buch Grundzüge der Topologischen Psychologie bestätigte ihm einerseits die mitunter aggressive Macht des visuellen Einflusses und eröffnete ihm andererseits mit der Idee des Machtfeldes (power field), dass alternative Interaktionsformen, jenseits der visuellen Beeinflussung, möglich waren. Wenige Monate vor Seedbed hatte Acconci sich bei Claim (1971) (Abb. 32), einer Performance an anderer Stelle in New York, in den Keller des Hauses zurückgezogen und seine Gäste per Videomonitor davor gewarnt, ihn an seinem Rückzugsort aufzusuchen. In The Presentation of Self in Everyday Life, einem Buch von Erving Goffman, las er über das täglich die Alltagshandlungen bestimmende Rollenspiel und die Möglichkeiten, mit Rollenproben alternative Handlungsweisen zu testen. Subjektivität war für Acconci Ergebnis eines gesellschaftlichen Prozesses, und so war Veränderung nicht allein durch individuelles Handeln, sondern nur auf Basis zwischenmenschlicher Interaktion zu erreichen. Bestrebungen der Abkapselung zeigen frühe filmische Arbeiten wie beispielsweise Digging Piece (1970): Acconcis Versuch,

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sich mit der Bewegung seiner Füße in den Meeressand einzugraben, ähnelt der Isolation Beckett’scher Protagonisten. Nach dieser kurzen Phase der Isolation und völligen Konzentration auf den eigenen Körper teste Acconci die Möglichkeiten der Interaktion, auch unter der Bedingung einer visuellen Barriere in verborgener Präsenz. Einige Künstlerinnen und Künstler, die im Laufe der Arbeit unerwähnt blieben, griffen im Untersuchungszeitraum das Thema der verborgenen Körperpräsenz auf. Eine klare definitorische Abgrenzung, welche künstlerische Aktion als verborgene Präsenz bezeichnet werden kann und welche nicht, ist weder notwendig, noch im Einzelfall möglich. Die hier vorangestellte Definition ist vor dem Hintergrund zu verstehen, das Motiv in einem ersten Versuch abzugrenzen, doch jede Untersuchung hat unabhängig von ihrem Umfang Grenzgebiete: Hermann Nitsch, Adolf Frohner und Otto Mühl ließen sich im Sommer 1962 für einige Tage in den Wiener Perinet-Keller einmauern;2 Allan Kaprow verschnürte 1965 die Teilnehmenden seiner Aktion Calling zu Paketen;3 Rudolf Schwarzkogler wicklete sich bei einer Aktion 1966 mit Mullbinde ein;4 Ben d’Armagnac ließ sich bei einer Performance im Goethe-Institut in Amsterdam im Jahr 1973 in Stoff wickeln und Organe einer Kuh an den Körper binden.5 Diese Liste ließe sich ergänzen, doch da die Arbeit das Motiv der verborgenen Präsenz des Künstlers ohnehin nicht umfassend untersuchen kann, bleibt nur die Hoffnung des Verfassers, dass dieser erste Schritt weitere Überlegungen anregen wird.

2 | Vgl. Becker, Jürgen; Vostell, Wolf: Happenings. Fluxus. Pop Art. Nouveau Réalisme. Eine Dokumentation, Hamburg 1965, S. 442. (A) 3 | Vgl. Vorwort, Anm. 8 4 | Schwarzkogler, Rudolf, Action 6, S.T., ÉTÉ 1966. Vgl. Martel, Richard: ART ACTION 1958-1998: Happening, Fluxus, Intermédia, Zaj, Art Corporel/ Body Art, Poésie Action/Action Poetry, Actionnisme Viennois, Viennese Actionism, Performance, Arte Acción, Sztuka Performance, Performans, Akció Müvésuzet, Quebec 2001, S. 164. (A) 5 | Ausst. Kat, Ben d’Armagnac, Stedelijk Museum, Amsterdam 1981, Kunsthalle Wilhelmshaven 1982, Gemeentelijke van Reekumgalerij Appeldoorn 1982 und weitere Orte, S. 50. (K) Den Verweis auf die Arbeiten des Künstlers verdanke ich Antje von Graevenitz.

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Literaturverzeichnis

V ORBEMERKUNG Das Literaturverzeichnis gliedert sich in fünf Abschnitte (Vorwort, Einleitung und Schlussbemerkung; Salvador Dalí; Joseph Beuys; Robert Morris; Vito Acconci). Innerhalb der Abschnitte finden sich jeweils bis zu drei Kategorien (Allgemeine Literatur, nach Autor/Herausgeber geordnet; Ausstellungskataloge, nach Ausstellungsorten geordnet; Interviews, Texte des Künstlers, chronologisch geordnet). Zur besseren Orientierung finden sich im Text Kürzel: Allgemeine Literatur (A), Ausstellungskataloge (K), Interviews, Texte des Künstlers (T).

V ORWORT, E INLEITUNG UND S CHLUSSBEMERKUNG Allgemeine Literatur (A) Alighieri 1997. Alighieri, Dante: Die Divina Commedia (Orig. La Commedia, vollendet vor 1321), in deutscher Übersetzung von Georg Peter Landmann, Würzburg 1997. Becker; Vostell 1965. Becker, Jürgen; Vostell, Wolf: Happenings. Fluxus. Pop Art. Nouveau Réalisme. Eine Dokumentation, Hamburg 1965. Bourriaud 2009. Bourriaud, Nicolas: Radikant, Berlin 2009. Cowles 1981. Cowles, Fleur: Salvador Dali. Die Biographie (Orig. The Case of Salvador Dali, London 1959), München, Wien 1981. Deleuze; Guattari 1977. Deleuze, Gilles; Guattari, Félix: Rhizom (Orig. Rhizome. Introduction, Paris 1976), Berlin 1977. documenta 2007. documenta und Museum Fridericianum (Hg.): Documenta Kassel 16/06 – 23/09 2007, Köln 2007.

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Durkheim 1967. Durkheim, Émile: Soziologie und Philosophie. Einleitung von Theodor W. Adorno, Frankfurt a.M. 1967. Lippard 1973. Lippard, Lucy R.: Six years. The Dematerialization of the Art Object from 1966 to 1972, Berkely, Los Angelos 1973. Lippmann 1954. Lippmann, Edmund Oskar von (Hg.): Entstehung und Ausbreitung der Alchemie, Frankfurt 1954. Martel 2001. Martel, Richard: ART ACTION 1958-1998: Happening, Fluxus, Intermédia, Zaj, Art Corporel/Body Art, Poésie Action/ Action Poetry, Actionnisme Viennois, Viennese Actionism, Performance, Arte Acción, Sztuka Performance, Performans, Akció Müvésuzet, Quebec 2001. Mittelstraß 2004. Mittelstraß, Jürgen (Hg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 2, Stuttgart 2004. Seegers 2003. Seegers, Ulli: Alchemie des Sehens. Hermetische Kunst im 20. Jahrhundert. Antonin Artaud, Yves Klein, Sigmar Polke, Köln 2003. Schneede 1994. Schneede, Uwe M.: Joseph Beuys. Die Aktionen. Kommentiertes Werkverzeichnis mit fotografischen Dokumentationen, Ostfildern-Ruit 1994. Sloterdijk 1998. Sloterdijk, Peter: Sphären Bd. I. Blasen, Frankfurt a.M. 1998. Stachelhaus 1987. Stachelhaus, Heiner: Joseph Beuys, Düsseldorf 1987.

Ausstellungskataloge (K) Amsterdam, Wilhelmshaven, Appeldoorn 1981/82. Ben d’Armagnac, Stedelijk Museum, Amsterdam 1981, Kunsthalle Wilhelmshaven 1982, Gemeentelijke van Reekumgalerij Appeldoorn 1982 und weitere Orte.

Inter views, Texte der Künstler (T) Dalí 1963. Dalí, Salvador: Le mythe tragique de l’Angélus de Millet: interprétation »paranoïaque-critique«, Paris 1963. Lieberknecht 1972. Joseph Beuys. Zeichnungen 1947-1959 I. Gespräch zwischen Joseph Beuys und Hagen Lieberknecht. Geschrieben von Joseph Beuys, Köln 1972. Dalí 1984. Dalí, Salvador: Das Geheime Leben des Salvador Dalí (Orig. The Secret Life of Salvador Dali, New York 1942), München 1984.

L ITERATURVERZEICHNIS

Pickshaus 1987. Pickshaus, Moritz: Joseph Beuys – »Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung«, unveröffentlichtes Typoskript zu einem Radiobeitrag, WDR 3, 02.03.1987, 21:00-22:00 Uhr.

S ALVADOR D ALÍ Allgemeine Literatur (A) Battisti 1971. Battisti, Eugenio: PIERO DELLA FRANCESCA, Mailand 1971. Böhme 1989. Böhme, Hartmut: Albrecht Dürer Melencolia I. Im Labyrinth der Deutungen, Frankfurt a.M. 1989. Cowles 1981. Cowles, Fleur: Salvador Dali. Die Biographie (Orig. The Case of Salvador Dali, London 1959), München, Wien 1981. Descharnes; Néret 2004. Descharnes, Robert; Néret, Gilles: Salvador Dalí 1904-1989, Köln 2004. Freud 1989. Freud, Sigmund: Bildende Kunst und Literatur, hg. von Mitscherlich, Alexander u.a., Studienausgabe Bd. X, Frankfurt a.M. 1989. Jung 1995, Bd. 13. Jung, C.G.: Studien über alchemistische Vorstellungen (Orig. Olten 1978), Gesammelte Werke Bd. 13, Solothurn, Düsseldorf 1995. Lacan 2002. Lacan, Jacques: Über die paranoische Psychose in ihren Beziehungen zur Persönlichkeit und Frühe Schriften über die Paranoia (Orig. De la psychose paranoïaque dans ses rapports avec la personnalité suivi de Premiers écrits sur la paranoïa, Paris 1932), Wien 2002. Oesterreicher-Mollwo 1978. Oesterreicher-Mollwo, Marianne (Hg.): Herder-Lexikon Symbole, Freiburg i.Br. 1978. Phillips 2001. Phillips, Adam: Houdini’s Box. On the Arts of Escape, London 2001. Sloterdijk 2004. Sloterdijk, Peter: Sphären Bd. III. Schäume, Frankfurt a.M. 2004.

Ausstellungskataloge (K) Köln 2006. Salvador Dalí. La Gare de Perpignan. Pop, Op, Yes-Yes, Pompier, Museum Ludwig, Köln 2006.

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Stuttgart, Zürich 1989. Salvador Dalí 1904-1989, Staatsgalerie Stuttgart, Kunsthaus Zürich 1989.

Inter views, Texte des Künstlers (T) Dalí 1963. Dalí, Salvador: Le mythe tragique de l’Angelus de Millet: interprétation »paranoïaque-critique«, Paris 1963. Dalí 1984. Dalí, Salvador: Das Geheime Leben des Salvador Dalí (Orig. The Secret Life of Salvador Dali, New York 1942), München 1984. Dalí 1986 (1). Dalí, Salvador: 50 magische Geheimnisse (Orig. 50 secrets of magic craftmanship, New York 1948), Köln 1986. Dalí 1986 (2). Dalí, Salvador: Diary of a Genius (Orig. Diario de un genio, Barcelona 1964), New York 1986.

J OSEPH B EUYS Allgemeine Literatur (A) Adriani; Konnertz; Thomas 1981. Adriani, Götz; Konnertz, Winfried; Thomas, Karin (Hg.): Joseph Beuys. Leben und Werk, Köln 1981. Adriani; Konnertz; Thomas 1994. Adriani, Götz; Konnertz, Winfried; Thomas, Karin (Hg.): Joseph Beuys, Köln 1994. Angerbauer-Rau 1998. Angerbauer-Rau, Monika: Ein Lexikon zu den Gesprächen von Joseph Beuys. Beuys Kompass, Köln 1998. Beckett 2001. Beckett, Samuel: Molloy (Orig. Molloy, Paris 1951), Frankfurt a.M. 2001. Dobie 1949. Dobie, Frank J.: The voice of the coyote, Boston 1949. Eco 2002. Eco, Umberto, Einführung in die Semiotik, München 2002. Förg 1984. Förg, Gabriele (Hg.): Unsere Wagner: Joseph Beuys, Heiner Müller, Karlheinz Stockhausen, Hans Jürgen Syberberg, Frankfurt a.M. 1984. Gennep 2005. Gennep, Arnold van: Übergangsriten (Orig. Les rites de passage, Paris 1909), Frankfurt a.M., New York 2005. Goethe 1984. Goethe, Johann Wolfgang von: Die Metamorphose der Pflanzen (Orig. Die Metamorphose der Pflanzen, Gotha 1790), Weimar 1984. Graevenitz 1989. Graevenitz, Antje von: Rites of Passage in Modern Art, in: Lavin, Irving (Hg.): World Art: themes of unity in diver-

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sity: acts of the XXVIth International Congress of the History of Art (Washington, DC 1986), Vol. III, Washington, London 1989, S. 585-592. Graevenitz 1990. Graevenitz, Antje von: The Art Of Alchemy, in: Art & design, London 1990, S. 86-93. Graevenitz 1996. Graevenitz, Antje von: The Old and the New Initiation Rites: Joseph Beuys and Epiphany, in: Cooke, Lynne; Kelly, Karen (Hg.): Robert Lehman Lectures on Contemporary Art, New York 1996, S. 63-78. Graevenitz 1997. Graevenitz, Antje von: ›Ein bißchen Dampf machen‹, ein alchemistisches Credo von Joseph Beuys, in: Im Blickfeld, Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle, Ausstieg aus dem Bild, Bd. 2, 1997, S. 43-60. Graevenitz 2006. Graevenitz, Antje von: Die Aktion – eine Kunstform im Werk von Joseph Beuys, in: Kunsthistorische Arbeitsblätter, (KAb) 3, Köln 2006, S. 77-84. Harlan; Koepplin; Velhagen 1991. Harlan, Volker; Koepplin, Dieter; Velhagen, Rudolf: Beuys-Tagung Basel 1.-4. Mai 1991, Basel 1991. Jung 1995, Bd. 12. Jung, C.G.: Psychologie und Alchemie (Orig. Psychologie und Alchemie, in: Psychologische Abhandlungen, Bd. 5, Zürich 1944), Gesammelte Werke, Bd. 12, Solothurn, Düsseldorf 1995. Jung 1995, Bd. 13. Jung, C.G.: Studien über alchemistische Vorstellungen (Orig. Studien über alchemistische Vorstellungen, Olten 1978), Gesammelte Werke, Bd. 13, Solothurn, Düsseldorf 1995. Koepplin 2006. Koepplin, Dieter: Joseph Beuys in Basel. Bd. 2. Zeichnungen und Holzschnitte bis 1954, München 2006. Kraft 1995. Kraft, Hartmut: Über innere Grenzen. Initiation in Schamanismus, Kunst, Religion und Psychoanalyse, München 1995. Kramer 1991. Kramer, Mario: Joseph Beuys. »Das Kapital Raum 19701977«, Heidelberg 1991. Lindholm 2008. Lindholm, Sven: Inszenierte Metamorphosen. Beuys’ Aktionen vor dem Hintergrund von Goethes Gestalttheorie, Freiburg i.Br., Berlin, Wien 2008. Lippmann 1954. Lippmann, Edmund Oskar von (Hg.): Entstehung und Ausbreitung der Alchemie, Frankfurt 1954. Roob 2002. Roob, Alexander: Das hermetische Museum. Alchemie & Mystik, Köln 2002. Schade 1992. Schade, Werner: Joseph Beuys. Frühe Zeichnungen, München 1992.

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Schneede 1994. Schneede, Uwe M.: Joseph Beuys. Die Aktionen. Kommentiertes Werkverzeichnis mit fotographischen Dokumentationen, Ostfildern-Ruit 1994. Seegers 2003. Seegers, Ulli: Alchemie des Sehens. Hermetische Kunst im 20. Jahrhundert. Antonin Artaud, Yves Klein, Sigmar Polke, Köln 2003. Stachelhaus 1987. Stachelhaus, Heiner: Joseph Beuys, Düsseldorf 1987. Steiner, GA 1. Steiner, Rudolf: Goethes Naturwissenschaftliche Schriften (Orig. Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, Dornach 1926), Gesamtausgabe, Bd. 1, Freiburg i.Br. 1949. Steiner, GA 13. Steiner, Rudolf: Die Geheimwissenschaft im Umriß (Orig. Die Geheimwissenschaft im Umriß, Leipzig 1910), Gesamtausgabe, Bd. 13, Dornach 1976. Steiner, GA 227. Steiner, Rudolf: Initiations-Erkenntnis. Die geistige und physische Welt- und Menschheitsentwicklung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, vom Gesichtspunkt der Anthroposophie (Orig. Initiations-Erkenntnis: die geistige und physische Welt- und Menschheitsentwicklung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, vom Gesichtspunkt der Anthroposophie; ein Vortragszyklus gehalten vom 19.-31. August 1923 in Panmaenmawr mit einem Vorwort von Marie Steiner, Dornach 1927), Gesamtausgabe, Bd. 227, Freiburg i.Br. 1956. Stiftung Museum Schloss Moyland 2008. Stiftung Museum Schloss Moyland (Hg.): Joseph Beuys. Symposium zur Material-Ikonografie, Bedburg-Hau 2008. Stüttgen 2008. Stüttgen, Johannes: Der Ganze Riemen. Der Auftritt von Joseph Beuys als Lehrer – die Chronologie der Ereignisse an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf 1966-1972, Köln 2008. Szeemann 2008. Szeemann, Harald (Hg.): Beuysnobiscum, Hamburg 2008. Tisdall 1980. Tisdall, Caroline: Joseph Beuys. Coyote, München 1980. Vischer 1991. Vischer, Theodora: Joseph Beuys. Die Einheit des Werks, Köln 1991. Vostell 1964. Vostell, Wolf: Ich bin ein Sender, ich strahle aus. FluxusDemonstration der Galerie Block, in: Der Tagesspiegel, Berlin, 03.12.1964.

L ITERATURVERZEICHNIS

Zumdick 2001. Zumdick, Wolfgang: »Der Tod hält mich wach« Joseph Beuys – Rudolf Steiner. Grundzüge ihres Denkens, Dornach 2001.

Ausstellungskataloge (K) Basel 1969/70. Joseph Beuys: Werke aus der Sammlung Karl Ströher, Kunstmuseum Basel/Emanuel-Hoffmann-Stiftung 1969/70. Bonn, Berlin, Leipzig 1987/88. Joseph Beuys. Frühe Arbeiten aus der Sammlung van der Grinten. Mit Textbeiträgen von Klaus Gallwitz, Franz Joseph van der Grinten, Hans van der Grinten, Werner Hoffmann und Werner Schade, Ministerium für Bundesangelegenheiten, Bonn 1987, Akademie der Künste der DDR, Berlin 1988, Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig 1988 und weitere Orte. Dornach 2007. Joseph Beuys – Rudolf Steiner. Zeichnungen – Entwürfe – Skizzen, Rudolf Steiner Archiv, Dornach 2007. Düsseldorf 1981. Schwarz, Städtische Kunsthalle Düsseldorf 1981. Kleve 2007. Joseph Beuys. Die Materialien und ihre Botschaft, Stiftung Museum Schloss Moyland, Kleve 2007. New York 1979. Joseph Beuys, Solomon R. Guggenheim Museum, New York 1979. Wuppertal 1982. Fluxus. Aspekte eines Phänomens, Kunst und Museumsverein Wuppertal 1982.

Inter views, Texte des Künstlers (T) Lieberknecht 1972. Joseph Beuys. Zeichnungen 1947-1959 I. Gespräch zwischen Joseph Beuys und Hagen Lieberknecht. Geschrieben von Joseph Beuys, Köln 1972. Harlan; Rappmann; Schata 1976. Harlan, Volker; Rappmann, Rainer; Schata, Peter: Soziale Plastik. Materialien zu Joseph Beuys, Achberg 1976. Billeter 1981. Beuys in einem Interview mit Erika Billeter, in: Ausst. Kat., Mythos und Ritual in der Kunst der 70er Jahre, Kunsthalle Zürich 1981. Logos 1982. Das Gespräch. Joseph Beuys, in: Logos. Meinungen zum Zeitgeschehen, Dezember Nr. 6, Bonn 1982.

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Pickshaus 1987. Pickshaus, Moritz: Joseph Beuys – »Ich ernähre mich durch Kraftvergeudung«, unveröffentlichtes Typoskript zu einem Radiobeitrag, WDR 3, 02.03.1987, 21:00-22:00 Uhr. Baum 1989. Stella Baum: Die frühen Jahre, Gespräche mit/über Galeristen, René Block, in: Kunstforum International, Bd. 104, Nov./ Dez. 1989, S. 254-264. Kuoni 1990. »COYOTE, I LIKE AMERICA AND AMERICA LIKES ME«, in: ENERGY PLAN FOR THE WESTERN MAN. JOSEPH IN AMERICA. WRITINGS BY AND INTERVIEWS WITH THE ARTIST, COMPILED BY CARIN KUONI, New York 1990, S. 141144. Beuys, Eva 2000. Beuys, Eva (Hg.): Joseph Beuys. Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle. Texte 1941-1986, München 2000.

R OBERT M ORRIS Allgemeine Literatur (A) Abels 2004. Abels, Heinz: Einführung in die Soziologie. Band. 2: Die Individuen in ihrer Gesellschaft, Wiesbaden 2004. Beckett 2005. Beckett, Samuel: Murphy (Orig. Murphy, New York 1957), Hamburg 2005. Berger 1989. Berger, Maurice: Labyrinths. Robert Morris, Minimalism, And The 1960s, New York 1989. Blazejewski 2002. Blazejewski, Susanne: Bild und Text – Photographie in autobiographischer Literatur, Würzburg 2002. Boyars 1978. Boyars, Marion (Hg.): Silence: lectures and writings by John Cage, London 1978. Diederichsen 2008. Diederichsen, Diedrich: Eigenblutdoping, Köln 2008. Duchamp 2002. Duchamp, Marcel: La Mariée à nu par ses célibataires, méme, Paris 1934, et à l’infinitif, New York 1967, typosophes sans frontières, 3 Bände, Karlsruhe, Northend, Fontainebleau 2002. Freud 1989. Freud, Sigmund: Bildende Kunst und Literatur, hg. von Mitscherlich, Alexander u.a., Studienausgabe Bd. X, Frankfurt a.M. 1989. Jannidis 2000. Jannidis, Fotis u.a. (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft, Stuttgart 2000.

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Kirkpatrick 1986. Kirkpatrick, Gail B.: Tanztheater und bildende Kunst nach 1945. Eine Untersuchung der Gattungsvermischung am Beispiel der Kunst Robert Rauschenbergs, Jasper Johns`, Frank Stellas, Andy Warhols und Robert Morris’ unter besonderer Berücksichtigung ihrer Arbeiten für das Tanztheater Merce Cunninghams, Münster 1986. Kostelanetz 1991. Kostelanetz, Richard: John Cage. An Anthology (Orig. John Cage. An Anthology, New York 1968), New York 1991. Lebel 1959. Lebel, Robert: Marcel Duchamp, New York 1959. Levine 1969. Levine, Les: The Disposable Transient Environment, in: Mayer, Bernadette; Acconci, Vito Hannibal (Hg.): 0 TO 9, Nr. 5, 1969, S. 41-46. McLuhan 1986. McLuhan, Marshall: the Gutenberg galaxy: the making of typographic man (Orig. the Gutenberg galaxy: the making of typographic man, Toronto 1962), Toronto 1986. Mead 1973. Mead, George H.: Geist, Identität und Gesellschaft (Orig. Mind, Self and Society, Chicago 1934), Frankfurt a.M. 1973. Schwarz 1997. Schwarz, Arturo (Hg.): The complete works of Marcel Duchamp, New York 1997. Stauffer 1981. Stauffer, Serge (Hg.): Marcel Duchamp. Die Schriften, Zürich 1981.

Ausstellungskataloge (K) Berlin, Düsseldorf, Kopenhagen 1980. Robert Rauschenberg. Werke 19501980, Berlin, Düsseldorf, Kopenhagen 1980 und weitere Orte. Hamburg 1995. Begleitheft zur Ausstellung, Robert Morris. The Mind/ Body Problem, Deichtorhallen, Hamburg 1995. London 1971. Robert Morris, The Tate Gallery, London 1971. München 1991. Kunst als Grenzbeschreitung. John Cage und die Moderne, Neue Pinakothek, München 1991. New York 1994. Robert Morris. The Mind/Body Problem, Solomon R. Guggenheim Museum, New York 1994. Paris 1995. Robert Morris, Centre Georges Pompidou, Paris 1995.

Inter views, Texte des Künstlers (T) Morris 1993. Morris, Robert (Hg.): Continuous Project altered Daily: The Writings of Robert Morris, Cambridge, London 1993.

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V ITO A CCONCI Allgemeine Literatur (A) Beckett 2001. Beckett, Samuel: Molloy (Orig. Molloy, Paris 1951), Frankfurt a.M. 2001. Dahrendorf 1977. Dahrendorf, Ralf: Homo Sociologicus (Orig. Homo Sociologicus, Opladen 1958), Opladen 1977. Fricke 1996. Fricke, Christiane: ›Dies alles Herzchen wird einmal Dir gehören‹ – Die Fernsehgalerie Gerry Schum 1968-1970 und die Produktionen der Videogalerie Schum 1970-1973, Frankfurt a.M. 1996. Garfinkel 1967. Garfinkel, Harold: Studies in Ethnomethodology, New Jersey 1967. Gennep 2005. Gennep, Arnold van: Übergangsriten (Orig. Les rites de passage, Paris 1909), Frankfurt a.M., New York 2005. Goffman 2009. Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag (Orig. The Presentation of Self in Everyday Life, New York 1959), München 2009. Graevenitz 1981. Graevenitz, Antje von: ÜBERGANGSRITEN IN DER MODERNEN KUNST, in: Akt. tijdschrift, Instituut voor Kunstgeschiedenis Groningen, Jg. 5, Nr. 3, 1981, S. 59-69. Hartmann 1967. Hartmann, Heinz: Moderne amerikanische Soziologie, Stuttgart 1967. Henecka 2006. Henecka, Hans Peter: Grundkurs Soziologie, Konstanz 2006. Lewin 1969. Lewin, Kurt: Grundzüge der Topologischen Psychologie (Orig. PRINCIPLES OF TOPOLOGICAL PSYCHOLOGY, New York, London 1936), Stuttgart 1969. Linker 1994. Linker, Kate: Vito Acconci, New York 1994. Linton 1945. Linton, Ralph: The Cultural Background of Personality, New York 1945. Merton 1957. Merton, Robert K.: The Role-Set: Problems in Sociological Theory, in: THE BRITISH JOURNAL OF SOCIOLOGY, Vol. VIII, No. 1, Oxford 1957, S. 106-120. Musil 1952. Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften (Orig. Der Mann ohne Eigenschaften, Berlin 1932), Hamburg 1952. Parsons 1968. Parsons, Talcott: Sozialstruktur und Persönlichkeit (Orig. Social Structure and Personality, London, New York, 1964), Frankfurt a.M. 1968.

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Ward; Taylor; Bloomer 2002. Ward, Frazer; Taylor, Marc C.; Bloomer, Jennifer (Hg.): Vito Acconci, London 2002. Weingarten; Sack; Schenkein 1979. Weingarten, Elmar; Sack, Fritz; Schenkein, Jim (Hg.): Ethnomethodologie. Beiträge zu einer Soziologie des Alltagshandelns, Frankfurt a.M. 1979. Wittgenstein 1977. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen (Orig. Philosophical investigations, Oxford 1958), Frankfurt a.M. 1977.

Ausstellungskataloge (K) Düsseldorf 2003. Ready to shoot. Fernsehgalerie Gerry Schum/Videogalerie Schum, Kunsthalle Düsseldorf 2003. Luzern 1978. Vito Acconci, Kunstmuseum Luzern 1978. New York 1970. Information, Museum of Modern Art, New York 1970.

Inter views, Texte des Künstlers (T) Acconci 1972. Avalanche, Vito Acconci, Nr. 6, New York 1972. Acconci 1991. Acconci: Some notes on Illegality in Art, in: Art Journal, Vol. 50, No. 3, New York 1991, S. 69-74. Acconci; Basta; Ricciardi 2006. Acconci, Vito; Basta, Sarina; Ricciardi, Garrett (Hg.): Diary Of A Body, 1969-1973, Mailand 2006. Dworkin 2006. Dworkin, Craig (Hg): Language To Cover A Page. The Early Writings of Vito Acconci, Cambridge, London 2006.

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Abbildungsverzeichnis

Das Verzeichnis der Abbildungen ist alphabetisch nach Künstlernamen geordnet, innerhalb der Abschnitte chronologisch.

V ITO A CCONCI Angaben: Acconci, Vito; Basta, Sarina; Ricciardi, Garrett (Hg.): Diary Of A Body, 1969-1973, Mailand 2006. Digging Piece 1970 (August) Super-8 Film, Farbe, kein Ton, 15 Minuten, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 27/S. 149 See through 1970 (Oktober) Super-8 Film, Farbe, kein Ton, 5 Minuten, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 31/S. 159 35 Approaches 1970 (Oktober-November) Installation/Aktion, 35 Tage, Moore College of Art, Philadelphia, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 29/S. 155

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Filler 1971 (Juli) Videofilm, scharz-weiß, 30 Minuten, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 30/S. 157 Claim 1971 (10. September) Performance/Videofilm, 3 Stunden, Grand Street, New York, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 32/S. 160 Remote Control 1971 (Oktober) Videoinstallation, zwei Videofilme, jeweils 1 Stunde, Finch College, New York (mit Kathy Dillon), © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 33/S. 169 Training Ground 1971 (6.-27. November) Performance (sechs Stunden)/Installation, Protetch-Rivkin Gallery, Washington DC, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 34/S. 174 Seedbed 1972 (15.-29. Januar) Performance (zweimal wöchentlich für je acht Stunden)/ Installation, Sonnabend Gallery, New York, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 35/S. 176 Skizze zu Seedbed 1972 (15.-29. Januar) Performance (zweimal wöchentlich für je acht Stunden)/ Installation, Sonnabend Gallery, New York,

A BBILDUNGSVERZEICHNIS

© VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 36/S. 185 Transference Zone 1972 (15.-29. Januar) Performance (zweimal wöchentlich für je acht Stunden)/ Installation, Sonnabend Gallery, New York, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 37/S. 187 Air Time 1973 (April) Performance (dreimal täglich für je 90 Minuten)/Audio- und Videoinstallation, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 38/S. 191

K EITH A RNAT T TV Project Self Burial WDR 3, 11.-18.10.1969, jeweils um 20.15 Uhr und 21.15 Uhr. (Angaben: Ausst. Kat., Ready to shoot. Fernsehgalerie Gerry Schum/ Videogalerie Schum, Kunsthalle Düsseldorf 2003.) Abb. 28/S. 152

J OSEPH B EUYS Mädchenfigur mit Gefäßformen 1947 Bleistiftzeichnung auf bräunlich-grauem, dünnem Abreißpapier, 18,5 x 9,1 cm, Sammlung van der Grinten. (Angaben: Koepplin, Dieter: Joseph Beuys in Basel. Bd. 2. Zeichnungen und Holzschnitte bis 1954, München 2006), © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 11/S. 63

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Entpuppung des Schmetterlings 1950 Bleistift und Aquarell auf Papier, 21,2 x 10,7 cm, Privatbesitz. (Angaben: Ausst. Kat., Joseph Beuys, Städtisches Museum Haus Koekkoek, Kleve 1991), © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 13/S. 68 Ohne Titel (Mann im Gestein) 1951/52 Bleistift auf Schreibpapier, 17,5 x 20,4 cm, Sammlung van der Grinten. (Angaben: Ausst. Kat. Joseph Beuys. Frühe Arbeiten aus der Sammlung van der Grinten, Ministerium für Bundesangelegenheiten, Bonn 1987, Akademie der Künste der DDR, Berlin 1988, Galerie der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig 1988 und weitere Orte), © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 15/S. 74 Initiation 1953 Bleistift auf Papier, 22,9 x 38,1 cm, Sammlung van der Grinten. (Angaben: Ausst. Kat., Joseph Beuys. Eine innere Mongolei, KestnerGesellschaft, Hannover 1990), © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 14/S. 69 gummierte Kiste 1957 Kiefernholz, Gummi, Teer, 43 x 91 x 77 cm, Block Beuys, Hessisches Landesmuseum, Darmstadt. (Angaben: Schirmer, Lothar (Hg.): Joseph Beuys. Eine Werkübersicht, München, Paris, London 2001),

A BBILDUNGSVERZEICHNIS

© VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 16/S. 77 Der Chef The Chief 1. Dezember 1964 Aktion von 16-24 Uhr in der Galerie René Block, Berlin, Frobenstraße 18, Aktionsphotographie von Jürgen Müller-Schneck. (Angaben: Schneede, Uwe M.: Joseph Beuys. Die Aktionen. Kommentiertes Werkverzeichnis mit fotographischen Dokumentationen, Ostfildern-Ruit 1994), © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 18/S. 90 I like America and America likes Me 23.-25. Mai 1974 Aktion in der Galerie René Block, New York, 409 West Broadway, jeweils 10-18 Uhr, Aktionsphotographie von Caroline Tisdall. (Angaben: Schneede, Uwe M.: Joseph Beuys. Die Aktionen. Kommentiertes Werkverzeichnis mit fotographischen Dokumentationen, Ostfildern-Ruit 1994), © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 21/S. 107

S ALVADOR D ALÍ Angaben: Ausst. Kat. Salvador Dalí. Pop, Op, Yes-yes, Pompier. La gare de Perpignan, Köln 2006. Crucifixion: autoportait/ Selbstporträt am Kreuz 1933 Federzeichnung, roter Stift auf Papier, 21 x 13,5 cm, Kolumba, Diözesanmuseum Köln, © Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí/VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 5/S. 44

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Christ de Saint Jean de la Croix/ Der Christus des heiligen Johannes vom Kreuz 1951 Öl auf Leinwand, 204,8 x 115,9 cm, Glasgow City Council, © Culture and Sport Glasgow (Museums) Abb. 3/S. 43 Corpus hypercubus (Crucifixion)/ Corpus hypercubus (Kreuzigung) 1954 Öl auf Leinwand, 194,3 x 123,8 cm, The Metropolitan Museum of Art, New York, © Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí/VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 4/S. 44 La gare de Perpignan/ Der Bahnhof von Perpignan 1965 Öl auf Leinwand, 295 x 402 cm, Museum Ludwig, Köln, © Salvador Dalí, Fundació Gala-Salvador Dalí/VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 9/S. 52

R OBERT D ESCHARNES Dalí drapé, Cap Creus/ Dalí drapiert, Cap de Creus 1962 Mischtechnik, Gouache und Chinatinte auf photographischem Papier, Illustration für das Buch Dalí de Gala, 33 x 21,5 cm, Privatsammlung.

A BBILDUNGSVERZEICHNIS

(Angaben: Ausst. Kat. Salvador Dalí. Pop, Op, Yes-yes, Pompier. La gare de Perpignan, Köln 2006.) Abb. 7/S. 49

P HILIPPE H ALSMAN Dalí im Ei 1942 Photographie, Collage. (Angaben: Ausst. Kat. Salvador Dalí. Pop, Op, Yes-yes, Pompier. La gare de Perpignan, Köln 2006.) Abb. 6/S. 46

M ICHAEL M AIER Atalanta fugiens, Emblem 57 1618 Radierung auf Papier, Maße unbekannt. (Angabe: Klossowski De Rola, Stanislas: The Golden Game. Alchemical Engravings of the Seventeenth Century, London 1988.) Abb. 17/S. 89

R OBERT M ORRIS Angaben: Ausst. Kat., Robert Morris. The Mind/Body Problem, Solomon R. Guggenheim Museum, New York 1994. Box with the sound of its own making 1961 Walnussholz, Lautsprecher, Tonband, 9 ¾ x 9 ¾ x 9 ¾ Inch (24,8 x 24,8 x 24,8 cm), Seatle Art Museum, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 22/S. 120

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I-Box 1961 bemaltes Sperrholz, Metall, Photographie, 19 x 12 ¾ x 1 3/8 Inch (48,3 x 32,4 x 3,5 cm), Sammlung Leo Castelli, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 26/S. 140 Untitled (Pine Portal) 1961 Laminiertes Tannenholz, 96 x 48 x 12 Inch (243,8 x 121,9 x 30,5 cm), © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 24/S. 133 Untitled (Box for standing) 1961 Tannenholz, 74 x 25 x 10 ½ Inch (188 x 63,5 x 26,7 cm), © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 25/S. 133 Two Columns 1973 (1961) lackiertes Aluminium, zwei Objekte, je 96 x 24 x 24 Inch (243,8 x 61 x 61 cm), Teheran Museum of Contemporary Art, © VG Bild-Kunst, Bonn 2011. Abb. 23/S. 131

J OAN S EGUÍ Dalí e Gala a Port Llegat ca. 1966 Photographie, 18 x 24 cm, Privatsammlung.

A BBILDUNGSVERZEICHNIS

(Angaben: Ausst. Kat. Salvador Dalí. Pop, Op, Yes-yes, Pompier. La gare de Perpignan, Köln 2006.) Abb. 8/S. 49

R UDOLF S TEINER Wirbel Datierung unbekannt Tinte auf Papier (NZ 712), 28,8 x 22,2 cm. (Angaben: Ausst. Kat., Joseph Beuys – Rudolf Steiner. Zeichnungen – Entwürfe – Skizzen, Rudolf Steiner Archiv, Dornach 2007.) Abb. 19/S. 99 Wirbel Datierung unbekannt Tinte auf Papier (NZ 684), 28,9 x 22,6 cm. (Angaben: Ausst. Kat., Joseph Beuys – Rudolf Steiner. Zeichnungen – Entwürfe – Skizzen, Rudolf Steiner Archiv, Dornach 2007.) Abb. 20/S. 99 Mensch 1921 Bleistiftzeichnung in Notizbuch (NB 77), 10 x 15 cm. (Angaben: Ausst. Kat., Joseph Beuys – Rudolf Steiner. Zeichnungen – Entwürfe – Skizzen, Rudolf Steiner Archiv, Dornach 2007.) Abb. 12/S. 65

U NBEK ANNTE H ERKUNF T Salvador Dalí bei der International Surrealist Exhibition, London 1936 Photographie (weitere abgebildete Personen: Paul Éluard, Nusch Éluard, E.L.T. Messens [unten]; Rupert Brinton Lee).

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D IE VERBORGENE P RÄSENZ DES K ÜNSTLERS

(Angaben: Ausst. Kat., Salvador Dalí 1904-1989, Staatsgalerie Stuttgart, Kunsthaus Zürich 1989.) Abb. 1/S. 33 Salvador Dalís Auftritt bei der Pressekonferenz im Palazzo Pallavicini 1954 Photographie. (Angaben: Ausst. Kat., Salvador Dalí 1904-1989, Staatsgalerie Stuttgart, Kunsthaus Zürich 1989.) Abb. 2/S. 40 Salvador Dalí vor dem Denkmal des französischen Meridians zwischen Salses und Perpignan 1968 Photographie, 24 x 18 cm, Privatsammlung. (Angaben: Ausst. Kat. Salvador Dalí. Pop, Op, Yes-yes, Pompier. La gare de Perpignan, Köln 2006.) Abb. 10/S. 57

Image Thomas Abel, Martin Roman Deppner (Hg.) Undisziplinierte Bilder Fotografie als dialogische Struktur April 2011, ca. 280 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1491-6

Sabiene Autsch, Sara Hornäk (Hg.) Räume in der Kunst Künstlerische, kunst- und medienwissenschaftliche Entwürfe 2010, 304 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1595-1

Elize Bisanz (Hg.) Das Bild zwischen Kognition und Kreativität Interdisziplinäre Zugänge zum bildhaften Denken März 2011, ca. 370 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1365-0

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Image Jeannette Neustadt Ökonomische Ästhetik und Markenkult Reflexionen über das Phänomen Marke in der Gegenwartskunst März 2011, ca. 428 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1659-0

Christine Nippe Kunst baut Stadt Künstler und ihre Metropolenbilder in Berlin und New York Mai 2011, ca. 330 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1683-5

Susanne Regener Visuelle Gewalt Menschenbilder aus der Psychiatrie des 20. Jahrhunderts 2010, 256 Seiten, kart., 135 Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-420-1

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Image Elize Bisanz Die Überwindung des Ikonischen Kulturwissenschaftliche Perspektiven der Bildwissenschaft 2010, 184 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 21,80 €, ISBN 978-3-8376-1362-9

Lars Blunck (Hg.) Die fotografische Wirklichkeit Inszenierung – Fiktion – Narration 2010, 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1369-8

Julia Bulk Neue Orte der Utopie Zur Produktion von Möglichkeitsräumen bei zeitgenössischen Künstlergruppen März 2011, ca. 308 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1613-2

Kirsten Einfeldt Moderne Kunst in Mexiko Raum, Material und nationale Identität

Anita Moser Die Kunst der Grenzüberschreitung Postkoloniale Kritik im Spannungsfeld von Ästhetik und Politik Mai 2011, ca. 242 Seiten, kart., ca. 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1663-7

Jürgen Stöhr Auch Theorien haben ihre Schicksale Max Imdahl – Paul de Man – Beat Wyss. Eine Einfühlung in die Kunstgeschichtsschreibung der Moderne 2010, 338 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-1403-9

Lilli Weissweiler Futuristen auf Europa-Tournee Zur Vorgeschichte, Konzeption und Rezeption der Ausstellungen futuristischer Malerei (1911-1913) 2009, 288 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1205-9

2010, 462 Seiten, kart., zahlr. Abb., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1503-6

Matilda Felix Nadelstiche Sticken in der Kunst der Gegenwart 2010, 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1216-5

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