Die Toskanisierung des römischen Dialekts im 15. und 16. Jahrhundert [Reprint 2019 ed.] 9783111328492, 348452023x, 9783484520233


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VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGEN UND ZEICHEN
EINLEITUNG
AUTORITÄT DER QUELLEN
CHARAKTERISTIKA DES ALTRÖMISCHEN DIALEKTS UND DEREN WEITERENTWICKLUNG
ERGEBNISSE
ANHANG
LITERATURVERZEICHNIS
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Die Toskanisierung des römischen Dialekts im 15. und 16. Jahrhundert [Reprint 2019 ed.]
 9783111328492, 348452023x, 9783484520233

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B E I H E F T E ZUR ZEITSCHRIFT FÜR ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON GUSTAV GRÖBER FORTGEFÜHRT VON WALTHER VON WARTBURG HERAUSGEGEBEN VON KURT BALDINGER

121. Heft

GERHARD ERNST

Die Toskanisierung des römischen Dialekts im 15. und 16. Jahrhundert

MAX N I E M E Y E R V E R L A G T Ü B I N G E N 1970

Mit 8 Karten im Text

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ISBN

3 484 $2023 x

© Max Niemey er Verlag Tubingen 1970 Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany Satz und Druck von Poppe & Neumann, Graph. Betrieb, Konstanz Einband von Heinr. K o d i Tübingen

VORWORT

Die Anfänge der vorliegenden Untersuchung reichen bis in die Zeit meines Assistentenjahres an einer römischen Schule (1960/61), als ich in den Bibliotheken der Stadt Rom und des Vatikan Materialien zum altrömischen Dialekt sammelte. Die durch Schultätigkeit immer wieder unterbrochene Auswertung dieser Materialien wurde Ende 1966 abgeschlossen. Die etwas verzögerte Drucklegung bringt es mit sich, daß Arbeiten, die seit diesem Termin erschienen sind, nicht im wünschenswerten Maß oder überhaupt nicht (z.B. die italienische Ausgabe von Rohlfs' Historischer Grammatik der italienischen Sprache) berücksichtigt sind. Mein Dank gilt in erster Linie meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Heinrich Kuen, durch den ich zur Beschäftigung mit sprachwissenschaftlichen Fragen geführt wurde, der mir in Auswahl und Durchführung dieser Arbeit vollkommene Selbständigkeit gewährte, gleichzeitig aber nie seinen fachlichen und praktischen Rat versagte. Herrn Prof. Kurt Baldinger schulde ich Dank für die Aufnahme dieser Untersuchung in die Reihe der Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie, Herrn Robert Harsch-Niemeyer für die verlegerische Betreuung der Arbeit. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft habe ich für einen beträchtlichen Druckkostenzuschuß zu danken. Herr Prof. Arnulf Stefenelli hat sich freundlicherweise zum Mitlesen der Korrekturen bereit erklärt. Hierfür sei ihm besonderer Dank gesagt. Erlangen, im Dezember 1969

Gerhard Ernst

INHALTSVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGEN UND ZEICHEN

XI

EINLEITUNG

I

Rückgang des römischen Elements in anderen Lebensbereichen . . Toskanischer Einfluß im Gebrauch einer Schriftsprache und im

i

Dialekt selbst

2

Frühere Behandlungen des Problems

3

A U T O R I T Ä T DER Q U E L L E N

7

1. Allgemeine Überlegungen 2. Besprechungen der z u Grunde liegenden Quellen

7 9

CHARAKTERISTIKA

DES ALTRÖMISCHEN D I A L E K T S U N D

DEREN

WEI-

TERENTWICKLUNG

29

I. Lautlehre

31

Vokalismus 1. Umlaut von f, p 1. Umlaut von e, o 3. 0 vor n +Palatal oder Velar, vor ii und i 4. Vortoniges a vor r j. Unbetontes e vor r 6. e der Anlautsilbe 7. o der Anlautsilbe 8. e im Auslaut 9. u im Auslaut 10. i im Auslaut

31 31 J3 58 J9 60 60 61 63 63 6$

Konsonantismus 11. b, v: anlautend, intervokalisch, in Verbindung mit r, l und mit anderen Konsonanten 1 i.-nd-, -mb- (-nv-) 13 --W14.1 vor Konsonant IJ. / nach Konsonant t6.ns,rs,ls . . . 17. Anlautendem und intervokalischts i; g [e, i; di 18. rj 19. rg vor palatalen Vokalen 20. 21. ng vor palatalen Vokalen 22. gn

6j 73 74 7$ 80 82 83 85 8j 86 86 87 VII

2} -H 24. m(b)i 25 -H 16. ssi, psj. 27- 4 28. ti 19.-H-. -ni°-Pk 3 1 . Lenisierung nach Nasalkonsonanten und / 32. Stimmlose Konsonanten zwischen Vokalen 33. -fr-, -tr-, -kr34. -ndr3 j . Stimmlose Explosivlaute im Anlaut 36. Stimmhafte Explosivlaute, intervokalisch und im Wortanlaut; gu 37-"*• 38. Gemination und Degemination bzw. unterbliebene Gemination . .

«7 88 89 90 91 91 9i 94 9; 98 100 101 101 102 i°5 106

Accidenti generali 39. Epithese -ne 40. Metathese 41. Prosthese von a 42. Übergangslaute zwischen 2 Vokalen 43-Aphärese 44. Deglutination

m m 113 nj 117 119 119

II. Formenlehre

121

Nominalflexion 45. Reste der 4. Deklination 46. Reste der 5. Deklination 47. Ubergänge in andere Deklinationsklassen 48. Genuswechsel 49. Pluraltyp 'le chiave' 50. Pluralendungen des Neutrums 51. Der bestimmte Artikel $2. Possessivpronomen 53. Personalpronomen 54. Demonstrativpronomen

121 121 121 122 122 123 124 i2j 127 130 132

Verbalflexion 55. Infinitiv $6. Ubergang in andere Konjugationsklassen j7. Stammerweiterung durch analogisches -jj8. Indikativ Präsens $9. Indikativ Präsens von avere und Futur 60. Indikativ Präsens von essere 61. Analogien im Indikativ Präsens 61. Konjunktiv Präsens 63. Indikativ Imperfekt 64. Konjunktiv Imperfekt 65. Konditional 66. Passato remoto 67. Passato remoto von avere

133 133 134 134 13J 137 141 143 146 148 149 151 i$3 158

VIII

6 8 . P a s s a t o remoto v o n essere 69. P a r t i z i p P e r f e k t 70. dare, stare 7 1 . Gleichklang v o n 3. Pers. Sg. und 3. Pers. PI

IJ8 i$9 160 162

F o r m e n d i f f e r e n z i e r u n g v o n Indeklinabilia

164

72. Z a h l w ö r t e r 73. Konjunktionen 74. A d v e r b i e n

164 165 iöj

ERGEBNISSE

167

ANHANG

181

I. T e x t p r o b e n

181

1. 2 anonyme Gedichte v o n 1522 2. A n o n y m e s Gedicht des frühen 16. Jhs 3. D i a r i o di C o l a Colleine di Trastevere (Cod. O t t o b . 2603)

181 182 183

II. K a r t e n

185

LITERATURVERZEICHNIS

19J

1.Bibliographien

195

2. A l t r ö m i s c h e T e x t e ( - 1 5 8 5 )

19J

3. S o n s t i g e L i t e r a t u r

197

IX

A B K Ü R Z U N G E N UND Z E I C H E N i . Abkürzungen von Zeitschriften und Reihenwerken ADepRStP AGI AR ASNS ASRStP DDJB DRL GSLI ID LN RAcLinc RF RLiR RRIISS SFI SLI StR StGI VR ZRP

Archivio della Deputazione Romana di Storia Patria Archivio glottologico italiano Archivum Romanicum Archiv für das Studium der neueren Sprachen Archivio della Reale Società Romana di Storia Patria Deutsches Dantejahrbuch Dialetti di Roma e del Lazio (Studi e documenti pubblicati in memoria di Ernesto Monaci) Giornale storico della letteratura italiana Italia Dialettale Lingua Nostra Reale Accademia dei Lincei, Classe di scienze morali, storiche e filologiche Romanische Forschungen Revue de linguistique romane Rerum Italicarum Scriptores, Neue Ausgabe Studi di filologia italiana Studi linguistici italiani Studi Romanzi Studi glottologici italiani Vox Romanica Zeitschrift für Romanischc Philologie

2. Phonetische Transkription Für die phonetische Transkription schließe ich mich den von Rohlfs in seiner Historischen Grammatik befolgten Normen an: Belege aus alten Texten gebe ich unverändert wieder; die sonst gegebenen Formen sind, wenn nicht ausdrücklich anders vermerkt, nach den Regeln der italienischen Schriftsprache zu lesen. Die Transkription von Belegen aus neueren Dialektuntersuchungen wurde gelegentlich etwas vereinfacht, sonst aber beibehalten, soweit sich daraus keine Unklarheiten ergeben konnten. Außer den von Rohlfs verwendeten Zeichen 1 haben sich als notwendig erwiesen: z «» Anlautkonsonant in frz. jour p, t, k = lenisiertes p, t, k bzw. desonorisiertes b, d, g.

» Vgl. Rohlfs, Bd. I, S. 36 f.

XI

3. Sonstige Abkürzungen und Zeichen abr. (a)flor. (a)it. (a)neap. (a)tosk. (a)röm.

abruzzesisch (alt) floren tinisch (alt)italienisch (alt)neapolitanisch (alt)toskanisch (alt)römisch, etc.

Psth. stl. s. v. vi.

passim stimmhaft stimmlos sub voce vulgärlateinisch

Weitere Abkürzungen sind wohl allgemein verständlich und bedürfen keiner Erklärung. > wird zu; wird ersetzt durch < kommt von; tritt an die Stelle von — i s t Ausgangspunkt der Analogie (außer in § $ 8: dort gibt dieses Zeichen den Wechsel der Konjugationsklasse an) •*— gebildet in Analogie zu [ ] eigene Ergänzungen in Zitaten (_ ) zu ergänzen (in Handschriften) § dieses Zeichen verweist auf die Abschnitte des Hauptteils der vorliegenden Arbeit

XII

EINLEITUNG

»La storia del romanesco è la storia del suo disfacimento, dovuto all'azione esercitata per secoli su di esso dal toscano che gli si sovrappose« 1 . Natürlich tritt auch in Genua, Venedig oder Neapel die Schriftsprache mit dem Dialekt in Konkurrenz und kann diesen beeinflussen; aber nirgends war - sieht man einmal von den unmittelbar an die Toskana grenzenden Gebieten ab die Toskanisierung des Dialekts so stark wie gerade in Rom, »e questo perché Roma più che centro regionale, è, per servirci dell'espressione del Gioberti, uno dei due fuochi dell'elisse italiana« 2 . Der toskanische Druck macht sich schon in den frühesten Texten bemerkbar. Man vergleiche hierzu das Urteil Monacis: non è »da disconoscere l'azione potente che dovette esercitare nel sec. X I I I la forte espansione dei toscani per quasi tutte le Provincie d'Italia, non esclusa la romana. E che in Roma nel tredicesimo secolo si scrivesse anche in volgare più o meno aulico o letterario, basterebbero oggi a provarlo le rime dell'Abate di Tivoli e di Odo Colonna e il Libro degli introiti ed esiti di papa Niccolò III« 3 . Noch stärker zeigt sich jedoch der Einfluß des Toskanischen bzw. der Schriftsprache in der Geschichte des römischen Dialekts im i j . und 16. Jh.; es soll hier nicht näher auf die sozialen, politischen und kulturgeschichtlichen Hintergründe eingegangen werden, die diese Entwicklung begünstigt haben: es ist bekannt, daß im 15. und 16. Jh. die Stadt Rom jeweils von den regierenden Päpsten ihr Gepräge erhielt und durch die aufeinanderfolgenden Wellen von Spaniern, Genuese™, Florentinern einen kosmopolitischen Charakter annahm, wobei aber schließlich das gemeinitalienische Element, das seinen sprachlichen Ausdruck in der toskanischen Schriftsprache fand, die Oberhand behielt. Der Invasion fremden Kulturgutes hatte die Stadt Rom im 15. Jh. nichts Eigenes entgegenzusetzen: »nulla urbis facies, nullum urbanitatis indicium in ea videbatur«4 schreibt Piatina in seiner Vita di Martino V von 1420. Drastischer ' B r u n o Migliorini: Dialetto e lingua nazionale a Roma, in: Lingua e Cultura, Rom 1948, S. 1 1 3 . Dieser Aufsatz ist zum ersten Mal erschienen in Capitolium, Juli 1932. 2 ib. S. 1 1 4 . 3 Storie de Troja et de Roma, Rom 1920, S. L X f . ; allerdings ist hier die Problemstellung etwas verschoben: die angeführten Texte zeigen, daß man sich in Rom auch der nationalen Dichtersprache bedienen konnte. Vom Einfluß der Schriftsprache auf den Dialekt selbst kann hier eigentlich nicht die Rede sein. Das Libro degli i n t r o i t i . . . wurde wohl überhaupt von einem Florentiner geschrieben. 4 Zitiert nach Anton Giulio Bragaglia: Storia del Teatro Popolare Romano, Rom

1958,5.31.

I

äußert sich Alberto degli Alberti in einem Brief von 1443: »Gli uomini che al presente si chiamano Romani, breviter loquendo, tutti pajono vaccari« 5 . Zur qualitativen Unterlegenheit der damaligen stadtrömischen Kultur trat allmählich die quantitative der einheimisch-römischen Bevölkerung. Es scheint nicht übertrieben zu sein, wenn ein Römer, Marcello Alberini, ca. i j 4 7 schreibt: »Chiara cosa è, che la minor parte in questo popolo sono i Romani, perché quivi hanno rifugio le nationi, come a comune domicilio del mondo« 6 . Seine Worte werden bestätigt durch historische Forschungen der neuesten Zeit: Jean Delumeau hat aufgrund der kurz vor dem Sacco von 1527 unter Clemens V I I . durchgeführten Volkszählung für 3495 von 52147 christlichen Einwohnern folgendes festgestellt 7 : 16,40 % waren aus Rom und dem übrigen Latium 63,60 % aus dem übrigen Italien 20 % aus dem Ausland 8 . Für die >KünstlerFamilien< wie der des Papstes und nichtrömischer Kardinäle dürfte aber der Anteil an Nichtrömern besonders groß gewesen sein. Delumeau, Bd. I, S. 198 f. Delumeau, Bd. I, S. 190 f. ib. S . 1 9 6 . In französischer Ubersetzung zitiert bei Delumeau, Bd. I, S. 211.

2

Natürlich ist der Einfluß des Toskanischen schon in frühesten Schriftzeugnissen aus Rom festzustellen; er bewegt sich jedoch im Rahmen des Üblichen, ist in Anbetracht der jeweiligen besonderen Umstände nicht größer als in vergleichbaren Texten aus anderen Gegenden. Erst mit dem Ende des 1 5 . Jhs. erleben wir unter der Wirkung der oben kurz skizzierten Situation den Zusammenbruch des römischen Dialekts in den auf uns gekommenen Texten. Bezeichnend ist, daß die ersten Beispiele reflektierter Dialektliteratur im römischen Bereich aus den Jahren um 1520 stammen: der Dialekt - oder auch die dialektale Skripta - wurde zu dieser Zeit nicht mehr als einem geschriebenen Text gemäßes >naives< Ausdrucksmittel empfunden, eine gemeinitalienische, nach dem Vorbild des Toskanisch-Florentinischen ausgerichtete Schriftsprache hatte sich durchgesetzt, und der Dialekt wurde so frei als künstlerisch-reflektiertes Stilmittel. Dies war die erste Einbuße, die der altrömische Dialekt hinzunehmen hatte: sein Verschwinden aus dem schriftlichen Gebrauch. Dieses Schicksal teilt er mit den anderen nicht-toskanischen Dialekten. Nun kommt aber für Rom etwas Besonderes hinzu, was wir in diesem Ausmaß in den anderen Dialekten Italiens nicht antreffen: unter dem besonders starken Einfluß der Schriftsprache und der gemischten Bevölkerung gingen auch im gesprochenen Dialekt viele alte Charakteristika verloren, so daß das Romanesco, das früher eher nach S-Italien gravitierte, heute zu den mittelitalienischen Dialekten gerechnet werden muß. Über diese Tatsache hätte man keine Worte zu verlieren: sie ist ganz evident, wenn man etwa eine Seite der Vita di Cola di Rienzo mit einem Sonett von Belli oder mit dem heutigen Romanesco vergleicht. Hinweise hierauf finden sich in den einschlägigen historischen Grammatiken, es handelt sich um eine Tatsache, die allgemein als bekannt vorausgesetzt wird. U m s o erstaunlicher w a r es f ü r mich, daß bis jetzt offensichtlich niemand sich damit beschäftigt hat, wie sich die Toskanisierung auf die einzelnen Charakteristika in geschriebenen Texten und im gesprochenen Dialekt auswirkte. Clemento Merlo hat sich zwar mit dem Romanesco in dpuro< e ipoteticamente scevro di toscanismo, è grave errore metodico: lo studio concretamente storico di una sovrapposizione non deve solo considerare lo strato sottoposto, ma anche quello sovrapposto« 19 . Ansätze zu einer Betrachtung des altrömischen Dialekts finden sich in einigen Ausgaben von Texten, denen ein >Prospetto dei dialettismi beigegeben ist; dieser beschäftigt sich jedoch naturgemäß vorwiegend mit diesem einen Text, wobei die anderen altrömischen Texte nur dazu dienen, den vorliegenden Text in den allgemeinen Zusammenhang einzuordnen20. Diese Zusammenstellungen können also auch keinen planmäßigen Aufschluß über die Toskanisierung des Dialekts im besprochenen Zeitraum geben; das schließt natürlich nicht aus, daß sie mir bei meiner Arbeit von großem Nutzen waren.

Migliorini, Dialetto e lingua nazionale, S. 1 1 3 . z. B. SFrR, Monaci Laude; ähnlich Tb vom Dialekt Bellis mach rückwärts gehend.

J

AUTORITÄT DER

QUELLEN

i . Allgemeine Überlegungen Beim Studium der Quellen, die uns für die Frühzeit des römischen Dialekts zur Verfügung stehen, ist auffallend, daß kaum ein T e x t uns ein sicheres Bild des römischen Dialekts gibt: es ist beinahe die Regel, daß die ältesten erhaltenen Handschriften jeweils ungefähr ein Jahrhundert jünger sind als die - nicht mehr vorhandenen - Autographe. Können w i r so tun, als ob ioo Jahre Handschriftengeschichte, wobei toskanische und toskanisierende Schreiber o f t eine wesentliche Rolle spielten, spurlos an einem Text vorübergingen? Ich finde bei Merlo keinen Hinweis hierauf und halte deshalb die Frage nach der Autorität der Quellen für nicht unnötig. Zunächst werde ich diese Frage allgemein stellen, dann mit Bezug auf die Quellen, die die Grundlage dieser Arbeit bilden. 1. An erster Stelle steht bei jeder Arbeit, die sich mit Dialekten beschäftigt, das Tonband mit direkter Aufnahme. Es ist jeder anderen Quelle überlegen, jedoch naturgemäß nicht auf die Vergangenheit anwendbar. Die folgende Reihenfolge gruppiert die verschiedenen Arten von Quellen in etwa nach dem G r a d ihrer Glaubwürdigkeit, wobei man sich jedoch bewußt bleiben muß, daß, infolge der Verschiedenheit der auftretenden Störungen, unter Umständen eine später angeführte Kategorie dort glaubwürdig sein kann, w o eine vorhergehende es nicht ist. 2. Phonogramme, d. h. Dialektaufnahmcn mit sprachwissenschaftlicher A b sicht. Die Fehlermöglichkeiten sind bekannt: Befangensein des Subjekts, Fehler beim Hören und Ubertragen, notwendige Ungenauigkeit eines jeden phonetischen Transkriptionssystems. 3. Dialektwörterbücher und ähnliche Sammlungen. 4. Bemerkungen von Zeitgenossen über den Dialekt, ohne verfeinertes Transkriptionssystem. Hier kommt zum Fehlen des Translkriptionssystems noch das Fehlen ausgebildeter linguistischer Methoden; sie sind jedoch nicht zu verachten, da o f t die Laute - mangels eines Zeichens — beschrieben werden. Gelegentlich können wir hier auch Angaben nicht nu r über die geographische und zeitliche, sondern auch über die soziale Verbreitung einer Erscheinung finden. Derartige Bemerkungen haben wir z . B . b>ei lateinischen Grammatikern und bei den Humanisten. 5. Reflektierte Dialektliteratur a) von Einheimischen: Hier ist es möglich, daß der A u t o r den Dialekt zu

7

sehr stilisiert. Annäherungen an die Schriftsprache sind dabei wahrscheinlicher als Übertreibungen 1 . D a z u kommt - wie f ü r alle folgenden Punkte das Fehlen jeglicher Angabe zur Aussprache: die Nuancen, die nicht durch die gebräuchlichen Zeichen des Alphabets ausgedrückt werden können, sind f ü r uns meist verloren. b) von Nicht-Einheimischen: Hier haben wir es o f t auf der einen Seite zu tun mit einer gewissen Stilisierung, dem Herausgreifen von 3, 4 charakteristischen Eigenheiten unter Verzicht auf die übrigen, andererseits mit Ubertreibung, sei es aus Unkenntnis oder um des komischen Effektes willen 2 . 6. Unreflektierte Dialektliteratur: Sie ist nur möglich, solange das naive Schreiben im Dialekt noch nicht den Makel des Lächerlichen, des Kindlichen, des Ungebildeten hat, d. h. solange es keine allgemein anerkannte, verbindliche Schriftsprache gab. Trotzdem ist damit zu rechnen, daß es im schriftlichen Sprachgebrauch eines Ortes in einem bestimmten Zeitabschnitt gewisse Konventionen gab, die vom mündlichen Sprachgebrauch abwichen. a) A m einfachsten sind die Verhältnisse, wenn wir es mit Autographen zu tun haben. Für eine Ubergangszeit, in der sich die Schriftsprache allmählich durchsetzt, können wir eine weitere Differenzierung vornehmen: aa) Schriftstücke, die nicht f ü r ein weiteres Publikum bestimmt waren, wie z. B. private Notizen, aber auch Aufzeichnungen f ü r den internen Gebrauch in Klöstern, wie Verzeichnisse von Anniversari, etc. ab) Werke mit literarischem Anspruch. Während man in Texten der Gruppe aa) innerhalb einer gewissen Übergangszeit noch unbesorgt den Dialekt in Schriftstücken anwenden konnte, ist sein Gebrauch doch wesentlich eingeschränkt, wenn ein Werk sich an ein breiteres Publikum wendet. b) Wenn das Autograph verlorengegangen ist, das Werk uns aber in zahlreichen Abschriften überliefert ist, dann ist o f t nur schwer auszumachen, wie groß in sprachlicher Hinsicht, ja sogar beim Inhalt, der Anteil des Autors ist. Die meisten Kopisten haben eine Tendenz, das vorliegende Werk von Dialekteigenheiten zu reinigen und der Schriftsprache anzunähern. Wir treffen also bei unserem Bemühen, die sprachlichen Verhältnisse des Originals zu rekonstruieren, auf eine Schwierigkeit, der mit den normalen Mitteln der Textkritik nur in seltenen Fällen beizukommen ist. Außerdem wird man skeptisch, wenn man selbst dort, w o bei der Publikation nur das Original oder wenigstens nur eine einzige Handschrift im genauen Wortlaut abgeschrieben werden mußte, beim Vergleich mit der zugrundeliegenden Handschrift eine ganze Reihe von Ungenauigkeiten, ja sogar sinnentstellenden Fehlern findet, die diese Publikation f ü r eine linguistische Untersuchung unbrauchbar machen. Deshalb werden bei dieser Untersuchung so bekannte 1 1

Vgl. z. B. Trilussa im modernen römischen Dialekt. Vgl. z.B. G.Boccaccio: Lettera a Fr. de Bardi, in: Altamura: Testi napoletani dei secoli X I I I e X I V , Neapel 1949.

8

Texte wie das Memoriale von Paolo di Benedetto dello Mastro oder das Tagebuch von Stefano Infessura nur selten auftauchen, jedenfalls nie als allein beweisende Texte. Gerade ihre weite Verbreitung in zahlreichen Handschriften mindert ihre Zuverlässigkeit in linguistischer Hinsicht. 7. öffentliche Bekanntmachungen haben eine formelhafte Sprache, in der Elemente des gesprochenen Dialekts sich oft nur spurenweise finden. Sie bieten andererseits manchmal den Vorteil, daß hier sprachliches Material vorliegt, das über Jahrhunderte hinweg dieselbe Stilhöhe und dasselbe Verhältnis zur gesprochenen Sprache beibehält, so daß sich über die Entwicklung dieser Kanzleisprache verhältnismäßig eindeutige Aussagen machen lassen. 2. Besprechung der zugrundeliegenden Quellen Ich lege hier das Einteilungsprinzip des vorhergehenden Abschnitts zugrunde. 1. Eigene Dialektaufnahmen wurden für diese Arbeit nicht gemacht. 2. Phonetische Übertragungen des Dialekts von Rom und der näheren Umgebung: vgl. die Angaben des allgemeinen Literaturverzeichnisses unter AIS, Battisti, Panconcelli-Calzia, Papanti, Zuccagni-Orlandini. Selbstverständlich haben wir hier nur Zeugnisse des modernen Dialekts; dies gilt auch für den folgenden Abschnitt. 3. Dialektwörterbücher, Gesamtdarstellungen des römischen Dialekts: vgl. die Angaben des allgemeinen Literaturverzeichnisses unter Belloni/NilssonEhle, Chiappini, De Gregorio, Morino, Senes, Teilenbach. Einzeluntersuchungen sollen jeweils an der betreffenden Stelle angegeben werden. 4. Einziges Beispiel für linguistische Betrachtungen eines Zeitgenossen sind wenn wir einmal von Dantes Vorwürfen gegen den röm. Dialekt als »ytalorum vulgarium omnium . . . turpissimum« (De v. el. I, X I , 2) absehen - die vermischten Bemerkungen von Angelo Colocci im Vat. lat. 4817. In diesem Humanisten-Zibaldone finden sich neben Gedanken zur provenzalischen und frühitalienischen Lyrik, Entwürfen zu einem provenzalischen Wörterbuch und eigenen Gedichtentwürfen gelegentlich Bemerkungen über dialektale Verschiedenheiten innerhalb Italiens8. Theoretisch würde ich solchen Bemerkungen große Autorität zubilligen; leider fließt diese Quelle jedoch nicht besonders reichlich, und unter dem Sammelsurium von anderem Material sind die Bemerkungen zu den ital. Dialekten recht spärlich, zudem bringen sie meist Dinge, die wenig aufschlußreich sind. j. a) Die frühesten Zeugnisse reflektierter Dialektliteratur sind die beiden von Cesareo veröffentlichten Sonette von 1522, eines davon ein sonetto cau5

Die Bemerkungen, die den röm. Dialekt betreffen, sind fast vollständig zusammengefaßt bei Ugolini, Contributo allo studio dell'antico romanesco, A R 1 6 , 1 9 3 2 , S. 42, Anm. 3.

9

dato, enthalten in Cesáreos Rezension zu Beuvet: Le peuple de R o m e . . . (s. Literaturverzeichnis unter Cesáreo), sowie das von Tito Morino publizierte 20-zeilige Gedicht aus dem gleichen Zeitraum (s. im Literaturverzeichnis unter Morino). Hier beginnt aber bereits die Crux der mir vorliegenden Ausgaben: in Rom hatte ich Gelegenheit, den Ottobon. 2 8 1 7 zu sehen, der die beiden von Cesáreo publizierten Sonette enthält. Aufgrund des Vergleichs mit dem Manuskript sind an dem von Cesáreo gegebenen Text folgende Änderungen vorzunehmen: I / 3 : onnun ha capo de viento (statt: nun ha . . .(!)) 4 I I / 5 : Per fi a tre höre I I / 8 : N'averaco lo malanno I I / 1 0 : E remetter 'n liberta te I I / 1 2 : mantorno Durch die Verbesserung von I / 3 wird hier überhaupt erst ein Sinn hergestellt, und es ist verwunderlich, daß dieses Sonett zwar öfters als Beispiel des älteren röm. Dialekts zitiert wird (Morino, Ugolini, Bertoni), aber niemand sich über diese Zeile gewundert hat. Entstehungsort ist Rom, denn es werden lokalrömische Verhältnisse und Vorgänge mit genauer Kenntnis geschildert. Ich bin auch geneigt, den anonymen Autor dieser ersten Zeugnisse reflektierter Dialektliteratur aus Rom für einen Römer zu halten; der Verfasser ist vermutlich im Kreis der Autoren der Pasquinaten zu suchen, wie ja auch der Kodex hauptsächlich derartige Gedichte enthält. Hinsichtlich Entstehungszeit und -ort sowie Verfasser ist dasselbe zu sagen von dem Gedicht, das Tito Morino veröffentlicht hat. Der Zusammenhang mit den ersten beiden Sonetten ergibt sich aus der Dialogform, der Gestalt der madonna Jacovella, einer biederen römischen Hausfrau, aus Thematik, der gleichen Gefühlslage sowie aus der Verwendung des Dialekts 5 . Das zeitlich nächste Beispiel von reflektierter Dialektliteratur aus dem römischen Bereich sind die Partien der Perna aus den »Stravaganze d'Amore«, die von Merlo für die Sprachwissenschaft entdeckt wurden 6 . Sie be4

D a s Gedicht beginnt also folgendermaßen:

Lo puopolo de Roma é raunato Ne la Minerva e socho forza ciento Gruossi Rienzi: onnun ha capo de viento, E buoco pur porta la spada allato. 5

Ein Vergleich der Ausgabe mit dem zugrundeliegenden Manuskript w a r hier leider nicht möglich: nach erfolgter Umnumerierung trägt der von Morino als C o d . Lancisiano L X X I V , 2 angegebene K o d e x jetzt die Bezeichnung Lanc. 2 5 - 2 7 (3 Bde.). E r enthält, jeweils von M . A . Severini: Juvenilia Carmina - Sopra i sonetti di M r della C a s a - Dello stil riformato. T r o t z eingehender Untersuchung konnte ich jedoch das von Morino publizierte Gedicht nicht darin entdecken. H i e r liegt also die Ausgabe v o n Morino zugrunde.

6

s. 2. Teil des zitierten Aufsatzes von Merlo.

10

zeichnen in gewisser Hinsicht das Ende des alten römischen Dialekts. Nach I J 8 5 , dem Entstehungsjahr dieses Theaterstücks, haben wir nämlich kein Zeugnis einer originalgetreuen römischen Dialektdichtung. Um als authentische Zeugnisse des gesprochenen römischen Dialekts angesehen werden zu können, sind die Dialektepen und -komödien des ' 6 0 0 und ' 7 0 0 , die Werke von Peresio, Berneri, Micheli, viel zu stilisiert: »Ii Peresio, il Berneri e il Micheli ci offrirono un dialetto addirittura convenzionale, costretto, vincolato in una forma arcadica, in uno stile cortigiano totalmente opposto all'indole del nostro vernacolo« 7 . Wenn in dieser Bemerkung von Ettore Veo im Zusammenhang des Aufsatzes auch der Hauptakzent auf dem Unterschied der Inspiration und des Stiles liegt, so gilt Ähnliches doch auch für die sprachliche Seite von Peresios »Jacaccio« 8 , Berneris »Meo Patacca« 9 und Michelis »Libbertà Romana«. Das Verdienst, den Dialekt, so wie er von den >romani de Roma« gesprochen wurde, neuerdings in die Literatur eingeführt zu haben, gebührt Giuseppe Gioachino Belli, dessen Sprache ich anhand der im Literaturverzeichnis zitierten Arbeit von Tellenbach - öfters zum Vergleich mit dem alten Romanesco heranziehen werde. Seine Sonette sind die ersten authentischen Zeugnisse des Dialekts, wie er sich seit 1585 verändert hat. Infolge des Fehlens von Zwischenstufen ist auch die vorliegende Arbeit auf dieses Jahr als zeitliche Begrenzung für den älteren römischen Dialekt angewiesen. Auf Belli folgt die Flut der römischen Dialektdichter, die alle auf ihm aufbauen, vor allem natürlich Pascarella und Trilussa. b) Während sich heute der römische Dialekt großer Beliebtheit im Film und in der erzählenden Literatur erfreut (Pasolini, Gadda!) 1 0 , wurde er früher von Nichtrömern nur selten angewandt: von Burchiello sind 2 sonetti caudati in römischem Dialekt erhalten 11 . Aber von ihm gilt dasselbe, was gesagt wurde anläßlich eines kurzen Gedichtes in Romanesco von Gianfrancesco Ferrari (in dessen »Rime«, Venezia 1570): »Ma non essendo romano di nascita, cade in qualche inesattezza e lo riduce in parte a una caricatura« 12 . Die Commedia dell'Arte, die auch römische Masken kannte, gibt nichts her, da ja der Dialog nicht aufgezeichnet wurde 1 3 . Wenn einmal ein Stück eines 7

Ettore V e o : I Poeti Romaneschi, R o m 1 9 2 7 , S . 1 j . G i o v a n n i C . Peresio: II Jacaccio o v v e r o il palio conquistato, a c. di Francesco A . U g o l i n i , R o m 1 9 3 9 ( 1 . Ausg. Ferrara 1 6 8 8 ) . ' G i u s e p p e Berneri: Il M e o Patacca o v v e r o R o m a in feste, R o m 1 8 2 J ( i . A u s g . 8

Rom 1 6 9 s ) . 10

Z u r Ausbreitung des röm. Dialekts in der Literatur und im Film seit dem 2. W e l t krieg vgl. B. E . V i d o s , Handbuch der romanischen Sprachwissenschaft, München 1 9 6 8 , S . 3 7 4 und die dort angegebene Literatur.

11

Sonetti del Burchiello, del Bellincioni e d'altri poeti fiorentini alla Burchiellesca, London 1 7 J 7 , S. 1 4 7 und S. 1 5 2 . 12 Franca A g e n o : U n saggio di romanesco del ' j o o , in: L N X I X , 1 9 5 8 , S. 3 3 ff. " V g l . A n t o n Giulio Bragaglia: Storia del T e a t r o Popolare Romano, R o m 1 9 5 8 , 9-30.

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auswärtigen Autors in Rom aufgeführt werden sollte, so tat der betreffende Autor gut daran, dem campanilismo seines Publikums zu schmeicheln und wenigstens i oder 2 Römer in die Handlung seines Stückes einzubauen.. Daß Goldoni einmal so verfahren ist, berichtet uns E. Veo 14 . Es handelt sich dabei um eine Aufführung der Komödie »II Cavalier di Spirito o sia La donna di testa debole« im Karneval des Jahres 1 7 7 1 im Theater Capranica. Die von Veo auszugsweise wiedergegebenen Abschnitte im römischen Dialekt zeigen deutlich die Schwächen dieser Kategorie: sie enthalten einige Male i in vortoniger Stellung, ständig Beibehaltung von l vor Konsonant, Charakteristika, von denen wir mit Sicherheit sagen können, daß sie nicht dem römischen Dialekt der damaligen Zeit entsprochen haben können. Unter diesen Umständen sollte man keine voreiligen Schlüsse aus solchen Texten ziehen. Der Vollständigkeit halber seien aufgeführt die Spuren, die der römische Dialekt in Tassonis komischem Epos »La Secchia Rapita« hinterlassen hat. Es handelt sich um die Oktaven 42 und 74 des 10. Gesanges. Vittorio Clemente, der bereits früher den Gegensatz von stilisiertem Literaturdialekt und gesprochenem Volksdialekt herausgearbeitet hatte 15 , weist die erste dieser beiden Oktaven dem romanesco parlato, den 2. Teil der zweiten Oktave dem dialetto letterario zu 16 . In dem uns hier vor allem interessierenden Zeitraum scheint der römische Dialekt jedenfalls kaum jemals von nichtrömischen Autoren angewandt worden zu sein. 6. Die Mehrzahl der dialektalen oder dialektal gefärbten Texte aus der Zeit des älteren römischen Dialekts, d.h. noch bis in das '500 hinein, fällt unter den Begriff der unreflektierten, >naiven< Dialektliteratur. Das heißt nun nicht unbedingt immer, der Autor habe genauso gesprochen, wie er schrieb: es handelt sich gewöhnlich um die Stilisierung eines gesprochenen Dialekts zur Schriftsprache, die in Rom eben zunächst eine römische Schriftsprache war. Das Beiwort >naiv< besagt hier, daß mit der Verwendung der r ö m i s c h e n Schriftsprache weder eine polemisch gegen das Toskanische gerichtete noch eine künstlerische Absicht — wie in der reflektierten Dialektliteratur - verbunden war. Wie das Toskanische hier eindringt, das zu erkennen und von der Entwicklung des gesprochenen Dialekts abzutrennen, wird mit eine unserer wichtigsten Aufgaben sein. a) Autographe 17 : R i c . : Marco Vattasso hat aus dem Cod. Reg. 352 einige Fragmente von Rappresentazioni sacre veröffentlicht, die starken römischen Einfluß in 14

E. Veo: »Personaggi romaneschi aggiunti ad una commedia del Goldoni«, in: Atti del I V 0 Congresso nazionale di Studi Romani, Bd. I V , S. 305-309. 15 Vittorio Clemente: Lungo cammino del romanesco, in: Orazio, Dez. 1949, S. 6. 18 id.: Il romanesco nella »Secchia Rapita«, in: Orazio, Apr. 1950, S. 39. 17 Für die bibliographischen Angaben und die Abkürzungen vgl. jeweils das Literaturverzeichnis.

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der Sprache zeigen 18 . Einer genauen Beschreibung des Kodex mit Inhaltsangaben und Notizen über den Schreiber 19 entnahm ich den Hinweis auf ein »Ricettario in romanesco«, das ich in meine Untersuchung einbezog 20 . Das Ricettario muß wie die anderen Stücke des gleichen Kodex im Zeitraum von 1434 bis 1449 geschrieben worden sein. Die Autorschaft des Schreibers Stefano Baro(n)cello aufgrund einer mündlichen Tradition scheint mir wahrscheinlicher gegenüber der Annahme, es habe hierfür eine schriftliche Vorlage gegeben 21 . Im Gegensatz zu den großen Rezeptbüchern jener Zeit, die von Medizinern geschrieben, f ü r Mediziner bestimmt waren 2 2 , handelt es sich hier um ganz einfache, volkstümliche Rezepte, die seltene Drogen und komplizierte Herstellungsverfahren vermeiden und durch mündliche Überlieferung verbreitet werden 23 . Ebensowenig wie der Inhalt zeigt die Sprache gelehrten Einfluß, so daß dieses Ricettario eine wichtige Grundlage f ü r meine Arbeit bildet. C a f f . : Coletti hat hiervon nur einen Teil übertragen. Von den 3 Tagebüchern, die er erwähnt, war nur eines auffindbar. Die Suche nach den beiden anderen Bänden 24 blieb ergebnislos. Folgende Überlegung tröstet mich aber darüber hinweg: die Tagebücher sind teils in Latein, teils in Volgare abgefaßt; alle von Coletti übertragenen Stellen in Volgare entstammen dem vorhandenen Band, während andererseits aus diesem Band keine Stelle in Volgare ausgelassen wurde; es ist also zu vermuten, daß die beiden anderen Bände in Latein geschrieben waren. Der erhaltene Band trägt im Archivio Storico Comunale di Roma (Archivio Urbano) die Nummer sez. I, tomo 246. Die fortlaufend aufgeschriebenen Notizen dieses Bandes erstrecken sich über die Zeit von 1 4 4 8 - 1 4 5 5 . Die Ausgabe ist im allgemeinen verläßlich 25 . 18

Marco Vattasso: Per la storia del dramma sacro in Italia, Rom 1903; ediz. anastatica 1959. 19 a. a. O., 9-17. 80 Vattasso hatte eine Arbeit über dieses Ricettario angekündigt (S. 11), die offensichtlich nie erschienen ist. Vgl. jetzt G.Ernst: Un ricettario di medicina popolare in romanesco del Quattrocento, in: SLI 6, 1966, 138—175. 21 Vgl. in SLI 6, 1966, S. 140 f.; dasselbe würde auch gelten für die »note in dialetto romanesco sulla storia romana, parte in versi endecasillabi e parte in prosa,... brevi appunti, dovuti probabilmente allo stesso amanuense« (Vattasso, Per la storia . . . , S. 11). 22 So z. B. jenes berühmte Receptario composto dal famosissimo Chollegio degli eximii Doctori delle Arti et medicina dell'inclita Ciptà di Fiorenze addì X X I Gennaio 1490 ad instantia delli signori Chonsoli (zitiert nach Benedicenti, Alberico: Malati, medici e farmacisti, Mailand 2 i947). 25 1 I6T: »Una ceciliana ne arecavo in Roma«. 24 Ich wurde dabei in liebenswürdiger Weise von Dott. Scalia vom Archivio Storico Comunale unterstützt. 25 Jedoch heißt es auf dem vor 15t eingelegten Zettel nicht mercatello, sondern mercatiello; was bei Coletti als quando erscheint, ist im Text qn.

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Der Verfasser w a r zwar adelig und Kanonikus an S. Giovanni in Laterano und Santo Eustachio, vielleicht auch am päpstlichen H o f . Wie aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, war er jedoch mit den einfachen Dingen und Leuten in engster Beziehung. Die verzeichneten Ereignisse sind rein privater Natur: Schuldscheine, ein Verzeichnis der Mitgift für seine Tochter, Pacht- und Kaufverträge, die Wechselfälle der Viehzucht. Der Text erhebt also keinen Anspruch auf weitere Verbreitung. Eigenartig ist die Sprachmischung: das Latein fließt dem Verfasser ebenso leicht aus der Feder wie das Volgare. Allerdings ist dies ein sehr rohes Latein, das keinen Hauch des Humanismus verrät 2 8 . O f t kommt es vor, daß ein Satz lateinisch beginnt und in Volgare zu Ende geführt wird 2 7 . Auch finden sich italienische Wörter im lat. Text und umgekehrt. Das bedeutet für die Untersuchung der Sprache des Autors, daß hier besonders der Einfluß des Lateinischen berücksichtigt werden muß. Ann.: Entstehungszeit: 1457. Hierbei handelt es sich um ein Verzeichnis der von der Confraternita verpachteten Besitztümer und ihrer Erträgnisse sowie der Anniversari der verstorbenen Mitglieder. Der Text scheint mir denkbar geeignet f ü r unsere Zwecke. D a seine Herausgabe durch Ugolini bereits mit linguistischer Absicht erfolgt ist, erschien hier eine weitere Nachprüfung am Original unnötig; ich bediene mich also mit Dankbarkeit der von Ugolini gewonnenen Ergebnisse. Auch hier muß man manchmal mit dem Einfluß des Latein rechnen; Ugolini spricht von einer »lingua volgare semidotta«. 28 OspSalv: Entstehungszeit: 1 4 6 1 . Es handelt sich hier um ein Verzeichnis von Jahrestagen, an denen Gedenkmessen gelesen wurden. Wir finden dabei vor allem Namen, Berufe und Verwandtschaftsbezeichnungen. Diese Publikation erfolgte nicht mit ausgesprochen linguistischer Absicht; eine Vergleichung mit dem zugrundeliegenden Original war mir jedoch leider nicht mehr möglich. Die Beibehaltung von Verschiedenheiten in der Schreibung macht es mir aber wahrscheinlich, daß die Ausgabe verläßlich ist. OspPort: Von den Anniversari kennen wir das Datum der Abfassung: es ist 1479. Dazu kommen spätere, in der Ausgabe eigens kenntlich gemachte Zusätze bis 1 j 1 o. Das libro dei fratelli muß auch in diesem Zeitraum entstanden sein. Zur Bewertung vgl. OspSalv. 26

Insofern ist dieser Text also nicht zu vergleichen mit den Beispielen humanistischer Sprachmischung, wie sie von Migliorini für diese Zeit angegeben werden (Bruno Migliorini: Storia della Lingua Italiana, Florenz 2 J 3 ff.). " z . B . 3r: »Emerunt a domino abbate santi pauli infrascriptas baccas a grosso Romano pro pretio . X I I . ducatorum auri lo paro ad grosso Romano ut supra cio e II. baccho (!) con II. vitielli de reto et chi non la se scontano . . . « 28

S- 39.

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SFrR: Selbst wenn es sich bei diesem Text nicht um das Autograph handelt, so steht er diesem räumlich und zeitlich doch so nahe, daß wir ihn getrost unter diesem Abschnitt behandeln, ja sogar zu den wichtigsten Zeugnissen für den römischen Dialekt im 15. Jh. zählen dürfen. Es handelt sich um die Berichte der Heiligen über ihre Visionen, aufgeschrieben von ihrem Beichtvater, Janni Mattiotti aus Trastevere, zu Lebzeiten der Heiligen, also vor 1440 29 . Sie wurden bereits einmal von M.Armellini als Vita di S. Francesca Romana, Rom 1882, herausgegeben. Diese Ausgabe ist jedoch für eine linguistische Untersuchung völlig ungeeignet30. Die vorliegende Ausgabe hingegen wurde bereits im Hinblick auf die Bedeutung des Textes für den römischen Dialekt gemacht und erscheint sehr zuverlässig. Über die sprachliche bzw. stilistische Ebene, auf der sich das Opus bewegt, hören wir am besten den Herausgeber Pelaez: » . . . il buon parroco, che, a giudicare dal suo scritto, non doveva avere una coltura molto elevata, le trascriveva [= le confessioni di S. Francesca] nell'idioma popolare d'allora, riproducendone tutta la semplicità e rozzezza. Cosicché per quanto il testo non sia assolutamente privo di toscanesimi, tuttavia ci si presenta in condizioni migliori che non gli altri documenti romaneschi, i quali sono pervenuti a noi o in copie tarde o in trascrizioni che risentono l'influsso letterario« 31 . Ferner: » . . . la forma in cui ci sono pervenuti non può certamente essere la prima. Da parecchi luoghi appare manifesto che l'autore riordinò in una redazione più sistematica quelli che prima erano semplici appunti« 32 . Auf die Sprache scheint diese spätere Umarbeitung jedenfalls keinen größeren Einfluß gehabt zu haben. SMGr: Dieses Statut einer fraternità ist in der 2. Hälfte des '400 entstanden, ohne daß der Zeitpunkt der Abfassung genauer festzulegen wäre. Auch hier habe ich mich auf die Ausgabe verlassen. Da es sich um ein Statut handelt, müssen wir hier infolge der Formelhaftigkeit der Sprache besonders stark mit gelehrtem, latinisierendem Einfluß rechnen. Tor de'Specchi: Im Kloster von Tor de'Specchi in Rom finden sich Fresken aus der 2. Hälfte des i j . J h s . , die Heiligengeschichten zum Inhalt haben. Die einzelnen Bilder sind mit Erklärungen in >gotica libraria* 33 versehen, deren Sprache stark römisch gefärbt ist; allerdings herrschen die schriftsprachlichen Formen vor; auch die zahlreichen Hyperkorrektismen {avansavo, etc.) zeigen das Bemühen des Schreibers um eine >vornehmere< Sprache.

29 30 33

D i e der Ausgabe zugrundeliegende d i r e k t e A b s c h r i f t stammt von A S R S t P X I V , 365.

31

ib. S. 366.

32

1469.

ib. S . 3 6 8 .

Attilio Rossi : Le opere d'arte del monastero di T o r de'Specchi in R o m a , in Bollettino d'arte del Ministero di Pubblica Istruzione, B d . 1, 1 9 0 7 , fase. V i l i , 4 - 2 2 , fase. I X , 1 - 1 2 ; hier V i l i , 6.

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Bibl. Sisto IV.: Ein eigenartiges Machwerk enthält der Kodex Vat. lat. 4832; es handelt sich hier um ein gereimtes Verzeichnis der Vatikanischen Bibliothek unter Sixtus IV., das mit Lobpreisungen der Verdienste dieses Papstes verknüpft ist. Bertoni und Ugolini setzen die Entstehungszeit sowohl des Gedichtes als auch des vorliegenden Manuskriptes (falls es da überhaupt Zwischenstufen gab) in das Pontifikat von Sixtus IV. (1471-1484) 3 4 , und dagegen ist nichts einzuwenden: für eine Abschrift nach der Regierungszeit von Sixtus IV. war sicher kein Interesse mehr vorhanden. Es mag seltsam erscheinen, daß dieses Gedicht, das doch höchstwahrscheinlich dem Papst selbst dargebracht wurde, in der Reihe dialektaler Texte auftaucht. In Wahrheit hat der unbekannte Autor auch die dialektalen Eigentümlichkeiten zu vermeiden gesucht: ganze Seiten lang ist von dialektalem Einfluß gar nichts zu merken, bis auf einmal der Autor nicht aufpaßt, wobei ihm dann gelegentlich eine grobe dialektale Erscheinung durchrutscht, wie sie sich sonst nur selten in den anderen römischen Texten findet. Zeugnis für das Bemühen des Autors um eine von Dialektismen gereinigte Sprache sind ferner die zahlreichen Hyperkorrektismen (z.B. vende = venne, etc.). FVa 35 : hier handelt es sich um ein Autograph, in dem private Aufzeichnungen nach und nach von 1474-1492 niedergelegt wurden: ein Verzeichnis der von der Frau eingebrachten Mitgift, Berichte über Hochwasser und sonstige Ereignisse aus dem Leben der Stadt, von denen ein Teil sich wieder in dem Diario della Città di Roma desselben Autors findet, das für eine breitere Öffentlichkeit gedacht war (s. u.). Ein Autograph dieses Diario wäre für unsere Untersuchung sehr interessant: dann könnte man zu Recht Schlüsse ziehen aus einem Vergleich zwischen den privaten Aufzeichnungen und dem Diario, bei dem der Verfasser an ein größeres Publikum denkt. Derartige Schlüsse, wie sie von Chiesa in der Einleitung zu seiner Ausgabe versucht werden, sind jedoch nicht möglich, da ja das Diario nur in einer einzigen Hs. aus dem 17. Jh. vorliegt. Die Ausgabe ist nicht immer verläßlich: so sind die Auflösungen von Abkürzungen oft recht unglücklich: in der Hs. erscheint meist dei, gelegentlich tritt es ausgeschrieben als dicti auf; Chiesa hat jedoch dee ti, dicti, detti; was bei Chiesa einmal als quando, einmal als quanno erscheint, ist im Manuskript immer qn. Um eine für unsere Untersuchung brauchbare Grundlage zu erhalten, sind in der Ausgabe von Chiesa aufgrund des Vergleichs mit dem Vat. lat. 9835 außerdem folgende Änderungen vorzunehmen:

34 35

Bertoni, Profilo, S. 63 ; Ugolini in Enc. Ital. Bd. 29,790/91. Vgl. auch: G. Monticolo: Un corredo nuziale del 1474, in: Scritti di Storia di Filologia e d'arte (Nozze Fedele-Fabritiis), Neapel 1908, 81—85. Die Übertragung von Monticolo reicht allerdings nur bis Chiesa, S. 549, Z. 55.

16

S. 549, Z. 4 1 : S. j j o , 2 . j : 2.12: 2.24: 2.28: Z.jy. Z. 76: 2 . 83: S. $ $ 1 , 2 . 3: 2.6o: 2 . 63: 2.84: S. J J 2 , 2 . 1 9 : Z. 24: Z.26:

lenzolo; avoltarlo tela (nicht: seta) picciolato de porfido adconpagniorono el quäle £ t io Ii ho dato arcivescovo de Fiorenza inseme ¿e coro (nicht: decoro) deSanPietro spagnioli Mattuzo tucta Janni Z. 3 1 : chiavicba Biasio Z. 39: curreva.

Gonf.: Hierbei handelt es sich um Verzeichnisse der Requisiten für die Sacre Rappresentazioni der Arciconfraternita del Gonfalone im Kolosseum. Das erste der wiedergegebenen Verzeichnisse stammt aus der Zeit kurz vor 1488, das letzte von 1498. Da in den »Aneddoti...« von Vattasso das Manuskript jeweils sorgfältig wiedergegeben ist, wie ich mich durch einen Vergleich überzeugen konnte, verlasse ich mich hier vollständig auf den von Vattasso gebotenen Text. Diese Verzeichnisse waren natürlich nur für den internen Gebrauch bestimmt. Sie sind dennoch für unsere Untersuchung nur bedingt geeignet, da große Partien in Latein geschrieben sind, während der Rest an vielen Stellen unverkennbar starken lat. Einfluß zeigt. Nupt.: Hier liegt zwar das Autograph vor; jedoch ist das Werk in einer so gekünstelten, am Lateinischen ausgerichteten Sprache geschrieben, daß es für unsere Untersuchung kaum jemals herangezogen werden kann. Es ist ein Beispiel für die verschiedenen hybriden Sprachstile, die sich in dieser Übergangszeit herausbildeten. Die römische Abkunft des Autors wird auch hier wieder am auffälligsten in den Hyperkorrektismen sichtbar. Geschrieben ist das Werk (nach Narducci) zwischen 1 jo6 und 1 5 1 3 . Stellvertretend für manche andere Texte seien hier schließlich noch genannt die Ricordi von Marcello Alberim 39 . Der Verfasser ist zwar aus Rom; 36

Domenico Orano: Il Sacco di Roma del 1527, Bd. I: I Ricordi di Marcello Alberini, Rom 1901.

17

er schreibt j e d o c h k e i n e s w e g s römischen D i a l e k t : w a s hier v o m F l o r e n tinischT o s k a n i s c h e n a b w e i c h t , ist eher d e r E i n f l u ß d e r l i n g u a c o r t i g i a n a , die sich in dieser Z e i t g e r a d e in R o m d e m T o s k a n i s c h e n z u m K a m p f stellte, b ) Z u den T e x t e n , die uns n u r in A b s c h r i f t e n (meist ist es eine g a n z e R e i h e v e r h ä l t n i s m ä ß i g j u n g e r H a n d s c h r i f t e n ) erhalten sind, gehören -

abgesehen

v o n den I n s c h r i f t e n in S . C l e m e n t e u n d in den C o m m o d i l l a - K a t a k o m b e n

-

s ä m t l i c h e m i r z u r V e r f ü g u n g stehenden T e x t e aus der Z e i t v o r d e m 1 5 . J h . N a t ü r l i c h k a n n ich aus i h n e n die dem älteren römischen D i a l e k t e i g e n t ü m lichen C h a r a k t e r i s t i k a e n t n e h m e n ; aber ich erhalte d u r c h sie kein d e f i n i t i v e s B i l d , w i e w e i t das T o s k a n i s c h e vielleicht schon ins R ö m i s c h e selbst einged r u n g e n ist, u n d k a n n den A n t e i l des A u t o r s u n d des K o p i s t e n in d e r j e w e i l s v o r l i e g e n d e n H s . o d e r in d e r - o f t v o n einem N i c h t - P h i l o l o g e n besorgten

-

A u s g a b e nicht a u s e i n a n d e r h a l t e n . I n zeitlicher R e i h e n f o l g e sind dies f o l gende T e x t e : L Y s t R 3 7 : A l s V o r l a g e f ü r diese v u l g ä r s p r a c h l i c h e F a s s u n g diente ein lat. T e x t , d e r v e r m u t l i c h in d e r 1 . H ä l f t e des 12. J h s . entstanden ist 3 8 . D i e U b e r s e t z u n g e r f o l g t e v e r m u t l i c h in R o m u m die M i t t e des 1 3 . J h s . 3 9 , w ä h r e n d die älteste e r h a l t e n e H s . v o m E n d e des 1 3 . J h s . s t a m m t . Bereits die ältesten H s s . z e i g e n T o s k a n i s m e n , j e d o c h k a u m j e m a l s a n den gleichen S t e l l e n , ein A n z e i c h e n , »che questi toscanesimi si v e n n e r o a m a n o a m a n o i n s i n u a n d o nelle copie, m a n o n e r a n o nella lezione p r i m i t i v a « 4 0 .

Auch

d e r E i n f l u ß des L a t e i n i s c h e n ist hier nicht z u v e r k e n n e n , er ist v i e l leicht s o g a r g r ö ß e r , als es a u f den ersten B l i c k scheinen m a g : » . . . i l a t i nismi che n o n m a n c a n o m a i nelle nostre scritture v o l g a r i , f a n n o spesso p a r e r e t o s c a n e s i m o quel c h e f u e f f e t t o di ben a l t r a i n f l u e n z a « 4 1 . M i r . : E s h a n d e l t sich hierbei u m eine vielleicht u m die M i t t e des 1 3 . J h s . e n t s t a n d e n e Ü b e r s e t z u n g in r ö m i s c h e m D i a l e k t d e r M i r a b i l i a U r b i s R o m a e . H i e r v o n ist n u r eine e i n z i g e H a n d s c h r i f t b e k a n n t . D i e s e ist a u f j e d e n F a l l nicht das O r i g i n a l d e r Ü b e r s e t z u n g , denn M o n a c i w e i s t F e h l e r des Schreibers n a c h , d e r die römische V o r l a g e gelegentlich nicht v e r s t a n d e n h a t . I m ü b r i g e n gilt j e d o c h f ü r die B r a u c h b a r k e i t dieses T e x t e s : »Se d u n q u e , c o m e sospetto, questo m e n a n t e f u v e r a m e n t e un t o s c a n o , si d o v r à riconoscere a sua l o d e c h e egli non si lasciò t r a s p o r t a r e d a l l a nota t e n d e n z a a t o s c a n e g g i a r e q u e l che c o p i a v a ; m a a l l ' i n f u o r i di p o c h i casi d o v u t i a i m p e r i z i a o d i s a t t e n z i o n e , si m a n t e n n e fedele a l l a s c r i t t u r a che e s e m p l a v a e p u n t ò ne a l t e r ò la f i s i o n o m i a o r i g i n a l e « 4 2 . 37

Zur Handschriftengeschichte vgl. E. Monaci: Studio preparatorio all'edizione del Liber Ystoriarum Romanorum, in ASRStP X I I , 1889, 1 2 7 - 1 9 8 ; dieser Aufsatz ist abgedruckt in L Y S t R , S. X I I I - L X X V I ; hiernach wird zitiert. 38 ib. S. X X X V I . »• ib. S. X L V I . 40 41 42 ib. S. L I X . ib. S. L I X . Mir.,S.j. 18

V C : Eine vollständige Ausgabe der von einem anonymen Verfasser stammenden Historiae Romanae Fragmenta aus dem 14. Jh. erscheint nur bei Muratori, Antiquitates..., Bd. III, 251-546, aus dem Jahre 1740. Eine einwandfreie, für linguistische Untersuchungen brauchbare kritische Ausgabe durch F. A. Ugolini wird seit längerer Zeit erwartet. Mehr Glück bei den Herausgebern hatten diejenigen Teile, die unter dem Titel Vita di Cola di Rienzo bekanntgeworden sind. Aber auch hier muß man sich einstweilen noch mit der Ausgabe von Arsenio Frugoni 43 behelfen, die vom Herausgeber selbst als Provisorium bezeichnet wird. Diese Ausgabe hat zwar, ebenso wie die vorausgehende von Ghisalberti 44 , eine sehr schmale Handschriftengrundlage, aber sie macht sich die von Ugolini gegebenen Hinweise zur Textgestaltung zunutze45. Nach Ugolini kann 1357/58 als Entstehungszeit angesetzt werden und die Echtheit als gesichert gelten46. Die älteste sicher datierbare Kopie ist allerdings erst von 1550 47 . Die zeitliche Differenz zwischen Entstehung und Kopie nimmt hier einer linguistischen Untersuchung oft die Beweiskraft. Um Ugolini zu zitieren: der ursprüngliche Text hat Modernisierungen erlitten nicht nur in den für unsere Bedürfnisse unbrauchbaren Ausgaben von Muratori und anderen im vorigen Jahrhundert, sondern »si può dire, per taluni esemplari, sin da quando della Cronaca ritrovata erano state tratte le prime copie«48. Soweit wir aber aus dem, was auf uns gekommen ist, schließen können, fügt sich die Sprache des Textes vollkommen in das Bild des älteren röm. Dialekts ein und bereichert dieses um viele wertvolle Beispiele49. Anedd. (SGBn, SGBd, Cr, L I , L H ) : In den Texten des Vat.7654 haben wir gegenüber den vorigen Texten gerade den umgekehrten Fall: die hier vorliegenden Rappresentazioni Sacre, Leggende und Laude sind sicher von auswärts, in diesem Fall von Umbrien aus50, nach Rom gelangt. Aber nicht nur Umbrien und Rom haben daran Anteil: eine gewisse toskanisierende Tendenz wird bereits von Vattasso selbst bemerkt. Als Entstehungszeit der Handschrift ist das Ende des 14. Jhs. anzusetzen 51 . 43

Florenz 1 9 5 7 . Florenz 1 9 2 8 . 45 Z u Fragen der Entstehungszeit, der Handschriftengeschichte, der Autorschaft und der Sprache vgl. die beiden Aufsätze von Ugolini: » L a prosa degli Historiae romanae fragmenta«, in A S R S t P $8, 1 9 3 5 , 1 - 6 8 und »Preliminari al testo critico degli Historiae romanae fragmenta«, in A S R S t P 1 9 4 5 , 6 3 - 7 4 . 48 L a prosa . . . , S. 1 4 ff. (gegen Z w e i f e l von Morino, a. a. O . , 5 1 3 ff.). " Ugolini, P r e l i m i n a r i . . . , S. 65. 48 Ugolini, P r e l i m i n a r i . . . , S. 6 7 . " V g l . dazu auch G . Castellani: I Fragmenta Romanae Historiae. Studio preparatorio, in A S R S t P X L I I I , : 9 2 o , 1 1 3 - 1 5 6 und X L I V , 1 9 2 1 , 3 7 - 5 9 . 50 Vattasso sieht z w a r einen »fondo toscano« (S. 9 ) ; die sprachliche Untersuchung w i r d jedoch deutliche umbrische Spuren ergeben. 51 1 3 7 4 als terminus post quem; vgl. Anedd., S. 5, A n m . 2. 44

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Wieviele Zwischenstufen hier zwischen Original und Kopie anzusetzen sind, wird schwerlich aufzuklären sein 52 . G D : Aus dem Inhalt dieser chronikartigen Aufzeichnungen wird geschlossen, daß der Autor in der i. H ä l f t e des 15. Jhs. lebte. Der Autor w a r nicht Gentile Delfino; dieser war nur Besitzer einer Kopie. Es handelt sich dabei um eine kurze Chronik, vermischt mit allgemeinen Lebensweisheiten und Ratschlägen für das Leben am Hofe. Die Handschriftengeschichte ist eng mit derjenigen der Mesticanza di Paolo di Lello Petrone verknüpft: beide Werke erscheinen in den Handschriften meist gemeinsam, einmal wird auch das Diario irrtümlich dem Autor der Mesticanza zugeschrieben 53 . Man vergleiche deshalb, was im folgenden über die Mesticanza gesagt wird. Mest.: Die Mesticanza des Paolo di Lello Petrone berichtet über Ereignisse aus den Jahren 1 4 2 0 - 1 4 4 7 ; sie ist auch in dieser Zeit entstanden. Die Ausgabe stützt sich vor allem auf 2 Codices vom Anfang des 17. Jhs., der wichtigere von beiden (Cod. Ferr. 335) enthält die Mesticanza, das sog. Diario von Gentile Delfino und das Memoriale di Paolo di Benedetto dello Mastro. Das am Ende der Ausgabe in R R I I S S X X I V , Teil 2 gegebene Glossar basiert auf diesen 3 Werken. Das Urteil des Herausgebers sagt genug über den zweifelhaften Wert dieser Quelle für meine Arbeit: »L'opera è stata scritta in volgare e le sue forme dialettali hanno avuto mutazione da una trascrizione all'altra, sicché anche nei codici, che hanno subito minori alterazioni e hanno meno risentito l'influsso della lingua letteraria e del dialetto del loro tempo, manca l'affidamento che abbiano trasmesso nella loro purezza genuina le forme dialettali dell'opera, le quali molto probabilmente sarebbero state quelle del dialetto romanesco della prima metà del sec. X V « 5 4 . N . Anedd. (Marg., SL, Pass. A - F ) : Es handelt sich hier um Legenden und Bruchstücke von Darstellungen der Passion aus dem Kodex Reg. 3 $2, den wir bereits vom Ricettario her kennen; es gilt also derselbe Zeitansatz, d.h. Fragment A von Pass, muß vor 1449, die übrigen Stücke nach 1434 geschrieben sein. Das bedeutet, daß vermutlich der ganze Kodex im 2. Viertel des 1 5 . Jhs. geschrieben wurde 5 5 . Zu den einzelnen Stücken: Die Rappresentazione di S.Lucia, vor dem 1 5 . J h . entstanden, ist in mancher Hinsicht abhängig von SGBd. Daß beide jedoch vom selben Autor stam52

Auch Monaci mahnt hier zur Vorsicht: »I testi pubblicati dal Vattasso non sono tutti sicuramente romaneschi e perciò vanno adoperati con molta cautela.« (Tb 9, Anm. 6). 5S Isoldi in RRIISS X X I V , Teil 2, L X V I I - L X I X . M ib. S . L X X I . " Vgl. N. Anedd., S. 16. 20

men, läßt sich nicht mit Sicherheit behaupten56. Wenn dies der Fall ist, dann wäre dies ein deutliches Zeichen, wie wenig beide Texte als sichere Grundlage für unsere Untersuchung dienen können; das ergibt sich aus der Gegenüberstellung einiger Strophen in N . Anedd. 20/21 : beide tragen einzelne Züge des röm. Dialekts, jedoch ist die Toskanisierung bei SGBd, d. h. in der früheren Hs., stärker ausgeprägt, während wir doch sonst eine allmähliche Zunahme der toskanisierenden Tendenzen beobachten können. Die 6 Fragmente der Passionsgeschichte in römischem Dialekt stellen vielleicht Teile eines dialektalen Rohmaterials dar, das dann um 1 joo die Grundlage für das offizielle Passionsspiel (nunmehr aber in toskanischer Fassung) der Compagnia del Gonfalone bildete. Auch wenn wir uns diese Fragmente als in Rom entstanden vorstellen, so sind dabei doch oft (bis in die einzelnen Worte hinein) umbrische Vorbilder festzustellen: was Vattasso für einzelne Strophen nachweist 57 , ist sicher kein Einzelfall. Da die Fragmente verschiedenen Stücken entstammen (sie behandeln zum Teil die gleiche Szene), müßte man eigentlich die Geschichte jedes einzelnen Fragments zuerst feststellen (wenigstens für unsere Zwecke, d. h. zur Feststellung einer linguistisch zweifelsfreien Grundlage), eine Mühe, die wohl kaum im Verhältnis zum Ertrag stehen würde. Die Legenna de sancta Margarita ist nach Vattasso ein »rifacimento in dialetto romanesco della redazione, ch'io per la lingua chiamerei abruzzese-toscana, pubblicata dallo Zambrini nel Propugnatore III, parte 2 a , pp. 410-43 j« 5 8 . Vattasso hält dabei die vorliegende Fassung für die dialektale Umarbeitung eines Archetypus, der auch der von Zambrini gegebenen Fassung zugrundelag. Unter Berücksichtigung dieser vermutlichen Entstehungsgeschichte ist der Text für unsere Untersuchung brauchbar. Mem.: Die für die Beurteilung maßgebenden Gesichtspunkte werden bei Pelaez so dargestellt: »L'autore del Memoriale nacque in Roma e romanesco del sec. X V è l'idioma in cui scrisse. Il manoscritto Soderini ha serbato abbastanza schiette le caratteristiche di quel volgare, sì che il Memoriale dopo le >Visioni< di Santa Francesca e il Diario dell'Infessura è terzo dei documenti più sicuri di quel tempo«59. Und weiter: »È da notare anzitutto che se abbondano le caratteristiche dialettali, tuttavia l'elemento toscaneggiante non è del tutto escluso, né ciò si deve attribuire al copista, ma, in parte, anche all'autore« 60 . Letztere Feststellung trifft Pelaez auf-

58

N. Anedd., S. 21/22. ib. S. 40-42. 58 ib. S. 12, Anm. 1. « Pelaez in ASRStP XVI, 1893, S. 77. 40 ib. S. 77/78. 57

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grund des abwechselnden Gebrauchs von toskanisch-schriftsprachlichen und römisch-dialektalen Formen, wobei er feststellt, daß die letzteren im Verlauf des Werkes immer mehr abnehmen. Jedoch scheint mir die nachträgliche Verteilung des toskanisierenden Elements auf Autor und Kopist eine äußerst schwierige, wenn nicht unmögliche Sache zu sein; aus einer Beobachtung des Verhältnisses von de: di, quanno: quando, etc., jeweils auf den Anfangs- und Schlußseiten, Schlüsse ziehen zu wollen61, scheint mir doch etwas zu einfach. Bemerkt sei noch, daß die Ausgabe von Isoldi, nach der zitiert wird, auf derjenigen von Pelaez beruht und zum Text nichts Neues bringt. AV: Die Ausgabe dieses Diario durch Giuseppe Chiesa stützt sich auf eine einzige Abschrift aus dem 17. Jh. 62 , während das Autograph gegen Ende des 15. Jhs. geschrieben wurde. Ferner liegen einige von Ceccarelli im 16. Jh. gemachte Auszüge vor63. Wahrscheinlich bieten uns jedoch weder die vorliegende Handschrift noch Ceccarellis Auszüge die originale Form. Auch Chiesa spricht von der » . . . tendenza dell'amanuense di cancellare i vestigi di tale idioma«64. GP: Dieses Tagebuch vom Ende des 15. Jhs. war ursprünglich sicher nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern »un abbozzo, sul quäle il Pontani aveva forse intenzione di ritornare piü tardi e ridurlo ad una vera >historias 1 I I «o

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t kann wohl, in Anbetracht der geringen Zahl von Beispielen, keine echt römische Erscheinung sein. Es findet sich in Ann.: pizo, miso, SMGr: instruminti, Ric.: sind. Es liegt nahe, dabei an umbrischen Einfluß zu denken5. Man vergleiche die ausführlichere Behandlung dieser Frage unter 2d) (o > »). 2a) Bewahrung von o findet sich in allen Texten, am seltensten in V C , SFrR, Ged. 1522. Wenn wir in einigen Tabellen für diphthongiertes 9 weniger Beispiele haben als für diphthongiertes f , so kann das noch daran liegen, daß es wohl schon vom Lateinischen her weniger Beispiele für die Abfolge ö - ü , I als für E - Ü , 1 gibt. Auffällig bleibt jedoch (im Vergleich zur Entwicklung von E) die Menge von undiphthongierten Formen in Mir., Ric., Pass., SL, C a f f . und vor allem bei Castelletti. Der Diphthong scheint bei o die ganze Zeit hindurch nicht so stark ausgeprägt gewesen zu sein und ist anscheinend auch wieder früh aus dem röm. Dialekt verschwunden: bei Castelletti haben wir in den 4 Spalten für o in geschlossener und offener Silbe vor ü, ! nur das einzige Hoccbi; sonst ist hier o bewahrt. Nachdem in diesem Text der Umlaut bei E SO häufig auftritt, glaube ich, daß wir es auch in diesem Fall mit dem wahren Lautstand des römischen Dialekts gegen Ende des 16. Jhs. zu tun haben: der Diphthong bei o war bis auf Spuren aus dem gesprochenen Dialekt (und erst recht aus der Schrift) verschwunden. Die spätere Periode kennt hier - wie bei E - nur den Monophthong. Der Unterschied in der Behandlung von E und o findet eine auffallende Parallele in der spontanen Diphthongierung des Florentinisch-Toskanischen, wo sich ebenfalls der Diphthong bei o weniger durchgesetzt hat bzw. bald wieder monophthongiert wurde 6 . 2b) Unsere Texte kennen auch die süditalienische Diphthongierung von lat. o vor ü, 1. Das früheste Beispiel ist muorto in LYstR, das späteste uocchi s

V g I . dazu T . Reinhard: Umbrische Studien, Teil I I , in: Z R P 7 2 , 1 9 5 6 , 1—J4j i / 5 2 : Verbreitung der Remonophthongierung ie > i, uo~> u von Umbrien über A r e z z o nach Florenz und in die Romagna.

• Rohlfs 107. Reinhard versucht für umbrische Dialekte das Ausbleiben der Diphthongierung in manchen Fällen auf Einwirkung des folgenden Kons, zurückzuführen, der eine Erhöhung bewirkt hätte: 0 > w, p > o (Umbrische Studien, Teil I, Z R P 7 1 , 1 9 5 5 , 1 7 2 - 2 3 5 ; hier 2 2 2 - 2 2 4 ) ; nachdem R o m aber keine Erhöhung von o in diesen F ä l len kennt, scheint mir Reinhards Deutung auf den röm. Dialekt nicht anwendbar zu sein. Eher ist wohl die allgemeine phonetische Tatsache von Bedeutung, daß auf der palatalen Vokalreihe mehr Platz für akustisch deutlich unterscheidbare Varianten ist als auf der velaren; hierin liegt wohl auch der G r u n d für die v e r schiedene Entwicklung von lat. i und 6 im rumänischen und ostlukanischen Vokalsystem: E und E führen dort zu verschiedenen, ö und ö zu gleichen E r g e b nissen.

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bei Castelletti. Zum Ersatz durch den Monophthong vgl. den vorigen Abschnitt. 2c) 6 ergibt ue vor ü,I in Bandi Re: lueco, Statuti delli Barbieri 7 : suele, buena (als analogische Übertragung), Ann.: Puertogallo, ueglio, querpo; suelli, Tuesti, cuerpi; Buenoanno, Zagaruelo, Bibl. Sisto IV.: lueco j v , Gonf.: bueni, Colocci: fuego*. ue ist in stadtrömischen Texten also die Ausnahme. In der Erklärung des Nebeneinander von uo und ue schließe ich mich der von Men&idez-Pidal gegebenen Deutung an*. Diese schließt jedoch m. E. eine geographische Verteilung im kleinen Rahmen nicht aus: ich würde ue für provinziell, uo für stadtrömisch halten, wobei ihr Nebeneinander in einigen Texten sich gut mit der von Menendez-Pidal gegebenen Theorie erklären läßt. Während also Monaci 10 und Ugolini einen soziologischen Unterschied für die Koexistenz von uo und ue verantwortlich machen, sehe ich in der Form ue ein laziales Element im stadtrömischen Dialekt. Dafür spricht die Verteilung auf unsere Texte: Im Diario Nepesino ist ue das alleinige Ergebnis des Umlauts von o vor ü und ! (falls nicht o bewahrt wird): lueco, bueno, nuevo, gruesso, tuelto, puerco; bueni, puesti, etc. (daneben auch tolto, morto, etc.). Die Laude della provincia romana kennen in gleicher Weise uo und ue: quorpo, uocchio, puorti; lueco, fueco, bueni, puessin. Die Bemerkung von Colocci muß nichts anderes heißen, als daß man in Rom gelegentlich auch fueco hörte. Für entscheidend halte ich das völlige Fehlen von ue in Texten wie SFrR, OspSalv, Ric. sowie vor allem in der reflektierten Dialektliteratur. 2d) Zu u monophthongierte Formen treten in folgenden Texten auf: Ric.: curpo (6 gegen cuorpo 2, corpo 6), purco, cutto, cutti (gegen cotta, cotte), Pass.: pusto (i), Marg.: curpo (i). Eine Koexistenz dieser monophthongierten Formen mit den diphthongierten (wie wir sie in beschränktem Maße für uo und ue annehmen können) erscheint zunächst nicht möglich, da sie ja - wie die entsprechenden Formen

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Ugolini, Contributo..., S. 43, Anm. 1 ; dort wird auch muecco < baiocco bei Belli und Crescenzo del Monte als letztes Relikt dieser Entwicklung im mod. Dialekt zitiert. A. Prati nimmt hier allerdings Suffixtausch (-ècco > -ècco) an ( A G I 34, 1942, S. 39). 8 »Hispani et Romani ue fuego«, 17V. •Menéndez-Pidal: Orígenes, I, 123 fr.: Doppelgipfligkeit des Vokals in der Emphase: p > op; in der Folgezeit immer stärkere Differenzierung der beiden Teile: 99 > K9> ¡fé, «o, »despues no preocupa para nada que la mayor perceptilidad de la vocal originaria« (S. 140). Ein ähnliches Nebeneinander verschiedener diphthongischer Ergebnisse verzeichnet Menéndez-Pidal für moderne frz.,leonesische.ptg. und it. Dialekte; »asi se comprueba cómo el elemento mas abierto del diptongo es, a pesar de su acento, el menos estable en su punto de articulación.« (S. 1 4 1 ) 10 Laude della provincia romana, S. 79. 11 a. a. O., Prospetto dei dialettismi, § 4. Die Statuti di Nemi sind von Umlauterscheinungen völlig gereinigt, kommen hier also nicht in Betracht. 48

mit i < ie < E (vgl. ic) - auf Akzentzurückziehung beruhen müssen12. Auch hier empfiehlt sich ein Blick auf die Herkunft der Beispiele: für Ric., Pass., Marg., also Texte des Cod. Reg. 352, scheint mir umbrischer Einfluß wahrscheinlich: der Schreiber der Handschrift hatte Gabriele da Gubbio zum Gevatter, geschäftliche Beziehungen verbanden ihn mit Fara Sabina 13 . Bei Ann. wissen wir leider nichts über die Person des Schreibers. Während also uo und ue in Rom koexistieren können, wobei allerdings uo mehr städtisch, ue mehr lazial ist, verraten i, u < iq, ug gelegentlichen umbrischen Einfluß, der für jeden Text gesondert erklärt werden müßte. 3. Bedingungen für das Auftreten des Umlauts: Der Umlaut tritt bei e und o im Aröm., wie wir gesehen haben, in der betonten Silbe von Paroxytonis vor auslautendem lat. -ü bzw. -! auf, wobei die freie oder gedeckte Stellung keinen Einfluß hat. Umlautend wirkt auch das -ÜNT der 3. Pers. PI. 1 4 : V C : consiento, viengono, vieco, stiettero, offierzero, riessero, muossero, suoglio, SFrR: sientono, S M G r : se contieco Ged. 1 5 2 2 : buoco >voglionounberechtigten< Diphthongierungen vom T y p duonna, ruosa, d a ß die Erscheinung importiert wurde. Der Rückzug des Umlauts aus diesen Gebieten 1 8 ist wohl mit seiner Schwächung in Rom selbst in Verbindung zu bringen. Er ist in Rom allerdings vollständiger getilgt worden als in abgelegenen Gebieten der Gegend von Viterbo, die damit ein >südliches< Charakteristikum besser bewahrt haben als Rom selbst 19 . D o r t hätte sich ein nicht-römischer Dichter wie Goldoni sicher nicht die Möglichkeit entgehen lassen, den Dialekt auf diese Weise zu charakterisieren. In der f ü r die A u f f ü h r u n g in R o m bestimmten Ausgabe seines »Cavalier di Spirito« finden wir jedoch corpo (1,6; 1,7), servo (1,7), send (I,7) 20 . Auffällig sind lediglich die Formen viengono, viengo, vierro (alle 1,7). Das sind Formen, die auch bei Micheli, Belli 21 und im modernen Romanesco 2 2 durchwegs auftreten (entsprechend bei tenerc). D a ß es sich um analogische Formen handelt, d ü r f t e klar sein. Als Ausgangspunkt sehe ich die z. Pers. Sg. an, wo umlautbedingter und toskanisch beeinflußter Vokalismus in der Form vieni zusammenfielen. Die Bestätigung des Diphthongen durch die Schriftsprache scheint ihn hier am Leben erhalten zu haben, ja er

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laut sichcr bekannt war, so in den Nn. 34, 24, 42, 50, 71 der Testi non-toscani del '300 von Migliorini-Folena, Modena 1952 (aus Ceccano, 1 3 5 2 ; Viterbo vor 1 3 4 5 ; Aquila, 2. Hälfte des '300). Bianconi in SLI, III, 1962, S. 27: » . . . il dittongamento sporadico e di tipo metafonetico che riscontriamo nei testi viterbesi.« In Orvieto prallen im »späten Mittelalter« tosk. spontane und röm. bedingte Diphthongierung aufeinander (Reinhard, Umbr. Studien 11,12:37). ib. S. 26, Anm. 2 » . . . n o n resta traccia nei testi viterbesi della seconda metà del sec. X V . « dy enti, cuollu, kurtiellu in S.Oreste; ähnlich in der Umgebung (W. Th. Elwert : Die Mundart von S.Oreste, in: Romanica, Festschrift Rohlfs, Halle 1958, 121 bis 158; hier 1 4 2 - 1 4 5 ) . tiempo, Pieppe noch heute in Orvieto nach Reinhard (a. a. O., S. 11), der Giacomelli zitiert. Veo, Personaggi romaneschi. Tb S. 6$ u. S. 68: viengo, tiengo, viengheno, tiengheno. vie, tiè, etc. p. vie bei Panconcelli-Calzia, S. 109, viengo, tiengo bei de Gregorio § 9 (jedoch vanghi A I S , K. 3J9). Ji

konnte sogar noch analogische Formen bewirken, unter denen auch viengo(no) bereits vom Aröm. her den Diphthong hatte. Im modernen Römisch wird lat. É in freier Silbe diphthongiert, während es in geschlossener Silbe im allgemeinen als q erscheint. Lat. ö hingegen erscheint immer als fragwürdigen< Texten nicht a l l e i n beweisend sein d ü r f e n . " Reinhard 2 1 4 und 2 1 7 .

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pino wird bereits von Meyer-Lübke 3 7 aus dem dem T o n v o k a l vorausgehenden i < L nach Kons, erklärt. (io) vinni (= venni) 3 8 : Auch hier weist Reinhard Verbreitung der ¿-Formen außerhalb des Umlautgebietes nach; wo sie auftreten, erscheinen sie ohne Unterschied in der i . wie in der j.Person 3 ®. Eine Abhängigkeit dieser Formen v o m Umlaut ist also nicht erwiesen, wenn auch sonst keine Begründung d a f ü r gegeben werden kann. (res)puse, pusero: Reinhards Nachweis, daß derartige Formen auch in sonst nicht umlautenden Gebieten bekannt sind (aorv., atosk., aflor.), schließt hier Umlaut mit großer Wahrscheinlichkeit aus 40 . -uri: Auch f ü r das Suffix -orc verweist Reinhard auf Belege aus Gebieten, die den U m l a u t sonst nicht kannten (Arezzo), sowie auf Fälle von vlat. -ure41. Auch hier erscheint also die Beweiskraft der «-Formen erheblich gemindert. maiure, -i: Auch hier treten «-Formen über das umlautende Gebiet hinaus auf. Innerhalb des umlautenden Gebietes wird bei diesem W o r t kein Unterschied zwischen Formen des Sg. und des PI. gemacht. Zudem erscheint menore, das sich doch parallel entwickeln müßte, nie mit «; wir haben sogar nebeneinander, z . B . in Mir. la menore/la maiure (Mir. iy;44). Ferner erscheint in den vorliegenden röm. Belegen maiure sehr o f t als Bestandteil de c Namens der Kirche S. Maria Maggiore. Wie sollte hier eine Analogie zu einem Plural entstanden sein? Umlaut ist hier also mit Sicherheit auszuschließen. Eine Erklärung f ü r diese Formen ist bis jetzt allerdings noch nicht gefunden worden. H i n t e r die Erklärungsversuche von Reinhard sind jeweils mehr oder weniger große Fragezeichen zu machen, was auch von Reinhard selbst eingeräumt wird 4 2 . U n t e r den verbleibenden Fällen ist intiso aus Burchiello als vermutlich hyperdialektal auszuscheiden. Im Falle des Eigennamens Antoniello dello Busco43 (aus OspSalv) wäre denkbar, daß am H e i m a t o r t der Familie (das

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Ital. Gramm. 52, zitiert nach Reinhard, Umbr. St. I, 45. vinne noch bei Micheli (Tb 69). Reinhard 208. 40 41 Reinhard 227 f. Reinhard 234 f. 42 a. a. O., 230 f.: Import aus dem äußersten S, aus dem Gallorom. als Amtsbezeichnung, Hyperiatinismus, spätlat. Grundlage. Eine weitere denkbare Möglichkeit (den Hinweis verdanke ich H. Kuen) wäre eine Erhöhung durch den vorhergehenden palatalen Laut; diese Möglichkeit wäre auch für das von Dante getadelte mezzure zu erwägen. "Vermutlich aus germ. *BÜSK; zur schwankenden Qualität des Tonvokals vgl. L. Söll, Die Bezeichnungen für den Wald in den romanischen Sprachen (München 1967), S. 33 ff. 38

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5$

muß nicht unbedingt Rom gewesen sein) zum Zeitpunkt der Entstehung des Namens 44 die Tendenz zum Umlaut noch eine wirksame K r a f t darstellte. Für die Verhältnisse in Rom im Jahre 1461 können wir daraus aber nichts schließen, denn ein Eigenname kann sich als Relikt m. E. längere Zeit halten 45 . Für die Texte des Cod. Reg. 3 j 2 haben wir bereits oben gelegentlichen umbr. Einfluß festgestellt (s.o., S.49); dieser wäre auch für das auffällige almino aus S M G r zu veranschlagen. Auch in der religiösen Literatur ist umbrischer Einfluß nicht verwunderlich (vigio in SGBd, suso/ -oso als Reim in SGBd) 4 6 . Für die wenigen noch verbleibenden Fälle sei schließlich verwiesen auf Tendenzen, o in bestimmter konsonantischer Umgebung zu u werden zu lassen47. So gibt Lindsstrom für Subiaco an (allerdings für vortoniges o, jedoch erscheint der Ubergang von u in die stammbetonten Formen ganz natürlich): »In contatto con nasale l'esito sembra doppio, tanto o che u: . . . , dunatu musträ.. .« 48 . Merlo bezeugt für Rom (ebenfalls mit Bezug auf vortonige Silben) eine »tendenza a farsi « dell'o vicino a cons. labiale e velare« 49 . Ob in Rom selbst der Umlaut von e,o vor i,ü jemals eine lebendige Erscheinung gewesen ist, erscheint mir also aufgrund dieser Untersuchung äußerst fraglich. E r hat jedenfalls in dem Zeitraum, für den uns in Rom vulgärsprachliche Texte zur Verfügung stehen, keine eindeutigen Spuren hinterlassen 50 . Das würde bedeuten, daß schon in sehr früher Zeit unmittelbar südlich von Rom die Grenzlinie für den Umlaut von e,o nach Nordosten abbog. Jedenfalls ist mir an der Westküste von N-Latium und in den daran anschließenden Gebieten der Toskana kein Gebiet bekannt, das in älterer oder jüngerer Zeit diesen Umlaut gehabt hätte. Rohlfs hat als Grenzlinie für diesen Umlaut im Bereich Umbriens und der Marche die Linie Amelia-Trevi-Sant'Elpidio angegeben 51 . Im folgenden soll nun mit einigen kurzen Angaben versucht werden, den Verlauf dieser Grenze in der Gegend um Rom festzulegen. Diese Grenze hat sich m. E. seit der Zeit

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Boschetto ist 1183 in Florenz bezeugt (Olaf Bratto: Nuovi Studi di antroponimia fiorentina, Göteborg 19j j, s. v.). 45 Ebenso ist ja auch zu vermuten, daß die Via degli Astalli in Rom nicht in Via degli Astaldi umbenannt wird, sobald die letzten Reste von -II- < -Id- verschwunden sind. " »Sizilianischer« Reim, nach Reinhard 209. 47 Vgl. auch die von B. Löfstedt aus spätlat. Texten verschiedener Provenienz angeführten Fälle von -munium anstelle von -monium (Studien über die Sprache der langobardischen Gesetze, Stockholm-Göteborg-Uppsala 1961, S. 72). 48 49 Subiaco 247. Merlo 50. 50 Allein die topographische Bezeichnung Diburo könnte darauf hindeuten, falls die Herleitung aus PORTICUS DIVORUM richtig ist (Gnoli, Topografia..., s. v., belegt für 1017, 1031, 1037-1104). 51 Rohlfs 61; Reinhard, S. 23 j gibt als Grenzlinie den Lauf des Tiber und des Chiascio an.

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der frühesten vulgärsprachlichen Zeugnisse bis in unsere Zeit kaum wesentlich verändert 52 . W i r haben m i t

Umlaut

(mit >alt< bezeichne ich hierbei Formen, die

älteren Texten, gewöhnlich spätestens aus dem 16. Jh., entnommen wurden, mit >mod.< die Ergebnisse der modernen Dialektforschung): Amaseno, mod. 5 3 , Castro dei Volsci, mod. 54 , Ceccano, 13 j 2 5 5 , Frosinone, mod. 56 , Veroli, mod. 5 7 , Alatri, alt und mod. 58 , Anagni, mod. 59 , Velletri, alt und mod. 80 , Nemi, 1 3 . / 1 4 . J h . bis 1 5 1 4 und mod. 61 , Paliano, mod. 62 , Ariccia, mod. 63 , Albano, mod. 64 , Marino, mod. 65 , Serrone, mod. 66 , Zagarolo, mod. 87 , Subiaco, mod. 68 , Cervara, mod. 89 , Tivoli, mod. 70 , Palombara, mod. 7 1 . Ohne Nepi,

Umlaut: 1 4 6 4 7 2 , S. Oreste, mod. 73 , Ronciglione, mod. 7 4 , Cerveteri,

Civitavecchia, 1 4 5 1

76

77

mod. 7 5 , 78

, Tarquinia, 1 3 7 9 , 1 4 3 6 , Viterbo, 1 3 5 4 , 1 3 8 4 , O r -

vieto, 1 3 4 5 7 9 . 51

Für Umbrien: »Grenzverschiebungen haben im Laufe der Geschichte kaum stattgefunden«; Aufgabe von früherem Umlaut nur in Assisi und Todi (Reinhard, S.235). " A m a s e n o , 2 1 / 2 2 , 25/26: cita 'aceto', misi 'mesi', kriskana 'crescono'; spusa 'sposo', naputi, etc. 54 Castro dei Volsci, 1 2 7 - 1 3 3 : appisa, ¡iva, pira, vivana, spusa, -usa, nuca, zulafa, munna, etc. 65 M - F '300, 42/43 : bui, istu. 58 Battisti: gyarzuna (= -oni), guarzona (= -one), killa, kista. 57 Papanti: chigli- chelle; spisso, surdo in A I S 704 und 190; jedoch questo, quello in A I S 1587; Veroli 15 f.: cito, piru, paisi, -uso, patruni. 58 Ceci, A G I X , 1 6 8 - 1 7 3 . '* Papanti: isso, chigli, sulo; jedoch auch chello. «» Velletri 34 f. 81 Statuti di Nemi, S. 439: piso, quillo; sulo, nuci; surdo in A I S 190, aber questo, quello A I S 1587. 82 Paliano 8 1 - 8 3 : "cito, velino, misi; doluri, pozzo, surdo. 88 Papanti: isso, quillo, aber offeso, profonno. 64 Papanti: ditto, isso, quillo, aber solo, affronti. 85 Marino 74: issu, issi; 94: quillu, quissi; aber auch quello, S. n j . 68 A I S 190, 704, 1587. 87 Papanti: ditto, issu, quilli, aber questo, affrontu. 88 Subiaco 241-244: piru, virdi, nuci, nepiite-tu, etc. 60 Cervara, 2 1 - 2 $ : sirinu, niru, -i, kridu ( < CREDÜNT); -uni, -uri, piummu, etc. 70 Battisti, 7 0 / 7 1 : issu, spisu, servituri; aber: gorni, kuellu; Valle dell'Amene, 35: kuilli, issu, kuesto, kuesso. 71 Papanti: recursu, issu, quillu; A I S 190, 1587. 72 M - F '400, S. 8j f.; jedoch habe ich in meinen Notizen aus der Ausgabe Levi ein vereinzeltes ammasciaturi. 73 A I S 190, 704,1 $87; S. Oreste 140: aseto, essu, etc., -osu, -osi. 74 75 78 A I S 190, 704, 1 $87. A I S 190, 704, 1587. M - F '400, 65 f . : quello, pesci. 77 M - F '300, $7 f.: quelli, essi, rectori; M-F '400, 43 : -ori, noi. 78 M - F '300, 32: ellu, -ori, essu; M-F '300, 67: -ori. n M - F '300, 3 3 : messi, voi, etc. Existenz des Umlautes in Viterbo und Orvieto wird von Bianconi verneint (a. a. O., S. 87). 57

Wir sehen hieraus, daß im rechtstiberischen Gebiet der Umlaut von e, o nirgends mit Sicherheit als einheimische Entwicklung nachzuweisen ist; auch dieser sprachgeographische Gesichtspunkt erscheint mir als weiterer Beweis dafür, daß Rom bereits im Mittelalter dieses Charakteristikum der südl. und östl. Dialekte nicht gekannt hat. Zur Verbreitung des Umlauts von e, 6 vgl. auch Karte 3 des Anhangs. 3. e, o vor n + Palatal oder Velar, vor n und i Ein Kennzeichen des alten röm. Dialekts ist das völlige Fehlen der Erhöhung von e zu /, von o zu « vor n und folgendem Palatal oder Velar, vor n und vor i, eine Erhöhung, die ihren Ursprung in Florenz oder jedenfalls in der nördlichen Toskana gehabt zu haben scheint80. Es wäre müßig, hier aus sämtlichen Zeugnissen des altrömischen Dialekts Belege zu bringen; hier nur einige Ergänzungen zu der Liste Merlos 81 : SGBd: ponto 340, Bandi Re: joncho 87, Ric.: l'ongi i8r, strenget i i 3 r etc., onve(n)do i i 4 r (hier im Nebenton; ebenso Ann.: Ongaro 6r, V C : Ongaria 173,5, sowie die Verbalformen in Mir.: venceragi 30, L Y s t R : vencenno L / A 84,24), Ann.: comenza p., OspSalv: -penta 190, C a f f . : ionta 6jr, FVa: uno cento >una cintura< 549,28531, cegn(i)ere 550,27587, comensa 551,49, Bando Nr. 1 1 7 (1529): conseglio, Coli.: venze 318r, conseglio (aber consiglio 2921). Interessant ist, daß wir im betrachteten Zeitraum keine Versuche haben, den bestehenden Zustand aufzugeben 82 ; die Tendenz zu i, u hatte sich damals im Toskanischen selbst noch nicht genügend durchgesetzt und konnte als lokal begrenzte Erscheinung 83 den römischen Dialekt nicht beeinflussen, ja nicht einmal in der in Rom g e s c h r i e b e n e n Sprache starken Einfluß gewinnen. Während also Erscheinungen wie z. B. der Umlaut von E, ö oder -ND- > -nn- zwar im gesprochenen Dialekt vorhanden waren und dominierten, in den Texten jedoch manchmal nur in geringem Maß in Erscheinung treten und sich oft nur durch Hyperkorrektismen bemerkbar machen, weil sie als zu dialektal für geschriebene Texte verworfen wurden, so zeigt sich die Erhaltung von e, o in diesen Fällen uneingeschränkt auch in den späten Texten der >naiven< Dialektliteratur vom Ende des 15., Beginn des 16. Jhs. (z. B. in FVa, das sonst sehr starke Toskanisierung zeigt); das heißt aber, daß die Bewahrung von e und o in diesem Fall nicht als ausgesprochen dialektal empfunden wurde. Mit der Aufnahme der toskanischen, d. h. eigentlich florentinischen Lautung in den römischen Dialekt kommen wir in neuere, ja sogar neueste Zeit: während Micheli im 18. Jh. noch lengua, centa etc. schreibt, hat Belli lingua, 80 82

83

81 R o h l f s 49:70. Merlo 48 f. Fälle wie consilio in L Y s t R L 1 7 , 2 0 und iuncte in Mir. 8 sind eher als Latinismen zu betrachten. Merlo gibt als Entstehungsort a n : »Firenze e il suo contado, il V a l d a r n o col Chianti, il Mugello« (»II problema dell'origine dclla lingua italiana«, Saggi linguistici, S. 245).

58

vince, spiggni, striggnesi. o hat sich noch länger gehalten: Belli schreibt noch fongo, onto, gionto8S. Formen mit o werden auch noch von de Gregorio angegeben86. Erst Bertoni macht den Unterschied: Lazio: gionge; Roma: giunge87. Als heutiges Verbreitungsgebiet des Wandels e > i, o > u vor dieden Konsonantenverbindungen ergibt sich aufgrund der Karten 106 (lingua), 1564 (cintura) und 157 (unghia) des AIS die Toskana mit Ausläufern in Umbrien und der westliche Teil von Latium bis einschließlich Rom. Im S dieses Verbreitungsgebietes finden sich jedoch noch einige letzte Spuren des früheren Zustandes: in Tarquinia und Cerveteri wird für »l'unghia della vacca« ¿na angegeben (Rom hat zocco/o)88; in dem Begriff der Landwirtschaft hat sich also der frühere Sprachzustand besser erhalten, ogne (= unghie d'una micia) findet sich auch noch bei Trilussa89. Für >la sugna< zeigt die Aufnahme des A I S (K. 248) in Rom noch sona; bei diesem Wort hat sich altes o in ganz Latium, Umbrien und den daran angrenzenden Gebieten der Toskana gehalten. Für Bewahrung von e finden wir noch einen letzten Beleg im giudaico-romanesco: del Monte schreibt lengkua So deuten historische und sprachgeographische Betrachtungsweise darauf hin, daß sich in diesem Fall die tosk. Neuerung nicht sprunghaft auf Rom übertragen hat, sondern daß sie kontinuierlich die Westküste entlang nach S vorgedrungen ist, um schließlich seit dem vorigen Jh. auch auf Rom überzugreifen. Vgl. auch Karte 4 des Anhangs. 4. Vortoniges A vor R Das Römische hat bis in unsere Zeit die Entwicklung von vortonigem A vor R zu e, wie sie sich vom Florentinischen her in der Schriftsprache durchgesetzt hat, nicht mitgemacht; allerdings ist seit Belli e in Fut. und Kond. der Verben der 1. Konjug. eingedrungen' 1 , wobei sicherlich die Analogie zu den Verben auf -ere und -ere eine Rolle gespielt hat. In Latium ist a auch in diesen Formen noch bewahrt' 1 . Die Entwicklung des vortonigen A vor R zu e war zunächst auf einen ziemlich kleinen Raum in der mittleren und westl. Toskana beschränkt" und konnte so längere Zeit hindurch sich noch nicht in der Schriftsprache auswirken, die sich in unserem betrachteten Zeitraum allmählich ausbildete. In unseren Texten erscheint also durchwegs a als das reguläre Ergebnis: L Y s t R : 84

85 88 Tb S. 2 1 . Tb S. 24 f. a. a. O., § 8. Profilo linguistico, S. 64. 88 A I S 1059. Für unghia 'Fingernagel' haben wir an beiden Orten üna (AIS 157). e9 Acqua e Vino, Rom 1945, S. 23 ('Tinte'); ferner G. Zanazzo, Usi, c o s t u m i . . . , S. 1 1 , 4 5 : l'ógna della mano. 80 del Monte, a. a. O., V 5. « Tb S. 27. 92 Vgl. Velletri 53, Subiaco 244, Paliano 82, Veroli 169; im A I S (K. 168$) ist in den Kond.- und Futurformen für Rom f angegeben, die umliegenden Punkte in Latium zeigen a. 93 Monaci, Crestomazia, Prosp.Gr. § 79. 87

59

io sposaraio L / A 22,13, usaraono A 3,22, etc., Mir.: cavalaria 30, mustraraio 30, etc., Bandi Re: pacarando 96, F V a : pagaria 550,44. Auch in relativ späten bandi, Texten mit offiziellem Charakter, finden wir a bewahrt: confessata, menar a (neben donerà, giocherà) in einem bando vom 1 5 . 1 . 1 5 6694, infermaria, hostaria, entraranno, ordinarà (keine Gegenbeispiele) in einem bando vom 3 0 . 4 . 1 5 8 j 9 5 . Selbst die Nuptiali, deren Verfasser sonst sehr um eine schriftsprachliche Form bemüht ist, kennen hier nur -ar-, so auf den ersten Seiten: prestarame, demostrarove, desiderarla, sforzaromece. 5. Unbetontes E vor R a) Vor dem Hauptton: Während Siena in dieser Stellung >nicht nur a bewahrt (parlarò), sondern auch e vor r zu a werden läßt -ar- kennt 99 ; es ist somit nicht beweisend. Dem römischen Dialekt entsprechen vielmehr Formen wie foderata FVa 5 51,63, poverielli Ged. 1522 11,7, e t c b) Nachtonig in Proparoxytonis: Die von Merlo für Castelletti angegebenen Formen cancaro, zuccaro, pifari10°, dazu die bei Coli, mehrfach auftretenden Svizzari (282r), sciovizzari (3i8r) lassen zunächst eine Entwicklung von nachtonigem -ER- ZU -ar- möglich erscheinen. Wenn wir allerdings bei Micheli umgekehrt Tarteri und Cesere finden101, so folgt daraus, daß wohl nach dem Ton a und e (vor r wie auch vor anderen Kons.; vgl. Tb, 5. 27 f.) nicht mehr deutlich unterschieden wurden. Im Bewußtsein des Sprechenden wurde der entstandene schlaffe Mittelzungenvokal bald als e, bald als a empfunden, wobei die öffnende Wirkung von folgendem r diesen Laut zunächst zu a tendieren ließ 101a . Später (so seit Belli; Tb 28) wurde dieser Nachtonvokal sogar als i wiedergegeben. 6. E der Anlautsilbe In der Anlautsilbe bleiben im röm. Dialekt E und O im allgemeinen erhalten, soweit keine besonderen Bedingungen auftreten, d. h. das Römische kennt zu keiner Zeit die florent.-tosk. spontane Erhöhung von E > i, O > « in der Anlautsilbe: das Auftreten von de, re-, me etc. in dialektalen oder dialektal gefärbten Texten aller Epochen läßt keinen Zweifel daran aufkommen,^daß dies jeweils die in Rom gesprochene Form war 1 0 2 . Wenn wir nun daneben auf Beispiele treffen, wo, dem Vorbild der Toskana entsprechend, vortoniges 84

95 Nr. 37. Nr. 193. 97 98 99 •• Rohlfs 140. Bianconi S. 41. Merlo jo. Bianconi S. 46. 10 101 10 » Merlo 80. Tb. 28. " Vgl. heute génaro (AIS 33). 101 Jedoch die Vorsilben ri-, di- seit Belli (Tb, S. 31).

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E zu i erhöht wurde, so läßt das nur Schlüsse zu auf das Vordringen einer Schriftsprache, die für geschriebene Texte mehr und mehr verbindlich wurde, ohne daß sie deshalb den Dialekt selbst zu beeinflussen brauchte. Gerade zu diesem Punkt wäre ein Vergleich zwischen privaten Notizen und einem für die Öffentlichkeit bestimmten Text desselben Verfassers besonders interessant; daß dies allerdings auch nicht bei Antonio de Vasco möglich ist, wurde bereits oben gezeigt 103 . Vielleicht kann aber das Vordringen florentinischer Formen in der Kanzleisprache durch einen Vergleich einzelner Bandi gezeigt werden : Ein Bando von 1447 104 hat de 4mal di 3mal Bando vom 1 j . Oktober 1529 1 0 5 : de iémal di 5 mal Bando vom 2 3. April 15 5 j 1 0 8 : de 3mal di i4mal Bando vom 30. April 1585 1 0 7 : de di n m a l

se 4mal si se si

imal 3 mal

se imal si 1 ornai

si

se7mal.

Auch innerhalb von OspPort gewährt ein Vergleich zwischen dem ursprünglichen Text und den späteren Zusätzen interessanten Aufschluß. Wir haben ursprünglich später

di 3mal, di 6mal,

de 23 imal de I72mal.

In Ann. haben wir gewöhnlich de; der ursprüngliche Text hat ein einziges Mal di (i8r), die mengenmäßig weit geringeren späteren Zusätze weisen 4mal die Form di auf. Für das Verhältnis von Schriftsprache und Dialekt bedeutet dies, daß ungefähr seit der 2. Hälfte des 1 j. Jhs. die Anzahl der Formen aus der Schriftsprache in unseren Texten rapide zunimmt, bis diese schließlich gegen Ende des 16. Jhs. in Texten offiziellen Charakters ganz unumschränkt dominieren. Das gilt also vorwiegend für die Kanzleisprache. Coli, als literarischer Text hat noch überwiegend de, se etc. So erklärt sich auch die Bemerkung von Bianconi zu den alten Texten aus Orvieto und Viterbo: »I pochi casi di e per i protonica che compaiono nei nostri testi possono essere interpretati come le prime manifestazioni dell'influsso romanesco, influsso che diverrà

103 105

Vgl. S. 16. Nr. 117.

104 106

Bandi Re, S. 89. 107 Nr. 9. Nr. 193.

61

evidente verso la fine del sec. X V 1 0 8 . « Wenn hier von influsso romanesco die Rede ist, so handelt es sich dabei um den Einfluß des gesprochenen Dialekts und eventuell auch einer literarischen »lingua cortigiana« zu einer Zeit, als in den Texten aus römischen Amtsstuben und Klosterverwaltungen vortoniges i < E im Vordringen war. Das Gegeneinander der verschiedenen Entwicklungen und Tendenzen ist hier also nur zu verstehen, wenn man die verschiedenen Ebenen auseinanderhält: gesprochener Dialekt - private A u f zeichnungen - Werke mit literarischem Anspruch 109 - Kanzleisprache. Zur Erhöhung des vortonigen E ZU i im mod. romanesco, die durch folgendes i oder u bewirkt wurde, vgl. Tb, S. 29. 7. o der Anlautsilbe Für O der Anlautsilbe gilt zunächst dasselbe wie für E: das Römische hat ursprünglich den vi. Anlautvokal bewahrt. Beispiele: Mir.: polzelle 5 , occidate 3 2 , cocine 5 1 , V C : romore 178,8, occiso 1 5 2 , 1 8 , S G B d : ponito 3 1 4 , Pass.: odire B 3 9 , jostiqia B 105, obidiente A 82, S F r R : roffiani, broctura, soffragii [ 1 3 ] 1 1 0 . Jedoch werden hier die Verhältnisse gestört durch das, was bei Merlo bezeichnet wird als »una tendenza a farsi u dell'o vicino a es. labiale o velare« 1 1 1 . Vielleicht ist es von Nutzen, die von Merlo gegebenen Beispiele für u statt o der Anlautsilbe etwas zu vermehren (geordnet nach der kons. Umgebung): custume Mir. 32, chunata SGBn 206, Mem. 90,32, cunato Ann. 2r, eugnato Inf. 54,10, curriere OspSalv 189, curremo Castelletti I 4,6, cutanto S L 32:56, Pass. E i o, Culessio Ann. 2r, scudella B a n d i R e 8 5 ; dunao Mir. 3 1 , dunane S L 2 4 ; buetaro, vuetai C a f f . 40V, vudiella Castelletti I V 15,9; Juvanna OspSalv p., nuvella S L 3 9 ; Nummentana Mir. 44, Lummardo Ann. i5r, mustrare S F r R [ 1 1 ] , munistero Ann. ior; unne Ged. 1 5 2 2 II 4, Ann. p., Ric. p. (satzphonetisch vortonig); furistieri Bandi Re 96. Dabei muß betont werden, daß in den vorliegenden Texten diese Formen nicht durchwegs die Regel sind und daß man auch, selbst wenn der Vokal in ähnlicher Umgebung steht, eine ganze Reihe von Beispielen findet, wo o - entsprechend der oben angeführten Grundregel - beibehalten wurde, selbst dort, wo es im Tosk. zu u wurde: costumato SGBn 93, confallone V C p . , costodita S F r R [ 1 3 ] ; jovenci C a f f . 38V, ioventutine V C 3 2 , 5 ; soperbi SGBn 2 4 3 ; moneta V C 51,7etc., monesterio OspSalv p.; foturi Mest. 3 8 , 1 0 .

108 109

1,0

111

Bianconi, S. 37. Dazu rechne ich auch die gesamte Memoirenliteratur, soweit sie über den privaten Kreis hinaus wirken wollte. Hiermit sind wohl auch in Verbindung zu bringen die Fälle, wo zwischentoniges u zu o wird: betoperavano V C 52,14, adonanza V C 53,12. Merlo 50. 62

Ich kann hier nur auf dieses Problem hinweisen; geklärt werden müßte es im Rahmen einer Spezialuntersuchung, die sich auf alle it. Dialekte erstreckt. Es handelt sich hier nämlich nicht um ein ausschließliches Charakteristikum einer Dialektgruppe, wie die Karten 2 7 - 3 0 (cognato, -i, -a, -e), 973 (scodella), 84 (Giovanni), 1636 (mostrare) des A I S zeigen: die Formen mit u überwiegen bei diesen Wörtern gegenüber denjenigen mit o auch in Gegenden, die keinen spontanen Wandel des vor- oder nebentonigen o zu u kennen 1 1 2 . Ein ähnliches Bild ergibt sich bereits für die ältesten Texte aus Monacis Crestomazia, Prosp.Gr., § 142. In späterer Zeit hat im römischen Dialekt folgendes i oder u der Zwischenton- oder der Tonsilbe eine Erhöhung des Anlautvokals e zu i bewirkt 1 1 3 . Ähnliche Tendenzen lassen sich wohl auch zur Erklärung vieler vortoniger « im modernen römischen Dialekt heranziehen. Im röm. Dialekt des hier betrachteten Zeitraums haben sie jedoch keine Rolle gespielt. 8. E im Auslaut a) Nachtoniges E der enklitischen Personalpronomina bleibt erhalten. Hierfür finden sich außerordentlich zahlreiche Belege, da in den Texten des älteren röm. Dialekts das Gesetz von Tobler-Mussafia sich mit großer Regelmäßigkeit auswirkt. Ich greife nur ganz wenige Beispiele heraus: L Y s t R : adormiose L / A 19,24, imprenaose A 7 1 , 1 5 , Mir.: promettime 30, adcostaose 32, V C : pregove 45,16, faose 1 1 2 , 4 , S G B d : perdortaraove 50, S L : pregote 2 1 , etc. In der neueren Sprache kommen die Personalpronomina enklitisch nur nach Imperativ, Infinitiv und Gerund vor; auch hier erscheinen sie jeweils mit e: méttete, vèste te, lässeme bei Belli 1 1 4 . b) -e ist wohl das normale Ergebnis im PI. der Subst. der lat. 3. Deklination. Schon in den frühesten uns vorliegenden Texten ist jedoch eine Scheidung nach morphologischen Gesichtspunkten eingetreten: die Fem. behielten ihr -e (gestützt durch die 1. Dekl.), die Mask. übernahmen das -/ der 2. Dekl. (s. auch Formenlehre, § 49). c) -e ist auch bewahrt in -ezze < -ITIES; s. U., § 46. 9. u im Auslaut Bereits in den frühesten uns zugänglichen Texten aus R o m haben wir als Ergebnis von lat. -u wie in der Toskana -o; die Iscrizione di S. Clemente vom Ende des n . J h s . bringt dereto colo palo; hier haben wir denselben Laut - oder besser: dasselbe Zeichen - für die Ergebnisse von lat. - o und -u. Ob mit demselben Zeichen auch wirklich derselbe Laut bezeichnet wurde, kann bezweifelt werden, da das aus -u entstandene - o noch bis ins 16. J h . hinein 112

113 114

Weitere Beispiele, vor allem aus tosk. und oberit. M u n d a r t e n , bei R o h l f s 1 3 1 , ohne d a ß R o h l f s der Tatsache Beachtung schenkt, d a ß es sich meist um dieselbe konsonantische Umgebung handelt. T b 29 und 3 1 f ü r Belli und Micheli. T b 27 und 32.

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seine umlautende Wirkung nicht verlor. Falls wir nicht die bis ins 16. Jh. auftretenden tiempo, muorto etc. als Reliktformen ansehen wollen - und das ist bei der für den gesprochenen Dialekt zu vermutenden Regelmäßigkeit (s. § i ) wohl nicht der Fall - , so haben wir uns dieses -o < - u als sehr geschlossen zu denken 115 . Andererseits lag in der Entwicklung des auslautenden -u zu -o ein wichtiger Unterschied zwischen stadtrömischem und lazialem Dialekt. Hierauf deutet die bereits erwähnte Stelle aus V C 1 1 8 : als Cola di Rienzo unerkannt in der Menge untertauchen wollte, um seinem Schicksal zu entgehen, da heißt es von ihm: »favellava campanino e diceva: suso, suso a gliu traditore.« Demnach ist zu erwarten, daß wir in unseren Texten -« nur als gelegentliches Einsprengsel aus der römischen Campagna oder in umbrisch beeinflußten Texten finden. In meinen Aufzeichnungen habe ich folgende Fälle von auslautendem -u: SGBn: angelu 288, SGBd: voctt 232, cuochu 237, Cr: lo Spiritu sanctu 2, L H : gloriosu 3 1 , dolgliosu 32, collu suo filglio 164, Bandi Re: lu inventore 89, lu sigillatore 89, lu officiale 90, ne lu dicto di 94, macellu 90, C a f f . : Lorenzu 4or, Ged. 1522: cantu-quantu M 19/20. Die verhältnismäßig zahlreichen Belege für -u aus der religiösen Literatur des Vat. 7654 dürfen bei den starken Bindungen derartiger Literatur an Umbrien nicht überraschen. Eine Scheidung nach Mask. und Neutr. (mask.-«, neutr.-o), wie sie von Rohlfs (§ 145) für manche mittelitalienischen Dialekte angegeben wird, läßt sich aus den wenigen hier vorliegenden Fällen nicht mit Sicherheit herauslesen, wenn auch Bandi Re und der Beleg aus C a f f . darauf hindeuten könnten. Während Rom heute geographisch in Verbindung steht mit dem Gebiet, das -o < -u hat, scheint es früher in dieser Hinsicht isoliert gewesen zu sein. Das zeigen nicht nur gelegentlich oder überwiegend auftretende -« in frühen Texten aus Nemi 1 1 7 , Velletri 118 , Ceccano 119 , sondern auch entsprechende Belege aus dem Gebiet nördlich von Rom, aus Viterbo 120 und Orvieto 1 2 1 . Liegt nun deswegen eine Toskanisierung vor? Für die Zeit der Iscrizione di S. d e mente können wir doch kaum an einen derartigen Einfluß der Toskana denken; da auch die folgenden frühesten Texte niemals auch nur Spuren von bewahrtem -u zeigen, müssen wir doch für den stadtrömischen Dialekt eine 115

Vgl. auch den ausdrücklichen Hinweis bei Battisti, S. 74, daß in Veroli -o immer geschlossen ist. 111 V C , S. 220. 117 Statuti di Nemi, S. 440. 118 Velletri 39. n * M - F '300, 42 f. (von 1352). 110 M - F '300, 32 (von 1345); allerdings immer -o in einem Text von 1384 (M-F 'joo, 111

-« wird von Bianconi für das Gebiet von Orvieto-Viterbo angegeben, jedoch »in fase di regressione già dalla z a metà del sec. X I I I « (Bianconi, S. 48).

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Sonderentwicklung annehmen, die ihn in diesem Punkt aus den Dialekten der Italia mediana heraushob. io. i i m Auslaut Für den Auslautvokal i ergeben sich in den aröm. Texten gewöhnlich keine Abweichungen vom Toskanischen. Hier sei nur kurz der Auslautvokal im S u f f i x -ieri gestreift, das auch in Rom bereits frühzeitig in Konkurrenz mit dem einheimischen -aro trat. Seine Herleitung aus dem A f z . ist nun wohl unbestritten 122 . Die folgenden Belege aus röm. Texten sind jeweils Singularformen: Mir.: cavalieri 1 2 : 3 2 , L Y s t R : mestieri A 157,30, cavalieri L / A 2 2 8 , 1 8 , V C : cavalieri 55,1, sparvieri 104,17, penzieri 194,8, C r : mestieri 192, L I : destrieri 53, Ric.: pichieri i8r, Bandi Re: barvieri 85, furistieri 96:100, Ann.: barbieri 4T, Mem.: cavalieri 87,6, OspSalv: barbieri 1 7 7 , spidalieri 206, OspPort: camerieri I I 547, F V a : vicecancellieri j $ i , i 2 , Coli.: consiglieri 309^ Bando N r . 1 1 7 (von 1529): barbieri, forestieri. Die Form -ieri war neben -iere auch in verschiedenen Dialekten der Toskana weit verbreitet, ja es ist möglich, daß sie in der ganzen Toskana die ursprüngliche Form gewesen ist 123 . Das auslautende i hatte in der Schriftsprache dem als regelmäßiger empfundenen -e spätestens im 14. Jh. zu weichen; in Rom konnte es sich, wie die obigen Beispiele zeigen, länger halten. Im 16.Jh. unterlag schließlich auch hier -ieri gegenüber -iere; neben dem Vorbild der Schriftsprache war sicher hier wie dort Systemzwang ausschlaggebend, der den ungewohnten Singularausgang beseitigte. Im Schwanken zwischen -iere und -iero12i hat dann jeweils die Schriftsprache den Ausschlag gegeben, zumal diese ganze Gruppe nicht den niedrigen Sprachschichten angehört.

Konsonantismus 1 1 . B, v : anlautend, intervokalisch, in Verbindung mit R, L und mit anderen Konsonanten Um nicht bereits Gesagtes nochmals in aller Länge zu wiederholen, sei wieder kurz an Merlo angeknüpft; Merlo gibt f ü r den aröm. Dialekt an 1 2 5 : v-(vr-) < B - ( B R - ) ; -rv-,-lv- < -RB-,-LB-; -bb- < - D V - . E r bringt hierfür Belege aus L Y s t R , Mir., V C , S F r R , Mem. und Castelletti. Ich werde hier die Entwicklung von B und v auch in den folgenden Positionen untersuchen: ' " V g l . Rohlfs 1 1 1 3 . 123 Vgl. Parodi in Romania XVIII, S. 622, Schiaffini, TF '200, X L V I I I f.; Castellani, NTF'200, S. 43: -ieri für westl. und südl. Toskana; -i sei vielleicht über die Sprache der sizilianischen Dichterschule in die Schriftsprache eingedrungen. 121 In den Bandi Nr. 32 und 33 (von 1564) haben wir je 4mal forastiero, Nr. 43 (von 1567) quartiero, Nr. 130 (von 1550) cochiero. 115 Merlo 51 f., 81.

6$

-B-, -BR-, v-, v nach Kons. Zum Verständnis der römischen Verhältnisse muß hier kurz auf die Geschichte von anlautendem B und v eingegangen werden, wie sie vor allem von Parodi 1 2 6 und Terracini 127 dargelegt wird. Im Kampf zwischen oskischem und lat. System war es zu Mischformen gekommen, als das aus B- und v- ( = y ) entstandene ß zu v (labiodental) weiterschritt: Consentius tadelt die Aussprache bobis für vobis 1 2 8 ; die Appendix Probi korrigiert >vapulo non baplo -b- dem in eine frühere Periode zurückreichenden oskischen Betazismus zuzurechnen oder als umgekehrte Schreibungen aufzufassen sind. Wenn sich das neue System der Verteilung nach satzphonetischen Kriterien aus den Inschriften und vi. Texten so wenig belegen läßt, so ist zu berücksichtigen: 1. Jederzeit können sich Einflüsse des klassischen Latein auswirken (wie ja in der Tat im Ital. und in den meisten romanischen Sprachen die ursprünglichen lat. Verhältnisse restituiert wurden). 2. Analogien sind hier — wenigstens in der Schreibung - sicher besonders häufig: ein dauernder Wechsel in der Schreibung z . B . zwischen ego volio und que(d) bolio ist wenig wahrscheinlich. Hier war von einer Zeit die Rede, die lange vor der Entstehung einer ital. Vulgärsprache liegt; dennoch ergeben sich Parallelen zum röm. Dialekt der frühen Periode, wobei offenbleiben soll, ob es sich um ursächlichen Zusammenhang oder um analoge Entwicklungen handelt. Ich nehme dabei Ergebnisse der folgenden Einzeluntersuchungen vorweg.

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128 120 130

131

E.-G. Parodi: Del pasaggio di v in b e di certe perturbazioni fonetiche nel latino volgare, in: Romania X X V I I , 1898, 1 7 7 - 2 4 0 . B. A . Terracini: »Di che cosa fanno la storia gli storici del linguaggio?«, in: A G I Bd. 27, 133—1 $ 1 ; Bd. 28, 1 - 3 1 ; 1 3 4 - 1 5 0 . Gr.L. V , S. 392; zitiert nach Terracini. a. a. O., S. 194. Satzphonetik halten hier zumindest für möglich: Sommer, H a n d b u c h . . . , § 116,1 und Kieckers, Hist.lat.Gr., § 59,10; § 9 1 , 1 . E. Richter: Chronologische Phonetik..., Beih. Z R P 82, S. 61 f .

66

Parodis Deutung der Entwicklung von B- und v- läßt sich für den röm. Dialekt auf die Stellung im Wortanlaut wie auch auf die Stellung im Wortinnern anwenden. Es gilt: ( - ) B - , ( - ) V - zwischen Vokalen > v; ( - ) B - , ( - ) V - nach Kons, ( B , S, D, N ) > b. Dem sind noch 2 Feststellungen hinzuzufügen, die für den Anlaut wie füi die Stellung im Wortinnern gelten: 1. Die Sonanten R, L haben hier dieselbe Wirkung wie Vokale, sei es wegen ihres an sich mehr vokalischen Charakters, sei es wegen des von Merlo postulierten 132 , in Rom selbst allerdings äußerst selten belegten Sproßvokals (vurunzo in Ged. 1522 II 17b). 2. Vor dunklen Vokalen neigt v (oder wahrscheinlicher bereits ß < B-, v-, -B-, -v-) zum Schwund. Es folgen nun die Belege, gegliedert nach der Stellung. B-: Vgl. Merlo 5 1 / 5 2 und 81; als Ergänzungen aus unseren von Merlo nicht herangezogenen Texten wären hinzuzufügen: C r : versalglia 'bersaglio' 340, L H : voccha 201, Ric.: vevi p., vaca zyr, vasapiedi 105 v, Marg.: vosto 'busto'28, Pass.: vasato C 2 3 , BandiRe: vilance 89, C a f f . : vuctari, buctaro 40V, vamace 24t, Ann.: vagnio 4t, Magnio iov, 8v, varilaro 5r, OspSalv: vizocha, bi- 183, Voccabella 203, Bocca- 201, OspPort: vizocha 15485550, Martomeo,-a 1 7 9 , 1 8 0 , 1 8 2 , 1 8 9 , Gonf.: vocarame I I I i6r, Ged. 1522: vorvotta M 20. Demgegenüber sollen nicht die zahlreichen Fälle übersehen werden, in denen b- in der Schreibung beibehalten ist: in sämtlichen Texten ist b in bello, buono, bene erhalten, wir begegnen zahlreichen Doppelformen (s. o. bei OspSalv und Caff.); andere Texte, wie FVa und SMGr, bieten keinen Beleg von B - > v-. Schwund von B- vor o, u läßt sich in unseren Texten nur in solchen Fällen feststellen, wo g- an seine Stelle getreten ist, z. B. busto > gosto (s. § 36). Eine ganz andere Tendenz begegnet uns dort, wo anlautendes B-, V-, zu mwurde. Außer Martomeo, magnio finde ich hierfür folgende Belege: Malbina, Malvina, Marbina als Nebenformen für S. Balbina im 1 4 . - 1 6 . Jh. 1 3 3 , die Ortsangabe Magnanapoli (vor 1000 belegt), deren erster Bestandteil vermutlich das Etymon B A L N E A enthält 134 ; Porta Merdaria: hierin sehe ich eine direkte Weiterentwicklung aus P O R T A V I R I D A R I A ; aufgrund des lautlichen Ergebnisses dieser Entwicklung wurde sie dann mit der Porta Stercoraria verwechselt 135 ; meste in Cast. V 5,22, wofür Merlo an »vedeste« denkt; Maccarese als Bezeichnung für den rechtstiberischen Landstrich zwischen Rom und Ostia, »nome alterato dall'originale Vaccariccia, poi Vaccarese (o anche 132

133 134

Merlo: Un capitolo di fonetica italiana centro-meridionale -DV-.-SV-], in: Saggi linguistici, 8 - 3 1 ; hier 27 f. Gnoli, Topografia, s. v.; A V 534,15. 135 ib., s. v. ib., s. v.

[lat.B-(BR-);-RB-;

67

Baccarese)«138. All diese Formen haben jedenfalls, wie Ugolini zu Recht bemerkt 1 3 7 , nichts mit dem T y p »un micchiere« zu tun; dagegen spricht schon die Tatsache, daß der aröm. Artikel uno lautete, ganz abgesehen davon, daß es sich hier fast nur um Eigennamen handelt. Ugolinis Deutung (zu Martomeo, Magnio) ist allerdings auch nicht vollkommen überzeugend: er sieht hierin eine »assimilazione regressiva« an folgendes n bzw. m. Die anderen Fälle lassen sich jedenfalls so nicht erklären. Ich denke eher an den Versuch einer intensiven Artikulation von b- im Anlaut; dies hätte über mb- zu mgeführt. Hierher - und nicht zum T y p »un micchiere« 138 - gehört wohl auch aus dem Neuröm. martavello »bertabello« (eine Art Fischernetz) 139 . -B-: Intervokalisches B machte häufig den Wandel zum labiodentalen sth. Reibelaut auch dort mit, wo er anderwärts durch gelehrte Tendenzen aufgehalten oder beseitigt worden war. So haben wir: L Y s t R : novili A 13,27, avitao A 82,15 (-b- in L), avitava A 1 0 5 , 1 4 (-bin L), Ii Savini L / A 9 9 , 1 6 , concove L i 8 , 2 2 , V C : -vile p., kavitatio 3 2 , 1 , civi 1 1 5 , 1 2 , liverare 120,7, Bandi Re: tavarro 85, S F r R : cevo 'cibo* 385, Mem.: avitava 9 1 , 3 1 , Coli.: Ii cuviculari 328V. In Mir. finden sich einige Fälle von -b- aus -v-, die sicher als umgekehrte Schreibungen anzusehen sind: tebertina 3, Trastebere 18, Octabiano 8, etc. Über den weitverbreiteten dissimilatorischen Schwund von -B- in HABEBAT > avea sowie über die hiernach gebildeten Imperfekta auf -ea, -ia braucht hier wohl nichts mehr gesagt zu werden. Schwund eines zum Reibelaut gewordenen B vor dunklem Vokal (bereits im Vi. häufig) liegt vor in (h)auto, SL 243, Pass. B 1 8 2 , S F r R 388, Mest. 10,19, e t c -BR-: Hierfür erscheinen bei Merlo keine Belege; es finden sich jedoch, entsprechend der Entwicklung von anlautendem BR-: V C : livro 1 0 1 , 2 0 , Ann.: Graviele < Gavriele140 8r, Mest.: livro 38,10, freve < fevreuo 39,1. -RB-, -LB-: Die Iscrizione di S. d e m e n t e bringt Carvoncelle als frühesten Beleg einer Entwicklung zu -rv-(-lv-). Merlos Belege aus V C , L Y s t R und Castelletti 141 sind außerdem aus den folgenden Texten zu ergänzen: Ric.: erva j 6 v , 57V (dagegen erba 57V und p.), Bandi Re: barvieri 85, Ann.: carvonaro i r , OspSalv: Carvone 204 (auch -rb- 204), Inf.: Alvi 108,6, SBrT: morvida 305,9, Ged. 1 5 2 2 : vorvotta M 2 0 .

,3

* R. Almagià: Lazio (Band X I der Reihe: Le Regioni d'Italia), Turin 1966, S. 3 1 7 . Ann., S. 46. Auf ähnliche Weise könnte entstanden sein abr. mentre < invenire in der Bedeutung 'venire' (Schlack, S. 48); allerdings müßte hier die Wahrscheinlichkeit eines invenire in der Bedeutung 'venire' überprüft werden. 138 Tb, S. jo. 139 Chiappini, s.v.; Ii martavelli findet sich auch in einem Text aus Civitavecchia von 14 j i (M-F '400, S. 66). 140 Hier könnte allerdings auch die Metathese der Entwicklung -B- > -v- vorausgegangen sein. 141 Merlo 52 und 81. 137

68

Jedoch stehen bei dieser Erscheinung oft im selben Text beide Formen nebeneinander, manche Texte kennen nur -rb-, -Ib- (so Mir., Caff., OspPort, SFrR). Auffallend ist Minerba in Coli. 321V, 338r, A V 515,14, Inf. 65,22, ja sogar noch im neueren Romanesco bei Belli 142 und Chiappini 143 ; hier haben wir es wohl mit einer vereinzelten hyperkorrekten Form zu tun, die dann allgemeine Geltung erhielt; sie beweist keinesfalls die umgekehrte tosk. Entwicklung -RV- > -rb-Ui. v nach Kons.: Merlo bringt hier nur Belege für -DV- > -bb-, -NV- > -mm(aus L Y s t R , SFrR, V C , Mem., Delf.) 145 . Es gilt jedoch auch -BV- > -bb-, -sv- > -sb-. Als Ergänzungen zu Merlos Belegen mögen hier stehen: DV: SL: abiamo (=-vv-) 57, Pass.: abenga A 52, abocata B 176, C r : s'abiava 83, SBrT: abelato 299,3. BV: V C : sobbenire 63,2, Mem.: sobenire 93,44. sv: V C : resbigliato 89,2, SGBn: esbilglia 381, L II: sbelgliato 1, Inf.: sbalisciorono 136,14, SBrT: sbalisciate 301,16. NV: V C : commenevole 56,17, commene 172,15, commiti 81,6, immitato 133,6, SGBn: conbene 'conviene' 175, SL: conminente 90, Ged. 1522: remmerzato II 1 1 . Nach Kons, wurde also v zu einem Verschlußlaut b; dieser gab seinerseits wieder zu Assimilationen Anlaß: BV, DV > b(b), N V > nb> mb> mm. Aus DV und BV sollte man eigentlich langes b (=bb) erwarten; zum Problem der Schreibung von Geminaten bzw. zur Degemination s. § 38. v-: Auf die Fälle von anlautendem v- > b- ist Merlo nicht eingegangen. In der Mehrzahl der Fälle findet sich freilich v-, Aber eine satzphonetische Verteilung scheint in den aröm. Texten noch in der Weise wirksam gewesen zu sein, daß v ursprünglich n u r nach ausgefallenem (oder manchmal in der Schrift noch erhaltenem) Auslautkons, einer betonten Ultima (natürlich außer lat. -M) ZU b werden k o n n t e . Diese Fälle sind, wie mir scheint, in eine Linie zu stellen mit nachkons. v > b im Wortinnern. Ein hochinteressanter Beleg ist das a bboce der Inschrift in den Commodilla-Katakomben; das zweite b wurde hier nachträglich hinzugefügt 146 . Ferner: L Y s t R : & fobe L / A 49,22, ke bcra 'che vi era* L 174,14, A 174,15, no(n) bera L / A 2 i , i 2 , a bedere A 175,21, L / A 4 0 , i 9 , Mir.: ke be 32 (2x), si be 6, V C : e Balerio 32,9, a boce 1 6 1 , 1 4 , benissiro 124,17, che boa 191,8, non boleva 97,7, io so benuto 135,19, SGBn: e bole 251, SGBd: a buy 443, et basciella nach 232, C r : e(t) ba(o)senne 2115279, Marg.: a bedere 49, Pass.: 14i 143 144

Im Sonett » E r cel de bronzo«, Z . 1 3 . Chiappini, S. 1 7 8 , s. v. Liofante. Dasselbe gilt wohl auch f ü r die aus dem Jahre 1 4 2 4 belegte Ortsbezeichnung

alli cuorbi (Gnoli, Topografia, s. v. Corvi).

11s M e r l 0 146

J 0

f.

u n

j 81.

Z u den besonderen graphematischen Verhältnissen dieses frühesten Beispiels vgl. § 38 sowie F. Sabatini, Un'iscrizione . . . , S. 69 ff.

69

che bat E 8 , e bergo(n)giosa E io, Ged. 1 5 2 2 : e buoco 'vogliono* I 4, I I I J , che be I 7, e bederai I I 8. Der Normaltyp nach einem Auslaut ohne geminierende Wirkung auf den folgenden Anlaut wird dargestellt durch Fälle wie da voi147 Mir. 32, lo voleano Mir. 33, vuoco (am Versanfang) Ged. 1 5 2 2 I I 9; M 19, le voco Ged. 1 5 2 2 M 14, etc. Daneben gibt es zahlreiche Fälle (p. in sämtlichen Texten), in denen v auch nach ausgefallenem Auslautkons, beibehalten ist. Andererseits scheint b- sich manchmal analogisch ausgedehnt zu haben: L Y s t R : la bacca L 1 8 1 , 2 2 , V C : se betoperavano $2,14, sorella bedoa 93,4, Ric.: carne bacina i8r, S L : bolglio 34, borria 83 (jeweils am Versanfang), agia bergongia 167. Ich habe in diesem Abschnitt die Belege für eine Reihe von Erscheinungen gebracht, die miteinander in enger Beziehung stehen. Nun soll noch einmal die Frage gestellt werden: Welches Schicksal haben diese Charakteristika des alten röm. Dialekts gehabt, was hat sich vielleicht erhalten, wie ist im andern Fall das Verschwinden einer Erscheinung zu erklären? Anlautendes B- und v-: Das für den aröm. Dialekt kennzeichnende, von der Stellung im Satz abhängige Ergebnis läßt sich folgendermaßen darstellen: lat.

B-

nach Vokal

(tu)vevi

nach lat. Kons. (außer -M)

e bevi

lat. ylavoce a boce

Dieses Schema entspricht demjenigen, das Weinrich für die nordkorsischen Mundarten angibt 148 . So ließe sich auch hier von einem »doppelseitigen Lautwandel« (Weinrich, S. 90) sprechen, der - wenn wir Weinrichs Gedankengang übernehmen - hätte erhalten bleiben können. Daß die Erscheinung zumindest in schriftlichen Zeugnissen besonders stark analogischem Ausgleich ausgesetzt war, kann nicht verwundern: Ein Nebeneinander verschieden anlautender Formen desselben Worts w a r in der Schreibung nicht tragbar und führte zu analogischem Ausgleich, der in beiden Richtungen wirken konnte; vgl. oben z. B. carne bacina, sorella bedoa etc.; daneben e vevili Ric. j6r. Der analogische Ausgleich ist allerdings in unseren Texten nicht so stark, daß er die eigentliche satzphonetische Verteilung der Varianten ganz unsichtbar machen würde.

147 148

A. Camilli: Pronuncia e grafia..., S. 73 : »A Roma il da e il dove non sono mai rafforzativi*. H. Weinrich; Phonologische Studien, S. 89; dabei besteht allerdings - falls in unseren Texten v wirklich den labiodentalen sth. Reibelaut bezeichnet - der Unterschied, daß die Artikulationsstelle der beiden satzphonetischen >Varianten< nicht übereinstimmt.

70

Warum ist aber auch im gesprochenen Dialekt dieser »doppelseitige Lautwandel« beseitigt worden, nachdem man sich z. B. in der Toskana nicht an dem Nebeneinander von la hasa und a (c)casa stößt und auch die von Weinrich beschriebenen nordkorsischen Verhältnisse sich gehalten haben? Ich denke dabei an ein kulturelles Element, an ein stärker ausgeprägtes Sprachbewußtsein, das grammatikalisierend die Wortgrenze als Einschnitt ansah und den Wortanlaut wieder festwerden ließ, wobei die Schriftsprache zur Orientierung diente. Daß in einem Stadtdialekt wie dem Roms im 15. Jh. ein solches Bewußtsein eher vorhanden ist als in den nordkorsischen Mundarten, wird man annehmen dürfen. Sollte aber ein solches Bewußtsein gerade in der Toskana, zumal in Florenz, nicht vorhanden sein? Dort liegt das Problem ein wenig anders: es wird öfters berichtet, daß die >gorgia< von den Toskanern selbst gar nicht wahrgenommen wird 1 4 9 . Das hängt wohl damit zusammen, daß einem la hasa nur ein la casa in der Schriftsprache entsprechen kann. Aröm. a boce oder tu vevi (ebenso wie la voce und e bevi) könnten jedoch - theoretisch - jeweils zwei verschiedene schriftsprachliche Entsprechungen haben; der >unterirdische< Bezug auf die Schriftsprache schafft hier erst die Unsicherheit. In Reaktion hierauf werden die etymologisch >richtigen< Formen wiederhergestellt. Die Texte vom Ende des 15. und Anfang des 16. Jhs. zeigen hier bereits vollkommene Angleichung an die schriftsprachlichen Verhältnisse: SMGr, F V a und Coli, bieten keine Belege für die beiden komplementären Tendenzen. Beide waren also als dialektal erkannt und beim Schreiben vermieden worden. Der gesprochene Dialekt kannte sie beide noch in der 1. Hälfte des 16. Jhs. (in Ged. 1 5 2 2 : e buoco, e bederao; vorvotta). Von den beiden Tendenzen wird in Rom, wie es scheint, zuerst die plebeischere, der Betazismus, aufgegeben: gegen Ende des Jahrhunderts erscheint bei Castelletti entweder die durch die lat. Etymologie und durch die Schriftsprache gestützte Form (IV 1 1 , 1 - 2 3 : bene, bucata, bisogna, 'n bocca, benedetto, bella, biat'; voglio, so vecchia, le vascella, de voitä, una voita, e va, nata vestita) oder die Verallgemeinerung der nachvokalischen Form (ib.: lo vocconc, la vocca). Ein Jahrhundert später, im Meo Patacca Berneris, sind auch f ü r die Existenz von v- < B- keine Anzeichen mehr vorhanden; dasselbe gilt noch später für die Sprache der personaggi romaneschi bei Goldoni 1 5 0 . Zur heutigen Verbreitung von B- > v- vgl. Karte j des Anhangs. Latium zeigt zum Teil noch die alten Verhältnisse: der N kennt dabei nur die Entwicklung B- > v- (oder Schwund), der O und S auch die von v- > b-, wobei in einigen Resten die Verteilung nach satzphonetischen Kriterien noch zu erkennen ist 1 5 1 .

149 So z. B. Weinrich, S. 113 ; Merlo in Saggi linguistici, S. 119. 150 y e 0 ) Personaggi romaneschi. 151 v . < B_ ; n Orvieto im 14. Jh., verschwindet im 1 j. Jh. (Bianconi, S. 63) ; S. Oreste 131 : a (ft)okka, Subiaco i$6: la okka; okka in Valle dell'Amene 71, Cervara 96;

71

Intervok. -B- > -v-: Die Geschichte dieser Entwicklung ist vollkommen anders zu beurteilen. Hier lag eine gemeinital., ja gemeinromanische Tendenz vor, die nur in der Schriftsprache in manchen Fällen durch latinisierende Einflüsse aufgehalten wurde. Hier war überall ein Nebeneinander erbwörtlicher und gelehrter oder halbgelehrter Formen möglich; Fälle wie civo, novile, etc. sind demnach nicht Anzeichen einer speziellen Tendenz des Dialekts. Sie sind vielmehr Belege für das Schwanken zwischen >gelehrter< und volkstümlicher Entwicklung des jeweiligen Wortes. Als Anzeichen für die immer lebendige Tendenz, intervokalisches -b- in flüchtiger Aussprache zum Reibelaut -v- werden zu lassen, stehe hier neuröm. ciavattino, das bei Chiappini und dem neuröm. Dialektdichter Checco Durante belegt ist 152 . Das in Rom nur selten zu belegende (-)vr- < ( - ) B R - ist wie die bereits besprochenen Entwicklungen eine südit. Erscheinung. Allerdings war deren Verbreitungsgebiet von Anfang an begrenzter als das von B- > v-\ bis Orvieto ist sie nicht gedrungen, wohl auch nicht nach Viterbo 153 . Rom lag hier also bereits in der frühen Periode des Dialekts im Randgebiet der Erscheinung, die überhaupt nur bei vraccio mit einiger Häufigkeit auftritt, nach i j 8 5 aber nicht mehr nachzuweisen ist. -RB-, -LB- > -rv-, -lv-i Die Tatsache, daß Belege hierfür im ganzen betrachteten Zeitraum des röm. Dialekts auftreten, bietet Gewähr dafür, daß wir es mit einer einheimischen Entwicklung zu tun haben. Nun war schon vom Lat. her die Verbindung -RB- wohl häufiger als -RV-; dazu findet sich lat. -RB- > aröm. -rv- in einigen Wörtern, die in unseren Texten recht häufig vorkommen: barba, barbiere, erba, superbo, Viterbo. Wer also >korrekt< schreiben wollte, konnte -rb- schreiben, ohne allzugroße Bedenken, einen Fehler zu machen. So ist es nicht verwunderlich, daß sich nun umgekehrt in einem Wort aus der >gelehrten< Sphäre, das aber naturgemäß als Ortsbezeichnung im Volk viel gebraucht wurde, dem Namen der Kirche S. Maria sopra Minerva, der Hyperkorrektismus Minerba um so hartnäckiger festsetzte und auch in den gesprochenen Dialekt eindrang. Die weitere Geschichte verläuft im Dunkeln. Nur so viel läßt sich sagen: -rv-(-lv-) aus - R B - ( - L B - ) wurde in den Texten leicht in die schriftsprachliche Form korrigiert, war aber bis i j 8 j im gesprochenen Dialekt noch anzutreffen. Im folgenden Jahrhundert verschwand die Erscheinung wohl auch dort;

158 lM

f bbero in Valle dell'Aniene 6o, Cervara 67; Velletri: viato, votte, vokka 46; balle, a bballe 44; Veroli: ve ve, vestia 40; v- »in bb dopo particola rafforzativa in alcune forme di vede« 31; Amaseno: varile, vasà 56; v- > b- mit »raddoppiamento sintattico« in einigen Formen von vede 45. Vgl. für die Gegend von Viterbo auch Melillo, L'antologia sonora..., in Cult. Neolat. 19 (1959) S. 289: »Alla bilabiale B, iniziale e dei nessi BR RB, risponde di tanto in tanto quella che era la sua continuairice originaria, la labiodentale v.« Checco Durante: Acquarelli, Rom 1956, S. 63. Bianconi, S. 63.

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bei Goldoni finden wir schließlich nur erba, barba15*. Heute finden sich davon, soweit ich sehen kann, keine Spuren mehr. v nach Kons.: Hier können wir nur den Verhältnissen um 1500 diejenigen des modernen röm. Dialekts gegenüberstellen, wie sie seit dem vorigen Jahrhundert sichtbar sind. Für Zwischenstufen habe ich keine Belege 1 5 5 ; auch Tb erwähnt diese Verbindung nicht. Chiappini entnehme ich folgende Beispiele: avocato, avvampato, invidia, invotita, svalicià; abbòdi 'avvolti' als Name einer Käsesorte aus Priverno (zwischen Frosinone und Anzio), die in Myrtenblätter eingewickelt war, gibt natürlich die dialektale Form des Herkunftsortes. De Gregorio hat nun allerdings immese, nom mogliono >non voglionotranvai< in Panconcelli-Calzias Transkription als tram:e erscheint 157 . Die Entwicklung NV > mm hätte sich also entsprechend MB > mm gehalten, wenigstens in Schichten des röm. Dialekts, die in Bellis Werk nicht zum Ausdruck kamen. In den modernen Dialekten Latiums wird v auch in der Stellung nach anderen Konsonanten zu b. Auch hier steht also der stadtrömische Dialekt gegen das übrige Latium 1 5 8 . 12.

-ND-,-MB-(-NV-)

In der Verbindung der Nasalkonsonanten mit den homorganen sth. E x plosivlauten erfolgt im alten und neuen röm. Dialekt die oskische Assimilierung, die zu den markantesten südlichen Charakteristika zählt. Die bei Merlo gegebene Liste 159 ließe sich ins Uferlose vermehren. Deshalb seien hier nur noch einige Hyperkorrektismen erwähnt, die die Stellung des Dialekts in den Texten beleuchten: L Y s t R : vende 'venne' A 72,20, onde 'ogni' A 78,20; 88,25, Bandi R e : darando 96, venderando 96, OspSalv: Rienzo Buonando 180 (dagegen Cecco de Buonanno 197), Hermando Deuerich 208, S F r R : trovarando 385,10, stando (3. Ps. PI.) 372,32, S M G r : stando 13. Derartige Hyperkorrektismen sind Anzeichen für ein Bemühen um eine schriftsprachliche Form, das o f t in die Irre geht; deshalb ist andererseits in solchen Texten -nd-, -mb- o f t erhalten, ohne daß wir deshalb die Bewahrung 154

Veo, Personaggi romaneschi. Allenfalls lo voccone 'n bocca, Castelletti IV 11,14. 156 De Gregorio, S. 108. 157 Panconcelli-Calzia, S. 107,28. 158 S.Oreste: immidia 128, Subiaco: 'mmernu, resbiglià 251, abboltà 266, Valle dell'Amene: (i)mmece 70, abbaile, se rìsbiglià 61, Paliano: 'mmece, sbeli, abbaile 88, Velletri: abbaile, sbeli, mmito 44, Veroli: mmerno, zbelà, abbaile 32, Castro dei Volsci: mmierno, zbelà 145, abbaile 151, Amaseno: mmerns, ìbalà 45/46, abballa 55. Vgl. dazu auch AIS 314 (inverno) und 656 (svegliarsi); Rom hat hier inverno, zveyyi, O- und S-Latium zeigen -mm- und -zb- (jedoch geht hier S. Oreste mit Rom). Merlo 50. 155

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der alten oskischen Erscheinung jemals bezweifeln müßten. So finde ich in SFrR nur imal quanno (S. 372), ferner wird sfonnavano von Pelaez angegeben160. Charakteristisch für die Texte der 2. Hälfte des i j . J h s . scheint mir in diesem Punkt Ann.: dort haben wir 26mal responde, i7tnal respondere gegenüber 6mal respon(n)e; jedoch 3mal canneloctaro, 2mal ve(n)negnie 'vendemmie', jeweils ohne Gegenbeispiel. Die Nähe zu häufigen lat. Wörtern begünstigte also im Text -nd-, während die dialektale Form sich dort durchsetzte, wo die etymologische Grundlage für den Schreiber nicht so leicht zu erkennen war. Ein entsprechendes Beispiel ist Torre Protunata ( < PERTUNDATA) in A V 533,10, ein Text, der sonst fast nur -nd- hat. Während also der Dialekt die Assimilierung immer beibehielt, wurde sie in der Schrift seit der 2.Hälfte des i j . J h s . verdrängt 161 . Vgl. hierzu auch A. Colocci, Vat. lat. 4 8 1 7 , 6 $ r : »posso pozzo. rom. callo caldo. tnanno mando. quando quanno. fanno fando. in un modo scrivono or in un altro pronuntiano.« Zu beachten ist hierbei die hyperkorrekte Form fando, wobei nicht ganz deutlich wird, ob es sich um einen Hyperkorrektismus der Aussprache oder der Schreibung handelt, da bereits bei quando - quanno die Reihenfolge des Gegensatzpaares vertauscht ist 162 . Da sich in diesem Punkt also nur die Schreibung, nicht aber der gesprochene Dialekt geändert hat, kann auf eine eingehendere Untersuchung der Erscheinung verzichtet werden. Zu -Nv- s.o., § 1 1 . Zur heutigen N-Grenze von -ND- > -nn- vgl. Karte $ des Anhangs. 13.

-LD-

-LD- wird ursprünglich zu -II-, Belege hierfür bei Merlo $6 und 82. Dazu kommen aus OspSalv die Eigennamen Paolo de Ranallo 194, Sinniballi 198, Astalli 200, Teballo 193. Bertollo findet sich noch bei Belli 163 . Chiappini hat Bertoldo neben Bertollo; dort auch nur Riminigildo als forma plebea. Außerdem existiert als sprachliches Relikt heute noch in Rom die Via degli Astalli. Ferner hat Rom callo mit seinen Ableitungen bewahrt 164 , callo (und entspre160

1,1

182

183

S F r R [ 2 7 ] ; zu den weiteren Angaben von [ 2 7 ] : secunno ist die Auflösung einer Abbreviatur, somit kein geeigneter Beleg; trovanno 'trovando' ist an der angegebenen Stelle des Textes nicht zu finden. Die Formen der 3. Pers. PI. laudanno, rengratianno basieren jedenfalls nicht auf einer Grundlage mit -ND-. In Ric. ist noch -nn-, -mm- die Regel: quanno, mannuca, retonna, gamma p.; in F V a haben wir nur gelegentlich quanno, dagegen ando, andare, onda, inundo, indorato, etc.; in Coli, bevorzugt die 1. Abschrift ando, combatte, etc.; die z. hat vorwiegend anno, granne, commatte, tromme, etc.; in beiden Fällen finden sich keine falschen Rekonstruktionen. Es ist nicht grundsätzlich ausgeschlossen, daß einmal eine derartige falsche R e konstruktion im gesprochenen Dialekt die Oberhand gewinnt {Minerba scheint mir dafür ein Beispiel); hier finde ich jedoch keine derartigen Fälle. Auch die f ü r Velletri bezeugten Belege von nd < NN (Velletri 44) stammen alle aus alten Texten, nicht aus dem heutigen Dialekt. 184 Tb 43. A I S 948; T b 43.

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chende Formen) wird von der Karte 948 des AIS angegeben für die südl. Marche, das südl. Umbrien, ganz Latium und die Abruzzen sowie sporadisch in Kampanien und Sizilien, wo nicht vorher -vad- < -ud- entstanden war. Das deutet darauf hin, daß -//- < -LD- ursprünglich auf demselben Gebiet verbreitet war, das -nn-, -mm- < -ND-, -MB- kennt185: hier wie dort handelt es sich um eine Assimilation des - annähernd homorganen - sth. Verschlußlautes an den vorhergehenden Sonanten. Weshalb ist nun aber -//- weniger beständig geblieben? soldo, das noch im 16. Jh. fast durchwegs als sollo, suollo,suello erscheint (entsprechend sollato), lautet heute nicht nur in Rom sordo; auch in ganz Unteritalien finde ich kein s(u)olloiM. Die Erklärung liegt m. E. in der Tatsache, daß bereits im Vi. die Serie von Wörtern mit -LD- (primär und sekundär nach Synkope) nicht sehr reichhaltig war (anders als bei -ND-, -MB-). Gegenseitige Beeinflussung oder Stützung von callo und sollo war hier weniger möglich, so daß die Geschichte der Entwicklung von -LD- > -II- in eine Reihe einzelner Wortgeschichten zerfällt. Im Falle von soldo bzw. sordo (Wiedereinführung des d unter tosk. Einfluß, Ersatz des vorkons. / durch r, s. § 14) muß die Toskanisierung recht jung sein, da / hier auch an vielen Punkten auftritt, die sonst kein l vor Kons, kennen. 14. L vor Konsonant Zu -LD- s. § 13. Nach Merlo ist i im altrömischen Dialekt das einzige Ergebnis aus L vor Kons. 167 ; Merlo räumt dabei ein, daß nur in dem ihm vorliegenden Text von V C sich entsprechende Beispiele von I. > i vor sämtlichen in Frage kommenden Konsonanten finden. In den frühesten Texten sei dieser Wandel unbekannt. In einer Anmerkung erwähnt er vereinzelte r-Formen (parme, ormo) in Mem. und Inf. 168 ; carche 'qualche' bei Castelletti scheint ihm verdächtig169. Um die Entwicklung zu klären, soll hier zunächst eine Reihe von Belegen für das Ergebnis von L + Kons, in frühen röm. Texten gegeben werden. a) Bewahrung: LYstR: volze L 49,19, -Is- A49,19, tulze L 22,13, A 243,22, molto L/A 68,24, etc., Mir.: polzelle 5, tulze 16, etc., molto p., cavalcao 32, falce 32, VC: albergo (und Ableitungen) 48,7; 94,5; 104,2; ioj,2,etc., alcuno 58,12, volta 133,1, alzava 147,2,etc., SGBd: menescbalco, molti, selva nach 80, Ric.: polgi ii4r, golpino io8v, Marg.: colpo 20, salvo 33, SL: sobeldura 58, aldissimo 253, Pass.: dolce B 19, falei C38, alta C49, BandiRe: poltredine 86, calcaresi 93, salvatichi 84, altro,-a p., Caff.: qualche ir, Selvestro jor, etc., Ann.: altra p., Silvestro 13V, OspSalv: altramente p., Silvestro 179, coltraro 192, Falcone 198, SFrR: altro p., molto p., 195

Vgl. z.B. AIS 11 (mando). " " A I S 179. 167 Merlo $6-58, 82 f. 188 18 S. 57. »S. 83; warum? 75

ultime 255, salvo 376, etc., SMGr: volte i , altri 2, alcuno p., FVa: palmi 549,11, etc., avvoltarlo 550,5, altro p., Castelletti: colto I V 17,7. b) Ausfall: Mir.: le abergarie 53, OspSalv: abergatore 1 9 1 , Ric.: atro n 6 r , SL: atro 29, Ann.: adro, adra p., Aberto 2, SFrR: atro 371, capistava 385, Gonf.: atro III, 16. C) L vor Kons. > i: V C : moito p., aitro p., voita p., aiti 42,8, aitare 1 1 3 , 1 1 , uitimo 2 1 4 , 1 , maidisse 160,7, faizi 40>i> voizero 59,11, Ceizo 128,12, (h)aizava 147,2, aicuni p., faiconi 48,9, zoipho 86,3, coipa 106,8, saivatichezza 195.14, G D : toize 73,15, moiti,-e 75,12577,19, Mem.: voltava 94,35, Ged. 1522: aitri I I 6 , ascoita I I 9 , Castelletti: moito II 8,2, aitro II 8,14, voizonetti II 10,5, voizi I I I 2,5, ascoltate I I I 9,30. d) L vor Kons. > r: L Y s t R : ermo L 257,23 (elmo A 257,22); dazu vermutlich als falsche Rekonstruktionen alme L 52,22; 185,15, alvitrio A 84,13, V C : quarche 166,10, arcuna 127,8, arguno 166,1:4, cavargao 188,12, scavarcato 139,2, vorgare 4 1 , 1 7 , gorpi 'volpi' 40,12, corpo 79,19, purpito 42,17, corba 'colpa' 201,6, corbo 'colpo' 205,9, a r v a (= -lb-) 1 1 4 , 1 5 , sarvezza 53,9, serve 66,14, Serviestro 145,15, parma 54,12, SGBd: cortella nach 232, Ric.: porve p., sarvia i i 2 r , SL: Sarvatore 143, sarvare 232, Marg.: sarvare 76, Ann.: cargarari n r , Gugliermo 4ir, OspSalv: Serviestro p., SFrR: cortiello [ 1 6 ] , OspPort: Guillermo (späterer Zusatz) I 548, Mem.: le parme 86,29, Inf.: ormo 38,1, Servestro 37,5 ;7, carica 'calca' 49,5, A V : Marbina 'Balbina' 534.15, Castelletti: carche I I I 9,18; IV 15,27. Zunächst mögen Bemerkungen zu einigen Sonderfällen folgen: abergo: Aus frk. * H E R I B E R G A ; tosk. im 13. Jh. als abergo. Das erste R des germanischen Stammwortes wurde auf zweierlei Weise von der Dissimilation betroffen: es fiel entweder aus oder wurde zu /. Die Wirkung der Dissimilation zeigt sich noch in der auffallend häufigen Bewahrung des sekundär entstandenen l gerade bei diesem Wort und seinen Ableitungen. atro: Vermutlich hatte hier der Artikel dissimilatorische Wirkung, die häufig zu einem Schwund des vorkonsonantischen L führte 170 . Ebenso in N T F '200, S. 835. L > r war hier wegen des folgenden r nicht möglich; im heutigen Dialekt haben wir deshalb als Dissimilationsergebnis antro. Ähnlich auch andare 'altare' Gonf. I I 13V. sarvare und Ableitungen: Diese Formen sind für eine Entwicklung von L vor Kons, zu r nicht sehr beweisend, da Kreuzung mit servare möglich ist. carche: Merlo 83: »carche... m'è sospetto«; es wird jedoch bestätigt durch quarche in V C und die modernen Dialekte 171 . cortiello ist vermutlich als sehr früh dissimilierte Form zu erklären. Eine Ausgangsform "'CURTELLUS wird im FEW angenommen. Sie wird dort er-

170

171

Zur Erklärung vgl. Castellani in L N X I , 1 9 5 0 , 3 1 - 3 4 ; für atru etc. in den Dialekten der Umgebung vgl. Ugolini, Contributo . . . , S. 48, Anm. 2. Subiaco 2 J 3 , Valle dell'Amene 67.

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schlössen aus Formen von Gegenden, die keinesfalls die Entwicklung von L vor Kons, zu r kennen. Bei carica < carca < calca könnte der Einfluß von carica 'Last' eine Rolle gespielt haben. Die Stelle in Inf. 49,5 f. lautet: »fu nello ponte di Santo Angiolo una grande carica.« Aus den oben gesammelten Beispielen ergibt sich nun folgendes Bild: 1. Bewahrung des vorkonsonantischen L finden wir in sämtlichen Texten mit Ausnahme der reflektierten Dialektliteratur 172 . Damit ergibt sich aber - zumindest für die Texte des 16. Jhs., mit großer Wahrscheinlichkeit aber auch für die vorigen Jahrhunderte daß ein bewahrtes l als schriftsprachlich aufzufassen ist. Auch der Einfluß latinisierender Tendenzen ist manchmal möglich; ein derartiger Einfluß ist jedoch in Wörtern wie qualche oder alcuno auszuschließen (zu weite Entfernung von der etymologischen Grundlage). 2. Für eine Velarisierung im stadtröm. Dialekt ergeben sich aus den vorliegenden Texten keinerlei Anhaltspunkte; jedoch haben wir als wertvollen Hinweis aus viel früherer Zeit die seit dem 4. Jh. belegte Nebenform Almachia zu Naumachia173; sie läßt sich nur als falsche Rekonstruktion verstehen. 3. Schwund des L läßt sich in den meisten Fällen mit Dissimilationstendenzen erklären; bei dem noch verbleibenden geringen Rest sind von Fall zu Fall verschiedene Ursachen anzunehmen; auch vereinzelte Schreibfehler sind nicht auszuschließen. 4. Entwicklung von vorkons. L zu i findet sich in V C vor t, d (in einem Kompositum an der Wortfuge), z (primär und sekundär aus LS), k, p, f , v, m (nach Merlo). Die übrigen Texte zeigen i < L nur vor Dentalen. 5. L wurde zu r vor Labialen, Velaren, Palatalen, jedoch gewöhnlich nicht vor Dentalen. 6. Mit dem Schwund oder dem Wandel des L scheint eine Tendenz zur Lenisierung eines folgenden stl. Explosivlautes verbunden gewesen zu sein. Bei Schreibungen wie ad.ro, corba, argu.no darf man wohl nicht von Sonorisierung sprechen; ich möchte sie vielmehr mit der bekannten lazialen Lenisierung von stl. Explosivlauten nach Sonorlauten in Zusammenhang bringen 174 . Zur Deutung: Für die Zeugnisse aus dem I J . und 16. Jh. ergibt sich eindeutig die Regel: vor Dentalen wurde L ZU i, vor Labialen, Velaren und Palatalen zu r. Unsere Beispiele zeigen trotz der vielen Fälle von erhaltenem / deutlich seine geringe Stabilität im gesprochenen Dialekt. Der Über172 173 174

colto bei Castelletti beruht wohl eher auf Nachlässigkeit. Gnoli, Topografia, s. v. Vgl. Schürr in Z R P 47, 1927, S. 497, Anm.; Velletri 4 1 ; vgl. hier S. 9$ ff.

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gang von L ZU I entspricht einer allmählichen Palatisierung über die Z w i schenstufe i; ob diese allerdings die ursprüngliche Tendenz des röm. Dialektes darstellt, erscheint mehr als fraglich, nachdem Rom von einem Gebiet mit ausgeprägter Velarisierungstendenz umschlossen ist. Es dürfte sich vielmehr um eine städtische Reaktion auf die >vulgäre< velare Aussprache handeln 1 7 5 . N u n machten sich aber früh Tendenzen zur Wiederherstellung des l bemerkbar; sie erklären einerseits die Tatsache, daß wir in L Y s t R und Mir. fast nur bewahrtes / haben, andererseits führten diese Tendenzen zur Lautsubstitution durch r im gesprochenen Dialekt 1 7 6 ; letztere ist uns ebenfalls in L Y s t R , jedoch vorwiegend in falsch korrigierter Form faßbar. In dieser Lautsubstitution kann, aber muß man nicht unbedingt einen Versuch zur Toskanisierung sehen. Sie erfaßt zunächst l in der Position v o r Labial und Velar. Das stimmt mit den Beobachtungen von Schürr nur zum Teil überein 1 7 7 : dieser nimmt eine Dissimilationstendenz an, die vor Dental und Palatal die Velarisierung, v o r Labial und Velar die Palatalisierung begünstigt bzw. jeweils die andere Erscheinung verhindert. Nachdem nun aber in Rom die Reaktionstendenz zur Palatalisierung sich durchgesetzt hatte, leistete der Einführung von r als /-Ersatz die Verbindung -it- den größten Widerstand, so daß man hier eher von einer Assimilationstendenz sprechen müßte. Mit anderen Worten: die Palatalisierung hält sich in R o m vor Dentalen länger und ist hier besser belegt als vor Labialen und Velaren, w o palatalisiertes L bzw. i frühzeitig durch r ersetzt wird. Eine Stufe, in der nur die Palatalisierung, nicht jedoch der Ersatz durch r vorkommt, ist uns allerdings aus den Texten nicht faßbar. Die V C - falls sie uns wirklich ein verläßliches Bild des röm. Dialekts zur Zeit ihrer Entstehung bietet - würde jedenfalls den Moment bezeichnen, in dem i < L sowie r als Lautsubstitution in allen Verbindungen nebeneinanderstehen, außer vor Dentalen, w o stets i erscheint. In den Texten des 1 5 . und 16. Jhs. hat sich r vor nichtdentalen Konsonanten

175

176 177

Vgl. Meyer-Lübke: Die Schicksale des lateinischen 1 im Romanischen, Leipzig 1934, S. 73, und Schürr, a. a. O., S. 496. Damit wird auch Bacinschis Theorie eingeschränkt, der von einer von einem >römisch-toskanischen Zentrum< ausgehenden Palatalisierung spricht (ZRP 44, 1924, S. 259); freilich kann eine solche Reaktion selbst wieder alle Anzeichen einer ursprünglichen Tendenz haben. Zur gleichen Erscheinung in anderen romanischen Sprachen und Dialekten vgl. Meyer-Lübke, a. a. O., S. 80. Schürr in Z R P 47, 1927, S. 497; so auch Rohlfs 243 und 244. Vgl. ferner Lausberg, Die Mundarten Südlukaniens, Halle 1939, S. 1 1 3 . Schlack, der die Deutung als Dissimilationstendenz im allgemeinen übernimmt (S. 165 ff.), berichtet von einem Gebiet in den Abruzzen (Scanno, Gessopalena, Fara San Martino), wo l vor Dentalen und Palatalen eine palatale Entwicklung genommen hat. Er hält Meyer-Lübkes Erklärung der römischen und toskanischen i-Formen (Abwehrreaktionen gegen »vulgäres« l bzw. u) für nicht ausreichend. Seine eigene Erklärung (/ vor t und ts über die »Zwischenstufe r« zum »lautphysiologisch benachbarten /«; S. 177) muß jedoch aus phonetischen Gründen stark angezweifelt werden.

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ausschließlich durchgesetzt, vor Dental bleibt i im gesprochenen Dialekt (für entscheidend halte ich hier die Belege aus Castelletti). Aus den Partien in röm. Dialekt bei Goldoni kann ich nur er zuccharo beibringen, sonst haben wir dort - ebenso wie bei Peresio und Berneri — vor Kons, immer el, al, col etc. 178 . Das kann jedoch nicht dem wahren Stand des Dialekts zu dieser Zeit entsprechen, denn bei Micheli hat sich r durchgesetzt (daneben zahlreiche Fälle von bewahrtem /) 179 . Hiermit haben wir den Anschluß an den heutigen römischen Dialekt gefunden, für den der Artikel er und Ausdrücke wie quarcbe vorta in ganz Italien als typisch angesehen werden. Auch in den Dialekten Latiums ergibt sich eine verschiedene Entwicklung von L vor Dental und Palatal auf der einen, vor Velar und Labial auf der anderen Seite. Hier zeigt sich deutlich eine ursprüngliche Tendenz zur Velarisierung: Amaseno 40: sauta, kauca etc., Castro dei Volsci 141 f.: auta, faucia, fausa etc., Veroli 28 f.: auto, sauca, fauso etc., Paliano 87: geuzo, sauce etc., Cervara 77 f.: vautu *alto', sauciu, feoce etc., Subiaco 252: saucia, autu etc. Im S Latiums schob sich hier öfters ein v als Übergangslaut in den entstandenen Diphthong, dessen 2. Bestandteil zu einem flüchtigen Mittelzungenvokal wurde, der bald als e, bald als i notiert wird 1 8 0 : Veroli 28: fivici (=felci), Velletri 48: kavecio, skavezo, savecio, Marino s.v.: cavizo, cavicio. Vor dentalen und palatalen Lauten konnte das aus L entstandene u ganz verschwinden 181 . Vokaleinschub findet sich fast nur vor Labial und Velar: Amaseno 40 f.: polaca, kolapa, zulafa, Alavira, Castro dei Volsci 142: kalakagna, kolapa, pullacanella (aber poce 'pulce'), zttlafa, allamena, Veroli 29: kolapa, kalakagno, Velletri 48: soleko, volepa, sowie in Texten des späten 15. Jhs.: faleconi, alecuno, elomo, Paliano 87: polemone, kalekagno, volepa, Subiaco 2 j 8 : kalekagnu, suliku, polepa, ulimu, Cervara 78 f.: faliku, suliku, golepa, polepa, alema 'anima', ulimu 'olmo', Valle dell'Aniene 67: suppuliku 'sepolcro', alema. Die Tatsache, daß Formen wie subbuludura182 und kummuluziuni 'convulsioni' 183 — also gelegentlicher Vokaleinschub bei / vor Dental - als >voci dotte< bezeichnet werden, macht es wahrscheinlich, daß auch vor Labialen und Velaren die Epenthese ursprünglich ein Versuch zur Bewahrung des l ist. Die vorhergehende Stufe der Entwicklung ist uns nicht mehr faßbar, je178 Veo, Personaggi romaneschi. " • T b 44. 180 Merlo spricht allerdings ( R D R 1 , 1 9 0 9 , S. 247) von einer epentesi zwischen dem halbkonsonantischen « und dem folgenden Kons., worauf das « vollends zum Kons, geworden sei; Crocioni (Velletri 48) betrachtet jcdoch das v als den epenthetischen Laut; ebenso Rohlfs 243, S. 404. Vgl. auch die Entwicklung Paulo

> Pavolo.

181

Castro dei Volsci, Amaseno, Velletri, Cervara, Subiaco, Valle dell'Aniene, jeweils auf den im folgenden zitierten Seiten. 182 Amaseno, Lessico, s. v., Veroli 28. 183 Veroli 29.

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doch dürfte es zunächst auch vor Labial und Velar in Latium Formen mit u aus velarem L gegeben haben. Das muß vor der 2. Hälfte des i j . J h s . gewesen sein, wie die epenthetischen Formen dieser Zeit aus Velletri bezeugen. Schließlich haben wir im ganzen besprochenen Gebiet die Formen mit r, die jeweils als >di immissione recente< oder >corrente letteraria< bezeichnet sind. Sie treten im S Latiums allerdings nur selten auf: für Amaseno und Castro dei Volsci finde ich nur kurteglio (zu diesem Wort s. o.), in Veroli kommt dazu Gugliermu183. In den übrigen oben angeführten Orten erscheinen sie allerdings so häufig, daß sich Belege erübrigen. Die Entwicklung in Stadtrom und in Latium zeigt also einige Parallelen; direkte Abhängigkeit läßt sich jedoch nur am Beginn und am Ende der Entwicklungsreihe nachweisen. Schematisch dargestellt und vereinfacht würde diese etwa folgendermaßen aussehen: Latium

Rom

1. Velarisierung vor allen Konsananten

[1. Velarisierung vor allen Kons, (kaum belegbar)]

2. Aufgabe der Velarisierung vor Labial, Velar: lap, lak etc. V o r Dental « erhalten

2. Palatalisierung vor allen Kons, als Reaktion auf >vulgäres< velares l 3. Aufgabe der Palatalisierung vor L a bial, Velar (Versuch der Toskanisierung): rp, rk etc. Vor Dental j erhalten

j . Unter römischem Einfluß Ersatz der alten Formen durch r + Kons. (Velletri 4 1 : »Queste forme con r derivano da influenza romanesca.«)

4. Verallgemeinerung von r

In Rom gelten die Ziffern 2 und 3 gleichzeitig für VC, Ziff. 3 allein für die Texte des 1 j . und 16. Jhs., Ziff. 4 vermutlich seit dem 17. Jh. 1 j. L nach Konsonant In der Behandlung des nachkonsonantischen L (am Wortanfang und im Wortinnern) ist Rom anscheinend seit frühester Zeit nicht von der Toskana abgewichen, d. h. wie in der Mehrzahl der it. Dialekte wurde dieses L zu j palatalisiert184. Die Palatalisierung war allerdings wohl über das in der Schriftsprache übliche Maß hinaus verbreitet. Das zeigen einerseits Formen wie benepiacito V C 44,11 oder Chimento OspSalv 208, andererseits der häufige Versuch, ein schriftsprachliches l nach Kons, durch r wiederzugeben (wie oft im Altit., selbst in der Toskana): Mir.: presore 21523, Pass.: cre184

Auch in alter Zeit finden sich in Rom keine Belege für PL > pi > ki, eine E r scheinung, deren Nordgrenze nicht weit südlich von Rom verläuft; so muß man Meyer-Lübke zustimmen, der die heutige Grenze dieser Erscheinung für alt hält (Schicks, des lat. 1, S. 52).

80

menza A 57, afritta B 123, fragelli C 2 7 , Bandi R e : piubricamente 87, A n n . : disciprinati i r , S F r R : fragelli 377, C o l i . : Cremente zj6v, 279V, 336V, concrave 3 i j r , 339r pubrico 33or, prubicato 'pubblicato' 329t; dazu aus dem neueren Dialekt bei Chiappini ingrese, groria, grolia (falls hier nicht Metathese vorliegt) und die Beispiele aus Belli 185 . Ferner haben w i r in L Y s t R hyperkorrekte Formen, w o R durch l ersetzt w u r d e : implese

L 8 3 , 1 7 , le blacza

L 1 0 5 , 2 0 , lo blachio

L 120,25 ( ' n A jeweils

br-), piato L 133,17 ( A : pr-), rege flancorum L 202,21 ( A : franchi). Bezeichnenderweise finden sich die hyperkorrekten Formen alle in L, das auch plu 6,20, pianto 50,15 hat; in A steht an denselben Stellen più, pianto. A l s eine besondere A r t des Hyperkorrektismus haben w i r schließlich in V C fiesco 186,7, fiescbe 121,2 ( = f r - ) ; hier hat sich w o h l ein hyperkorrektes l im D i a lekt festgesetzt und ist dann wieder in normaler Weise palatalisiert w o r den 188 . Abgesehen von Einzelfällen hat sich in diesem Punkt in R o m im L a u f e der Jahrhunderte nicht viel geändert. Besondere Beachtung verdienen jedoch (-)GL- und (-)CL-. Wie bei den anderen 1-Verbindungen finden sich hier latinisierende Bewahrung von l, dessen Palatalisierung mit dem Ergebnis ghi- und chi-, sowie r als /-Ersatz. D a z u kommen nun jedoch: a) ringiastro

^REINCLAUSTRU A n n . i r , giavica

< CLAVICA A n n . n r , Gimento,

Giumento

(verbessert aus

ciavica)

< CLEMENTE A n n . i 3 r , i 8 r .

b) se dama Coli. 3 i 4 r (chiama 320V), mascio ( i- (geschrieben i und gi): iotta, giaccio, iannuglie (Merlo 53); dazu auch agiadato Pass. B 76 ( < *ADGLADIATU); aus dem mod. D i a l e k t : janna, jotto, jozzo bei Chiappini, s. v . ; janna, jotto, aber ghiaccio bei Belli 1 8 7 . In a) hat gi mit größter Wahrscheinlichkeit den Lautwert i (vgl. § 17). Z u diesen Formen finden sich Parallelen in N - und O - L a t i u m und in den Abruzzen 1 8 8 . Unsicher bleibt mir, ob die Formen aus A n n . mit der (alten) romanischen Anlautsonorisierung 1 8 9 oder mit der (vermutlich) neueren um-

185 186

187 188

188

T b 43. Baldelli rechnet dagegen R o m z u dem Gebiet, das die Verbindungen v o n Kons. + l bewahrt hätte. Die Fälle von Kons. + 1 (statt r) deutet er als c o m p r o m e s s o conservativo con cui si reagisce alla minaccia d'immigrazione di j< (Glosse in volgare cassinese, S F I 16, 1958, 135). Er stützt sich dabei auf die zahlreichen Fälle von nachkonsonantischem l, das in der Schreibung bewahrt wurde. Jedoch setzt z. B. die Reaktionsform flancorum in L Y s t R ein fragelli voraus. Dieses frisi seinerseits nur als Lautsubstitution für }l- verständlich, das in volkssprachlicher E n t w i c k l u n g zu fi- geworden wäre. Bei all dem müssen w i r annehmen, d a ß die Schreibung außerordentlich konservativ-latinisierend bei K o n s . + / blieb (Belege aus L Y s t R bei Baldelli, a. a. O . ; H s A hat jedoch passim più, pianto etc.). T b 43 f. iamare in den A b r . , 13. Jh., javica, )aru, iamà, iede in Subiaco und der V a l l e dell'Aniene (Testi abr. '200, 63 f.); f g a w , Ramava, S. Oreste 137 und 154. Belege für KL- > gl- in der R o m a n i a bei Figge, 160 ff. 81

brisch-lazialen vielleicht doch verdeckt wird. dringlinge: sie

Lenisierungstendenz verbunden werden sollen und ob beide einen Zusammenhang haben, der durch Schreibkonventionen Im stadtröm. Dialekt sind derartige Formen jedenfalls Einerscheinen hier nur in einem einzigen Text (2. H ä l f t e des

15.Jhs.). Zu c): Für GL- nimmt Rohlfs 184 in S-Italien folgende Entwicklung an: GL > i > ; (gemeinsam mit i aus Ii). N u n ist aber i > j eine recht junge E r scheinung, während i < GL- bereits in unseren ältesten Texten erscheint. Deshalb möchte ich hierfür eine andere Erklärung vorschlagen: GL > gi ( > gi) > i. Das würde zunächst der tosk. Entwicklung entsprechen; die letzte Stufe wäre auf die Schwächung der Mediae zurückzuführen (vgl. § 2 9 ; C e r v a r a 92), die in eben demselben Grenzgebiet zwischen Abruzzen, Marche, U m brien und Latium auftritt, das janna, jomu etc. aufweist. Dieses i ist geblieben, es ist nicht mit i aus iente, ioco etc. gegangen. Das erscheint leicht verständlich, wenn man sich den grundsätzlichen Unterschied vergegenwärtigt, der zwischen der Übernahme fremder Aussprachegewohnheiten und einheimischer Lautentwicklung besteht: während sich einerseits tosk. d ^ n t e , d^gko gegen aröm. iente, ioco durchsetzten (nicht als allmähliche Lautverschiebung, sondern als Übernahme), w a r im Falle von ghianda/ianna das anlautende g (selbst wenn es gelegentlich aus der Schriftsprache in den Dialekt eingedrungen sein sollte) immer der Schwächung und damit (besonders vor dem folgenden Reibelaut) dem Schwund ausgesetzt (vgl. § 29). Zu b): Formen wie ciama können mit den beiden eben besprochenen E r scheinungen wohl nicht zusammengebracht werden. Die Palatalisierung des L hat hier über die Stufe k'yama auch das anlautende k ergriffen, das zur A f f r i k a t a wurde, so wie einige Jahrhunderte vorher kqlu > k'y^'lit > tf elo. Es handelt sich dabei um eine vorübergehend im röm. Dialekt auftretende Tendenz, deren erstes Auftreten ich im 1 5 . J h . feststellen kann, die nach Ugolini 1 9 0 im röm. Dialekt des 1 7 . Jhs. recht verbreitet war, heute jedoch spurlos verschwunden ist und nur noch vereinzelt in Latium Parallelen findet1". 1 6 . NS, R S , LS

In die Gruppen NS, RS, LS schiebt sich ein t als Übergangslaut ein. Beispiele hierfür bei Merlo 58 f. und 83. Dort wird allerdings die Gruppe LS nicht berücksichtigt. Aus den von Merlo nicht berücksichtigten Texten finden sich u. a.: NS: incenqo Ric. j 8 v , conqentuto S L 2 2 8 , sanzile 'sensile' C a f f . 24r, penzo Colocci 62r, conziglio Coli. j6r; RS: perqona Ric. 92r, oniverqo Pass. A 19, casse terziate F V a 549,36, forza >forse< Ged. 1 $22 I 2, morze Coli. 297r und p. 1,0 191

Testi abr. '200, S. 64. Velletri 42: vieccio 'vecchio' etc.; dort auch angegeben für Lenola, Pontecorvo, Ceprano. Parallelen auch in den Zentral- und Südabruzzen (Schlack, S. 153). 82

Dazu für LS: volze LYstR 49,19 etc. (A hat Is), tulze/tulge L Y S t R L / A p., Mir. 16, faizi V C 4 1 , 1 , coizero V C 83,14, Ii polgi Ric. 1 1 4 ^ falgi Pass. C 38. Dabei verfallen gerade diejenigen Texte, die am peinlichsten diese Dialekteigentümlichkeit vermeiden, am häufigsten in Hyperkorrektismen: Bandi Re: nansi 92, comensare 96, Ann.: marso 2v, Campomarsi 4R, la Nunsiata IJV (hier nur Alfonzo 6r, von späterer Hand), OspSalv: calsolario 183, Lorensa 195, Rensa 1 9 1 , OspPort: calsolaro II 543, Lorensa 1 5 4 4 , Rienso 1 5 5 2 , SFrR: speransa 371, terso 375, alsato 15, SMGr: sensa p. Anläßlich der umgekehrten Schreibungen ließe sich allerdings auch anders argumentieren: Der Übergangslaut wurde als phonologisch nicht relevant betrachtet (bei ursprünglichem NS etc. wie bei ursprünglichem NZ etc.). Die einen Schreiber hätten sich dann vorwiegend für die Schreibung mit s, die anderen für z entschieden, wobei auch wieder Abweichungen aufgrund etymologischer Schreibweise zustandekamen. Beide Deutungen schließen einander nicht aus, falls ich den Begriff >Hyperkorrektismus< durch etymologisch unrichtige Schreibung< ersetze. Die zweite Deutung erklärt auch, warum diese Erscheinung von der Toskanisierung bis auf den heutigen Tag nicht betroffen wurde: Nachdem sie von der Mehrzahl der naiv Sprechenden nicht als Besonderheit empfunden wird (im Gegensatz zu dem Humanisten Colocci), fehlt auch das Bestreben, sie zu beseitigen. So ist auch heute noch der Übergangslaut zwischen n, r, l und s eine im römischen Dialekt lebendige Erscheinung. Sie verbindet Rom mit den Mundarten des S, wenn sie auch Teilen der Toskana nicht fremd ist 192 . 17. Anlautendes und intervokalisches j; G[E,I; d\ Im röm. D i a l e k t ist i < (-)I-, (-)G[F.,I, (-)DI- mindestens bis zur Zeit von

Castellettis Stravaganze, d.h. also bis gegen Ende des 16. Jhs., wenn nicht länger, nicht zu g weitergeschritten. Das entspricht dem Lautstand, wie er heute für S-Italien südlich der Linie Rom-Ancona gilt 193 . Die hierfür von Merlo 55 und 82 gegebene Liste ließe sich ohne Mühe aus den anderen hier untersuchten Texten um ein Vielfaches vermehren. Merlo berücksichtigt dabei nicht DJ. Hierfür finden sich u.a.: L Y s t R : goio ( < GAUDIUM) L 193,25, A 193,24, moia ( < MODIA) L 162,29, raiora ( < *RADIORA) L 293,15, A 293,14, V C : boij 131,9, Pass.: vegio ( < VIDEO) B 2:14, SGBd: vigio ( < VIDEUNT) 186, S F r R : tiegio 387,26, SMGr: cayano p., Ged. 1522: reveio ( < -VIDEO) II 5. Deutet nun allerdings nicht die Schreibung (-)gi- in diesen und in Merlos Beispielen auf eine Aussprache g und hat nicht etwa die Schreibung (-)idenselben Lautwert' 94 ? Eine Antwort bietet die Schreibung g für den hiatus192 ,9S

1,4

Rohlfs 267. In Latium allerdings auch bereits häufig g, wohl auf dem Weg über Rom; vgl. z . B . A I S gennaio K . 3 1 6 , giorno K . 3 3 6 und die Bemerkungen über forme italianeggianti und di corrente letteraria in Subiaco 249, Cervara 59, Valle dell'Aniene $8, Veroli 24, Castro dei Volsci 139, Amaseno 36. Ein Lautwert g wird z. B. von Rohlfs (§ 1 j8) ohne weiteres für i vor Vokalen in atosk. Texten angenommen.

83

tilgenden Übergangslaut j in Fällen, wo weder die Aussprache g noch g angenommen werden kann: L Y s t R : porragi 'portrai' L 158,12, restitugio '-tui' L 159,14, pigitoso 'pietoso' L 127,9, Mir.: venceragi 'vincerai' 30, Pompegi 4 1 , SGBd: trage nach 344, L I : stagate 216, C r : figate 35, Marg.: stagenmo 53, Bandi Re: dega ( < D E B E A T ) 84, SMGr: dega p. Andererseits tritt gelegentlich das aus G entstandene i vor i im Schriftbild gar nicht in Erscheinung: V C : Carthaine 38,13, Inf.: Mai 'maghi' 78,13, Reina 106,3 >7Dazu kommt in allen Texten das häufige Nebeneinander von i und g in der Schreibung derselben Wörter; dafür steht gelegentlich auch einmal -di-, wie z.B. madio >maggio< in Mir. 15. All das zusammengenommen zeigt, daß sowohl i und ; als auch g vor palatalen Vokalen (als Übergangslaut auch vor a) als i zu lesen sind 195 . Allerdings ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, eindeutig festzustellen, ab wann der Schreibung ge, gi der Lautwert ge,g(i) beizumessen und in welchen Fällen sie nur in eine toskanisierende (oder auch latinisierende) Tendenz der Schreibweise einzuordnen ist. i gilt wohl noch für Castelletti, d. h. für das Ende des 16. Jhs. Die ständige Schreibung ge,gi bei Peresio 196 , Berneri 197 , Goldoni 198 verlangt für diese Texte sicher die Aussprache g; ob sie damit allerdings wirklich repräsentativ für den gesprochenen Dialekt ihrer Zeit sind, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Heute ist g in Rom allgemein verbreitet. Relikte im vorigen Jahrhundert bzw. am Anfang dieses Jahrhunderts scheinen zu sein majorengo bei Chiappini, s. v. und jesof sowie er judisce bei De Gregorio, S. 1 1 3 . Wenn diese Angaben zutreffen, so sind sie mit ein Zeichen dafür, daß wir es nicht mit einer normalen Lautentwicklung von i zu g zu tun haben, daß es sich vielmehr um jeweils einzelne Entlehnungen bzw. Übernahmen aus dem Toskanischen bzw. der Schriftsprache handelt 199 . Ein weiteres Anzeichen könnte auch die Aussprache la ggente sein, wie sie von Rohlfs für das Römische bezeugt wird 200 . 1,5

Zu demselben Ergebnis gelangt I. Baldeiii, Le »Ystorie« dell' »Exultet« Barberiniano, SFI X V I I (1959), S. 109/110, für den dort untersuchten Text, »che se non è cassinese sarà abruzzese«. "" già, giostra, giù, giusto, fugge, ingiurie, giunte nach Escobar, 1 2 1 - 1 2 5 . 197 198

199

200

g'ù, già, poggiati, giro nach Escobar 1 4 1 - 1 4 6 . giorno, colleggio, gioco bei Veo, Personaggi romaneschi. Eine Entwicklung im Bereich des aröm. Dialekts liegt wohl auch beim Wort il rione vor. Daß hier keine Toskanisierung erfolgte, daß das Wort vielmehr in der Form des aröm. Dialekts in die Schriftsprache eindrang, ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß es sich seit Augustus' Zeiten um eine Bezeichnung vor allem der r ö m i s c h e n Stadtteile handelt. Auch das Genus spricht für römische Herkunft dieses Wortes (vgl. § 48). Anderer Meinung ist M. Alinei, der rione aus *REGONE ableitet und diese Entwicklung auf eine Stufe stellt mit derjenigen von io, reale, paese, maestro, venti, trenta (Actes du X e congrès international de linguistique et philologie romane, Paris 1965, S. 972). Rohlfs I, S. 547; D'Ovidio, Fonetica del dialetto di Campobasso, S. 159: »Da Roma in giù, il g ha sempre pronuncia intensa.« 84

Eine derartige vom vorhergehenden Auslaut unabhängige Dehnung des Anlautkons, ist gewöhnlich ein Anzeichen für lehnwörtliche Übernahme in den südit. Mundarten 201 . Ganz evident wird die Tatsache der Entlehnung schließlich durch die abweichende Behandlung von i-, dem GL- zugrunde lag. Eine reguläre Lautentwicklung hätte jedes j-, gleich welcher Herkunft, erfaßt 202 . Weniger beweiskräftig ist hier die abweichende Entwicklung von i(i) aus l im Wortinnern, da dieses i(i) nicht vor dem 18. J h . nachzuweisen ist (s. u.), während i- aus GL- bereits in den aröm. Texten auftritt 2 0 3 . Zur heutigen geographischen Verbreitung der Bewahrung von /- vgl. Karte 6 des Anhangs. Rom zeigt von der frühesten Zeit bis heute die südit. Entwicklung RJ > r. Belege f ü r die ältere Periode bei Merlo 54 und 82. Das lat. S u f f i x -ARIUS erscheint in seiner volkstümlichen Form also immer als -aro; das geht von Mir. (vestaro I ; I I , jennaro 7 etc.) bis zum modernen Dialekt (Belloni-Nilsson-Ehle, S. I X : fornaro, notaro). Ich sehe also f ü r die Dialekte Roms und Latiums keinen Gegensatz des Suffixes -ARIUS zur Entwicklung von sonstigem -RJ-: wir haben coro, paro wie -aro20*. Dafür, daß i sich mit dem Vokal der vorhergehenden Silbe zu einem Diphthong verbunden hätte, liegen in unseren Texten keine Anzeichen vor; auch in den Studien zu den Dialekten Latiums finden sich keine Hinweise auf eine derartige Entwicklung, wie sie von Rohlfs für Dialekte Siziliens, Kalabriens und Kampaniens belegt wird. Wir können also nur sagen, daß i im vorausgehenden Sonorlaut aufgegangen ist. Die zahlreichen Beispiele mit dem Suffix -aro und das fast völlige Fehlen von -aio (neben gelegentlichen Latinismen auf -ario) lassen hieran keinen Zweifel aufkommen. Die Festigkeit dieser Erscheinung in Rom findet eine Entsprechung in dem Vordringen des Suffixes -aro in der Ubergangszone zwischen dem Norden Latiums, der südl. Toskana und dem südl. Umbrien im 15. und 16. Jh. Dieses von Castellani 205 untersuchte Vordringen von -aro ist insofern verwunderlich, als doch gerade in dieser Zeit der römische Dialekt eher Einbußen erlitt, anstatt in die Umgebung auszustrahlen. 19. RG vor palatalen Vokalen RG wird vor palatalen Vokalen im aröm. Dialekt zu ri; Belege bei Merlo $8 und 83. Für die weitere verschiedene Entwicklung z . B . von CORIU ( > 201

Vgl. Rohlfs 1 jo, 153,156; Subiaco 256, Cervara $9 f., 92, Castro dei Volsci 139. » s.o., § I J . 203 In Latium hinkt die Entwicklung der römischen hinterher; hier wurden in diesem Jahrhundert in einzelnen Wörtern aus der Schriftsprache und aus dem Rom. sowohl die Lautung i(i) aus t als auch g aus j übernommen. Dabei kam es zu Überschneidungen und falschen Regressionen, wie sie in Rom nicht aufgetreten sind, da dort die beiden Entwicklungen zeitlich getrennt waren. So erscheinen in Latium für aio >ho< sowohl aggio als auch aglio (Subiaco 2jo, Valle dell'Aniene $9, Paliano 98, Velletri 40). 204 Vgl. Rohlfs 28 j. 2 2

8i

c(u)oro, C a f f . 4OR, V C I I 6 , I O , F V a 5 5 1 , 6 4 ) und GEORGIU ( > Juorio VC 49,17, Mem. 86,8; Jona Ann. yv) war die verschiedene Position innerhalb der Silbe entscheidend: co-r(i)o: Jor-io. i aus G nach R hatte mehr konsonantischen Charakter, war immer silbenanlautend und nahm damit dieselbe Entwicklung wie J < G im Wortanlaut; es ging also, infolge seiner starken Stellung, keine Verbindung mit dem vorhergehenden Sonorlaut ein. Die weitere Toskanisierung zu rg erfolgte entsprechend derjenigen von i < j, G [ E , I , DI; s. o., § 1 7 . 2 0 . NJ

Die Entwicklung des Nexus NJ im röm. Dialekt verläuft wohl von Anfang an derjenigen in der Toskana parallel, d. h. also NJ > n(n) (mit der üblichen Dehnung des Kons, durch folgenden Halbvokal). Diese Entwicklung tritt immer dann ein, wenn erbwörtliche Behandlung vorliegt, so auch öfters, wenn im Tosk. -NJ- erhalten ist; in der bedingungslosen Durchführung dieser Lautentwicklung liegt eines der Charakteristika des mod. Dialekts. Vgl. bei Belli: maggnera, opiggnone, gnente etc. 206 ; so z . T . bereits in Coli.: Corgna 32