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German Pages 307 [321] Year 2009
Forschungen zum Alten Testament Edited by Bernd Janowski (Tübingen) · Mark S. Smith (New York) Hermann Spieckermann (Göttingen)
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Die Textualisierung der Religion Herausgegeben von
Joachim Schaper
Mohr Siebeck
Joachim Schaper ist Professor in Hebrew, Old Testament and Early Jewish Studies an der University of Aberdeen, UK.
e-ISBN PDF 978-3-16-151103-5 ISBN 978-3-16-149730-8 ISSN 0940-4155 (Forschungen zum Alten Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2009 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Josef Spinner in Ottersweier gebunden.
Vorwort Im vorliegenden Band sind Vorträge, die bei der Konferenz „Die Textualisierung der Religion. Juda und Jerusalem zwischen Kult und Text vom 7. bis 5. Jh. v. Chr.“ gehalten, sowie andere Originalbeiträge, die – unabhängig von der Konferenz – speziell für diesen Band verfasst wurden, versammelt. Unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Rahmen ihres Heisenberg-Programmes, fand die Tagung, die wohl allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern als ein schönes Beispiel kollegialer Zusammenarbeit und gemeinsamer Suche in guter Erinnerung ist, vom 8.–10. Juli 2005 an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen statt. Sowohl der Fakultät als auch der DFG gilt mein Dank, wobei ich letzterer auf Grund der Förderung, die ich als Heisenberg-Stipendiat in den Jahren 2002–2005 erfuhr, besonders verpflichtet bin. Mit Dank an alle mitarbeitenden Kolleginnen und Kollegen, an Percy Berktold, der den Computersatz erstellt hat, und natürlich an die Herausgeber der Reihe Forschungen zum Alten Testament, Bernd Janowski, Mark S. Smith und Hermann Spieckermann, bringe ich diesen Band auf den Weg und hoffe, dass er seinen Teil zur Erhellung eines zentralen Problems der JHWH-Religion und überhaupt der Religionsgeschichte leisten wird. Aberdeen, im Oktober 2008
Joachim Schaper
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Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
V
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
IX
JOACHIM SCHAPER Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Teil I: Textualisierung in Ägypten und Mesopotamien JOACHIM FRIEDRICH QUACK Redaktion und Kodifizierung im spätzeitlichen Ägypten. Der Fall des Totenbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
WOLFGANG RÖLLIG Aspekte der Archivierung und Kanonisierung von Keilschriftliteratur im 8./7. Jh. v. Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
Teil II: Textualisierung im alten Israel und in der frühjüdischen und rabbinischen Literatur JOHANNES RENZ Die vor- und ausserliterarische Texttradition. Ein Beitrag der palästinischen Epigraphik zur Vorgeschichte des Kanons . . . . . . . . . . .
53
BEATE EGO „In der Schriftrolle ist für mich geschrieben“ (Ps 40,8). „Mündlichkeit“ und „Schriftlichkeit“ im Kontext religiösen Lernens in der alttestamentlichen Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
CHRISTOF HARDMEIER Zur schriftgestützten Expertentätigkeit Jeremias im Milieu der Jerusalemer Führungseliten (Jeremia 36). Prophetische Literaturbildung und die Neuinterpretation älterer Expertisen in Jeremia 21–23 . . . .
105
KONRAD SCHMID Nebukadnezars Antritt der Weltherrschaft und der Abbruch der Davidsdynastie. Innerbiblische Schriftauslegung und universalgeschichtliche Konstruktion im Jeremiabuch . . . . . . . . . . . . . .
150
VIII
Inhaltsverzeichnis
STEFAN SCHORCH Communio lectorum. Die Rolle des Lesens für die Textualisierung der israelitischen Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
167
LENA-SOFIA TIEMEYER Two Prophets, Two Laments and Two Ways of Dealing with Earlier Texts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185
BEATE EGO Im Schatten hellenistischer Bildung. Ben Siras Lern- und Lehrkonzeption zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. . . . . . . . .
203
GÜNTER STEMBERGER Mündliche Tora in schriftlicher Form. Zur Redaktion und Weitergabe früher rabbinischer Texte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
222
Teil III: Textualisierung im Hinduismus und im Buddhismus GAVIN FLOOD Text Reception and Ritual in Tantric Scriptural Traditions . . . . . . .
241
WILL TULADHAR-DOUGLAS Writing and the Rise of Mahayana Buddhism. . . . . . . . . . . . . .
250
Statt eines Epilogs JOACHIM SCHAPER „Scriptural Turn“ und Monotheismus. Anmerkungen zu einer (nicht ganz) neuen These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
275
Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
292
Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
293
Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
297
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
301
Abkürzungsverzeichnis ÄA AASF ÄAT AB ABG ActAc ADFU ADPV AfO AfP AION AOAT AS ATD ATD.A ATSAT ATU AUSS AV BASOR BBB BBVO BEATAJ BEThL Bib BiKi BiOr BK BN BThSt BThZ BZAW BZNW CB DBS DJD EI ETR FAT
Ägyptologische Abhandlungen Annales Academiae Scientiarum Fennicae Ägypten und Altes Testament Anchor Bible Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte Acta Academica Ausgrabungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Uruk-Warka Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins Archiv für Orientforschung Archiv für Papyrusforschung Annali d’Istituto Orientale di Napoli Alter Orient und Altes Testament Assyriological Studies Das Alte Testament Deutsch Das Alte Testament Deutsch. Apokryphen Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament Archaische Texte aus Uruk Andrews University Seminary Studies Archäologische Veröffentlichungen Bulletin of the American Schools of Oriental Research Bonner biblische Beiträge Berliner Beiträge zum Vorderen Orient Beiträge zur Erforschung des Alten Testaments und des Antiken Judentums Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium Biblica Bibel und Kirche Bibliotheca Orientalis Biblischer Kommentar Biblische Notizen Biblisch-Theologische Studien Basler Theologische Zeitschrift Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft Coniectanea biblica Dictionnaire de la Bible. Supplément Discoveries in the Judaean Desert of Jordan Eretz-Israel Etudes théologiques et religieuses Forschungen zum Alten Testament
X FRLANT GOF HAE HAT HBS HdO HThKAT ICC IEJ JANES JCS JEA JNES JSOT.S KAT KHC KuD MDAIK MSVO NABU NBL NCBC NEA NEB NICOT NSK.AT OBO OLA OLP OLZ OMRO OrAnt OrNS OTGu OTL OTS PÄ PIHANS PKG RdÉ RlA RSR SAA
Abkürzungsverzeichnis
Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Göttinger Orientforschungen Handbuch der althebräischen Epigraphik Handschriften des altägyptischen Totenbuches Herders Biblische Studien Handbuch der Orientalistik Herders theologischer Kommentar zum Alten Testament International Critical Commentary Israel Exploration Journal Journal of the Ancient Near Eastern Society Journal of Cuneiform Studies Journal of Egyptian Archaeology Journal of Near Eastern Studies Journal for the Study of the Old Testament. Supplements Kommentar zum Alten Testament Kurzer Hand-Commentar zum Alten Testament Kerygma und Dogma Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Kairo Materialien zu den frühen Schriftzeugnissen des Vorderen Orients Nouvelles Assyriologiques Breves et Utilitaires, Paris Neues Bibel-Lexikon New Century Bible Commentary Near Eastern Archaeology Die neue Echter Bibel New International Commentary on the Old Testament Neuer Stuttgarter Kommentar. Altes Testament Orbis Biblicus et Orientalis Orientalia Lovaniensia Analecta Orientalia Lovaniensia Periodica Orientalistische Literaturzeitung Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden Oriens Antiquus, Rom Orientalia, Nova Series Old Testament Guides Old Testament Library Oudtestamentische Studiën Probleme der Ägyptologie Publications de l’Institut historique-archéologique néerlandais de Stamboul Propyläen-Kunstgeschichte Revue d’Égyptologie Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie Religious Studies Review State Archives of Assyria
Abkürzungsverzeichnis
SAK SAOC SAT SBAB SBB SBLDS SBS SMHVL StAe stw TANZ ThB ThWAT TRE TSAJ TSHB TTS TUAT (NF) UF UUÅ VAB VT VuF WdO WiBiLex WMANT WuD WUNT ZAH ZAR ZÄS ZAW ZBK ZDPV
XI
Studien zur Altägyptischen Kultur Studies in Ancient Oriental Civilization Studien zum Altägyptischen Totenbuch Stuttgarter biblische Aufsatzbände Stuttgarter biblische Beiträge Society of Biblical Literature Dissertation Series Stuttgarter Bibelstudien Scripta minora Regiae Societatis Humaniorum Litterarum Lundensis Studia Aegyptiaca Suhrkamp Taschenbücher Wissenschaft Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter Theologische Bücherei Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament Theologische Realenzyklopädie Texte und Studien zum antiken Judentum Textpragmatische Studien zur Hebräischen Bibel Theban Tombs Series Texte aus der Umwelt des Alten Testaments (Neue Folge) Ugarit-Forschungen Uppsala Universitets Årsskrift Vorderasiatische Bibliothek Vetus Testamentum Verkündigung und Forschung Die Welt des Orients Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament Wort und Dienst Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Zeitschrift für Althebraistik Zeitschrift für altorientalische und biblische Rechtsgeschichte Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft Zürcher Bibelkommentar Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins
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Redaktion und Kodifizierung im spätzeitlichen Ägypten
Einleitung
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Joachim Friedrich Quack
Einleitung
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Einleitung JOACHIM SCHAPER Im vorliegenden Band nehmen sich Autoren aus einer Anzahl von Fachgebieten, die sonst selten miteinander ins Gespräch kommen, des Phänomens des Schreibens in religiösen Kontexten und zu religiösen Zwecken an. Die Tagung, die sie in Tübingen zusammenführte, war die Frucht eines im Rahmen eines Heisenberg-Stipendiums durchgeführten Projektes. Ziel dieses Projektes war es, die Korrelation zwischen der (sozial- und religions-)geschichtlichen Situation in Juda von der spätvorexilischen Zeit bis hin ins fünfte Jahrhundert v. Chr., der wachsenden Bedeutung des Schreibens in der Religionspraxis jener Zeit und der Entwicklung theologischer Vorstellungen (besonders im Hinblick auf die Herausbildung des Monotheismus!) zu ergründen, um auf diese Weise einen neuen Zugang zur wahrscheinlich bedeutendsten Epoche der Religions- und Sozialgeschichte Israels zu finden. Mit Hilfe eines Verbundes von Methoden und Fragestellungen aus der alttestamentlichen Exegese, der allgemeinen Literaturwissenschaft, der Sozialgeschichte, der historischen Anthropologie und der Medientheorie soll dieses Ziel erreicht werden.1 Von meinem Thema in seiner ursprünglichen Formulierung ausgehend, ergaben sich einige Erweiterungen und Vertiefungen in meiner Wahrnehmung des Problems, sowohl in inhaltlicher als auch in methodologischer Hinsicht. Dieser neue Blick auf die Sache hat zu unerwarteten Fragestellungen geführt, die meines Erachtens unser Verständnis der Funktion und Bedeutung des Schreibens und des sich herausbildenden Konzepts von „Schriftauslegung“ in der Religions- und Sozialgeschichte des alten Israel (und anderer Regionen 1 Aus diesem Projekt sind bisher die folgenden Veröffentlichungen hervorgegangen: J. SCHAPER, A Theology of Writing. Deuteronomy, the Oral and the Written, and God as Scribe, in: M. AGUILAR und L. LAWRENCE (Hgg.), Anthropology and Biblical Studies. Avenues of Research, Leiden 2004, 97–119; DERS., Exilic and Post-Exilic Prophecy and the Orality/Literacy Problem, in: Vetus Testamentum 55 (2005), 324–342; DERS., The Death of the Prophet. The Transition from the Spoken to the Written Word of God in the Book of Ezekiel, in: M. H. FLOYD und R. L. HAAK (Hgg.), Prophets, Prophecy, and Prophetic Texts in Second Temple Judaism (Library of Hebrew Bible/Old Testament Studies 427), London und New York 2006, 63–79; DERS., Tora als Text im Deuteronomium, in: L. MORENZ und S. SCHORCH (Hgg.), Was ist ein Text? Alttestamentliche, ägyptologische und altorientalistische Perspektiven (BZAW 362), Berlin und New York 2007, 49–63; DERS., The Written Word Engraved in Stone. The Interrelationship of the Oral and the Written and the Culture of Memory in Deuteronomy and Joshua, in: S. C. BARTON, L. T. STUCKENBRUCK und B. G. WOLD (Hgg.), Memory in the Bible and Antiquity (WUNT/I), Tübingen 2007, 9–23.
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Joachim Schaper
der antiken Welt) und des Durchbruchs des Monotheismus wesentlich voranbringen können. Dazu gehört es, die materialen Aspekte der Schriftkommunikation im antiken Juda konsequent in die Analyse des Quellenmaterials und überhaupt in die historische Rekonstruktion einzubeziehen.2 Das Ziel der Tübinger Tagung war es, und es ist das Ziel des vorliegenden Bandes, im interkulturellen Vergleich in den Blick zu bekommen, welchen Einfluss die „Technologie des Schreibens“ (W. J. Ong), die mediale Funktion der Schrift und die Tätigkeit der Schreiber/„Autoren“3 in den gesellschaftlichen Eliten des antiken Juda nicht nur im Blick auf die Entstehung von Corpora religiöser Literatur, sondern auch auf die Umformung der (Praktiken und Inhalte) der Religion sowie insgesamt der antiken judäischen Kultur und Gesellschaft hatten4 – und zugleich, entsprechende Phänomene in anderen Kulturen, die sich dieser Technologie bedien(t)en, zu erfassen. Das Nachdenken über solche Fragen geschieht in Auseinandersetzung mit der orality/literacyDebatte, die besonders die englischsprachige Diskussion der letzten Jahrzehnte wie ein cantus firmus durchzieht,5 sowie mit der mediengeschichtlichen Fragestellung, die immer deutlicher in den Vordergrund tritt und faszinierende Aspekte der Materialität der Schrift beleuchtet,6 die der Forschung zuvor fast völlig verschlossen waren.7 Der Begriff der „Textualisierung“ wurde gewählt, um das Phänomen der zunehmenden Bedeutung (schriftlich vorliegender) Texte in der Entwicklung der JHWH-Religion des antiken Juda und ähn2 Grundlegend in der Forschungsgeschichte waren hier die in H. U. GUMBRECHT und K. L. PFEIFFER (Hgg.), Materialität der Kommunikation (stw 750), Frankfurt am Main 1988 und in DIES. (Hgg.), Schrift (Materialität der Zeichen, Reihe A, 12), München 1993 versammelten Beiträge. Jüngst hat man dank F. KITTLER und A. OFAK (Hgg.), Medien vor den Medien (Reihe Kulturtechnik), München 2007 einen Vorgeschmack davon bekommen, wie die konsequente Anwendung eines solchen Ansatzes auf die Erforschung der Medien der Antike aussehen könnte. Ähnliches versucht auch CH. FREVEL (Hg.), Medien im antiken Palästina. Materielle Kommunikation und Medialität als Thema der Palästinaarchäologie (FAT II/10), Tübingen 2005. 3 Vgl. hierzu jetzt K. VAN DER TOORN, Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible, Cambridge, Mass. 2007. 4 Vgl. hierzu u. a. J. GOODY , The Logic of Writing and the Organization of Society (Studies in Literacy, Family, Culture and the State), Cambridge 1986 sowie DERS., The Power of the Written Tradition (Smithsonian Series in Ethnographic Inquiry), Washington und London 2000. 5 Grundlegende Beiträge in der Geschichte der Erforschung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit sind u.a. J. GOODY und I. WATT, The Consequences of Literacy, in: J. GOODY (Hg.), Literacy in Traditional Societies, Cambridge 1968, 27–68 (= Comparative Studies in Society and History 5 [1963], 304–45) und W. J. ONG, Orality and Literacy. The Technologizing of the Word, New York 1982 (Nachdruck London und New York 2002). 6 Vgl. oben, Anm. 2. 7 Vgl. zu diesem Themenkomplex auch B. SCHLIEBEN -LANGE, Geschichte der Reflexion über Schrift und Schriftlichkeit, in: H. GÜNTHER und O. LUDWIG (Hgg.), Schrift und Schriftlichkeit. Writing and Its Use. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung, Bd. 1, Berlin und New York 1994, 102–121.
Einleitung
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liche Entwicklungen in der Geschichte anderer Religionen in den Griff zu bekommen. Ohne einer Gleichsetzung von „Schriftlichkeit“ und „Textualität“ das Wort zu reden, konzentrieren sich die Beiträge des vorliegenden Bandes im Umgang mit dem Konzept der „Textualisierung“ im wesentlichen auf schriftliche Texte, da sich im Phänomen der wachsenden Bedeutung schriftlich vorliegender, als autoritativ betrachteter Texte das eigentlich Neue in der Entwicklung der religiösen Praxis und ihrer theologischen Reflexion in den hier untersuchten Kulturen zeigt. Der erste Teil des Bandes, „Textualisierung in Ägypten und Mesopotamien“, versammelt die Beiträge von Joachim Friedrich Quack über „Redaktion und Kodifizierung im spätzeitlichen Ägypten. Der Fall des Totenbuches“ und von Wolfgang Röllig über „Aspekte der Archivierung und Kanonisierung von Keilschriftliteratur im 8./7. Jh. v.Chr.“. J. F. Quack stellt am Beispiel des Totenbuches dar, wie Redaktionsprozesse verliefen und die Kanonisierung von Texten auf den Umgang mit diesen Texten einwirkten. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang, wie die Systematisierung der Texte im Konflikt mit der Ritualsequenz steht und welche (auch unbeabsichtigten) Ergebnisse die „Normierung“ des Totenbuches zeitigte, nicht zuletzt auch im Blick auf religiöse Praktiken. Auch W. Rölligs Aufsatz setzt sich mit Kanonisierungsprozessen auseinander. Röllig macht deutlich, in welcher Weise in den Keilschrift-Kulturen Mesopotamiens die mit der stetig wachsenden Literaturproduktion einhergehenden Probleme wohl zu Archivierungstechniken führten, die praktischen (schulischen, rituellen und magischen) Zwecken dienten, aber nicht zur Entstehung eines festumrissenen Konzeptes von „Kanonisierung“. Röllig unterscheidet zwischen „Autorisierung“ und „Kanonisierung“; die durchaus stattfindende „Autorisierung“, d.h. Zuschreibung von Texten an Gelehrte und Götter, führte nicht zu einer „Kanonisierung“ im herkömmlichen Sinne. Den zweiten Teil des Bandes – unter dem Titel „Textualisierung im alten Israel und in der frühjüdischen und rabbinischen Literatur“ –, der den thematischen Schwerpunkt des Bandes bildet, leitet Johannes Renz mit seinem Beitrag „Die vor- und ausserliterarische Texttradition. Ein Beitrag der palästinischen Epigraphik zur Vorgeschichte des Kanons“ ein. Er behandelt im Bereich der althebräischen Literatur jene Probleme, die W. Rölligs Aufsatz im Blick auf die Keilschriftliteraturen in Angriff nimmt. Es zeigt sich, welch unschätzbaren Beitrag die Analyse der althebräischen epigraphischen Zeugnisse und die konsequente Berücksichtigung der sie hervorbringenden materialen Kultur zu einem vertieften Verständnis von Schreiben, Schriftkultur und dem Verhältnis zwischen technologischer Entwicklung, kultureller Praxis und vorherrschender Ideologie zu leisten vermag. Zugleich wird deutlich, wie der Aufstieg des Schreibens als Kulturtechnik, dokumentiert durch den Anstieg der Zahl epigraphischer Zeugnisse im siebten und sechsten Jahrhundert v.
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Joachim Schaper
Chr., mit den Veränderungen in der Praxis und den Inhalten der JHWH-Religion der spätvorexilischen und exilischen Zeit im Zusammenhang steht. Beate Egos Studie „‚In der Schriftrolle ist für mich geschrieben‘ (Ps 40,8). ‚Mündlichkeit‘ und ‚Schriftlichkeit‘ im Kontext religiösen Lernens in der alttestamentlichen Überlieferung“ schliesst sich an. Hier wird das Verhältnis zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Blick auf Praktiken religiösen Lernens im antiken Juda auf der Grundlage von alttestamentlichen Schlüsseltexten aus dem Buch Deuteronomium und dem Psalter behandelt. Christof Hardmeiers Aufsatz „Zur schriftgestützten Expertentätigkeit Jeremias im Milieu der Jerusalemer Führungseliten (Jeremia 36). Prophetische Literaturbildung und die Neuinterpretation älterer Expertisen in Jeremia 21–23“ untersucht die Bedeutung der Verschriftlichung prophetischer Orakel (und damit die Anfänge der prophetischer Literatur im engeren Sinne) sowie die Schriftbezogenheit prophetischer Tätigkeit (und damit die Anfänge von „Schriftexegese“) im spätvorexilischen Juda und in der Exilszeit. Der Beitrag setzt die schriftbezogene „Expertentätigkeit“ in Beziehung zur politischen Situation ihrer Zeit. Konrad Schmids Beitrag nimmt ebenfalls das Jeremiabuch in den Blick. Sein Thema ist „Nebukadnezars Antritt der Weltherrschaft und der Abbruch der Davidsdynastie. Innerbiblische Schriftauslegung und universalgeschichtliche Konstruktion im Jeremiabuch“. Damit macht Schmid auf eine weitere wichtige Dimension der Entstehung von religiöser Textexegese im vorexilischen und exilischen Juda aufmerksam, und zwar auf die Entwicklung eines Konzepts von „Schriftexegese“ als theologische, interpretativ auf autoritativen Texten aufbauende und universalgeschichtlich orientierte Antwort auf die politische Katastrophe des Endes des davidischen Herrscherhauses. Stefan Schorch beleuchtet in „Communio lectorum. Die Rolle des Lesens für die Textualisierung der israelitischen Religion“ die Thematik gleichsam aus der entgegengesetzten Perspektive. Den auf Schriftlichkeit fixierten Textbegriff vieler zeitgenössischer Exegeten kritisierend, analysiert er – indem er den mündlichen Text des Lesevortrags als Ausgangspunkt nimmt – die „Produktion“ von Texten durch Lesen und ihre Bedeutung für die alttestamentliche Überlieferung wie auch für die Identitätsstiftung in der JHWH-Religion des antiken Juda. Lena-Sofia Tiemeyer widmet sich in „Two Prophets, Two Laments and Two Ways of Dealing with Earlier Texts“ den Texten Jes 40–55 und Jes 65,1–66,17, die Aufschluss über den Umgang mit als autoritativ geltenden Texten in der exilischen und nachexilischen Zeit geben. In einem weiteren Beitrag Beate Egos – „Im Schatten hellenistischer Bildung. Ben Siras Lern- und Lehrkonzeption zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ wird auf der Grundlage einer Lektüre des Sirach-Buches das Thema der Relation zwischen orality und literacy in der religiösen Unterwei-
Einleitung
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sung der hellenistisch-jüdischen Welt in Angriff genommen, wobei Ego das Konzept des „schriftgestützten Lernens“ problematisiert und differenziert. Ein weiteres Stadium in der Geschichte des Verhältnisses zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Judentum behandelt Günter Stemberger in seinem Beitrag „Mündliche Tora in schriftlicher Form. Zur Redaktion und Weitergabe früher rabbinischer Texte“. Stemberger problematisiert die Rede von der „mündlichen Tora“ und erschließt Dimensionen des überaus komplexen Verhältnisses zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit in der Textüberlieferung der rabbinischen Kultur. Es gelingt ihm, einige eingewurzelte Vorurteile zum Verhältnis zwischen mündlicher und schriftlicher Überlieferung im vorrabbinischen und rabbinischen Judentum zu widerlegen, wobei sich höchst interessante Schlußfolgerungen im Blick auf das siebte bis fünfte Jahrhundert v. Chr. ergeben. Der dritte Teil des Bandes ist der „Textualisierung im Hinduismus und im Buddhismus“ gewidmet. In seinem Aufsatz „Text Reception and Ritual in Tantric Scriptural Traditions“ beleuchtet Gavin Flood den Zusammenhang zwischen (schriftlichen und mündlichen) Texten, der „Verinnerlichung“ solcher Texte und ihrer rituellen Performanz in der hinduistischen Tradition, der ihn von einer „entextualisation of the body“ sprechen lässt. Will Tuladhar-Douglas untersucht in seinem Beitrag „Writing and the Rise of Mahayana Buddhism“ u. a. den Zusammenhang zwischen schriftlichen Texten und ihrer mündlichen Rezitation in der buddhistischen Welt und tut dies im Zusammenhang der großen Frage, ob die Einführung der Schrift in Südasien einer der Faktoren war, die den Aufstieg des Mahayana-Buddhismus dort überhaupt erst möglich machte. Im abschließenden Beitrag des Bandes, „‚Scriptural Turn‘ und Monotheismus. Anmerkungen zu einer (nicht ganz) neuen These“, diskutiert Joachim Schaper die jüngst von J. Assmann aufgegriffene und letztlich im 17. Jahrhundert wurzelnde Vorstellung, dass zwischen der Entwicklung von Schriftsystemen und der Entfaltung von religiösen Konzepten ein Zusammenhang bestehe. Der Beitrag überprüft die erstaunlich modern anmutende These, die sich in mancherlei Hinsicht mit neuesten mediengeschichtlichen Theoriebildungen berührt, am Beispiel von einigen alttestamentlichen Texten. Die sich aus der Fokussierung auf die Textualisierung der judäischen JHWH-Religion in der spätvorexilischen, exilischen und frühnachexilischen Zeit ergebenden Arbeitsbereiche spiegeln sich im Aufbau des Bandes wider und werden in den hier vorliegenden Beiträgen ausgeschritten, soweit dies im Rahmen eines Tagungsbandes nur möglich ist. Ebenso wichtig sind aber der Vergleich mit anderen Kulturen und sie sich daraus ergebenden Anfragen. Zu den wichtigsten Ergebnissen der Tagung gehörte die Einsicht in die interkulturelle Vergleichbarkeit des Phänomens der Textualisierung, das weit über Judentum, Christentum und Islam hinausreicht; hierbei war nicht zuletzt der
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Joachim Schaper
Blick auf den Hinduismus und den Buddhismus besonders erhellend. Ein solcher Ansatz ermöglicht uns Einblicke in Kulturen, in denen der religiöse Umgang mit Texten und die „Verkörperung“ von Texten eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielen wie im antiken Israel, im Judentum, Christentum und Islam: eine Perspektive auf textuelle Praktiken, die über die abrahamitischen Religionen hinausreichen.
Redaktion und Kodifizierung im spätzeitlichen Ägypten
Teil I Textualisierung in Ägypten und Mesopotamien
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Joachim Friedrich Quack
Redaktion und Kodifizierung im spätzeitlichen Ägypten
Redaktion und Kodifizierung im spätzeitlichen Ägypten Der Fall des Totenbuches JOACHIM FRIEDRICH QUACK Die Ägyptologie ist für ihre Kenntnisse der altägyptischen Religion vorrangig auf Texte angewiesen, auch wenn daneben die Archäologie einen nicht zu unterschätzenden Beitrag liefert. Da es sich um eine untergegangene Kultur handelt, kann man alle Aussagen über eine neben und jenseits der niedergeschriebenen Texte bestehende Mündlichkeit bestenfalls indirekt treffen. Ebenso fehlt jede Chance, Informanten nach der Richtigkeit der eigenen Analysen zu befragen (selbst wenn sie bereit wären zu antworten). Ein Übergang von religiösem Textgut aus einem ursprünglich mündlichen in einen verschrifteten Zusammenhang ist nur in wenigen Fällen positiv nachweisbar. So gibt es insbesondere im Rahmen der Herstellung der Osirisfigurinen für die Feierlichkeiten im Monat Choiak Rezepte, bei denen im Titel angegeben wird, dass sie vom Vater an den Sohn weitervermittelt werden sollen (Dendara X 46, 6f.); und bezeichnenderweise sind sie sprachlich auch in einer sehr späten, nämlich demotischen, Form der Sprache gehalten, die damit gut im Einklang steht, dass eine schriftliche Fixierung erst kurz vor der Zeit der erhaltenen Niederschrift erfolgte.1 Dabei handelt es sich, auch wenn die Dinge in einem religiösen Umfeld stehen, um praktische Rezepte, nicht etwa theologische Traktate oder Hymnen. Zumindest ein formaler Rahmen mündlicher Gesprächssituation ist in einer Gruppe von Texten präsent, die man als „Initiationsverhöre“ bezeichnen könnte.2 Die meisten Beispiele stehen im Totenbuch in zumindest aktuell funerärer Nutzung, auch wenn eine vorangehende Nutzung für Lebende alles andere als unwahrscheinlich ist. Vor kurzem hinzugekommen ist als kapitales weiteres Beispiel allerdings das „Thotbuch“, das auch in seinen erhaltenen Handschriften deutlich in der Welt der Lebenden steht.3 Gerade dieser Text ist
1 A. VON LIEVEN, Im Schatten des Goldhauses. Berufsgeheimnis und Handwerkerinitiation im Alten Ägypten, in: SAK 36 (2007), 147–155. 2 J. ASSMANN, Tod und Initiation im altägyptischen Totenglauben, in: H. P. DUERR (Hg.), Sehnsucht nach dem Ursprung. Zu Mircea Eliade, Frankfurt 1983, 336–359. 3 R. JASNOW/K.-TH. ZAUZICH, The Ancient Egyptian Book of Thot. A Demotic Discourse on Knowledge and Pendant to the Classical Hermetica, Wiesbaden 2005. Vgl. dazu J. F. QUACK, Die Initiation zum Schreiberberuf im Alten Ägypten, in: SAK 36 (2007), 249–295;
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Joachim Friedrich Quack
allerdings in seiner konkreten Bezeugung mit mindestens 25–30 Handschriften so reich als Schriftform überliefert, dass Mündlichkeit allenfalls eine seiner Facetten sein kann. Andererseits scheint es mir, und darum soll es in meinem Beitrag vorrangig gehen, in Ägypten doch gut fassbar so etwas wie Kanonisierungsprozesse zu geben, welche die Haltung zu einem religiösen Text tiefgreifend verändern, selbst wenn der Wortlaut an sich dabei gar keinen substantiellen Änderungen unterliegt. Dies soll konkret anhand bestimmter funerär verwendeter Texte exemplifiziert werden. Auch für Forscher, die vom Alten Ägypten keine vertieften Kenntnisse haben, ist für die Entwicklung der ägyptischen Funerärtexte der Dreiklang der großen Kategorien Pyramidentexte, Sargtexte und Totenbuch sicher vertraut. Bei genauerem Hinschauen stellen sich die Dinge allerdings erheblich komplexer dar. Es beginnt bereits damit, dass die ersten beiden Begriffe transparent von den Textträgern her kommen, der dritte dagegen weniger so.4 Tatsächlich sind sie jedoch keineswegs an diese Textträger gebunden. Während bei den „Pyramidentexten“ zumindest die sicher ins Alte Reich datierten Zeugen fast5 ausschließlich realiter die Wände der Pyramiden von Königen und Königinnen ab dem Ende der 5. Dynastie betreffen,6 findet die spätere Weitertradierung dieser Sprüche in anderem Rahmen, oft auch auf Papyri,7 statt, und Sargtexte gibt es seit jeher auch auf Papyri oder Grabwänden, wenn auch mengenmäßig in geringerem Umfang als auf Holzsärgen.
DERS., Ein ägyptischer Dialog über die Schreibkunst und das arkane Wissen, in: ARG 9 (2007),
259–294. 4 H. BUCHBERGER, Transformation und Transformat. Sargtextstudien I (ÄA 52), Wiesbaden 1993, 40–46. 5 J. BAINES, Modelling Sources, Processes, and Locations of Early Mortuary Texts, in: S. BICKEL/B. MATHIEU (Hgg.), D’un monde à l’autre. Textes des pyramides & Textes des sarcophages. Actes de la table ronde internationale „Textes des Pyramides versus Textes de Sarcophages“ Ifao – 24–26 septembre 2001 (BdÉ 139), Kairo 2004, 15–41, dort 21 mit Anm. 29 weist allerdings mit Recht darauf hin, dass im Rahmen der Pyramidentexte klassifizierte Ritualtexte (Opferformeln) bereits im Totentempel des Sahure fragmentarisch belegt ist, also sowohl außerhalb des Aufzeichnungsortes Grabkammerwand als auch chronologisch vor den Niederschriften in den Pyramiden. 6 Spätestens im Mittleren Reich gibt es dann Nachweise für eine Überlieferung von „Pyramidentexten“ auf Papyrus; vgl. C. BERGER-EL NAGGAR, Des Textes des Pyramides sur papyrus dans les archives du temple funéraire de Pépy Ier, in: BICKEL/MATHIEU (Hgg.), D’un monde à l’autre, 85–90. Die Datierung der Fragmente (späte 6. oder 11. Dynastie) ist derzeit noch unsicher. 7 Dies betrifft z. B. einige Verklärungssequenzen, die ausschließlich oder vorrangig Pyramidentexte verwenden, vgl. J. ASSMANN, Egyptian Mortuary Liturgies, in: S. ISRAELIT-GROLL (Hg.), Studies in Egyptology Presented to Miriam Lichtheim, Jerusalem 1990, 1–45; für eine Bearbeitung konkreter Zeugen s. z. B. A. SZUDºOWSKA, Pyramid Texts Preserved on Skowski Papyrus, in: ZÄS 99 (1973), 25–29.
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Weiterhin ist zu beachten, dass es sich bei diesen bequemen Etikettierungen keineswegs um reale Gattungsbezeichnungen handelt. Unter den ägyptologischerseits üblichen Termini wie „Pyramidentexten“ oder „Sargtexten“ verbergen sich etliche verschiedene Textsorten durchaus etwas unterschiedlicher Funktion, und selbst im Neuen Reich, wo bestimmte Gattungen wie die Verklärungen nicht im Totenbuch stehen, sondern separat in anderen Aufzeichnungszusammenhängen,8 kann man kaum von wirklicher Homogenität sprechen. Hinzu kommt, dass es sich keineswegs um eine Abfolge von Texten handelt, die eine simple chronologische Entwicklung darstellen. Für die Pyramidentexte ist schon länger bekannt, dass es eine bis in die Spätzeit reichende Bezeugung gibt.9 Inzwischen ist auch für die Sargtexte die weniger umfangreiche, aber sachlich gesicherte spätzeitliche Bezeugung in Augenschein genommen worden.10 Diese ist wesentlich auf Wänden von Gräbern, nicht auf Särgen tradiert. Diese weiterlaufende Tradierung der „älteren“ Corpora ist keineswegs als museale Zusammenstellung zu bewerten, vielmehr handelt es sich um real genutzte Rezitationsliteratur, die zunächst in den Tempeln insbesondere im Zusammenhang des Osiriskultes von dauernder Relevanz blieb und gerade im Zusammenhang mit der zunehmenden Vorbildrolle des Osiriskultes in der späten Funerärkultur als private Grabbeigabe interessant wurde – Fragen des konkreten Zugangs zu diesem exklusiven Bereich spielen dabei auch eine Rolle. Neben dieser Weitertradierung von Verklärungssequenzen gibt es auch die Fälle, in denen in den Pyramidentexten einfach die zufällig frühesten erhalten gebliebenen Niederschriften von verschiedenen Tempelritualen der Reinigung, Ausstattung und Beopferung vorliegen, wie sie mutmaßlich im Tempelkult bereits des Alten Reiches verwendet wurden. Solche Textelemente kommen später vielfach in Aufzeichnungszusammenhängen von Täglichem Tempelritual, Mundöffnungsritual oder Opferritual im Tempel und im Funerärbetrieb vor, ohne dass es wirklich sachdienlich wäre, in ihnen „Übernahmen“ von Sprüchen spezifisch der Pyramidentexte zu sehen. Andererseits gibt es einen Unterschied, dessen man sich vielleicht auf einer theoretischen Ebene in der Ägyptologie bewußt sein mag, der allerdings für die forscherischen Schlussfolgerungen bislang keine sehr merkliche Rolle gespielt hat, nämlich hinsichtlich der Fixierung des Totenbuches. Im Neuen Reich und bis in die 21. Dynastie hinein ist praktisch jedes Totenbuch ein individuelles Gebilde, das in der genauen Auswahl der Sprüche 8
J. ASSMANN, Tod und Jenseits im Alten Ägypten, München 2001, 336f. Vgl. etwa TH. G. ALLEN, Occurences of Pyramid Texts with Cross Indexes of these and other Egyptian Mortuary Texts (SAOC 27), Chicago 1950. 10 L. GESTERMANN, Die Überlieferung ausgewählter Texte altägyptischer Totenliteratur („Sargtexte“) in spätzeitlichen Grabanlagen (ÄA 68), Wiesbaden 2005. 9
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sowie ihrer Abfolge spezifisch ist.11 Ganz selten sind „Textzwillinge“, die erkennbar direkt auf dieselbe Vorlage zurückgehen.12 Die Menge der Sprüche, die vorkommen können, ist im Prinzip nach oben offen; man muss immer damit rechnen, dass eine neue Handschrift Textgut enthält, das vorher nicht als Totenbuchspruch bekannt war, und in einer etwas problematischen und inkonsequenten Weise hat die Forschung auch so manchen Sprüchen, die singulär in einer Totenbuchhandschrift vorkommen, keine Nummer als Totenbuchspruch gegeben,13 anderen dagegen doch. Anschließend, d. h. etwa mit dem Übergang zur 22. Dynastie, gibt es eine Phase der ägyptischen Kulturgeschichte, in der die Beigabe nicht nur von Totenbüchern, sondern generell von spezifisch funerären Beigaben sehr nachläßt. Mit einer nochmaligen Wende in der Beigabensitte, die zu einer sehr jenseitsorientierten und dem Vorbild des Osiris verpflichteten Ausstattung führt, kommt auch das Totenbuch ab etwa der 26. Dynastie wieder zu Ehren – aber in einem ganz anderen Zustand. Nunmehr haben wir den Textwortlaut, der in der Forschung gerne als „saitische Redaktion“ bezeichnet wird. Vor allem haben wir aber einen weitgehend verbindlichen Textbestand. Nunmehr besteht ein Totenbuch standardmäßig aus den Kapiteln 1–161 in einer recht festen Abfolge sowie noch den nach eigener Angabe „aus einer anderen Schriftrolle“ zusätzlich exzerpierten Kapiteln 162–165,14 wobei Kapitel 162 in manchen Handschriften auch als letztes der regulären Reihe behandelt wird, was aber mutmaßlich sekundär ist. Sie unterscheiden sich auch inhaltlich merklich vom sonstigen Totenbuch. Ihre Herkunft scheint in der frühen Dritten Zwischenzeit, eventuell (in anderen Tradierungsbereichen) auch schon in der Ramessidenzeit zu liegen,15 die Angabe dreier allesamt relativ früher Handschriften
11 E. NAVILLE, Das aegyptische Todtenbuch der XVIII. bis XX. Dynastie aus verschiedenen Urkunden zusammengestellt und herausgegeben, Berlin 1886, bes. Band 1, 8–16; I. MUNRO, Untersuchungen zu den Totenpapyri der 18. Dynastie, London, New York 1987, bes. 138–175. 12 Dies betrifft insbesondere das Totenbuch des Paennestitaui (Zeit des Amenemope) und das Totenbuch der Gatseschni; s. I. MUNRO, Das Totenbuch des Pa-en-nesti-taui aus der Regierungszeit des Amenemope (pLondon BM 10064) (HAT 7), Wiesbaden 2001. 13 Dies gilt etwa für den Papyrus Busca (Edition F. Chiappa, Il papiro Busca (circa 1300 a.C.), Mailand 1972) mit je einen Spruch zum Djed-Pfeiler aus Lapislazuli, zum Me(n)qeret-Schlangenkopf, zur Perle, zum Udjat-Amulett sowie zum Halskragen (gehört zur Tradition von PT 600), die bislang nicht mit TB-Nummern versehen worden sind. 14 Ediert zusammen mit einigen weit weniger verbindlich an Totenbücher angeschlossenen Sprüchen bei W. PLEYTE, Chapitres supplémentaires du Livre des Morts 162–174, Leiden 1881. Vgl. einstweilen A. WÜTHRICH, Untersuchungen zu den Zusatzkapiteln 162 bis 167 des Totenbuchs: erste Bemerkungen, in: B. BACKES/I. MUNRO/S. STÖHR (Hgg.), Totenbuch-Forschungen. Gesammelte Beiträge des 2. Internationalen Totenbuch-Symposiums 2005 (SAT 11), Wiesbaden 2006, 365–370. 15 Hier wäre zu hinterfragen, ob ALLAM, Totentexte, XIII den pLouvre N 3172 (P 11) mit Recht bereits in die 19.–20. Dynastie setzt.
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bringt sie spezifischer mit dem Amuntempel von Tanis zusammen.16 Sie werden gekennzeichnet durch sprachlich deutlich neuägyptischen Charakter sowie zahlreiche Anrufungsformeln, die nicht nach ägyptischer Sprache wirken.17 Dabei ist noch eine gewisse innere Differenzierung zu beachten, in dem Sinne, dass Spruch 162 ab der 21. Dynastie bezeugt ist, und zwar im pBerlin 3031,18 der daneben noch eine Fassung von Kapitel 166 (Pleyte) in einer längeren Version bietet, zusätzlich auch sonst unbekannte Texte. Die Einheit von TB 163–165 ist dagegen erst ab der 26. Dynastie belegt, und wird dann in thebanischen Totentexten bis zum späten 3. Jhd. v. Chr. immer vor TB 162 gesetzt, in memphitischen Dokumenten dagegen in der Saitenzeit hinter TB 162; ab dem 3. Jhd. v. Chr. wird dieses Segment in Memphis nicht mehr verwendet. Tatsächlich ergibt sich die in der Forschung heute übliche Zählung der Kapitel des Totenbuches gerade daraus, dass bereits im 19. Jahrhundert ein Exemplar dieses späten Texttyps als Muster veröffentlicht und mit einer durchlaufenden Nummerierung versehen wurde.19 Mehrere Fragen sollten sich hier anschließen. Die erste betrifft den Redaktionsprozess, der hinter dem Vorgang steht. Untersuchungsbedürftig ist sowohl, auf welche Art von Vorlagen man zurückgegriffen hat und wie man mit ihnen umgegangen ist, als auch, was dazu geführt hat, dass man überhaupt ein abgeschlossenes Ganzes „Totenbuch“ in einer Art geschaffen hat, die es früher nie gegeben hat. Tatsächlich dürfte es für die religiösen Texte des Alten Ägypten nicht allzu normal sein, dass man aus vorher freien und losen Teilen fakultativer Relevanz einen festen Einheitsbestand macht. Es gibt dort einerseits Kompositionen wie die Unterweltsbücher, die einen klar definierten Vollbestand haben, dessen Ordnung zudem durch die Struktur der stundenweisen Anordnung definiert ist. Man kann deren Text auf Auszüge reduzieren und hat dies realiter 16 J. YOYOTTE, Contribution à l’histoire du chapitre 162 du libre des morts, in: RdÉ 29 (1977), 194–202. 17 L. H. LESKO, Some Further Thoughts on Chapter 162 of the Book of the Dead, in: E. TEETER/J.A. LARSON (Hgg.), Gold of Praise. Studies on Ancient Egypt in Honor of Edward F. Wente (SAOC 58), Chicago 1999, 255–259; DERS., Nubian Influence on the Later Versions of the Book of the Dead, in: Z. HAWASS (Hg.), Egyptology at the Dawn of the Twenty-First Century. Proceedings of the Eighth International Congress of Egyptologists Cairo, 2000, Bd. 1: Archeology, Kairo 2003, 314–318; K. ZIBELIUS-CHEN, Die nicht ägyptischsprachigen Lexeme und Syntagmen in den chapitres supplémentaires und Sprüchen ohne Parallelen des Totenbuches, in: LingAeg 13 (2005), 181–224; C. RILLY, La langue du royaume de Méroé. Un panorama de la plus ancienne culture écrite d’Afrique subsaharienne, Paris 2007, 11–14. 18 M. S. ALLAM, Papyrus Berlin 3031. Totentexte der 21. Dynastie mit und ohne Parallelen, Dissertation Bonn 1992. Es ist zu beachten, dass diese Handschrift, obgleich sie Sprüche enthält, die teilweise in Totenbüchern auftauchen, methodisch korrekt nicht als Totenbuchhandschrift zu etikettieren ist. 19 R. LEPSIUS, Das Todtenbuch der Ägypter nach dem hieroglyphischen Papyrus in Turin mit einem Vorworte zum ersten Male herausgegeben, Leipzig 1842.
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auch getan, aber seine Sequenz und sein Vollbestand stehen nicht zur Diskussion. Andererseits bleiben – ungeachtet der Existenz typischer Sequenzen, die dann meist Ritualfolgen sind – Pyramidentexte und Sargtexte stets ein frei auswählbarer Bestand. Ergebnis des Prozesses ist in jedem Fall, dass sich die Einstellung zum Totenbuch tiefgreifend ändert. Vorher war es die Relevanz bestimmter einzelner Kapitel, die zu ihrer Auswahl führte – auch wenn die realen Handlungen und Entscheidungsträger hinter diesen Prozessen schwer zu fassen sind.20 Zwar lassen sich durchaus wiederkehrende Sequenzen einzelner Sprüche finden, die auf die Existenz prägender Normvorlagen hinweisen, aber sie erreichen niemals Allgemeingültigkeit. Ihr tieferer Hintergrund ist bislang kaum erforscht. Um den Weg von den individuellen Kompositionen des Neuen Reiches zum festen Totenbuch der Spätzeit genauer zu erfassen,21 dürfte es sinnvoll sein, die verschiedenen möglichen Kategorien zu unterscheiden: – A: Texte, die sowohl im Neuen Reich als auch in der Spätzeit im Totenbuch vorkommen. – B: Texte, die im Neuen Reich vorkommen, danach aber ganz verschwinden. – C: Texte, die im Neuen Reich Teil des Totenbuches sein können, in der Spätzeit aber nur in anderen Überlieferungszusammenhängen auftauchen. – D: Texte, die erstmals im späten Totenbuch belegt sind. Kategorie A: Diese ist zunächst die vergleichsweise uninteressanteste. Man sollte sich aber klar machen, dass sie de facto sehr unterschiedliche Phänomene zusammenfasst. Es gibt sowohl Sprüche, die bereits im Neuen Reich ausgesprochen häufig und beliebt waren, wie Spruch 1 (der allerdings auf einen
20 M. HEERMA VAN VOOS, Religion und Philosophie im Totenbuch des Pinodjem I. Bemerkungen zum Pap. Kairo CG 40006, in: U. VERHOEVEN/E. GRAEFE (Hgg.), Religion und Philosophie im Alten Ägypten. Festgabe für Philippe Derchain zu seinem 65. Geburtstag am 24. Juli 1991 (OLA 39), Leuven 1991, 155–157 und L. LESKO, Some Remarks on the Books of the Dead composed for he High Priests Pinedjem I and II, in: D. P. SILVERMAN (Hg.), For his Ka. Essays offered in Memory of Klaus Baer (SAOC 55), Chicago 1994, 179–186 versuchen, individuelle Züge zu eruieren, aber zum einen sind die Befunde oft nicht wirklich weittragend und auch kaum angemessen anhand eines simplen Gegensatzes zwischen solaren und osirianischen Kapiteln festzumachen, zum anderen Nachweise für reales Mitwirken der Inhaber an der Textzusammenstellung auch schwer zu erbringen. 21 Als Musterfälle an relativ frühen Handschriften der saitischen Rezension des Totenbuches habe ich U. VERHOEVEN, Das saitische Totenbuch der Iahtesnacht. P. Colon. Aeg. 10207 (Papyrologische Texte und Abhandlungen 41), Bonn 1993; DIES., Das Totenbuch des Monthpriesters Nespasefy aus der Zeit Psammetichs I. (HAT 5), Wiesbaden 1999; A. GASSE, Le livre des morts de Pacherientaihet au Museo Gregoriano Egizio, Vatikan 2001, herangezogen.
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Sargtextspruch zurückgeht, der mit nur einer Bezeugung zu den distinktiv seltenen gehört!) oder 17, daneben aber solche, die in der älteren Zeit selten oder sogar nur einmal bezeugt sind. Außerdem ist zu beachten, dass die späten Fassungen mancher Sprüche Textgut haben, das über den Bestand des Neuen Reiches hinausgeht. Am eklatantesten ist dies in der Götterlitanei von Spruch 141–143. Außerdem gibt es eine Zusammenfassung verschiedener Texttraditionen zu einem neuen Spruch, so bei 29A und 29B, 30A und 30B, 38A und 38B, 63A und 63B, 137A und 137B. Leider ist für kaum einen dieser Fälle schon genauer untersucht, ab wann die „jüngere“ Fassung belegt ist, obgleich diese Frage unter dem Gesichtspunkt sehr wichtig wäre, ob die neue Fassung mit dem Prozeß der Kanonisierung an sich Hand in Hand geht oder nur bei der Kanonisierung eine bereits existierende, wenn auch seltene Textform privilegiert wird.22 Kategorie B: Einige einschlägige Sprüche gehen auf Traditionen zurück, die bis in die Pyramidentexte verfolgt werden können. Konkret handelt es sich um Spruch 174 (herausgehen lassen aus dem großen Tor des Himmels = PT Spruch 247–250), 177 (den Ach aufrichten und den Ba leben lassen = PT Spruch 245 u. 246) und 178 (Aufrichten des Leichnams = PT Spruch 201–212). Schaut man sich nun die sonstige Tradition der Pyramidentextsprüche im Totenbuch an, so muss man feststellen, dass es erstaunlich wenige Fälle gibt, in denen Totenbuchpassagen wirklich auf Pyramidentextsprüche zurückgehen, und auch dann selten mehr als einzelne Phrasen und isolierte Sätze, was im Gegensatz zum weit häufigeren Wiederauftreten in den Sargtexten steht.23 Dies dürfte auf einer thematischen Eingrenzung beruhen, und man sollte sich die Frage stellen, ob das isolierte Auftreten dieser Sprüche im Neuen Reich (in dem sie auch nicht häufig sind)24 tatsächlich als Aufnahme dieser Sprüche in eine bedeutungstragende Entität „Totenbuch“ zu bewerten ist. Eher dürfte es angemessen sein, diese Fälle als seltene Anreicherung eines Totenbuches mit weiteren Kompositionen zu betrachten. Tatsächlich ist nämlich ein ganz wesentlicher Zug in der Entwicklung der ägyptischen Totenliteratur, dass die spezielle Kategorie der „Liturgien“ bzw. Verklärungen zunehmend als eigene inhaltliche Gruppe mit speziellen Aufzeichnungsformen definiert wird. Waren sie in den Pyramidentexten intensiv und den Sargtexten noch in geringerem Ausmaß mit präsent, so sind sie im Neuen Reich üblicherweise
22 D. LUFT weist in ihrer Magisterarbeit: Das Anzünden der Fackel. Untersuchungen zu Spruch 137 des Totenbuches, Heidelberg 2006, darauf hin, daß bereits im pAmherst 16 (19. Dynastie) eine Vorform der spätzeitlichen Fassung von Spruch 137 existiert. 23 Vgl. die instruktiven Tabellen bei ALLEN, Occurences, 103–149. 24 Spruch 177 und 178 sind ausschließlich bei Nebseni belegt und stehen in der Handschrift auch direkt hintereinander, und zwar hinter der Vignette von Spruch 110, die ein gutes Abschnittsende bildet, s. LAPP, Papyrus of Nebseni, Pl. 54–57.
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nicht Bestandteil des Totenbuches, sondern finden sich z. B. auf Wänden und in Türdurchgängen der Gräber oder auf Stelen aufgezeichnet.25 Eventuell mag dies auch dazu beitragen, zu verstehen, warum einige Sprüche mit Vorläufern in den Sargtexten verschwinden. Spruch 169 (Spruch zum Aufstellen der Barke) geht auf CT 1 und 20–25 zurück. Spruch 179 (Gestern zu gehen und heute zurückzukehren, Triumph über Feinde) entspricht CT Spruch 513 und 577, Spruch 188 (den Ba herabsteigen lassen, Häuser bauen, herausgehen am Tag als Mensch) CT Spruch 413. Spruch 189 handelt davon, nicht umgekehrt gehen zu müssen, nicht Kot zu essen. Er ist de facto eine Kombination aus TB Spruch 52 und CT Spruch 199 u. 202/03. Die beiden letzten sind nur von Textzeugen wie Nu und TT 82 bekannt, die auch sonst neben dem Totenbuch einen gewissen Rückgriff auf ältere Kompositionen haben, z.B. steht Nu für manche Sprüche wie TB 130 in manchen Punkten der Sargtextfassung näher als der sonstigen Totenbuchüberlieferung. TT 82 enthält im Aufzeichnungszusammenhang auch eine Reihe von Pyramidentextsprüchen.26 Nun gibt es durchaus eine ganze Reihe von Sargtextsprüchen, für die es im Totenbuch eine auch in der kanonischen Spätzeitform unproblematische Weiterführung gibt; am bekanntesten ist wohl Totenbuch Spruch 17, der auf den Sargtext 335 zurückgeht. Allerdings dürften die durchlaufend existierenden Passagen gerade solche sein, die nicht evident zu den Liturgien gehören, sondern mehr mit dem Aspekt des Wissens zu tun haben. Diejenigen Sprüche mit Sargtextvorläufern, die im Neuen Reich sporadisch ins Totenbuch aufgenommen werden, aber in der späten kanonisierten Form fehlen, sind dagegen wenigstens teilweise gerade solche, die innerhalb der Sargtexte Teil von Verklärungssequenzen (1 und 20–25) sind oder sonst liturgischen Charakter haben (513 und 577, in denen es um den Durchgang durch Tore geht). Auch unter den (bislang noch) nicht in den Sargtexten parallelisierten Sprüchen des Neuen Reiches finden sich einige, die spezifisch den Zug von Totenliturgien haben. Dies gilt etwa für Spruch 170 (zum Aufrichten der Barke) oder Spruch 172, eine Verklärung mit Gliedervergottung.27 Auch Spruch 173, eine Anbetung des Osiris, die nur bei Nebseni, im Osireion und im Grab des Nefersecheru belegt28 ist, hat einen stark ausgeprägten liturgischen Charakter, der Sprecher agiert eigentlich nicht wie ein selbst verstorbener Mensch, sondern als Horus für Osiris, d. h. in menschlichen Verhältnissen wie ein lebender
25 J. ASSMANN, Egyptian Mortuary Liturgies, 1–45, bes. 3; DERS., Altägyptische Totenliturgien, Band 1–3, Heidelberg 2002–2007, z. B. Band 1, 13–20; Band 2, 17. 26 N. DE GARIS DAVIES/A. H. GARDINER, The Tomb of Amenemhet (No. 82) (TTS 1), London 1915, 102–109. 27 Dieser Spruch ist bereits bei ASSMANN, Tod und Jenseits, 337 als eines der wenigen Beispiele für Totenliturgien im Totenbuch genannt worden. 28 J. OSING, Das Grab des Nefersecheru in Zawyet Sultan (AV 88), Mainz 1992, 60–62.
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Offiziant für seinen verstorbenen Vater.29 Potentiell ist auch Spruch 171 (zum Darreichen des reinen Gewands) als Ausstattungsspruch zu sehr als liturgisch und damit gattungsmäßig unpassend angesehen worden. Auffällig ist eine ganze Gruppe von Sprüchen, bei denen Osiris im Mittelpunkt seht, nämlich 181 (herabgehen zum Gericht des Osiris), 182 (Osiris dauern lassen), 183 (Anbetung des Osiris), 184 (zur Seite des Osiris sein) und 185 (Anbetung des Osiris; strukturelle Parallele zu den Sonnenhymnen TB 15). Ihr Wegfallen ist im Prinzip deshalb erstaunlich, weil gerade die Spätzeit einen verstärkten Bezug zu Osiris sucht. Möglicherweise hat man aber gerade in dem Maße, wie man osirianisches Material anderer Herkunft nutzte, das vielleicht weniger „prestigeträchtige“ im Totenbuch des Neuen Reiches zurückgenommen. Andererseits ist auch bei diesen osirianischen Sprüchen vielleicht der Aspekt der Liturgien relevant, die man nicht im Totenbuch, sondern in anderen Aufzeichnungsformen niederlegen wollte. Diese ganze Gruppe von Sprüchen kann also so interpretiert werden, dass hier noch systematischer und dezidierter als im Neuen Reich die Verklärungen als vom Totenbuch aufzeichnungsmäßig zu trennende Gattung verstanden worden sind. Spruch 186 ist eine Anbetung an Hathor als Westkuh, die meist nur als Bild mit kurzer Beischrift realisiert wird, wenige Zeugen haben einen längeren Text. Hier kann man überlegen, ob dieser Spruch wegen seiner spezifisch thebanischen Bezüge unter die Räder gekommen ist. Hathor als Westkuh ist eine spezifisch thebanische Konzeption. Man kann aber davon ausgehen, dass Theben nicht das maßgebliche Zentrum bei der Redaktion des späten Totenbuches in der Saitenzeit war, sondern mutmaßlich Memphis, wenn nicht sogar Sais. Der sogenannte Spruch 190 ist nur eine ausführliche Nachschrift zu 133 bzw. 148, kein eigenständiger Abschnitt. Von daher kann man bei ihm kaum von einer bewussten Unterdrückung sprechen. Weniger klar ist die Motivation in einigen anderen Fällen. Der kurze Spruch 167 zum Bringen des Udjatauges ist derzeit auch im Neuen Reich singulär nur im Totenbuch des Nebseni belegt; eventuell stand er den Redakteuren der späten Fassung rein zufällig nicht zur Verfügung. Ähnlich ist der ebenfalls kurze Spruch 187 zum Eintreten bei der Götterneunheit nur im To-
29 Es ist tatsächlich ein grundsätzlichere Frage, welche der „funerären“ Texte realiter und primär den Verstorbenen als realen Sprecher intendieren oder ihn tatsächlich als lebloses bzw. wiederzubelebendes Objekt sehen, während der eigentliche Sprecher ein lebender Offiziant ist, was erst im Zuge der Beigabe dieser Kompositionen als Grabobjekt dahingehend modifiziert wurde, dass man das sprechende „ich“ immer mit dem Bestatteten identifizierte. Vgl. hierzu A. VON LIEVEN, Book of the Dead, Book of the Living. BD Spells as Temple Texts, in: S. SEIDLMAYER (Hg.), Religion in Context, i. Dr.; s. auch J. GEE, The Use of the Daily Temple Liturgy in the Book of the Dead, in: B. BACKES/I. MUNRO/S. STÖHR, Totenbuch-Forschungen, 73–86.
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tenbuch des Nu überliefert. Zumindest selten ist auch der Spruch 176 (nicht noch einmal sterben im Totenreich). Kategorie C: Hier sollten besser die Fälle individuell durchgesprochen werden. Spruch 166, der die Kopfstütze behandelt, ist von der 18. Dynastie bis in die Dritte Zwischenzeit auf Totenbuchpapyri zu finden. Ab der 26. Dynastie kommt er dann nicht mehr im Rahmen des Totenbuches vor, wohl aber auf mehreren Kopfstützenamuletten,30 die sich in eine generelle Tendenz zur amuletthaften Miniaturisierung von ursprünglich realen Objekten einreihen. Der sogenannte Spruch 168 des Totenbuches ist tatsächlich ein eigenes Unterweltsbuch, das man als „Grüftebuch“ bezeichnen kann.31 Er ist niemals Teil des Totenbuches gewesen und wird auf Papyrus typischerweise für sich allein überliefert. Teilbereiche dieser Komposition sind in der Spätzeit etwa als Elemente in der Dekoration des Grabes des Petosiris in Tuna el-Gebel,32 der Osiriskapelle von Dendara33 sowie in Beopferungsritualen34 belegt. Der bekannte Spruch 175, der u. a. das Zwiegespräch von Atum und Osiris enthält, ist im Neuen Reich einige Male in Totenbuchhandschriften überliefert.35 Spätzeitlich erscheint er in einem Papyrus in Krakau, der nicht als Totenbuchhandschrift zu klassifizieren ist, auch wenn er einzelne Totenbuchtexte enthält.36 Daneben ist er auch in einer Handschrift bezeugt, die ursprünglich osirianische Rituale enthielt, die sekundär funerär adaptiert wurden. Dort steht er im Rahmen von Ritualen zur Vernichtung von Feinden.37 30 M. PERRAUD, Untersuchungen zu Totenbuch Spruch 166: Vorbemerkungen, in: BACKES/ MUNRO/STÖHR, Totenbuch-Forschungen, 283–293, Taf. 1–2. 31 A. PIANKOFF, The Wanderings of the Soul (Bollingen Series XL, 6), Princeton 1974, 39–114; Taf. 10–42 (mit Rezension durch J.-C. Goyon, in: BiOr 33 (1976), 166–171, dort 168–170 zum Grüftebuch unter Hinweis auf zusätzliche Quellen). Ergänzungen in: H. JACQUET-GORDON, A Rearrangement of the Fragmentary Papyrus Berlin No 2, in: D. APELT/E. ENDESFELDER/S. WENIG (Hgg.), Studia in honorem Fritz Hintze (Meroitica 12), Berlin 1990, 185–193, Taf. V. 32 G. LEFEBVRE, Le tombeau de Petosiris, Kairo 1923–24, Band 1, 175f., Band 2, 48, Band 3, Taf. XL. Vgl. J.-C. GOYON, Confirmation du pouvoir royal au nouvel an [Brooklyn Museum Papyrus 47.218.50] (BdÉ 52), Kairo 1972, 120 Anm. 320. 33 Dendara X, 195, 10–196, 2 u. 198, 1–7 und dazu S. CAUVILLE, Le temple de Dendara, les chapelles osiriennes. Commentaire (BdÉ 118), Kairo 1997, 94–95. 34 R. O. FAULKNER, An Ancient Egyptian Book of Hours, Oxford 1958, 49*–52*; GOYON, Confirmation, 120 Anm. 320. 35 H. KEES, Göttinger Totenbuchstudien. Ein Mythus vom Königtum des Osiris in Herakleopolis aus dem Totenbuch Kap. 175, in: ZÄS 65 (1930), 65–83, 1*–9*; zusätzlich U. LUFT, Das Totenbuch des Ptahmose. Papyrus Kraków MNK IX–752/1–4, in: ZÄS 104 (1977), 46–75, dort 48, Taf. III; M. H. van ES, Das Totenbuch des Ptahmose. Ein Beitrag zur weiteren Diskussion, in: ZÄS 109 (1982), 97–121, dort 118. 36 A. Szczud»owska, The Fragment of the Chapter CLXXV of the Book of the Dead preserved in Skowski’s Papyrus, in: Rocznik orientalistyczn 26, 2 (1963), 123–142. 37 Vgl. hierzu S. SCHOTT, Totenbuch Spruch 175 in einem Ritual zur Vernichtung von Feinden, in: MDAIK 14 (1956), 181–189; H. BURKARD, Spätzeitliche Osiris-Liturgien im Corpus der Asasif-Papyri (ÄAT 31), Wiesbaden 1995, 11 u. 63–83.
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Spruch 180 ist ein Auszug aus der Sonnenlitanei. Diese ist in der Spätzeit zumindest für Teilbereiche weiterhin genutzt worden, aber eben für sich, nicht als Bestandteil des Totenbuches.38 Insgesamt dürfte diese Kategorie besser als alle anderen den problematischen Charakter dessen zeigen, was man für das Neue Reich als „Totenbuch“ zu etikettieren pflegt. Es handelt sich offenbar um eine wirklich recht freie und heterogene Menge, und manche Einheiten, die unter Sonderbedingungen in die betreffenden Handschriften eindringen konnten, sind dort so wenig richtig heimisch geworden, dass sie in der Spätzeit nicht als angemessener Teil des Totenbuches empfunden wurden – ihr wahres Leben setzte sich an ihren Heimatorten fort. Kategorie D: Spruch 19 weist gewisse thematische Verbindungen und auch Formulierungsanklänge an die bereits im Neuen Reich belegten Sprüche 18 und 20 auf. Es kann angenommen werden, dass er auch aus ihrem Textmaterial heraus entwickelt wurde. Spruch 128 ist ein Hymnus an Osiris, der im Neuen Reich in anderen Aufzeichnungszusammenhängen erscheint, aber erst in der Spätzeit Teil des Totenbuches wird. Spruch 140 behandelt das Udjat-Auge, die Sprüche 157–159 betreffen Kragen bzw. Amulette. Von ihnen ist tatsächlich Spruch 157 im Papyrus Busca bereits für das Neue Reich bezeugt, allerdings in einer Abfolge von Amulettsprüchen, die nur sehr bedingt als Bestand das „Totenbuches“ bezeichnet werden können; viele andere aus dieser Handschrift haben sich nie als „Totenbuchspruch“ durchgesetzt. Die Aufnahme von Sprüchen dieser Kategorie ins späte Totenbuch ist auf jeden Fall in Harmonie mit der (jenseitsorientierten) Amulettausstattung, die ab der 26. Dynastie dominiert und in der diese Objekte als reale Grabbeigaben begegnen; TB Spruch 157 und 158 sind auch in dieser Zeit auf amuletthaften Kragen konkret niedergeschrieben belegt.39 Die generelle Unsicherheit der Etikettierung als Totenbuch dürfte sich auch darin zeigen, dass zwei Sprüche, die in einem Fall in einer späten Totenbuchhandschrift auftreten und außerdem auf späten Särgen nicht selten sind, schon einmal eine Nummer als TB Spruch 191 und 192 erhalten haben, ehe sie dann als Auszüge aus einer osirianischen Verklärung nachgewiesen wurden.40 Hinzu kommt noch ein Punkt, der bei normalen Kategorisierungen leicht unter den Tisch fällt. Es gibt eine Reihe von Sprüchen, welche in quasi gleichen Fassungen zweimal im Totenbuch vorkommen, bzw. bei denen durch die 38 W. SCHENKEL, Das Stemma der altägyptischen Sonnenlitanei. Grundlegung der Textgeschichte nach der Methode der Textkritik (GOF IV/8), Wiesbaden 1978, dort 61–65 zu den spätzeitlichen Textzeugen. 39 E. BRESCIANI/S. PERNIGOTTI/M. P. GIANGERI SILVIS, La tomba di Ciennehebu, capo della flotta del re, Pisa 1977, 83, Taf. XXXIV. 40 J.-C. GOYON, La veritable attribution des soi-disant chapitres 191 et 192 du livre des morts, in: StAe 1 (1974), 117–127.
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Anordnung des späten kanonischen Totenbuches festgeschrieben ist, dass es sich um zwei Entitäten handelt. Konkret handelt es sich um Spruch 9 = 73, Spruch 10 = 48, Spruch 11 = 49, Spruch 12 = 120, Spruch 13 = 121, Spruch 100 = 129 und Spruch 123 = 139. Um diese Erscheinung korrekt zu würdigen, muss man aber beachten, dass auch in Handschriften des Totenbuches des Neuen Reiches,41 ja sogar schon in manchen Sargtextzeugen und einzelnen Pyramidentextversionen Sprüche mehrfach auftreten, nur dass die Forschung ihnen dann nicht zwei Nummern gegeben hat, sondern sie als verschiedene Fassungen desselben Spruches etikettiert hat. Weiterhin ist zu beachten, dass manche Handschriften, und gerade frühe, auf die „Dubletten“ verzichten.42 Nunmehr soll es um einen weiteren wesentlichen Punkt gehen, nämlich die interne Anordnung der Sprüche.43 Es dürfte sinnvoll sein, die kanonisch etablierte Reihenfolge des spätzeitlichen Totenbuches als Systematisierungsleistung zu würdigen, welche sich bemüht, nach inhaltlichen Gesichtspunkten thematisch verwandte Sprüche zusammenzustellen.44 Dabei ruht das Hauptgewicht auf der Anwendung der Sprüche, wie sie in den Titeln angegeben ist, nicht etwa ihrem theologischen Inhalt. Die Sprüche 1–15 werden bemerkenswerterweise auch in den Handschriften gerne als besonders eng zusammengehörig ausgewiesen.45 Die kolumnenweise geschriebene Turiner Handschrift, die sonst üblicherweise mit jedem Spruch eine neue Blockeinheit mit neuer Kolumne (und neuer Vignette) beginnt, hat hier einen relativ durchlaufenden Text, bei dem Kapitelanfänge auch mitten in der Kolumne liegen können, lediglich durch kurze Spatien abgetrennt. Das sogenannte Kapitel 16 ist nichts als eine umfangreiche Vignette zu Kapitel 15. Kapitel 17 und 18 gehören schon im Neuen Reich standardmäßig zusammen, in vielen Fällen hat Kapitel 18 noch nicht einmal einen eigenen Titel, sondern folgt direkt auf Kapitel 17. Kapitel 19 und 20 behandeln den Kranz der Rechtfertigung. Damit schließen sie logisch an Kapitel 18 an, das eben eine Bitte um Rechtfertigung an Thot beinhaltet. 41
Eine Zusammenstellung bei H. MILDE, The Vignettes in the Book of the Dead of Neferrenpet, Leiden 1991, 22. 42 So sind im Totenbuch des Nespasef die Kapitel 48, 49 und 73 nicht aufgenommen; die Rolle, auf der sich 100 und 129, sofern vorhanden, befinden müssten, ist derzeit noch nicht aufgetaucht. 43 Überlegungen dazu bereits bei LEPSIUS, Todtenbuch, 7–16. 44 Für einzelne Bereiche weist darauf bereits HORNUNG, Totenbuch, 23 hin. Eine eher grobe Unterteilung in vier Abschnitte unternimmt P. BARGUET, Le livre des morts des anciens Égyptiens, Paris 1967, 17f. 45 So schon von LEPSIUS, Todtenbuch, 7 erkannt.
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In Kapitel 21–23 geht es darum, den Mund zu öffnen bzw. zurückzugeben, 24 soll die Zauberkraft davor geschützt werden, geraubt zu werden. Über den Mund und die abstrakten Eigenschaften geht man dann zum Herzen vor, das in Spruch 26–30 im Mittelpunkt steht. Das Stichwort „abwehren“ (Xsf ) in Spruch 30 dürfte dazu beigetragen haben, dass als nächste Sektion eine über die Abwehr verschiedener gefährlicher Wesen folgt (Spruch 31–47). Auch die nachfolgenden Sprüche 48–53, in denen es um ein gerechtfertigtes Herauskommen gegen Feinde geht sowie darum, keinen Kot zu essen und Urin zu trinken, schließen sich logisch an. Die Kapitel 54–63 beschäftigen sich mit dem Atmen von Luft und dem Trinken von Wasser und sind eine plausible Folge hinter der Abwehr unerfreulicher „Nahrung“. Das ausführliche Kapitel 64, „alle Sprüche des Herausgehens am Tage in einem einzigen Spruch zu kennen“, leitet eine Reihe von Sprüchen ein, die entweder generell das Herausgehen bei Tage oder das Gehen zu bestimmten Orten behandeln (Spruch 65–75). Besonders evident ist die Zusammengehörigkeit für die Gruppe der Verwandlungssprüche (TB 76–88). Sie sind auch im Neuen Reich meist zusammen überliefert, wenn auch mit andersartigen und in Details variablen Abfolgen.46 Eine kleine, aber sachlich überzeugende Einheit bilden die Sprüche zum Schreibgerät (94) sowie, zur Seite des Schreibergottes Thot zu sein (Spruch 95–96). Hieran schließt sich eine Sektion über Schiffe an. Die Überleitung wird durch Spruch 97 erzielt, der eigentlich nur eine Rezitationsanweisung zu Spruch 96 ist, aber in einem Teil der Überlieferung des späten Totenbuches durch einen trennenden Doppelstrich als eigene Einheit definiert wird.47 Seine Angabe „Worte sprechen in der Nachtbarke“ liefert eben den Bezug zur Welt der Schiffahrt. Weiterverfolgt wird dies mit Sprüchen zur Fähre (98–99), zum Ruhenlassen eines Ba und Hinabsteigen in die Barke des Re (100), zum Schützen der Barke des Re (101) und zum Herabsteigen in die Barke des Re (102). Kontakte mit verschiedenen Gottheiten sind Gegenstand der nächsten Sequenz. Man ist an der Seite der Hathor (103), zwischen den großen Göttern (104), in Memphis (106) und am Tor der Westlichen zwischen dem Gefolge des Re (107). Lediglich der Spruch zum Befriedigen des Ka (105) ist hier weniger evident plaziert. Genaueres Hinschauen auf den Inhalt zeigt aber, dass es hier tatsächlich auch um die Möglichkeit eines Offizianten geht, Zugang zu einer göttlichen Gestalt zu gewinnen.48 Dadurch, dass der letzte 46 MUNRO, Untersuchungen zu den Totenbuchpapyri der 18. Dynastie, London, New York 1987, 153–155. 47 Vgl. VERHOEVEN, Iahtesnacht, 198 mit Anm. 4. 48 Die Deutung dieses Spruches durch J. JANAK, Journey to the Resurrection. Chapter 105 of the Book of the Dead in the New Kingdom, in: SAK 31 (2003), 193–210 scheint mir mehr die
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Spruch dieser Sequenz (107) auch schon im Titel das Kennen der westlichen Bas nennt, leitet er zur nächsten Gruppe über. Dies sind die sehr klar zusammengehörigen Sprüche zum Kennen der Seelen verschiedener Orte, die bereits in den Sargtexten gerne eine Sequenz bilden (Kap. 108–116). Einziges Problem ist hier der Einschub des Kapitels über das Binsengefilde (Spruch 110). Seine Anwesenheit kann aber insofern gerechtfertigt werden, als im direkt vorangehenden Kapitel 109 über die Kenntnis der Seelen des Ostens gerade auch Wissen über das Binsengefilde thematisiert wird. Drei weitere Sprüche (Kap. 117–119) thematisieren die Bewegung in Richtung auf Rosetau. Hieran schließen sich Sprüche zum Ein- und Ausgehen generell an, nämlich 120–123. Eigentlich nur dazu eine Untergruppe ist Spruch 124 mit dem Eintreten vor das Kollegium des Osiris, ebenso ist der berühmte Spruch 125 hier untergebracht, da es sich um einen Spruch zum Eintreten in die Halle der beiden Wahrheiten handelt; Spruch 126 ist eigentlich kaum mehr als ein Anhang dazu. Der Spruch 127, in dem es um das Hinabsteigen zum Gerichtshof des Osiris geht, schließt sich logisch an und liefert gleichzeitig das Bindeglied zum Hymnus an Osiris, der als Spruch 128 in der Spätzeit ins Totenbuch aufgenommen wird. Ein neuer thematischer Abschnitt beginnt mit Spruch 129, in dem es darum geht, einen Verstorbenen auszuzeichnen. Demselben Ziel dienen nach Ausweis des Titels auch Spruch 130, 133 und 134. Genaueres Hinschauen auf die Themen in diesem Bereich zeigt, dass vor allem das Einsteigen in die Barke des Sonnengottes eine Rolle spielt, nicht nur in Spruch 129, 130, 133 und 134, sondern auch in Spruch 131 und 136. In Spruch 135 ist diese Thematik weniger klar, doch ist er dadurch mit dem Restbestand in dieser Gruppe verklammert, dass er einem Passus aus dem Zweiwegebuch der Sargtexte entspricht, wie dies auch Spruch 130, 131, 133 und 136 tun. Relativ unklar ist vor allem die thematische Zugehörigkeit von Spruch 132, der thematisiert, dass ein Mann sich umwendet und sein Haus sieht. Ein weiterer Abschnitt von Sprüchen wirkt schwerpunktmäßig osirianisch bzw. aus dem Tempelritual von Abydos übernommen. Es beginnt mit dem Fackelspruch (TB 137), der zumindest in manchen Fassungen deutlich eine Herkunft aus dem osirianischen Tempelritual zeigt.49 Ganz klar ist es bei Spruch 138, in dem es darum geht, nach Abydos zu gehen und im Gefolge des Osiris zu sein. Ebenso gilt dies für Spruch 141–143, eine Opferlitanei mit starker Betonung der verschiedenen Kultformen des Osiris,50 und für die Sprüche Vermutungen der Ägyptologen über die Natur des Ka in den Spruch zu importieren als seine Aussagen realiter ernstzunehmen. 49 Dieser Spruch ist von D. LUFT in ihrer Magisterarbeit: Das Anzünden der Fackel. Untersuchungen zu Spruch 137 des Totenbuches, Heidelberg 2006, bearbeitet worden; eine Drucklegung in der Reihe SAT ist vorgesehen. 50 Vgl. zu dieser Opferlitanei J. ASSMANN, Grabungen im Asasif 1963–1970, Band II. Das Grab des Basa (Nr. 389) in der thebanischen Nekropole (AV 6), Mainz 1973, 39 u. 86–92.
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144–147, in denen es um Torwächter und Durchlass in einem osirianischen Bezirk geht. Spruch 148 mit seiner Anrufung an die nahrungsspendenden Kühe und den Stier sowie die vier Ruder des Himmels greift Gestalten auf, die bereits in der Opferliste TB 141 vorhanden sind. Auch die Behandlung der Hügel der Unterwelt in Spruch 149 und 150 schließt sich inhaltlich gut an die vorangehenden Sprüche an. Das osirianische Potential dieses Bereiches dürfte sich auch darin äußern, dass Spruch 128 mit seinem Hymnus an Osiris im pVatikan Inv. 48 832 direkt vor Spruch 140 gestellt ist. Weniger evident ist allerdings die Position von Spruch 139 und 140. Spruch 139, dem Titel nach eine Anbetung des Atum (also des abendlichen Sonnengottes), würde eigentlich als Übergang von den stark solar dominierten und barkenrelevanten Sprüchen der vorangehenden Gruppe (bis einschließlich 136) zur nächtlichen Szene von Spruch 137 mit der Fackel am besten stehen. Ein genauerer Blick auf den Spruchinhalt zeigt allerdings, dass dieser Spruch unbeschadet seines Titels in der Turiner Handschrift51 tatsächlich weniger ein Hymnus ist, sondern hauptsächlich eine Legitimation des Ritualisten in seiner Rolle als Thot, die ihn zum Eintritt berechtigt – und gerade die Eintrittsberechtigung ist in vielen der osirianischen Sprüche in diesem Bereich besonders wichtig (besonders Spruch 144–147). Andererseits kann eben Spruch 139 aufgrund seines einleitenden |n@-Hr=k AItm |n@-Hr=k %pr| auch erklären, warum Spruch 140 mit seiner Fokussierung auf solaren Gottheiten und der Fahrt in der Barke hier in die Abfolge kommt. Einen neuen Abschnitt leitet dann Spruch 151 ein, in dem es um die Ausstattung der gesamten Grabkammer geht,52 wobei die Thematisierung der Grabkammer auch eine sinnvolle Wendung gegenüber den vorangehenden Sprüchen ist, in denen es ja schwerpunktmäßig gerade um den Weg durch die Tore und Hügel (d. h. hin zum Grab des Osiris) geht. Spruch 152 (zum Erbauen eines Grabes) schließt sich logisch an. Problematischer ist die Platzierung von Spruch 153 (dem Fangnetz entkommen) und 154 (nicht verwesen). Möglicherweise sind sie als Schutz vor Gefahren den nachfolgenden Amulettsprüchen vorangestellt. Deutlich als Gruppe sind eben diese in Spruch 155–160. Spruch 161, in dem es um die Dekoration des Sarges geht, ist nach Beigabe der Amulette ein logischer weiterer Schritt. Insgesamt scheint mir, so sehr auch noch Einzelpunkte weiterer Erhellung bedürfen mögen, doch das Gesamtbild leidlich klar. Die Abfolge der Sprüche im späten Totenbuch stellt einen groß angelegten Versuch dar, inhaltlich-thematisch enger zusammengehörige Sprüche auch räumlich zusammenzubringen. 51 Im vatikanischen Papyrus hat er keinen Titel, sondern beginnt gleich mit @ô môw, s. GASSE, Livre des morts, 241; im Papyrus der Iahtesnacht ist er ausgelassen, bei Nespasef ist dieser Bereich nicht erhalten. 52 B. LÜSCHER, Untersuchungen zu Totenbuch Spruch 151 (SAT 2), Wiesbaden 1998.
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Man sollte aber nicht nur diese thematische Systematisierung hervorheben, sondern auch verstehen, was sie abgelöst hat. Immerhin sind auch die Handschriften der älteren Zeit keineswegs rein zufällige Anhäufungen von Sprüchen, sondern haben für Teilbereiche fassbare Sequenzen, auch wenn deren Erforschung noch in den Anfängen steckt.53 Einerseits sind auch im Neuen Reich bereits manche thematischen Strukturen erkennbar, z.B. werden die Verwandlungssprüche oder die Sprüche zum Kennen der heiligen Seelen als besonders markante Gruppe schon in dieser Zeit gerne zusammengruppiert (allerdings nicht immer in der später kanonisierten Abfolge). Andererseits gibt es aber Fälle, wo ein thematisches Kriterium für die Abfolge kaum zu sehen ist. Ein Beispiel mag etwa das Totenbuch des Nebseni liefert. Es grenzt die meisten Sprüche dadurch voneinander ab, dass es nicht eine einfache, sondern eine doppelte Kolumnenlinie gibt.54 In einigen Fällen setzt sich ein Spruch aber (auch innerhalb derselben Kolumne) in unmittelbarem Anschluss an einen vorhergehenden fort. Man sollte denken, dass hiermit eine besonders enge Sequenz angezeigt werden wird. Gerade hier sind aber gelegentlich eher schwer erklärbare Anordnungen zu finden. So findet sich der Spruch 88 (Verwandlung in ein Krokodil) separat von den sonstigen Verwandlungssprüchen, direkt danach Spruch 5 (in der Nekropole keine manuelle Arbeit zu verrichten) und dann Spruch 50 (nicht zur Schlachtbank einzutreten).55 Andere Anordnungen sind transparenter, so wenn Spruch 166 (zur Kopfstütze) direkt vor 151 (zur Mumienmaske) gestellt wird. Gegenwärtige Forscherpositionen tendieren dazu, für die Totenbücher des Neuen Reiches vor allem zu Anfang und Ende der Rolle klare thematische Kohärenz anzusetzen, weniger dagegen im mittleren Bereich.56 Sinnvoll dürfte es hier sein, das „Totenbuch“ nicht etwa als Ding für sich zu nehmen, sondern historisch weiter zurück zu gehen. Für die Pyramidentexte sind immerhin inzwischen gute Ansätze entwickelt worden, wie man ihre jeweilige Anbringung im Sinne einer lesbaren Abfolge interpretieren kann.57 Erst recht für die Sargtexte gehört die Entdeckung längerer Spruchsequenzen und ihre Analyse als Abfolge von Ritualhandlungen zu den fruchtbarsten neu53 I. MUNRO, Untersuchungen, 139–162; G. LAPP, Catalogue of Books of the Dead in the British Museum I. The Papyrus of Nu (BM EA 10477), London 1997, 36–49; DERS., Catalogue of Books of the Dead in the British Museum III. The Papyrus of Nebseni (BM EA 9900), London 1997, 45–51. 54 Andere Handschriften wie der Papyrus des Nu haben keinerlei solche Strukturierung, sondern beginnen ohne zusätzliche Trennungsstriche jeweils den neuen Spruch direkt nachfolgend in derselben Kolumne. 55 LAPP, Nebseni, Taf. 31. 56 LAPP, Papyrus of Nu, 47–49. 57 J. OSING, Zur Disposition der Pyramidentexte des Unas, in: MDAIK 42 (1986), 131–144; J. P. ALLEN, Reading a Pyramid, in: C. BERGER/G. CLERC/N. GRIMAL (Hgg.), Hommages à Jean Leclant, 1 (BdÉ 106/1), Kairo 1994, 5–28.
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en Ansätzen der Forschung überhaupt.58 Im Totenbuch des Neuen Reiches sind diese Züge schon weit schwerer zu fassen, was auch damit zusammenhängt, dass die Verklärungstexte, die am deutlichsten in den Rahmen eines Bestattungs- und Beopferungsrituals gehören, im Neuen Reich vom Totenbuch getrennt in den Gräbern besonders auf den Wänden und den Türdurchgängen angebracht sind.59 Das Totenbuch der Spätzeit scheint mir dann den letzten Schritt gegangen zu sein und sich eine definitiv nicht mehr einer Ritualabfolge verpflichtete Spruchsequenz zum Ziel gesetzt zu haben, ja sogar manche Sprüche eben deshalb, weil sie aus dem liturgischen Bereich stammen, aus dem Bestand ausgeschieden zu haben. Weiterhin intendiert es eine Form von Vollständigkeit, indem nicht mehr eine beliebige Teilauswahl getroffen, sondern ein Gesamtbestand zur Norm erhoben wird. Interessant ist die Systematisierungsintention auch gerade an einem Punkt, an dem sie zu Problemen und scheinbaren „Rissen“ in der korrekten Abfolge führt, nämlich bei Spruch 30B und 64. Spruch 30B behandelt an sich den Herzskarabäus und sollte deshalb logisch auch mit den anderen Sprüchen zum Herzen verbunden werden, was er in der kanonischen Abfolge auch tatsächlich ist. Andererseits gehört er auf der Ebene der Überlieferungsgeschichte und auch der rituellen Praxis zutiefst mit Spruch 64 zusammen, und dies kann potentiell dazu führen, dass ihn Handschriften auch außerhalb seines „korrekten“ Platzes im Anschluß an Spruch 64 bieten60 oder umgekehrt Spruch 64 aus seiner Folge herausnehmen und zu 30 stellen.61 Ein weiterer Zug ist mit diesem Charakter als normiertes Nachschlagewerk verbunden, nämlich die Haltung gegenüber den Nachschriften. Bekanntlich sind in den Pyramidentexten Nachschriften mit Handlungsanweisungen gar nicht belegt und in den Sargtexten noch relativ selten. Im Totenbuch werden sie dann häufiger. Diese Entwicklung hat nicht unwesentlich mit der Frage der Redigierung zu tun. Wenn Sprüche Verstorbenen beigegeben werden, sind diese de facto nicht in der Lage, sie als Ritualisten selbst zu vollziehen, sondern nur die Formulierungen des Rezitationstextes sind als verstetigte Form einer zumindest der Konzeption nach durchgeführten realen Aufführung dau58 Vgl. etwa J. ASSMANN, Egyptian Mortuary Liturgies; DERS., Altägyptische Totenliturgien, Band 1. Totenliturgien in den Sargtexten des Mittleren Reiches (Supplement zu den Schriften der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 14), Heidelberg 2002; H. WILLEMS, The Coffin of Heqata (Cairo JdE 35418). A Case Study of Egyptian Funerary Culture of the Early Middle Kingdom (OLA 70), Leuven 1996. 59 ASSMANN, Tod und Jenseits. 60 VERHOEVEN, Iahtesnacht, 160. 61 So im pRyerson und pMilbanks, s. TH. G. ALLEN, The Egyptian Book of the Dead Documents in the Oriental Institute Museum at the University of Chicago (OIP 82), Chicago 1960, Taf. XVIIIf. u. LXIVf. Letztere Handschrift stellt auch sonst einige Sprüche anders als die Standardabfolge.
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erhaft relevant. Bei der Niederschrift der Pyramidentexte hat man dies logisch korrekt beachtet, ebenso wie man wohl deshalb auch öfters Text, der ursprünglich in der 1. Person stand, in die dritte umformuliert hat, da der Tote nicht mehr in der Lage ist, selbst zu sprechen. Bei den Sargtexten und dem Totenbuch wurde hierauf weniger geachtet, es gibt in der Überlieferung auch spannende Fluktuationen zwischen der 1. und der 3. Person. Im Neuen Reich ist meist die Nachschrift eines Spruches weniger intensiv als dieser selbst bezeugt, d.h. etliche Handschriften schreiben bewusst keine Nachschriften auf. In der Spätzeit wird dagegen zunächst einmal auf Anwesenheit der Nachschriften, wo welche greifbar sind, normiert. So haben für Spruch 1 im Neuen Reich von 20 Textzeugen, die in einer synoptischen Edition benutzt wurden, nur fünf die Nachschrift.62 Für Spruch 31 (im Neuen Reich relativ selten belegt) kann man die Nachschrift überhaupt erst in der saitischen Redaktion des Totenbuchs fassen, auch der im Neuen Reich etwas häufiger bezeugte Spruch 42 hat erst in der Spätzeit eine kurze Handlungsnotiz am Ende, ähnlich Spruch 84. Die intensivierte Nutzung der Nachschriften passt natürlich zum Anspruch eines Werkes als systematisches Handbuch. Sie lässt erst in der Schlussphase der Totenbuchüberlieferung wieder nach.63 Die „kanonische“ Abfolge des späten Totenbuches ist somit als endgültiger Triumph der Systematisierung über die Ritualsequenz anzusehen. Gerade die Versammlung mehrerer Sprüche gleicher Intention ist ja insofern nicht für die Ritualpraxis plausibel, als man zum Erzielen der gewünschten Wirkung ohne weiteres einen spezifischen von mehreren möglichen auswählen kann. Vermutlich haben auf dieser Ebene die Normierung der Spruchsequenz und die Etablierung des Gesamtbestandes als relevanter Größe sogar sehr viel miteinander zu tun. Beides führt nämlich logisch dazu, dass es sich beim Totenbuch nunmehr um ein Gesamtobjekt handelt, das en bloc relevant ist. Damit ähnelt gerade das späte Totenbuch etwas einer medizinischen Sammelhandschrift, die z. B. alle Rezepte zur Bekämpfung von Husten zusammenstellt, obgleich man bei einem konkreten Krankheitsfall sicher nicht alle potentiell möglichen Rezepte realiter umsetzt. Damit erklären sich auch einige der „Spruchverdoppelungen“, wie sie im späten Totenbuch vorliegen. Sie sind auf derselben Ebene zu sehen wie manche mehrfach in einer medizinischen Sammelhandschrift auftretenden Rezepte64 und haben wohl auch damit zu tun, dass man bei einer Kategorisierung 62 B. LÜSCHER, Totenbuch Spruch 1 nach Quellen des Neuen Reiches, Wiesbaden 1986; Sargschlitten und Tür des Senedjem habe ich hier, da sie derselben Person gehören und zudem für den Hauptspruch Senedjem nur als eine Quelle erscheint, auch nur als einen Zeugen betrachtet. 63 Vgl. etwa A. VON LIEVEN, in: OLZ 97 (2002), Sp. 478f. 64 Vgl. zu ihnen H. GRAPOW, Von den medizinischen Texten, Grundriß der Medizin der alten Ägypter II, Berlin 1955, 98; W. WESTENDORF, Handbuch der altägyptischen Medizin (HdO I, 36), Leiden, Boston, Köln 1999, 97.
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nach Sachkriterien den betreffenden Spruch an zwei verschiedenen Orten unterbringen konnte. Deutlich ist dies etwa im Falle der Sprüche 12 und 13 = 120 und 121. Sie stehen in zwei verschiedenen Bereichen, von denen der erste hauptsächlich das Eintreten als solches bzw. Ein- und Ausgehen thematisiert, der zweite dagegen spezifischer das Eintreten bis hin zur Gerichtshalle. Ebenso ist bei der Dublette 100 = 129 deutlich erkennbar, dass sie der zweifachen Nutzanwendung des Spruches entspricht. Einerseits geht es um das Herabsteigen in die Barke des Re, und dazu steht der Spruch im Rahmen der Schiffssektion zwischen 99 (Fähre) und 101 (Schützen der Barke des Re) sowie 102 (Herabsteigen in die Barke). Andererseits geht es um die Auszeichnung eines Ach, und in dieser Eigenschaft folgt er auf die Anbetung des Osiris (128) und geht der Belebung des Ba (130) sowie dem Himmelsaufstieg zu Re (131) voraus. Allerdings besteht zu den wissenschaftlichen Handbüchern und ihrer Systematik insofern doch ein Unterschied, als hier eine von sicher mehreren prinzipiell möglichen Versionen systematischer Anordnung es geschafft hat, erhebliche landesweite Anerkennung zu erhalten. Von den medizinischen Papyri, bei denen die Beleglage am besten ist, und ebenso den mathematischen, hat man bislang keinerlei Nachweis dafür erhalten, dass ihre Systematiken je absolute Verbindlichkeit erlangt hätten. Zwar kann man gelegentlich in verschiedenen Handschriften nicht nur Einzelrezepte parallelisieren, sondern auch Sequenzen, aber doch meist nur für kürzere Teilbereiche, d. h. die Sequenzen sind in Umfang und Abfolge tendenziell instabil.65 Sie sind eben nur eine Möglichkeit und die Sammlungen können sowohl durch die Aufnahme neuer als wirksam erwiesener Rezepte erweitert als auch durch Streichung weniger effektiver stets dem Kenntnisstand und den Erfahrungen des Arztes angepasst werden. Gleichzeitig ist zu beachten, dass hier nicht allein eine sachlich strukturierte systematische Abfolge geschaffen wurde, sondern man diese auch mit nur geringfügigen Unterschieden landesweit durchgesetzt hat. Ab der Saitenzeit setzen die Individualsequenzen älterer Handschriften aus. Es fällt angesichts der offenen Struktur der ägyptischen Religion ohne übergreifende dogmatische Festlegung schwer, sich eine zentrale Autorität vorzustellen, welche diese Reihung für so gut befand, dass sie landesweit verbindlich durchgesetzt wurde, andererseits ist die Radikalität des Wandels andernfalls nicht leicht zu verstehen. Ein Denkmodell, dass hier eine für die absolute Elite, d.h. spezifischer den König, geschaffene Version Leitbildcharakter erhalten hätte und begeistert von der Beamtenschaft aufgegriffen wurde, wäre vielleicht gangbar 65 Man vergleiche hier GRAPOW, Von den medizinischen Texten, 97 sowie J. F. QUACK, Tabuisierte und ausgegrenzte Kranke nach dem „Buch vom Tempel“, in: H.-W. FISCHER-ELFERT (Hg.), Papyrus Ebers und die antike Heilkunde. Akten der Tagung vom 15.–16. 3. 2002 in der Albertina/UB der Universität Leipzig (Philippika 7), Wiesbaden 2005, 63–80, bes. 73 u. 79f.
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und zumindest in seinen Implikationen weniger gravierend als eine staatlich diktierte Festschreibung hinsichtlich der Form des Funerärpapyrus. Selbst dann kann man sich den Prozeß schon rein prinzipiell nur in der Zeit eines zentral durchorganisierten Staates vorstellen, und von daher ist es auch plausibel, dass ein solcher Schritt etwa in die Saitenzeit fällt, nicht etwa in die politisch fragmentierte Dritte Zwischenzeit. Als Indiz einer Herkunft dieser Fassung aus dem Zentrum der Macht kann man eventuell auch einen stemmatischen Befund anführen. Für Spruch 17, der als einziger in seiner Überlieferungsgeschichte ausreichend untersucht ist, kann nachgewiesen werden, dass die spätzeitliche Überlieferung auf eine Vorlage zurückgreift, die ursprünglich für Painedjem II. erstellt worden war.66 Eine solche Handschrift wird man am ehesten in königlichen Archiven zu lokalisieren haben. Die Saiten könnten ab dem Vorstoß nach Theben und der Einsetzung der Nitokris als Erbin im Amt der Gottesgemahlin67 Zugriff auf entsprechende Archive gehabt haben. Die zunehmende Systematisierung kann auch mit einem Befund aus einem scheinbar ganz anderen Bereich parallelisiert werden, nämlich der Traumdeutung. Das einzige erhaltene Handbuch des Neuen Reiches, der pChester Beatty 3, hat keine transparente Sachanordnung. Dagegen haben die späten, d. h. vorzugsweise demotisch überlieferten Traumbücher eine klare Kategorisierung nach Sachgruppen, die in besser erhaltenen Fragmenten auch durch explizite Zwischenüberschriften verdeutlicht wird.68 Leider macht die generell mäßige Erhaltung der bislang zugänglichen demotischen Traumbücher es schwer überprüfbar, ob es sich bei ihnen um Kopien eines einzigen normierten Textes handelt,69 es gibt aber inzwischen ein erstes Indiz in diese Richtung. Das von Zauzich publizierte Traumbuch pBerlin 1568370 zeigt eine direkte
66 U. RÖSSLER-KÖHLER, Zur Tradierungsgeschichte des Totenbuches zwischen der 17. und 22. Dynastie (Tb 17) (SAT 3), Wiesbaden 1999, 225f. Ihre Datierung dieser Redaktion in die 25. Dynastie beruht, so weit ich sehe, allein auf der Datierung des pVandier als Handschrift in diese Zeit, die Notiz von U. VERHOEVEN, Erneut der Name des früheren Königs in der Erzählung des Papyrus Vandier (recto 1, 6), in: CdÉ 72 (1997), 5–9, dort 9 betrifft aber nur die Kompositionszeit der Erzählung auf dem Rekto dieses Papyrus, während U. VERHOEVEN, Untersuchungen zur späthieratischen Buchschrift (OLA 99), Leuven 2001, 329–337 die Handschrift als solche vielmehr in die Zeit um 600 v. Chr. setzt. 67 Vgl. dazu etwa R. A. CAMINOS, The Nitocris Adoption Stela, JEA 50 (1964), 71–101. 68 Vgl. J. F. QUACK, A Black Cat from the Right, and a Scarab on your Head. New Sources for Ancient Egyptian Divination, in: K. SZPAKOWSKA (Hg.), Through a Glass Darkly. Magic, Dreams, and Prophecy in Ancient Egypt , Swansea 2006, 175–187, dort 179. 69 Nach Maßgabe etwa der kanonisierten mesopotamischen Serien wäre so etwas alles andere als überraschend. Allerdings sind nach Auskunft von Andreas Winkler im Bereich der demotischen astrologischen Traktate zwar thematische Ähnlichkeiten zu beobachten, aber kein normierter einheitlicher Text. 70 K.-TH. ZAUZICH, Aus zwei demotischen Traumbüchern, in: AfP 27 (1980), 91–98.
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wörtliche Parallele zum unveröffentlichten, aber im Internet verfügbaren Pap. Yale CtYBR 1154.71 Noch einmal ein anderes Phänomen, das oben schon etwas angeklungen ist, ist die Nutzung einzelner Totenbuchsprüche ersichtlich als Totenbuchsprüche, aber außerhalb des etablierten und kanonischen Totenbuches. Hier ist ein wichtiges Element zu beachten. Die oben dargelegte Normabfolge eines späten Totenbuches gilt so primär nur für Papyrusabschriften.72 Daneben gibt es Niederschriften von „Totenbuchtexten“ auf anderen Medien, insbesondere Särgen und Grabwänden, bei denen aber nie der Vollbestand angestrebt wird, auch wenn es ausnahmsweise sehr lange Sequenzen gibt, die den Eindruck erwecken, stark dem kanonisierten Vollbestand nahekommen zu wollen.73 Vielmehr sind es immer Einzelsprüche, wenn auch in mutmaßlich bedeutungsrelevanter Auswahl. Manche Sprüche, etwa die Kapitel 72 und 161, sind für eine solche Anwendung schon dadurch prädestiniert, dass sie in ihren Nachschriften eine Verwendung eben auf dem Sarg angeben. Sie sind dann auch realiter auf Särgen dieser Zeit öfters zu finden.74 Was man hier als Befund fassen kann, ist somit tatsächlich die Differenzierung zwischen dem Totenbuch als Wissensvorrat zum Nachschlagen, der auf einer Papyrusrolle kodifiziert ist, und den konkreten einzelnen Nutzanwendungen, die sich in Form selektierter Sprüche auf Wänden oder sonstigen Objekten vorfinden lassen. Die Kanonisierung, welche man hier feststellen kann, sollte dazu anregen, sich Gedanken über ihr weiteres Umfeld zu machen. Insbesondere gilt dies für das Phänomen, was man in der Forschung heute meist als „Saitische Renaissance“, teilweise auch als „Archaismus“ bezeichnet.75 Diese ist ja insgesamt dadurch gekennzeichnet, dass Texte und Bilder wieder aufgegriffen werden, die in der Zeitspanne vorher zumindest weitgehend außer Gebrauch gekommen waren bzw. nur noch in den Bibliotheken lagerten, aber nicht mehr 71
http://beinecke.library.yale.edu/papyrus/oneSET.asp?pid=1154(B). Über Fassungen auf Mumienbinden will ich hier nicht reden, da es beim derzeitigen Publikationsstand schwierig ist, den vollen Umfang der realiter einer Mumie beigegebenen beschrifteten Binden zu eruieren. 73 Vgl. G. ROSATI, Glimpses of the Book of the Dead in the Second Court of the Tomb of Montuemhat (TT 34), in: BACKES/MUNRO/STÖHR, Totenbuch-Forschungen, 297–324. 74 M. Th. BUHL, The Late Egyptian Anthropoid Stone Sarcophagi, Kopenhagen 1959, 178–180. 75 P. DER MANUELIAN, Living in the Past. Studies in Archaism of the Egyptian TwentySixth Dynasty, London, New York 1994; S. Neureiter, Eine neue Interpretation des Archaismus, in: SAK 21 (1994), 219–254 (stärker in der Kritik älterer Ansätze als in der Ausarbeitung einer plausiblen Lösung). Wichtig ist hier J. KAHL, Siut-Theben. Zur Wertschätzung von Traditionen im alten Ägypten (PÄ 13), Leiden, Boston, Köln 1999, bes. 349–355. 72
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monumentalisiert umgesetzt worden waren. Ich würde dabei davon ausgehen, dass zumindest an ihrem Startpunkt dahinter keineswegs ein nur museales Interesse oder der Bedarf an Altem per se bestand, sondern die Überzeugung, in diesen Kompositionen einen konkreten Wert zu finden. Ihr Wiederaufgreifen im Bereich der Grabausstattung und -dekoration, und aus diesen Bereichen kommt fast alles, was man als spätzeitlichen Archaismus eingestuft hat, steht im größeren Rahmen einer Wende hin zu einer jenseitig dominierten Beigabensitte. In diese Gesamtentwicklung passt es hervorragend, dass man auch eine normativ verbindliche Vollversion dessen zusammenstellte, was man an nützlichen Texten einem Verstorbenen beigeben konnte. Schließlich sei die Kehrseite des Erfolges der Normierung des Totenbuches nicht verschwiegen. Der Text wird zunächst durch die Kanonisierung aufgewertet, zu etwas insgesamt Nötigem und Unverzichtbarem gemacht. Dadurch unterminiert er seinen eigenen Wert aber auch wieder, indem die Sprüche ihren jeweils intrinsischen Wert als wirksame Mittel gegen bestimmte Gefahren oder für bestimmte erstrebenswerte Ziele verlieren. Sie sind nur noch Teil einer Gesamtentität „Totenbuch“, die als solche ihren Wert dadurch hat, dass sie kulturelle Norm ist. Kulturelle Normen sind aber aller Erfahrung nach nie unveränderlich. Sie müssen sich auch in neuen Situationen immer aufs Neue beweisen. In der griechisch-römischen Zeit tut sich aber einiges bei den ägyptischen Funerärtexten. Das Totenbuch ist zuletzt noch etwa im 2. Jh. v. Chr. oder allenfalls 1. Jh. v. Chr.76 nachzuweisen; verlässlich aus der Römerzeit stammt kein einziges Totenbuch im engeren Sinne.77 Dafür kommen neue Kompositionen auf, wie etwa die besonders beliebten verschiedenen „Dokumente vom Atmen“78 sowie das Buch vom Durchwandeln der Ewigkeit.79 Die Dokumente vom Atmen beinhalten eine Reihe von Sprüchen und Vignetten, welche letztlich aus der Totenbuchtradition stammen. Ohne ihren Be76 B. LEJEUNE, A Study of pLouvre N. 3125 and the End of the Book of the Dead Tradition, in: BACKES/MUNRO/STÖHR, Totenbuch-Forschungen, 197–202. 77 Vgl. J. QUAEGEBEUR, Books of Thot Belonging to Owners of Portraits? On Dating Late Hieratic Funerary Papyri, in: M. BIERBRIER, Portraits and Masks. Burial Customs in Roman Egypt (1997), 72–77; S. QUIRKE, The Last Book of the Dead, in: W. V. DAVIES (Hg.), Studies in Egyptian Antiquities. A Tribute to T. G. H. JAMES, London 1999, 83–98; M. COENEN, On the Demise of the Books of the Dead in Ptolemaic Thebes, in: RdÉ 52 (2001), 69–84. 78 Vgl. etwa J.-C. GOYON, Rituels funéraires de l’ancien Égypte (Paris 1972), 183–317; M. COENEN, Books of Breathing. More than a Terminological Question?, in: OLP 26 (1995), 29–38; DERS., An Introduction to the Document of Breathing made by Isis, in: RdÉ 49 (1998), 37–45; DERS., The Funerary Papyri of the Bodleian Library at Oxford, in: JEA 86 (2000), 81–98, dort 87–96; Fr.-R. Herbin, Trois manuscrits originaux du Livre des respirations fait par Isis (P. Louvre N 3121, N. 3083 et N 3166), in: RdÉ 50 (1999), 149–239. 79 F.-R. HERBIN, Le livre de parcourir l’éternité (OLA 58), Leuven 1994; M. COENEN, The Greco-Roman Mortuary Papyri in the National Museum of Antiquities at Leiden, in: OMRO 79 (1999), 67–79, dort 69–71.
Redaktion und Kodifizierung im spätzeitlichen Ägypten
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stand in allen Details analysieren zu wollen, kann man doch einige Tendenzen festhalten. Der Textbestand ist unabhängig von allen Fragen der Ursprünglichkeit zumindest „gut“ insofern, als es sich um einen Wortlaut handelt, der aus sich heraus übersetzbar (und meist philologisch nicht einmal sonderlich schwierig) ist. Die Auswahl der Sprüche betrifft Themen, welche zentral für die jenseitige Existenz waren, so insbesondere der Wunsch nach eben dem Atmen und dem Trinken von Wasser. Ebenfalls bewahrt bleibt die Konzeption des Totengerichts, bei dem eine gegenüber TB 125 meist gekürzte, aber in den Grundprinzipien gleichartige Sequenz verwendet wird.80 Neu formulierte Bereiche, welche nicht Texte des Totenbuches weiterführen, zeigen deutliche Einflüsse junger Sprache bzw. sollten wohl besser als Demotisch in hieratischer Schrift klassifiziert werden. Direkt demotisch geschriebene Totentexte kommen hinzu, sowohl ausführliche81 als auch zunehmend kurze.82 In diese Tendenzen passt sich auch eine Handschrift ein, die gerne als „demotisches Totenbuch“ bezeichnet wird, tatsächlich aber genauer eine demotische Übersetzung spezifisch von Kapitel 125 des Totenbuches sowie einer Komposition aus dem Umfeld des Buches vom Durchwandeln der Ewigkeit darstellt.83 Dies ist nicht mehr das traditionelle Totenbuch und schon gar nicht in seiner kanonischen Form, sondern ein freier Umgang unter Auswahl nur dessen, was noch als relevant angesehen wurde. Dabei korreliert diese letzte Wende in der Geschichte des Totenbuches auch damit, dass in größerem Rahmen die Grabausstattung an Ausmaß wie an Jenseitsorientierung abnimmt, was meiner oben geäußerten Vermutung, dass die Kanonisierung des Totenbuches mit einer Wende hin zu einer jenseitsorientierten Beigabensitte sachlich enger zu verbinden ist, vielleicht etwas zusätzliches Gewicht verleiht. Eine letzte übergreifende Bemerkung sei noch gestattet: Die „saitische Renaissance“ wird in der ägyptologischen Forschung tendenziell eher reserviert
80 Vgl. z. B. GOYON, Rituels funéraires, 224–227; COENEN, in: RdÉ 49, 44; HERBIN, in: RdÉ 50, 186f. u. 193. 81 M. SMITH, Catalogue of Demotic Papyri in the British Museum, Volume III. The Mortuary Texts of Papyrus BM 10507, London 1987; DERS., The Liturgy of Opening the Mouth for Breathing, Oxford 1993; DERS., Papyrus Harkness (MMA 31.9.7), Oxford 2005. 82 Vgl. etwa M. CHAUVEAU, Glorification d’une morte anonyme (P. dém. Louvre N 2420 c), in: RdÉ 41 (1990), 3–8; M. A. STADLER, The Funerary Texts of Papyrus Turin N. 766: A Demotic Book of Breathing (Part I), in: Enchoria 25 (1999), 76–110; DERS., The Funerary Texts of Papyrus Turin N. 766: A Demotic Book of Breathing (Part II), in: Enchoria 26 (2000), 110–124; DERS., Fünf neue demotische Kurztexte (Papyri British Museum EA 10121, 10198, 10415, 10421 a, b, 10426a) und eine Zwischenbilanz zu dieser Textgruppe, in: F. HOFFMANN u. a. (Hgg.), Res severa verum gaudium. Festschrift für Karl-Theodor Zauzich zum 65. Geburtstag am 8. Juni 2004 (StDe 6), Leuven, Paris, Dudley 2004, 551–571. 83 M. A. STADLER, Der Totenpapyrus des Pa-Month (P. Bin. nat. 149) (SAT 6), Wiesbaden 2003.
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betrachtet, man neigt dazu, den späten Archaismus generell für ein verfehltes Nachahmen des Alten ohne inneres Verständnis zu halten. Ein wenigstens unterschwelliges Motiv dabei mag sein, dass Ägypten nach der Saitenzeit mit kurzen Unterbrechungen unter fremder Herrschaft stand, und dass die traditionelle pagane Kultur letztlich dem Christentum unterlag. Eine solche Betrachtung verdient vielleicht einen Vergleich mit der europäischen „Renaissance“ der frühen Neuzeit. Zunächst ist es auch dort ja so, dass Texte wieder hervorgeholt und intensiv genutzt wurden, die vorher zwar in Bibliotheken an sich verfügbar, aber wenig verwendet waren. Andererseits dürfte die generell positive Bewertung dieser europäischen Epoche normal sein, und zwar hier unter Absehung von der Tatsache, dass gerade Italien als Zentrum der Entwicklung der Renaissance im 16. Jahrhundert nur noch Spielball zwischen Frankreich und dem Habsburger Reich war und erst Jahrhunderte später eine nationalstaatliche Einheit gewinnen konnte. Vielleicht hängt die so unterschiedliche Bewertung in der heutigen Betrachtung auch damit zusammen, dass in diesem Fall bislang kein Untergang der Kultur vorliegt; die in der Renaissance wiederhervorgeholten Schriften des griechisch-römischen Altertums haben eine bis heute nicht abgerissene Bedeutung für die europäische und dann Weltkultur entwickelt. Aber auch dort ist es heute unübersehbar, wie die Kraft dieser „Leitkultur“ zunehmend abnimmt und man potentiell mit einer Reduktion der Verwendung auf das aktuell noch als relevant Empfundene rechnen muss – darin nicht unähnlich dem Schicksal des Totenbuches in der späteren Ptolemäerzeit.
Aspekte der Archivierung und Kanonisierung von Keilschriftliteratur
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Aspekte der Archivierung und Kanonisierung von Keilschriftliteratur im 8./7. Jh. v. Chr. WOLFGANG RÖLLIG atta mannu lu iššakku u rubû lu mimma šanâma ša ilanu inambûšu šarruta ippuš tupšenna epuška narâ ašturka .... narâ annâ amurma ša pî narê annâ šimema .... tupšarrë enqute liškuru narâka šut nare’a tamuruma putka tušeËû šut jâši taktarba arkû liktarrabka kâša
Du, wer immer du bist, Statthalter oder Prinz oder irgendein anderer, den die Götter zur Ausübung der Herrschaft berufen, dir habe ich einen Tafelbehälter gemacht und eine narû-Tafel geschrieben ... Lies diese narû-Tafel! Höre auf den Wortlaut dieses narû! Weise Schreiber sollen deine narû-Tafel laut lesen. Du, der du meine narû-Tafel gelesen hast und im Einklang (mit ihr) gehandelt hast, so, wie du mich gesegnet hast, möge ein späterer (Fürst) dich ebenfalls segnen
Diese letzten Zeilen der sog. Kutha-Legende1 um König Sargon von Akkade sollen uns nur vergegenwärtigen, welchen Stellenwert das geschriebene Wort und dessen Überlieferung in den Keilschriftkulturen hatte. Dabei kann und will ich keinesfalls alle Aspekte dieser Überlieferung in den Blick nehmen, sondern – dem Thema des Kolloquiums entsprechend – mich auf einige Aspekte der Textualisierung von Religion beschränken, wobei Sie gleich be1 Zuletzt bei J. G. WESTENHOLZ, Legends of the Kings of Akkade. Mesopotamian Civilizations 7, Winona Lake 1997, 326ff., 149–180; s. auch B. PONGRATZ-LEISTEN, „Öffne den Tafelbehälter und lies ...“. Neue Ansätze zum Verständnis des Literaturkonzeptes in Mesopotamien, WdO 30 (1999), 67–90. Vgl. auch die Einleitungszeilen der ninevitischen Version des Gilgameš-Epos, wo es heißt (A. R. GEORGE, The Babylonian Gilgamesh Epic, 2 Bde., Oxford 2003, 538: 24–28): [Nimm] den Tafelbehälter aus Zedernholz, [lös]e seinen Verschluß aus Bronze, [öffne] den Zugang zu seinem Geheimnis, [nimm] die Tafel aus Lapislazuli heraus, lies auf ihr von [all] der Beschwernis, durch die Gilgameš gehen mußte!
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merken werden, dass das ganz andere Textarten betrifft, als Sie vielleicht erwarten. Dem Titel meines Vortrages entsprechend werde ich über drei Themenkomplexe sprechen: 1. über „Keilschriftliteratur“ mit einer deutlichen Einschränkung dieses Begriffes, 2. über „Archivierung“ mit Schwergewicht auf den Archiv(en) bzw. den Bibliothek(en) in Ninive, die uns durch die Funde aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders vertraut sind, und erst 3. über die Probleme, die mit dem Begriff der „Kanonisierung“ von Texten in den Keilschriftkulturen, besonders im Assyrien des 8./7. Jh. v.Chr., verbunden sind. Zunächst also „Keilschriftliteratur“. Der Begriff ist nicht sehr präzis, denn eigentlich benennt er ja alle in Keilschrift geschriebenen Texte.2 Ich will ihn aber hier eingrenzen auf in unserem Sinne „literarische“ Texte: Mythen und Epen, Gebete und Beschwörungen, Prodigien und gelehrte Kompendien wie lexikalische, mathematische, astronomische Texte. Das bedeutet, dass ausgeschlossen werden die in der Masse unvergleichlich viel zahlreicheren Rechtsund Wirtschafturkunden und die Briefe, also das, was man „Alltagstexte“ nennen könnte. Man sollte sich nur darüber im Klaren sein, dass gerade diese die Masse der überlieferten Keilschrifttexte darstellt, dass wir einen beträchtlichen Teil unserer Kenntnisse über das alte Mesopotamien gerade diesen ephemeren Texten verdanken. Unter dem Aspekt der „Archivierung“3 können sie nicht völlig vernachlässigt werden, da sie ja in gewissem Umfang auch gelagert wurden, in Archive – häufig in Krügen – in die Häuser der Vertragspartner, der Briefempfänger verbracht und eine Zeitlang aufbewahrt wurden. Aber das galt eben nur von einer bestimmten Zeit, nach deren Ablauf diese Texte entsorgt wurden, zerbrochen und weggeworfen bzw. liegengelassen wurden. Ein schönes Beispiel dafür liefern die Amarna-Tafeln,4 die politische Korrespondenz Amenophis III. und IV., die zunächst – vielleicht nur zum Teil – beim Umzug der Residenz von Theben nach Amarna mitgenommen worden waren, die aber bei der Rückkehr nach Theben in der aufgegebenen Stadt Achet-Aton verblieben. Dass darunter auch in unserem Sinne „literarische“ Texte waren, z. B. ein Teil des Mythos von Nergal und Ereškigal, ändert an dem Tatbestand 2
Vgl. z. B. D. O. EDZARD/W. RÖLLIG/E. VON SCHULER, Literatur, in: RlA 7 (1987–1990), 35–75. 3 Vgl. allgemein K. R. VEENHOF (Hg.), Cuneiform Archives and Libraries (PIHANS 57), Istanbul 1986; K. HECKER/W. SOMMERFELD (Hgg.), Keilschriftliche Literaturen (BBVO 6), 1986. 4 Erste zusammenfassende Bearbeitung von J. A. KNUDTZON, Die El-Amarna-Tafeln (VAB 2), 1907/1915; zuletzt W. L. MORAN, The Amarna Letters, Baltimore, London 1992. Vgl. auch D. SCHWEMER/G. WILHELM/J. KLINGER/A. F. RAINEY, in: TUAT NF 3 (2006), 173–229.
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gar nichts, denn das waren ja Produkte der Schule, die auch nur ephemeren Charakter hatten. Beim Stichwort „Schule“ soll noch darauf hingewiesen werden, dass es sehr wohl auch Briefe geben konnte, die in den Zusammenhang der Überlieferung eingegliedert wurden: nämlich solche, die im Schul-Curriculum als Muster dienten.5 Daraus wird aber bereits klar, dass die Abgrenzung von in unserem Sinne „literarischen“ Texten für den Bereich der Keilschriftkulturen höchst unsicher ist. Dabei will ich es aber hier und jetzt bewenden lassen. Zweitens „Archivierung“: Wenn von „Archiven“ von Keilschrifttexten die Rede ist, so wird damit suggeriert, dass bestimmte Texte systematisch und nach festen Ordnungsprinzipien abgelegt, also archiviert wurden. Das hat es natürlich auch in gewissem Umfang gegeben. So wurden z. B. in Hattuša Staatsverträge und Tafeln mit Treueeiden archiviert und alljährlich wieder hervorgeholt und verlesen. Das gilt andernorts z. B. von Gesetzestexten, aber auch von bestimmten Unterlagen wirtschaftlicher Natur. So hören wir z. B. im Reisebericht des Wen-Amun6 aus dem 11. Jh. v. Chr., dass der Fürst von Byblos in seinem Archiv Texte aufbewahrt hat, die die Lieferung Ägyptens in früheren Jahren beurkunden. Deshalb kann er später darauf verweisen, wie generös früher verfahren wurde, und er kann den Unterhändler so lange zurückhalten, bis er die entsprechenden Nachlieferungen erhält. Das Mari-Archiv macht darüber hinaus deutlich, dass auch Korrespondenzen etc. für eine gewisse Zeit archiviert wurden. Das hatte seinen Grund natürlich darin, dass man auf derlei „Belegmaterial“ etwas später wieder zurückgreifen konnte. Aber auch hier dürfte gegolten haben: In dem Moment, in dem der Sachverhalt einige Zeit zurücklag, der Vertrag erfüllt war, ein Regressanspruch nicht mehr geltend gemacht werden konnte, wurden die Tafeln entweder zerbrochen – wie das mehrfach im Formular auch angesprochen wird – oder anderweitig entsorgt. So hat man, um nur ein Beispiel zu nennen, in Tell ed-Der, dem alten Sippar Amnanum, in altbabylonischer Zeit den Fußboden eines ganzen Raumes mit ausgemusterten Tontafeln gepflastert oder sie in den Fundamenten vergraben.7 5 Zur Schule im Allgemeinen s. P. D. GESCHE, Schulunterricht in Babylonien im ersten Jahrtausend v. Chr. (AOAT 275), 2001. Zu Briefen als Teil des Unterrichtsstoffes ebd.: 19f.; 147ff. Vgl. ferner A. R. GEORGE, In Search of the é.dub.ba.a. The Ancient Mesopotamian School in Literature and Reality, in: Y. SEFATI/P. ARTZI/Ch. COHEN/B. EICHLER/V. HUROWITZ (Hgg.), An Experienced Scribe who Neglects Nothing, FS Jacob Klein, 2005, Bethesda, MD 127–137. 6 Zu Wen-Amun s. zuletzt B. U. SCHIPPER, Die Erzählung des Wenamun (OBO 209), 2005; vgl. auch B. SASS, Wenamun and his Levant – 1075 B.C. or 925 B.C., in: Egypt and the Levant 12 (2002), 247–255. 7 Vgl. H. GASCHE, La Babylonie au 17e siècle avant notre êre approche archéologique, problèmes et perspectives (Mesopotamian History and Environment, Serie II, Mémoires I), Gent 1989, 28–33 und pl. 14; s. auch M. TANRET, Sippar-Amnanum. The Ur-Utu Archive (Mesopotamian History and Environment, Series III, Texts Vol. I/2), 2002, 3–24.
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Bei literarischen Texten, also solchen, die sich nicht politischen, geschäftlichen oder juristischen Vorgängen widmeten, sprechen wir nicht von Archiven, sondern lieber von Bibliotheken, d.h. Sammlungen von Texten, die als Arbeitsmaterial z. B. der Priester eines Tempels benutzt wurden. Allerdings dürfen wir an die Systematik solcher Bibliotheken nicht mit den Kriterien moderner Bibliothekswissenschaft herangehen. Zwar kann man aus den Funden im sog. „Haus des Beschwörungspriesters“ in Assur den Schluss ziehen, dass der Mann namens Nabû-bessun und seine Söhne, die vor allem Beschwörungstexte in ihrer Bibliothek hatten, eben die Profession eines mašmaššu ausübten.8 Aber eine solche Spezialisierung war nicht durchgängig üblich. So haben iraqische Archäologen schon vor zwei Jahrzehnten Reste der Bibliothek des Šamaš-Tempels in Sippar aus neubabylonischer Zeit noch in situ gefunden.9 Die Tontafeln waren dort in aufgemauerten „Nischen“ (Boxen) von ca. 17 cm Höhe, 30 cm Breite und ca. 70 cm Tiefe in mehreren Reihen hintereinander untergebracht, wobei jeweils vier bis sechs solcher Nischen übereinander lagen. Es waren ursprünglich wohl 56 solcher innen mit Schilf ausgepolsterten Nischen bzw. Boxen mit Tafeln verschiedener Formate. Diese „Bibliothek“ hat uns also ein ganzes Inventar von Texten geliefert, die dort offenbar – bei welcher Gelegenheit auch immer – verwendet wurden. Auch wenn davon bisher nur ein kleiner Teil publiziert geworden ist, ist soviel sicher: Es handelt sich keinesfalls nur um Texte rituellen Inhalts, sondern es sind auch Tafeln mythischen und epischen Inhalts, Prodigien, historische Berichte, Abschriften von Inschriften auf Stelen aus Stein, Schultexte usw. in den Regalen aufbewahrt worden. Es war also keine reine „Spezialbibliothek“. Nun könnte man einwenden, dass ein Tempel vielerlei Funktionen hatte und sich daraus die unterschiedlichen Textgattungen erklären. Doch scheint eine gewisse thematische Breite fast ein Charakteristikum einer altorientalischen Bibliothek gewesen zu sein. Z. B. ist auch die Bibliothek eines assyrischen Beamten in %uzirina/Sultantepe mit vielerlei unterschiedlichen Texten bestückt gewesen.10 Dabei ist wohl auch zu berücksichtigen, dass eine Bibliothek meist auch im Zusammenhang mit der Schreiberausbildung stand, d. h. dass die dort
8 S. M. MAUL, Die Reste einer mittelassyrischen Beschwörerbibliothek aus dem Königspalast zu Assur, in: W. SALLABERGER/K. VOLK/A. ZGOLL (Hgg.), Literatur, Politik und Recht in Mesopotamien. FS C. Wilcke, Wiesbaden 2003, 181–194; DERS., Wie die Bibliothek eines assyrischen Gelehrten wiederersteht, in: J. MARZAHN/B. SALJE (Hgg.), Wiedererstehendes Assur. 100 Jahre deutsche Ausgrabungen in Assyrien, Mainz 2003, 175–182. 9 S. dazu die vorläufigen Berichte von Walid al-Jadir in L. DE MEYER/H. GASCHE (Hgg.), Mesopotamie et Elam. Comptes Rendues Rencontre Assyriologique 36, Gent 1991, 193–196 und ferner N. POSTGATE, in: IRAQ 49 (1987), 248f.; F. AL-RAWI/A. R. GEORGE, Tablets from the Sippar Library III, in: IRAQ 56 (1994), 135–148 mit Literatur in Anm. 1. 10 Vgl. die Textedition in den beiden Bänden von O. GURNEY/J. J. FINKELSTEIN/P. HULIN, The Sultantepe tablets, 2 Bde., London 1957/1964.
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gesammelten Texte als Vorlagen für die Lehrlinge der Schreibkunst dienten und andererseits deren Produkte wieder in die Bibliothek wandern konnten. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass auch schlichte Vokabulare, Listen von Keilschriftzeichen und dergleichen mehr zum Bestand der meisten Bibliotheken gehörten. Wenn es uns bei der vom Gesamtthema her vorgegebenen Eingrenzung des Materials um Keilschrifttexte des 8./7. Jh. v. Chr. geht, so fällt der Blick natürlich vor allem auf Ninive mit seinen Bibliotheken, unter ihnen diejenige Assurbanipals, die bereits in der Mitte des 19. Jh. gefunden wurden und deren Texte und Fragmente sich heute im British Museum befinden.11 Bewusst habe ich einen Plural gewählt. Denn wenn es auch erwiesen ist, dass ein beachtlicher Teil der Sammlungen mit dem Namen des Assurbanipal in Verbindung zu bringen ist, so haben doch auch schon seine Vorgänger, vor allem Asarhaddon (680–669), aber auch Sanherib (704–681) und Sargon II. (721–705) bereits Bibliotheken in verschiedenen Orten und in Teilen der Paläste von Ninive unterhalten. Simo Parpola12 hat in den letzten beiden Jahrzehnten viel Mühe darauf verwandt, diese verschiedenen Bibliotheken nach Herkunft, Zusammensetzung und Umfang zu rekonstruieren und ist dabei auf ganz erstaunliche Zahlen und Fakten gestoßen. Demzufolge sind derzeit rd. 30 000 Texte und Fragmente dieser Bibliotheken bekannt, von denen rd. ein Fünftel nicht-literarische Texte im oben geschilderten Sinne sind.13 Das sind die durch Grabung geborgenen Texte und Fragmente. Wie viele aber tatsächlich verloren sind, lässt sich an einigen Bibliothekskatalogen ablesen, die uns zwar auch nur fragmentarisch erhalten sind, aber doch recht interessante zusätzliche Informationen liefern.14 Sie unterscheiden zwischen tuppu, dem allgemeinen Wort für „Tontafel“, egirtu „Brief, Rechtsurkunde“ (in diesem Zusammenhang wohl immer hochrechteckige Tontafel im Gegensatz zu u’iltu als querrechteckige Tafel), le’u „Diptychon, Triptychon oder Polyptychon“, die mit Wachs be11 Vgl. dazu generell J. FINCKE, The Babylonian Texts of Nineveh. Report on the British Museum’s Ashurbanipal Library Project, in: AfO 50 (2003/2004), 111–149, und jetzt A. LIVINGSTONE, Assurbanipal: literate or not?, in: ZA 97 (2007), 98–118 mit dem Resümee: „In fact the whole library project would be far harder to explain, were the claims to literacy and detailed knowledge mere propaganda: Ashurbanipal, king of Assyria, scholar in his library.“ 12 S. PARPOLA, The Royal Archives of Nineveh, in: VEENHOF, Cuneiform Archives and Libraries, 223–236; vgl. J. READE, Archaeology and the Kuyunjik Archives, in: VEENHOF, Cuneiform Archives and Libraries, 213–222. 13 Dazu bemerkt K. RADNER, Die neuassyrischen Privatrechtsurkunden als Quelle für Mensch und Umwelt (SAAS 6), Helsinki 1997, 85: „Ein Teil der Urkunden aus Ninua stammt aus Privatarchiven, die zu einem späteren Zeitpunkt in die Palastarchive überführt wurden. Die in diesen Texten genannten Schreiber waren folglich am Ausstellungsort der jeweiligen Urkunden tätig.“ 14 Vgl. J. KRECHER, Kataloge, in: RlA 5 (1976/1980), 478–485 und für Ninive FINCKE, The Babylonian Texts of Nineveh. Zu den verschiedenen Bezeichnungen für Tontafeln s. auch RADNER, Die neuassyrischen Privatrechtsurkunden, 52–68.
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schichtete Holztafel, von der wir jetzt wissen, dass sie meist aus Buchsbaumholz gefertigt war,15 und schließlich daltu, offenbar auch eine Holztafel, die aber nicht in ein Diptychon usw. eingefügt war. Es fehlt jeder Hinweis auf mašku „Pergament“ oder niaru „Papyrus“, so dass wohl mit Sicherheit davon auszugehen ist, dass diese Materialien nur für ephemere Aufzeichnungen in Aramäisch verwendet wurden, die nicht in Bibliotheken eingegliedert wurden. In Privatarchiven gab es aber offenbar zahlreiche Texte aus diesem vergänglichen Beschreibstoff, da sowohl die darauf angebrachten Siegelbullen als auch sog. „dockets“ mit Kurzfassungen des Textes in großer Zahl erhalten geblieben sind.16 Der Bibliotheks-Katalog enthält auch Angaben über die Personen, die Tafeln an die Bibliothek geliefert haben, seien es nun Teile ihrer Privatbibliothek gewesen oder seien es Abschriften von Texten ihrer Arbeitsbibliothek. Es sind das z. B. 435 Tafeln und 6 Polyptycha von einem Nabû[...], 342 Tafeln und 10 Polyptycha von einem Nabû-apla-iddin, 188 Tafeln von Nabû-nadin-apli. Wenn aber Aplaja, ein mašmaššu-Priester aus Nippur, oder Mušezib-Nabû, der Sohn des Schreibers des Königs von Babylon, lediglich je eine Tafel beisteuern, so kann das natürlich nicht bedeuten, dass sie jeweils nur eine einzige Tafel in ihrem Besitz hatten. Da von den Polyptycha nur eines erhalten blieb, diese aber nach Ausweis eines Exemplars, das sich in Nimrud fand,17 hauptsächlich mit literarischen Texten, in diesem Falle der astrologischen Serie Enuma Anu Enlil, beschrieben waren, fehlt uns ein nicht unerheblicher Teil der Bibliothek sowieso. Wenn man die in vier Katalogen genannten Texte nach inhaltlichen Kriterien zusammenstellt, so sind das:18
15 G. FRAME/A. R. GEORGE, The Royal Libaries of Nineveh. New Evidence for King Ashurbanipal’s Tablet Collecting, in: IRAQ 67 (2005), 265–284, hier: 282 Anm. 5. 16 Vgl. W. RÖLLIG, Keilschrift versus Alphabetschrift. Überlegungen zu den epigraphs auf Keilschrifttafeln, in: P. BIENKOWSKI/C. MEE/E. SLATER (Hgg.), Writing in Ancient Near Eastern Society, FS A. R. Millard (JSOT Suppl. 426), New York, London 2005, 119f. mit Literatur. 17 Dieses Polyptychon (ND 3557) umfasste ursprünglich wohl 16 „Tafeln“ aus Elfenbein, s. M. E. L. MALLOWAN, The excavations at Nimrud (KalXu) 1953, in: IRAQ 16 (1954), 59–116, hier: 98f.; D. S. WISEMAN, Assyrian writing-boards, IRAQ 16 (1955), 3–13; M. HOWARD, Technical desription of the ivory writing-boards from Nimrud, in: IRAQ 17 (1955), 14–20. Vgl. jetzt U. SEIDL, Assurbanipals Griffel, in: ZA 97 (2007), 121–124 mit weiterer Literatur. 18 Zahlen nach FINCKE, The Babylonian Texts of Nineveh, 125; DIES., The British Museum’s Ashurbanipal Library Project, in: IRAQ 66 (2004), 55–60, hier: 58; FRAME/GEORGE, The Royal Libaries of Nineveh, 278.
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Textart
Tafeln
Polypt.
% Tafeln
% Polypt.
Beschwörungstexte (ašiputu)
18
4
1.2
2.9
Astrologische Omina (Enuma Anu Enlil)
73
3
5.0
2.2
Geburtsomina (šumma izbu)
9
7
0.6
5.1
Terrestrische Omina (šumma alu …)
161
1
10.9
0.7
Physiognomische Omina (alandimmû)
39
1
2.7
0.7
Omina iqqur ipuš
4
0
0.3
Traumomina (iškar zaqiqu)
16
0
1.1
Opferschauomina (barûtu)
0
69
Hemerologien (ume tabuti)
3
0
0.2
Klagen (kalûtu)
2
12
0.1
8.8
Medizinisches (bulte)
7
27
0.5
19.7
verschiedene bekannte Texte
40
13
2.7
9.5
unbekannte Kompositionen u. Serien
1097
0
74.7
50.4
Bei einer Durchsicht der „verschiedenen“ Texte wird weiterhin ersichtlich, dass das, was wir als „literarisch“ ansprechen würden, also z. B. das Gilgameš-Epos, das Lehrgedicht von der Weltschöpfung Enuma eliš usw. stark unterrepräsentiert ist, z. B. das GE nur mit einer Tafel Erwähnung findet, und auch Lieder und Hymnen, Gebete und Klagen nur ganz am Rande erscheinen, keinesfalls den Hauptbestand einer Bibliothek ausmachten. Vielmehr sind es Omina, Hemerologien, medizinische Rezepte usw., die den eigentlichen Bestand repräsentieren. Das wird weiter deutlich, wenn wir den bekannten Brief heranziehen, den, wie wir jetzt mit Sicherheit wissen, Assurbanipal nach Borsippa geschickt hat und der offenbar ein besonders wichtiges Dokument war, so dass er uns gleich in zwei Exemplaren erhalten ist.19 Dort heißt es: „Befehl (amat) des Königs an Šadûnu: Mir geht es gut, möge es dir auch gut gehen. Sobald du diesen Brief zu sehen bekommst, nimm den Šumaja, Sohn des Šuma-ukin, Bel-etir, seinen Bruder Aplaja, den Sohn des Arkat-ilani, und alle ummanus von Borsippa, die du kennst, an die Hand und sammle alle Tafeln, so viele sie in ihren Häusern haben und die Tafeln, die sich im (Tempel) Ezida befinden, (nämlich): Die Amulett-Tafeln, die den König hinsichtlich (des Überschreitens) der Wasser im Monat Nisan betreffen, die Tafeln, die (das Überschreiten von) Wasser im Monat Tašritu betreffen, solche (des Rituals) bit sala’ mê, , (solche betreffend) die Entscheidung des Tages (d. h. des Richtspruchs des Sonnengottes), vier Amulette für den Kopfteil und den Fußteil des Bettes des Königs .... das Ritual 19
Vgl. G. FRAME, The Correspondence of Nabû-ušabši, Governor of Uruk, in: VEENHOF, Cuneiform Archives and Libraries, 261–272; FRAME/GEORGE, The Royal Libaries of Nineveh, 265–284.
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„dass ein Pfeil eine Person im Kampfe nicht treffe“... die Instruktionen für die „Handerhebung“ .... und was immer für das Königtum gut ist ... und was immer im Palast benötigt wird – so viele, wie da sind. Und auch die seltenen Tafeln, die du kennst, die aber nicht in Assyrien sind. Suche sie und bringe sie zu mir! .... Keinem ist erlaubt, Dir eine Tafel vorzuenthalten. Und was Tafeln anlangt, die ich Dir nicht genannt habe, die du aber als gut für den Palast erkannt hast, nimm sie auch und schicke sie mir.“ Diese Instruktion war offenbar etwas ungewöhnlich. Deshalb ist uns – aus viel späterer Zeit – die Abschrift einer Antwort erhalten:20 „An Assurbanipal, den großen König, den mächtigen König usw., dem Nabû, der im Ezida wohnt, einen klugen Verstand schenkte und der sich ebenso wie ich der Schreiberzunft verbunden fühlt (wörtl.: gebeugt ist auf die Sch.), schreiben wir folgendermassen:“ (es folgen Segenswünsche. Danach:) „Die gehorsamen Bewohner von Borsippa antworten auf die Nachricht, die der König ihnen sandte, nämlich: ‚Lasst alle (Werke der) Schreiberkunst, die sich in Besitz des Nabû, meines Herren, befinden, aufschreiben und schickt sie mir. Erfüllt die Anweisung!‘ Vielleicht hat der König zu sich gesagt, wir seien Drückeberger wie die Babylonier, die eine verwirrende Sprache gebrauchen. Nun, wir werden uns vor dem Befehl des Königs nicht drücken, sondern werden uns anstrengen und bemühen und den Befehl des Königs unseres Herren erfüllen. Wir werden auf Schreibtafeln aus Sissoo-Holz schreiben, wir werden sofort antworten. Was die Tafel in Sumerisch, den Kommentartext, anlangt, deswegen du schreibst, da gibt es keinen außer dem in Esagila ...“ usw. Die Texte machen hinreichend klar, um welche Art von Literatur es sich handelte, die der assyrische König benötigte bzw. sammelte, nämlich hauptsächlich solche ominösen und apotropäischen Charakters und solche, die im Schulunterricht benötigt wurden. Assurbanipal hat – anders als die Könige vor ihm – auf den von ihm in die Bibliothek eingestellten Texten auch eigene Kolophone anbringen lassen, die zwar meist ziemlich lakonisch sind, gelegentlich aber auch einmal recht ausführlich die Absicht kundtun, mit der der König seine Tafelsammlung anlegte. Es ist also auch hier keinesfalls von belles lettres die Rede, noch nicht einmal, wie man vermuten könnte, von Texten der Rechtspflege. Vielmehr sind es „Weisheitstexte“, Geheimnisse der Apkallus, Herzberuhigungsklagen, d. h. im Wesentlichen auch Texte der Mantik, die im Mittelpunkt des Interesses des Königs standen – wenn man nicht annehmen will, dass er auch hier einem einmal festgelegten Schema der Bibliotheksverwendung verpflichtet war. Denn eine Durchsicht der Texte des British Museums auf Keilschrifttexte babylonischen Ursprungs in der Assurbanipal-Bibliothek hat folgende Verteilung ergeben:21 20 21
FRAME/GEORGE, The Royal Libaries of Nineveh, 267–270. FINCKE, The Babylonian Texts of Nineveh.
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Insgesamt sind das (heute) 3594 Texte, von denen 270 nicht klassifiziert werden konnten. „Archiv-Texte“, d.h. Briefe, Rechtsurkunden etc. sind 1085; Reports über Opferschau 645. Die restlichen 1594 verteilen sich auf divinatorische Texte (746 oder 46,8 %), medizinische Texte (81 = 5,1 %), lexikalische Texte (56 = 3,5%), mathematische (1 = 0,1 %), Varia (21 = 1,3 %). Historische Texte, d.h. Königsinschriften verschiedener Zeiten, meist aber nA, gibt es 27 = 1,7 %, Epen und Mythen sind mit 17 Fragmenten = 1,1 % schwach vertreten. Texte, die man als „Religiöse Texte“ im engeren Sinne ansprechen kann, sind immerhin 585 = 36,7 %. Das sind, wie schon oben bemerkt, Texte des Klagepriesters (kalûtu) und des Beschwörungspriesters (ašiputu), Gebete (ikribu und tamitu) und zweisprachige Gebete wie balag, eršemma und eršaXunga, Rituale wie namburbi und maqlû usw. Resümieren wir, so ist festzuhalten, dass manches, was wir in einer Bibliothek erwarten würden, hier offenbar nicht oder nur ganz spärlich zu finden war. Das, was der König „zur Erinnerung und für sein Lesen geschrieben, kollationiert und im Inneren seines Palastes aufgestellt hat“, wie es in einem Kolophon heißt,22 war fast alles Ritualliteratur, nichts „Erbauliches“, aber auch keine – oder nur ganz wenige – lehrhafte Texte der Weisheit oder historische Erzählungen. Dennoch gibt es natürlich solche Texte, die im „stream of tradition“ ihren Platz hatten und die, wenn überhaupt, mit solchen des AT verglichen werden könnten. Mit diesem „stream of tradition“ komme ich aber zum nächsten und wichtigsten Thema, der Frage nach der evtl. Kanonbildung im Alten Orient. Zunächst – und das ist keine unwichtige Aussage –: Der Alte Orient kennt kein Wort, das sich inhaltlich etwa mit dem aus dem Lateinischen entlehnten Begriff „Kanon“ decken würde. Stephen Lieberman hat in einem Artikel über „Canonical and Official Cuneiform Texts“23 die Definition gebraucht: „In English ‚canonicity‘ is... an issue usually related to sacred scripture: a canon is a closed well defined body of works viewed as authoritative, usually because they were divinely inspired.“ Und so, wie es dafür keinen adäquaten babylonischen Begriff gibt, so wenig ist offenbar die Sache selbst ein Anliegen babylonischer und assyrischer Priester und Schreiber gewesen. Es steht außer Frage und ist bei der Diskussion über den Bibliotheksbestand schon mehrfach angeklungen, dass es im Alten Orient für bestimmte Literaturwerke standardisierte Fassungen gegeben hat, d. h. dass – vermutlich von den gelehrten Schreibern – für bestimmte Texte eine feste Reihenfolge von „Tafeln“ festgelegt worden ist. M. Civil spricht in diesem Zusammenhang von 22
H. HUNGER, Babylonische und assyrische Kolophone (AOAT 2), 1968, 100 Nr. 323 und
324. 23
S. J. LIEBERMAN, Canonical and Official Cuneiform Texts. Towards an Understanding of Assurbanipal’s Personal Tablet Collection, in: T. ABUSCH u. a. (Hgg.), Lingering over Words, Atlanta 1990, 305–336.
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„text stability and fixed sequence of tablets within a series“. Das gilt besonders von „wissenschaftlicher Literatur“, z. B. von den großen Beschwörungsserien wie Šurpu, Maqlû und Lamaštu, die so aufgebaut sind, dass auf den Text einer Beschwörung eine Zeile folgt, in der die Ritualanweisung in Kurzfassung steht. Nach den oft mehreren Tafeln mit Beschwörungen folgt dann am Schluss eine „Ritualtafel“, auf der die Rituale zusammengefasst sind, die im Zusammenhang mit der Beschwörung durchgeführt werden müssen. Auch die lexikalischen Texte, die u. a. im Schulunterricht Verwendung fanden, waren zu z. T. großen Kompendien zusammengefasst, deren Tafeln (tuppu) durchgezählt wurden. Das war aber in erster Linie ein Ordnungsprinzip und man konnte im Kolophon auf die Tafel und mit Angabe der Stichzeile auf die nächstfolgende Tafel verweisen oder den Anfang einer ganzen Serie als „Titel“ verwenden, etwa ša nagba imuru iškar Gilgameš „Der die Tiefe gesehen hat. Serie Gilgameš“.24 Ferner gab es, z. B. bei lexikalischen Serien, auch „Auszugstafeln“, Terminus nisXu, die nicht den gesamten Text einer Tafel enthielten. Selbst solche Auszüge konnten wieder zu Serien zusammengefasst werden. Damit ist aber nicht mehr gesagt, als dass in z.T. sehr große Kompendien – die Omenserie šumma alu ina melê šakin umfasste immerhin 120 Tafeln – eine gewisse Ordnung gebracht wurde. Eine „Kanonisierung“ war damit nicht verbunden. Auch wenn in den Kolophonen häufig davon die Rede ist, dass der Abschreiber „die Tafel / den Text … nach einer Vorlage aus … gemäß seinem Original geschrieben und kollationiert“ habe, bestätigt das nicht mehr als die korrekte, fehlerfreie Abschrift. Häufig steht dabei auch „nicht zu Ende“, d. h. es wurde nur ein Teil des Originals abgeschrieben. Was ebenfalls immer wieder auffällt, besonders bei Texten aus NinivehKujundschik, ist die sorgfältige Angabe von weggebrochenen Zeichen oder ganzen Partien des Textes, wobei oft noch zwischen „alten“ und „neuen“ Brüchen unterschieden wird. Das geht sogar so weit, dass ein assyrischer Kolophon besagt: „Elf sind seine Zeilen. Was auf einem Fries des ‚Herrn von Borsippa’ (steht). Gemäß seinem Original abgeschrieben und kollationiert. Nach dem Wortlaut zerbrochener Tafeln geschrieben. Wer (sie) sieht soll sie nicht schlecht behandeln. Zerbrochenes soll er wiederherstellen (Xepâ lišallim)!“ Das bedeutet doch aber, dass dem Schreiber freie Hand gelassen wurde bei der Ergänzung von Texten, was sich auch von Fall zu Fall nachweisen lässt. Das widerspricht aber dem Prinzip eines „kanonischen“ Textes, an dem kein Jota zu ändern sein soll. Allerdings gilt es, noch zwei weitere Faktoren zu bedenken. 1. Wiederum aus der Bibliothek Assurbanipals besitzen wir einen (fragmentarischen) Text, den W. G. Lambert 1962 unter der Überschrift „A Catalogue of Texts and Authors“ publiziert hat.25 Das Auffällige daran ist nicht der Textkatalog, denn 24 25
GEORGE, The Babylonian Gilgamesh Epic, 736–741. W. G. LAMBERT, A Catalogue of Texts and Authors, in: JCS 16 (1962), 59–77.
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solche Kataloge gibt es bereits in altbabylonischer Zeit, sondern dass in diesem zu bekannten und weniger bekannten Literaturwerken die „Schreiberahnen“ genannt werden. Diese sind gelegentlich sogar Personen, die den Wortlaut des Textes von göttlicher Seite übermittelt bekamen. Das wird jedenfalls einmal klar gesagt, wenn es am Ende des Liedes von Išum und Erra26 heißt: „Der Dichter (kasir kammi-šu) seiner Tafel ist Kabti-ilani-Marduk, Sohn des Dabibu. Er (wahrscheinlich der Gott Išum) offenbarte es ihm in der Nacht, und als er (das Gedicht) am Morgen rezitierte, ließ er keine (Zeile) aus, keine einzige fügte er hinzu.“ Die beiden Wörter, die hier mit „Dichter“ übersetzt wurden, bedeuten wörtlich „Verknüpfer seiner Tafeln“, d. h. der Produzent des Epos hat den Stoff „gewebt, geknüpft“, was ein deutliches Licht auf die Entstehungsgeschichte des Liedes wirft, in dem – in relativ später Zeit – verschiedene mythische Stoffe miteinander verwoben wurden. Wenn hier weiterhin die Rede davon ist, dass das Gedicht ihm in einem Nachtgesicht offenbart wurde und nicht verändert werden dürfe, so dürfte es sich hier um einen Sonderfall handeln. Denn der Text hatte – wie auch die äußere Form mancher Tafeln, auf der er überliefert ist, offenkundig macht – eine quasi magische Bedeutung: Wer ihn besaß, „dessen Haus wird das Pestschwert“ – der Gott Erra – „nicht nahe kommen“, d. h. wir haben es mit einem Amulett zu tun. Das ist aber nur dann wirksam, wenn der Text auch autorisiert, d. h. korrekt wiedergegeben ist. Wir sind hier nicht mehr in der literarischen, sondern in der magischen Sphäre, wo natürlich andere Gesetze herrschen. Dort kommen wir dem, was man als kanonisch bezeichnen könnte, am nächsten. Die Zuschreibung von Texten an „Autoren“ ist im Alten Orient ein sehr seltenes, aber kein ganz junges Phänomen,27 denn schon eine Tochter des Akkade-Königs Sargon namens EnXeduanna wird als Verfasserin der umfangreichen Dichtung Nin-mešara benannt.28 Wieweit sie dieses Gedicht selbst verfasst hat, wissen wir natürlich nicht. Aber es war nicht unwichtig, dass sie eine Königstochter und Priesterin des Gottes Suen von Ur war. In diesen ihren Funktionen war sie natürlich eine Autorität – und das ist wohl der Zweck des Autorenkatalogs: Die Literaturwerke zu autorisieren. Denn auch die „Schreiberahnen“ des genannten Katalogs werden als apkallu „Weise“ oder ummanu „Meister“, einmal sogar als Gott Ea klassifiziert. Es sind also nur „fiktive“ Autoren, deren Verfasserschaft aber den Dichtungen – und das sind keinesfalls alles Epen, sondern Preisgedichte, Klagen, Sammlungen von Sprichwörtern usw. – eine besondere Autorisierung verleihen sollte. Andererseits ist es aber
26 L. CAGNI, L’Epopea di Erra. Studi Semitici 34, Rom 1969, vgl. G. W. MÜLLER, in: TUAT 3/4 (1994), 801. 27 Vgl. etwa W. G. LAMBERT, A Catalogue of Texts and Authors, in: JCS 16 (1962), 59–77. 28 Dazu ausführlich A. ZGOLL, Der Rechtsfall der En-Xedu-Ana im Lied en-me-šara (AOAT 246), 1997, 1–27 und Kommentar.
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wohl kein Zufall, dass ein solcher Text im 8./7. Jh. entstanden sein dürfte, als auch im Bereich der Religion eine stärkere Individualisierung und Personalisierung einsetzte. Das führt z. B. dazu, dass sich der Dichter der sog. „Babylonischen Theodizee“ namens Saggil-kenam-ubbib seine Verfasserschaft in einem Akrostich bekunden kann, was in älterer Zeit undenkbar gewesen wäre. Dieser Prozeß der Individualisierung hat also auch eine gewisse Autorisierung von Literaturwerken zur Folge, die aber keinesfalls mit einer Kanonisierung verwechselt werden darf.29 Zweitens sollten wir einen Blick auf die Epochen der Entstehung mesopotamischer Literatur werfen, also die historische Dimension in den Blick nehmen. Es lässt sich heute mit Sicherheit sagen, dass die Niederschrift sumerischer Literatur bereits in der Farazeit, d. h. in der Mitte des 3. Jt. v. Chr. einsetzte. Über das Alter mündlicher Überlieferung lässt sich naturgemäß nichts sagen. Dass sie aber auch in historisch jüngerer Zeit neben der geschriebenen herlief, ist u.a. dadurch bezeugt, dass sich noch die Gelehrten der Zeit Asarhaddons und Assurbanipals berufen auf Überlieferung ša pi ummani „gemäß der mündlichen (Überlieferung) der ‚Meister‘“, wobei wohl nicht im engeren Sinne „Gelehrte“ gemeint sind. Offensichtlich wird überhaupt kein Unterschied zwischen dieser und der tatsächlich schriftlichen Tradition eines Textes gemacht. Nun hat es aber Zeiten gegeben, in denen Umbruchsituationen entstanden, die befürchten ließen, dass wichtige Überlieferungen verschwanden, dass ein Teil des Kulturgutes wegbrach, nicht mehr verstanden und gelesen wurde. So ist schon vor längerer Zeit beobachtet worden, dass viele Literaturwerke in sumerischer Sprache in der frühaltbabylonischen Zeit, also am Ende der Ur-III-Zeit, aufgezeichnet worden sind und dass man zur gleichen Zeit auch Inschriften, die sich auf besonders wichtigen Denkmälern befanden, abschrieb und so archivierte. Das war kein Akt der Kanonisierung, denn viele dieser Texte haben diese Periode nicht überlebt, sondern sind, einmal aufgeschrieben, dann archiviert und nicht erneut abgeschrieben worden. Andere jedoch sind gerade in dieser Zeit neu geschaffen oder in ganz andere Formen gegossen worden, und haben sich entscheidend weiterentwickelt. Das gilt z. B. vom Gilgamešepos. Adam Falkenstein hat die Vermutung geäußert, dass diese auffällige Blüte der sumerischen Literatur mit dem Aussterben der gesprochenen Sprache zusammenhängen könnte, auch wenn Sumerisch im Kult in bestimmten Liedgattungen ja noch lange eine Rolle gespielt hat. Blicken wir auf die Überlieferung der akkadischen Literatur, so ist z. B. in der Zeit des bedeutenden Herrschers der Zweiten Dynastie von Isin, Nebukadnezar I (ca. 1125–1103), offenbar eine Zeit besonderer literarischer Produktivität, und für Assyrien zwischen Tukulti-Ninurta I. (1243–1207) und Tiglat-
29 W. G. LAMBERT, Ancestors, Authors and Canonicity, in: JCS 11 (1957), 1–14, hier: 11: „There is ... no suggestion ... of a conscious attempt to produce autoritative editions of works“.
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pileser I. (1114–1076) scheint Ähnliches zu gelten. Hier lässt sich beobachten, wie alte literarische Stoffe übernommen und weiterentwickelt werden, neue Themen und Formen entstehen. Das ist aber in unserem Zusammenhang nicht von besonderer Bedeutung, denn ein „Kanon“ entwickelte sich daraus keineswegs. Anders und auffällig ist aber die Situation, die wir bei unserer Darstellung der Archivierung im ausgehenden 8. und im 7. Jh. v. Chr. vorfanden, in der nämlich ebenfalls sorgfältig ein beachtliches Korpus von Texten zusammengetragen und im königlichen Palast der Hauptstadt und im damit verbundenen Nabû-Tempel aufgestellt worden ist. Aus der ganz besonderen Sorgfalt, die bei dieser Archivierung beachtet wurde, zieht Stephen Lieberman einen interessanten Schluß: „Textual constancy over a long period of copying is, at any rate, merely a result of the care with which scribes approach their task, and when copyists are working on compositions written in a language of which they are not native speakers, they are likely to make few innovations. For first millennium Mesopotamia, this seems to have been the case, and surely many, if not most or nearly all, of the scribes who were charged with producing copies from old texts spoke Aramaic in their daily lives, rather than Akkadian“.30 Hier sind wir also mit einer Situation konfrontiert, die ganz ähnlich zu derjenigen ist, die wir am Beginn der altbabylonischen Zeit vorfanden: Ein großes Textkorpus, und keinesfalls nur ein in unserem Sinne „literarisches“, war in einer Sprache abgefasst, die nicht mehr im alltäglichen Umgang gesprochen wurde. So war zu befürchten, dass diese Texte nicht mehr verstanden wurden oder ganz der Vergessenheit anheim fielen. Ein Zeugnis für diese Veränderungen liegt vielleicht in einem merkwürdig geschriebenen Text aus dem alten %uzirina, dem heutigen Sultantepe vor, einem Auszug aus GE Tf. VII. Der letzte Bearbeiter des Textes, Andrew R. George, bemerkt dazu:31 „His (i.e. the scribe’s) indifference to vowels, their value and presence or absence, can probably be put down to the influence of Aramaic writing practices.“ Das würde bedeuten, dass ein Schreiber, der vertraut ist mit der Schreibweise von Buchstabenschrift, sich aber dennoch an die Keilschrift gewagt hat, dies ausgerechnet an einem Literaturwerk wie dem Gilgameš-Epos praktiziert hat. Einen Beweis dafür haben wir nicht, so wie wir auch kein einziges Stück assyrisch-babylonischer Literatur in aramäischer Alphabetschrift besitzen. Der sog. Ahiqar-Roman, der einzige reichsaramäische literarische Text, ist eine Gattung sui generis und entstand Jahrzehnte später.32 Dennoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Gelehrten und die Schreiber zumindest den Versuch machten, das, was ihnen jahrhundertelange Keilschrifttradition überliefert hatte, in das neue Medium Alphabetschrift und die inzwischen weit verbreitete aramäische Sprache umzusetzen. Ein Beispiel dafür, allerdings aus 30
LIEBERMAN, Canonical and Official Cuneiform Texts, 334. GEORGE, The Babylonian Gilgamesh Epic, 370. 32 Vgl. zuletzt R. CONTINI, Il saggio Ahiqar (Studi biblici 148), Brescia 2005. 31
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der juristischen Praxis, ist eine Urkunde über die Übergabe eines Findelkindes (mit einem Fußabdruck) aus den letzten Jahren des Assyrerreiches, die in Tall ŠeX Oamad gefunden wurde und die aramäisch geschrieben ist. Was bedeutet das für unsere Thematik? 1. Die Keilschriftkulturen, allen voran diejenigen der ausgehenden neuassyrischen Periode, pflegten einen Jahrtausende langen Umgang mit „literarischen“ Texten, die auch in gewissem Umfang, und zwar vor allem zum Zwecke der Verwendung in Ritus, Magie und Schule, archiviert wurden. 2. Diese Texte waren im Verlauf der Überlieferung immer wieder Veränderungen unterworfen. Zerbrochenes wurde ergänzt, neu Erzähltes wurde integriert, nicht mehr Benötigtes wurde ausgeschieden. „Heilige Texte“ im Sinne einer unwandelbaren Überlieferung gab es nicht. 3. Ansätze zu einer „Autorisierung“ von bestimmten literarischen Kompositionen finden sich seit dem 9. Jh. v. Chr. mit der Zuschreibung an bestimmte Gelehrte und selbst an Götter. Aber auch das hat keine „Kanonisierung“ zur Folge. 4. Gelegentliche Tendenzen zur festen Konstituierung von Textkorpora gehen offenbar einher mit kulturellen Veränderungen wie sie z. B. das Verschwinden des Sumerischen als gesprochener Sprache oder das Vordringen des Aramäischen als lingua franca bedeuten. 5. Diese Prozesse spielen sich – soweit wir es beobachten können – innerhalb der babylonischen und assyrischen Überlieferung ab. Über eine Außenwirkung in neuassyrischer und neubabylonischer Zeit wissen wir nichts. Wir sollten uns deshalb auch davor hüten, vorschnell eine Beeinflussung weit von den Machtzentren entfernter Tributäre durch eine Zentralgewalt anzunehmen in Bereichen, die über die administrative und evtl. ökonomische Ebene hinausgehen. Allerdings war mit der fortschreitenden Alphabetisierung in der Levante noch vor dem Untergang des Assyrerreiches eine Situation entstanden, die Entwicklungen in Gang setzte, die sich unabhängig von denjenigen der Keilschriftkulturen vollzogen und die deshalb auch unabhängig davon untersucht werden müssen. Aber das ist ein anderes Thema.33 33 Weitere Literatur: M. COGAN, A Plaidoyer on behalf of the Royal Scribes, in: M. COGAN/ I. EPH’AL (Hgg.), Ah, Assyria … FS H. Tadmor, Jerusalem 1991, 121–128; J. S. COOPER, Babbling on: Recovering Mesopotamian Orality, in: VOGELZANG/VANSTIPHOUT, Mesopotamian Epic Literature, 103–122; S. DALLEY, The Influence of Mesopotamia upon Israel and the Bible, in: S. DALLEY u. a. (Hgg.), The Legacy of Mesopotamia, Oxford 1998, 57–83; J. ELMAN, Authoritative Oral Tradition in Neo-Assyrian Scribal Circles, in: JANES 7 (1975), 26–31; B. R. FOSTER, On Authorship in Akkadian Literature, in: AION 51 (1991), 17–32; J.-J. GLASSNER, Who were the Authors before Homer in Mesopotamia? Diogenes 196, Vol. 49/4 (2002), 86–92; G. B. LANFRANCHI, Scholars and Scholarly Tradition in Neo-Assyrian Times. A Case Study, in: SAAB 3 (1989), 99–114; DERS., The Library of Nineveh, in: J. WESTENHOLZ (Hg.), Capital Cities. Urban Planning and Spiritual Dimensions, Jerusalem 1999, 147–156; T. LONGMAN, Fic-
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(Fortsetzung Fußnote) tional Akkadian Autobiography, Winona Lake 1991; P. MICHALOWSKI, A New Sumerian “Catalogue” from Nippur, in: OrAnt 19 (1980), 265–268; DERS., The Libraries of Babel. Text, Authority, and Tradition in Ancient Mesopotamia, in: G. J. DORLEIJIN/H. L. J. VANSTIPHOUT (Hgg.), Cultural Répertoires. Structure, Function and Dynamics, Leuven, Paris 2003, 105–129; W. L. MORAN, Assurbanipal’s Message to the Babylonians (ABL 301) with an Excursus on Figurative biltu, in: M. COGAN/I. EPH’AL (Hgg.), Ah, Assyria …, FS H. Tadmor, Jerusalem 1991, 320–331; S. PARPOLA, Assyrian Library Records, in: JNES 42 (1983), 1–29; O. PEDERSÉN, Archives and Libraries in the Ancient Near East 1500–300 B.C., Bethesda 1998; L. E. PEARCE, Statements of Purpose. Why the Scribes Wrote, in: M. E. COHEN/D. C. SNELL/D. B. WEISBERG (Hgg.), The Tablet and the Scroll. Near Eastern Studies in Honor of W. W. Hallo, Bethesda 1993, 185–193; L. E. PEARCE, Babylonian Commentaries and Intellectual Innovation, in: J. PROSECKÝ (Hg.), Intellectual Life of the Ancient Near East, Prague 1998, 331–338; F. ROCHBERG-HALTON, Canonicity in Cuneiform Texts, in: JCS 36 (1984), 127–144; H. TADMOR, Autobiographical Apology in the Royal Assyrian Literature, in: H. TADMOR/M. WEINFELD (Hgg.), History, Historiography and Interpretation, 1983, 36–57; J. J. A. VAN DIJK, Ein spätbabylonischer Katalog einer Sammlung sumerischer Briefe, in: OrNS 58 (1989), 441–452; P. VILLARD, Kisir-Aššur et la bibliothèque de Ninive, NABU 1998/26; M. E. VOGELZANG/ H. VANSTIPHOUT, Mesopotamian Epic Literature, Groningen 1992; M. E. VOGELZANG, Mesopotamian Epic Literature. Oral or Aural?, Lewiston 1992; C. WILCKE, Die Sumerische Königsliste und erzählte Vergangenheit, in: J. VON UNGERN-STERNBERG/H. REINAU (Hgg.), Vergangenheit in mündlicher Überlieferung, Stuttgart 1988, 113–140.
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Teil II Textualisierung im alten Israel und in der frühjüdischen und rabbinischen Literatur
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Die vor- und außerliterarische Texttradition Ein Beitrag der palästinischen Epigraphik zur Vorgeschichte des Kanons JOHANNES RENZ Eine Literatur- und Kanongeschichte antiker orientalischer und okzidentaler Literatur hat es mit Texten zu tun, die in weiten Bereichen zu dem gerechnet werden können, was man gemeinhin als Weltliteratur bezeichnet. Es geht um Literatur, die von den Grundfragen der menschlichen Existenz und dem ständigen Ringen um Wahrheit geprägt ist und durch Tradition und Redaktion tradierte Wahrheiten zu aktualisieren versucht, somit über Jahrhunderte hinweg die Arbeit an einer Texttradition zu verfolgen erlaubt. Neben all’ dem wirkt die nordwestsemitische, hier speziell die palästinische Epigraphik immer ein wenig verwaist: Als Außenseiterin, die sich mit recht handfesten, um nicht zu sagen banalen, Texten und Textchen des wirtschaftlichen und verwaltungstechnischen Alltags beschäftigt. Dennoch sollte es möglich sein, an Hand dieser scheinbar recht vordergründigen Texte immerhin den schreib- und schriftgeschichtlichen Rahmen aufzuzeigen, innerhalb dessen Literatur in Palästina entstanden sein muss.
1. Der allgemeine Charakter hebräisch-epigraphischer Zeugnisse 1.1. Charakteristik epigraphischer Texte Vorauszuschicken wäre zunächst ein kurzer Einblick in das Text-Material und dessen Eigenarten. Als Textbasis dient für die althebräischen Inschriften zunächst J. RENZ, Die althebräischen Inschriften. Teil 1: Text und Kommentar, in: J. RENZ/W. RÖLLIG (Hgg.), Handbuch der althebräischen Epigraphik I (HAE I), Darmstadt 1995; Teil 2: Zusammenfassende Erörterungen, Paläographie und Glossar (HAE II/1), Darmstadt 1995; Texte und Tafeln (HAE III), Darmstadt 1995; vgl. auch G. I. DAVIES, Ancient Hebrew Inscriptions. Corpus and Concordance, Bd. 1, Cambridge 1991; Bd. 2, Cambridge 2004 (AHI); F. W. DOBBS-ALLSOPP u. a., Hebrew Inscriptions. Texts from the Biblical Period of the Monarchy with Concordance, New Haven, London 2005 (HI). – Hinzu kommen die danach veröffentlichten Inschriften, besonders aus der Sammlung Moussaieff: R. DEUTSCH/M. HELTZER, Forty New Ancient West Semitic Inscriptions, Tel Aviv-Jaffa 1994 (FNAWSI); DIES., New Epigraphic Evidence from the Biblical Period, Tel Aviv-Jaffa 1995 (NEE); DIES., Windows to the Past, Tel Aviv, Jaffa 1997 (WP); DIES., West Semitic Epigraphic News of the 1st Millennium BCE. With a Contribution by G. Barkay, Tel Aviv 1999 (WSEN); R. DEUTSCH/A. LEMAIRE, Biblical Period Personal Seals
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in the Shlomo Moussaieff Collection, Jaffa 2000 (BPPS); N. AVIGAD/M. HELTZER/ A. LEWest Semitic Seals. Eighth–Sixth Centuries BCE (Hecht Museum), Haifa 2000; neben den meist bereits bekannten Siegeln sind dort auch einige bislang unpublizierte Exemplare enthalten); R. DEUTSCH/A. LEMAIRE, The Adoniram Collection of West Semitic Inscriptions, Tel Aviv 2003; R. DEUTSCH, A Hoard of Fifty Hebrew Bullae from the Time of Oezekiah in the Shlomo Moussaieff Collection, in: R. DEUTSCH (Hg.), Shlomo. FS Moussaieff, Tel Aviv, Jaffa 2003, 45–98; R. DEUTSCH, Biblical Period Hebrew Bullae. The Josef Chaim Kaufman Collection, Tel Aviv 2003 (BPHB) sowie die seit 1992 in der „Dokumentation neuer Texte“ der ZAH zusammengestellten Texte: S. LOERSCH, in: ZAH 5 (1992), 113f.; A. LANGE/K. F. D. RÖMHELD, in: ZAH 6 (1993), 257–261; E. ESHEL u. a., in: ZAH 7 (1994), 101f., 258–264; A. LANGE/K. F. D. RÖMHELD, in: ZAH 8 (1995), 101f.; J. KAMLAH u. a., in: ZAH 8 (1995), 317–325, ZAH 9 (1996), 89–93; B. EGO u. a., in: ZAH 9 (1996), 218–223, ZAH 10 (1997), 115f.; D. BETZ u. a., in: ZAH 10 (1997), 225f., ZAH 11 (1998), 109–111; B. EGO u. a., in: ZAH 11 (1998), 225; J. RENZ, in: ZAH 12 (1999), 238–245, ZAH 13 (2000), 106–119, ZAH 14 (2001), 86–98, ZAH 15/16 (2002/2003), 176–190, dann neben weiteren Texten besonders R. E. TAPPY u. a., An Abecedary of the Mid-Tenth Century B.C.E. from the Judaean Shephelah, in: BASOR 344 (2006), 5–46. Nicht berücksichtigt wurden die beiden Ostraka P. BORDREUIL/F. ISRAEL/D. PARDEE, Deux ostraca paléo-hébreux de la collection Sh. Moussaïeff, in: Semitica 46 (1996), 49–76, da deren Echtheit umstritten ist (vgl. A. BERLEJUNG/A. SCHÜLE, Erwägungen zu den neuen Ostraka aus der Sammlung Moussaïeff, in: ZAH 11 [1998], 68–74; I. EPH‘AL/J. NAVEH, Remarks on the Recently Published Moussaieff Ostraca, in: IEJ 48 [1998], 269–273; A. G. VAUGHN/CH. A. ROLLSTON u. a., Forum: Forgeries and Biblical Scholarship, in: NEA 68/ 1–2 [2005], 61–77, speziell 66). Bei den eher am Rande interessierenden Siegeln wurden neben den neuerdings publizierten (siehe oben; dazu R. DEUTSCH, Messages from the Past. Hebrew Bullae from the Time of Isaiah Through the Destruction of the First Temple, Tel Aviv 1999 (MP)) vor allem diejenigen aus N. AVIGAD/ B. SASS, Corpus of West Semitic Stamp Seals, Jerusalem 1997 (CWSSS) berücksichtigt; vgl. M. HELTZER, The Recently Published West Semitic Inscribed Stamp Seals, in: UF 31 (1999), 199–224; DERS., Recently Published West-Semitic Bullae and Seals, in: UF 35 (2005), 735–760; W. RÖLLIG, Siegel und Gewichte, in: J. RENZ/W. RÖLLIG (Hgg.), Handbuch der althebräischen Epigraphik (HAE II/2), Darmstadt 2003. Texte sind im Folgenden, wo möglich, nach den in HAE I gebrauchten Siglen zitiert. Nach HAE I erschienen sind damit – ohne Einzelbuchstaben und Handwerkermarkierungen:1 – Gezer: drei Ostraka (AHI 10.004–6). – %. Åazza/Oorvat ‘Uzza: 34 Ostraka, 33 neu (teilweise publiziert nach Gaz(7):1: 1–2. AHI 37.002–3 [HAE I 446]; 3. AHI 37.008 [ZAH 12, 242]; 4. AHI 37.006f. [ZAH 7, 261]; zwei beschriftete Krüge: AHI 37.004f. [ZAH 7, 260]); vier weitere beschriftete Objekte (Hinweis I. BEIT-ARIEH, EI 26 [1999], 227*; 30–34 [ZAH 12, 242]). – T. al-Oisn/Beth Schean: vier Fragmente von Ostraka (AHI 51.002–5 [ZAH 12, 242f.]). – T. Abu Hurera/T. Haror: Krughenkel (AHI 46.001 [ZAH 7, 101]). – Jerusalem: zwei Ostraka (AHI 4.202 [= HI Jslm 79]; ZAH 14, 94 [Qedem 41 Nr. IN 4]); elf Tinteninschriften (ZAH 14, 91–93); zwei Schalen (AHI 4.203; ZAH 7, 263); 44 weitere Ritzinschriften (ZAH 14, 88–91; die 45. ist bereits bekannt: Qedem 41 Nr. IN 8 = Jer(7):40 = AHI 4.119). MAIRE,
1 Zur reinen Kennzeichnung der Texte werden in der folgenden Aufstellung keine ausführlichen bibliographischen Angaben gemacht. Altorientalistischer Zitationsweise entsprechend wird nur das abgekürzte Werk mit Seiten- oder Nummernangabe angeführt.
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– %. al-Kom (Umgebung): zehn Ritzinschriften (ZAH 15/16, 179–181). – Kuntillat ‘A~rud: eine weitere Inschrift auf Pithos B (AHI 8.026; nicht publiziert); zwei Ritzinschriften (AHI 8.027–8; nicht publiziert). – Lachisch: Kochtopf (AHI 1.033). – T. al-MilH/T. MalHata: Ostrakon (AHI 55.001 [(?) edomitisch]); zwei Graffiti (AHI 55.002–3). – %. Ma‘in/Ma‘on: Ritzinschrift (ZAH 7, 258). – %. Umm Radim/Oorvat Radum: vier Ostraka (I. BEIT-ARIEH, EI 23 [1992], 111; zu einem davon: AHI 48.001). – Beth Schemesch: Spielbrett (AHI 17.002 [ZAH 10, 225]). – T. SandaHanna/Marescha: Ostrakon (ZAH 12, 243f.). – T. as-Êarim/T. ReHov: zwei Ritzinschriften (ZAH 15/16, 181; zu einer davon: AHI 57.001) – Qal‘at at-æantura/Oorvat Tittora: Scherbe (AHI 58.001). – %. Zeta/T. Zayit: Ritzinschrift, Alphabet (R. E. TAPPY, BASOR 344 [2006], 5–46). – Unbekannt/Antikenhandel: sieben Ostraka (NEE 76–79 [ZAH 9, 221f.]; ZAH 15/16, 182; AHI 99.012; M. HEIDE, FS Moussaieff 105–131); Felsinschrift (FNAWSI Nr. 7 [ZAH 9, 90]); sieben Ritzinschriften (FNAWSI Nr. 6 [ZAH 9, 89]; WP Nr. 112–114; WSEN Nr. 123– 125 [ZAH 13, 115f.]).
Im Gegensatz zu Texten der Traditionsliteratur sind mit archäologischen Mitteln (Oberflächenuntersuchung, Ausgrabung usw.) ans Tageslicht geförderte Texte nicht nur inhaltlich, sondern auch archäologisch und paläographisch datierbar, zumindest aber lokalisierbar. Entwicklungen lassen sich somit leichter und eindeutiger erfassen. Eine geographische Zuordnung und damit eine regional differenzierte Sicht der Schreibertätigkeit ist in der Regel sogar nur bei epigraphischen Texten wirklich möglich. Zudem stehen diese Texte mit den zu erforschenden Phänomenen in unmittelbarer Verbindung, insofern sie zeitlich zumindest dem Zeitraum, der Epoche und räumlich der Region des jeweiligen Ereignisses entstammen. Ohne den Selektionsprozeß von Tradition und Kanonisierung sind idealerweise auch Nebenentwicklungen, die sich nicht durchsetzen konnten, oder nur lokal bedeutsame Ereignisse erkennbar. 1.2. Epigraphische Gattungen Eine detaillierte Übersicht über das beschriftete Material ist in diesem Zusammenhang nicht angezeigt.2 Eine Grundunterscheidung soll aber vorausgeschickt werden. Über die Traditionsliteratur hinaus bestehen die Funde der nordwestsemitischen Epigraphik zu einem großen Teil aus beschrifteten Gegenständen, bei denen Inschrift und Inschriftenträger in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen und die erkennbar einem bestimmten Zweck dienen. Auf Gefäßen kann der Inhalt, Lieferant, Eigentümer oder Empfänger vermerkt sein. Beliebige Gegenstände können mit einer Weih- oder Dedikationsinschrift versehen sein. Siegel stellen wenigstens im Grundsatz Eigentumsvermerke dar. So genannte fiskalische Siegel, wie auch die lmlk-Siegel, 2
Dazu HAE II/1, 1–33.
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sind Teil des Wirtschafts- und Verwaltungssystems.3 Zumindest bei diesen Texten ist auch der allgemeine Sitz im Leben der Inschrift durch den Zweck des Gegenstandes, auf dem sie sich befindet, gegeben. Daneben stehen dann aber andererseits Texte, deren Gegenstand nur das Trägermaterial darstellt, also zum Beispiel Ostraka und Papyri, aber auch bestimmte Felsinschriften. Das Material selbst hat keine Bedeutung. Hier wird Text an sich niedergeschrieben. Nicht umsonst kann hier auch ausführlich formuliert werden; Ostraka oder Papyri gehören unterschiedlichsten Textgattungen an, von Übungstexten über Wirtschaftsurkunden bis hin zu mittelgroßen Briefen. Eine Grenzform stellen ausführlichere Monumentalinschriften dar, die zwar einem Gegenstand, einem Grab, Bauwerk oder Ähnlichem zugeordnet sind, deren Inhalt aber weit über die funktionale Beschriftung des Gegenstandes hinausgeht, etwa wenn in Grabinschriften biographische Details oder in Bau- und Königsinschriften historische Fakten und Wertungen beigefügt werden. Hier finden sich dann auch Ansätze von Literatur im engeren Sinne. 1.3. Sitz im Leben Bei diesen Textgattungen ist der Sitz im Leben naturgemäß nur aus dem Inhalt zu rekonstruieren. Hier fehlt jenseits des allgemeinen archäologischen Kontextes in aller Regel die ursprüngliche Kontextsituation eines Textes. Gerade wo Briefe wie die Lachisch-Ostraka auf Anschuldigungen oder Anordnungen reagieren, sich auf beiden Partnern Bekanntes beziehen, sind die angesprochenen Vorgänge kaum zu rekonstruieren. Schließlich fehlt die Kenntnis der ursprünglichen Kommunikationssituation. Nicht einmal, ob ein Ostrakon einen Brief oder nur einen Entwurf, eine Übung oder eine Protokollaufnahme enthält, ist in jedem Fall sicher zu entscheiden. Für viele der beschrifteten Gegenstände gilt Vergleichbares, wenn es um deren spezielle Funktion geht: Handelt es sich bei der Krugaufschrift um eine Weihinschrift oder eine einfache Empfängerangabe? Repräsentiert eine beschriftete Tonscherbe ein beschriftetes Gefäß, einen Lieferschein als Begleitpapier oder eine Empfangsquittung?4
2. Parallelen zur Schriftentstehung im frühen Mesopotamien Beobachtet man, wie sich Schriftlichkeit in Palästina im 1. Jt. langsam verbreitet und durchsetzt – obwohl sie außerhalb doch längst erfunden ist –, so ist 3 Zusammengestellt in HAE II/2, 415–422; J. RENZ, Dokumentation neuer Texte, in: ZAH 13 (2000), 112f. Zahlreiche neuere Siegel in R. DEUTSCH, in: BPHB, 76–91. 4 Vgl. dazu J. RENZ, Der Beitrag der althebräischen Epigraphik zur Exegese des Alten Testaments und zur Profan- und Religionsgeschichte Palästinas, in: CH. HARDMEIER (Hg.),
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es nahe liegend und auch methodisch gerechtfertigt, einen vergleichenden Blick auf den Beginn der Schriftlichkeit in Mesopotamien zu wagen. Der Vorteil des Blicks auf den absoluten Beginn der Schriftlichkeit besteht immerhin darin, dass hier nicht die Gefahr besteht, dass allein durch Zufälle der Überlieferung ältere Vorstufen und Entwicklungen übersehen werden, man also tatsächlich auf den Beginn der schriftlichen Tradition blickt. Findet die Erfindung der Schrift in Mesopotamien in der Uruk IV-Zeit statt, so können hier die beiden ältesten Phasen der Schriftlichkeit, Uruk IV- und Uruk III- /¢emdet Nasr-Zeit, herangezogen werden. Die Texte stammen überwiegend aus Uruk und ¢emdet Nasr und sind mittlerweile zum größten Teil in gedruckter Form oder elektronisch zugänglich.5 Obwohl zu einem großen Teil noch nicht verständlich, ist die Struktur und Bedeutung der meisten Texte doch erkennbar, zumal sich das Repertoire auf wenige, stereotype Gattungen beschränkt. Die Schrift selbst ist noch piktographisch, rein logographisch. Syllabische Schreibung, Determinative oder auch nur Endungen fehlen völlig.6 Letztlich existieren nur Wortzeichen. All’ dies führt dazu, dass selbst die linguistische Zuordnung der Texte nicht eindeutig erfolgen kann.7 2.1. Wirtschaftstexte Am Anfang stehen nun deutlich Wirtschaftstexte: Neben Arbeitszeitabrechnungen eingesetzter Arbeiter und Sklaven besonders Einzelurkunden und größere Listen von Waren und Mengenangaben zur Dokumentation von Lieferungen.8 Dazu sind solche Warenangaben oft gefolgt von der Bezeichnung des Steine – Bilder – Texte. Historische Evidenz außerbiblischer und biblischer Quellen (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 5), Leipzig 2001, 123–158: 125. 5 Neben klassischem A. FALKENSTEIN, Archaische Texte aus Uruk (ADFU 2), Berlin 1936 (ATU) vgl. besonders R. K. ENGLUND/H. J. NISSEN, Die lexikalischen Listen der archaischen Texte aus Uruk (ATU 3), Berlin 1993; R. K. ENGLUND, Archaic Administrative Texts from Uruk. The Early Campaigns (ATU 5), Berlin 1994; R. K. ENGLUND/J.-P. GRÉGOIRE, The Proto-Cuneiform Texts from Jemdet Nasr (MSVO 1), Berlin 1991; R. K. ENGLUND, Proto-Cuneiform Texts from Diverse Collections (MSVO 4), Berlin 1996; zusammenfassend H. J. NISSEN/ P. DAMEROW/R. K. ENGLUND, Frühe Schrift und Techniken der Wirtschaftsverwaltung im alten Vorderen Orient (Ausstellungskatalog Berlin 1990), Berlin 1990; J. BAUER/R. K. ENGLUND/M. KREBERNIK, Mesopotamien. Späturuk-Zeit und Frühdynastische Zeit (Annäherungen 1; OBO 160/1), Freiburg, Göttingen 1998; dort: R. K. ENGLUND, Texts from the Late Uruk Period, in: J. BAUER u. a., Mesopotamien 15–233. Die Texte sind zusammengestellt im Projekt CDLI (Internet: Cuneiform Digital Library Initiative, Berlin, Los Angeles: http://cdli.ucla.edu/ und http://cdli.mpiwg-berlin.mpg.de). 6 R. K. ENGLUND, Late Uruk Period, 71f. und passim; H. J. NISSEN u. a., Frühe Schrift, 55–60, 158ff. und passim. 7 Zur Problematik H. J. NISSEN, Frühe Schrift, 9, 159 u. ö.; R. K. ENGLUND, Late Uruk Period, 73–81. 8 R. K. ENGLUND, Late Uruk Period, 111–213; P. DAMEROW/R. K. ENGLUND, in: H. J. NISSEN u. a., Frühe Schrift, 66–89, 98–146.
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Absenders oder Empfängers, indem Personennamen, Titel, Ortsnamen oder öffentliche Einrichtungen genannt werden. Früh begegnen – oftmals abgesetzt auf der Rückseite – Summenangaben über die Einzeltitel der vorhergehenden Einzelnachweise.9 In ihrer ursprünglichen und einfachsten Form stellen solche Urkunden nichts weiter dar als eine Zusammenstellung dessen, was vorher in unmittelbar vorschriftlicher Zeit mit den so genannten Tokens10 erfolgte: quasi Zählsteinen, die je eine bestimmte Einzelware – ein Tier zum Beispiel – darstellten, und schlicht so zusammengestellt wurden, dass für jedes Exemplar einer Warengattung auch ein Zählstein verwendet wurde: Die Summe ergab sich von alleine aus der Zahl der Steine. Deutlich wird, dass Mathematik in Form einfacher Wirtschaftsarithmetik und Schreibkunst gleich ursprünglich sind.11 Deutlich wird auch, dass zuerst aufgeschrieben wird, was vergänglich ist, nicht als wert erachtet wird, im Gedächtnis zu bleiben: So wie die Tokens nach Abschluss der Transaktion wieder neu verwendet werden, verliert eine solche Urkunde trotz Archivierung schnell an Bedeutung – spätestens bei der nächsten Jahresabrechnung. 2.2. Schultexte Kaum verwunderlich steht neben der überwiegenden Masse von Wirtschaftstexten verschiedener Art die Gruppe von Schul- bzw. Lehrtexten, konkret die Produkte der so genannten Listenwissenschaft – von Anfang an, d.h. ab der Späturuk-Zeit, zahlreich und umfangreich. Gut belegt ist die Liste lú A, eine Liste von Titeln und Berufen, Vorgängerin der späteren Liste lú = ša (MSL 12);12 daneben gibt es Listen von Ortsnamen, Haustieren, Holzgegenständen, Gefäßen usw.13 Neben dem Erlernen der Schreibweise der einzelnen Begriffe 9
Besonders P. DAMEROW/R. K. ENGLUND, in: H. J. NISSEN u. a., Frühe Schrift, 66–75. H. J. NISSEN, Frühe Schrift, 47–54, speziell 47f. zu den Tokens; R. K. ENGLUND, Late Uruk Period, 46ff. 11 Zusammenfassend P. DAMEROW, in: H. J. NISSEN u. a., Frühe Schrift, 169ff.; R. K. ENGLUND, Late Uruk Period, 111–127 u. ö. 12 R. K. ENGLUND/H. J. NISSEN, Die lexikalischen Listen der archaischen Texte aus Uruk (ATU 3), Berlin 1993, 14–19, 69–86; E. ARCARI, La lista di professioni „Early Dynastic Lu A“ (AION. Suppl. 42), Neapel 1982; vgl. R. K. ENGLUND, Late Uruk Period, 103–106; H. J. NISSEN, Frühe Schrift, 153–157. Zu den sumerischen Folgebelegen vgl. R. K. ENGLUND, Late Uruk Period, 103 und ff. und M. KREBERNIK, Die Texte aus Fara und Tell Abu ÊalabiX, in: J. BAUER u. a., Mesopotamien, 235–427: 316. 13 Zusammenstellung von archaischen Listentypen bei R. K. ENGLUND, Late Uruk Period, 82–110; H. J. NISSEN, Bemerkungen zur Listenliteratur Vorderasiens im 3. Jahrtausend, in: L. CAGNI (Hg.), La lingua di Ebla. Atti del convegno internazionale (Napoli, 21–23 aprile 1980) (Istituto universitario orientale, seminario di studi asiatici, series minor XIV), Napoli 1981, 99–108; H. J. NISSEN, Frühe Schrift, 147–157. – Publikation überwiegend in R. K. ENGLUND/H. J. NISSEN, ATU 3. Erschlossen werden die Listen durch M. W. GREEN/H. J. NISSEN u. a., Zeichenliste der Archaischen Texte aus Uruk (ATU 2), Berlin 1987. – Die frühsumerischen Belege sind zusammengestellt bei M. KREBERNIK, Texte, 313ff. – Ab frühdynastischer Zeit 10
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findet sofort die für die Listenwissenschaft aller Epochen charakteristische systematische Erfassung und Ordnung der Phänomene der Umwelt statt, der Anfang der Wissenschaft überhaupt: Es ist der Versuch, die der Welt innewohnende Ordnung zu erkennen und zu beschreiben. So ist die genannte Liste lú A eine Titel- und Berufsliste, nach der Rangfolge der Beamten und Berufe angeordnet, spiegelt also gleichzeitig die gesellschaftliche Ordnung und Hierarchie wider, sozusagen den sozialen Kosmos. Ebenso stellen andere Listen alle Formen und Farbspielarten von Haustieren, etwa Schweinen,14 dar und versuchen damit, den natürlichen Kosmos abzubilden. 2.3. Liste „Tribute“ Eine interessante Textvariante ist schließlich die so genannte Liste „Tribute“.15 Der Aufbau der Liste ist auffallend anders als bei den bekannten Listen: Es finden sich wörtliche Widerholungen ganzer Listenteile – eigentlich ein verbotenes Phänomen für eine systematisierende Liste. Neben diese Wiederholungen treten Partien, die bis heute schwer verständlich sind, aber Zeichen enthalten, die auffallend häufig verbalen Charakter haben, auch sonst schlecht zu einer Liste passen. Robert Englund als Herausgeber und Bearbeiter der späturukzeitlichen Texte, vermutet mit Gründen, hier den ersten Beleg für einen epischen oder mythischen Text, also den ersten literarischen Text, zu sehen.16 Sumerische Literatur ist – wie etwa auch die ugaritische – bekanntermaßen dadurch gekennzeichnet, dass ganze Passagen mehrfach wörtlich identisch wiederholt werden: Ganze Handlungsabläufe erscheinen erst im Auftrag, etwa durch eine Gottheit, dann in der Durchführung, schließlich in der rückblickenden Erzählung. Dies würde die Wiederholung erklären. Der atypische Rest enthielte die übrigen Passagen des literarischen Textes. Der trotz allem listenartige Charakter des Textes könnte über Englund hinaus noch einen weiteren Schluss zulassen. Das Epos wird nicht vollständig, wörtlich ausformuliert aufgeschrieben: Es erscheinen in der Liste nur die charakteristischen Stichworte oder Stichsätze, die unverzichtbar erscheinen müssen – man denke etwa an die Beschreibung der Kleidungsstücke, die Inanna im Mythos von Inannas Gang zur Unterwelt an jedem der sieben Tore ablegen muss. Es läge als erster literarischer Beleg ein Text in der Umbruchphase von Mündlichkeit und Schriftlichkeit vor: Die Kernabschnitte und vor allem schwierige Aufzählungen spezieller Formulierungen sind in der Formulierung festgelegt; es obläge dem jeweiligen Lektor, daraus beim Vortrag das eigentlisind auch Ansätze von literarischen Texten nachzuweisen (M. KREBERNIK, Texte, 317–325). Der Schulbetrieb lässt sich gut am frühdynastischen Text SF 18 aus Fara zeigen, der neben einer lexikalischen Liste auch einen literarischen Text enthält (M. KREBERNIK, Texte, 314). 14 ATU 3, 22–23, 100–103; vgl. R. K. ENGLUND, Late Uruk Period, 94. 15 ATU 3, 25–29, 112–120; R. K. ENGLUND, Late Uruk Period, 99–102. 16 R. K. ENGLUND, Late Uruk Period, 99–102.
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che Epos herzustellen.17 Die Schrift der Uruk IV- und ¢emdet Nasr-Zeit, die keinerlei linguistische Elemente, sondern nur die Logogramme schreibt, ist ohnehin nicht in der Lage, einen narrativen Text wirklich eindeutig aufzuzeichnen.18 Nicht nur dieser Text, auch die ersten wirklich literarischen Texte der späteren Zeit belegen jedenfalls klar, dass zum Zeitpunkt der Verschriftlichung epische Texte in voller Länge und vollem Umfang vorhanden sind. Dies gilt bereits für die ersten literarischen Texte der Fara-Zeit, die Beschwörungen, Weisheitstexte (Spruchsammlungen), Hymnen an Tempel und Gottheiten sowie epische und mythologische Texte enthalten.19 Diese Texte ähneln in Typus und Struktur – soweit erkennbar – den späteren, im Umfang meist überschaubaren sumerischen mythologischen Texten, die noch nicht zu Großkompositionen zusammengefasst sind. Übungstexte mit Textausschnitten erwecken den Eindruck, dass umfangreichere mündliche Texte im Hintergrund stehen.20 Stilistik und Gattungstypologie weisen bereits bei diesen ältesten literarischen Texten auf die vorhergehende mündliche Phase: Charakteristisch für die ältesten wie auch die späteren sumerischen literarischen Texte ist eine stark formelhafte Sprache mit typischen Ein- und Ausleitungsformeln sowie immer wiederkehrende gleiche Formelelemente, die die Texte – manchmal refrainartig strophenähnlich – gliedern.21 Es gibt keinen Hinweis auf erste rudimentäre literarische Gehversuche innerhalb der schriftlichen Epoche. Epen und Mythen, aber auch Hymnen oder Beschwörungen sind als Gattung und in der Substanz in vorschriftlicher Zeit entstanden.22 Darauf weisen auch die bildlichen Darstellungen mythischer Vorgänge auf Rollsiegeln und ähnlichen Bildträgern bereits in der vor- und frühschriftlichen Zeit hin.23
17 Auch noch für die folgende frühdynastische Zeit erwägt M. KREBERNIK, dass literarische Texte „abkürzend notiert sind“ (M. KREBERNIK, Texte, 317). 18 Den Zusammenhang zwischen der Verschriftlichung von Literatur und der Ausbildung eines vervollkommneten Schriftsystems betont M. KREBERNIK, Texte, 271. 19 M. KREBERNIK, Texte, 317–322; vgl. auch D. O. EDZARD, Art. Literatur, in: RlA 7 (1987), 35–48: 36f. 20 M. KREBERNIK, Texte, 320 zu IAS 327. 21 M. KREBERNIK, Texte, 322–325. 22 Eine Zusammenstellung der literarischen Texte findet sich etwa bei D. O. EDZARD, Literatur, 36–48; W. H. PH. RÖMER, Die Sumerologie (AOAT 262), Münster 21999, 195–234 (Lit.); J. S. COOPER/P. MICHALOWSKI/M. J. GELLER/B. ALSTER, Art. Sumer. IV Littérature sumérienne, in: DBS XIII, 226–301; zu einem sehr großen Teil finden sich die Texte im Projekt ETCSL (Internet: J. A. BLACK/G. CUNNINGHAM/E. FLÜCKIGER-HAWKER/E. ROBSON/G. ZÓLYOMI, The Electronic Text Corpus of Sumerian Literature [http://www-etcsl.orient.ox.ac.uk/], Oxford 1998ff.). 23 Dazu unten Abschnitt 3.6.2.
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2.4. Literatur Nur hingewiesen werden muss an dieser Stelle auf die weitere, in Mesopotamien besonders deutlich werdende Literaturgeschichte nun innerhalb der schriftlichen Epoche: Am Gilgameš-Epos wird deutlich, wie aus in sumerischer Zeit tradierten Einzelepisoden nun im Lauf der Jahrhunderte Großkompositionen entstehen, bis in eisenzeitlicher Zeit ein fast kanonisches Epos zur Verfügung steht.24 Anderes, wie etwa das Weltschöpfungsepos enuma elîš, entstand dagegen erst im eisenzeitlichen Mesopotamien, ohne dass direkte literarische Vorläufer bekannt wären – weitgehend als Gesamtentwurf.25 2.5. Das Weiterwirken sumerischer Literatur und Sprache Eine weitere Eigenart Mesopotamiens resultiert aus der sumerischen Zeit: Die Hauptgattungen religiöser, wissenschaftlicher und ökonomischer Texte entstehen in sumerischer Zeit26 – mit der Folge, dass sich das Sumerische nach seinem Aussterben als gesprochene Sprache in altbabylonischer Zeit noch fast zwei Jahrtausende erhalten hat, z. B. in Ritualtexten, die so sehr in Sumerogrammen geschrieben sind, dass unklar bleibt, ob sie je wirklich akkadisch gelesen wurden – durchaus dem Kirchen- und Gelehrtenlatein Europas vergleichbar.
3. Schriftlichkeit in Palästina und die Entstehung religiöser Traditionsliteratur Ist es das Hauptziel dieser Anmerkungen, ein wenig den literarischen Rahmen, in dem die alttestamentliche Traditionsliteratur entstand, zu erhellen, so soll im Hauptabschnitt ein chronologischer und sachlicher Überblick über die Textentstehung in Palästina versucht werden. Vor dem Hintergrund der frühen mesopotamischen Textentstehung lässt der Weg Palästinas von den ersten Schreibversuchen in der ausgehenden Bronzezeit bis hin zur Entstehung großer Traditionswerke durchaus Parallelen erkennen – Parallelen, die auch den Blick dafür schärfen können, was in der 24
K. HECKER, Das akkadische Gilgamesch-Epos, in: TUAT III, 646–744: 646f.; J. H. TIGAY, The Evolution of the Gilgamesh Epic, Philadelphia 1982, Wauconda, Ill., 22002; vgl. DERS., The Evolution of the Pentateuchal Narratives in the Light of the Evolution of the Gilgamesh Epic, in: DERS., Empirical Models for Biblical Criticism, Philadelphia 1985, 21–52, speziell 27–46; S. MAUL, Das Gilgamesch-Epos, München 2005, 13–14. 25 Vgl. W. RÖLLIG, Art. Literatur, in: RlA 7 (1987), 48–66: 51; W. G. LAMBERT, Enuma Elisch, in: TUAT III, 565–602: 565. 26 W. RÖLLIG, Literatur, 51; J. RENZ, Art. Sumer, in: CBL 2, 1287–1292: 1292 (Lit.); vgl. W. H. PH. RÖMER, Das Sumerische, 50f. zum Weiterleben des Sumerischen in nachsumerischer Zeit.
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alttestamentlichen Literaturgeschichte als wahrscheinlich oder wenig plausibel anzusehen ist. Schließlich stellt die frühmesopotamische Schrift den absoluten Beginn der Schreibkunst dar. Spekulationen über Vorangegangenes erübrigen sich; was aus der Zeit davor überkommen ist, muss der mündlichen Traditionsstufe angehören. Vieles läuft dann – wie im Vorderen Orient mehrfach zu beobachten – in der kulturellen Peripherie zeitverschoben vergleichbar ab – mit dem Vorteil, dass hier und da Schlüsse vom klaren, absoluten Schriftanfang in Mesopotamien zur diesbezüglich unübersichtlicheren Lage in Palästina möglich sind. 3.1. Der zeitliche und geographische Raum Versucht man, sich dem Problem von außen zu nähern, so ist der zeitliche wie geographische Raum, in dem althebräische Inschriften entstanden, klar umgrenzt. Im 9. Jh. beginnt sich die hebräische Schrift deutlich von der phönizischen der vorhergehenden Zeit und damit auch den frühhebräischen Texten wie etwa dem Gezer-Kalender abzugrenzen. Das Ende ist klar durch die babylonische Eroberung Judas gesetzt. Danach existieren so gut wie keine hebräischen Inschriften mehr. Hebräisch ist als Verwaltungssprache vollständig durch das Reichsaramäische ersetzt.27 3.2. Die althebräische Textproduktion im Verhältnis zur Umwelt Vergleicht man nun die Textproduktion dieses klar umgrenzten Bereichs mit der gleichzeitigen Umwelt,28 so stehen aus dem hier relevanten Zeitraum von etwa der Mitte des 9. Jh.s bis zum Beginn des 6. Jh.s aus dem phönizischen Mutterland vielleicht zwei Dutzend Texte zur Verfügung.29 Primär aus dem 27
Zur Abgrenzung des althebräischen Corpus vgl. HAE I, 2f.; zu den Anfängen ebd. 38f. Ein guter Überblick entsteht dadurch, dass Anfang der neunziger Jahre für die meisten nordwestsemitischen Sprachen ein Gesamtcorpus oder vergleichbares Übersichtswerk erschien: Ammonitisch: W. E. AUFRECHT, A Corpus of Ammonite Inscriptions (Ancient Near Eastern Texts and Studies 4), Lewiston u. a. 1989 (CAI); U. HÜBNER, Die Ammoniter (ADPV 16), Wiesbaden 1992. – Moabitisch: S. TIMM, Moab zwischen den Mächten (ÄAT 17; Wiesbaden 1989). – Aramäisch: J. A. FITZMYER/S. A. KAUFMAN, Aramaic Bibliography. Part I. Old, Official, and Biblical Aramaic, Baltimore, London 1992, jetzt aktualisiert und vervollständigt durch D. SCHWIDERSKI, Die alt- und reichsaramäischen Inschriften/The Old and Imperial Aramaic Inscriptions, Bd. 2: Texte und Bibliographie (Fontes et Subsidia ad Bibliam pertinentes 2), Berlin, New York 2004 (ARI). – Althebräisch: AHI; HAE; aktualisiert durch AHI 2; HI bringt insofern eine Auswahl, als überwiegend die sehr kleinen Fragmente ausgespart bleiben. – Auch hier werden die althebräisch nicht berücksichtigten Handwerkermarkierungen und vergleichbaren Einzelbuchstaben ausgeklammert. Siegel und Gewichte stellen jeweils ein eigenes Corpus dar. Für die Siegel steht CWSSS zur Verfügung, für die Gewichte die Zusammenstellung HAE II/2, 435ff. – Zum Ganzen vgl. auch J. RENZ, Beitrag, 138. 29 N. B. die Übersicht bei M. G. AMADASI GUZZO, Les inscriptions, in: V. KRINGS (Hg.), La civilisation Phénicienne et Punique. Manuel de recherche (HO I 20), Leiden u. a. 1995, 19–30: 28
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10. Jh. stammen weitere acht Texte aus Byblos.30 Auch das Corpus der „vorexilischen“ Inschriften Transjordaniens beläuft sich nur auf gut zwei Dutzend.31 Die Zahl der gleichzeitigen aramäischen Texte aus Syrien(-Palästina) beträgt nur etwas über 90;32 selbst die Gesamtzahl der aramäischen Inschriften aus „vorexilischer“ Zeit ist sehr überschaubar.33 Anders im Althebräischen: 19–21 und J. FRIEDRICH/W. RÖLLIG, Phönizisch-punische Grammatik, 3. Auflage, neu bearbeitet von M. G. AMADASI GUZZO unter Mitarbeit von W.R. Mayer (AnOr 46), Rom 1999 (PPG), 4–6; vgl. H. DONNER/W. RÖLLIG, Kanaanäische und aramäische Inschriften, 3 Bde. (Wiesbaden 1971–1976; 2002; KAI). – Es geht vor allem um einige (bisher neun) Grabsteleninschriften aus Tyros (ZAH 7, 263f.) sowie eine Elfenbeinplakette und wenige (fünf) Kurztexte aus Sarepta (J. P. PRITCHARD, Sarepta IV [Beirut 1988], 7–14 Nr. 1 [= KAI 285]; 7; 10f.; 13f. [ZAH 7, 263]). Wenige Texte aus Nimrud stammen ursprünglich ebenso aus dem phönizischen Gebiet (M.G. AMADASI GUZZO, Inscriptions 22; vgl. zur Situation auch HAE I, 128f. [Lit.]). Mehrere phönizische Texte der vorpersischen Zeit stammen aus dem Antikenhandel und sind somit nicht lokalisierbar. 30 KAI Nr. 1–8; vgl. besonders R. G. LEHMANN, Die Inschrift(en) des AHirom-Sarkophags und die Schachtinschrift des Grabes V in Jbeil (Byblos) (Dynastensarkophage mit szenischen Reliefs aus Byblos und Zypern. Teil 1.2), Mainz 2005. – Selbst aus dem gesamten phönizischen Einflußgebiet sind vorpersisch nur etwa ein Dutzend gut erhaltener Texte erwähnt (PPG 4 als altphönizisch). 31 ‘Amman: drei Monumentalinschriften (CAI 58f.; 43); Bronzeschale (HÜBNER, Ammoniter 2.2.2); drei Gefäßinschriften (HÜBNER, Ammoniter Nr. 2.4.1–3); Ostrakon (CAI 77) – Oisban: drei Ostraka (Nr. 4f.; 11: CAI 80f.; 94) – T. al-Mazar: drei Ostraka (Nr. 3–5; CAI 144–146; dazu HÜBNER, Ammoniter, 34f.; hier geht es nicht um die sprachliche, sondern die räumliche Zuordnung) – T. al-‘Umeri: zwei unleserliche Ostraka (HÜBNER, Ammoniter, 33) – T. Siran: Flasche (CAI 78) – Nimrud: Ostrakon (CAI 47) – %. Umm ad-Dananir: Gefäßinschrift (HÜBNER, Ammoniter, 2.4.5) – Eiban: zwei Monumentalinschriften (KAI 181; TIMM, Moab, 266– 269) – %. al-Karak: Inschrift (TIMM, Moab, 269–277) – %. al-Mudayyina: Ritzinschrift (ZAH 11, 225); Räucheraltar (ZAH 15/16, 185) – T. Abu %araz: Ritztext, unklar, vielleicht Übungstext (O. AL-GHUL, L. EL-KHOURI, ZDPV 114 [1998], 155–161 [vgl. AHI 49.001]): ca. 25 Texte. – Für das hier ausgeklammerte edomitische Corpus gilt Vergleichbares. 32 Aus Syrien-Palästina stammen nach J. A. FITZMYER/S. A. KAUFMAN, Aramaic Bibliography, 11–25, ergänzt durch D. SCHWIDERSKI, ARI 2, die Texte: BarH; EinGev; TDan; ArslanTash (2 ×); HamGr (50 ×); Ham Ostr; Zak; Sf (3 ×); EmarSt; TSifr; Nerab (2 ×); HazBrid (2 ×); TZerB; DAEpigr (8 ×); Jemmeh; Olymp; BeirutDecree; BethSaida (2 ×); TDanSt; EkJar; (?) Said Ostr (2 ×). Da es um die Textproduktion geht, sind sprachlich verwandte Texte wie die Bileam-Inschrift aus T. Der ‘Alla sowie die Texte aus Zincirli (Kil [2 ×]; Had; Pan; BarRak [10 ×]; vgl. die Zusammenstellung bei J. TROPPER, Die Inschriften von Zincirli [ALASP 6], Münster 1993, 153–164) mitzurechnen. 33 Schwer vergleichbar ist die Gesamtzahl der über den ganzen Vorderen Orient verbreiteten aramäischen Texte der vorexilischen Zeit: Mesopotamien: HalAlt; Fakh; HalAlph; AECT (63 ×); AECT-L (24 ×); AECT-L* (34 ×); AssOstr; NimJar; BilTab; BabBrick (9 ×); TelSheHa (6 ×). Ägypten: BelStat; TADC 3.1–2 (2 ×); TADA 1.1. Iran etc.: LurBr (3+1 ×); Bukan. Ohne Siegel und Gewichte kommen so nochmals etwa 150 Texte zusammen. – Entscheidend ist im Kontext die erhaltene Textmenge eines vergleichbaren Gebiets, so dass die Texte des phönizischen Mutterlandes oder diejenigen einzelner Regionen Syriens am ehesten vergleichbar sind. Für die Großreiche Mesopotamien und Ägypten mit ihrer eigenen Textproduktion in Keilschrift und Hieroglyphen ist die Zahl aramäischer Texte faktisch bedeutungslos.
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Die Zahl der publizierten Inschriften beläuft sich auf etwa 650 Texte – ohne Siegel und Gewichte.34 Ebenso entsprechen im Corpus der Siegel von Avigad/Sass (CWSSS)35 den 38 phönizischen und 107 aramäischen Siegeln aller Zeitstufen insgesamt 711 hebräische Siegel. Selbst unter Berücksichtigung der Unsicherheitsfaktoren, die etwa aus einer unterschiedlichen Grabungsintensität resultieren, bleibt das ein Mehrfaches ausmachende Übergewicht der althebräischen Texte doch signifikant. Die große Zahl von gesiegelten Bullae weist zudem auf eine ähnlich große Zahl von Papyrustexten, die selbst mit einer Ausnahme (Mur(7):1f.) aus Klimagründen nicht mehr erhalten sind.36 Aber auch im Verhältnis zur folgenden Exils- und Perserzeit nimmt sich das vorexilische Corpus hebräischer Texte noch beachtlich aus. Eine grobe Übersicht über die in Palästina gefundenen reichsaramäischen Texte – etwa an Hand von Fitzmyer/Kaufmans Aramaic Bibliography37 – macht deutlich, dass die nachweisbare – jetzt überwiegend aramäische – Textproduktion in Palästina ab babylonischer Zeit nicht zu-, sondern eher abnimmt, wobei sich ein gewisser Schwerpunkt im 4. Jh. abzeichnet.38 Erst ab hasmonäischer Zeit erlebt das Hebräische in offiziellen Texten eine gewisse Renaissance, die aber ohne eine vorausgehende, ursprüngliche hebräische Tradition nicht vorstellbar wäre. Mehr kann und will eine derartige Zusammenstellung der Textmengen nicht sagen: Dass das 8. und 7. Jh. noch nicht reif für Textproduktion war, wird man kaum behaupten können. Jedenfalls liegt bereits ein ausgeprägtes Schreiber- und Beamtensystem vor. 3.3. Die Entstehung alttestamentlicher Traditionsliteratur im Rahmen der außeralttestamentlichen Textproduktion Bei einem Seitenblick auf die Entstehung alttestamentlicher Traditionsliteratur wird deutlich, dass hebräische Texte und erst recht ein hebräischer Kanon in exilisch-nachexilischer Zeit nur entstanden sein können, wenn vorher eine lebendige hebräische Tradition bestand. Dass das Hebräische überhaupt zur religiösen Sprache werden konnte, setzt eine längere Zeit gefestigter Texttradition voraus: Nicht nur das bekannte Kirchenlatein, das ohne das Christentum im römischen Reich nicht denkbar wäre, auch das kulturell und zeitlich viel näher liegende, hier zum Vergleich herangezogene Mesopotamien zeigt dies überdeutlich. Das Sumerische konnte in altbabylonischer Zeit nur deshalb zur Sprache der Religion und der Literatur werden und auch danach noch 34 Zu den ca. 500 Inschriften, die in HAE verzeichnet sind (vgl. die Zusammenstellung HAE I 11ff.) kommen noch die knapp 150 Texte hinzu, die zu Beginn in Kap. 1.1. genannt sind. – Eine ältere Zusammenstellung findet sich bei J. RENZ, Beitrag 138 mit Anm. 45. 35 N. AVIGAD/B. SASS, Corpus of West Semitic Stamp Seals, Jerusalem 1997. 36 Zur Siegelungstechnik siehe unten Kap. 3.6.4 Abschnitt d. 37 J. A. FITZMYER/S. A. KAUFMAN, Aramaic Bibliography, 26–35.
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in vielen Sparten (Weisheit; Omina u. a.) weiterleben, weil es vorher ein Jahrtausend lang, eben das 3. Jt., gesprochene und geschriebene Sprache war. Weiterhin verdankt Mesopotamien auch die religiösen Grundinhalte genau dieser sumerischen Zeit: Die Hauptgötter wie auch die Hauptmythen, die wichtigen Kultorte und sogar die großen Feste stammen aus dieser Zeit.39 Für die Geschichte der christlichen Dogmen kann in Bezug auf die lateinischsprachige Antike Vergleichbares gesagt werden: Die heute gültigen Bekenntnisse gehen auf die großen Konzilien der Antike und die dahinter stehende Diskussion zurück. Aus dem Nichts heraus kann in exilischer oder nachexilischer Zeit eine hebräische Kanonwerdung also nicht erfolgt sein. Dies besonders, da gerade die jüdischen Eliten, die Schreiber und Beamten, sich sofort der jeweils gültigen Verwaltungssprache anpassten.40 Exilisch-nachexilische Texte sind reichsaramäisch, in Palästina wie auch im persisch regierten Ägypten, wie die Elephantine-Papyri zeigen. Später kommen für Verwaltungs- und Rechtsvorgänge griechische oder nabatäische Urkunden hinzu.41 Signifikant in diesem Zusammenhang ist auch die bekannte Tatsache, dass das Hebräische weiter Teile des Alten Testaments in Wortwahl, Morphologie, Syntax weitgehend der Sprache der judäischen Inschriften des ausgehenden 8. bis beginnenden 6. Jh.s v. Chr. entspricht. Demgegenüber zeigen die späteren Bücher syntaktisch deutliche Abweichungen.42
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Nicht berücksichtigt wird dabei die große Zahl edomitischer Texte, die überwiegend aus dem 4. Jh. stammen; dazu D. SCHWIDERSKI, in: ARI, 203–284. 39 Dies ist allen Übersichten über die mesopotamische Kultur überdeutlich zu entnehmen, etwa B. HROUDA (Hg.), Der alte Orient, Gütersloh 1991; A. MOORTGAT, Die Kunst des Alten Mesopotamien, 2 Bde., Köln 21982, 21985; A. KUHRT, The Ancient Near East c. 3000–330 BC, 2 Bde., New York, London 1995, 19–117; 332–381; 473–622 (bes. 74); J. RENZ, Art. Sumer; Babylonien, Assur, Assyrien, in: CBL 1287–1292 (Lit.); 144–150; 125–131; vgl. W. H. Ph. RÖMER, Religion of Ancient Mesopotamia, in: C. J. BLEEKER (Hg.), Historia Religionum 1, Leiden u. a. 21988, 115–195, der ausdrücklich eine Religionsgeschichte Mesopotamiens ohne grundsätzliche Trennung von Sumerern und Babyloniern/Assyrern schreibt; ebd., 120–125 werden die Gemeinsamkeiten zusammen gefasst. 40 Besonders herausgestellt von H. M. COTTON, Die Papyrusdokumente aus der judäischen Wüste und ihr Beitrag zur Erforschung der jüdischen Geschichte des 1. und 2. Jh.s n. Chr., in: ZDPV 115 (1999), 228–247, besonders 232ff. 41 Vgl. zusätzlich etwa H. COTTON/A. YARDENI, Aramaic and Greek Documentary Texts from NaHal Oever and other Sites (DJD 27), Oxford 1997. 42 Herausgehoben etwa von K. BEYER, Althebräische Grammatik, Göttingen 1969, 12–16, besonders 15f.; A. SCHÜLE, Die Syntax der althebräischen Inschriften. Ein Beitrag zur historischen Grammatik des Hebräischen (AOAT 270), Münster 2000, 21–23.
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3.4. Diachrone Übersicht über die außeralttestamentliche Textproduktion a. Ein diachroner Überblick über die wesentlichen Entwicklungsstufen althebräischer Schreibertradition43 beginnt mit den regional noch unterschiedlichen Versuchen einer protokanaanäischen Schrift in der Spätbronzezeit.44 Nach einem Hiatus sind dann im 10. Jh. nur sehr wenige, in der Schrift noch stark phönizisch geprägte Texte nachzuweisen. Die ersten Weiterentwicklungen machen dabei das Hebräische, Phönizische und Aramäische noch gemeinsam mit. b. Erst im 9. Jh. entwickelt sich eine noch konservative Schrift, die aber neue Elemente ausbildet, die nun für die hebräische und moabitische, auch ammonitische Schrift gemeinsam gelten, so dass von einer palästinischen Phase gesprochen werden kann.45 Die Zahl der Texte ist noch gering. – Im Gegensatz zu Mesopotamien wird in Palästina Schrift als Prinzip zwar nicht erfunden, sie muß aber offenkundig erst eingeführt und an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden. c. Mit dem Ende des 9. Jh.s und den Texten aus Kuntillat ‘A~rud setzt dann eine zweite innovative Phase ein, die zur Ausprägung einer spezifisch hebräischen Schrift führt – einer Schrift, die sich deutlich durch Alleinstellungsmerkmale nunmehr auch vom Moabitischen und Ammonitischen unterscheidet.46 Ab hier und in der Folgezeit des 8. Jh.s ist die enge Verzahnung der Schreiberschulen aus Israel und Juda auffallend. In den Grundformen und den Alleinstellungsmerkmalen unterscheiden sich die Schriften nicht, dafür aber jeweils deutlich von den Schriften ihrer Nachbarländer – also vom Phönizischen, Aramäischen, Moabitischen und Ammonitischen. Der Vergleich wirklich kontemporärer Texte47 zeigt eine genuin hebräische, beiden Staaten 43 Zur Übersicht vgl. J. RENZ, HAE II/1, 95–208 und DERS., Schrift und Schreibertradition. Eine paläographische Studie zum kulturgeschichtlichen Verhältnis von israelitischem Nordreich und Südreich (ADPV 23), Wiesbaden 1997, passim und zusammenfassend 39–52. 44 W. RÖLLIG, Über die Anfänge unseres Alphabets, in: Das Altertum 31 (1985), 83–91; DERS., L’Alphabet, in: V. KRINGS (Hg.), La civilisation phénicienne et punique (HO I 20), Leiden u. a. 1995, 193–214; B. SASS, The Genesis of the Alphabet (ÄAT 13), Wiesbaden 1988; DERS., Studia Alphabetica (OBO 102), Freiburg, Göttingen 1991; J. RENZ, Art. Protosinaitische Inschriften, in: NBL 3, 203f. (Lit.); S. WIMMER/S. WIMMER-DWEIKAT, The Alphabet from Wadi el-Hôl, in: GM 180 (2001), 107–112; S. J. WIMMER, Sichimitica Varia I. Zur sog. Sichem-Plakette, in: BN 109 (2001), 21–26. 45 Es geht vor allem um den Knick im Abstrich langer Buchstaben wie p, n, m, k. 46 Spezifische Form des w; Bögen an Abstrichen (p, n, m, k) und Horizontalen (c, s, y, z); Überstände bei r, d u. a. – Diese Innovationen betreffen wie auch die folgenden zuerst die Kursive. Charakteristisch für die hebräische Schrift ist aber, dass kursive Elemente im Laufe der Zeit in die konservativere Monumentalschrift eindringen. 47 Hierbei ist besonders zu vermeiden, dass man so genannte „typisch israelitische“ Texte aus dem 8. mit „typisch judäischen“ Texten aus dem 7. Jh. miteinander vergleicht. Vgl. dazu ausführlich J. RENZ, Schrift und Schreibertradition, 2f., 9.
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gemeinsame Schreibertradition. Die enge Verzahnung beider Traditionen ist um so auffälliger, als sie von vornherein unter den Bedingungen des so genannten geteilten Reiches entstand, was deutlich darauf hinweist, dass es eine Form von gemeinsamem Kulturverständnis gegeben haben muss.48 Oft beginnen Neuerungen, die für den Vergleich das Relevante darstellen, gleichzeitig in Juda und Israel zu Beginn des 8. Jh.s. Wo Innovationen aber ungleichzeitig erscheinen, hat – wie kaum anders zu erwarten – das auch nach sonstigen archäologischen Erkenntnissen innovativere Israel die zeitliche Präferenz. Juda folgt dann aber mit kurzem Abstand – meist in der folgenden Periode.49 d. Es gibt dann einen dritten Innovationsschub, der wie die vorhergehenden zunächst wiederum hauptsächlich die Kursive betrifft.50 Diese Buchstabenformen beginnen in der Mitte, manchmal auch in der 1. Hälfte des 8. Jh.s – und zwar diesmal im Süden, in Juda. Das Nordreich Israel erreichen sie nicht mehr. Nach allem, was wir aus der konkreten Arbeit der Schreiber sagen können, beginnt die kulturelle Blüte Judas also nicht erst mit dem Zusammenbruch Israels, sondern bereits mindestens ein Vierteljahrhundert davor, zu einer Zeit, als offenbar die Innovationskraft Israels im Norden nachgelassen hat. e. Eine der Sache nach zu erwartende, in ihrem Ausmaß aber doch erstaunliche Entwicklung fand dann im letzten Viertel des 8. Jh.s statt. Alle Buchstabenformen Judas – konservative wie innovative – werden weitertradiert. Dazu treten aber seit dem Untergang des Nordreichs alle einstigen israelitischen Buchstabenformen – mit der Folge, dass besonders das ausgehende 8. Jh. – deutlich eingeschränkter teilweise noch das beginnende 7. Jh. – die größte Bandbreite an Buchstabenformen aufweist.51 In dieser Zeit ist zudem die größte Zahl der althebräischen Inschriften entstanden – während der Textmenge nach das beginnende 6. Jh. durch seine großen Briefe vorn liegt.52 Gab es also bislang schon eine enge Verbindung der Kultur- und Verwaltungseliten beider Staaten, so hat Juda beim Ende des Nordreichs erkennbar dessen Traditionen übernommen – sicher nicht nur sachlich, sondern auch personell.53 Tatsächlich gibt es auf dem Territorium
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Dazu J. RENZ, Schrift und Schreibertradition, 46f., 47–50, 51f. Sieht man vom äußersten Norden – Hazor – ab, so ist eine besondere Affinität Israels zur phönizischen Schrift nicht erkennbar (J. RENZ, Schrift und Schreibertradition, 44f.). Umgekehrt zeigt die Schrift Judas durch ihren tendenziellen Konservatismus eine gewisse Nähe zum Phönizischen und Aramäischen, da ja alle westsemitischen Schriften der Eisenzeit einen gemeinsamen Ausgangspunkt haben (J. RENZ, Schrift und Schreibertradition, 44f.). 50 g mit kurzem Abstrich; m unregelmäßig; h mit „dreieckförmigem“ Kopf; q oben offen; [ kantig. 51 J. RENZ, Schrift und Schreibertradition, 46; 49. 52 Vgl. unten Abschnitt g. 53 J. RENZ, Schrift und Schreibertradition, 51. 49
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des ehemaligen Staates Israel nach dessen Untergang so gut wie keine Texte mehr.54 f. Das 7. Jh. hat dann seine eigene Prägung. Nach einer – verglichen mit dem ausgehenden 8. Jh. – weniger innovativen Phase während der 1. Hälfte des 7. Jh.s setzt in der 2. Hälfte des 7. Jh.s in Juda nochmals eine theologieund kulturgeschichtlich interessante Neuentwicklung ein: Es erscheint – etwa in Qadeš Barnea oder Arad – eine neue Gattung von Übungstexten, nach denen die Schreiber nicht nur alle hieratischen Ziffern – d.h. jetzt auch die zahlreichen Zwischenwerte über die bereits bekannten Werten für 5 und 10 hinaus –, sondern auch verschiedene Abkürzungszeichen für Waren, Summenangaben usw. lernen mussten.55 Solche Zeichen tauchen nun auch in den Abrechnungen tatsächlich auf. Man lernte offenbar auch die ägyptische Art, Waren zu katalogisieren, Bestandsaufnamen zu machen. Bislang entsprach die Schreibung der Ziffern dem in Palästina und der Levante Üblichen: einfache Striche usw. für die Ziffern, daneben einige wenige ägyptische Zeichen – besonders bei Gewichtsangaben.56 Für einen begrenzten Zeitraum ist damit ein starker kultur- und verwaltungstechnischer Einfluss Ägyptens erkennbar – über die Tatsache hinaus, dass sich die palästinische Kultur und auch die Schriftkultur ursprünglich ägyptischem Kultureinfluss aus der Bronzezeit mitverdankt.57 g. Mit dem Untergang des Staates Juda geht dann auch die hebräische Schrifttradition zu Ende, nachdem sie umfangmäßig an ihrem Ende nochmals einen Höhepunkt erlebt hatte. Rückblickend gibt es so zwei deutlich erkennbare Produktionsschwerpunkte: Im letzten Viertel des 8. Jh.s. (ca. 90 Texte) und zu Beginn des 6. Jh.s. kurz vor Ende der vorexilischen Zeit (ca. 65 Texte).58 3.5. Schreibfähigkeit – Schriftlichkeit – Schule Die pauschale Übersicht über die Entwicklung der Schreibertätigkeit weist auf die Produzenten dieser Texte, die Schreiber. Unmittelbar nachweisbar sind Schreiber durch Stempelsiegel, die den Titel rpsh enthalten, hebräisch sind davon vier Personen bekannt.59 Indirekt verweist der Lachisch-Brief, Ostrakon Nr. 3 (Lak(6):3) auf die Schreibertätigkeit:60 Der Absender verwahrt sich gegen den Vorwurf, nicht bzw. nicht richtig lesen zu können. Dieser Vorwurf war 54
HAE I 4 mit Belegen in Anm. 1. Dazu J. RENZ, Beitrag, 136. 56 HAE II/1, 48f. 57 Zur Schriftentstehung in Palästina vgl. die oben zu Abschnitt 3.4 Teil a genannte Literatur. 58 Zugrunde gelegt werden hierbei die in HAE I zusammengestellten Texte. Für die später hinzugekommenen Texte gilt aber etwa dasselbe Verhältnis. 59 W. RÖLLIG, HAE II/2, 115 Abschnitt m; vgl. CWSSS 467. 60 HAE I, 412–419; U. RÜTERSWÖRDEN, Der Prophet in den Lachisch-Ostraka, in: CH. HARDMEIER (Hg.), Steine – Bilder – Texte. Historische Evidenz außerbiblischer und biblischer Quellen (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 5), Leipzig 2001, 179–192; W. M. 55
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offenbar als so diskreditierend betrachtet worden, dass er eine heftige Verteidigungsreaktion auslöste: Schreiben zu können, galt als Grundvoraussetzung für bestimmte Ämter. Indirekt weisen die zahlreichen Texte, die als Schul- oder Übungstexte eingestuft werden müssen, auf die Ausbildung dieser Schreiber. Es geht hier um Alphabetübungen, Buchstaben- und Textwiederholungen oder Zahlenübungen.61 Dass die Tätigkeit der Schreiber weit über das bloße Schreiben hinausging, ist bekannt.62 Sie waren es, die Texte – etwa nach Anweisung – gestalten und formulieren mussten. Für Mesopotamien sind auf Schülertafeln auch Briefund Literaturübungen erhalten; ebenso ist das Erlernen der Prozeßführung dokumentiert. Auch aus Ugarit sind Briefübungen bekannt (KTU 5. 9–11). Der Schreiber nimmt also den mündlich von einer Partei geschilderten Sachverhalt schriftlich auf – dokumentiert etwa in der hebräischen Petition aus Mesad Oašabyahu (MHas(7):1)63 – und führt die Korrespondenz. So fügen sich die hebräisch erhaltenen Übungen der Briefpräskripte aus Kuntillat ‘A~rud (KAgr(9):8 f.) in den internationalen Kontext ein. Dass Mathematik – wie in Mesopotamien von Anfang an – zu den Fähigkeiten der Schreiber gehört haben muss, zeigen die Ziffern und Zahlenübungen aus Qadeš Barnea/T. Quderat oder Arad.64 Der bereits erwähnte Lachisch-Brief Nr. 3 (Lak(6):3) weist auch darauf hin, dass die Memorierfähigkeit zu den Grundfähigkeiten der Verwaltungs- und Militäreliten gehörte: Der Absender rechtfertigt sich, dass er jeden Brief, den er gelesen habe, Zeile für Zeile wiederholen könne (Z. 8–13).65 Somit gibt es – ohne jede Berücksichtigung der Traditionsliteratur – einen klaren Hinweis auf eine Kultur des Memorierens – und damit auch der Mündlichkeit. Schon die genannten Briefübungen zeigen, dass zu den Fähigkeiten der Schreiber auch die Erstellung literarisch anspruchsvollerer Texte gehörte. Aus Mesopotamien ist das Üben solcher Texte ohnehin bekannt. Die noch zu nennenden Übungen von Königs-, Grab- oder Weihinschriften auf Ostraka sind solche Literaturübungen.66 Die merkwürdige dreizeilige Inschrift auf einem SCHNIEDEWIND, Sociolinguistic Reflections on the Letter of a ‚Literate‘ Soldier (Lachish 3), in: ZAH 13 (2000), 157–167. 61 HAE II/1, 22–24 und besonders A. LEMAIRE, Les écoles et la formation de la bible (OBO 39), Fribourg, Göttingen 1981. Neuerdings CH. A. ROLLSTON, Scribal Education in Ancient Israel. The Old Hebrew Epigraphic Evidence, in: BASOR 344 (2006), 47–74. 62 Zum Folgenden J. RENZ, Beitrag, 137–139 mit Literatur. 63 HAE I, 315–329. 64 HAE I, 295f.; 339–343 und J. RENZ, Beitrag, 136. 65 Ähnliches findet sich in Mesopotamien, etwa aus der é-dub-ba-a Literatur dem „Streit zweier Schüler“ (E7 = Dialog 1) Z. 55: „You may recite from the scribal art (nam-dub-sar-ra) but you cannot place it in its (right) place“ (A. W. SJØBERG, The Old Babylonian Edubba, in: S. J. LIEBERMAN (Hg.), Sumerological Studies in Honor of Thorkild Jacobsen on his Seventieth Birthday, June 7, 1974 (AS 20), Chicago 1975, 159–179: 163, 172). 66 Dazu unten Abschnitt 3.6.4 Teil b.
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Vorratskrug aus Jerusalem aus der 2. Hälfte des 7. Jh.s, die J. Naveh im Jahre 2000 publiziert hat,67 enthält eine recht parallel gestaltete, fast poetische Aufzählung dreier Personengruppen, deren Reichtum bzw. Armut dreifach gesteigert erscheint: Jeweils nach der Nennung des Personennamens erfolgt die Charakterisierung: 1 2 3
tbxs jrsh @sk snkh [bhz] snkh
„der mit zerrissenen Lumpen“ „der Silber sammelt“ „der Gold sammelt“
mit Anklängen an Qoh 2,3 oder auch an die Kennzeichnung des Verstorbenen in der Grabinschrift Kom(8):3 als „Uria der Reiche“. Man könnte fast an eine Stilübung denken. Der Überblick über die Schriftgeschichte zeigte auch, wie Schreiber arbeiteten und lernten. Die Texte sind sehr einheitlich geschrieben. Die Buchstabenformen einer Epoche gleichen sich. Die sehr einheitliche Orthographie und die recht durchschaubaren Gesetzen folgende paläographische Entwicklung sind ohne eine unterstellte Professionalität des Schreibens nicht erklärbar.68 Dazu gehört eine entsprechende, durchaus zeitaufwendige Ausbildung. Nur die wenigsten konnten schreiben. Die gezeigten Abhängigkeiten und Übernahmen von Schreibergewohnheiten aus anderen Regionen Israel-Judas zeigen auch, dass es ein ausgeklügeltes System von Schreiberausbildung gegeben haben muss: als Gruppenbildung einerseits und Traditionsaustausch andererseits. Hierher gehört auch die deutliche Unterscheidung der israelitisch-judäischen, also hebräischen, Schreibertradition von derjenigen der Umwelt. In einem allgemeinen Sinne kann dies dann als „Schule“ bezeichnet werden, geprägt von gemeinsamer Ausbildung mit Traditionsweitergabe in einem Lehrer-Schüler-Verhältnis. Wie dies organisiert war, ob als Schule oder einfacheres Famulus-System, das der handwerklichen Ausbildung ähnelt, ist aus den Texten der Epigraphik kaum ersichtlich. Aus dem 7. Jh. stammt ein Text, der insofern ein deutliches Schlaglicht auf die Verbreitung der Schreibfähigkeit wirft, als diese Urkunde von mehreren Personen geschrieben ist: NEE Nr. 7969 stellt eine Lieferliste dar, auf deren 67 J. NAVEH, Hebrew and Aramaic Inscriptions, in: T. ARIEL (Hg.), Excavations at the City of David 1978–1985. Bd. VI. Inscriptions (Qedem 41), Jerusalem 2000, 1–14: 2f.; vgl. J. RENZ, Dokumentation neuer Texte, in: ZAH 14 (2001), 91f. 68 HAE II/1, 95–208; J. RENZ, Schrift und Schreibertradition, passim; CH. A. ROLLSTON, Scribal Education, 48f.; 60f.; 66f.; zur Technik besonders auch R. G. LEHMANN, Typologie und Signatur. Studien zu einem Listenostrakon aus der Sammlung Moussaieff, in: UF 30 (1999), 397–459. 69 R. DEUTSCH/M. HELTZER, NEE Nr. 79; vgl. J. RENZ, Schrifttypologie und Handschrift. Eine synchrone Studie der Inschrift DEUTSCH/HELTZER 1995, Ostrakon Nr. 4 im Kontext gleichzeitiger Inschriften, in: ZDPV 115 (1999), 127–162; R. G. LEHMANN, Typologie und Signatur, passim.
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Vorderseite jeder der Empfänger eine Geldlieferung eigenhändig mit seinem Namen, meist gefolgt vom Patronymikon, quittierte. Es handelt sich durchweg um öffentliche Funktionsträger, nicht etwa um einfache Soldaten oder dergleichen. Unter diesen Funktionären gab es offenbar die Fähigkeit, den eigenen Namen zu schreiben, vielleicht auch, einfache Texte zu lesen. Allzu verbreitet war die Schreibfähigkeit wohl trotzdem nicht: Für mehrere der Genannten musste ein anderer, etwa deren Adjutant, unterzeichnen.70 Gerade auf der Vorderseite fällt auch die oftmals ungeübte Schrift auf. Paläographisch und damit auch soziologisch interessant ist dabei, dass eine solche Inschrift eine deutlich höhere Variabilität der Buchstabenformen aufweist, als dies bei einem Text der Fall ist, der von einem einzigen Schreiber geschrieben wurde. Zur Schreiberausbildung gehört eine bestimmte „Schule“, im übertragenen Sinne gemeint, die eine bestimmte Handschrift zur Folge hat. Gleichzeitig aber entsprechen die Buchstabenformen der Inschrift genau dem, was in den übrigen gleichzeitigen Inschriften nachweisbar ist; es gibt ein kontemporäres Buchstabenreservoir, das sich aus praktischen Entwicklungen, aber auch der Mode und dem Zeitgeist ergibt, aus dem die Schreiber und Schreiberschulen je konkret schöpfen können. 3.6. Der grundsätzliche Charakter des Geschriebenen 3.6.1. Die Anfänge der Schriftlichkeit Wie bereits beim absoluten Anfang der Schriftlichkeit in Mesopotamien, so gehören auch die ersten althebräischen Texte des 10. und 9. Jh.s v. Chr. zu den Wirtschafts- und Verwaltungstexten. Typischerweise gehören von Anfang an Texte der Schreiberausbildung dazu, wie dies für den Gezer-Kalender gegolten haben dürfte.71 Erst mit dem Ende des 9. Jh.s – markiert durch die Inschriften von Kuntillat ‘A~rud – setzen auch primär religiöse Texte ein, oft wiederum als Übung.72 Wirtschafts- und Verwaltungstexte stellen auch in der Folgezeit die Masse der Texte dar: Zunächst a) die bereits genannten beschrifteten Gegenstände – Inhalts-, Eigentums-, Herkunfts- und Zielangaben –, dann b) kleinere Ostraka als Einzelurkunden – Begleitpapiere zu Warenlieferungen oder als kurze Eingangs- oder Ausgangsvermerke der Verwaltung – 70
Unterschrieben wurde in Z. 7 nur mit dem Titel r[n + Personenname und dreimal, in den Zeilen 6, 8 und 14, mit l + PN, als „für“, d. h. „in Stellvertretung für NN“. Auf der Rückseite, die einheitlicher geschrieben ist, hat dann wohl eine einzige Person für die ganze Gruppe, in der Überschrift wohl als rxb „Elitetruppe“ bezeichnet, gezeichnet. 71 Gez(10):1 (HAE I, 30–37); vgl. auch das neu entdeckte Alphabet aus Tel Zayit bei R. E. TAPPY u. a., An Abecedary of the Mid-Tenth Century B.C.E. from the Judaean Shephelah, in: BASOR 344 (2006), 5–46. 72 HAE I, 47–64; zur religionsgeschichtlichen Beurteilung auch O. KEEL/CH. UEHLINGER, Göttinnen, Götter und Gottessymbole (Questiones disputatae 134), Freiburg u. a. 1992, 237– 270.
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sowie fiskalische Siegel und schließlich c) größere Ostraka als umfangreichere Liefer- und Rationenlisten, auch reine Personenlisten. Es folgen Briefe, die überwiegend der Militärverwaltung angehören, und wenig Material aus dem Rechtsbereich, wozu letztlich auch die zahlreichen Siegel gehören, insofern sie die Eigentumszugehörigkeit oder die Authentizität einer Urkunde dokumentieren.73 Schriftlichkeit ist also zunächst auf die Verwaltung und die zugehörige Ausbildung beschränkt. Geschrieben wird das, was man sich nicht merken kann oder will: Alltägliches und Vergängliches, das, wie Lieferlisten oder Lieferscheine, sofort nach Abschluss der Transaktion seine Bedeutung verloren hat – spätestens bei der nächsten Monats- oder Jahresabrechnung – und allenfalls archiviert wird – wie etwa die Samaria-Ostraka;74 auch Briefe und Notizen, die kompliziertere Vorgänge oder, wie viele Lachisch- und Arad-Ostraka, mehrere Vorgänge enthalten, die durch Auswendiglernen nicht mehr sicher beherrschbar sind. So steht man vor dem Problem, dass ausgerechnet die von den Zeitgenossen als existentiell wichtig eingestuften Texte nicht erhalten sind, während das Vorläufige – Übungen, Notizen, Kurzbriefe, Aktenvermerke, Begleitpapiere – noch zur Verfügung steht. 3.6.2. Die mündliche Tradition Deutlich wird, dass zu Anfang nicht Literatur aufgeschrieben wird. Der Blick nach Mesopotamien an den absoluten Anfang der Schriftkultur macht deutlich, dass religiöse Traditionen der vorschriftlichen Traditionsstufe angehören. Die ersten schriftlichen Zeugnisse sumerischer Literatur zeigen, dass diese sofort voll ausgeprägt war, was ohne Vorlauf in der mündlichen Traditionsphase nicht erklärbar wäre. Auf diese gibt es Hinweise: Gerade die kontemporären kathedralenartigen Tempel der Späturuk-Zeit lassen auf eine ausgeprägte Tempelliturgie schließen, die ohne mythische Texte, Ritualbeschreibungen, Hymnen etc. kaum ausgekommen sein wird; Darstellungen von Prozessionen und Gabenszenen auf den frühen Rollsiegeln Mesopotamiens weisen in dieselbe Richtung; die Abbildung von Szenen aus Mythen und Epen (auch Götterreisen, Heldenerzählungen usw.) auf demselben Siegeltypus können als Beleg dafür dienen, dass solche Texte längst bekannt waren, bevor sie verschriftlicht wurden.75 73
Vgl. die Gattungszusammenstellung in HAE II/1, 4ff. HAE I, 79–109; HI, 423–492. 75 Tempel der Späturukzeit: E. HEINRICH, Architektur von der früh- bis zur neusumerischen Zeit, in: W. ORTHMANN (Hg.), Der Alte Orient (PKG 14), Berlin 1975, 131–158: 142–145; A. MOORTGAT, Kunst 22–28; B. HROUDA, Vorderasien I. Mesopotamien, Babylonien, Iran und Anatolien (Handbuch der Archäologie), München 1971, 80–83. ‘Obedzeitliche Vorläufer in Eridu, Tepe Gaura u. a.: E. HEINRICH, Architektur, 140–142; A. MOORTGAT, Kunst, 22–26; HROUDA, Vorderasien, I 63–68. – Rollsiegel und Flachbildkunst der frühsumerischen Zeit (vor ¢emdet Nasr): HROUDA, Vorderasien, I 83–85; R. M. BOEHMER, Glyptik von der frühsumeri74
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Man wird also hinter der vorschriftlichen Zeit eines Kulturraumes nicht gar zu schnell ein textloses, traditionsloses Zeitalter sehen dürfen – bei aller methodologisch gebotenen Vorsicht gegenüber dem in vergangenen Zeiten manchmal überschwänglichen Vertrauen in die Rekonstruierbarkeit vorschriftlicher Traditionen. Beim Einsatz der Verschriftlichung sind die Traditionen jedenfalls voll ausgeprägt vorhanden. Dass es bereits im 9. Jh. auch in Palästina „literarische“ Tätigkeit im weiteren Sinne als Produktion von Literatur gab, zeigt der Vorläufer der BileamLegende aus T. Der ‘Alla.76 Auch hier steht sofort ein fertiges umfangreiches Gebilde am Anfang der schriftlichen Tradition, die ohne Produktions- und Kompositionsarbeit im Vorfeld nicht denkbar ist. Literatur – verstanden als Produktion literarischer Texte – und Poetik wird man so von der Schreibfähigkeit zunächst trennen müssen. Mesopotamien gibt auch einen Hinweis darauf, dass Literatur zu einem Zeitpunkt verschriftlicht werden kann, zu dem die Blütezeit dieser Literatur bereits ihrem Ende entgegengeht: Sumerische Literatur wird überwiegend nach dem Aussterben dieser Sprache geschrieben. Aus alledem folgt somit, dass der eigentlichen literarischen Phase zunächst eine Zeit der a-literarischen Schriftlichkeit vorausgeht, zu der Schriftlichkeit bei Verwaltung und Schule und überwiegende Mündlichkeit im Literaturbeschen bis zum Beginn der altbabylonischen Zeit, in: PKG 14, 213–241, speziell 222–226 Nr. 125–126; Abb. 39–40; D. P. HANSEN/J. BÖRKER-KLÄHN, Frühsumerische und frühdynastische Flachbildkunst, in: PKG 14, 179–193, speziell 182f. Nr. 69 und Abb. 33 (Warka-Vase); allgemein D. COLLON, Catalogue of the Western Asiatic Seals in the British Museum. Bd. 1, London 1962, und DERS., First Impressions. Cylinder Seals in the Ancient Near East, London 1987, besonders 13–19; A. GREEN, Myths in Mesopotamian Art, in: I. L. FINKEL/M. J. GELLER (Hgg.), Sumerian Gods and their Representations (Sumerian Monographs 7), Groningen 1997, 135–158. Immer wiederkehrende Motive weisen auf den Kultbetrieb (Tempel, heiliger Schrein mit Göttersymbol; heilige Herde [wobei oftmals allerdings einfach der agrarische Bereich der sumerischen Tempelwirtschaft gemeint ist (D. COLLON, First Impressions, 15)]; [oft prozessionsartige] Darbringungen von Gaben an die Gottheit im Tempel; Prozessionen zu Schiff mit heiligem Schrein, Göttersymbol und Gaben zu einem größeren Tempel; Festdarstellungen mit Musik), aber auch die Mythologie (Mischwesen, Göttersymbole; Kampf des Priesterfürsten/ Helden gegen feindliche Tiere; Jagdmotiv; Kampf gegen Feinde; Götterreisen in der Prozessionsbarke). Mischwesen sind bereits ‘obedzeitlich auf Stempelsiegeln nachweisbar (B. HROUDA, Vorderasien, I 69). 76 J. HOFTIJZER/G. VAN DER KOOIJ, Aramaic Texts from Deir ‘Allam, Leiden 1976, vgl. u. a. H. und M. WEIPPERT, Die ‚Bileam‘-Inschrift von Tell Deir ‘Alla, in: ZDPV 98 (1982), 77–103; M. WEIPPERT, The Balaam Text from Deir ‘Alla and the Study of the Old Testament, in: J. HOFTIJZER/G. VAN DER KOOIJ (Hgg.), The Balaam Text from Deir ‘Alla Re-evaluated, Leiden u. a. 1991, 151–184; A. LEMAIRE, Les inscriptions sur plâtre de Deir ‘Alla et leur signification historique et culturelle, ebd., 33–57 (Lit.); J. HOFTIJZER, Der Text von Deir ‘Alla, in: TUAT II, Gütersloh 1991, 138–148; G. A. RENDSBURG, The Dialect of the Deir ‘Alla Inscription, BiOr 50 (1993), 309–328; A. SCHÜLE, Die Syntax der althebräischen Inschriften (AOAT 270), Münster 2000, 28f. und passim.
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reich parallel laufen. Erst davor kommt offenbar die rein mündliche, vorschriftliche Zeit. Unterstrichen wird diese Problematik schließlich durch die äußere Form der beschrifteten Gegenstände: Als Vortragsmanuskript etwa wären die wenigsten geeignet gewesen. Die extrem kleine Schrift auf ebenso kleinen Keilschrifttafeln macht ein öffentliches Vorlesen literarischer Texte bei Prozessionen und ähnlichen öffentlichen Anlässen fast unmöglich – faktisch wird der Vortrag auswendig gewesen sein. Anders dagegen die Situation des Schreibers am Hofe: Die bekannten Abbildungen von Schreibern, die mit ihren Klapptafeln vor dem Herrscher stehen,77 zeigen, dass die Verwaltung tatsächlich auf Diktat einerseits und dem Vorlesen archivierter Urkunden andererseits basierte: In der Verwaltung und dem damit zusammenhängenden Archivwesen herrscht echte Schriftlichkeit. 3.6.3. Vorliterarische Schriftlichkeit Diese vorliterarische Schriftlichkeit ist überwiegend in den Texten der althebräischen Epigraphik dokumentiert. Zunächst wären zwei Formen einer Übergangsstufe an der Schwelle hin zur Schriftlichkeit festzuhalten: Das bereits erwähnte, noch vorfrühdynastische Stichwortkonzept für einen epischen Vortrag aus Mesopotamien78 und aus Juda die nach Diktat von einem Beamten aufgezeichnete Petition von Mesad Oašabyahu.79 Beide dokumentieren eigentlich mündliche Rede bzw. bringen sie hervor. Daneben aber gehören besonders die religiösen Texte der vorexilischen außeralttestamentlichen Tradition, obwohl niedergeschrieben, noch der vorschriftlichen Stufe an – besonders kleinere Texte, die nicht einfach die Aufgabe des Gegenstandes, auf dem sie sich befinden, beschreiben, sondern die eigenständig als Text verstanden werden können, deren beschrifteter Gegenstand in erster Linie die Funktion eines bloßen Schriftträgers besitzt. Dies gilt für einfache Fluch- und Segensformeln, wenn sie unabhängig von einer anderen Gattung öffentlich sichtbar an Wände von Felsen oder Gräbern angebracht werden, etwa auf dem Stalaktiten von En-Gedi oder den Texten aus %. Bet Layy und %. al-Kom.80 Die ausführlicheren Monumental-Inschriften A–C aus %. Bet Layy81 enthalten den Lobpreis Gottes in fest gefügter Sprache mit stehenden Epitheta so77 Til Barsip und Zincirli; zusammengestellt bei A. LEMAIRE, Art. Scribes I. Proche Orient Ancien; II. Ancien Testament – Ancien Israël, in: DBS XII, 1992, 244–266: 247, 251. 78 Siehe oben Abschnitt 2.3. 79 HAE I, 323. 80 HAE II/1, 29–32; J. NAVEH, Hebrew Graffiti from the First Temple Period, in: IEJ 51 (2001), 194–207; J. RENZ, Dokumentation neuer Texte, in: ZAH 15/16 (2003/2003), 179–181. 81 HAE I, 242–249; P. SÄRKIÖ, Hilferuf zu Jahwe aus dem Versteck. Eine neue Deutung der Inschrift yšr mHr aus %irbet Bet Ley, in: ZDPV 113 (1997), 39–60.
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wie die Bitte um Vergebung in einer Terminologie, die an die alttestamentliche Gnadenformel Ex 34,6f. erinnert. So steht chiastisch im Parallelismus Inschrift Nr. A: #rah lk yhla hwhy ~lXry yhlal hdwhy yrh
„Jahwe ist der Gott der ganzen Erde die Berge Judas gehören dem Gott Jerusalems“
ebenfalls parallel Inschrift Nr. B: !nx la / hy dqp hwhy / hy hqn
„schreite ein, Jah, gnädiger Gott erkläre straffrei, Jah, Jahwe“
Im selben Kontext erscheint schließlich der Hilferuf in Inschrift Nr. C: hwh [y] [Xwh
„errette, Jahwe“
All’ diese Texte kennt man auswendig; sie entstammen der mündlichen Tradition; ein Schriftkundiger hat sie aufgeschrieben – teilweise für eine größere Gruppe von Menschen und oft in einer von dieser Gruppe aufgesuchten (Grab-)Höhle. Sie werden – manchmal offenbar in einer Notsituation – öffentlich niedergeschrieben, um deren Wirksamkeit zu unterstützen oder zu erhöhen.82 Dass Schrift hier Wirksamkeit bedeutet, ist am besten an den Fluchformeln erkennbar, die demjenigen, der die Inschrift löscht oder ändert, den Untergang ansagen.83 Später wird diese Wirksamkeit an beschrifteten Amuletten deutlich, wie etwa den Silberröllchen von Ketef Hinnom, die Texte aus dem aaronitischen Segen enthalten.84 Die Lesbarkeit durch den Menschen steht offensichtlich nicht im Vordergrund: Die Sichtverhältnisse in Grabhöhlen sind oftmals so schlecht, dass bereits bei der Anbringung zahllose Striche mehrfach gesetzt wurden.85 Die extrem kleine Schrift der Silberröllchen von 82 Zur Situation – vielleicht während der Belagerung Jerusalems 701 – vgl. besonders S. MITTMANN, A Confessional Inscription from the Year 701 BC Praising the Reign of Yahwe, in: ActAc 21 (1989), 15–38, besonders 29–38; P. SÄRKIÖ, Hilferuf, passim; ähnlich bereits J. NAVEH, Old Hebrew Inscriptions in a Burial Cave, in: IEJ 13 (1963), 74–92, speziell 90–92. – Zur Sache siehe besonders W. M. SCHNIEDEWIND, How the Bible Became a Book. The Textualization of Ancient Israel, Cambridge 2004, 24–34 („The Numinous Power of Writing“). 83 Zusammengestellt HAE II/1, 33 Nr. 33. 84 Zu einer von HAE I, 447ff. vorgeschlagenen nachexilischen Datierung vgl. etwa A. LEMAIRE, Rezension zu HAE, in: BiOr 54 (1997), 161–166: 165 und besonders G. BARKAY u. a., The Challenges of Ketef Hinnom. Using Advanced Technologies to Reclaim the Earliest Biblical Texts and their Context, in: NEA 66/4 (2003), 162–171; G. BARKAY u. a., The Amuletts from Ketef Hinnom. A New Edition and Evaluation, in: BASOR 334 (2004), 41–71. Der Text dürfte, wenn nicht ans Ende der vorexilischen, so doch zumindest in die unmittelbar folgende exilische oder frühnachexilische Zeit gehören – G. I. DAVIES, in: AHI 2, 232 erwägt das 6. Jh. Die Paläographie ist nach den neuesten, hochauflösende Spezialkameras verwendenden Untersuchungen durch Barkay etc. noch spätvorexilisch denkbar, die Orthographie spricht nach jetzigem Kenntnisstand eher für eine etwas spätere Periode (das Problem wird auch von G. BARKAY u. a., Amuletts, 52–54 gesehen). Derzeit fehlen leider datierte Referenztexte für die exilisch-nachexilische Zeit. 85 Vgl. die Situation in den Gräbern von %. al-Kom (HAE I, 202f. [Lit.]).
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Ketef Hinnom wäre erst nach dem – eigentlich zerstörenden – Entrollen des Amuletts sichtbar. Als Adressat hat man sich allenfalls die Gottheit vorzustellen. Hier bleibt die auffällige Tatsache, dass das kurze, oft vierzeilige poetisch prägnant formulierte Prophetenwort der dem 8. Jh. zugeschriebenen Propheten gattungsmäßig mit den hier genannten kurzen Sprüchen verwandt ist – auch angesichts verschiedener Neudatierungen prophetischer Worte. Für die meist zweigliedrigen Proverbien der älteren Spruchsammlung gilt Vergleichbares, für liturgische Kurzformeln und Ähnliches ohnehin. Die kurzen Texte sind prägnant formuliert, oft poetisch, auch bei den großen Inschriften A und B aus %. Bet Layy durchaus im Parallelismus. Sie sind eigentlich noch mündlich überlieferbar – und im Falle der epigraphischen Zeugnisse zunächst auch mündlich tradiert worden.86 3.6.4. Literarische Schriftlichkeit Erst, wenn schriftliche Redaktions- und Kompositionstechniken angewandt werden, kann von literarischer Schriftlichkeit die Rede sein. Für diese echt schriftlich-literarische Tätigkeit gibt es auch unter den epigraphischen Zeugnissen Beispiele. a. Die Siloah-Inschrift mit ihrem relativ guten anekdotischen Stil galt schon immer als Beispiel für einen chronikartigen Text, der sorgfältig von Schreibern bzw. Hofbeamten schriftlich formuliert wurde. Auch wenn der Text wohl nicht einer Chronik entstammt, so ist er doch von Schreibern konzipiert worden, die ebensolche Chroniken herstellen.87 Für jede größere Monumentalinschrift – Bau- oder Königsinschrift – gilt, dass sie sozusagen am Schreibtisch konzipiert wurde, bevor der – i. d. R. gar nicht schriftkundige – Steinmetz sie nach Vorlage in den Stein meißeln konnte.88 Hier liegen neben den bekannten moabitischen und ammonitischen Inschriften sowie der Bileam-Inschrift aus T. Der ‘Alla nunmehr aus Israel-Juda überwiegend Bruchstücke solcher Steininschriften vor.89 Elemente
86 Dies gilt besonders für die Inschriften KAgr(9):6; 7; 10; Kom(8):3 (bes. Z. 3, die an die Feindklage der Psalmen erinnert: hl [Xwh htrXal hyrcmw „und von seinen Feinden hat er ihn durch seine Aschera gerettet“ [J. NAVEH, Hebrew Graffiti, 196f. zieht htrXal zu Z. 2]); BLay(7):1; 2; 3 (Hilferuf hwhy [Xwh); Jer(x):35f.; J. NAVEH, Hebrew Graffiti, 194–207. 87 Zum Ganzen vgl. HAE I, 182 (Lit.). 88 Nachweisbar ist diese Technik z.B. an den in Meißeltechnik auf Gefäßen angebrachten Inschriften, die paläographisch stark kursive Züge aufweisen (HAE II/1, 99f.; J. PRIGNAUD, Scribes et graveurs à Jerusalem vers 700 av. J.-C., in: R. MOOREY/P. PARR [Hgg.], Archaeology in the Levant. FS. K. Kenyon, Warminster 1978, 136–148: 143–145; J. RENZ, Dokumentation neuer Texte, in: ZAH 14 [2001], 89f.). 89 Vgl. die Zusammenstellung HAE II/1 2f.; 29–32; J. RENZ, Dokumentation neuer Texte, in: ZAH 15/16 (2002/2003), 179–181.
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einer Bauinschrift zeigt das Fragment vom Ophel aus dem 7. Jh. Jer(7):39:90 Die erhaltenen Worte [..]zl txtm[..] [..] ~ymh $r[a ..] [..]h ytkryb [..] [..]skh xsn[..]
„[…] unter dem […]“ „[…] das Wasser […]“ „[…] im Innern von […]“ „[…] ausreißen […]“
weisen in diese Richtung. Poetische Klänge zeigt auch das Bruchstück Jer(8):32, eine Steinplatte, die ursprünglich an einem Gebäude angebracht war, dort Z. 3: [..] rX[ [bXb [..]
„Reichtum im Überfluß“.91
Die beiden zusammengehörigen Zeilen 2 und 3 der bekannten Uriah-Inschrift aus %. al-Kom sind ebenfalls vorkonzipiert worden.92 Chiastisch aufgebaut lauten sie: hwhyl whyra $rb hl [Xwh htrXal hyrcmw
„Gesegnet war ’Uriyahu vor Jahwe. Und von seinen Feinden hat er ihn durch seine Aschera errettet“
b. Die auf Ostraka mit Tinte geschriebenen Texte, die als Entwurf von Monumentalinschriften oder Teilen davon eingestuft werden müssen, geben Hinweis und Einblick in die Tätigkeit der Literaturproduzenten: der Entwurf einer möglichen Königsinschrift Arad(7):88, wo vom Regierungsantritt eines Königs, einem Truppenaufgebot und dem König von Ägypten die Rede ist;93 auch der rückblickende, chiastisch formulierte Dank in KAgr(9):10 – vielleicht als Entwurf für eine entsprechende (Monumental-)Inschrift:94 [..hta ] !nt / Xam laXy rXa lk hbblk / why hl !tnw „Mit allem, was er erbat von irgendjemandem, hat man ihn gnädig bedacht […], und Jahwe hat ihm gemäß seinem Wunsche gegeben“ Objekt – Prädikat // Prädikat – Objekt
Ebenfalls aus Kuntillat ‘A~rud stammen die phönizisch geschriebenen Entwürfe poetischer Gottesprädikationen (KAgr(9):7):95 [...] ~rh !smyw[...] la xrzbw [...] [... hm]xlm ~yb l[b $rb [...] [... hm]xlm ~yb la ~Xl [...]
90
HAE I, 266f. HAE I, 190f. 92 HAE I, 208–210. 93 HAE I, 302–304. 94 HAE I, 63f. 95 HAE I, 59; HI, 286–289. 91
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„und beim Aufstrahlen Gottes/Els [...], da zerflossen die Berge“ „Gepriesen sei Baal am Tage des Krieges“ „durch den Namen Gottes/Els am Tage des Krieges“
Den Charakter einer Stilübung könnte der bereits zitierte dreizeilige Text aus Jerusalem haben, der die verschiedenen Stufen von Reichtum bzw. Armut aufzählt.96 Der Sinn der durchaus poetisch anmutenden Gefäßinschrift Nr. 2 aus %. al-Åazza (AHI 37.006f.; HI Uza 2) ist leider wegen des fragmentarischen Charakters der Inschrift nicht erkennbar. c. Das Zusammenfassen kleinerer Einheiten zu großen Kompositionen ist in Mesopotamien gut zu beobachten; im Bereich der palästinischen Epigraphik gibt es zu wenige Belege. d. Die relativ große Zahl mit Siegelabdrücken versehener Bullae weist auf eine ähnlich große Anzahl von damit gesiegelten Papyrusdokumenten hin – zumal meist auf der Rückseite der Bullae noch Abdrücke des Papyrus nachweisbar sind.97 Die Papyrusdokumente selbst konnten im palästinischen Klima nicht überleben. Auf diesem Material konnte dann auch ausführlicher formuliert werden; umfangreiche Briefe, Rechtsurkunden, aber auch literarische Texte sind hier zu vermuten. Einen recht deutlichen Hinweis auf die Existenz von Archiven geben die Hortfunde der Bullae, die zeigen, dass eine große Zahl von Papyrusdokumenten gleichzeitig in einem Raum gelagert oder bearbeitet wurde.98 Die Zahl dieser Bullae steigt im 7. Jh. überproportional an. Aus dem 8. Jh. sind insgesamt recht wenige Bullae erhalten; die Zahl sinkt nochmals deutlich, wenn man nur diejenigen berücksichtigt, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vor dem letzten Viertel des 8. Jh.s entstanden sein können:
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Dazu oben Abschnitt 3.5. Zur Technik vgl. besonders CWSSS, 31ff.; B. BRANDL, Bullae with Figurative Decoration, in: T. ARIEL (Hg.), Excavations, 58–74; HAE II/2, 91. 98 Hortfunde von Bullae sind aus dem beginnenden 6. Jh. in Lachisch (CWSSS, 167 [Lit.] und ff.; R. HESTRIN u. a., Inscriptions Reveal, Jerusalem 1973 [IR] Nr. 26–31) und Jerusalem (Davidsstadt; Y. SHILOH, A Group of Hebrew Bullae, in: IEJ 36 [1986], 16–38; Y. SHOHAM, Hebrew Bullae, in: D. T. ARIEL [Hg.], Excavations, 29–57) archäologisch erwiesen. Weitere Hortfunde stammen aus dem 7. Jh. (N. AVIGAD, Hebrew Bullae From the Time of Jeremiah, Jerusalem 1986 [HBTJ]) und 8./7. Jh. (R. DEUTSCH, A Hoard of Fifty Hebrew Bullae, 45–98; mit mehrfacher Nennung des Königsnamen Hiskia). Die Bullae aus Lachisch wurden alle in einem Krug gefunden, offenbar nach dem Erbrechen der Siegel dort gesammelt, nachdem die Dokumente selbst gelesen waren (CWSSS, 167; IR, 36f.). 97
Die vor- und außerliterarische Texttradition Gesamtzahl99 davon Bullae
944 368 = 38,9%
Gesamtzahl 8. Jh. davon Bullae Bullae vor dem Ende des 8. Jh.s
278 23 = 8,2% 9
Gesamtzahl 7./6. Jh. davon Bullae
666 345 = 51,8%
79
Diese Entwicklung würde durchaus zum Gesamtbild passen, nach dem erst ab dem ausgehenden 8. Jh. die Herstellung umfangreicherer Texte an Bedeutung zunimmt. e. Ein scheinbar vordergründiges Charakteristikum aller nordwestsemitischer Texte, die in Alphabetschrift geschrieben sind, gewinnt in diesem Zusammenhang an Bedeutung: Die Texte sind unvokalisiert, zumindest im Wortinnern weitgehend defektiv geschrieben; ihre Schrift wurde zudem eigentlich für das Phönizische entwickelt, so dass nicht einmal die vorhandenen Konsonantenzeichen alle Laute der jeweiligen Einzelsprachen abdecken können. Solcherart schriftlich fixierte Texte unterliegen zahlreichen Mehrdeutigkeiten, die bis an die Grenze der Unverständlichkeit reichen können – die meisten epigraphischen Zeugnisse unterliegen dieser Problematik. Ohne parallel laufende mündliche Lese-Tradition, die die Vokalisierung einschließt, wären kompliziertere literarische Texte nicht verstehbar. Auch die Erfindung von Briefen hat den Boten ja nie ersetzt – den Boten, der mehr als nur Briefträger war.100 Selbst das moderne Zeitungsarabisch oder -hebräisch als Vertreter rein schriftlicher Tradition kann als unvokalisierte – oder besser gesagt postvokalische – Schrift nicht auf die Verwendung einzelner Vokalisierungszeichen ver99 Die folgende Zusammenstellung bezieht sich auf die in HAE II/2 zusammengestellten Siegel und Siegelabdrücke ohne die fiskalischen Siegel. Leichte Verschiebungen gegenüber HAE ergaben sich nur dadurch, dass die bei A. G. VAUGHN, Palaeographic Dating of Judean Seals and Its Significance for Biblical Research, in: BASOR 313 (1999), 43–64: 48–51 zusammengestellten Krugstempel, die auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu den so genannten lmlk-Krügen ins ausgehende 8. Jh. zu datieren sind, hier konsequent dem 8. Jh. zugewiesen sind, während sie in HAE des öfteren als Inschriften des 7. Jh.s erscheinen. Als Bullae des 8. Jh.s erscheinen somit: 1.33; 3.27f.; 4.2; 8.19; 8.32; 8.38; 10.26; 10.97; 10.49; 10.99; 11.1; 13.4f.; 14.7; 14.26f.; 16.40; 16.65; 17.36; 18.7f.; 48.1. Vor dem Ende des 8. Jh.s könnten die Nr. 1.33; 4.2; 8.38; 10.49; 11.1; 13.4f.; 14.7; 14.27 zu stehen kommen. 100 Zur Botenformel in althebräischen Briefen vgl. HAE II/1, 9–13; D. SCHWIDERSKI, Handbuch des nordwestsemitischen Briefformulars. Ein Beitrag zur Echtheitsfrage der aramäischen Briefe des Esrabuches (BZAW 295), Berlin, New York 2000, besonders 28–45; zusammenfassend 270f.; zur Umwelt 277ff.; zum Problem vgl. neuerdings A. WAGNER (Hg.), Bote und Brief. Sprachliche Systeme der Informationsvermittlung im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Symposion des Interdisziplinären Arbeitskreises Nordostafrikanisch/Westasiatische Studien (IAK-NWS) der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz 1999, Frankfurt 2003.
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zichten; klar definierte Pleneschreibungen langer Vokale bieten eine Hilfestellung, die in eisenzeitlichen Texten erst ansatzweise im Entstehen begriffen war. Was für das rudimentäre Sumerisch der Anfangszeit der Schrifttradition gilt, spielt noch über zwei Jahrtausende später eine Rolle: Ohne Mündlichkeit sind die Texte nicht eindeutig verstehbar. Erst in einer hier nicht mehr interessierenden Zeit gewinnt dann das – ausdrücklich auch öffentlich vorgelesene – Buch theologische Bedeutung. Hier hilft dann auch die mittlerweile fortgeschrittene Entwicklung von Pleneschreibungen, auch archivierte Texte unabhängig von mündlicher Aussprachetradition verstehbar zu machen. Auffällig bleibt, wie in den Inschriften des beginnenden 6. Jh.s – also den großen Arad- und Lachisch-Ostraka – Pleneschreibung im Wortinnern zwar langsam zunimmt, insgesamt aber nur so vereinzelt auftritt, dass sie kaum eine Hilfe darstellt – langes o wird konsequent defektiv geschrieben, langes i und u erscheinen überwiegend da plene, wo ohnehin eine Wurzel mediae oder primae y/w zu Grunde liegt – und dies keineswegs konsequent, nicht einmal in der überwiegenden Zahl der Fälle.101
4. Die althebräischen Textgattungen im Verhältnis zu ihrer Umwelt Nur angedeutet werden kann ein kurzer Blick auf die Textgattungen, die fehlen oder nur sehr schwach vertreten sind. Dass umfangreiche Mythen und Epen – mit Ausnahme der früharamäischen Bileam-Inschrift aus T. Der ‘Alla – weitgehend fehlen, hängt sicher mit der Tatsache zusammen, dass solche Texte primär auf Papyrus geschrieben wurden, für den es durch die erhaltenen Bullae zwar Beweise gibt, der aber selbst aus vorexilischer Zeit mit einer Ausnahme – dem Murabba‘at-Papyrus – nicht erhalten ist. Solche Bullae und die damit zusammenhängenden Papyri sind aber erst ab dem ausgehenden 8. Jh. und besonders dem 7. Jh. zahlreicher belegt,102 so dass wohl von einem verzögerten Einsetzen solcher umfangreicherer Texte gesprochen werden kann. Auch Texte der Priesterwissenschaft, Reinheitsgesetze, Ritualanweisungen, Festkalender usw. fehlen. Ähnliches gilt für die eigentliche Weisheitsliteratur, Produkte der Listenwissenschaft oder Sprichwortsammlungen, wie sie nicht nur in Mesopotamien oder Ägypten, sondern auch in Ugarit nachweisbar sind. 101 Zur Orthographie vgl. neben A. SCHÜLE, Syntax, 31–41, speziell 38–40, besonders CH. A. ROLLSTON, Scribal Education, 61–65; dann zu den Inschriften des beginnenden 6. Jh.s J. RENZ, HAE I, 351 (Arad); 408 (Lachisch); auch die Übersicht zu den Verbalformen DERS., HAE II/2, 43–63. Zur Einzeldiskussion der Belege vgl. auch klassisch F. M. CROSS/ D. N. FREEDMAN, Early Hebrew Orthography. A Study of the Epigraphic Evidence (AOS 36), New Haven, Conn. 1952, 45–57; Z. ZEVIT, Matres Lectionis in Ancient Hebrew Epigraphs (ASOR Monograph Series 2), Cambridge, Mass. 1980. 102 Vgl. die Zusammenstellung oben Abschnitt 3.6.4 Teil d.
Die vor- und außerliterarische Texttradition
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Auffällig ist gegenüber den Umweltregionen, dass Monumentalinschriften nur sehr schwach vertreten sind – unglücklicherweise oft auch nur in kleinen Fragmenten. Diese geringe Zahl ist angesichts der zahlreichen Belege anderer Textgattungen in der hebräischen Epigraphik und der regen Ausgrabungstätigkeit in Palästina durchaus von Bedeutung. So fehlen Weihinschriften, kürzere, wie aus dem phönizisch-punischen Bereich, umfangreichere, wie sie im altsüdarabischen Raum zu finden sind, die persönlichen Dank und geschichtlich-biographische Rückblicke miteinander verbinden und somit etwas von der religiösen Motivation erkennen lassen. Es fehlen leider auch Bauinschriften der Könige, die analog zu den privaten Weihinschriften theologisch gedeutete historische Rückblicke enthalten, darüber hinaus aber auch Einblick in die Theologie der Dynastie, die theologische Begründung von Königtum und Gesetzgebung bieten. Auch öffentlich aufgestellte religiöse Vorschriften wie die punischen Opfertarife fehlen. Auch im Verhältnis zu vergleichbaren griechischen Texten fallen die Defizite auf. Man kann so vorsichtig vermuten, dass Israel-Juda – auch in ihrer textlichen Blütezeit ab dem ausgehenden 8. Jh. – wenig öffentlich zur Schau gestellte Religion aufweisen: kein öffentlicher Dank, keine öffentliche Erfolgsmeldung, keine Prunkinschriften, kein Hinweis auf die dynastische Religion, keine großen Weihgaben und Statuen mit Dank oder Bittinschriften, die Religion nach außen demonstrieren.
5. Bedeutung Die Leistung der palästinischen Epigraphik für die Geschichte des alttestamentlichen Kanons ist selbstverständlich begrenzt. Doch kann sie zunächst in einem historisch vergleichsweise klar datierbaren Überblick den zeitlichen und teilweise auch geographischen Rahmen aufzeigen, innerhalb dessen Literatur entstand. Damit kann dann auch die aus den literarischen Texten der Traditionsliteratur erschlossene Literargeschichte immer wieder rückgekoppelt werden an die – wenn auch wenigen – historisch und geographisch feststehenden Gegebenheiten der primärtextlichen Schreibgeschichte, an das zur jeweiligen Zeit Übliche und Mögliche. Auffällig – und auch faszinierend – bleibt aber immer, wie aus bruchstückhaften Anfängen, die im Vergleich zu den Großkulturen Großes nicht erwarten ließen, ein monumentales Corpus entsteht, der hebräische Kanon – gleich, ob nun Einzeltexte etwas früher oder später datiert werden.
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„In der Schriftrolle ist für mich geschrieben“ (Ps 40,8) „Mündlichkeit“ und „Schriftlichkeit“ im Kontext religiösen Lernens in der alttestamentlichen Überlieferung BEATE EGO Prof. Dr. Drs. h.c. Martin Hengel zum 80. Geburtstag In seiner Studie „Writing on the Tablet of the Heart“ hat David Carr nachdrücklich und plausibel auf die Bedeutung verschrifteter Überlieferungen im Kontext von Lernprozessen im Alten Orient, Israel und im griechisch-hellenistischen Kulturkreis aufmerksam gemacht. Wenn die Traditionsweitergabe von Lehrer zu Schüler auch mündlich erfolgte, so dienten schriftliche Aufzeichnungen doch als Gedächtnisstützen, die entweder bei der Rezitation selbst oder aber beim Einstudieren derselben verwendet wurden.1 Für die alttestamentliche Überlieferung kann in diesem Zusammenhang – um hier nur ein Beispiel herauszugreifen – auf Prov 22,17–21 verwiesen werden, wo es heißt: 17 Neige dein Ohr und höre meine Worte und richte dein Herz auf meine Belehrung. 18 Denn angenehm sind sie, wenn du sie bewahrst in deinem Innern; und sie werden allesamt zur Verfügung stehen auf deinen Lippen. 19 Um dein Vertrauen auf Jahwe zu setzen, gebe ich (sie) dir heute bekannt, ja gerade dir. 20 Fürwahr, ich habe dir dreißig aufgeschrieben an Ratschlägen und Belehrung, 21 damit du Worte der Wahrheit wahrheitsgemäß mitteilen, wahrhaftige Antworten geben kannst denen, die dich gesandt haben.2
Gelernt wird, so zeigt es dieser Text deutlich, durch das Hören der Unterweisung aus dem Munde des Lehrers und durch deren Verinnerlichung. Dies bedeutet auch, dass das Gelernte jederzeit vom Schüler wieder in der Verlautlichung reproduziert werden kann. Gleichzeitig hat der Lehrer den Lernstoff aber auch schriftlich verfasst: „Nevertheless, the prologue stands at the outset of a written collection, indeed a collection ‘written’ for the express purpose of 1
D. CARR, Writing on the Tablet of the Heart. Origins of Scripture and Literature, Oxford
2005. 2
Zitiert nach O. PLÖGER, Sprüche Salomos. Proverbia (BK XVIII), Neukirchen 1984, 285.
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showing the student what is ‘right and true’ and of equipping him to provide a ‘true answer to those who sent [him]’.“3 Ob diese schriftliche Niederlegung im eigentlichen Lehr- und Lernprozess selbst verwendet wurde oder ob diese gleichsam nur als eine Art Absicherung zur Bewahrung der originären Lehre irgendwo deponiert wird, muss an dieser Stelle einmal dahingestellt bleiben. An die basale Einsicht einer engen Verbindung von Schreiben und Lernen, die in David Carrs Untersuchung mit einer beeindruckenden Fülle von Quellen- und Forschungsliteratur aus dem altorientalischen, alttestamentlichen und griechisch-hellenistischen Bereich veranschaulicht wird, soll an dieser Stelle angeknüpft werden. Während bei dem oben genannten Beispiel aus dem Sprüchebuch offen bleiben muss, welche konkrete Funktion der verschrifteten Überlieferung beim Lehr- und Lernvorgang selbst zukommt, beschreiben andere biblische Überlieferungen wie Dtn 6,4–9, Dtn 31,9–13 und Neh 8,1–8 sowie einige Belege aus den Psalmen wie Ps 40,8–12 oder Ps 1,2 die Relation von verschrifteter Überlieferung und Lernprozessen präziser. Eine genauere Betrachtung dieser Belege kann deshalb zeigen, welche konkreten Aussagen die alttestamentliche Überlieferung zur Rolle von verschrifteten Traditionen im Kontext von Lernprozessen macht. So wird deutlich, dass das von S. Niditch postulierte Kontinuum zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit keine statische Größe ist, sondern vielmehr differenziert beschrieben werden kann.4 Mit dieser Untersuchung werden zwei Themenbereiche, die in den letzten Jahren – wohl vor dem Hintergrund eines kulturwissenschaftlichen Ansatzes – vermehrt im Interesse der alttestamentlichen Wissenschaft standen, nämlich das Thema der Schriftkultur einerseits5 sowie das Thema des Lehren und Lernens andererseits,6 zusammengeführt. 3 CARR, Writing on the Tablet, 127; s. a. M.V. FOX, Wisdom and the Self-Presentation of Wisdom Literature, in: J. CHERYL EXUM/H. G. M. WILLIAMSON (Hgg.), Reading from Right to Left. Essays on the Hebrew Bible in Honour of David J. A. Clines, Sheffield 2003, 163–164; zur Verbindung von Schreiben und Lernen in der ägyptischen Weisheit s. ibid., 158–162. 4 S. NIDITCH, Oral World and Written Word. Ancient Israelite Literature (Library of Ancient Israel), Louisville, KY 1996. 5 Eine Zusammenstellung der einschlägigen Literatur ist an dieser Stelle nicht möglich; neben der ausführlichen Bibliographie in D. Carrs Werk ist hier auf die von S. ALKIER und A. CORNILS herausgegebene Bibliographie „Mündlichkeit–Schriftlichkeit“ zu verweisen, erschienen in G. SELLIN/F. VOUGA (Hg.), Logos und Buchstabe. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Judentum und Christentum der Antike, Tübingen 1997; die Bibliographie bei S. NIDITCH, Oral World, sowie auf die einschlägigen Lexikonartikel: A. LEMAIRE, Art. Buch, NBL 1, Düsseldorf, Zürich 1991, Sp. 340–342; G. LANCZKOWSKI/P. WELTEN/D. FOUQUET-PLÜMACHER, Art. Buch, TRE 7, Berlin 1981, 270–290; S. WIMMER, Art. Schrift, NBL 3, Düsseldorf; Zürich 2001, Sp. 507–513; V. FRITZ, Art. Schrift und Schreiber, TRE 30, Berlin 1999, 434–442. – Weitere Hinweise: J. BECKER, Esra. Nehemia (NEB 25), Würzburg 1990; H. F. FUHS, Sprichwörter (NEB 35), Würzburg 2001; K. GALLING , Die Bücher der Chronik. Esra. Nehemia (ATD 12), Göttingen 1954; H. J. KRAUS, Psalmen (BK XV/1.2), Neukirchen-Vluyn 61989; W. RUDOLPH, Esra und Nehemia samt 3. Esra (HAT I/20), Tübingen 1949; C. WESTERMANN, Das Buch Jesaja. Kapitel 40–66 (ATD 19), Göttingen 51986.
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So soll es also im Folgenden darum gehen, exemplarisch die einschlägigen Textbelege Dtn 6,4–9, Dtn 31,9–13, Neh 8,1–8 sowie Ps 40,8–12 und Psalmen mit verwandter Thematik im Hinblick auf die ihnen implizite Relation von Schreiben und Lernen zu befragen (I.1–4). Ein Durchgang durch das entsprechende Material wird zeigen, dass die Relation von „Schreiben“ und „Lernen“ in jedem der Belege unterschiedlich zu beschreiben ist. Die Untersuchung schließt mit Überlegungen zum diachronen Aspekt der Thematik und einem Ausblick auf die Lern- und Schreibtraditionen des antiken Judentums (II). I.1 Dtn 6,4–9: Die Schrift als Medium der Vergegenwärtigung der Lerninhalte An den Anfang dieser Ausführungen sei Dtn 6,4–9 gestellt, eine Überlieferung, die von N. Lohfink einmal als „Schlüsseltext zum Glaubenlernen“ bezeichnet worden ist.7 Nach G. Braulik ist Dtn 6,6–9 die älteste Paränese im gesamten Deuteronomium.8 In diesem Text, der programmatischen Charakter hat, wird eine ideale Lernszenerie entworfen, wenn es heißt: 4 Höre, Israel! JHWH ist unser Gott, JHWH ist einzig!9 5 Und du sollst JHWH, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und aus deiner ganzen Kraft! 6 Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du dir zu Herzen nehmen. 6
Vgl. hierzu jetzt den Sammelband B. EGO/H. MERKEL (Hgg.), Religiöses Lernen in der alttestamentlichen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung (WUNT 180), Tübingen 2005, über dessen einzelne Beiträge die ältere Literatur unschwer erschlossen werden kann, sowie die entsprechenden Artikel: R. KAMPLING, Art. Lehrer, NBL 2, Düsseldorf, Zürich 1995, Sp. 605–607; D. RITSCHL, Art. Lehre, TRE 20, Berlin 1990, 608–621; G. OTTO, Art. Lernen, TRE 21, Berlin 1991, 16–20. 7 N. LOHFINK, Glauben lernen in Israel, KatBl 108 (1983), 84–99, hier: 92. DERS., Der Glaube und die nächste Generation. Das Gottesvolk der Bibel als Lerngemeinschaft, in: DERS., Das Jüdische am Christentum. Die verlorene Dimension, Freiburg, Basel, Wien 1987, 144–166, hier: 154; zu Dtn 6,4–9 generell siehe u. a. G. BRAULIK, Das Deuteronomium und die Gedächtniskultur Israels. Redaktionsgeschichtliche Beobachtungen zur Verwendung von dml, in: DERS., Studien zum Buch Deuteronomium (SBS 24), Stuttgart 1997 [1993], 119–146, 122–128; K. FINSTERBUSCH, Die kollektive Identität und die Kinder. Bemerkungen zu einem Programm im Deuteronomium, JBTh 17 (2002), 99–120, hier: 103–108; DIES., Weisung für Israel. Studien zu religiösem Lehren und Lernen im Deuteronomium in seinem Umfeld (FAT 44), Tübingen 2005, 174–175; 239–248. Vgl. zu diesem Text auch ganz allgemein CARR, Writing on the Tablet, 135f. 8 BRAULIK, Gedächtniskultur, 122. 9 Es ist an dieser Stelle nicht möglich, die komplexe Diskussion um die Übersetzung von Dtn 6,4 zu entfalten. Zur oben vorgeschlagenen Übersetzung s. T. VEIJOLA, Höre Israel! Der Sinn und Hintergrund von Deuteronomium VI 4–9, in: VT 42 (1992), 528–541, hier: 531; DERS., Das Bekenntnis Israels. Beobachtungen zu Geschichte und Aussage von Dtn 6,4–9, in:
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7 Und du sollst sie deinen Kindern einschärfen10 und du sollst davon reden,11 wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. 8 Und du sollst sie binden zum Zeichen (twa) auf deine Hand und sie sollen dir ein Merkzeichen (twpjwt)12 zwischen deinen Augen sein. 9 Und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an deine Tore.
Die Worte, die Mose dem Volk „heute gebietet“, sind in synchroner Perspektive auf die gesamten deuteronomischen Gebote zu beziehen;13 in diachroner Hinsicht ist hier sicherlich mit einem kleineren Textcorpus zu rechnen. Nach G. Braulik bezog sich ~yrbd ursprünglich auf rbd pi., das Promulgationsverb der alten Überschrift in 4,45. Weil „6,6–9 aber auf ein alles umfassendes Lernen zielt“, möchte er annehmen, dass „~yrbd in 6,6 ursprünglich den gesamten Text der josianischen Bundesurkunde meinte, also auch Segen und Fluch einschlossen“.14 Vor dem Hintergrund, dass diese Lehre – wie im Folgenden ja angeordnet wird – als Hand- und Stirnzeichen bzw. als Türinschrift verschriftet werden soll, ist freilich zu überlegen, ob hier ursprünglich nicht doch ein weitaus kleineres Textcorpus im Blick war.15 Weiterführend in diesem Zusammenhang erscheint mir die von T. Veijola rekonstruierte ursprüngliche Fassung dieses Textes, die – wie dessen umsichtige literarkritische Analyse von Dtn 6,4–9 ergibt – aus Dtn 6,4.6 (ohne den Relativsatzsatz) 7–9 bestand.16 Im Hinblick auf die Frage nach dem inhaltlichen Bezug „dieser Worte“ ergeben sich aus diesem literarkritischen Befund neue Perspektiven. So kommt T. Veijola zu dem Schluss: „Wenn die Forderung, Jahwe zu lieben (V. 5), synDERS., Moses Erben. Studien zum Dekalog, zum Deuteronomium und zum Schriftgelehrtentum, Stuttgart u. a. 2000, 82f. 10 So die Bedeutung des Verbs pi. !nv nach W. GESENIUS, Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, Berlin u. a. 1962 (unveränderter Neudruck der 1915 erschienenen 17. Auflage). Ein anderer Vorschlag möchte den Begriff im Sinne von „wiederholt vorsprechen“ übersetzen; vgl. hierzu FINSTERBUSCH, Weisung für Israel, 239 mit weiterführenden Literaturangaben. 11 Zur Übersetzung der Wendung ~b trbdw vgl. die ausführliche Diskussion bei FINSTERBUSCH, Weisung für Israel, 241–246. 12 Diese Übersetzung ergibt sich aus der Parallelität zu dem Terminus twa; s. a. Ex 13,9. 13 FINSTERBUSCH, Weisung für Israel, 174; BRAULIK, Deuteronomium, 56; J. P. SONNET, The Book within the Book. Writing in Deuteronomy (Biblical Interpretation Series 14), Leiden u. a. 1997, 52f. Zu den redepragmatischen Implikationen dieses Abschnittes s. HARDMEIER, Das Schema Jisra’el. 14 BRAULIK, Gedächtniskultur, 125. Unbestimmt im Hinblick auf den Bezug der Wendung „diese Worte“ äußert sich G. VON RAD, Das fünfte Buch Moses. Deuteronomium (ATD 8), Göttingen 41983, 46. 15 Dies gilt auch für die meisten Möglichkeiten, die SONNET, Book, 52, auflistet (mit ausführlichen Hinweisen auf die ältere Forschungsliteratur). 16 Vgl. die differenzierte literarkritische Untersuchung bei VEIJOLA, Bekenntnis, 78.
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taktisch auf einer Ebene mit der Aufforderung zum Hören (V. 4a) und all den nachfolgenden Mahnungen (V. 6–9*) steht, dann leuchtet es schwer ein, daß ein Teil der Mahnungen (V. 5) zugleich auch ihr Inhalt sei. Vielmehr spricht die gesamte syntaktische Struktur von V. 4–9*, in der sich V. 4b durch seine nominale Formulierung von der Umgebung deutlich abhebt, dafür, daß ‚diese Worte‘ in V. 6 über V. 5 hinweg allein auf V. 4b Bezug nehmen.“17 Damit scheint das Rätsel um den Umfang der ursprünglichen Inschrift gelöst, denn V. 4b erfüllt „gerade in seiner knappen, prägnanten Form ideal die Bedingungen ..., die für die konkrete Ausführung der in V. 6ff. beschriebenen Maßnahmen im Lichte der religionsgeschichtlichen Parallelen erforderlich sind. Es ist nicht vorstellbar, daß man am Körper getragene Schmucksachen (V. 6*8) und Haus- und Stadteingänge (V. 9) mit langen Bibelversen, geschweige denn -kapiteln beschriftet, wenn der Text für jeden erkennbar, lesbar und auswendig lernbar (V. 7) sein soll, wie hier offensichtlich vorausgesetzt wird“.18 Zum Einzelnen: Die beide Abschnitte einleitende Wendung, wonach die Worte von der Einzigkeit Gottes bzw. – auf einer späteren Textstufe – die Worte des Gebotes „auf dem Herzen“ sein sollen, meint zunächst konkret eine Aufforderung zum Auswendiglernen und zur Verinnerlichung des Lernstoffes.19 Neben die Inkarnation der Überlieferung tritt im Folgenden, um an eine Begrifflichkeit von Aleida Assmann anzuknüpfen, die Exkarnation der Überlieferung, die sowohl lautlich als auch materiell Gestalt gewinnt.20 Inkarnation und Exkarnation sind damit als komplementäre Prozesse zu betrachten. Es folgt die Aufforderung, zum einen auch die Kinder, also die kommende Generation, „diese Worte“ zu lehren und – zum anderen – diese beständig zu sprechen. Da in Dtn 6,7 die Verben !nv und rbd parataktisch durch w verbunden nebeneinander stehen, ist die Relation zwischen beiden Vorgängen an dieser Stelle nicht eindeutig zu klären. Hier wirkt die Parallele in Dtn 11,13 („du sollst sie deinen Kindern einschärfen, indem du davon redest ...“) insofern 17 VEIJOLA, Bekenntnis, 81. Der Relativsatz in V. 6 wurde nach T. Veijola vom Verfasser der Musterkatechese Dtn 6,20–25* hinzugefügt und hat die Funktion, diese vorzubereiten. Diese bildete wohl die erste redaktionelle Fortsetzung von V. 4–9; s. hierzu die Darlegungen bei VEIJOLA, Bekenntnis, 79. 18 VEIJOLA, Bekenntnis, 90. 19 Zum Herz als Metapher für das Gedächtnis s. a. G. FISCHER/N. LOHFINK, „Diese Worte sollst du summen“. Dtn 6,7 wedibbarta bam – ein verlorener Schlüssel zur meditativen Kultur in Israel, in: ThPh 62 (1987), 59–72, hier: 63; H. W. WOLFF, Anthropologie des Alten Testaments, München 51990, 80f. Vgl. in diesem Kontext die Wendung „auf die Tafel des Herzens schreiben“ (Prov 3,3; 7,3). 20 A. ASSMANN, Exkarnation. Gedanken zur Grenze zwischen Körper und Schrift, in: J. HUBER/A. M. MÜLLER (Hgg.), Raum und Verfahren, Basel 1993, 133–156, hier: 133: „In jedem Verschriftungsakt vollzieht sich, wie ich meine, die Gegenbewegung zur Inkarnation: Konkret gelebte Erfahrung wird durch Transformation in Schrift abstrakt, d. h. abgezogen von den raum-zeitlichen Umständen, aus denen sie hervorging, herausgehoben aus der mit allem Konkreten verbundenen Flüchtigkeit und Einmaligkeit.“
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weiterführend, als diese beiden Verben nun durch einen Infinitiv constructus einander eindeutig zugeordnet werden, so dass die Vermittlung des Lernstoffes und das ständige Sprechen desselben zu einem einzigen Vorgang werden.21 Im Folgenden wechselt die Perspektive, wenn nicht mehr die Verlautlichung, sondern die Verschriftlichung des Stoffes intendiert ist: Zunächst ist davon die Rede, dass die Worte von der Einzigkeit JHWHs bzw. – wiederum auf einer späteren Stufe des Textes – die göttlichen Gebote auf Hand und Stirn gebunden bzw. auf die Türpfosten und Tore geschrieben werden sollen. Trotz der zentralen Bedeutung von Dtn 6,6–9 in der alttestamentlichen Überlieferung finden sich nur wenige Versuche, die materiellen Hintergründe dieser Aussage aufzuarbeiten. Während Gerhard von Rad in seinem Kommentar zum Deuteronomium wenigstens knapp erklärt, dass die Hintergründe dieser Aussagen nicht mehr aufzuarbeiten seien,22 so gehen die meisten anderen Arbeiten – wenn sie nicht ein metaphorisches Verständnis des Textes annehmen wollen23 – in der Regel gar nicht auf diese Fragestellung ein, so auch die jüngst erschienene Studie zum Lernen in der deuteronomisch-deuteronomistischen Tradition von Karin Finsterbusch.24 Ausführlich wird die Thematik des materiellen Hintergrundes dieses Abschnittes nur in einer Arbeit von O. Keel behandelt, die dieser Anfang der 80er Jahre in einem Artikel in der Festschrift für Dominique Barthélemy publiziert hat;25 T. Veijola hat die Fragestellung in einem neueren Beitrag wieder aufgegriffen. Während es bei O. Keel offen bleibt, was konkret der Inhalt dieser Worte war, die durch konkrete Zeichen veranschaulicht werden sollen, spielt T. Veijola die Szenerie nun auf der Basis seiner Annahme durch, wonach es sich hierbei zunächst lediglich um das Bekenntnis zu JHWH aus Dtn 6,4b gehandelt habe.26 Nach O. Keel ist im Hinblick auf die Handzeichen zunächst wohl an ein Armband zu denken; Armbänder, aus ganz unterschiedlichen Materialien, die vor allem den Namen und den Titel des Pharaos trugen, sind auf jeden Fall häufig in Ägypten gefunden worden.27
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Vgl. hierzu FISCHER/LOHFINK, Diese Worte sollst du summen, 65f. VON RAD, Das fünfte Buch Moses, 46. 23 S. die Aufzählung verschiedener Vertreter dieser These bei O. KEEL, Zeichen der Verbundenheit. Zur Vorgeschichte und Bedeutung der Forderungen von Dtn 6,8f und Par., in: P. CASETTI/O. KEEL/A. SCHENKER (Hgg.), Mélanges Dominique Barthélemy. Études bibliques offertes à l’occassion de son 60e anniversaire (OBO 1981), 159–240, hier: 179–182; s. a. VEIJOLA, Bekenntnis, 87. 24 Finsterbusch konzentriert sich bei der Besprechung von Dtn 6,6–9 auf Dtn 6,7; s. FINSTERBUSCH, Weisung für Israel, 239–248. 25 KEEL, Zeichen der Verbundenheit, 159–240. 26 VEIJOLA, Bekenntnis, 87–91. 27 KEEL, Zeichen der Verbundenheit, 213f. 22
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Größere Schwierigkeiten zeichnen sich bei der Betrachtung von V. 8 ab: Zunächst kann der seltene Begriff totafot vor dem Hintergrund von Ex 13,16, wo der Terminus im Parallelismus membrorum mit dem Begriff twa erscheint, im Sinne von Zeichen verstanden werden. Den totafot kommt somit – nach O. Keel – die Aufgabe zu, „an etwas zu erinnern und etwas zu vergegenwärtigen“.28 Allerdings spricht er sich hier dezidiert gegen den Gedanken aus, dass es sich um schriftliche Zeichen handelt: Da die Wendung ...l hyh im Sinne von „werden zu“ verstanden werden kann, folgert O. Keel: „Man wird dann (im Gegensatz zu den Türpfosten und Toren) nicht die Niederschrift dieser Forderungen auf der Stirn erwarten, sondern ihre Konkretisierung in Form eines Zeichens, wie es die Stirnbinden, -diademe oder -plättchen darstellen ...“.29 Ikonographisches Vergleichsmaterial aus der Umwelt Israels legt es dabei nahe, an ein Stirnband oder einen Stirnreif mit einem Anhänger zu denken, welche wohl im Kontext von Kultprostitution zu verstehen sind. Eine wichtige Bedeutung kommt dabei dem Taw-Zeichen zu, das an der Gestalt eines sog. Andreas-Kreuzes auf dem Stirnplättchen der „Frau am Fenster“ von Arslan Tasch zu sehen ist und das die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gottheit zum Ausdruck bringt.30 Ob O. Keel mit seinem Vorschlag Recht hat, dass es sich hier um ein nicht-schriftliches Zeichen handelt, mag an dieser Stelle einmal dahingestellt bleiben; seine Position kann als Folge der Annahme verstanden werden, dass mit „diesen Worten“ eben ein umfangreicheres Textcorpus gemeint ist. Als Gegenargument zu seinen Ausführungen lassen sich auch zahlreiche Belege nennen, in denen die Wendung ...l hyh im Sinne von „dienen zu“ zu verstehen ist.31 Als Analogie zu der Formulierung in Dtn 6,8 könnte man auf das goldene Stirnblatt des Hohenpriesters verweisen, auf dem die Worte „Heilig für JHWH“ eingraviert waren (Ex 28,36f).32 Andere Ausleger verweisen im Hinblick auf die materialen Hintergründe von Dtn 6,8 auch auf die Texte von Ketef Hinnom, die ja – wie allgemein angenommen – als Amulette dienten.33 M. Rose wiederum führt Jes 44,5 an, wo durch Handtätowierungen die absolute Zugehörigkeit zu JHWH zum Ausdruck gebracht wird.34 28
KEEL, Zeichen der Verbundenheit, 163. KEEL, Zeichen der Verbundenheit, 212. 30 KEEL, Zeichen der Verbundenheit, 201. 31 So z. B. Gen 1,14f; 17,7; 28,21; Ex 4,16; Num 10,31; Hi 30,31. 32 S. hierzu VEIJOLA, Bekenntnis, 91: „Das Bekenntnis von V. 4b, das im Hebräischen aus vier Wörtern besteht, ist hingegen eine so kurze Formel, daß man sie ohne Schwierigkeiten sogar auf das Stirnband eingravieren konnte, ähnlich der Inschrift ‚Heilig für Jahwe‘, die auf dem Stirnblatt des Hohenpriesters stand. Es wäre kein Wunder, wenn man eines Tages eine Inschrift mit dieser Legende auffinden würde!“ 33 S. z. B. VEIJOLA, Bekenntnis, 88; W. M. SCHNIEDEWIND, How the Bible became a Book. The textualization of ancient Israel, Cambridge 2004, 105, 109. 34 M. ROSE, Deuteronomium (ZBK 5), 2 Bde., Zürich 1994, 29f. 29
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In Dtn 6,9 ist dann davon die Rede, dass die Türpfosten der Häuser und die Tore zu Schriftträgern werden sollen. Auf der Suche nach materialen Vorbildern finden sich auch hier nur spärliche Belege. O. Keel hat in diesem Kontext auf beschriftete Türpfosten an ägyptischen Häusern hingewiesen, auf denen der Besitzer des Hauses gelobt werden konnte bzw. auf denen sich die Bitte um den göttlichen Schutz für den Hausbesitzer in Verbindung mit einem Hymnus auf die Gottheit fand.35 Freilich muss hier ernüchternd festgestellt werden: „Alle diese Inschriften aber haben von ihrem Inhalt her wenig mit Dtn 6,9 zu tun. Denn was in Dtn 6,9 und 11,18 mit ‚diesen (meinen) Worten‘ auch immer gemeint ist, so handelt es sich jedenfalls zur Hauptsache um Gottes Weisungen (Hauptgebot oder Dekalog), vielleicht noch um das Bekenntnis zur Einheit (Einzigkeit) JHWHs. Solche aber finden wir, soweit ich sehe, an Privathäusern nicht, wohl aber an Tempeleingängen.“36 Hier sind in der Tat zahlreiche Beispiele zu nennen, die von den Tempelbesuchern Reinheit und würdiges Verhalten fordern.37 Für Palästina und die vorexilische Zeit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass man in dem 50 km südlich von Qadesh gelegenen Kuntillet cAjrud mehrere Inschriften aus der Zeit zwischen 850 und 750 v. Chr. gefunden hat, von denen zwei, eventuell auch drei, an den Türpfosten angebracht waren. Allerdings sind diese Inschriften so verblasst bzw. fragmentarisch, dass über ihren Inhalt keine Sicherheit mehr zu gewinnen ist.38 Als späten Beleg für eine Türinschrift verweist O. Keel schließlich auf die Steintafeln des herodianischen Tempels, „die jedem Stammesfremden das Betreten des zweiten Bezirks des Tempels (des Heiligen) untersagen“.39 Auch heute, mehr als 25 Jahre nach der Publikation des Aufsatzes von O. Keel, hat sich nur wenig an der archäologischen Situation geändert: Nach wie vor ist die Zahl der Monumentalinschriften auf Stein oder Verputz sehr gering; auf der Basis des von J. Renz zusammengestellten Materials kann an dieser Stelle nur auf eine weitere Türinschrift hingewiesen werden, die in das 7.–6. Jh. v. Chr. datiert wird und zwei Personennamen enthält. Sie wurde beim Bau des Gebäudes angebracht40 und hat wohl den Besitzer des Hauses genannt. Darüber hinaus wur35
KEEL, Zeichen der Verbundenheit, 183f. KEEL, Zeichen der Verbundenheit, 186. 37 KEEL, Zeichen der Verbundenheit, 187. 38 S. hierzu Z. MESHEL, Kuntillet cAjrud. A Religious Centre from the Time of the Judaean Monarchy on the Border of Sinai, in: Israel Museum Catalogue No. 175, Jerusalem 1978, 11–20, hier: 9ff; eine Inschrift wurde in situ gefunden. Meshel selbst verweist in diesem Kontext auf Dtn 6,8f; s. zum Ganzen auch KEEL, Zeichen der Verbundenheit, 191. In Griechenland existierten seit dem 6. Jh. v. Chr. an Weiheinschriften auf verschiedenen Gebäuden wie Tempeln, Schatzhäusern, oder Brunnenanlagen; s. hierzu G. UMHOLTZ, Architraval Arrogance. Dedicatory Inscriptions in Greek Architecture of the Classical Period, in: Hesperia 71 (2002), 261– 293. 39 KEEL, Zeichen der Verbundenheit, 191. 40 Jer (7):38, s. RENZ, Die althebräischen Inschriften I, 308. 36
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den noch zwei weitere Gebäudeinschriften gefunden, allerdings ist der Text für eine Gattungsbestimmung jeweils zu fragmentarisch.41 Im Hinblick auf die zentrale Bedeutung der Stadttore kann zudem darauf verwiesen werden, dass die Davidsstele aus Tel Dan im Stadttor untergebracht war.42 Entscheidend für unsere Zusammenhänge ist in diesem Kontext jedoch die Tatsache, dass Dtn 6,4–9 ja nicht den Anspruch der Historizität erhebt, sondern vielmehr programmatischen Charakter hat. Die Forderung nach einer Türinschrift – ob es diese nun de facto häufig gegeben hat oder nicht – ist vor dem Hintergrund der archäologischen Funde in jedem Falle durchaus realistisch und vorstellbar. Wie Israel diese Forderung dann im Laufe der Zeit verwirklicht hat, bezeugt die Praxis, Mesusot an den Türen anzubringen.43 Wenn der materiale Hintergrund von Dtn 6,8f an dieser Stelle auch nicht definitiv geklärt werden kann, so lässt diese Passage, die programmatisch eine ideale Lernszenerie entwirft, doch einige grundlegende Einsichten in die Relation zwischen dem Prozess des Lernens und der Verschriftlichung des Lehrstoffes zu. Deutlich ist zunächst, dass dem Geschriebenen hier im eigentlichen Lernprozess nur sekundäre Bedeutung zukommt. Der in der Erinnerung des Einzelnen zur Verfügung stehende Lernstoff wird im Medium des gesprochenen Wortes an die jüngere Tradition weitertradiert. Das verschriftete Gotteswort, das sicherlich z. T. auch in abbrevierter, verkürzter Form am Körper und an Gebäuden angebracht wird, existiert gleichsam neben dieser mündlichen Unterweisung als ein Zeichen, das nach Ausweis des Textes die so bedeutsame Tradition zunächst als „sichtbares Bekenntnis“ erscheinen lässt.44 An dieser Stelle ist zu überlegen, inwieweit hier auch weitere Momente ins Spiel gebracht werden können. Jan Assmann unterscheidet in seinen Ausführungen zum kulturellen Gedächtnis zwischen der Sichtbarmachung der Tradition (so bei den Denkzeichen auf Stirn und Hand) und einer „limitischen
41 S. hierzu Jer (8):32 bei RENZ, Die althebräischen Inschriften I, 190, aus der Zeit des Endes des 8. Jh.s. Häufiger belegt sind dagegen Grabinschriften. Zu Inschriften der Königszeit allgemein s. L. E. STAGER, Life in Biblical Israel (Library of Ancient Israel), Louisville 2001, 300–315. Bemerkenswert für die Rezeption von Dtn 6,4–9 ist eine Türinschrift aus Palmyra, die in das 2. Jh. n. Chr. datiert wird und die den vollständigen Text von Dtn 6,4–9 mit leichten Abweichungen von der masoretischen Überlieferung enthält; s. hierzu D. NOY/H. BLOEDHORN (Hgg.), Inscriptiones Judaicae Orientis, Bd. III: Syria and Cyprus (TSAJ 102), Tübingen 2004, 70–73; für weitere Türinschriften aus spätantiker Zeit s. ibid., 73–77 sowie W. AMELING (Hg.), Inscriptiones Judaicae Orientis, Bd. II: Kleinasien (TSAJ 99), Tübingen 2004, 287. 42 SCHNIEDEWIND, How the Bible became a Book, 42 (aber ohne Bezug zu Dtn 6,9). 43 Vgl. dazu die Ausführungen unten. 44 Vgl. hierzu FISCHER/LOHFINK, Diese Worte sollst du summen, 64. Auf den Zeichencharakter verweist auch ROSE, Deuteronomium, 29f. Vgl. hierzu auch E. NIELSEN, Deuteronomium (HAT 1.6), Tübingen 1995, 86: „Die mündliche Überlieferung wird durch die schriftliche bestätigt.“
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Symbolik“.45 Allerdings werden diese Aspekte in Jan Assmanns Ausführungen nicht weiter dargelegt. Im Gesamtduktus des Textes spielt es sicherlich eine bedeutsame Rolle, dass der zu rezitierende Text nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich allumfassend präsent gemacht wird. Das zu lehrende Gesetz wird im alltäglichen Leben „durch äußere Symbole“ allgegenwärtig gehalten.46 Vielleicht ist in diesem Kontext – wie Joachim Schaper in seinem Aufsatz zu einer „Theologie des Schreibens“ angedeutet hat – auch an numinos-magische Zusammenhänge zu denken, wie sie bei der Schrift gerade in Gesellschaften mit begrenzter Literalität eine wichtige Rolle spielen.47 Danach hätten die Schriftzeichen am Körper und an den Gebäuden geradezu amulettartigen Charakter, indem sie die mit dem göttlichen Wort verbundene Segensfülle (vgl. 11,13f) gleichsam festhalten wollen.48 Zusammenfassend lässt sich auf jeden Fall konstatieren: Die sichtbare Positionierung des Gotteswortes konstituiert einen Mnemotop, einen Erinnerungsraum, der das Gelernte gleichsam festzuhalten vermag. Mündliche Unterweisung und die Verschriftung des Lernstoffes bilden hier zwei parallele Prozesse. Dabei steht die mündliche Unterweisung im Vordergrund, die Verschriftlichung dagegen bildet einen sichtbaren Rahmen, der an das Gelernte erinnert und seine Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit festmacht. I. 2 Dtn 31,9–13: Ein Lehrvortrag auf der Basis der Schrift Aus dem Deuteronomium stammt eine weitere Überlieferung, die für die hier vorliegende Fragestellung nach der Relation von Lernen und verschrifteter Überlieferung aufschlussreich ist.49 Nach G. Braulik gehört dieser Text zu „einer deuteronomistischen, vermutlich aber joschianischen Schicht“.50 Nach45
J. ASSMANN, Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in den frühen Hochkulturen, München 1992, 218f. 46 G. BRAULIK, Deuteronomium (NEB 15; 28), 2 Bde., Würzburg 1986, 1992, 57. 47 CARR, Writing on the Tablet, 121 mit zahlreichen Belegen; s. a. J. SCHAPER, A Theology of Writing. Deuteronomy, the Oral and the Written, and God as Scribe in the Book of Deuteronomy, in: L. J. LAWRENCE/M. I. AGUILAR (Hgg.), Anthropology and Biblical Studies. Avenues of Approach, Leiden 2004, 112; NIDITCH, Oral World, 78–88; W. J. ONG , Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes, Opladen 1987, 94f. (mit weiteren Literaturangaben). 48 Vgl. SCHAPER, A Theology of Writing, 113: „The act of divine writing is answered by acts of human writing that are, just like their divine counterparts, ‚ceremononial in nature‘ and characterized by a magical concept of writing. After all, binding the written ‚words‘ on one’s hand, carrying them on one’s forehead, and inscribing them on door-posts and gates are all practices that are based on a magical concept of the effects of written texts. We are talking here of an amulet-like use of written texts.“ Zum Ganzen s. a. A. L. OPPENHEIM, Ancient Mesopotamia. Portrait of a Dead Civilisation, Chicago 1991, 234; SCHNIEDEWIND, How the Bible became a Book, 24–34. Zum magischen Gebrauch von Schrift s. a. Num 5,23–28. 49 Zu diesem Text s. u. a. BRAULIK, Gedächtniskultur, 133–137; FINSTERBUSCH, Weisung für Israel, 287–294; CARR, Writing on the Tablet, 139f. 50 BRAULIK, Gedächtniskultur, 133.
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dem die Tora-Unterweisung zunächst in der mündlichen Verkündigung durch Mose erfolgte, schreibt dieser nun am Ende des Buches und angesichts seines baldigen Todes seine Weisung auf (Dtn 31,9). Gleichzeitig gibt er auch Anordnungen, wie die Tora-Unterweisung künftig im Land erfolgen soll. Mit der Verschriftlichung der Tora können somit Zeit und Raum überwunden werden.51 Wie Dtn 6,4–9 hat auch dieser Text damit programmatischen Charakter. Erfolgte in Dtn 6,4–9 die Vermittlung der Kenntnisse der göttlichen Gebote im Rahmen der Familie, so entwirft Dtn 31,9–13 eine Lernszenerie, die einen „öffentlichen“ Sitz im Leben hat. Am Laubhüttenfest eines jeden Sabbatjahres, d. h. also alle sieben Jahre, soll das von Mose aufgeschriebene Gesetz von den Priestern und den Ältesten vor dem Volke verlesen werden: 9 Und Mose schrieb diese Weisung auf und übergab sie den Priestern, den Söhnen Levis, die die Lade des Bundes JHWHs tragen, und allen Ältesten Israels. 10 Und Mose befahl ihnen: Nach Ablauf von sieben Jahren, im Erlassjahr, am Laubhüttenfest, 11 wenn ganz Israel kommt, um das Angesicht JHWHs, deines Gottes, zu schauen, an der Stätte, die er erwählt hat, sollst du diese Weisung vor den Ohren ganz Israels vorlesen. 12 Versammle das Volk, die Männer, Frauen und Kinder und deinen Fremdling, der in deinen Toren (lebt), damit sie hören und lernen und JHWH, euren Gott, fürchten und alle diese Worte dieser Tora halten, um sie zu tun. 13 Und ihre Kinder, die (sie) nicht kennen, sollen es auch hören und lernen, JHWH, euren Gott, zu fürchten alle Tage, die ihr in dem Lande lebt, in das ihr zieht über den Jordan, um es einzunehmen (Dtn 31,9–13).
Im Gegensatz zu der Lernparänese in Dtn 6,6–9 richtet sich diese Überlieferung nicht an jeden einzelnen Israeliten, sondern ist an die Autoritäten des Volkes adressiert. Der Befehl an die Priester und Ältesten, Israel das Gesetz zu lehren, wird in einem „festlichen Lernritual“ entfaltet. Männer, Frauen und Kinder mitsamt den Fremden sollen von diesen nach dem Einzug in das Land am heiligen Ort rechtsverbindlich versammelt werden und die von Mose aufgezeichnete Tora soll laut verlesen werden.52 Während für die, die das Gesetz bereits kennen, das Lernen wohl eine Art Wiederholung, ein Nachsprechen der Worte der Priester und Ältesten darstellt, hören diejenigen Kinder, die die Gebote Gottes nicht kennen, bei diesem Ritual Gottes Gebot zum ersten Mal. „Israel soll also aufgrund der Lesung hören und lernen“,53 wobei das Lernen nicht notwendigerweise das Auswendiglernen des gesamten Stoffes „dieser Tora“54 meint. Es geht vielmehr darum, dass die „Israelitinnen und Israeliten 51
SONNET, Book, 145. So VON RAD, Das fünfte Buch Moses, 134; BRAULIK, Deuteronomium II, 224; NIELSEN, Deuteronomium, 273. Zum Begriff arq P. MÜLLER, „Verstehst du auch, was du liest?“ Lesen und Verstehen im Neuen Testament, Darmstadt 1994, 33f. 53 FINSTERBUSCH, Weisung für Israel, 289. 54 Auf der Stufe des Endtextes meint dies wohl Dtn 5–26, die Segens- und Fluchworte Dtn 28 sowie das Lied Dtn 32; hierzu FINSTERBUSCH, Weisung für Israel, 288. 52
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... diese Texte so intensiv zur Kenntnis nehmen (sollen), dass sie, wenn auch nicht Wort für Wort, so doch nach Sinn und Gehalt im Gedächtnis haften bleiben“.55 Ziel dieses Lernens ist die Gottesfurcht, die wiederum zu einer Praxis des göttlichen Gebots führen soll. Die Anweisung zur Tora-Verlesung steht hier in einem komplexen zeitlichen und räumlichen Beziehungsgeflecht. Moses Rede im Lande Moab bildet eine Entfaltung der von Gott am Horeb gegebenen Tora (4,5; 5,31; 6,1); sie ist – um eine Formulierung Chr. Hardmeiers aufzunehmen – die „performative Vergegenwärtigung des Horebbundes“.56 Angesichts seines nahen Todes und mit Blick auf Israels Zukunft im Land wird diese Tora nun von Mose verschriftet. Gleichzeitig ordnet er an, dass diese verschriftete Tora künftig alle sieben Jahre bei der Feier des Laubhüttenfestes die Basis für die mündliche Unterweisung des Volks darstellen soll.57 Durch das verschriftete Gebot wird so künftig die zeitliche Distanz zum Moabbund einerseits sowie zum Horebereignis andererseits überwunden werden können. Die Verschriftung der Gebote bildet somit nicht nur die materiale Basis der Unterweisung, sondern überwindet Zeit und Raum und garantiert damit gleichzeitig die Authentizität der Überlieferung. Das Fest knüpft somit an eine Ursituation der Gottesbegegnung an. Der „archetypische Ort dieser Zusammenkunft“ ist – wie G. Braulik einmal formuliert hat – „der Horeb …, wo Jahwe zu den Israeliten gesprochen und mit ihnen einen Bund geschlossen hatte und wo sie ihn ‚gefürchtet‘ hatten.“58 Im Fest versichert man sich über die Autorität der Ältesten und Priester und der schriftlich niedergelegten Tora des göttlichen Ursprungs des tradierten Wortes. Die Funktion der Verschriftung liegt in der Bewahrung und Sicherung der Lehre des Mose und zielt auf ihre Verlebendigung im mündlichen Vortrag ab. „Das niedergeschriebene Wort wird so durch das Verlesen zur konkreten Anrede und lebendigen Tradition.“59
55
FINSTERBUSCH, Weisung für Israel, 290. CH. HARDMEIER, Das Schema Jisra’el in Dtn 6,4 im Rahmen der Beziehungstheologie der deuteronomistischen Tora, in: E. BLUM (Hg.), Mincha. Festgabe für Rolf Rendtorff zum 75. Geburtstag, Neukirchen 2000, 61–92, hier: 72f. 57 Vgl. hierzu auch G. J. VENEMA, Reading Scripture in the Old Testament. Deuteronomy 9–10, 31, 2 Kings 22–23, Jeremiah 36 and Neh 8 (OTS 8), Leiden 2000, 41: „Moses only writes down the words at the end of his long address. Thus, the picture presented by Deuteronomy is not one of Moses writing the ‚book of the torah‘ first, and then reading it to the people. Yet at the same time, Moses himself in his address refers to ‚this book of the torah‘ as an existing and available item.“ 58 BRAULIK, Gedächtniskultur, 134; zur Vergegenwärtigung des Horeb s. a. CARR, Writing on the Tablet, 139; FINSTERBUSCH, Weisung für Israel, 291; HARDMEIER, Das Schema Jisra’el, 73. 59 MÜLLER, Lesen und Verstehen, 34. 56
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I. 3 Neh 8,1–8: Die rituell gestaltete Verlesung der Tora Bedeutsam für die hier zu verhandelnden Zusammenhänge ist darüber hinaus auch die Szene von der Toraverlesung in Neh 7,72b–8,10.60 Hier erscheint aus dem Wortfeld ‚Lernen, Unterweisung‘ der spätbiblische Terminus !yb hif., der am besten mit ‚Einsicht geben, belehren‘ wiederzugeben ist.61 Ganz kurz zum Text: Im siebten Monat, d.h. wohl am Anfang des Jahres, versammelt sich das ganze Volk in Jerusalem auf dem Platz vor dem Wassertor und fordert versammelt Esra auf, „das Buch der Tora des Moses, das JHWH Israel anbefohlen hatte“, hervorzuholen. Aus dem unmittelbaren Kontext dieser Passage wird zudem deutlich, dass diese Verlesung unmittelbar vor dem Laubhüttenfest stattfindet. Damit erfolgt eindeutig ein intertextueller Rekurs auf die soeben besprochene Überlieferung aus Dtn 31,9–13; Esra löst somit die Forderung Moses nach der Verlesung der von ihm niedergeschriebenen Tora ein. Dem Wunsche des Volkes kommt Esra nach und die Tora wird vor der versammelten Gemeinde verlesen (Neh 8,1–3).62 Wie sich diese Gesetzesverlesung im Einzelnen gestaltet, wird im Folgenden entfaltet: Esra steht auf einer eigens für diesen Zweck angefertigten „Kanzel“; sechs bzw. sieben Personen, wohl „Laien“, stehen zu seiner Rechten und seiner Linken. Bei der Öffnung des „Sefer ha-Tora“ erhebt sich die gesamte Gemeinde. Esra spricht eine Art Benediktion, auf die die Gemeinde mit erhobenen Händen mit „Amen“ respondiert. Anschließend werfen sich alle zu Boden und beten zu Gott. Erst dann folgt die Verlesung des Gesetzes, die von Erläuterungen der Priester begleitet ist (Neh 8,7–9).63 Drei Aspekte sind für unsere Fragestellung bemerkenswert: a) Wenn es wohl auch nicht mehr mit absoluter Sicherheit auszumachen ist, welchen Umfang das hier vorliegende Schriftstück des Gesetzes des Mose
60 Zu diesem Text vgl. den Beitrag von G. STEINS, Inszenierungen des Lesens und Lernens in Neh 8,1–12, in: B. EGO/H. MERKEL (Hgg.), Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung (WUNT 180), Tübingen, 83–97; s. a. C. KÖRTING, Der Schall des Schofar. Israels Feste im Herbst (BZAW 285), Berlin, New York 1999, 228–233, 250–255; beide mit ausführlichen Hinweisen auf die ältere Literatur. Ganz knapp zu diesem Text s. a. CARR, Writing on the Tablet, 120, 172. 61 Y. AMIR, Ps 119 als Zeugnis eines proto-rabbinischen Judentums, in: DERS., Studien zum Antiken Judentum (BEATAJ 2), Frankfurt u. a. 1985, 1–24, hier: 24. Zum Terminus !yb s. a. I Chr 25,8; II Chr 26,5; 35,3; Neh 8,2.3.12; 10,29. 62 Auf die Verbindung zu Dtn 31,10–13 verweist auch VENEMA, Reading Scripture, 164: „This scene is reminiscent of the ending of Deuteronomy, where Moses orders that during the Feast of the Booths the Torah shall be read to all Israel, men, women and those ‚who have not had the experience‘, i.e., the children (Deut 31:10–13; cf. Josh. 8:34–35)“; s. a. ibid., 168. 63 Vgl. zu einer solchen Einteilung des Textes STEINS, Inszenierungen, 86–88 mit Hinweisen auf die ältere Literatur. Ein Überblick über diesen Abschnitt gibt auch KÖRTING, Schall des Schofar, 250ff.
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hatte,64 so ist auf jeden Fall deutlich, dass auch hier – wie in Dtn 31,9–13 – die verschriftete Tradition die Basis der Lektüre bildet. Wie in Dtn 31,9–13 geht es um eine Aktualisierung des Sinai- bzw. Horebgeschehens. Denn der Gegenstand der Unterweisung ist „das Buch des Gesetzes des Mose, das JHWH Israel geboten hatte“ (Neh 8,1), das im Kern ja – wie oben bereits deutlich gemacht – eine performative Erinnerung an die Horeb-Ereignisse darstellt. Auf eine weitere „Sinaispur“ dieser Passage hat Georg Steins aufmerksam gemacht. Auch in Ex 4,30f. reagiert das Volk nämlich auf die Mitteilung der Gottesoffenbarung ‚im Dornbusch‘, indem es sich verneigt und niederwirft. „Aaron redete alle Worte, die JHWH zu Mose geredet hatte, und er (Mose) tat die Zeichen vor den Augen des Volkes, und das Volk glaubte (!ma). Sie hörten, dass JHWH sich der Israeliten angenommen hatte und dass er ihr Elend gesehen hatte, und sie verneigten sich und warfen sich nieder (wwxtvyw wdqyw).“
Hierzu führt Georg Steins aus: Durch intertextuelle Anspielungen wird „erneut die Mosezeit in die Gegenwart der die Tora hörenden Gemeinde ‚hineingeholt‘ ... Die Verlesung der Tora lässt das versammelte Volk ‚gleichzeitig werden‘ mit dem Geschehen am Sinai und stellt es hinein in die Wirklichkeit des rettenden göttlichen Namens (vgl. neben Ex 3f noch 34,8). ... Die feierliche ‚liturgische‘ Inszenierung in Neh 8 ‚versetzt‘ das Volk in das Geschehen am Sinai, die Ursituation seiner Konstitution als Gottes ‚heiliges Volk‘ (vgl. Ex 19,6)“.65 b) Dazu kommt an dieser Stelle die Ritualisierung der Lektüre: Die herausragende Position Esras, das Erheben des Volks beim Öffnen der Rolle, die Benediktion vor der Lektüre sowie die Responsion des Volks, das Erheben der Hände und das Niederfallen zur Erde zum Gebet – all diese Elemente können als „liturgische Vollzüge“ beschrieben werden und erinnern an einen Gottesdienst mit einem festen Handlungsmuster.66 Sowohl das Aufstehen als auch 64 Zu dieser Problematik vgl. KÖRTING, Schall des Schofar, 246–250 mit einer knappen Zusammenfassung der einschlägigen Forschungsliteratur. Körting plädiert schließlich dafür, dass es sich hier um den Pentateuch handelt; s. a. CARR, Writing on the Tablet, 171. Nimmt man den intertextuellen Bezug zu Dtn 31,9–13 ernst, so scheint es aber wahrscheinlicher zu sein, dass mit dem hier genannten Gesetzbuch das von Mose verschriftete Deuteronomium gemeint ist; hierzu CH. HARDMEIER, Weisheit der Tora (Dtn 4,5–8). Respekt und Loyalität gegenüber JHWH allein und die Befolgung seiner Gebote – ein performatives Lehren und Lernen, in: DERS./R. KESSLER/A. RUWE (Hgg.), Freiheit und Recht. Festschrift für Frank Crüsemann zum 65. Geburtstag, Gütersloh 2003, 224–254, hier: 226. 65 STEINS, Inszenierungen, 88. Zum Thema der Sinai-Vergegenwärtigung s. jetzt auch TH. HIEKE, Die Bücher Esra und Nehemia (Neuer Stuttgarter Kommentar 9,2), Stuttgart 2005, 197. 66 STEINS, Inszenierungen, 80. Nach HIEKE, Esra und Nehemia, 193, will der Text „kein einmaliges Ereignis“ darstellen, sondern „in Form eines ‚beispielhaften Wortgottesdienstes‘ einen
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das Niederwerfen signalisieren den Respekt, den man dem Gegenstand der Verlesung – der Schriftrolle – entgegenbringt.67 Wenn dieser Gestus sich auf den demnächst anstehenden Toravortrag beziehen kann, so klingt doch schon an, dass die Tora in ihrer verschrifteten Form hier ähnlich wie ein Kultgegenstand behandelt wird.68 c) Wenn es in V. 7 heißt, dass die Leviten das Volk zu einem Verständnis der Tora führen bzw. ihm Einsicht in die Tora geben (hrwtl ~[h-ta ~ynybm ~ywlhw), wird deutlich, dass das Verständnis des Gelesenen eine zentrale Rolle bei dieser Versammlung spielt.69 Darauf deutet auch die Wendung in V. 8 rpsb warqyw arqmb wnybyw lkf ~wfw vrpm ~yhlah trwtb hin, die wohl folgendermaßen übersetzt werden muss: „Sie lasen auf deutlich machende Weise und verständnisbewirkende Art, so dass sie (nämlich das Volk) die Tora verstanden“. Das Ziel dieser ritualisierten Toraverlesung, der Esra voransteht, ist somit nicht nur eine Verlautlichung des niedergeschriebenen Gotteswortes, sondern das Verstehen des Gelesenen.70 Die Fähigkeit, das Vorgelesene zu verstehen, wird geradezu zum Kriterium dafür, wer an dieser Versammlung teilnehmen darf. So wird der Begriff „Gemeinde“ (lhq) in Neh 8,2 mit folgenden Worten mehrfach stattfindenden, mehrmals wiederkehrenden Vorgang“. KÖRTING, Schall des Schofar, 250–254, betont nachdrücklich, dass die Szene selbst allerdings nicht als Gottesdienst zu verstehen sei. 67 Aufstehen und Sich-Niederwerfen können als rituelle „Gestaltung der vertikalen Dimension“ beschrieben werden, deren „energetische Einstellung ... auf die Ermöglichung einer Machterfahrung“ abzielt; hierzu M. JOSUTTIS, Religion als Handwerk. Zur Handlungslogik spiritueller Methoden, Gütersloh 2002, 211; zum Ganzen s. a. TH. OHM, Die Gebetsgebärden der Völker und das Christentum, Leiden 1948, 340, 347ff. 68 Zum rituellen Charakter der Toraverlesung s. VENEMA, Reading Scripture, 167. Zur Tora als Kultgegenstand generell, jedoch ohne Bezug auf Neh 8,1–12, s. K. VAN DER TOORN, The Iconic Book. Analogies between the Babylonian Cult of Images and the Veneration of the Torah, in: DERS. (Hg.), The Image and the Book. Iconic Cults, Aniconism, and the Rise of Book Religion in Israel and the Ancient Near East (Contributions to Biblical Exegesis and Theology 21), Leuven 1997, 229–248, hier: 239–244. Jan Assmann hat in diesem Zusammenhang von der Wende von der primären zur sekundären Religionserfahrung gesprochen. Vgl. zum Ganzen die Ausführungen von J. ASSMANN, Die mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus (Edition Akzente), München 2003, 145: „Die Wende von der primären zur sekundären Religionserfahrung läßt sich auch als Wende vom Ritual zum Text verstehen. War in den primären oder archaischen Religionen der Text in das Ritual eingebettet und diesem untergeordnet, so wird im Monotheismus der Text in der Form kanonisierter Schriften das Entscheidende, und das Ritual hat nur noch rahmende und begleitende Funktion... . Die monotheistische Wende hat ihr Korrelat in einem Wandel des Mediums. Auf der Seite der sekundären Religionen gehören Schrift und Transzendenz zusammen, ebenso wie auf der Seite der primären Religionen Ritus und Immanenz.“ 69 S. in diesem Kontext auch Neh 8,13, wonach sich am Tag nach der Verlesung der Torarolle die Familienvorsteher mit den Priestern, Leviten und Esra versammeln, um Einsicht in die Worte der Tora zu gewinnen; s. hierzu SCHNIEDEWIND, How the Bible became a Book, 183. 70 VENEMA, Reading Scripture, 173.
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erklärt: „Männer, Frauen und alle, die verstehen können“; ähnlich heißt es im folgenden Vers: „Und er las daraus von Morgen bis Mittag … vor Mann und Frau und wer’s verstehen konnte“. Gegenstand langer exegetischer Diskussionen ist die Frage, wie das Partizip Perfekt Passiv vrpm an dieser Stelle zu interpretieren sei. Ältere Ausleger wollten – unter Einfluss von Heinrich Schaeder – hier auf eine Übersetzertätigkeit der Leviten schließen, so dass der Text als Hinweis auf die Entstehung des Targums verstanden werden konnte. Eine solche Lösung freilich trägt die aramäische Bedeutung der Wurzel vrp in den vorliegenden Text ein. Vor dem Hintergrund von Num 15,34 ist dieser Begriff vielmehr mit den Worten „deutlich, verständlich machend“ wiederzugeben und somit als ein adverbialer Akkusativ zu deuten. Die auf vrpm folgende Wendung lkf ~wf, ein Infinitiv absolutus, kann dann als erklärende Parallele zu diesem Ausdruck verstanden werden. Es muss auf jeden Fall, wie nochmals Th. Hieke in seinem Kommentar zu Esra und Nehemia dargelegt hat, an einen Lesevorgang gedacht werden, „der auslegende Züge trägt“. Wie das im Einzelnen ausgesehen haben mag, ist heute wohl nicht mehr definitiv zu entscheiden. Th. Hieke möchte an eine Interpretation des Textes durch „Modulation der Stimme und Betonung“ denken;71 andere Ausleger sehen hier bereits erste Hinweise auf eine Auslegung des Textes durch begleitende Kommentierung.72 Die starke Betonung der Bedeutung des Verstehens des Textes bereitet inhaltlich auf jeden Fall die Notwendigkeit eines Kommentars vor. Neben die Reproduktion des feststehenden Textes tritt nun wohl – formal getrennt – dessen Interpretation. Dementsprechend kann Jan Assmann in seiner kleinen Studie „Fünf Stufen auf dem Wege zum Kanon“ feststellen: „Mit Esra und seinem Gesetzbuch erreicht die Verschriftung der normativen Tradionen Israels eine weitere Stufe in Richtung auf den Kanon der hebräischen Bibel. Jetzt tritt zum kanonisierten Text etwas hinzu, was man als das notwendige Korrelat jeder Kanonbildung identifizieren kann: eine Kultur der Auslegung ... Der Kommentar holt den zeitenthobenen Text in die Zeit zurück“, denn das „Gesetz bedarf der erklärenden Rekontextualisierung“.73 Wie in Dtn 31,9–13 bildet somit auch in Neh 8,1–12 die verschriftete Tradition die Basis für einen von den Ältesten und den Priestern geleiteten Lernvortrag. Darüber hinaus wird aber auch deutlich gezeigt, dass der Vortrag der verschrifteten Überlieferung in einen liturgischen Rahmen gestellt wird; der Verlesung der Tora, ja vielleicht sogar der materialen 71
HIEKE, Esra und Nehemia, 200. Auf die Bedeutung der Auslegung verweisen u.a. auch H. G. M. WILLIAMSON, Ezra and Nehemiah (OTGu), Sheffield 1987, 94–98; KÖRTING, Schall des Schofar, 232f., 253f; STEINS, Inszenierungen, 90f.; VENEMA, Reading Scripture, 169f. A. H. J. GUNNEWEG, Nehemia (KAT 19,2), Gütersloh 1987, 110–112 betont nachdrücklich die Lehrtätigkeit der Leviten. 73 J. ASSMANN, Fünf Stufen auf dem Wege zum Kanon. Tradition und Schriftkultur im frühen Judentum und seiner Umwelt (Münstersche Theologische Vorträge 1), Münster 1999, 23f. 72
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Torarolle, wird hier eine Verehrung entgegengebracht, die an kultische Vollzüge erinnert. I. 4 Ps 40,7–9: Die verschriftete Tora als Meditationsgrundlage Abschließend sei noch auf ein weiteres Beispiel der Verbindung von verschrifteter Tradition und Lernen hingewiesen, die im Kontext der Torafrömmigkeit der Psalmen erscheint. Hier nun steht die individuelle Seite des Lernens im Vordergrund. Als Beispiel für diese Zusammenhänge sei zunächst auf Ps 40,7–9 verwiesen, wo es heißt: 7aa 7ab 7b 8a 8b 9a 9b
Schlachtopfer und Speiseopfer gefallen dir nicht, – Ohren hast du mir gegraben –, du willst weder Brandopfer noch Sündopfer. Ich habe gesagt: Siehe ich bin da; in der Buchrolle ist mir vorgeschrieben. Deinen Willen zu tun habe ich Gefallen; und deine Tora ist mitten in meinem Innern.
Die Grundaussage dieses Textes lässt sich wie folgt skizzieren: Gott will keine Opfer, sein Wille zielt vielmehr – wie die Rede vom „Graben der Ohren“ deutlich macht – auf den Gehorsam des Menschen. Da hier aber Gott – und nicht der Beter – als Subjekt des Satzes erscheint, liegt der Akzent zunächst einmal auf der Aktivität Gottes: Er selbst hat dem Menschen die Fähigkeit zum Hören verliehen74 und so die Möglichkeit der Erfüllung seines Willens grundgelegt. Diesem Anspruch antwortet der Beter mit den Worten „Siehe, ich bin da“75 und bringt mit dieser Bekenntnisaussage nun seinerseits seine Bereitschaft zum Gehorsam und Dienst gegenüber dem Willen Gottes zum Ausdruck. Die Interpretation des folgenden V. 8b entscheidet sich am Verständnis des Begriffes rps tlygm – Schriftrolle.76 In Analogie zu kleinasiatischen Sühne- und Dankinschriften wollte man in dieser Wendung einen Hinweis auf eine sog. Votiv- oder Weiherolle sehen, in der die Geschichte des Beters, seine Not und seine Rettung durch Gott niedergeschrieben ist, und die er nun gleichsam als Dankesgabe in das Heiligtum bringt. Weitaus wahrscheinlicher als diese Lösung, für die es im Alten Testament keine direkten Entsprechungen gibt und die zudem den Kontext von V. 9 nicht berücksichtigt, ist es, den Ausdruck rps tlygm im Sinne von „Gesetzes-Rolle“ zu verstehen. Auf eine solche Bedeutung verweist – neben der thematischen Nähe zu V. 9b – der Bezug zu 2 Kön 22,13, wo sich die Wendung wnyl[ bwtkh – „was uns vorgeschrieben ist“ auf das 74
Vgl. Ps 94,9; Prov 20,12. Vgl. Num 22,38; II Sam 19,21. 76 Der Begriff rps tlygm erscheint sonst nur in den prophetischen Büchern; vgl. Jer 36; Ez 2,9; 3,1–3; Sach 5,1–2. 75
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im Tempel gefundene Gesetzbuch und die darin enthaltenen Forderungen bezieht. Ob Ps 40,8b freilich das Deuteronomium im Blick hat oder ein anderes, bereits umfangreicheres Gesetzescorpus, hängt mit der komplexen Frage nach der Datierung dieses Psalmes und der Kanonisierung der Tora zusammen und kann an dieser Stelle nicht definitiv entschieden werden. Festzuhalten ist zunächst, dass rps tlygm an dieser Stelle ein Schriftstück meint, in dem Gottes Weisung, die zu tun dem Beter vorgeschrieben ist, aufgezeichnet wurde. In V.9a formuliert der Beter dann seine Freude am Tun des göttlichen Willens und knüpft damit an die Bekenntnisaussage von V. 8a an. In V. 9b schließlich wird das Motiv der Tora wieder aufgenommen: Während in V. 8b aber von der „äußeren“ schriftlichen Tora die Rede war, spricht der Beter nun von der verinnerlichten Weisung Gottes, der „Herzenstora“. Der Psalm erinnert zunächst an den eingangs zitierten Beleg Prov 22,17–21, wo ebenfalls vom Hören (der überlieferten Lehre), von deren Verinnerlichung sowie von der schriftlichen Aufzeichnung die Rede ist. Dennoch sind die beiden Texte insofern grundlegend voneinander unterschieden, da in Ps 40,7–9 die Gestalt eines vermittelnden Lehrers keine Rolle zu spielen scheint; vielmehr entsteht der Eindruck, dass hier eine Verbindung zwischen der „äußeren“ und „inneren“ Tora anvisiert ist, die ihren Ausgang in der Lektüre und im Studium der schriftlichen Überlieferung selbst nimmt und ohne eine vermittelnde Lehrperson auskommt.77 In ganz ähnlichen Zusammenhängen bewegen wir uns auch in den sog. Torapsalmen in Ps 1 und Ps 119. Das „Murmeln“ oder „Sinnen“ (hgh) über der „Tora JHWHs“, von dem in Ps 1,2 die Rede ist, kann wohl im Sinne einer meditierenden Vertiefung in die Tradition verstanden werden.78 Dass die Tora in Ps 1,2 eine schriftliche Größe darstellt, kann aufgrund des Bezugs zu Jos 1,8 angenommen werden, wo explizit vom Sefer ha-Tora die Rede ist.79 Eine schriftliche Größe als Gegenstand der Meditation ist wohl auch in Ps 119 vor77 Zum Einzelnen sowie mit Verweisen auf weitere Literatur vgl. B. EGO, „In meinem Herzen berge ich dein Wort“. Zur Rezeption von Jer 31,33 in der Torafrömmigkeit der Psalmen, in: JBTh 12 (1997), 277–289, hier: 282–285. Ganz knapp zu dieser Überlieferung auch CARR, Writing on the Tablet, 154. 78 S. hierzu R. ALBERTZ, Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit (GAT 8.1–2), Göttingen 1992, 628; H. Ringgren, Art. hgh 1.2, ThWAT II (1977), 343–345, hier: 344f; FISCHER/LOHFINK, Diese Worte sollst du summen, 71. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die parallele Verwendung des Begriffes xyX ; vgl. entsprechend Ps 77,13 und Ps 143,5. 79 Vgl. hierzu CARR, Writing on the Tablet, 153; K. SEYBOLD, Die Psalmen (HAT I/15), 1996, 472. 80 „Tora“ meint in Ps 119 eine dynamische Größe, die wohl aber bereits schriftlich niedergelegt ist, s. hierzu SEYBOLD, Psalmen, 473; E. ZENGER, JHWH als Lehrer des Volkes und als Lehrer der Einzelnen im Psalter, in: B. EGO/H. MERKEL (Hgg.), Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung (WUNT 180), Tübingen, 47–67, hier: 59.
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ausgesetzt. Nur vor diesem Hintergrund lässt sich die Formulierung in Ps 119,48 erklären, wonach der Beter seine Hände zur Tora erhebt.80 Freilich führt das Ziel des Beters in Ps 119 (und wohl auch in Ps 1) über die reine Memorierung des Stoffes hinaus. Das Wesentliche liegt hinter dem Text. Das Lernen der Weisung steht einerseits in unmittelbarem Bezug zur Feindesnot, da es den Beter aus allen Anfechtungen und Gefahren errettet. Die Weisung Gottes, wenn auch schriftlich niedergelegt, erscheint zudem als eine dynamische Größe, deren Sinn unauslotbar und tief ist (Ps 119,18.96). Somit kommt dem Bestreben, die göttliche Weisung zu verstehen und zu verinnerlichen (Ps 119,17), hier zentrale Bedeutung zu. Dieses rezitierende Lernen der Tora, dem es um ein neues, durch Gott selbst erschlossenes Verständnis derselben geht, scheint geradezu eine Art religiöse Praxis darzustellen, die mit kultischen Begriffen und Vergleichen beschrieben werden kann: Die Satzungen Gottes tönen dem Beter „wie Gesänge im Haus seiner Pilgerschaft“ (Ps 119,54), er kann von den „Opfern seines Mundes“ (Ps 119,108) sprechen und schließlich in Aufnahme der Rede vom Priestersegen bitten: „Lass leuchten über deinem Knechte dein Antlitz, und lehre mich deine Gebote“ (Ps 119,35). Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist zudem auch Ps 19,15, wo der Beter seinen Lobpreis auf die Tora, das ‚Gespräch (!wygh) seines Herzens vor Gott‘ mit einer Weiheformel, wie sie ursprünglich über der Darbringung des Opfers gesprochen wurde, abschließt. Die individuelle Beschäftigung mit der Tora, die auch als schriftliche Größe vorliegt, ihr Lernen und ihr Preisen, ist nun selbst zum Gottesdienst geworden. In Psalm 119 erscheint Gott zudem selbst als Lehrer, der dem Beter diesen Zugang zu seiner Weisung ermöglicht.81 Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle feststellen, dass einzelne Belege in den Psalmen zeigen, dass die verschriftete Tora als Grundlage einer meditierenden Lektüre diente, die für den Beter die Basis für eine ganz spezifische Form individuellen kultischen Handelns darstellte.
II. Zusammenfassung und Ausblick Dtn 6,4–9, Dtn 31,9–13, Neh 8,1–12 sowie einzelne Belege aus den Psalmen beleuchten somit die Rolle verschrifteter Überlieferungen im Kontext von Lernprozessen auf unterschiedliche Weise. Die verschriftete Weisung Gottes als Zeichen mit vielleicht magischen Konnotationen, das einen Erinnerungsraum schafft (Dtn 6,4–9); das verschriftete Mosewort, das wiederum verlautlicht wird, als Zentrum einer großen Lern- und Festversammlung 81 Vgl. zu diesen Zusammenhängen im Einzelnen und differenzierter meine Ausführungen in meinem Beitrag „Zwischen Gabe und Aufgabe“, 7–15; s. a. ZENGER, JHWH als Lehrer, 57–64 (ausführlich zu den verschiedenen Synonymen für „Tora“ sowie zur Feindesnot).
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(Dtn 31,9–13); die Ritualisierung und Liturgisierung dieses Lerngeschehens (Neh 8,1–12) sowie die individuelle meditierende Psalmenlektüre (Ps 1; Ps 40,8–12; Ps 119), die anstelle des menschlichen Lehrers auf die Hilfe der göttlichen Belehrung hoffen kann (insbesondere Ps 119) – dies sind die unterschiedlichen Paradigmen, die sich den einzelnen Überlieferungen entnehmen lassen. Da die Texte programmatischen bzw. narrativen Charakter haben und – einmal abgesehen von den Belegen aus der Psalmenfrömmigkeit – wohl kaum als direkte Reflexe von Lernprozessen interpretiert werden können, sind Aussagen zu historischen Entwicklungen im Hinblick auf die Relation zwischen verschrifteten Überlieferungen und Lernprozessen zunächst nicht unmittelbar zu erheben. Deshalb kann Dtn 6,8f auch nicht als direkter Beleg für eine weitverbreitete Literalität in Israel im 6. Jh. v. Chr. herangezogen werden.82 Bemerkenswert freilich ist, dass sich einzelne „Szenen“ relativ mühelos in das „Koordinatensystem“ der historischen Entwicklung der Schriftkultur in Israel, wie es auf einer relativ breiten Quellenbasis rekonstruiert werden kann, einfügen. So ist es zunächst auffällig, dass die frühesten Texte, in denen Lernen und Schrift verbunden sind, nämlich Dtn 6,4–9 und Dtn 31,9–13, in die späte vorexilische Zeit datiert werden. Damit entstammen sie genau jener Epoche, für die in der Forschung ein bedeutsames Anwachsen der Literalität in Palästina postuliert wird.83 So spiegeln diese Texte einerseits noch eine begrenzte Literalität wider, wenn gerade in Dtn 6,4–9 dem verschrifteten Wort auch die Aura des Numinosen zukommen kann,84 andererseits wird deutlich, dass nun – und dies gilt sowohl für den Entwurf in Dtn 6,4–9 als auch für das 82
Literaturhinweise finden sich bei SONNET, Book, 56; zu dieser Diskussion richtig ibid.: „Does the injunction ‚you shall write‘ in 6:9 constitute a hint of widespread literacy in the Israelite society that represents Deuteronomy’s implied reader? Or does it simply betray the concern of a class of scribes, responsible for the redaction of Deuteronomy, prescribing their own craft and services to the rest of the people? Such a question cannot be answered on the sole basis of the data found in Deuteronomy. What Deuteronomy does provide is a picture of a covenantal Israel. In the covenantal world projected by Moses’ speech, the people is capable of writing, exactly as is YHWH, who has been described in the act of writing.“ 83 S. hierzu u. a. SCHAPER, A Theology of Writing, 103ff.; CARR, Writing on the Tablet, 165 (zeigt die Expansion der Schriftlichkeit im 8. und dann ganz besonders im 7. Jh. v. Chr.); W. M. SCHNIEDEWIND, Orality and Literacy in Ancient Israel, in: RSJ 26 (2000), 327–332, hier: 328; DERS., How the Bible became a Book, 98–106; E. A. KNAUF, Die Umwelt des Alten Testaments (NSK.AT 29), Stuttgart 1994, 216. 84 Ob auch die Gesetzesverlesung in Dtn 31,9–13 als Hinweis auf eine begrenzte Literalität gedeutet werden kann (so bei CARR, Writing on the Tablet, 120 angedeutet), wage ich zu bezweifeln. Hier geht es vor allem um den Versammlungscharakter und die öffentliche Promulgation der Mose-Tora. Dieser Aspekt wird auch von KNAUF, Umwelt des Alten Testaments, 216, verkannt, wenn er der „Forderung des Dtn, regelmäßig und öffentlich verlesen zu werden (Dtn 31,9–13)“ entnehmen möchte, „daß es noch im 6./5. Jh. nicht nur die Unerschwinglichkeit von Büchern war, die damals die meisten Israeliten davon abhielt, eine Bibel (wenn es das damals schon gab), zu besitzen.“
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Programm Dtn 31,9–13 – Schrift und Verschriftung der Tradition ein wesentliches Element in Unterweisungsprozessen einnehmen soll. Wenn auch schwer zu entscheiden ist, ob sich in der Gesetzesverlesung Esras mit ihrer klaren Trennung zwischen zu verlesendem Text und dessen Auslegung bereits Strukturen ähnlich denen der in Griechenland ab dem 3. Jh. v. Chr. entstehenden Form des Kommentars85 niedergeschlagen haben, so kann die Torafrömmigkeit der Psalmen schließlich auf jeden Fall als Reflex auf die hellenistische Buch- und Bildungskultur verstanden werden. In einer Zeit, in der die allgemeine Literalität sprunghaft zunimmt, in einer Zeit zunehmend steigender Buchproduktion und der Einrichtung von Bibliotheken sowie des Entstehens einer privaten Lesekultur, in der die gesellschaftliche Bedeutung auch über die Partizipation an dieser Schul- und Lesekultur definiert wird, ist der individuelle Rückzug auf die Buchtradition der eigenen Kultur, die – wie Ps 1 und Ps 119 deutlich machen – durchaus in Abgrenzung gegenüber den „Feinden“ geschieht, durchaus sinnfällig. Vor diesem Hintergrund formuliert Erich Zenger: „Die Büchersammlung par excellence, von der man sich für die jüdische Seele Erquickung und Heilung versprach, waren die Bücher der Tora des Mose. Wenn der Beter von Ps 1 sagt, er finde seine Lebenslust in der Tora JHWHs, wenn er in ihr ‚bei Tag und bei Nacht‘ meditiere, ja die Tora werde ihm sogar beim eschatologischen Gericht zum ewigen Leben verhelfen, trifft er genau den Nervus rerum von Ps 119: Dieser lange Psalm mit seinen 22 Alphabet-Strophen will eine kleine Bibliothek sein – eine Heilstätte der Seele inmitten einer bösen Welt.“86 Die in der alttestamentlichen Überlieferung vorkommenden unterschiedlichen Typen der Relation von verschrifteter Tradition und Lernprozessen haben darüber hinaus aber auch paradigmatischen Charakter und stellen die Basis für alle weiteren Entwicklungen dar: Aus den programmatischen Worten in Dtn 6,4–9 entwickeln sich der Brauch, Mesusot an den Türrahmen zu befestigen bzw. Tefillin anzulegen. Das früheste literarische Zeugnis für diesen Brauch ist ein Abschnitt im Aristeasbrief §§ 158–160, wonach Zeichen an Türen und Handgelenken zur Erinnerung an das göttliche Gebot dienen sollen. 85 R. PFEIFFER, Geschichte der klassischen Philologie. Von den Anfängen bis zum Ende des Hellenismus, zweite durchgesehene Auflage, München 1978, 201ff; L. D. REYNOLDS/N. G. WILSON, Scribes and Scholars. A Guide to the Transmission of Greek and Latin Literature, Oxford 1991, 10. 86 ZENGER, JHWH als Lehrer, 63f. Zur Entwicklung der Schrift- und Buchkultur in der hellenistischen Zeit s. a. CARR, Writing on the Tablet, 177–199; REYNOLDS/WILSON, Scribes and Scholars, 6f. Zur Bedeutung der Schulen und der Bildung in dieser Epoche s. M. HENGEL, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jhs. v. Chr. (WUNT 10), 3., durchgesehene Auflage, Tübingen 1988, 120–152; s. a. M. MACH, Lerntraditionen im hellenistischen Judentum unter besonderer Berücksichtigung Philons von Alexandrien, in: B. EGO/H. MERKEL (Hgg.), Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung (WUNT 180), Tübingen 2005, 117–139.
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Als ältester materialer Beleg, von dem man annimmt, dass er aufgrund von Größe und Faltung als Mesusa gedient haben soll, gilt in der Regel der Papyrus Nash aus der 2. Hälfte des 2. Jh.s v. Chr., der den Dekalog in einer Mischform aus Ex 20,2–17, Dtn 5,6–21 und Dtn 6,4f enthält. Weitere Mesusa- bzw. Tefillintexte sowie auch Tefillinkapseln, die z. T. noch ins 2. Jh. v. Chr. datieren können, wurden in Qumran entdeckt.87 Wie der Brauch – einmal abgesehen von dem Bemühen um eine möglichst genaue Erfüllung der Tora und von der Funktion als Erinnerungszeichen – im Einzelnen motiviert war und ob gerade die Mesusa auch als Amulett fungierte und damit magischen Charakter hatte, lässt sich im Einzelnen heute nur noch schwerlich bestimmen.88 Die Verbindung zwischen der Verlesung des Gesetzes und dessen Auslegung wiederum bildet die Grundlage für den Synagogengottesdienst, von dem sowohl bei Philo und Josephus als auch im Neuen Testament berichtet wird: Wenn die Juden jeweils am siebten Tag zusammenkommen, um das Gesetz zu hören, dann liest einer der anwesenden Priester oder einer von den Alten ihnen die heiligen Gesetze vor und legt sie Punkt für Punkt aus bis ungefähr zum späten Nachmittag (Hypothetica 7,12f).89 Vom Hören und Lernen der Tora am Sabbat weiß auch Josephus, wenn er vom Verlesen und der Lehre der Tora spricht (Ap 2,17; s. a. Ant 16,43). Dabei ist anzunehmen, dass diese Lehre mehr als das schlichte Reproduzieren der traditionellen Text bedeutet und auch deren Auslegung mit einschließt.90 Auf ein meditatives Schriftstudium schließlich lassen Aussagen bei Jesus Sirach schließen, wenn hier vom Schriftgelehrten die Rede ist, der „sein Sinnen auf das Gesetz des Allerhöchsten richtet“ (39,1) und der, wenn er mit dem Geiste der Einsicht erfüllt wird, „Worte der Weisheit empor sprudeln lässt“ (V. 6).91 Ps 1 mit dem Ideal vom über der Tora sinnenden Weisen wurde aber 87
KEEL, Zeichen der Verbundenheit, 166–178. Vgl. z. B. Targum zu Cant 8,3: „Die Gemeinde Israel spricht: Ich bin auserwählt von allen Völkern der Welt. Denn ich binde die Tefillin an meine linke Hand und an meinen Kopf und befestige die Mesusa an der rechten Seite der Tür in dem Drittel, das der Oberschwelle zugewandt ist, damit ein Dämon keine Macht hat, mich zu beschädigen.“ Vgl. aber auch andere Motive, wonach Tefillin bzw. Mesusot vor Sünde bewahren oder das Leben verlängern. Vgl. hierzu H. L. STRACK/P. BILLERBECK, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, 4 Bde., 8. unveränderte Auflage, München 1986, IV.1, 273–276. 89 MÜLLER, Lesen und Verstehen, 43; CARR, Writing on the Tablet, 244–246. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Luk 4,16–21; hierzu s. MÜLLER, Lesen und Verstehen, 84–88. 90 Zu Josephus s. CARR, Writing on the Tablet, 246–250; MÜLLER, Lesen und Verstehen, 43. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Theodotosinschrift, hierzu s. MÜLLER, Lesen und Verstehen, 43. 91 Hierzu M. HENGEL, „Schriftauslegung“ und „Schriftwerdung“ in der Zeit des Zweiten Tempels, in: DERS./H. LÖHR (Hgg.), Schriftauslegung im Antiken Judentum und Urchristentum (WUNT 73), Tübingen 1994, 1–71, hier: 37f. Vgl. zu Sirach auch FOX, Wisdom, 169, der auf die Bedeutung der verschrifteten Tradition bei Ben Sirach hinweist. S. a. auch meinen Beitrag zu Sirach in diesem Band. 88
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auch in Qumran rezipiert und gleichsam in die Praxis umgesetzt, wenn sich nun – 1QS VI, 6–8 – zehn Männer sozusagen „schichtweise“ Tag und Nacht um die Erforschung der Tora mühen sollen.92 Alle Beispiele zeigen: In der sog. Spätzeit des Alten Testaments und im frühen Judentum ist die verschriftete Tradition zu einem eigenen Bestandteil des religiösen Symbolsystems geworden; ihre Verlautlichung und Aktualisierung bildet einen zentralen Bestandteil des religiösen Lebens und Lernens. Vor dem Hintergrund der These T. Veijolas, wonach das jüdische Schriftgelehrtentum seine historischen Wurzeln in der Kreisen der späten Deuteronomisten hat,93 stehen die hier präsentierten Texte nicht nur in einem intertextuellen, sondern auch in einem traditionsgeschichtlich bzw. soziologischen Zusammenhang. Sie können gleichsam als Fenster betrachtet werden, in denen wir einen Blick in die Geschichte jüdischen Lehrens und Lernens werfen können.
92 S. hierzu A. STEUDEL, „Bereitet den Weg des Herrn“. Religiöses Lernen in Qumran, in: B. EGO/H. MERKEL (Hgg.), Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung (WUNT 180), Tübingen, 99–116, insbes. 106; zum Lernen in Qumran s. a. CARR, Writing on the Tablet, 215–239; zum inspirativen Aspekt s. B. EGO, Zwischen Gabe und Aufgabe – theologische Implikationen des Lernens in der alttestamentlichen und antik-jüdischen Überlieferung, in: DIES./H. MERKEL (Hgg.), Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung (WUNT 180), Tübingen 2005, 1–26, hier: 15–22 (alle mit Hinweisen auf die ältere Literatur). 93 T. VEIJOLA, Die Deuteronomisten als Vorgänger der Schriftgelehrten. Ein Beitrag zur Entstehung des Judentums, in: DERS., Moses Erben. Studien zum Dekalog, zum Deuteronomium und zum Schriftgelehrtentum, Stuttgart u. a. 2000, 192–240.
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Zur schriftgestützten Expertentätigkeit Jeremias im Milieu der Jerusalemer Führungseliten (Jeremia 36) Prophetische Literaturbildung und die Neuinterpretation älterer Expertisen in Jeremia 21–23* CHRISTOF HARDMEIER
1. Schriftlichkeit in den judäischen Funktionseliten im späten 8. bis 6. Jh. v. Chr. Wer davon ausgeht, dass die ältesten, historisch verifizierbaren Literaturzeugnisse in der hebräischen Bibel und insbesondere die Anfänge der Prophetenbücher zumindest auf die späte Königszeit zurückgehen, muss eine möglichst quellengestützte Vorstellung von den literatursoziologischen Bedingungen und kommunikativen Funktionen zu gewinnen suchen, die den Schriftgebrauch in spätvorexilischer Zeit geprägt und zu den konstitutiven Ausgangspunkten der alttestamentlichen Literaturbildung geführt haben. Als wesentlicher Faktor der altisraelitischen Sozialgeschichte bilden Erkenntnisse zur schriftgestützten Kommunikation in spätvorexilischer Zeit eine unverzichtbare Basis, um insbesondere die Entstehung der Schriftprophetie und die Prozesse ihrer Überlieferung und Bearbeitung genauer verstehen und erfassen zu können. 1.1 Die Studie von D. W. Jamieson-Drake, die dem Ansatz einer integralen Sozial-Anthropologie und „anthropological archeology“ verpflichtet ist und anhand archäologischer Grabungsbefunde den Grad des Schriftgebrauchs untersucht, stellt einen signifikanten Strukturwandel im Gebrauch und in der Verbreitung der Schrift im Rahmen administrativer Tätigkeiten ab dem Ende des 8. Jh.s in Juda fest.1
* Die Abschnitte 1–4 sowie der Anhang I sind bereits publiziert in: C H. HARDMEIER , Schriftgebrauch und Literaturbildung im Milieu der Jerusalemer Führungseliten in spätvorexilischer Zeit (Jeremia 36), in: I. KOTTSIEPER/R. SCHMITT/J. WÖHRLE (Hgg.), Berührungspunkte. Studien zur Sozial- und Religionsgeschichte Israels und seiner Umwelt. Festschrift für Rainer Albertz zu seinem 65. Geburtstag, Münster 2008, 267–290.
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Der Einsatz und die Verwendung der Schrift im Milieu der judäischen Funktionseliten hatten im 8. und vor allem im 7. und frühen 6. Jh. sprunghaft zugenommen, wie die Graphik 16 zeigt. Jamieson-Drake sieht diesen archäologischen Befund zu Recht im Zusammenhang mit einem Strukturwandel innerhalb der staatlichen Administration und Verwaltungstätigkeit: „The development of the Judahite bureaucracy into a higher-level system managing a greater range of economic and legal transactions in an even more centralized fashion was for two centuries a positive development for the regional economy, measured in terms of productivity and population growth.“2 1.2 Dieser statistische Befund wird durch epigraphisches Material bestätigt, das auf administrative Tätigkeiten von Funktionseliten und Spezialisten hinweist.3 1 Vgl. D. W. JAMIESON -DRAKE, Scribes and Schools in Monarchic Judah. A Socio-Archeological Approach (JSOT.S 109), Sheffield 1991, 26ff., und die Graphik 16, 216, ferner die Textübersicht in J. RENZ, Die althebräischen Inschriften. Teil 1: Text und Kommentar, in: DERS./W. RÖLLIG (Hgg.), Handbuch der althebräischen Epigraphik (HAE I), Darmstadt 1995, 11–19. Dabei beschränken sich die bei Renz angeführten Belege für das 10. bis zur ersten Hälfte des 8. Jh.s auf gut eine Seite (11f.), während die Auflistung von Inschriften aus dem späteren 8. Jh. bis in das frühe sechste gut sieben Seiten umfasst. 2 JAMIESON -DRAKE, Scribes, 147. 3 Vgl. RENZ, HAE I.
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Zahlreiche Siegelfunde deuten auf eine verbreitete Vertragspraxis und Verwaltungstätigkeit, die sich organischer Schriftträger (Papyrus) bediente, so dass uns als archäologische Spur nur die Siegel erhalten sind. Daneben stehen Ostraka sowie epigraphische Bruchstücke auf Behältnissen (z. B. Krugstempel), die wie die Arad-Ostraka auf schriftlich registrierte Waren-Lieferungen hinweisen und – wie die Siegel – eine schriftgestützte Wirtschafts- und Verwaltungspraxis dokumentieren. Dieser signifikante Anstieg von administrativen Schriftzeugnissen ab dem 8. Jh. korrespondiert mit den Erkenntnissen, die H. M. Niemann in seiner Untersuchung der Herrschaftsmittel und staatlichen Organisationsstrukturen im monarchischen Israel sowie ihrer Reichweite gewonnen hat. Sein Fazit lautet: „Ein Funktionärsnetz als personales Verwaltungs-Herrschaftsmittel, königliche Bauten und Funktionsorte politischer, militärischer und ökonomischer Abzweckung, Gerichts- und Kultorganisation sowie Landesgliederung als königliche Herrschaftsmittel zeigen sich, funktional als Herrschaftsmittel von der Herrschafts-Spitze bis in die durchschnittliche Bevölkerungs- und Orts-Ebene aktiv hineinwirkend, in Israel zeitlich später, geringfügiger und weniger tiefgreifend als bisher meist angenommen.“4 Nach Niemann kann man mit einer solchen Ausbreitung staatlich-administrativer Tätigkeit auf verschiedenen Ebenen der Herrschaftsausübung und außerhalb der Residenzhauptstadt Jerusalems erst ab Ussia (773–736) und verstärkt erst ab Josia (639–609) rechnen.5 1.3 Zwei signifikante Schriftzeugnisse, die auf spezifische administrative Tätigkeiten der Funktionseliten (=jrf) im Bereich der Rechtssprechung hinweisen und Korrespondenzgepflogenheiten in der politischen Debatte zu Beginn des 6. Jh.s erkennen lassen, sind hier exemplarisch zu nennen: Zum einen ist es die Petition von Mesad Oašavyāhū, die sich an den rf, d. h. an den örtlichen Administrator mit militärischen, aber wahrscheinlich auch zivilen Funktionen wendet. In der Petition geht es um den Streitfall einer Kleiderpfändung, so dass der rf möglicherweise als Rechtsinstanz angesprochen wird. Zum anderen haben die Lachisch-Ostraka die Korrespondenz zwischen den umliegenden Forts und dem Oberkommandanten von Lachisch im Vorfeld des babylo4 H. M. NIEMANN , Herrschaft, Königtum und Staat. Skizzen zur soziokulturellen Entwicklung im monarchischen Israel (FAT 6), Tübingen 1993, 281. 5 Vgl. NIEMANN , Herrschaft, Königtum und Staat, 53–55, 131f., 158, 181–183, 205, 224–226, 234, 244f., 259f., 267, 275–280. Auch Niemann führt den signifikanten Anstieg von Siegel- und Bullenfunden, die dem 8. und 7. Jh. zuzuordnen sind, auf eine steigende „Zahl der Menschen“ zurück, „die ein Siegel benötigten“, wobei in diesen „Siegelbesitzern eine Schicht in Juda zu erkennen“ ist, „die durch Besitz und Einfluß sich immer deutlicher nicht nur als Elite aus der Bevölkerung, sondern auch aus der Elite als śrym abzuheben begann“ (a.a.O., 52).
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nischen Truppenanmarsches um 588 zum Inhalt. Darin finden sich nicht nur aktuelle Meldungen zur (militärischen) Situation (vgl. v. a. Nr. 4). Vielmehr ist besonders in den Ostraka 3.5 und 6 von weiteren Schriftstücken (rps) die Rede, über deren Lektüre und Inhalt diskutiert wird. Diese Briefe stammen ihrerseits von einem Funktionsträger aus der königlichen Klientel (+lmh dbbnh t>m) zum Inhalt hat:6 Und den Brief des æōbyāhû, des Dieners des Königs, der kam zu Šallūm, dem Sohn des Yaddū, von Seiten des Propheten mit dem Inhalt: ‚Sei vorsichtig‘, ihn sendet dein Diener hiermit an meinen Herrn.
Ferner werden in Ostrakon 6 der König und die Beamten ([=]rfh) in Jerusalem als Absender genannt (VI, 4f.), wobei der Inhalt dieses Schreibens kritisch beurteilt wird. Denn es zersetze auf der Linie von Jer 38,4 die Widerstandskraft der Verteidigungsfront von Lachisch (VI, 5–7): „Lies doch“. Und siehe die Worte der Be[amten] sind nicht gut: Sie machen deine Hände schlaff [und lassen] die Hände der Mä[nner sink]en ...
Als epigraphische Evidenz sind diese Beispiele in zweifacher Hinsicht signifikant: Zum einen wurden – wie aus der Bittschrift von Mesad Oašavyāhū hervorgeht – zivile Angelegenheiten der Streitschlichtung und der lokalen Rechtsprechung im späten 7. Jh. bzw. frühen 6. Jh.7 offenbar auch in den Funktionsorten außerhalb Jerusalems schriftgestützt kommuniziert. Zum andern gab es offenbar auch außerhalb Jerusalems unter den administrativen Funktionsträgern in den regionalen Funktionsorten und militärischen Stützpunkten eine schriftgestützte „Öffentlichkeit“, die die Jerusalemer Politik und prophetische Stellungnahmen kritisch diskutierte.8 Diese Stellungnahmen sowie politische Direktiven zirkulierten damit offensichtlich ihrerseits in Form von Schriftstücken. Dazu gibt es nicht nur in medialer, sondern auch in sachlicher Hinsicht genaue Entsprechungen sowohl im zeitgenössischen joschijanischen Deuteronomium als auch in der jeremianischen Primärliteratur.
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Lachisch Ostrakon 3, Z. 19–21, zitiert nach RENZ, HAE I, 418f. Vgl. zur Archäologie und Datierung der Anlage sowie zur Forschungsdiskussion NIEMANN, Herrschaft, Königtum und Staat, 163f. 8 Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch RÜTERSWÖRDEN: „Zusammenfassend ist zu sagen: es gab einen Dokumentenversand innerhalb der Verwaltung, der die Kommandanten von Festungen in politischen Fragen auf dem Laufenden hielt“ (U. RÜTERSWÖRDEN, Der Prophet in den Lachisch-Ostraka, in: CH. HARDMEIER [Hg.], Steine – Bilder – Texte. Historische Evidenz außerbiblischer und biblischer Quellen [ABG 5], Leipzig 2001, 179–193, hier 184). Dabei geht RÜTERSWÖRDEN, 179–184 ausführlicher auf die o.g. Ostraka von Lachisch und die Frage eines administrativen Schriftverkehrs unter den Verantwortungsträgern zwischen den judäischen Funktionsorten ein, worauf sich meine exemplarischen Überlegungen stützen. 7
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2. Biblische Zeugnisse schriftgestützter administrativer Tätigkeiten: Vertragsurkunden, =jrbd und twrwt in Dtn 17 und im Jeremiabuch – zum „Sitz im Leben“ der Rechtsüberlieferungen 2.1 Als erstes Zeugnis für eine schriftgestützte administrative Tätigkeit ist auf das Ackerkaufgeschäft in Jer 32,6–15 und seine urkundliche Besiegelung hinzuweisen. Zwar ist der Bericht darauf ausgerichtet, dass Jeremia in diesem Alltagsgeschäft rückschauend – unter den Sonderbedingungen seiner Haft – einen zukunftsweisenden, man könnte sagen, einen JHWH-Sachverhalt oder JHWH-casus bzw. eine JHWH-Angelegenheit (V. 8b: >wh hwhj&rbd jk w) erkennt,9 worauf zurückzukommen sein wird (vgl. unten 3.3). Im Blick auf administrative Tätigkeiten ist jedoch von Bedeutung, dass sich Jeremia dabei selbst als Schreibender betätigt (V. 10a) und sein Begleiter Baruch notarielle Funktionen der Ausfertigung und sicheren Verwahrung des Vertrags übernommen hat. Zudem ist das Kaufgeschäft ein öffentlicher und deshalb auch staatlich-administrativer Akt, der durch rechtsmündige Zeugen mit ihrer Unterschrift beglaubigt wird.10 9 Vgl. dazu CH. HARDMEIER , Jeremia 32,2–15 als Eröffnung der Erzählung von der Gefangenschaft und Befreiung Jeremias in Jer 34,7; 37,3–40,6, in: W. GROSS (Hg.), Jeremia und die „deuteronomistische Bewegung“ (BBB 98), Weinheim 1995, 187–214. 10 Davon unterscheidet sich das rein mündliche Verfahren eines Ackerkaufs, das archaisierend in Rut 4,1–8 erzählt wird. Zwar wird der Kaufakt wie in Jer 32,10 und 12 vor herbeigerufenen Zeugen vollzogen (Rut 4,2 und 9), jedoch im Unterschied zu Jer 32,10–13 nicht durch einen Schriftakt beurkundet. Vielmehr wurde in der oralen Dorfkultur der altjudäischen Sippengesellschaft die „Abtretung von Besitzansprüchen“ durch den symbolischen Akt des Schuhausziehens (Halisa) besiegelt (vgl. I. FISCHER, Rut [HThKAT], Freiburg 2001, 241), der als „symbolische(r) Rechtsakt“ die „dispositiv-performative Funktion“ hatte, „den vertraglichen Austausch in Kraft zu setzen“ (E. OTTO, Biblische Altersversorgung im altorientalischen Rechtsvergleich, in: ZAR 1 [1995], 83–110, hier 109). Allerdings wurde dieser Ritus nach Dtn 25,9 auch noch im Falle der Verweigerung einer Leviratsehe vollzogen, war aber – entgegen der Vermutung von FISCHER (vgl. Ruth, 241–243) – als symbolische Beglaubigung eines Besitzverzichts bzw. Rechtsentzugs nicht an diesen Grenzfall gebunden (so auch zu Recht OTTO, Altersversorgung, 108f.), zumal auch in Dtn 25,9 nicht allein der Rechtsentzug im Vordergrund stand, der auch im späteren 7. Jh. noch kaum schriftlich besiegelt worden sein dürfte, sondern die Bloßstellung und Verspottung des Verweigerers. Der oral-kulturelle Charakter dieses symbolischen Rechtsaktes geht auch aus der metanarrativen Bemerkung in Rut 4,7 hervor, die der Leserschaft diesen Ritus explizit als Brauchtum der archaisierten Richter-Zeit (vgl. Rut 1,1 und =jnpl in 4,7) erklären muss. Denn diese Erzählung von der unerwarteten Wiederbelebung der Elimelech-Sippe (vgl. Rut 1,1–5.13b.21 im Kontrast zu 2,20; 4,5.9–11 und 14f.), von der völlig überraschenden Gewinnung einer Heimstatt für Rut (vgl. Rut 1,8f.; 3,1 und 4,13) sowie einer vollen Altersversorgung für Noomi (vgl. Rut 4,15) in der fiktiven Richter-Zeit entstammt einer Erzählperspektive der spät- bzw. frühnachexilischen Zeit, in der Übertragungen von Besitz- und Rechtsansprüchen wie schon in Jer 32 längst durch schriftliche Verträge beurkundet wurden.
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2.2 Ein weiterer Aspekt administrativer Tätigkeit, die sich sehr wahrscheinlich auch der Schrift bedient haben muss, geht aus Dtn 17,8–12 hervor. Nach V. 8 hat die Torgerichtsbarkeit in schwierigen Rechtsfällen (vpcml rbd) eine richterliche Expertise am Zentralort Jerusalem und von der dortigen Oberinstanz einzuholen. Diese Gutachten werden in V. 9bβ als vpcmh rbd bezeichnet, d. h. als Rechts-Sachverhalt bzw. als verbindliche Fallentscheidung. Laut V. 10a muss dann im Torgericht genau nach dem Wortlaut des erteilten Gutachtens verfahren werden (rbdh jp lrq für das Vorlesen zeigt. Ferner kritisiert der hwhj rbd (2,4) von Jeremia zum einen inhaltlich den radikalen innenpolitischen Kurswechsel Jojakims, der die beziehungstheologischen Grundlagen in der Präambel des joschijanischen Verfassungsstatuts in Frage stellt (vgl. Jer 2,3 mit Dtn 7,6; 14,2; 26,19 und Jer 2,6.7a mit Dtn 8,7ff.14b.15)38 und das erneute Aufblühen der Korruption zur Folge hat (2,7b.8 und 33f.). Zum anderen entfaltet die Expertise die Sinn- und Aussichtslosigkeit einer neuerlichen An37
Vgl. dazu auch HARDMEIER, Wahrhaftigkeit und Fehlorientierung bei Jeremia, 129–
131. 38 Zur theopolitischen Präambel des joschijanischen Verfassungsstatuts in Dtn 6–8* vgl. CH. HARDMEIER, Wirtschaftliche Prosperität und Gottvergessenheit. Die theologische Dimension wirtschaftlicher Leistungskraft nach Dtn 8, in: DERS., Erzähldiskurs und Redepragmatik im Alten Testament. Unterwegs zu einer performativen Theologie der Bibel (FAT 46), Tübingen 2005, 185–207, bes. 187–195.
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lehnung an Ägypten, die mit der Assur-Treue Manasses verglichen wird. Dabei werden diese Geschäfte (+rd) mit und die politische Anbindung an Ägypten, die Jojakim entgegen Dtn 17,16 betreibt (vgl. 2 Kön 23,34f.), in geschichtsdivinatorischer Hinsicht ebenso verheerend und erfolglos sein, wie das einstige Vertrauen auf die Schutzmacht Assur unter Ahas (2,36, vgl. V. 14–19) sowie zur Zeit Manasses (vgl. auch Jes 10,24–26). Deshalb unterliegt Jojakims Politik der vasallentreuen Anlehnung an Ägypten (vgl. 2 Kön 23,34f.) der Missbilligung bzw. der Verwerfung durch JHWH (V. 37) und wird von Jeremia als Verrat an der joschijanischen Reformpolitik verurteilt, was die Zensurmaßnahmen Jojakims (36,23f.) gegen diese frühe Oppositionsschrift (Jer 2) erklären könnte. Vor dieser erneuten Anlehnung an Ägypten zu warnen, lag auch in historischer Hinsicht insofern nahe, als Jojakim im zu Ende gehenden Jahr 604 (vgl. Jer 36,9a und 22) nach der Niederlage der Ägypter bei Karkemisch zusammen mit seinem Vasallenherrn Necho mit neuen Planungen einer antibabylonischen Koalition begonnen haben dürfte. Die Kritik an dieser aktuellen Bündnispolitik (2,16 und 18, vgl. 36f.) verknüpft Jeremia mit dem theopolitischen Vorwurf, dass sich die Jerusalemer Regierung – in Gestalt der als Frau angesprochenen Stadt – damit zugleich von der Primärorientierung an JHWH selbst abwendet (V. 17 und 19) und sein geschichtsdivinatorisch erkennbares Wirken in den Wind schlägt. Dabei gipfelt dieser Vorwurf in V. 19b nicht zufällig im göttlichen Selbstzitat, dass bei den Jerusalemern kein „Erschrecken vor mir“ (hdxp + Suffix 1. sg.) vorhanden sei, was in sprachlicher Hinsicht mit der narrativen Botschaft von Jer 36,9a.10–26 übereinstimmt, dass sich Jojakim und sein Umfeld ganz im Gegensatz zur Schafan-Fraktion von Jeremias geschichtsdivinatorischer Expertise überhaupt nicht beeindrucken (dxp, 36,24 vgl. 16) ließ.39 Somit liegt es auch aufgrund dieses intertextuellen Bezugs nahe, in Jer 2 einen Teil jener Erstfassung der Schriftrolle zu sehen, die Jojakim nach Jer 36,23 aus mangelndem Erschrecken auf zynische Weise vernichtet hatte.40
39 Die Vokabeln dxp und hdxp (= hap. leg.) begegnen im ganzen Jeremiabuch außer in Jer 33,9 nur in 2,19 einerseits und 36,16 und 24 andererseits, was die Stichhaltigkeit dieses intertextuellen Bezugs unterstreicht. 40 Das spricht auch für die Annahme von R. ALBERTZ, Jer 2–6 und die Frühzeitverkündigung Jeremias, in: ZAW 94 (1982), 20–47, dass in Jer 2 im Prinzip (wenn auch bei Albertz mit anderen Gründen) einer der ältesten Texte aus der Frühzeit von Jeremias Verkündigung nach 609 zu vermuten ist, zumal der Diskurs in 2,37b mit einem gleich lautenden Verwerfungsurteil JHWHs wie die spätere Erweiterung und Bearbeitung in den Kapiteln 3–6 in 6,30b endet, die diese frühe theopolitische Stellungnahme zu einer ultimativen Verwarnung Jerusalems während des Truppenvormarsches der Babylonier um 588 ausbauen; vgl. dazu unten 4.5 und Anm. 45.
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4.4 In Jer 36,27–32* findet sich die Spur einer ersten literarischen Bearbeitung der Erzählung von der Protektion Jeremias, die wie Jer 26 auf die schützende Rolle der Schafan-Fraktion in der Verfolgungszeit durch Jojakim zurückblickt, wobei die Akzente durch die Verse 27–32* wesentlich verlagert werden und die Milieu-Erzählung in den Kontroversen um den Aufstand Zidkijas gegen Nebukadnezzar eine neue narrative Funktion gewinnt. Die Zeitangabe in V. 27 setzt diese Erweiterung deutlich vom primären Erzählkern in 36,9f.* –26 ab. Thematisiert wird allein die Untat Jojakims (V. 23), während die hoch detailliert und differenziert dargestellte Beamtenrunde ebenso wenig wie die verschiedenen Örtlichkeiten des Geschehens und die Dialoge mit Baruch noch irgendeine Rolle spielen. Ferner verlagert der Befehl, eine neue Schriftrolle anzufertigen (V. 28), den Erzählfokus zum einen ganz auf das (weitere) Schicksal der Jeremia-Worte und ihre Neuschrift (V. 32a), und zum anderen wird Jojakim in V. 29f. für seinen verwerflichen Umgang mit der Erstschrift zur Rechenschaft gezogen. Damit konzentriert sich die Erweiterung ganz auf das schändliche Verhalten Jojakims als solches und auf seine verwerfliche Zensurmaßnahme, der Jeremias kritische Stellungnahme gegen seine Ägyptenpolitik damals zum Opfer fiel, während das detailliert gezeichnete Verhalten der Beamten in 36,9f.*–26 überhaupt keine Rolle mehr spielt.41 Bei der literarisch erweiterten und aktualisierten Retrospektive von Jer 36,9f.*–29f.*32a handelt es sich um eine historische Tendenzerzählung, die mit 2 Kön 18f.* vergleichbar ist.42 Ihr narrativer Sinn zielt auf die Warnung Zidkijas ab, er solle mit der erweiterten Jeremia-Rede nicht so verfahren wie sein Vorgänger Jojakim mit der Erstfassung, weil ihm sonst das Schicksal eines unwürdigen Todes ohne Begräbnis droht (V. 30b), das Jeremia dem verwerflichen Vorgänger und Onkel Zidkijas in Jer 22,18f. zwar angekündigt hatte, das aber damals nicht eintraf (vgl. 2 Kön 24,6). Diese unerfüllte Drohung ruft 36,30b in freier Nachformulierung in Erinnerung und signalisiert damit in die Erzählsituation hinein, dass dieses Schicksal Jojakims umso mehr seinem Nachfolger Zidkija drohen könnte, sollte sich auch dieser so gegen die erneut aufgezeichnete Jeremiaschrift stellen wie sein friedlich verstorbener Halbbruder. Und in der Tat schien sich Zidkija darüber nach Ausweis von Jer 34,4f. und 38,19b durchaus große Sorgen gemacht zu haben.43
41 Bereits B. DUHM, Das Buch Jeremia erklärt (KHC XI), Tübingen 1901, 295, hat in Jer 36,27–31 eine Bearbeitung der älteren Erzählung vermutet; vgl. zur Diskussion W. THIEL, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 26–45. Mit einer Gesamtbeurteilung der deuteronomistischen Redaktion des Buches Jeremia (WMANT 52), Neukirchen-Vluyn 1981, 50 Anm. 3. 42 Vgl. dazu auch HARDMEIER, Prophetie im Streit vor dem Untergang Judas, 461 und 466–468 sowie 346–352.
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4.5 Vor allem aber fasst Jer 36,29bβ244 auf charakteristische Weise die Hauptbotschaft zusammen, die Jojakim in der erweiterten Erzählperspektive von V. 27ff. als Hauptinhalt der verbrannten Jeremia-Schrift wahrgenommen und dem Propheten zum Vorwurf gemacht hatte: Jeremia habe darin angekündigt, dass der König von Babel unabwendbar kommen und das Land zerstören würde. Genau diese Botschaft aber ist die Quintessenz der Alarmreden von Jer 4,5ff. und 6,1ff. (vgl. bes. 4,6b.7 mit 36,29bβ2), wobei mit diesen Reden die Erstschrift von Jer 2, die sich um 604 gegen Jojakims Ägyptenpolitik gewendet hatte, ihrerseits während der ersten Belagerung Jerusalems durch die Babylonier um 588 durch die Kapitel 3–6* erweitert wurde. Dafür spricht auch das Verwerfungsurteil JHWHs in 2,37 und 6,30, das schon die Erstschrift beschließt und dann als Abschluss der Erweiterung in 6,30 aktualisierend aufgenommen wird: =hb hwhj s>m jk bzw. +jxvbmb. Die Erweiterungskapitel bauten die Erstschrift von Jer 2 zu einer ultimativen Verwarnung Jerusalems aus (vgl. Jer 6,8), den Bruch des vor JHWH beschworenen Loyalitätseides gegenüber Nebukadnezzar (vgl. Ez 17,13 und Jer 5,2.6f. mit Dtn 6,13b sowie Jer 3,1–5) als Schuld einzusehen und vor dem herannahenden Strafheer der Babylonier (vgl. Jer 4,5ff. und 6,1ff.) zu kapitulieren, damit JHWH in seinem brennenden Zorn (4,6–8) sich nicht gezwungen sieht, die Stadt der Vernichtung preiszugeben (6,8).45 43 Vgl. dazu auch HARDMEIER, Prophetie im Streit vor dem Untergang Judas, 459f. STIPP, Deuterojeremianische Konkordanz, 50, rechnet die Phrase von Jer 36,30b („der Hitze bei Tag und der Kälte bei Nacht ausgesetzt sein“) dem dtrjer. Sprachgebrauch zu, was jedoch aus zwei Gründen unwahrscheinlich ist. Einerseits fehlt dafür im Jeremiabuch und sonst im ganzen Tanak außer in Gen 31,40 jede Parallele, während andererseits die dtrjer. Phraseologie durchaus eine Stereotype für die schutzlose Verwesung von Leichen kennt, die nicht begraben werden: „sie werden zu Dünger auf der Ackerbodenfläche“ (Jer 8,2; 16,4 und 25,33, vgl. 2 Kön 9,37). Dieser Befund spricht dafür, auch V. 30b im Unterschied zur einschlägigen Stereotypie von V. 29bγ und 31 (vgl. dazu oben Anm. 33) der älteren Bearbeitung zuzuschreiben, die damit – freier formuliert – die unerfüllte Ankündigung von Jer 22,19 in Erinnerung ruft. – Demgegenüber greift die dtrjer. Unheilsankündigung in 36,30aβ das Wort über Jojakims Sohn Jojachin von Jer 22,30bα auf, dem weitere Nachfolger auf dem Davids-Thron versagt sein werden, was auch in Jer 21–23 zur dtrjer. geprägten heils- bzw. unheilsgeschichtlichen Generalperspektive gehört. Denn dort erfüllt sich im Schicksal Jojachins (22,30bα) aufgrund des Unrechtsverhaltens seines Vaters (22,13–19) die negative Seite der dtrjer. Rechtsmahnung und Verheißung von Jer 22,3f. (vgl. 21,12), während nach der Heimsuchung der schuldigen Herrscher (23,2) in der dtrjer. Perspektive von 23,5f. ein Davidide erwartet wird, der das geforderte Rechtsverhalten und die angemahnte Gerechtigkeit voll und ganz erfüllen wird. 44 Auch Jer 36,29bγ („und aus ihm [sc. dem Land] verschwinden lassen Mensch und Vieh“) gehört in Korrespondenz zu 7,20 und 21,6aβ zur dtrjer. Vernichtungsdiktion (vgl. die Belege bei STIPP, Deuterojeremianische Konkordanz, 12f.). 45 Die Vermutung, dass in Jer 2 die Erstfassung einer theopolitischen Kritik Jeremias an der Anlehnungspolitik Jojakims an Ägypten als Bündnispartner gegen die Babylonier im Vor-
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Daraus ergibt sich für die Interpretation der ersten Bearbeitung von Jer 36 in V. 27–32* die folgende Konsequenz: In der Rückschau auf Jeremias Rechenschafts-Disput mit Jojakim in Jer 36,29f.* macht die Bearbeitung die analoge Konfliktsituation zwischen Jojakim und Jeremia um 604, in der es nach Jer 36,9f.*–26 nur um das Ernst-Nehmen der Erstschrift von Jer 2 ging, auf die aktuelle Kontroverse um die Zweitschrift von Jer 2–6 transparent. Diese Kontroverse um 588 motivierte zu einer aktualisierenden Erweiterung und Neuakzentuierung der älteren Milieu-Erzählung durch 36,27–32*, wobei auch die Autoren dieser Fortschreibung im Umfeld der Schafan-Familie zu suchen sind, die ja ohnehin über die Erstfassung der Tendenzerzählung verfügte und auch in der späten Zidkija-Zeit hinter Jeremias Aufstandskritik und seiner theopolitischen Option einer rechtzeitigen Kapitulation stand.46 Erzählfunktional diente diese Fortschreibung der Warnung an Zidkija, die durch Jer 3–6* erweiterte Zweitschrift von Jer 2–6 und ihre Verwarnung der vertragsbrüchigen Jerusalemer Administration (6,8) unbedingt ernst zu nehmen und das Schriftstück nicht anzutasten, wie es Jojakim mit der Erstschrift getan hatte, indem er sich vor 597 im Gegensatz zur oppositionellen Schafan-Fraktion von der geschichtsdivinatorischen Botschaft von Jer 2 zum Schaden Jerusalems nicht hatte in Schrecken versetzen lassen (vgl. oben 4.1).
feld des ersten Aufstands nach 600 vorliegt, differenziert die Einsichten, die ich in früheren Arbeiten zur Fortschreibung dieses Diskurses in Jer 3–6* und der kompositionellen Gesamtanlage von Jer 2–6 gewonnen habe; vgl. die grundlegende Textanalyse in C H. HARDMEIER, Die Redekomposition Jer 2–6. Eine ultimative Verwarnung Jerusalems im Kontext des Zidkijaaufstandes, in: WuD 21 (1991), 11–42, und dort die Auseinandersetzung mit ALBERTZ, Jer 2–6, ferner CH. HARDMEIER, Geschichte und Erfahrung in Jer 2–6. Zur theologischen Notwendigkeit einer geschichts- und erfahrungsbezogenen Exegese und ihrer methodischen Neuorientierung, in: EvTH 56 (1996), 3–29 und HARDMEIER , Zeitverständnis und Geschichtssinn in der Hebräischen Bibel. Geschichtstheologie und Gegenwartserhellung bei Jeremia, in: J. RÜSEN/M. GOTTLOB/A. MITTAG (Hgg.), Die Vielfalt der Kulturen. Erinnerung, Geschichte, Identität 4 (stw 1405), Frankfurt a. M. 1998, 308–342; vgl. jetzt auch H.-J. HERMISSON, „Der Feind aus dem Norden“ (Jer 4–6). Zu einem Gedichtzyklus Jeremias, in: F. HARTENSTEIN/J. KRISPENZ/A. SCHART (Hgg.), Schriftprophetie. Festschrift für Jörg Jeremias zum 65. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 2004, 233–251. Auch für Hermisson ist der von mir „angenommene Sitz im Leben“ der „‚Grundschrift‘ Jer 2–6*“, in die der Gedichtszyklus vom ‚Feind aus dem Norden‘ eingeflossen ist, „in der Zeit der zweiten Belagerung Jerusalems denkbar“ (HERMISSON, Feind, 249 Anm. 52). 46 Das geht vor allem auch daraus hervor, dass die Babylonier nach der Zerstörung Jerusalems einerseits ihr Vertrauen in den Schafan-Enkel Gedaljah setzten und ihn zum Administrator bestellten (Jer 39,14 und 40,5.7) und sich Jeremia andererseits dazu entschied, das Angebot der Babylonier auf freies Geleit und eine Pension am Hof des Großkönigs auszuschlagen (40,4) und stattdessen Gedaljah zu unterstützen, um die Lebensverhältnisse im Lande nach den Kriegsverheerungen wieder zu normalisieren (vgl. 40,6 und 9f.).
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4.6 Im Blick auf Primärbildungen alttestamentlicher Literatur sowie auf Frühformen ihrer Überlieferung und Bearbeitung können wir somit im spätvorexilischen Jerusalem nicht nur mit schriftgestützten divinatorischen Expertisen auch größeren Umfangs aus prophetischen Kreisen rechnen, sondern auch mit kontroversliterarischen Tendenzerzählungen aus dem Umfeld der Jerusalemer Führungseliten. Darüber hinaus sind solche Erzählungen und Expertisen in den stürmischen Zeiten nach dem Tode Joschijas offenbar literarisch bearbeitet und kurzzeitig auf neue Situationen hin aktualisiert worden, um in der Öffentlichkeit durch Vorlesen erneut zu Gehör gebracht zu werden, was wir an der Primärerzählung von Jer 36,9f.*–26 und ihrer ersten Bearbeitung in 27– 32* zeigen konnten. Demgegenüber konnten wir die komplementäre Literaturbildung der Schriftrolle von Jer 2 und ihre spät-zidkijanische Fortschreibung in 3–6, auf die sich sowohl die Primärerzählung von Jer 36,9f.*–26 als auch ihre Erweiterung in 27–32* intertextuell bezogen zu haben scheinen, nur andeuten. Im Folgenden sollen jedoch solche Bearbeitungsprozesse und Fortschreibungen am sog. Königszyklus in Jer 21–23 näher aufgezeigt und nachgezeichnet werden.
5. Jer 21,11–23,6* – eine Primärschrift und ihre doppelte Bearbeitung in nachjoschijanischer Zeit In Jeremia 21,1–23,8 liegt uns eine „Königsspruch“-Sammlung47 vor, in der Jeremia die konfliktreichen Herrschaftswechsel auf dem Davids-Thron nach dem Tode Joschijas von Jojakim bis Zidkija stets aktuell beurteilt und dazu Stellung nimmt. Unter textempirischen und kommunikationspragmatischen Gesichtspunkten lässt sich in dieser als hwhj rbd bezeichneten Expertise (vgl 21,11b und 22,29) eine Primärschrift in Jer 21,11b.12aa + 22,10–19 erkennen, die in drei Stufen bearbeitet und auf neue Situationen hin aktualisiert sowie fortgeschrieben wurde. Dabei verdankt sich die letzte Stufe der dtrjer. Buchbearbeitung in spätexilischer Zeit (vgl. unten 6), die die Letztgestalt des hebräischen Jeremiabuches wesentlich geprägt hat. Der Primärtext und seine Bearbeitungen können hier nur im Ergebnis sowie unter Skizzierung der textexternen Situationszusammenhänge vorgestellt werden (vgl. Anhang II), auf die sich die Textstufen beziehen, ohne die Analysen im Einzelnen darzulegen, die zu diesen Ergebnissen geführt haben. Die wichtigsten kommunikations47 Vgl. H.-J. HERMISSON , Die „Königsspruch“-Sammlung im Jeremiabuch – von der Anfangs- zur Endgestalt, in: E. BLUM/CH. MACHOLZ/E. W. STEGEMANN (Hgg.), Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte, 277–299.
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pragmatischen Unterscheidungskriterien sind auf der Basis von sprach- und textphänomenologischen Beobachtungen v. a. in signifikanten Unterschieden der Adressierung der Diskurse sowie in markanten Verschiebungen der argumentativen und thematischen Ausrichtung der Bearbeitungsstufen zu sehen,48 die sich textextern klar auf spezifische politische Situationen nach 609 beziehen lassen und darin ihren ganz konkreten aktuellen Sinn gehabt haben. 5.1 Bei der Primärstufe in Jer 21,11b.12aa1 + 22,10.13–19* handelt es sich um eine mahnende Tröstung von Anhängern der joschijanischen Reform nach der Deportation von Joahas/Schallum um 608 (vgl. 2 Kön 23,34b), die in eine scharfe Missbilligung der Herrschaft Jojakims ausmündet. Dieser Primärtext – im Anhang II durch Normalschrift und einfache Rahmung gekennzeichnet – ist in personaler Hinsicht einerseits hochgradig implizit gehalten und erweist sich andererseits aufgrund seiner einheitlichen Bewertungs-Thematik von Königsschicksalen sowie der übergreifenden Metaphorik der Toten-Trauer als kohärente Texteinheit. Weder werden in 22,10 die Adressaten in der 2. ps. pl. näher bezeichnet, da nach 21,12aa1 das Königshaus pauschal angesprochen wird, noch erfahren wir den Namen des Toten bzw. des Weggegangenen, um den getrauert bzw. nicht weiter getrauert werden soll. Erst die jüngeren Reformulierungen in V.11f. holen diese Defizite aus größerem historischem Abstand nach. Für Insider in der königlichen Administration, die mit dem Höraufruf in 21,11b.12aa1 angesprochen werden, waren diese impliziten Anspielungen jedoch in den ersten Regierungsjahren Jojakims völlig eindeutig. Der Gestorbene war Joschija, dem die Reformfraktion angesichts des radikalen politischen Kurswechsels unter Jojakim (vgl. 2 Kön 23,35!) nachtrauerte, und beim Weggegangenen handelt es sich um Joahas/Schallum, der vom Reformflügel des $r>h =< zum Nachfolger Joschijas eingesetzt wurde (2 Kön
48 Es handelt sich dabei v. a. um die Beobachtung der interaktiven und argumentativen Texturkomponenten (vgl. CH. HARDMEIER, Textwelten der Bibel entdecken. Grundlagen und Verfahren einer textpragmatischen Literaturwissenschaft der Bibel [TSHB 1/1], Gütersloh 2003, 87–93 und 112f.) sowie der Handlungskomponente der thematischen Entfaltung (vgl. 113–123) unter Berücksichtigung der Sequenzbildung und Abschnittgliederung sowie von stilistischen Erscheinungen (vgl. 123–135). Zur Bildung von textinternen Synthesen und zu ihrer Korrelierung mit textexternen Bezugszusammenhängen vgl. 152–158. Da sich diese Analysen nicht auf einschlägige exegetische Untersuchungen wie z. B. HERMISSON, Die „Königsspruch“-Sammlung im Jeremiabuch; W. THIEL, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25 (WMANT 41), Neukirchen-Vluyn 1973, 230–249 oder CH. MAIER, Jeremia als Lehrer der Tora. Soziale Gebote des Deuteronomiums in Fortschreibungen des Jeremiabuches (FRLANT 196), Göttingen 2002, 225–249 stützen oder unmittelbar daran anknüpfen, auch wenn es in vielerlei Hinsicht Übereinstimmungen gibt, wird auf Bezugnahmen im Einzelnen verzichtet.
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23,30b).49 Jedoch setzte ihn Pharao Necho alsbald ab und deportierte ihn nach Ägypten (2 Kön 23,33.34b), worauf 22,10b anspielt. Vor allem das Wehewort gegen Jojakim bleibt – abgesehen von der späteren Namensergänzung in V.18aa2 – in der Primärstufe stilgemäß anonym. Das zeigt sich nicht nur an der Eröffnung in V.13, sondern insbesondere im Dialogteil von V.15–17, in welchem Jojakim direkt angesprochen wird und Jeremia sein prunksüchtiges Unrechtsverhalten mit der moderaten Rechtschaffenheit seines Vaters Joschija vergleicht.50 Deshalb ist davon auszugehen, dass auch der Vorspann in 22,10 primär anonym und nur für höfische Insider formuliert war, die zum „Haus Davids“ (21,11b.12aa1) gehört haben. Alles in allem nimmt Jeremia in diesem divinatorischen rbd zum Trost der abgeschlagenen Reformfraktion scharf gegen den neuen Regierungskurs Jojakims (vgl. auch Jer 2,36f.!) Stellung, indem er als Konsequenz dem König in V.18f.* ein unwürdiges Todesschicksal ankündigt und sich dabei sachgemäß der Sprache der Trauermetaphorik bedient (vgl. V.10.13.18f.).51 Die Anonymität dieser Primärstufe ist im Zusammenhang mit dem Verfolgungsdruck gegenüber der joschijanischen Reform-Fraktion unter Jojakim zu sehen, der auch aus den Primärstufen von Jer 26 und 36 spricht (vgl. oben 4.1). Das anonyme Schriftstück war dafür geeignet, unter Gesinnungsgenossen in der königlichen Administration konspirativ zu zirkulieren. Denn diese Fraktion, die die Interessen des $r>h =< vertrat und vom Landadel gestützt wurde, geriet unter Jojakim in die Rolle einer auch materiell sehr bedrängten Opposition, zumal Jojakim als ägyptischer Vasall den $r>h =< mit den Tributforderungen Nechos steuerlich schwer belastet und abgestraft hatte (vgl. 2 Kön 23,33b und 35). Die Primärstufe von Jer 21,11f.* + 22,10.13–19* ist somit als kritische Stellungnahme Jeremias zum politischen Kurswechsel Jojakims und zu seinem prunksüchtigen Herrschaftsverhalten zu verstehen, die er und die Reform-Fraktion nach dem Tode Joschijas (22,10a) und der Verschleppung Schallums (V.10b) nach 608 in Umlauf brachten.
49
Vgl. dazu HARDMEIER , Prophetie im Streit vor dem Untergang Judas, 252f. Die Spitze dieser Kontrastierung liegt nicht von ungefähr darin, dass es das Herrschaftsverhalten und die moderate Lebensführung Joschijas (V.15b.16a) waren, die im Gegensatz zur Prunksucht und zum Unrechtsverhalten Jojakims ein vorbildlicher Ausdruck wahrer JHWH-Erkenntnis (im Sinne eines praktischen Beziehungswissens) sind. Denn Nechos Tausch des Thronnamens Eljakim gegen den JHWH-haltigen Namen Jojakim (2 Kön 23,34) deutet auf ein semantisches Entgegenkommen gegenüber der jahwistischen Anhängerschaft des deportierte Joahas hin, die sich aus dem Landadel rekrutierte (vgl. 23,30b), obschon der $r>h =< durch den gewaltsamen Regierungswechsel zugleich schwer geschröpft und abgestraft wurde (23,35). Mit Jer 22,16b weist Jeremia diese diplomatische Heuchelei scharf zurück. 51 Vgl. zu den Weherufen und zur Trauermetaphorik C H. HARDMEIER, Art. Totenklage, in: WiBiLex, Stuttgart 2007. 50
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5.2 Eine erste Fortschreibung – im Anhang II durch Normalschrift und graue Unterlegung gekennzeichnet – erfuhr diese Stellungnahme in den Versen Jer 22,24*.26aa*.28–30* sowie 23,5b und 6b nebst Zusätzen in 22,11* und 18*, nachdem Jojakim um 598/97 gestorben und Nebukadnezzar schon im Begriff war, den Abfall des vorzeitig verstorbenen Königs (2 Kön 24,1bβ) durch einen militärischen Vorstoß zu ahnden. Den deutlichsten Hinweis auf diese Aktualisierung der alten Stellungnahme liefert die Neuadressierung des rbd an das Land in 22,29, die sich am besten aus dieser politischen Lage nach dem Tode Jojakims erklärt. Bekanntlich erfüllte sich Jeremias Einschätzung nicht, dass Jojakim eines unwürdigen Todes sterben müsse. Vielmehr starb der König eines normalen Todes und wurde wie seine Vorgänger begraben (2 Kön 24,6a), so dass sein Sohn Jojachin – allerdings nur noch für drei Monate – sein Nachfolger wurde (2 Kön 24,6b.8). Denn Nebukadnezzar eroberte am 16. März 597 Jerusalem, 52 um den Widerstand der Jerusalemer Führung gegen die babylonische Vorherrschaft endgültig zu brechen. Weil sich jedoch Jojakim bereits ab 600 – wahrscheinlich mit Rückendeckung Ägyptens (vgl. 2 Kön 24,1b.7 und Jer 2,18a.36b.37a) – gegen die babylonische Oberherrschaft aufgelehnt hatte, ergriffen die Babylonier wohl schon zu seinen Lebzeiten Maßnahmen, ihn und die Jerusalemer Führung – allerdings vergeblich – durch regionale Militärkommandos einzuschüchtern und zu disziplinieren (vgl. 2 Kön 24,2*).53 Deshalb lag es für die Vertreter des Landadels ($r>h =h jlj>), d. h. unter den Exponenten des $r>h =h für Zidkija als Nachfolger. In V. 30* empfiehlt er den Adressaten, den Sohn Jojakims als kinderlos abzuschreiben, dem es nicht gelingen wird, überhaupt oder noch weiter über Juda herrschen zu können.56 Im Kontrast dazu kündigt er in 23,5b und 6b die Herrschaft eines Königs an, der wie Joschija „Recht und Gerechtigkeit“ üben (vgl. 22,15) und dessen Name wnqdy hwhj lauten wird („JHWH, unsere Gerechtigkeit“), was unmissverständlich auf den Programmnamen hinweist, den dann Nebukadnezzar nach 2 Kön 24,17b dem Hamutal-Sohn Matanja mit seiner Einsetzung als König in der Tat auch verliehen hatte. Dass es sich bei dieser aktualisierten Stellungnahme Jeremias um ein Plädoyer für die Königswahl Zidkijas handelt, bestätigt vor allem die NeuAdressierung des älteren Schriftstücks als hwhj rbd, der sich nun in 22,29 beschwörend an das Land wendet (hwhj&rbd j $r> $r>). Er steht in deutlicher Spannung zum ersten Höraufruf in 21,11b.12aα1, der den rbd der Primärstufe an das Davidshaus richtet. Dass mit dieser Neu-Adressierung der $r>h =< und seine Exponenten in der Entscheidungsphase über die JojakimNachfolge gemeint sind, liegt auf dem oben entfalteten Situationshintergrund besonders nahe. Ferner reformuliert die Aktualisierung in 22,11aα (bis =lc) und 11b auch das Deportations-Schicksal von Schallum/Joahas retrospektiv als JHWHWort, das in der Primärstufe in V.10 als Jeremiawort formuliert ist: „Er wird nicht mehr zurückkehren“. Darin ist eine geschichtsdivinatorische Analogiebildung zu sehen. So wie Schallum aufgrund seiner Deportation keine Zukunft hatte, was in 22,11* retrospektiv besonders als JHWH-Wort hervorgehoben wird, das bereits in Erfüllung gegangen ist, so wird gemäß dem aktuellen JHWH-Wort in 22,30* auch Jojachins weitere Regentschaft nach V.30bβ zukunftslos bleiben. Zudem hatte ihn Nebukadnezzar dann ja auch tatsächlich 55 Zu der für Jeremia typischen Doppelfrage vgl. Jer 2,14.31 und 8,4. – Auch in V.28 hat die dtrjer. Bearbeitung in Entsprechung zu V.26f. eine exilische Perspektive eingetragen. Die primären Elemente der Doppelfrage ohne die dtrjer. Überformung lauten wie folgt: „Ist Konjahu ein verachtetes Gefäß oder ein Gerät, an dem niemand Gefallen hat? Warum ist er auf den Erdboden geschleudert worden?“ 56 Zur Situations-Alternative (unmittelbar nach dem Tode Jojakims oder im situativen Kontext der Eroberung Jerusalems) vgl. oben. – Auch in V. 30bα wird aus dtrjer. Perspektive die Aussichtslosigkeit einer Weiterführung der Jojakim-Jojachin-Linie im Blick auf seine ganze Lebenszeit (vgl. wjmjb am Ende von V. 30aβ) nachinterpretiert. Darauf deutet nicht nur die anknüpfende Wiederholung von xly aus V. 30aβ, sondern auch die dtrjer. Phraseologie des Versteils, die mit 22,2.4 übereinstimmt (vgl. STIPP, Deuterojeremianische Konkordanz, 68f.). Zudem bildet der Versteil thematisch die Kontrastfolie zur messianischen Verheißung eines neuen Davididen in 23,5a.6a, mit der Jeremias Plädoyer für Zidkija überformt wird (vgl. unten 6.5).
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deportiert (2 Kön 24,15), wie damals Necho den Hamutal-Sohn Schallum, was aber auch schon im Vorfeld der ersten Eroberung Jerusalems absehbar gewesen sein konnte. Ein letztes Kennzeichen dieser ersten Fortschreibung kommt hinzu. Angesichts des bereits etwas größeren historischen Abstands und der erneuten Diskussion um die Thronnachfolge nach dem Tode Jojakims wurden die verschiedenen Könige, deren Schicksal zur Debatte stand und steht, entgegen der Anonymität in der Primärstufe namentlich gekennzeichnet. In 22,11aα handelt es sich um Schallum und in 22,18aα2 um Jojakim, während in den primären Passagen der ersten Fortschreibung Konjahu in 24aα2 von vornherein namentlich genannt und auf Mathanjas zukünftigen Namen in 23,6b gezielt angespielt wird. Insgesamt hat Jeremia mit dieser Fortschreibung sowohl die ältere Missbilligung Jojakims als auch das Schicksal Schallums geschichtsdivinatorisch aufgegriffen und in der neuen Situation der strittigen Thronfolge um 597 auf die Zukunft Jojachins hin aktualisiert, zumal Jojakim entgegen der Ankündigung von 22,18f. ganz natürlich starb und in Frieden begraben wurde (vgl. 2 Kön 24,6a). 5.3 Innerhalb von Jer 21,11–23,6 kommt als weitere Rezeptionsstufe eine kommentierende Bearbeitung aus spät-zidkijanischer Zeit hinzu, die im Anhang II durch Kursivschrift und gestrichelte Rahmung gekennzeichnet ist. Es handelt sich um die 2. fem. sg.-Passagen in 21,13a und 22,20–23 sowie um die Worte in der Du-Anrede an den Königspalast in 22,6f. An diesen Passagen fällt besonders auf, dass ihnen – abgesehen von 22,6f. auf der Ebene der Letztgestalt (vgl. unten 6.3) – im Verhältnis zu den älteren Vorstufen jeder plausible Kontextbezug fehlt. Insbesondere die 2. fem. sg.-Passagen stehen ganz isoliert, fallen als Einschübe völlig aus dem Rahmen und sind auch thematisch den Kontexten nur schwer zuzuordnen. In verarbeitungstechnischer Hinsicht muss man sie deshalb als Randnotizen einstufen, die erst mit der dtrjer. Endformation in den Textzusammenhang integriert worden sind. Dabei scheint diese Integration jedoch nur in der Passage über die judäische Monarchie in Jer 22,6f. (vgl. die Einführung in V. 6aα) einigermaßen gelungen zu sein. Demgegenüber hängt auch Jer 21,13a völlig in der Luft und fügt sich nur unter der Bedingung einigermaßen in den Kontext, dass man den Versteil auf gequälte Weise (vgl. die Kommentare) und entgegen den topographischen Kennzeichnungen auf Jerusalem deutet. Offenkundig unterbricht Jer 22,20–23 den Textzusammenhang von 22,18f. und der (späteren) Anknüpfung in V. 24 (vgl. oben 5.2), ohne dass irgendein kontextueller Grund für die Einfügung erkennbar wäre.
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Allerdings trifft die in Jer 21,13a angesprochene Topographie sehr viel besser auf Rabbat Ammon als auf Jerusalem zu. Die ammonitische Hauptstadt am Oberlauf des Jabbok thront einerseits hoch über der Jordansenke (tbcj qm, Ez 21,26) am südlichen Ausgang der Bekaa-Ebene zuerst über die Königsstraße gegen Rabbat Ammon oder über die via maris gegen Jerusalem vorstoßen sollen, wie aus den Hinweisen in Ez 21,23–27 auf eine divinatorische Entscheidungsfindung (vgl. V. 26) hervorgeht. 58 Zu Jer 2–6 vgl. HARDMEIER , Die Redekomposition Jer 2–6. Eine ultimative Verwarnung Jerusalems im Kontext des Zidkijaaufstandes, in: WuD 21 (1991), DERS., Geschichte und Erfahrung in Jer 2–6, und DERS., Geschichtsdivinatorik, und zur Identifikation der 2. fem. sg.-Anrede in 22,20–23 mit Jerusalem auch W. RUDOLPH, Jeremia (HAT I/12), Tübingen 31968, 141–143. Auf folgende Berührungen ist hinzuweisen: Zu Jer 22,20.22 („Liebe“ als Bündnispolitik und „Liebhaber“ als regionale Bündnispartner, die Jerusalem im Stich
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unsere Interpretation der isolierten Passagen in Jer 21 und 22 zusätzlich, die sich geradezu als Vorskizzen zu Jer 2–6 lesen lassen. 5.4 Im Blick auf primäre Formen der schriftprophetischen Literaturbildung lassen sich somit am Beispiel von Jer 21,11–23,6 zwei charakteristische Verfahren plausibel machen, wie eine primäre prophetische Stellungnahme in Schriftform (Jer 21,11b.12aα + 22,10.13–19*, vgl. 5.1), die zum Vorlesen und zur milieuinternen Zirkulation bestimmt war (vgl. 4.1 und 4.2), aktualisierend bearbeitet und neu kontextualisiert worden ist. Zum einen ist es die Form der Fort- und Weiterschreibung in Jer 22,11*.18*.24*.26*.28–30* und 23,5b.6b (vgl. 5.2), die sich an den Textergänzungen in der ersten Bearbeitungsstufe aus dem Frühjahr 597 beobachten lässt. Sie fügt ihre Neuakzentuierungen und veränderte Sicht kontextadäquat entweder in den Duktus der Primärstufe ein oder vor allem an das alte Textende an. Das gilt mit großer Wahrscheinlichkeit auch für das Parallelbeispiel der Fortschreibung der Erzählung von Jeremias Gefangenschaft und Befreiung (GBJ-Erzählung, Jer 32,2.6–15; 34,7; 37,3–40,6*)59 in Jer 40,7–43,7. Sie hatte sich durch die weitere Entwicklung der Verhältnisse unter der Verwaltungsherrschaft Gedaljas und nach seiner Ermordung aufgedrängt, nachdem eine große Bevölkerungsgruppe unter dem Heerführer Johanan gegen die Empfehlung Jeremias die Flucht nach Ägypten ergriffen hatte. Ferner konnten wir diese ergänzende Form der Fortschreibung auch in Jer 36,27–32* beobachten (vgl. oben 4.4 und 4.5). Zum anderen dürfte hinter der zweiten Bearbeitungsstufe in Jer 21,13a; 22,6f. und 20–23 (vgl. oben 5.3) aus spät-zidkijanischer Zeit um 588 das Verfahren der Randglossierung stehen, das zu bestimmten Textstellen am Rande warnende Kommentare hinzugefügt hat. Denn diese Notizen sind dem Duktus des kommentierten Textes überhaupt nicht angepasst. Erst die übergreifende Neubearbeitung der literarischen Hinterlassenschaften Jeremias, die in spätexilischer Zeit die dtrjer. Komposition des Jeremiabuches schuf, hat im Zuge der Integration von Jer 21,11–23,6* in das Buchkonzept auch diese Randglossen als Fremdkörper zwischen den schriftprophetischen Primärtext (5.1) und seine erste Aktualisierung (5.2) gesetzt.
gelassen haben) vgl. 2,33; 4,30f. sowie 3,1f. und 5,7, ferner 30,14; Thr 1,2 und 19. – Zu 22,21 (Weigerung Jerusalems, von Jugend an auf JHWHs Stimme zu hören) vgl. Jer 2,2 mit 2,32 und 35 sowie 4,17b.18. – Zu 22,22 („Bosheit“ der im Du angesprochenen Stadt, an der sie „zu Schanden wird“) vgl. 2,19; 4,18 (auch 3,2) sowie 6,14. – Zu 22,23 (Vergleich des kommenden Leids über Jerusalem mit den Geburtsschmerzen einer Gebärenden) vgl. Jer 6,24 und 4,31. 59 Vgl. dazu HARDMEIER , Prophetie im Streit vor dem Untergang Judas, 174–247 und DERS., Jeremia 32,2–15 als Eröffnung der Erzählung.
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6. Die geschichtstheologische Bearbeitung von Jer 21,11–23,6 im Zuge der dtrjer. Komposition des Jeremiabuches in Jer 21,1–23,8* Die dtrjer. Bearbeiter erweiterten die in sich komplexe Einheit von Jer 21,11– 23,6* in beträchtlichem Ausmaß (im Anhang II durch verkleinerten Schriftgrad gekennzeichnet). Sie diente ihnen als literarische Anknüpfung und Vorstufe, um sie in Jer 21,1–23,8 zu einem geschichtstheologischen Traktat über die Schuld und das Versagen des nachjoschijanischen Königtums mit ihren Unheilsfolgen auszubauen (Jer 21,1–23,2a). Historisch betrachtet, hatte diese Schuld JHWHs Zorn heraufbeschworen (21,12b), die Zerstreuung des Volkes zur Folge (23,2aα2.β) und wurde von JHWH geahndet (23,2b, vgl. 22,5 und 30bα). Jedoch stilisiert der Traktat diese Rückschau auf die Katastrophe von 587 und ihre Folgen aus spätexilischer Sicht fiktiv als Zukunftsansage Jeremias um 588 (vgl. 21,4–7 und 10). Ebenso fiktiv werden dabei die Könige vor die Wahl gestellt, den Rechtsmahnungen des dtrjer. Jeremia zu folgen, um das drohende Unheil noch abzuwenden (21,12aβ.b, vgl. 22,5) und das Wohlergehen der Dynastie zu sichern (22,3f.). Diese Stilisierung als fiktive Zukunftsansage und theoretische Möglichkeit der Umkehr dient der Neubearbeitung dazu, ihre aktuelle, von Jeremia fiktiv vorausgeahnte Zukunftserwartung zu begründen. Eine Rückkehr aus dem Exil und ein gedeihliches Leben im Lande werden möglich sein, wenn ein neu erwarteter Davidide der damals vergeblichen Rechtsmahnung Jeremias Rechnung trägt und wie Joschija (vgl. 22,15 im Kontrast zu 13) Recht und Gerechtigkeit verwirklicht (vgl. 21,12 und 23,5f.). Ferner begründet die Tatsache, dass JHWH seine Unheilsankündigungen wahr gemacht hat, die Gewissheit, dass auch die neuen Verheißungen wahr werden, nämlich die Sammlung der zerstreuten Herde aus der Diaspora (23,3), die Einsetzung neuer verantwortungsbewusster Hirten (V. 4) und insbesondere das Wiederaufblühen der Davidsdynastie (V. 5f.), so dass man in Zukunft sogar das alte Exodusbekenntnis transformieren und neu formulieren wird (V. 7f.). Diese geschichtstheologische Neuinterpretation der spätvorexilischen Vorstufe soll im Folgenden an den einschlägigen dtrjer. Texterweiterungen in Jer 21–23,8 im Einzelnen plausibel gemacht werden. 6.1 In kompositionstechnischer Hinsicht zeichnet sich die dtrjer. Buchkomposition vor allem durch die Schaffung einer Reihe von literarischen Großeinheiten aus, die abschnittweise mit ebenso einheitlichen wie buchspezifischen Überschriften eingeleitet werden.60 Die Großeinheit von Jer 21,1–23,40, in die die 60 Vgl. Jer 7,1; 11,1; 18,1; 21,1; 30,1; 32,1; 34,1.8; 35,1 und 40,1 sowie die Abwandlungen in 26,1b; 27,1b und 36,1b. Die Überschriften weisen eine eigentümliche Phraseologie
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jeremianischen Vorstufentexte zum Königtum nach Joschija integriert und eingearbeitet worden sind, wird mit der Überschrift in Jer 21,1 eröffnet und findet, was die Königtumsthematik betrifft, ihren Abschluss in 23,8. Daran schließt sich in 23,9–32 bzw. 33–40 eine Abrechnung mit den falschen Propheten an, die in V. 9 mit =j>bnl parallel zu 21,11 (hdwhj +lm tjbl) eingeleitet wird und hier außer Betracht bleiben kann. Auch die literarische Gestaltung und makrostrukturelle Gesamtanlage dieser Großeinheiten weist in textsyntaktischer Hinsicht eine einschlägige Typik auf.61 Viele dieser mit der stereotypen Überschrift eingeleiteten Einheiten werden mit Zeit- und Situationsangaben versehen, die mitunter sehr umfangreich ausfallen können. In Jer 32 umfassen sie z. B. den ganzen Textkomplex von 32,1aß–25, bis das „damals“ ergangene Wort hwhj t>m von 32,1aα in 32,26ff. eingeleitet und entfaltet wird.62 Damit vergleichbar, umfasst auch in Jer 21–23 die Zeitangabe, die mit V. 1b beginnt, das ganze Kapitel 21, so dass das an Jeremia gerichtete Wort von 21,1a erst in 22,1 als Sendungsauftrag an Jeremia zur Ausführung kommt, der in 22,1aα mit der Botenformel eingeleitet wird.63 Diese Abfolge von dtrjer. Überschriften und folgendem Sendungsauf, die sich nach Ausweis der SESB-Konkordanz exklusiv auf das Jeremiabuch beschränkt (vgl. auch STIPP, Deuterojeremianische Konkordanz, 37). Zum einen zeichnet sich dieser Überschriftentypus durch die eigentümliche Eröffnung l> hjh rc> rbdh aus (vgl. ferner 25,1; 44,1 und die Abwandlungen in 45,1 und 51,1) und zum anderen durch die spezifische Urheberbezeichnung des ergangenen Wortes hwhj t>m (vgl. in Verbindung mit rbd sonst nur noch Jer 34,12 und 37,17). Dieser phraseologische Typus gehört zu den markanten Kennzeichen einer exklusiven dtrjer. Bearbeitung jeremianischer Vorstufentexte und weist auf die übergreifende dtrjer. Buchkomposition aus spätexilischer Zeit. 61 Vgl. dazu die Analyse des Traktats von Jer 32 in C H. HARDMEIER , Probleme der Textsyntax, der Redeeinbettung und der Abschnittgliederung in Jer 32 mit ihren kompositionsgeschichtlichen Konsequenzen, in: H. IRSIGLER (Hg.), Syntax und Text. Beiträge zur 22. Internationalen Ökumenischen Hebräisch-Dozenten-Konferenz 1993 in Bamberg, ATSAT 40, St. Ottilien 1993, 49–79. Entscheidend für die sachgemäße Erfassung der Makrosyntax dieser Großeinheiten ist die genaue Beachtung der hochgradigen Redeeinbettungen, die in ihrer Komplexität für die dtrjer. Großeinheiten besonders charakteristisch und kaum mit anderen Kompositionsstrategien im AT vergleichbar sind; vgl. dazu im Einzelnen u. Anm. 63. 62 Neben Jer 32,1aβ–25 und 21,1b–14 finden sich solche temporalen Situationshinweise und -beschreibungen bzw. Datierungen auch in 34,1b; 34,8b–11; 35,1b; 40,1aβ.b.2ff. (möglicherweise bis 42,7a gedacht!) sowie in abgewandelten Überschriften in 26,1a; 27,1a und 36,1a sowie in 25,1aβ.b.2ff.; vgl. zu diesem Datierungsphänomen auch 24,1b; 29,2; 45,1 und 51,59. Der beträchtliche Umfang dieser temporalen Situationshinweise besonders in Jer 21 und 32 kommt nur dann in den Blick, wenn man die z. T. ihrerseits mehrfach eingebetteten Redepassagen beachtet, die von den Zeitangaben abhängig sind (vgl. die folgende Anmerkung). 63 Auf den ersten Blick leuchtet dieser direkte makrosyntaktische Bogen von 21,1 zu 22,1 kaum ein, da Jeremia ab 21,8 einen Auftrag erhält, sich an das Volk und in 21,11 an das judäische Königshaus zu wenden, wobei auch die verallgemeinernde Kennzeichnung der einzelnen Könige als „König Judas“ nebst der expliziten Filiation typisch sind für die dtrjer. Überformung (vgl. 21,7.11 [im Kontrast zu 12aα1!].22,1f.6.11.18.24). Nimmt man jedoch die
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bzw. Aktionsauftrag an Jeremia findet sich auch häufig bei Überschriften, die nicht durch situative Angaben erweitert sind, sondern den Auftrag entweder ohne Botenformel wie in Jer 7,1f.; 18,1f. oder mit Botenformel wie in 30,1f. (vgl. 26,1f.; 27,1f.; und 36,1f.) unmittelbar folgen lassen. Sie bestätigen die phraseologische Typik und makrosyntaktische Einheitlichkeit, mit der die Kopfstücke dieser dtrjer. Großeinheiten angelegt und in bearbeitungstechnischer Hinsicht sehr charakteristisch und buchspezifisch gestaltet sind. Dabei findet sich in Jer 34,1f. (vgl. auch 35,1f.) sogar insofern die engste Strukturparallele zu 21,1–22,1f., als auch dort auf die Überschrift in 1a (par. 21,1a) eine Situationsangabe in V. 1b (par. 21,1b–14) folgt und das ergangene Wort mit der Botenformel in V. 2aα (par. 22,1aα) eingeleitet wird, das genau wie in 22,1aβ.b + trm>w auch in 34,2aβ.b einen Sendungsauftrag zum Inhalt hat. zahlreichen Redeeinleitungen in 21,1–22,1 ernst, so müssen diese Redeaufträge an Jeremia in 21,8aα und 11a zwingend in Abhängigkeit von der Gottesrede in 21,4–7 auf der vierten Ebene der Kommunikation (= K4) gelesen und verstanden werden, so dass dann die Botenformeln in 8aβ und 12aβ der fünften und die damit eingeleiteten Gottesreden auf der sechsten Einbettungsebene zu lesen sind. Denn die Redeaufträge in 21,8aα und 11a lassen sich weder direkt an das anschließen, was die königliche Delegation in jener Situation zu Jeremia gesagt (21,2 = K2), noch daran, was Jeremia dieser Delegation geantwortet und wozu er sie beauftragt hatte (3b = K2), nämlich dem König ein Wort JHWHs (4aα1.1 = K3) auszurichten, dessen Rede ab 4aα1.2–7 (= K4) entfaltet wird. Theoretisch ließe sich das „Du“ in 21,8aα zwar auf Zidkija beziehen, der in 3b als Adressat genannt wird, so dass V. 8aα auf K3 zu lesen wäre. Jedoch wird er schon in V. 7 nicht in der zweiten Person angeredet, sondern nur in der dritten Person erwähnt. Zudem dürfte Zidkija auch inhaltlich kaum als Prophet angesprochen sein, der das in 8aβ mit der Botenformel eingeleitete JHWH-Wort von 8b–10 dem Volk zu verkündigen hat. Deshalb richten sich das „Du“ und der damit verbundene Redeauftrag in V. 8aα innerhalb der Gottesrede ab V. 4aα1.2 (= K4) an den Propheten, so dass die Botenformel (8aβ) der Ebene K5 und das folgende JHWH-Wort 8b–10 der Ebene K6 zuzuordnen sind. Jedoch sprengt dieser Redeauftrag ab V. 8 zugleich unmerklich den einleitenden Situationsrahmen von 21,1–3, der nur eine ganz konkrete Antwort an die Delegation erwarten lässt (V. 3ff.), aber kaum die Mitteilung von weiteren, an Jeremia gerichteten Redeaufträgen. Mit diesem Kunstgriff gelingt es jedoch der dtrjer. Bearbeitung, die Alternativpredigt an das Volk (V. 8–10 = K6) und die Rechtsmahnung an das judäische Königshaus (V. 12–14) als Worte zu stilisieren, die JHWH damals dem Propheten zuvor schon offenbarte, bevor er ihm den Auftrag von 22,1aβ.b (= K2) erteilt hatte, diese Rechtsmahnung gezielt dem Königshaus (vgl. 21,11a parallel zu 8aβ = K4) auch auszurichten (Höraufruf in V. 2 und Botenformel in V. 3aα1 = K3, Rechtsmahnung ab V. 3aα2 = K4). Somit leitet die Überschrift in Jer 21,1a erst diesen Redeauftrag von 22,1aβ.b als JHWH-Wort ein, das an Jeremia erging (= K1) und durch die Botenformel in 22,1aα auch als Gotteswort gekennzeichnet wird. Denn zuvor ergeht von 21,1–3 her nirgends explizit ein JHWH-Wort an Jeremia, wenn man vom impliziten und kaum merklichen Kunstgriff in V. 8ff. absieht. – In phraseologischer Hinsicht zeigt sich dieser Zusammenhang zudem zum einen an der Identität der Adressaten- bzw. der Palastbezeichnungen in 21,11a und 22,1aβ sowie zum anderen an den wörtlichen Übereinstimmungen in den Mahnworten in 21,12aβ und 22,3aβ, die das konkret ausgestaltete Ausbeutungsverhalten Jojakims (22,13.17aβ und bβ) verallgemeinern, was in Übereinstimmung mit 2 Kön 24,4aα auch für die dtrjer. Bearbeitungsspur in 22,17bα typisch ist.
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Mit diesen typischen Überschriften schreiben die dtrjer. Bearbeiter ihre geschichtstheologische Botschaft, dass eine Rückkehr aus dem Exil und ein Neuanfang im Lande möglich werden, retrospektiv der Weitsicht Jeremias zu, die sie aus der Relecture seiner Schriften gewonnen haben. Dabei verorten sie seinen geschichtsprophetischen Weitblick zum einen in Gestalt von z. T. umfangreichen Datierungs- und Situationshinweisen in Schlüsselsituationen der Vergangenheit, in welchen Jeremia vor und nach 587 auf denkwürdige Weise zur damals aktuellen Lage Stellung genommen hatte. Zum andern schreiben sie zugleich ihre Worte und Perspektiven ex post in diese einstigen Stellungnahmen ein, als hätte Jeremia selbst sie schon damals im Auge gehabt und ausgesprochen. Dabei fällt in diesen Großeinheiten insbesondere dort eine geschichtstheologische Verallgemeinerung und Epochalisierung von Positionen Jeremias aus spätexilischer Perspektive auf, wo – wie in Jer 21–23 oder 32 und im Unterschied etwa zu Jer 18 – ältere literarische Stellungnahmen und Diskurse des Propheten be- und eingearbeitet wurden. Neben Jer 32 zeigt sich dieses Verfahren der dtrjer. Relecture sowie der aktualisierenden Epochalisierung und geschichtstheologischen Verallgemeinerung besonders eindrücklich auch in Jer 21,1–23,8, was im folgenden Durchgang durch die Hauptabschnitte der dtrjer. Bearbeitung zu verdeutlichen ist. 6.2 Wie oben dargelegt, führt Jer 21 als weit gespannte Zeitangabe den fiktiven Situationshintergrund für den Auftrag an Jeremia in 22,1 ein, dem judäischen Königshaus die Rechtsmahnung vorzutragen (22,3), die dem Propheten zuvor als Redeauftrag offenbart worden ist (21,11–12a).64 Dieser Auftrag hatte aus spätexilischer Perspektive das wenn auch nur fiktive Ziel, das in 21,4–7 ankündigte Unheil über die Stadt (V. 4–6.10) und über das Königshaus (V. 7) abzuwenden (V. 12b), das als Ahndung der „bösen Taten“ und vernichtendes Feuer sowie als Ausdruck von JHWHs Zorn über die Königsmetropole hereinzubrechen drohte (V. 12b.14). Dabei lehnt sich die dtrjer. Bearbeitung mit dem in 21,1b–3 entfalteten Situationshintergrund für den Auftrag unverkennbar an die historische Befragungssituation von Jer 37,3–10 an und verallgemeinert sie zugleich. Zum einen wird die in Jer 37,5 und 9 nur indirekt erkennbare Erwartung eines endgültigen Truppenabzugs in 21,2b zur explizit erwogenen Hoffnung. Zum anderen wird die sehr konkrete Lageeinschätzung, 64 Sowohl der Redeauftrag an das Volk in 21,8aα als auch seine elliptische Aufnahme in V. 11a mit der Adressierung an das Königshaus (vgl. das an V.8aα anknüpfende „und“!) und folgendem Höraufruf (V. 11b), setzen die Gottesrede (auf K4) fort, die in 21,4aα 1.1 (auf K3) mit der Botenformel eröffnet wird (vgl. die vorige Anmerkung). Deshalb werden in makrosyntaktischer Hinsicht auch diese Aufträge von der dtrjer. Großeinheit als Offenbarungen gesehen, die Jeremia zusätzlich zur Beantwortung der aktuellen Anfrage von V. 2 in V. 4aα1.2–7 empfangen hatte.
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die Jeremia damals gegeben hatte (37,7b.8 und 10), in einen umfassenden Vernichtungsangriff JHWHs transformiert, den er in seinem Zorn selbst gegen die Stadt führen wird, indem er die Kriegswaffen der Jerusalemer Verteidiger gegen sie selbst wendet (21,4–6). Diese Verallgemeinerungen reduzieren das dramatische und detailreiche Geschehen vor der endgültigen Eroberung und Zerstörung Jerusalems65 aus dem zeitlichen Abstand auf eine einzige und grundsätzliche Entscheidungssituation. Darin steht zwar JHWHs Vernichtungsabsicht gemäß der historischen Lageeinschätzung Jeremias in 37,7b.8 und 10 außer Frage (vgl. 21,4–7.10). Jedoch soll der dtrjer. Prophet angesichts der drohenden Zerstörung Jerusalems (vgl. V. 10) und in Übereinstimmung mit einer vielleicht historischen Botschaft (vgl. Jer 38,2) dem Volk die Chance eröffnen, sein nacktes Leben durch Kapitulation und Überlaufen zu den Babyloniern zu retten (21,8f.). Ferner offenbart ihm JHWH in dieser fiktiven Entscheidungssituation vor allem den Auftrag (21,11–14),66 das Königshaus zu einer gerechten Rechtsprechung zu ermahnen, um die Geschundenen vor ihren Ausbeutern zu schützen (V. 11b.12a) und das drohende Zornesfeuer JHWHs abzuwenden (V. 12b), das die Stadt zu vernichten droht (vgl. V. 10b und 14b!). Jedoch gibt es einerseits im Unterschied zu den anderen Parallelen zur historischen Situation nach Jer 37 und 38 zu dieser Rechtsmahnung überhaupt keine belegbare Entsprechung. Andererseits bildet dieser zuvor geoffenbarte Auftrag, das Königshaus zur Verwirklichung von Recht und Gerechtigkeit zu ermahnen, den Kern des dtrjer. Wortereignisses, das mit der Überschrift in 21,1a angezeigt und in 22,1ff. als Auftrag an den Propheten ergeht, dessen fiktiver Charakter daran umso deutlicher wird. 6.3 Ein weiterer fiktiver Aspekt der dtrjer. Retrospektive zeigt sich daran, wie in 21,12bβ der Zorn JHWHs begründet wird, der nach V. 12bα durch die angemahnte Verwirklichung von Recht und Gerechtigkeit (vgl. V. 12aβ und 22,3) fiktiv noch abgewendet werden könnte. Es sind die „bösen Taten“ (=jlllp nif.) bezeichnet wird, geht nicht nur klar aus den zahlreichen Belegen in den Königs-, Geschichts- und Schöpfungspsalmen (vgl. z. B. Ps 72,18; 78,4.11.32; 96,3; 105,2.5; 106,7.22) sowie den Bezeugungen von persönlichen Schicksalswendungen hervor (vgl. besonders Ps 107,8.15.21.24.31). Vor allem im dtrjer. Traktat von Jer 32 wird JHWHs >lp-Wirken sowohl in der Schöpfung und Geschichte (vgl. Jer 32,17b im Kontext von V. 17–23) als auch vor allem in der Zukunft (V. 27) im Blick auf die Sammlung und Rückkehr aus dem Exil (V. 36–44) einschlägig thematisiert. Vollends das Bekenntnis Hiobs in Hi 42,2f. bestätigt, wie zentral der tw>lpn-Begriff für das schöpfungs- und geschichtstheologische Denken in den späteren Literaturformationen der Hebräischen Bibel ist (zu seinen schriftprophetischen Wurzeln vgl. HARDMEIER, Geschichtsdivinatorik, bes. 135 und 138f.). 70
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32,37 sowie 31,27). Auch wird er eine neue politische Führung (neue „Hirten“) einsetzen, die das Volk ohne Terror und Bedrückung regieren wird (23,4). Vor allem aber wird er in seinem unableitbaren Wunderwirken (vgl. Jer 32,27!) die Davidsdynastie trotz ihrer Zukunftslosigkeit, die in 22,25–30* betont wird, und gerade deshalb aus nicht ableitbaren, überraschenden Gründen neu aufblühen lassen (23,5f.), wobei an die exilische Nachkommenschaft Jojachins in Gestalt Serubbabels gedacht sein dürfte.71 Diese neue Blüte wird mit der Sammlung und Rückkehr der Versprengten aus allen Ländern nach Juda einhergehen, so dass gemäß V. 7f. „in jenen Tagen“ auch das ExodusBekenntnis aufgrund der heilvollen Rückkehr-Erfahrungen der Exilierten neu und umzuformulieren sein wird.
7. Fazit: Zu den Anfängen schriftprophetischer Literatur- und Traditionsbildung Im Blick auf die Anfänge schriftprophetischer Literatur- und Traditionsbildung ist in diesem Beitrag folgendes deutlich geworden. Es kann als gesichert gelten, dass sich die Jerusalemer Führungs- und Funktionseliten der Davidsdynastie in ihren juristisch-regulativen sowie politisch-administrativen Aufgabenfeldern ab dem späten 8. Jh. zunehmend der Schrift bedient und ihre Verwaltungskorrespondenz sowie vertragliche Tätigkeiten in Schriftform ausgeübt haben (Teil 1). Dieser epigraphische Befund konnte an biblischen Zeugnissen und Spiegelungen in biblischen Texten bestätigt werden (Teil 2). Insbesondere die bezeugten juristisch-administrativen Tätigkeiten und die daraus entstandenen Rechtskorpora weisen sowohl in aufgabenspezifischer und begrifflicher Hinsicht (rbd, hrwt und >lp-Umgang) als auch in Hinsicht auf die Literatur- und Traditionsbildung eine große Nähe zu den divinatorischen Aufgaben und Tätigkeiten der Schriftprophetie sowie zu vergleichbaren Literaturbildungen auf (vgl. Teil 3). Anhand von Jer 36 haben wir verschiedene (literatur-)soziologische Aspekte dieser Nähe beleuchtet, die sich in dieser Tendenzerzählung in der engen Verflechtung von Jeremias divinatorischer Expertentätigkeit mit den politischen Richtungskämpfen innerhalb der Jerusalemer Administration in nachjoschijanischer Zeit spiegeln (Teil 4.1 und 4.2). Zugleich konnten an Jer 36 wesentliche Funktionen aufgezeigt werden, die der Schriftlichkeit der prophetischen Diskurse zukommen, sowie – in der Außenspiegelung – Ansätze und besondere Formen der schriftprophetischen Literatur- und Traditionsbildung (Teil 4.3–4.6). 71
Es ist sicher kein Zufall, dass die Erwählung Serubbabels in Hag 2,23 exklusiv mit einem von JHWH (neu) gemachten Siegelring verglichen wird, den er sich einstmals nach Jer 22,24 in Gestalt Jojachins von seiner Hand gerissen hatte, und bestätigt die zeitgeschichtliche Perspektive, die hinter Jer 23,5f. stehen dürfte (vgl. auch Sach 3,8 und 6,12 mit Jer 23,5!).
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In Teil 5 konnten solche Formen und Verfahren der Literaturbildung auch textintern aufgezeigt und plausibel gemacht werden, und zwar einerseits an der primären Stellungnahme Jeremias zum Herrschaftswechsel und zum prunksüchtigen Regierungsverhalten Jojakims nach 608 in Jer 21f.* (vgl. 5.1) und andererseits an der späteren Fortschreibung nach dem Tode Jojakims um 597 in Jer 22,11*.24–30* und 23,5f.* (5.2) sowie an den isolierten Randkommentaren in 21,13a; 22,6f. und 20–23 aus der Anfangsphase der zweiten Belagerung Jerusalems um 588 (5.3, vgl. auch die Zusammenfassung in 5.4). Das Entscheidende an diesen Frühstadien der Literaturbildung am Ende der Königszeit ist ihre spezifische situationskonkrete Ausrichtung. Sie lässt sich einerseits an der Textpragmatik erkennen, die sich textintern an der Sprachgestalt sowohl des Primärtexts als auch seiner Bearbeitungen beobachten lässt. Andererseits kann ihre adressaten- und themenspezifische Ausrichtung textextern konkreten Situationen zugeordnet werden, in denen sie ihre Rolle als divinatorische Erhellung der aktuellen Lage und Einschätzung der politischen Entwicklung gespielt haben. Darin liegt der Hauptunterschied zur geschichtstheologischen Bearbeitung und Neukontextualisierung der Jeremia-Expertisen im konzeptionellen Rahmen der dtrjer. Buchkomposition (Teil 6). Sie schaut aus dem Abstand der späten Exilszeit auf das Ganze der schriftprophetischen Hinterlassenschaften Jeremias zurück und macht dieses literarische Erbe für die Erwartung fruchtbar, dass nach JHWHs neuem Heilswillen die Rückkehr aus dem Exil in greifbare Nähe rückt und ein politischer Neuanfang im Lande unter einem neuen Davididen in Aussicht steht. In bearbeitungstechnischer Hinsicht zeichnet sich diese Neukontextualisierung durch typologische und situationsabstrakte Verallgemeinerungen der Jeremia-Botschaft aus. In diesen Verallgemeinerungen kommen epochale geschichtstheologische Entwicklungen und weit gespannte Zukunftsperspektiven zur Sprache. Sie werden auf eigentümliche Weise der prophetischen Weitsicht Jeremias zugeschrieben, indem die dtrjer. Textpassagen den Propheten in markanten Schlüsselsituationen der Vergangenheit noch vor der Zerstörung Jerusalems schon in die weite Ferne der Rückkehr aus dem Exil und eines Neuanfangs im Lande blicken lassen. Damit ist der Schritt von der situationskonkreten Geschichtsdivinatorik der späten Königszeit, die sich in den schriftprophetischen Primärtexten und ihren frühen Bearbeitungen spiegelt, zur situationsabstrakten Betrachtung von epochalen Entwicklungen und geschichtstheologischen Globalzusammenhängen ab der späten Exilszeit vollzogen. Sie hat sich in literarischen Großformationen wie der dtrjer. Buchkomposition niedergeschlagen, die sich durch eine phraseologisch einschlägige Begriffs- und Formelsprache sowie ein Netzwerk von spezifischen Überschriften und makrosyntaktischen Gestaltungsverfahren auszeichnet, wie sie sich exemplarisch am Traktat von Jer 21–23,8 beobachten lassen.
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I. Die Textualisierung der Religion im antiken Juda lässt sich in verschiedenen Bereichen der alttestamentlichen Literatur belegen, vielleicht besonders deutlich innerhalb der Prophetie. Es ist eine alte Vermutung, dass der Umstand, dass die Hebräische Bibel zwar ein Jesajabuch, aber kein Eliabuch kennt, damit zusammenhängen dürfte, dass Kultur und Religion im antiken Juda im 8. Jh. v. Chr. in einem solchen Maß literal geworden sind, dass das Entstehen von Schriftprophetie möglich wurde.1 Nun liegt es auf der Hand, dass das Aufkommen der Schriftprophetie im antiken Juda mehr und anderes bedeutet, als dass vormals mündliche Prophetie nur schriftlich dokumentiert und kodifiziert wurde. Dies war zwar auch der Fall, doch eröffnete sich mit der Schriftlichkeit die Möglichkeit eines Prozesses innerbiblischer Schriftauslegung,2 der allem Anschein nach bis an die Anfänge der Schriftprophetie, nämlich bis ins Stadium der Erstverschriftung ursprünglich mündlicher Logien zurückreicht,3 und der das Wesen alttestament* Der vorliegende Beitrag bietet eine stark überarbeitete und erweiterte Fassung von K. SCHMID, L’accession de Nabuchodonosor à l’hégémonie mondiale et la fin de la dynastie davidique. Exégèse intra-biblique et construction de l’histoire universelle dans le livre de Jérémie, in: ETR 81 (2006), 211–227 sowie von DERS., Geschichtlicher Vordergrund und universalgeschichtlicher Hinergrund im Jeremiabuch, in: U. H. J. K ÖRTNER (Hg.), Geschichte. Vergangenheit – Rekonstruktion – Fiktion, Neukirchen-Vluyn 2007, 95–114. 1 Vgl. zum Problem jetzt M. NISSINEN , How Prophecy Became Literature, in: SJOT 19 (2005), 153–172. 2 Vgl. K. SCHMID, Innerbiblische Schriftauslegung. Aspekte der Forschungsgeschichte, in: R. G. KRATZ/TH. KRÜGER/DERS. (Hgg.), Schriftauslegung in der Schrift. FS O. H. Steck (BZAW 300), Berlin, New York 2000, 1–22. 3 Vgl. besonders die Arbeiten von J. JEREMIAS zu Hosea und Amos: DERS., Der Prophet Hosea (ATD 24/1), Göttingen 1983; DERS., Der Prophet Amos (ATD 24/2), Göttingen 1995; DERS., Hosea und Amos. Studien zu den Anfängen des Dodekaprophetons (FAT 13), Tübingen 1996.
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licher Prophetie grundlegend veränderte und prägte. Innerbiblische Schriftauslegung ist zwar kein Generalschlüssel zur Auslegung der prophetischen Literatur des Alten Testaments, gleichwohl gehört ihre Untersuchung zu den wichtigeren und ertragreicheren Aufgaben der jüngeren Prophetenforschung.4 Will man exemplarisch die wichtigsten Veränderungen herausgreifen, die sich aufgrund dessen für das Verständnis der Prophetie ergeben haben, so wären wohl etwa folgende Punkte zu nennen: (1) Die Forschung hat mehr und mehr den literarischen Charakter der Prophetenbücher zu würdigen gelernt. Nicht mehr der Prophet an sich, sondern sein Buch steht im Vordergrund und wird als eigene literarische Größe gewürdigt. Vor dem Propheten steht das Buch, und wer zum Propheten will, muss durch das Buch hindurch, das mehr und anderes ist als literarischer Niederschlag von dessen Verkündigung. (2) Mit dieser Entromantisierungstendenz der Prophetenforschung, die sich vom unmittelbaren Zugriff auf die mutmaßlichen religiösen Genies hinter den Büchern wegbewegt hat, hängt zusammen, dass die sogenannten literarisch „sekundären Stücke“ der Prophetenbücher nicht mehr fraglos auch als theologisch „sekundär“, das heißt: minderwertig eingestuft werden. Die Frage nach Vorgängen innerbiblischer Schriftauslegung hat vielmehr deutlich gemacht, dass die „sekundären Ergänzungen“ nicht bloße Zusätze sind, sondern zumeist als Auslegungen vorgegebenen Textguts begreiflich gemacht werden können. Mit anderen Worten: Redaktionsgeschichte ist keine Geschichte von in den Text gelangten Randglossen, sondern in der Regel als innerbiblische Rezeptionsgeschichte beschreibbar.5 Oder methodisch noch schärfer gewendet: Eine redaktionsgeschichtliche Rekonstruktion, die sich nicht als innerbiblische Rezeptionsgeschichte beschreiben lässt, sollte sich fragen lassen, ob sie tatsächlich sachgemäß durchgeführt worden ist. (3) Bei allem Dissens in Datierungsfragen ist doch deutlich geworden, dass die Prophetenbücher zwar nicht samt und sonders aus der persischen und hellenistischen Epoche stammen (das ist gegen einen gewissen, mittlerweile allerdings bereits wieder aus der Mode gekommenen Forschungstrend der Spätund Spätestdatierung zu betonen), aber doch alle in dieser Zeit entscheidenden formativen Gestaltungsvorgängen unterzogen worden sind. Die Prophetentexte können also irgendwann zwischen der Zeit des namengebenden Propheten und dem Abschluss des Prophetenkanons entstanden sein; für das Jeremia4 Vgl. die Hinweise bei U. BECKER, Die Wiederentdeckung des Prophetenbuches. Tendenzen und Aufgaben der gegenwärtigen Prophetenforschung, in: BThZ 21 (2004), 30–60; K. SCHMID, Klassische und nachklassische Deutungen der alttestamentlichen Prophetie, in: Zeitschrift für neuere Theologiegeschichte 3 (1996), 225–250; R. G. KRATZ, Innerbiblische Exegese und Redaktionsgeschichte im Lichte empirischer Evidenz, in: DERS., Das Judentum im Zeitalter des Zweiten Tempels (FAT 42), Tübingen 2004, 126–156. 5 Vgl. O. H. STECK, Die Prophetenbücher und ihr theologisches Zeugnis. Wege der Nachfrage und Fährten zur Antwort, Tübingen 1996, 141f. Anm. 27.
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buch entsteht so eine Spanne zwischen dem ausgehenden 7. und dem beginnenden 2. Jh. v. Chr. Methodisch gesehen ist es weder adäquat zu fragen, welche Worte eines Buches noch dem Propheten selbst „zuzutrauen“ sind, noch ist es legitim, alle Worte, die sich auch aus einer anderen Zeit erklären lassen, dem Propheten abzusprechen. Vielmehr ist die Zeit des Propheten selbst als möglicher historischer Ort der Texte des Buches weder überzuprivilegieren noch unterzuprivilegieren. (4) Schließlich ist zu beachten, dass die fortwährende literarisch produktive Weiterauslegung der Prophetenbücher nichts anderes als die Bedingung der Möglichkeit darstellt, dass diese Bücher überhaupt bis heute überlebt haben. Eine antike Leder- oder Papyrusrolle hält sich unter normalen Umständen nicht länger als 200–300 Jahre. Ohne den Vorgang literarisch produktiver Rezeptionstätigkeit wüssten wir heute weder von Jesaja noch von Jeremia etwas. Die Fortschreibungstätigkeit an den Prophetenbücher zeigt, dass das Prophetenwort offenbar nie einfach nur historisch verstanden worden ist. Die Propheten reden zwar in ihrer Zeit, aber nicht ausschließlich zu ihrer Zeit6 – das ist jedenfalls die Meinung der Rezipienten. Ihr Wort hat einen impliziten Mehrwert, der in jeder Epoche neu definiert und expliziert werden kann. In dieser Überzeugung der zeitübergreifenden Geltung des prophetischen Worts scheint der Vorgang der innerbilischen Schriftauslegung in den Prophetenbüchern zu gründen.
II. Die folgenden Beobachtungen möchten ein Beispiel aus dem Jeremiabuch vorstellen, das in besonders deutlicher und exemplarischer Weise klarstellt, in welchem Maß ein Text durch innerbiblische Schriftauslegung geprägt sein kann und sich erst von daher überhaupt erschließt. Gleichzeitig ergibt sich daraus zwangsläufig eine kontextgebundene Wahrnehmung solcher Texte: Sie wollen und können nicht verstanden werden ohne ihren jeweiligen Auslegungskontext. Den Ausgangspunkt meiner Überlegungen bildet die Erzählung Jer 36. Sie ist ohnehin ein Zentraltext für die Frage von schriftlicher Tradentenprophetie und ist in neueren Publikation mehrfach unter diesem Gesichtspunkt ausgelegt worden. Der Gang des Erzählten ist bekannt: Jeremia erhält von seiten Gottes den Auftrag zur Niederschrift seiner Gerichtsworte, den er mit Hilfe seines Schreibers Baruch ausführt. Baruch verliest diese Rolle im Tempel später vor dem ganzen Volk. Der Vorgang kommt den Fürsten zu Ohren, die Baruch zu sich bestellen, vor ihrem Kreis verliest er die Rolle ein zweites Mal. Im Wis6 Vgl. H.-J. HERMISSON , Zeitbezug des prophetischen Wortes, in: KuD 27 (1981), 96– 110; STECK, Prophetenbücher, 147–149.
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sen um die Brisanz des Vorgetragenen raten die Fürsten Jeremia und Baruch, sich zu verstecken, und sie veranlassen eine dritte Vorlesung vor dem König Jojakim. Dieser lässt nun allerdings, nachdem ihm drei oder vier Kolumnen vorgelesen worden waren, die Rolle abschnittsweise verbrennen. Doch Jeremia diktiert auf den erneuten Befehl Gottes hin seinem Schreiber Baruch eine neue Fassung derselben Rolle. Gegen Jojakim und sein Geschlecht ergeht ein hartes Gerichtswort, das im Folgenden noch genauer zu untersuchen sein wird. Von der zweiten, neu hergestellten Rolle heißt es in Jer 36,32 dann sogar, dass sie nachträglich erweitert worden sei.7 terèex) a hØLf ig:m xØaqfl Uhðfy:m:réyºw Und Jeremia nahm eine andere Rolle þrp" oSh a ýUhæYir¢n-}eB |UØrfB-le) ýHænT : éY×aw und gab sie Baruch, dem Sohn Nerias, dem Schreiber, üfhyóelf( bÜoT:kéYáw und der schrieb auf sie repê"Sah yØ"r:biD-lfK t")ù Uhêfy:m:réy yØPi im nach dem Diktat Jeremias alle Worte des Buches, $Õ")fB hÙfdUhºy-|el×m e {yÛiqæyOhºy vÖarf& rÛe$A) das Jojakim, der König von Juda, im Feuer verbrannt hatte, hfM×"hfK {yÙiBra {yÛirfb:D {Öehy"lA( vÓasOn dwío(ºw und es wurden ihnen noch viele Worte wie diese hinzugefügt.
Dieser Satz ist höchst bemerkenswert: Jer 36,32 ist das deutlichste Selbstzeugnis der Bibel, dass ihre Texte in sukzessiver Fortschreibung entstanden sind. Das Jeremiabuch enthält nicht bloß ipsissima verba des namengebenden Propheten, sondern diesen Worten wurden noch viele ähnliche hinzugefügt. Jer 36,32 lässt zwar offen, ob es sich bei diesen noch hinzukommenden Worten um jeremianische oder nachjeremianische Texte handelt, und ob deren Niederschrift noch von Baruch selbst vorgenommen worden ist oder nicht, eine Entstehung nach Jeremia und Baruch wird aber auch nicht ausgeschlossen, ja ist durch die passivische Formulierung vÓasOn sogar eher naheliegend.8 Es spricht nichts Grundsätzliches dagegen, Jer 36,32 als biblischen Quellentext für das Selbstbewusstsein der Bibel zu interpretieren, dass sie selber – nicht ausschließlich, aber doch auch – durch fortwährende, literarisch produktive Textauslegung und -fortschreibung entstanden ist.
7 Zur abweichenden Fassung der LXX vgl. H.-J. STIPP, Jeremia im Parteienstreit. Studien zur Textentwicklung von Jer 26, 36–43 und 45 als Beitrag zur Geschichte Jeremias, seines Buches und judäischer Parteien im 6. Jahrhundert (BBB 82), Frankfurt a. M. 1992, 81. 8 Vgl. CH. LEVIN, Die Verheißung des neuen Bundes in ihrem theologiegeschichtlichen Zusammenhang ausgelegt (FRLANT 137), Göttingen 1985, 149 Anm. 5; Y. HOFFMAN, Aetiology, Redaction and Historicity in Jeremiah XXXVI, in: VT 46 (1996), 179–189, 186; H.-J. STIPP, Baruchs Erben. Die Schriftprophetie im Spiegel von Jer 36, in: H. IRSIGLER (Hg.), „Wer darf hinaufsteigen zum Berg JHWHs?“ Beiträge zu Prophetie und Poesie des Alten Testaments. FS S. Ö. Steingrimsson (ATSAT 72), St. Ottilien 2002, 145–170, 166f.
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Was sich so aus Jer 36,32 ergibt, lässt sich auch in der Erzählung Jer 36 selbst erkennen. Es ist schon oft gesehen worden, dass Jer 36 als Kontrasterzählung zu 2 Kön 22, der Legende vom Fund eines heiligen Buches unter König Josia, gestaltet ist9: Der König Jojakim ist in Jer 36 ganz als negatives Gegenbild seines frommen Vaters Josia in 2 Kön 22 gezeichnet. Während Josia auf das Wort Gottes hört, weist Jojakim es von sich, Josia zerreißt seine Kleider (22,11), Jojakim zerreißt sie nicht (36,24), Josia erhält eine Ankündigung eines friedlichen Begräbnisses (22,20), Jojakim dagegen soll nicht begraben werden (36,30). Der Kontrast ist offenkundig und namentlich das in Jer 36 etwas blind wirkende Motiv des Nicht-Zerreißens der Kleider (V.24) deutet darauf hin, dass Jer 36 2 Kön 22 kennt und nicht umgekehrt. Man kann darüber diskutieren, ob Jer 36 von vornherein10 oder erst auf einer bestimmten literarischen Stufe11 zur Gegenerzählung von 2 Kön 22 geworden ist, doch mag dies hier auf sich beruhen bleiben. Im Folgenden soll vielmehr ein kleines Element herausgegriffen werden, das zunächst für sich genommen wenig wichtig erscheinen mag, anhand dessen sich aber sehr weitgreifende Konsequenzen zur innerbiblischen Schriftauslegung und Theologie im Jeremiabuch ziehen lassen. Es handelt sich um die eben genannte Gerichtsansage gegen den König Jojakim in 36,30, von der Lohfink völlig richtig, nur etwas zu zurückhaltend schreibt: „Das klingt fast nach dem Ende der Davidsdynastie“.12 hèfwhºy rØamf)-h×oK }î"kfl hêfdUhºy |elØem ü{yiqæyw×ohºy-la( wÛoL-håy:h×iy-)ol dÕiwfd )Ø"SiK-la( bÙ"$Oy tekêel:$um hØey:h×iT üOtfl:bénºw {wÙoYB a berÛoxla ;hflºy×Lf aB xarÛeQalºw
Deshalb: So spricht Jhwh über Jojakim, den König von Juda: Nicht wird ihm sein einer, der auf dem Thron Davids sitzt, und sein Leichnam soll hingeworfen sein der Hitze bei Tag und dem Frost bei Nacht.
9 Vgl. G. WANKE, Jeremia. Teilband 2: Jeremia 25,15–52,34 (ZBK.AT 20.2), Zürich 2003, 338; K. SCHMID, Buchgestalten des Jeremiabuches. Untersuchungen zur Redaktionsund Rezeptionsgeschichte von Jer 30–33 im Kontext des Buches (WMANT 72), NeukirchenVluyn 1996, 245–247 mit Anm. 206 (Lit.); T. RÖMER, La conversion du prophète Jérémie à la théologie deutéronomiste, in: A. H. W. CURTIS/DERS. (Hgg.), The Book of Jeremiah and Its Reception. Le livre de Jérémie et sa réception, BEThL 128, Leuven 1997, 27–50, 47f ; G. J. VENEMA, Reading Scripture in the Old Testament. Deuteronomy 9–10; 31 – 2Kings 22–23 – Jeremiah 36 – Nehemiah 8, OTS 48, Leiden u. a. 2004, 125–127. 10 C. MINETTE DE TILESSE , Joiaqim, repoussoir du ›pieux‹ Josias: Parallélismes entre II Reg 22 et Jer 36, in: ZAW 105 (1993) 353–376; H. M. WAHL, Die Entstehung der Schriftprophetie nach Jer 36, in: ZAW 110 (1998), 365–389, 376. 11 WANKE, Jeremia, 338. 12 N. LOHFINK, Die Gattung der „Historischen Kurzgeschichte“ in den letzten Jahren von Juda und in der Zeit des Babylonischen Exils, in: ZAW 90 (1978), 319–347, wieder abgedruckt in: DERS., Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur II (SBAB 12), Stuttgart 1991, 55–86, 62. Entschieden dagegen G. FISCHER, Jeremia 26–52, (HThK.AT), Freiburg i. Br. u. a. 2005, 303.
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Dieser Text vereinigt eine Mehrzahl von Auffälligkeiten auf sich. Zum einen einmal fällt auf, dass diese Prophezeiung sich in doppelter Hinsicht nicht erfüllt hat: Weder ist die Davidsdynastie schon mit Jojakim beendet gewesen, nach ihm herrschten noch sein Sohn Jojachin (2 Kön 24,6.8) und sein Bruder Mattanja/Zedekia (2 Kön 24,17), noch gibt es Hinweise darauf, dass Jojakim ein reguläres Begräbnis verwehrt gewesen sein soll. 2 Kön 24,6 vermeldet formularisch, dass er sich zu seinen Vätern legte, was auf keine außerordentlichen Umstände hinweist.13 wyÕt f obA)-{i( {yÙiqæyOhºy bÛKa :$éYáw Und Jojakim legte sich zu seinen Vätern, ;wy×T f :xaT wÙon:B }yÛikæyOhºy |Öol:méYáw und es wurde Jojachin, sein Sohn, König an seiner Stelle.
2 Kön 24,6 scheint fraglos damit zu rechnen, dass Jojakim nach seinem Tod in der Jerusalemer Königsgruft bestattet worden ist: „Er legte sich zu seinen Vätern“. Auch wenn eine eigene explizite Angabe über den Begräbnisort Jojakims (vgl. 2 Kön 21,18.26) fehlt, so ist doch nicht zu erwarten, dass der Autor der Königebücher das Eintreffen eines prophetischen Gerichtsworts über Jojakim unterschlagen hätte, wenn ihm irgendwie zu Ohren gekommen wäre, dass Jojakim nicht rite bestattet worden wäre. Flavius Josephus in seinen Antiquitates lässt die Androhnung von Jer 36,30 Wirklichkeit werden, indem er schreibt, dass Nebukadnezar im Zug der Ereignisse von 597 v. Chr. Jojakim umbringen, seinen Leichnam vor die Stadtmauern werfen ließ und verbot, diesen zu beerdigen (X, [97] 6,3), aber Josephus konstruiert hier nichts anderes als ein eventum e vaticinio.14 Jer 36,30 ist also – nach dürrer historischer Maßgabe geurteilt – eine falsche Prophezeiung. Sie hat sich in doppelter Hinsicht nicht erfüllt: Jojakim war weder der letzte Davidide, noch wurde er nicht regulär bestattet. Der Historiker frohlockt natürlich bei solchen Befunden, denn bei falschen Prophezeiungen ist in der Regel die Chance groß, dass sie „echt“ sind. Wer würde in Kenntnis dessen, was nach Jojakim tatsächlich geschehen ist, ein falsches vaticinium ex eventu konzipieren? Doch dieser historische Glücksfall liegt in Jer 36,30 leider nicht vor – das ist gegen das anderslautende Urteil von H. J. Stipp,15 der 36,30 maßgeblich zur Datierung seiner Grundschicht von Jer 36 noch vor dem Tod Jojakims 13 Vgl. B. ALFRINK , L’expression wytwb) {( bk$, OTS 2 (1943), 106–118; STIPP, Jeremia, 110; vgl. zum Problem ausführlich O. LIPSCHITS , „Jehojakim Slept with his Fathers“ (II Kings 24.6) – Did he?, in: The Journal of Hebrew Scriptures 4 (2002) (http:// www.jhsonline.org) sowie N. NA’AMAN, Death Formulae and the Burial Place of the Kings of the House of David, in: Bib 85 (2004), 245–254. Wenig überzeugend ist der Beitrag von A. R. GREEN, The Fate of Jehoiakim, in: AUSS 20 (1982), 103–109. 14 Vgl. C. T. BEGG, Jehoahaz, Jehoiakim, and Jehoiachin (10,81–102 + 229–230), in: DERS., Josephus’ Story of the Later Monarchy (AJ 9,1–10,185) (BEThL 154), Leuven 2000, 499–534. 15 Gegen STIPP, Jeremia, 110.
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heranzieht, festzuhalten. Die Erzählung Jer 36 ist insgesamt bereits in ihrem literarischen Grundbestand, der die Gerichtsankündigung gegen Jojakim aus sachlichen Gründen zuzuweisen ist,16 eine hochreflektierte Erzählung, die nicht zeitgenössisch mit Jeremia selber sein kann,17 sondern den Untergang Judas und Jerusalems schon voraussetzt und diesen mit der Ablehnung des prophetischen Worts durch Jojakim begründet. Darüber hinaus wird sich für Jer 36,30 sehr genau zeigen, weshalb dieser Text gegen die tatsächliche Ereignisgeschichte, die ihm sehr wohl bekannt gewesen ist, formuliert worden ist. Für unsere Frage ist es dabei unerheblich, ob man V. 30 wegen des Personwechsels gegenüber V. 29 noch einmal eigens literarisch absetzt – das ist deshalb eher unwahrscheinlich, da dieser Personwechsel offenbar von dem Vorlagetext 22,13–19 her motiviert ist18 –, älter als die Grunderzählung wird V. 30 damit ohnehin nicht. Jer 36 samt V. 29f ist sogar in eine erheblich spätere Zeit als das Umfeld der nationalen Katastrophe von 587 v. Chr. anzusetzen, denn V. 30 setzt als Gerichtsankündigung formgeschichtlich die Anklage in V. 29 voraus, die in Sache wie Diktion die golaorientierte 19 Theorie des leeren Landes vertritt. rêm a )ot ühfdUhºy-|el×m e {yÜiqæyOhºy-la(ºw Und über Jojakim den König von Juda sollst du sagen: hÕfwhºy rØm a f) hÙoK So spricht Jhwh: üt)ïZah hÜLf ig:Mh a -te) fTp: ðarf& hfT) a ö Du hast diese Rolle verbrannt mit den Worten: rèom)"l fhyðelf( T f :bít a fK ûa(UDam rêom)"l Warum hast du auf sie geschrieben: ülebfB-|el×em )wÜobæy-)×oB Der König von Babel wird gewiss kommen t)êoZh a jerØf)fh-te) ütyix:$ihºw und dieses Land zerstören ;s h×fm"h:bU {Ûfdf) hæNÙeMim tyÛiB:$ihºw und Mensch und Tier darin ein Ende bereiten?
Man vergleiche von der Formulierung her („Mensch und Tier ein Ende bereiten“) nur die golaorientierten Programm-Aussagen in Ez 14,21–2320 und Jer 21,6; 32,43.21 Die Theologie dieses Programms setzt einen bedeutenden Abstand zu den historisch doch ganz anderen Verhältnissen im Land voraus. Mehr als 5–10% der Bevölkerung wurden von den Babyloniern nicht deportiert, das Land war also alles andere als „leer“.22 Um dies behaupten zu können, bedarf es eines gewissen historischen Abstands. 16 Gegen G. WANKE, Untersuchungen zur sogenannten Baruchschrift (BZAW 122), Berlin, New York 1971, 70; A. GRAUPNER, Auftrag und Geschick des Propheten Jeremia. Literarische Eigenart, Herkunft und Intention vordeuteronomistischer Prosa im Jeremiabuch (BThSt 15), Neukirchen-Vluyn 1991, 106. 17 Vgl. etwa HOFFMAN, Aetiology, 183; WAHL, Entstehung, 373–375. 18 STIPP, Jeremia, 92. 19 Vgl. dazu ausführlich SCHMID, Buchgestalten, 253–269 (Lit.). 20 Vgl. dazu K.-F. POHLMANN , Der Prophet Hesekiel/Ezechiel. Kapitel 1–19 (ATD 22,1), Göttingen 1996, 204–206. 21 Vgl. SCHMID, Buchgestalten, 253. 261. 266. 22 Vgl. zuletzt und knapp E. A. KNAUF , Wie kann ich singen im fremden Land? Die „babylonische Gefangenschaft“ Israels, in: BiKi 55 (2000), 132–139.
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Als zweite Auffälligkeit neben dem Befund der Nichterfüllung ist zu Jer 36,30 festzuhalten, dass Jer 36,30 zwei anderen Texten des Jeremiabuchs sehr nahe steht: dem Gerichtswort gegen Jojakim in Jer 22,13–19, dort namentlich der Ankündigung 22,18f, dass Jojakim keine Totenklage und kein Begräbnis erhalten werde, und dem Gerichtswort 22,28–30 gegen dessen Sohn Jojachin, das in 22,30 den Abbruch der Davidsdynastie ansagt. Dass 36,30 auf 22,18f zurückgreift, ist aufgrund der identischen Adresse des Gerichtswort an Jojakim und der sachlichen Übereinstimmung in Bezug auf das Nichtbegrabenwerden offenkundig und leicht zu erkennen.23 hèfwhºy rØm a f)-h×oK }î"kfl üUhófYi$)ïy-}eB {yÜiqæyOhºy-le) hêfdUhºy |elØem wêol UØd:P:séy-)ol twÕoxf) ywØohºw yÙx i f) ywÛoh wêol UØd:P:séy-)ol ;h×odoh ywÛohºw }wÙodf) ywÛoh rÕ"bfQéy rwÙomx A tÛarUb:q hf):lÙfh"m |ê"l:$ahºw bwØoxfs ;{i×flf$Urºy yÛ"rA($ a :l
Deshalb: So spricht Jhwh zu Jojakim, dem Sohn Josias, dem König von Juda: Nicht wird man ihn beklagen: Ach, mein Bruder, und ach, Schwester. Nicht wird man ihn beklagen: Ach, Herr, und ach, seine Hoheit. Ein Eselsbegräbnis wird er erhalten, gezerrt und hingeworfen draußen vor die Stadttore Jerusalems.
Doch auch die Verbindung zu 22,30 ist deutlich genug: 24 Zwar richtet sich 22,30 an Jojachin, doch schaffen die Verwendung des Ausdrucks dêiwd f )Ø"SiK-la( üb"$yï 25 sowie dessen Einbettung in die Ansage des Abbruchs der Davidsdynastie eine enge intertextuelle Verbindung. hèfwhºy rØamf) hØoK So spricht Jhwh: yêiryirA( ühåZah $yÜi)fh-te) Uîbt : iK Schreibt diesen Mann als kinderlos auf, wyÕfmæy:B xØalc : éy-)ol rebÙGe als einen Mann, der in seinen Tagen keinen Erfolg haben wird, wèo(:ráZim xðla c : éy )íol ûyiK denn es wird keinem Mann aus seiner Nachkommendêiwfd )Ø"SiK-la( üb"$ïy $yi)ù schaft gelingen, auf dem Thron Davids zu sitzen, ;h×fdUhyiB dwÙo( lÛ"$omU und noch einmal über Juda zu herrschen.
So drängt sich die Vermutung auf, dass diese beiden Worte, 22,18f und 22,30, in 36,30 zusammengesehen und kombiniert worden sind. Dass die Abhängigkeit in dieser Richtung verläuft – Jer 36,30 verarbeitet Jer 22,18f und 22,30 und nicht umgekehrt – ist nur schon deshalb naheliegend, weil Jer 36,30 diese beiden Texte eben zusammenzieht. Darüber hinaus scheinen sowohl 22,18f 23
Die konkrete Formulierung in Jer 36,30 scheint von Jer 14,16 ( {yikfl:$um) her inspiriert zu
sein. 24
R. P. CARROLL, Jeremiah. A Commentary (OTL), London 1986, 661; W. MCKANE, A Critical and Exegetical Commentary on Jeremiah. Volume II: Commentary on Jeremiah XXVI–LII (ICC), Edinburgh 1996, 921. STIPP, Jeremia, 92, gesteht die Ähnlichkeit zu, kann jedoch wegen seiner Datierung von 36,30 vor 598 v. Chr. keinen literarischen Bezug gelten lassen. 25 Sonst noch Jer 17,25; 22,2.
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wie jedenfalls auch 22,30a – nun anders als Jer 36,30 – auf authentische Jeremia-Logien zurückzugehen. Denn sowohl 22,18f wie 22,30a lassen sich nicht als vaticinia ex eventu plausibel machen. Hier liegt m. E. nun in der Tat der bereits genannte historische Glücksfall vor. Jojakim ist regulär begraben worden (2 Kön 24,6) und Jojachin hatte aller Wahrscheinlichkeit nach Kinder: Es besteht kein Anlass, an der grundsätzlichen historischen Verlässlichkeit diesbezüglich von 1 Chr 3,17f zu zweifeln, wo sieben Söhne Jojachins aufgelistet werden. Zudem erscheint es als wenig wahrscheinlich, dass Jer 22,30a von der Stellung des Jojachin-Enkels Serubbabel als „Statthalter“ über Juda weiß,26 für diese Entwicklung zeigt der Text, wäre er eine Rückprojektion, viel zu wenig Problembewusstsein. Mit Wanke27, Holladay28 und zuletzt Maier29 kann man dagegen vermuten, dass die begründende Präzisierung 22,30b nun eben auf diese Situation Rücksicht nimmt und die angekündigte Kinderlosigkeit Jojachins dahingehend uminterpretiert, dass keines seiner tatsächlichen Kinder je auf dem Thron Davids sitzen wird. Im Gegensatz zu Jer 36,30 – was gleich zu zeigen ist – lässt sich weder in 22,18f noch in 22,30a erkennen, dass sich mit diesen historischen Fehlurteilen eine bestimme Aussageabsicht ex post verbindet. Es handelt sich also wahrscheinlich um authentische Prophezeiungen. Kann man also mit Gründen der Auffassung zuneigen, dass 36,30 die beiden älteren Texte 22,18ff und 22,30, ja mit 22,30a.b sogar eine gestufte Textfolge, verarbeitet, so ist diese Vermutung als Hypothese aber nur plausibel, wenn sich inhaltlich nachweisen lässt, was für ein Sinn sich mit dieser Kombination verbindet. Die Motivation für diese Textaufnahmen wäre wohl relativ schnell zu finden, wenn 22,30 sich auch an Jojakim richten würde. Dann ließe sich durchaus nachvollziehen, dass der Erzähler von Jer 36 bei der Formulierung seiner Gerichtsankündigung an Jojakim auf entsprechendes Spruchgut aus der ihm vorliegenden Jeremiaüberlieferung zurückgegriffen hätte. Doch 22,30 wendet sich an Jojachin. Die Kombination von 22,18f und 22,30 in 36,30 muss also einen spezifischen Grund haben. M. E. lässt sich dieser sehr präzise benennen, wenn man zum einen genau auf die Sachaussage von Jer 36,30 achtet und sie zum anderen im Kontext des Buches bedenkt. Zum ersten Punkt: Jer 36,30 besagt gegen die historische Realität, dass mit Jojakim die Davidsdynastie zu einem Ende kommt. Jojakim ist der letzte Re26 Zum Status von Juda als persischer Provinz bereits unter Serubbabel vgl. J. SCHAPER, Numismatik, Epigraphik, alttestamentliche Exegese und die Frage nach der politischen Verfassung des achämenidischen Juda, in: ZDPV 118 (2002), 150–168. 27 WANKE, Jeremia, 201f. 28 W. L. HOLLADAY, Jeremiah I. A Commentary on the Prophet Jeremiah. Chapters 1– 25, Hermeneia, Philadelphia 1986, 611. 29 CH. MAIER, Jeremia als Lehrer der Tora. Soziale Gebote des Deuteronomiums in Fortschreibungen des Jeremiabuches (FRLANT 196), Göttingen 2002, 213 Anm. 48.
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präsentant davidischer Herrschaft. Das ist historisch falsch. Gerade der Umstand, dass diese Aussage historisch unzutreffend und gleichwohl weiterüberliefert worden ist, macht sie in besonderem Maße erklärungsbedürftig. Dabei scheidet die für 22,18f gültige Erklärung aus, dass Jer 36,30 vor dem Tod Jojakims und dem Amtsantritt seines Sohns Jojachin schriftlich fixiert worden ist: Jer 36 ist keinesfalls zeitgenössisch, sondern setzt den Untergang Judas und Jerusalems bereits voraus,30 V.29f zudem wohl bereits die golaorientierte Reinterpretation der Jeremiaüberlieferung, die kaum vor dem 5. Jh. v. Chr. anzusetzen ist.31 Inwiefern nun lässt sich diese historisch falsche Theorie des Abbruchs der Davidsdynastie bei Jojakim gleichwohl halten? Gibt es eine höhere, theologische Perspektive, in der dieses Urteil als plausibel gelten könnte? Die Antwort lautet: Ja, wenn man den zweiten Punkt, die Kontextverankerung von Jer 36 im Jeremiabuch bedenkt. Von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Ansage des Abbruchs der Davidsdynastie in Jer 36,30 sind die literarischen Datierungen in Jer 36, die die Niederschrift der ersten Rolle in Jer 36,1 in das vierte Jahr Jojakims und die Verlesungen in 36,9.22 in den neunten Monat des fünften Jahres Jojakims ansetzen. Sie geben nicht an, wann Niederschrift und Verlesungen tatsächlich stattgefunden haben, sondern mit welchen geschichtstheologischen Horizonten diese Vorgänge verbunden werden. Zunächst zum vierten Jahr Jojakims, nach unserer Zeitrechnung das Jahr 605/4 v. Chr.: Es ist zugleich das Todesjahr des babylonischen Königs Nabopolassar, und das nach hebräischer Ausdrucksweise „erste Jahr“, nach babylonischer Nomenklatur das „Akzessionsjahr“32 Nebukadnezars, wie das in dasselbe Jahr datierte Kapitel Jer 25 in seinem V. 1 mit einem Synchronismus ausdrücklich festhält. Uhófy:m:réy-l×a( hÜfyfh-re$A) rîfbfDh a hêfdUhºy {Ø( a -lfK-la( {yÛiqæyOhyil tyêi(ib:r×fh ühænf{ – „und ein sitzender“ (Ps 55,20); 4. bv,OYw: – „und er setzte (sie)“ (2 Kön 17,6 u.ö.); 5. bv"Y"w: – „und er kehrte um“; 6. bvoy"w> – „und er soll umkehren“ (Dtn 20,5 u.ö.); 7. bv,Y"w: – „und er brachte zurück“; 8. bVeY:w: – „und er verscheuchte (sie)“ (Gen 15,11); 9. B.v.Yiw: – „und er nahm gefangen“ (Num 21,1 u. ö.) etc.
Die Anzahl homographer oder graphisch zumindest sehr ähnlicher Wortformen wird noch zusätzlich vermehrt durch die aus der alttestamentlichen Textkritik bekannten Fälle aufgrund graphischer oder phonetischer Nähe leicht verwechselbarer Konsonanten (z. B. d/r; w/y; s/X; Laryngale). Freilich werden viele solcher Mehrdeutigkeiten des Schriftbilds im Kontext eindeutig. Allerdings ist dies durchaus nicht immer der Fall, und je komplexer der Text, desto weniger genügt der Kontext, eine Lesung als eindeutig festzulegen. In Fällen der Ambivalenz des Schriftbildes, die in der biblischen Textüberlieferung keineswegs selten sind,8 erscheinen insbesondere zwei Szenarien vorstellbar: a) Der antike Modellleser kennt den Text; das schriftliche Dokument dient nur als Gedankenstütze. b) Der antike Modellleser kennt den Text nicht, und er füllt die Leerstellen der Schriftform selbständig aus, z. B. aufgrund des Kontextes oder mit Hilfe von Paratraditionen. Beide Fälle sind in der Überlieferungsgeschichte alttestamentlicher Texte nachweisbar.9 Hier wie da gilt, dass das Schriftstück erst durch die mit der vermündlichenden Lesung verbundene reproduktive (a) oder produktive (b) Leistung des Lesers als Text im eigentlichen Sinne reetabliert (a) oder etabliert
7 „[M]ost manuscripts in the Greek context were not designed to provide a first-time introduction to a given textual tradition (…)“ (CARR, Writing on the Tablet of the Heart, 4). 8 Allein auf dem Feld der Vokalisierung bezeugt schon die samaritanische Toralesung für das Buch Genesis über 400 Lesevarianten gegenüber der masoretischen Vokalisierung, siehe S. SCHORCH, Die Vokale des Gesetzes. Die samaritanische Lesetradition als Textzeugin der Tora, Band 1: Genesis (BZAW 339), Berlin, New York 2004, 83–244. 9 Siehe hierzu S. SCHORCH, The Septuagint and the Vocalization of the Hebrew Text of the Torah, in: M. K. H. PETERS (Hg.), XII Congress of the International Organization for Septuagint and Cognate Studies, Leiden, Boston 2006, 41–54.
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(b) wurde. Damit aber muss dem Lesen von vornherein ein dem Stellenwert der Verschriftlichung vergleichbarer Stellenwert im Prozess der Textualisierung der israelitisch-jüdischen Religion eingeräumt werden. Im Folgenden sollen einige wichtige Aspekte der Funktion des Lesens dargestellt werden.
1. Der altisraelitische Leser als Reproduzent und Produzent von Texten In seiner bereits zitierten Untersuchung der literalen Kultur Altisraels hat David Carr sich besonders der ersten der beiden oben genannten Möglichkeiten gewidmet und die bedeutende Rolle des Lesens als eines reproduktiven Vorgangs herausgestellt. Carr sieht die Textüberlieferung im alten Israel und darüber hinaus im gesamten Alten Orient, in Altägypten und im antiken Griechenland v. a. in der Ausbildung der literalen Eliten begründet. Ziel der entsprechenden Curricula sei das „Schreiben auf die Tafel des Herzes“ gewesen, also die auswendige Aneignung der Tradition. Der Leseakt, auf den diese Ausbildung zielt, ist dementsprechend nach Carr nicht primär als eine Rezeption des geschriebenen Textes zu fassen, sondern eher als eine durch den Leseakt veranlasste Reproduktion des auswendig gelernten Textes.10 Diese Sicht hat verschiedene Konsequenzen: Zunächst einmal bedeutet sie letztlich, dass dem Medium Schrift sowohl im Prozess der Textaneignung wie auch im Prozess des Lesens eher eine stützende denn eine tragende Rolle zukommt. Sodann begreift Carr das Lesen und damit die Rezeption der Texte praktisch ausschließlich als eine soziale Funktion: Carrs Leser ist Teil einer Lesergemeinschaft, einer communio lectorum; sie brachte ihn hervor, prägte ihn, bildete ihn aus, und sie kontrolliert sein Rezeptionsverhalten. Demnach entsteht unmittelbar und untrennbar verknüpft mit dem Konzept der „Orthodoxie des Buches“ (Jack Goody)11 das Konzept der „Orthodoxie des Lesers“. Indizien zeigen allerdings, dass, wo Carr v. a. die soziale Formung und Steuerung von Tradierung und Rezeption durch Erziehungscurricula betont, auch mit der Existenz autonomer und unabhängiger Leser gerechnet werden
10
CARR, Writing on the Tablet of the Heart, 8f. Dieser Begriff ist in der alttestamentlichen Forschung rezipiert worden und hat hier einigen Widerhall gefunden. So überschrieb etwa W. SCHNIEDEWIND ein Kapitel seines Buches How the Bible Became a Book. The Textualization of Ancient Israel (Cambridge 2004) mit „Orthodoxy of a Book“ (106–111), und Joachim Schaper stellt fest: „Das Deuteronomium ist das erste Zeugnis jenes Verständnisses von Religion, das J. Goody die ‚Orthodoxie des Buches‘ genannt hat.“ – J. SCHAPER, Tora als Text im Deuteronomium, in: MORENZ/SCHORCH (Hgg.), Was ist ein Text?, 49–63, hier 59. Siehe auch J.-P. SONNET, The Book within the Book. Writing in Deuteronomy (Biblical Interpretation Series 14), Leiden, New York, Köln 1997. 11
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muss. Ludwig Morenz hat einen solchen homme de lettres bereits für die altägyptische Zweite Zwischenzeit (1786–1567 v. Chr.) in der literarischen Gestalt des Weisen Djedi gefunden,12 und in den sogenannten „Buchfindungslegenden“ setzt, ähnlich wie seine Nachbarkulturen, auch das Alte Testament die Möglichkeit einer extracurricularen Rezeption von Texten voraus (z. B. 2 Kön 22). Noch der in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. wirkende griechische Übersetzer des Ben-Sira Buches scheint es nach Ausweis des von ihm verfassten Prologes als völlig unproblematisch empfunden zu haben, einen hebräischen Text ins Griechische zu übertragen, ohne sich dabei auf eine oral vermittelte Kern- oder Paratradition stützen zu können. Während folglich zwar unbestreitbar sein dürfte, dass Texte der alttestamentlichen Überlieferung im Rahmen von schriftlich-mündlicher Vermittlung tradiert und im Leseprozess also lediglich reproduziert wurden, scheint von vornherein auch Anlass zu der Vermutung zu bestehen, dass dieses Phänomen keineswegs konkurrenzlos war, sondern daneben auch der autonome Leser und mit ihm das Lesen als textproduktiver Vorgang einen nicht geringen Stellenwert in der alttestamentlichen Textüberlieferung inne hatte. Die Existenz des autonomen Lesers im Zusammenhang der alttestamentlichen Textüberlieferung ist freilich von der Voraussetzung abhängig, dass die Texte nicht Gegenstand einer restringierten und zensierten Überlieferung sind, sondern dass es sich vielmehr um öffentliche Texte handelte. Im Folgenden soll daher zunächst danach gefragt werden, ob und inwieweit von einer öffentlichen Zugänglichkeit der alttestamentlichen Texte auszugehen ist. Im Zentrum steht dabei die Öffentlichkeit der Tora.
2. Die Tora als öffentlicher Text Aus literarhistorischer Perspektive begann die Textualisierung der Tora mit dem Deuteronomium, wie etwa William Schniedewind schreibt: „In Leviticus and Numbers, torah retains its meaning as ‚instruction, teaching‘, indicating that the Pentateuchal priestly writings are not self-conscious about their own textuality. This may be directly contrasted with the literature of the Persian or Hellenistic periods (…), where torah is a text. Thus, for example, the written Torah (with a capital ‚T‘) is central to the religious program of the Persian period as reflected in Ezra-Nehemiah. (…) This sense of the Torah as a text began with Deuteronomy and the Josianic writers.“13
Joachim Schaper stellt die Konsequenzen dieses Textualisierungsprozesses in einen noch weiteren Horizont, indem er feststellt, das Deuteronomium markiere „den Beginn der JHWH-Religion und ihrer Transformation als Buch- und 12
L. MORENZ, Beiträge zur Schriftlichkeitskultur im Mittleren Reich und in der 2. Zwischenzeit (ÄAT 29), Wiesbaden 1996, 107–123. 13 SCHNIEDEWIND, How the Bible Became a Book, 120f.
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damit (!) als Weltreligion.“14 Schaper zeigt zudem, dass sich die sukzessiven Etappen des fortschreitenden Textualisierungsprozesses in der literarischen Schichtung des Buches Deuteronomium widerspiegeln.15 Entscheidend ist mithin, dass mit dem Deuteronomium das Konzept der Tora als Text entstand. In Bezug auf die hier zu behandelnde Frage ist nun aber auffällig, dass dieses Konzept von Anfang an mit der Anschauung verbunden gewesen zu sein scheint, es handele sich bei dieser „Tora“, womit im Kontext des Deuteronomiums wohl zunächst der Textbereich Dtn 5,1–26,19 bezeichnet wird,16 um ein öffentliches und öffentlich zugängliches Dokument. So betont das Deuteronomium immer wieder, dass diese Tora nicht nur für ganz Israel bestimmt, sondern auch explizit an ganz Israel offenbart sei, z. B. in der Überschrift Dtn 4,44: larXy ynb ynpl hXm ~X rXa hrwth tazw – „Dies ist die Tora, die Mose den Israeliten vorlegte.“
Manifestiert wird dieses Öffentlichkeitspostulat durch die Veröffentlichung der Tora, die im Befehl zur Aufstellung der Gesetzessteine nach der Jordanüberquerung in Dtn 27,2f zum Ausdruck kommt. Die Tora soll eben nicht nur im Akt der Urgabe an Israel ergehen, sondern auch weiterhin und jederzeit ganz Israel zugänglich und mithin ein öffentliches Dokument bleiben: ~ynba $l tmqhw $l !tn $yhla hwhy rXa #rah la !dryh ta wrb[t rXa ~wyb hyhw tazh hrwth yrbd lk ta !hyla tbtkw dyXb ~ta tdXw twldg „Und zu der Zeit, wenn ihr über den Jordan geht in das Land, das dir der HERR, dein Gott, geben wird, sollst du große Steine aufrichten und sie mit Kalk tünchen und darauf schreiben alle Worte dieser Tora…“
Dem entspricht, dass nach Dtn 31,26 das Torabuch neben der Lade aufbewahrt werden soll: ...~kyhla hwhy tyrb !wra dcm wta ~tmXw hzh hrwth rps ta xql – „Nehmt dieses Buch der Tora und legt es neben die Lade des Bundes des HERRN, eures Gottes…“
Zudem wird dieses Konzept der Öffentlichkeit der Tora vom Deuteronomium selbst über die erzählte Welt hinaus auf die Welt des Lesers übertragen: Die Tora, für welche in der erzählten Welt Öffentlichkeit postuliert wird, ist ja keine andere als diejenige, welche durch ein rahmendes System kata- und anaphorischer Verweise als „diese Tora“ (tazh hrwth)17 im Kern des vorliegenden Buches Deuteronomium (Dtn 5,1–26,19)18 identifiziert ist. So erstreckt sich schließlich das Postulat der Öffentlichkeit auf den Leser des Buches und wird damit in die Zukunft perpetuiert. 14
SCHAPER, Tora als Text, 60. SCHAPER, Tora als Text, 52–56. 16 Siehe SCHAPER, Tora als Text, 54. 17 Dtn 1,5; 4,8; 31,9.11.12.24. 18 Siehe oben, Anm. 16.
15
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Der Umfang, in dem dieses Öffentlichkeitspostulat sich in den verschiedenen Phasen der altisraelitischen und jüdischen Geschichte in einem realen Zugang zu den fraglichen Texten verwirklichte, lässt sich kaum exakt eruieren. Allerdings gibt es einige Anhaltspunkte, von denen die folgenden genannt sein sollen: – Rechtstexte wie die Tora scheinen im antiken Juda in einem öffentlichen Akt publiziert worden zu sein, wie Joachim Schaper in überzeugender Weise dargestellt hat.19 Durch seine Publikation wird ein Text zum öffentlichen Text. – Der private Besitz von oder wenigstens der öffentliche Zugang zu Toramanuskripten sowie die weite Zirkulation der Tora innerhalb der jüdischen Öffentlichkeit sind durch 1 Makk 1,54–57 bereits für die erste Hälfte des 2. Jh.s v. Chr. vorausgesetzt: Am fünfzehnten Kislew des Jahres 145 ließ der König auf dem Brandopferaltar den unheilvollen Greuel aufstellen; auch in den Städten Judäas ringsum baute man Altäre. Vor den Haustüren und auf den Plätzen opferte man Weihrauch. Alle Buchrollen des Gesetzes, die man fand (kai. ta. bibli,a tou/ no,mou a] eu-ron), wurden zerrissen und verbrannt. Wer im Besitz einer Bundesrolle angetroffen wurde oder zum Gesetz hielt (kai. o[pou eu`ri,sketo para, tini bibli,on diaqh,khj kai. ei; tij suneudo,kei tw/| no,mw|), wurde aufgrund der königlichen Anordnung zum Tod verurteilt.
Der Text geht nicht nur davon aus, dass eine Mehrzahl von Torarollen an verschiedenen Orten vorhanden war, sondern spricht auch über einzelne Personen, die mit „Bundesrollen“ angetroffen wurden.20 In Bezug auf die Frage, inwieweit der Befund dieses Textes auch Rückschlüsse auf die Handschriftenverbreitung vor dem 2. Jh. n. Chr. zulässt, erscheint eine Beobachtung besonders signifikant: Die vorliegende Quelle bezieht sich auf die prähasmonäische Zeit und gibt mithin einen schlaglichtartigen Einblick in die hebräischsprachige literale Kultur des antiken Judentums vor deren sich im 2. Jh. v. Chr. unter den Hasmonäern manifestierenden Umbrüchen.21 Der Umstand, dass nach unserem derzeitigen Kenntnisstand die Veränderungen dieser literalen Kultur auf eine längere Phase relativer Stabilität derselben folgten, gibt Anlass zu der vorsichtigen Annahme, dass auch im 3. und 4. Jh. v. Chr. der private Besitz von bzw. der öffentliche Zugang zu Toramanuskripten ein nicht seltenes Phänomen gewesen sein dürfte. 19
J. SCHAPER, The „Publication“ of Legal Texts in Ancient Judah, in: G. KNOPPERS/B. LEVINSON (Hgg.), Pentateuch as Torah. New Models for Understanding Its Promulgation and Acceptance, Winona Lake, Indiana 2007, 227–238. 20 Dabei ist im vorliegenden Zusammenhang unerheblich, ob mit ta. bibli,a tou/ no,mou sowie bibli,on diaqh,khj die gesamte Tora oder aber eher Teile derselben, so etwa das Deuteronomium, bezeichnet werden; für eine Darstellung dieser Möglichkeiten siehe U. RAPPAPORT, The First Book of Maccabees. Introduction, Hebrew Translation, and Commentary [hebr.], Jerusalem 2004, 120, sowie F.-M. ABEL, Les Livres des Maccabées, Paris 1949, 26. 21 Siehe hierzu CARR, Writing on the Tablet of the Heart, 253–272, sowie SCHNIEDEWIND, How the Bible Became a Book, 181.
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Einige Unterstützung erfährt diese Annahme durch die Handschriftenfunde aus Qumran. Die sich in vielen kleinen Details der verschiedenen Manuskripte zeigende Diversität der Textfassungen lässt sich wohl nur so erklären, dass schon längere Zeit, bevor diese Handschriften nach Qumran gebracht oder dort kopiert wurden, eine relativ hohe Anzahl von Kopien der Tora in unterschiedlichen und nicht unmittelbar miteinander verbundenen Personenkreisen zirkulierten. Ab dem 1. Jh. n. Chr. ist die Anschauung der Tora als eines öffentlichen Dokuments als Topos in der jüdischen Literatur belegt. Er findet sich bei Philo ebenso wie bei Josephus oder in rabbinischen Quellen.22 Zusammenfassend kann demnach geschlossen werden, dass die physische Existenz, Verbreitung, Rezeption und Überlieferung der Tora in einer seit ihrer Entstehung wahrscheinlich durchgängigen Kontinuität von den Bedingungen einer nicht nur postulierten, sondern auch realen Öffentlichkeit bestimmt gewesen sind. Dieser Befund tritt nun allerdings in eine gewisse Konkurrenz mit der verbreiteten Vorstellung, die Überlieferung und schließliche Kanonisierung des biblischen Schrifttums verdanke sich wesentlich der Existenz einer Bibliothek im nachexilischen Jerusalem, denn antike Bibliotheken waren im allgemeinen keineswegs öffentliche Einrichtungen, sondern nur bestimmten Personenkreisen zugänglich. Bevor ich daher zu der Frage komme, inwiefern im Rahmen des altisraelitischen Textualisierungsprozesses das Lesen als textproduktiver Faktor in Rechnung zu stellen ist,23 möchte ich mich dem Problem der Existenz einer Jerusalemer Bibliothek zuwenden.
3. Gab es in Jerusalem eine Bibliothek für „biblisches“ Schrifttum? Die Behauptung, es habe in Jerusalem spätestens ab der frühnachexilischen Zeit eine Bibliothek „biblischen“ Schrifttums gegeben, ist sehr verbreitet. Häufig unbeachtet bleibt dabei, dass sich diese Behauptung nur auf sehr dürftige Hinweise in den Quellen stützen kann.24 Die wichtigste davon findet sich im zweiten Festbrief am Anfang des 2. Makkabäerbuches (2 Makk 2,13): Dasselbe aber wurde in den Schriften und in den Kommentaren zu Nehemia erklärt, und wie er eine Bibliothek gründete (kai. w`j kataballo,menoj biblioqh,khn): Er sammelte die Bücher über 22
Siehe A. I. BAUMGARTEN, The Torah as a Public Document in Judaism, in: Studies in Religion 14 (1985), 17–24. 23 Siehe unten, Abschnitt 4. 24 Ähnlich S. NIDITCH, Oral World and Written Word. Orality and Literacy in Ancient Israel, London 1997, 63. SCHNIEDEWIND, in seiner Rezension von Niditchs Buch, verweist demgegenüber auf die Samaria-Ostraka sowie auf sogenannte „scribe’s chambers“ im Bereich der Paläste von Samaria, Megiddo und Hazor (W. M. SCHNIEDEWIND, Orality and Literacy in Ancient Israel, in: Religious Studies Review 26 [2000], 327–332, hier: 328). Allerdings gehörten – bei allen
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die Könige und über die Propheten, die Bücher Davids und Briefe der Könige über Weihgeschenke (evpisunh,gagen ta. peri. tw/n basile,wn bibli,a kai. profhtw/n kai. ta. tou/ Dauid kai. evpistola.j basile,wn peri. avnaqema,twn).
Diese Nachricht von Nehemia als dem Gründer einer biblioqh,kh in Jerusalem hat naturgemäß große Beachtung gefunden, scheint hier doch immerhin das einzige explizite Zeugnis für die Existenz einer solchen Einrichtung in prähellenistischer Zeit erhalten und zudem deren Bedeutung für die Geschichte des alttestamentlichen Kanons belegt. So kann man etwa in der Sellin-Rostschen „Einleitung in das Alte Testament“ von 1959 noch folgendes Urteil lesen: „Der Notiz 2. Makk. 2,13f. (…) darf doch als feststehende ältere Tradition entnommen werden, daß (…) Nehemia die Geschichtsbücher, die Propheten, einen Psalter (…) und die Korrespondenz mit den persischen Königen (Ezr. 4–6 u. dgl.) gesammelt (…) habe (…).“25
Unterdessen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass diese Bibliotheksreferenz in 2 Makkabäer kaum als historische Quelle verwendet werden kann, zumal selbst für die Zeit ihrer Entstehung (2./1. Jh. v. Chr.) starke Zweifel bezüglich der Existenz einer Bibliothek in Jerusalem angebracht sind.26 In seinem Buch „How the Bible Became a Book“ teilt William Schniedewind diese Skepsis: „According to one late Hellenistic Jewish tradition, Nehemiah founded a library in Jerusalem. (…) Of course, this passage is quite a bit later and attributes to Nehemiah activities that are typically Hellenistic. (…) So, it is difficult to be confident about the historicity of this traditional attribution to Nehemiah of the creation of a library.“
Dessen ungeachtet setzt Schniedewind im unmittelbaren Anschluss an diese Passage allerdings wie folgt fort: „But a library of biblical literature was created in Jerusalem. The biblical literature of ancient Israel was preserved. The origins of the Temple library go back to the rebuilding of the temple by the last of the Davidic line in the late sixth century B.C.E. The literature of the royal family was probably deposited in the Temple archives at that time. The Temple library was apparently limited to ‚the holy books‘.“27
Schniedewind verweist demnach ausdrücklich auf die Argumente gegen die Historizität der zitierten Quelle. Dennoch insistiert er, dass es ab dem 6. Jh. v. Chr. in Jerusalem eine Bibliothek biblischen Schrifttums gegeben habe müsse. Schwierigkeiten der terminologischen und sachlichen Unterscheidung – die Samaria-Ostraka eher zu einem Verwaltungsarchiv denn zu einer Bibliothek und belegen jedenfalls nicht das Ablegen von Referenzkopien literarisch, kulturell und religiös zentraler Texte. 25 E. SELLIN, Einleitung in das Alte Testament, neunte Auflage bearbeitet von Leonhard Rost, Berlin 1959, 180. 26 Siehe hierzu S. SCHORCH, The Libraries in 2 Macc 2:13–15, in: G. G. XERAVITS/J. ZSENGELLÉR (Hgg.), The Books of the Maccabees. History, Theology, Ideology. Papers of the Second International Conference on the Deuterocanonical Books, Pápa, Hungary, 9–11 June 2005 (JSJ Supplements 118), Leiden, Boston 2007, 169–180, hier: 173f. 27 SCHNIEDEWIND, How the Bible Became a Book, 182.
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Die Argumentation erscheint klar und nicht untypisch: Allein schon die Tatsache der Bewahrung und Überlieferung der biblischen Literatur lasse auf die Existenz einer solchen Bibliothek schließen, welche zudem bereits in frühnachexilischer Zeit existiert haben müsse, da zu jener Zeit die Grundlagen für den späteren hebräischen Kanon gelegt wurden. Die Voraussetzung allerdings, dass sich die Herausbildung des hebräischen Kanons der Existenz einer Bibliothek verdankt, ist äußerst problematisch: Die uns heute bekannten altorientalischen wie auch hellenistischen Bibliotheken enthielten im Allgemeinen eine sehr große Anzahl von verschiedenen Texten.28 Selbst die im Vergleich dazu relativ kleine Anzahl der in Qumran aufbewahrten und gefundenen Schriften übersteigt die Anzahl der biblischen Bücher noch um ein Vielfaches. Ganz unzweifelhaft würde daher jegliche Sammlung des später „biblisch“ gewordenen Schrifttums nur einen sehr kleinen Teil der hypothetischen Jerusalemer Bibliothek belegt haben. Wenn dies aber der Fall ist, dann kann die bloße Aufbewahrung der später biblisch gewordenen Schriften in dieser hypothetischen Bibliothek ihre Bevorzugung gegenüber anderen Schriften keineswegs zureichend erklären. Damit aber entfällt der Rückschluss, die Geschichte des biblischen Schrifttums mache die Annahme einer Bibliothek notwendig. Zusammenfassend ist bezüglich der fraglichen Existenz einer solchen „biblischen“ Bibliothek festzuhalten, dass sie weder in Quellen belegbar ist noch dass ihr eine zwingende Funktion im Hinblick auf die Tradierung des biblisch gewordenen Schrifttums zuzubilligen wäre. Die Hypothese einer Bibliothek biblischen Schrifttums bedeutet mithin keinerlei Einschränkung in Bezug auf die postulierte und tatsächliche Öffentlichkeit der Tora.
4. Textproduktion durch Lesen als Faktor der alttestamentlichen Überlieferung Dass selbst ein sensibler Leser beim Textverständnis in oft durchaus beachtlichem Umfang kreativ und konstruktiv involviert ist, ist ein bekanntes Phänomen, auch wenn man kaum so weit gehen kann, den Leser zum eigentlichen Autoren des Textes zu erklären. In Bezug auf die Überlieferung hebräischer Bibeltexte ist darüber hinaus aber auch deutlich, dass die bereits benannten Leerstellen des hebräischen Schriftsystems,29 also insbesondere die hohe Anzahl homographer Wörter, den potentiellen Leser oft schon auf der Ebene der phonetischen Realisierung eines bestimmten Textes zu sehr verschiedenen Ergebnissen führen können, insbesondere durch verschiedene Vokalisierungs28 Siehe M. HARAN, Archives, Libraries, and the Order of the Biblical Books, in: JANES 22 (1993), 51–61 (besonders 52 und 59). 29 Siehe oben, S. 169.
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oder Interpunktionsoptionen der schriftlichen Vorlage. Hinzu kommen Probleme der häufig in unterschiedlicher Weise möglichen Text- und Textabschnittsgliederung, der Auflösung textinterner und -externer Verweise u. a. Allerdings hat es im Verlauf der Überlieferung hebräischer Bibeltexte auch verschiedene Mechanismen gegeben, die das Rezeptionsverhalten der jeweiligen Leser gesteuert haben. Insbesondere die beiden folgenden erscheinen mir zentral: a) intratraditionale Rezipientensteuerung, b) paratraditionale Rezipientensteuerung. Erstere, die intratraditionale Rezipientensteuerung, bedingt die Verfestigung einer bestimmten Lesung des Textes, insbesondere also die Fixierung von Vokalisierung und Interpunktion. Damit wird die Lesung zum festen Bestandteil der Tradition, untrennbar verbunden mit der Manuskriptüberlieferung und u. U., wie im Falle der masoretischen Vokalisierungszeichen, gar unmittelbar mit dieser verbunden. In der Überlieferung alttestamentlicher Texte hat die Fixierung einer bestimmten Lesetradition allerdings erst im 2. Jh. v. Chr. mit der Herausbildung von Institutionen der regelmäßigen öffentlichen Lesungen aus der Tora eingesetzt,30 denn wiewohl es nach Ausweis von Dtn 31,10–13 und Neh 8 auch vorher schon öffentliche Lesungen aus der Tora gab, kann deren eher exzeptioneller Charakter kaum zu einer oral memorierten Geläufigkeit des gelesenen Wortlautes der gesamten Tora geführt haben.31 Vor dem 2. Jh. v. Chr., also vor der Inkorporierung einer fixierten Lesung in die Textüberlieferung, wurden das Lesen und die Rezeption der Tora demgegenüber v.a. durch Paratraditionen bestimmt. Solche Paratraditionen bestanden als mündlich überlieferte Paraphrasen, Nacherzählungen oder aber auch Paralleltraditionen biblischer Überlieferungen neben der handschriftlichen Hauptüberlieferung.32 Leser, die aus einem Manuskript lasen, wurden durch ihnen bekannte Paratraditionen in ihrer Lesung und Rezeption des Schriftbildes geleitet, insbesondere an solchen Stellen, in denen die schriftlich überlieferte Textfassung verschiedene Deutungen zuließ. Ein offenkundiges Beispiel solcher Paratraditionen ist die Vokalisierung vieler Eigennamen oder die Septuagintaübersetzung weiter Passagen des Pentateuchs.33 Deutlich ist, dass die Applikation dieser Paratraditionen auf die schriftliche Überlieferung ein literarisch produktiver Vorgang gewesen ist. In der Folge dieses Vorgangs wurde nicht nur lediglich das Verständnis der schriftlichen 30
Siehe SCHORCH, Die Vokale des Gesetzes, 54–61. Vgl. L. H. SCHIFFMAN, The Early History of Public Reading of the Torah, in: S. FINE (Hg.), Jews, Christians, and Polytheists in the Ancient Synagogue. Cultural Interaction during the Greco-Roman Period, London 1999, 44–56 (hier: 44f). 32 Für einen Vergleich der parabiblischen Traditionen mit dem Textbestand der Hauptüberlieferung siehe SCHORCH, The Septuagint and the Vocalization, 46f. 33 Siehe hierzu SCHORCH, The Septuagint and the Vocalization, passim. 31
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Überlieferung beeinflusst, sondern nicht selten die schriftliche Überlieferung mindestens partiell umgeprägt. Angesichts der bereits beschriebenen Öffentlichkeit der Tora sowie unterschiedlicher und unterschiedlich weit verbreiteter Paratraditionen kann dieser Prozess nicht singulär und einheitlich gewesen sein. Viele Umprägungen, die das literarische Traditionsgut durch solche Leseprozesse erfahren hat, können wir heute nur noch vermuten, weil allein das schließlich durch die Masoreten tradierte Endergebnis erhalten ist und deshalb für eine Rekonstruktion notwendiges Vergleichsmaterial fehlt. Bisweilen aber haben sich auch abweichende Traditionen erhalten und erlauben partielle Einblicke. Von besonderer Bedeutung erscheint diesbezüglich wegen ihres hohen Alters und ihrer Eigenständigkeit gegenüber der jüdische Überlieferung die samaritanische Überlieferung. Als eigenständig und unabhängig ist die samaritanische Überlieferung seit dem späten 2. Jh. v. Chr. anzusprechen, denn zu jener Zeit brach die den Anhängern der Kulte auf dem Berg Garizim und in Jerusalem gemeinsame literale Kultur auseinander.34 Darüber hinaus ist aber davon auszugehen, dass sich die unterschiedliche religiöse und kultische Geographie der beiden Gruppen auch schon vorher, noch unter den Bedingungen einer gemeinsamen literalen Kultur, in der Ausdifferenzierung verschiedener literaler Subsysteme manifestiert hat. Sowohl die einstige Existenz einer gemeinsamen literalen Kultur als auch deren Differenzierung und schließliches Auseinanderbrechen sind dokumentiert – erstere durch die beiden Gruppen gemeinsame und in der schriftlichen Überlieferung zum großen Teil identische Tora, letztere durch die Differenzierung der Tora in eine proto-samaritanische/samaritanische und eine protomasoretische/masoretische Textüberlieferung, einschließlich der jeweiligen, insbesondere Vokalisierung und Interpunktion umfassenden Lesetraditionen. Im Prozess dieser Ausdifferenzierung haben sich auch verschiedene editorische Tendenzen niedergeschlagen. So gehört die samaritanische Tora, anders als die Tora der masoretischen Überlieferung, der Gruppe der harmonistischen Texte an,35 was in synchroner Perspektive als Eigenheit dieser Textüberlieferung wahrgenommen wird, aus historischer Sicht jedoch nach Ausweis der Handschriftenfunde aus der Judäischen Wüste keineswegs als spezifisch (proto-)samaritanisch zu fassen ist.36 Die entscheidende Differenz der beiden 34
Siehe hierzu SCHORCH, Die Vokale des Gesetzes, 54–61. Siehe hierzu E. ESHEL/H. ESHEL, Dating the Samaritan Pentateuch’s Compilation in Light of the Qumran Biblical Scrolls, in: W. W. FIELDS u. a. (Hgg.), Emanuel. Studies in Hebrew Bible, Septuagint and Dead Sea Scrolls in Honor of Emanuel Tov (VT Supplements 94), Leiden, Boston 2003, 215–240. 36 Siehe hierzu E. TOV, Der Text der Hebräischen Bibel. Handbuch der Textkritik, Stuttgart, Berlin, Köln 1997, 70. 35
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Überlieferungen liegt aber in ihrer bereits erwähnten unterschiedlichen ideologischen Ausrichtung auf den Garizimkult einerseits, bzw. den Kult des Jerusalemer Tempels andererseits. Es ist vor allem diese unterschiedliche Orientierung ihrer Leser, durch welche sich die zunächst einheitliche Überlieferung differenzierte, und die also aus einem Text zwei machte. Ihre Basis hat die unterschiedliche Prägung der beiden Gruppen von Lesern und Tradenten selbstverständlich in der Frage der Lokalisierung des legitimen Kultortes:37 Während die einen, als religionsgeschichtliche Vorfahren des Judentums, das zentrale Heiligtum Israels in Jerusalem lokalisierten, war für die anderen, die Protosamaritaner,38 der Berg Garizim der geographische Bezugspunkt ihrer religiösen Identität. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, wie diese unterschiedlichen religionsgeographischen Identitäten und die mit ihnen verbundenen zunächst para- und dann intratraditionalen Mechanismen der Leserorientierung die jeweilige Textüberlieferung verändert haben. Jerusalem ist bekanntlich nicht ein einziges Mal expressis verbis in der Tora erwähnt. Deutlich ist aber zugleich, dass jüdische Leser aus der Zeit des Zweiten Tempels die Grunddaten ihrer heiligen Geographie dennoch in der Tora wiederfanden: So belegt etwa 2 Chr 3,1 die Identifizierung des Berges Moria mit dem Bauplatz des Jerusalemer Tempels, wodurch umgekehrt die Bindung Isaaks und das anschließende Opfer durch Abraham in Gen 22 für jüdische Leser zu einer Art Präludium des Jerusalemer Tempeldienstes wurden.39 Der wichtigste Verweis auf Jerusalem dürfte sich für jüdische Leser jedoch in der im Deuteronomium insgesamt 22-mal in verschiedenen Variationen wiederholten Formulierung des deuteronomischen Zentralisierungsgebots gefunden haben: hwhy rxby rXa ~wqmh – „der Ort, welchen der HERR er37 Daneben haben allerdings auch nicht die Frage des Kultortes berührende, sondern schlicht in den jeweiligen literalen Kulturen der beiden Tradentengruppen unterschiedlich ausgeprägte parabiblische Traditionen zur Ausdifferenzierung der beiden Texttraditionen geführt, wie sich etwa an der samaritanischen und der masoretischen Überlieferung von Gen 49,5–7 zeigt, siehe hierzu S. SCHORCH, Die Rolle des Lesens für die Konstituierung alttestamentlicher Texte, in: MORENZ/SCHORCH (Hgg.), Was ist ein Text?, 108–122 (hier: 113–115). 38 Dieser Begriff bezeichnet hier die Anhänger des Garizimkults, so lange diese an der gemeinsamen judäisch-israelitischen Kultur partizipierten. Ab dem späten 2. Jh. v. Chr. ist demgegenüber von Samaritanern zu sprechen, d. h. Anhänger des Garizimkults, die sich nach Eigenund Außenwahrnehmung von dieser Kultur abgrenzen, siehe oben, S. 178. Der Begriff „protosamaritanisch“ ist mithin deutlich abzuheben von dem in der alttestamentlichen Textgeschichte verwendeten Begriff eines „präsamaritanischen“ Texttyps. Letzterer hatte keine spezifische Verbindung zum Garizimkult, sondern war vielmehr allgemein verbreitet, siehe TOV, Der Text der Hebräischen Bibel, 66. 39 Siehe TH. CH. RÖMER, Cult Centralization in Deuteronomy 12. Between Deuteronomistic History and Pentateuch, in: E. OTTO/R. ACHENBACH (Hgg.), Das Deuteronomium zwischen Pentateuch und Deuteronomistischem Geschichtswerk, Göttingen 2004 (FRLANT 206), 168– 180 (hier: 180).
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wählen wird“.40 Explizit und unter wörtlicher Aufnahme der Zentralisierungsformel wird diese Identifizierung etwa in 1 Kön 8,16//2 Chr 6,5f und 1 Kön 14,21//2 Chr 12,13 ausgesprochen: Seit der Zeit, da ich mein Volk aus Ägyptenland geführt habe, habe ich keine Stadt erwählt aus allen Stämmen Israels (larXy yjbX lkm rycb ytrxb al), ein Haus zu bauen, dass mein Name daselbst sein sollte, und habe auch keinen Mann erwählt, dass er Fürst sein sollte über mein Volk Israel; aber Jerusalem habe ich erwählt, dass mein Name daselbst sei (~lXwryb rxbaw ~X ymX twyhl), und David habe ich erwählt, dass er über mein Volk Israel Herr sei. (2 Chr 6,5f)41 Und Rehabeam, der Sohn Salomos, wurde König in Juda. Einundvierzig Jahre alt war Rehabeam, als er König wurde; und er regierte siebzehn Jahre zu Jerusalem, in der Stadt, die der HERR erwählt hatte aus allen Stämmen Israels, damit er dort seinem Namen eine Stätte bereite (larXy yjbX lkm ~X wmX ta ~wXl hwhy rxb rXa ry[h ~lXwryb). Seine Mutter hieß Naama, eine Ammoniterin. (1 Kön 14,21)
Ihre Schlüssigkeit erhielt die Deutung dieser Formel als Verweis auf Jerusalem vor allem durch die Verbindung mit einer historiographischen Narratio, welche ein Verbindungsglied zwischen der Landnahme und dem Tempelbau in Jerusalem schuf. Entscheidend ist dabei, dass das auf Jerusalem bezogene Verständnis der Formel hwhy rxby rXa ~wqmh den Text des Deuteronomiums insofern prägte, als es über diesen Text hinausweist, eine buchexterne Erweiterung fordert und diese Erweiterung im Buchtext selbst verankert. Im deuteronomistischen Geschichtswerk hat sich diese Erweiterung literarisch manifestiert.42 Für die Anhänger des Garizimkultes schied der Bezug auf Jerusalem selbstverständlich aus, denn für sie war der von Gott erwählte Ort eindeutig der Berg Garizim. Dieser wird im Deuteronomium an verschiedenen Stellen erwähnt: Zunächst einmal ist der Garizim der Berg des Segens, der nach dem Einzug ins Land im Rahmen eines öffentlichen Aktes zu sprechen ist: Wenn dich nun der HERR, dein Gott, in das Land bringt, in das du kommen sollst, es einzunehmen, so sollst du den Segen sprechen lassen auf dem Berge Garizim und den Fluch auf dem Berge Ebal. (Dtn 11,29) 40 Dtn 12,5.11.14.18.21.26; 14,23.24.25; 15,20; 16,2.6.7.11.15.16; 17,8.10; 18,6; 26,2; 31,11 (Jos 9,27). Unberücksichtigt kann dabei im vorliegenden Zusammenhang sowohl die Frage nach der historischen Entwicklung der Formel und ihrer Zuordnung zu verschiedenen literarischen Entwicklungsstufen des Textes bleiben, als auch, ob die ursprüngliche Intention der Formel eine andere war, wie etwa Halpern vorgeschlagen hat: „The possibility of the distributive translation is undeniable“ (B. HALPERN, The Centralization Formula in Deuteronomy, in: VT 31 [1981], 20–38, hier 37). Für die hier betrachtete doppelte Rezeption des Textes ist demgegenüber allein relevant, dass diese sich erst in Bezug auf den abgeschlossenen Text des Deuteronomiums als literarisch doppelt produktiv, also als in zwei verschiedene Richtungen wirksam erweisen lässt. Das heißt allerdings nicht, dass diese doppelte Wahrnehmung des Textes nicht schon vorher vorhanden und verbreitet war! 41 Der Chroniktext ist an dieser Stelle der Parallele 1 Kön 8,16 textkritisch vorzuziehen, siehe S. JAPHET, I & II Chronicles. A Commentary, Louisville, Kentucky 1993, 588. 42 Siehe hierzu RÖMER, Cult Centralization in Deuteronomy 12.
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Und Mose gebot dem Volk an diesem Tage und sprach: Diese sollen stehen auf dem Berge Garizim, um das Volk zu segnen, wenn ihr über den Jordan gegangen seid: Simeon, Levi, Juda, Issachar, Josef und Benjamin. Und diese sollen stehen auf dem Berge Ebal, um zu verfluchen: Ruben, Gad, Asser, Sebulon, Dan und Naftali. (Dtn 27,11–13)
Zudem ist nach dem Text der samaritanischen Tora der Berg Garizim der Ort, an dem nach dem Jordandurchzug die zwölf Steine aufzustellen sind und an dem ein Altar zu errichten ist: Wenn ihr nun über den Jordan geht, so sollt ihr, wie ich euch heute gebiete, diese Steine auf dem Berge Garizim aufrichten und mit Kalk tünchen. Und dort sollst du dem HERRN, deinem Gott, einen Altar bauen aus Steinen, die kein Eisen berührt hat. Von unbehauenen Steinen sollst du diesen Altar dem HERRN, deinem Gott, bauen und Brandopfer darauf opfern dem HERRN, deinem Gott, und Dankopfer darbringen und dort essen und fröhlich sein vor dem HERRN, deinem Gott. Und du sollst auf die Steine alle Worte dieses Gesetzes schreiben, klar und deutlich. (Dtn 27,4–8)
Dabei enthält der hier wiedergegebene samaritanische Text in Dtn 27,4 eine wichtige Variante gegenüber dem masoretischen Text: Der Altar entsteht auf dem Berg Garizim, nicht auf dem Berg Ebal (= MT)! Es darf inzwischen als gesichert gelten, dass die samaritanische Lesung hier nicht, wie lange Zeit angenommen, das Ergebnis einer samaritanischen ideologischen Textkorrektur ist, sondern vielmehr den ursprünglichen Text bewahrt.43 Auch ein weniger voreingenommener Leser als es die Anhänger des Garizimkultes gewesen sein dürften, würde auf der Basis dieser ursprünglichen Textfassung des Deuteronomiums wohl am ehesten zu der Überzeugung gekommen sein, dass der von JHWH erwählte Ort der Garizim ist, denn schließlich steht hier „der Altar des Herrn, deines Gottes“ (Dtn 27,6: hwhy xbzm $yhla), welchen der Leser nach Dtn 12,26f und 26,1–4 an dem von JHWH erwählten Ort erwartet.44 Mithin berichtet nach der samaritanischen Textüberlieferung bereits das Deuteronomium von der Gründung des Altars, der bis zur Zerstörung durch Johannes Hyrkan im Jahre 128 v. Chr. auf dem Garizim als das legitime Heiligtum Israels fortbestand. Die Rede vom Garizim als dem Berg des Segens in Dtn 11,29 und 27,11–13 rundet dieses Bild ab: Der Garizim ist der Berg des Segens, weil er der für den legitimen Opferaltar Israels erwählte Ort ist. In der samaritanischen Vokalisierung der Tora spiegelt sich diese Verknüpfung von Segen und dem Berg Garizim zudem auch in Dtn 33,15: In der samaritanischen Überlieferung umfasst der Segen „das Köstlichste des ewigen Berges“, denn die Samaritaner lesen hier ebenso wie in der Parallele Gen 49,26 singularisches *~lw[ t[;bg (im Unterschied zur Schreibung tw[bg im masoretischen Text von Dtn 33,15).45 Diese Formulierung und die 43
Siehe TOV, Der Text der Hebräischen Bibel, 78 Anm. 67. Vgl. A. ROFÉ, Introduction to Deuteronomy (hebr.), Jerusalem 1988, 19. Allerdings stellt Rofé die Lesung „Ebal“ in 27,4 nicht in Frage und kann so wichtige Verbindungen nicht sehen. 45 Siehe SCHORCH, Die Vokale des Gesetzes, 239f. 44
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Tatsache, dass sich die Segenssprüche in Gen 49,26 und Dtn 33,15 an Joseph richten und damit auf die geographische Region beziehen, in welcher der Garizim liegt, haben die Samaritaner zur Identifizierung des „ewigen Berges“ mit demselben geführt. Aufs Ganze betrachtet ist die Rede vom „erwählten Ort“ in der protosamaritanischen und samaritanischen Lesung mithin keine textexterne, die Buchgrenzen des Deuteronomiums transzendierende Referenz, sondern ein buchinterner und buchintern weiter vernetzter Verweis auf Dtn 27!46 Darüber hinaus schafft dieses Verständnis des erwählten Ortes aber auch neue, über das Deuteronomium hinausweisende Referenzen: Neben dem bereits erwähnten Fall von Gen 49,26 sehen die Samaritaner etwa auch in dem nach Gen 12,6f durch Abraham bei Sichem errichteten Altar eine Garizimreferenz. In den Varianten t[bg vs. tw[bg liegt zudem ein deutlicher Beleg für die Beeinflussung der schriftlichen Überlieferung durch das jeweilige Verständnis und die Lesung des Textes vor: Aufgrund der Tatsache, dass auch das Fragment 4QDtnn die Variante t[bg enthält, kann diese Schreibung nicht als durch die (proto-)samaritanische Überlieferung verantwortete ideologische Korrektur betrachtet werden, sondern bietet in texthistorischer Hinsicht wahrscheinlich den Ausgangstext. Im Rahmen der (proto-)masoretischen Überlieferung wurde dessen Lesung offenkundig durch die Einfügung der mater lectionis w auf die pluralische Vokalisierung festgelegt, damit aber zugleich auch die schriftliche Überlieferung verändert. Ein häufig als spezifische Differenz zwischen samaritanischer und masoretischer Überlieferung strapaziertes textliches Problem der deuteronomischen Zentralisierungsformel erscheint unter den dargestellten Perspektiven weniger von Gewicht: Bekanntermaßen lautet diese Formel in der samaritanischen Tora durchgängig hwhy rxb rXa ~wqmh „der Ort, den der HERR erwählt hat“, enthält also die AK-Form rxb anstelle der PK rxby des masoretischen Textes. Allerdings hat der Bezug der Formel auf Dtn 27,4–8 und damit die „Schließung“ des Textes in beiden Textfassungen Bestand.47 Ob hier die samaritanische oder die masoretische Überlieferung die ursprüngliche Textfassung der Formel bewahrt hat, können wohl nur neue texthistorische Zeugnisse erhellen. Der samaritanische Bezug des Textes auf den Garizim wäre jedenfalls auch mit der durch den MT gebotenen PK-Lesung möglich. Dass demgegenüber die Protosamaritaner oder Samaritaner im Anschluss an Dtn 5,21 mithilfe einer Kompilation aus Dtn 27,2f; 27,4–7; 11,30 den Gottesdienst am Garizimaltar zum Zehnten Gebot gemacht haben, erscheint als ein klarer sekundärer Ideologismus. 46 Die Tatsache, dass die auf den Jerusalemer Tempel ausgerichtete Textüberlieferung das Wort „Garizim“ in Dtn 27,4 durch „Ebal“ ersetzte, beweist, dass auch im antiken Jerusalem dieses Verständnis des Textes gesehen und als ernsthafte Bedrohung der eigenen Position betrachtet wurde. 47 Vgl. ROFÉ, Introduction to Deuteronomy, 19.
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Deutlich ist nach Abzug der ideologisch determinierten sekundären Textmodifikationen beider Gruppen, dass der Text des Buches Deuteronomium wie der der gesamten Tora im Rahmen beider Deutungssysteme funktionierte. Ausgehend von einer weitestgehend identischen schriftlichen Fassung waren es dabei die verschiedenen Lesungen, welche zwei unterschiedliche Texte produzierten, deren Ausformung auch die jeweiligen schriftlichen Überlieferungen affizierten und deren letztliche Ausdifferenzierung bewirkten.
5. Communio lectorum Das diskutierte Beispiel demonstriert, dass der Lesung nicht nur eine texthistorische Formungskraft eignete, sondern dass sich mit ihr auch eine bedeutende identitätsstiftende Funktion verband. Über die Lesung füllten die Leser die Leerstellen der schriftlichen Überlieferung und prägten dieser Überlieferung dabei ihr Textverständnis ein. Der solchermaßen umgeprägte Text wurde damit nun aber auch zum Überlieferungsträger dieser Anschauungen. Auf diese Weise bildeten sich miteinander inkompatible oder gar konkurrierende Subtraditionen heraus, so dass für von bestimmten parabiblischen Traditionen geprägte Leser nicht mehr jede beliebige im Umlauf befindliche Handschrift akzeptabel war und es zu gruppenspezifischen Selektionsprozessen gekommen ist. Damit manifestierten sich über die Lesung spezifische Gruppen- und sogar Subgruppenidentitäten in der schriftlichen Überlieferung. Diese identifikatorische Bedeutung des Lesens rechtfertigt es m. E., die Anhängergruppen der Kulte in Jerusalem und auf dem Garizim der Zeit des Zweiten Tempels etwas zugespitzt als „communiones lectorum“ zu bezeichnen, denn in vielerlei Hinsicht verdankt sich die Identität beider Gruppen der Ausrichtung auf das Lesen der Tora, und zwar sowohl im Hinblick auf die gemeinsame identifikatorische Basis als auch im Hinblick auf die Identitätsdifferenzen. Beide Gruppen sehen in der Tora ihr zentrales religiöses Dokument. Diese gemeinsame Basis der schriftlichen Überlieferung entfaltete eine zentripetale Kraft und ließ beide Gruppen ein Bewusstsein der Zusammengehörigkeit bewahren. Demgegenüber wirkten die unterschiedlichen Verständnisse dieser gemeinsamen schriftlichen Vorlage zentrifugal, sie trennten nicht nur die beiden Gemeinschaften, sondern wirkten auch auf die schriftliche Überlieferung ein und stellten damit letztlich die gemeinsame Basis in Frage, ohne sie allerdings je völlig zu zerstören. Gleichzeitig entstanden durch diese Zentrifugalwirkungen aber auch die textlichen Grundlagen für die Identitäten als Samaritaner und Juden.
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Damit ist deutlich, dass für die Bildung der jeweiligen spezifischen Gruppenidentitäten weniger die schriftliche Überlieferung als vielmehr die mündlich vermittelte Lesung entscheidend war. Diese Festststellung entspricht der im Bereich der „oral-history“-Forschung getroffenen Beobachtung, dass im Unterschied zur schriftlichen die mündliche Tradition kein Ausdrucksmittel des einzelnen Individuums ist, sondern der Begründung und Tradierung von Gruppenidentitäten dient.48 Im Hinblick auf die Identität der Anhänger von Garizim und Jerusalem erscheint daher der Begriff der communio lectorum angemessen und unterstreicht die bedeutende Rolle, welche das Lesen im Prozess der Textualisierung der israelitischen Religion gespielt hat.
48 F. VOUGA, Mündliche Tradition, soziale Kontrolle und Literatur als theologischer Protest. Die Wahrheit des Evangeliums nach Paulus und Markus, in: G. SELLIN/F. VOUGA (Hgg.), Logos und Buchstabe. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Judentum und Christentum der Antike (TANZ 20), Tübingen, Basel 1997, 195–209 (hier: 200). Vouga bezieht sich hierbei auf Untersuchungen von J. VANSINA (Oral Tradition as History, Madison, Wisconsin 31992).
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Two Prophets, Two Laments and Two Ways of Dealing with Earlier Texts LENA-SOFIA TIEMEYER
1. Introduction Two prophetic texts, Isa. 40–55 and Isa. 65:1–66:17, contain allusions to laments: Isa. 40–55 alludes to the laments preserved in the book of Lamentations and Isa. 65:1–66:17 alludes to the originally independent lament recorded in Isa. 63:7–64:11.1 In this paper, I shall investigate what these two examples can tell us about the way prophets related to earlier texts. Furthermore, I shall show that the fact that these Isaianic prophets alluded to Lamentations and Isa. 63:7–64:11 contributed to the incorporation of these laments into what is now considered to be the canon of the Hebrew Bible.2 Textual allusions depend on three basic factors: direction, access and dependency. We shall therefore begin our discussing by looking at the relative chronology of the various texts, the likelihood that the Isaianic authors had access to the laments, and the nature of the dependency between the texts.
2. Dating of the relevant texts Beginning with the relative chronology of the texts, a brief sketch of the dating of the various materials is necessary. In the case of the text of Isa. 40–55, it is here treated as a product of the exilic and early exilic period, penned after Cyrus’ victory over the Medes in 550 BC. Although much speaks in favour of the literary unity of the final form of Isa. 40–55,3 its origin is most probably composite. As shown by a number of 1
Thanks go to Dr Rebecca Watson who read an early draft of this paper and made helpful suggestions. 2 The term “canon” is used here merely to denote a text that is part of what is now known as the Hebrew Bible. 3 E.g. J. L. KOOLE, Isaiah: Part III/a, trans. A. P. Runia, Kampen 1997, 14–18, 33–36; R. F. MELUGIN, The Formation of Isaiah 40–55 (BZAW 141), Berlin 1976; T. N. D. METTINGER, A Farewell to the Servant Songs: A Critical Examination of an Exegetical Axiom (SMHVL 1982–83/3), Lund 1983.
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scholars, it is possible that Isa. 40–55 developed over time, involving at least two redactional editions: a core-layer which originated in Babylon just before 539 BC and several redactional layers which were compiled in Jerusalem around 520 BC and later.4 Even so, as the allusions to Lamentations occur throughout much of Isa. 40–55, sometimes transcending the borders of the perceived redactional layers,5 I shall use the term Isa. 40–55 for the sake of convenience. In doing so, I make, however, no claim of original unity of Isa. 40–55. With regard to the authorship of Isa. 40–55, several recent scholars have argued convincingly that a group of people, here conveniently labelled the “Deutero-Isaiah group”, were responsible for the various material strands in Isa. 40–55.6 Nonetheless, since we are here dealing with allusions between
4 See, e. g. K. KIESOW, Exodustexte im Jesajabuch: Literarkritische und motivgeschichtliche Analysen (OBO 24), Fribourg 1979; R. G. KRATZ, Kyros im Deuterojesaja-Buch (FAT 1), Tübingen 1991; O. H. STECK, Gottesknecht und Zion (FAT 4), Tübingen 1992, 47–59; J. van OORSCHOT, Von Babel zum Zion: Eine literarkritische und redaktionsgeschichtliche Untersuchung (BZAW 206), Berlin 1993; J. WERLITZ, Redaktion und Komposition: Zur Rückfrage hinter die Endgestalt von Jesaja 40–55 (BBB 122), Berlin 1999; R. ALBERTZ, Israel in Exile: The History and Literature of the Sixth Century B. C. E. (trans. D. GREEN, Studies in Biblical Literature), Atlanta, Georgia, 2003. 5 The two, for us relevant, cases are Isa. 52:1, 11 and 54:11–13. In the first case, MELUGIN, Formation of Isaiah 40–55, 159–167, has shown convincingly that Isa. 51:9–11, 12–16, 17–23, 52:1–2, [3–6,] 7–10, 11–12 are smaller units, isolated by form, that together form the longer speech of Isa. 51:9–52:12. Likewise, but from a text-historical angle, H.-J. HERMISSON, ‘Einheit und Komplexität Deuterojesajas: Probleme der Redaktionsgeschichte von Jes 40–55’, in: J. VERMEYLEN (ed.), The Book of Isaiah (BEL 81), Leuven 1989, 311, assigns Isa. 52:1–2 and 11–12 to the same redactional layer (Grundbestand). Alternatively, ALBERTZ, Israel in Exile, 396–399, argues that Isa. 51:9–10, 17, 19; 52:1–2 may represent a Jerusalem tradition, while Isa. 52:7–10, 11–12 may be composed by the editors responsible for the first Jerusalem redaction. According to the second scenario, we would then have a case where the editor, seeing the allusion to Lamentations in Isa. 52:1, strengthened the allusion by adding verse 11. In the second case, MELUGIN, Formation of Isaiah 40–55, 171, demonstrates that all of Isa. 54:11–17 is likely to be a textual unity. Likewise, VAN OORSCHOT, Von Babel zum Zion, 256–69, relates to Isa. 54:11–17 as a textual unity, and so does HERMISSON, ‘Einheit und Komplexität’, 311 (Naherwartungsschicht). ALBERTZ, Israel in Exile, 429, distinguishes between Isa. 54:11–12, 14–17 which he regards as part of the second Jerusalem edition of Isa. 40–55, and verse 13, the origin of which he fails to discuss. 6 R. ALBERTZ, ‘Darius in Place of Cyrus: The First Edition of Deutero-Isaiah (Isaiah 40.1–52.12) in 521 BCE’, in: JSOT 27 (2003), 371–83 (esp. 373, note 7). First, the basic instruction to console the people and Jerusalem (Isa. 40:1–2) is in the plural (cf. 48:20). Secondly, Isa. 40:1–8 does not speak about the vocation of an individual prophet (treating vv. 6 and 8 as later additions). Thirdly, Isa. 50:4–9 seems to reveal the experiences of a prophetic individual, but, in defining himself as a disciple (~ydwmlk [mXl), he refers to a prophetic group. See also D. MICHEL, ‘Das Rätsel Deuterojesaja’, in: ID., Studien zur Überlieferungsgeschichte alttestamentlicher Texte (TB 93), Gütersloh 1997, 199–218 (esp. 216– 217).
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particular sections in Isa. 40–55 and Lamentations, I shall use the singular “author” when referring to one of these sections. In the case of Lamentations, its content is likely to reflect the situation in Judah in the early or mid-sixth century BC. Furthermore, each of the five poems is best regarded as a literary unit, chiefly on the basis of their regular acrostic form. In terms of authorship, it is probably best to view them as five separate laments, stemming from roughly the same time period but possibly written by different authors.7 To sum up, Isa. 40–55 is on all accounts later than Lamentations. Therefore, the many textual links between the two texts should be understood as that of the younger text of Isa. 40–55 alluding to the older text of Lamentations.8 In the case of Isa. 56–66, I view Isa. 60–62 and possibly also 63:1–6 as the earliest components. Subsequently, Isa. 56:9–59:21 and 65:1–66:17, stemming from another author, can be dated to around 520 BC. Lastly, a framework consisting of Isa. 56:1–8 and 66:18–24 was added at a later date, probably sometime in the fifth century BC.9 The lament10 recorded in Isa. 63:7–64:11 originated independently of these texts and probably also independently of the earlier Isa. 40–55.11 In fact, the 7 For a good bibliography of recent opinion, see P. T. WILLEY, Remember the Former Things: The Recollection of Previous Texts in Second Isaiah (SBLDS 161), Atlanta 1997, 86. 8 The textual and conceptual links between Isa. 40–55 and Lamentations have long been known. See, e. g., Lam. R. 1.21; M. LÖHR, ‘Der Sprachgebrauch des Buches der Klagelieder’, in: ZAW 14 (1894), 42–43, 44, 47, 48; N. GOTTWALD, Studies in the Book of Lamentations (Studies in Biblical Theology), Chicago 1954, 44–45; T. LINAFELT, Surviving Lamentations, Chicago, London 2000, 65–79; C. NEWSOME, ‘Response to Norman K. Gottwald, “Social Class and Ideology in Isaiah 40–55”’, in: Semeia 59 (1992), 73–78; B. D. SOMMER, A Prophet Reads Scripture: Allusion in Isaiah 40–66 (Contraversions), Stanford, California, 1998, and WILLEY, Remember the Former Things. 9 With some exceptions, I follow the view proposed by P. A. SMITH in his: Rhetoric and Redaction in Trito-Isaiah: The Structure, Growth and Authorship of Isaiah 56–66 (VTSup 62), Leiden 1996. In the particular case of Isa. 65:1–66:17, Smith argues in favour of an extended unit in 65:1–66:17, to be divided into two sub-sections (65:1–66:4 and 66:5–17) (129–31). In the light of the research of especially E. C. WEBSTER, ‘A Rhetorical Study of Isaiah 66’, in: JSOT 34 (1986), 93–108, however, I maintain the textual unity of Isa. 66:1–6. Combining the arguments of both, there are no compelling reasons for sub-dividing the extended unit of Isa. 66:1–66:17. 10 Isa. 63:7–64:11 is normally classified as a lament, even though there are form-critical differences between it and the laments in the Psalter. 11 WILLIAMSON, ‘Isaiah 63,7–64,11’, 51–53. In support of his claims, he cites W. ZIMMERLI, ‘Zur Sprache Tritojesajas’, in: ID., Gottes Offenbarung: Gesammelte Aufsätze zum Alten Testament (ThB 19), München 1963, 217–33, whose study shows that there are virtually no textual links between Isa. 63:7–64:11 and Isa. 40–55. See also H. ODEBERG, Trito-Isaiah (Isaiah 56–66): A Literary and Linguistic Analysis (UUÅ), Uppsala 1931, 19; WILLIAMSON, ‘Isaiah 63,7–64,11’, 51–53.
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absence of influence from Isa. 40–55 marks Isa. 63:7–64:11 off from much of the rest of Isa. 56–66.12 The arguments in favour of the literary unity of Isa. 63:7–64:11 are compelling,13 and a Judahite setting is commonly assumed.14 In contrast, its dating is often debated. Nonetheless, in view of the references to the temple being trampled by enemies in 63:18 and the reference to a Jerusalem in ruins and a temple that is destroyed by fire in 64:9–10 (Eng. vv. 10–11), a pre-520 BC dating convinces.15 In addition, its resemblance to other exilic, Judahite texts suggests a similar dating (Lamentations, Neh. 9 [see further below]16). The many shared characteristics of Isa. 63:7–64:11 and Lamentations, for example, render a close dating of the two texts likely.17 First, Lamentations and the lament in Isa. 12
WILLIAMSON, ‘Isaiah 63,7–64,11’, 54. Its unity has been defended especially by I. FISCHER, Wo ist Jahwe?: Das Volksklagelied Jes 63,7–64,11 als Ausdruck des Ringens um eine gebrochene Beziehung (SBB 19), Stuttgart 1989, 73–75, and more recently by GOLDENSTEIN, Gebet der Gottesknechte, 10–16, and J. BLENKINSOPP, Isaiah 56–66 (AB 19B), New York 2003, 257. Exceptions to this view are PAURITSCH, Die Neue Gemeinde: Gott sammelt Ausgestossene und Arme (Jesaia 56–66): Die Botschaft des Tritojesaia-Buches literar-, form-, gattungskritisch und redaktionsgeschichtlich untersucht, Rome 1971, 151–59, 170–71; S. SEKINE, Die Tritojesajanische Sammlung (Jes 56–66) redaktionsgeschichtlich untersucht (BZAW 175), Berlin 1989, 151–64, and T. VEIJOLA, Verheissung in der Krise: Studien zur Literatur und Theologie der Exilszeit anhand des 89. Psalms (AASF B 220), Helsinki 1982, 126–27. Their arguments pale, however, in comparison with the ones that suggest unity. 14 As far as I am aware, only E. J. KISSANE, The Book of Isaiah, 2, Dublin 1943, 287, diverts from the generally accepted view by claiming that it was written in Babylon during the exile. 15 An exilic or early post-exilic dating is supported by most scholars, e.g. P. VOLZ, Jesaja, II (KAT), Leipzig 1932, 268; J. MUILENBURG, The Book of Isaiah: Chapters 40–66 (IB), Nashville 1956, 729–30; C. WESTERMANN, Das Buch Jesaja: Kapitel 40–66 (ATD), Göttingen 1966, 240; PAURITSCH, Neue Gemeinde, 169; WILLIAMSON, ‘Isaiah 63,7–64,11’, 48–58; AEJMELAUS, ‘Prophet als Klageliedsänger’, 49, and BLENKINSOPP, Isaiah 56–66, 258–59. Those exegetes who argue for only one author of Isa. 56–66 are not likely to date Isa. 63:7–64:11 to the exilic times since much of the material in Isa. 56–66 presupposes a post-exilic setting. Among them, both K. ELLIGER, Die Einheit des Tritojesaia (Jesaia 56–66) (BWANT 3/9), Stuttgart 1928, 94–99, and J. SKINNER, The Book of the Prophet Isaiah: Chapters XL–LXVI (CB), Cambridge 1898, revised 1917, 218–220, give the material as early a post-exilic date as possible, assuming that 63:18 and 64:9–10 refer to the destruction of Jerusalem in 586 BC. It should be noted, nonetheless, that other scholars, notably O. H. STECK, Studien zu Tritojesaja (BZAW 203), Berlin 1991, 38–39, disagree with this early dating and postulate dates in the fifth or even fourth century BC. 16 For the similarity of the two texts, see WILLIAMSON, ‘Isaiah 63,7–64,11’, 48–58. Concerning an exilic dating of Neh. 9, see H. G. M. WILLIAMSON, ‘Structure and Historiography in Nehemiah 9’, in: M. GOSHEN-GOTTSTEIN (ed.), Proceedings of the Ninth World Congress of Jewish Studies. Panel Sessions: Biblical Studies and Ancient Near East, Jerusalem 1988, 117–31. Cf. M. J. BODA, Praying the Tradition: The Origin and Use of Tradition in Nehemiah 9 (BZAW 277), Berlin 1999, 27–28, note 28, who advocates an early post-exilic dating and a Judahite setting of Neh. 9. 17 See, e. g. R. N. WHYBRAY, Isaiah 40–66 (NCBC), London 1975, 256, and BLENKINSOPP, Isaiah 56–66, 265–66. 13
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63:7–64:11 have a significant amount of vocabulary in common.18 Secondly, more conceptual parallels between the two texts that are atypical of the lament genre exist, for example the fact that the Lord is described as having become an enemy (bya) in both texts (Lam. 2:4–5, Isa. 63:10), and that the destroyed sanctuary is described as the great “treasure” (dmxm) in both (Lam. 2:4, Isa. 64:10).19 This originally independent lament from the exilic period was incorporated into the Isaianic material by the joint author of Isa. 56:9–59:21 and 65:1–66:17. Moreover, this later author brought the lament into dialogue with his own texts by furbishing it with a response, composed especially for this purpose, that is recorded in Isa. 65:1–66:17. This is evident from the impressive number of lexical, stylistic and structural links between the two texts.20 18 Scholars have long noted such similarities. M. LÖHR, ‘Der Sprachgebrauch des Buches der Klagelieder’, in: ZAW 14 (1894), 42–43, 44, 47, 48, for example, published a list of parallels between Lamentations and the lament in Isa. 63:7–64:11: wdsx brk – Lam. 3:32 // Isa. 63:7 dam d[ @cq – Lam. 5:22 // Isa. 64:8 19 KOOLE, Isaiah, 32. Other parallels noted by Koole are: 1. The prayer that God may not be “exceedingly angry” (dam d[) (Lam. 5:22 and Isa. 64:8). 2. God will have “compassion” “according to the abundance of His steadfast love” (wydsx brk) (Lam. 3:32 and Isa. 63:7). 3. Complaint about adversaries (rc) (Lam. 1:5, 7, 10, 17; 2:4, 17: 4:12 and Isa. 63:18; 64:1). 4. The confession of spiritual impotence (Isa. 63:17 and Lam. 5:21). 20 See especially STECK, Studien, 221–24 who detects 13 textual links between the two texts. 1. Isa. 65:8–10 is the answer to the plea in 63:17b, indicated by the use of the expression $ydb[/ydb[ ![ml (63:17b; 65:8). The response focuses on the promise of heirs and possession of land. 2. Isa. 65:1–7 is the corrective response to the complaint in 63:15–17a. The lamenting people blame God for the lack of communication when in fact they themselves are responsible. This link is strengthened by the word $rd (63:17a; 65:2). 3. Isa. 63:18 is linked with 65:11–12, the latter passage making clear that the sinners are the actual desecraters of the temple. The root Xdq is the connecting element (63:18; 65:11). 4. Isa. 65:13–16 answers 63:19a, speaking about God’s lordship over sinners and pious ones. The lexical link is the verb arq (63:19a; 65:15). 5. 63:19b–64:3 is linked with 65:17–18a with its future vision of theophany. The word symX is used in 63:19b and 65:17, combined with the root hX[ (64:2, 3) which is taken up semantically in the root arb in the answer (65:7). 6. There is a reversal of anger to joy in 64:4 with 65:18b–19, supported by the lexical connection of the root XwX (64:4; 65:18; cf. 66:10). 7. The motif of death which awaits the pious ones in 64:5–7 is reversed in 65:20–23. 8. The promise of the ideal creation as described in 65:24 may be understood as the fulfilment of the plea in 64:8. 9. Isa. 66:1–4 is the corrective answer to the question of the temple raised in 64:10. 10. Isa. 66:5–6 alludes to the theme of enemies in 63:19b–64:2. Their end, desired in the plea, is carried out in the response, and their coming judgement is further explored in 66:14b–24. Fire imagery plays an important role in both passages (64:1; 66:15, 24).
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3. The liturgical use of the laments We also need to establish that the alluding text had access to the text being alluded to. A liturgical setting of Lamentations and Isa. 63:7–64:11 is supported by their similarities with the laments preserved in the Psalter. For example, both Ps. 44:8–9, 17–18 and Isa. 64:4–5 proclaim the faithfulness of the speakers, both Ps. 89:26 and Isa. 63:16 declare God’s fatherhood, and both Ps. 89:46 and Isa. 64:6 question how long the Lord will hide himself. In addition, several psalms (e.g. Pss. 77:15–20; 106:7ff.) contain an account of God’s deeds in history in a fashion similar to that of Isa. 63:8–14.21 Thus, given the prevalent view that many, if not all, of the laments in the Psalter were uttered as part of the cult, this affinity suggests a similar use of Lamentations and Isa. 63:7–64:11.22 Given the probable liturgical Sitz im Leben of the laments in Lamentations (cf. Zech. 7:3, 5), it is reasonable to assume that Lamentations was well-known to the “Deutero-Isaiah group”. The same is most probably true also for the lament preserved in Isa. 63:7–64:11 (and in Neh. 9). Hence, in alluding to them, the Isaianic authors were relating to commonly known texts that possessed a certain cultic authority.
4. Intertextuality, allusion, echo, exegesis, revision and polemic Finally, we have to determine whether the similarities in vocabulary and theme are indeed examples of conscious textual allusions by the Isaianic texts to the laments in Lamentations and Isa. 63:78–64:11 or whether they are merely the result of the shared textual heritage and surroundings of the texts.23 The very nature of the allusions suggests the former. As we shall see shortly, the Isaianic authors interact with and often reverse the statements of the
11. 66:7–11 may correspond to 64:3–6 in that Jerusalem will give birth to the new people of God. 12. The lack of God’s care lamented in 64:7 is answered in 66:12–13 with the promise that God will care for His people like a mother. 13. God’s anger, which is experienced by the lamenting people (64:8), is divided between the pious and the apostates in 66:14. 21 VOLZ, Jesaja, 269 (Pss. 89:2; 145:7; 51:2 and 106:45). See also WESTERMANN, Jesaja, 306–7 (Lamentations, Pss. 44 and 89). J. VERMEYLEN, Du prophète Isaïe à l’apocalyptique (ÉBib), Paris 1978, 491 (Pss. 44; 74; 79 and 89); ODEBERG, Trito-Isaiah, 18–19 (Pss. 44; 66; 68; 78; 89; 105; 106 and 107), and WILLIAMSON, ‘Isaiah 63,7–64,11’, 56 (Ps. 106). 22 E. g. MUILENBURG, Isaiah, 729. 23 More general aspects of intertextuality, i. e. the inter-action between texts, regardless of the authors’ intentions and the chronological aspects of the texts, will not be discussed.
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earlier laments. In fact, the textual allusions to Lamentations found in Isa. 40–55 are mainly of a polemic nature,24 polemic being defined here as describing the attempt of an alluding text to take the place of an earlier text whilst still depending on it.25 The same is true to an even larger degree for the use of Isa. 63:7–64:11 by the author of Isa. 65:1–66:17. Thus, by incorporating links to the earlier laments, the Isaianic authors conveyed their disagreement with many of the sentiments of the laments. The Isaianic authors’ own message can therefore, to a certain extent, be described as an updated and improved version of that found in the texts to which they allude. At the same time, although to a lesser degree, the recognition of these textual links to the laments also enhances the understanding of the Isaianic texts themselves, in that it places these later texts within a longer textual tradition. Thus, their respective message does not stand alone but responds to issues dealt with by other, earlier writers.
5. The prophets and their allusions to the laments This brings us to the kernel of this paper. What do the different ways in which these Isaianic prophets relate to these laments tell us about their views of other texts as authority and as Scripture? At first glance, the cases of Isa. 40–55 and Isa. 65:1–66:17 have much in common. In both, a prophetic author, belonging to the Isaianic tradition, furnished an exilic lament of Judahite origin with a response. At a closer look, however, we become aware of five key areas where the two cases differ from one another. Throughout this section, we shall focus on four sets of examples, two related to the relationship between Isa. 40–55 and Lamentations, and two related to that between Isa. 65:1–66:17 and Isa. 63:7–64:11.26
24 Contrary to SOMMER, A Prophet Reads Scripture, 40–66, 172, who argues that the polemic speech in Isa. 40–66 is limited to the few references to the Pentateuch. 25 SOMMER, A Prophet Reads Scripture, 6–31, provides a useful overview of the terminology involved in describing the use of one text by another. According to his definitions, an allusion in a text to an earlier one modifies the meaning of the later text, while an echo merely reuses a phrase found in an earlier text without modifying the meaning of either. Exegesis is understood as a later attempt to clarify the meaning of the earlier text. An exegetical text cannot exist without the former. In contrast, a revision of an earlier text seeks to replace the earlier text. Similarly, a polemic text attempts to take the place of the earlier text but, at the same time, depends on the older text whilst rejecting it. 26 The examples from Isa. 40–55 are noted by several earlier scholars, in particular by WILLEY, Remember the Former Things, 125–28 and 239–41. Likewise, the examples from Isa. 65:1–67:17 are noted by STECK, Studien, 221–24 (cf. above).
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Example 1a: The allusion to Lam. 4:15 as found in Isa. 52:1 and 11 The original: Lam. 4:15 “‘Depart (wrws), unclean (amj)’, they cried to them. ‘Depart (wrws), depart (wrws), do not touch (w[gt la)’, for they flee, and also totter, they say among the nations, they will no longer (wpyswy al) stay”.
The response: Isa. 52:1 “Awake, awake, put on your strength, oh Zion. Put on your beautiful clothes, oh Jerusalem, the holy city, for neither uncircumcised nor unclean (amjw) shall no longer (@yswy al) come into you”. Isa. 52:11 “Depart (wrws), depart (wrws), get out of there. Unclean (amj), do not touch (w[gt la), get out from her midst, purify yourselves, oh carriers of the vessels of the Lord”.
Example 1b: The allusion to Lam. 4:1–2 in Isa. 54:11–13 The original: Lam. 4:1–2 “How the gold is darkened, how the fine gold has changed. The sacred stones (ynba) are poured out at the head of every street. The precious sons of Zion (~yrqyh !wyc ynb), who were reckoned as refined gold – how they are considered as pots of clay, the work of a potter’s hand.”
The response: Isa. 54:11–13 “Unhappy, storm-tossed ones, not comforted, behold, I am laying your stones ($ynba) with antimony, and your foundation with sapphires. And I will make your pinnacles like rubies, and your gates to sparkling stones (ynbal), and all your walls to precious stones (ynbal), and all your sons ($ynb) will be taught by God, and abundant is the peace between your sons ($ynb).
Example 2a: The allusion in Isa. 65:11–12a to Isa. 63:18–19a The original: Isa. 63:18–19a “For a short while Your holy people ($Xdq ~[) inherited27/“why may transgressors slight/stamp your sanctuary ($Xdqm)”,28 our enemies trampled your holy place. We have become [like] those you never ruled, [like] those over whom Your name was not called (arqn al).29
The response: Isa. 65:1 “like a people who is not called by my name” (ymXb arq-al ywg)/“like a people who does not call upon My name”.30
27 The reading of the MT is accepted by a small group of scholars, notably HANSON, Dawn, 84–86, note j. 28 The MT of Isa. 63:18–19a is a notorious interpretative crux. As a result, several emendations have been proposed, notably by B. DUHM, Das Buch Jesaia, Göttingen 1922, 423; K. MARTI, Das Buch Jesaja (KHAT), Tübingen 1900, 470, and followed by, among others, C. C. TORREY, The Second Isaiah, Edinburgh 1928, 464; WESTERMANN, Jesaja, 310, note 3; J. L. MCKENZIE, Second Isaiah (AB 20), Garden City 1968, 189, note h-h and PAURITSCH, Neue Gemeinde, 154. They maintain by and large the consonantal text while dividing it differently, reading $Xdq ~y[Xr wr[c hml “why may transgressors slight your sanctuary”. Much can be said in favour of this emendation: it gives us a complete sentence, the word hml echoes the same word in
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Isa. 65:11–12a “And you who abandon the Lord, who forget my holy mountain (yXdq rh), who prepare a table for Gad and who fill a libation/drink to Meni, you I shall assign to the sword, and all of you shall bow down to slaughter, because I called (ytarq) but you did not answer, I spoke and you did not hear.” Isa. 65:15b “and his servants will be called (arqy) another name”
Example 2ba: The allusion in Isa. 65:8–10 to Isa. 63:17 The original: Isa. 63:17 “Why, oh Lord, do you make us stray from your ways? You have hardened our hearts from fearing you. Return, for the sake of your servants ($ydb[ ![ml), the tribes of Israel”.
The response: Isa. 65:8 “Thus says the Lord: ‘as when new wine is found in the cluster, and one says ‘do not destroy it, there is good in it’, so will I do for the sake of my servants (ydb[ ![ml), I will not destroy them all”. And I shall send forth a seed from Jacob, and an heir to my mountains from Judah, and my chosen ones and my servants (ydb[w) shall dwell there. And Sharon will become a pasture for flocks, and the Valley of Achor a place for cattle to lie down, for my people will seek me.
5.1a. Differences in presentation The text of Lamentations is present in Isa. 40–55 merely through textual allusions imbedded in the latter text, and its visibility depends on the audience’s recognition of these allusions. As a result, while there is little doubt that these allusions to Lamentations were placed in the text of Isa. 40–55 as part of a verse 17 and the expression ~y[Xr wr[c can be understood as a parallel to wsswb wnyrc in 18b. ELLIGER, Einheit, 96, goes one step further and emends wr[c to wd[c = “stamp”, which is more in line with wsswb. Nonetheless, I tentatively maintain the MT, given that it is perfectly legible. It should be noted that the main reason for rejecting the MT is not the illegibility of the MT but the ensuing exegetical issues, in particular that of explaining what the expression “for a short while” (r[cml) signifies. 29 See GK §155m for syntax – “we have become ... over whom (~b) You no longer rule”. 30 arq is pointed as a Pual (note that the root arq takes a holem rather than a kibbutz over the first root letter – see GK paradigm O). Alternatively and preferable, we may understand the form as an example of the inner passive of Qal (ymynp lybs) since the root arq lacks an active Piel form. The majority of scholars and translations follow the active reading of the LXX, e;qnei oi] ouvk evka,lesa,n mou to. o;noma (ad gentemquae non invocabat nomen meum), TJ (ymXb ylcm ald ~[l) and S (ymX arq ald am[l), supported by the preceding two active verbs wlaX and wXqb. In addition, the attested inner passive of Paal (ar"˜q) is unusual.
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conscious design, and also recognized as such by its target audience, the text of Lamentations itself is represented only implicitly and in part. Looking at the example of Lam. 4:15 and the corresponding Isa. 52:1, 11, given the parallel vocabulary and syntax, there is little doubt that the author of Isa. 52:1 and 11 consciously related to the earlier text of Lam. 4:15. This can be seen by the author’s use of the shared syntactical feature of a twice-repeated imperative in all three verses (“depart”, “awake”, “depart” ), as well as the shared vocabulary (“unclean”, “no longer”, “depart”, “do not touch”).31 Likewise, the shared vocabulary (“stones”, “sons”) as well as the contrasting elements (gold being darkened, fine gold being changed, versus “antimony”, “rubies”, “sparkling”) of Lam. 4:1–2 and Isa. 54:11–13 suggest that we are dealing with a conscious allusion. Furthermore, given the likely liturgical character of the earlier lament, there are good reasons to assume that the audience recognized the origin of this link, being able to either read it or repeat it from memory. Nonetheless, despite this availability of the source text, we are still dealing with only one text, the Isaianic one, rather than with two. Isa. 40–55 belongs in the foreground with Lamentations in its shadow. In contrast, the lament recorded in Isa. 63:7–64:11 is (as far as we can tell) quoted in full by the later author responsible for Isa. 65:1–66:17. In addition, it is also found in the textual allusions in the following section Isa. 65:1–66:17. Thus, it is present twice, in two different versions; both in its own right and in the allusions to it. Furthermore, by way of juxtaposing the lament to its response, the relationship between the two does not depend on the audience’s recognition of an earlier text. Instead, the audience is served both texts side by side, readily available, and the links between the two are unmistakable. Again, looking at the specific examples of Isa. 65:11–12a and the corresponding Isa. 63:18–19a, and Isa 65:8 and the corresponding Isa. 63:17, the parallels between these two texts are, to a certain extant, less obvious. In contrast to the allusions to Lamentations found in Isa. 40–55 where whole expressions are lifted, here the author makes do with key words and more general links (“holy”, the root “to call” – Isa. 65:11–12a to Isa. 63:18–19a/“for the sake of your/my servants” – Isa. 65:8 to Isa. 63:17). However, given that the audience of Isa. 63:7–66:17 has access to both texts, and that it may be supposed that they read the sequence as one continuous text, the allusions can still be recognized easily.
31
WILLEY, Remember the Former Things, 126–27.
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5.1b. Differences in the textual proximity of the source This leads us to the next issue. The difference in presentation between the two cases has interesting and rather unexpected consequences for the way the reader/listener is led to evaluate and interpret the source text, i.e. the text that is being alluded to. Foremost, there is a difference with regard to the interpretative control over a textual source between alluding to a source existing elsewhere and citing a text in full in the immediate proximity of its response. In the case of Isa. 40–55, the reader/listener is presented with a selected (or one might even say: biased) version of Lamentations: the authors of Isa. 40–55 allude to some but not to other parts of Lamentations. Thus, the authors of Isa. 40–55 control the availability and also the understanding of Lamentations. This remains true, although to a lesser degree, also when assuming that the listener/reader has ready access to a written version of Lamentations or has its texts memorized: a source text outside one’s immediate context is inevitably assigned lower priority than the text presently heard or read. In the example of Isa. 52:1, 11, the audience hears the underlying text of Lam. 4:15, but not in full and not in its original context. In the original context, the leaders of the people stand in the foreground. The noble ones (vv. 7–8), the priests and the prophets (v. 13) are held responsible for the present affliction (v. 13), and they are described as defiled by blood (v. 14) and tottering (w[n – cf. v. 15) about the city. Even God shows disregard for the priests or the elders (v. 16). In the response in Isaiah, the situation is turned upside down. In contrast to the text of Lamentations, Isa. 52:1 and 11 do not mention the leaders’ blame. In fact, the verse from Lamentations that is singled out and alluded to is the one of the few that in its original context does not contain a direct reference to the leaders. Nonetheless, the leaders are present in the later text, as the carriers of the temple vessels out of exile and back to Judah.32 Thus, the text of Isa. 52 presupposes the existence of all of Lamentations 4 but effectively counteracts it by transforming the leaders from carriers of blame to carriers of holy vessels. As a result, the audience33 is being influenced in a subtle way. They are led to abandon their former negative estimate of the leaders and to re-evaluate them in a more positive light. Yes, they sinned in the past, as we know from
32
Cf. WILLEY, Remember the Former Things, 127–28. The audience is here likely to be Zion, as suggested by Isa. 52:1, 7 and 9 where Zion is addressed directly. In view of these references, the imperatives to the exiles in verse 10 are better understood as rhetorical, indicating the subject of the oracle, rather than as indicators of the identity of the audience. 33
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Lamentations, but now, here in Isaiah, they are returning in glory, their sins atoned for.34 In a similar sense, the leaders’ uncleanness is reversed. When they left for exile in Lam. 4:15, they were the unclean ones. Now, when they return, they leave the uncleanness behind, in the form of the foreign land in which they had dwelt under the exile. Again, the audience is led, through these textual links, to re-evaluate the sentiments expressed in Lamentations and to format them according to the new ideas of Isa. 52. Likewise, there is a change from Lam. 4:1–2 to Isa. 54:11–13. The focus moves from the human inhabitants of Jerusalem, her sons who are being devalued from precious gold to earthen pots, to its physical structure. Yes, her inhabitants will be there and they will benefit, but the new focal point of Isa. 54:11–13 is the future beauty and restoration of the city herself.35 In this way, the readers/listeners are encouraged to abandon their focus on the individual suffering of the people of Jerusalem and to widen their horizons and look ahead to the rebuilding of the city. In contrast, by citing the lament in Isa. 63:7–64:11 in its entirety, the author of Isa. 65:1–66:17 gives up part of his or her interpretative control over the source. As already noted, the fact that both the lament and its response are written down together provides the reader with equal access to both. As a result, the claims of the following response in Isa. 65:1–66:17 are less dominant, even though the response still highlights certain passages and in this way influences the audience towards a certain interpretation. The audience is not restricted to the selected choice of verses made by the alluding text and is therefore able to take into account the textual background of a particular saying and also to note the discrepancies between that and what is found in the alluding text. As a result, the audience is free to understand the lament in a way that deviates from that of the alluding author. 5.2. Differences in the evaluation of the lament This freedom sets the stage for the next issue, that of the differences in the evaluation of the lament. There are significant differences between the two cases from the point of view of how each lament is related to by its alluding Isaianic author. It is true that in both cases, the later author disagrees with the outlook
34 Cf. NEWSOME, ‘Response to Norman K. Gottwald’, 77–78. Cf. LINAFELT, Surviving Lamentation, 65–66, who suggests that representation of the exiles as sons and daughters serves to outweigh the criticism towards the leadership found in Lamentations. Rather then presenting the returnees by using ambiguous terms such as “leaders”, the author of Isa. 40–55 chooses only positive terms when situating the exilic community within the Judahite speech of Lamentations. 35 Cf. WILLEY, Remember the Former Things, 240–41.
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present in the earlier lament. This disagreement, however, is meant for the better in the case of Isa. 40–55 and for the worse in Isa. 65–66. In the first case, the text of Isa. 40–55 is mostly sympathetic towards the plight of those who identified themselves with the sentiments expressed in Lamentations through its cultic performances, and it emphasizes that good will come out of their misery: in the past, God rejected and punished you, but now, He will redeem the situation. In this way, even though the textual relationship of Isa. 40–55 towards Lamentations is best described as polemic (according to the definition reached above), the Isaianic text does not seek to invalidate the point of view expressed in the earlier text and by its followers. Instead, it means to encourage them and to inform them about the changes that are to take place imminently. Their critical sentiments expressed in Lamentations are now things of the past, for God is soon to act on their behalf. Using the example of Isa. 52:1, 11, this can be seen in the reversal of the fortunes of Zion. She is being assured that the time of her sorrow is over. She is no longer to mourn, like she did in Lamentations. Instead, she is commanded to put on her strength and her beautiful clothes. Before, her unclean leadership departed, now, no unclean person shall have entry. Even her returning leaders are cleansed. Likewise, no uncircumcised person, i.e. no attacking foreigner, shall enter into her. In this way, the response of Isa. 40–55 contradicts the sentiments expressed in Lamentations but at the same time affirms the people who utter the laments, providing them with encouragement and hope. Not so the response in Isa. 65:1–66:17. It has lately been recognized that Isa. 65:1–66:17 forms a negative response to the lamenting people.36 This is clearly illustrated by the example cited earlier. The people represented by the lament state that they are “holy” and that their enemies have trampled God’s “holy place”. They perceive themselves to be forgotten by God, as if his name was “not called” over them. In the response, the divine oracle declares that 36 To my knowledge, this was firstly pointed out by KISSANE, The Book of Isaiah, 289, 304. Cf. STECK, Studien, 221, who suggested that Isa. 65–66 sought to put straight, to correct and to widen the perspective of the preceding lament. Part of its agenda was to clarify that salvation was not for the whole people but merely for the much smaller circle of pious ones. See also KOENEN, Ethik, 159–68, who interprets the many echoes of 63:7–64:11 in chapter 65 as contrasting elements. As an example, he points out that the root hXx (“to be silent”) is found both in the exclamation in 64:11 and in the answer in 65:6. As such, the complaint concerning God’s silence in 64:11 (wnn[tw hX[t) is answered with a rejection: “No, I shall not remain silent (hXxa al) but I shall punish those who commit iniquities”. Similarly, B. SCHRAMM, The Opponents of Third Isaiah: Reconstructing the Cultic History of the Restoration (JSOTS 193), Sheffield 1995, 154–55, states that “the primary function of 65:1–25 is to attack the fundamental presupposition of the speaker of the lament, the assertion that $m[ wnlk [...] (“we are all Your people”). To this assertion 65.1–25 responds by saying, ‘No, you are not!’” For a similar viewpoint, see also SMITH, Rhetoric, 132, 140.
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they have not called upon His name (Isa. 65:1).37 Moreover, they are the ones who have abandoned God and forgotten His “holy” mountain (65:11). Furthermore, God “called” them but they chose not to listen (65:12). The only people that will be “called” are the small group of pious people around the prophet who will be given a new name by God (65:15b). The name of the other people will from now on only be used as a curse (15a). In addition, there are also cases where particular issues of complaint receive seemingly positive answers. In these instances, the response contains a phrase that redefines the community: the positive answer will come, but only to a selected few. The others, i.e. the majority of those represented by the lament, will not share in the coming blessing. This can best be seen in the response to the complaint in Isa. 63:17 where the people lament that God is leading them astray from his ways and hardening their hearts from fearing Him. They plead with God to “return for the sake of His servants” ($ydb[ ![ml bwX), the tribes of His inheritance. In response, Isa. 65:8–10 redefines who God’s servants and God’s people are. The prophet declares that rather than rejecting everyone, God will act “for the sake of His servants” (ydb[ ![ml hX[a) (v. 8). His chosen ones and his servants (ydb[w yryxb) shall inherit God’s mountains (v. 9), and the land is for God’s people who seek him (ynwXrd rXa ym[l) (v. 10). The fate of the rest is described in the following verses 11–12. In this way, the author is reusing the words “my servants” (ydb[), and “for the sake of” (![ml) to link the response to the preceding lament. In doing so, however, this author is changing their meaning. In the lament, the word “servants” was equated with “the tribes of his inheritance”, i.e. the nation as a whole. In the response, the same word is redefined to signify only a few elect. As seen, while those lamenting in Isa. 63:7–64:11 also complain about the misery of their present situation, the response given in Isa. 65:1–66:17 does little to alleviate their plight. On the contrary, it adds to it. It is true that the response in Isa. 65:1–66:17 divides the population into two groups – the chosen ones and the sinners – and it may thus be that a part of the people represented by the lament are considered to be among the former ones and accordingly can look forward to their present suffering being righted. However, the majority are told throughout especially Isa. 65:1–15 that their arguments towards God
37 SMITH, Rhetoric, 136. Along similar lines, KOENEN, Ethik, 162, argues that Isa. 65:1 alludes to Isa. 64:6. SMITH, Rhetoric, 140, further argues that the opening section of the lament (63:7–14) corresponds to the responding frank appraisal of contemporary religious practices found in 65:1–7. Further, Isa. 65:8–10 responds to the lament by taking up the theme of the “servants”. This term is reinterpreted according to the criteria laid down in 65:1 and 10b: only the faithful will be designated “servants” (142, cf. KOENEN, Ethik, 168).
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are unjustified and that their point of view is invalid. They should therefore consider themselves to be among the unrighteous and await further afflictions. To sum up this section, each Isaianic response is a modification of the sentiments expressed in the earlier lament. Nonetheless, while the responses in Isa. 40–55 affirm the people lamenting and provide them with hope that the end of their afflictions is in sight, the responses in Isa. 65:1–66:17 reject the viewpoint of the people lamenting and instead express the belief that only a select few will receive the hoped-for salvation. The rest, i.e. the majority, will receive no alleviation of their suffering. 5.3. Differences in oral versus written tradition There is also a difference in the reception of these oracles. When we compare the idea of alluding to a text known from elsewhere, as in the case of Isa. 40–55, and juxtaposing an entire text of external origin to an oracle, as in the case of Isa. 63:7–66:17, it becomes clear that we are dealing with two different ways in which the audience partook of the prophets’ message. Alluding to a well-known text from elsewhere can be done in an oral context. Incorporating an entire text presupposes a written context. To be more precise, the manifold allusions to earlier texts found in Isa. 40–55, not only to Lamentations but also to Jeremiah and Isa. 1–39, to name but a few, can be picked up by both a reader and a listener. There is no essential difference between a person with a good memory of an oral lament and a reader with access to the written scroll of Lamentations. Thus, we can learn little about how a prophetic text was transmitted and digested, whether in written or in oral form, from this example. In contrast, we can learn significantly more from the example of the lament in Isa. 63:7–64:11 and its response in 65:1–66:17. Even though it is possible that the responding text was originally oral, alluding to an equally oral lament, the existing juxtaposition of the two presupposes a reading audience. The historical event underlying the text is less likely to be that of a prophet delivering an oral message, first citing a commonly known lament and then launching an oral response to it. Instead, the more likely scenario is that of a writing author who first writes down the lament and then furbishes it with a written response. Thus, the juxtaposition of lament and response in Isa. 63:7–66:17 suggests that its original audience encountered the composition as a whole in written form.38
38 A similar juxtaposition of lament and prophetic oracle is found in 2 Chronicles 20. However, in contrast to the case here, the responding oracle is affirmative. As such, it is possible to see both components as oral and as part of the cult. In the present case, however, this is more difficult: it is unlikely that a negative response would be the cultic response to a lament.
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5.4. Differences in canonical status Fourthly, the present canonical status of the two laments is not identical. Lamentations forms an individual book, part of the writings in the MT and attributed to Jeremiah in the LXX. As such, it can and most often is read independently of Isa. 40–55. In contrast, while it is possible to read the lament in Isa. 63:7–64:11 on its own, its present place within the book of Isaiah invites the reader to read it in conjunction with its immediate Isaianic context. Furthermore, while both Lamentations and Isa. 63:7–64:11 are part of the present canon and thus “canonical”, their paths towards achieving this status differ widely. Lamentation is preserved outside the corpus of Isa. 40–55 – as an independent book – and, as far as we know, the preservation and subsequent canonization of Lamentations is not due to the author of Isa. 40–55. It may have been part of a compilation of texts considered authoritative already at the time of the composition of Isa. 40–55 or it may have entered into such a compilation at a later date. We only know that the author of Isa. 40–55 accredited it value, and accordingly based part of his or her own literary creation upon it. In this respect, Lamentations stands alongside textual corpora such as parts of the Pentateuch, parts of Jeremiah, parts of Isa. 1–39 and selected Psalms, these being the most frequently cited texts in Isa. 40–55. I will return shortly to address what this can teach us about the canonical status of these texts at the time of their incorporation into the Isaianic material. In contrast, the lament in Isa. 63:7–64:11 is found only as a part of a larger collection of prophetic oracles. Its preservation and subsequent canonization is only due to its incorporation into Isa. 56–66 by the author of Isa. 65:1–66:17. The result of this is counter-intuitive: by being cited, even though it is for the purpose of being rejected and its standpoint to be invalidated, the lament becomes part of the canon and thus receives a life of its own, free to be interpreted separately from its polemic response and thus free to be re-evaluated by subsequent readers. 5.5. Presentation and canonization Returning now to the issue of canonical status of the laments at the time of their incorporation into the Isaianic material, the different presentations of Lamentations (as a text being alluded to) and Isa. 63:7–64:11 (as a text fully cited) shed light upon their pre-Isaianic status. The fact that the prophets responsible for Isa. 40–55 alluded to Lamentations shows two things. First, their audience was familiar with the text and probably held it in esteem. Only a text that is part of the general fabric of a community can be successfully alluded to.39 Secondly, the prophets themsel39
In this respect, WILLEY, Remember the Former Things, 78–79, highlights the likelihood that Isa. 40–55 contains allusions to texts that were familiar to the audience of the prophets but due to a variety of reasons are not known to us today. Hence, we fail to recognize them.
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ves regarded Lamentations as a value-laden text. By alluding to previous texts, an author can do several things. First, he can bolster the authority of the texts cited. By citing them, he indicates that they are authoritative. As a result, he helps maintaining their relevance. Secondly, he can bolster his own authority, indicating that he stands in the tradition of previous authors. As a result, he renders his own text relevant.40 In the particular case of the material in Isa. 40–55, both aspects are present. By alluding to earlier texts, these prophets put forward the case that their own work is as worthwhile as those of their predecessors.41 This is indeed likely to be the situation, especially in the cases of the frequent allusions to Jeremiah and Isa. 1–39. Even so, the polemic nature of the allusions to Lamentations also suggests that the authors of Isa. 40–55 did not regard Lamentations as a fixed revelation. Instead, they felt free to engage with it with the expressed purpose of changing that revelation. While the central message of Lamentations is essentially the lack of future hope, that of Isa. 40–55 is renewed hope. As such, the estimation of the situation as described in Lamentations is at least partly invalidated by the subsequent message of Isa. 40–55. In addition to this, the former aspect also plays a part. I suggest that by alluding to Lamentations, the authors of Isa. 40–55 display their agreement with its authoritative status. According to these authors, Lamentations is a text that belongs together with Jeremiah and Isa. 1–39 in the then existing collection of authoritative texts. The case of Isa. 63:7–64:11 could not be more different. The fact that the lament is not alluded to but cited in full points to its non-authoritative status at the time of writing. First, it needed to be cited because it was neither sufficiently familiar nor authoritative enough for the author of Isa. 65:1–66:17 to presume that people would recognize the allusions. Secondly, by giving it a negative response, the author of Isa. 65:1–66:17 displays a freedom with the lament that is unrivalled elsewhere in the Bible. Not only does he reinterpret the sentiments addressed – he completely negates them! By doing so, he is clearly saying that this, according to him, is not an authoritative text, even though it might have had a liturgical function in the cult.
40 See especially SOMMER, A Prophet Reads Scripture, 158. For a similar view, see W. LAU, Schriftgelehrte Prophetie in Jes 56–66 (BZAW), Berlin 1994, 317, who argues that the author of Isa. 56–66 relates to his sources as authoritative texts: “Die Vorlagen (…) werden aufgegriffen, weil sie als Wort eines bekannten Propheten respektive als Jahwewort Geltung beanspruchen können und deshalb auch das neu Geschriebene legitimieren”. 41 See SOMMER, A Prophet Reads Scripture, 158.
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6. Conclusion In conclusion, we have discussed how two specific groups of authors treated other texts. The case of the allusions to Isa. 40–55 testifies to a practice relatively common in especially exilic and post-exilic prophecy: a group of later prophetic authors allude to the works of their predecessors in order to either modify that earlier text to fit the contemporary circumstances or enhance their own writing and place it within the larger context of the prophetic tradition. The case of Isa. 65:1–66:17 is more unusual. In this case, an author incorporates an independent text into his or her own writings with the purpose of rejecting it. This act indicates that there was little agreement in the society of that day on what was an authoritative text and what was not. One person felt free to disagree with a text that in all likelihood was considered part of the cult. Furthermore, the fact that this external text is cited in full suggests that the message of Isa. 64:7–66:17 was circulated in written rather than oral form.
Im Schatten hellenistischer Bildung
Im Schatten hellenistischer Bildung Ben Siras Lern- und Lehrkonzeption zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit BEATE EGO Zu den zentralen Texten, die Wesentliches zu der Thematik des schriftgestützten Lehrens und Lernens im antiken Judentum1 beitragen, gehört die Weisheitsschrift Ben Siras.2 Dieses Werk eines Jerusalemer3 Schriftgelehrten,4 der dem Priestertum nahestand,5 wurde zwischen 190 und 180 v. Chr.6 in hebräi1
Der hier vorliegende Beitrag geht auf einen Vortrag zurück, der am 3.4.2007 in Berlin beim alttestamentlichen Konsultationstreffen der „Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie“ im Rahmen der Thematik „Schriftgestütztes Lernen in Israel“ gehalten wurde. 2 Für allgemeine Einleitungsfragen s. J. MARBÖCK, Das Buch Jesus Sirach, in: E. ZENGER u. a. (Hgg.), Einleitung in das Alte Testament. Fünfte, gründlich überarbeitete und erweiterte Auflage (Kohlhammer Studienbücher 1,1), Stuttgart 2004, 408–416; G. SAUER, Jesus Sirach/ Ben Sira (ATD.A 1), Göttingen 2000, 17–35; A. DI LELLA/P. SKEHAN, The Wisdom of Ben Sira (AncB 39), New York 1987, 8ff. In dem hier zur Verfügung stehenden Rahmen kann selbstverständlich nur auf eine relativ begrenzte Auswahl aus der zwischenzeitlich immens angewachsenen Forschungsliteratur verwiesen werden. Für eine umfangreiche Bibliographie s. F. V. REITERER, Review of Recent Research on the Book of Ben Sira (1980–1996), in: P. C. BEENTJES (Hgg.), The Book of Ben Sira in Modern Research. Proceedings of the First International Ben Sira Conference, 28.–31. July 1996, Soesterberg, Netherlands (BZAW 255), Berlin 1997, 23–60; F. V. REITERER, gemeinsam mit N. CALDUCH-BENAGES u. a. (Hgg.), Bibliographie zu Ben Sira (BZAW 266), Berlin u. a. 1998; J. VAN OORSHOT, Weisheit in Israel und im frühen Judentum, VuF 48 (2003), 59–89. 3 Vgl. das Postskript Sir 50,27. 4 Wenn die Beschreibung des Schriftgelehrten in Sir 39,1–11 auch nicht unmittelbar biographisch verstanden werden sollte, so zeigt der Epilog sowie das Buch in seiner Ganzheit, dass Ben Sira der Gruppe der sof erim zuzuordnen ist. Zur sozialen Stellung Sirachs und zur Geschichte des Standes des sofer s. a. H. STADELMANN, Ben Sira als Schriftgelehrter. Eine Untersuchung zum Berufsfeld des vor-makkabäischen Sofer unter Berücksichtigung zu Priester-, Propheten- und Weisheitslehrertum (WUNT II/6), Tübingen 1980, 4–26; O. KAISER, Erziehung und Bildung in der Weisheit des Jesus Sirach, in: A. KUNZ-LÜBCKE/R. LUX (Hgg.), „Schaffe mir Kinder ...“. Beiträge zur Kindheit im Alten Israel und seinen Nachbarkulturen (ABG 21), Leipzig 2004, 223–251, hier: 224: Aufgrund des kritischen Urteils über die Mächtigen seiner Zeit und seiner Mahnung in 13,1-14,2 geht er davon aus, dass Sirach der aufsteigenden Mittelklasse entstammte. Für weiterführende Literatur zur Person Sirachs s. a. REITERER, Review, 35. 5 Darauf deuten zumindest die positiven Bezugnahmen auf das Priestertum hin; s. z. B. Sir 7,29–31; 45,6–24; 25; 45,1–5 oder der Lobpreis Simons. Zum Verhältnis des Siraziden zum Priestertum s. u. a. B. G. WRIGHT, „Fear the Lord and Honor the Priest“. Ben Sira as Defender of the Jerusalem Priesthood, in: P. C. BEENTJES (Hg.), The Book of Ben Sira in Modern Research.
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scher Sprache abgefasst; der Enkel Ben Siras hat es dann einige Jahrzehnte später mit einem Vorwort versehen und ins Griechische übersetzt.7 Ben Siras Buch enthält – einmal ganz allgemein gesprochen – eine Sammlung von Weisheitssprüchen, die in der Regel an junge Männer der gehobenen Schicht8 ge-
Proceedings of the First International Ben Sira Conference, 28.–31. July 1996, Soesterberg, Netherlands (BZAW 255), Berlin 1997, 189–222; H.-J. FABRY, Jesus Sirach und das Priestertum, in: I. FISCHER u. a. (Hgg.), Auf den Spuren der schriftgelehrten Weisen, FS Johannes Marböck (BZAW 331), Berlin u. a. 2003, 265–282; s. a. STADELMANN, Ben Sira, 15ff. 6 Zur Datierung dieses Werkes siehe u. a. DI LELLA/SKEHAN, Wisdom, 8–10; MARBÖCK, Buch Sirach, 408; SAUER, Jesus Sirach, 22; KAISER, Erziehung, 225; s. a. die weiterführenden Hinweise bei REITERER, Review, 37. 7 Zur Datierung des Prologs siehe u. a. SKEHAN/DI LELLA, Wisdom, 8; MARBÖCK, Buch Sirach, 408; SAUER, Ben Sira, 22 u. a. 8 Die Frage nach den Adressaten der Sirach’schen Lehre wurde in der Forschung der letzten Dezennien kontrovers diskutiert. In Abgrenzung zu älteren Arbeiten (z. B. von G. von Rad oder R. Gordis), die das elitäre Moment des Sirach’schen Adressatenkreises betont hatten, möchte H. Stadelmann Ben Sira als Volkserzieher sehen. In einem zweistufigen Bildungssystem habe er nicht nur die Ausbildung von Schriftgelehrten angestrebt, sondern vielmehr auch „alle lernwilligen ‚Ungebildeten‘ (Sir 50,23) im Rahmen seines Volkserziehungsprogramms“ zum Erlangen weisheitlicher Bildung eingeladen (STADELMANN, Ben Sira als Schriftgelehrter, 293–298). Während sich R. RIESNER, Jesus als Lehrer. Eine Untersuchung zum Ursprung der Evangelien-Überlieferung (WUNT II/7), Tübingen, 3., erw. Aufl. 1987, 166f. dieser These anschloss, sehen neuere Arbeiten Ben Siras Adressaten wieder in der Oberschicht (so z. B. O. WISCHMEYER, Die Kultur des Buches Jesus Sirach [BZNW 77], Berlin u. a. 1995, 181; KAISER, Erziehung, 224). Ben Siras Aussage vom Verströmen der Bildung in Sir 24,23 ist zunächst ja eine Metapher und kann nicht unmittelbar soziologisch ausgewertet werden; zudem sprechen die Ausführungen zu Bauern und Handwerkern eine deutliche Sprache. Verschiedene Adressatenkreise der Lehre Sirachs möchte F. Böhmisch annehmen. Er geht davon aus, dass sich die Sirach’sche Lehre, die sich schließlich in dessen Weisheitsbuch niederschlug, an insgesamt fünf verschiedene Adressatenkreise richtete. Dies waren zunächst Sirachs Schüler aus „wohlhabenden und kulturell herausragenden Familien“, die auf „ihre Rolle in der Gesellschaft herangebildet werden“ sollten (F. BÖHMISCH, Die Textformen des Sirachbuches und ihre Zielgruppen, Protokolle zur Bibel 6,2 [1997] 87–122, hier: 93). Einer breiteren Öffentlichkeit wendet sich dann das verschriftete Buch insgesamt zu (BÖHMISCH, Textformen, 94 mit Rekurs auf Sir 33,16–18). Weitere Zielgruppen des Buches sind die Anführer des Volkes (BÖHMISCH, Textformen, 95 mit Rekurs auf 33,19) sowie die Aaroniden (BÖHMISCH, Textformen, 96f. mit Rekurs auf Sir 44–50). Mit Sir 24,30–33 „entgrenzt“ Sirach dann seine Adressatengruppe „in Raum und Zeit“ (BÖHMISCH, Textformen, 101). Es ist sicherlich richtig, dass zwischen dem konkreten Adressatenkreis der mündlichen und dem der verschrifteten Botschaft prinzipiell unterschieden werden muss. Allerdings sollte man den spezifischen Charakter der Literalität in der Antike – und damit auch im hellenistischen Judäa – beachten. Die antiken Texte eigneten sich in der Regel nicht dazu, einfach so gelesen zu werden. Selbst wenn man Lesen und Schreiben beherrschte, bedurfte es eines intensiven Studiums, um sich die schriftlich niedergelegten Überlieferungen zu erschließen. Vor diesem Hintergrund ist eine Massenverbreitung des Sirach’schen Buches eher unwahrscheinlich. Zur Literalität in der Antike s. D. CARR, Writing on the Tablet of the Heart. Origins of Scripture and Literature, Oxford 2005; C. HEZSER, Jewish Literacy in Roman Palestine, Tübingen 2001.
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richtet sind. Zentrale Themen der Unterweisung sind der rechte Umgang mit Höhergestellten, mit Eltern und Kindern, mit Armut und Reichtum oder das richtige Reden und Schweigen – all das wird hier entfaltet, und so kann man mit Otto Kaiser zusammenfassend feststellen: „Erziehungsziel ist der sich unter Menschen seines Wertes bewußte, Gott fürchtende und daher vor ihm demütige und zugleich gebildete junge Mann, der als solcher zur rechten Zeit zu reden und zu schweigen versteht.“9 Wenn der Text einerseits eine verschriftete Form der Unterweisung darstellt, so enthält er andererseits aber auch explizite Ausführungen zu Lern- und Lehrprozessen. Thematisiert wird sowohl der Prozess der Traditionsaneignung des Schriftgelehrten als auch dessen Lehrtätigkeit, für die sowohl die mündliche Unterweisung als auch die Verschriftung der Lehrinhalte eine wichtige Rolle spielt. Obwohl David Carr in seiner Studie „Writing on the Tablet of the Heart“, das im Jahre 2005 erschien, das Werk Ben Siras als Hauptzeuge für Textualität und Bildung der vormakkabäischen Zeit bezeichnet hat, steht eine nähere Betrachtung der Lehr- und Lernkonzeption Sirachs, die eigens auch auf den Aspekt der Schriftlichkeit im Kontext dieser Überlieferung abhebt, noch aus.10 Um diesem Forschungsdesiderat zu begegnen, möchte sich diese kleine Studie im Folgenden nach Ausführungen über den Stand des Schriftgelehrten (Sir 38; 24; 39,1–11), in denen explizit über Lernprozesse gesprochen wird (1), knapp mit dem inhaltlichen Aspekt der Lehre und Unterweisung im Sirachbuch beschäftigen (2). Überlegungen zum Prolog des Sirachbuches, in dem der Enkel des Weisheitslehrers zu Wort kommt (3), sowie ein Ausblick auf Lernkonzepte im rabbinischen Judentum (4) schließen die Arbeit.
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KAISER, Erziehung, 234. Zu den Lehrinhalten im Einzelnen s. u. S. 209 ff. Im Anschluss an meinen Vortrag machte mich Herr Kollege Prof. Dr. S. Kreuzer auf die von ihm betreute Dissertation von Frank Ueberschaer mit dem Titel „Weisheit und Bildung. Eine Studie zum weisheitlichen Bildungsverständnis und zum Bildungsgeschehen nach dem Buch Ben Sira“ (Wuppertal 2007) aufmerksam. Diese Arbeit stellt einen umfassenden Überblick zur Lernthematik bei Ben Sira dar und widmet sich u. a. auch dem anthropologischen Aspekt des Sirach’schen Bildungsverständnisses sowie Ben Siras Selbstverständnis und „Bildungshemmnissen und Grenzen der Weisheit“. Auf die Thematik „Mündlichkeit/Schriftlichkeit“ wird nur am Rande eingegangen. Ich danke Herrn Ueberschaer, dass er mir auf meine Bitte hin für die Fertigstellung des Manuskripts Einsicht in seine damals noch nicht publizierte Dissertation gab. Seine Arbeit ist zwischenzeitlich unter dem Titel „Weisheit aus der Begegnung. Bildung nach dem Buch Ben Sira“ in BZAW 379 erscheinen. Die Verweise beziehen sich nun auf die Druckfassung. 10
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1. Das Studium des Schriftgelehrten Interessant im Hinblick auf die Aneignung des Traditionsstoffes sind zunächst die Ausführungen zum Stand des Schriftgelehrten, die sich in Sir 38,24; 39,1–11 finden.11 Diese lassen sich folgendermaßen gliedern: (1) 38,34c–39,3: die Forschertätigkeit des Schriftgelehrten, (2) 39,4: die Auslandsreisen des Schriftgelehrten, (3) 39,5: das Gebet des Schriftgelehrten, (4) 39,6ff: die Inspiration des Schriftgelehrten, (5) 39,9ff: der Nachruhm des Schriftgelehrten.12 Interessant für die hier vorliegende Fragestellung nach der Relation von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist zunächst die erste Strophe dieses Abschnitts Sir 38,24c–39,3, in der die Forschertätigkeit des Schriftgelehrten in den Blick genommen wird. Hier nämlich heißt es: 34 ... Anders (sc. als die Handwerker ist) der, der sich selbst dahingibt (tou/ evpidido,ntoj th.n yuch.n auvtou/) und über das Gesetz des Höchsten nachsinnt (kai. dianooume,nou evn no,mw| u`yi,stou). 1 Die Weisheit aller Vorfahren erforscht er (sofi,an pa,ntwn avrcai,wn evkzhth,sei), und um die Prophezeiungen ist er bemüht (kai. evn profhtei,aij avscolhqh,setai). 2 Die Erklärungen berühmter Männer bedenkt er (dih,ghsin avndrw/n ovnomastw/n sunthrh,sei), und in die Gedanken der Sprüche dringt er ein (kai. evn strofai/j parabolw/n suneiseleu,setai), 3 die Geheimnisse der Gleichnisse erforscht er (avpo,krufa paroimiw/n evkzhth,sei), und um die Rätsel der Sinnsprüche müht er sich (kai. evn aivni,gmasi parabolw/n avnastrafh,setai).13
Das Studium des Schriftgelehrten ist somit dem „Gesetz des Höchsten“, „der Weisheit aller Vorfahren“, den „Prophezeiungen“, den „Erklärungen berühmter Männer“, den „Gedanken der Sprüche“ sowie den „Geheimnissen der Gleichnisse“ gewidmet. Ein eindeutiger Bezug dieser Elemente zu den Teilen des späteren Kanons kann nicht hergestellt werden, und es ist durchaus plausi-
11 Zu diesem Text allgemein s. J. MARBÖCK, Sir 38,24 – 39,11: Der schriftgelehrte Weise. Ein Beitrag zu Gestalt und Werk Ben Siras, in: M. GILBERT (Hg.), La sagesse de l’Ancient Testament. Nouvelle édition mise à jour (BEThL 51), Leuven 1990, 293–316; L. SCHRADER, Beruf, Arbeit und Muße als Sinnerfüllung bei Jesus Sirach, in: R. EGGER-WENZEL/I. KRAMMER (Hgg.), Der Einzelne und seine Gemeinschaft (BZAW 270), Berlin u. a. 1998, 117–149, hier: 130–133; STADELMANN, Ben Sira, 216–243; U. WICKE-REUTTER, Göttliche Providenz und menschliche Verantwortung bei Ben Sira und in der frühen Stoa (BZAW 298), Berlin u. a. 2000, 188–223; s. a. jetzt auch F. UEBERSCHAER, Weisheit, 310–317. 12 Zu diesen Gliederung s. SCHRADER, Beruf, 131. 13 Dieser Text, der nur auf Griechisch erhalten ist, wird in der Übersetzung von SAUER, Ben Sira, 268f. zitiert.
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bel, dass sich das Studium des Sofer auch auf Traditionen bezog, die über den Umfang des späteren Kanons hinausgingen.14 Eindeutig freilich ist die Referenz auf das Studium des Pentateuchs. In diesem Kontext ist es offensichtlich, dass sich Ben Sira auf eine schriftlich fixierte Größe bezieht.15 Das Schriftstudium des Gelehrten ist nämlich nach dem Ideal von Ps 1,2 gestaltet. Zwar verwendet Sir 39,1 und 39,7 das griechische Verb „diane,omai“ und nicht wie LXX Ps 1,2 den Begriff „meleta,w“. Ein Blick auf die übrige griechische Überlieferung des Sirachbuches lässt aber unschwer erkennen, dass „diane,omai“ und „meleta,w“ als Synonyme gebraucht werden können. So heißt es in Sir 6,37: 37 Richte deinen Sinn (dianoou/) auf die Furcht des Höchsten und über seine Gebote sinne nach (mele,ta) allezeit!
Der griechische Text von Sir 14,20f. wiederum formuliert: 20 Wohl dem Menschen, der über die Weisheit nachsinnt (evn sofi,a| meleth,sei) und der sich um Einsicht bemüht (o`j evn sune,sei auvtou/ dialecqh,setai), 21 der seinen Sinn richtet auf ihre Wege (o` dianoou,menoj ta.j o`dou.j auvth/j evn kardi,a| auvtou/) .... und auf ihre Pfade achtet (evn toi/j avpokru,foij auvth/j evnnohqh,setai) ...
Wie in LXX Ps 1 wird auch in diesen Belegen das hebräische hgh mit meleta,w wiedergegeben. Die Aneignung der Tradition scheint darüber hinaus aber auch mit einem inspiratorischen Moment verbunden worden zu sein, denn so heißt es in Sir 39,6: „Wenn der Herr, der große, es will, wird er mit dem Geist des Verstehens gefüllt werden. Er wird kundtun Aussprüche seiner Weisheit, und im Gebet wird er den Herrn preisen“ (39,6).16 Die Aneignung der Tradition erfolgt so nicht aus eigener Kraft, sondern stellt gleichsam einen Akt der göttlichen Belehrung dar. Die Weisheitslehre Sirachs enthält damit geradezu ein prophetisches Moment.17 Diese Aussage von der göttlichen Hilfe bei der Aneignung der Tradition erinnert zunächst an Ps 119, wo das Motiv der göttlichen Beleh-
14 In diesem Sinne CARR, Writing, 209–211; SCHRADER, Beruf, 131; STADELMANN, Ben Sira, 224f. O. RICKENBACHER, Weisheitsperikopen bei Ben Sira (OBO 1), Freiburg/Schweiz 1973, 184 will hier – entsprechend der Anordnung der biblischen Bücher im Prolog – den dreigeteilten masoretischen Kanon (Sir 38,34bb; 39,1b; 39,2b) sehen. Während dies durchaus denkbar wäre, scheint ein Bezug zum späteren Septuaginta-Kanon (ausgehend von Sir 38,34bb; 39,1a; 39,1b – so z. B. DI LELLA/SKEHAN, Ben Sira, 452 – sehr unwahrscheinlich; vgl. zum Ganzen jetzt auch UEBERSCHAER, Weisheit, 220, Anm. 142. 15 Von einer schriftlichen Vorlage beim Studium geht auch SAUER, Ben Sira, 269 aus. 16 Zitiert nach SAUER, Ben Sira, 268. 17 SCHRADER, Beruf, 131f. Zum Element des Prophetischen in der Weisheitslehre des Ben Sira s. a. die Ausführungen bei M. HENGEL, Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v. Chr. (WUNT
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rung geradezu wie ein Cantus firmus erscheint.18 Freilich ist hier auf einen ganz entscheidenden Unterschied zu verweisen, der das Sirach’sche Spezifikum der göttlichen Hilfe beim Lernen deutlicher akzentuieren kann. Für Ps 119 nämlich ist die Bitte um Belehrung typisch; sie wird durch Loyalitätsaussagen des Beters vorbereitet. Die Belehrung selbst dient dann – neben der Stärkung im Tun des Gesetzes – als Beistand in der Feindesnot. Findet sich bei Sirach das Motiv der göttlichen Unterstützung beim Lernprozess nicht in der Form einer Bitte, sondern vielmehr in Aussagesätzen, so impliziert dies ein affirmatorisches Moment, das zunächst die Autorität des Lehrers unterstreicht. Interessant ist auch die Tatsache, dass hier eine allgemeine Reflektion über die Tätigkeit des Schriftgelehrten erfolgt. Dabei fällt zunächst die Diastase zwischen Handwerk und Broterwerb einerseits und dem Studium der Weisheit andererseits auf. „Wie“ – so fragt Ben Sira – „wird sich der, der den Pflug führt, zur Weisheit bilden können, und wie der, der sich rühmt mit dem Stecken des Treibers, der Rinder leitet und Ochsen wendet, und der, der seine Gedanken auf den Umgang mit dem [V]ie[h] richtet und dessen Aufmerksamkeit darauf gerichtet ist, die Mast zu vollenden, und wer seinen Verstand darauf richtet, [Fu]rc[h]en zu eggen?“ (Sir 38,25f).19 Da die Weisheit des Schriftgelehrten in Mußestunden erworben wird und nur der Weisheit erlangen kann, der frei von schwerer Arbeit ist, steht der Schriftgelehrte all denen gegenüber, die den „Bestand dieser Welt stärken“ (Sir 38,34) und deren „Gebet in der Ausübung ihrer handwerklichen Kunst (besteht)“ (Sir 39,34).20 10), 3., durchgesehene Auflage, Tübingen 1988, 246ff.: „Die Erforschung der Tora und der prophetischen Schriften setzt aber den ‚Geist der Einsicht‘ (39,6) voraus. Der Schriftgelehrte tritt damit das Erbe der Propheten ... an“; s. a. M. HENGEL, „Schriftauslegung“ und „Schriftwerdung“ in der Zeit des Zweiten Tempels, in: M. HENGEL und H. LÖHR (Hgg.), Schriftauslegung im antiken Judentum und im Urchristentum (WUNT 73), Tübingen 1994, 1–71, hier: 38f.; STADELMANN, Ben Sira, 232–246. STADELMANN unterscheidet den regulären (Sir 38,43c– 39,5) vom inspirierten (39,5–8) Schriftgelehrten. Allerdings ist es plausibler, hier zwei Aspekte der Wirksamkeit des einen Typus des Schriftgelehrten anzunehmen. UEBERSCHAER, Weisheit, 258 ist freilich zuzustimmen, dass nicht jedem Schriftgelehrten die Geistbegabung zuteil wird. 18 Vgl. hierzu ausführlich B. EGO, Zwischen Gabe und Aufgabe – Theologische Implikationen des Lernens in der alttestamentlichen und antik-jüdischen Überlieferung, in: B. EGO/H. MERKEL (Hgg.), Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung (WUNT 180), Tübingen 2005, 1–27. Auf das Motiv des lehrenden Gottes verweist nun auch UEBERSCHAER, Weisheit, 251–296; hier findet sich auch eine knappe Zusammenstellung der einschlägigen biblischen Passagen. Dabei macht Ueberschaer deutlich, dass die Aussage von Gott als Lehrer nicht nur im Kontext eines konkreten Inspirationsgeschehens stehen kann, sondern auch schöpfungstheologisch verankert ist. Prinzipiell ist alle Weisheit bei Gott und wird von ihm den Geschöpfen zugeteilt (Sir 1,1.8–10), allerdings muss der Mensch diese Erziehungsbemühung Gottes auch ergreifen. 19 Zitiert nach der Übersetzung von SAUER, Ben Sira, 84. 20 Zitiert nach der Übersetzung von SAUER, Ben Sira, 265.
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Wenn Ben Sira dem Handwerk auch eine große Wertschätzung entgegenbringt, so können die Vertreter dieses Standes doch niemals die verantwortungsvolle Aufgabe des Schriftgelehrten übernehmen, der auch in der Volksversammlung eine tragende Rolle spielt. Hier zeigt sich ein deutlicher Einfluss der griechischen Vorstellungswelt, in der sich seit dem 5. Jh. – belegt durch Aristoteles, Xenophon, Aristophanes oder Isokrates – eindeutig eine Gegenüberstellung von Gebildeten und den Handwerksbanausen beobachten lässt.21 Ihren inhaltlichen Grund könnte eine solche deutliche Differenzierung zwischen dem Gelehrtenstand und den Handwerkern darin haben, dass für Sirachs Studium die Fähigkeit des Lesens eine conditia sine qua non darstellt. Wenn die Literalität im Judäa der hellenistischen Zeit auch mehr und mehr im Anwachsen begriffen war, so sollte man diese doch nicht überschätzen. Der gewöhnliche Arbeiter und Künstler, der sowohl bei Tag als auch bei Nacht arbeitet (38,27), verfügt wohl weder über die erforderlichen Schriftkenntnisse noch über die Zeit, als dass er über das „Gesetz des Höchsten“ nachsinnen könnte.
2. Lehre und Unterweisung nach den Sprüchen des Sirachbuches Wenn Sir 39,6 davon spricht, dass der Schriftgelehrte „Aussprüche seiner Weisheit (kundtut)“ (avnombrh,sei r`h,mata sofi,aj auvtou/) und V. 8 weiß, dass er „die Zucht seiner Lehre (offenbart)“ (evkfanei/ paidei,an didaskali,aj auvtou/),22 so wird deutlich, dass das Studium des Schriftgelehrten nicht nur eine Angelegenheit seiner persönlichen Frömmigkeit, sondern auch die Basis seiner Lehrtätigkeit ist. Hier nun sind verschiedene Aspekte zu unterscheiden, da sowohl nach dem Inhalt der Lehre und nach der Person des Lehrers als auch nach dem Modus der Vermittlung der Lehre zu fragen ist. Dabei sind sowohl explizite Aussagen über das Sirachbuch zu diesen Themen heranzuziehen; es ist aber auch zu bedenken, dass der Text selbst ja als Ausdruck von Lehre zu verstehen ist und somit implizit Aussagen zu der zu verhandelnden Thematik macht. Die Beantwortung dieser Fragen soll ihren Ausgangspunkt bei Sir 24,1–47 nehmen und von da aus weitere Texte mit einbeziehen. Nachdem die Weisheit in einer Art Selbstpreis zunächst davon erzählt, wie sie als kosmische Kraft überall auf der Welt eine Wohnung suchte, um dann auf göttlichen Befehl hin auf dem Zion Wohnung zu nehmen, folgt jener be-
21 S. hierzu I. LOHMANN, Erziehung und Bildung im antiken Israel und im frühen Judentum, in: J. CHRISTES/R. KLEIN/CH. LÜTH (Hgg.), Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike, Darmstadt 2006, 183–222, hier: 215. Vgl. hierzu jetzt auch UEBERSCHAER, Weisheit, 380.
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rühmte Abschnitt, der die Weisheit mit der Tora zusammen denkt. Denn so heißt es in Sir 24,23.25–27: 23 Dies alles gilt vom Buch des Bundes des höchsten Gottes (bi,bloj diaqh,khj qeou/ u`yi,stou), das Gesetz, das uns Mose geboten hat (no,mon o]n evnetei,lato h`mi/n Mwush/j) als ein Erbteil für die Gemeinden Jakobs. ... 25 Es (das Buch des Gesetzes) füllt an mit Weisheit (pimplw/n … sofi,an) wie der Pison (mit Wasser) und wie der Tigris in den Tagen der Erstlinge. 26 Es erfüllt mit Einsicht (avnaplhrw/n … su,nesin) wie der Euphrat und wie der Jordan in den Tagen der Ernte. 27 Es lässt ausstrahlen Bildung (evkfai,nwn … paidei,an) wie der Nil und wie der Gichon in den Tagen der Weinlese ...
Deutlich wird zunächst: Das „Buch des Bundes des höchsten Gottes“, das „Gesetz des Mose“ (vgl. Dtn 33,4) erfüllt mit Weisheit (sofi,a – V. 25) und Einsicht (su,nesij – V. 26) und verströmt Bildung (paidei,a – V. 27). So können die Zusammenhänge folgendermaßen zusammengefasst werden: Die Weltweisheit gründet zunächst in der Gestalt der Tora auf dem Zion ein; durch die Identifikation der Weisheit mit dem Buch des Mosegesetzes wird die Tora in ihrer verschrifteten Form so gleichsam zum Vehikel der Weisheit.23 Diese Bewegung zum Zion hin ist aber nur ein Aspekt, den wir hier zu bedenken haben. Denn vom Zion aus sollen nun – den Paradiesströmen gleich – „Weisheit“, „Einsicht“ und „Bildung“ in die Welt hinausgehen. Besondere Bedeutung kommt hier dem interkulturellen Aspekt des Sirach’schen Bildungsverständnisses zu. Wenn die Weisheit in der Gestalt der Tora als paideia gleichsam in „israelitisierter Form“ wieder in die Weite der Welt hinein strömt, so findet hier unverkennbar eine direkte Auseinandersetzung mit dem Bildungskonzept des Hellenismus statt. Auf diese Zusammenhänge hat bereits Martin Hengel in seinem epochalen Werk „Judentum und Hellenismus“ hingewiesen;24 Elias Bickerman25 sowie auch jüngst David Carr26 haben diesen Aspekt unterstrichen und bekräftigt. Lehren und Lernen in der hellenistischen Zeit, wie sie bei Ben Sira erscheinen, sind nicht zuletzt auch als Reaktion auf die Begegnung mit der griechischen Kultur zu sehen. Das Zeitalter des Hellenismus war – um mit H. I. Marrou zu sprechen – ein „Zeitalter der Erziehung“.27 Hellene sein war – seit Isokrates – nicht eine 22
Zitiert nach der Übersetzung von SAUER, Ben Sira, 268. Zur Identifikation von Weisheit und Tora u. a. HENGEL, Judentum und Hellenismus, 284–292; J. MARBÖCK, Weisheit im Wandel. Untersuchungen zur Weisheitstheologie Ben Siras (BZAW 272), Berlin u. a., Neuauflage 1999, 77–79; WISCHMEYER, Kultur, 270–273; s. a. die weiterführenden Literaturangaben bei REITERER, Review, 48–51. 24 HENGEL, Judentum und Hellenismus, 243. 25 E. BICKERMAN, The Jews in the Greek Age, Cambridge, Massachusetts 1988, 170–174. 26 CARR, Writing, 212. 27 H.-I. MARROU, Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, Freiburg u. a. 1957, 144–148. 23
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Frage der Abstammung, sondern vielmehr eine Frage der Gesinnung, denn Grieche war, wer die griechische Kultur pflegte.28 Wenn die Weisheit in Form der Tora in Jakob Besitz genommen hat, wird auch deutlich, dass hier die Exklusivität der israelitischen Traditionen vor jeder anderen paideia formuliert wird. Dieses Anliegen fügt sich hervorragend in das weitere historische Umfeld Sirachs: Da im Jahre 175 v. Chr. auf Wunsch bestimmter Kreise in Jerusalem ein Gymnasium erbaut werden sollen (1 Makk 1,14; 2 Makk 4,9–14),29 ist zu vermuten, dass der Wunsch nach „griechischer Bildung“ schon einige Jahre vorher gleichsam in der Luft lag und der Jerusalemer Weisheitslehrer mit seinen Ausführungen über die Tora ein Gegengewicht zu setzen versucht. Mit dem Ziel, die eigene jüdische Position zu stärken, werden hier bei Ben Sira hellenistische Vorstellungen aufgegriffen und in traditionelle jüdische Vorstellungskonzepte integriert. Ben Sira steht – wie Hans Volker Kieweler prägnant formuliert hat – „nicht zwischen Judentum und Hellenismus, sondern im Judentum einer veränderten Zeit, das sich gezwungen sah, sich mit dem Phänomen des Hellenismus auseinanderzusetzen“.30 Nach dieser ausführlichen Darlegung des Wesens der Tora spricht der Dichter ab V. 30 in der 1. Person: 30 So auch ich, ich war wie ein Wassergraben, der von einem Fluss abzweigt, und wie eine Wasserleitung kam ich heraus in den Garten. 31 Ich sprach: „Tränken will ich meinen Garten, und ich will bewässern mein Beet.“ Und siehe, da wurde mir der Wassergraben zu einem Strom, und der Strom wurde mir zu einem Meer. 32 Weiterhin will ich Bildung wie Morgenröte ausstrahlen (paidei,an w`j o;rqron fwtiw/), und will (sie) offenbaren in den weiten Raum hinein (kai. evkfanw/ auvta. e[wj eivj makra,n). 33 Weiterhin will ich Lehre wie eine Prophetie ausgießen (didaskali,an w`j profhtei,an evkcew/), und will sie hinterlassen allen folgenden Geschlechtern. 28
MARROU, Geschichte, 133. Zur Institution des Gymnasiums im griechischen Osten s. A. MEHL, Erziehung zum Hellenen – Erziehung zum Weltbürger. Bemerkungen zur griechischen Schule im hellenistischen Osten, in: M. LIEDTKE (Hg.), Religiöse Erziehung und Unterricht (Schriftenreihe zum bayerischen Schulmuseum Ichenhausen 13), Bad Heilbrunn 1994, 67–86. 30 H.-V. KIEWELER, Ben Sira zwischen Judentum und Hellenismus. Eine Auseinandersetzung mit Th. Middendorp (BEATAJ 30), Frankfurt a. M. 1992, 268. Zum Ganzen auch HENGEL, Judentum und Hellenismus, 245, der dem Siraziden eine „nationale, fremdenfeindliche – ja man wird sagen dürfen antiseleukidische Haltung“ attestiert. KAISER, Erziehung, 228 spricht von einer apologetischen Tendenz Ben Siras; s. a. REITERER, Review, 40–47. Die Integration hellenistischer Philosophie in traditionelle jüdische Denkmuster zeigt auch WICKE-REUTER, Göttliche Providenz, an verschiedenen Einzelstudien auf eindrückliche Weise. 29
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34 Erkennt, daß ich mich nicht für sie allein gemüht habe, sondern für alle, die sie suchen.31
Neben das „Buch des Gesetzes“ tritt nun der Lehrer, der die paideia in die Welt hinausträgt. Wenn er, wie die Tora, „Bildung“ ausstrahlt, so wird deutlich, dass die Figur des Lehrers als eine Art Mittlergestalt der Weisheit bzw. der Tora betrachtet werden kann. Dabei ist anzunehmen, dass mit einem relativ weiten Torabegriff gerechnet werden muss. In den Weisheitslehren Ben Siras werden selbstverständlich einzelne Gebote aus den Gesetzescorpora aufgegriffen und paränetisch entfaltet.32 Dies zeigt sich insbesondere im Hinblick auf das Gebot der Elternehrung33 oder beim Gebot des Schutzes von Witwen und Waisen (Sir 4,10; Ex 22,21). Seine Lehren enthalten vor allem weisheitliche Lehrtraditionen mit den klassischen Themen des rechten Umgangs mit den Eltern (3,1–16; 7,27–28), den Kindern bzw. der Ehefrau (7,23– 26), mit anderen Personen im Haushalt (33,25–32), mit Freunden (6,5–16), sowie mit Armen bzw. mit Macht und Reichtum (4,1–10; 10,22–11,6; 13,1–14,24; 29,1–12 u. ö.). Außerdem lehrt Ben Sira bestimmte Tugenden und Verhaltensweisen wie Selbstbeherrschung und die richtige Rede (1,22–24; 5,9–16; 8,1–7; 18,30–19,12; 20,1–8; 21,11–28) oder die Bescheidenheit und Demut (3,17–29; 10,6–18).34 Er kann sich aber auch der Kosmologie (Sir 42,15–43,33) und – wie im Lob der Väter – der Geschichte Israels zuwenden (Sir 44,1–50,24).35 Von entscheidender Bedeutung ist die liturgische und prak31 Die Wiedergabe des Textes, der nur auf Griechisch erhalten ist, erfolgt nach der Übersetzung von SAUER, Ben Sira, 177–179. Zu diesem Text s. a. MARBÖCK, Weisheit im Wandel. Zum Ganzen s. B. EGO, Der Strom der Tora, in: B. EGO/A. LANGE/P. PILHOFER (Hgg.), Gemeinde ohne Tempel – Community without Temple (WUNT 118), Tübingen 1999, 205–214. 32 Zum Verhältnis der Tora zu den anderen weisheitlichen Lehren bei Ben Sira s. KAISER, Erziehung, 229: „Der fundamentalen Bedeutung der Tora aber suchte Ben Sira gerecht zu werden, indem er sie als Inbegriff aller Weisheit verherrlichte (24,23–29) und daraus die Folgerungen zog, dass der Weg zu ihr in der Furcht des Herrn (1,11–21) und ihr Wesen im Halten seiner Gebote besteht (1,26; 19,20). Der Primat der Tora hinderte den Weisen freilich nicht daran, von seiner Lebenserfahrung vernünftigen Gebrauch zu machen. Denn wenn jeder Mensch als solcher Teil an der Weisheit Gottes hat (1,1–10) und nach seiner Überzeugung sittliches Unterscheidungsvermögen und Verantwortlichkeit zu seiner natürlichen Ausstattung gehören (vgl. 17,1–7 mit 15,11–20), stehen Vernunft und Offenbarung gleichsam in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Die in einem langen Leben erworbenen Einsichten ergänzen gleichsam die göttlichen Gebote.“ Zu dieser Thematik s. a. J. MARBÖCK, Gesetz und Weisheit. Zum Verständnis des Gesetzes bei Jesus Ben Sira, in: DERS., Gottes Weisheit unter uns. Zur Theologie des Buches Sirach (HBS 6), hg. von I. FISCHER u. a., Freiburg u. a. 1995, 57–72; WISCHMEYER, Kultur, 271; E. J. SCHNABEL, Law and Wisdom from Ben Sira to Paul (WUNT II/16), Tübingen 1985. 33 S. hierzu KAISER, Erziehung, 230–233. Zum Ganzen R. BOHLEN, Die Ehrung der Eltern bei Ben Sira (BZAW270), Berlin, New York 1998, 151–178. 34 Zu den Lerninhalten jetzt ausführlich UEBERSCHAER, Weisheit, 213–238. 35 Hierzu jetzt UEBERSCHAER, Weisheit, 231–236.
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tische Einbindung allen Lernens: Das Lernen zielt letztendlich auf eine Befähigung zum Tun der Tora (Sir 21,11; 28,7).36 Darüber hinaus fordert Ben Sira aber auch zum Lobpreis Gottes auf (Sir 39,12–16; s. a. Sir 51,29).37 Es ist unschwer festzustellen, dass in den Ausführungen über die Tora und den Lehrer das aus der klassischen Zionstheologie stammende Bild der Tempelquelle, wie es in Ps 36,9; Ps 46,5 und in der Tempelvision des Ezechiel in der alttestamentlichen Überlieferung am deutlichsten zu greifen ist, rezipiert wurde. In dieser Übertragung des Motivs der Tempelquelle auf die Weisheit bzw. Lehre artikuliert sich zunächst einmal die hohe Wertschätzung dieser Elemente. Vor allem das Bild des Weisen, der mit seiner Lehre und Bildung „seinen Garten bewässert und sein Beet tränkt“, kennzeichnet diese Lehre implizit als „Wasser des Lebens“; die Lehre selbst hat somit lebensstiftende Funktion. Auffallend an dieser Metaphorik ist freilich, dass dieses Bild die Realität des Bildgebers gleichsam übersteigt. Während bei einem realen Bewässerungskanal wohl nicht damit zu rechnen ist, dass die Wassermengen anschwellen, wird hier von einer Zunahme der Wassermengen gesprochen. Das Bild enthält somit fast wunderhafte übernatürliche Züge. Der Lehrer, der seine Lehre „wie eine Prophetie“ verströmt, verweist wiederum auf das inspiratorische Moment des Lehrvorgangs; er lehrt nicht nur aus sich selbst, sondern durch göttliche „Geistbegabung“, nur so kann es zu einer solch bemerkenswerten Ausbreitung des Stoffes kommen. Damit wird hier ein Moment aufgenommen, das bereits im Kontext des Studiums des Schriftgelehrten anklang (s. 39,8).38 Sir 24, wohl einer der schönsten Texte der spätbiblischen Überlieferung, ist ein Hymnus, der die Weisheit in Gestalt der Tora preisen will und zeigt, auf welch wunderbare Weise die in der Tora inkarnierte Weltweisheit wieder in die Welt hineinströmt. Wie der konkrete Lehrvorgang – in der Sprache des Hymnus: die Bewässerung – jedoch realiter von Statten ging, darüber macht unser Text keine Angaben. Um hier ein deutliches Bild zu bekommen, müssen wir einen Blick auf weitere Überlieferungen im Sirachbuch werfen. Dabei wird deutlich, dass in der Weisheitslehre Ben Siras an zwei verschiedene Vermittlungsarten der Lehre gedacht ist. Zahlreiche Weisheitssprüche zeigen zunächst, dass der mündlichen Lehre hier ein großes Gewicht zukommt.39 So heißt es z. B. in Sir 6,32ff: 36
Hierzu jetzt UEBERSCHAER, Weisheit, 222. Für diesen Aspekt s. insbesondere ausführlich M. REITEMEYER, Weisheitslehre als Gotteslob. Psalmentheologie im Buch Jesus Sirach (BBB 127), Berlin u. a. 2000; s. a. UEBERSCHAER, Weisheit, 209–211. 38 Vgl. hierzu EGO, Strom, 208–211 mit weiterführenden Literaturangaben. Zum Ganzen jetzt auch UEBERSCHAER, Weisheit, 301–305. 39 Zur mündlichen Vermittlung der Lehre s. J. L. CRENSHAW, The Primacy of Listening in Ben Sira’s Pedagogy, in: M. L. BARRÉ (Hg.), Wisdom, You Are My Sister. Studies in Honor of 37
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32 Wenn du Gefallen daran hast, mein Kind, wirst du weise sein, und wenn du aufmerkst, wirst du klug werden. 33 Wenn du kommst, um zu hören, so öffne dein Ohr; du wirst unterwiesen werden. 34 In der Schar der Alten reihe dich ein und ihrer Weisheit schließe dich an. 35 Eine jede Unterweisung zu hören, habe Gefallen, und kein einsichtsvoller Spruch möge dir entgehen. 36 Blicke auf den, der Einsicht hat, und höre ihn dir an, und dein Fuß betrete seine Schwelle. 37 Richte deinen Sinn (!nwbth) auf die Furcht des Höchsten und seine Gebote bedenke (hgh) immerdar. So wird der dich Einsicht haben lassen, und in den Dingen, die du begehrst, wird er dich weise sein lassen.40
Dieser Abschnitt zeigt übrigens auch, dass das inspiratorische Moment des Lernens nicht nur ein Proprium des Schriftgelehrten ist, sondern auch für das Lernen des Schülers gilt. Die Einsicht in und das Verständnis für den Lehrstoff kommen letztendlich von Gott selbst und sind nicht frei verfügbar. 41 Mit einer solchen Aussage soll den Angesprochenen Mut gemacht werden, sich der Weisheit in Gestalt der Lehre zuzuwenden. Vor diesem Hintergrund kann die Gestalt des Lehrers sogar ganz zurücktreten und die Weisheit als Subjekt der Lehre erscheinen; die „Weisheit lehrt ihre Kinder, und sie bezeugt sich all denen, die Einsicht durch sie haben wollen“ (4,11).42 In einem ähnlichen Bild formuliert Sir 15,2–4 die Zusammenhänge: 2 Sie begegnet ihm wie eine Mutter, und wie eine Braut nimmt sie ihn auf. 3 Sie speist ihn mit dem Brot der Einsicht (lkX ~xl), und mit dem Wasser des Verstehens (hnwbt ym) tränkt sie ihn. 4 Er stützt sich auf sie und wird dadurch nicht wanken. Auf sie vertraut er und wird dadurch nicht enttäuscht.43
Roland E. Murphy, Washington D.C. 1997, 180–187, 7; CARR, Writing, 212; WISCHMEYER, Kultur, 185–186; KAISER, Erziehung, 224. S. u. a. Sir 3,1; 3,29. R. DORAN, Jewish Education in the Seleucid Period, in: P. R. DAVIES/J. M. HALLIGAN (Hgg.), Second Temple Studies, III (JSOT 340), Sheffield 2002, 116–132, hier: 120–122 verweist auf griechische Belege, die ebenfalls die Bedeutung mündlicher Unterweisung in den Vordergrund stellen. Zum Lehrvortrag jetzt auch UEBERSCHAER, Weisheit, 202f. 40 Zitiert nach der Übersetzung von SAUER, Ben Sira, 84; der Text ist – abgesehen von V. 34 – auch in den hebräischen Manuskripten erhalten. Zu Sir 6,18–37 jetzt ausführlich UEBERSCHAER, Weisheit, 194–202. Zu diesem Text s. a. ganz knapp T. VEGGE, Paulus und das antike Schulwesen. Schule und Bildung bei Paulus (BZNW 134), Berlin u. a. 2006, 103. 41 Vgl. zu dieser Vorstellung oben S. 207f. 42 Zitiert nach der Übersetzung von SAUER, Ben Sira, 129. 43 Zitiert nach der Übersetzung von SAUER, Ben Sira, 129. Vgl. zu diesem Text MARBÖCK, Weisheit im Wandel, 104–113. Zur Personifikation der Weisheit, ibid.: „Die Gestalt der Weis-
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Ludger Schwienhorst-Schönberger hat die Personifizierung der Weisheit im Hinblick auf das Proverbienbuch sehr treffend beschrieben: Die sog. Personifizierung der Weisheit ist mehr als ein bloßes Stilelement; das Verhältnis zwischen Schüler und Weisheit ist vielmehr personal-kommunikativer Art. Wenn die Weisheit als Frau in unterschiedlichen Rollen dargestellt wird, so impliziert dies, dass der Lernstoff nicht als tote Materie empfunden wird, die man sich mit verschiedenen mnemotechnischen Finessen einzuverleiben versucht, sondern vielmehr als eine lebendige Größe, die ihre eigene Faszination ausstrahlt.44 Weitere Beispiele für die Bedeutung der Mündlichkeit beim Lehrvorgang können an dieser Stelle angefügt werden. So heißt es z. B. in Sir 8,8: 8 Verwirf nicht die Reden der Weisen, ihren Rätselsprüchen wende dich vielmehr zu. 9 Denn dadurch wirst du Lehre erlangen (xql), um vor Fürsten hintreten zu können. 9 Verachte nicht die Erzählungen der Alten, die sie selbst von ihren Vätern gehört haben. Denn durch sie erhältst du Einsicht (lkX), um im rechten Augenblick eine Antwort geben zu können.45
heit trägt bei Sirach noch stärker als im Spruchbuch (Spr 4,6–9; 7,4; 9,1–5) die Züge der Braut ... . Die wechselnden Attribute wie Mutter (vgl. Schwester in Sir 21,22–24), Frau der Jugendzeit (Spr 5,18; Jes 54,6; Jer 3,4), das Bild der Geliebten als schützender Baum (in Hl 2,3 vom Bräutigam) müssen offenbar poetisch verstanden werden und wollen die Kraft und alles Interesse der Jugend auf die Weisheit lenken“ (109). Zu Sir 14,20–15,10 s. a. UEBERSCHAER, Weisheit, 268–277. Ueberschaer weist zurecht darauf hin, dass die Weisheit – der Tradition folgend – als Frau dargestellt wird; anders als in den älteren Texten schickt sie aber nicht nur ihre Mägde aus, sondern kommt direkt auf den Schüler zu (274). 44 UEBERSCHAER, Weisheit, 293–296 reflektiert über das Verhältnis beider Traditionslinien, wonach sowohl Gott als auch die Weisheit als Lehrpersonen dargestellt werden können. Nach Ueberschaer ist die Weisheit in diesem Zusammenhang aktiver dargestellt; „Gott bleibt gegenüber dem Menschen distanziert. Er ist nicht nur in dem von Ben Sira beschriebenen Setting der erhabene Eine auf dem Thron, der höchste Gott (!wyl[ la; z. B. Sir 6,37; 44,2.20; 46,5; 47,5), er begegnet dem Menschen im Bildungsgeschehen auch nicht unmittelbar. Gott teilt die Weisheit in einem hoheitlichen Akt zu. Er erzieht und lehrt auch, aber offenbar eher in einem allgemeinen, dem Menschen Richtung gebenden Sinn, wie beispielsweise durch die Tora. Am nächsten mag er dem Menschen kommen, wenn dieser mit dem Geist des Verstehens erfüllt wird. Doch nimmt sich Ben Sira sofort wieder zurück, indem er diesen Vorgang im Passivum divinum beschreibt und auf diese Weise wieder Distanz zwischen dem Menschen und Gott schafft. So tritt Gott als Gegenüber im Bildungsgeschehen stark in den Hintergrund. Die Weisheit zeichnet Ben Sira dagegen ganz anders. Sie kommt auf den Menschen zu, sie empfängt ihn und gibt ihm bildlich gesprochen Nahrung, das heißt sie stärkt ihre Schüler und gibt ihnen ein Zuhause. Hier geschieht echte Begegnung. Es entsteht eine Beziehung, die beide Seiten – Schüler und Weisheit – pflegen müssen“ (295). 45 Zitiert nach der Übersetzung von SAUER, Ben Sira, 95f. UEBERSCHAER, Weisheit, 203 verweist in diesem Kontext auf die Methode des Lehrgesprächs.
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Daneben scheint aber auch das „informelle Lernen“46 und der Kontakt mit den „richtigen Leuten“ beim Erwerb von Weisheit eine bedeutende Rolle zu spielen. Denn so heißt es in Sir 9,14: 14 Soweit es in deiner Kraft steht, antworte deinem Nächsten und mit Weisen halte Gespräche. 15 Mit verständigen Menschen (!wbn) unterrede dich, und all deine Rede geschehe mitten unter ihnen.47
Bezeichnend für die Mündlichkeit der Lehre ist schließlich auch die Rede Ben Siras am Ende seiner Schrift in Sir 51,21–28. Nachdem der Dichter seine affektive Beziehung zur Weisheit in glühenden Worten geschildert hat, hören wir hier die folgenden Sätze: 21 Mein Inneres ist so erregt wie ein Ofen, sie zu schauen, weil dies so ist, erwerbe ich sie als guten Besitz. 22 Es hat mir der Herr als Lohn meine Lippen gegeben, und mit meiner Zunge will ich ihn preisen. 23 Wendet euch mir zu, ihr Ungebildeten, und ruht euch aus im Hause meiner Lehre (yvrdm tybb). 24 Wie lange noch wollt ihr Mangel leiden an diesem und jenem und wollt durstig gar sehr bleiben? 25 Meinen Mund tat ich auf und redete von ihr, kauft euch Weisheit ohne Geld! 26 Euren Nacken beugt unter ihr Joch und tragt selbst ihre Last! Nahe ist sie denen, die sie suchen, und der, der sich selbst ihr hingibt, wird sie finden. 27 Seht mit euren Augen, daß ich einst klein gewesen bin, aber fest bei ihr stand und sie dadurch gefunden habe. 28 Viele waren es, die haben gehört meine Lehre in meiner Jugend, Silber und Gold werdet ihr durch mich erwerben. 29 Ich habe Freude an meinem Lehrhaus (ytbvyb), und auch ihr werdet euch über mein Lied nicht schämen. 48
Dieser Abschnitt führt zu der Frage nach dem „Sitz im Leben“ der mündlichen Unterweisung Ben Siras. Während ein Teil der Ausleger – so auch Otto Kaiser – hier beim Terminus „Lehrhaus“ von einer Metapher für Ben Siras Lehre bzw. für sein Buch ausgehen möchte,49 plädieren andere wiederum für ein 46 Zum informellen Lernen siehe u. a. B. OVERWIEN, Stichwort: Informelles Lernen, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 8 (2005) 339–355. 47 Zitiert nach der Übersetzung von SAUER, Ben Sira, 102. 48 Zitiert nach SAUER, Ben Sira, 349f.; zu diesem Text s. a. SKEHAN/DI LELLA, Ben Sira, 574f.; s. a. 403 plädieren dafür, mit LXX (hier V. 23: evn oi;kw| paidei,aj) und Syr anstelle von „vrdm tyb“ „rswm tyb“ zu lesen; zum Ganzen s. a. S. BYRSKOG, Jesus the Only Teacher. Didactic Authority and Transmission in Ancient Israel, Ancient Judaism and the Matthean Community (Coniectanea Biblica. New Testament Series 24), Stockholm 1994, 67–69. 49 KAISER, 223: „eine metaphorische Empfehlung seines Buches“.
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wörtliches Verständnis dieses Begriffes. Bereits Martin Hengel hat in seinem Werk „Judentum und Hellenismus“ Ben Sira als „Weisheitslehrer mit einem festen Schulbetrieb“ charakterisiert; das hier genannte Lehrhaus und den Sitz des Lehrers wollte er „mit der Entwicklung des Synagogeninstituts in Palästina“ zusammen sehen.50 Bis in die jüngste Zeit finden sich immer wieder zahlreiche Autoren – so z. B. der schwedische Neutestamentler Samuel Byrskog, David Carr oder Tor Vegge – die sich dieser konkreten Auffassung des Begriffs angeschlossen haben.51 Differenzierter äußert sich Oda Wischmeyer zu der Problematik, wenn diese in ihrem Werk „Die Kultur des Buches Sirach“ (1995) schreibt: „Das vielzitierte vrdmh tyb (oi=koõ paidei,aõ) 51,23 ist in keinem Fall eine Schule gewesen, auch wenn es sich bei diesem Ausdruck um die hebräische Urfassung handeln sollte. Dieser Ausdruck gehört in die Hausmetaphorik, die für Sirachs Weisheitstopik charakteristisch ist. Es muß bis auf weiteres dabei bleiben, daß wir nach der Episode mit dem Gymnasion von 175 v. Chr. erst für das 1. Jh. v. Chr. von Schulen in Israel wissen, die sich so schnell durchsetzten, daß sie im 1. Jh. n. Chr. eine verpflichtende Einrichtung wurden. Für die Sirachzeit selbst kann der Umstand, daß Sirach in seiner Erziehungsschrift nirgends auf ein öffentliches Schulwesen hinweist, natürlich nicht so verstanden werden, als schließe dies die Existenz von Schulen aus. Vielmehr folgt nur daraus, daß solche – möglicherweise schon bestehende – Elementarschulen für Sirachs Sicht keine Bedeutung im Rahmen der weisheitlichen paidei,a hatten. Sirachs Bildungswelt ist weder die einer rabbinischen Elementar- oder Toraschule noch einer privaten griechischen Elementarschule.“ Man hat zunächst den Eindruck, Oda Wischmeyer wolle den Begriff des „Lehrhauses“ auch ins Metaphorische auflösen. Die sich anschließenden Ausführungen zeigen allerdings, dass sie den Begriff durchaus konkret verstehen möchte. Denn sie stellt zusammenfassend fest, dass Ben Siras Schrift „nicht
50 HENGEL, Judentum und Hellenismus, 145.243. Von einem Lehrhaus geht auch J. Marböck aus; er sieht diese Institution in Verbindung mit den im Dekret des Antiochus III. (um 197) erwähnten Tempelschreibern, wobei freilich eine direkte Beziehung nicht nachzuweisen sei: „Da aber die Bildung und die Funktion dieser Leute damals sicher über bloß technische Schreibarbeiten hinausging, ist eine Verbindung dieser Kreise mit dem Lehrhaus Ben Siras durchaus möglich, ja wahrscheinlich“ (MARBÖCK, Weisheit im Wandel, 96). 51 BYRSKOG, Jesus, 67–69; VEGGE, 103. I. Lohmanns Behauptung im „Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike“, wonach „heute kaum noch angenommen [werde], daß Ben Sira eine regelrechte Schule führte, in welcher er nach Weisheit suchende oder nach Ämtern strebende Schüler kostenlos unterrichtete, sondern daß der Hinweis auf ‚mein Lehrhaus‘ bildhaft für die Weisheitskonzeption der Toragelehrtheit jener Epoche“ stehe, trifft auf jeden Fall so apodiktisch formuliert nicht zu; s. hierzu LOHMANN, Erziehung, 215. Auch in der Dissertation von Frank Ueberschaer wird die Existenz einer Weisheitsschule des Siraziden fraglos vorausgesetzt; s. hierzu UEBERSCHAER, Weisheit, 108 und 193.
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Zeuge irgendeiner Form öffentlicher Schulen, sondern allein einer privaten Weisheitsschule (ist) ..., die als Größe sui generis aufgefasst werden muss“.52 Die Lehre Ben Siras wurde aber nicht nur – sei es nun in einem offiziellen „Lehrhaus“ oder in halbprivater Runde – mündlich vorgetragen, sie wurde auch – sei es durch ihn selbst oder durch einen damit beauftragten Schreiber – verschriftet. Darauf deutet zunächst eindeutig Sir 39,32 hin, wo es heißt: 32 Darum habe ich mich von Anfang an fest daran gehalten und habe es genau bedacht und nun in meinem Buch niedergelegt.53
Nur vor dem Hintergrund einer Verschriftlichung des Lernstoffes lässt es sich auch erklären, dass Ben Sira in seinen Ausführungen in Sir 24,33 sagen kann, dass er die Lehre, die er wie Prophetie ausgießt, „allen folgenden Geschlechtern“ hinterlassen möchte. Auch die Aussage, dass die Einsicht des Schriftgelehrten „bis in Ewigkeit nicht vergessen wird“ und dass sein Name von Geschlecht zu Geschlecht (Sir 38,9) leben wird, deutet auf eine solche Verstetigung hin, deren Medium eigentlich neben der Erinnerung nur die Schrift sein kann.54 Schließlich ist auch das Postskript, in dem übrigens noch einmal das meditative und inspiratorische Moment der Lehre zum Ausdruck kommt, in diesem Zusammenhang zu sehen. So heißt es in Sir 50,27–29: 27 Erziehung, Einsicht und Spruchdichtung (lXwmw lkX rswm) der (verschiedenen) Lebenslagen von Simon, dem Sohn des Jeschua, dem Sohn des Eleasar, dem Sohn des Sira, die hervorsprudelten aus der Erforschung seines Sinnes (!bl rwtpb [bn rXa), und die er hervorsprudeln ließ aus Einsicht (twnwbtb [ybh rXa). 28 Wohl dem Manne, der über sie nachsinnt (hghy hlab Xyah yrXa), und der, der sie im Sinn behält, wird weise werden (~kxy wbl l[ !twn). 29 Denn die Furcht des Herrn bedeutet Leben.55
Die enge Beziehung dieser Aussage zu Ps 1,2, die durch die Verwendung des Verbs hgh zum Ausdruck kommt, lässt vermuten, dass gerade die Lehre in ihrer schriftlichen Form Gegenstand des Sinnens sein soll; die Aufzeichnung der Weisheitssprüche würde dann sogar als eine Art Lehrbuch dienen. Da das Objekt des Sinnens in Ps 1,2 Gottes Weisung in der Gestalt der Tora ist, stellt Ben Sira seine eigene Lehre damit indirekt in die Nähe der Tora, und es ist zu überlegen, ob hier bereits das spätere jüdische Traditionsprinzip der mündlichen und schriftlichen Tora anklingt.
52 53
WISCHMEYER, Kultur, 176–177. Zitiert nach SAUER, Ben Sira, 272. Siehe hierzu knapp auch UEBERSCHAER, Weisheit,
211. 54
Dieser Aspekt kommt auch in Sir 15,6; 37,26; 39,9; 40,19 zum Ausdruck; hierzu UEBER-
SCHAER, Weisheit, 211f. 55
Zitiert nach der Übersetzung von SAUER, Ben Sira, 343.
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3. Die Ausführungen des Enkels im Prolog des Sirachbuches Ich möchte meine Ausführungen mit einem Blick auf den Prolog des Sirachbuches abschließen. Hier in diesem Text äußert sich der Enkel des Meisters im 38. Jahr des Euergetes, d. h. im Jahre 132 v. Chr., in Ägypten nicht nur über die Probleme, die sich bei der Übersetzung des hebräischen Textes ins Griechische ergaben, sondern auch über grundlegende Lern- und Lehrzusammenhänge. (1) Viele und große (Überlieferungen) sind uns durch das Gesetz und durch die Propheten (2) und durch die anderen, die ihnen nachfolgten, gegeben worden. (3) Es ziemt sich aber, darüber Israel wegen der darin enthaltenen Lehre und Weisheit zu loben. (4) Da nun nicht nur die allein, die (diese Schriften) lesen können, Verständnis erhalten sollen, (5) sondern auch die, die gerne lernen wollen, in die Lage versetzt werden sollen, auch denen, die sich außerhalb befinden, in der Lehre hilfreich zu sein (6) durch Worte und Schriften (avlla. kai. toi/j evkto.j du,nasqai tou.j filomaqou/ntaj crhsi,mouj ei=nai (6) kai. le,gontaj kai. gra,fontaj), (7) nahm sich mein Großvater Jesus, der sich gar selbst (8) um die Erkenntnis des Gesetzes (9) und der Propheten (10) und der anderen Bücher der Väter (11) bemüht hatte, vor, (12) auch selbst das niederzuschreiben, was sich mit der Erziehung und Weisheit beschäftigt.
Wenn der Enkel des Siraziden eingangs explizit auf das Ziel der Arbeit seines Großvaters verweist, so kommt außer der bereits erwähnten Bestimmung zu einem Lehrbuch, wie sie im Epilog des Siraziden anklang, ein weiterer Zweck der Abfassung von dessen Bildungsbuch zum Ausdruck: Sein Großvater – so der Enkel – habe sein Werk im Anschluss an die Lektüre der ererbten Schriften zusammengestellt, damit nicht nur die Lesekundigen Verständnis erhalten sollen, sondern um „auch denen, die sich außerhalb befinden, in der Lehre hilfreich zu sein (6) durch Worte und Schriften.“56 Franz Böhmisch hat diese Zusammenhänge mit folgenden Worten treffend formuliert: „Die Zielgruppe Ben Siras wird also vom Enkel in den toragelehrten Schreibern gesehen, die durch Ben Siras Werk nicht nur selber Bildung erwerben sollen, sondern auch die Befähigung, diese Bildung an die Außenstehenden (nämlich außerhalb der Torakundigen) weiterzugeben.“57 Die verschriftete Lehre Ben Siras ist somit nicht nur ein Studienbuch, sondern auch ein Handbuch für Lehrer geworden, das gleichsam als schriftliche Grundlage hinter dem Unterrichtsgeschehen steht. Damit schließt sich der Kreis: Siras Studium der Schrift führt sowohl zur mündlichen Lehre und als auch zu ihrer Verschriftung; die Verschriftung steht wiederum am Anfang des Selbststudiums, aus der Verschriftung entsteht aber auch aufs Neue eine mündliche Unterweisung. Bezeichnenderweise greift der Enkel hier die für Ben Siras Lehre so zentralen Termini sofia und paideia auf, um das Werk seines Großvaters zu charakteri56
Übersetzung dieser schwierigen Passage nach SAUER, Ben Sira, 36f. BÖHMISCH, Kommentar zu Ben Sira (http://www.animabit.de/bibel/sir00.htm; 27.9.2007). 57
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sieren. Letztendlich soll diese Unterweisung einem Leben nach dem Gesetz dienen. Eine weitere Funktion der verschrifteten Lehre kommt hinzu, wenn wir abschließend einen Blick auf die Zielsetzung werfen, die der Enkel Ben Siras mit seiner Übersetzung verfolgt. ... (15) Laßt euch nun ermahnen, (16) mit guter Gesinnung und Aufmerksamkeit (17) die folgende Lektüre voranzutreiben ... (33) Ich vollendete das Buch und gab es heraus (34) auch für die, die an anderen Orten wohnen und lernen wollen (kai. toi/j evn th|/ paroiki,a| boulome,noij filomaqei/n), (35) ihren Lebenswandel nach eigenem Vorsatz im Sinne des Gesetzes zu führen.58
Wenn der Enkel des Siraziden im Prolog sein Publikum bittet, sich „mit guter Gesinnung und Aufmerksamkeit“ an die Lektüre zu begeben, so zeigt er, dass auch seine Übersetzung als ein Studierbuch dienen soll. Dabei hat er nun als Adressaten diejenigen im Blick, die „an anderen Orten“ oder auch „in der Ferne“ (evn th/| paroiki,a|) wohnhaft sind. Mit großer Wahrscheinlichkeit denkt der Enkel hier an die Diaspora. So wird die Lehre seines Großvaters in ganz andere räumliche Dimensionen gestellt. Aber auch hier ist das Ziel der Unterweisung letztlich dasselbe: Die Lehre dient der Praxis, dem Leben nach dem Gesetz.59 Ben Siras Buch, so legt es der Epilog nahe, scheint – wie auch die Tora – eine Art Studienbuch gewesen zu sein, in das sich der Einzelne studierendmeditierend versenken konnte. Was aber war die Rolle der verschrifteten Lehre im Unterrichtsgeschehen selber? Wurde die Weisheitsschrift vom Lehrer im Unterrichtsgeschehen direkt herangezogen oder war sie eher eine Art Handbuch, das im Hintergrund gleichsam zur Vorbereitung gelesen wurde? Oder studierten die Schüler selbst mit Hilfe eines Lehrers die Schrift des Siraziden? Auf all diese Fragen gibt uns das Buch keine Antwort. Sie können freilich abschließend ausblicksartig einen weiteren Horizont eröffnen und uns auf Lernprozesse im rabbinischen Judentum blicken lassen. Nun im rabbinischen Judentum wird die verschriftete Tradition von ihrer verschrifteten Auslegung deutlich voneinander differenziert: Während die Traditionen aus dem Tanakh im gemeinsamen Unterrichtsgeschehen in der Kinderschule in schriftlicher Form vorliegen und so schriftlich und mündlich 58
Übersetzung nach SAUER, Ben Sira, 36. Vgl. zu diesem Aspekt Böhmisch in seinem Kommentar: „‚Denen draußen‘ bzw. ‚in der Fremde‘ wird also von seiner Erfahrung her konkretisiert. Die Übersetzungsaufgabe ist für ihn umso dringlicher, da er in Ägypten ‚einer nicht geringen Bildung Vergleichbares‘ vorfindet. Einerseits will er damit an die hohe Bildung der Diasporajuden anknüpfen, andererseits auch in der Konkurrenz mit der hohen Bildung im Gastland die jüdische Weisheitstradition der hellenistischen Bildung als gleichwertig entgegensetzen (Anspielung auf Dtn 4,6). Seine Übersetzung ist also auch apologetisch motiviert. Er versteht sich und seine Leser als Multiplikatoren.“ 59
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eingeübt werden, finden sich – so Günter Stemberger – an keiner Stelle Hinweise darauf, dass man für den Unterricht von Halakha und Haggada im Lehrhaus eine schriftliche Grundlage hatte. Zu diesem Bild eines auf Mündlichkeit beschränkten Unterrichts passt sehr gut, dass in den rabbinischen Texten häufig die Bedeutung des Auswendiglernens betont wird. Der Lernstoff wurde durch den sog. Tanna eingebracht, eine Person, die eine möglichst große Menge an Stoff auswendig rezitieren konnte und die den Stoff dann durch ständiges wiederholtes Vorsagen weitergab. Zuerst einmal galt es zu lernen, auch wenn man das Gelernte nicht verstand; über den Sinn des Textes nachdenken konnte man auch später (bAZ 19a; bShab 63a). „Wer einen Abschnitt hundertmal wiederholt, ist nicht mit dem zu vergleichen, der ihn hunderteinmal wiederholt“, heißt es einmal in einem Diktum Hillels in bHag 9b.60 Das gemeinschaftliche Lernen basierte also, nach allem, was wir den rabbinischen Schriften entnehmen können, primär auf mündlicher Weitergabe. Dies passt zu dem immer wieder zu lesenden Verbot, die Halacha zu verschriftlichen. Da die rabbinische Literatur aber andererseits auch zahlreiche Belege enthält, die eindeutig Verschriftungen des Lernstoffes bezeugen, erscheint es plausibel, dass diese als Gedächtnisstütze angefertigt wurden, auf die man ggf. außerhalb des eigentlichen Unterrichts zurückgreifen konnte. Nur so lässt es sich erklären, dass der Talmud relativ häufig erwähnt, dass jemand, der im Schulhaus etwas nicht wusste, „hinausging, prüfte und fand“ (nafaq, daq we-aschkach – bBer 19a; bPes 19a; bHag 19a; bYeb 36a; 105a; bKet 81b u. ö.).61 Auf diese Art und Weise erfährt der Traditionsstoff durch den praktischen Gebrauch eine eindeutige Wertung und Hierarchisierung. Alle Belege, sowohl die aus dem Sirachbuch als auch die rabbinischen Referenzen, zeigen die enge Verwobenheit von Schriftlichkeit und Mündlichkeit in den unterschiedlichsten Lernprozessen. „Schriftgestützt“ ist sowohl die Meditation des Weisen; schriftgestützt sind auch die Lese- und Schreibversuche des Schulkindes, das gerade die Tora erlernt. Daneben erscheint aber noch eine weitere Art des schriftgestützten Lernens, bei dem verschriftete Traditionen eine sekundäre Rolle spielen, sei es, dass sie dem Schüler außerhalb des unmittelbaren Unterrichtsgeschehens als Gedächtnisstütze dienen, sei es, dass sie das Unterrichtsmaterial des Lehrers darstellen. Der Terminus „schriftgestütztes Lernen“ erweist sich somit als ein schillernder Begriff mit einer beträchtlichen Bandbreite, der weiterer Differenzierung bedarf.
60 G. STEMBERGER, Das klassische Judentum. Kultur und Geschichte der rabbinischen Zeit (70 n. Chr. bis 1040 n. Chr.), München 1979, 113. 61 G. STEMBERGER, Einleitung in Talmud und Midrasch, München 1982, 41–56, auch weitere Ausführungen zum Verhältnis von mündlicher und schriftlicher Tradition; s. a. HEZSER, Literacy, 190–209. Zum Schulwesen im rabbinischen Judentum s. STEMBERGER, Das klassische Judentum, 109–205.
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Mündliche Tora in schriftlicher Form Zur Redaktion und Weitergabe früher rabbinischer Texte GÜNTER STEMBERGER Der Einladungstext zu dieser Tagung betont die mit steigender Urbanisierung zunehmende Lese- und Schreibfähigkeit der judäischen Bevölkerung schon in später vorexilischer Zeit, stärker noch ab dem Exil, die „Textualisierung“ der judäischen JHWH-Religion und die Entstehung eines Konzeptes von „Schriftauslegung“ (im Sinne der Interpretation und Aktualisierung autoritativer religiöser Texte), was die spätere Entwicklung zur „Buchreligion“, die Herausbildung des Pharisäismus und der rabbinischen Kultur und letztlich allgemein die „textuelle“ Prägung des Judentums bestimmte. Aus der Perspektive der rabbinischen Zeit, also fast ein Jahrtausend später, betrachtet, ist klar, dass diese Entwicklungen tatsächlich das Judentum wesentlich umgestalteten. Es wird aber auch deutlich, dass nur kleine Intellektuellenschichten die Träger der Entwicklung waren. Die breite Bevölkerung aber erlebte nach wie vor den biblischen Text nur als mündlichen Text; dieser wies daher auch noch im 1. Jh. n. große Flexibilität auf, wie die Qumranfunde belegen. Der Großteil der Juden Palästinas konnte kaum lesen,1 Schriftrollen biblischer Texte waren außer in bestimmten religiösen Gruppen („Schriftgelehrte“, Qumran, in gewissem Umfang Priester und Leviten) in Palästina sehr selten.2 Der Schritt zur „Buchreligion“ im eigentlichen Sinn erfolgt erst im Rabbinat, ermöglicht durch den Untergang des Tempels und seines Kults – insofern ist die Exilszeit schon eine wichtige erste Phase – und durch die von den Rabbinen zu Ende geführte Vereinheitlichung des Bibeltextes. Ein strikt normierter Text, der noch dazu primär auf sein Konsonantengerüst reduziert ist, bewirkt ein anderes Konzept von Auslegung als dies in innerbiblischer Auslegung und jener des Zweiten Tempels üblich war, die vom gelesenen bzw. gehörten Text ausging. Ein Text – und nicht mehr der Kult – im Mittelpunkt religiösen Lebens bedeutet natürlich einen gewissen Rationalitätsschub, eine Intellektualisierung der Religion, mit deren Folgen sich die jüdische Philosophie des Mittelalters auseinander setzen musste, wie man nämlich dann sicherstellen konnte, dass „ganz Israel Anteil an der kommenden Welt hat“ 1
Siehe C. HEZSER, Jewish Literacy in Roman Palestine, Tübingen 2001. G. STEMBERGER, Öffentlichkeit der Tora im Judentum – Anspruch und Wirklichkeit, in: JBTh 11 (1996), 91–101. 2
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(mSan 10,1); nicht aber bedeutet das im Rabbinat eine „orthodoxy of the book“,3 erlaubt doch gerade im hermeneutischen Konzept der Rabbinen der streng begrenzte Umfang des Offenbarungstextes zugleich eine fast unendliche Vielfalt möglicher Auslegungen.4 In diesem Beitrag kann ich auf all diese Fragen nicht näher eingehen. Mir geht es hier um den im Rabbinat geprägten Gegensatz von schriftlicher und mündlicher Tora, die dahinter stehende Ideologie und mehr noch um die praktischen Folgen dieser Vorstellung für die Weitergabe rabbinischer Texte.
1. Schriftliche und mündliche Tora Schon immer hat es in Israel, seit es heilige Texte schriftlich zu überliefern begann, daneben auch mündliche Tradition gegeben, sei es als ergänzendes Wissen, um die schriftlichen Normen in der Praxis anzuwenden, sei es als breitere Vorstufen der schriftlichen Texte oder als Teil des Schatzes an Wissen und Überlieferungen, die schriftlich zu fassen man keine Notwendigkeit sah. Dies gilt in je verschiedenem Umfang für alle Phasen jüdischer Geschichte; auch schon verschriftlichte Texte entfalten ihr Leben weithin in mündlichem Vortrag, der immer wieder, wenn auch immer weniger, auch auf die Schriftfassung zurückwirkt; vieles andere – Kommentare zum schriftlichen Text genauso wie ergänzende Traditionen und Lehren – wird primär mündlich weiter gegeben, auch wenn davon vielleicht schriftliche Notizen existierten. Es ist ein ständiges Hin und Her zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit.5 Man kann dies als praktischen Aspekt des Alltags in einer Gesellschaft betrachten, deren männlicher Teil zunehmend des Lesens, weniger des Schreibens, mächtig ist, in der aber wegen der Kosten des Schreibmaterials, der Mühe der Niederschrift und der Vervielfältigung längerer Texte, aber auch wegen der Umstände beim Nachschlagen einzelner Passagen (besonders solange man noch Rollen verwendete) man im Alltag dann doch immer wieder sich auf sein Gedächtnis stützt – im Grunde ein Zustand, der in je verschiedenem Maß bis in die Anfänge des Buchdrucks reicht. Was das Rabbinat von früherer jüdischer Tradition, aber auch von nichtjüdischer Umwelt der eigenen Zeit abhebt, ist die bewusste, bald direkt zum „Dogma“ erhobene Betonung des Wesensunterschieds zwischen schriftlicher und mündlicher Tora.6 Begründet wird, zumindest dann in bTem 14b, der 3
J. GOODY, The Domestication of the Savage Mind, Cambridge 1977, 37. Dazu G. STEMBERGER, Vollkommener Text in vollkommener Sprache. Zum rabbinischen Schriftverständnis, in: JBTh 12 (1997), 53–65. 5 M. S. JAFFEE, Torah in the Mouth. Writing and Oral Tradition in Palestinian Judaism 200 BCE – 400 CE, Oxford 2001. 6 P. SCHÄFER, Das „Dogma“ von der mündlichen Torah im rabbinischen Judentum, in: DERS., Studien zur Geschichte und Theologie des rabbinischen Judentums, Leiden 1978, 153–197. 4
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Kontrast mit der als pleonastisch empfundenen Formulierung von Ex 34,27: ִשׂ ָראֵל ְ ְכּ ָת ב ְל ָך ֶא ת ַה ְדּ ָברִים ָה ֵאלֶּה כִּי עַל פִּי ַה ְדּ ָברִים ָה ֵאלֶּה ָכּ ַר ִתּ י ִא ְתּ ָך ְבּרִית וְ ֶא ת י: „Dinge, die mündlich (überliefert) sind, darfst du nicht aus einer Schrift vortragen (leomran bi-ketab); was schriftlich (überliefert) ist, darfst du nicht mündlich (d.h. auswendig, aus dem Gedächtnis) vortragen“. Es geht hier v. a. um den Vortrag der Tora im Gottesdienst, doch übertragen die Rabbinen die Forderung auch auf die Weitergabe der Halakha; andere Rabbinen würden noch weiter gehen und die gesamte mündliche Tora, also auch die Haggada – zumindest offiziell, d. h. im Lehrhaus – von Schriftlichkeit ausschließen. Allgemein formuliert, doch im Kontext des Targumvortrags, finden wir die Aussage schon in yMeg 4,1,74d: „Worte, die mündlich gesagt wurden, (sind) mündlich (weiter zu geben), Worte, die schriftlich gesagt wurden, schriftlich“ דברים שנאמרו בפה בפה ודברים שנאמרו בכתב בכתב. Hinter dieser ab dem 3. Jh. nachzuweisenden Denkweise steht die Forderung, zwischen göttlicher Offenbarung in schriftlicher Form als Gegenstand der Auslegung und dem Ergebnis der Auslegung im weitesten Sinn, eben der mündlichen Tora, strikt zu unterscheiden. Wie yPea 2,4,17a betont, ist die mündliche Tora die Basis des Bundes und damit wichtiger als die schriftliche Tora. Jehuda beR. Schalom betont, Mose habe auch die Mischna schriftlich haben wollen; doch „der Heilige, gepriesen sei er, sah voraus, dass die Völker die Tora übersetzen und auf Griechisch lesen würden und dann sagen: Wir sind Israel, wir sind die Kinder Gottes“; Gott aber antwortet ihnen, dass nur die seine Kinder sind, die sein Mysterium besitzen, nämlich die Mischna (PesR 5,2–3, Ulmer 51f). Sie ist das Spezifikum Israels, die Tradition, die auf Grund ihrer Mündlichkeit nicht von den Völkern, in erster Linie von den Christen, übersetzt und übernommen werden kann, womit auch ihr Anspruch, selbst Israel zu sein, scheitern muss. Es stellt sich die Frage, welche praktische Auswirkungen dieses theoretische Konzept abseits vom Targumvortrag gehabt hat. Man kann davon ausgehen, dass im allgemeinen Lehrbetrieb der Rabbinen, gewöhnlich im kleinen Jüngerkreis, kaum schriftliche Texte verwendet wurden. Im späteren babylonischen Rabbinat wird die Mündlichkeit des Lehrvortrags zum Ritual stilisiert; will jemand schriftliche Notizen konsultieren, muss er dazu den Raum verlassen. Um an den Lehrsessionen der Kalla-Monate teilnehmen zu dürfen, muss man zuvor nachweisen, den jeweils behandelten Traktat auswendig zu beherrschen. Auswendiglernen ist ein wesentlicher Teil allen antiken Unterrichts und das gilt besonders auch für das Rabbinat. Von liturgischem Brauch und Lehrbetrieb zu trennen ist jedoch die Frage nach der Redaktion und Weitergabe rabbinischer Texte. Bewirkt das „Dogma“ der mündlichen Tora, dass man rabbinische Texte nicht niederschrieb und lange Zeit nur mündlich tradierte? Dies vertrat im Mittelalter v.a. Raschi, der z. B. zu bSchab 13b bezüglich der Fastenrolle schreibt: „die ganze übrige
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Mischna und Baraita waren nicht geschrieben; denn es war verboten, sie niederzuschreiben“; ähnlich zu bEr 62b: „zu ihrer Zeit war kein Wort der Halakha niedergeschrieben, nicht ein einziger Buchstabe, ausgenommen die Fastenrolle“. Saadja, Maimonides und andere wieder vertraten dagegen die Ansicht, die Rabbinen hätten ihre Lehren niedergeschrieben und auch Rabbi habe die Mischna schriftlich herausgegeben.7 Auch die heutige Forschung ist in diesem Punkt nicht einig; die Auffassung, rabbinische Texte seien lange primär, wenn schon nicht ausschließlich mündlich weiter gegeben worden, hat nach wie vor prominente Vertreter. So ist z. B. für M. Beit-Arié die Jahrhunderte lange Lücke zwischen den Qumrantexten und den ältesten rabbinischen Handschriften nicht auf völligen Verlust zurückzuführen, sondern auf „the dominant oral transmission of Jewish literature“8 (warum sind dann aber auch keine Bibel-MSS aus dieser Periode erhalten?!). Oder, um nur noch einen weiteren Jerusalemer Autor zu nennen: R. Brody geht davon aus, dass der babylonische Talmud in der Mitte des 6. Jhs. endredigiert wurde; da die früheste Nachricht über eine Niederschrift des Talmud Mitte 8. Jh. nennt (Samuel ha-Nagid, zitiert im Sefer ha-Ittim des Jehuda von Barcelona), schließt er, dass der Talmud etwa 200–250 Jahre ausschließlich mündlich weitergegeben und auch später noch etwa drei Jahrhunderte zumindest in den Jeschiwot Babyloniens mündlich gelernt und tradiert wurde.9 Mehr oder weniger vollständige Handschriften rabbinischer Texte sind erst relativ spät belegt. Die älteste Handschrift der um etwa 200 redigierten Mischna ist MS. Kaufmann, Budapest; früher wurde sie ins 14. Jh. datiert, ist aber vielleicht doch schon vor 1000 entstanden. MS. Vat. 66 von Sifra, dem halakhischen Kommentar zu Lev (gewöhnlich ins 3. Jh. datiert, aber doch wohl mit einer längeren Redaktionsgeschichte), stammt aus dem 10. Jh., nach anderen gar aus dem 9. Jh. oder noch früher, und wäre damit der älteste erhaltene rabbinische Codex.10 Die Tosefta ist mit den Fragmenten aus Norcia für die Zeit um 1000 schriftlich bezeugt; relativ vollständige Handschriften 7 Zum Niederschlag dieser Meinungsverschiedenheit schon in der Textüberlieferung des Sendschreibens von Scherira Gaon (987) siehe M. SCHLÜTER, Auf welche Weise wurde die Mishna geschrieben? Das Antwortschreiben des Rav Sherira Gaon. Mit einem Faksimile der Handschrift Berlin Qu. 685 (Or. 160) und des Erstdrucks Konstantinopel 1566, Tübingen 1993 (mit kommentierter Übersetzung beider Versionen). 8 M. BEIT-ARIÉ, Hebrew Codicology, Paris 1976, 10 Anm. 2. 9 R. BRODY, Sifrut ha-Geonim veha-Teqst ha-Talmudi, in: Mehqerei Talmud I, Jerusalem 1990, 237–303, 280. Anm. 178 lehnt er die Auffassung von D. Rosenthal ab, wonach schon um 688 Handschriften des Bavli existierten. Siehe auch DERS., The Geonim of Babylonia and the Shaping of Medieval Jewish Culture, New Haven, London 1998, 156–161. Für die Vermutung früher schriftlicher Talmudtexte siehe J. SUSSMANN, A Halakhic Inscription from the Beth-Shean Valley (hebräisch), in: Tarbiz 43 (1973f) 88–158. Nach ihm ist die Mosaikinschrift der Synagoge von Rehob bei Bet Schean (um 600), die engste Parallelen zu ySchebi aufweist, kaum viel früher als die ältesten Palimpsest-Textzeugen rabbinischer Schriften (155f. Anm. 497).
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von Tosefta, Midraschim und Talmudim sind jedoch um einiges später. Von einer „Endredaktion“ rabbinischer Texte zu sprechen ist heute immer schwieriger, auch wenn ich mit wenigen Ausnahmen nicht die Annahme teile, rabbinische Texte seien bis zu ihrer Drucklegung von jedem Abschreiber neu redigiert worden. Jedenfalls bleibt der zeitliche Abstand zwischen der Redaktion einer Schrift und ihrem ersten erhaltenen handschriftlichen Beleg ziemlich groß, wenn auch nicht größer als dies für einen Großteil der klassischen griechischen und lateinischen Literatur und, bis zu den Qumranfunden, auch für die hebräische Bibel war. Einen Teil des Zeitabstandes können Fragmente aus der Geniza von Kairo, im Einzelfall auch solche der „italienischen Geniza“ überbrücken. Am wichtigsten sind einzelne Palimpseste über christlichen Texten, die u. U. nicht sehr lange nach der islamischen Eroberung entstanden sind. Ein wenig früher ist die schon genannte, um 600 entstandene halakhische Inschrift der Synagoge von Rehob anzusetzen, die ein Stück aus dem palästinischen Talmud enthält. Der früheste schriftliche Beleg eines rabbinischen Textes aus Europa ist eine Grabinschrift, wohl aus Venosa vom Anfang des 9. Jahrhunderts.11 An sich sind diese Zeitabstände nicht auffällig; nur die These der „mündlichen Tora“ und ihrer nur mündlichen Überlieferung hat dazu geführt, diese Zeitlücke als „Beleg“ für die rein mündliche Weitergabe der Texte zu werten, was als petitio principii höchst fragwürdig ist.
2. Die Veröffentlichung der Mischna Im Fall der Mischna könnte schon ihr bloßer Name – durch Wiederholung eingeprägte und weitergegebene Lehre – die Mündlichkeit ihrer Weitergabe nahe legen. Die ausgeprägten mnemotechnischen Züge des Textes weisen in dieselbe Richtung. Scherira Gaon schreibt in seinem berühmten Sendschreiben von 987: „Und was ihr geschrieben habt: Auf welche Weise wurde die Mishna geschrieben und wurde der Talmud geschrieben? Talmud und Mishna wurden nicht geschrieben, sondern Redigierungen wurden redigiert und die Rabbanan waren sorgsam, mündlich zu studieren, aber nicht von Aufzeichnungen, wie (wir) sagen:
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Siehe M. KAHANA, Manuscripts of the Halakhic Midrashim. An Annotated Catalogue (hebräisch), Jerusalem 1995, 62. 11 C. COLAFEMMINA, Una nuova epigrafe ebraica altomedievale a Lavello, in: Vetera Christianorum 29 (1992), 411–21; DERS. Epigraphica hebraica Venusina, in: Vetera Christianorum 30 (1993), 353–358, bietet 357f. eine korrigierte Lesung. Die Inschrift enthält Phrasen aus bBer 17a und 58b.
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Worte, die mündlich sind – du bist nicht berechtigt, sie schriftlich zu sagen. Und (wir) sagen: ‚Diese schreibst du, aber Halakhot schreibst du nicht‘.“12
Saul Lieberman hat in seinem klassisch gewordenen Aufsatz The Publication of the Mishnah eine „mündliche Veröffentlichung“ postuliert, der gegenüber die schriftlichen Aufzeichnungen keine Autorität besitzen. Wie diese mündliche Veröffentlichung im Schulbetrieb praktiziert wurde, sieht er in bEr 54b illustriert, wo die Rabbanan lehren, wie die traditionelle Lehre weitergegeben wurde (wörtlich: wie „die Ordnung der Lehre“, seder mischna, erfolgte): Mose lernt aus dem Mund Gottes; dann lehrt Mose Aaron seinen Abschnitt, ebenso lehrt er die Söhne Aarons, die Ältesten und das ganze Volk ihren Abschnitt; dann übernehmen der Reihe nach Aaron, seine Söhne und die Ältesten es, den Abschnitt zu wiederholen, sodass ihn alle viermal gehört haben. R. Perida lehrt einen seiner Schüler jede Lehre vierhundertmal, bis er sie beherrscht, und R. Aqiba meint ohne zahlenmäßige Beschränkung, der Lehrer habe so oft zu wiederholen, bis der Schüler den Text beherrscht. Lieberman bezieht den Talmudtext auf die Ausbildung mehrerer Tannaim (Repetitoren) durch den Redaktor der Mischna; diese Tannaim wiederholen sich gegenseitig den Merkstoff, bis er fest sitzt. Dieses System der „Veröffentlichung“ ergibt jedoch nicht einen ein für allemal feststehenden Text; denn der Meister kann den Text, den der Tanna vor ihm rezitiert, noch immer korrigieren und verändern.13 12 SCHLÜTER, Auf welche Weise, 193f. (§144 B-Rezension; Y-Rezension fast gleich). S. ABRAMSON, Writing the Mishnah (According to the Geonim and Rishonim), in: M. BENSASSON u. a. (Hgg.), Culture and Society in Medieval Jewry. Studies Dedicated to the Memory of Haim Hillel Ben-Sasson (hebräisch), Jerusalem 1989, 27–52, lehnt die verbreitete Meinung ab, dass mehrere Gelehrte von Saadja Gaon bis Maimonides behaupteten, Rabbi habe die Mischna geschrieben. Nach ihnen habe Rabbi die Mischna mündlich gelehrt, allerdings zur Bewahrung sie auch schriftlich niedergelegt. Zusammenfassung der älteren Diskussion bei J. N. EPSTEIN, Introduction to the Text of the Mishnah (hebräisch), Jerusalem 1948, 692ff; er nimmt in Palästina schriftliche Texte schon in tannaitischer Zeit an; auch die Mischna sei geschrieben worden (703). Die Argumente gelten natürlich jeweils nur für Einzeltexte, wie Y. SUSSMANN, „Tora she-be‘al peh“ peshuta ke-mashma‘ah, in: Y. SUSSMANN/D. ROSENTHAL (Hgg.), Mehqerei Talmud III,1, Jerusalem 2005, 209–384, 215 betont. Was EPSTEIN, Introduction, 701 als klarsten Beleg für eine schriftliche Sammlung von Halakhot in amoräischer Zeit sieht (yDem 2,1,22d: „Eine Mischnalehre hat er mir nicht gezeigt, eine Tradition hat er mir gesagt“ – demnach könnte man einen Text zeigen), lehnt SUSSMANN, „Tora she-be‘al peh“, 219–223 mit Verweis darauf, dass es zu den sonstigen Traditionen über R. Jochanan nicht passt und ein Geniza-Text statt „gezeigt“ richtig „gesagt“ liest, zu Recht ab; auch ohne diese Variante wäre der Text kaum beweiskräftig. 13 S. LIEBERMAN, The Publication of the Mishnah, in: DERS., Hellenism in Jewish Palestine, New York ²1962, 83–99, 93; siehe EPSTEIN, Introduction, 676. Für eine Kritik an Liebermans These siehe C. HEZSER, Jewish Literacy, 427–432, die betont, dass keine Analogie zu einer solchen mündlichen Publikation aus der Antike bekannt ist, sie eine unglaubliche Gedächtnisleistung voraussetzt, und dass schließlich auch die Art der Kommentierung der Mischna im palästinischen Talmud einen schriftlichen Grundtext nahelegt. DIES., The Mishnah and Ancient Book Production, in: A. J. AVERY-PECK/J. NEUSNER (Hgg.), The Mishnah in Contemporary Per-
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Gegen die Position von Lieberman ist mit Martin Jaffee festzuhalten, dass die historischen Umstände der Veröffentlichung der Mischna kaum von hier abzuleiten sind, auch wenn (neben einer inoffiziellen Niederschrift) das Anlernen einer Zahl von Tannaim plausibel ist. Der Text über die Traditionsweitergabe durch Mose spiegelt das rabbinische Schulsystem, besonders dessen babylonische Idealform, auch wenn der Text als Baraita stilisiert ist. Der Text spricht nicht von „der Mischna“, sondern allgemein von Lehrtradition, „the broader tradition of rabbinic learning of which the Mishnah is a particular condensation“.14 Doch muss man sicher mit einem Nebeneinander von mündlicher und schriftlicher Überlieferung auf lange Zeit rechnen, wobei der mündliche Text Vorrang genießt. Das schließt eine gewisse Beweglichkeit des Textes ein. Schriftliche und mündliche Überlieferung desselben Stoffes treten nebeneinander, und das gilt nicht erst für die Endstufe der Mischna, sondern auch für ihre Vorgeschichte.15 Persönliche Niederschriften (welchen Umfangs?) stehen neben dem im Lehrbetrieb primären Vortrag aus dem Gedächtnis; dieser kann im Zweifelsfall nicht durch eine offizielle schriftliche Ausgabe kontrolliert werden, deren Erstexemplar etwa am Patriarchenhof zu Einsicht und Kontrolle hinterlegt worden wäre. Tannaim als „lebende Ausgaben“ der Mischna konnten den Text durch im Schulbetrieb gebrachte kurze Erläuterungen ergänzen und durften bis in die Zeit der Enkel Rabbis auch deren für wichtig gehaltene Entscheidungen hinzufügen; auch korrigierten sie im Lauf der Überlieferung entstandene Fehler, was aber nicht unbedingt als Wiederherstellung der ursprünglichen Fassung zu verstehen ist. Dass man im Einzelfall sehr wohl die mündliche Rezitation durch schriftliche Fassungen korrigieren konnte, zeigt yMaas 2,4,49d: „Es sagte R. Jona: Wir haben im Notizbuch ( )בפינקסיהdes Chilfai gefunden: Er isst davon so nebenher und sondert die Abgaben wie bei sicher [vielleicht zu korrigieren: zweifelhaft] nicht Verzehntetem ab …“. Interessant ist auch ein Hinweis in yKil 1,1,27a auf eine schriftliche Gedächtnisstütze im Lehrhaus: „R. Jose sagte im Namen des R. Chijja bar Wa: Wir haben im Notizbuch des R. Hillel beR. Alas geschrieben gefunden; R. Jona im Namen des R. Chijja bar Wa: Wir haben auf der spective, Leiden 2002, 167–192, argumentiert für eine schriftliche Publikation, die aber zu keinem einheitlichen Standardtext führen konnte, da es ja kein Copyright gab: „Perhaps many rabbis did not possess a copy of the Mishnah at all, some rabbis had only a written copy of a particular tractate, and the complete written work would be accessed by rabbis who lived in the major cities only. Most rabbis would therefore have to rely on the oral transmission of the Mishnah enacted by colleagues who had memorized (particular parts of) the (written) text. Following Lieberman, these memorizers can be called ‚living books‘, but only in so far as they represented existing written books“ (184). 14 JAFFEE, Torah, 4. 15 JAFFEE, Torah, 124: „it is likely ... that written versions of rabbinic teachings did exist at the earliest traceable origins of the tradition in the first century or even earlier“.
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Wand des R. Hillel beR. Alas geschrieben gefunden …“; was folgt, ist eine aramäische Wiedergabe einer Liste verschiedener Hülsenfrüchte in mKil 1,1.16 Auffällig ist auch, dass es nichts dergleichen im babylonischen Talmud gibt; man darf wohl mit Jaffee vermuten, dass dort solche Nachrichten systematisch unterdrückt wurden. Beide Hinweise im palästinischen Talmud betreffen kleine Details der halakhischen Überlieferung. Wichtig ist die bloße Tatsache, dass der Talmud solche Spuren der Verwendung schriftlicher Aufzeichnungen in der rabbinischen Diskussion hinterlassen hat. Umso wichtiger ist ein vereinzelter Beleg in der rabbinischen Diskussion des Mischna-Textes selbst. Das deutlichste Beispiel ist mSchab 2,6. Hier heißt es, dass Frauen wegen drei Übertretungen sterben, während sie gebären (be-scha‘at ledatan). Der palästinische Talmud setzt offenbar die Lesart jldot voraus und diskutiert, ob man joldot („Gebärende“) oder jeladot („Mädchen“) vokalisieren müsse (ySchab II,5b). Die Lesart be-scha‘at ledatan ist wohl eine klarstellende Umschreibung des zweideutigen Ausdrucks.17 Ein solcher Zweifel kann natürlich nur in einem schriftlichen Text aufkommen, nicht bei mündlichem Vortrag. In breiterem Umfang lässt sich für schriftliche Fassungen der Mischna aus der Art ihrer Bearbeitung in späteren rabbinischen Texten argumentieren. Schon die Art, wie die Tosefta mit der Mischna umgeht, ist in vielen Fällen am besten mit einer schriftlichen Vorlage zu erklären (damit ist aber keine Pauschalaussage über das Verhältnis von Mischna und Tosefta getroffen!). Es geht hier nicht um Stellen der Tosefta, die nach einem kurzen Stück wörtlicher Parallele zum Mischna-Text mit „usw.“ abbrechen und den Text kommentieren, wie z. B. in tKet 5,7, wo die Wiener Handschrift nach „die gegen ihren Mann revoltiert“ (mKet 5,7) mit „usw.“ abbricht und fortsetzt: „das ist die frühere Mischna, dann aber setzten unsere Meister fest, dass man sie vier oder fünf Sabbate verwarne …“. Hier geht das „usw.“ auf das Konto des Kopisten, der die Mischna-Parallele auswendig kennt und dies auch vom Benutzer seiner Handschrift erwartet. Längere wörtliche Parallelen zwischen Mischna und Tosefta können auch nicht als Beleg eines schriftlichen Textes gewertet werden, solange sie mnemotechnischen Kriterien entsprechen. Aber immer dort, wo die Tosefta nur einzelne Elemente des Mischna-Textes aufgreift und diese mit Glossen kommentiert, noch mehr, wo einzelne Elemente des Mischna-Textes aus ihrem syntaktischen Zusammenhang gerissen und kommentiert werden, ist eine schriftliche Vorlage zumindest wahrscheinlich. Natürlich kann man immer argumentieren, dass der Redaktor des betreffenden Kapitels der Tosefta seinen Mischna-Text auswendig beherrscht, ihn aus dem Gedächtnis niederschreibt und diese seine eigene Niederschrift kommentierend bearbeitet. Eine strenge Beweisführung ist hier nie 16
Dazu JAFFEE, Torah, 140f. L. GINZBERG, A Commentary on the Palestinian Talmud, I (hebräisch), New York 1941, Nachdruck 1971, hebräische Einleitung 54. 17
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möglich, nur der kumulative Eindruck solcher textueller Phänomene legt immer wieder die Arbeit an einem schriftlichen Text nahe. Was die Tosefta betrifft, ist der Text viel weniger stark als die Mischna mnemotechnisch gestaltet; dies ließe noch viel deutlicher an eine schriftliche Formulierung und Weitergabe denken (auch schon aus Gründen des Umfangs). Es fällt allerdings auf, dass die rabbinische Literatur kaum einmal längere wirklich wörtliche Zitate aus der Tosefta enthält (die verschiedenen Übersetzungen von Jacob Neusner, die solche Zitate in Fettdruck hervorheben, ergänzen oft die Zitate oder gleichen ähnliche Texte an die Tosefta an und führen daher diesbezüglich in die Irre). Manche Autoren vertreten daher bis heute die Auffassung, dass auch noch der Bavli noch nicht die Tosefta selbst, sondern nur ToseftaTraditionen kannte, die schon mehr oder weniger in Textblöcken tradiert wurden.18 Das darf man allerdings nicht als Beleg werten, dass der Tosefta-Text mündlich tradiert wurde und aus diesem Grund flexibler war. Die Tosefta hatte einfach als Werk nicht annähernd die Autorität der Mischna und wurde daher viel ungenauer zitiert und auch mit anderen tannaitischen Traditionen vermischt. Insgesamt entspricht die Zitierweise, auch gegenüber nachweislich schriftlich vorliegenden Texten, noch bis ins hohe Mittelalter vielfach nicht unseren heutigen Erwartungen (sogar bei Eigenzitaten mittelalterlicher Autoren lässt sich dies immer wieder feststellen!).
3. Der Fall von Sifra Man darf es aber nicht damit bewenden lassen, dass der allgemeine Eindruck rabbinischer Werke an schriftliche Weitergabe denken lässt und wir uns die wenn auch nur relativ getreue Weitergabe so umfangreicher Werke in mündlicher Form einfach nicht vorstellen können. Sicher war das sagenhafte „orientalische Gedächtnis“ auch nicht das, was oft behauptet wird; zu häufig sind die rabbinischen Klagen über das ständige Vergessen, dem nur göttliche Gabe abhelfen kann: R. Jochanan sagt in bNed 38a, sogar Mose habe die Tora gelernt und wieder vergessen, bis sie ihm als Geschenk verliehen wurde! In den Hekhalot-Texten muss der Mystiker, am Ziel seiner Himmelsreise angelangt, den Sar ha-Tora, den über die Tora gesetzten Engelsfürsten, beschwören, dass er ihn in Zukunft die Tora so lernen lasse, dass er sie nicht mehr vergisst. Doch wenn man sich nicht auf dieselbe Ebene der Argumentation wie die der zu Recht kritisierten dogmatischen Vertreter einer rein mündlichen Tradition begeben will, braucht man stärkere Belege. Solche scheint mir besonders Sifra zu liefern. 18 So etwa Y. ELMAN, Authority and Tradition. Toseftan Baraitot in Talmudic Babylonia, New York 1994.
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Sifra setzt sich deutlich aus drei literarischen Schichten zusammen – einem einfachen Kommentar, der zumindest in der jetzt vorliegenden Form des Midrasch ganz Levitikus umfasst. In diesen sind viele lange syllogistische Abschnitte eingebaut – logische Ableitungen aus biblischen Prämissen und halakhischen Grundsätzen, die aber meist nicht zu gültigen Ergebnissen führen, sondern durch ein Bibelzitat abgesichert werden müssen. Schließlich enthält Sifra eine Fülle an wörtlichen Parallelen zu Mischna und (viel weniger wörtlich) Tosefta. Ich habe in mehreren Studien nachzuweisen versucht, dass diese Komposition nicht in einem Guss entstanden ist, sondern die drei Grundschichten auch drei Redaktionsstufen entsprechen, die zeitlich ziemlich weit auseinanderliegen.19 Dass schon der einfache Kommentar zu Levitikus schriftlich gewesen sein muss, ist nicht nur der literarischen Gattung Kommentar zu entnehmen, sondern auch seinem so knappen Stil, der oft nicht einmal ganze Sätze kennt, nur radikal verkürzte Anmerkungen. V. a. aber die Art, wie dieser einfache Kommentar in mehreren Bearbeitungsschritten erweitert wurde, funktioniert praktisch nur mit einem schriftlichen Text. Das gilt schon für die syllogistischen Erweiterungen, ist aber bei den Ergänzungen um Mischna- und (weniger) Tosefta-Stellen besonders deutlich. Einen direkten Beleg für eine schriftliche Fassung von Sifra spätestens Ende 4. Jh. bieten eine Reihe von längeren Übernahmen eines Textes aus Sifra im palästinischen Talmud. Ein gutes Beispiel ist yYoma 1,5,39a–b, der in rabbinischen Texten mehrfach zitierte Streit zwischen den Sadduzäern und den Weisen, ob der Hohepriester am Versöhnungstag den Weihrauch auf die Glut legt, bevor er das Allerheiligste betritt, oder erst innen. Der Talmudtext setzt mit Lev 16,12f ein, eingeleitet mit כתיב, „es ist geschrieben“: „Er bringe es innerhalb des Vorhangs und lege den Weihrauch auf das Feuer vor dem Herrn“, und kommentiert: „damit er nicht außen zubereite und hineinbringe; denn siehe, die Sadduzäer sagen: er bereite es außen zu und bringe es hinein“. Die Sadduzäer begründen ihre Position exegetisch (Akzent auf 16,2: „[und er soll nicht sterben;] denn in der Wolke erscheine ich“); dem entgegnen die Weisen mit ihrer Auslegung: „er gebe den Weihrauch auf das Feuer vor dem Herrn“ (16,13) und bieten als Lösung, dass man einen Rauchtreiber auf den Weihrauch gebe, um nichts Verbotenes zu sehen; wer dabei etwas vernachlässigt, ist des Todes schuldig. Die Einheit verbindet eine einfache Auslegung mit praktischer Anleitung und eine Kontroverse darüber. Das ganze relativ lange 19
G. STEMBERGER, Zur Redaktionsgeschichte von Sifra, in: J. NEUSNER (Hg.), Approaches to Ancient Judaism (New Series 11), Atlanta 1997, 39–82; DERS., Sifra – Tosefta – Yerushalmi. Zur Redaktion und frühen Rezeption von Sifra, in: JSJ 30 (1999), 277–311; DERS., Leviticus in Sifra, in: J. NEUSNER/A. J. AVERY-PECK (Hgg.), Encyclopedia of Midrash. Biblical Interpretation in Formative Judaism, I, Leiden 2004, 429–447; DERS., Zu Eigenart und Redaktion von Sifra Behuqqotai, in: FJB 31 (2004), 1–19.
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Stück findet sich nahezu wörtlich auch in Sifra Achare Pereq 3,11 (Weiss 81b bzw. MS. Vatikan 66, S. 343f). Schon diese ausführliche genaue Parallele einer komplexen Einheit legt wohl eine schriftliche Vorlage für den Talmud nahe. Verstärkt wird die Vermutung dadurch, dass die Handschrift Leiden des Talmud (S. 491) zwei kurze Stücke des Sifra-Textes am Rand ergänzt; auffällig ist dabei auch, dass der Schreiber der Leidener Handschrift das Zitat aus Lev 16,13 „die Deckplatte über dem Zeugnis“ ( )עדותmit dem sehr ähnlichen Text 16,2 „die Deckplatte über der Lade“ ( )הארןvermischt. Der Talmudtext fährt unvermittelt, ohne Zitatformel, mit dem Bibeltext fort: „damit er nicht sterbe“ ()ולא ימות, was in 16,13 und ebenso in 16,2 steht. Erst die Fortsetzung macht deutlich, dass 16,2 gemeint sein muss; denn „damit er nicht sterbe“ wird als Strafe verstanden, die Fortsetzung des Verses („denn ich werde in der Wolke erscheinen“) als Warnung. Dazu kommentiert R. Leazar (beR. Shim‘on), man könnte meinen ()יכול, Strafandrohung wie auch Verwarnung seien schon vor dem Tod der Söhne Aarons ausgesagt worden. Dies widerlegt er mit Lev 16,1: „nach dem Tod der Söhne Aarons“. Ebenso falsch wäre aber die Annahme ()יכול, beides wäre erst nach ihrem Tod gesagt worden, denn 16,2 heißt es ja: „ich werde erscheinen“. Somit erfolgte die Verwarnung vor dem Tod der Söhne Aarons, die Strafandrohung dagegen erst danach. Auch dieser Abschnitt steht nahezu wörtlich in Sifra, allerdings schon ein Stück zuvor, im Kommentar zu Lev 16,2 (Sifra Achare Parascha 1,13 Weiss 80b–c). Der Redaktor dieser ausführlichen Passage des Yeruschalmi hat also zwei längere Abschnitte aus Sifra fast wörtlich übernommen und dabei den in Sifra früheren Abschnitt nahtlos an den dort späteren Abschnitt gefügt, weil diese Sequenz für seine Argumentation günstiger war. Nicht nur legen beide Teilabschnitte je für sich wegen der Komplexität der Argumentation eine schriftliche Vorlage nahe; ihre direkte Kombination gegen die Textfolge von Sifra macht diese Annahme nahezu zur Gewissheit. Es ließen sich eine ganze Reihe solcher Beispiele anführen, in denen der palästinische Talmud längere, auch komplexe Abschnitte von Sifra fast wörtlich übernimmt (die Abweichungen sind gewöhnlich Anpassungen an den eigenen Kontext oder sind zumindest nicht größer als solche zwischen zwei Handschriften desselben Werkes). Mindestens ebenso wichtig wie Einzelbeispiele ist aber die Tatsache, wie zahlreich diese Parallelen und Zitate aus Sifra im Yeruschalmi sind. Allein im Traktat Joma sind acht von dreizehn Traktaten von Sifra vertreten, dabei oft mehrere lange Zitate aus verschiedenen SifraTraktaten auf nur wenigen Seiten der Handschrift Leiden. Das zeigt mehr als Einzelbeispiele die souveräne Kenntnis der Redaktoren des Yeruschalmi von ganz Sifra in all seinen Teilen. Man muss also ohne Zweifel davon ausgehen, dass diesen ein schriftlicher Text von Sifra zur Verfügung stand und von ihnen reichlich benützt wurde, sei es in wörtlicher Zitierung (oft auch Glossierung) auch langer Passagen, sei es in freier Zusammenfassung.
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Wenn von der Kenntnis von ganz Sifra bei den Redaktoren des Yeruschalmi die Rede war, ist allerdings eine Einschränkung zu machen. Man kann im palästinischen Talmud keine Sifra-Passagen nachweisen, in denen Sifra selbst wieder explizit, eingeleitet mit der Formel „von daher sagen sie“ (mikan amru) längere Stücke aus Mischna und Tosefta zitiert. Man könnte annehmen, dass der Talmud dafür ja den direkten Zugriff auf seinen Basistext, die Mischna hat, die er schon sehr früh durch die Tosefta kommentierte, sodass er auf indirekte Zitate nicht angewiesen war. Eine genauere Analyse von Sifra zeigt allerdings, dass dieses sonst schon fertige Werk erst in einer letzten Redaktionsstufe, die frühestens gleichzeitig mit dem Yeruschalmi anzusetzen ist, systematisch um Parallelen aus Mischna und Tosefta erweitert wurde, wohl um damit die Einheit von mündlicher und schriftlicher Tora, von Mischna und Midrasch aufzuzeigen. Dabei ist immer wieder deutlich, dass der späte Redaktor von Sifra einen schriftlichen Text der Mischna, und zwar der gesamten Mischna, vor sich hatte. Für viele größere Passagen der Mischna ist die Sifra-Handschrift Vatikan 66 der älteste erhaltene handschriftliche Beleg! In den mikan amru-Texten kommen Texte aus insgesamt 23 Traktaten der Mischna vor, von denen der Traktat Negaim am breitesten belegt ist, aber auch viele andere Traktate gut repräsentiert sind. Die Streuung der expliziten Mischna-Zitate in Sifra zeigt, dass der Redaktor ganze Traktate der Mischna gezielt ausgewertet und darauf geachtet hat, dass keine Wiederholungen vorkommen. Der Interpolator scheint geschlossene Traktate der Mischna in einheitlichen Arbeitsschritten in die dazu passenden Abschnitte von Sifra eingearbeitet zu haben.
4. Schriftliche Vorlagen im babylonischen Talmud? Nirgends hat man stärker die Mündlichkeit der mündlichen Tora, v. a. im Lehrbetrieb, betont als in den babylonischen Schulen. Doch auch im babylonischen Talmud findet man Textabschnitte, die an schriftliche Vorlagen denken lassen. Der Bavli enthält eine Reihe von sorgfältig strukturierten thematischen Einheiten, die offensichtlich schon völlig durchredigiert waren, als sie in den Zusammenhang des Bavli eingefügt wurden. Das gilt etwa vom „Traumbuch“, das in den Traktat Berakhot eingebaut wurde (bBer 55a–57b), oder von den Erzählungen aus der Zeit der beiden großen Aufstände gegen Rom in bGit 55b–58a; auch der in bMeg 10b–17a eingefügte Midrasch zu Ester ließe sich hier nennen. Ein sehr interessantes Beispiel, mit dem ich mich an anderer Stelle befasst habe, findet sich in bBB 73b–75a.20 Der Talmud diskutiert hier die Mischna 20 Siehe dazu G. STEMBERGER, Münchhausen und die Apokalyptik. Baba Batra 73a–75b als literarische Einheit, in: JSJ 20 (1989), 61–83.
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BB 5,1: „Wenn jemand ein Schiff verkauft, hat er den Mast, das Segel, den Anker und alle Ruder mit verkauft; nicht aber hat er die Sklaven, die Säcke und die Ladung mit verkauft“. Aus der Tosefta belegt man, dass auch Beiboote oder Fischerboote gemeinsam mit dem Schiff verkauft werden. Raba meint dazu, dass die beiden Bezeichnungen für Boote dasselbe meinen, und bezieht sich dafür auf Am 4,2. An das Bibelzitat schließt sich unvermittelt eine Aussage des Rabba an, was ihm Seefahrer erzählt haben. Es folgt eine lange Reihe von Erzählungen des Rabba bar bar Chana, welch wundersamen Erlebnisse er selbst auf dem Meer gehabt habe. Darauf folgen ebenso unrealistische Erzählungen anderer über Erlebnisse zur See oder auch auf Wüstenwanderungen, auf denen man mit der biblischen Vergangenheit in Verbindung kommt, aber auch Einblicke in die Endzeit erhält. Es folgt eine ebenso lange Einheit über das Ende der Zeiten, das Mahl, bei dem Leviatan verzehrt wird, oder das endzeitliche Jerusalem, dessen Tore jetzt schon Engel in den Tiefen der Meere aus riesigen Edelsteinen schneiden. Doch dann geht es unvermittelt weiter: „Es wird gesagt: Ein Schiff – Rab sagt: Hat es (der Käufer) auch nur ein wenig bewegt, hat er es erworben; Samuel aber sagt: Er hat es erst erworben, wenn er es seine ganze Länge weit bewegt hat“. Der Text schließt also unmittelbar an die Diskussion vor dem Textblock mit den Erzählungen über See- und Wüstenreisen und die kommende Welt an; höchstens das einleitende „Es wird gesagt“ (itmar) mildert den Zusammenprall zweier nicht zusammengehöriger Texte. Der eingeschobene Textblock ist eine kunstvoll strukturierte Einheit, in der die phantastischen Reiseerzählungen etwa gleich lang sind wie der Abschnitt über die erwartete Endzeit; ich sehe darin eine Art „Apokalypse“, die in den Reiseerzählungen die Zeit des Anfangs und der biblischen Geschichte, im zweiten Teil dann die Zeit des Endes zum Thema hat, beides vielfältig verknüpft und sorgfältig symmetrisch gegenüber stellt. Auch diese Einheit hat deutlich eine längere Vorgeschichte; viele frühere Traditionen, jüdisch oder nicht, werden der Darstellung dienstbar gemacht. Schon hier liegt der Gedanke an einen schriftlichen Text nahe. Vollends bestärkt wird der Eindruck durch die Art, wie er in die halakhische Diskussion des Talmud eingefügt wird. Der Text nach dieser Einheit schließt nahtlos an die mehrere Seiten zuvor unterbrochene Diskussion an; nimmt man ihn heraus, hat der halakhische Text wieder den geschlossenen Zusammenhang, den er vor diesem Einschub gehabt hat. Der schriftlich vorliegende Textblock wurde also offensichtlich in einen ebenso schon schriftlichen Text eingefügt.
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5. Das Nebeneinander von schriftlichen und mündlichen Texten Es wäre aber eine grobe Vereinfachung, wollte man für das Rabbinat allgemein von schriftlichen Texten ausgehen und die Rede von der „mündlichen Tora“ rein ideologisch verstehen. Die meisten „klassischen“ Texte der rabbinischen Tradition, v. a. Mischna, Tosefta, halakhische Midraschim wie v. a. Sifra, aber auch noch eine Reihe späterer Midraschim sind, bei allen im Lauf der Weitergabe möglichen Textveränderungen und –ergänzungen, in einer erstaunlichen textlichen Stabilität überliefert worden, die man sich ohne schriftliche Vorlagen, an die man sich gebunden weiß, kaum erklären kann. Dagegen aber gilt besonders für den babylonischen Talmud noch lange die Dominanz des mündlichen Studiums, das sich auch auf die Textüberlieferung der natürlich vorhandenen schriftlichen Exemplare auswirkte: By the end of the Geonic period there were certainly written copies of the Talmud — the earliest clear evidence for the existence of such texts takes us back approximately to the middle of the eighth century — and the Geonim were not averse to making use of these on occasion. Nevertheless, within the academies the dominant model of transmission — ideologically, and apparently also in practice — remained an oral one … The clearest testimonies to this aspect of academic life are to be found in two responsa of tenth-century Pumbeditan Geonim. The first of these, by the Gaon Aaron Sarjado, refers to the traditional intonation with which a certain talmudic sentence is pronounced (as a rhetorical question rather than a declarative statement). It speaks of the recitation of „the entire academy — and it is known that their recitation (gursa) is from the mouths of the masters, and most of them do not know what a book is.“ Although this is clearly an exaggeration, what the Gaon seems to mean is that the majority of the academicians do not know what a written Talmud looks like, or at least are not accustomed to making use of one; rather, their knowledge of the talmudic text derives from an unbroken chain of oral tradition.21
Dass die Betonung der mündlichen Weitergabe eines Textes, auch wenn dieser nebenbei auch in schriftlicher Form vorliegt, zu einer gewissen Freiheit in der exakten Formulierung führt, solange Ablauf und Inhalt der Argumentation gewahrt bleiben, versteht sich, ebenso auch, dass rein erzählende Texte eine größere Fluktuation erlauben als dies für halakhische Aussagen möglich ist. Dies sieht man auch noch in der Variationsbreite der erhaltenen Handschriften. Aber auch in der Midrasch-Literatur findet man Beispiele für Texte, die zwar schriftlich vorliegen, aber dennoch eine gewisse Variationsbreite in der Formulierung aufweisen, die eindeutig nicht auf typische Kopistenfehler oder klar zu begründende bewusste Änderungen durch den Abschreiber zurück gehen. Für die beiden Mekhiltot, die Mekhilta de-R. Jischmael und die Mekhilta de-R. Schim‘on ben Jochai, hat vor kurzem D. Nelson die engen Beziehungen miteinander und zugleich die zahlreichen Abweichungen, die nicht immer ein21
BRODY, Geonim, 156f.
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fach auf editoriale Prozesse zurück zu führen sind, mit diesem Nebeneinander von schriftlich und mündlich zu erklären versucht, „in accordance with, and situated as a part of, the oral employment of written tradition that formed the basis of the Palestinian tannaitic and amoraic rabbinic master/disciple performative pedagogical relationship“.22 Noch deutlicher wird der Einfluss mündlichen Vortrags auf die Überlieferung eines Textes bei späten Schriften. Je populärer ein Text ist, gerne nacherzählt wird oder im Rahmen der Synagoge seinen festen Platz hat, wie dies etwa lange beim Midrasch Wa-joscha zu Pesach der Fall war, umso mehr Variationen in der Formulierung oder auch Einschübe von zusätzlichem Textmaterial sind zu erwarten.23 Wieder anders ist es bei der Textüberlieferung von Weisheitsliteratur wie dem Traktat Avot, der klar nachweisbar über die Jahrhunderte gewachsen ist, immer wieder neue Sprüche und Spruchgruppen an sich gezogen hat, und in dem auch schon vorhandene Einheiten oft korrigiert bzw. geglättet worden sind. Hier ist es schwer zu beurteilen, was davon auf mündliche Überlieferung neben der handschriftlichen Tradition zurück geht und was auf bewusste Bearbeitung und Erweiterung. Das gilt ebenso von den damit eng verwandten Avot de-Rabbi Natan, in denen immer wieder frühere Textformen von in Avot überlieferten Sätzen zu finden sind. Die seit kurzem vorliegende Edition sämtlicher Handschriften und Geniza-Fragmente durch H.-J. Becker in Verbindung mit der kritischen Ausgabe von Avot durch Sh. Sharvit ermöglicht nun eine fundiertere Analyse der Überlieferungsprozesse; eine Lösung sämtlicher Fragen darf man sich natürlich auch davon nicht erwarten.24 Der Durchgang durch die Überlieferung der wichtigsten Schriften der Rabbinen ergibt eine relativ frühe schriftliche Überlieferung vieler Schriften, die jemanden überraschen mag, der von der innerrabbinischen Betonung der mündlichen Tora und deren mündlicher Weitergabe ausgeht, wie sie in bestimmten Traditionssträngen bis in die neueste Zeit als fast selbstverständlich gegolten hat. Doch ist die Wichtigkeit der mündlichen Überlieferung und des rein mündlichen Studiums der Traditionstexte auch bei Vorhandensein schriftlicher Texte nicht außer Acht zu lassen; sie ist nicht nur für die Lernkultur der rabbinischen Welt von größter Bedeutung, sondern bestimmt auch die Über22 W. D. NELSON, Oral Orthography. Early Rabbinic Oral and Written Transmission of Parallel Midrashic Tradition in the Mekhilta of Rabbi Simon ben Yohai and the Mekhilta of Rabbi Ishmael, in: AJS Review 29 (2005), 1–32, 30f. 23 Für den Midrasch Wa-joscha in seinen beiden Fassungen stützt sich mein Urteil auf die Analyse der Handschriften durch E. WIES-CAMPAGNER, Midrasch Wajoscha, Diss. Wien 2007. 24 SH. SHARVIT, Tractate Avoth through the Ages. A Critical Edition, Prolegomena and Appendices (hebräisch), Jerusalem 2004; H.-J. BECKER (Hg.) in Zusammenarbeit mit C. BERNER, W. DREWS und U. KÄMPF, Geniza-Fragmente zu Avot de-Rabbi Natan, Tübingen 2004; H.-J. BECKER (Hg.) in Zusammenarbeit mit CH. BERNER, Avot de-Rabbi Natan. Synoptische Edition beider Versionen, Tübingen 2006.
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lieferungsprozesse ihrer Werke entscheidend mit. Für die Welt des babylonischen Talmud ist diese mündliche Weitergabe besonders prägend geworden; in je unterschiedlichem Maß hat sich das Nebeneinander von schriftlicher und mündlicher Überlieferung aber auf fast alle anderen Texte ausgewirkt. Für viele rabbinischen Schriften liegen zwar schon umfangreiche Studien zur Textüberlieferung vor; für viele andere Texte stehen wir noch immer an den Anfängen. Ein genaueres Verständnis der Überlieferungsprozesse wirkt sich natürlich auch auf den Zugang zu kritischen Editionen rabbinischer Schriften aus. Die Frage, ob man rabbinische Texte wie klassische lateinische oder griechische Literatur edieren darf, von üblichen Formen der Textweitergabe in den Handschriften ausgehen und ein Stemma dieser Handschriften erstellen kann, oder ob man im Extremfall jede Handschrift als je eigene Rezension betrachten muss, die am besten in einer synoptischen Edition neben alle anderen Textzeugen gestellt wird (womit die Textanalyse selbst dem Benützer überlassen bleibt), oder ob die synoptische Edition nur eine Zwischenstufe ist, die die Entscheidungen einer klassischen Ausgabe dem Benutzer nachvollziehbar macht, muss man für jeden Einzelfall entscheiden (natürlich hängt es auch von der Zahl der erhaltenen Textzeugen und dem Umfang einer Schrift ab, was praktisch realisierbar ist). Pauschalurteile helfen hier nicht weiter. Die Frage nach dem Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der rabbinischen Überlieferung hat hier jedenfalls ihre konkretesten Auswirkungen.
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Teil III Textualisierung im Hinduismus und im Buddhismus
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Text Reception and Ritual in Tantric Scriptural Traditions GAVIN FLOOD An important part of all religious traditions, indeed perhaps their heart, is the ways in which they read their sacred texts and receive them through the generations. Much work has been done in recent years which emphasises material culture, the importance of art1 and the centrality of performance in religions which has been an important corrective to an over-emphasis on purely philological problems. But nevertheless, it remains the case that the text set aside and revered in particular ways is of central importance and arguably a defining characteristic of religions. While philological scholarship has tried, successfully, to establish the texts of traditions, it is not simply the text but how the text is used that is important. More precisely we need to examine how texts are transmitted to give us an understanding of what is central to religions, and particularly how texts are internalised by practitioners. The text is internalised in many different ways, through blind recitation to prayerful contemplation on scriptural passages or even inscribing the body with the text in ritual performance. Texts are learned, recited, and received through the generations, a process which functions both to preserve the text over often vast expanses of time and functions to shape the community of devotees in ways constrained, if not caused, by the text.2 These processes of repetition and reception can be seen in the traditions of India which emphasise the importance of text when regarded as revelation. The revealed text known as the Veda, the earliest layers of which reach back three thousand years, is repeated and learned by heart among the Nambudri Brahmans of Kerala and texts are internalised in other practices involving the repetition of mantras and purely inner practices of meditation. By ‘text’ we do not necessarily mean something inscribed in writing as the Veda was purely an oral text for many hundreds of years and writing for a Brahman was regarded as a polluting activity.3 By the late ninth to tenth centuries AD, a group of traditions emerged in India focussed on a revelation or group of texts regarded as revealed by a transcendent reality, called the Tantras. These were seen as 1 E. g. K. TRAINOR, Relics, Ritual and Representation in Buddhism: Rematerialising the Sri Lankan Theravada Tradition, Cambridge 1997. 2 I have developed some of these ideas in: The Tantric Body, London 2006. 3 A. B. KEITH (ed.), Aitareya Aranyaka, Oxford 1909, 5.5.3.
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developments or complements to the older revelation of the Veda by some, while others regarded them as a new revelation which superseded and rejected the older tradition. These tantric traditions were focused on different deities, particularly, iva, Visnu and the Goddess (Devi) in one or more of their forms. The most important of these traditions that attracted royal patronage and appealed to the educated elites of the society, were the traditions focused on iva. These traditions formed a spectrum from those high caste practitioners who followed the orthodox, vedic teachings based on a universal revelation (samanyaastra) who were subject to brahmanical regulation with regard to social status (varnaramadharma), to those who followed more esoteric teachings based on a particular revelation (viesaastra), namely certain groups of Tantras. The religion of iva therefore comprised two broad divisions, the Mahevaras who followed vedic orthopraxy based on the primary revelation of the Veda and texts of secondary revelation comprising the Epics, Puranas, and law books (Smrtis), and aivas who followed the teachings of iva (ivaasana) contained in the Tantras.4 Similarly, for those who followed the religion of Visnu there were orthodox or vedic Vaisnavas and a tantric Vaisnava tradition called the Pañcaratra. The Pañcaratras revered a body of texts as revelation called ‘collections’, Samhitas. Among these one text was particularly important: the Jayakhya-samhita which contains material on ritual, cosmology, funerary rites and mantras. The text was composed before the tenth century as it is quoted by a aiva author Utpaladeva (925–75 AD)5 although it may not be that much older than this and may well be modelled on aiva prototypes.6 The text details the Pañcaratra Brahman’s daily ritual obligations which comprise four or five stages. Firstly bathing to purify the body, secondly the purification of the body through a rite known as the ‘purification of the elements’ (bhutauddhi), thirdly the divinisation of the body through imposing mantras upon it (nyasa), fourthly inner worship through visualisation of the deity (antarayaga), and lastly external worship (bahyayaga), offering incense, flowers and vegetarian offerings to an icon of the deity and receiving a blessing in return and making oblations into the fire (homa). This would have been a time-consuming practice, particularly if performed at each of the three junctures of the day, dawn, midday, and evening. In the account that follows I wish to describe one of the stages of the daily rite, which have also been described by Marion Rastelli,7 namely the
A. SANDERSON, ‘The aiva Exegesis of Kashmir’, in: D. GOODALL/A. PADOUX (eds.), Mélanges tantriques à la mémoire d’Hélène Brunner, Pondichery 2007, 231–442. 5 See O. SCHRADER, Introduction to the Pañcaratra, Madras 1973 (1918), 20–22. 6 Alexis Sanderson, personal communication. 7 M. RASTELLI, Philosophisch-theologische Grundanschauungen der Jayakhyasamhita, Wien 1999. 4
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visualisation of and identification with the deity in the inner rite performed entirely in imagination. Having undergone the preliminary purifications and having created a divine body (divyadeha) in his imagination, the practitioner is then in a position to worship the deity and complete his identification with the deity, through a process in which the text becomes internalised within the body or rather within the imagined or imaginal body of the practitioner.8 This process exemplifies an entextualisation of the body in which the text is inscribed on the body in the imagination of the practitioners.
The Vision of the Throne The Jayakhya describes the body as having various deities located along its central axis which are to be visualised in the ritual process and the throne located in the heart upon which the Lord Narayana is installed.9 The visualisaton is quite complex and I shall quote the text at length to give some sense of what is required. The text describes the visualisation as follows: So, having formerly become Visnu [through the purification of the body previously described], the practitioner should then worship Visnu with the mental sacrifice (1). Imagining [the area] between the penis and the navel comprising four parts, he should visualise the energy whose form is the earth (adhara-akti), above that the fire of time (Kalagni), above that [the snake god] Ananta and the Earth Goddess (Vasudha Deva) (2–3b). There are four parts from the place of the ‘bulb’ (kanda) to the navel. Visualising the ocean of milk in the navel and then a lotus arising (out of it), extending as far as a thousand petals and whirling with a thousand rays (of light), having the appearance of a thousand rays, he should fix the throne on its back (3c–5b). The fourfold [disposition] of dharma, knowledge, detachment, and majesty, descend by means of their own mantras to the four [directions] of Fire [the south east] and so on [south west, north west and north east]; he should fix those four up to the abode of the Lord Iana [the north east]. As for the four feet of the throne they are white with lion faces, but the forms of men in their body and possessing great strength (5c–7). The regions from the eastern direction up to the northern abode are fixed with the opposites of dharma, knowledge, detachment and majesty. These are of human form and blazing like the red bandhuka flower [pentapetes phoenicea] (8–9b). The four [scriptures] the Rg-veda, and so on have the form of a horse-man, are yellow, and [situated] in between the east and the direction of the Lord [north east], between
8
For a good account of the divine body made of mantras see A. PADOUX, ‘Corps et Mantra: De la présence des mantras dans le corps’, in: E. CIURTIN (ed.), Du corps humain au carrefour de plusiers savoirs en Inde, Bucarest and Paris 2004, 563–578. See S. GUPTA, ‘Yoga and Antarayaga in Pañcaratra’, in: T. GOUDRIAAN (ed.), Ritual and Speculation in Early Tantrism: Studies in Honour of André Padoux, Albany NY 1992, 175–208. For the sequence in the Jayakhya see RASTELLI (n. 7) and G. FLOOD, ‘Ritual, Cosmos and the Divine Body in the Jayakhyasamhita’, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde Südasiens 26 (Supplement), 1992, 167–77. 9 For parallels with the Jayakhya see M. RASTELLI, ‘The asana according to the Paramevarasamhita or a Method of Writing a Samhita’, in: G. OBERHAMMER/M. RASTELLI (eds.), Studies in Hinduism III: Pañcaratra and Viistadvaitavedanta, Wien 2002, 9–59.
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the east and the direction of fire [south east], between the south-west and Varuna [the west], and between the wind [north west] and Varuna (9c–10). The group of ages, namely Krta and so on, have the form of a bull-man, are black, and are located in the direction of Iana [north east] and Soma [north], between Antaka [another name for Yama, the south], and Agni [south east], between Yama [south] and the demon [Yaksa, the south west], and between the Moon [the north] and the wind [north west] (11–12b). They all have four arms: with two they support the throne and with two they make obeisance to the Lord of the Universe (12c–13). Above them he should fix firstly a white lotus [and then] threefold [forms, namely sun, moon and fire], way above with those mantras, arising from himself and previously articulated, O Narada. On the back of that he should establish both the King of Birds and the Boar. Having imagined [the area] from the navel to the heart pervaded by five equal sections, he should worship the mantra throne (13c–15b).10
This passage exemplifies a number of important ideas in the tantric traditions about the nature of the body, its relation to the broader universe, and about the relation of body to text. The text describes the construction of the throne of the deity in the heart prior to installing the deity there. In this case the throne of God (asana) is established in the heart and the following section describes Narayana being brought down through the crown of the head to be installed there in preparation for inner worship (antara-/manasayaga) where he is offered flowers, food and incense purely in the imagination. There are two dimensions that we witness here, a vertical hierarchy of cosmic levels (what I have previously called the vertical axis model) alongside a collapsed or extended hierarchy located in the heart (what I have previously called the central locus model).11 The former expresses the idea that the universe is hierarchically ranked for the Pañcaratra with the ‘impure creation’ (auddhasarga) located below the ‘pure creation’ (uddhasarga) of which it is an emanation or appearance (abhasa).12 The lower levels are a coagulation of higher. In the visualisation here, the area from the penis or from the ‘bulb’ (kanda – which we might take to be located in the genital region) to the heart is divided into different regions, each governed by a deity. In ascending order from the penis to the navel we have the Earth Goddess, Kalagni the fire of time, Ananta the cosmic snake upon which Visnu lays during the period when the universe is in quiescence, and a second Earth Goddess. As a general principle, each region of the cosmos is governed by a deity in these systems. At the next stage of the visualisation we reach a level of complexity and association that needs some explication as it evokes the philosophical system known as the Samkhya or ‘enumeration’ school. The area from the navel to the heart is divided into five regions although their precise demarcation is unclear
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E. KRISHNAMACHARYA (ed.), Jayakhya Samhita (Gaekwad’s Oriental Series 54), Baroda 12.1–15. 11 G. FLOOD, Body and Cosmology in Kashmir Saivism, San Francisco 1993, 186–190. 12 For a still relevant study see O. SCHRADER, Introduction to the Pañcaratra, Madras 1916.
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from the text. There is an ocean of milk at the navel (a reference to Vaisnava cosmology) out from which grows a lotus upon which the throne of God is installed at the heart. Here we move into the second kind of model where theriomorphic deities represent different cosmic dimensions supporting the throne. Deities with lion faces and human bodies represent four ‘dispositions’ (bhava) found in the Samkhya system, namely righteousness (dharma), cognition (jñana), dispassion (vairagya), power (aivarya), and their opposites adharma, ajñana, avairagya, and anaivarya. All of these occur at the level of buddhi in the Samkhya cosmology which is the first emanation from matter (prakrti), the material cause and substrate of the universe. Buddhi is often translated as ‘intellect’ and this is accurate to an extent but does not convey the full semantic range of the term which, above all, refers to a higher level of the cosmos, the first evolute or category (tattva) of manifestation. In this system, as in most hierarchical Indian systems, we have a cosmical region identified with an individual psychological category. Out from the buddhi the rest of the cosmos emanates in a further twenty-two categories which are not explicitly represented in our visualisation. Apart from these dispositions making clear the cosmological dimension of the visualisation, we have the four revealed scriptures of the Veda, namely the Rg, Sama, Yajur, and Atharva.13 The inclusion of these texts in this structure clearly shows that the Jayakhya wishes to locate itself within the orthodox, vedic tradition and furthermore that it regards the revelation (ruti) as part of the very structure of the cosmos itself. The scriptural revelation is integrated into the cosmic structure as the support of the throne. We also have time represented by the four ages through which the universe moves or, more precisely, human history moves in a process of entropy from a golden age to the present iron-age where dharma has been lost. Supporting the throne of God we therefore have the four revealed scriptures, the four ages, and the four dispositions of the buddhi and their opposites visualised as theriomorphic deities. The visualisation of the throne and its supports is itself a complete representation of the Lord located in the heart. In the next stage of practice the Lord Narayana is brought down onto the throne from his place above the crown of the head in the practitioner’s imagination, where he is worshipped with offerings of incense and food. While the body of the practitioner is imagined to contain these metaphysical realities in vivid representation – the milky ocean, the lotus, the deities as supports of the throne – it is also important to understand that these are also sound formulas or mantras. Indeed the body of the practitioner, having been purified through the repetition of mantras, has become perfected through mantra repetition and the construction of a divine body (divya-deha) in the 13 For an account see M. WITZEL, ‘The Vedas and Upanishads’, in: G. FLOOD (ed.), The Blackwell Companion to Hinduism, Oxford 2003, 68–101.
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earlier stage of the rite through imposing mantras upon it (nyasa). The body thus becomes a body made of mantra (mantraarira, mantradeha) and the practitioner has taken on the nature of mantra itself (mantratva). The throne in the heart is thus simultaneously visual and phonetic.
The Deities in the Body This theme of the God as a king visualised in the heart is not restricted to the Vaisnava traditions but is also found in aivism. The ‘Hymn to the Circle of Deities Residing in the Body’ (dehasthadevatacakrastotra) is intended to be recited in a ritual context; we have a representation of the Lord with his consort visualised on a lotus in the heart. Although this is a aiva hymn it incorporates the Krama system of female deities. The manuscript of this text from Kashmir cites the hymn but also cites the visualisation in which it occurs and presents a diagram of a lotus upon which the deities of the hymn are installed. This lotus is visualised in the heart. The text reads as follows: 1. Om Homage to Ganesa. Om holy! I praise Ganapati whose body is the inhaled breath, who is worshipped at the beginning of a hundred philosophical systems, who delights in the bestowal of desired wishes. 2. I praise Vatuka known as the inhaled breath who removes people’s pain, his feet are worshipped by the lineage of Perfected Ones, the hordes of yoginis and the best of heroes. 3. I always praise the pure, true master whose nature is attentiveness. By the power of his thought he reveals the universe as a path of Ðiva for his devotees. 4. I praise Anandabhairava who is made of consciousness, whom the Goddesses of the senses constantly worship in the lotus of the heart with the pleasures of their own sense-objects. 5. I praise Anandabhairavi whose nature is awareness, who continually performs the play of creation, manifestation, and tasting of the universe. 6. I constantly bow to Brahmani whose nature is higher mind, situated on the petal of the Lord of gods (i.e. Indra in the east) who worships Bhairava with flowers of certainty. 7. I always praise mother Ðambhavi whose nature is the ego. Seated on the petal of fire (Agni in the south-east) she performs worship to Bhairava with flowers of pride. 8. I always praise Kumari, situated on the southern petal, whose essence is the mind, who gives offerings to Bhairava with flowers of discrimination. 9. I constantly bow down to Vaisnavi seated on the south-west petal, the power whose nature is that which is heard, who makes offerings to Bhairava with flowers of sound. 10. I honour Varahi who possesses the sense of touch. Seated on the western petal she satisfies Bhairava with flowers of touch which captivate the heart. 11. I praise Indrani whose body is sight, whose body is seated on the north-west petal, who worships Bhairava with the most beautiful and best of colours. 12. I bow to Camunda, called the sense of taste, dwelling on the petal of Kubera [i.e. the north]; she constantly worships Bhairava with offerings of the varied six flavours. 13. I always bow down to Mahalaksmi known as the sense of smell who, seated on the petal of the Lord [Ðiva in the north-east], praises Bhairava with varied fragrances. 14. I praise constantly the Lord of the body who gives perfection known as the self, united with the thirty-six categories, he is worshipped as the Lord of the six systems of philosophy.
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15. In this manner I praise the circle of deities innate within the body, an elevated assembly continually present, the end of everything, vibrant, and the essence of experience. Thus the sacred hymn to the circle of deities in the body is fully completed.
Here a lotus is visualised in the heart. At the calyx are the main deities of this tradition, iva in the form of the ferocious Anandabhairava and his consort Anandbhairavi, surrounded by eight goddesses known as the mothers (matr). Each of these is associated with one of the senses or structures of awareness as presented in the Samkhya system. Thus, for example, Brahmani is associated with the buddhi and offers the divine couple flowers of ‘certainty’ (niÈcaya) while Mahalaksmi is associated with the sense of smell and offers varied fragrances. The term for object of the senses is visaya and here the Goddesses offer their visayas to the Lord and his consort. The semantic range of visaya is wider than object and can mean ‘body’ or ‘sphere’. In this extended sense the Goddesses are offering their bodies as well as their spheres and we have the idea that the cosmos, as represented here, is all part of a cosmic system in which the universe is understood as the body of the Lord. Like the Jayakhyasamhita, the Dehasthadevatacakrastotra sees the body, and above all the heart, as containing the totality of the universe. All powers are present within it and these powers are understood not only in terms of visual image but, moreover, as sound through mantras. The body of the practitioner becomes divinised through mantras and the visualisation of the deities is always accompanied by their specific mantras. For our purposes the important point about this text is that it is inscribed on the body in the heart in the ritual imagination. Although in itself the text is not regarded as revelation, it is nevertheless inscribed upon the body in the practitioner’s imagination. In both the aiva and Vaisnava traditions, therefore, we have the visualisation of the deities in the heart. Although we do not have the term ‘throne’ (asana) mentioned in the last text, the fundamental idea is the same and the construction of the throne in the heart is attested from other aiva sources such as the Svacchanda-tantra (1.88), as Andre Padoux has pointed out.14 The throne is visionary and also phonic as it is constructed and maintained with the aid of the repetition of mantras and the understanding of their cosmological significance and the level of the universe (tattva) with which they are associated.
14 A. PADOUX, ‘Corps et Mantra’, 568. Also see A. SANDERSON, ‘Meaning in Tantric Ritual’, in: A.-M. BLONDEAU/KR. SCHIPER (eds.), Essais sur le rituel, III (Bibliothèque des Hautes Études, Sciences Religieuses), Paris 1995, 15–95.
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Gavin Flood
The Internalisation of the Text From these two examples we can therefore suggest the following, that these visualisations represent the internalisation of the system that the tradition presents and that this is the internalisation of the text. Both the Pañcaratra and aiva texts offer visual representations of their cosmology for meditational purposes and these are mapped onto the body of the practitioner in imagination. The cosmos and the theistic reality that controls it are within the heart of all beings. We might say, as I have argued more extensively elsewhere,15 that the subjectivity of the practitioner is formed in a tradition-dependent way. Part of the mechanism whereby the self comes to be identified with the subject implied in the text is through their identification which occurs by a mechanism in which the subject, the ‘indexical I’, can associate with the ‘I’ of the text or the ‘I of discourse’, to use Greg Urban’s phrase.16 The self of the practitioner comes to be identified with the self or implied reader of the text. Metalepsis or deixis, the process whereby words and meanings rely on their context for meaning, is important in that the floating signifier of the first person pronoun, the ‘I’, comes to be identified with the implied ‘I’ of the text. The ‘I’ is an empty sign in that it does not necessarily refer to a specific reality or class of objects such as ‘chair’, but refers to the utterer of the sentence. In texts the use of ‘I’ is therefore generally anaphoric. That is, it is used to refer to a person previously encountered as, for example, in the sentence ‘Emma said “I am going to the mountain’’’, the ‘I’ is anaphoric in referring to the previously named speaker. But used outside of the text the ‘I’ can only be used indexically to refer to the subject, the person responding to the question ‘who?’. Thus on the one hand we have the everyday indexical use of ‘I’, on the other we have the ‘I of discourse’, the ‘I’ contained in the text. The indexical ‘I’ comes to be identified with the ‘I’ of the text in a process with varying degrees of identification. Thus, we might have the ‘I’ de-quoted, taken out of quotation marks within the text as in a play or a poem (‘I wandered lonely as a cloud’). In such cases the indexical ‘I’ is subsumed by the ‘I’ of the text. But there are varying degrees to which the indexical ‘I’ is subsumed, from purely reading to acting in a play to, at the far end of the spectrum, possession in which the self is overwhelmed by another ‘I’. In terms of our texts discussed here we see this kind of process operating. The practitioner identifies himself with the ‘I’ of the text explicitly through the ritual process described above. The indexical ‘I’ comes to be subsumed under the ‘I of discourse’ in the text and the practitioner conforms himself to the 15
G. FLOOD, The Ascetic Self: Subjectivity, Memory and Tradition, Cambridge 2004, 218–
220. 16 G. URBAN, ‘The “I” of Discourse’, in: B. LEE WHORF/G. URBAN (eds.), Semiotics, Self and Society, Berlin, New York 1989, 27–51.
Text Reception and Ritual in Tantric Scriptural Traditions
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implied reader or receiver contained in the text. In the second passage this is explicit in so far as the first person verb is used – ‘I praise’ (vande) – and the practitioner makes the verse his own during the visualisation process. In the first passage from the Jayakhya the third person optative is used in verbs such as dhyayet, ‘he should meditate’ or yajet, ‘he should worship’ and so on, but with the implication that this actually refers to the first person, the person performing the visualisation, that is, the implied reader of the text. Indeed, this identification of the third person of scriptural discourse with the first person is explicitly stated in the Mimamsa tradition. The language of the texts allows for the identification of the indexical ‘I’ with the ‘I’ of the text, the implicit reader of the text. We can also see in these examples that the body becomes inscribed and encoded by the text; an entextualisation of the body occurs in which the body is moulded within the constraints of the historical tradition. The metaphysical systems are mapped onto the body mediated through the text. Indeed, we could say that the text itself is mapped onto the body in the visual or meditational imagination of the practitioner. Furthermore, this imagination is the internalisation of the symbolic order of the tradition. The practitioner lives within the symbolic order of the text, mapping that order onto the self and moreover, celebrating that symbolic order and realising it in experience. The practitioner experiences the metaphysical claims of the tradition while performing the symbolic order. The body thus becomes both the location for the existential realisation of the text’s claims and the performance of the text’s symbolic order. It is not so much that these are regarded as physiological structures of the body, but rather they are understood in more fluid terms and the subtle body (suksmadeha) of the practitioner’s imagination can be constructed in different ways according to different scriptural traditions. Perhaps we might even say the subtle body described by the text is the body of the implied reader and that the construction and identification of the practitioner’s body with the textual body is a process in which the indexical ‘I’ comes to be identified with the ‘I’ of the text and thereby, in the logic of the text, with the centre and source of the universe; the tantric practitioner’s goal.
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Writing and the Rise of Mahayana Buddhism1 WILL TULADHAR-DOUGLAS
1. Introduction Richard Gombrich, in a 1990 essay, argued that the emergence of writing in South Asia was one of several factors that made possible the rise of Mahayana Buddhism. In what follows, I will defend a much stronger claim: that the ritual conundrum of written texts was constitutive of Mahayana Buddhism. As part of this claim, I will also argue that a monolithic and intellectualist understanding of literacy — such as that put forward in Goody2 or Ong3 — cannot account for the widely varying technologies of writing that have emerged, especially within different religious traditions. The development of Mahayana technologies of writing, such as printing and prayer wheels, points directly to one particular way in which written sacred texts were experienced and ritualized in the early formation of the tradition. In order to make this argument, we will look at early Mahayana textual sources about writing. This is territory which has been well trodden by Gregory Schopen4 and more recently by Paul Harrison5, and I will in part be building on their work. Later texts will be consulted to show that the unusual rituals and attitudes of the earlier tradition were not abandoned, but rather taken as a guide for subsequent textual composition. We will also look at ethnographic and historical evidence for mechanisms and processes of highly repetitive pro1 The first version of this paper was delivered at a conference in September 2004 in honour of Richard Gombrich’s career. 2 J. GOODY (ed.), Literacy in Traditional Societies, Cambridge 1968. 3 W. ONG, Interfaces of the Word: Studies in the Evolution of Consciousness and Culture, Cornell University Press, New York 1977; ID., Orality and Literacy: The Technologizing of the Word, London 1982. 4 G. SCHOPEN, ‘Archaeology and Protestant Presuppositions in the Study of Indian Buddhism’, reprinted in: G. SCHOPEN (ed.), Bones, Stones, and Buddhist Monks: Collected Papers on the Archaeology, Epigraphy, and Texts of Monastic Buddhism in India, Honolulu 1997 [1991], 1–22; ID., ‘A Note on the “Technology of Prayer” and a Reference to a Revolving Bookcase in an Eleventh-Century Indian Inscription’, in: G. SCHOPEN (ed.), Figments and Fragments of Mahayana Buddhism in India: More Collected Papers, Honolulu 2005, 345–349. 5 P. HARRISON, ‘Mediums and Messages: Reflections on the Production of Mahayana Sutras’, in: The Eastern Buddhist 35 (2003), 115–151.
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duction, such as prayer wheels, printing, and rotating libraries, as well as sites where there was determined resistance to any shift from manuscript to print. Let me be clear in my purposes here. I am not arguing that the emergence of writing among early Buddhists is the only factor that gave rise to the Mahayana. Other scholars have focussed on social register, specific styles of meditation, or regional differences, and I will not attempt to assess the relative importance of these many factors. As Gombrich himself noted, ‘Social phenomena, including the composition of religious texts, are rarely amenable to a single explanation, and in fact are very often overdetermined’.6 I do believe, however, that Mahayana Buddhism contains a unique way of being literate, and understanding this particular literacy is a prerequisite to understanding both the history and the present range of Mahayana Buddhism itself.
2. Setting out Buddhists of whatever school will agree that the religion consists of the Three Jewels, Buddha, Dharma and Sangha. The Buddhas are extraordinary persons, the most recent being Siddhartha Gautama, who occur at rare intervals in the long span of time. Through many lifetimes of morality, study and cultivation they develop a transforming insight into how things actually are that culminates in a liberating experience, after which they teach, and through their teaching, create a social structure to preserve this teaching. What they understand — the principles they realize in the breakthrough to enlightenment — is called the Dharma. This insight takes expression as a body of teachings, called the asana; and the social institution — an order of monks, nuns, lay men and women — they found in order to transmit their teachings is called the Sangha. Considered as a historical phenomenon, Buddhism, like Jainism or the Vedic traditions, was initially an orally transmitted tradition. We have both positive evidence for the social and ritual organization of its oral transmission and negative evidence, in the form of a deafening lack of references to the materials or acts of writing. What survives is a series of written canons, none of which are in the language that the Buddha and his disciples actually spoke. The most primitive sources are those in Pali, Gandhari and Sanskrit; subsequent translation projects created collections of canonical texts and commentaries in Chinese, Tibetan, Khotanese, Mongolian and other languages. Of the primitive collections, only the Pali canon exists in its entirety. It is the product of the efforts of one particular early Buddhist order to translate their entire transmitted canon into a single language. Once codified it attracted 6 R. GOMBRICH, ‘How the Mahayana Began’, in: T. SKORUPSKI (ed.), The Buddhist Forum: Seminar Papers 1987–8, London 1990, 21–30: 19 n. 23.
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subsequent commentarial material for several further centuries. The Gandhari canon is almost entirely lost, though careful work over the past twenty years has demonstrated the importance of the surviving material. The surviving Sanskrit material is more extensive and varied, containing some material as old as the oldest Pali, and rather more material which appears both chronologically and doctrinally newer. Several schools adopted Sanskrit as their canonical language. Though no single canon survives in the Sanskrit, texts from the Sanskrit Buddhist traditions were the main source for the Tibetan canon, compiled from the 8th to the 14th centuries, and the rules of Tibetan translation are such that we can often reconstruct texts and variants in the Sanskrit from the extant Tibetan texts. The Chinese Buddhist corpus is by far the largest and most varied collection of canonical materials. The earliest translations date back to the 2nd century of the common era. Some texts were translated into Chinese several times over the centuries, and this can provide evidence for the historical development of the underlying original. Much of the Chinese canon was translated from Sanskrit, but Gandhari, Pali and other source languages have also been detected. While the Pali and Gandhari materials are closely associated with specific Buddhist orders, the Sanskrit, Tibetan and Chinese texts come from a range of doctrinal positions and monastic orders. New texts claiming canonical status continued to be composed in Chinese well into the first millennium (the Awakening of Faith attributed to Avaghosa) and, in Sanskrit, right up to the fifteenth century (the Garland texts).
3. Oral transmission of the early canon Several authors have studied the internal evidence of the transmitted canonical materials to make claims about the way in which the earliest Buddhist literature was passed on to subsequent generations. The Pali canon, although it is a translation from a prior language, is still the most fruitful body of material to study in this light. We find textual features, structural or stylistic, that are characteristic of oral transmission; explicit references to behaviours or social structures associated with recitation; and stories expressing the anxiety that the transmission of the textual tradition would be lost. Orally transmitted canons often have structural features that help ensure a reliable transmission. In particular, repetition, metre and numbered lists are features of the Pali canon that acted as ‘error-correcting’ features during the process of its transmission.7 For example, the Anguttara Nikaya is arranged as 7
GOMBRICH, ‘How the Mahayana Began’, 23.
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lists of topics which increase in length: first the set of single topics; then the set of lists of two topics; then the set of lists of three, and so on. Moreover there are references within the Pali Canon to social structures that ensured preservation of specific textual traditions through systematic recitation. Individual monks were described as vinaya-dhara, for example, meaning that they were skilled in transmitting (dhara, ‘sustaining’) the monastic code (vinaya). The monastic code itself contains rules clearly conceived because the transmission of the textual tradition was regarded as potentially tenuous. If a lay person notified a monk that he or she knew a text and was worried that it might be lost, monastic law permitted the monk to interrupt even the rainy season retreat in order to receive it.8 The Buddhist Councils, now remembered more as schismatic events, were actually called in response to threats to the textual tradition transmitted from the time of Gautama Buddha. According to the Mahavamsa — a late source —, at the first council, held not long after the parinirvana of Gautama Buddha, the monk Upali was recognized as the best authority for the Vinaya and so was asked to recite it; similarly, Ananda was asked to recite the Sutta. The received canon was heard and the community of monks was appropriately structured for its continued recitation. Once the textual tradition had been organized, the obligation of the Sangha as a whole to preserve the teachings was formalised as an internal distinction between those monks who were bound to the duty of preserving the texts (ganthadhura) and those who were bound to the duty of meditation leading to enlightenment (vipassandhura).9 From this, then, the picture emerges of a textual tradition and a religious order closely bound up with each other as inseparable aspects of the effort to carry on the work of the Buddha; the order is defined by the texts it recites, the texts contain rules for the order, and the texts are structured in order to be reliably transmitted within the order. Now, Gombrich has argued that the Sangha was founded (among other reasons) in order to faithfully preserve the oral teachings, and the teachings themselves were internally ordered so that it was difficult to create apocryphal texts. If we follow this line of reasoning, then the introduction of writing involves a loss of bibliographic control: it becomes possible to write out a new text and collate it in with other, canonical materials in a way that is not possible when the textual tradition is communally recited. Under these circumstances, any text which is critical of the current teachings or introduces something which is palpably new has no chance of survival. It is possible that hundreds or even thousands of monks, nuns and Buddhist lay followers had visions or other inspirations 8
GOMBRICH, ‘How the Mahayana Began’, 25. R. GOMBRICH, Theravada Buddhism: A Social History from Ancient Benares to Modern Colombo, London 1988, 152–3; GOMBRICH, ‘How the Mahayana Began’, 24–5. 9
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which put new teachings into their minds, possible that they composed texts embodying those teachings — but we shall never know. For without writing those texts could not be preserved.10
For Gombrich, then, the introduction of writing creates the conditions whereby new texts could emerge from private experience into the ownership of the Sangha as a whole. Moreover, as he notes, a new text need not struggle to win legitimacy: it might happen almost by accident. ‘A single manuscript in a monastic library, studied by no one, could be picked up and read, even translated, by a curious browser or visiting scholar.’11
4. The text remains with the physical remains For Buddhists, the end of the life of a historical Buddha is also the cessation of all rebirth; this is the meaning of the term parinirvana. While the ritual and philosophical responses to that absence are many and varied, what is relevant for us now is that even as Gautama Buddha came to the end of his life, he was alert to the problems posed by his imminent absence. His instructions are contained in the fifth chapter of the Mahaparinibbanasutta, a Pali text with cognate versions preserved in Sanskrit, Chinese and Tibetan. In this text, two modes of continuity are identified. When the monk Ananda expressed anxiety over his imminent departure, Gautama directed him and all Buddhists to the asana. About his teachings, he said, ‘Whosoever sees my teachings sees me’. It is in this context, then, that we need to understand the significance of faithfully transmitting the Buddha’s teachings: it was understood as a ritual continuation of the presence of Gautama Buddha himself, a key link among the Three Jewels. Not long after the discussion of his teachings, Ananda asked Gautama Buddha what should be done with a Buddha’s corpse. Gautama made it clear that the actual funeral rituals were not to be performed by Ananda, but gave detailed instructions as to the type of ritual specialists who should perform his mortuary rituals, and recommended the worship of his funeral mound as a devotional practice for all Buddhists. Even during the time of Gautama Buddha, the remains of eminent monks were placed into hemispheric burial monuments called stupas; and Gautama Buddha’s description of how to worship a stupa makes it clear that this was a familiar ritual. Scholars within certain Buddhist traditions did try to interpret this passage as debarring monks from worshipping stupas; and this gave rise, in 20th century scholarship, to a widespread and erroneous correlation of the doctrinal body with the celibate Sangha and the physical body with the lay Sangha. This is not borne out either by 10 11
GOMBRICH, ‘How the Mahayana Began’, 27. GOMBRICH, ‘How the Mahayana Began’, 29.
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the textual sources or indeed the wealth of subsequent evidence for ritual worship of stupas, physical relics, images, and other material indices of teachers within the tradition.12 The effect of these two instructions given by Gautama Buddha just prior to his death was to establish two lineages of continuity realised through distinct ritual complexes. The body of the teachings was carried as an oral tradition that structured and was guaranteed by the monastic order to which it was entrusted. The remains of the material body, the stupa, became the locus of devotional rituals performed by all Buddhists. The distinction between these two bodies, the physical (rupakaya) and the doctrinal (Pali dhammakaya, Sanskrit dharmakaya), is known from Pali commentaries and modern studies13 which emphasize a doctrinal and metaphysical understanding. Yet to an anthropologist, these are bodies created and sustained through ritual; stupas require very specific rituals for their creation and consecration, and we have already had a taste of the ritual ordering of the Sangha for the purpose, among others, of ensuring the continued correct recitation of the asana. So long as the teachings had no material presence, these two domains of ritual remained distinct. The spread of writing in South Asia brought them into collision. The origins of writing in South Asia date back at least as far as Aoka (mid-3rd century BCE), who left his inscriptions in a wide range of scripts and languages.14 The confusion experienced by Buddhists of the time is made very clear in the story of Sadaprarudita, to which we now turn.
5. Where is the Perfection of Wisdom? The story of Sadaprarudita comes at the very end of an early Mahayana text, the Astasahasrika Prajñaparamita (Perfection of Wisdom in 8,000 Lines, hereafter AsP). Through the story of a pilgrim, it intends to show the importance of devotion to the text itself. This in itself is interesting, but far more interesting is the confusion experienced by key actors within the narrative over the location and aspect of the text. In his doctoral thesis, Lancaster15 used the sequence of Chinese translations from the Sanskrit to describe the evolution of the late Sanskrit text of the AsP 12 G. SCHOPEN, ‘Monks and the Relic Cult in the Mahaparinibbanasutta: An Old Misunderstanding in Regard to Monastic Buddhism’, in: K. SHINOHARA/G. SCHOPEN (eds.), From Benares to Beijing: Essays in Honour of Jan Yün-Hua, Oakville 1991, 187–202. 13 F. REYNOLDS, ‘The Several Bodies of Buddha: Reflections on a Neglected Aspect of Theravada Tradition’, in: History of Religions 16 (4), 1977, 374–89. 14 For a review of the recent literature see P. J. GRIFFITHS, Religious Reading: The Place of Reading in the Practice of Religion, Oxford 1999, 34–40. 15 L. LANCASTER, An Analysis of the Astasahasrikaprajñaparamitasutra from the Chinese Translations, PhD thesis, Religion, University of Wisconsin, 1977.
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that had been translated by his teacher, Conze.16 He concludes, against Conze, that the Sadaprarudita narrative is part of the earliest Sanskrit text as translated by Lokaksema around 180 CE,17 though the narrative is expanded and made less coherent through later redactions. Though the story I wish to consider is not assembled in all its pieces until the later translation of Kumarajiva, some 200 years later,18 the climax of the story — in which the hero is confounded by the object of his pilgrimage — is present in the very earliest version. The story of Sadaprarudita, ‘Always Weeping’, is the story of an aspiring Buddhist, a Bodhisattva, devoted to the Perfection of Wisdom. Summoned by a voice, he makes a pilgrimage to the much more advanced Bodhisattva Dharmodgata, and, as it turns out, to the Prajñaparamita itself which is enshrined in Dharmodgata’s city. The story of this devout pilgrim is clearly an example for hearers or readers of the AsP, and it is typical of the self-referential nature of South Asian religious works that the AsP closes with the story of a pilgrimage to itself.19 The story begins with Sadaprarudita searching (paryesamanah) for the Prajñaparamita. A voice manifests and speaks to him, saying, ‘Go East, oh well-born son. You will then hear (rosyasi) the Perfection of Wisdom’ (V 238.8). The voice promises him that he will be able to hear (rosyasi) the Perfection of Wisdom ‘either as a book or as the body of a dharma-reciting monk’ (pustakagatam va dharmabhanakasya bhiksoh kayagatam V 238.30). After going east and passing through a few instructive adventures, Sadaprarudita learns that he must find a great Bodhisattva named Dharmodgata, from whom he will hear the Prajñaparamita. The vocabulary is unambiguous; various forms deriving from the root Öru occur, and he desribes Dharmodgata (whom he has not yet met) as the person who will cause him to hear the Prajñaparamita — ‘yo mam Prajñaparamitam ravayisyati’ (242.15). Yet when he finally encounters it, Sadaprarudita does not recognise the Prajñaparamita. In search of the Bodhisattva Dharmodgata, Sadaprarudita has come to the great city of Gandhavati, and travels inwards to find a festival going on around a great peaked shrine (kutagara) in the very center. Moreover, at that time the great Bodhisattva Dharmodgata caused a peaked shrine to be built from seven (kinds of) jewels, decorated with copper and sandalwood, draped with strings of pearls. At each of its four corners he had lamps fashioned from single rubies set. On each of 16 E. CONZE (trans.),The Perfection of Wisdom in Eight Thousand Lines and Its Verse Summary, Bolinas, Cal. 1973. 17 LANCASTER, Analysis, 13. 18 In particular, the reference to seeing the Perfection of Wisdom in the form of a book or a dharma-reciting monk is first found in Kumarajiva’s translation (LANCASTER, Analysis, 39, 234 n. 18, and 369). 19 References for the Sanskrit text are to Vaidya’s edition: P. VAIDYA (ed.), Astasahasrika Prajñaparamita, Darbhanga 1960. Conze’s translation is problematic and I have tended to provide my own translations.
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the four sides were silver censers facing each of the four directions, in which pure krsnaguru (Vepris bilocularis) incense was burnt to worship the Prajñaparamita. In the middle of this shrine was set a seat20 (paraxka) made from seven jewels; and on the seat was a casket (peda) made from four jewels. The Prajñaparamita, written on leaves of gold coated with lapis lazuli, had been placed inside this. The peaked shrine was decorated with hanging banners and garlands of many colours. (V 249–50.4) Now Sadaprarudita, the merchant’s daughter and her five hundred attendants saw the peaked shrine laden with countless arrays of offerings. They saw hundreds of godlings, with Indra chief of the gods, scattering and showering and festooning the peaked shrine with sacred mandarava flowers, sandalwood, gold dust and silver dust. They heard divine hymns. (V 250.5–9)
Not understanding what he is seeing, Sadaprarudita addresses Indra21 directly and asks what the point of all this festooning and scattering of divine flowers and singing of praises actually is. Indra’s response is at once direct and evasive. He teases Sadaprarudita for his ignorance: Don’t you know? This, indeed, is the Prajñaparamita itself, mother and leader of the great Bodhisattvas! Great Bodhisattvas who practice it quickly attain all the perfections and qualities, all the dharma of the Buddhas, and omniscience. (V 250.13–6)
Sadaprarudita, however, remains confused, and asks, ‘Where is it?’ Clearly, he still does not understand what he is seeing. Indra then makes it very clear: This is it: written by the noble Bodhisattva Dharmodgata on leaves of gold, coated with lapis lazuli, placed in the centre of the shrine and sealed with seven seals. (V 250.18–9)
It is the holy object enshrined immediately in front of Sadaprarudita, on a raised dais, and the obvious centre of all the attention. Indra, however, goes on to make one last remark. We cannot easily show it to you (sa na sukara asmabhis tava darayitum). (V 250.19–20)
There are a number of interesting points to observe here. First, Sadaprarudita, although he has vowed to find the Prajñaparamita, is quite unable to recognize it, even though it is the central object of worship in a huge public display, until it is pointed out for him. Second, at the point of arrival, when he reaches the destination of his pilgrimage, Dharmodgata has apparently just finished writing out a copy of the codex. Third, although Indra teases the patient pilgrim, even he, king of the gods, is somehow unable to actually show the Prajñaparamita to Sadaprarudita. Why was Sadaprarudita unable to recognize the Prajñaparamita, and why is Indra unable to show it to him? The answer to the first question is, I think, clear; Sadaprarudita never expected to see the Prajñaparamita. Given his ear20
See the photograph of modern Newar codex-worship for a fine example of ritual continui-
ty. 21 He is acquainted with Indra from a previous encounter when the god tested the pilgrim’s bodhisattva vow.
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The worship of the nine sacred texts, in manuscript form, that preceded a large recitation of all nine texts by dozens of Vajracaryas. 2003, Bu Bahal, Laliptur, Nepal.
lier visions, this is not surprising. Until this time, he has been expecting to hear, not see, the Prajñaparamita. Even though it has been the object of his pilgrimage, its presentation as an object of ritual worship is, for him, so unexpected as to prevent him recognising it when he arrives. Indra’s inability to show him the Prajñaparamita is a more difficult problem. I think there is the hint of an answer in the recurrent sevenfold symmetry of concentric layers around the manuscript; the city of Gandhavati itself is said to be encircled by seven walls with seven gates and so forth (V 249.16ff). This sevenfold enclosure is the exterior manifestation of the seven seals which prevent Indra from gaining access to the interior of the manuscript. While there is no obvious sequence of seven stages within the Perfection of Wisdom material, there is a clear parallel to the description of Sukhavati in the Pure Land texts. Sukhavati is said to be surrounded by seven railings and seven rows of palm trees.22 The idea that the manuscript is itself a Buddha-field is not 22 L. O. GOMEZ, Land of Bliss: The Paradise of the Buddha of Measureless Light (Studies in the Buddhist Traditions), Honolulu 1996, 16. In terms of dating the correspondence is certainly not improbable; the Chinese translator for both the Shorter Sukhavati Sutra and the first recension of the AsP that contains the complete Sadaprarudita story is Kumarajiva.
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elsewhere developed that I have seen, but if the parallel is not accidental, then the manuscript certainly exceeds the powers of any non-Buddhist deity.23
6. The shock of the written What fascinates me about the story of Sadaprarudita is that the climax turns on his ignorance of books. Even when the voice in his visions clearly alerts him to the possibility encountering the text ‘in the form of a book’ (though this phrase is only in the latest versions) he is still utterly baffled by the enshrined codex as an object of worship (and this is in the earliest versions). It is not what he thought he was coming to hear. Given the constant reference to the act of writing all through the rest of the book, the story is not intended to introduce the possibility of a written sacred text in itself; rather, it is intended to offer a model of piety that can withstand the collision of the two separate ritually constituted continuities of the Buddha. Recall from above that, as a result of the need to preserve the teachings, the ritualized repetition of the teachings descending from Gautama Buddha was the right and duty of the Sangha, while the ritual worship of material markers was fixed to memorial shrines (stupas). These two exclusive modes of ritually accessing the absent Buddha were collapsed into an inconceivable singularity when the sacred teaching was first written down. Responses to this riddle varied among Buddhist communities. It is a feature of those innovating movements that came collectively to be called the Mahayana that, along with doctrinal features such as the generalisation of the Bodhisattva ideal (as is apparent in the Sukhavati texts) and the cosmological expansion visible in the Gandavyuha, they developed a specific doctrine of sacred literacy — the Prajñaparamita quickly acquired a divine aspect not dissimilar to Sophia of the Wisdom literature — and a set of rituals embedded in their sacred texts which gave them a wholly different character to any other textual tradition, Buddhist or otherwise. In short, the Mahayana schools invest the materialized teaching, the book, with the sacrality of a relic — fragments of written text were treated as relics and enshrined in stupas — but just as importantly the written text came to be constituted by continuous and pervasive re-inscription. This repetition becomes a ritual purpose in itself, distinct from (and sometimes even opposed to) any effort to communicate the meaning of the text.
23 The Pure Land literature is another important source for the early Mahayana. This is an intriguing example of intertextuality between the two genres, often thought to be distinct.
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7. Text rituals The Perfection of Wisdom literature — there is a whole genre within which the AsP is one of the two eldest texts — is the source of textual praxis for the subsequent tradition. Within the AsP, long lists of text rituals occur dozens of times, varying by context. A typical injunction suggests that, in spite of the efforts of Death to thwart the pious, one should acquire (udgrhitavya) the Prajñaparamita, recollect it (dharayitavya), cause it to be recited (vacayitavya), understand it (paryavapnavya), promote its exposition (pravartayitavya), display it (upadestavya), teach it in detail (uddestavya), recite it privately (svadhyatavya), arrange for a manuscript copy to written out (lekhayitavya), and write it out oneself (likhitavya) (V 124). Now, there are two features of this list worth considering in detail. First, it is reflexive. The Prajñaparamita, as a manuscript, is giving instructions for how the book itself should be used. Rather like the bottles that Alice encounters in Wonderland (‘drink me!’), an early Mahayana adherent would have picked up this manuscript and found that it demanded that he or she carry out a series of acts, such as preaching the text and paying for more copies of the manuscript to be made. Second, the natural consequence of these prescriptions is the rapid multiplication of the manuscripts in question. Where we have ethnographic data for the performance of these rituals, a third feature emerges which, for a reader accustomed to the Gutenberg model of literacy, is jarring. The repetition is not performed in order that the text be understood; indeed, as this new literacy took hold and developed, a wide range of mechanisms and ritual patterns emerged, none of which were concerned with conveying the meaning of the text. While north of the Himalayas there was an exuberant development of new ways in which to achieve this repetition, in the Indic region a more conservative attitude prevailed. In the Kathmandu Valley it is still possible to see the last remaining Sanskrit Buddhist communities, the Newars, whose Buddhist priests (Vajracaryas) perform manuscript rituals for the Prajñaparamita and other texts on a daily basis. These ritual recitations offer a minimal example of my third feature; for once the lead Vajracarya has prepared himself and properly worshipped the manuscript, he then divides up the manuscript into as many parts as there are Vajracaryas present. All then settle down — having prepared themselves properly — and begin to read their sections, out loud, all at the same time. The more priests there are, the quicker the reading is completed; and if someone arrives late, they are handed a spare bundle of pages by one of the other Vajracaryas, complete their preliminary rituals, and settle in to reading. The result, from the perspective of a listener expecting to hear the text and understand it, is chaos.
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This style of reading, where the point of the reading is to have read the text but not to convey textual meaning, is deeply disorienting to members of other South Asian religious traditions. When I described this ritual to Pt. Ganesh Thite, of Pune University, his sense of Vedic orthopraxy was deeply offended. In his view the ‘correct’ way to achieve an efficient recitation was for one fully qualified Brahmin to read out a Vedic text, and several others to listen to it. The idea that the manuscript could be dismantled and read out with no concern for the listener was, to him, appalling. The Theravada ritual recitation of texts is similar to the Vedic. Such a reading is presently underway for the health of the king of Thailand. All 45 volumes of the Pali canon are being read out in a perfectly intelligible sequence, twenty-four hours a day for around 57 days. A newspaper article explaining the ritual notes: ‘During the readings, the monks and the members of the public will read the Tripitaka aloud in unison. Most Thai Buddhists have no problem reading the Pali texts’.24 For the sponsors who pay for a Newar Buddhist recitation ritual, however, the more readers the better. David Gellner25 interviewed the sponsors of such a ritual at Kwa Bahal and found that they expected this ritual to alleviate illness, bring wealth and assist with smuggling, among other benefits. In 2003 I witnessed a ritual recitation staged in order to celebrate the end of a decades-long project to publish all the nine core Sanskrit texts of Newar Buddhism into printed Newari editions. Dozens of Vajracaryas, selected for their prestige, were invited to Bu Bahal to recite all the nine texts. Not surprisingly, the relative worth accorded to the Newari printed books and the Sanskrit hand-written codices was expressed nicely in the organization of the ritual. The organizers had carefully laid out the printed volumes as a mandala,26 thus arguing visually that the printed volumes were just as good as the codices; but the actual ritual worship and the subsequent recitation were performed using the Sanskrit manuscripts. The entire affair lasted all day and required some 400 person-hours of ritual effort. Finally, we might note that later Mahayana texts, well aware of the ritual status of earlier Mahayana books, argued for their greater worth in terms of ritual superiority. The Gunakarandavyuha, a 15th century Newar metrical Sanskrit text, contains a level shift in the ritual use of texts. In the final chapter, after listing the various activities which are appropriate to the text, the point is 24
P. JAICHALARD/M. SUKYINGCHAROENWONG, ‘Tripitaka Marathon to Honour the King’, in: The Nation, 16 October, accessed online (17 October 2007) at http://www.nationmultimedia.com/2007/10/16/headlines/headlines_30052584.php. 25 D. N. GELLNER, ‘The Perfection of Wisdom: A Text and Its Uses in Kwa Bahah, Lalitpur: From Soteriology to Worldly Benefits’, in: D. GELLNER (ed.), The Anthropology of Buddhism and Hinduism: Weberian Themes, New Delhi 2001, 186. 26 W. TULADHAR-DOUGLAS, Remaking Buddhism for Medieval Nepal, London 2006, 95, 144.
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made that copying out a single manuscript of this book is the equivalent of copying manuscripts of every single Mahayana sutra.27
8. Meaningful recitation Is this, therefore, a meaningless reading? Here I think we must distinguish carefully between intelligibility and meaning. While the recitation imperative derives, at least in part, from the oral tradition that preceded literacy — a recitation whose intention was precisely to preserve an intelligible transmission of the teachings — there is another ritualized use of language in Indic religions, the mantra, which influenced the development of Mahayana recitation. Mantras are unintelligible sequences of sounds, though they are not meaningless. Their meaning is exactly their recitation, through which a deity is said to be realized. In the case of the Perfection of Wisdom, the text itself becomes a deity, also called Prajñaparamita. The specific ritual relationship, whereby the recitation of a text actualizes the deity that is the text, is expressed very clearly at least twice within the classical Indic tradition before the rise of Vajryana tantras. Within the commentarial and philosophical corpus there is a short commentary by Dixxaga (480– 540 CE) on the Prajñaparamita called the Collected Essence of the Perfection of Wisdom (Prajñaparamitapindarthasamgrahah). The first verse reads: The Perfection of Wisdom is nondual awareness; she is a Tathagata. The word refers both to book and path; it is to be attained through application to its meaning. prajñaparamita jñanam advayam sa tathagatah sadhya tadarthyayogena tacchabdam granthamargayoh
The point here is that the book (grantha means the physical manuscript, not the abstract text), the deity, and the process of meditative progression are not different, and it is precisely that nondifference that is the key to using the book, realizing the deity and progressing along the path. Dixxaga is very carefully indicating that the ‘meaning’ of the term Prajñaparamita, and by extension, the words within, is not verbal meaning. It is realized through the application of a person to the deity, to the book, to its rituals, and to the Buddhist path unfolded thereby. This same argument is made in visual form in the iconography of Prajñaparamita as a statue or painting that became widespread after about the 8th century in the Kathmandu Valley, Bengal, Indonesia and elsewhere. The deity is depicted as a four-handed female bodhisattva, holding a book in the upper left 27 W. TULADHAR-DOUGLAS, History and Cult of the Gunakarandavyuha, MPhil thesis, University of Oxford, 1997.
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hand and a rosary in the upper right hand. The lower two hands are joined at the sternum in a gesture called ‘turning the wheel of Dharma’ — that is, expounding the Buddhist teachings. Now, the book that she is holding is also the Prajñaparamita; and the rosary indicates that she is reciting the book. Thus the iconography makes the same argument as Dixxaga did: the deity is the book, and she is the recitation of the book as well, and this taken together is how the meaning of the book is taught.28 It should not be surprising, then, to learn that Newars ritually quicken their sacred texts. Not every book gets this treatment; but there are forms of writing (precise calculations of the astrological date and ritual language) found in the colophons of the manuscripts of sacred texts that show that the books have been invested with presence in the same manner as statues of deities and the cloth paintings used for ritual and mediation. For this reason, the book must be worshipped before it is recited; for this reason, such a ritually quickened manuscript cannot simply be thrown away. Ritual handbooks list the ritual used to consecrate a newly copied book (the saphu coya vidhi).
9. Historical depth in Nepal The textual claims are ancient; the ethnographic data is modern. We do have evidence, beyond the text’s own urgings, for the antiquity of these rituals. The foundation myth for Bu Bahal notes that a Bengali widow brought a small reliquary and manuscript of the Prajñaparamita written in in 188 CE (VS 245) — a very early date but not impossibly so — when Bu Bahal was refounded around NS 40 (= 920 CE).29 Manuscripts dating to about that time still exist and are the basis for recitation cults today in several other Newar monasteries. The manuscript at Tham Bahi, also said to be of Bengali origin, was first written out in 1223 CE; that of Kwa Bahal in 1225 CE, and that of Michu Baha is said to date to 1010 CE. Given the antiquity of Prajñaparamita and Pañcaraksa manuscripts generally, these are reasonable dates; what is interesting is that these particular manuscripts have survived constant handling for so many centuries. The manuscripts are inscribed to show their periodic renovations, a process by which the entire manuscript is re-inked, character by character. This ritual may require that the consecrated manuscript be deconsecrated and reconsecrated afterwards. Gellner30 describes this process and relates the frequency of renovation
28 See P. PAL, Art of Nepal, Los Angeles 1985, 198, P4, cover (b) for an example from the 12th century. 29 J. LOCKE SJ, Buddhist Monasteries of Nepal Sahayogi Prakashan, Kathmandu 1985, 156. 30 GELLNER, ‘Perfection of Wisdom’, 189–90.
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to the intensity of usage. While he suspects that the present social organization of the recitation cult is recent, it is clear that the ritual was already thriving during the Pala period. From the 9th century we have a short ritual manual translated into Tibetan by Danaila on how correctly to recite a book (the Pustakapathopaya) that gives a brief Vajrayana ritual.
10. Ritual and mechanical innovation Compared to their northern and eastern neighbours, Newar Buddhists have been conservative in their ritual textual practices. This is useful for comparative purposes, and when we consider the technology that the Newars actually had to hand — such as stamps and dies for metal coins and sculpture — it makes their resistance to Tibetan innovations all the more striking. There were important Tibetan monasteries within the Newar culture area from at least the 8th century. The constant flow of people and materials across the Himalayan spine included texts, teachers, medicines, fabric and other commodities, and Newar Buddhism must be considered one of the three founts that watered the Tibetan traditions as they developed. Now, the Tibetan canon was printed for the first time in the 12th century, using wood block technology learned from the Chinese (who printed theirs in the 10th); and while this version of the printed canon was lost, several subsequent complete editions were carved for printing. These printed editions run to hundreds of volumes and are an important part of any monastery’s furnishings. Yet it was only in the early 20th century that the first Newar book on Buddhism, a translation of the Lalitavistara, was printed. The contrast between the two traditions is most starkly shown by the placement of prayer wheels around the Buddhist shrines of the Kathmandu Valley. The hundreds of diaspora Tibetan monasteries that litter every hilltop in the Valley are lined with prayer wheels; Newar monasteries have none, save where Tibetans have noticed their existence. Thus the most ancient shrines of Avalokitevara at Bungamati and Jana Bahal do have prayer wheels, for they are featured in medieval Tibetan pilgrimage guides; but Itum Bahal, just as ancient but unknown to the Tibetans, has none. For those unfamiliar with a prayer wheel some explanation may be in order. They come in all shapes and sizes but the basic format is a cylindrical drum, stuffed with printed Buddhist texts, mounted on a shaft that serves as both axle and mount. The outside of the drum is covered with rings of writing, mantras, that rotate past as the drum is spun. Most commonly seen are the handheld prayer wheels, where the shaft extends downwards to become a handle and the drum has a weighted tassle attached. By a regular swirling motion of the right hand, the drum is set to spinning clockwise. Each revolution counts as a recita-
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tion not just of the mantras inscribed on the surface of the drum, but also of all the texts within. Larger prayer wheels are set into the walls and corridors of Tibetan monasteries, some the size of five gallon paint tins, and some the size of giant tree trunks. The smaller prayer wheels are set into motion with a brush of the hand as one walks past, and an internal ratchet makes a cheerful clacking clatter as one sets eight or twelve of them into motion passing along a wall. The larger size have a bell that tolls once for each revolution, and small children often expend tremendous effort hauling these round just to hear the bell. Prayer wheels have been around for at least a thousand years. They derive from a similar sort of innovation that led the Indo-Newar Buddhists to divide up a manuscript into bits: the point is to achieve as many recitations as efficiently as possible. While there are Tibetan texts that discuss the construction and use of prayer wheels, there are no such Sanskrit texts, nor do the Tibetan texts offer any clues as to their origins. Yet among Tibetans the ritual impetus drives a continuous process of invention. I have seen a tiny prayer wheel driven by rising hot air placed neatly on the radiator of a monk in England, apparently a modern adaptation of the larger models that used to sit in monastery kitchen chimneys. Refugee communities in Karnataka paint mantras on the vanes of windmills and ceiling fans. In California, one of Tarthang Tulku’s first students told me the story of his encountering a phonograph for the first time: it was swiftly appropriated for prayerwheel duty. Since then his organization has experimented with new technology and applied it to the recitation problem. Early laser printers were used at their finest resolution to jam far smaller copies of the mantras onto paper than a human hand could ever write; the paper was trimmed and glued into long strips that were then wound, again using modern machinery, into highly compressed spools that were inserted into traditional prayer wheels. The effect, as I was told, was to increase the number of texts released per revolution of the prayer wheel by at least an order of magnitude. Similar claims are made on the website: Since 1991, mantras and texts for prayer wheels have been typeset in a computerized Tibetan font designed for the Yeshe De text preservation projects. This allowed much more text to be printed in a very small area. Lines can be scaled down and the text compressed into compact units of meaning. A custom-designed typesetting program stacks the lines closely while retaining legibility. Even so, the final copy is checked line by line with a magnifying glass for type defects and gaps. This technological innovation and careful review has made it possible to create uniquely powerful prayer wheels containing extensive collections of important Sutras, mantras, and dharanis. The Dharma Wheel Cutting Karma prayer wheel, for example, compresses the text of the Eight Thousand Line Prajñaparamita, an entire Tibetan volume, into a single line that spans eighty-one press sheets. About 52 lines of this length (325') set one above another and printed on 3 1/2"-high paper can fit into the drum of a handheld wheel.31 31
Text from http://www.nyingma.org/PrayerWheels/typing2.htm.
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Another prominent Tibetan teacher working in the west, Lama Zopa Rimpoche, describes the beneficial effects of a prayer wheel filled with microfilm.32 Tarthang Tulku’s organization went on to design and install hundreds of solar-powered prayer wheels that spin silently, with no human hand to push them, on the Tibetan plateau. So far as I know, there is no warrant in the Sanskrit sources for regarding a rotation of a book as equivalent to reciting or writing it out. Other forms of abbreviation exist, however. In the recitation of very large numbers of mantras, each recitation may count for ten or a hundred; the use of circular rosaries for keeping track of recitation may have pointed the way to rotation. Physical abbreviations include the fan-like stylised books used in some Zen monasteries, which are riffled to yield a rather musical sound; this is held to be the equivalent of one recitation of the text. The theory behind prayer wheels applies also to prayer flags, which are said to release an instance of the texts printed onto them with each flap in the wind; but the link between human intentional action and the merit derived from the prayer wheel is usually clearer. There is, however, a related device, the rotating sutra case or library (Chinese lun ts’ang, Japanese rinzo), which is almost certainly genetically related to the prayer wheel.33 Just as the prayer wheel is almost exclusively a Tibetan item, so the rotating sutra case exists only in China, Korea and Japan, although there is some confusion between the two. These rotating libraries are always large. Guo,34 translating a Sung dynasty handbook of 1103, gives the standard height as 6.4 metres, but some were much larger. The example at Wu t’ai shan is some 20 metres in height. The library as a whole is mounted on a bearing; it is octagonal in shape, and the library has handles on the outside allowing it to be rotated. These exist in several Japanese monasteries, including Asakusa in Tokyo and the important Shingon site of Koyasan. These rotating libraries are used in the same way as very large prayer wheels: by moving the library 32 LAMA ZOPA RINPOCHE, ‘The Benefits of Prayer Wheels’, available online at http:// www.medicinebuddha.org/prayer_wheels.htm. Last accessed 16 October 2007. 33 SCHOPEN, ‘Note’, 345, in which he tries to locate the origins of revolving book cases in India, is clearly unaware of GUO, who gives much earlier dates for the first revolving bookcases in China; Q. GUO, ‘The Architecture of Joinery: The Form and Construction of Rotating SutraCase Cabinets’, in: Architectural History 42 (1999), 96–109. In his defense, he apparently wrote the article in the 1980s and did not update it before publication. If Schopen’s interpretation of the difficult Vipularimitra inscription is correct, then this may well be evidence for the spread of prayer wheels or revolving bookcases from Central or East Asia to eleventh century Indic Buddhist sites. Where he argues that it must be a bookcase rather than a prayer wheel, his argument is again flawed. It is possible to write an epitome of the AsP in a small enough form to fit within a prayer wheel and such epitomes are widespread in Newar Sanskrit Buddhist manuscripts, especially the ‘portmanteau’ manuscripts that contained mantra-like ritual epitomes of several major texts that allowed for their speedy recitation. 34 GUO, ‘Architecture of Joinery’, 97.
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through one complete revolution, the user gains the merit of having completed a recitation of every single book in the library. Unlike a prayer wheel, the volumes within the library remain accessible for scholarly use.
11. Printing as monumental recitation Given what has gone before, it should come as no surprise that the world’s first printed texts were Buddhist dharanis, short magical texts intended for recitation. The earliest dated printed text is either a dharani of a six-armed Bodhisattva, dating from 757 CE,35 or the famous Dunhuang Vajracchedika Prajñaparamita of 868 CE. Both of these were woodblock prints, and there is some evidence for wood blocks being used for motifs and designs even earlier. We can, I think, learn somewhat more from a set of single page charms from Japan, the Hyakumanto Darani printed on the orders of Empress Shotoku (718–770). Metal plates were cast and used to print one million sheets containing as many repetitions of four prayers. Each sheet was then rolled up and inserted into a small wooden stupa carved on a lathe. The scale of this project and the nature of the end product make it clear that printing was not seen as a means to achieving wider readership. Education was not the point: repetition, simple repetition, was the point. Certainly in its historical context Shotoku’s project was also a clear message to the Nara-period Buddhist sangha that relations between the throne and the sangha had recovered from a recent crisis; but within the value system endorsed by Nara Mahayana Buddhism, the purpose of the ritual was the printing itself. Similarly impressive is the Thunder Peak Pagoda, constructed in 975 CE by a prince of the Wu-Yue Kingdom, now in the Zhejiang Province of China. This structure was built from bricks each one of which was hollow and had a printed scroll inserted within it. By deliberate analogy to the tradition of the multiplication of the corporeal relics of akyamuni, the dedication to the text claims that 84,000 impressions were made for insertion into bricks.36 This astonishing construction was only discovered when the structure collaped in 1924. Large state-sponsored printing projects are a hallmark of this period in East Asia. The Chinese canon was first carved onto blocks in the late 10th century under imperial sponsorship, requiring well over 100,000 wood blocks. A full set of blocks was completed in the early 11th century to protect Korea against the Mongols, and, indeed, state bureaus which had as their sole responsibility 35 Noted in P. PAL/J. MEECH-PEKARIK, Buddhist Book Illuminations, Hong Kong 1988, 237, 263 without further reference; most discussions of the Dunhuang Vajracchedika take that to be the earliest dated printed item. 36 S. EDGREN, Chinese Rare Books in American Collections, New York 1984, 50–1; cited at PAL/MEECH-PEKARIK, Buddhist Book Illuminations, 236.
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the production of Buddhist texts and translations existed in Korea, Japan, and China.37 These earliest examples of printing are the most effective historical examples with which to confront Western presuppositions about the evolution of literacy. Here we have no courageous individuals resisting an oppressive regime through the liberating and democratic effects of printing in the vernacular; indeed, in every respect we find the opposite. The Hyakumanto Darani was a hugely expensive project, only really feasible for the state; it served to protect the state through the power of traditional religion, and, being a dharani, was by definition unintelligible. The Thunder Peak Pagoda printing project was not merely unintelligible, but when finished, invisible: 84,000 bricks, invisibly quickened by the texts buried within. Both were also exquisite expressions of piety on a scale comparable to the building of medieval Western cathedrals. Where the state sponsors the publication of the Buddhist canon, we are on more familiar ground; clearly, the content of the canon and its preservation as an abstract text are at stake. However, the importance of repetition as in these quantitatively enormous print runs of dharanis is never far from the surface. The difference between printing and prayer wheels would appear to be that printing produces a physical artefact, a printed text, which is evidence of a successful instance of the repetitive ritual. Even this is unnecessary, however. Ekvall records an instance of Tibetan monks carefully pressing woodblocks into the running surface of a stream.38
12. Developments since 1990 The final development in prayer wheels is, of course, computer recitation. I know of at least one program designed to recite the Heart Perfection of Wisdom (the Prajñaparamitahrdayasutram) automatically; it was developed in a Japanese Zen monastery, using HyperCard on a Macintosh.39 Like a prayer wheel, this program recited the text silently, displaying each phrase on the screen; but it adds the sound of the bell which is struck periodically through the recitation of the text. It doubles as a device for teaching students to memorise the text, and as a device for automatically reciting the text. It is not particularly efficient, however, as it follows the ordinary human pace of recitation. 37 PAL/MEECH-PEKARIK, Buddhist Book Illuminations, 237, 263; T. SEN, ‘The Revival and Failure of Buddhist Translations During the Song Dynasty’, in: T’oung Pao 88 (2002), 27–80; here 30. 38 R. EKVALL, Religious Observances in Tibet: Patterns and Function, Chicago 1963; cited in: GOODY (ed.), Literacy, 16. 39 I saw this programme in use during a collaboration between Zen and Vajrayana practitioners in Kathmandu in 1995.
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In a similar vein we might note a newspaper clipping taken from the Toronto Globe and Mail, March 1995. The reporters had gathered to watch Robopriest, a fully ordained robot cleric who has been saying prayers in the cemetery since 1992. Isao (his inventor) continued: ‘He is well versed in the liturgy of ten Japanese Buddhist sects and, when he chants the sutras, his lips and facial muscles move in time to the pre-recorded blessings. He also bows his head and closes his eyes, in the manner prescribed in ancient scriptures.’40
I suspect the ordination of a non-human is somewhat problematic even in this day and age; but I have not been able to find out anything further about this machine. What is here transcribed as ‘ordained’ may well be something more like the sacralisation rituals performed for important manuscripts in Nepal.41 The World Wide Web offers a virtual landscape into which objects which function like prayer wheels or printing presses may be introduced. The simplest form is an animated icon of a prayer wheel turning while the page is being viewed. I began to study this problem before Tim Bray’s hypertext protocol was unleashed on the world, and anticipated seeing an early digital prayer wheel as soon as the animated GIF standard was released. The first one I saw was at http://www.geocities.com/Athens/Olympus/2227, now extinct; it was apparently written by a programmer associated with Lama Zopa’s Foundation for the Preservation of the Mahayana Tradition. Such animated prayer wheels are now fairly common ‘floating images’ on the web, though most of them appear to be copies of the same two or three original files. By 1996 the online Mahayana community had become aware of the possibilities, and in that year Deb Platt published a web page whose first (visible) words are ‘This is where prayer wheels enter the cyber-age’. The page goes on to note that the computer hard disk or a CD-ROM spins at very high speed, far faster than any prayer wheel could hope to spin. If the hard disk has Buddhist sutras stored on it, it theoretically functions as a prayer wheel. She goes on to note that If the mantra is inscribed once and placed into a prayer wheel, each rotation of the prayer wheel accumulates the same merit as saying the mantra once. Similarly, a prayer wheel containing 100 million instances of the mantra yields the same purification power per rotation as saying the mantra 100 million times. To set your very own prayer wheel in motion, all you have to do is download this mantra to your computer’s hard disk. Once downloaded, your hard disk drive will spin the mantra for you. Nowadays hard disk drives spin their disks somewhere between 3600 and 7200 revolu-
40 This was picked up by Private Eye (May 1995) and I contacted the Globe and Mail who confirmed the original story but were unable to supply a copy of the original clipping. A related article was published in 1999: Japan Echo, ‘ROBO-MONK: Sutra-Chanting Doll Becomes Temple Mascot’, 28 May; available online at http://web-japan.org/trends00/honbun/ tj990527.html. Last accessed 17 October 2007. 41 Perhaps the most vexing problem associated with this is the question of agency. So far as I understand the problem, the production of merit requires intention.
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tions per minute, with a typical rate of 5400 rpm. Given those rotation speeds, you’ll soon be purifying loads of negative karma. If you occassionally post articles to netnews, you can exponentially increase the good karma that is generated by including the mantra in your .sig file. Shortly after posting an article, every news server in the world will be spinning your mantra round and round. If we assume that the news servers are Unix machines that operate continuously, a single news posting with this .sig will probably spin over 5 trillion times before the article expires. Sentient beings everywhere will be thanking you. However avoid spamming the net, as the negative karma produced by the spam tends to cancel out the good karma that might otherwise have been generated.42
Technology moves on; ‘netnews’ and the ‘.sig’ are now forgotten terms from an era before browsers were the dominant window onto the internet. The more recent Digital Prayer Wheel43 includes various applets and animated prayer wheels and, naturally, gives instructions on how to add a prayer wheel to one’s own web page.
13. Writing and the spread of the Mahayana I set us two tasks at the beginning of this essay. The first was to show that there are many literacies, not just one. The second was to show that Mahayana Buddhism came into being together with its own way of being literate, and that way of being literate was a significant feature in its self-understanding and spread across Asia. There are many ways of being literate. This is a liberating idea, which I hope will make possible a more sensitive analysis of the historical development of literacy across various societies. The advent of writing shapes and is shaped by the cultural moments in which it occurs. Because writing is a structuring, stabilising technology which profoundly affects the way in which culture is transmitted, it should not be surprising that these literacies are themselves tenacious social patterns that persevere and change in revolutionary ways. In my own researches I have seen Mahayana literacy make its first tentative forays into the realm of the digital and algorithmic; whether this will lead to (or has already led to?) a qualitative shift on the order of the invention of writing remains to be seen. We have seen how Mahayana literacy is fundamentally different from Vedic literacy — as expressed by Pandit Thite’s physical unease at the Newar way of reciting. It is also different from the style of literacy that shaped the 42 D. PLATT, ‘Click Here for Good Karma’, 1996, webpage: http://www.serve.com/cmtan/ buddhism/Lighter/GoodKarma/index.html; most recently accessed 17 October 2007; links indicated in italics. 43 Dharma Haven 2005: ‘The Prayer Wheel: Spiritual Technology from Tibet’, web page http://www.dharma-haven.org/tibetan/prayer-wheel.htm; most recently accessed 17 October 2007.
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Western academy and its tools for understanding Mahayana Buddhism. The particular Mahayana technology of writing evolved not just in order to be understood but also to be printed, chanted, rotated, repeated. A Mahayana book is not just for being understood; it is a ritual object that has readability as only one of its properties, no more important than worship-ability, enshrine-ability, or recitability. From this it is not far to the many book-centred Buddhisms — such as the Japanese Nichiren schools that urge devotion to the Lotus Sutra itself as a saviour. This difference of literacies, rather like Thite’s nausea, explains why the book-centred Buddhisms are so perplexing to students (and professors) of Buddhism for whom the only literacy is the literacy of meaningful statements. The Western academy, shaped by the Protestant Reformation, was constituted by a very different literacy. Gregory Schopen, who carefully documented the cult of the book in early Mahayana, wrote an influential article44 in which he complained that the history of Buddhism was written on the basis of textual sources, and did not give equal weight to archaeological or art-historical sources. The article referred to ‘Protestant presuppositions’ — but Schopen did not go far enough. In the way that all humans do, the writers of Buddhist texts use language to communicate arguments, stories and emotions; but for them, the books that may contain those statements are much more than just packaged communication. Writing and the rise of the Mahayana. I return, finally, to Gombrich’s claim. He argued that the advent of writing, and the concomitant loss of the social institutions that guaranteed the recited transmission, allowed for new texts to creep in. This may well be true, though it is at best a necessary and not a sufficient condition. Schopen, Harrison, and Nattier have all given accounts of Mahayana history that recognize the importance of writing. The emphasis Mahayanists placed on writing is linked to relics, trade patterns, apocalyptic movements. Barrett,45 in a recent study in environmental history, discusses some of these theories and then connects Mahayana literacy and the emergence of printing to global shifts in climate. As with so many other studies, this too founders under the weight of an assumption: their literacy is the same as Western academic literacy and must be concerned primarily with conveying meaning.46 44 SCHOPEN, ‘Archaeology and Protestant Presuppositions in the Study of Indian Buddhism’. 45 T. H. BARRETT, ‘Climate Change and Religious Response: The Case of Early Medieval China’, in: Journal of the Royal Asiatic Society Series 3 17(2) (2007), 139–56; 151–4. 46 Further literature: Y. AN (trans.), The Buddha’s Last Days: Buddhaghosa’s Commentary on the Mahaparinibbana Sutta, Oxford 2003; E. FRAUWALLNER, ‘Prajñaparamitapindarthasamgrahah’, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde Süd- und Ostasiens 3 (1959), 140–4; L. GOODRICH, ‘The Revolving Book-Case in China’, in: Harvard Journal of Asiatic Studies 7(2) (1942), 130–61; B. HICKMAN, ‘A Note on the Hyakumanto Dharani’, in: Monumenta Nipponica 30
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Such an oversight requires real determination. Mahayana books are in no wise coy about revealing their motives. Where Walter Benjamin observed the devaluation of popular reproductions of artwork by contrast to some idealized and inaccessible Original, Mahayana books refuse to hypostatize some ur-text lingering above and behind each ink-spattered volume. Each book is the deity; each book requires that you reproduce it as a condition of reading. The first Mahayana genre to emerge, the Perfection of Wisdom texts, embodied a profound response to the emergence of writing. The collision of intangible, recited scripture and tangible, worshipped relic had not been anticipated and it presented a ritual and doctrinal conundrum. In these texts, the consubstantiation of the physical object and the sacred scripture generated an utterly new kind of object, the written relic that demanded its own replication. This was a literacy, and it was this literacy and not any other that drove forward a chain of mechanical innovations that gave to us reading and writing humans the invention of printing.
(1975), 87–93; M. WALSHE (trans.), The Long Discourses of the Buddha, Cambridge, Massachusetts 1987.
Writing and the Rise of Mahayana Buddhism
Statt eines Epilogs
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„Scriptural turn“ und Monotheismus Überlegungen zu einer (nicht ganz) neuen These JOACHIM SCHAPER Jan Assmann hat vor kurzem in Wiederaufnahme einiger bemerkenswerter Thesen aus dem 17. und 18. Jahrhundert einen historischen Zusammenhang zwischen der wachsenden Bedeutung der (alphabetischen) Schrift und des Schreibens im alten Israel einerseits und dem Aufstieg des Monotheismus andererseits postuliert. Assmann geht in seinen Erwägungen über die Zusammenhänge zwischen Schreiben und Monotheismus von einer Beobachtung Moses Mendelssohns aus: „Mich dünkt, die Veränderung, die in den verschiedenen Zeiten der Kultur mit den Schriftzeichen vorgegangen, habe von jeher an den Revolutionen der menschlichen Erkenntnisse überhaupt, und insbesondere an den mannigfachen Abänderungen ihrer Meinungen und Begriffe in Religionssachen sehr wichtigen Anteil, und wenn sie dieselben nicht völlig allein verursacht, doch wenigstens mit andern Nebensachen auf eine merkliche Weise mitgewirkt.“1
So skizziert Mendelssohn in seinem Buch „Jerusalem“ ein faszinierendes Problem, dem sich ähnlich bereits Giambattista Vico,2 William Warburton3 sowie Christoph Meiners4 im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert gewidmet hatten,5 und zwar im Blick auf die Frage nach „Tierdienst“ und „Götzen1
M. MENDELSSOHN, Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum. Mit dem Vorwort zu Manasse ben Israels Rettung der Juden und dem Entwurf zu Jerusalem sowie einer Einleitung, Anmerkungen und Register herausgegeben von Michael Albrecht, Hamburg 2005, 105. Zu den Vorläufern Vico und Warburton vgl. J. ASSMANN, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus (Edition Akzente), 2003, 146. Die Bedeutung von Meiners in diesem Zusammenhang erwähnt Assmann nicht. 2 G. VICO, La Scienza Nuova Seconda, Neapel 1744, II. 2.4. 3 Vgl. W. WARBURTON , The Divine Legation of Moses. Demonstrated, on the principles of a religious deist, from the omission of the doctrine of a future state of reward and punishment in the Jewish dispensation, Bd. 3, London 41745 (11741), Nachdruck New York, London 1978, 99–104. Vgl. hierzu J. ASSMANN, Pictures versus Letters. William Warburton’s Theory of Grammatological Iconoclasm, in: DERS. und A. I. BAUMGARTEN (Hgg.), Representation in Religion. Studies in Honor of Moshe Barasch (Numen Book Series 89), Leiden, Boston, Köln 2001, (297–311) 302–308 und DERS., Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, München und Wien 1998, 133–170. 4 CH. MEINERS , Versuch über die Religionsgeschichte der ältesten Völker besonders der Egyptier, Göttingen 1775, 27 und 32–33. 5 Der grundlegende Aufsatz zum Themenbereich von Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist J. GOODY und I. WATT, The Consequences of Literacy, in: J. GOODY (Hg.), Literacy in
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dienst“ in den antiken Religionen. Warburton hatte in diesem Zusammenhang Spekulationen zum Übergang von der hieroglyphischen zur alphabetischen Schrift und seinen Konsequenzen für den Fortgang der Religionsgeschichte angestellt, die Mendelssohn in seiner „Abschweifung“ über den Zusammenhang von Mündlichkeit und Schriftlichkeit und den Einfluss von Schrift und Schriftlichkeit auf Erkenntnis und Religionspraxis zum Anlass für die Formulierung einer eigenen These nahm. Mendelssohn spitzte die Frage zu, indem er sich auf die Korrelation zwischen einem Wechsel im Schriftsystem und Veränderungen im religiösen und sozialen Bereich konzentrierte. Indem er dies tat, wies er seine Leser auf ein Problem hin, mit dem die Wissenschaft sich so recht erst im zwanzigsten Jahrhundert auseinanderzusetzen begann. Sozialanthropologen, Altertumswissenschaftler, Literatur- und Religionswissenschaftler begannen recht eigentlich erst im vorigen Jahrhundert, die Bedeutung der Geschichte des Schreibens in einer gegebenen Gesellschaft für das Verständnis der Entwicklung dieser Gesellschaft wahrzunehmen. Im weiteren Kontext der Debatte um „orality“ und „literacy“, die von dem Werk M. Parrys6 und A. Lords7 angestoßen und von E. A. Havelock8 und anderen weitergeführt wurde, widmeten sich einige Forscher besonders der „Technologie“9 des Schreibens und ihren Auswirkungen auf die gesellschaftliche Organisation. Hier sind vor allem J. Goody,10 I. Watt,11 und W. J. Ong zu nennen.12 Ihre – durchaus nicht uniforTraditional Societies, Cambridge 1968, 27–68 (= Comparative Studies in Society and History 5 [1963], 304–45). Zur Geschichte des Nachdenkens über die Bedeutung der Schrift von den antiken Anfängen bis zum 20. Jahrhundert vgl. B. SCHLIEBEN-LANGE, Geschichte der Reflexion über Schrift und Schriftlichkeit, in: H. GÜNTHER und O. LUDWIG (Hgg.), Schrift und Schriftlichkeit. Writing and Its Use. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung, Bd. 1, Berlin und New York 1994, 102–121. 6 Vgl. M. PARRY, The Making of Homeric Verse. The Collected Papers of Milman Parry, hg. von A. Parry, Oxford 1971. 7 Vgl. A. LORD, The Singer of Tales (Harvard Studies in Comparative Literature 24), hg. von S. Mitchell und G. Nagy, Cambridge, Massachusetts und London, England 22000. 8 Vgl. E. A. HAVELOCK, Prologue to Greek Literacy, Cincinnati 1971, DERS., The Literate Revolution in Greece and Its Cultural Consequences, Princeton, NJ 1982, DERS., The Muse Learns to Write. Reflections on Orality and Literacy from Antiquity to the Present, New Haven, CT 1986 sowie, zu Havelocks Ansatz, A. ASSMANN und J. ASSMANN, Schrift – Kognition – Evolution. Eric A. Havelock und die Technologie kultureller Kommunikation, in: E. A. HAVELOCK, Schriftlichkeit. Das griechische Alphabet als kulturelle Revolution, Weinheim 1990, 1–35. 9 Vgl. W. J. ONG, Orality and Literacy. The Technologizing of the Word, New York 1982 (Nachdruck London und New York 2002). 10 Vgl. besonders GOODY und WATT, Consequences, und J. GOODY , The Logic of Writing and the Organisation of Society (Studies in Literacy, Family, Culture and the State), Cambridge 1986, sowie DERS., The Power of the Written Tradition (Smithsonian Series in Ethnographic Inquiry), Washington und London 2000. 11 Vgl. GOODY und WATT, Consequences. 12 Vgl. ONG, Orality and Literacy.
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men – Ansätze werden oftmals unter dem Begriff „literacy hypothesis“ subsumiert. Sie haben gemeinsam, dass sie sich auf die „logic of writing“ – um hier den Titel eines bedeutenden Buches Goodys zu zitieren – und die Einwirkung dieser Logik auf Religion und Gesellschaft konzentrieren.13 Auch in den biblisch-exegetischen Disziplinen und der Religionswissenschaft wird das Problem verstärkt wahrgenommen.14 Die Geschichte der Schrift und des Schreibens kann nun, vor allem dank der Pionierarbeiten der Sozialanthropologen und –linguisten und der Altphilologen, als ein möglicher Schlüssel zum Verständnis der Religions- und Sozialgeschichte Israels ernstgenommen werden. Betrachtet man nun insbesondere jenen Bereich der Forschung, der sich, im Anschluss an die „Kanadische Schule“ und die Arbeiten solcher Theoretiker wie Marshall McLuhan und Eric A. Havelock, dem Problem aus medientheoretischer und medienhistorischer Perspektive nähert, so nimmt sich die von Mendelssohn aufgestellte These eigentümlich ‚modern‘ aus. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass Erkenntnis auf Zeichen angewiesen ist, denn es „sind, wie bekannt, die aus natürlichen und willkürlichen Zeichen zusammengesetzten Sprachen der Menschen entstanden, ohne welche sie sich nur wenig vom unvernünftigen Tiere hätten unterscheiden können; weil der Mensch, ohne Hülfe der Zeichen, sich kaum um einen Schritt vom Sinnlichen entfernen kann“.15 Mendelssohn postuliert, im Anschluss an Warburton, die Alphabetschrift sei „aus einer Art von hieroglyphischer Schrift entlehnt worden“, und er geht noch weiter, wenn er schlussfolgert, die „verschiedenen Modifikationen der Schrift und Bezeichnungsarten“ hätten sicherlich „auch auf den Fortgang und Verbesserung der Begriffe, Meinungen und Kenntnisse verschiedentlich gewirkt“.16 Mendelssohn stellt also einen Zusammenhang zwischen den Medien, und d. h. auch: der Materialität der Medien, und der menschlichen Erkenntnis und kulturellen Produktion her. Wie Assmann sehr zu recht sagt, ist das eigentlich Faszinierende an den genannten Arbeiten Warburtons und Mendelssohn, dass sie „the correlation of media, epistemology and religion“17 zu begreifen versuchen.
13
Vgl. GOODY, Logic, besonders 1–44 und 87–126. Vgl. im deutschen Sprachraum besonders einige der in CH. HARDMEIER, Erzähldiskurs und Redepragmatik im Alten Testament. Unterwegs zu einer performativen Theologie der Bibel (FAT 46), Tübingen 2005 und CH. FREVEL (Hg.), Medien im antiken Palästina. Materielle Kommunikation und Medialität als Thema der Palästinaarchäologie (FAT II/10), Tübingen 2005 versammelten Beiträge sowie TH. SCHAACK, Die Ungeduld des Papiers. Studien zum alttestamentlichen Verständnis des Schreibens anhand des Verbums katab im Kontext administrativer Vorgänge (BZAW 262), Berlin und New York 1998. 15 MENDELSSOHN , Jerusalem, 106. 16 MENDELSSOHN , Jerusalem, 111. 17 ASSMANN, Pictures versus Letters, 310. 14
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Assmann hat in wichtigen Veröffentlichungen der letzten Jahre nicht nur die Thesen Warburtons und Mendelssohns, sondern auch Ergebnisse aus relevanten anthropologischen und altertumswissenschaftlichen Studien der vergangenen Jahrzehnte zum Anlass genommen, die Frage nach dem Ursprung und Aufstieg des Monotheismus in Israel neu zu stellen. Unter dem Eindruck der Theorien Warburtons und Mendelssohns, und sie implizit mit den Arbeiten E. A. Havelocks kontrastierend, schreibt Assmann z. B. im Blick auf die „grammatologische Revolution“ im antiken Juda: „The idea to correlate this grammatological revolution with an iconoclastic rejection of images, with monotheism and what Freud called a progress in intellectuality (Fortschritt in der Geistigkeit) is at least as interesting a phantasy as its modern correlation with logical thinking, democracy and other allegedly Western achievements.“18
In seiner Studie über die „mosaische Unterscheidung“ bringt Assmann diese These in breiterem Maße zum Tragen und behauptet: „Die monotheistische Wende hat ihr Korrelat in einem Wandel des Mediums. Auf der Seite der sekundären Religionen gehören Schrift und Transzendenz zusammen, ebenso wie auf der Seite der primären Religionen Ritus und Immanenz.“19 Hier steht deutlich Sundermeiers Theorie von primären und sekundären Religionen an der Wiege der These. Das braucht uns aber nicht weiter zu interessieren: Zentral ist vielmehr das Postulat des Zusammenhanges zwischen Wandel des Mediums und Wandel der Religion. Für diesen Übergang vom Kult zum Text hat Assmann den Ausdruck ,scriptural turn‘ geprägt.20 Nun mag man durchaus der Meinung sein, die Geistes- bzw. Kulturwissenschaften hätten in den letzten Jahrzehnten gerade schon genug turns erlebt: linguistic turn, cultural turn, und so fort. Nun postuliert Assmann einen scriptural turn in der hebräischen Antike. Doch lassen wir uns ruhig einmal darauf ein, denn die These ist auf ihre Weise bestechend. In diesem Beitrag möchte ich Assmanns These einer Überprüfung unterziehen, einer Überprüfung im Lichte bedeutender spätvorexilischer, exilischer und frühnachexilischer biblischer Texte, darunter besonders solcher aus dem Deuteronomium. Mein Interesse gilt dabei dem Zusammenhang zwischen der Schrift als Medium und dem Schreiben als Kulturtechnik einerseits und der Transformation der JHWH-Religion von der spätvorexilischen bis zur spätexilischen Zeit andererseits. Dabei ist das Bild von Gott als Schreiber, wie es sich in Ex 31 und Dtn 4; 10 findet, von besonderer Bedeutung. Es liegt mir daran, und das war der ursprüngliche Gedanke, der mich zu jener Fragestellung brachte, der auch unsere Konferenz entspringt, die Schriftauslegung als Fokus der Religions- und Sozialgeschichte Judas zu betrachten, d. h. den Umgang mit autoritativen Texten als Reflexion der historischen 18
ASSMANN, Pictures versus Letters, 311. ASSMANN, Mosaische Unterscheidung, 145. 20 Vgl. ASSMANN , Mosaische Unterscheidung, 145. 19
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Wirklichkeit Judas zu betrachten. Genauer gesagt: Es geht darum, den Umgang, den Teile der literaten Schichten der judäischen Bevölkerung – und d. h.: Teile eines kleinen Teiles dieser Bevölkerung – mit den als religiös und rechtlich als verbindlich betrachteten Texten ihrer Tradition pflegten, aufzudecken und nachzuzeichnen. Diese Aufgabe hat eine religions- und kulturhistorische sowie eine theologische Dimension: Zum einen ist herauszuarbeiten, welche Bedeutung die immer stärkere Konzentration auf den Umgang mit Texten für die Entwicklung der JHWH-Religion in Juda und Jerusalem hatte und wie diese Religion mit den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der judäischen Gesellschaft in Zusammenhang steht, zum andern soll deutlich werden, welche Veränderung die wachsende Textbezogenheit für die normative Qualität theologischer Äußerungen im damaligen Juda hatte und wie dies in der jüdisch-christlichen Tradition und ihrem Umgang mit der Textualität der Offenbarung bis heute nachwirkt. Hier bietet sich die Frage nach dem möglichen Zusammenhang zwischen Schreiben und Monotheismus an. Wenn nämlich Gott als Schreibender dargestellt werden kann, ja wenn er in dieser Funktion als maßgebend gezeigt wird, dann wirft dies ein Licht nicht nur auf die Bedeutung des Schreibens in der Gesellschaft, die diesen Text hervorgebracht hat, sondern auch auf das unterliegende Gottesverständnis. A. Demsky hat zu diesem Thema folgendes zu sagen: „The reciprocal influence of writing and monotheism can be seen in the biblical rejection of the plastic representation of the deity, a commonplace in all contemporary pagan religions“.21 Die schriftliche Form der Offenbarung – und nicht mehr die Erfahrung der Anwesenheit JHWHs im Kultus oder die Präsenz der Gottheit in Statuen, die es eben auch in der JHWH-Religion gab22 – ist jetzt autoritativ.23 Nicht umsonst wird das Verbot, sich ein Bildnis zu machen, schriftlich festgehalten, und zwar von dem einen Gott persönlich auf den steinernen Tafeln. Das passt bestens zusammen mit den anderen signifikanten Entwicklungen in der Spätzeit der Monarchie und im Exil, nämlich mit der Entwicklung des Konzeptes der Textualität als Modus der Offenbarung in den sukzessiven Stadien der Entstehung des Deuteronomiums, dem Anstieg der nicht-literarischen Textproduktion in der judäischen Bevölkerung24 und der Durchsetzung des Konzeptes des Monotheismus bei den Propheten (Deutero-Jesaja, Jeremia, 21 A. DEMSKY , Writing in Ancient Israel. Part One: The Biblical Period, in: M. J. MULDER und H. SYSLING (Hgg.), Mikra. Text, Translation, Reading and Interpretation of the Hebrew Bible in Ancient Judaism and Early Christianity, Assen und Maastricht 1988, (2–20) 19. 22 Vgl. z. B. die in Ri 17–19 im Zentrum der Aufmerksamkeit stehende, in einem privaten Kult benutzte JHWH-Statue. 23 DEMSKY, Writing, 19 in Aufnahme von S. Z. L EIMAN, The Canonization of Hebrew Scripture. The Talmudic and Midrashic Evidence (Transactions – The Connecticut Academy of Arts and Sciences 47), Hamden, Conn. 1976, 166.
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Ezechiel). Das geht soweit, daß das Essen der Schriftrolle vom Propheten als Internalisierung der wahren JHWH-Religion dargestellt werden kann.25 Besteht also ein Zusammenhang zwischen der steigenden Bedeutung des Schreibens in der spätvorexilischen judäischen Gesellschaft und dem Aufstieg des Monotheismus?
Exegetische Beobachtungen Im Deuteronomistischen Geschichtswerk (DtrG) wird, mehr als in jedem anderen Textkorpus des Alten Testaments, die Bedeutung des Schreibens, der Schrift und der Auslegung des Geschriebenen thematisiert. Dabei werden nicht nur Menschen als Schreibende dargestellt, sondern auch Gott selbst wird als Schreibender in die Handlung eingeführt. Das göttliche Wort kommt als gesprochenes in die Welt – und etabliert sich in ihr als geschriebenes. Umgekehrt wird das Geschriebene in Gesprochenes zurückverwandelt, da die Schrift nicht zuletzt als Grundlage des Memorierens und Nachsprechens dient. In Dtn 5,22 findet sich folgende bemerkenswerte Passage über den Zusammenhang zwischen dem mündlich verkündeten und dann sogleich aufgeschriebenen Gesetz: Diese Worte sprach der HERR auf dem Berg zu eurer ganzen Versammlung, aus dem Feuer, den Wolken und dem Dunkel, mit lauter Stimme, und er fügte nichts hinzu. Und er schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln und gab sie mir.26
Dieser Vers gehört zu einer Reihe von Abschnitten im Deuteronomium, die das Schreiben zum Thema haben. Diese Reihe zieht sich gleichsam wie ein roter Faden durch das Deuteronomium, und J. P. Sonnet hat alle relevanten Passagen in seiner Studie27 einer genauen Untersuchung unterworfen und gezeigt, wie die Erwähnungen des Schreibens das Deuteronomium geradezu strukturieren. Diese Abfolge von Akten des Schreibens, von denen das Deuteronomium berichtet, wird durch den Schreibakt JHWHs gleichsam in Bewegung gesetzt.28 Auf die Erwähnung in Dtn 4,13, dergemäß Gott selbst die Gebote auf Tafeln schreibt (vgl. Ex. 31,18!), folgen 5,22; 6,6–9; 10,4 (JHWH 24 Vgl. J. RENZ, Die vor- und außerliterarische Texttradition. Ein Beitrag der palästinischen Epigraphik zur Vorgeschichte des Kanons (in diesem Band). 25 Vgl. E. D AVIS, Swallowing the Scroll. Textuality and the Dynamics of Discourse in Ezekiel’s Prophecy (JSOTS 78; Bible and Literature Series 21), Sheffield 1989 und J. SCHAPER, The Death of the Prophet. The Transition from the Spoken to the Written Word of God in the Book of Ezekiel, in: M. H. FLOYD und R. L. HAAK (Hgg.), Prophets, Prophecy, and Prophetic Texts in Second Temple Judaism (Library of Hebrew Bible/Old Testament Studies 427), London, New York 2006, 63–79. 26 Die Übersetzungen sind hier und im Folgenden der Zürcher Bibel 2007 entnommen. 27 J. P. SONNET, The Book within the Book. Writing in Deuteronomy (Biblical Interpretation Series 14), Leiden, New York, Köln 1997, passim.
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schreibt die Gebote selbst erneut auf Tafeln), 17,18 (Hinweis auf die schriftlich vorliegende Tora, die der König zu studieren hat) und 27,2–4 (die „Tora“ soll auf dem Berge Ebal inschriftlich errichtet werden). Darauf folgt Dtn 29,20 (vgl. 29,26 und 30,10). In Dtn 31–32 liegen die Dinge etwas anders, da der narrative Charakter diese beiden Kapitel deutlich vom Vorhergehenden unterscheidet. Sie gehören zu keiner der Rede-Einheiten. In Dtn 31,1 erscheint der „primary locutor“29 – der während der Mose-Reden gleichsam unmerklich im Hintergrund war – als der eigentliche oder Haupt-Erzähler. In gewisser Weise kulminiert hier das Geschehen des ganzen Deuteronomiums, und es finden sich weitere signifikante Erwähnungen von Schreibtätigkeiten (Dtn 31,9, vgl. V. 22; Dtn 31.19): Mose wird ein „writing prophet“ – er darf nicht mit den Israeliten über den Jordan ziehen, erlebt aber die „completion of his mission as a prophet“.30 Die Tätigkeit des Schreibens und ihr Ergebnis, die Verschriftlichung/Textualisierung der mündlich ergangenen göttlichen Offenbarungen wird, in kunstvoller literarischer Ausführung, auf selbstreflexive Weise zum Thema des Buches selbst.31 Die Bedeutung von Dtn 5,22 liegt nun insbesondere darin, die Rolle des Schreibens in der Religionspraxis gegenüber der Funktion von „Bildern“ zu klären. Dtn 5,22 fasst die Zehn Worte von Dtn 5,1–21 zusammen und betont, dass JHWH selbst sie auf die Tafeln schrieb. Also beschreiben 5,22 und 5,8 einen Kontrast. In 5,8 heißt es: Du sollst dir kein Gottesbild machen, keinerlei Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist.
Der Vers propagiert die Entfernung jeglicher „Bilder“ aus dem israelitischen Kult. Zugleich betont er, wie wichtig es ist, die von JHWH gegebenen Texte schriftlich zu fixieren. Hier ist Dtn 4,12–14 von besonderem Interesse:32 28 Für eine detaillierte Nachzeichnung der relevanten Passagen und der Gliederungsfunktion, die sie im Blick auf die Darstellung der Schreibaktivität JHWHs und Moses im Deuteronomium haben, vgl. J. SCHAPER, A Theology of Writing. Deuteronomy, the Oral and the Written, and God as Scribe, in: L. LAWRENCE und M. AGUILAR (Hgg.), Anthropology and Biblical Studies: Avenues of Research, Leiden 2004, 97–119 und DERS., Tora als Text im Deuteronomium, in: L. MORENZ und S. SCHORCH (Hgg.), Was ist ein Text? Alttestamentliche, ägyptologische und altorientalistische Perspektiven (BZAW 362), Berlin und New York 2007, 49–63. 29 SONNET, Book, 121. 30 SONNET, Book, 121. 31 Vgl. SONNET, Book, 117–182. 32 Zur Bedeutung von Dtn 4 für die Geschichte des Monotheismus vgl. G. BRAULIK, Monotheismus im Deuteronomium. Zu Syntax, Redeform und Gotteserkenntnis in 4,32–40, in: DERS., Studien zu den Methoden der Deuteronomiumsexegese (SBAB 42), Stuttgart 2006, 137–163. Zur aktuellen Monotheismus-Diskussion vgl. besonders M. OEMING und K. SCHMID (Hgg.), Der eine Gott und die Götter. Polytheismus und Monotheismus im antiken Israel (AThANT 82), Zürich 2003.
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12 Und der HERR sprach zu euch aus dem Feuer. Den Schall der Worte habt ihr gehört, nur einen Schall (qôl), doch eine Gestalt (temuna) habt ihr nicht gesehen. 13 Und er verkündete euch seinen Bund, den er euch zu halten gebot, die zehn Worte, und er schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln. 14 Mir aber gebot der HERR damals, euch Satzungen und Rechte zu lehren, damit ihr danach handelt in dem Land, in das ihr zieht, um es in Besitz zu nehmen.
Es ist von zentraler Bedeutung, wahrzunehmen, womit genau die „Bilder“ (vgl. Dtn 4,16) hier eigentlich verglichen werden. Kultbilder werden verglichen mit dem (Sprach-)Bild eines Gottes, der zwar eine Gestalt hat (die jedoch kein Israelit je wahrgenommen hat), der aber nur in seiner Stimme und durch seine Stimme wahrgenommen werden kann: „nur einen Schall“ konnte man vernehmen. Das wird nochmals betont; man vergleiche nur V. 15–20: 15 So hütet euch um eures Lebens willen, ihr habt ja keine Gestalt gesehen, als der HERR am Choreb aus dem Feuer zu euch sprach: 16 Frevelt nicht und macht euch kein Gottesbild (pesel), das etwas darstellt, kein Standbild (semel), kein Abbild (tabnit) eines Mannes oder einer Frau, 17 kein Abbild eines Tiers auf der Erde, kein Abbild eines Vogels, der am Himmel fliegt, 18 kein Abbild eines Kriechtiers auf dem Erdboden, kein Abbild eines Fischs im Wasser unter der Erde. 19 Und blicke nicht auf zum Himmel, und schau nicht auf Sonne, Mond und Sterne, das ganze Heer des Himmels, und lass dich nicht verführen, sie anzubeten und ihnen zu dienen. Der HERR, dein Gott, hat sie allen Völkern unter dem ganzen Himmel zugeteilt. 20 Euch aber hat der HERR genommen und herausgeführt aus dem Schmelzofen, aus Ägypten, damit ihr sein eigenes Volk sein solltet, wie es heute der Fall ist.
Die Israeliten werden dadurch als das Volk JHWHs konstituiert und erkannt, dass sie ihren unsichtbaren Gott mittels eines anikonischen Kultes verehren. Dies geht so weit, dass der Einzug ins Land davon abhängig gemacht wird, dass Bilder vom Kultus der Israeliten ausgeschlossen sind, wie sich im weiteren Verlauf der Mose-Rede zeigt: 21 Der HERR aber wurde euretwegen zornig über mich, und er schwor, dass ich den Jordan nicht überschreiten würde und nicht in das schöne Land kommen sollte, das dir der HERR, dein Gott, als Erbbesitz gibt. 22 Ich werde vielmehr in diesem Land sterben und den Jordan nicht überschreiten. Ihr aber werdet ihn überschreiten und dieses gute Land in Besitz nehmen. 23 Achtet darauf, dass ihr den Bund nicht vergesst, den der HERR, euer Gott, mit euch geschlossen hat, und dass ihr euch nicht ein Gottesbild (pesel) macht, das etwas darstellt, wie der HERR, dein Gott, es geboten hat.
Doch der bilderlose Kult ist nicht nur die Voraussetzung der Inbesitznahme des Landes, er muss auch als solcher aufrecht erhalten warden, damit Israel im Lande verbleiben darf: 25 Wenn du dann Kinder und Kindeskinder hast und ihr im Land heimisch geworden seid, und ihr frevelt und macht euch ein Gottesbild in irgendeiner Gestalt und tut, was dem HERRN, deinem Gott, missfällt, und reizt ihn, 26 so rufe ich heute Himmel und Erde als Zeugen auf gegen euch, dass ihr bald getilgt sein werdet aus dem Land, in das ihr über den Jordan zieht, um es in Besitz zu nehmen. Ihr werdet nicht lange darin wohnen, sondern ganz aus ihm getilgt werden.
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Nach der Überschreitung des Jordans schließlich spielt die Schriftlichkeit der offenbarten Tora JHWHs eine zentrale Role beim Vollzug der Inbesitznahme (Jos 8,30–34): 30 Damals baute Josua dem HERRN, dem Gott Israels, einen Altar auf dem Berg Ebal, 31 wie Mose, der Diener des HERRN, es den Israeliten geboten hatte, wie es geschrieben steht im Buch der Weisung des Mose, einen Altar aus unbehauenen Steinen, die man nicht mit Eisen bearbeitet hatte, und sie brachten dem HERRN darauf Brandopfer dar und schlachteten Heilsopfer. 32 Und dort schrieb er auf die Steine die Abschrift der Weisung des Mose, die dieser aufgezeichnet hatte vor den Augen der Israeliten. 33 Und ganz Israel und seine Ältesten, seine Amtleute und seine Richter standen zu beiden Seiten der Lade, den levitischen Priestern gegenüber, die die Lade des Bundes des HERRN trugen, der Fremde wie der Einheimische, die eine Hälfte gegen den Berg Garizim, die andere gegen den Berg Ebal hin, wie Mose, der Diener des HERRN, zuvor geboten hatte, das Volk Israel zu segnen. 34 Und danach las er alle Worte der Weisung vor, den Segen und den Fluch, wie es geschrieben steht im Buch der Weisung.
Ich habe an anderer Stelle33 die Implikationen dieses Abschnittes zu entfalten versucht und möchte hier nur anmerken, dass die Etablierung des Gotteswortes als schriftlicher Text und die Verlesung dieses Textes die Inbesitznahme des Landes konstituieren, dass also an dieser Stelle, hier im Josua-Buch, der im Deuteronomium thematisierte, geforderte und selbstreflexiv erzählte Vorgang der Textualisierung (im Sinne von Verschriftlichung) der Tora erst wirklich sein Ziel erreicht; die Etablierung des Volkes JHWHs in seinem Land durch die Errichtung der Monumentalinschrift seiner Tora im Land, mittels derer das Land in Besitz genommen wird. Hier zeigt sich vollends, inwiefern im Deuteronomistischen Geschichtswerk die Schrift über das Bild den Sieg davonträgt. Das Sprach-Bild, in seiner mündlichen und schriftlichen Form, hat das einzige „Bild“ im israelitischen Kultus zu sein. An diesem Maßstab wird die kultische Praxis der Israeliten von nun an gemessen werden, und die schriftlich fixierte Tora ist der einzig gültige Bezugspunkt für diese Praxis.
Historische Schlussfolgerungen: Schrift, Schreiben und Monotheismus Wie Assmann zu Recht betont, ist das Faszinierende an dem Problem, mit dem wir es hier zu tun haben, eine Korrelation – „the correlation of media, 33 J. SCHAPER, The Written Word Engraved in Stone. The Interrelationship of the Oral and the Written and the Culture of Memory in the Books of Deuteronomy and Joshua, in: S. C. BARTON, L. T. STUCKENBRUCK und B. G. WOLD (Hgg.), Memory in the Bible and Antiquity. The Fifth Durham–Tübingen Research Symposium (Durham, September 2004) (WUNT 212), Tübingen 2007, 9–23.
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epistemology and religion“.34 Ich möchte nun, auf den soeben vorgetragenen Beobachtungen aufbauend, den Versuch machen, zu umreißen, was zum Zusammenhang zwischen Schreiben, Reformtätigkeit und dem Aufstieg des Monotheismus seit der spätvorexilischen Zeit zu sagen ist. Von zentraler Bedeutung ist hierbei, wie das Deuteronomium JHWH zeichnet. Er wird gleichsam als sein eigener Schreiber dargestellt: „As appears in Moses’ speech, YHWH is thus most familiar with ‚written thinking‘.“ 35 JHWH ist nicht nur der „Autor“ der Zehn Worte (und der gesamten Tora, um die es im Deuteronomium geht),36 sondern auch der Schreiber, der die Zehn Worte schriftlich dokumentiert und damit jene Kette von Akten des Schreibens in Bewegung setzt, die sich durch das Deuteronomium und letztlich durch das gesamte Deuteronomistische Geschichtswerk zieht. In den oben diskutierten Abschnitten wird Schreiben als eine Kulturtechnik behandelt,37 die dem Menschen aus der göttlichen Sphäre zukommt. Zwar wird JHWH nirgendwo in der Hebräischen Bibel als „Erfinder“ des Schreibens apostrophiert – und darin unterscheidet sich die israelitische Auffassung der Ursprünge des Schreibens von anderen vorderorientalischen Traditionen –, doch ist es insofern göttlichen Ursprungs, als der göttliche Urakt des Schreibens die menschlichen Akte des Schreibens überhaupt erst ermöglicht. In den oben erwähnten Abschnitten des Deuteronomiums wird Schreiben als eine Aktivität dargestellt, die letztlich aus der Sphäre des Göttlichen stammt, die entsprechende menschliche Aktivität gleichsam als Antwort auf die Tätigkeit des göttlichen Schreibers fordert und mittels derer JHWH seinen Willen seinem Diener Mose und seinem Volk nicht nur mitteilt, sondern diesen Willen dokumentierend festhält und gleichsam fest-stellt (vgl. die sogenannte „Kanonformel“ in Dtn 4,2; 13,1). Vor allem aber wird JHWH als Autor und Schreiber dargestellt. Zugleich finden sich in anderen biblischen Korpora ähnliche Vorstellungen; so befiehlt JHWH Propheten, die an sie ergangenen bzw. ergehenden Orakel schriftlich festzuhalten bzw. festhalten zu lassen.38 Die epigraphischen Zeugnisse bestätigen, dass die spätvorexilische Zeit einen starken Anstieg im Volumen nicht-literarischer Textproduktion sah. Das Bild, das sich hier ergibt, geht Hand in Hand mit den Ergebnissen der jüngsten Prophetenforschung, die den scheinbaren Abgrund zwischen Prophe-
34
ASSMANN, Pictures versus Letters, 310. SONNET, Book, 60. 36 Vgl. SCHAPER, Tora als Text. 37 Vgl. zu diesem Problemkreis die in G. GRUBE, W. KOGGE und S. KRÄMER (Hgg.), Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine (Kulturtechnik), München 2005 versammelten Aufsätze. 38 Vgl. J. SCHAPER, Exilic and Post-Exilic Prophecy and the Orality/Literacy Problem, in: VT 55 (2005), 324–342 sowie DERS., Death of the Prophet. 35
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ten einerseits und Priestern und Schreibern andererseits als ideologisches Konstrukt der Forschungsgeschichte sieht.39 In Texten der Hebräischen Bibel, die vor der Josia-Zeit entstanden, spielt die Tätigkeit des Schreibens so gut wie keine Rolle und wird JHWH nicht als Schreiber oder Autor in Szene gesetzt. Schreiben zum Zwecke der Überbrückung des Abgrunds zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Bereich ist in jenen früheren Texten kein Thema. Wie kam es zu der neuen Situation – gibt es eine Korrelation zwischen der Thematisierung des Schreibens in den biblischen Texten seit der spätvorexilischen Zeit, dem Ansteigen einer (wenn auch eingeschränkten) Lese- und Schreibfähigkeit in Teilen der judäischen Bevölkerung zur selben Zeit, der (zumindest von Teilen der Elite geforderten) Entfernung der „Bilder“ aus dem Kult und der Durchführung politischer Reformen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst einem ihrer Teilaspekte zuwenden: Warum ist gerade im Zusammenhang des Deuteronomistischen Geschichtswerks die Tätigkeit des Schreibens von so besonderer Bedeutung, und warum spielt das Schreiben im Blick auf die Weitergabe der Tora Israels und auf die Reform Josias eine so hervorgehobene Rolle? Was ist der Zusammenhang zwischen Schreiben, Tora und Reform? Im Deuteronomium wird dem Schreiben zentrale Bedeutung zugesprochen; in der Kommunikation zwischen der göttlichen und der menschlichen Sphäre hat es eine Schlüsselstellung inne – es ist im eigentlichsten Sinne des Wortes ein Medium zwischen Gott und Mensch. Im Deuteronomium wird, auf der Basis der historischen Erfahrung der Judäer in der spätvorexilischen und der exilischen Zeit, das Scheitern des Volkes JHWHs und die Notwendigkeit der kultischen und politisch-gesellschaftlichen Reform, deren Durchführung dann am Ende des Deuteronomistischen Geschichtswerks dargestellt wird, ins Auge gefasst. Hierbei, und bei der Durchführung der Reform, sind das Schreiben und das Vorliegen schriftlicher Text absolut konstitutiv. Der Zusammenhang von Schreiben und Reform ist unauflöslich. Nun ist es interessant, dass die sozialanthropologische Forschung der letzten Jahrzehnte gezeigt hat, dass politisch-gesellschaftliche Reformen im eigentlichen Sinne ohne Schreiben überhaupt nicht möglich sind – sie sind einfach nicht denkbar: Das Konzept „Reform“ benötigt die Überprüfbarkeit der Verhältnisse anhand normativer Richtlinien, die, zumindest im Prinzip, allgemein zugänglich und unveränderbar sein müssen. Dies erfordert deren schriftliche Niederlegung. Und umgekehrt wird dort, wo das Schreiben sich in einer Gesellschaft etabliert, das Konzept „Reform“ sich notwendig entwickeln, weil die Widersprü39
Vgl. z. B. Z. ZEVIT, The Prophet versus Priest Antagonism Hypothesis. Its History and Origin, in: L. L. GRABBE und A. OGDEN BELLIS (Hgg.), The Priests in the Prophets. The Portrayal of Priests, Prophets and Other Religious Specialists in the Latter Prophets (JSOT.S 408), London, New York 2004, 189–217.
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Joachim Schaper
che zwischen den (jetzt schriftlich niedergelegten) Regeln und den tatsächlichen Zuständen – anders als in oralen Gesellschaften – nun beobachtbar und aufweisbar sind. Goody schreibt über den Abgrund, der sich auftut – „the gap that develops between practice and precept in authoritative utterance, where, for example, current moral norms or current social relations have undergone changes subsequent to the book having been written (...). In terms of religious texts, a realization of this gap may produce one of the following: a return to the Book (...), an imaginative allegorical reinterpretation, an open recognition of the gap (...), or a relegation of the actual text itself to a category of the unread (...).“40
Dies zeigt sich sehr deutlich in 2 Kön 22–23: Das im Tempel aufgefundene Dokument wird nun als Richtschnur benutzt, an dem die tatsächlichen Verhältnisse gemessen werden. Da die Verhältnisse dem von JHWH gesetzten Maßstab nicht genügen, wird eine Reform notwendig, die gemäß dem geschriebenen Gesetz durchgeführt wird. Ein „return to the Book“ findet statt, ein „back-to-the-Book movement“ ist geboren. Es ist dabei völlig irrelevant, ob die Fundgeschichte historisch ist oder ein rein literarisches Konstrukt: Das Denken, das in ihr zum Ausdruck kommt, ist das eigentlich Interessante. Vor der Zeit der „deuteronomistischen Bewegung“41 hatte es in Juda kein „backto-the-Book movement“ gegeben. Was in 2 Kön 22–23 vollends deutlich wird, ist bereits im Deuteronomium angelegt. Manche Abschnitte des Deuteronomiums verhalten sich insofern spiegelbildlich zu 2 Kön 22–23. Man vergleiche nur das Konzept von „Rückkehr zum Buch“, das Dtn 28,13–14 prägt: 13 Und der HERR wird dich zum Haupt machen und nicht zum Schwanz, und du wirst nur aufsteigen und wirst nicht sinken, wenn du hörst auf die Gebote des HERRN, deines Gottes, die ich dir heute gebe, und wenn du sie hältst und danach handelst 14 und von all den Worten, die ich euch heute gebiete, weder nach rechts noch nach links abweichst, um anderen Göttern zu folgen und ihnen zu dienen. 15 Wenn du aber nicht auf die Stimme des HERRN, deines Gottes, hörst und nicht alle seine Gebote und Satzungen, die ich dir heute gebe, hältst und nicht danach handelst, dann werden all diese Flüche über dich kommen und dich erreichen.
Diese Anweisungen beziehen sich auf den laut Dtn 27,2 aufzuschreibenden Text; man kann also mit Fug und Recht hier vom Konzept einer „Rückkehr zum Buch“ sprechen. Die „Gebote des Herrn, deines Gottes, die ich dir heute gebe“, sind die schriftlich fixierten, überprüfbaren Worte, an denen das Verhalten Israels gemessen werden wird. In Dtn 30,9–10 findet sich das positive Äquivalent: 9 Und im Überfluss wird der HERR, dein Gott, dir den Ertrag all deiner Arbeit geben, die Frucht deines Leibes, die Frucht deines Viehs, die Frucht deines Bodens, denn der HERR J. GOODY, Objections and Refutations, in: DERS., Power of the Written Tradition, (1– 25) 15–16. Vgl. J. GOODY und I. WATT, Consequences. 41 Dieser Begriff scheint mir doch, trotz der manchmal geäußerten Kritik, weiterhin sinnvoll. 40
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wird wieder Freude an dir haben und dir Gutes tun, wie er an deinen Vorfahren seine Freude hatte, 10 weil du auf das Wort des HERRN, deines Gottes, hörst und seine Gebote und Satzungen hältst, die in diesem Buch der Weisung geschrieben stehen, weil du zum HERRN, deinem Gott, zurückkehrst von ganzem Herzen und von ganzer Seele.
Es ist das geschriebene Wort, das den Standard definiert, nach dem das Verhalten des Individuums und des ganzen Volkes beurteilt wird. Die Notwendigkeit einer Reform wird von vornherein ins Auge gefasst, und diese Reform wird auf der Grundlage des schriftlich vorliegenden Gotteswortes durchzuführen sein. Dieses Konzept findet sich so oder ähnlich nicht nur im Deuteronomistischen Geschichtswerk, sondern auch in einer ganzen Reihe wichtiger prophetischer Texte, wie z. B. Jer 36, Ez 3,1 und Hab 2,2. Auch die göttliche Strafe kann nun mittels des geschriebenen Textes vollstreckt werden; vgl. Sach 5,1–4. Schriftlichkeit ist in der Interaktion zwischen JHWH und seinem Volk unumgänglich geworden. Seit der spätvorexilischen Zeit war die judäische Gesellschaft einem irreversiblen Transformationsprozess unterworfen, dessen zentrales Movens die immer noch weiter zunehmende Bedeutung des Schreibens und die damit einhergehende Umwälzung der Verwaltungsprozesse und überhaupt der politischen und gesellschaftlichen Organisationsformen waren. Zwar trifft zu, was S. Niditch schreibt: „even in the passages at the literate end of the continuum [there] are nuances of orality“. 42 Diese Feststellung widerspricht unseren hier vorgetragenen Ergebnissen aber nicht, denn die Zählebigkeit solcher „Nuancen“ wird die Anhänger der von Goody und anderen vertretenen „literacy hypothesis“ nicht erstaunen: „orality remains a dominant form of human interaction, although itself modified in various ways by the addition of new means and modes of communication“.43 Diese „new means and modes of communication“ machten aber, und das ist ganz wesentlich für Assmanns und unsere Frage nach dem Ursprung des Monotheismus in Israel, auch vor den religiösen Vorstellungen der Judäer nicht halt. Das bringt uns zum bemerkenswertesten Aspekt unseres Problems, nämlich der Korrelation zwischen Schreiben und Monotheismus. Wir haben 42 S. NIDITCH , Oral World and Written Word (Library of Ancient Israel), Louisville, KY 1996, 98. 43 GOODY, Objections, 2. Vgl. E. BEN ZVI, Introduction. Writings, Speeches, and the Prophetic Books – Setting an Agenda, in: E. BEN ZVI und M. H. FLOYD (Hgg.), Writings and Speech in Israelite and Ancient Near Eastern Prophecy (SBL Symposium Series 10), Atlanta, Ga. 2000, (1–29) 23: „It is worth noting that the present discussion clearly leads to an image of ‚restricted, high literacy‘ and ‚general orality‘ as two deeply interwoven social phenomena. Within the proposed historical matrix, one does not and cannot take over and replace the other; rather, they complement (and sustain) each other. Moreover, literacy here does not lead to the development of (objective) history as opposed to (communal) myth, nor necessarily to detachment, distance, or analytic thinking. This being so, one may ask how the already mentioned traits of ancient Israelite literacy relate to other features of literacy in other cultures, and what the identification of these traits can contribute to current studies of literacy/ies.“
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gesehen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Schreiben und Reform gibt – in dem Sinne, dass die Verschriftlichung gesellschaftlichen Regelwerks den Wunsch nach einer Rückkehr zu den „reinen“ Anfängen und der „eigentlichen“ Bedeutung der Regeln überhaupt erst ermöglicht –, aber wie steht es mit dem von Warburton, Mendelssohn, Meiners und Assmann postulierten Zusammenhang zwischen dem Schreiben (und der Materialität der Schrift) und der Herausbildung des Monotheismus? Hat Assmann recht, wenn er sagt, „[d]ie monotheistische Wende“ habe „ihr Korrelat in einem Wandel des Mediums“?44 Assmann schreibt in seinem Buch über die „mosaische Unterscheidung“:45 „Vieles spricht dafür, dass der jüdische Monotheismus, das Prinzip der Offenbarung und der aus diesem Prinzip entwickelte und sich immer mehr steigernde Abscheu gegen traditionelle Formen des Kultes aus dem Geist der Schrift geboren oder doch mit dem Medium der Schrift in einer sehr tiefen Weise verbunden ist, ganz im Sinne von Moses Mendelssohn, der einen Zusammenhang von Medienrevolutionen und religiösen Wandlungen schon vor mehr als zweihundert Jahren postulierte. Der Schritt in die Religion der Transzendenz war ein Schritt aus der Welt ... in die Schrift. (...) Dem prophetischen Monotheismus mangelt es an natürlicher Evidenz; er wandelt, wie Paulus sagt, nicht in der Schau, sondern im Glauben. Der Glaube stützt sich auf die Schrift, auf den verbrieften Bund und das Gesetz. Der Kult stützt sich auf den Akt, den Vollzug, die Schau. Die Schrift führte zu einer Entritualisierung und Enttheatralisierung der Religion.“46
Assmanns These ist aus einer ganzen Reihe von Gründen problematisch, die hier nicht alle angesprochen werden können. Der offensichtlichste Einwand gegen die These ist natürlich, dass sogar in höchstem Maße literate Kulturen wie die des klassischen Athen niemals einen klaren Durchbruch hin zum Monotheismus erlebten. Man könnte allerdings wiederum dagegen einwenden, dass sich auch dort in Intellektuellen-Kreisen eine gewisse Tendenz zum Monotheismus abzeichnete. Ein anderer Einwand ist in diesem Zusammenhang wichtiger als der eben genannte: Assmann postuliert, die Herausbildung des „jüdischen Monotheismus“ sei mit dem Übergang von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit und damit mit dem Übergang von „ritueller“ zu „textueller Kohärenz“, von „primärer“ zu „sekundärer Religion“ Hand in Hand gegangen. Dieses Erklärungsmodell ist zu schematisch. Das zeigt sich schon daran, dass in Juda in der zur Diskussion stehenden Zeit ja kein Übergang von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit stattfand. Vielmehr waren Israel und Juda in ihrer gesamten uns rekonstruierbaren Geschichte niemals primär orale Gesellschaften, sondern immer schon von Schreibertätigkeit geprägt und durchdrungen. Die geringe Zahl von Lese- und Schreibfähigen in der Bevölkerung in den frühen Jahrhunderten spricht nicht dagegen; Lesen und Schreiben waren 44
ASSMANN, Mosaische Unterscheidung, 145. ASSMANN, Mosaische Unterscheidung, 150. 46 ASSMANN, Mosaische Unterscheidung, 150–151. 45
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eben, bis in die spätvorexilische Zeit und vielleicht darüber hinaus, einer kleinen Elite vorbehalten. Von einem „scriptural turn“ im Sinne Assmanns, also einem direkten Zusammenhang zwischen der zunehmenden Bedeutung des Schreibens und dem Durchbruch des Monotheismus, kann also sicherlich keine Rede sein. Wohl aber hatten die wachsende gesellschaftliche Bedeutung des Schreibens, der (Materialität der) Schrift und der Schreibertätigkeit sowie der Zusammenhang zwischen Schreiben und Reform einen bemerkenswerten Einfluss auf die Entwicklung des Gottesbildes in der JHWH-Religion. Schriftliche Texte etablieren, in den Worten von David R. Olson, einen „autonomous discourse“,47 also einen Diskurs, der der direkten Kritik und der unmittelbaren Interaktion mit anderen nicht zugänglich ist. Da der schriftliche Text unabhängig von seinem Autor existiert, kann dieser Autor nicht unmittelbar und sofort für seinen Text zur Verantwortung gezogen werden. „The author might be challenged if only he or she could be reached, but the author cannot be reached in any book.“48 Dementsprechend wird JHWH im Deuteronomium, aber auch in Texten wie Jer 36, Ez 3 und Sach 5 dargestellt als ein Gott, der sich aus dem unmittelbaren Diskurs zurückzieht, indem er einen schriftlichen Text herstellt oder herstellen lässt. Damit werden seine Distanz zum „alltäglichen“ Geschehen und seine Heiligkeit umso stärker hervorgehoben. Ein weiterer Aspekt spielte eine nicht zu unterschätzende Rolle: Verursacht von der immer steigenden Bedeutung des Schreibens in der spätvorexilischen judäischen Gesellschaft, lag es nahe, das Konzept des Autors und Schreibers – eines Berufsstandes, der niemals wichtiger gewesen war als gerade jetzt49 – auf JHWH zu projizieren. Diese Projektion des Konzeptes des einen Autors/ Schreibers, der gleichsam aus sich heraus sein Werk erschafft, konnte nun die im JHWH-Bild der Intellektuellen schon angelegte Vorstellung von der Einzigartigkeit JHWH in die Vorstellung der Einheit und Einzigkeit JHWHs transformieren.50 F. Kittler bezeichnet einmal den „vermutete[n] Gott“ des Faust-Monologs – „War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb?“ – als „über47 Vgl. D. R. OLSON , On the Language and Authority of Textbooks, in: Journal of Communication 30 (1980), 186–196. 48 ONG, Orality and Literacy, 79. 49 Vgl. K. VAN DER TOORN, Scribal Culture and the Making of the Hebrew Bible, Cambridge, Massachusetts und London, England 2007, 51–108. 50 Vgl. die schöne Bemerkung in E. AURELIUS, Die fremden Götter im Deuteronomium, in: OEMING und SCHMID (Hgg.), Der eine Gott und die Götter, (145–169) 167: „[Das Bilderverbot] hat sich verselbständigt und dominiert das Kapitel [Dtn 4], das nun die Horeboffenbarung in Kap 5 vorwegnimmt, um das Allerwichtigste dieser Offenbarung zu erörtern: die Einzigartigkeit und, in der Tat, Einzigkeit Jhwhs, die durch seine Unsichtbarkeit und das dadurch begründete Bilderverbot bezeugt wird – und die Einzigartigkeit Israels als des Volkes dieses Gottes.“
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lebensgroßes Bild von Autorschaft“.51 Auch der JHWH des Deuteronomiums ist ein solcher Inbegriff von Autorschaft.52 Insofern gab es wahrscheinlich tatsächlich eine Korrelation zwischem dem Aufstieg des Schriftmediums und der Herausbildung des Monotheismus in Israels, allerdings in einer wesentlich vermittelteren Form als von Assmann postuliert. Der Effekt der wachsenden Bedeutung des Schreibens und der Schriftlichkeit auf das JHWH-Bild zeigt sich auch darin, das mit ihr eine Veränderung der Konzeptualisierung göttlicher Präsenz einhergeht, die sich in dem Sieg der Schrift über das Bild in Dtn 4 ausdrückt. Die Präsenz JHWHs darf nicht mehr in Statuen und anderen „Bildern“ gesucht werden, sondern wird gleichsam in schriftliche Texte und in deren Memorieren und mündliche Wiedergabe verlegt (vgl. Dtn 6!). Sprach-„Bilder“ JHWHs sind weiterhin legitim, aber sie müssen durch das „Nadelöhr“ der Verschriftlichung und kommen damit unter die Kontrolle der Priester und Schreiber, die jene Texte herstellen, die dann vom Volk zu memorieren und zu rezitieren sind und die dem Volk in regelmäßigen Begehungen durch öffentliches Verlesen nahe gebracht werden – jener Priester und Schreiber, die das in den Texten wirksame JHWH-Bild im Sinne ihrer immer deutlicher monotheistischen Vorstellungen weiter und weiter umgestalten können, bis in Dtn 4,32–40 schließlich unmissverständlich eine klar monotheistische Position vertreten wird.53 Damit wird die Unverfügbarkeit und inhaltliche Offenheit der JHWH-Präsenz in Kultobjekten durch das Konzept einer „kontollierbaren“ JHWH-Präsenz in (mündlichen und schriftlichen) Texten, die beim Memorieren, Rezitieren und im öffentlichen Vortrag gleichsam in actu wirksam wird, ersetzt. Nun wird göttliche Präsenz im gemeinsamen Hören, Lernen und Rezitieren erfahrbar. Die Textualisierung des als offenbart erfahrenen Gotteswortes führte nicht einfach zu einer „Ikonisierung“ des „Buches“,54 sondern zu einer neuen Konzeptualisierung der göttlichen Präsenz. Die Fokussierung auf den einen Gott und der Übergang vom Konzept der Einzigartigkeit zu dem der Einzigkeit JHWHs wurden auch dadurch noch weiter verstärkt, dass die Konventionen des neuassyrischen Loyalitätseides, die im Deuteronomium aufgenommen, kreativ uminterpretiert und auf JHWH bezogen wurden, die exklusive Loyalität gegenüber dem einen Oberherrn
F. KITTLER, Aufschreibesysteme 1800 · 1900, München 1985, 42003, 12. Vgl. die Bemerkungen zum Konzept des „Autors“ in SCHAPER, Death of the Prophet, 63–67. 53 Vgl. hierzu BRAULIK , Monotheismus im Deuteronomium, 161–163. 54 Vgl. K. VAN DER TOORN , The Iconic Book. Analogies between the Babylonian Cult of Images and the Veneration of the Torah, in: DERS. (Hg.), The Image and the Book. Iconic Cults, Aniconism, and the Rise of Book Religion in Israel and the Ancient Near East (Contributions to Biblical Exegesis and Theology 21), Leuven 1997, 229–248, besonders 239–248. 51 52
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forderten.55 Dies wurde schon von A. Demsky zu Recht hervorgehoben, 56 der zugleich den Zusammenhang zwischen der Unterdrückung der Kultbilder und der Bedeutung des Schreibens im Deuteronomium betonte. Abschließend lässt sich also feststellen, dass wir durchaus von einer „Textualisierung der Religion“, und im Blick auf das Deuteronomium spezieller noch von einer Textualisierung des Offenbarungsgeschehens im antiken Juda sprechen können: Der Gott Israels tritt nicht mehr visuell in Erscheinung, sondern in der (gesprochenen und geschriebenen) Sprache und ganz besonders im schriftlichen Text der Tora, der im Deuteronomium und darüber hinaus ins Zentrum des Offenbarungsgeschehens tritt und selbst zum Ort der Gottespräsenz wird. Auch die Kommunikation zwischen JHWH und dem Individuum bzw. JHWH und dem Volk Israel wird nun als durch schriftliche Texte vermittelt konzeptualisiert. JHWH selbst agiert in der Funktion des Schreibers, und der Text wird zum Ort seiner Präsenz. Damit steht das Deuteronomium am Anfang jener Entwicklung hin zur „Buchreligion“, die mit der Durchsetzung des Monotheismus Hand in Hand ging.
55
H. U. STEYMANS, Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons. Segen und Fluch im Alten Orient und in Israel (OBO 145), Freiburg/Schweiz, Göttingen 1995, besonders 221–369 und 377–383. 56 Vgl. DEMSKY, Writing, besonders 18–20.
292
Die Autoren Dr. Beate Ego ist seit 1998 Professorin für Altes Testament und Antikes Judentum am Institut für Evangelische Theologie der Universität Osnabrück. Gavin Flood, Ph. D., ist Professor of Hindu Studies and Comparative Religion an der Theologischen Fakultät der Universität Oxford und Akademischer Direktor des Oxford Centre for Hindu Studies. Dr. Christof Hardmeier ist emeritierter Professor für Altes Testament an der Universität Greifswald. Dr. Joachim Friedrich Quack ist seit 2005 Professor für Ägyptologie am Ägyptologischen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Dr. Johannes Renz promovierte mit dem „Handbuch der althebräischen Epigraphik“ und ist seit 1990 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kiel. Dr. Wolfgang Röllig ist emeritierter Professor für Altorientalistik an der Universität Tübingen. Joachim Schaper, Ph.D., ist Professor in Hebrew, Old Testament and Early Jewish Studies an der Universität Aberdeen. Dr. Konrad Schmid ist Professor für Alttestamentliche Wissenschaft und Frühjüdische Religionsgeschichte an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Dr. Stefan Schorch ist Privatdozent und Dozent für Hebräisch und Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel. Dr. Günter Stemberger ist Professor für Judaistik an der Universität Wien. Lena-Sofia Tiemeyer, D. Phil., ist Lecturer in Hebrew Bible an der Universität Aberdeen. Will Tuladhar-Douglas, D. Phil., ist Lecturer in Religious Studies an der Universität Aberdeen und Direktor des Scottish Centre for Himalayan Research.
293
Stellenregister 1. Ägyptische und vorderorientalische Texte „Babylonische Theodizee“
46
Coffin Texts 1 20–25 413 513 577
18 18 18 18 18
Dendara-Texte X 46, 6f.
11
Erra-Epos
45
Gilgameš-Epos VII
44 47
Totenbuch 1 1–15 1–161 17 29A 29B 30A 30B 38A
16 22 14 17 17 17 17 17, 27 17
38B 42 63A 63B 64 72 76–88 100 117–119 125 129 137A 137B 141–143 151 161 162 162–165 163–165 166 174 175 177 178 180 191 192
17 28 17 17 27 31 23 29 24 33 29 17 17 17 25 31 14, 15 14 15 20, 26 17 20 17 17 21 21 21
2. Biblische, althebräisch-epigraphische, frühjüdische und rabbinische Texte Genesis 49,26
182
Exodus 21 22,21
31 34,6f. 34,27
278 75 224
111 212
Leviticus 16,2
232
Stellenregister
294 Deuteronomium 4 4,2 4,5 4,16 4,32–40 4,44 5,1–21 5,22 5,31 6,1 6,4–9 10 13,1 16,18–18,22 17,8–12 27,4–8 31–32 31,9–13 31,10–13
278 284 93 282 290 172 281 280 93 93 83, 84–91 278 284 112 110 181 281 83, 91–93 177
Josua 8,30–34
283
Richter 17–19
279
1 Könige 8,16 14,21
180 180
2 Könige 21,24 22 22–23 23,33b 23,34f. 23,35 24,6b.8 24,17 24,17a 24,17b
111 154 286 126 120 125 127 155 128 129
Jesaja 2,8 3,2 9,1–6 40–55 44,28 45,1
113 112 111 185, 186, 200 166 166
45,1–7 52,1.11 56–66 63,7–64,11 63,7–66,17 63,18 65,1 65,1–66,17 65,8–10
160 195, 197 187 185, 188, 191 199 188 198 189, 201 193, 198
Jeremia 2 2–6 2,37 7,1f. 21 21–23 21,1 21,1–23,8 21,4–7.10 21,11–23,6 21,13a 22,6f. 22,18f. 23,3–8 25 25,11f. 26 27,1–6 29,1–7 32,6–15 32,15 32,27 36 36,1–8.9b 36,8 36,9 36,10 36,18 36,23f. 36,30 36,32 38,4
124 123 122 135 136 105 134 124, 133 137 130, 133 131, 132 138 121 139 159 164 116 163 114 109 115 140 105, 117, 152 118 161 162 117 110 119 157, 165 153 108
Ezechiel 3 3,1 14,21–23 17,13 21,25b
289 287 156 122 131
Stellenregister Amos 4,2
234
Habakuk 2,2
287
Sacharja 1,12 5 5,1–4 7,3.5
165 289 287 190
Psalmen 1 1,2 40,7–9 40,8 40,8–12 119
102 83 98–100 82 83 101
Sprüche 22,17–21
82
Klagelieder
39,6 50,27–29 51,23
295 209 218 217
1 Makkabäer 1,54–57
173
2 Makkabäer 1,14 2,13 4,9–14
211 174, 175 211
Gezer-Kalender
71
Ketef-HinnomAmulett
75
Kuntillat-‘A~rud-Inschriften (9):7 77 (9):10 77 Lachisch-Ostraka 3, 8–13 6, 4f. 6, 5–7
69 108 108
Tell-Deir-‘Alla-Texte
73, 76
102
4,1–2 4,15
192, 194 192, 196
Nehemia 8,1–8
83, 94–98
Aristeasbrief 158–160
158
Josephus, Contra Apionem 2, 17 103
1 Chronik 3,17f. 2 Chronik 3,1
179
Jesus Sirach 1,1–12 6,37 8,8 9,14 24 15,2–4 34,23.25–27 38,25f. 38,34c–39,3 39,4 39,5
219 207 215 216 213 214 210 208 206 206 206
Josephus, Antiquitates X 97 XVI 43
155 103
1 QS VI 6–8
104
Mischna mKil 1,1 mShab 2,6 mKet 5,7
229 229 229
Tosefta tKet 5,7
229
Stellenregister
296 Babylonischer Talmud bBer 19a bShab 63a bEr 62b bHag 9b bNed 38a bGit 55b–58a bAZ 19a
Jerusalemer Talmud 221 221 225 221 230 233 221
yPea 2,4,17a yKil 1,1,27a yMaas 2,4,49d yYoma 1,5,39a–b yMeg 4,1,74d
224 228 228 231 224
3. Hinduistische und buddhistische Texte Anguttara Nikaya
252
V 238.30 V 249.16ff. V 250.5–9 V 250.18–19
256 258 257 257
Awakening of Faith
252
Collected Essence of the Perfection of Wisdom
262
Svacchanda-tantra 1.88
247
Hyakumanto Darani
267
Tripitaka
261
Hymn to the Circle of Deities Residing in the Body
246, 247
Jayakhya
243, 249
Veden Rigveda Yajurveda Samaveda Atharvaveda
245 245 245 245
Lalitavistara
264
Perfection of Wisdom V 238.8
255, 272 256
297
Autorenregister Abel, F.-M. 173 Abramson, S. 227 Albani, M. 164 Albertz, R. 99, 120 Alfrink, B. 155 Allen, Th. G. 13, 27 Alster, B. 60 Amadasi Guzzo, M. G. 63 An, Y. 271 Ariel, T. 78 Assmann, A. 86 Assmann, J. 7, 12, 18, 24, 275, 278, 288 Aufrecht, W. E. 62 Aurelius, E. 289 Avery-Peck, A. J. 231 Avigad, N. 54 Baines, J. 12 Barrett, T. H. 271 Barth, H. 112 Barton, S. C. 283 Baumgarten, A. I. 174, 275 Becker, U. 151 Beentjes, P. C. 203 Beit-Arié, M. 225 Ben-Sasson, M. 227 Ben Zvi, E. 287 Bickerman, E. 210 Böhmisch, F. 204 Braulik, G. 85, 281, 290 Brody, R. 225, 235 Byrskog, S. 216 Cagni, L. 45 Calduch-Benages, N. 203 Caminos, R. A. 30 Carr, D. 82, 101, 204 Carroll, R. P. 157 Cogan, M. 48 Colafemmina, C. 226 Collon, D. 73 Contini, R. 47
Conze, E. 256 Cooper, J. S. 60 Cotton, H. M. 65 Crüsemann, F. 110 Damerow, P. 58 Davis, E. 280 Demsky, A. 279, 291 Deutsch, R. 53 Donner, H. 159 Doran, R. 214 Duhm, B. 121 Edgren, S. 267 Ego, B. 6, 82, 203 Ehlich, K. 167 Ekvall, R. 268 Elman, Y. 230 Englund, R. K. 57, 59 Eshel, E. 178 Eshel, H. 178 Falkenstein, A. 57 Fincke, J. 39, 42 Fischer, I. 109 Fischer-Elfert, H.-W. 29 Fitzmyer, J. A. 64 Flood, G. 7, 241 Floyd, M. H. 287 Fox, M. V. 83 Frame, G. 41 Frevel, Ch. 277 Geller, M. J. 60 Gellner, D. N. 261 Gesche, P. D. 37 Gilbert, M. 206 Ginzberg, L. 229 Glassner, J.-J. 48 Gombrich, R. 250, 251 Gomez, L. O. 258 Goody, J. 223, 250, 275, 286
298
Autorenregister
Goshen-Gottstein, M. 188 Gottlob, M. 123 Goudriaan, T. 243 Grabbe, L. L. 285 Grapow, H. 28 Green, M. W. 58 Griffiths, P. J. 255 Grube, G. 284 Gumbrecht, H. U. 4 Guo, Q. 266 Haran, M. 176 Hardmeier, C. 6, 56, 105, 113, 114, 119 Harrison, P. 250 Havelock, E. A. 276 Hecker, K. 61 Heide, M. 55 Heltzer, M. 53 Hengel, M. 103, 217 Hermisson, H.-J. 124 Hezser, C. 204, 222 Hickman, B. 271 Hieke, Th. 95 Holladay, W. L. 158 Hunger, H. 43 Irsigler, H. 134 Jaffee, M. S. 223 Jaichalard, P. 261 Jamieson-Drake, D. W. 106 Janak, J. 23 Japhet, S. 180 Jeremias, J. 150 Jörns, K.-P. 115 Josuttis, M. 96 Kahana, M. 226 Kaiser, O. 205 Kaufman, S. A. 64 Keel, O. 71, 88 Keith, A. B. 241 Kiesow, K. 186 Kissane, E. J. 188 Kittler, F. 290 Koenen, K. 197, 198 Kogge, W. 284 Kottsieper, I. 105 Krämer, S. 284 Kratz, R. G. 164
Krebernik, M. 59 Krishnamacharya, E. 244 Kutsch, E. 127 Lambert, W. G. 44, 46 Lancaster, L. 255 Lau, W. 201 Leiman, S. Z. 279 Lejeune, B. 32 Lemaire, A. 74 Lesko, L. H. 15 Levin, Ch. 153 Lieberman, S. 227 Liedtke, M. 211 Lieven, A. von 11, 19 Liwak, R. 115 Locke, J. 263 Lohfink, N. 84, 154, 161 Lohmann, I. 209 Löhr, M. 189 Lord, A. 276 Luft, D. 17, 24 Lüscher, B. 25, 28 Maier, Ch. 115, 125 Mallowan, M. E. L. 40 Marböck, J. 203 Marrou, H.-I. 210 Marti, K. 192 Maul, S. M. 38 Meech-Pekarik, J. 267 Meiners, C. 275 Mendelssohn, M. 275 Meshel, Z. 89 Michalowski, P. 60 Milde, H. 22 Minette de Tilesse, C. 154 Mittag, A. 123 Moorey, R. 76 Moran, W. L. 49 Morenz, L. 3, 168 Mulder, M. J. 279 Munro, I. 26 Naveh, J. 70 Naville, E. 14 Nelson, W. D. 236 Neusner, J. 231 Newsome, C. 196 Niditch, S. 91, 287
Autorenregister Niehr, H. 110 Niemann, H. M. 107 Nissen, H. J. 57 Noth, M. 166 Oeming, M. 281 Ogden Bellis, A. 285 Olson, D. R. 289 Ong, W. J. 4, 250, 276 Orthmann, W. 72 Osing, J. 18 Osumi, Y. 111 Padoux, A. 247 Pal, P. 263 Parpola, S. 49 Parr, P. 76 Parry, M. 276 Perraud, M. 20 Peters, M. K. H. 169 Pfeiffer, R. 102 Platt, D. 270 Pohlmann, K.-F. 156 Quack, J. F. 5, 11 Rad, G. von 85 Rastelli, M. 242 Reitemeyer, M. 213 Renz, J. 5, 53, 280 Reynolds, F. 255 Rickenbacher, O. 207 Rofé, A. 181, 182 Röllig, W. 5, 35 Rollston, Ch. A. 80 Rosati, G. 31 Rose, M. 88 Rudolph, W. 131 Rüsen, J. 123 Rüterswörden, U. 68, 108 Sanderson, A. 242 Särkiö, P. 75 Sass, B. 54 Schaack, Th. 277 Schäfer, P. 223 Schaper, J. 7, 101, 172, 173, 275, 284 Schenkel, W. 21 Schiffman, L. H. 177 Schlüter, M. 225
Schmid, K. 6, 150, 281 Schmitt, R. 105 Schnabel, E. J. 212 Schniedewind, W. M. 69, 171 Schopen, G. 250 Schorch, S. 6, 167, 168 Schrader, O. 244 Schwiderski, D. 79 Seidlmayer, S. 19 Sellin, E. 175 Sharvit, Sh. 236 Skehan, P. 203 Smith, M. 33 Smith, P. A. 198 Sommer, B. 191 Sonnet, J. P. 92, 170, 280 Stadelmann, H. 203 Stager, L. E. 90 Steck, O. H. 152 Steins, G. 94 Stemberger, G. 7, 221, 222 Steudel, A. 104 Steymans, H. U. 291 Stipp, H.-J. 116, 117, 122 Stuckenbruck, L. T. 283 Sukyingcharoenwong, M. 261 Sussmann, J. 225 Sysling, H. 279 Tadmor, H. 49 Tappy, R. E. 71 Thiel, W. 138 Thompson, J. A. 162 Tiemeyer, L. S. 6, 185 van der Toorn, K. 96, 289, 290 Torrey, C. C. 192 Tov, E. 179 Trainor, K. 241 Tuladhar-Douglas, W. 7, 250 Ueberschar, F. 208, 215 Uehlinger, Ch. 71 Urban, G. 248 Vaidya, P. 256 Veenhof, K. R. 36 Veijola, T. 87 Venema, G. J. 93 Verhoeven, U. 16, 27 Vico, G. 275
299
300 Vouga, F. 184 Walshe, M. 272 Wanke, G. 154 Warburton, W. 275 Watt, I. 275, 286 Weinfeld, M. 49 Westenholz, J. G. 35 Westermann, C. 190 Willey, P. T. 187, 195 Williamson, H. G. M. 97, 187
Autorenregister Wimmer, S. 66 Wimmer-Dweikat, S. 66 Wischmeyer, O. 218 Witzel, M. 245 Wöhrle, J. 105 Wold, B. G. 283 Worschech, U. 160 Zenger, E. 100 Zevit, Z. 285
301
Namen- und Sachregister Aaron 227, 232 abrahamitische Religionen 8 Administration 125 Ägypten 68 Ägyptenpolitik 121 Alphabetschrift 79, 168, 277 Altes Reich 13 Ämtergesetze 112 Amulett(e) 75, 88, 103 anaphorische Verweise 172 anikonischer Kult 282 Arad 68 Archaismus 34 Archivierung 35, 36 Archivierungstechniken 5 Aristophanes 209 Aristoteles 209 Armbänder 87 Arslan Tasch 88 asana 244 Assurbanipal-Bibliothek 42 Asylrecht 111 Ätiologie, theologische 162 Atum 20 Ausgrabung 55 „Autoren“ 45 Autorschaft 187, 290
Beschwörungsserien 44 Bibliothek(en) 38, 174 Bibliothekskataloge 39 Bibliothekswissenschaft 38 „Bilder“ 281, 290 Bildung 203 Bildungsbuch 219 Bileam-Legende 73 Bodhisattva 256 Borsippa 41 Botschaft, geschichtstheologische 136 Bu Bahal 258, 263 Buchfindungslegenden 171 Buchkomposition 133 „Buchreligion“ 222, 291 Buchstabenformen 67, 71 Buchstabenschrift 47 Buchtradition 102 Buddha 251 Buddha, Lehren des 254 Bullae 78, 80 Bundesbuch 111 Bundesurkunde, josianische 85 Byblos 37, 63
Ba 29 Babel 122 Babylonier 122 Babylonischer Talmud 229 Barke des Re 23, 24 Baruch 116, 152 Bauinschrift 76 Bearbeitung, geschichtstheologische 133 Bekaa-Ebene 131 Ben Sira 203 Benediktion 94 Bengalen 262 Beschwörungen 60
Dankinschriften 98 Davidsdynastie 154, 157, 165 Davids-Thron 124 Dekalog 89 „Deutero-Isaiah group“ 186, 190 Deuteronomistisches Geschichtswerk 180 Deuteronomium 108 Deutungssysteme 183 dhammakaya 255 Dharma 251, 263 Dharmodgata 257 „Digital Prayer Wheel“ 270 Diskurse, jeremianische 118
China 268 communio lectorum 184
302
Namen- und Sachregister
Divinatorik 112 divyadeha 243, 245 Ebal 181 Echo 190 Einzigkeit Gottes 86 Elementarschulen 217 Eliten 65, 67 Epen 72 Epigraphik, palästinische 53 Epistemologie 284 Erinnerungsraum 100 Erinnerungszeichen 103 Erkenntnis 276 Esra 94 Exegese 190 Exil, babylonisches 139 Existenz, jenseitige 33 Expertentätigkeit, schriftgestützte 105 Expertise, geschichtsdivinatorische 120 Expertisen 124 Ezechiel 213 Fasten 161 Fortschreibung(en) 115, 124, 127, 130 Führungseliten 105, 118 funeräre Beigaben 14 Funerärpapyrus 30 Funerärtexte 12 Funktionseliten 106 Ganapati 246 Gandhavati 256 Garizim 179, 180 Gattungsbezeichnungen 13 Gebete 41 „Gebetsmühlen“ 265, 266 Gebote, deuteronomische 85 Gedächtnis, kulturelles 90 „Geistbegabung“ 213 Genizah von Kairo 226 Gerechtigkeit 137 Gerichtsankündigung 156 Gerichtsansage 154 Gerichtshof des Osiris 24 Gerichtsworte Jeremias 162 Gezer 54 Gezer-Kalender 71 Gilgameš-Epos 41 Gola 114
Gott als Schreibender 279 Götterlitanei 17 Götterreisen 72 Gottesbegegnung 93 Gottesprädikationen 77 Gotteswort 287, 290 Gottheit, Text als 262 „Götzendienst“ 275 Grabausstattung 32 Gräber 18 Grabhöhlen 75 Grabinschriften 69 Grabkammer 25 grantha 262 „Gutenberg-Modell“ 260 Haggada 221 Halakha 221 Handbuch 219, 220 Handschriftenfunde 174 Handwerk 208 Handzeichen 87 Hathor 19 Hauptgebot 89 Heiliger Berg (Zion) 198 Heldenerzählungen 72 Hellenismus 210, 211 Hemerologien 41 Hieroglyphenschrift 168, 277 Hoherpriester 231 homographe Wortformen 169 Hortfunde 78 Horus 18 Hymnen 11, 41, 60 Inanna 59 Individualisierung 46 Indonesien 262 Indra 257 Internalisierung (des Textes) 248, 280 Internet 270 interpretative Kontrolle 195 Intertextualität 190 intertextuelle Verbindung 157 ipsissima verba der Propheten 153 Isokrates 209 Jakob 211 Japan 267, 268 Jeremia 114, 116, 123
Namen- und Sachregister Jeremia-Logien 158 Jeremiaüberlieferung 159 Jerusalem 54, 130, 131, 137, 180 jesajanische Autoren 191 jesajanische Tradition 191 JHWH als Autor und Schreiber 284 Johannes Hyrkan I. 181 Jojachin 127 Jojakim 117, 123, 153, 154 Jordan 283 Jordansenke 131 Josia 154, 165 Josia-Zeit 285 Juda 131, 187 Juristen 113 „Kanadische Schule“ 277 Kanon 43, 47, 81, 97, 175 Kanon, buddhistischer 252, 268 Kanon, chinesischer buddhistischer 267 Kanongeschichte 53 Kanonisierung 31, 35, 36, 46, 200 Kanonisierungsprozesse 12 Karkemisch 160 Karma 270 Kashmir 246 kataphorische Verweise 172 Kategorisierungen, literarische 21 Kathmandu 262 Keilschrift 47, 168 Keilschriftliteratur 36 Keilschrifttafeln 74 Keilschrifttradition 47 Keilschriftzeichen, Listen von 39 Kerala 241 Ketef Hinnom 75 Kirchenlatein 64 Klage (Gattung) 189 Klage, liturgischer Gebrauch der 190 Klagen 41 Klientel, königliche 108 Kolophon 44 Kommentartext 138 Kommunikationsmittel 287 Kommunikationsweisen 287 Königsgruft 155 Königsinschrift(en) 69, 76 Königswahl 128 Königtum 42, 134 Konstruktion, universalgeschichtliche 150
303
Kopfstützenamulette 20 Kopisten 229 Korea 268 Kosmologie 248 Krugstempel 107 Kult 222, 278 Kultur, literale 173, 178 Kulturtechnik 5 Kulturtechnik, Schreiben als 284 Kyros 160 Lade des Bundes 172 Landadel, judäischer 128, 139 Lehrbetrieb 224 Lehrbuch 218 Lehrer 99 Lehrhaus 216, 228 Lehrprozesse 205 Lehrtexte 58 Lektüre, meditierende 100 „Lernen, informelles“ 216 Lernkultur 236 Lernparänese 92 Lernprozess(e) 82, 205, 208 Lesen 167 Lesepublikum 199 Leser 170 Lese-Tradition 79 Leviten 222 Lieder 41 Listenwissenschaft 80 literacy 276 „literacies“ 271 Literatur, prophetische 6 Literaturbildung, prophetische 105 Literaturbildung, schriftprophetische 132, 140 Literaturgeschichte 61 Literaturproduktion 5 Literatursoziologie 115 Liturgien 17 liturgische Vollzüge 95 liturgischer Brauch 224 „Lob der Väter“ 212 Lotus 247 Loyalitätseid 290 Magie 48 Mahayana-Buddhismus 7, 250 Mantra 246, 265
304
Namen- und Sachregister
Masoreten 178 Materialität der Medien 277 Materialität der Schrift 288 Medium/Medien 84, 170, 283 Meditation 99, 221 Meditationsgrundlage 98 Memorierung 100 Mesopotamien 36 Messias 160 Mesusot 90 Metaphorik 125 Midraschim, halakhische 235 Midrasch-Literatur 235 Milieu-Erzählung 121 Militärkommandos 127 Mimamsa-Tradition 249 Mischna 225, 227, 229 Mittlergestalt 212 Mnemotechnik 226, 230 Mnemotop 91 Moab 93 Monotheismus 3, 275, 278, 284 Monumentalinschrift(en) 56, 77, 283 Moria 179 Morphologie 65 „mosaische Unterscheidung“ 278 Mose 93, 227, 281 Mosegesetz 210 Mose-Rede 282 mündliche Tora 222 mündliche Tradition 72, 199 mündliche Überlieferung 46, 236 „mündliche Veröffentlichung“ 227 Mündlichkeit 7, 82, 203, 215, 223, 237 Mystiker 230 Mythen 72 Nachtgesicht 45 Nambudri-Brahmanen 241 Nebukadnez(z)ar 129, 150, 159 Necho 126 Nehemia 175 Nepal 263 Neues Reich 16 Newar-Buddhismus 261, 264 Ninive 39, 44 Nitokris 30 Numinose, das 101 Oberflächenuntersuchung 55
Omina 41 Opfertarife 81 Orakel, göttliches 197 Orakel, prophetische 6 oral history 184 orality 276 orality/literacy-Debatte 4 „Orthodoxie des Buches“ 170 „Orthodoxie des Lesers“ 170 Osiris 18, 20, 29 Ostraka 56, 107 paideia 210, 219 Palästina 53 Palästinischer Talmud 229 Pali 252 Pali-Kanon 253 Palimpseste 226 Papyrus/Papyri 20, 56, 107 Papyrusabschriften 31 Papyrustexte 64 Parallelismus 76 Paratraditionen 177 Pentateuch 200, 207 „Perfection of Wisdom“-Texte 272 Personifizierung der Weisheit 215 Pesach 236 Polemik 190 Polizeiorgane 117 Priester 113, 222 „primäre Religion“ 288 Primärliteratur, jeremianische 108 Primärtexte, schriftprophetische 141 Privatarchive 40 Propheten 76, 110, 113 Prophetenbücher 152 Prophetenforschung 151 Prophetie, schriftgelehrte 166 Prophezeiung 155 Psalmenfrömmigkeit 101 Pyramidentexte 26 Qadeš Barnea 68 Qumrantexte 225 Rabba bar bar Chana 234 Rabbinat 223 Rabbinen 224 rabbinisches Judentum 7, 205, 220 rabbinisches Schulsystem 228
Namen- und Sachregister Randglossierung 132 Raschi 224 Re 29 Recht 137 Rechtskorpora 140 Rechtsmahnung 137 Rechtstexte 173 Rechtsüberlieferungen 109 Rechtsunterweisung 110 Redaktionsgeschichte 151 Redaktionsprozess 15 Redaktionsstufen 231 Redaktoren 232 Reden, prophetische 119 Redetexte, schriftprophetische 119 Reform, Schreiben und 285 Reformation 271 Regressanspruch 37 Reiseerzählungen 234 Religion 284 Religion, dynastische 81 Religionspraxis 276 Reliquien, schriftliche Texte als 259 Renaissance 34 return to the Book 286 Revision 190 Rezepte 41 Rezipientensteuerung, intratraditionale 177 Rezipientensteuerung, paratraditionale 177 Rezitation 266 Rezitationstexte 27 Rhetorik des Jeremia 129 Ritual 92, 241 Ritualanweisung 44 Ritualisierung der Lektüre 95 Ritualisten 27 Ritualliteratur 43 Ritualsequenz 28 Ritualtexte 61 „rituelle Kohärenz“ 288 Ritus 48 Ruder des Himmels 25 rupakaya 255 Sadduzäer 231 saitische Redaktion 14, 28 „saitische Renaissance“ 31 Üaiva 247 Samaritaner 182 Sangha 251, 253, 259
305
Sargon von Akkade 35 Sargtexte 12, 26 Sargtextspruch 17 Schafan-Fraktion 116, 120 Schreiben 3 Schreiber 40, 289 „Schreiberahnen“ 45 Schreiberausbildung 70 Schreibergewohnheiten 70 Schreiberkunst 42 Schreiberschulen 66 Schrift 276 Schrift, frühmesopotamische 62 Schrift, protokanaanäische 66 Schriftauslegung 3, 222 Schriftauslegung, innerbiblische 150, 151, 163 Schriften, nordwestsemitische 168 Schriftentstehung 56 Schriftexegese 6 Schriftgelehrte(r)103, 205, 208, 214 Schriftgeschichte 70 Schriftkultur 83, 101 schriftliche Tradition 199 Schriftlichkeit 5, 7, 57, 82, 168, 203, 223, 237, 276 Schriftlichkeit, vorliterarische 74 Schriftrolle 280 Schriftstudium 207 Schriftsystem, hebräisches 176 Schulbetrieb 217 Schule 37, 48, 68 Schüler 214 Schultexte 58 „scriptural turn“ 275, 289 Sefer ha-Tora 94 „sekundäre Religion“ 288 Septuaginta 161 Serubbabel 158 Siddhartha Gautama 251 „Siebzig-Jahre“-Prophezeiung 164 Siegel 64 Sifra 230 Sippar Amnanum 37 Sitz im Leben 56 Üiva 242 sofia 219 Sonnenhymnen 19 Sprichwortsammlungen 80 Statuen 290
306
Namen- und Sachregister
Stelen 18, 38 Stirnblatt des Hohenpriesters 88 Studienbuch 220 stupa 254, 259 Sühneinschriften 98 Sukhavati 258 Sumerogramme 61 sutra 269 Symbole 91 Symbolsystem, religiöses 104 Synchronismus 159 Syntax 65 Tannaim 227 tannaitische Traditionen 230 Tantra 241 target audience 194 Targum 97 Targumvortrag 224 Technologie(n) des Schreibens 4, 250 Tefillin 102 Tel Dan 90 Tempel 222 Tempel, Jerusalemer 179 Tempelliturgie 72 Tempelritual von Abydos 24 Tempelrituale 13 Tendenzerzählung 123 Text 278 Textgattungen, althebräische 80 Textpragmatik 141 Textproduktion durch Lesen 176 Textproduktion, althebräische 62 Textrituale 260 Textualisierung 4, 35, 167, 290, 291 Textualisierungsprozesse 171 Textualität 167 Textualität als Modus der Offenbarung 279 „textuelle Kohärenz“ 288 Theben 19 Theorie des leeren Landes 156 Thot 22 „Thotbuch“ 11 Thronbesteigung Nebukadnezars 161 Token 58 Tora 171, 172, 210, 220 Torafrömmigkeit 102 Torarollen 173 Toravortrag 96
Tore 89 Torgerichtsbarkeit 110 Tosefta 225, 229 Totenbuch 15 Totenklage 157 Totenliturgien 18 Tradentenprophetie 152 Tradition 207 Tradition, handschriftliche 236 Tradition, prophetische 202 Traditionen, parabiblische 183 Traditionen, tantrische 244 Traditionsliteratur 55 Traditionsliteratur 64 Traktate 11 Transjordanien 63 translatio imperii 166 „Traumbuch“ 233 Tribute 59 Tributforderungen 126 Tripitaka 261 Türpfosten 89 Überlieferung, (proto-)masoretische 182 Überlieferung, samaritanische 178 Überlieferungsprozesse 237 universalgeschichtliche Theorie 163 Unterrichtsgeschehen 221 Unterweltsbücher 15 Vajrayana-Ritual 264 vaticinium ex eventu 155 Veda 242, 245 Verfassungsreform 111 Verinnerlichung 82 „Verkörperung“ von Texten 8 Verschriftlichung 73, 87, 218 Verschriftung 97 Vertragsurkunden 109 Verwaltungstätigkeit 106 Verwandlungssprüche 23, 26 Vokabulare 39 Vokalisierung 79 Volksversammlung 209 Wehewort 138 Weihinschriften 69 Weise 231 Weisheit 206, 210, 215 weisheitliche Lehrtraditionen 212
Namen- und Sachregister Weisheitslehre Sirachs 207 Weisheitslehrer 217 Weisheitsliteratur 80 Weisheitssprüche 204 Weisheitstexte 60 Weltherrschaft 163, 165 Weltweisheit 210 Wirtschaftsurkunden 56, 57 World Wide Web 269
Xenophon 209 Zahlzeichen 164 Zen 268 Zion 197 Zionstheologie 213 Zweiter Tempel 183
307
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